Besitz und Sachherrschaft [1 ed.] 9783428492220, 9783428092222

Der Besitz gehört zu den althergebrachten Rechtsinstituten. Seine Wurzeln reichen ins römische und germanische Recht zur

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German Pages 312 Year 2001

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Besitz und Sachherrschaft [1 ed.]
 9783428492220, 9783428092222

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Frank Härtung

· Besitz und Sachherrschaft

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 245

Besitz und Sachherrschaft

Von Frank Härtung

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Härtung, Frank: Besitz und Sachherrschaft / von Frank Härtung. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 245) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09222-8

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-09222-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1996/1997 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis zum Frühjahr 1998 berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Klaus Schreiber, möchte ich an dieser Stelle von ganzem Herzen für die optimale fachliche und persönliche Förderung während der Entstehung dieser Arbeit danken. Herr Professor Schreiber gab nicht nur die Anregung zur Bearbeitung des Themas, ich verdanke ihm auch zahlreiche hilfreiche Hinweise bei der Durchführung des Dissertationsvorhabens. Die Zeit, die ich als Mitarbeiter und Assistent an seinem Lehrstuhl verbringen durfte, war interessant, lehrreich und schön. Ich werde sie immer in sehr guter Erinnerung behalten. Herrn Professor Dr. Rolf Wank danke ich herzlich für die Übernahme und zügige Erstattung des Zweitgutachtens. Ferner danke ich Frau Käthe Wissmann für die Geduld und Mühe, die sie bei der Erstellung der Druckvorlage aufgebracht hat. Ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern. Ihre Unterstützung und Ermutigung während meiner Schul- und Studienzeit haben mir einen Lebensweg eröffnet, der ihnen selbst nicht offen stand. Ihnen widme ich die vorliegende Arbeit in Liebe und Dankbarkeit.

Dortmund, im Herbst 2000

Frank Härtung

Inhaltsverzeichnis

Α. Gegenstand der Untersuchung

17

B. Der Besitzbegriff des BGB

21

I. Wortlautauslegung

21

II. Gleichsetzung des Besitzes mit tatsächlicher Sachherrschaft

23

1. Weitere Besitztatbestände

25

a) Vergeistigte Sachherrschaft

26

b) Fiktion tatsächlicher Sachherrschaft

27

c) Ausklammerung der §§ 857, 868 BGB

28

2. Besitz ohne Sachherrschaft III. Der Besitz als Rechtsverhältnis und subjektives Recht 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht a) Gesetzliche Vorschriften

29 31 32 33

aa) Wortwahl des Gesetzes

33

bb) Vererblichkeit des Besitzes gemäß § 857 BGB

34

cc) Historische Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs

34

dd) Systematische Stellung der §§ 854 ff. BGB

35

b) Materielle Prüfung aa) Das durch den Besitz geschützte Interesse (1) Besitzschutz

36 37 37

(a) Rechtsfrieden

38

(b) Schutz des Persönlichkeitsrechts

40

(c) Schutz des Eigentums

42

(d) Kontinuitätsinteresse

44

(aa) Ausschluß liquider Rechtseinwendungen

45

(bb) Kontinuitätsschutz anderer Rechtsinstitute

46

(cc) Schutz des Diebesbesitzes

47

(2) Materieller Besitzervorzug

50

bb) Zuweisungsgehalt des Besitzes

51

cc) Abhängigkeit von weiteren Voraussetzungen

54

dd) Spontane Achtung des Besitzes

56

Inhaltsverzeichnis ee) Fehlende Selbstbehauptungsfähigkeit gegenüber dem Eigentum

58

ff) "Recht" aus "Unrecht"

59

gg) Dauernde Bindung an tatsächliche Grundlage

60

hh) Ergebnis

60

2. Besitz als Rechtsverhältnis IV. Exkurs: Die Haftung nach § 823 BGB für Besitzverletzungen 1. Der Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB a) Meinungsstand

61 63 63 63

aa) Ältere Rechtsprechung

64

bb) Erfordernis einer zusätzlichen Befugnis des Besitzers

64

cc) Recht zum Besitz als Schutzobjekt

65

b) Kritik aa) Kein deliktischer Schutz von Forderungsrechten

66 66

bb) Eigentumsähnlichkeit des Besitzes

68

cc) Ergebnis

69

2. § 858 BGB als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB

69

3. Schadensfragen

72

a) Substanzschaden

72

b) Nutzungsschaden

72

c) Haftungsschaden

76

d) Verwendungsschaden

77

e) Ersitzungsschaden

77

4. Ergebnis

78

Die Besitztatbestände

79

I. Der Besitzerwerbstatbestand des § 854 Abs. 1 BGB

79

1. Rechtsgeschichtlicher Überblick über die Bedeutung der tatsächlichen Sachherrschaft fur den Besitz

81

a) Das römische Recht

81

b) Das germanische Recht

83

aa) Bedeutung der Gewere

83

bb) Die Arten der Gewere und deren Erwerb

84

(1) Fahrnisrecht

84

(2) Liegenschaftsrecht

85

c) Das gemeine Recht

87

d) Die Kodifikationen des 18. und des 19. Jahrhunderts in Deutschland

91

e) Die Entstehung der Besitzvorschriften des BGB aa) Die Vorarbeiten und der Teilentwurf Sachenrecht, 1880

93 93

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Die Änderungsvorschläge zum Teilentwurf.

97

cc) Der Entwurf der 1. Kommission

98

dd) Die Kritik am 1. Entwurf

101

ee) Der 2. Entwurf (E 2)

104

f) Schlußfolgerungen.... aa) Differenzierung des Besitzbegriffes nach den Besitzfunktionen?

106 106

(1) Das Besitzrecht des BGB als Folge sich wandelnder Schutzbedürfhisse

107

(2) Einheitlichkeit des Besitzbegriffs in der geschichtlichen Entwicklung

110

(3) Eigenbesitz als Besitz besonderer "Farbe"

111

(4) Probleme bei der Gesetzesanwendung

112

(5) § 836 Abs. 3 BGB

112

(6) Einschränkungen bei Ernst

112

bb) Loslösung des Besitzes vom Erfordernis der tatsächlichen Sachherrschaft

113

(1) Heranziehung der civilis possessio des gemeinen Rechts

113

(2) Berücksichtigung der deutschrechtlichen Einflüsse

116

(3) Die Formulierung des Besitztatbestandes in § 854 Abs. 1 BGB ..118 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft a) Die tatsächliche Gewalt als nicht näher zu bestimmender Elementarbegriff

125 125

b) Sachzugriff als Unrecht

132

c) Sachherrschaft als Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung des eigenen Willens

133

d) Physische Einwirkungsmöglichkeit

135

aa) Die Bedeutung der tatsächlichen Sachherrschaft fur Erwerb und Aufrechterhaltung des Besitzes

137

bb) Die Beurteilung der Besitzlagen

138

cc) Der Besitzerwerb durch Ergreifung

139

e) Schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse

142

aa) "Tatsächliche Gewalt" als Blankettbegriff

142

bb) Die Entscheidung über den Besitztatbestand

143

cc) Kritische Würdigung

144

(1) Bezugnahme auf die §§ 855, 856 Abs. 2, 857 BGB

144

(2) Kriterien zur Entscheidung der Besitzfrage

145

(3) Nichtbeachtung des Wortlautes

147

(4) Relativität des Besitzbegriffs f) Der Besitz als ein tatsächliches, von Kontinuitätsinteressen getragenes Machtverhältnis

147 150

Inhaltsverzeichnis aa) Tatsächliche Machtbeziehung

152

bb) Teleologische Auslegung (Kontinuitätsinteresse)

153

(1) Der Begriff des Kontinuitätsinteresses (2) Überwiegende Schutzwürdigkeit

153 154

(a) Realisierbarkeit des Interesses

154

(b) Priorität

155

(c) Eingriff in das Persönlichkeitsrecht

156

(d) Rechtliche Interessen

158

(e) Vertrauenstatbestände

159

(f) Verhalten der Beteiligten

159

cc) Ergebnis

160

(1) Überblick

160

(2) Der Stellenwert des Kontinuitätsinteresses und seine Begründung

161

(3) Relativität des Besitzbegriffes?

163

dd) Einzelfälle (1) Nicht auf Dauer angelegte Sachbeziehungen

164 164

(2) Jagdfalle

164

(3) Weit entfernte Gegenstände

165

(4) Abstellen von Waren vor dem Verkaufsraum

166

(5) "Ruhrwiesen-Fair

167

(6) Durch Vertragspflichten eröffnete Einwirkungsmöglichkeit

168

3. Der Besitzwille a) Der Besitzwille als zwingende Voraussetzung des Besitzes

171 171

aa) Herleitung und Anforderungen

172

bb) Einfügung in den Organisationsbereich

174

cc) Aufrechterhaltung des Besitzes

175

b) Die Irrelevanz des Besitzwillens als selbständiger Bestandteil des Besitztatbestandes aa) Der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB bb) Begriff der "Herrschaft"

175 175 176

cc) Pflichten aus dem Besitzerwerb

177

dd) § 867 BGB

178

ee) § 872 BGB

179

ff) Fälle eindeutiger Zuordnung

180

gg) Verkehrsanschauung als Grenze des "generellen" Besitzwillens?

181

hh) Abschließende Betrachtung der herrschenden Willenstheorie

182

ii) Willenserfordernis aufgrund der Einordnung des Besitzes als subjektives Recht?

183

Inhaltsverzeichnis j j ) Ergebnis

13 184

c) Der Besitzwille als bloßer Faktor des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses

184

d) Einzelfälle

186

aa) Der verlorene Tausend-DM-Schein (BGHZ 101, 186) (1) Kritik aus der Sicht der h.M

186 187

(a) Tatsächliche Sachherrschaft

188

(b) Besitzwille

188

(2) Grundsätzliche Kritik

189

(a) Fundrechtliche Interessen der Beteiligten

190

(b) Kontinuitätsinteressen

193

bb) Der Gastwirtschaftstoiletten-Fall (RG JW 1925, 784 f.)

197

4. Die Aufrechterhaltung und die Beendigung des unmittelbaren Besitzes (§ 856 BGB) II. Die anderen Besitztatbestände 1. § 854 Abs. 2 BGB

199 200 200

a) Rechtsgeschäftlicher Erwerb?

200

b) § 854 Abs. 2 BGB als Tatbestand tatsächlicher Sachherrschaft

203

c) Übergang des Kontinuitätsinteresses aa) Einwirkungsmöglichkeit

204 204

bb) Einigung

204

cc) Anwendung der gesetzlichen Regeln über das Rechtsgeschäft

205

d) Ergebnis 2. § 855 BGB a) § 855 BGB als ein Tatbestand tatsächlicher Sachherrschaft des Besitzherrn

206 207 207

aa) Soziales Abhängigkeitsverhältnis

207

bb) Objektives Handeln auf Grund des Abhängigkeitsverhältnisses

210

cc) Kritik

211

(1) Keine Abhängigkeit kraft gesellschaftlicher Stellung

211

(2) Besitzdienerverhältnis als Nachklang der alten Sklaverei?

213

(3) Entscheidung nach konfliktfremden Erwägungen dd) Andere Tatbestandsumschreibungen

214 216

(1) Willentliche Unterordnung

216

(2) Jederzeitiger Zugriff

218

ee) Einschränkung der Besitzfolgen bei § 935 BGB

221

ff) Zwischenergebnis

224

b) § 855 BGB als Tatbestand schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen des Besitzherrn

224

Inhaltsverzeichnis

14

aa) Gesetzgebungsgeschichte

224

(1) Der Unterschied des 1. Entwurfs zu früheren Rechtsordnungen

225

(2) Die Reaktion der 2. Kommission

226

(3) Schlußfolgerungen

227

(a) Bestätigung bereits gewonnener Ergebnisse

227

(b) Maßgeblichkeit der Interessenlage

228

(c) Ausnahmecharakter des § 855 BGB

230

bb) Systematischer Zusammenhang mit § 854 Abs. 1 BGB und teleologische Auslegung cc) Das entscheidende Kriterium: Die Fremdnützigkeit (1) Keine eigenen rechtlichen Interessen des Besitzdieners (2) Schutzwürdige Kontinuitätsinteressen des Besitzherrn

231 231 232 234

(a) Tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit

234

(b) Aspekte der Interessenbewertung

235

dd) Kritik

236

ee) Einzelfalle

240

( 1 ) Ausgelagerte Arbeitsgeräte und Dienstwagen

240

(2) Musterstücke des Handlungsreisenden

241

(3) Besitzerwerb durch den Besitzdiener

243

(a) Voraussetzungen

243

(b) Fund durch Arbeitnehmer

244

(4) Besitzverlust durch Besitzdiener 3. Der Erbenbesitz, § 857 BGB a) Rechtsnatur

249 249 250

b) Tatbestands Voraussetzungen

252

aa) Besitz des Erblassers

253

bb) Erwerber als endgültiger Erbe

254

cc) Keine Interessenabwägung im Einzelfall

254

c) Rechtsfolgen

255

d) Beendigung des Erbenbesitzes

256

4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

256

a) Mittelbarer Besitz als Tatbestand "vergeistigter Sachherrschaft" 256 aa) Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes nach der Theorie von der vergeistigten Sachherrschaft 257 (1) Konkretes Rechtsverhältnis

258

(2) Besitzrechtliche Überordnung

259

(3) Besitzrechtsableitung

259

(4) Herausgabeanspruch

260

Inhaltsverzeichnis

15

(5) Besitzmittlungswille des unmittelbaren Besitzers

261

(6) Besitzwille des mittelbaren Besitzers

262

bb) Kritik

263

( 1 ) Theoretische Grundlage (2) Abhängigkeit des mittelbaren Besitzes vom Besitzmittlungswillen des Besitzmittlers (a) Beweisschwierigkeiten und Probleme der Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 3 BGB (aa) Bedeutungsverlust des § 1006 Abs. 3 BGB

263 264 265 265

(bb) Einschränkung des § 1006 Abs. 3 BGB durch die h.M.. 266 (aaa) Bloße Erwerbsvermutung

266

(bbb) Kritik

267

(ccc) Ergebnis

269

(b) Eigentumsverlust durch Untreue des Besitzmittlers

270

(c) Wertungswiderspruch zwischen § 933 und § 934 BGB

272

(d) In der Literatur vertretene Lösungsversuche

275

(aa) Die Lehre vom Nebenbesitz

275

(bb) Maßgeblichkeit des älteren Herausgabeanspruchs

278

(cc) Haftungspflicht aus unrechtmäßigem Besitz ("fiirtumLösung") (3) Ergebnis

280 281

b) Der mittelbare Besitz als ein Tatbestand schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen

281

aa) Die Maßgeblichkeit der Kontinuitätsinteressen

282

bb) Die Voraussetzungen des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses

284

( 1 ) Nutzungsabrede (2) Herausgabeanspruch (3) Kein Besitzmittlungswille Literaturverzeichnis Sachregister

284 285 288 290 306

Α. Gegenstand der Untersuchung

Der Besitz gehört zu den althergebrachten Rechtsinstituten. Seine Wurzeln reichen ins römische 1 und ins germanische Recht2 zurück. Gleichwohl bietet die Rechtsfigur des Besitzes auch mehr als neunzig Jahre nach Inkrafttreten des BGB Anlaß zu zahlreichen Meinungsstreitigkeiten und Rechtsunsicherheiten. Insbesondere sind die Rechtsnatur, die Entstehungsvoraussetzungen und die Voraussetzungen des Fortbestandes einmal begründeten Besitzes noch nicht befriedigend geklärt. Zu dieser Situation hat der Gesetzgeber des BGB beigetragen, indem er im ersten Abschnitt des Buches über das Sachenrecht vier verschiedene Besitztatbestände schuf (§ 854 BGB mit den beiden Varianten in Abs. 1 und Abs. 2, § 855 BGB, § 857 BGB und § 868 BGB), auf eine Definition des Besitzbegriffes verzichtete und an die Spitze der Regelung eine Vorschrift stellte, wonach der Besitz durch die Erlangung der "tatsächlichen Gewalt" oder - nach modernem Sprachgebrauch - der tatsächlichen Sachherrschaft erworben wird. Allein die Frage, was unter "tatsächlicher Sachherrschaft" zu verstehen ist, hat die Rechtswissenschaft offenbar vor eine so schwere Aufgabe gestellt, daß einige Autoren bereits konstatieren: "In den deutschen Lehrbüchern herrscht Verzweiflung." 3 Ferner wird durch die gesetzliche Regelung die heftig diskutierte Frage aufgeworfen, ob es sich auch bei den Tatbeständen des Erbenbesitzes (§ 857 BGB), 4 des mittelbaren Besitzes (§ 868 BGB) 5 und der Besitzdienerschaft (§ 855 BGB) um Fälle tatsächlicher Sachherrschaft handelt. Während sich beim Erbenbesitz zunehmend die Auffassung durchsetzt, es handele sich um einen Besitztatbestand ohne Sachherrschaft, 6 sieht die - neuerdings

1

Siehe dazu Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 41 2, S. 21.

2

Staudinger/Bund Vorbem zu §§ 854 ff. Rn. 1 ff; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 4 I 3, S. 21. Vgl. zum Begriff der Gewere des mittelalterlichen deutschen Rechts, der unserem Besitzbegriff nahekommt, Ogris, Gewere, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1 (1971), Sp. 1658 ff. 3

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 149, 150; Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 167, 168. 4

Vgl. nur die Nachweise bei Staudinger/Bund § 857 Rn. 3; ausfuhrlich Siebert, ZHR 93,(1929), 1, 10 ff. 5

Nachweise bei Staudinger/Bund § 868 Rn. 5, ausführlich Siebert, ZHR 93 (1929), 1, 18 ff 6

Staudinger/Bund § 857 Rn. 3 m.w.N.

2 Härtung

Α. Gegenstand der Untersuchung

18

häufiger bestrittene7 - h.M. 8 im mittelbaren Besitz einen Fall gelockerter, "vergeistigter" Sachherrschaft. Die Forderung nach einer irgendwie gearteten Sachherrschaft beim mittelbaren Besitz bleibt wiederum - soll sie überhaupt irgendeinen Sinn haben - nicht ohne Folgen für die Voraussetzungen, die für den Erwerb und den Erhalt des mittelbaren Besitzes gelten sollen, sowie die Rechtsfolgen, die an den mittelbaren Besitz anknüpfen. All diese Unsicherheiten wären hinnehmbar, ginge es nur um den eigentlichen Regelungsgegenstand der §§ 854 ff. BGB, den Besitzschutz. Dessen praktische Funktion besteht angesichts der geringen Zahl an Besitzschutzklagen fast ausschließlich in der Bewußtseinsbildung:9 Indem das Gesetz dem Besitzer erlaubt, seinen Besitz mit Gewalt (§ 859 BGB) oder mit einem possessorischen Anspruch (§§861 f. BGB) zu verteidigen, ohne daß es auf ein Recht zum Besitz ankommt, setzt es ein deutliches Zeichen dafür, daß die Besitzsphäre anderer zu respektieren ist. 10 Diese Zeichenfunktion kann das Gesetz auch mit einem verschwommenem Besitzbegriff erfüllen. Jedoch entfaltet der Besitz außerhalb des ersten Abschnitts des Sachenrechtsbuchs eine immense Bedeutung: er spielt eine wichtige Rolle bei der Übereignung (§§ 929 ff. BGB) und beim gutgläubigen Eigentumserwerb (§§ 932 ff. BGB), er bildet die Grundlage der Ersitzung (§ 937 BGB), der Eigentumsvermutung (§ 1006 BGB) und des Eigentumserwerbs durch Fund (§ 965 BGB). Hier ist eine klare Definition des Besitzes und seiner Voraussetzungen aus Gründen der Rechtssicherheit unverzichtbar. Erinnert sei an dieser Stelle nur an den Fall, 11 daß der Besitzmittler hinsichtlich einer Sache, die er als Eigentumsvorbehaltskäufer erhalten hat, vor der Kaufpreiszahlung eigenmächtig ein weiteres Besitzmittlungsverhältnis begründet. 12 Hier stellt sich die Frage, ob der ursprüngliche mittelbare Besitz bestehen bleibt 13 oder ob der Zweiterwerber - entsprechend der mit der Willensänderung des Besitzmittlers einhergehenden Änderung der "tatsächlichen Herrschaftslage" - mittelbarer Besitzer wird 14 oder ob mittelbarer Nebenbesitz entsteht.15

7

MünchKomm/Joost § 868 Rn. 5 f.; jüngst gegen die These von der "fiktiven" und "vergeistigten" Sachherrschaft beim mittelbaren Besitz auch Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 5 II, S. 106 ff. 8

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17, 5 f. m.w.N.; Staudinger/Bund § 868 Rn. 5 m.w.N. 9

Vgl. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 5 I b; Staudinger/Bund § 858 Rn. 2.

10

Vgl. Westermann/Gursky, Sachenrecht, §21,2; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1,

§5 Ib. 11

Vgl. BGHZ 50, 45. Dazu ausfuhrlich Picker, AcP 188 (1988), 511 ff.

12

Siehe hierzu auch unten C II 4 a bb (2) (c).

13

Boehmer, Grundlagen, II/2, S. 41 ff.; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 5, 58.

14

BGHZ 50, 45; MünchKomm/Joost § 868 Rn. 20 m.w.N.

15

Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 8 II, S. 35; Staudinger/Bund § 868 Rn. 9 m.w.N.

Α. Gegenstand der Untersuchung

19

Dieses Problem hat seine Wurzel im Verständnis des § 868 BGB und dessen Verhältnis zu § 854 Abs. 1 BGB. Auch beim Besitzdienerverhältnis ergeben sich Probleme und Ungereimtheiten, die ihren Grund in der Bedeutung haben, die man der "tatsächlichen Sachherrschaft" bei der Bestimmung der Tatbestandsvoraussetzungen zumißt: Gemäß § 855 BGB liegt der Besitz allein beim Besitzherrn. Weil Besitz tatsächliche Sachherrschaft sei, hält man es überwiegend bei § 855 BGB für notwendig, daß auch der Besitzherr die tatsächliche Herrschaft über die Sache habe. Grundlage dieser Sachherrschaft soll die Beziehung zum tatsächlichen Inhaber der Sache, d.h. dem Besitzdiener, sein. Deshalb wird als Tatbestandsvoraussetzung des § 855 BGB gefordert, der Besitzdiener müsse aufgrund eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses den Weisungen des Besitzherrn unterliegen.16 Der Besitzherr übe dann nämlich seine tatsächliche Gewalt kraft seiner Weisungsbefugnis durch den Besitzdiener wie durch ein Werkzeug aus.17 Schon der Begriff der "sozialen Abhängigkeit" und die Bezeichnung des Arbeitnehmers als "Werkzeug" entsprechen wohl kaum mehr dem modernen Verständnis vom Arbeitsverhältnis. Abgesehen davon fuhrt die Anknüpfung des Besitzes an das soziale Abhängigkeitsverhältnis und mithin an die tatsächliche Sachherrschaft zumindest dann zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn keine räumliche Nähebeziehung des Weisungsgebers zur Sache besteht. Bejaht man auch hier allein wegen eines "sozialen Abhängigkeitsverhältnisses" den Besitz des Weisungsgebers, dann ist beispielsweise der gutgläubige Erwerb eines von einem angestellten Handlungsreisenden weisungswidrig veräußerten Musterstücks wegen § 935 BGB ausgeschlossen.18 Dies widerspricht einem angemessenen Verkehrsschutz, sofern das Weisungsverhältnis einem Außenstehenden nicht erkennbar ist. 19 Die Reichweite der Regelung des § 855 BGB und ihre Einordnung in das Besitzrecht ist etwa auch für die Frage von Bedeutung, ob der Weisungsgeber oder seine Angestellten als Finder (§ 965 BGB) anzusehen sind. 20 Wie bereits mit den oben genannten Beispielen angedeutet, ist der Zusammenhang zwischen den einzelnen Besitztatbeständen und dem Erfordernis tatsächlicher Sachherrschaft gegenwärtig das praktisch bedeutsamste Problem des Besitzes. Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, mehr Licht in

16

Vgl. Palandt/Bassenge § 855 Rn. 1 ; RGRK/Kregel § 855 Rn. 5.

17

Vgl. etwa RGRK/Kregel § 855 Rn. 5; Soergel/Mühl § 855 Rn. 1.

18

So die h.M., RGZ 71, 248, 253; 106, 4, 6; MünchKomm/Quack § 935 Rn. 11 m.w.N. 19 Ausfuhrlicher zu den weisungswidrig veräußerten Musterstücken eines Handlungsreisenden unten C II 2 b ee (2). 20

2*

Vgl. z.B. BGHZ 8, 130 (Platzanweiserin-Fall). Dazu unten C II 2 b ee (3) (b).

20

Α. Gegenstand der Untersuchung

das geltende Besitzrecht zu bringen, indem sie diesen Zusammenhang überprüft. Dazu ist es zunächst erforderlich, den Begriff und die Rechtsnatur des Besitzes, so wie er im BGB seine Regelung erfahren hat, zu ermitteln. Anschließend sind die einzelnen Besitztatbestände und ihre Voraussetzungen unter Berücksichtigung gesetzeshistorischer und teleologischer Gesichtspunkte zu untersuchen. Es geht dabei auch um die Frage, ob sie sich unter dem Oberbegriff "tatsächliche Sachherrschaft" zusammenfassen lassen. Bei Gelegenheit dieser Untersuchung wird auch auf die Folgen für außerhalb des eigentlichen Be^itzrechts liegende wichtige praktische Problemstellungen - wie z.B. die obeh skizzierten - einzugehen sein.

Β. Der Besitzbegriflf des BGB Das BGB enthält keine ausdrückliche Bestimmung des Besitzbegriffs. Im Abschnitt über den Besitz befinden sich lediglich verschiedene Erwerbs-, Verlust- und Übertragungstatbestände (§§ 854 - 857, 868, 870 f. BGB) und Regelungen zum Schutz des Besitzes (§§ 858 - 867, 869 BGB) sowie eine Definition des Eigenbesitzes (§ 872 BGB).

I. Wortlautauslegung Betrachtet man zunächst den Wortlaut der §§ 854 ff. BGB, so wird deutlich, daß das Gesetz das Wort "Besitz" in verschiedenen Bedeutungen gebraucht: Wenn es in § 854 Abs. 1 BGB heißt, daß der Besitz durch die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft erworben wird, so erscheint das Wort "Besitz" auf der Rechtsfolgenseite der Norm. Mit "Besitz" wird hier also die Summe der Rechte und Pflichten umschrieben, die an den Besitztatbestand des § 854 Abs. 1 BGB, d.h. an die Erlangung der tatsächlichen Gewalt, anknüpfen. 1 Ähnlich verhält es sich in § 857 BGB. "Besitz" bezeichnet dort die Rechtsposition, die der Erblasser im Zeitpunkt des Erbfalls innehat.2 Eine andere Bedeutung hat das Wort "Besitz" hingegen in § 858 Abs. 1 BGB: Nach dieser Vorschrift handelt grundsätzlich widerrechtlich, wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht. Eine Besitzentziehung kann nur vorliegen, wenn die Beziehung zwischen der Person und der Sache, die die Besitzfolgen auslöst, beeinträchtigt wird. Hingegen ist es nicht denkbar, daß eine Person zwar den Tatbestand des Besitzes erfüllt, etwa indem sie selbständig und für sich die Sachherrschaft über eine Sache ausübt, ihr aber gleichzeitig die Rechtsfolgen des Besitzes, z.B. das Selbsthilferecht nach § 859 Abs. 1 BGB oder der Eigentumserwerb nach § 937 BGB, durch die widerrechtliche Handlung eines anderen entzogen werden. Mithin ist in § 858 Abs. 1 mit "Besitz" nicht die Rechtsposition des Besitzers, sondern der Tatbestand, der die Besitzfolgen auslöst, gemeint. Die gleiche Bedeutung hat das Wort "Besitz" in § 1004 BGB. Da es für die Verpflichtung aus § 985 BGB nicht auf die Rechtsfolgen des Besitzes, sondern den Tatbestand des Besitzens ankommt, ist dort ebenfalls

1

Ausführlicher zu § 854 Abs. 1 BGB sogleich unter Π.

2

Michel, S. 37.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

22

mit "Besitz" der Besitztatbestand gemeint. Besitzen i.S. der §§ 865, 866 BGB heißt, den Tatbestand erfüllen, der Besitzfolgen auslöst. In §§ 869 S. 2 und 2025 S. 2 BGB wird das Wort "Besitz" schließlich i.S. von tatsächlicher Sachherrschaft gebraucht, bezeichnet also einen bestimmten Besitztatbestand. Als Ergebnis der Wortlautauslegung ergibt sich somit, daß es sich bei dem Wort "Besitz" um einen Begriff mit drei Bedeutungen handelt, wovon sich eine auf die Rechtsfolge und zwei auf den Tatbestand beziehen.3 Hierin unterscheidet sich der Besitzbegriff vom Begriff des Eigentums. Mit "Eigentum" bezeichnet das BGB allein die Rechtsposition des Eigentümers, d.h. die in § 903 BGB beschriebene umfassende rechtliche Herrschaftsposition über eine Sache. "Eigentum" hat stets die Bedeutung eines Rechts, nie jedoch die Bedeutung eines Tatbestandes oder einer tatsächlichen Beziehung zur Sache. Dieser Unterschied ist darauf zurückzuführen, daß das Eigentum, wenn es erst einmal entstanden ist, allein auf einer rein rechtlichen, also bloß gedachten, nicht aber auf einer tatsächlichen Beziehung zur Sache beruht. Das Eigentum löst sich von seinen rechtsgeschäftlichen (z.B. dingliche Einigung) und tatsächlichen Voraussetzungen (z.B. Übergabe, Verarbeitung) seines Entstehungstatbestandes und besteht selbständig fort. Hingegen ist der Besitz weitgehend4 von der Aufrechterhaltung seines Tatbestandes abhängig.5 Dadurch wächst die Neigung zu einer einheitlichen Begriffsbildung und die Gefahr, die Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen zu vernachlässigen. Dadurch, daß das BGB das Wort "Besitz" in einem mehrfachen Sinn gebraucht und einmal den Besitztatbestand, ein anderes Mal die Besitzfolgen meint, setzt es eine jahrtausendealte Tradition fort. Bereits die klassischen römischen Juristen bezeichneten mit possessio sowohl den Tatbestand als auch die Rechtsfolgen des Besitzes.6 Auch der Rechtsbegriff "Gewere" des mittelal3

So auch Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 3 III; Staudinger/Bund, Vorbem. zu §§ 854 ff., Rn. 36; Sandtner, S. 37 ff. Ähnlich Heck, Sachenrecht, § 17 III: Dem usuellen Sprachgebrauch nach sei "Besitz" ein "Komplexbegriff 1 . Im BGB werde bald der Tatbestand (Beispiel: §§ 858, 865, 869 Abs. 2 BGB), bald die Rechtsfolge stärker betont (Beispiel: §§ 854 Abs. 2, 857 BGB). 4

Nicht jedoch stets! Dazu sogleich Β II 2.

5

Vgl. zu dieser Eigentümlichkeit des Besitzes Jhering, JherJb 32 (1893), S. 71 ff.

6

Die römischen Juristen sprechen vielfach von ius possessionis, wenn sie die Rechtsfolgen des Besitzes meinen und von possessio naturalis oder possessio corporis, wenn es um den Tatbestand, die bloße Sachherrschaft, geht. Jhering, JherJb 32 (1893), S. 70 f.; Bekker, Aphorismen zur Besitzlehre, S. 15; ders. JherJB 30 (1891), S. 235, 242; Käser, Das römische Privatrecht, Erster Abschnitt, § 94 I 2. Für die Einheitlichkeit des Begriffs possessio Windscheid/Kipp, Pandekten, § 150 3.,4., S. 753, mit dem wenig überzeugenden Argument, die Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs bleibe gewahrt, wenn man annehme, daß die römischen Quellen, wenn sie die Folgen des Besitzes eintreten lassen,

II. Gleichsetzung des Besitzes mit tatsächlicher Sachherrschaft

23

terlichen Rechts wurde im Sinne von tatsächlicher Sachherrschaft und im Sinne des Inbegriffs der an die Sachherrschaft geknüpften Rechtsfolgen verstanden.7 Auf diese Tradition ist es zu einem großen Teil zurückzuführen, daß der Besitzbegriff seit Jahrhunderten heftig umstritten ist: Da man die doppelte Bedeutung der possessio, derer sich die klassischen Juristen durchaus bewußt waren, 8 nicht erkannte, entbrannte unter den Glossatoren ein Streit um den Besitzbegriff, der unter der Geltung des Gemeinen Rechts bis ins 19. Jahrhundert bestimmend war. 9 Obwohl in der Rechtswissenschaft die doppelte Wortbedeutung der Begriffe "possessio" und "Besitz" inzwischen erkannt wurde, 10 ist der Besitzbegriff auch heute noch umstritten. Dies beruht, wie sich im folgenden zeigen wird, u.a. darauf, daß diese Erkenntnis bei der Begriffsbildung nicht hinreichend berücksichtigt wird.

II. Gleichsetzung des Besitzes mit tatsächlicher Sachherrschaft Einer Auffassung zufolge, die heute als herrschend zu bezeichnen ist, ist Besitz gleichbedeutend mit tatsächlicher Sachherrschaft. 11 Wenn der Besitz gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt erworben werde und gemäß § 856 Abs. 1 BGB mit deren Verlust ende, so könne unter Besitz nur das tatsächliche Gewaltverhältnis zwischen Person und Sache verstanden werden. 12 Gegen diese Auffassung spricht formal - wie oben ange-

ohne daß die Tatsache des Besitzes vorhanden ist, sagen wollen, daß die Tatsache des Besitzes für das Recht vorhanden sei. Windscheid/Kipp nehmen hier also ohne Grund eine Fiktion an. 7

Staudinger/Bund, Vorbem. zu §§ 854 ff Rn. 2 f., siehe auch 12. Aufl. Rn. 1; Wolfis Raiser, Sachenrecht, § 4 1 1 . 8

Jhering, JherJb 32 (1893), S. 70 f. Ausführlich zur Echtheit des Ausdrucks "ius possessionis" in den klassischen römischen Quellen Wesener, Festschrift für Käser, S. 159 ff. Wesener kommt zu dem Ergebnis, daß zumindest einige klassische römische Juristen, z.B. Papinian (Digesten (D.)41, 2, 44 pr.) mit ius possessionis das Recht des Besitzes bzw. (D. 41, 2, 49 pr.) die rechtlichen Folgen des Besitzes bezeichnet haben. 9

Vgl. die Darstellungen bei Savigny, Das Recht des Besitzes, § 10, S. 139 ff. und Bruns, Das Recht des Besitzes, § 12, S. 103 ff. Zum Gemeinen Recht: Krückmann AcP 108(1912), S. 220 ff. 10 Dies ist insbesondere Jhering zu verdanken, JherJb 32 (1893), S. 71 (dazu Sandtner, S. 41), aber auch Heck, § 17 III, und Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 3 III. 11

Baur/Stümer § 7 A, S. 52 f. und Β II 1 a, S. 54; Erman/Werner vor § 854 Rn. 1; Hedinger S. 13 ff; Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 167; Palandt/Bassenge Überbl. vor § 854 Rn. 1; Müller, Sachenrecht, Rn. 74 f.; MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 5 f.; RGRK/Kregel § 854 Rn. 1; Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 2, S. 8 m.w.N.; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 II; unklar Soergel/Mühl vor § 854 Rn. 4 - 6.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

24

deutet - schon der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB. Würde man Besitz mit tatsächlicher Sachherrschaft gleichsetzen, so erhielte man den Satz: Die tatsächliche Sachherrschaft wird durch die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft erworben. Man könnte hier zweifellos von einer "bodenlosen Trivialität" sprechen. 13 § 854 Abs. 1 BGB würde zu einer sinnlosen Phrase. Die Richtigkeit dieses "Trivialitätsarguments" wird von einigen Autoren bestritten: Jede Definition werde sinnlos und trivial, wenn man von Anfang an das Definiendum durch das Definiens ersetze, in § 854 Abs. 1 BGB also von vornherein "tatsächliche Gewalt" statt "Besitz" lese.14 Ferner enthalte § 854 Abs. 1 BGB, wenn man ihm die Bedeutung einer Definition zugrunde lege, durchaus die sinnvolle Aussage: "Der Besitz als rechtlich anerkanntes und mit Rechtswirkungen versehenes Verhältnis tatsächlicher Gewalt wird erworben durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über eine Sache."15 Dieser Einwand geht von der Unterstellung aus, § 854 Abs. 1 BGB beinhalte eine Definition des Besitzbegriffes. Dafür gibt das Gesetz aber keinen Anhaltspunkt. Nach dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB handelt es sich wie bei §§ 857 und 868 BGB bloß um einen Besitztatbestand. Eine Besitzdefinition war vom Gesetzgeber wegen der Schwierigkeit, alle Fälle des Besitzes zu erfassen, und der Gefahr von Mißverständnissen auch nicht beabsichtigt.16 Des weiteren sehen selbst die Vertreter dieser Auffassung im Besitz ein "rechtlich anerkanntes und mit Rechtswirkungen versehenes Verhältnis". Sie setzen Besitz und tatsächliche Sachherrschaft somit nicht gleich, sondern erkennen der Sache nach an, daß das Wort "Besitz" auch als Inbegriff der Rechtsfolgen gebraucht wird. 1 7 Die Einwände, die gegen das Trivialitätsargument erhoben werden, sind mithin unbeachtlich. Abgesehen vom Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB ergeben sich gegen eine Gleichsetzung von Besitz und tatsächlicher Sachherrschaft weitere Bedenken: Üblicherweise wird der Begriff eines Rechtsinstituts nicht allein an Hand seiner 12

RGRK/Kregel § 854 Rn. 1; Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 2, S. 8; vgl. auch MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 6. 13

Bekker, Aphorismen zur Besitzlehre, S. 16; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 2. Band, 1. Abt., Sachenrecht, § 25 5., Anm. 18, S. 131 f.; Sandtner, S. 49. 14

Hedinger S. 14.

15

Hedinger S. 14.

16

Motive S. 80 bei Mugdan, Bd. 3, S. 44.

17

Gleiches gilt für Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 2, S. 8 f., wenn er von den beiden angeblichen Bedeutungen des Besitzes - Besitz als tatsächliche Gewalt und Besitz als Inbegriff seiner Rechtsfolgen - spricht, die nach seines Auffassung notwendig miteinander zusammenfallen, da der Besitz dauernd von seiner tatsächlichen Grundlage abhängig sei. Ferner bezeichnet Rosenberg, nachdem er den Besitz als Zustand tatsächlicher Gewalt über die Sache definiert hat (vor § 854 Anm. 2), später selbst den Besitz auch als ein Rechtsverhältnis (vor § 854 Anm. 5, S. 13); vgl. dazu Sandtner S. 48 f.

II.l. Weitere Besitztatbestände

25

Voraussetzungen, sondern auch unter Einbeziehung seiner Wirkungen gebildet. So wird z.B. das Eigentum als das umfassendste Recht zu tatsächlichen und rechtlichen Herrschaftshandlungen definiert. 18 Die Wirkungen des Eigentums, nämlich die weitreichenden Befugnisse des Eigentümers, sind hier der einzige Bestandteil der Definition. Gleiches gilt für die Bestimmung anderer dinglicher Rechte. Ein Grundpfandrecht wird nicht mittels seines Entstehungstatbestandes, sondern als ein auf Duldung der Zwangsvollstreckung durch den Eigentümer gerichtetes Verwertungsrecht beschrieben. Leitet man hingegen den Besitzbegriff allein aus den Erwerbs- und Verlusttatbeständen der §§ 854 Abs. 1, 856 Abs. 1 BGB her und setzt Besitz und tatsächliche Sachherrschaft gleich, so erfaßt man nur seine Tatbestandsseite, läßt die Wirkungen des Besitzes jedoch unberücksichtigt. So ist es zu erklären, daß die Vertreter der hier erörterten Auffassung, nachdem sie den Besitz als tatsächliche Sachherrschaft definiert haben, sich anschließend noch mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei dem Besitz um ein Recht oder um eine bloße Rechtsposition handelt.19 Diese Frage betrifft die Wirkungen des Besitzes und sollte ihren Platz bereits im Besitzbegriff haben. Die schwersten Bedenken gegen eine Gleichsetzung von Besitz und Sachherrschaft ergeben sich aber aus zwei weiteren Gesichtspunkten:

1. Weitere Besitztatbestände Die Auffassung, die Besitz und tatsächliche Sachherrschaft gleichsetzt, beruft sich auf die §§ 854 Abs. 1, 856 Abs. 1 BGB. Es ist aber zu berücksichtigen, daß das Gesetz neben dem Besitztatbestand des § 854 Abs. 1 BGB noch andere Tatbestände, wie etwa den Erbenbesitz gemäß § 857 BGB und den mittelbaren Besitz gemäß § 868 BGB, kennt. Will man diese Besitztatbestände mit der Definition "Besitz ist tatsächliche Sachherrschaft" in Einklang bringen, so gibt es dafür nur drei Wege: Entweder begreift man sie als Fälle gelockerter oder "vergeistigter" tatsächlicher Sachherrschaft, 20 betrachtet sie also als Unterfall von § 854 Abs. 1 BGB, oder man sieht in ihnen eine Fiktion tatsächlicher Sachherrschaft, 21 oder man bezeichnet den gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die 18

2, 6.

Palandt/Bassenge Überbl. vor § 903 Rn. 1; Staudinger/Seiler vor §§ 903 ff. Rn. 1,

19

Vgl. Erman/Werner vor § 854 Rn. 3; MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 9 f.; Palandt/Bassenge Überbl. vor § 854 Rn. 1; RGRK/Kregel vor § 854 Rn. 2. 20

So zu § 868 BGB die heute h.M., Palandt/Bassenge § 868 Rn. 1; RGRK/Kregel § 868 Rn. 3; Soergel/Mühl § 868 Rn. 2; Staudinger/Bund § 868 Rn. 5 m.w.N.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17, 5 f m.w.N.; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 8 I 1. So zu § 857 BGB Rosenberg, Sachenrecht, § 857 Anm. I, S. 54 f.; Weimar MDR 1969, 282. 21 Der Gedanke, es handele sich um eine Fiktion, wird vornehmlich in der älteren Literatur vertreten. Eine Fiktion nehmen bei § 857 BGB an: Leonhard, Erbrecht, § 1922 Anm. II A 3 a, S. 3 und § 2025 Anm. V, S. 161; Turnau-Förster, Das Liegenschafts-

Β. Der Besitzbegriff des BGB

26

Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft erworbenen Besitz als den "Besitz schlechthin" und hält die Bezeichnung von Erbenbesitz und mittelbarem Besitz als "Besitz" durch das BGB fur das Ergebnis einer bestimmten Gesetzgebungstechnik, das fur die wissenschaftliche Begriffsbildung bedeutungslos und mithin außer Betracht zu lassen ist. 22

a) Vergeistigte

Sachherrschaft

Ohne daß hier auf das Verhältnis der Besitztatbestände zueinander und ihre Voraussetzungen im einzelnen eingegangen werden soll - diese sollen erst später ausfuhrlich untersucht werden -, können diese Erwägungen nicht überzeugen: Gegen die erste spricht, daß weder in § 857 BGB noch in § 868 BGB vom Erfordernis einer tatsächlichen Sachherrschaft die Rede ist. Der Erbe wird nach § 857 BGB Besitzer, auch wenn er vom Erbfall nichts weiß und möglicherweise Tausende von Kilometern entfernt ist. Der Mietwagenunternehmer in Hamburg behält seinen mittelbaren Besitz auch, wenn sich der Mieter mit dem Fahrzeug auf Sizilien befindet. Dies ist allgemein anerkannt. In keinem dieser Fälle läßt sich von tatsächlicher Sachherrschaft sprechen, ohne daß dieser Begriff über jeden natürlichen Sprachgebrauch hinaus ausgedehnt würde 23 und zu einer bloßen Leerformel verkommen würde. Schließlich bestünde die Gefahr, daß der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft bei § 854 Abs. 1 BGB seine Aufgabe, Besitz von Nichtbesitz zu trennen, nicht mehr erfüllen könnte. 24 Auch das Attribut "gelockert" oder "vergeistigt" vermag daran nichts zu ändern, es sei denn, man versteht darunter eine Herrschaftsposition, die sich nicht auf eine tatsächli-

recht, § 857 Anm. 1, S. 67; Müller-Erzbach, JherJb 53 (1908), 367. Ähnlich Rohde, Studien im Besitzrecht I, S. 53 und XVIII, S. 6 f f , der zwar beim Erbenbesitz die tatsächliche Sachherrschaft bejaht, in § 857 BGB aber eine Fiktion des fehlenden, aber unentbehrlichen Besitzwillens des Besitzers sieht. Zu § 868 BGB: Wendt, AcP 87 (1897), 49; Müller-Erzbach, JherJb 53 (1908), 362 ff.; Wieling, Studi Sanfilippo, Bd. 1, S. 736; Wieling, AcP 184 (1984), 439; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 I 3 a, S. 214; Biermann, § 868 Anm. 1 b, c, S. 45. 22

So Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 167; MünchKomm/Joost vor § 854

Rn. 5. 23 24

Vgl. J. von Gierke, Sachenrecht, § 5 III 2, S. 11.

Zwar kommt es - wie später noch zu zeigen sein wird, vgl. unten C I 2 f - auch bei § 854 Abs. 1 BGB weniger auf eine tatsächliche Gewalt im wörtlichen Sinne, sondern vielmehr auf eine Abwägung der Kontinuitätsinteressen an. Die Annahme einer "vergeistigten Sachherrschaft" birgt aber die Gefahr, die Notwendigkeit der Interessenabwägung zu verkennen. Zu Unrecht setzt daher Michel, S. 26, die Theorie von der vergeistigten Sachherrschaft mit der Kontinuitätstheorie gleich. Im übrigen treffen die von Michel verwendeten Gegenargumente allein die Theorie von der vergeistigten Sachherrschaft.

I I . l . Weitere Besitztatbestände

27

che Beziehung zur Sache stützt. Dann liegt aber gerade keine tatsächliche, sondern eine rechtliche Sachherrschaft, also ein Rechtsverhältnis, vor. Daß die Besitzregelung des BGB mit der Theorie von einer "vergeistigten Sachherrschaft" nicht vereinbar ist, ergibt sich aus den §§ 2025 S. 2, 2027 Abs. 2 BGB. Indem das Gesetz hier von der tatsächlichen Ergreifung der Sache durch den Erben spricht und daran besondere Rechtsfolgen knüpft, macht es deutlich, daß es zumindest den Erbenbesitz nach § 857 BGB nicht als einen Fall tatsächlicher Sachherrschaft ansieht.25 Die in §§ 2025 S. 2 und 2027 Abs. 2 BGB vorgesehene Möglichkeit der tatsächlichen Ergreifung des Besitzes durch den Erben wäre nämlich unerklärlich, wenn man mit der Theorie von der vergeistigten Sachherrschaft davon ausginge, daß der Erbe bereits tatsächliche Sachherrschaft in vergeistigter Form hat. 26

b) Fiktion tatsächlicher Sachherrschaft Auch die Annahme einer Fiktion scheidet aus. Unter einer juristischen Fiktion ist die gewollte Gleichsetzung eines als ungleich Gewußten zu verstehen. 27 Sie erklärt für die Zwecke der Rechtsanwendung einen Sachverhalt, der in Wirklichkeit nicht vorliegt, fur gesetzlich bestehend.28 Eine Fiktion läge bei den §§ 857, 868 BGB also vor, wenn der Gesetzgeber das Vorhandensein tatsächlicher Gewalt als ein unabdingbares Erfordernis des Besitzes erachtet hätte, das nach seiner Ansicht beim Erbenbesitz und beim mittelbaren Besitz u.U. nicht erfüllt wäre, und wenn er deshalb diese Fälle dem Besitz durch gesetzliche Anordnung gleichstellen wollte. Jedoch hatte bereits die 2. Kommission bei der Beratung der jetzt in § 857 BGB enthaltenen Regelung aus § 779 Abs. 2 E 2, der dem § 856 Abs. 2 BGB entspricht, den Schluß gezogen, die Stellung des Besitzers sei als Rechtsposition aufzufassen und nicht durch die Fortdauer der tatsächlichen Gewalt bedingt. Der Regelung des § 857 BGB liegt die Auffassung zugrunde, daß die Rechtsposition, die der Besitzer bei seinem Tod innegehabt habe, wie jede andere Rechtsposition vererblich sein müsse.29 Mithin hat die 2. Kommission das Vorhandensein tatsächlicher Gewalt nicht als unabding-

25

Michel S. 27 f.; Siebert ZHR 93 (1929), 11.

26

Man könnte zwar daran denken, der durch die tatsächliche Ergreifung der Sache erworbenen Sachherrschaft eine andere Qualität zuzuweisen als der zuvor bestehenden. Damit wäre jedoch zugleich gesagt, daß dem § 857 BGB eine besondere, von § 854 Abs. 1 BGB verschiedene Form der tatsächlichen Sachherrschaft zugrunde liegt. Man sollte daher konsequenterweise bei § 857 BGB erst gar nicht von tatsächlicher Sachherrschaft sprechen. 27

Larenz, Methodenlehre, II Kapitel 2, 2 d, S. 262 m.w.N.

28

Staudinger/Bund § 857 Rn. 4.

29

Prot. (2. Kommission), Band V, S. 651; Michel S. 17.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

28

bare Voraussetzung des Besitzes betrachtet. Bei § 857 BGB spricht also die historische Auslegung gegen die Annahme einer Fiktion. Ein weiteres Argument ergibt sich aus dem Wortlaut der §§ 857, 868 BGB. Das Gesetz drückt eine Fiktion regelmäßig dadurch aus, daß ein bestimmter Sachverhalt als bestehend oder nichtbestehend "gilt". 3 0 Läge eine Fiktion vor, so müßte § 857 BGB also lauten: "Der Besitz gilt als auf den Erben übergegangen." 31 In § 868 BGB müßte es heißen: "... so gilt auch der andere als Besitzer." Beide Normen weisen eine solche Gleichsetzung mit dem Besitz jedoch nicht auf. Indem das Gesetz den Übergang des Besitzes auf den Erben anordnet (§ 857 BGB) oder auch "dem anderen" die Besitzerstellung zuweist (§ 868 BGB), bringt es zum Ausdruck, daß der Erbe und der mittelbare Besitzer nicht nur einem Besitzer gleichgestellt werden, sondern selbst Besitzer sind.

c) Ausklammerung der §§ 857, 868 BGB Für eine Ausklammerung der §§ 857, 868 BGB aus dem Besitzbegriff spricht zwar, daß der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft unberührt bleibt. Ferner sollten, so wird zu ihrer Begründung angeführt, der Erbenbesitz und der mittelbare Besitz aus dem Besitzbegriff ausgeschieden werden, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß bei der Anwendung von Rechtsfolgen des Besitzes auf diese Besitzarten ihre sachlichen Besonderheiten zu berücksichtigen seien.32 Jedoch ist eine Ausscheidung der §§ 857, 868 BGB aus dem Besitzbegriff abzulehnen: Wenn das BGB von Besitz spricht, meint es grundsätzlich sowohl den (unmittelbaren) Besitz i.S. des § 854 Abs. 1 BGB als auch den Erben- und den mittelbaren Besitz. Nur bei vereinzelten Normen ergibt die Gesetzesauslegung, daß das Gesetz ausnahmsweise den mittelbaren Besitz ausschließt, wenn es von "Besitz" spricht, so z.B. in §§ 854 - 856, 858 - 862, 867 - 869, 935 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Ausnahmen haben ihren Grund jedoch nicht in einer allgemeinen Beschränkung des Besitzbegriffs auf den Fall des § 854 Abs. 1 BGB, sondern beruhen auf Besonderheiten des jeweiligen speziellen Rechtsgebietes: In §§ 854 856, 858 - 862 und 867 BGB ist der mittelbare Besitz nicht miterfaßt, weil es hier gerade um den Erwerb, den Verlust und den Schutz des durch die Sachherrschaft vermittelten (unmittelbaren) Besitzes geht. Nach dem materiellem Gehalt könnte bei § 868 BGB mit Besitz (Nießbraucher, Mieter u.s.w.) auch der mittelbare Besitz gemeint sein, jedoch geht hier die Regelung des § 871 BGB, die sachlich zum gleichen Ergebnis führt wie die Anwendung des § 868 BGB, vor. Im Fall des § 869 BGB beruht der Ausschluß des mittelbaren Besitzes darauf,

30

Vgl. z.B. §§ 119 Abs. 2, 108 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2, 177 Abs. 2 Halbs. 2, 1923 Abs. 2 BGB. 31

Vgl. Michel S. 23; Staudinger/Bund § 857 Rn. 4.

32

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 168; MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 5.

II.2. Besitz ohne Sachherrschaft

29

daß ein Dritter nicht mittels verbotener Eigenmacht in das dem mittelbaren Besitz zugrunde liegende Rechtsverhältnis einzugreifen vermag. 33 Schließlich ist bei § 935 Abs. 1 S. 1 BGB der mittelbare Besitz schon wegen der Sonderregelung des § 935 Abs. 1 S. 2 BGB nicht erfaßt. Ferner verbietet die besondere gesetzliche Wertung, daß der Eigentümer, der durch die Weggabe der Sache die Veräußerung durch den Nichtberechtigten ermöglicht hat, weniger schutzwürdig ist als der Rechtsverkehr, die Einbeziehung des mittelbaren Besitzes in diese Vorschrift. Knüpft das Gesetz also, von diesen Ausnahmen abgesehen, an alle Besitztatbestände grundsätzlich dieselben Rechtsfolgen, so ist eine Beschränkung des Besitzbegriffes auf den Tatbestand des unmittelbaren Besitzes nicht gerechtfertigt. Dies wäre so, als wolle man das Eigentum beispielsweise mit der Aneignung gleichsetzen.34

2. Besitz ohne Sachherrschaft Für den Nachweis, daß das Gesetz auch Besitz ohne tatsächliche Sachherrschaft kennt und eine Gleichsetzung von Besitz und tatsächlicher Sachherrschaft daher unrichtig ist, bedarf es nicht einmal des Rückgriffs auf die Besitztatbestände der §§ 857, 868 BGB. Sogar ein zunächst nach § 854 Abs. 1 BGB erworbener Besitz kann nämlich zu einem Besitz ohne Sachherrschaft fuhren. Dabei ist allerdings zunächst nicht an den Fall des § 856 Abs. 2 BGB gedacht. Nach dieser Vorschrift wird der Besitz durch eine ihrer Natur nach vorübergehenden Verhinderung in der Ausübung der Gewalt nicht beendigt. Der Besitz besteht also fort, obwohl der Besitzer keine aktuelle Zugriffsmöglichkeit auf die Sache hat. Ob es sich allerdings um einen Fall des Besitzes ohne Sachherrschaft handelt, hängt eng mit dem Sachherrschaftsbegriff zusammen und kann daher erst später 35 erörtert werden. Vorerst ist nur festzustellen: Wenn man Besitz mit tatsächlicher Sachherrschaft gleichsetzen will, wird man für das Bestehen der tatsächlichen Sachherrschaft eine jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf die Sache nicht fordern können. Dies würde nämlich zu einem übermäßig engen, unpraktikabelen und den Verkehrsbedürfnissen widersprechenden Sachherrschaftsbegriff fuhren: Man könnte Besitz nur an Sachen erwerben, die sich im unmittelbaren räumlichen Umkreis befinden. Immerhin spricht § 856 Abs. 2 BGB auch nicht von einem Fehlen der tatsächlichen Gewalt, sondern nur von der Verhinderung in der Ausübung. Es ist daher an dieser Stelle nicht auszuschließen, daß es sich bei § 856 Abs. 2 BGB um einen Fall des Besitzes mit Sachherrschaft handelt.

33

Vgl. RGRK/Kregel § 869 Rn. 2; Soergel/Mühl § 858 Rn. 3.

34

Vgl. Sandtner S. 46; kritisch zur Gleichsetzung von Besitz und Sachherrschaft auch Holler, S. 10 f. 35

Siehe unten C I 2 d aa und C I 4.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

30

Anders ist es jedoch bei § 861 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Besitzer, dem der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde, die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen. Ein klassischer Fall des Besitzentzuges durch verbotene Eigenmacht ist die Wegnahme der Sache durch einen Dieb. Mit dem Diebstahl erwirbt der Dieb die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache, während der Bestohlene die tatsächliche Sachherrschaft und gemäß § 856 Abs. 1 BGB auch den Besitz verliert. Es fragt sich, worauf der Anspruch des Bestohlenen auf Wiedereinräumung des Besitzes gemäß § 861 Abs. 1 BGB beruht. Diesem Anspruch muß ein Recht zugrunde liegen, das geeignet ist, einen Anspruch auf Einräumung der tatsächlichen Gewalt hervorzurufen. Hierbei muß es sich um ein gegenwärtiges Recht handeln, denn es beruht jeder Anspruch auf einem gegenwärtigen Recht: So hat z.B. nur der gegenwärtige Eigentümer die Herausgabeansprüche aus § 985 und §§ 823, 249 S. 1 BGB. Ein Anspruch aus § 812 BGB besteht nur, wenn der Anspruchsgegner einen Vermögensvorteil ohne rechtlichen Grund erlangt hat, d.h. wenn dem Anspruchsteller dieser Vermögens vorteil gegenwärtig zugewiesen ist. Gleiches gilt z.B. auch für den Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB. Ein Anspruch besteht nur, wenn der Eingriff widerrechtlich erfolgte, d.h. nach der gegenwärtigen rechtlichen Vermögenszuordnung auszugleichen ist. Als ein gegenwärtiges Recht, das dem Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB zugrunde liegt, kommt allein der Besitz in Betracht, 36 denn der Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB existiert auch, wenn außer dem Besitz keinerlei Recht an der Sache vorliegt. Der Besitz dauert also trotz des Entzugs der tatsächlichen Sachherrschaft an, weil er sonst keinen Anspruch auf Einräumung der tatsächlichen Sachherrschaft auslösen könnte. Das Fortbestehen des Besitzes wird auch durch den Wortlaut des § 861 Abs. 1 BGB indiziert. Das Gesetz spricht davon, daß der Besitzer - und nicht: der frühere Besitzer - die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen kann. 37 Der Widerspruch, der darin zu bestehen scheint, daß einerseits der Besitz des Bestohlenen nach § 856 Abs. 1 BGB untergegangen ist und § 861 Abs. 1 BGB selbst von der "Wiedereinräumung" des Besitzes spricht, andererseits der Besitz als Grundlage des Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB fortbesteht, ist lösbar, wenn man das oben 38 zum Sprachgebrauch des BGB Angeführte berücksichtigt: Das Gesetz bezeichnet mit Besitz einmal den Besitz als Tatbestand, ein anderes Mal den Besitz als Rechtsposition. Wenn die Vorschrift des § 861 Abs. 1 BGB von der Wiedereinräumung des Besitzes spricht, meint sie die Wiedereinräumung des Besitztatbestandes, d.h. der zuvor untergegangenen

36

Siebert ZHR 93 (1929), 9; Gronau-Burgdorf, S. 46 f.; Michel S. 30 f.

37

Vom "früheren Besitzer" spricht das BGB in § 1007 Abs. 2 BGB. Jedoch liegt auch diesem Anspruch gegenwärtiger Besitz im Sinne einer Rechtsposition zugrunde. 38

Vgl oben I.

III. Der Besitz als Rechtsverhältnis und subjektives Recht

31

tatsächlichen Sachherrschaft. Indem das Gesetz dem früheren Inhaber der tatsächlichen Gewalt einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes zugesteht und ihn als Besitzer bezeichnet, macht es deutlich, daß der Besitz als Rechtsposition fortbesteht. Das Verhältnis zwischen dem Besitz als Tatbestand und dem Besitz als Rechtsposition ist dabei wie folgt ausgestaltet:39 Liegt der Besitz als Tatbestand vor, ist gleichzeitig auch der Besitz als Rechtsposition gegeben. So hat derjenige, der die tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache ausübt, auch die Rechtsposition des Besitzers. 40 Gleiches gilt für den mittelbaren Besitzer, wenn der Tatbestand des § 868 BGB erfüllt ist. Andererseits kann der Besitz - wie § 861 BGB gezeigt hat - als Rechtsposition auch dann fortbestehen, wenn der Besitz als Tatbestand untergegangen ist. Der Entzug des Besitzes durch verbotene Eigenmacht soll nicht zum Verlust des Besitzes als Rechtsposition führen. § 861 BGB beinhaltet daher eine Ausnahme zu § 856 Abs. 1 BGB, wonach grundsätzlich mit dem Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft auch die Rechtsposition des Besitzes untergeht. 41 Damit ist nachgewiesen, daß das BGB sowohl einen Besitz mit tatsächlicher Sachherrschaft als auch einen Besitz ohne tatsächliche Sachherrschaft kennt. Die tatsächliche Sachherrschaft kann daher nicht Bestandteil des Besitzbegriffs sein. Als Ergebnis ist festzustellen: Die Definition des Besitzes als tatsächliche Sachherrschaft ist abzulehnen. Sie ist mit dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB nicht in Einklang zu bringen, berücksichtigt nicht alle Besitztatbestände des BGB und beachtet nicht, daß das Gesetz auch Besitz ohne Sachherrschaft kennt.

I I I . Der Besitz als Rechtsverhältnis und subjektives Recht Mit dem Besitz sind Rechte, z.B. das Recht auf Schutz des Besitzstandes gegen verbotene Eigenmacht (§§ 859 ff. BGB), das Ablösungsrecht aus § 268 BGB und der Herausgabeanspruch des früheren Besitzers gegen den jetzigen Besitzer (§ 1007 BGB), aber auch Pflichten, so etwa die Schadensersatzpflicht aus § 836 BGB und die Herausgabepflicht aus § 985 BGB, verbunden. Berücksichtigt man ferner, daß der Besitz übertragbar und vererblich ist (§§ 854 Abs. 2, 870, 857 BGB), Gegenstand eines Vermächtnisses sein kann (vgl. §2169 Abs. 2 BGB), und aus ihm auch Eigentum entstehen kann (§§ 900, 937, 955,

39

Dazu Michel S. 31 f.; Siebert ZHR 93 (1929), 9; vgl. auch Cosack, Bd. 2, 1. und 2. Aufl., § 189 I 1 und 2, S. 78; Enneccerus/Nipperdey, AT, § 80 I 1, S. 467. 40

Abgesehen vom in diesem Zusammenhang nicht interessierenden Fall des Besitzdieners, § 855 BGB. 41

Michel S. 32.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

32

958 BGB), so ist es naheliegend, im Besitz ein subjektives Recht oder ein Rechtsverhältnis zu erblicken. Während die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht die mit dem Besitz verbundenen Rechte, also die Rechtsfolgen des Besitzes betrifft, hat die Frage, ob es sich um ein Rechtsverhältnis handelt, die Ausgestaltung der Beziehung des Besitzers zur Sache zum Gegenstand. Zwar beziehen sich beide Qualifizierungen allein auf den "Besitz als Rechtsposition", 42 sie haben jedoch mittelbare Auswirkungen auf die Besitztatbestände: Nur wenn es sich bei dem Besitz um ein Recht oder um ein Rechtsverhältnis handelt, ist es überhaupt denkbar, die Grundlagen des Besitzes in rechtlichen Momenten zu suchen und sich von der Vorstellung zu lösen, der Besitz beruhe stets auf tatsächlicher Sachherrschaft. Da die Rechtsfolgen des Besitzes relativ leicht erfaßbar sind, soll zunächst untersucht werden, ob der Besitz ein subjektives Recht ist.

1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht Unter einem subjektiven Recht wird heute überwiegend eine der einzelnen Person eingeräumte Rechtsmacht oder Berechtigung verstanden, eigene Interessen nach freier Willensentscheidung selbst zu verfolgen. 43 Diese Definition bildet eine Synthese zwischen der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Ansicht, beim subjektiven Recht handele es sich um eine "von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft" 44 und der den Zweck des subjektiven Rechts betonenden Theorie Jherings, 45 wonach subjektive Rechte rechtlich geschützte Interessen sind. Ob es sich beim Besitz um ein subjektives Recht handelt, ist heftig umstritten, und dieser Streit ist wohl einer der langwierigsten der Rechtsgeschichte. Einige Autoren betrachten den Besitz als ein bloßen Faktum. 46 Andere sehen im 42

Ein Tatbestand kann nicht als Recht oder Rechtsverhältnis eingestuft werden!

43

Medicus, AT, Rn. 70; Schmelzeisen/Thümmel Rn. 13; Schwab, Zivilrecht, Rn. 167 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Raiser, JZ 1961, 465, Fn. 5, 6. 44 Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 1, § 37, S. 156; Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, §§ 4, 52, 53; Puchta/Krüger, Cursus der Institutionen, Bd. 1, §§ 6, 23, 29, 30. 45 Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 3, 1. Abteilung, §§60, 61, insbes. S. 339 f.; ders., JherJb 10 (1871), 387 ff.; ders., JherJb 32 (1893), 65 ff/ 46 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III a; Wieling, Festgabe fur von Lübtow, S. 574 m.w.N.; Schapp Rn. 46; Stoll § 15, S. 57; Thibaut, System des Pandektenrechts, Bd. 1, § 211, S. 165; Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 169, 1, S. 391 f.; Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 1, § 148, S. 732 ff.; Dulckeit, Verdinglichung, S. 12, 15 ff.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

33

Besitz kein Recht, bezeichnen ihn aber als Rechtsposition oder Rechtsstellung. 47 Schließlich stufen wiederum andere Autoren den Besitz als ein subjektives Recht ein. 48

a) Gesetzliche Vorschriften Zur Klärung der Rechtsnatur des Besitzes sind zunächst die Wortwahl und die Systematik der gesetzlichen Vorschriften zu untersuchen.

aa) Wortwahl des Gesetzes Für den Rechtscharakter des Besitzes scheint zu sprechen, daß in §§861 Abs. 2, 862 Abs. 2 BGB von einem "Rechtsvorgänger", in §§221, 943, 999 BGB von einem "Rechtsnachfolger" die Rede ist. Gegen diese Schlußfolgerung wird eingewendet, das Gesetz wolle mit seiner Wortwahl lediglich zum Ausdruck bringen, daß auf den Erwerber des Besitzes auch vorteilhafte Rechtspositionen übergingen. 49 Dieser Einwand ist zwar unzutreffend, weil sich sprachlich und auch sachlich die Rechtsnachfolge allein auf den Besitz und nicht auf sonstige Rechtspositionen bezieht. Jedoch wird die Wortwahl des Gesetzes in den genannten Vorschriften dadurch relativiert, daß das Gesetz an anderen Stellen den Besitz neben den Rechten erwähnt (§§ 268 Abs. 1, 1462 BGB) und ihn daher selbst nicht zu den Rechten zu zählen scheint. Auch die zu § 93 BGB gegenläufige Vorschrift des § 865 BGB spricht eher gegen die Annahme eines Rechts.50

47

MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 9 f.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 4 m.w.N.; Schwab/Prütting Rn. 49; Staudinger/Bund Vorbem. zu §§ 854 ff. Rn. 36 m.w.N.; RGRK/Kregel vor § 854 Rn. 2; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, § 3, 1., S. 14; Darmstaedter AcP 151 (1950/1951), 318 ff. Nach Palandt/Bassenge Überbl. vor § 854 Rn. 1 ist der Besitz ein tatsächliches Verhältnis, hat aber die "Bedeutung eines, wenn auch nur vorläufigen Rechts". 48 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 3 III; Enneccerus/Nipperdey, AT, § 80 I 1, S. 467 f.; E. Wolf § 2 A II b; Sandtner, S. 10 ff; von Tuhr, AT, 1. Band, S. 137 f., 208 f., 254; Heck, Sachenrecht, § 17 IV Β hinsichtlich der wissenschaftlichen Einordnung. Vgl. auch Lange, Sachenrecht, § 10 I 4, S. 47 f. und Erman/Wemer vor § 854 Rn. 3. 49

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III a.

50

Vgl. MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 9; siehe hierzu Gronau-Burgdorf, S. 59.

3 Härtung

Β. Der Besitzbegriff des BGB

34

bb) Vererblichkeit des Besitzes gemäß § 857 BGB Auch aus § 857 BGB ergibt sich unmittelbar weder etwas fur die Qualifikation des Besitzes als subjektives Recht noch für die Qualifikation als ein Faktum: § 857 BGB enthält die Rechtsanordnung, daß der Besitz im Zeitpunkt des Erbfalls auf den Erben automatisch, d.h. unabhängig von seiner Kenntnis des Erbfalls und seinem tatsächlichen Verhältnis zur Sache, übergeht. Einerseits spricht diese Regelung für die Annahme, bei dem Besitz handele es sich um ein Recht. Das Gesetz kann nämlich nur den Übergang von Rechten und Rechtsverhältnissen, nicht aber von Fakten anordnen: Tatsachen lassen sich allein durch tatsächliche Vorgänge, nicht aber durch bloße Rechtsanordnung verändern. Andererseits scheint § 857 BGB aber auch ein Indiz gegen die Annahme eines subjektiven Rechts zu enthalten:51 Da Rechtsverhältnisse und subjektive Rechte bereits gemäß § 1922 Abs. 1 BGB im Wege der Universalsukzession auf den Erben übergehen, wäre - so könnte man argumentieren - § 857 BGB überflüssig, wenn es sich beim Besitz um ein Recht, ein Rechtsverhältnis oder eine Rechtsposition handelte.

cc) Historische Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs Die hier aufgezeigte widersprüchliche Einordnung des Besitzes im Gesetz ist historisch erklärbar. Die Rechtsnatur des Besitzes war bereits lange vor dem Entstehen des BGB heftig umstritten. Auch der Gesetzgeber war sich über die rechtliche Einordnung nicht im klaren. So heißt es in den Motiven, 52 daß der Besitz ohne Bedenken als eine Rechtsposition bezeichnet werden könne. Den Besitz als ein Recht zu bezeichnen sei hingegen "nicht unbedenklich". Eine genauere dogmatische Auseinandersetzung erfolgte nicht. Diese ist auch nicht Aufgabe des Gesetzgebers. Er hat vielmehr vorrangig für die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu sorgen. Diese Aufgabe hat er dadurch erfüllt, daß er den Besitz in §§ 268 Abs. 1 und 1422 BGB ausdrücklich erwähnte und in § 857 BGB die Vererblichkeit des Besitzes klarstellte. 53 Der Gesetzgeber hat damit in diesen Normen die sachliche Regelung im Interesse der Rechtsklarheit von der umstrittenen dogmatischen Einordnung des Besitzes abgekoppelt. Aus den §§ 268 Abs. 1, 857 und 1422 BGB kann daher kein Argument gegen die Einordnung des Besitzes als ein Recht entnommen werden. Andererseits kann aber auch aus §§ 221, 861 Abs. 2, 862 Abs. 2, 943, 999 BGB sowie aus der Vererblichkeit des Besitzes gemäß § 857 BGB nicht mit Sicherheit entnommen werden, daß es sich bei dem Besitz um ein subjektives Recht handelt.

51

Vgl. nur Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III a, S. 126.

52

Motive Bd. 3, S. 78, bei Mugdan, Band 3, S. 43.

53

Vgl. auch Gronau-Burgdorf, S. 61 ff.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

35

dd) Systematische Stellung der §§ 854 ff. BGB Ein denkbarer Einwand gegen die Rechtsnatur des Besitzes könnte sich schließlich aus der systematischen Stellung der §§ 854 ff. BGB ergeben: Das BGB schickt die Regeln über den Besitz den sachenrechtlichen Vorschriften über das Eigentum und die beschränkten dinglichen Rechte voraus. Dadurch stellt es den Besitz in einen gewissen Gegensatz zu den übrigen dinglichen Rechten.54 Die besondere Stellung des Besitzes im dritten Buch des BGB besagt jedoch noch nicht, daß es sich nicht auch beim Besitz um ein subjektives Recht handeln kann. Sie beruht nämlich zum einen darauf, daß der Besitz Voraussetzung für den Erwerb mehrerer dinglicher Rechte, insbesondere des Eigentums, ist und der Gesetzgeber den Besitz daher vorab regeln wollte. 55 Ferner behandelt das dritte Buch des BGB im Anschluß an das Eigentum nur noch sogenannte beschränkte dingliche Rechte. Unabhängig von seiner Rechtsnatur unterscheidet sich der Besitz so stark von diesen Rechten, daß er ihnen nicht zugeordnet werden kann und daher an anderer Stelle im Gesetz seinen Platz finden mußte: Anders als die beschränkten dinglichen Rechte, die quasi jeweils einen Ausschnitt - etwa ein Nutzungsrecht oder ein Verwertungsrecht - aus dem umfassenden Recht des Eigentümers beinhalten und bei ihrer Entstehung gleichsam aus dem Eigentum herausgelöst werden, wird der Besitz nicht aus dem Eigentum abgeleitet, sondern steht völlig selbständig neben diesem. Dies läßt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten verdeutlichen: Die beschränkten dinglichen Rechte und auch das Eigentum selbst können - vom auf dem Verkehrsschutz beruhenden Fall des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten abgesehen - nur vom Eigentümer oder in bestimmten Fällen (§§ 1153 f., 1250 BGB) durch Abtretung von einem berechtigten Dritten erworben werden. Hingegen kann der Besitz von jedem beliebigen, sonst an der Sache nicht berechtigten Besitzer oder auch durch bloße Ergreifung der Sache erlangt werden. Ferner geht ein beschränktes dingliches Recht - außer im besonderen Fall der Eigentümergrundschuld- durch Konfusion unter, wenn es dem Eigentümer zufällt. Der Besitz bleibt hingegen auch in den Händen des Eigentümers bestehen. Des weiteren unterscheidet sich der Besitzschutz des Eigentümers in keiner Weise von dem eines überhaupt nicht an der Sache Berechtigten. Hieran wird deutlich, daß Besitz und Eigentum zwei verschiedene Dinge mit unterschiedlicher Schutzrichtung sind. Beruht die systematische Stellung des Besitzes auf den hier dargelegten gesetzessystematischen Gründen, so kann man nicht sagen, das Gesetz wolle damit zum Ausdruck bringen, beim Besitz handele es sich nicht um ein subjek-

54 Vgl. Lange, Sachenrecht, § 2 II 1, 2, S. 17 und § 10, 4 a, S. 47, der aber materiell den Besitz als ein subjektives Recht mit weitgehend dinglicher Wirkung bezeichnet. 55

3*

Motive Bd. 3, S. 78 f, bei Mugdan, Bd. 3, S. 43.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

36

tives Recht. Außer dem Eigentum und den beschränkten dinglichen Rechten gibt es nämlich noch weitere subjektive Rechte. Aus dem gleichen Grund greift der gegen die Annahme eines subjektiven Rechts gelegentlich vorgebrachte Einwand nicht, der Besitz könne kein Recht sein, weil er keine Belastung der Sache darstelle. 56 Damit ist lediglich gesagt, daß der Besitz kein aus dem Eigentum herausgelöstes und dieses einschränkende beschränktes dingliches Recht ist. Der Besitz eines anderen belastet das Eigentum nicht. Es ist damit allerdings noch nicht die Frage nach dem subjektiven Recht beantwortet. Ebensowenig besagt die Behauptung, die Besitzübertragung sei keine Verfugung über ein Recht,57 etwas über die Rechtsnatur des Besitzes. Unklar ist schon, was mit diesem Einwand gemeint ist. Soll damit gesagt werden, der Besitz sei kein Recht, weil auf die Besitzübertragung der § 873 BGB keine Anwendung finde, so ist dem entgegenzuhalten, daß § 873 BGB auf das Eigentum und die beschränkten dinglichen Rechte zugeschnitten ist und es sich beim Besitz nur um ein davon verschiedenes Recht handeln kann. Soll diese Behauptung bedeuten, daß auch die Übertragungen nach §§ 854 Abs. 2 BGB oder nach § 870 BGB keine Verfugungen seien, so handelt es sich um einen Zirkelschluß: Wenn der Besitz ein Recht ist, ist die Übertragung des Besitzes auch eine Verfügung. 58 Sagt man umgekehrt, die Besitzübertragung sei keine Verfügung, so hat man das, was man beweisen will, nämlich daß der Besitz kein Recht ist, bereits vorausgesetzt. Es ist festzustellen, daß sich das Gesetz, der dogmatisch ungeklärten Lage bei der Entstehung des BGB entsprechend, zur Frage nach der Rechtsnatur des Besitzes neutral verhält. Aufschluß kann hier nur eine materielle Betrachtung geben.

b) Materielle Prüfung Wie bereits oben 59 dargelegt, wird heute überwiegend unter einem subjektiven Recht eine der einzelnen Person eingeräumte Rechtsmacht oder Berechti-

56

Eichler, 1. Band, S. 56 f., der den Besitz aber als "dingliches Recht im weiteren Sinne" bezeichnet; Schwab/Prütting Rn. 49. 57

Schwab/Prütting Rn. 49.

58

Auch wenn man davon ausgeht, es handele sich nicht um eine Besitzübertragung, sondern um das Zusammentreffen einer Besitzaufgabe mit einer Besitzneubegründung in anderer Person, liegt eine Verfügung vor, denn auch die Aufhebung eines Rechts ist eine Verfugung. 59

Unter 1.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

37

gung verstanden, eigene Interessen nach freier Willensentscheidung selbst zu verfolgen. Das Gesetz gewährt dem Besitzer eine Vielzahl verschiedener Ansprüche und Rechte, darunter das Selbsthilferecht (§ 859 BGB), die Besitzschutzansprüche (§§ 861 f. BGB), das Verfolgungsrecht (§ 867 BGB), die sog. petitorischen Ansprüche aus § 1007 BGB, die auch dem unrechtmäßigen, aber gutgläubigen Besitzer zustehen können, das Ablösungsrecht aus § 268 Abs. 1 S. 2 BGB und das Recht, die Herausgabe der Sache an den Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Zwangsvollstreckung zu verweigern (vgl. § 809 ZPO). Damit gibt es dem Besitzer die Rechtsmacht an die Hand, der eigenen Willensentscheidung entsprechend seinen Besitz zu verteidigen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.

aa) Das durch den Besitz geschützte Interesse Fraglich ist, ob dem Besitzer diese Rechtsmacht zur Durchsetzung eigener Interessen verliehen worden ist. Es geht also um die durch den Besitz geschützten Interessen. Welche dies sind, ist namentlich beim Besitzschutz umstritten. Ihm soll daher zunächst die Aufmerksamkeit gelten. (1) Besitzschutz Als Grund des Besitzschutzes und mithin als durch den Besitzschutz geschützte Interessen werden genannt: der allgemeine Rechtsfrieden (sog. Friedenstheorie), 60 das Persönlichkeitsrecht des Besitzers, 61 das gewöhnlich hinter dem Besitz stehende Eigentum 62 sowie die Wahrung der Kontinuität der Lebensverhältnisse.63 Teilweise werden das Kontinuitätsinteresse und der allgemeine Rechtsfrieden auch zusammen erwähnt. 64

60

Protokolle bei Mugdan Bd. 3, S. 503 und 509; Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 4 f, S. 12; Müller, Sachenrecht, Rn. 88; Pawlowski, § 10, S. 16; Rudorff, Über den Rechtsgrund der possessorischen Interdikte, ZGeschRW Bd. 7, Heft 1, S. 107 ff. 61 Die Auffassung geht auf Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre erster Teil, Das Privatrecht, § 4 a, zurück. Sie wird u.a. vertreten von Savigny, Das Recht des Besitzes, §6, S. 55 f.; Eberhard, MecklZ 51, 211 ff.; Planck/Brodmann vor § 854 Anm. 6, S. 35; in der neueren Literatur von Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 577 f. und Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 II b, S. 128. 62 Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, S. 54; vgl. auch Wieser, JuS 1970, S. 559 f.; Eichler, 2. Bd., 1. Halbbd., Fn 2, S. 3. 63 Heck, Sachenrecht, § 3, 7.; Stahl, Die Philosophie des Rechts, 2. Bd., 1. Abteilung, § 45, S. 395; Baur/Stürner § 9 I 3, S. 75; Bund, Festschrift für Thieme, S. 370 f.; Staudinger/Bund Vorbem. zu §§ 854 ff. Rn. 18.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

38

(a) Rechtsfrieden Wer ein Recht, das er an der Sache hat oder zu haben glaubt, gewaltsam verwirklichen will, muß die Konsequenzen aus der möglichen Selbsthilfe des Besitzers tragen (vgl. § 859 BGB). Ferner muß er damit rechnen, daß er ungeachtet seines vermeintlichen Rechts die Sache an den Besitzer herausgeben muß (§§ 861, 863 BGB) und so um die Früchte seiner verbotenen Eigenmacht gebracht wird. Die Besitzschutzregelung fuhrt daher - weitgehend durch Bewußtseinsbildung65 - vorbeugend zu einer Eindämmung des Faustrechts. 66 Rechte sollen mit Hilfe der Gerichte durchgesetzt werden. Aus dieser Wirkung des Besitzschutzes wird teilweise gefolgert, der Besitzschutz diene nicht dem Interesse des einzelnen, sondern bezwecke den Schutz des öffentlichen Rechtsfriedens (sog. Friedenstheorie). 67 So sei auch zu begründen, warum auch der Dieb in seinem Besitz geschützt werde, obwohl er kein schützenswertes Interesse an der Sache habe. Jedoch läßt sich der Besitzschutz nicht allein mit dem allgemeinen Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens erklären. Dies folgt schon daraus, daß das Besitzschutzrecht zwar vor dem Faustrecht gegen den Besitzer, nicht aber vor dem Faustrecht des Besitzers Schutz bietet: Die §§ 858 ff. BGB enthalten nämlich kein Gewaltverbot. Sie besagen, daß die Gewaltanwendung des Besitzers erlaubt ist. Dadurch schaffen sie geradezu einen Anreiz zur gewaltsamen Selbsthilfe des Besitzers und gefährden damit sogar den Rechtsfrieden. 68 Dies gilt in besonderem Maße, wenn das Gesetz die Selbsthilfe auch noch im Falle der vollendeten Wegnahme oder Entziehung für zulässig erklärt (vgl. § 859 Abs. 2,3 BGB). 69

64

Soergel/Mühl vor § 854 Rn. 13 (in § 858 Rn. 1 wird allerdings nur noch der allgemeine Rechtsfrieden erwähnt); Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 3 a, S. 78 f. 65

S.o. A.

66

MünchKomm/Joost § 859 Rn. 1; Westermann/Gursky, Sachenrecht, §21,2; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 5 I b. 67 Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 4 f, S. 12; Müller, Sachenrecht, Rn. 88; Pawlowski § 10, S. 16; Rudorff, Über den Rechtsgrund der possessorischen Interdikte; ZGeschRW, Bd. 7, Heft 1, S. 107 ff.; Rödig, S. 16 f., 25 f. 68

Dessen war sich auch die 2. Kommission bewußt, vgl. Protokolle S. 3357 bei Mugdan, Bd. 3, S. 509. Sie hat dennoch "aus überwiegend praktischen Gründen" das Selbsthilferecht zugelassen. Diese Begründung zeigt, daß die öffentlichen Interessen für die gesetzliche Regelung nicht kausal gewesen sein können, Heck, Exkurs 1, 3 a, S. 486. 69 Staudinger/Bund Vorbem. zu §§ 854 ff Rn. 17; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b, S. 127.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

39

Des weiteren kann der Besitzschutz die Selbstjustiz nur in sehr eingeschränktem Maße eindämmen. Das Gesetz hat die Geltendmachung der Besitzschutzrechte in das Belieben des Besitzers gestellt und sie damit davon abhängig gemacht, ob der Besitzer bereit ist, sich auf eine körperliche Auseinandersetzung oder einen Besitzschutzprozeß einzulassen. Ist dies nicht der Fall, so bleibt die Selbstjustiz sanktionslos. Wußte der Angreifer vorher, daß sich der Besitzer - etwa aus Furcht - nicht wehren wird, so wirkt der Besitzschutz nicht einmal abschreckend. Der Besitzschutz ist in diesem Fall zur Verhinderung der Selbstjustiz untauglich. Ginge es dem Gesetzgeber wirklich nur um den Schutz der öffentlichen Ordnung, so hätte er ein staatliches Eingreifen von Amts wegen vorsehen müssen.70 Andererseits umfaßt das Verbot der Eigenmacht nach § 858 BGB auch solche Fälle, in denen der öffentliche Friede überhaupt nicht berührt ist. Beispiel: Ein Gast vertauscht versehentlich beim Verlassen einer Gaststätte seinen Mantel mit dem eines anderen Gastes.71 Ginge es beim Besitzschutz allein um den Schutz des Rechtsfriedens, so wäre hier ein Selbsthilferecht des anderen Gastes nicht zu rechtfertigen, sondern liefe dem Gesetzeszweck geradezu entgegen.

Ferner ist der Schutz des öffentlichen Rechtsfriedens in erster Linie Aufgabe des Polizei- und des Strafrechts. Die Behörden können mit gezielten Maßnahmen selbständig tätig werden, wenn der Rechtsfrieden wirklich bedroht ist, und diesen somit wirkungsvoll schützen. Es gibt keinen Grund, darüber hinaus zum Zwecke des Friedensschutzes einen rechtswidrigen Zustand, z.B. den Diebesbesitz, zivilrechtlich wiederherzustellen. 72

70

Vgl. Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 3 a.

71

Heck, Sachenrecht, § 3, 6., S. 13 und Exkurs 1, 3., S. 486 f.; Staudinger/Bund Vorbem. zu §§ 854 ff Rn. 17; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b, S. 127. Vgl. auch Savigny, Das Recht des Besitzes, § 6, S. 63. 72

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b, S. 127, vgl. auch Heck, Sachenrecht, § 3, 6, S. 13. Pawlowski, Rechtsbesitz § 10, S. 16 wendet gegen dieses Argument ein, auch in den §§ 138, 826, 817 BGB sei ein Handeln, das gegen die allgemeinen Interessen verstoße, mit zivilrechtlichen Sanktionen belegt worden. Strafvorschriften gehörten daher auch in das Zivilrecht. Pawlowski übersieht hierbei zwei Dinge: Zum einen geht es bei diesen Vorschriften weitgehend um den Schutz beteiligter geschädigter Personen und nur zum Teil um den Schutz der öffentlichen Ordnung. Zum anderen soll mit den Sanktionen dieser Vorschriften verhindert werden, daß ein rechts- oder sittenwidriges Ziel mit Hilfe der Rechtsordnung erreicht werden kann. Im Gegensatz dazu würde die Rechtsordnung mit dem Besitzschutz, wollte man hierin eine Sanktion zur Wahrung des öffentlichen Friedens sehen, einen rechtswidrigen Erfolg gerade herbeiführen, wenn die Sache u.U. an einen Nichtberechtigten herausgegeben werden muß. Der Besitzschutz kann daher nicht damit erklärt werden, es handele sich um eine Sanktion zur Wahrung des öffentlichen Rechtsfriedens.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

40

Schließlich ist zu beachten: Wenn der Besitzschutz auch in gewissem Umfang geeignet ist, die Ausübung von Faustrecht gegen den Besitzer zu unterbinden, so trifft man doch nicht das für den Besitzschutz Spezifische, wenn man ihn allein auf die Wahrung des Rechtsfriedens zurückführt. 73 Dadurch, daß das Zivilrecht die Beziehungen zwischen den Privatpersonen regelt, wirkt es nämlich stets auch mittelbar auf den Rechtsfrieden ein. So gesehen dient z.B. auch das Eigentums- oder das Familienrecht dem Rechtsfrieden, wenn es bestimmten Personen Rechte zuweist und ihnen die Instrumente gibt, diese Rechte durchzusetzen. Gleichwohl behauptet hier niemand, daß diese Rechtsinstitute allein das öffentliche Interesse am Rechtsfrieden schützen. Der Besitzschutz kann also mit dem Schutz des öffentlichen Rechtsfriedens allein nicht erklärt werden.

(b) Schutz des Persönlichkeitsrechts In neuerer Zeit wiederbelebt wurde die auf Kant 74 zurückgehende Theorie, wonach der Besitzschutz den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Besitzers bezweckt.75 Sie wird damit begründet, daß die Persönlichkeit des Menschen nicht an den Grenzen seiner nackten Körperlichkeit haltmache, sondern sich auch in den Dingen manifestiere, die er in seiner Gewalt habe.76 Im Besitz werde die Persönlichkeit unmittelbar angegriffen und verletzt, ihr Wille, die Sache ungestört zu haben, werde mißachtet. Nur die hinter dem Besitz stehende Persönlichkeit könne im übrigen erklären, warum eine Besitzverletzung auch dann rechtswidrig sein könne, wenn der Besitzer keinerlei Recht an der Sache habe, wie z.B. der Dieb. Da die Vertreter dieser Auffassung überwiegend den Besitzschutz unmittelbar aus dem Persönlichkeitsrecht ableiten, halten sie den Besitz nicht für ein selbständiges subjektives Recht,77 obwohl sie im Besitz ein eigenes Interesse des Besitzers - eben seine Persönlichkeit - geschützt sehen.78

73

Heck, Sachenrecht, § 3, 6., S. 13.

74

Kant, Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre erster Teil, Das Privatrecht, § 4 a. 75 Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 578 f. m.w.N.; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b, S. 128; ähnlich Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 35: Geschützt sei die Autonomie der Person in den Grenzen des Rechts im Bereich der tatsächlichen Beherrschung von Sachen. 76 77

Vgl. auch Planck/Brodmann vor § 854 Anm. 6, S. 35.

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III a, S. 126 f.; Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 574 f.; anders aber Planck/Brodmann vor § 854 Anm. 5, S. 35.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

41

Diese Auffassung kann insgesamt nicht überzeugen: Betrachtet man die Besitzverletzung als eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts, muß man sie als ein Delikt gegen die Person und nicht als einen Eingriff in die sachenrechtliche Güterzuordnung einstufen. Der Schutz der Persönlichkeit wird auf dem Gebiet des Zivilrechts weitgehend durch § 823 Abs. 1 BGB gewährleistet. Wäre es dem Gesetzgeber, dem die hier erörterte Theorie bekannt war, um den Schutz der Persönlichkeit gegangen, hätte daher eine Regelung des Besitzschutzes bei den unerlaubten Handlungen näher gelegen als ihre Einordnung in das Sachenrecht. Die gesetzessystematische Stellung des Besitzschutzes ist zwar kein zwingendes Argument, aber doch ein Indiz gegen die Persönlichkeitsrechtstheorie. Ferner kann man zwar in vielen Fällen der Besitzverletzung auch eine Persönlichkeitsverletzung sehen, jedoch kann man dies auch z.B. von der Eigentumsverletzung oder der Urheberrechtsverletzung behaupten.79 Ebenso wie die Friedenstheorie trifft die Persönlichkeitsrechtstheorie daher nicht das durch den Besitzschutz spezifisch geschützte Interesse. Darüber hinaus werden vom Besitzschutz auch solche Sachen erfaßt, die sich räumlich weit entfernt von der Person des Besitzers befinden oder zu denen - etwa beim Erbenbesitz - keine tatsächliche und auch keine persönliche Beziehung besteht. Hier wird deutlich, daß es sich beim Besitzschutz eher um einen Vermögens- als um einen Persönlichkeitsschutz handelt.80 Dem wird wiederum entgegengehalten, der Besitz gehöre nicht zum Vermögen des Besitzers, denn dieser sei zur sofortigen Herausgabe verpflichtet. 81 Außerdem habe der Besitz keinen Vermögenswert. 82 Dieser Einwand übersieht jedoch, daß der Besitzer nur dann zur Herausgabe verpflichtet ist, wenn ein besseres Recht eines anderen an der Sache besteht. Solange dies nicht der Fall ist, ist das Haben der Sache sehr wohl dem Besitzer zugewiesen.83 Diesem Haben der Sache kommt ein Vermögenswert zu, auch wenn er nicht unbedingt in Geld meßbar

78 Anders Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 316: Besitz ist Faktum in Hinsicht auf die Frage der Sachzuordnung, Recht in Hinsicht auf die Achtung der Person. 79

Heck, Sachenrecht, Exkurs 1, 6., S. 488.

80

Eichler, 2. Bd., 1. Halbbd., Fn. 2, S. 3; J. von Gierke, Sachenrecht, § 9 I 2 1, S. 23; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 3. 81

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b, S. 128, Fn. 24.

82

Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 577, Fn. 75.

83

Dazu sogleich unten bb.

84

Dazu sogleich unten (d).

Β. Der Besitzbegriff des BGB

42

Schließlich sprechen rechtshistorische Gründe gegen eine Herleitung des Besitzschutzes aus dem Persönlichkeitsrecht, denn das Persönlichkeitsrecht ist viel später entwickelt worden als der Besitzschutz.85

(c) Schutz des Eigentums Nach einer von Jhering 86 begründeten Theorie ist der Besitzschutz erleichterter Eigentumsschutz: Dank des Besitzschutzes brauche der Eigentümer nicht den aufwendigen und - insbesondere bei beweglichen Sachen - oft auch unmöglichen Beweis seines Eigentums zu erbringen, wenn er die Sache aus dritter Hand zurückbegehre. Das geschützte Interesse ist nach dieser Auffassung also das "statistisch ... in der unendlichen Mehrzahl der Fälle" 87 hinter dem Besitz stehende Eigentum, der Besitzschutz ist nicht dem Besitzer als solchem zugedacht, sondern um des Eigentümers willen eingeführt. Grund des Besitzschutzes ist das hinter dem Besitz vermutete Eigentum. Der Besitz wird zu einer Eigentumsposition, zu einem "Vorwerk des Eigentums".88 Daß auch der Nichteigentümer den Besitzschutz genießt, wird damit erklärt, daß dies eine gänzlich unabwendbare Folge der dem Eigentümer zugedachten Beweiserleichterung sei, die das Recht in Kauf nehmen müsse.89 Jhering gebührt das Verdienst, daß er als erster den Besitzschutz auf ein privates wirtschaftliches Interesse des Besitzers zurückgeführt hat. Er erkannte im Besitz ein "vermögensrechtliches Wertobjekt", da in ihm das Schicksal des Eigentums häufig schon so gut wie entschieden sei. 90 Seine Theorie, die auf dem römischen Recht beruht, das grundsätzlich nur den Eigenbesitzer schützte, ist jedoch mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen. Wenn das BGB unumschränkt jedem unmittelbaren Fremdbesitzer Besitzschutz zugesteht, wird deutlich, daß der Besitz kein "Vorwerk des Eigentums" ist und das Eigentum auch nicht das durch den Besitzschutz gesicherte Interesse sein kann 9 1

85

Heck, Sachenrecht, Exkurs 1, 6., S. 488.

86

Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, S. 45 ff.; Jhering, JherJb 32 (1893), S. 59 ff. Ähnlich Eichler, 2. Bd., 1. Halbbd., Fn. 2, S. 3, der vom Rechtsfriedensgedanken ausgehend das geschützte Rechtsgut in dem "Friede, den die Sphäre des Eigentums verbreitet" sieht. 87

Jhering, JherJb 32 (1893), S. 58.

88

Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, S. 54.

89

Jhering, JherJb 32 (1893), S. 60; Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, S. 54 f. 90 91

Ihering, Über den Grund des Besitzschutzes, S. 64 f.

Staudinger/Bund, 12. Aufl., Vorbem zu §§ 854-872 Rn. 7; Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 575.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

43

Ferner ist ein Eigentumsschutz über den Besitzschutz wegen der Vermutung des § 1006 BGB überflüssig. 92 Des weiteren kann die Theorie Jherings nicht erklären, warum auch der Besitzer eines Grundstücks Besitzschutz genießt, obwohl hier die Eigentumsvermutung nicht an den Besitz, 93 sondern an die Eintragung im Grundbuch anknüpft (§ 891 BGB). 9 4 In Betracht kommt allerdings, das mit dem Besitz geschützte Interesse nicht nur im Eigentum, sondern in sämtlichen potentiell hinter dem Besitz stehenden Rechten - also etwa auch in einem dinglichen oder obligatorischen Nutzungsrecht - zu sehen. Der Besitz würde dann geschützt, weil hinter ihm im Regelfall ein Recht steht. Jedoch bleibt auch dann ungeklärt, warum sogar derjenige, der als Dieb sofort erkennbar ist und der keinerlei Recht an der Sache hat, Besitzschutz genießt. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die verbotene Eigenmacht selbst dann Unrecht bleibt, wenn sich nachher herausstellt, daß sie vom endgültig an der Sache Berechtigten begangen wurde. Die Selbsthilfe des unberechtigten Besitzers bleibt rechtmäßig, der Berechtigte muß den bei der Verübung der Eigenmacht schuldhaft angerichteten Schaden ersetzen. Der Besitzschutz widerspricht hier dem Interesse des endgültig Berechtigten. 95 Schließlich läßt sich mit der oben genannten Ansicht die Regelung des § 863 BGB nicht erklären. Wäre mit dem Besitzschutz der Schutz eines hinter dem Besitz stehenden Rechts an einer Sache bezweckt, so müßte dem endgültig Berechtigten gegen die Besitzschutzklage zumindest dann der Einwand seines Besitzrechts zustehen, wenn dieses Recht fur das Gericht feststeht oder sofort beweisbar ist. 96 Die Regelung des § 863 BGB selbst schließt aber in diesen Fällen den petitorischen Einwand aus. Auch hier steht der Besitzschutz den Interessen des endgültig an der Sache Berechtigten also entgegen. Dies macht deutlich, daß das geschützte Interesse nicht in einem hinter dem Besitz stehenden Recht, sondern im Besitz selbst zu suchen ist.

92

Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 575; Pawlowski, § 8, S. 14.

93

§ 1006 BGB gilt nur für bewegliche Sachen.

94

Heck, Sachenrecht, Exkurs 1, 5 c, S. 488.

95

Heck, Sachenrecht, Exkurs 1, 5 a, S. 488.

96

Vgl. Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 575; siehe auch bereits Meischeider, Besitz und Besitzschutz, S. 189.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

44

(d) Kontinuitätsinteresse Daß der Besitz um eines eigenen, ihm innewohnenden Wertes willen geschützt wird, wird von den Vertretern der sog. Kontinuitätstheorie angenommen. 97 Jedermann ist zu seiner Lebensführung alltäglich auf die jederzeitige Verfügbarkeit zahlreicher Dinge (Wohnung, 98 Kleidung, Nahrung, usw.) angewiesen. Auch das Wirtschaftsleben kann nur funktionieren, wenn Produktionsmittel, Verwaltungseinrichtungen und Rohstoffe kontinuierlich vorhanden sind. Die ständige tatsächliche Verfügbarkeit von Gütern ist also ein selbständiger Wert, der durch den Besitzschutz rechtlich gewährleistet werden soll. Zwar muß das Kontinuitätsinteresse - man kann es auch als den Organisationswert des Besitzes bezeichnen - möglicherweise hinter einem schwerer wiegenden Interesse, z.B. dem Eigentum, zurücktreten. Ein Eingriff in dieses Interesse soll aber vermieden werden, bis das bessere Recht durch Richterspruch festgestellt ist. Wie bedeutsam die Kontinuität des Besitzes ist, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Schwierigkeiten und Schäden eintreten können, wenn man plötzlich auf eine Sache verzichten muß, deren tatsächliches Vorhandensein eingeplant war. 99 Besonders plastisch ist folgendes Beispiel: 100 Β steht bei klirrendem Frost in unter Eigentumsvorbehalt gekauftem Anzug und Mantel auf offener Straße. Da er die Kaufpreisraten nicht gezahlt hat, verlangt der Eigentümer E die Kleidungsstücke heraus. Β käme nicht nur in peinliche Verlegenheit, sondern wohl auch in gesundheitliche Schwierigkeiten, wenn E ihm auf der Stelle Anzug und Mantel abnehmen dürfte. Auch im Wirtschaftsleben spielt die Kontinuität eine wichtige Rolle: Man stelle sich etwa vor, ein Fuhrunternehmer müßte plötzlich auf seinen Fuhrpark verzichten. Er

97

Die Kontinuitätstheorie wurde maßgeblich von Heck, Sachenrecht, § 3, 7 entwikkelt, von dem auch ihre Bezeichnung stammt. Jedoch wird der Besitzschutz bereits in älteren Schriften auf den Kontinuitätsgedanken zurückgeführt: Stahl, Die Philosophie des Rechts, 2. Bd., 1. Abteilung, S. 395; Dernburg, Pandekten, 1. Bd., § 170, S. 396 f.; Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, l.Bd., § 156, S. 351. In der neueren Literatur wird die Kontinuitätstheorie vertreten von Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 15; Baur/Stürner § 9 I 3, S. 75; Bund, Festschrift für Thieme, S. 370 f.; Staudinger/Bund Vorbem. zu §§ 854 ff. Rn. 18; Gottwald JuS 1979,247; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 3 a (allerdings ergänzt durch die Friedenstheorie). Soergel/Mühl vor § 854 Rn. 13 ordnet das Kontinuitätsprinzip als letztendlich der Erhaltung des Friedens dienend ein. 98

Zur Bedeutung des Besitzrechts an der Privatwohnung siehe BVerfG NJW 1993, 2035 f. 99

Heck, Sachenrecht, § 3, 7.

100

Nach Heck, Sachenrecht, § 3, 4. und 7.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

45

könnte seine Aufträge nicht erfüllen und wäre womöglich um seinen Broterwerb gebracht.

Mit Hilfe der Kontinuitätstheorie läßt sich nicht nur das Bestehen, sondern auch die Ausgestaltung des Besitzschutzes erklären: 101 Das Verbot der Eigenmacht, die Gewaltrechte und die Besitzschutzansprüche verhindern entweder die Störung der Kontinuität oder sind auf eine schleunige Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse angelegt. Allein die Kontinuitätstheorie kann auch den Ausschluß petitorischer Einreden im Besitzschutzprozeß wirklich begründen. 102 Die schnelle Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ist im Interesse der Kontinuität geboten. Der Fuhrunternehmer und der frierende Β sollen sich nicht auf einen Eigentumsstreit einlassen müssen, bevor sie die Sachen zurückverlangen können. Ferner lassen sich sämtliche Besitztatbestände auf das Kontinuitätsinteresse zurückfuhren, denn bei jedem von ihnen befindet sich die Sache in einer Lage, die die Kontinuität ihrer Nutzung ermöglicht. 103

(aa) Ausschluß liquider Rechtseinwendungen Von Pawlowski wird gegen die Kontinuitätstheorie eingewandt, sie könne den Ausschluß liquider, d.h. sofort beweisbarer Rechtseinwendungen durch § 863 BGB nicht erklären. Es sei nämlich nicht einzusehen, weshalb das im Besitz verkörperte Persönlichkeitsrecht des Besitzers besser geschützt werden sollte als das im Eigentum verkörperte Persönlichkeitsrecht, da doch alle subjektiven Privatrechte Ausfluß des Persönlichkeitsrechts seien. 104 Diese Argumentation beruht auf der Prämisse, die Kontinuitätstheorie sehe den Grund des Besitzschutzes letztlich im Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Pawlowski ordnet daher die Kontinuitätstheorie den Persönlichkeitsrechten zu. 1 0 5 Selbst wenn man dieser Einteilung folgte, so wäre damit jedoch noch nichts über das Verhältnis des Besitzes zum Eigentum eines anderen im Besitzschutzprozeß gesagt. Auch wenn beide Rechte aus dem Persönlichkeitsrecht entspringen, müssen sie deswegen noch nicht gleichwertig sein. Sie können in der Situation des Besitzschutzprozesses von verschiedenem Wert oder verschiedener Schutzwürdigkeit sein, so daß das eine Recht dem anderen unterliegt. Wenn das Gesetz Einwendungen gegen den Besitzanspruch ausschließt, so bringt es zum Ausdruck, daß es im Besitzschutzprozeß bis zur endgültigen Klärung der Eigentumslage den Organisationswert des Besitzes für 101

Dazu Heck, Sachenrecht, Exkurs 1, 4.

102

Siehe dazu sogleich (aa).

103

Heck, Sachenrecht, Exkurs 1, 4.

104

Pawlowski § 9, S. 15.

105

Pawlowski § 7, S. 13.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

46

schutzwürdiger hält. Daß diese Wertung selbst im Falle liquider Rechtseinwendungen Bestand hat, vermag an ihrer grundlegenden Gültigkeit nichts zu ändern, sondern verstärkt diese allenfalls. Im übrigen haben die Unbilligkeiten, die mit dem Ausschluß liquider Einwendungen verbunden sein können, ihren Grund nicht im Besitzschutzrecht, sondern in der Langwierigkeit des Zivilprozesses. Geeignete Hilfe bietet hier die Geltendmachung des petitorischen Anspruchs im Wege der Widerklage gegen die Besitzschutzklage. Ist die Widerklage entscheidungsreif, so ist die Besitzschutzklage analog § 864 Abs. 2 BGB abzuweisen.106 Auf diese Weise gelangt das der liquiden Rechtseinwendung zugrunde liegende Recht zur Geltung. Jedenfalls spricht der Ausschluß liquider Einwendungen gegen den Besitzanspruch nach § 863 BGB nicht gegen die Kontinuitätstheorie.

(bb) Kontinuitätsschutz anderer Rechtsinstitute Ferner wird gegen die Kontinuitätstheorie vorgebracht, daß sie nicht erkläre, warum gerade die Kontinuität des Besitzstandes gewährleistet werden solle, während die Kontinuität anderer Rechtsinstitute nicht den gleichen Schutz finde. 107 Dieser Einwand beachtet nicht die Besonderheit des Besitzes gegenüber anderen Rechtsinstituten: Die meisten Rechtsinstitute sind etwas Gedachtes, haben ihren Ursprung allein in der Gedankenwelt. Ihr Wegfall wirkt sich regelmäßig nur mittelbar auf die tatsächlichen Umstände aus und ist meist mit Wirkung ex tunc rückgängig zu machen. Hingegen hat der Wegfall des Besitztatbestandes - zumindest beim unmittelbaren Besitz - regelmäßig direkte tatsächliche Auswirkungen und ist nicht mit Wirkung für die Vergangenheit reparabel. Daher ergibt sich beim Besitz schon aus der Natur der Sache ein höheres Bedürfnis für den Kontinuitätsschutz. Des weiteren wird mit diesem Einwand übersehen, daß sich außer dem Besitz zahlreiche Institute des geltenden Rechts auf den Schutz von Kontinuitätsinteressen zurückführen lassen:108 Dazu zählen z.B. die Regeln der Verjährung, die Ersitzung und die Abschwächung von Nichtigkeitsfolgen im Eherecht (vgl. insbesondere §§ 16, 23, 26 EheG). Bei der in Vollzug gesetzten fehler-

106

Und zwar unabhängig davon, ob Entscheidung über die Widerklage sogleich rechtskräftig wird oder nicht; BGH NJW 1979, 1358 f.; BGH NJW 1979, 1359 f.; Hagen JuS 1972, S. 124 ff.; Palandt/Bassenge § 863 Rn. 3 m.w.N. 107

Eichler, 2. Bd., 1. Halbbd., Fn. 2, S. 2.

108

Vgl. Heck § 3, 8.; Bund, Festschrift für Thieme, S. 370.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

47

haften Gesellschaft 109 läßt sich für das Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern die Restriktion der Unwirksamkeitsgründe aus der Erwägung ableiten, daß die Rückabwicklung eines tatsächlich vollzogenen Gesellschaftsverhältnisses dem "rechtsökonomischen Gedanken, Geschaffenes und Bestehendes zu schützen", widersprechen würde. 110 Auf ähnlichen Wertungen beruht der Fortbestand eines mit einem Nichtigkeitsgrund oder mit einer wirksamen Anfechtung belasteten Arbeitsverhältnisses als sog. faktisches Arbeitsverhältnis: 111 Das Arbeitsverhältnis genießt als Dauerschuldverhältnis ebenso wie das Gesellschaftsverhältnis einen höheren Bestandsschutz.112 Hinzu kommt der soziale Schutz des Arbeitnehmers, denn dieser ist regelmäßig auf seinen Lohn zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen.113 Beide Institute dienen also dazu, ein einmal entstandenes Lebensverhältnis - und das damit Erworbene (Gewinne, Lohnansprüche) - möglichst zu bewahren. Es handelt sich um Fälle des Kontinuitätsschutzes.114 Möglicherweise lassen sich wohl auch Kündigungsschutz und Kündigungsfristen auf den Schutz von Kontinuitätsinteressen zurückführen.

(cc) Schutz des Diebesbesitzes Ein weiteres Argument gegen die Kontinuitätstheorie wird daraus hergeleitet, daß das Gesetz auch dem Dieb hinsichtlich des Diebesguts Besitzschutz zubilligt. Da die Rechtsordnung keinen Anlaß habe, das Kontinuitätsinteresse des Diebes an seiner Beute um seiner selbst willen zu schützen, könne das Kontinuitätsinteresse nicht oder zumindest nicht allein das mit dem Besitz geschützte Interesse sein. 115 Bestritten wird mithin nicht das Kontinuitätsinter-

109 Vgl. dazu allgemein BGHZ 3, 285, 287 ff.; 55, 5, 8 f. sowie Palandt/Thomas § 705 Rn. 11 f. 110 Siebert, Faktische Vertragsverhältnisse, S. 53, 55 f.; MünchKomm/Kramer, Einl. zu Bd. 2, Rn. 65. 111 Vgl. dazu allgemein B AGE 5, 58, 65 ff.; 14, 180, 186 f. m.w.N.; Palandt/Putzo Einf. vor § 611 Rn. 29 und § 611 Rn. 23. 112

Siebert, Faktische Vertragsverhältnisse, S. 82, 97.

113

Siebert, Faktische Vertragsverhältnisse, S. 84 ff.

114 Weitere Beispiele, in denen die Rechtsordnung Abgewickeltes bestehen läßt und Bestehendes schützt bei Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen, S. 16 ff. 1,5

MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 16; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b, S. 127 und in Festgabe für von Lübtow, S. 575 f.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, §8, 3 a; J. von Gierke § 9 1 2 4 , S. 23; Wolff/Raiser, Sachenrecht, §17 Fn. 1 a.E.; Pawlowski § 9, S. 15.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

48

esse des Diebes - der Dieb möchte zweifellos seine Beute behalten, um sie benutzen oder versilbern zu können -, sondern seine Schutzwürdigkeit. Zur Klärung der Richtigkeit dieses Einwandes ist zunächst der Umfang des Besitzschutzes, den der Dieb genießt, zu ermitteln: Der Dieb begeht mit der Wegnahme der fremden beweglichen Sache gemäß § 242 StGB zugleich eine verbotene Eigenmacht i.S. des § 858 Abs. 1 B G B . Sein Besitz ist daher fehlerhaft. Die Beute darf ihm innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 859 Abs. 2 B G B mit Gewalt wieder abgenommen werden. Verschafft sich der Bestohlene die Sache im Wege der Selbsthilfe gewaltsam innerhalb eines Jahres wieder, so kann sich der Dieb dagegen nicht mit der Besitzschutzklage wehren, § 861 Abs. 2 B G B . Gegenüber dem Bestohlenen genießt der Dieb also erst nach A b lauf eines Jahres Besitzschutz. Gegen diesen Befund mag man bei oberflächlicher Betrachtung einwenden, daß nach Ablauf der Frist des § 859 Abs. 2 BGB die Selbsthilfe des Bestohlenen verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) und nicht mehr gerechtfertigt sei, der Dieb sogar selbst Gewalt gebrauchen dürfe (§ 859 BGB) und daher vor gewaltsamem Entzug des Besitzes geschützt sei, ihm also doch Besitzschutz gegen den Bestohlenen zustehe. Dieser Gedanke hält einer Überprüfung jedoch nicht stand. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß dem Bestohlenen auch außerhalb des § 859 BGB ein Wegnahmerecht gegen den Dieb zustehen kann, und zwar unter den gegenüber § 859 BGB strengeren Voraussetzungen der Selbsthilfe nach §§ 229 f. BGB. Als durch die Selbsthilfe zu sichernder Anspruch kommt hier u.a. der Besitzanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB gegen den Dieb in Betracht, so daß selbst der bestohlene Nichteigentümer innerhalb eines Jahres (§ 864 BGB) seinen Besitzschutz gegen den Dieb gewaltsam durchsetzen darf. Hier zeigt sich, daß innerhalb eines Jahres der Besitzschutz des Bestohlenen überwiegt, wenn der endgültige Verlust des Besitzes droht. Ferner ist die Einschränkung des Selbsthilferechts in § 859 Abs. 2 BGB keine Folge des Besitzschutzes selbst, beruht mithin auch nicht auf dem durch den Besitzschutz geschützten Interesse, sondern hat andere Gründe: Ihr liegt die zutreffende Erwägung der 2. Kommission zugrunde, daß das Selbsthilferecht ein Faustrecht gesetzlich sanktioniere und den Rechtsfrieden eventuell in erheblicher Weise gefährde. Es sei daher nur zuzulassen, soweit überwiegende praktische Gründe dies geboten erscheinen ließen. Da der Staat in der Neuzeit anders als im späteren Rom und im Mittelalter, deren Rechtsordnungen großzügige Selbsthilferegelungen kannten, flächendeckend schleunigen Rechtsschutz gewähren könne, sei die Einschränkung des Selbsthilferechts gerechtfertigt. 116 Anders als der Besitzschutz selbst ist die Einschränkung des Selbsthilferechts also im Schutz der öffentlichen Ordnung begründet. Daß das Gesetz dem früheren Besitzer nicht nur die Selbsthilfe weitgehend versagt, sondern darüber hinaus dem Dieb ein Selbsthilferecht zubilligt, hat für das Verhältnis beider zueinander keine weitere Bedeutung, sondern ist nur die logische Konsequenz der Beschränkung des Selbsthilferechts: Da die nicht erlaubte Selbsthilfe rechtswidrig ist, ist die Gegenwehr des Diebes ohnehin durch Notwehr (§ 227 BGB) gerechtfertigt. Es bleibt also bei dem Ergebnis, daß der Dieb gegenüber dem Bestohlenen innerhalb des ersten Jahres nach dem Diebstahl keine Besitzschutzrechte hat. Vielmehr ist er selbst den Besitzschutzrechten des Bestohlenen

116

Protokolle S. 3357 f. bei Mugdan, 3. Bd., S. 508 f.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

49

ausgesetzt, die dieser ggf. im Wege der Selbsthilfe nach §§ 229 f. durchsetzen darf. Hingegen steht dem Dieb gegen Dritte in vollem Umfang Besitzschutz zu.

Betrachtet man diese Ausgestaltung des Besitzschutzes, so erscheint die Schutzwürdigkeit des Diebes gar nicht mehr als so abwegig, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Zur Verdeutlichung diene wieder das Beispiel des bei klirrendem Frost auf der Straße stehenden B, Anzug und Mantel sollen aber nicht unter Eigentumsvorbehalt gekauft, sondern dem E gestohlen worden sein. Trifft E den Β nach Jahresfrist an, so hat er sich mittlerweile auf den Verlust der gestohlenen Kleidungsstücke eingestellt. Er hat sich innerhalb dieser Zeit wahrscheinlich Ersatz beschafft und ist auf die ständige Verfügbarkeit des gestohlenen Anzugs und der Jacke nicht mehr angewiesen. Sofern die Voraussetzungen des § 229 BGB nicht vorliegen, 117 ist es ihm zuzumuten, auf Anzug und Mantel zu verzichten, bis er sein Eigentum gerichtlich durchgesetzt hat. Hingegen würde Β ernsthaft Schaden nehmen, wenn er sofort auf Anzug und Mantel verzichten müßte. Hier überwiegt das Interesse des Β am (vorläufigen) Behalten der Sache. Käme ein unbeteiligter Dritter des Weges und wollte dem Β die Kleidungsstücke abnehmen, so wäre die Schutzwürdigkeit des Β noch offensichtlicher. Anders als Β war der Dritte nie im Besitz der Sache und konnte mithin auch kein Kontinuitätsinteresse entwickeln.

Man mag dem obigen Beispiel entgegenhalten, daß es einen allzu krassen Fall beinhalte, und man mag Gegenbeispiele bilden, in denen der Diebstahl als besonders verwerflich, das Opfer als außerordentlich hart getroffen und der Dieb daher als besonders schutzunwürdig erscheint. Indes kommt es auf solche Einzelfallerwägungen überhaupt nicht an. Wie jede gesetzliche Norm beruht auch der Besitzschutz auf einer abstrakt-generellen Wertung. Diese beinhaltet, daß auch der Besitzer, der sich die Sache durch verbotene Eigenmacht verschafft hat, gegenüber Dritten sofort und gegenüber dem früheren Besitzer nach einem Jahr ein generell schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Besitztatbestandes hat. Eine weitere Überprüfung der Schutzwürdigkeit der Interessen sowie der sonstigen Rechtsverhältnisse findet nicht statt. Daher kann in Einzelfällen auch ein Schutzunwürdiger vom Institut des Besitzschutzes profitieren. Dies ist aber kein spezifisches Phänomen des Besitzschutzes. So erwirbt z.B. der bösgläubige 118 Hersteller einer aus einem abhanden gekommenen Stoff 119 hergestellten Sache gemäß § 950 Abs. 1 BGB das Eigentum an dieser Sache und erlangt Eigentumsschutz, obwohl er an sich nicht schutzwürdig ist. Gleichwohl hat, soweit ersichtlich, bisher niemand daran gezweifelt,

117 Als durch die Selbsthilfe zu sichernder Anspruch kommt der Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB allerdings nicht mehr in Betracht, vgl. § 864 BGB. 118

H.M., Westermann/Gursky, Sachenrecht, §5311 1; MünchKomm/Quack §950 Rn. 21. Ablehnend zum Eigentumserwerb des bösgläubigen Verarbeiters nur Krückmann LZ 1915, Sp. 879 f.; ders., Institutionen, § 62 V, S. 545; ders. JherJb 65 (1915), S. 232, Fn. 1. 119

4 Härtung

BGHZ 55, 176, 177; 56, 131; MünchKomm/Quack § 950 Rn. 21.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

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daß der Eigentumsschutz dem privaten Eigentümerinteresse dient. Man sollte sich daher nicht dadurch, daß auch der Dieb geschützt wird, dazu verleiten lassen, die dem Besitz innewohnenden Kontinuitätsinteressen als Gegenstand des Besitzschutzes zu leugnen und nach hinter dem Besitz stehenden Interessen als Normzweck des Besitzschutzes zu suchen. Im übrigen sollte es eigentlich nicht verwundern, daß auch der Dieb in unserer Rechtsordnung Schutz genießt. Auch im Eigentums-, im Schadensersatzund im Strafprozeß, in denen über die Rechtswidrigkeit der Tat und Schuld des Täters verhandelt wird, haftet der Dieb nicht unbegrenzt. Schadensersatz- und Eigentumsherausgabeanspruch (§ 985 BGB) sowie der Strafanspruch des Staates verjähren, so daß nach Verjährungseintritt dem Täter die Früchte der Tat erhalten bleiben und er auch strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Die Zeiten, in denen derjenige, der die Rechtsordnung einmal übertreten hat, auf alle Zeit geächtet, rechtlos und vogelfrei ist, sind vorbei. Aus der Tatsache, daß auch der Diebesbesitz geschützt wird, ist kein Argument dagegen herzuleiten, daß durch den Besitzschutz die dem Besitz innewohnenden Kontinuitätsinteressen geschützt werden sollen.

(2) Materieller Besitzervorzug Die Normen des Besitzschutzes sind nicht die einzigen den Besitzer bevorzugenden Normen, die mit dem Kontinuitätsinteresse des Besitzers erklärt werden können. Außer dem Besitzschutz ist nämlich eine Gruppe von Rechtswirkungen, die man mit Heck 1 2 0 unter dem Begriff des materiellen Besitzervorzugs zusammenfassen kann, auf den Schutz der Kontinuitätsinteressen des Besitzers zurückzufuhren: Augenfällig ist dies beim sog. Ablösungsrecht nach § 268 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Besitzer, der Gefahr läuft, durch die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner den Besitz an einer Sache zu verlieren, ist berechtigt, den Gläubiger zu befriedigen, um so die Verfügbarkeit der Sache aufrechtzuerhalten. Dadurch, daß auch dem nicht zum Besitz berechtigten Besitzer das Ablösungsrecht zusteht, 121 wird besonders deutlich, daß hier nur der Schutz 120

Heck, Sachenrecht, § 4, 1 und 2, S. 14 f. ; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 3 a, S. 79; Bund, Festschrift für Thieme, S. 371 f., jeweils auch zu den folgenden Beispielen. 121 Palandt/Heinrichs § 268 Rn. 4. Teilweise wird das Ablösungsrecht nur dem berechtigten Besitzer zugestanden, Planck/Siber § 268 Anm. 3 b; Soergel/Wolf § 268 Rn. 4, jeweils ohne Begründung. Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des BGB, § 112, 3, S. 248, verlangt berechtigten Besitz, weil es seltsam sei, wenn man einem Dieb das Befriedigungsrecht nach § 268 BGB zusprechen wollte. Dieses Argument kann nicht überzeugen: Es wird dem Gläubiger praktisch kaum gelingen, Sachen des Schuldners bei einem Dieb durch einen Gerichtsvollzieher pfänden zu lassen. Diebe verstecken ihre Beute gewöhnlich. Sollte dies doch einmal vorkommen, so wird der erkannte Dieb kaum

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

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eines dem Besitz eigenen Wertes bezweckt sein kann. Als ein solcher Wert kommt allein der Organisationswert des Besitzes, also das Kontinuitätsinteresse, in Betracht. Zu den Fällen des materiellen Besitzervorzugs zählt auch die Verstärkung obligatorischer Rechte z.B. in §§ 571, 986 Abs. 2, 936 Abs. 3 BGB. Es soll damit dem berechtigten Besitzer die kontinuierliche Ausübung seines Rechts ermöglicht werden. 122 Das Interesse hieran wird besonders deutlich, wenn man an die mit einem Wohnungswechsel verbundenen Schwierigkeiten denkt (Wohnungssuche, Umzugskosten, Kauf neuer Einrichtungsgegenstände). Ferner lassen sich die Klage aus dem älteren Besitz (§ 1007 BGB), der Schutz vor Eigentumsverlust durch gutgläubigen Erwerb (§ 935 BGB) und die Vermittlung eines Rechtserwerbs durch Ersitzung (§§ 900, 937 BGB), Aneignung (§ 958 BGB), Fruchterwerb (§§ 955 ff. BGB) und Fund (§ 973 BGB) mit dem Schutz von Kontinuitätsinteressen des Besitzers erklären. Als Ergebnis ist somit festzustellen, daß dem Besitzer die gesetzlich bestimmte Rechtsmacht zur Wahrung der bestehenden Lebensverhältnisse, also im eigenen Interesse des Besitzers, verliehen wird. Der Schutz des öffentlichen Rechtsfriedens sowie der Persönlichkeit des Besitzers ist nur ein Reflex dieses Kontinuitätsschutzes.

bb) Zuweisungsgehalt des Besitzes Obwohl nach der eingangs123 gegebenen Definition der Besitz also als ein subjektives Recht zu bezeichnen ist, wird seine Rechtsnatur vielfach bestritten. Häufig zu finden ist das Argument, der Besitz könne kein subjektives Recht sein, da ihm nur eine Abwehrfunktion zukomme und ihm der Zuweisungsgehalt

willens sein, für eine Sache zu zahlen, die er später herausgeben muß. Will der Dieb dennoch von seinem Ablösungsrecht Gebrauch machen, so schadet dies weder dem Gläubiger noch dem Schuldner. Gernhuber, Erfüllung, § 21 II 2, S. 434, will dem Besitzer ohne Recht zum Besitz das Ablösungsrecht versagen, weil es allein darum gehe, Zuweisungsgehalte zu bewahren, die Dritte für sich in Anspruch nehmen können. Diese Argumentation übersieht, daß auch dem Besitz ein Zuweisungsgehalt zukommt (dazu sogleich unten bb). Femer belastet die hier abgelehnte Auffassung den Besitzer mit dem Nachweis seiner Berechtigung und gefährdet so bei drohender Zwangsvollstreckung auch das Ablösungsrecht des rechtmäßigen Besitzers. Schließlich steht nach dem Wortlaut des § 268 Abs. 1 S. 2 BGB ohne Rücksicht auf ein Besitzrecht jedem Besitzer das Ablösungsrecht zu. 122 Vgl. zu § 571 BGB Mugdan, Bd. 2, S. 815 - 819, 1253, 1254; Münch-Komm/ Voelskow § 571 Rn. 2: "Sicherung des Bestandschutzes der Mieter und Pächter von Grundstücken und Räumen." 123

4*

S.o. B i l l 1.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

52

fehle. 124 Der Besitz gebe weder ein Recht auf Nutzung noch auf Verwertung oder zum Besitz der Sache. Dieser Einwand ist unzutreffend: Zwar wird teilweise behauptet, der Begriff des subjektiven Rechts setze neben einer Verbotsnorm, die einem Nichtberechtigten ein bestimmtes Verhalten untersage (Ausschlußfunktion) auch eine Norm voraus, die dem Berechtigten dieses Verhalten erlaube. 125 Bei Sachenrechten spricht man davon, daß die Sache in bestimmter Hinsicht dem Eigenbereich des Berechtigten zugewiesen werde (Zuweisungsfunktion). 126 Jedoch ist die Zuweisungsnorm in Wahrheit kein zwingendes Tatbestandsmerkmal des subjektiven Rechts. Der Begriff des subjektiven Rechts läßt sich nämlich - sachlich gleichbedeutend127 - durch folgende äquivalente Formulierung definieren: Ein subjektives Recht setzt eine Verbotsnorm, die dem Nichtberechtigten ein bestimmtes Verhalten verbietet, und die "Rechtsmacht" voraus, einen Verstoß gegen das Verbot durch Klage geltend zu machen. 128 Eine besondere "erlaubende Norm", d.h. (ausdrückliche) "Zuweisung" an den Berechtigten, ist daneben überflüssig: Dies folgt zum einen daraus, daß in unserer Rechtsordnung erlaubende Rechtssätze rechtlich irrelevant sind. Erlaubt ist, was man nach freier Entscheidung tun oder lassen kann. Das Erlaubtsein beinhaltet daher das Fehlen von Geboten und Verboten und ist gleichbedeutend mit rechtlicher Ungebundenheit, d.h. mit Freiheit. 129 Da unsere Rechtsordnung bereits auf der grundsätzlichen Freiheit des einzelnen beruht, kommt einem erlaubenden Rechtssatz keine eigenständige Bedeutung zu. Im übrigen kann man auch bei bloßen Abwehrrechten von einer Zuweisung an den einzelnen sprechen. Indem das Gesetz allen übrigen Rechtssubjekten verbietet, in einen bestimmten Bereich des einzelnen einzugreifen, weist es dem einzelnen diesen Bereich zu. Der Zuweisungsgehalt ist also die Kehrseite der an alle Nichtberechtigten gerichteten Verbote. Auf den Besitz bezogen bedeutet dies: Indem das Gesetz jedem verbietet, die Sache dem Besitzer durch verbotene Eigenmacht zu entreißen oder sonst in seinen Besitz einzugreifen,

124 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III a, S. 126; Wieling, Festgabe für von Lübtow, S. 574 f.; Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 5, S. 13 ff.; Schwab/Prütting Rn. 49; Schick § 10, S. 27 f.; Schapp Rn. 46; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 4. 125

Vgl. Larenz, Methodenlehre, II Kapitel 2, 1 b, S. 254 am Beispiel des Eigentums. Siehe auch Larenz, Festgabe fur Sontis, S. 137 ff. und Larenz, AT, § 13 I, S. 210 f f Larenz verzichtet auf eine Definition des subjektiven Rechts. Er bildet lediglich einen ausfüllungsbedürftigen Rahmenbegriff: Daß jemand ein subjektives Recht hat, bedeute, daß ihm etwas rechtens zukomme oder gebühre. So auch Larenz/Wolf § 14, Rn. 20 ff. 126

Vgl. Larenz, Festgabe für Sontis, S. 140 f.

127

Dies hat Schmidt, Rechtstheorie 1979, S. 71 ff. ausführlich nachgewiesen.

128

Vgl. Schmidt, Rechtstheorie 1979, S. 71; Aicher, S. 50.

129

Aicher. S. 51 f.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

53

weist es gleichzeitig den Besitz der Sache, d.h. das in den Besitztatbeständen umschriebene Verhältnis zur Sache, dem Vermögen des Besitzers zu. 1 3 0 Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich in einer Entscheidung 131 zum Besitz des Mieters dargelegt. Es hat im Besitzrecht des Mieters eine privatrechtliche Vermögenswerte Rechtsposition erkannt, "die dem Mieter wie Sacheigentum zugeordnet ist" und die den Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG genießt. Zwar bezieht sich diese Entscheidung auf das Besitzrecht des Mieters, in der Begründung stellt das Gericht jedoch zu Recht weniger auf das Nutzungsrecht des Mieters, sondern vielmehr auf die gegen jedermann wirkenden Schutzrechte aus §§ 858 Abs. 1, 861 Abs. 1, 862 Abs. 1 und 823 BGB ab. 132 Das Gericht sieht den maßgeblichen Grund für die Qualifizierung des Besitzes als eigentumsähnliche Position - man kann sie auch als das "Eigentum des kleinen Mannes" bezeichnen - also nicht im Recht zum Besitz, sondern in der davon unabhängigen besitzrechtlichen Position. In diesem Sinne ist wohl auch die Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, das Besitzrecht ende zwar mit der wirksamen Kündigung des Vermieters, gesetzliche Regelungen und fachgerichtliche Entscheidungen (die ja möglicherweise gerade die Wirksamkeit der Kündigung zum Gegenstand haben) müßten sich aber gleichwohl an Art. 14 GG messen lassen. Da der Besitz den Besitzer nur vor dem Verlust der Sache und Störung durch verbotene Eigenmacht schützt, besteht der Zuweisungsgehalt des Besitzes allerdings nicht in einem Recht des Besitzers auf Nutzung der Sache, sondern nur im Recht auf das schlichte ungestörte Behalten, 133 wodurch dem Besitzer freilich auch die Nutzung ermöglicht wird. 1 3 4 Dabei weist der Besitz dem Besitzer das Haben der Sache i.S. des Fortbestandes des Besitztatbestandes endgültig zu: Steht keinem anderen ein (nachweisbares) Recht zum Besitz zu, darf der Besitzer - außer im Fall des fehlerhaften Besitzes - die Sache dauernd behalten. Hat ein anderes Rechtssubjekt ein Recht zum Besitz der Sache, so erfolgt eine Neuregelung des Besitzzustandes. Gleichzeitig muß der Besitzer die durch den Eingriff in das fremde Besitzrecht erlangten Vermögensvorteile herausgeben (§§ 812 ff. BGB). Unter Umständen muß er auch Schadensersatz leisten. Der Zuweisungsgehalt des Besitzes wird also durch ein stärkeres Recht überlagert. Diese Überlagerung bedeutet jedoch nicht, daß die Zuweisung durch den Besitz nicht vorhanden ist, sondern nur, daß sie die schwächere ist. 135 Rechtstatsäch130 Jeder Besitzer darf Besitzen, Staudinger/Seufert, 11. Aufl., § 858, Rn. 1; Honseil, JZ 1983, S. 532. 131

BVerfG NJW 1993, 2035, 2036.

132

BVerfG NJW 1993, 2035, 2036.

133

Gronau-Burgdorf, S. 53 f.

134

Vgl. dazu unten IV 3 b.

135

Vgl. dazu auch sogleich unten ee.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

54

lieh läuft dies häufig auf eine vorläufige Zuweisung durch den Besitz heraus. Vergleichbar ist dies mit der Regelung der §§ 946 ff. BGB. Auch dort wird das Eigentum zunächst dem Vermögen einer bestimmten Person, z.B. dem Hersteller, zugewiesen. Anschließend werden die Auswirkungen dieser Zuweisungen auf das Vermögen der Beteiligten ausgeglichen (§ 951 BGB). Hier zweifelt niemand am Zuweisungsgehalt des Eigentums. Erwähnt sei noch, daß es zahlreiche Rechte gibt, deren Inhalt im wesentlichen darin besteht, dem Berechtigten eine unantastbare Eigensphäre zu gewähren. Ihre Funktion beschränkt sich weitgehend auf die Abwehr von Eingriffen, ohne daß sie ihrem Inhaber das Recht zu einem Tun verleihen. Beispiele sind die besonderen Persönlichkeitsrechte wie das Namensrecht (§ 12 BGB) und das Recht am eigenen Bild sowie die Grundrechte. Diese Rechte sind trotz ihres Abwehrcharakters als subjektive Rechte anerkannt. lj6

cc) Abhängigkeit von weiteren Voraussetzungen Einige Argumente gegen die Annahme eines subjektiven Rechts werden daraus abgeleitet, daß die Entstehung von Ansprüchen aus dem Besitz von weiteren Voraussetzungen, nämlich dem Vorliegen von verbotener Eigenmacht und der Fehlerhaftigkeit des Besitzes, abhängig ist. Dadurch werde deutlich, daß - anders als beim Eigentum - der Anspruch auf Herausgabe nicht aus einem subjektiven Recht an der Sache selbst erwachse. 137 Weiter wird argumentiert: Wenn aus der Verletzung des Besitzes auch Forderungen entstehen könnten, so werde der Besitz doch nicht selbst zum Recht, sondern bleibe eine Tatsache, an die rechtliche Folgen geknüpft würden. Auch ein Vertrag oder eine unerlaubte Handlung werde nicht dadurch zu einem Recht, daß Forderungen daraus entstehen könnten. 138 In eine etwas andere Richtung zielt die Argumentation, daß bis zum Eintritt der verbotenen Eigenmacht noch keine Ansprüche des Besitzers entstanden seien und, da der Besitz außer dem Besitzschutz keine Rechte gebe, zu bezweifeln sei, ob die bloße rechtliche Aussicht auf die eventuelle Erlangung von Rechten den Charakter eines subjektiven Rechts habe. 139 Wie bereits oben 140 hinsichtlich des § 861 BGB festgestellt, ist die Quelle der Besitzschutzansprüche der Besitz selbst. Denn allein der Besitz kommt als 136 Sandtner, S. 33; Larenz, AT, § 13 II 1, S. 214 und Larenz/Wolf §14 Rn. 15 hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte; Brox, AT, Rn. 561 hinsichtlich der Grundrechte. 137

Vgl. Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 5, S. 14.

138

Vgl. Wieling, Festgabe fur von Lübtow, S. 574; Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 5, S. 14; Windscheid/Kipp, Pandekten, § 150, S. 752 f. 139

Strohal, JherJb 38 (1898), 65.

140

Β II 2.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

55

ein gegenwärtiges Recht, das die Wiederherstellung des ursprünglichen besitzrechtlichen Zustands rechtfertigt, in Betracht. Die Behauptung, die Besitzschutzrechte würden nicht aus einem Recht an der Sache erwachsen, ist daher unrichtig. Zwar ist die Beobachtung, der Besitz werde nur gegen verbotene Eigenmacht geschützt und ein Anspruch bestehe nur gegen den fehlerhaften Besitzer, zutreffend. Jedoch beruht dies auf einer besitzrechtlichen Besonderheit. Es ensteht nämlich allein mit der Erlangung der tatsächlichen Gewalt, ohne daß weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, beim Erwerber Besitz, der seinerseits grundsätzlich schutzwürdig ist. In diesen neuen Besitzzustand einzugreifen erachtet das Gesetz zutreffend nur unter besonderen Voraussetzungen für gerechtfertigt. Dies vermag an der Rechtsnatur des Besitzes nichts zu ändern: Es ist sachgerecht, dem Besitzer, der dem Eingriff in seinen Besitz zugestimmt hat, keinen Anspruch auf Veränderung des neuen Besitzzustandes zu gewähren. Ebenso ist es im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit gerechtfertigt, einen Eingriff in den Besitz desjenigen, der die Fehlerhaftigkeit seines Besitzes nicht kennt, nicht mehr zuzulassen. Es spricht mithin nicht gegen die Annahme eines subjektiven Rechts, daß der Besitzschutz nur unter besonderen Voraussetzungen besteht. Ferner berücksichtigt die erste der oben dargestellten Argumentationen nicht hinreichend die doppelte Bedeutung des Begriffs "Besitz". Unter Besitz sind sowohl der Besitztatbestand als auch die Rechtfolgen des Besitzes zu verstehen. Der Besitztatbestand ist kein subjektives Recht. Dies ist so selbstverständlich wie die Tatsache, daß ein Vertrag kein Recht ist. Die Frage nach der Rechtsnatur des Besitzes kann man sinnvoll nur stellen, soweit es um den Besitz im Sinne der durch den Besitz gewährten Rechtsposition geht. Hier zu unterstellen, der Besitz sei kein Recht, weil auch ein Vertrag kein Recht sei, ist falsch. Niemand käme auf die Idee zu behaupten, der Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung sei kein Recht, weil auch der Kaufvertrag kein Recht sei. Gleiches muß auch für den Besitz gelten. Ebensowenig spricht gegen die Annahme eines subjektiven Rechts, daß Ansprüche aus dem Besitz erst im Zeitpunkt der verbotenen Eigenmacht entstehen. Es gibt nämlich anerkannte subjektive Rechte, die keine aktuellen, sondern nur potentielle Ansprüche gewähren. Als Beispiel sei hier das Pfandrecht vor der Pfandreife genannt.141 Man mag diesem Beispiel entgegenhalten, daß der Pfandgläubiger vorher immerhin ein Recht zum Besitz hat. Jedoch wird auch dieses Recht erst dann in Form eines Anspruchs aktuell, wenn der Besitz durch einen Dritten verletzt wird. Ferner ist zu beachten: Der Besitz entfaltet seine Wirkung gegenüber jedermann. Alle Rechtssubjekte haben ihn zu respektieren. Stuft man den Besitz als ein Recht ein, kann es sich daher nicht um ein relati-

141

Sandtner S. 32.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

56

ves, sondern nur um ein absolutes Recht handeln.142 Für absolute Rechte ist es aber typisch, daß sie zunächst ihrem Inhaber keine Ansprüche einräumen. Ansprüche entstehen erst, wenn ein anderer das absolute Recht verletzt oder gefährdet. 143 Es wäre nämlich unzweckmäßig, den Inhaber eines absoluten Rechts durch Ansprüche auch mit solchen Personen rechtlich zu verbinden, die niemals in seine Rechtssphäre eindringen werden. 144 Würde man für das Bestehen eines subjektiven Rechts aktuelle Ansprüche verlangen, so müßte man z.B. auch dem Eigentümer, der sich ungestört seines Eigentums erfreut, ein subjektives Recht absprechen. Dies widerspräche dem Üblichen, denn das Eigentum wird allgemein als subjektives Recht bezeichnet. Sachgerechter ist es daher, sowohl im gestörten als auch im ungestörten Besitz ein subjektives Recht zu sehen. Soweit man dem entgegenhält, das ungestörte Eigentum gewähre dem Eigentümer anders als der Besitz immerhin ein aktuelles Recht auf Nutzung der Sache, bezieht man sich wiederum auf einen erlaubenden Rechtssatz, der bereits oben (unter bb) als rechtlich irrelevant erkannt wurde. Ferner übersieht man, daß dem Besitzer das Haben der Sache durch das Recht, den ungestörten Fortbestand des Besitztatbestandes verlangen zu können, zugewiesen ist. Daß Ansprüche aus dem Besitz erst bei der Verübung verbotener Eigenmacht entstehen, spricht daher nicht gegen die Annahme eines subjektiven Rechts.

dd) Spontane Achtung des Besitzes Eine weitere Ansicht 145 lehnt die Einordnung des Besitzes unter die subjektiven Rechte mit folgender Begründung ab: Wesensgehalt und Kern eines subjektiven Rechts sei es, daß jeder Dritte es spontan achten müsse und nicht verletzen dürfe. 146 Dies sei aus den Motiven zu entnehmen.147 Beim Besitz verhalte 142

Vgl. dazu auch unter IV 1.

143

Schwab, Zivilrecht, Rn. 176; vgl. auch Larenz, AT, § 12 I, S. 195 f.

144

Schwab, Zivilrecht, Rn. 175.

145

Darmstaedter, AcP 151 (1950/1951), 311 ff, 318.

146

Darmstaedter, AcP 151 (1950/1951), 318.

147

Darmstaedter bezieht sich auf Mugdan Bd. 2, S. 405. Diese Stelle hat § 704 Abs. 2 des ersten Entwurfs (Ε 1 ) zum Gegenstand, der sich mit den unerlaubten Handlungen befaßt. § 704 Abs. 2 E 1 lautet: Hat jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines Anderen verletzt, so ist er den durch die Rechtsverletzung dem Anderen verursachten Schaden diesem zu ersetzen verpflichtet, auch wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war. Als Verletzung eines Rechts im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen. Dazu die Motive: „Ebenso zweifellos widerrechtlich ist die Verletzung des einem Anderen zustehenden absoluten Rechts (§ 704 Abs. 2). Es liegt im Begriffe eines solchen subjektiven Rechts, daß jeder Dritte es achten muß und nicht verletzen darf."

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

57

es sich hingegen anders. Für den Besitz sei nach dem Wortlaut des BGB die tatsächliche Gewalt über die Sache von entscheidender Wichtigkeit. Der Besitz erhalte Gehalt und Bestimmung von der alleinigen und umfassenden Herrschergewalt des Willens des Besitzers über die Sache. Wäre der Besitzer auf die spontane Achtung und Beachtung der übrigen Menschen angewiesen, so würde sein Gewaltwille über die Sache nicht mehr umfassend und allein herrschen. Der Besitzer wolle in einer vom Gesetz gebilligten Weise die negierende unmittelbare Gewaltanwendung gegenüber den anderen Menschen, um derart in seiner tatsächlichen Gewalt über die Sache umfassend und allein bestimmend zu sein. Er empfinde die Geltung der ihm spontan entgegengebrachten Achtung und Beachtung der anderen Menschen als eine Beschränkung und Einengung seines eigenen Willens und habe nur den Wunsch, sich von dieser Einengung durch den Griff auf die Gewaltanwendung frei und unabhängig zu machen. 148 Der Besitz sei daher nicht als ein subjektives Recht, sondern nur als eine Rechtsposition zu bezeichnen.149 Auch diese Auffassung kann letztlich nicht überzeugen. Zunächst ist es zweifelhaft, ob den Motiven eine Definition des subjektiven Rechts entnommen werden darf. Die zitierte Stelle der Motive hat nämlich nicht den Begriff des subjektiven Rechts allgemein, sondern den Begriff des absoluten Rechts zum Gegenstand. Wenn es dort heißt: "Es liegt im Begriffe eines solchen subjektiven Rechtes, daß jeder Dritte es achten muß und nicht verletzen darf', liegt daher die Betonung eher darauf, daß jedem Dritten aus dem absoluten Recht eines anderen Verhaltenspflichten erwachsen, als darauf, daß die spontane Achtung durch andere zum Wesen des subjektiven Rechts gehört. Ferner verkennt die oben dargestellte Auffassung die eigentliche Bedeutung des Besitzes, wenn sie behauptet, der Besitz erhalte seinen Gehalt allein aus dem Gewaltwillen des Besitzers, während die Achtung und Beachtung durch andere bedeutungslos sei. Selbst wenn der Besitzer die Sache in dem festen Willen, sie gegen jeden Angriff Dritter zu verteidigen, in seinen Händen hält, wenn die tatsächliche Sachherrschaft also für den Besitz besonders prägend ist, kann man nicht sagen, daß der Besitzer die negierende unmittelbare Gewaltanwendung gegenüber den anderen Menschen wolle oder daß sein eigener Wille durch die ihm spontan entgegengebrachte Achtung und Beachtung der anderen Menschen eingeschränkt oder eingeengt werde. Vielmehr ist auch dieser Besitzer auf die Achtung und Beachtung der anderen angewiesen, denn kaum jemand hat derartige Körperkräfte, daß er seinen Besitz gewaltsam gegen alle anderen Menschen verteidigen kann. Auch wird es der Besitzer regelmäßig vorziehen, die Sache ohne Anwendung von Gewalt behalten zu dürfen.

148

Darmstaedter, AcP 151 (1950/1951), 319 f.

149

Darmstaedter, AcP 151 (1950/1951), 320 f.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

58

Außerdem befinden sich die meisten Gegenstände, die eine Person besitzt, nicht in unmittelbarer Nähe des Besitzers, sondern u.U. in beträchtlicher Entfernung. Der Besitz an dem auf der Straße abgestellten Auto bleibt auch bestehen, wenn der Besitzer sich entfernt, um einige Besorgungen zu machen. 150 Gleiches gilt für den Pflug, den der Landwirt nach getaner Arbeit auf dem Feld zurückläßt. 151 Auch ist die aktuelle Verteidigungsbereitschaft des Besitzers fur die Aufrechterhaltung des Besitzes nicht erforderlich. Würde der Besitz bei Abwesenheit des Besitzers durch die übrigen Rechtssubjekte nicht beachtet, so würde die "tatsächliche Sachherrschaft" und mithin der Besitz untergehen. Hier wird deutlich, daß der Besitz seinen wesentlichen Gehalt durch die spontane Achtung der übrigen Rechtssubjekte erhält. 152 Sinn des Besitzschutzes ist es ja gerade, dem Besitzer eine Sphäre zu schaffen, in die ein Dritter nicht gewaltsam eindringen soll. Man kann den Rechtscharakter des Besitzes daher nicht mit der Begründung verneinen, die spontane Achtung durch Dritte gehöre nicht zum Wesenskern des Besitzes.

ee) Fehlende Selbstbehauptungsfähigkeit gegenüber dem Eigentum Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Besitz könne nicht als subjektives Recht bezeichnet werden, weil er jederzeit dem materiellen Recht weichen müsse.153 Von einem Recht könne nur gesprochen werden, wenn es eine - auch noch so bescheidene - unbedingte und dauernde Selbstbehauptungsfähigkeit habe. 154 Neben dem absoluten und exklusiven Eigentum sei ein zweites, nicht durch qualitative Teilung entstandenes Recht ausgeschlossen; der Besitz sei neben dem Eigentum nichts. 155 Diese Ansicht verkennt sowohl den Begriff des subjektiven Rechts als auch den Besitz. Es gehört nicht zum Wesen der subjektiven Rechte, daß sie nicht durch andere Rechte verdrängt werden können. 156 Vielmehr ist kaum ein Recht denkbar, das nicht durch ein anderes verdrängt werden kann und das auf Dauer

150

Vgl. Baur/Stürner § 7 Β II 1 a aa, S. 54; Müller, Sachenrecht, Rn. 79; Schapp

Rn. 53. 151

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 II 4, S. 85.

152

Dies wird auch von Darmstaedter, AcP 151 (1950/1951), 321 in den Fällen anerkannt, in denen die h.M. das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft nach der Verkehrsanschauung bestimmt. 153

Krückmann, AcP 108 (1912), 260 f.

154

Krückmann, AcP 108 (1912), 260.

155

Krückmann, AcP 108 (1912), 261 f.

156 Vgl. dazu schon Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 3, § 61, S. 365 f. und in JherJb 32 (1893), 74; Gronau-Burgdorf, S. 53; Sandtner S. 36.

III. 1. Die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht

59

besteht. Selbst der Eigentümer muß bei Verwertungsreife dem Pfandgläubiger weichen, und auch das wohl wertvollste Recht unserer Rechtsordnung, das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG), kann in besonderen Fällen eingeschränkt werden (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG). 1 5 7 Ferner ist der aus dem Besitz fließende Schutz vor der Verübung verbotener Eigenmacht ebenso auf Dauer angelegt wie andere subjektive Rechte. Er unterliegt keiner zeitlichen Beschränkung. Der Besitz endet erst, wenn eine andere Person ihr stärkeres materielles Recht nachweisen kann und mit Hilfe der Gesetze durchsetzt. Besteht ein solches Recht - etwa bei herrenlosen Sachen nicht, so bleibt der Besitz dauerhaft geschützt. Dieser Fall wird zwar praktisch nicht häufig vorkommen, verdeutlicht aber, daß der Besitz von seiner rechtlichen Natur her nicht bloß vorläufigen Charakter hat. 158 Man könnte beim Besitz treffender von einer subsidiären Regelung sprechen, dessen eigentliche, definitive Regelung das Recht des Eigentums ist. 159 Die Behauptung, der Besitz habe keine dauernde Selbstbehauptungsfähigkeit, ist daher unzutreffend. Die hier abgelehnte Auffassung beruht auf der Vorstellung, das Eigentum und die daraus abgespaltenen beschränkten dinglichen Rechte seien die einzigen möglichen Rechte an einer Sache. 160 Sie übersieht dabei, daß sich darin die rechtlichen Beziehungen des Menschen zur Sache nicht erschöpfen, 161 und ist daher zu unsachgemäßen Beschneidungen des Begriffs des subjektiven Rechts gezwungen.

ff) "Recht" aus "Unrecht" Zu dem - heute richtigerweise nicht mehr vorgebrachten - Einwand, der Besitz könne kein Recht sein, weil auch der Dieb Besitz an der gestohlenen Sache erwerbe und durch Unrecht kein Recht entstehen könne, 162 ist nur zu bemerken: Es ist nichts dem Besitz Eigentümliches, daß durch eine unrechtmäßige Handlung ein Recht entsteht.163 So erwirbt etwa der Hersteller einer aus fremden 157

Vgl dazu nur Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2 Rn. 13 ff.

158

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 5 I b, S. 171. Wenn in der Literatur gelegentlich von einem "vorläufigen Recht" gesprochen wird (Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 3 III), so bezieht sich dies auf den rechtstatsächlichen Aspekt, daß in den meisten praktischen Fällen ein stärkeres Recht mit Hilfe der Gerichte gegen den Besitzer durchgesetzt wird. 159

Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. 2, Abt. 1, § 45, S. 396 f.

160

Krückmann, AcP 108 (1912), 261 f.:"... Das Eigentum kann wohl aufgeteilt werden ... aber sonst duldet es keine Götter neben sich." 161

Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil 3, § 61, S. 365.

162

Vgl. dazu Krückmann, AcP 108 (1912), 265 ff.

163

Jhering, JherJb 32 (1893), S. 72 ff.; Strohal, Succession, S. 146 ff.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

60

Stoffen hergestellten Sache auch dann Eigentum, wenn die Verarbeitung unrechtmäßig und der Hersteller bösgläubig ist.

gg) Dauernde Bindung an tatsächliche Grundlage Teilweise wird ein Argument gegen die Rechtsnatur des Besitzes darin gesehen, daß der Besitz dauernd an den Fortbestand seiner tatsächlichen Voraussetzungen gebunden sei. 164 Der Besitz könne kein Recht sein, weil ihm infolge des Einflusses der Causa die in allen Fällen gleiche und gleichwertige rechtliche Kraft fehle. 165 Aber auch diese Meinung kann nicht überzeugen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen kann, wie an Hand des § 861 BGB festgestellt, der Besitz auch fortbestehen, wenn seine tatsächliche Grundlage entfallen ist und bereits neuer Besitz an der Sache begründet wurde. Des weiteren gehört es nicht zum Wesen des Rechts, daß es - wie das Eigentum - von seinem Entstehungstatbestand losgelöst fortbesteht. So ist z.B. das allgemeine Persönlichkeitsrecht an die Existenz der Person gebunden,166 das Anwartschaftsrecht vom Fortbestand der Möglichkeit des Bedingungseintritts abhängig. 167

hh) Ergebnis Der Besitz ist als ein subjektives Recht zu bezeichnen. Da er gegenüber jedermann wirksam ist, handelt es sich um ein absolutes dingliches Recht. Sein Inhalt ist das Recht auf das "Haben" und "Behalten" der Sache, d.h. auf den ungestörten Fortbestand des ursprünglichen Besitzzustandes. Gleichwohl ist der Besitzer einer anderen Person, die ein Recht auf den Besitz oder die Nutzung der Sache hat, zur Herausgabe der Nutzungen und ggf. auch zum Schadensersatz verpflichtet.

164

Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 5, S. 13; Krückmann, AcP 108 (1912),

259. 165

Krückmann, AcP 108 (1912), 259.

166

Jhering, JherJb 32 (1893), 72; vgl. auch Sandtner S. 34.

167

Vgl. zur Rechtsnatur des Anwartschaftsrechts BGHZ 28, 16, 21: "Wesensgleiches minus" im Vergleich zum Eigentum. Staudinger/Dilcher vor § 158 Rn. 51 m.w.N.; Larenz/Wolf § 50 Rn. 73 ff.; Palandt/Heinrichs Einf. vor § 158 Rn. 9.

III. 2. Besitz als Rechtsverhältnis

61

2. Besitz als Rechtsverhältnis Die Qualifizierung des Besitzes als ein subjektives Recht betrifft die mit dem Besitz verbundenen Rechtsfolgen. Hingegen befaßt sich die nun zu beantwortende Frage, ob der Besitz ein Rechtsverhältnis ist, mit der Ausgestaltung der Beziehung zwischen dem Besitzer und der Sache. Der Begriff des Rechtsverhältnisses wird in der Literatur nicht einheitlich definiert. Häufig wird unter einem Rechtsverhältnis ein rechtlich bedeutsames und rechtlich geregeltes Lebensverhältnis verstanden. 168 Danach ist der Besitz als ein Rechtsverhältnis zu charakterisieren, 169 denn der Besitz hat als ein tatsächlich und rechtlich bedeutsames Lebensverhältnis eine ausfuhrliche rechtliche Regelung erfahren. Jedoch ist diese Definition des Rechtsverhältnisses unbestimmt und daher wenig aussagekräftig. Vorzuziehen ist die Ansicht, wonach das Rechtsverhältnis die Summe von Rechten, Pflichten, sonstigen Gebundenheiten, Obliegenheiten, Erwerbsaussichten und Zuständigkeiten ist. 1 7 0 Die wesentlichen, unverzichtbaren Elemente des Rechtsverhältnisses sind das (subjektive) Recht zum mindesten einer Person und die damit korrespondierenden Pflichten entweder eines oder einiger oder aller anderen Rechtsubjekte.171 Sofern an dem Rechtsverhältnis nur wenige Personen beteiligt sind, namentlich also beim Schuldverhältnis, kann man von einer rechtlichen Sonderbeziehung oder einem "rechtlichen Band" zwischen den Beteiligten sprechen. Ein Rechtsverhältnis liegt aber auch vor, wenn einer Person ein Recht im Verhältnis zu allen anderen gewährt wird. Hauptelement dieses Rechtsverhältnisses ist ein Freiraum, den die Rechtsordnung einer bestimmten Person gewährt, indem sie andere Personen davon ausschließt und zur Achtung dieses Freiraums verpflichtet. 172 Ansprüche entstehen allerdings erst, wenn jemand die Verpflichtung zur Achtung des fremden Freiraums gefährdet oder verletzt. Wie bereits oben festgestellt, wird dem Besitzer durch den Besitz das Haben und Behalten der Sache zugewiesen, indem das Gesetz jedem anderen verbietet, in den Besitztatbestand einzugreifen. 173 Dadurch wird dem Besitzer ein Freiraum gewährt, dessen Grenzen in den Besitztatbeständen bestimmt sind.

168 Enneccerus/Nipperdey, AT, § 71 I 1, S. 427; Lehmann/Hübner, AT, § 10 II 1, S. 80; vgl. auch Deutsches Rechts-Lexikon, Stich wort: "Rechtsverhältnis"; Creifelds, Stichwort: "Rechtsverhältnis"; Medicus, AT, Rn. 54 ff. 169

Vgl. Rosenberg, Sachenrecht, vor § 854 Anm. 5, S. 13.

170

Vgl. Larenz/Wolf § 13 II, Rn. 23 ff.

171

Larenz/Wolf § 13 I 1, Rn. 3.

172 Larenz/Wolf § 13 I 2, Rn. 11 ff.; mit Hadding, JZ 1986, 927 kann man auch von einer verbindlichen Entscheidungskompetenz einer Person gegenüber anderen Menschen sprechen. 173

Β III 1 b bb.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

62

Alle Rechtssubjekte sind zur Achtung des fremden Besitzes verpflichtet. Der Besitz ist daher auch dann als ein Rechtsverhältnis zu bezeichnen, wenn man die zweite, konkretere Begriffsbestimmung des Rechtsverhältnisses zugrundelegt. 174 Fraglich ist allerdings, ob es sich um ein Rechtsverhältnis zwischen Personen oder um ein Rechtsverhältnis zwischen einer Person und einer Sache handelt. Häufig werden die dinglichen Rechte - zu denen, wie oben festgestellt, auch der Besitz zu zählen ist - als Rechtsverhältnisse zwischen Person und Sache betrachtet. 175 Diese Sichtweise ist jedoch abzulehnen. Unter "Recht" ist die verbindliche Regelung für das Verhalten der Personen untereinander zu verstehen. Folglich können auch die einzelnen Rechtsverhältnisse nur zwischen Personen bestehen.176 Ferner können Sachen nicht an einem Rechtsverhältnis beteiligt sein, weil ihnen die Rechtsfähigkeit fehlt. Als Träger von Rechten und Pflichten kommen nur Personen in Betracht. 177 Schließlich stellt sich die Frage, ob einer Person eine bestimmte Sache zuzuordnen ist, nur in einer sozialen Beziehung zu anderen Personen. Die isolierte Beziehung zwischen einer Person und einer Sache ist rechtlich vollkommen irrelevant. Den einsamen Menschen auf einer unbewohnten Insel fernab der Zivilisation interessiert es nicht, ob die Hängematte, auf der er liegt, sein Eigentum ist oder nicht. Erst wenn ein zweiter kommt, der sie ihm streitig machen kann, erlangt die Frage, wer zur Nutzung der Hängematte rechtlich befugt ist, Bedeutung. 178 Bei den absoluten Rechten handelt es sich also um Rechtsverhältnisse zwischen Personen. 179 Der Besitz ist ein Rechtsverhältnis zwischen dem Besitzer und allen Personen, die in den Besitz eingreifen können. 180 Solange der Besitz nicht gestört wird, kann

174 Vielfach wird in der Literatur nicht von einem Rechts-, sondern von einem tatsächlichen Verhältnis (Palandt/Bassenge, Überbl vor § 854 Rn. 1) oder von der "rechtlichen Anerkennung der tatsächlichen Beziehung zur Sache" (Westermann/ Gursky, Sachenrecht, § 8, 1) gesprochen. Sandtner, S. 13 ff. hat nachgewiesen, daß hier sachlich stets ein Rechtsverhältnis gemeint ist. 175 Enneccerus/Nipperdey, AT, § 71 I 3, S. 427 f.; Erman/Wemer Einl vor § 854 Rn. 1; Köhler, A T § Rn. 1, S. 35; Schwab/Prütting Rn. 1; Soergel/Mühl, Einl vor § 854 Rn. 7; von Tuhr, AT, 1. Band, § 5 11, S. 123; Westermann/W estermann, Sachenrecht, § 1 Π 3 b; M. Wolf, Sachenrecht, Rn. 3. 176

Hadding JZ 1986, 927.

177

Sandtner S. 17.

178

Larenz/Wolf § 13 12 b, Rn. 13 f.; vgl. auch Hadding JZ 1986, 927 (unter 3 b).

179

Hadding JZ 1986, 927; Larenz/Wolf § 13 12 b, Rn. 13; Schwab, Zivilrecht, Rn. 177.

180

Sandtner S. 17 f.; vgl. auch Hadding JZ 1986, 926 f. (unter 1 und 3 b). Es ist daher an sich ungenau, von einem Besitz "an der Sache" zu sprechen. Dennoch soll an dieser allgemein gebräuchlichen und griffigen Formulierung festgehalten werden. Gemeint ist damit stets das Rechtsverhältnis zwischen dem Besitzer und allen anderen Rechtssubjekten.

IV. 1. Der Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB

63

man von einem latenten Rechtsverhältnis sprechen. 181 Dieses konkretisiert sich im Falle des Eingriffs zu einem bestimmten Rechtsverhältnis zwischen dem Besitzer und dem Störer. Die Qualifizierung des Besitzes als Rechtsverhältnis ist bedeutsam für die Voraussetzungen, unter denen der Besitz entsteht und fortbesteht: Die Entstehung und der Fortbestand tatsächlicher Verhältnisse ist allein von Vorgängen in der Tatsachenwelt abhängig. Hingegen kann ein Rechtsverhältnis sowohl durch Tatsachen als auch durch Prozesse der Gedankenwelt, d.h. auch durch rechtliche Vorgänge, begründet oder beendet werden. Die Einordnung des Besitzes unter die Rechtsverhältnisse ermöglicht es, sich von der Vorstellung, Besitz setze stets das Vorhandensein tatsächlicher Sachherrschaft voraus, zu lösen. Sie bietet eine mögliche Grundlage für die Auslegung der Besitztatbestände der §§ 857, 868 BGB. Ferner liefert sie einen Erklärungsansatz dafür, warum der Besitz nicht untergeht, wenn die tatsächliche Gewalt vorübergehend nicht ausgeübt werden kann (§ 856 Abs. 2 BGB). Klarheit über das Verhältnis von Besitz und tatsächlicher Sachherrschaft kann jedoch nur durch eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Besitztatbeständen erreicht werden. Sie soll in den folgenden Abschnitten erfolgen.

IV. Exkurs: Die Haftung nach § 823 BGB für Besitzverletzungen Um die Richtigkeit der Einordnung des Besitzes als subjektives und absolutes Recht für die praktische Rechtsanwendung zu überprüfen, ist zuvor aber noch auf eine Fragestellung einzugehen, die in engem Zusammenhang mit den Erörterungen zum Besitzbegriff steht. Es soll untersucht werden, ob die Verletzung des Besitzes zu einem Schadensersatzanspruch des Besitzers nach § 823 BGB fuhrt.

1. Der Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB Ob der Besitz ein "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist, ist umstritten. a) Meinungsstand Es werden im wesentlichen drei verschiedene Standpunkte vertreten:

181

Larenz/Wolf § § 13 I 2 b, Rn. 13 verwendet diesen Begriff im Zusammenhang mit dem Eigentum.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

64

aa) Altere Rechtsprechung Vornehmlich in der älteren Rechtsprechung und Literatur ist die Ansicht zu finden, der Besitz sei zwar kein Recht, die Rechtsordnung schütze ihn aber ähnlich einem absoluten Recht (§§ 858, 861, 862, 1007 BGB). Daher sei er den sonstigen Rechten im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zuzurechnen. 182

bb) Erfordernis einer zusätzlichen Befugnis des Besitzers Hingegen genügt nach der nunmehr vorherrschenden Ansicht die Absolutheit eines Rechts für den Schutz nach § 823 Abs. 1 BGB nicht. Das "sonstige Recht" müsse zusätzlich eigentumsähnlich sein. 183 Diese Eigentumsähnlichkeit sei für den bloßen Besitz zu verneinen, da der possessorische Schutz des Besitzes nur vorläufig sei, das Eigentum aber stets endgültigen Rechtsschutz genieße. Ferner habe der Besitz wie das Eigentum zwar eine Ausschlußfunktion (§ 861 f. BGB), ihm fehle aber eine dem Eigentum vergleichbare positive Seite (Nutzungsfunktion): Der Besitzer als solcher dürfe die Sache nicht gebrauchen oder sonst nutzen. Der Besitz sei daher nur dann ein "sonstiges Recht", wenn er mit einer über den possessorischen Schutz hinausgehenden Befugnis zusammentreffe, die dem Besitz eine gewisse Festigkeit verleihe und ihn eigentumsähnlich erscheinen lasse. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall sein soll, ist zwischen den Vertretern dieser Ansicht streitig. Einige gestehen nur dem rechtmäßigen Besitzer, der ein Nutzungsrecht, einen endgültigen Herausgabeanspruch, ein Zurückbehaltungs- oder ein Wegnahmerecht hat, einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu. 184 Andere wiederum halten auch einen Anspruch des unrechtmäßigen Besitzers, der im Verhältnis zum Eigentümer die Nutzungen (z.B. nach §§ 987 ff. BGB, §§ 721, 765a ZPO) behalten darf, für möglich. 185

182 RGZ91, 60, 65 f.; 102, 344, 347; 105, 213, 218; 170, 1, 6; BGHZ 32, 194, 204; 62, 243, 248; 66, 277, 282; 73, 355, 362; Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, § 234 I 1 c, S. 943; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 16 I 3; Erman/Drees, 7. Aufl., § 823 Rn. 30. 183

Medicus, BR, Rn. 607 und in AcP 165 (1965), S. 117; Erman/Schiemann § 823 Rn. 35; Palandt/Thomas § 823 Rn. 11. 184

Von Caemmerer, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. 82 f.; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, § 6, 3.a, S. 27; Honsell, JZ 1983, S. 532; Pieper, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, S. 243. 185 Baur/Stürner § 9 V 1, S. 80; Medicus, BR, Rn. 607 und in AcP 165 (1965), S. 121 f.; Staudinger/Schäfer § 823 Rn. 100 f. m.w.N.; vgl. auch Pieper, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, S. 255 zur Haftung aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 858 BGB. Ablehnend BGHZ 79, 232, 238; Wieser JuS 1970, S. 557 f.; vgl. auch Wieser, NJW 1971, S. 598.

IV. 1. Der Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB

65

Auch die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung schränkt die Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Besitzentziehung ein: 186 Hat der Besitzer kein Recht auf Nutzung der Sache, so soll er den Verlust, der in der Beeinträchtigung der Möglichkeit liegt, die Sache zu nutzen (sog. Nutzungsschaden), vom Nutzungsberechtigten nicht ersetzt verlangen können. Der Besitzer sei in einem solchen Fall verpflichtet, die Nutzung zu unterlassen und dem Berechtigten die Nutzungsmöglichkeit einzuräumen. Daraus, daß der Berechtigte den Zustand, auf den er einen Anspruch habe, unter Verletzung der Besitzschutzvorschriften (§§ 858 ff. BGB) eigenmächtig herbeiführe, könne sich kein Anspruch des Besitzers auf Schadensersatz ergeben. Allerdings macht der BGH nicht deutlich, ob er ein "sonstiges Recht" des Besitzers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB oder einen Schaden des Besitzers verneint. 187

cc) Recht zum Besitz als Schutzobjekt Nach einer dritten Auffassung ist schließlich das obligatorische Recht zum Besitz und nicht der Besitz selbst als "sonstiges Recht" anzusehen.188 Der Besitz sei überhaupt kein Recht. 189 Er verwandele lediglich ein obligatorisches (Besitz-) Recht in ein kundbares Recht, das damit durch Dritte verletzbar werde und nunmehr wie ein dingliches Recht geschützt werden müsse. Das Besitzrecht sei seiner Struktur nach ein relatives Herrschaftsrecht, d.h. ein Recht zur unmittelbaren Einwirkung auf die Sache. Der Eingriff in dieses Herrschaftsrecht sei genauso zu bewerten wie der in ein absolutes Recht. 190 Ferner wird

186

BGHZ 66, 277, 282; 73, 355, 361 f.; 79, 232, 235 ff.; BGH NJW 1991, S. 2420,

2421. 187 Während der VIII. Zivilsenat in BGHZ 73, 355, 362 darauf abstellt, daß der nichtberechtigte Besitzer den "Schaden", der in der Beeinträchtigung der Gebrauchsmöglichkeit liege, nicht geltend machen könne, heißt es in einer Entscheidung des VI. Zivilsenats (BGH NJW 1991, S. 2420, 2421), der aus einem Recht zum Besitz folgenden Zuweisungsregelung habe auch die deliktische Lastenzuweisung Rechnung zu tragen. Ob man der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung den deutlichen Gedanken entnehmen kann, ein dem Eigentum ähnliches "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB liege nur vor, wenn der Besitz mit einem Recht des Gebrauchs und der Nutzung der Sache verbunden ist, ist daher zweifelhaft; so aber Staudinger/Schäfer § 823 Rn. 99. 188

Larenz, Schuldrecht, Bd. 2, 1. Hlbbd., § 48 IV, S. 241 f.; Dulckeit, Verdinglichung, S. 15 ff.; Siber, Schuldrecht, S. 451; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8 4; Mincke, JZ 1984, S. 862 ff. mit ausfuhrlicher Begründung. Ähnlich Rödig, S. 43 f.: geschützt sei das durch den Besitz verkörperte relative Recht. 189

Vgl. Rödig, S. 24 f.

190

Larenz, Schuldrecht, Bd. 2, 1. Hlbbd., § 48 IV, S. 242; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8 4 mit Hinweis auf Diederichsen, Das Recht zum Besitz aus Schuldverhältnissen, S. 87 ff. 5 Härtung

Β. Der Besitzbegriff des BGB

66

sowohl für diese als auch für die neuerdings vorherrschende Auffassung angeführt, der Wert des Besitzes (pretium possessionis) lasse sich im Rahmen der Schadensberechnung nur durch einen Rückgriff auf die Befugnis, die hinter dem Besitz stehe, ermitteln. 191

b) Kritik aa) Kein deliktischer Schutz von Forderungsrechten Die Auffassung, die allein das obligatorische Recht zum Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ansieht, kann schon deshalb nicht überzeugen, weil sie die Rechtsnatur des Besitzes verkennt. 192 Des weiteren folgen aus den Wertungen des Deliktsrechts Bedenken dagegen, das Recht zum Besitz - wie z.B. das Recht des Mieters zum Gebrauch der Sache - zu einem nach § 823 Abs. 1 geschützten Recht zu erheben. Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß Forderungsrechte grundsätzlich keine "sonstigen Rechte" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB sind. 193 Dies ergibt sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung gegen eine große deliktische Generalklausel und für die Anknüpfung der Schadensersatzpflicht an die Erfüllung gesetzlich fixierter Tatbestände. Die Regelung des Deliktsrechts beruht auf drei konzeptionell verschiedenen Grundtatbeständen, und zwar auf der Verletzung eines bestimmten Rechtsguts (§ 823 Abs. 1 BGB), des Verstoßes gegen ein in einer Rechtsnorm enthaltenes Verhaltensgebot (§ 823 Abs. 2 BGB) und der Begehung einer sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB). 194 Würde man das Vermögen, zu dem die Forderungsrechte allein gehören, als "sonstiges" Recht anerkennen, dann würde dieses differenzierte System des Deliktsrechts mißachtet, 195 die §§ 823 Abs. 2 und 826 wären überflüssig. Die Ablehnung eines umfassenden deliktischen Vermögensschutzes und mithin auch eines deliktischen Forderungsschutzes beruht auf verschiedenen rechtspolitischen Gründen: 196 Vermögensinteressen sind weniger leicht zu erkennen und mithin schwerer zu respektieren als die in § 823 Abs. 1 BGB ge-

191

Mincke, JZ 1984, S. 863; Medicus, AcP 165 (1965), S. 117 und 140 f f , sowie Medicus, BR, Rn. 607. 192

Siehe dazu oben III 1.

193

MünchKomm/Mertens § 823 Rn. 131 m.w.N.; Erman/Schiemann § 823 Rn. 36.

194

Siehe zur rechtspolitischen Vorzugswürdigkeit dieser Entscheidung Canaris, Festschrift für Larenz, 1983, S. 35 ff. Siehe auch Boehmer, Grundlagen, I I / l , S. 172 f. 195 196

Vgl. Erman/Schiemann § 823 Rn. 36.

Vgl. dazu Canaris, Festschrift für Larenz, 1983, S. 36 ff.; MünchKomm/Mertens § 823 Rn. 131 und MünchKomm/Mertens, 2. Aufl., § 823 Rn. 109.

IV. 1. Der Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB

67

nannten Rechte und Rechtsgüter. Ferner würde eine deliktisch sanktionierte generelle Rechtspflicht, die fremden Vermögensinteressen nicht zu beeinträchtigen und die Abwicklung fremder Rechtsbeziehungen nicht zu stören, ein unerträgliches Handlungsrisiko mit sich bringen. So müßte der Täter z.B. nicht nur den durch die Zerstörung des Eigentums entstandenen Schaden ersetzen, sondern auch die verletzten Interessen der an der Sache schuldrechtlich Berechtigten, etwa eines Käufers. Letztlich würde die Einbeziehung des Vermögens in § 823 Abs. 1 BGB auch eine Beschränkung der Handlungsfreiheit mit sich bringen, denn jeder wäre verpflichtet, sein Verhalten so auszurichten, daß möglichst keine irgendwie gearteten fremden Vermögensinteressen, seien sie auch noch so vage, verletzt werden. Diese rechtspolitischen Erwägungen haben auch für das Recht zum Besitz Gültigkeit: Der Wert des Besitzrechts bestimmt sich nach den Parteivereinbarungen, die für Außenstehende nicht erkennbar sind, z.B. über die Höhe des Mietzinses und die Zahl der Nutzungsberechtigten. Würde der Eingriff in das Recht zum Besitz einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB auslösen, so könnte dies ein unerträgliches Handlungsrisiko nach sich ziehen. Man bedenke nur den Fall, daß eine Sache zu einem äußerst hohen Mietzins und mehrfach oder an mehrere Personen vermietet wurde. Würde man das Recht zum Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkennen, so könnte ein kleiner Eingriff eine unüberschaubare und unverhältnismäßig hohe Haftung auslösen. Besitzrechte können auch dann keinen Schutz nach § 823 Abs. 1 BGB erhalten, wenn dem Berechtigten der Besitz bereits eingeräumt wurde. Der Besitz macht nämlich das Recht zum Besitz nicht, wie die Vertreter der hier erörterten Meinung annehmen, kundbar, 197 denn ein unbeteiligter Dritter kann nicht erkennen, ob überhaupt ein Recht zum Besitz besteht und ob es sich um ein Recht aus Mietvertrag, Leihvertrag oder etwa einem Kaufvertrag handelt. Das Besitzrecht ist mithin, auch wenn es verwirklicht wird, nicht von gleicher Offenkundigkeit wie die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter. Ebensowenig kann die Behauptung, das Besitzrecht werde aufgrund der Besitzüberlassung durch Dritte verletzbar, zu einer Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB fuhren. In Wahrheit ist nämlich eine Störung des Besitzrechts durch Dritte schon möglich, bevor der Berechtigte den Besitz erhalten hat. Beispiel: Wird die vermietete Sache vor der Besitzeinräumung zerstört, so geht das Gebrauchsrecht des Mieters unter, und der Mieter erleidet u.U. einen Nutzungsschaden. Wollte man im Recht zum Besitz, dem Nutzungsrecht, ein "sonstiges Recht" sehen, so müßte man auch hier dem Mieter einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zubilligen, denn ob ihm die Sache bereits überlassen war oder ob die Überlassung noch bevorstand, ist eine Zufälligkeit, die die Interessen der Beteiligten unberührt läßt und daher für die Frage des Schadensersatzes keine Rolle spielen kann.

197

5*

Vgl. auch Schick, § 21 2., S. 74.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

68

Ist die Besitzeinräumung - wie dargelegt - weder fur die Erkennbarkeit noch für die Verletzbarkeit des Besitzrechts oder die Schutzwürdigkeit des Berechtigten von Bedeutung, so wird deutlich, daß die Auffassung, die das Besitzrecht als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ansieht, auf den Schutz eines bloßen Forderungsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB hinausläuft. Der Hinweis, bei dem Recht zum Besitz handele es sich seiner Struktur nach um eine relatives Herrschaftsrecht, vermag daran nichts zu ändern. Das Besitzrecht wirkt nur im Verhältnis zum Eigentümer. 198 Ein Dritter ist an dieses Recht nicht gebunden, schon aus diesem Grund kann er bei einem Eingriff nicht zum Ersatz verpflichtet sein. 199 Ferner ist das Recht zum Besitz lediglich auf die Gewährung des Besitzes, u.U. auch des Gebrauchs und der Nutzungen gerichtet. Der Eigentümer ist aber z.B. nicht gehindert, die Sache an einen Dritten zu vermieten. Die Verletzung des Besitzrechts durch den Vertragspartner zeitigt die Rechtsfolgen der §§ 275 ff., 323 ff. BGB. Dies macht deutlich, daß die obligatorischen Besitzrechte keine unmittelbaren, sondern allenfalls eine mittelbare Herrschaft über die Sache gewähren. 200 Sie sind genausowenig Herrschaftsrechte wie andere Forderungsrechte, z.B. kaufvertragliche Verschaffüngsansprüche. Die Auffassung, die das Recht zum Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB betrachtet, ist also abzulehnen, weil sie mit den grundlegenden Wertungen des Deliktsrechts in Widerspruch steht.

bb) Eigentumsähnlichkeit des Besitzes Auch der vorherrschenden Meinung kann nicht gefolgt werden, sofern sie den bloßen Besitz als ein "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ablehnt, weil er nicht eigentumsähnlich sei. Wie bereits festgestellt, 201 kommt dem Besitz ein Zuweisungsgehalt zu. Ferner ist der Schutz des Besitzes auf

198 So auch Diederichsen, Das Recht zum Besitz aus Schuldverhältnissen, S. 93, der allerdings "relative Herrschaftsrechte" nach § 823 Abs. 1 BGB schützen will, da es nur darauf ankommen könne, ob der Täter in eine für ihn erkennbar fremde Herrschaftssphäre eingreife, S. 66 f. Jedoch kann die Frage, ob ein absolutes Recht vorliegt, nur nach materiellen Kriterien beurteilt werden. Das Publizitätsprinzip hat bei Fragen des Rechtscheins seinen Platz, nicht aber bei der Frage des deliktischen Besitzschutzes. Dies folgt schon daraus, daß es Besitz ohne Publizität gibt, z.B. im Fall des § 856 Abs. 2 BGB, Schick, § 21 2., S. 75. 199

Motive Bd. 2, S. 727, bei Mugdan Bd. 2, S. 406; RGZ 57, 353, 356 f.; Oertmann, S. 19 f.; kritisch dazu Boehmer, Grundlagen, I I / l , S. 171, Fabricius, AcP 160 (1961), S. 278 ff.; Rödig, S. 32 ff. 200

Vgl. Schick, §21 1., S. 73.

201

S.o. Β III 1 b bb.

IV.

.

als

tgeset im Sinne des § 823 Abs.

BGB

69

Dauer angelegt, also nicht nur vorläufiger Natur. 202 Man kann daher den Besitz durchaus als eigentumsähnlich bezeichnen. Des weiteren ist es dogmatisch nicht erklärbar, warum der durch ein obligatorisches Recht verstärkte Besitz ein "sonstiges Recht" sein soll, wenn gleichzeitig weder das obligatorische Recht noch der Besitz allein als ein solches Recht betrachtet werden. 203 Die possessorischen Rechte des Besitzers und das obligatorische Recht zum Besitz stehen nämlich, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen, nebeneinander.

cc) Ergebnis Allerdings muß beiden hier abgelehnten Auffassungen darin zugestimmt werden, daß die Berechnung des durch die Besitzstörung eingetretenen Schadens mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. 204 Allerdings sind diese Probleme nicht auf der Ebene des "sonstigen Rechts", sondern bei der Feststellung, ob ein ersatzfähiger Schaden vorliegt, zu lösen.205 Dies folgt schon daraus, daß auch Schäden des Besitzers denkbar sind, bei denen es auf ein Recht zum Besitz nicht ankommen kann. 206 Der Besitz ist daher ohne Rücksicht auf das Bestehen eines Rechts zum Besitz als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzuerkennen.

2. § 858 BGB als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB Der Streit darum, ob der Besitz ein "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist, büßt seine praktische Bedeutung weitgehend ein, wenn § 858 Abs. 1 BGB ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB ist: 207 Da § 858 BGB den Besitzer unabhängig vom Bestehen eines Rechts zum Besitz schützt, findet bei der Verletzung nichtberechtigten Besitzes dann zumindest § 823 Abs. 2 i.V.m. § 858 BGB Anwendung. Da mit dem Besitzschutz die Sicherung der Kontinuitätsinteressen des Besitzers bezweckt ist, 208 sind bei § 858 BGB die Voraussetzungen, die § 823 Abs. 2 202

S.o. Β III 1 b ee.

203

Schick, § 21 4., S. 76 f.; Rödig, S. 27.

204

Diese liegen allerdings nicht in der Bestimmung des pretium possessionis, s.u. 3.

205 Dies gilt insbesondere dann, wenn man mit der h.M. § 858 BGB als ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ansieht, dazu sogleich 2. 206

Nämlich beim Hafiungs- und Verwendungsschaden, dazu unten 3 c und d.

207

RGZ 59, 326, 328; RGRK/Steffen § 823 Rn. 33; Wieser JuS 1970, S. 559.

208

S.o. B U I 1 b aa (1) (d).

Β. Der Besitzbegriff des BGB

70

S. 1 BGB an ein Schutzgesetz stellt, erfüllt. 209 Jedoch wird von einem Teil der Literatur 210 die Einordnung des § 858 BGB als Schutzgesetz abgelehnt. Der Besitzschutz diene nur der vorläufigen Aufrechterhaltung der Position des Besitzers. Damit harmoniere ein Schadensersatzanspruch nicht. 211 Des weiteren wäre die Befristung der §§ 864, 861 Abs. 2 BGB gegenstandslos, wenn ein unrechtmäßiger Besitzer die Herausgabe der Sache gemäß §§ 823 Abs. 2, 249 S. 1 BGB noch nach drei, u.U. gar nach dreißig Jahren (§ 852 BGB) verlangen könnte. 212 Ferner wird ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB abgelehnt, weil er auch dem unberechtigten Besitzer zugute komme. 213 Schließlich wird angeführt, der Gesetzgeber habe Schadensersatzansprüche im Rahmen der Besitzschutzansprüche bewußt ausgeklammert. Sie dürften daher auch nicht über § 823 Abs. 2 BGB eingeführt werden. 214 Diese gegen eine Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB bei einer Besitzverletzung vorgebrachten Einwände können jedoch nicht überzeugen. Der Besitz ist nicht nur von vorläufiger Natur. 215 Selbst wenn er es wäre, spräche dies nicht gegen einen Schadensersatzanspruch: Warum sollte, auch wenn das Gesetz dem Besitzer die Besitzposition nur vorläufig zuweist, eine Verletzung dieser Position keinen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen? Ein vernünftiger Grund ist dafür nicht ersichtlich. Es genießen ja auch andere vorläufige Posi-

209

So auch die h.M., RGZ 170, 1, 6; BGHZ 20, 169, 171 m.w.N.; 79, 232, 237; MünchKomm/Mertens § 823 Rn. 124; Palandt/Thomas § 823 Rn. 145; RGRK/Steffen § 823 Rn. 33; Staudinger/Schäfer § 823 Rn. 101; Dulckeit, S. 17 f.; Honsell, JZ 1983, S. 532 f.; Wieser, JuS 1970, S. 559 f.; Pieper, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, S. 238 ff.; Schick, § 22, S. 81; Wieling, Festschrift für von Lübtow, S. 581 f. Allerdings kann nach Wieling der Besitzer aus § 823 Abs. 2 i.V.m.. § 858 BGB nur Wiedereinräumung des Besitzes, Beseitigung einer Störung und Unterlassen von Störungen verlangen. Ein weiterer Schadensersatzanspruch bestehe nach dem Schutzzweck des § 858 BGB nicht, da diese Vorschrift die Persönlichkeit des Besitzers, nicht aber dessen Vermögen schützen wolle. Siehe dazu bereits oben Β III 1 b aa(l)(b). 210

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 4 m.w.N.; Picker, AcP 176 (1976), S. 40, Fn. 39; von Caemmerer, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. 83; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, § 6, 3. b, S. 27 f.; Haase, JR 1981, S. 287; Medicus, AcP 165 (1965), S. 118 ff. Medicus und Haase führen als Begründung zu Unrecht an, § 858 BGB diene der Wahrung des Rechtsfriedens, s. dazu oben Β III 1 b a a ( l ) ( a ) . 211 Von Caemmerer, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. 83; Picker, AcP 176 (1976), S. 40, Fn. 39. 212 Von Caemmerer, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 2, S. 83; Eccius, Gruchot Beiträge 53 (1909), S. 8 ff.; Rödig, S. 14. 213

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 8, 4; Medicus, AcP 165 (1965), S. 137.

214

Vgl. Wieling, Festschrift für von Lübtow, S. 579.

215

S.o. B U I 1 bee.

IV. 2. § 858 BGB als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB

71

tionen wie z.B. das auflösend bedingte Sicherungseigentum vollen Schutz nach § 823 BGB. Auch die Befristung der §§861 Abs. 2, 864 BGB spricht nicht gegen einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 858 BGB. Verschiedene Ansprüche aus dem BGB können nämlich auch dann miteinander konkurrieren, wenn für sie unterschiedliche Verjährungsfristen gelten. 216 Sofern die Anknüpfungspunkte für die Ansprüche divergieren, bleibt bei dieser Konkurrenz auch die für jeden einzelnen Anspruch gesetzlich vorgesehene Verjährungsfrist bestehen. Die Besitzschutzansprüche setzen im Gegensatz zu § 823 BGB kein Verschulden voraus. Ferner sind sie durch den weitgehenden Ausschluß petitorischer Einwendungen (§ 863 BGB) privilegiert. Wenn das BGB diese begünstigten Ansprüche zeitlich beschränkt, so bedeutet dies nicht, daß eine gleiche Einschränkung auch für die an strengere Anforderungen gebundenen Rechte des Besitzers gelten muß oder daß diese ganz ausgeschlossen sind. 217 Daß möglicherweise auch der nichtberechtigte Besitzer in den Genuß eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB kommen kann, vermag am Charakter des § 858 BGB als Schutzgesetz nichts zu ändern. Zum einen handelt es sich bei diesem Einwand um eine Argumentation vom Ergebnis her, zum anderen kommt für den unberechtigten Besitzer ohnehin ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. 218 Ob und inwieweit dem unberechtigten Besitzer ein Schadensersatzanspruch zusteht, betrifft schließlich nicht die Einordnung des § 858 BGB als Schutzgesetz, sondern die Frage, ob dem nichtberechtigten Besitzer überhaupt ein Schaden entstanden ist. 219 Auch aus den Gesetzesmaterialien läßt sich nichts gegen die Annahme eines Schutzgesetzes entnehmen.220 Schadensersatzansprüche sollten nach den Motiven nur aus dem "possessorischen Verfahren" ausgeschieden werden. 221 Die Verletzung des § 814 E 1 (dem der § 858 BGB entspricht) sollte gleichwohl einen deliktischen Schadensersatzanspruch zur Folge haben.222 § 858 BGB ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

216

Schick, § 22, S. 82.

2,7

Heck, Sachenrecht, § 14, 8., S. 54 f.; vgl. auch Honsell, JZ 1983, S. 533 und Schick, § 22, S. 82. 218

S.o. 1.

219

Schick, § 22, S. 83, vgl. auch Wieser, JuS 1970, S. 559.

220

Pieper, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, S. 239. 221

Motive Bd. 3, S. 119, bei Mugdan, Bd. 3, S. 66.

222

Motive Bd. 3, S. 110, bei Mugdan, Bd. 3, S. 61.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

72

3. Schadensfragen Die mit der Feststellung des durch eine Besitzverletzung hervorgerufenen Schadens verbundenen Probleme können hier nur skizziert werden. Als Folge einer Besitzverletzung sind verschiedene Schäden des Besitzers denkbar: der sog. Substanzschaden, der sich aus dem Verlust des Sachwertes bei der Zerstörung oder Beschädigung der Sache ergibt, der sog. Nutzungsschaden, der aus der Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit folgt, der sog. Haftungsschaden, der entsteht, wenn der Besitzer aufgrund der Besitzverletzung durch einen Dritten selbst dem Eigentümer oder einem Vertragspartner schadensersatzpflichtig wird, ferner der Verwendungsschaden, der darin besteht, daß der Besitzer Verwendungen auf die Sache gemacht hat, die er vom Eigentümer nicht ersetzt verlangen kann, weil dieser die Sache nicht wiedererlangen kann (vgl. §1001 BGB), letztlich der Ersitzungsschaden, der mit der Einbuße der Ersitzungsmöglichkeit einhergeht.

a) Substanzschaden Der Substanzschaden trifft grundsätzlich nur den Eigentümer, nicht aber den Besitzer. Daher kann in der Regel nur der Eigentümer diesen Schaden geltend machen.223 Dies folgt schon daraus, daß der Schädiger sonst denselben Schaden zweimal ersetzen müßte. Anders ist es jedoch, wenn der Besitzer gegenüber dem Eigentümer zur Wiederherstellung der Sachsubstanz auf eigene Kosten verpflichtet ist. Beispiel: Ein Dritter zerstört das Werk eines Werkunternehmers, das dieser auf einem fremden Grundstück zu erbringen hat, vor der Abnahme.

Nach zutreffender Ansicht des BGH 2 2 4 haftet der Schädiger hier dem Besitzer für den Ersatz des Substanzschadens.

b) Nutzungsschaden Der Nutzungsschaden wird ermittelt, indem man die durch das schädigende Ereignis eingetretene Vermögenslage mit derjenigen vergleicht, die ohne dieses Ereignis bestehen würde. 225 Wie allgemein im Schadensrecht gilt auch hier die

223

Erman/Schiemann § 823 Rn. 43; RGRK/Steffen § 823 Rn. 33; Wieser, JuS 1970, S. 558; Schick, § 23 1., S. 83 f. 224

BGH NJW 1984, 2569, 2570 ("Spundbohlenfair).

225

Honsell, JZ 1983, S. 533, der den Begriff des Nutzungsschadens für entbehrlich hält.

IV. 3. Schadensfragen

73

Differenzhypothese. 226 Dadurch ist das Problem der Ermittlung des pretium possessionis überwunden. 227 Es sind diejenigen Vermögenseinbußen zu berücksichtigen, die der Besitzer konkret durch die Beeinträchtigung der Gebrauchsmöglichkeit erleidet. Dazu zählen z.B. die Kosten für die Anmietung eines Ersatzgegenstandes, aber auch entgangener Gewinn und Schäden, die adäquat kausal an anderen Rechtsgütern des Besitzers hervorgerufen werden. Beispiel: 22* Die Möbel des auf die Straße gesetzten Mieters werden durch Witterungseinflüsse beschädigt.

Ob der Besitzer über die konkreten Vermögenseinbußen hinaus auch eine abstrakt berechnete Entschädigung für entgangene Nutzungen verlangen kann, begegnet den gleichen dogmatischen Bedenken, die bei Eigentumsverletzungen gelten. 229 Äußerstenfalls wird man eine solche Entschädigung bei "Wirtschaftsgütern von zentraler Bedeutung für die eigene Lebenshaltung" zulassen dürfen. 230 Für die Ermittlung der konkreten Vermögenseinbuße und ggf. auch des Nutzungsentgangs kommt es zunächst auf ein Recht zum Besitz nicht an. Das Recht zum Besitz gibt nämlich keine Auskunft darüber, welcher Aufwand erforderlich ist, um den Zustand, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, herbeizuführen. So bemißt sich z.B. der Schaden eines Mieters, dem die Sache entwendet wird, nicht nach der Höhe des Mietzinses, den er für die Sache entrichtet hat, 231 denn den Mietzins muß er zahlen, gleichviel ob das schädigende Ereignis eintritt oder nicht. Der Schaden ergibt sich vielmehr daraus, daß der Mieter neue Mittel aufwenden muß, z.B. durch den Abschluß eines zweiten Mietvertrages, um in den Genuß der Gebrauchsvorteile zu kommen. Diesen zusätzlichen Aufwand kann er ersetzt verlangen. Ein Schaden des nichtberechtigten Besitzers läßt sich auch nicht mit der Begründung verneinen, das Fehlen des Besitzrechts beinhalte ein Nutzungsverbot. 232 Wer eine Sache vorläufig nutzt, tut etwas volkswirtschaftlich Sinnvolles. 233 Es gibt keinen Grund, warum das Gesetz dies grundsätzlich verbieten

226

Vgl. dazu Staudinger/Medicus § 249 Rn. 4 ff. m.w.N.; Soergel/Mertens Vor § 249

Rn. 41. 227 Honseil, JZ 1983, S. 533, Fn. 33; a.A. Mincke, JZ 1984, S. 863, der allerdings nicht den Besitz, sondern das Recht zum Besitz als verletzt ansieht und den Schaden in den vergeblichen Aufwendungen für dieses Recht sieht. 228

Vgl. dazu RG JW 1921, 1362.

229

S. dazu nur Medicus, BR, Rn. 824 ff.

230

In Anlehnung an BGHZ GSZ 98, 212.

231

So aber Mincke, JZ 1984, S. 863.

232

So aber Medicus AcP 165 (1965), S. 120 m.w.N.; Wieser, JuS 1970, S. 557 f.

233

Honseil, JZ 1983, S. 534.

Β. Der Besitzbegriff des BGB

74

sollte. Vielmehr geht es in den §§ 987 bis 993 BGB davon aus, daß der nichtberechtigte Besitzer aus der Sache Nutzungen zieht 234 und beläßt sie zum Teil sogar dem Besitzer. Ferner spiegeln sich die Kontinuitätsinteressen in der Nutzungsmöglichkeit der Sache wider. Wenn das Gesetz die Kontinuitätsinteressen des Besitzers ohne Rücksicht auf ein Recht zum Besitz schützt, muß dies auch für die damit eng verknüpfte Möglichkeit der Sachnutzung gelten. 235 Ein Schaden kann also nicht mit dem Hinweis auf das Fehlen eines Besitzrechts verneint werden. Jedoch muß sich der Geschädigte bei der Schadensfeststellung nach der Differenzhypothese die Vorteile anrechnen lassen, die im adäquaten Kausalzusammenhang zum schädigenden Ereignis stehen, sofern die Vorteilsausgleichung dem Geschädigten zumutbar ist, dem Zweck des Schadensersatzes entspricht und den Schädiger nicht unbillig entlastet.236 Hier kommen die an der Sache bestehenden Nutzungsrechte zum Tragen: Wird dem nichtberechtigten Besitzer die Sache von dem Nutzungsberechtigten mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so erspart er, sofern er bösgläubig oder verklagt ist, die Herausgabe der Nutzungen, die er bei Verbleib der Sache in seinem Besitz gezogen hätte (§§ 987, 989 BGB). Weitere Haftungsvorteile können sich aus dem Wegfall des Verzugs des Besitzers oder einer Entschädigungspflicht gemäß § 557 BGB ergeben. Auch an Ansprüche des Berechtigten aus Geschäftsanmaßung ist zu denken. Durch die Anrechnung der Haftungsvorteile ist ein Anspruch des Besitzers gegen den Nutzungsberechtigten (z.B. dem Eigentümer) weitgehend ausgeschlossen.237 Nur soweit der Schaden des Besitzers die Haftungsvorteile übersteigt, kommt ein Ersatzanspruch in Betracht. 238

234

Honseil, JZ 1983, S. 534.

235

Vgl. auch Pieper, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, S. 248 f. 236

BGHZ 8, 325, 329; 30, 29, 33; 91, 206, 210; Palandt/Heinrichs Vorbem. vor § 249 Rn. 119 f.; kritisch zu den Kriterien der Rechtsprechung Staudinger/Medicus § 249 Rn. 146; Soergel/Mertens Vor § 249 Rn. 212 ff. 237 Ausfuhrlich zur Anrechnung von Haftungsvorteilen: Honsell, JZ 1983, S. 534. Im Ergebnis ähnlich, aber unter Anwendung von § 242 BGB Pieper, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, S. 254 ff. 238

Das von Medicus, BR, Rn. 607, angesprochene Problem, ohne Rücksicht auf die hinter dem Besitz stehende Befugnis sei nicht zu entscheiden, für welche Dauer der Eigentümer dem wirksam gekündigten und gewaltsam auf die Straße gesetzten Mieter die Kosten für die Hotelübernachtungen ersetzen muß, stellt sich daher regelmäßig nicht. Nur in Extremfällen kann ein Anspruch des nichtberechtigten Besitzers in Betracht kommen. - Beispiel: Der einzige verfugbare Wohnraum ist die Luxussuite eines Nobelhotels. Der Eigentümer ist durch die Schadensminderungspflicht des Mieters (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB) geschützt: Der Mieter muß so schnell wie möglich preiswerteren, seiner früheren Wohnung entsprechenden Wohnraum beziehen. Dadurch entfällt dann die Haftung des Eigentümers. Sofern der Besitzer eine Räumungsfrist gemäß

IV. 3. Schadensfragen

75

Diese Lösung beachtet sowohl die berechtigten Interessen des materiell Berechtigten als auch das Interesse des Besitzers am Schutz vor Nacht- und Nebelaktionen.239 Es ist durchaus angemessen, daß der Eigentümer einer Sache, der sich, ohne durch ein Selbsthilferecht (§ 229 BGB) oder einen sonstigen Rechtfertigungsgrund berechtigt zu sein, über das Verbot der Eigenmacht hinwegsetzt und dadurch einen Schaden hervorruft, der seine eigenen gesetzlich geschützten Vermögensinteressen übersteigt, dem Besitzer haftbar ist. Der Eigentümer hätte seine Schadensersatzpflicht vermeiden können, wenn er auf die gesetzlich vorgesehene Herausgabeklage zurückgegriffen hätte. 240 Ferner läßt sich die Frage, ob der unberechtigte unverklagte redliche Besitzer, der die Sache entgeltlich erhalten hat, seinen Nutzungsschaden geltend machen kann, mit Hilfe des hier gewonnenen Lösungsansatzes ohne Probleme bejahen. Dieser Besitzer hätte die weiteren Nutzungen behalten dürfen, § 993 Abs. 1 BGB. Der Besitzer erhält durch die Wegnahme der Sache also keinen Haftungsvorteil. Die Nutzungen können daher vom Schadensersatzanspruch des Besitzers nicht abgezogen werden. 241 Der Anspruch aus § 823 BGB befindet sich im Einklang mit § 1007 Abs. 3 S. 2 BGB, der durch den Verweis auf §§ 989, 990 BGB einen schadensersatzrechtlichen Schutz des Besitzers, der den Besitz redlich erworben hat, bewirkt. 242 Man könnte der hier vertretenen Ansicht entgegenhalten, daß u.U. auch dem Dieb ein Anspruch aus § 823 BGB zustehen könnte, wenn der Eigentümer die Sache gewaltsam wieder an sich nimmt. Jedoch ist hier zu berücksichtigen, daß der Dieb für die Dauer eines Jahres dem besitzrechtlichen Herausgabeanspruch des Berechtigten aus § 861 BGB ausgesetzt ist 243 und daher auch ein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung des Diebesbesitzes entfallen muß. Ferner unterliegt der Dieb von vornherein einer verschärften Haftung. Er muß sämtliche Nutzungen herausgeben (§§ 987, 990 BGB), außerdem ist das Deliktsrecht mit einer verschärften Haftung anwendbar (§§ 992, 848 BGB). Ein Schadensersatzanspruch des Diebes wird daher praktisch fast immer an den überwiegenden Haftungsvorteilen scheitern. Zudem werden häufig die Voraussetzungen

§§ 721, 765a ZPO hätte beanspruchen können, muß er sich selbstverständlich keine Haftungsvorteile anrechnen lassen. 239

Honseil, JZ 1983, S. 534.

240

Vgl. Pieper, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, S. 252. 241 Hingegen ist die von Medicus, AcP 165 (1965), S. 121 und BR, Rn. 607, vertretene Begründung, die Nutzungen seien diesem Besitzer endgültig zugewiesen, bedenklich. § 993 BGB spricht nämlich nur die gezogenen Nutzungen dem Besitzer zu, nicht aber die zukünftigen, vgl. BGHZ 79, 232, 238; Wieser, JuS 1970, S. 557 f. 242

Vgl. Medicus, BR, Rn. 607.

243

Siehe dazu auch oben III 1 b aa (1) (d) (cc).

Β. Der Besitzbegriff des BGB

76

der Selbsthilfe erfüllt sein. Die seltenen Fälle, 244 in denen ausnahmsweise ein Anspruch besteht, können nicht verwundern, denn der Dieb ist in unserer Rechtsordnung nicht rechtlos. 245 Sofern dem Besitzer die Sache nicht vom Eigentümer, sondern von einem nichtberechtigten Dritten entwendet wird, gelten grundsätzlich die gleichen Erwägungen. Hätte der Besitzer die Nutzungen dem materiell Berechtigten herausgeben müssen, so erlangt er einen Haftungsvorteil, wenn er die Nutzungen nun nicht mehr ziehen kann. Der Schadensersatzanspruch ist um den Wert dieser Nutzungen zu kürzen. 246 Der Schädiger wird dadurch nicht unbillig bevorzugt, denn er ist dem materiell Berechtigten nun seinerseits schadensersatzpflichtig. Allerdings kann der Haftungsvorteil nur dann berücksichtigt werden, wenn der materiell Berechtigte den Besitzer tatsächlich in Anspruch genommen hätte. Ist dies nicht der Fall, etwa weil der Eigentümer unbekannt ist, so kann der Anspruch des Besitzers nicht gekürzt werden. Das schädigende Ereignis ist für die Entlastung des Besitzers nicht kausal. Insbesondere der Besitzer herrenloser Sachen ist somit umfassend geschützt.

c) Haftungsschaden Der Haftungsschaden besteht darin, daß der Besitzer schadensersatzpflichtig wird, weil er seine gegenüber dem Eigentümer oder einem Vertragspartner bestehende Pflicht zur Herausgabe der unversehrten Sache infolge der Besitzverletzung durch einen Dritten nicht erfüllen kann. Er ist dem Besitzer nach zutreffender Ansicht unabhängig vom Bestehen eines Rechts zum Besitz zu

244

Man kann hier wiederum an den Dieb denken, dem der Eigentümer bei klirrender Kälte den gestohlenen Anzug nach Jahresfrist abnimmt; vgl. oben III 1 b aa (1) (d) (cc). Erleidet er eine Lungenentzündung, wird u.U. eine teure Heilbehandlung erforderlich, die den Schaden des Eigentümers, den er bei Fortdauer des Eigentumsentzuges erlitten hätte, übersteigt. 245

Dazu bereits oben III 1 b aa (1) (d) (cc) a. E. Teilweise wird ein Anspruch des deliktischen Besitzers mit der Begründung verneint, der Dieb begehe mit jeder weiteren Nutzung der Sache einen verbotenen Eingriff in das Eigentum. Auf verbotenes Handeln könne man eine Schadensrechnung nicht stützen. So z.B. Honseil, JZ 1983, S. 535. Dabei wird jedoch übersehen, daß auch der Dieb ein vollwertiger Besitzer ist und er nach einem Jahr vollkommenen Besitzschutz genießt. - Für das Verhältnis des Diebes zu Dritten weist Lopau, JuS 1980, S. 506 zutreffend daraufhin, daß es keinen Grund gibt, den Dieb eines Diebes zu privilegieren, nur weil der Bestohlene selbst nichtberechtigter Besitzer war. 246 Honsell, JZ 1983, S. 535; anders Lopau, JuS 1980, S. 506 für den Anspruch des bestohlenen Diebes. Allerdings geht Lopau davon aus, daß der bestohlene Dieb nach der Wertung des § 848 BGB dem Eigentümer auch für die weitere Nutzung verantwortlich bleibt.

IV. 3. Schadensfragen

77

ersetzen. 247 Jeder Besitzer hat nämlich ein Interesse daran, durch die Rückgabe der unversehrten Sache einen Schadensersatzanspruch des materiell Berechtigten abzuwehren. Dieses Interesse ist durch den Besitz und durch § 858 BGB 2 4 8 gesetzlich geschützt.249 Solange der Besitzer seiner Schadensersatzpflicht nicht nachgekommen ist, ist sein Anspruch gegen den Störer nur auf Befreiung von der Haftungsverbindlichkeit gerichtet. 250

d) Verwendungsschaden Der Verwendungsschaden ergibt sich aus der Beeinträchtigung eines Rechts, das dem Besitzer wegen Verwendungen, die er auf die Sache gemacht hat, zusteht. Dabei kann es sich um einen Ersatzanspruch, ein Wegnahme-, Zurückbehaltungs- oder Verwertungsrecht handeln.251 Auch den Verwendungsschaden kann der Besitzer unabhängig von einem Recht zum Besitz ersetzt verlangen, 252 denn das Gesetz gesteht auch dem nichtberechtigten Besitzer Verwendungsersatzansprüche ausdrücklich zu, §§ 994 ff. BGB. Ein Schadensersatzanspruch kommt unabhängig davon in Betracht, ob der Eingriff in den Besitz von einem Dritten oder vom Besitzberechtigten, insbesondere dem Eigentümer, ausgeht.253

e) Ersitzungsschaden Der Besitzer kann den Schaden, der sich aus der Entziehung der Ersitzungsmöglichkeit (§§ 900, 937, 1033 BGB) ergibt, nicht geltend machen.254 Weder

247 Medicus, AcP 165 (1965), S. 122 f.; Wieser, JuS 1970, S. 558; Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900, S. 194 f.; einschränkend Mincke, JZ 1984, S. 865 f. 248 A.A. Schick, § 23 1. b, S. 84 mit der Begründung, § 858 BGB schütze nur das tatsächliche Haben der Sache, nicht aber die Vermögensinteressen des Besitzers. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Besitzschutz der Wahrung des Kontinuitätsinteresses, also einem Vermögensinteresse des Besitzers, dient. 249

Vgl. Medicus, AcP 165 (1965), S. 123.

250

Medicus, AcP 165 (1965), S. 145 f.

251

Wieser, JuS 1970, S. 558.

252

Medicus, AcP 165 (1965), S. 124 f.; Wieser, JuS 1970, S. 558; a.A. hinsichtlich des Zurückbehaltungsrechts Mincke, JZ 1984, S. 866. 253

Die Zurückbehaltungs- und Wegnahmerechte stehen dem Besitzer ja gerade gegen den Eigentümer zu, Medicus, AcP 165 (1965), S. 133. Der Schaden, der in dem Verlust des Ersatzanspruchs besteht, kann allerdings nur von einem Dritten verursacht werden, vgl. § 1001 S. 1 BGB. 254 Medicus, AcP 165 (1965), S. 125 f.; Wieser, JuS 1970, S. 558; a.A. Heck, Sachenrecht, § 14, 8.; von Caemmerer, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deut-

Β. Der Besitzbegriff des BGB

78

der Besitz und der Besitzschutz noch die Vorschriften über die Ersitzung rechtfertigen einen Schadensersatzanspruch des Besitzers. Das durch den Besitz geschützte Kontinuitätsinteresse umfaßt nur den Fortbestand der gegenwärtigen Besitztatbestände, nicht aber einen zukünftigen Eigentumserwerb. Dies muß insbesondere dann gelten, wenn der Besitz so unsicher ist wie bei der Ersitzung. Die Regeln über die Ersitzung gewährleisten einen Kontinuitätsschutz erst mit Eintritt des Eigentumserwerbs, nicht aber schon im Zeitpunkt der Besitzverletzung. Nach dem Ablauf der Ersitzungszeit paßt das Gesetz die Rechtslage den tatsächlichen Umständen an. Daraus kann nicht gefolgert werden, daß der Besitzer auch schon vorher eine deliktisch geschützte Erwerbsposition erlangen soll. 255 Der Ersatz des Ersitzungsinteresses muß noch an einer anderen Erwägung scheitern: Bis zum Ablauf der Ersitzungszeit bleibt das ursprüngliche Eigentum voll erhalten. Der Schädiger haftet daher dem Eigentümer bereits in Höhe des Sachwertes. Müßte er darüber hinaus auch für das verletzte Ersitzungsinteresse des Besitzers aufkommen, träfe ihn eine doppelte Schadensersatzverpflichtung. Dies wäre ein unbilliges Ergebnis. 256

4. Ergebnis Am Beispiel der deliktischen Haftung für Besitzverletzungen hat es sich gezeigt, daß die Qualifizierung des Besitzes als absolutes und subjektives Recht in der praktischen Rechtsanwendung nicht nur zu sachgerechten Ergebnissen führt, sondern diese Ergebnisse auch dogmatisch überzeugend begründen kann. Die Einordnung des Besitzes als subjektives absolutes Recht ist daher den Auffassungen vorzuziehen, die im Besitz entweder nur ein tatsächliches Verhältnis sehen oder nur den berechtigten Besitz als ein von § 823 BGB geschütztes subjektives Recht betrachten.

sehen Juristentages, Bd. 2, S. 83; Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. 2, § 55 I 2 b, S. 550; Siber, S. 451. 255

Medicus, AcP 165 (1965), S. 126; Wieser, JuS 1970, S. 558.

256

Vgl. Medicus, AcP 165 (1965), S. 125 f.

C. Die Besitztatbestände Die bisherige Untersuchung beschäftigte sich vorwiegend mit den Rechtsfolgen, die v o m B G B als "Besitz" bezeichnet werden. Dabei wurde - unter Zugrundelegung einer grammatischen und teleologischen Betrachtung der §§ 854 ff. B G B - i m Besitz ein subjektives Recht erkannt, das dem Schutz individueller Kontinuitätsinteressen dient und dem Besitzer das "Haben" der Sache zuweist. Es ist in seiner Struktur dem Eigentum vergleichbar. Die folgenden Kapitel gelten der Tatbestandsseite des Besitzes. Es kann schon an dieser Stelle festgestellt werden, daß das Gesetz keine Umschreibung des Besitztatbestandes enthält. Es regelt vielmehr nur Besitzerwerbs- (§§ 854, 857, 868, 870, 871 B G B ) und -verlustgründe (§§ 856, 870 B G B ) , nicht aber die Aufrechterhaltung des Besitzes; ein Befund, der die Qualifizierung des Verhältnisses zwischen Besitzer und Sache als Rechtsverhältnis 1 bestätigt. Es geht nun darum, die Voraussetzungen für den Besitzerwerb und -verlust zu ermitteln.

I. Der Besitzerwerbstatbestand des § 854 Abs. 1 BGB Nach § 854 Abs. 1 B G B ist die Erlangung der tatsächlichen Gewalt die einzige Voraussetzung für den Erwerb des Besitzes. Das subjektive Recht "Besitz" wird danach anscheinend durch einen einzelnen Vorgang in der Tatsachenwelt begründet. Diese auf den ersten B l i c k eindeutige und einfache Bestimmung bereitet bei ihrer praktischen Anwendung nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Schon die Frage, was unter "tatsächlicher Gewalt" zu verstehen ist, läßt sich nicht leicht beantworten. Legt man den allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde, ist die Umschreibung als natürliche körperliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache naheliegend. Es ist aber eine Vielzahl von Beziehungen zwischen einer Person und einer Sache denkbar, die zwar allesamt als besitzrechtlich schutzwürdig erscheinen, die aber ganz unterschiedlich starke Einwirkungsmöglichkeiten vermitteln: So hat der Finder, der die auf der Straße liegende Taschenuhr an sich nimmt, zweifellos die tatsächliche Sachherrschaft über sie und Besitz an ihr. Aber auch dem Urlauber, der auf einem Berggipfel in den Alpen die Sonne genießt, möchte man Besitz an dem Brief, der vom Postboten zu Hause im Ruhrgebiet in seinen Briefkasten eingeworfen wird, zuerkennen, obwohl er zur Zeit tatsächlich nicht auf ihn einwirken kann. Umgekehrt gibt es

1

Siehe oben Β III 2.

C. Die Besitztatbestände

80

Fälle, in denen man das Vorliegen von Besitz verneinen möchte, obwohl ohne Zweifel ein Verhältnis tatsächlicher Sachherrschaft zu bestehen scheint. Z.B. wird man dem zum Essen eingeladenen Gast wohl kaum das Recht zugestehen wollen, den Stuhl, auf dem er sitzt oder das Besteck, das er in seinen Händen hält, gegenüber dem Gastgeber mit Gewalt (§ 859 BGB) zu verteidigen. Diese Beispiele erhellen, daß es für den Besitzerwerb und mithin auch für die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft i.S. des § 854 Abs. 1 BGB auf die körperliche Einwirkungsmöglichkeit allein nicht ankommen kann. Einerseits ist sie nicht zwingend erforderlich, andererseits reicht sie aber auch nicht aus. Zu der Einwirkungsmöglichkeit müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die ihr die Macht verleihen, Besitz zu vermitteln oder die sie sogar weitgehend ersetzen. Welche dies sind, sagt das Gesetz nicht. Es verschweigt auch, ob zum Besitzerwerb - ähnlich wie zum Eigentumserwerb - ein rechtsgeschäftlicher Erwerbswille vorliegen muß. Schließlich hat in neuerer Zeit nicht zuletzt die enge Verknüpfung von Sachherrschaft und Besitz in § 854 Abs. 1 BGB als Anlaß gedient, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu bezweifeln: § 854 BGB sei nur für den Schutz eines räumlich aufgefaßten Herrschaftsverhältnisses relevant, während für den Eigentumserwerb der von der tatsächlichen Sachherrschaft gelöste Eigenbesitz des gemeinen Rechts maßgeblich sei.2 Eigenbesitz werde begründet, wenn der Erwerber beginne, über die Sache wie über eine eigene zu bestimmen.3 Diese Probleme können - anders als die des ersten Teils, deren Lösungen sich unmittelbar aus den gesetzlich normierten Rechtsfolgen des Besitzrechts ergeben haben - ohne einen vorherigen Blick in die Rechtsgeschichte nicht angemessen gelöst werden. Die Regelung des § 854 Abs. 1 BGB ist nämlich das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, der vom Einfluß der römischen und der germanischen Rechtskultur und von sich wandelnden wirtschaftlichen Bedürfnissen geprägt ist. Wegen des engen Sachzusammenhangs ist es bei diesem rechtsgeschichtlichen Rückblick unvermeidlich, auch auf andere Besitztatbestände einzugehen.

2 Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 2, S. 25 ff.; vgl. aber dort auch S. 44 vor V. 3

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 3 I, S. 49.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

81

1. Rechtsgeschichtlicher Überblick über die Bedeutung der tatsächlichen Sachherrschaft für den Besitz a) Das römische Recht Das klassische römische Besitzrecht hat sich aus zwei Wurzeln entwickelt: 4 Die eine Wurzel des römischen Besitzrechts entstammt dem ius civile. Es ist die tatsächliche Gewalt, die für die Beklagtenrolle im altrömischen Prozeß bestimmend war und die zur Ersitzung (usucapio) fuhren konnte. Im XII-TafelSatz über die Ersitzung wird diese Gewalt als "usus" bezeichnet. Auf diesen Besitz geht die possessio civilis, der Ersitzungsbesitz, zurück. Die andere Wurzel liegt in der Herrschaftsmacht, die der einzelne Hausvater (paterfamilias) an dem ihm von der Sippe (gens) zur Bewirtschaftung überlassenen Agrarland hatte. Später, nach der Rückbildung der gentes, wurde das nunmehr staatliche Land (ager publicus) dem paterfamilias durch den Staat zugewiesen. Gleichzeitig wurde die Gewalt, die der einzelne am ager publicus hatte, durch prätorische Interdikte gegen eigenmächtige Störung und Entziehung geschützt. Dieser sogenannte Interdiktenbesitz, der als "possessio" bezeichnet wird, 5 gehört daher dem ius honorarium an. Im Laufe der Zeit wird der Interdiktenschutz weiter ausgedehnt, z.B. auf den ager privatus und auf bewegliche Sachen. Sowohl der Interdiktenbesitz als auch die civilis possessio setzten das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft voraus, 6 an die im Laufe der rechtsgeschichtlichen Entwicklung allerdings immer geringere Anforderungen gestellt wurden. 7 Beispiel: Der Besitz an einem Sklaven, der sich auf einer Flucht befindet, bleibt bestehen, solange kein anderer Besitz ergreift (Paulus D. 41, 2, 1, 14).

4

Vgl. dazu Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, S. 140 f., S. 385 ff. und Römisches Privatrecht, Studienbuch, S. 94 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 183; zurückhaltend hinsichtlich eines Nebeneinanders und einer Verschmelzung beider Wurzeln Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 55 I, S. 132. 5

Der passende Ausdruck possessio ad interdictum findet sich in den Quellen nicht, Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 55 II 3, S. 134. 6

Zu den Voraussetzungen des Interdiktenbesitzes Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, S. 387 ff. und Römisches Privatrecht, Studienbuch, S. 95 ff.; Hausmaninger/Selb, S. 184 f f ; Honsell/Mayer-Maly/Selb, §55 113, S. 134 f. und § 55 IV, S. 135 ff. Zu denen der possessio civilis Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, S. 385 f. und Römisches Privatrecht, Studienbuch, S. 95; Hausmaninger/Selb, S. 184; Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 55 II 2, S. 134. 7

Vgl. Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 5 6 1 3 , S. 138 f., §5611, S. 141; Hausmaninger/Selb, S. 187; Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, S. 391 f.; Käser, Das römische Privatrecht, 2. Abschnitt, S. 254 f. zum justinianischen Vollbesitz. Siehe auch Wesener, Festschrift für Käser, S. 165 ff. zu den Anforderungen an den Fortbestand einmal begründeten Besitzes. 6 Härtung

C. Die Besitztatbestände

82

Neben der Herstellung tatsächlicher Sachgewalt (corpus), war für den Besitzerwerb der natürliche Wille des Besitzers (animus) erforderlich, die Sache faktisch zu beherrschen. Da die Römer diese beiden Elemente als eine Einheit betrachteten, mußte der Besitzwille im Akt der Bemächtigung seinen Ausdruck finden. 8 Auch für den Fortbestand des Besitzes bedurfte es grundsätzlich der Aufrechterhaltung von animus und corpus. Jedoch begnügte sich das römische Recht für den Besitz mit dem Erfordernis der mit Besitzwillen ausgeübten tatsächlichen Sachherrschaft nicht. Für die possessio civilis war es außerdem erforderlich, daß der Besitz auf einer iusta causa beruhte, d.h. der Besitz mußte aus einem Rechtsgrund erworben sein, der den Eigentumserwerb nach ius civile rechtfertigte. Ebenso genossen nur besonders qualifizierte Besitzer Besitzschutz durch Interdikte. Zu diesen Besitzern gehörten: der Eigenbesitzer, d.h. derjenige, der die Sache mit dem Willen besaß, sie für sich zu haben und zu behalten, ohne einen fremden Herausgabeanspruch anzuerkennen (z.B. der Eigentümer, aber auch der Räuber und der Dieb), des weiteren der Prekarist, d.h. derjenige, der die Sache auf jederzeitigen, freien Widerruf zur Nutzung oder zum Gebrauch erhalten hatte, ferner der Faustpfandgläubiger, der Erbpächter und der Sequester. Der Inhaber der Sache war also nur dann possessor im technischen Sinne, wenn zu der tatsächlichen Sachherrschaft weitere Umstände hinzutraten. Fehlten sie, so waren an die Sachherrschaft keinerlei Rechtsfolgen geknüpft. Die Klassiker sprechen dann von einer naturalis possessio,9 zuweilen aber auch von possidere oder von in possessione esse.10 Diese naturalis possessio mögen die römischen Juristen im Auge gehabt haben, wenn sie sagten, der Besitz sei eine res facti, non iuris (PaulusD. 41, 2, l , 3 ) u Unter Justinian wurde als die wahre, echte possessio nur der mit dem animus domini verbundene Besitz angesehen. Possessio hatte nur der redliche Eigenbesitzer, der die Willenshaltung aufwies, die ein Eigentümer zu seiner Sache hat.12 Gleichzeitig wurde die possessio weitgehend vom Erfordernis der tatsächlichen Sachherrschaft gelöst. Die possessio konnte allein auf den Willen

8

Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, § 95 II, S. 391 f.

9

Julian D. 41, 5, 2,1.

10 Vgl. Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, § 94 II 2, S. 386 und § 94 IV, S. 389 f. 11 Vgl. Hausmaninger/Selb, S. 186 f. Die römischen Juristen kannten die rechtlichen Wirkungen des Besitzes, was besonders zum Ausdruck kommt, wenn sie von dem ius possessionis sprechen (z.B: Papinian D. 41, 2, 44 pr., Ulpian D. 43, 8, 2, 38); dazu Wesener, Festschrift für Käser, S. 159 ff. und oben Β I, Fn. 6. 12

Käser, Das römische Privatrecht, 2. Abschnitt, S. 252.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

83

(animus) gestützt werden. 13 Die schon bei den Klassikern vorhandene Ausgestaltung des Besitzes als Recht wurde vorangetrieben und verdeutlicht. 14 Als Fazit der Betrachtung des römischen Rechts ergibt sich: Im vorklassischen und klassischen römischen Recht ist für den Besitzerwerb die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft zwar weitgehend zwingende Voraussetzung, sie ist allein jedoch nicht ausreichend, um Rechtsfolgen des Besitzes entstehen zu lassen. Maßgeblich ist vielmehr, daß die Sachherrschaft zu einem eigenen, bestimmten, meist wirtschaftlich motivierten Zweck, nämlich zur Nutzung (beim Eigenbesitzer, beim Prekaristen und beim Erbpächter) oder zur Verwertung (beim Faustpfandgläubiger) oder zur Verwahrung (beim Sequester) ausgeübt wird. In nachklassischer Zeit ersetzt schließlich sogar der redliche Wille, die Sache als Eigentümer zu besitzen, das Erfordernis tatsächlicher Sachherrschaft.

b) Das germanische Recht Die Funktionen, die der Besitz im römischen Recht hatte, wurden im germanischen Recht von der Gewere erfüllt, dem zentralen Institut des deutschen Sachenrechts.15

aa) Bedeutung der Gewere Die Gewere war für das deutsche Recht bedeutsamer als die possessio für das römische. Sie diente dem im deutschen Recht verwurzelten Publizitätsprinzip, nach dem die an einer Sache bestehenden Herrschaftsverhältnisse äußerlich kundbar gemacht werden mußten. Durch die Gewere wurde ein an der Sache bestehendes dingliches Recht zum Ausdruck gebracht. 16 Dieses Recht konnte mit Hilfe der Gewere verteidigt (Rechtsverteidigungswirkung), erobert (Rechtsverwirklichungswirkung) oder übertragen (Rechtsübertragungswirkung) werden.17

13

Käser, Das römische Privatrecht, 2. Abschnitt, S. 254.

14

Wesener, Festschrift für Käser, S. 159, 176 ff.

15

Ogris, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 1, Sp. 389 f. und Sp. 1658 ff, 1667. 16

O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 II, S. 189 bezeichnet die Gewere als "Kleid des Sachenrechts". 17 Zu den Wirkungen der Gewere Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1665 f.; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 IV, S. 209 ff; 0 . Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 IV, S. 203 ff

6*

C. Die Besitztatbestände

84

Jedoch bestand die Gewere auch dann, wenn kein dingliches Recht an der Sache, sondern nur der Anschein eines solchen gegeben war. Von der Gewere wurde in diesem Fall auf das Bestehen eines entsprechenden dinglichen Rechts geschlossen (Legitimationswirkung). 18 Die Gewere und der mit ihr verbundene Rechtsschein konnten nur durch ein Gerichtsurteil, das das fremde dingliche Recht feststellte, gebrochen werden. Bis dies geschah, genoß der Inhaber alle mit der Gewere verbundenen Vorteile. Die Gewere erzeugte also unabhängig vom Vorliegen eines Rechtsgrundes Rechtswirkungen. Sie war daher ein Recht, nämlich ein (vorläufiges) Recht zur Ausübung eines dinglichen Rechts, dessen Bestand zunächst vermutet wurde. 19 Anders als das römische Recht kannte das germanische Recht keinen eigenständigen Besitzschutzprozeß. Über die Gewere wurde als eine Vorfrage im Verfahren um das dingliche Recht entschieden. Der Inhaber der Gewere kam für den weiteren Prozeß in den Genuß besonderer Beweisvorteile. 20

bb) Die Arten der Gewere und deren Erwerb Die an einer Sache möglichen Arten der Gewere und deren Voraussetzungen waren davon abhängig, ob es sich um eine bewegliche Sache (Fahrnis) oder um eine Liegenschaft handelte.

(1) Fahrnisrecht Die Gewere an Fahrnis 21 setzte die tatsächliche Gewalt über die Sache voraus, was gleichbedeutend mit dem "Haben" der Sache, dem Gewahrsam, war. Ferner mußte mit der Machtausübung die Behauptung eines bestehenden dinglichen Rechts verbunden sein. Z.B. wurde daher der Verwalter einer Sache nicht als Gewereinhaber angesehen.22 Wie bereits erwähnt, war es allerdings

18

Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1667; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 IV 1, S. 209. 19

Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1660. Auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 II 3 a, S. 120 bezeichnet die Gewere als ein Recht an der Sache. A.A. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 VII, S. 221 : Die Gewere sei ein Formalbegriff gewesen. 20

O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2 § 113 V, S. 208 f.

21

Vgl. dazu Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1660 ff.; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, §57 I, S. 430 f.; O.Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 a, S. 190 ff. 22

O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 a, S. 191 m. N.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

85

nicht erforderlich, daß dieses Recht wirklich existierte. Daher konnten auch Räuber oder Diebe Inhaber der Gewere sein.23 Die Gewere an Fahrnis endete mit dem Verlust der tatsächlichen Gewalt. Jedoch konnte der Gewereinhaber die Sache von dem Entwerer oder auch von einem unschuldigen Dritte (im sog. Anefangverfahren) herausverlangen, sofern sie ihm gestohlen oder geraubt worden war. Seit dem Frühmittelalter bestand diese Möglichkeit auch bei auf andere Weise abhanden gekommenen, d.h. unfreiwillig verlorenen Sachen.24 Die Grundlage dieser Klage wird vielfach nicht in den Regeln des Gewererechts erblickt, da die Gewere mit dem Verlust der tatsächlichen Gewalt ende, sondern vielmehr in dem mit dem Gewerebruch einhergehenden Friedensbruch gesehen.25 Nach dieser Auffassung handelt es sich also um eine Klage aus Delikt. Jedoch begegnet diese "Friedenstheorie" im germanischen Recht den gleichen Bedenken wie im geltenden Recht 26 . Es ist insbesondere nicht ersichtlich, worin ein Friedensbruch bestehen soll, wenn eine Sache verlorengegangen ist oder sich in den Händen eines gutgläubigen Dritten befindet.

Jedenfalls ist festzustellen, daß die Gewere an Fahrnis - gleich dem Besitz im geltenden Recht - auch nach der Beendigung des tatsächlichen Gewaltverhältnisses Rechtswirkungen erzeugt. Sie hat sich also von ihrer tatsächlichen Grundlage gelöst. Dies steht im Einklang mit der späteren rechtsgeschichtlichen Entwicklung: Gegen Ende des Mittelalters wurde die Gewere bei unfreiwilligem Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft als fortbestehend betrachtet. 27

(2) Liegenschaftsrecht Im Liegenschaftsrecht nahm die Entwicklung der Gewere einen anderen Verlauf als im Fahrnisrecht. Insbesondere hatte das Erfordernis der tatsächlichen Sachherrschaft eine noch geringere Bedeutung. Für das Bestehen der Gewere war nicht das "Haben" des Grundstücks, sondern seine wirtschaftliche

23 Sog. "raubliche Gewere", O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 a, S. 191, vgl. aber auch Ogris. HRG, Bd. 1, Sp. 1661 f. 24

Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1661.

25

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 58 I 2 f, S. 443 f. m. w. N. (S. 443 Fn. 4); Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1661; anders Meyer, Entwerung und Eigentum, der die Grundlage des Anefangverfahrens in der Offenkundigkeit des Gewerebruchs sieht, vgl. insbesondere §§ 3, 6 ff. 26

Siehe dazu oben Β I I I 1 b aa (1) (a).

27

Str., Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1661.

86

C. Die Besitztatbestände

Nutzung maßgeblich.28 Wer als dinglich Berechtigter das Grundstück unmittelbar bewirtschaftete (ζ. B. als freier Bauer, Pächter oder Vasall) hatte sog. ledigliche - nach modernem Sprachgebrauch unmittelbare - Gewere. Aber auch derjenige, der kraft Sachenrechts Abgaben oder Dienste aus dem Grundstück zieht und derjenige, der das Gut zur Fruchtziehung oder zum Gebrauch anderen überläßt und dafür Pacht- oder Mietzins erhält, nutzt das Grundstück wirtschaftlich. Diesen Personen (ζ. B. Leihgeber, Lehnsherren) wurde daher gleichfalls die Gewere zuerkannt. 29 Man kann sie als mittelbare Gewere bezeichnen.30 Sie ist der am gleichen Grundstück bestehenden unmittelbaren Gewere übergeordnet. Betrachtet man die tatsächliche Beziehung des Inhabers der mittelbaren Gewere zu seinem Gut, so muß man feststellen, daß sie sich sehr verflüchtigt hat. Nur in der Zahlung des Miet- oder Pachtzinses oder der Übergabe der von einem Dritten aus dem Grundstück gezogenen Früchte kann, aufgrund der damit zum Ausdruck gebrachten Respektierung der mittelbaren Gewere, allenfalls ein tatsächliches Verhältnis gesehen werden. In diesem Zusammenhang von einem tatsächlichen Sachherrschaftsverhältnis zu sprechen,31 ist jedoch wohl nicht möglich, ohne dem Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft Gewalt anzutun. Das Herrschaftverhältnis des Inhabers der mittelbaren Gewere beruht nämlich nicht auf Tatsachen, sondern auf Vorgängen der Gedankenwelt, d.h. auf rechtlichen Beziehungen. Die Inhaber der lediglichen Gewere entrichten ihre Abgaben nur, weil sie rechtlich dazu verpflichtet sind. Die Anerkennung mittelbarer Gewere verdeutlicht daher die Abkehr vom Erfordernis tatsächlicher Sachherrschaft für die Gewere. Eine weitere, vom Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft völlig unabhängige Form der Gewere hat das mittelalterliche germanische Recht mit der ideellen Gewere ausgebildet.32 Wem ein Grundstück durch gerichtliche Auflassung übertragen oder durch Gerichtsurteil zugesprochen wurde, hatte ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse auch die Gewere. Gleiches galt für denjenigen, der ein Grundstück durch Erbgang er-

28

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 1 a, S. 202; O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 a, S. 191 f.; Ogris, HRG, Bd. 1 Sp. 1662. 29

0 . Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 a, S. 192 m.w.N.; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 1 a, S. 202 m. N.; Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1662. 30

In den Quellen werden die Begriffe hebbende, brukende, nutzliche, gemene oder blote Gewere gebraucht. Allerdings beziehen sich diese Ausdrücke auf alle Fälle der Nutzung, also auch auf die unmittelbare; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 1 a, S. 202. 31 So Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 1 a, S. 202, der auf die "naiv-sinnliche" Anschauungsweise des Mittelalters abstellt. O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 a, S. 191 f.; Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1662. 32

Vgl. dazu O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 b, S. 193 ff.; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 2, S. 205 ff. Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1663 f.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

87

hielt. Ferner ging die Gewere an Grundstücken nicht durch gewaltsame Besitzentziehung verloren. 33 Besondere Fälle der ideellen Gewere sind die ruhende und die anwartschaftliche Gewere, die erst bei Eintritt eines vorher bestimmten Ereignisses Wirkung zeitigten, vorher aber keinen Sachgenuß gewährten und auch sonst nicht sichtbar waren. 34 Die ideelle Gewere wirkte nur im Verhältnis zum Auflassenden, zum verurteilten Herausgabepflichtigen, zum Nichterben oder zum Entwerer, nicht gegenüber Dritten. 35 Die verschiedenen Arten der Gewere im Liegenschaftsrecht waren nicht nur für die Grundstücke, sondern auch für die meisten beweglichen Sachen maßgeblich. Das Liegenschaftsrecht galt nämlich für alle beweglichen Sachen, die Zubehör liegenden Gutes waren. Dem Fahrnisrecht kam daher nur eine untergeordnete Bedeutung zu. 36 Ferner unterstellte das germanisch-mittelalterliche Recht auch die an den Grundstücken bestehenden Rechte und selbständigen liegenschaftlichen Gerechtigkeiten (Gerichtsherrlichkeit, Vogtei, Zollgerechtigkeit, Gewerberechte) - auch wenn diese nicht mit einer Nutzung in Zusammenhang standen37 - dem Liegenschaftsrecht. Auch an ihnen konnte daher Gewere, sog. Rechtsgewere entstehen.38 Zusammenfassend ist somit festzustellen: Die Gewere des germanischen Rechts knüpft nur in einigen Fällen an die tatsächliche Sachherrschaft an. Zur Begründung der Gewere ist es zumeist erforderlich, daß der Gewereinhaber die Sache wirtschaftlich nutzt. Eine tatsächliche Herrschaftsbeziehung ist mit dieser Nutzung häufig nicht verbunden. Die Gewere schützt somit in erster Linie wirtschaftliche Interessen ihres Inhabers.

c) Das gemeine Recht Mit dem Beginn der Rezeption des römischen Rechts im Spätmittelalter wurde das germanische Recht in Deutschland mehr und mehr verdrängt. Allerdings handelte es sich bei dem eindringenden fremden Recht nicht um das klassische römische Recht oder das römische Recht der iustinianischen Gesetzgebung. Vielmehr wurde das durch die italienische Doktrin der Glossatoren und 33

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 2 d, S. 206.

34

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 2 d, S. 209.

35 Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 2 d, S. 209; vgl. zu der hier nicht näher interessierenden Frage nach dem Wesen der ideellen Gewere O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 1 b, S. 194, Fußnote 30 m.w.N. 36

Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 1050 und 1662.

37

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29 I 4, S. 225 f.

38

O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 III 5, S. 201 f; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts § 28 VI, S. 220.

C. Die Besitztatbestände

88

Kommentatoren unter starker Mitwirkung des kanonischen Rechts umgestaltete iustinianische Recht übernommen. 39 Dieses Recht war durch die mittelalterliche Rechts- und Lebensanschauung bereits maßgeblich beeinflußt. Die Vermittelalterlichung des römischen Rechts setzte sich auch in Deutschland fort. 40 Die Gewere wurde daher nicht durch die possessio des "reinen" römischen Rechts ersetzt. An die Stelle der Gewere, deren Name allmählich völlig verschwand, trat ein Besitzrecht, das antike römische, mittelalterliche und germanische Gedanken zu einem nicht sehr harmonischen Ganzen vermischte: 41 Zwar wurde die dem römischen Recht fremde Scheidung von Fahrnis- und Liegenschaftsrecht aufgehoben und der römische Grundsatz, nach dem der Besitz corpus (Sachherrschaft) und animus (Besitzwillen) voraussetzt, eingeführt, beide Regeln wurden jedoch mannigfach durchbrochen: Die Trennung von Liegenschafts- und Fahrnisrecht wurde mit der Ausbildung des Grundbuchwesens praktisch wiederhergestellt. 42 Während die Publizitätsfunktion, die Übertragungsfünktion und die Legitimationsfunktion bei Liegenschaften allein von der Grundbucheintragung abhing und sich daher von der tatsächlichen Sachherrschaft löste, übernahm bei beweglichen Sachen der Besitz diese Aufgaben. Ferner wurde das römisch-rechtliche Besitzelement des corpus (Sachherrschaft) weitgehend ausgehöhlt bzw. aufgegeben: So wurde der mehrfache, d.h. gestufte Besitz an einer Sache zugelassen.43 Anders als im römischen Recht, das nur den originären Besitzerwerb kannte, gab es nun auch einen abgeleiteten Besitzerwerb durch Übertragung. 44 Die Übertragung des Besitzes konnte durch die körperliche Übergabe, aber auch durch Rechtsgeschäft und Erbgang 45 erfolgen. Insbesondere im letzten Fall ist der Verzicht auf die Voraussetzung tat-

39

Vgl. Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 165; Kiefner, HRG, Bd. 4, Sp. 972 ff unter II. 40

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29, S. 222; O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 114 I, S. 210. 41

Heusler, Die Gewere, § 32, S. 442 ff.; Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 390; Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 114 I, S. 210; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29, S. 222. 42 Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 391; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29, S. 222 f. 43 Heusler, Die Gewere, § 32, S. 447 ff.; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29 I 3, S. 225; Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 391. 44

Dazu Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29 II 3, S. 227 f.; Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 392. 45

Diese Möglichkeit des Besitzerwerbs wurde allerdings von einem großen Teil der gemeinrechtlichen Literatur geleugnet. Gegen diese Literaturansicht jedoch Heusler, Die Gewere, § 32, S. 454 ff. m. N.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

89

sächlicher Sachherrschaft im Sinne einer unmittelbaren körperlichen Einwirkungsmöglichkeit für den Besitzerwerb deutlich. Die teilweise Abkehr vom Erfordernis der tatsächlichen Sachherrschaft trat des weiteren bei der Beendigung des Besitzes in Erscheinung. Der dem germanischen Liegenschaftsrecht entstammende Gedanke, daß die Gewere durch gewaltsame Besitzentziehung nicht beendet werde, fand allmählich in das gemeine Recht Eingang, und zwar sowohl für bewegliche als auch für unbewegliche Sachen.46 Außerdem blieb auch das römische Besitzelement des animus nicht unberührt. Während das klassische römische Recht nur dem Eigenbesitzer, dem Faustpfandgläubiger, dem Erbpächter, dem Prekaristen und dem Sequester Besitz zusprach, und unter Justinian nur der Besitz mit animus domini als der wahre Besitz galt, war man nun bestrebt, jede auf einem eigenen Recht beruhende Sachherrschaft als Besitz anzusehen.47 Auch Mieter und Pächter sollten in den Genuß des Besitzes kommen. Der iustinianische animus domini wurde durch den animus rem sibi habendi ersetzt. Eine Ansicht erkannte sogar jedem Inhaber tatsächlicher Gewalt die Besitzinterdikte zu. 48 Schließlich ließ man den Besitz auch an Rechten aller Art, auch an Rechten an beweglichen Sachen und an Forderungsrechten, zu. Die Figur der Rechtsgewere wurde also auf den Besitz übertragen und weiter ausgedehnt. Dies stand im starken Gegensatz zum römischen Recht, das nur an Servituten eine quasi oder iuris possessio kannte.49 Es blieben also im gemeinen Recht zahlreiche Elemente des germanischen Gewererechts erhalten. Dazu zählten insbesondere die Regelungen der mittelbaren Gewere und der ideellen Gewere. Letztere treten beim Erbenbesitz und beim Fortbestand des Besitzes im Fall der gewaltsamen Wegnahme der Sache hervor.

46

Bruns, Das Recht des Besitzes, § 33, S. 260; Heusler, Die Gewere, S. 452 f.; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29 II 5, S. 229 f. und § 29 III 2 a, S. 231 f. Die Grenzen zwischen dem aus dem römischen Recht übernommenen interdictum uti possidetis, das auf Sicherung gegen vorgenommene oder drohende Besitzstörungen gerichtet war und dem interdictum unde vi, das dem gewaltsam aus dem Besitz Geworfenen einen Anspruch auf Herausgabe des Besitzes gab, wurden dadurch verwischt. Ferner wurde, wenn beide Streitparteien sich beim interdictum uti possidetis auf Besitz beriefen, auf die ältere Gewere zurückgegriffen, Hübner, S. 232. 47

Vgl. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29 I 2, S. 224 f.; Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 391. 48

Vgl. dazu Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 II 3 a, S. 120.

49

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29 I 4, S. 225 f.

C. Die Besitztatbestände

90

Erst die sogenannte Historische Rechtsschule unter Führung Savignys50 hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts versucht, die Lehren des reinen römischen Rechts herauszuarbeiten und ihnen praktische Geltung zu verschaffen: 51 Nach Savigny setzt der Besitz die vom Bewußtsein unumschränkter physischer Herrschaft getragene 52 Möglichkeit einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache (Sachherrschaft) 53 begleitet von dem Willen voraus, die Sache so zu beherrschen, wie es ein Eigentümer kraft seines Rechts zu tun befugt ist (animus domini oder animus sibi habendi).54 Der Besitzerwerb kann dabei auch durch solche Personen erfolgen, die dem Befehl des Besitzers unterstehen (Sklaven, Kinder) oder die vom Besitzer beauftragt sind.55 Nur ausnahmsweise soll Besitz ohne animus domini möglich sein. Es sind dies die Fälle des sogenannten abgeleiteten Besitzes,56 in denen ein früherer Besitzer sein ius possessionis ohne Eigentum überträgt. Für den Erwerb des Besitzes ist neben der Erlangung der physischen Einwirkungsmöglichkeit dann der Wille ausreichend, das ius possessionis zu erwerben. Abgeleiteten Besitz hat vor allem der Pfandgläubiger, 57 regelmäßig auch der Prekarist. 58 Keinen Besitz sollen der Besitz- oder Vermögensverwalter, der Kommodatar, der Pächter und der Fruchtziehungsberechtigte haben.59 In diesen Fällen bleibt der Eigentümer Besitzer. Abweichend vom älteren gemeinen Recht verneint Savigny die Möglichkeit mehrfachen, d.h. auch gestuften Besitzes an derselben Sache.60 Ebenso lehnt er den Erwerb des Besitzes durch Erbschaft, 61 sowie die Fortdauer gewaltsam beendeten Besitzes62 ab. Betrachtet man das von Savigny erarbeitete Recht, so muß man feststellen, daß auch seiner Lehre zufolge der Besitztatbestand nicht mit dem Tatbestand

50

Für den Besitz ist hier besonders Savignys Monographie "Das Recht des Besitzes", aus dem Jahre 1803 (7. Auflage Wien 1865) zu nennen. 51 Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 390; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29, S. 222; Schwake, S. 56 f. 52

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 18, S. 238.

53

Dazu ausführlich Savigny, Das Recht des Besitzes, §§ 13 ff., S. 205 ff.

54

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 9, S. 110. Die Überzeugung, daß man wirklich Eigentümer sei, ist nach Savigny nicht erforderlich. 55

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 26, S. 304 ff.

56

Savigny, Das Recht des Besitzes, §§ 23 f f , S. 282 ff.

57

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 24 II, S. 293 ff.

58

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 25, S. 301 ff.

59

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 23, S. 283 ff.

60

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 11, S. 170 ff.

61

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 28, S. 324.

62

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 11, S. 172 ff.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

91

tatsächlicher Gewalt übereinstimmt. Einerseits genügt die tatsächliche Sachherrschaft ohne animus domini nicht, andererseits besteht Besitz auch dann, wenn das Vorhandensein tatsächlicher Gewalt fraglich ist, so zum Beispiel beim Besitzerwerb durch Stellvertreter oder der Überlassung der Sache an Mieter, Pächter, Vermögensverwalter oder Fruchtziehungsberechtigte. Im Unterschied zur vorangegangenen rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Besitzrechts, die den Besitztatbestand eher von der wirtschaftlichen Schutzwürdigkeit abhängig machte, betonte Savigny allerdings wieder stärker das Erfordernis der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit. 63 Zwar waren die Lehren Savignys zum Besitzrecht in der Rechtswissenschaft bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts weitgehend widerspruchslos als richtig anerkannt, 64 die Praxis beeinflußten sie jedoch kaum. 65 Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, daß das reine römische Besitzrecht den Bedürfnissen der Neuzeit nicht mehr gerecht wurde. Die Lehren der Historischen Rechtsschule erlangten nämlich nur dort maßgeblichen Einfluß auf die Praxis des 19. Jahrhunderts, wo sie den Bedürfhissen der Zeit entsprachen.66

d) Die Kodifikationen

des 18. und des 19. Jahrhunderts in Deutschland

Die bedeutsamsten Kodifikationen des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts sind in Deutschland das Preußische Allgemeine Landrecht (PrALR) von 1794, das BGB für das Königreich Sachsen von 1863 und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern aus den Jahren 1861 und 1864. Außer der tatsächlichen Sachherrschaft fordern sie sämtlich für den Besitz den Willen, über die Sache für sich selbst wie ein Eigentümer zu verfügen.67 Wer eine Sache ohne diesen Willen, d.h. für einen anderen in seiner tatsächlichen Gewalt hat, wird Inhaber genannt.68 Sowohl der Inhaber als auch der Besitzer genießen Besitzschutz.69 Allerdings fordern das sächsische BGB

63

Allerdings ohne den Begriff der Sachbeherrschung näher zu konkretisieren, vgl. auch Schwake S. 60 f. 64

Schubert, Die Entstehung, S. 57; Schwake S. 102 ff.

65

Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29, S. 222; Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 390 f.; Schwake S. 116 ff. Vgl. allgemein zum Einfluß der Historischen Rechtsschule auf die Zivilrechtspraxis die Untersuchung von Scheuermann, insbesondere S. 112 f. 66

Scheuermann, S. 113.

67

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 3; sächs. BGB § 186; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 1.

68

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 1; sächs. BGB § 186, bayer. Entwurf, Teil III, Art. 1.

69

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, §§ 141 ff; sächs. BGB §§ 208, 209; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 40.

C. Die Besitztatbestände

92

und der bayerische Entwurf ein eigenes Interesse des Inhabers, ebenso das PrALR im Verhältnis zwischen Besitzer und Inhaber 70. Für den Eigentumserwerb ist hingegen Besitz erforderlich, 71 die bloße Inhabung ist nicht ausreichend. Der Besitzbegriff der hier erwähnten Kodifikationen ist strenger als der des römischen Rechts und mithin auch der Lehre Savignys, da er Fremdbesitzer nicht als Besitzer anerkennt. Allein das PrALR macht hier eine Ausnahme: Immerhin nennt es auch denjenigen Besitzer, der eine fremde Sache unter Anerkennung des fremden Eigentums in der Absicht in Gewahrsam genommen hat, für sich selbst über sie zu verfugen. 72 Allerdings wird dieser sog. unvollständige Besitz wie die bloße Inhabung behandelt. Andererseits unterscheiden sich die Kodifikationen auch dadurch vom römischen Recht, daß sie auch den Inhabern, weit über den Eigenbesitz hinaus, Besitzschutz zuerkennen. Ferner kennen alle Kodifikationen die Figur des Rechtsbesitzes.73 Sie führen insoweit die Tradition des mittelalterlichen germanischen Rechts und des gemeinen Rechts fort. Die Kodifikationen schützen die Inhabung des Nichteigentümers somit wesentlich weitgehender als dies im römischen Recht der Fall war. Alle hier erwähnten Kodifikationen knüpfen zwar Besitz und Inhabung grundsätzlich an das Vorhandensein tatsächlicher Sachherrschaft, 74 jedoch gibt es von diesem Erfordernis zahlreiche Ausnahmen. So kennen alle Normierungen die Figur des mittelbaren Besitzes75 sowie den Besitzerwerb durch Stellvertreter. 76 Im Fall der Vertretung ohne Auftrag soll bei späterer Genehmigung sogar ein rückwirkender Besitzerwerb möglich sein.77 Ferner geht mit dem Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft der Besitz nicht zwingend verloren. 78 Der 70

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, §§ 144 f.

71

So ζ. B. für die Aneignung (PrALR, 1. Teil, 9. Titel, § 343; sächs. BGB, § 227; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 116), die Ersitzung (sächs. BGB, § 260 f; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 127), die Übereignung (PrALR, 1. Teil, 10. Titel, §§ 1 ff; sächs. BGB, § 253; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 93), den redlichen Fruchterwerb (sächs. BGB, § 244). Für den Verlust des Eigentums ist die Aufgabe des Besitzes Voraussetzung (bayer. Entwurf, Art. 147). 72

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 6.

73

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, §§ 4 f; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 42 bis 55; sächs. BGB, §§ 530, 556 ff, 602. 74

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 124; sächs. BGB, § 186; bayer. Entwurf Teil III Art. 1.

75

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 124; sächs. BGB § 201; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 5.

76

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 45, sächs. BGB, § 202, 203; bayer. Entwurf, Teil III,

Art. 6. 77

Bayer. Entwurf, Teil III, Art. 11.

78

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, §§ 112 f.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher

berblick

93

Besitz gilt zumindest dann als fortbestehend, wenn sich der Besitzer die Sache sofort wiederbeschafft. 79 Auch soll durch den Tod, die Willensunfähigkeit oder den Entschluß des Stellvertreters im Besitz, fortan nicht mehr für den Vertretenen zu besitzen, der Besitz nicht beendet werden. 80 Das PrALR kennt zudem die symbolische Übergabe 81 und läßt für die Besitzergreifung an einem Sachinbegriff die Begründung tatsächlicher Gewalt an einzelnen Gegenständen genügen.82 Die Kodifikationen lassen also durchaus die Unabhängigkeit des Besitzes von der tatsächlichen Sachherrschaft erkennen. Der Besitz ist weitgehend verrechtlicht. Dies wird auch daran deutlich, daß für den Besitz ausdrücklich Willensfähigkeit gefordert wird. 83 Maßgebliches Kriterium für den Besitzschutz ist das eigene rechtliche Interesse - insbesondere als Eigenbesitzer oder als berechtigter Besitzer.

e) Die Entstehung der Besitzvorschriften

des BGB

Die Regelung des Besitzrechts hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zum BGB einen entscheidenden Wandel erfahren. Die Anknüpfung des Besitzes an die Erlangung der bloßen tatsächlichen Sachherrschaft in § 854 Abs. 1 BGB hat sich dabei erst allmählich entwickelt und ihre hervorgehobene, weil das Besitzrecht einleitende Stellung erlangt. 84

aa) Die Vorarbeiten und der Teilentwurf Sachenrecht, 1880 Dies ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der Besitzschutz nur schrittweise in die Besitzregelung überhaupt Eingang gefunden hat. 85 Der für das Sachenrecht zuständige Redaktor Reinhold Johow wollte zunächst, einem Vorschlag Meischeiders 86 folgend, einen rein possessorischen Besitzschutz 79

Sächs. BGB, § 216; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 26.

80

Sächs. BGB § 216; bayer. Entwurf, Teil III, Art. 30.

81

PrALR, I.Teil, 7. Titel, §61.

82

PrALR, I.Teil, 7. Titel, § 53.

83

PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 44; vgl. auch bayer. Entwurf, Teil III, Art. 7.

84

Vgl. zur Entwicklung des Besitzrechts während des Gesetzgebungsverfahrens Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1, S. 3 ff; Schubert, Die Entstehung, Kapitel 9-11, S. 57 ff. 85 Diesen Aspekt hat Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, deutlich hervorgehoben. Vgl. zum folgenden Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1, S. 3 ff. 86

Meischeider, Besitz und Besitzschutz, § 38, S. 188 ff.

C. Die Besitztatbestände

94

nicht zulassen. Bei Mobilien hielt er einen possessorischen Besitzschutz für entbehrlich, 87 und im Falle der Verletzung des Besitzes an Grundstücken sollte der Besitzanspruch durch den Nachweis des besseren Rechts zum Besitz entkräftet werden können.88 Schränkt man den Besitzschutz derart ein, so verliert der Besitz seine Bedeutung als eine selbständig zu schützende tatsächliche oder rechtliche Position des Besitzers. Der Besitzbegriff und die Festlegung der Besitzvoraussetzungen sind dann im wesentlichen nur noch für die Institute, die an den Besitz anknüpfen, also z.B. für den Eigentumserwerb, relevant. Dies hat schließlich auch auf den Besitzbegriff selbst Einfluß. In den Bemerkungen zu den "Vorschläge(n) des Redaktors betreffend die Ansprüche aus dem verlorenen Besitze eines Grundstückes" aus dem Jahr 1876 war Johow daher davon ausgegangen, daß Besitzer nur derjenige sei, der die Sache mit dem Willen, sie als die seinige (oder wie ein Eigentümer) zu haben, in seiner tatsächlichen Gewalt habe.89 Johow befindet sich hier im Einklang mit Savigny und den wichtigsten Kodifikationen des 19. Jahrhunderts 90. Allerdings konnte sich Johow mit seinem Vorschlag, den rein possessorischen Schutz aufzugeben, bei der 1. Kommission nicht durchsetzen. Man beschloß, bei Grundstücken gegen den Besitzanspruch keine Einwendungen aus dem besseren Recht zuzulassen.91 Der Teilentwurf zum Sachenrecht (TE) aus dem Jahre 1880 enthielt daher einen possessorischen Besitzschutz für Grundstücke (§§ 74 - 83). Für bewegliche Sachen lehnte Johow zwar weiterhin einen possessorischen Besitzschutz ab, 92 hatte aber ein Notwehrrecht des Inhabers eingeführt (§ 72 TE). Dieses Notwehrrecht sollte auch gegenüber dem Besitzer wirksam sein, sofern der Inhaber die fremde Sache im eigenen rechtlichen Interesse innehatte (§ 72 Abs. 4 TE). Nach dieser Regelung konnte also der

87

Vgl. die Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 443, vollständig abgedruckt bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 567: Der Schutz des Besitzers, der seinen Besitz unfreiwillig verloren hat, sollte durch eine Eigentumsvermutung (§ 200 Teilentwurf Sachenrecht) im Rahmen des Eigentumsherausgabeanspruchs erfolgen. Der Inhaber der Sache eines anderen, der die Sache ohne seinen Willen verloren hat, sollte die Herausgabe unter Geltendmachung des Eigentums des anderen verlangen können (§ 203 Teilentwurf Sachenrecht). 88

Diesen Vorschlag hatte Johow schon 1876 eingebracht, "Vorschläge des Redaktors betreffend die Ansprüche aus dem verlorenen Besitze des Grundstücks", abgedruckt bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 3, S. 765. 89

Vorbemerkung 1, abgedruckt bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 3, S. 766. 90

Siehe oben d.

91

Protokoll der 17. Sitzung vom 16.10.1876, abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung, Sachenrecht I, S. 95. 92 Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 443, bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 567.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

95

Mieter seine tatsächliche Gewalt über die Sache gegen den Vermieter, der ja noch nach der Lehre Savignys und den Kodifikationen als alleiniger Besitzer anzusehen war, mit Gewalt verteidigen. Andererseits waren Inhaber ohne eigenes rechtliches Interesse, die der alleinigen Verfügungsbefugnis ihres Herrn über die Sache unterstanden, wie z.B. der Hausverwalter oder der Arbeiter hinsichtlich der ihnen überlassenen Werkzeuge, von der Notwehrbefugnis ausgeschlossen.93 Letzteres erinnert an die Regelung des § 855 BGB. Bemerkenswert an § 72 TE ist, daß hier nicht eine auf einem Aneignungswillen beruhende Herrschaftsbeziehung geschützt wird, sondern auf das Vorhandensein tatsächlicher Sachherrschaft, verbunden mit einem eigenen rechtlichen Interesse, abgestellt wird. Die Zuweisung des Notwehrrechts an den Inhaber im Verhältnis zum Besitzer entsprach durchaus nicht der im gemeinen Recht vorherrschenden Meinung, vielmehr gestand man dort überwiegend dem Vermieter ein Vertreibungsrecht und mithin ein Notwehrrecht gegen vertragswidriges Verhalten des Mieters zu. 94 Die Vorschrift des § 72 TE stand aber mit den damaligen Kodifikationen in Einklang. 95 Die Übertragung der im gemeinen Recht an den Besitz geknüpften Notwehrbefugnis auf den Inhaber zeitigte bereits im Teilentwurf Wirkungen beim Besitzbegriff. Zwar kannte § 48 TE noch die Unterscheidung zwischen Inhaber und Besitzer. Für den Besitz war jedoch der Aneignungswille oder animus domini nicht mehr erforderlich. Vielmehr wurde grundsätzlich jeder Inhaber, d.h. derjenige, der eine Sache mit seinem Willen in tatsächlicher Gewalt hatte, als Besitzer angesehen (§ 48 Abs. 3 TE). Nur ausnahmsweise, wenn der Inhaber den Willen hatte, die tatsächliche Gewalt nur für einen anderen zu üben und der Wille des anderen hiermit übereinstimmte, sollte nicht der Inhaber, sondern der andere Besitzer sein (§ 48 Abs. 2 TE). In der Terminologie des BGB kann man hier von mittelbarem Eigenbesitz sprechen. In diesen Fällen sei "der Inhaberwille so gestaltet, daß das Haben des Inhabers für den Eigentümer gleichwertig sei mit der eigenen körperlichen Gewalt über die Sache".96 Dieser "dienstbereite Detentionswille" war nach der Meinung Johows nicht gegeben, 93

Siehe die Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 424; bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 548. 94

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 I 2, S. 7 f m. N.; anders Johow, Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 424, bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 548: § 72 TE stimme mit der Theorie überein. 95 Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 424 bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 548; PrALR, 1. Teil, 7. Titel, §§ 142, 144 i. V. m. § 145; sächs. BGB, § 181 und § 208; hinsichtlich der Besitzklage: bayer. Entwurf, Teil III, Art. 40,41. 96

Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 360, bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 484.

C. Die Besitztatbestände

96

wenn die Inhabung der Sicherung des Inhabers oder eines Dritten diente. Danach waren z.B. der Sequester, der Testamentsvollstrecker, der Sicherungseigentümer und der aus einem vererblichen und veräußerlichen Nutzungsrecht Berechtigte als Besitzer anzusehen.97 Die Entscheidung, ob auch der Mieter, der Pächter, und der Nießbrauchsberechtigte Besitzer seien, wollte Johow der Theorie und der Praxis überlassen.98 Diese Ausweitung des Besitzbegriffs gegenüber den Kodifikationen und dem gemeinen Recht nach der Lehre Savignys beruhte auf der Erwägung, daß der Begriff "Besitz" derjenigen tatsächlichen Verbindung zwischen Personen und Sachen gebühre, an welche die Besitzvorteile anknüpften. Anders als noch im römischen Recht würden in den neueren Gesetzgebungen schon dem Inhaber auch ohne Aneignungswillen die Besitzvorteile zugewendet. Der Inhaber genieße Beweisvorteile und die Notwehrbefugnis, ferner sei er zwar vom Sachbesitzschutz ausgeschlossen99, dies sei aber durch einen umfangreichen Rechtsbesitzschutz (PrALR, 1. Teil, 7. Titel, § 9) reichlich ausgeglichen. Schließlich habe die Ersitzung ihre Funktion aus dem römischen Recht, eine allgemeine Erwerbungsart zu sein, vollständig verloren. 100 Die neue Bestimmung des Besitzbegriffes bedeutete jedoch nicht, daß für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Besitzes das Bestehen einer tatsächlichen Sachherrschaft im Sinne einer räumlichen Nähebeziehung zur Sache unabdingbare Voraussetzung war. Vielmehr enthielt der Teilentwurf eine ausführliche Regelung über Erwerb, Fortdauer und Verlust des Besitzes (§§ 53 71 TE), in der eine räumliche Beziehung zur Sache nicht unbedingt gefordert wurde. So wurde es ζ. B. in § 53 TE für die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft über eine bewegliche Sache als ausreichend erachtet, daß die unmittelbare Beherrschung der Sache durch den Erwerber nach Sitte und Gebrauch als vorhanden gilt. Bei Grundstücken sollten auf dem Grundstück vorgenommene Besitzhandlungen genügen (§ 54 TE). Unbewegliche Sachen konnten nach dem Teilentwurf durch bloße Willenserklärungen übergeben werden, wenn der Erwerber tatsächlich in der Lage war, Besitzhandlungen beliebig vorzunehmen (§ 57 Abs. 2 TE). Ferner kannte der Entwurf den Erwerb durch Stellvertretung (§ 56 TE), durch die Anweisung des Besitzers an einen anderen, er solle die tatsächliche Gewalt fortan für einen Dritten (Erwerber) üben (§ 61 TE), sowie durch Besitzkonstitut (§ 62 TE). Gemäß § 63 TE sollte der Besitz fortdauern, bis eine besondere, in §§64 ff. TE genannte Tatsache den Verlust

97

Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 360, bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 484. 98

Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 360 ff, bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 484 ff. 99

Allerdings nur, wenn er die Sache nicht im eigenen rechtlichen Interesse besitzt (bayer. Entwurf, Teil III, Art. 40; sächs. BGB, § 208, PrALR, 1. Teil, 7. Titel, §§ 145 f). 100

Vgl. zum Vorstehenden Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 356 f, bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 480 f.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

97

des Besitzes bewirkte. Ein bloß vorübergehendes Fehlen der räumlichen Nähebeziehung oder die Aufgabe des Besitzes durch einen "freiwilligen" Stellvertreter sollte nach dieser Regelung den Besitzverlust nicht herbeifuhren.

bb) Die Änderungsvorschläge zum Teilentwurf Johow konnte sich auch mit der Konzeption des Besitzschutzes und des Besitzbegriffs seines Teilentwurfs gegenüber der 1. Kommission nicht durchsetzen. Bereits 1883/84 sah sich Johow zu einigen Änderungsvorschlägen veranlaßt. 101 Bei Grundstücken sollte der Besitzschutz nicht mehr an den Besitz, sondern an die Inhabung geknüpft werden. 102 Wenn der Pächter einem Dritten den Weg über das gepachtete Grundstück gestatte oder ihm einen Teil desselben einräume, liege darin kein formelles Besitzunrecht gegen den Besitzer, auch wenn der Dritte sich bewußt sei, gegen dessen Willen zu handeln. Dies sei zwar im römischen Recht anders gewesen, "welches dem Besitzer eine durch den Inhaber als eine gleich einem Sklaven willensunterworfene vermittelte tatsächliche Gewalt zuschrieb und mithin den Dententor nur als Scheininhaber, den Besitzer aber als wirklichen Inhaber erscheinen ließ". Das moderne Rechtsleben kenne aber eine solche Willenssubjektion nicht mehr. Daher sei nur der Wille des Inhabers dafür entscheidend, ob ein Besitzunrecht vorliege. 103 Der Änderungsvorschlag Johows beinhaltete ferner die Erweiterung des Teilentwurfs um einen § 83 b, der einen possessorischen Besitzanspruch nun auch dem Inhaber einer beweglichen Sache nach den für die Grundstücke geltenden Grundsätzen zubilligte. 104 Gleichzeitig wollte Johow auch den Besitzbegriff des § 48 TE ändern. Zwar sollte auch weiterhin grundsätzlich der Inhaber als Besitzer anzusehen sein (§ 48 Abs. 3 TE), sofern er jedoch die tatsächliche Gewalt in der Anerkennung ausübe, daß die Sache einem anderen gehöre, war nach dem neugefaßten § 48 Abs. 2 dieser andere Besitzer. 105 Der Neuregelung lag der Gedanke zugrunde, 101

Die Begründung der Vorschläge ist abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I (§§ 854 - 1017), S. 215 ff. Vgl. zum Datum und zur Bedeutung dieses Vorschlages Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 13, S. 11. 102 Änderungsvorschläge, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 219 und S. 178 (Prot. I 3512). 103 Vgl. zum Vorstehenden die Begründung der Änderungsvorschläge, abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 219 f. 104 Vorschlag und Begründung bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 178 (Prot. I 3513) und S. 219. 105

Siehe Änderungsvorschlag bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 104. 7 Härtung

98

C. Die Besitztatbestände

daß deutlicher zwischen Besitz und Inhabung unterschieden werden müsse. Nach der ursprünglichen Fassung des § 48 TE sei nämlich praktisch jeder Inhaber gleichzeitig auch Besitzer, denn Besitz des Nichtinhabers sei nach § 48 Abs. 2 TE nur anzunehmen gewesen, wenn die Willensrichtung des Inhabers das tatsächliche Haben des Besitzers gleichwertig ersetzt habe. Eine derartige unbedingte Willensunterwerfung entspreche aber nicht mehr den gegenwärtigen Anschauungen. Der gesetzgeberische Zweck der schärferen Trennung von Besitz und Inhabung bestand in einer Aufteilung der Besitzfünktionen. 106 Die Regeln über Notwehr und Selbsthilfe sowie der Besitzschutz, der in der ursprünglichen Konzeption des Besitzrechts nicht vorhanden war, sollten ihren Anknüpfungspunkt in der Inhabung als der tatsächlichen Herrschaft haben. An den Besitz hingegen sollten Beweiserleichterungen hinsichtlich des Eigentums sowie der Eigentumserwerb durch Ersitzung, Übergabe und Zueignung anknüpfen. Nach der Ansicht Johows ist der Besitz nicht die tatsächliche Herrschaft über die Sache.107 Da es eine unbedingte Willensunterwerfung des Inhabers nicht mehr gebe, würde es gegenwärtig auf eine reine Fiktion hinauslaufen, wenn man dem Vermieter oder Auftraggeber die tatsächliche Macht über die Sache zuschreiben wollte. Entscheidend für den Besitz sei das tatsächliche Anerkanntsein des Eigentums. Nach Johow ist der Besitz zu umschreiben als ein "von der Inhabung unterscheidbares thatsächliches Verhältniß der Person zur Sache, ... nämlich das Erlangen der Ausübung der thatsächlichen Gewalt unter der Willenseinrichtung des Ausübenden ein gewisses Eigenthum anzuerkennen, mag nun die Ausübung in Anerkennung eigenen oder fremden Eigenthums erfolgen". 108 Allerdings sei aus der Inhabung regelmäßig auf den Besitz zu schließen, um den Inhaber, der Besitzvorteile geltend machen will, des Beweises seines animus domini zu entheben.109

cc) Der Entwurf der 1. Kommission Der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs, den die 1. Kommission im Jahre 1888 fertiggestellt hatte, übernahm im wesentlichen die Konzeption aus Johows abgeändertem Teilentwurf. Insbesondere enthielt der 1. Entwurf (E 1) die Unterscheidung zwischen Besitz und Inhabung. Die Notwehr- und Selbst-

106 Vgl. die Begründung zu den Änderungsvorschlägen bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 216 f. 107 Begründung der Änderungsvorschläge, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 217. 108 Begründung der Änderungsvorschläge, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 216 f. 109 Begründung der Änderungsvorschläge, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 217.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

99

hilferechte (§§ 814 ff E 1) sowie die possessorischen Ansprüche (§§ 818 ff E 1) knüpften an die Inhabung an. Die zu dem Entwurf herausgegebenen Motive erklärten dies damit, daß der possessorische Schutz "die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der räumlichen Herrschaft der Person über die Sache" bezwecke. Die räumliche Herrschaft sei aber nach dem Entwurf nicht bei dem Besitzer als solchem, sondern bei dem Inhaber. 110 Die 1. Kommission war darum bemüht, den Grundsatz, den possessorischen Schutz allein an die räumliche Herrschaft zu binden, konsequent durchzuführen, auch wenn dies nicht immer zu überzeugenden Ergebnissen führte. 111 So sollten sämtliche Besitzschutzrechte den Inhabern auch dann gegenüber den Besitzherren zustehen, wenn sie kein eigenes rechtliches Interesse hatten. 112 Der Antrag, eine Vorschrift einzufügen, wonach im Verhältnis zwischen dem Besitzherrn und dem Inhaber "auf beliebigen Widerruf' - einer Person, die dem heutigen Besitzdiener entspricht - der Besitzschutz allein dem Besitzherrn zustehen sollte, wurde abgelehnt.113 Der Begriff des Besitzes selbst war für den klassischen Bereich des Besitzrechts, nämlich den Besitzschutz, unbedeutend. Der Besitz wurde im 1. Entwurf allein behandelt, "um dadurch eine häufig vorkommende Voraussetzung von Rechtsnormen, welche in anderen Abschnitten sich finden, zu bestimmen". 114 Diese Rechtsnormen betrafen sämtlich das Eigentum und waren im wesentlichen Vindikation, Ersitzung, Tradition, Okkupation und Dereliktion. 115 Unter Besitz im Sinne des Entwurfs war daher der Eigentumsbesitz zu verstehen. Legt man die Terminologie des BGB zugrunde, konnte der Besitz sowohl in der Form des unmittelbaren (§ 797 E 1) als auch in der des mittelbaren (§§ 801, 804, 805, 821 E 1) Eigenbesitzes vorliegen. Gemäß § 797 E 1 sollte der Besitz durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache (Inhabung) in Verbindung mit dem Willen des Inhabers, die Sache als die seinige zu haben (Besitzwille), erworben werden. Die 1. Kommission wich damit in mehrfacher Hinsicht von §48 TE ab. 116 Nach § 797 E 1 lag, 110

Motive Bd. 3, S. 109, bei Mugdan, Bd. 3, S. 60 f.

111

Vgl. dazu auch Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 I 5, S. 19, und Schubert, Die Entstehung der Vorschriften, S. 68. 112 Vgl. dazu Prot. (1. Komm.) S. 3499, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 169 zum Notwehrrecht und Prot. (1. Komm.) S. 3517, bei Jakobs/Schubert, aaO, S. 179. 113 Prot. (1. Komm.) S. 3526, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 205 f. 114 Motive, Bd. 3, S. 78, bei Mugdan, Bd. 3, S. 43. Rechtsfolgen, die sich unmittelbar aus dem Besitz ergaben, waren nur in den §§821 und 825 enthalten. 115 116

Motive, Bd. 3, S. 78, bei Mugdan, Bd. 3, S. 43.

Vgl. zu den Unterschieden Prot. (1. Komm.), S. 3379 ff, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 105 f. *

100

C. Die Besitztatbestände

anders als bei § 48 TE, die Beweislast hinsichtlich des animus domini beim Besitzer. Ferner wurde einerseits bei der Inhabung auf den Willen, die Sache in der tatsächlichen Gewalt zu haben, verzichtet, andererseits der Besitzwille wieder eingeführt. Für den Zusammenhang zwischen Besitz und Sachherrschaft ist es interessant, daß der 1. Entwurf in § 797 bewußt auf die Bestimmung des Besitzbegriffs verzichtete und sich auf die Bestimmung von Besitzerwerbs- und Verlustgründen beschränkte. Es sei zwar möglich - so die Begründung - die Tatsachen, die für den Besitzerwerb erforderlich seien, gesetzlich zu bestimmen. Jedoch hänge der Fortbestand des Besitzes von anderen Voraussetzungen ab, die sich einer Definition entzögen. So könne z. B. der Schlafende den Besitz fortsetzen, nicht aber erwerben. Im übrigen werde durch diese Bestimmung des Besitzerwerbs die Frage nicht berührt, ob der Besitz ein Recht im subjektiven Sinne oder ein fortgesetztes tatsächliches Verhältnis sei. 117 Der Gedanke, Besitz sei nicht die tatsächliche Gewalt über die Sache, den Johow schon in der Begründung seiner Änderungsvorschläge geäußert hatte, 118 trat in dieser vorsichtigen Haltung der Kommission wieder hervor. Er findet sich auch an anderer Stelle wieder, so z.B. beim Besitzerwerb durch Stellvertreter (§ 801 E 1). Die 1. Kommission hob hier ausdrücklich hervor, daß der Vertretene nicht so behandelt werden sollte, als habe er die tatsächliche Gewalt. 119 Ferner wird die Unabhängigkeit des Besitzes von der tatsächlichen Sachherrschaft deutlich bei der Besitzübertragung durch Anweisung (§ 804 E 1) und durch Besitzkonstitut (§ 805 E 1), sowie dem Gedanken, daß der Besitz fortbestehe, bis ein factum contrarium den Besitz beende (§ 806 E l ) 1 2 0 , wobei z. B. die vorübergehende Verhinderung, die tatsächliche Gewalt auszuüben, für die Besitzbeendigung nicht ausreichen sollte (§810 Abs. 2 E 1). Der 1. Entwurf ist somit gekennzeichnet durch eine Aufspaltung der Besitzfunktionen in die Eigentumserwerbsfunktion und die Schutzfunktion. Der vom Erfordernis tatsächlicher Sachherrschaft weitgehend gelöste Besitz ist Voraussetzung für den Eigentumserwerb, während der Besitzschutz scheinbar streng an die räumliche Herrschaft über die Sache anknüpft. Insbesondere mit letzterem hat die 1. Kommission, obwohl sie am römischen Besitzbegriff festhielt,

117

Vgl. zum Vorstehenden Prot. (l.Komm.) S. 3382, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 106. 118

Bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I,

S. 217. 119

Prot. (1. Komm.) S. 3395, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 112. 120

Vgl. dazu Prot. (l.Komm.) S. 3425 f, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 135 und Prot. (l.Komm.) S. 3434 f, bei Jakobs/Schubert, aaO, S. 139.

I . . Rechtsgeschichtlicher Überblick

101

den Boden des besonders im 19. Jahrhundert in der Rechtswissenschaft wiederbelebten römischen Rechts verlassen. Allerdings läßt die Beschränkung der Regelung auf Erwerbs- und Verlustgründe darauf schließen, daß wohl auch die Anknüpfung des Besitzschutzes an eine räumliche Herrschaft oder an eine unmittelbare physische Einwirkungsmöglichkeit nicht streng durchgeführt werden sollte.

dd) Die Kritik am 1. Entwurf Der Abschnitt über Besitz und Inhabung des 1. Entwurfs wurde gleich nach seinem Erscheinen heftig kritisiert. 121 Einigen Kritikern war das Besitzrecht des 1. Entwurfs zu romanistisch, d.h. zu sehr an der Lehre Savignys orientiert, und berücksichtigte zu wenig die deutschen Rechtsanschauungen sowie die Gewere. 122 Andere bemängelten die schwer verständliche Sprache 123 sowie die doktrinäre Form, die besonders durch die Aufnahme zahlreicher überflüssiger Bestimmungen zum Ausdruck komme. 124 Die meiste und wohl schwerwiegendste Kritik ging von der scharfen Trennung des Entwurfs zwischen (Eigentums-)Besitz und Inhabung, die das gesamte Sachenrecht in "ermüdende Breite" 125 durchziehe, aus. Es wurde als terminologisch unzweckmäßig empfunden, daß der Entwurf zwar umfangreiche Regelungen über den Erwerb und Verlust des Besitzes enthielt, diese aber für den naturgemäß mit dem Besitz verbundenen Besitzschutz vollkommen unbedeutend waren. 126 Jhering beanstandete, daß der Entwurf dem Inhaber, der die Sache nicht für sich haben wolle, den Namen des Besitzers vorenthalte, obwohl er ihm alle Rechte des Besitzers einräume, während der Besitzer, für den ein anderer die

121 Vgl. die Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 3 (1890), S. 27 ff. mit zahlreichen Nachweisen; Schubert, Entstehung der Vorschriften, S. 73 m. w. N. 122

0 . Gierke, Der Entwurf, S. 281, 294; Bähr, KritVJSchr 31, 367; siehe auch Ring, ArchBürgR 1 (1889), S. 195: "Daß die pandektistische Kunst dergestalt gerade in der Besitzlehre einen stilreinen Prachtbau aufgerichtet hat, mag gern zuzugeben sein.". Nach Wieling, Studi Sanfilippo, Bd. 1, S. 725, ist diese Kritik abgesehen von der terminologischen Frage unbegründet, weil im Inhaberschutz die germanisch-deutsche Verkehrsanschauung voll gesiegt habe. 123

Bähr, ArchBürgR 2 (1889), S. 117.

124

Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen, S. 28.

125

Jhering, Der Besitzwille, S. 519, Fn. 1.

126

Wendt, AcP 74 (1889), S. 153 - 159, siehe zu den terminologischen Problemen des 1. Entwurfs auch Cosack, Das Sachenrecht, S. 8 f.

102

C. Die Besitztatbestände

Sache innehabe, zwar Besitzer heiße, aber - von § 821 Ε 1 1 2 7 abgesehen - keine Rechte aus dem Besitz habe. 128 Er sah den Grund dafür zutreffend in einem unglücklichen Kompromiß mit dem römischen Recht und der romanistischen Theorie, die beide im Entwurf nominell aufrecht erhalten, tatsächlich aber aufgegeben worden seien. Die doktrinäre Idee, daß jemand nicht besitzen könne, der nicht den Willen habe, die Sache als eigene zu haben, sei aus dem römischen Recht beibehalten worden, obwohl sie zu dem veränderten Recht des Entwurfs nicht passe.129 Heftig bekämpft wurde auch die Einordnung der Pächter, Mieter und Pfandgläubiger als bloße Inhaber. Ihnen die Bezeichnung als Besitzer zu entziehen wurde teilweise als eine "Vergewaltigung der Rechtssprache" betrachtet. 130 Andere Autoren mißbilligten die Gleichstellung von Mietern, Pächtern, Pfandgläubigern und Nießbrauchern mit dem Gutsverwalter und dem mit dem Wagen des Bauern zur Stadt fahrenden Knecht. 131 Der Entwurf verkenne den Unterschied zwischen beiden Personengruppen und schreibe der ersten Gruppe im Widerspruch zur deutschen Rechtsgeschichte und Lebensgestaltung den Willen zu, die Sache für einen anderen 132 innezuhaben. Auf heftige Ablehnung stieß die Ausdehnung des Besitzschutzes auf jeden Inhaber. 133 Von den Kritikern wurden verschiedene Vorschläge und Gegenentwürfe zum Besitzrecht ausgearbeitet. Obwohl sie in Einzelfragen voneinander abwichen, waren die wesentlichen Grundforderungen den Entwürfen und Vorschlägen doch gemeinsam. So wurde die Streichung der Regeln über den Eigenbesitz aus dem Besitzrecht gefordert. Soweit eine Regelung des Eigenbesitzes erforderlich war, sollte sie bei der Regelung des Eigentumserwerbs erfolgen. 134 Als Besitz sollte nicht der Eigenbesitz, sondern die Position bezeichnet werden, die den Besitzer berechtige, sein Verhältnis zur Sache durch Gewalt oder Be-

127 Nach § 821 E l sollten die "für den Inhaber begründeten" Klagerechte wegen Besitzentzug oder Besitzstörung (§§ 819, 820 E 1) auch dem Besitzer zustehen. 128

Jhering, Der Besitzwille, S. 491 ff.

129

Jhering, Der Besitzwille, S. 498, 500.

130

Cosack, Das Sachenrecht, S. 8.

131

0 . Gierke, Der Entwurf, S. 295; vgl. auch Jacobi, ArchBürgR 2 (1889), S. 50 ff. und Ring, ArchBürgR 1 (1889), S. 195. 132

Vgl. §§ 804, 805, 811, 813 E 1.

133

Ο. Gierke, Der Entwurf, S. 307; Wendt, AcP 74 (1889), S. 137 - 144, 151 f.; Jhering, Der Besitzwille, S. 503 - 518; Cosack, Das Sachenrecht, S. 10, 19; Bähr, ArchBürgR 2 (1889), S. 123; Reatz, Der Besitz, S. 749, 770 f.; Strohal, JherJb 29 (1890), S. 354 f., 357 ff. 134

Siehe Wendt, AcP 74 (1889), S. 156; Reatz, Der Besitz, S. 771 f.; vgl. die Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen, Bd. 3, S. 29 f f ; S. 38 ff. m.w.N.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

103

sitzansprüche zu verteidigen. 135 Abweichend vom Entwurf sollte allerdings nicht jeder Inhaber in den Genuß des Besitzschutzes kommen. Zur Abgrenzung des Besitzes von der besitzschutzlosen Inhabung machten die Kritiker unterschiedliche Vorschläge. 136 Nach überwiegender Ansicht sollte das eigene rechtliche Interesse 137 des Inhabers entscheidend sein, sogenannte Verwaltungsbesitzer waren danach keine Besitzer. 138 Nach anderer Meinung sollte der Vertreter im Gewahrsam, der den Besitz in fremdem Namen ausübe, besitzschutzloser Inhaber sein. 139 Ein weiterer Vorschlag unterschied zwischen der selbständigen und der unselbständigen Inhabung, wobei letztere dadurch gekennzeichnet sei, daß neben dem unmittelbaren Inhaber ein anderer (Besitzherr) da sei, der in der Lage sei, über die Sache tatsächlich zu disponieren. 140 Jhering schließlich wollte das häusliche, das prokuratorische und das momentane Detentionsverhältnis nicht gegenüber dem Besitzherrn schützen.141 Die Bundesregierungen schlossen sich in ihren Stellungnahmen zum 1. Entwurf im wesentlichen den Forderungen der Kritiker an. 142 Das Justizministerium des bedeutendsten und hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens einflußreichsten 143 Bundeslandes Preußen stimmte dem Entwurf darin zu, daß grundsätzlich jeder tatsächlich vorhandene Besitzstand zu schützen sei. Allerdmgs sei der bloße Verwaltungsbesitz gegenüber dem Besitzherrn überhaupt nicht zu schützen. Das preußische Justizministerium forderte, die Unterscheidung zwischen Besitz und Inhabung fallen zu lassen und jedes rechtlich in Betracht kommende Besitzverhältnis Besitz zu nennen. Ferner sollte im Abschnitt über den Besitz nur der Besitzschutz geregelt werden. In dem Ände135

Wendt, AcP 74 (1889), S. 157 f.; Jhering, Der Besitzwille, S. 509.

136

Siehe dazu die Zusammenstellung bei Schubert, Die Entstehung, S. 75 ff. sowie die Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen, Bd. 3, S. 29 ff., 56 ff. 137

Vgl. auch Wendt, AcP 74 (1889), S. 138.

138

Bähr, ArchBürgR 2 (1889), S. 117, 122 f., § 1 seines Gegenentwurfs lautet: "Besitzer einer Sache ist, wer in Ausübung eigenen Rechts an der Sache die tatsächliche Gewalt über dieselbe übt." In § 22 heißt es: "Wer in Ausübung eines fremden Rechtes die tatsächliche Gewalt über eine Sache übt (Verwalter), hat dem von ihm Vertretenen gegenüber kein Besitzrecht."; O. Gierke, Der Entwurf, S. 307: Unterscheidung zwischen Inhabung zu eigenem Recht und Inhabung in bloßer Vertretung; Meischeider, Streitfragen, S. 80; Wendt AcP 74 (1889), S. 138 ff., 151 f.; vgl. auch Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen, Bd. 3, S. 56. 139

Cosack, Das Sachenrecht, S. 10.

140

Strohal, JherJb. 29 (1890), S. 357 ff.

141

Jhering, Der Besitzwille, S. 510 ff.

142

Vgl. die Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, gefertigt im Reichs-Justizamt, Berlin 1891, Bd. 1, S. 95 ff. 143

Vgl. dazu Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 II 1, S. 20.

104

C. Die Besitztatbestände

rungsvorschlag Preußens erhielt § 797 E 1 folgenden, dem späteren § 854 Abs. 1 BGB bereits ähnlichen Wortlaut: "Der Besitz einer Sache wird erworben durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache mit dem auf diese Erlangung gerichteten Willen."

ee) Der 2. Entwurf (E 2) Durch die massive Kritik am 1. Entwurf sah sich der Bundesrat im Jahre 1890 veranlaßt, zur Überarbeitung des Entwurfs eine zweite Kommission einzuberufen. Ihre sachlichen Beratungen dauerten von 1891 bis 1895. Die 2. Kommission übernahm die wesentlichen Forderungen der Kritiker in die Regelung des Besitzrechts. Man beschloß, in den Abschnitt über den Besitz nur Vorschriften aufzunehmen, die den Besitzschutz betrafen und Bestimmungen auszuscheiden, die den Besitz als Voraussetzung anderer Rechtsnormen behandelten. 144 Als Besitz wurde nun nicht mehr der Eigenbesitz, sondern jedes possessorisch geschützte Verhältnis der Person zur Sache bezeichnet.145 Ferner wurde eine Regelung aufgenommen, die bestimmte weisungsabhängige Personen vom Besitzschutz ausschloß (§ 778 E 2). Umstritten war zwischen den Kommissionsmitgliedern, ob das zur Besitzerwerbung erforderliche Gewaltverhältnis der Person zur Sache durch die Worte "tatsächliche Gewalt über eine Sache" oder durch "Inhabung" umschrieben werden sollte. 146 Für den Ausdruck "Inhabung" wurde vorgebracht, daß es Verhältnisse gebe, die zweifellos Besitzschutz genießen müßten, aber vom Begriff der tatsächlichen Gewalt nicht erfaßt würden. 147 Dieser Einwand wurde mit der Begründung zurückgewiesen, es werde bei verständiger Auslegung des Begriffs "tatsächliche Gewalt" nicht zu bedenklichen Entscheidungen kommen. 148 Auch in der Frage, ob der auf die Erlangung der tatsächlichen Gewalt gerichtete Wille als zwingende Voraussetzung für den Erwerb des Besitzes in das Gesetz aufgenommen werden sollte, herrschte in der Kommission Uneinigkeit. 149 Der Antrag, das Willensmoment in die gesetzliche Erwerbsvorschrift aufzunehmen, wurde damit begründet, daß sonst das Mißverständnis zu befürchten sei, "als soll der Besitzschutz an das äußere Raumverhältnis geknüpft werden, was mit dem inneren Grund des Besitzschutzes in Widerspruch stehen würde." Die Kommissionsmehrheit entschloß sich jedoch dazu, auf das Wil-

144

Protokolle (2. Kommission), S. 3332, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

145

Protokolle (2. Kommission), S. 3332, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

146

Zur Bedeutung dieses Streits siehe sogleich unten f bb (3).

147

Protokolle (2. Kommission), S. 3334, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

148

Protokolle (2. Kommission), S. 3334, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

149

Siehe dazu Protokolle (2. Kommission), S. 3335 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 503.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

105

lenserfordernis zu verzichten, da es Fälle gebe, in denen ein Erwerbswillen desjenigen, "der den possessorischen Schutz erlangen müsse", ungeklärt sei. Dies sei z.B. der Fall, wenn die für jemand bestimmte Sache in dessen Abwesenheit in seiner Wohnung niedergelegt werde. Die Entscheidung der 2. Kommission bedeutete jedoch nicht, daß der Besitzwille ganz verworfen werden sollte. Vielmehr sollte diese Frage der Wissenschaft und der Praxis überlassen bleiben. Wegen der Umgestaltung des Besitzrechts, insbesondere der Anknüpfung des Besitzes an die tatsächliche Gewalt im geänderten § 797 E 1, mußte auch §821 E l neu gefaßt werden. Diese Vorschrift regelte den Besitzschutz des Besitzers, der nicht zugleich Inhaber war. Bei der Beratung über die Änderung des § 821 E 1 war zwischen den Mitgliedern der 2. Kommission umstritten, ob auch dieser (mittelbare) Besitzer besitzrechtlich schutzwürdig sei. Dies wurde von einigen Kommissionsmitgliedern verneint, weil der Vermieter oder Verpächter keine tatsächliche Sachherrschaft habe und im übrigen für eine Ausdehnung des Besitzschutzes auf diese Personen kein Bedürfiiis bestehe.150 Andere bejahten die Schutzwürdigkeit, weil auch der mittelbare Besitzer tatsächliche Sachherrschaft über die Sache habe. Zwar könne er auf das Grundstück kaum tatsächlich einwirken. Die tatsächliche Gewalt äußere sich aber darin, daß der Besitzer Dritte daran hindern könne, sich der Sache zu bemächtigen. Nach der Auffassung des Verkehrs komme auch dem Vermieter und dem Verpächter tatsächliche Gewalt in diesem Sinne zu. 151 Wiederum andere stellten die tatsächliche Gewalt des mittelbaren Besitzers völlig in Abrede. Da dem unmittelbaren Besitzer die Gewalt aber nur auf Zeit überlassen werde und diese nach Beendigung des zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Besitzer bestehenden Verhältnisses wieder auf den mittelbaren Besitzer übergehe, sei auch der mittelbare Besitzer besitzrechtlich schutzwürdig. 152 Insgesamt wollte die Mehrheit der Kommission am Besitzschutz desjenigen, der nach dem 1. Entwurf Besitzer, aber nicht Inhaber war, festhalten. In § 790 Abs. 1 E 2 (später § 868 BGB) wurde daher der Begriff "mittelbarer Besitz" aufgenommen. Allerdings wurde dem mittelbaren Besitzer kein selbständiger Besitzschutz gewährt. Er erhielt nur die dem unmittelbaren Besitzer zustehenden Besitzklagen (§ 790 Abs. 2 E 2). Die 2. Kommission konnte sich nicht dazu entschließen, auf den Begriff des Eigenbesitzes zu verzichten, obwohl dieser heftige Kritik am 1. Entwurf ausgelöst hatte. Der Eigenbesitz sei für bestimmte Vorschriften nicht zu entbehren, so z.B. für §§ 735, 873, 900 E 1 (§§ 836, 927, 955 BGB). 153 Allerdings wurden

150

Protokolle (2. Kommission), S. 3728 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 513 f.

151

Protokolle (2. Kommission), S. 3731 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 514 f.

152

Protokolle (2. Kommission), S. 3731 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 514 f.

153

Protokolle (2. Kommission), S. 3737 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 517.

C. Die Besitztatbestände

106

Anträge, die dem 1. Entwurf ähnliche Vorschriften über den Erwerb und Verlust des Eigenbesitzes enthielten, 154 zurückgenommen oder abgelehnt, weil sie im wesentlichen selbstverständlich seien.155 Statt dessen wurde folgende Norm als § 793 in den 2. Entwurf aufgenommen: "Wer eine Sache als ihm gehörig besitzt, ist Eigenbesitzer." Aus dieser Begriffsbestimmung ergebe sich von selbst, daß der Eigenbesitz verloren gehe, wenn der Besitzer den Besitz verliere oder den Willen aufgebe, die Sache als die seinige zu haben, oder wenn beim Vorhandensein eines mittelbaren Besitzverhältnisses der Besitzer den Besitz aufgebe. 156

f) Schlußfolgerungen Die Entwicklungsgeschichte des Besitzbegriffes ist sowohl für den Anwendungsbereich der §§ 854 ff. BGB als auch für den Zusammenhang zwischen Besitz und tatsächlicher Sachherrschaft und die Begriffsbestimmung der tatsächlichen Sachherrschaft aufschlußreich.

aa) Differenzierung des Besitzbegriffes nach den Besitzfunktionen? Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschriften über den Besitz hat jüngst Ernst den Schluß gezogen, für das BGB müsse nach den Besitzfunktionen zwischen zwei völlig wesensverschiedenen Besitztatbeständen differenziert werden: 157 Sofern es um den Besitzschutz gehe, sei die tatsächliche Sachherrschaft, d.h. die "tatsächliche räumliche Herrschaft", maßgebend. Entsprechend dem Beschluß der 2. Kommission 158 beschränke sich die Regelung der §§ 854 ff. BGB auf diesen Anwendungsbereich. In jeder sonstigen Hinsicht - außer dem Besitzschutz - sei der Tatbestand des Eigenbesitzes, der civilis possessio des gemeinen Rechts,159 worunter Ernst wohl das vom reinen römischen Recht nach der Lehre der Historischen Rechtsschule geprägte Recht versteht, maßgeblich geblieben. Dieser Eigenbesitz sei von jenem räumlich-gegenständlichen Verständnis zu distanzieren, das für den Besitzschutz bestimmend sei. Für den

154

Protokolle (2. Kommission), S. 3724 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 512.

155

Protokolle (2. Kommission), S. 3738, bei Mugdan, Bd. 3, S. 517.

156

Protokolle (2. Kommission), S. 3738, bei Mugdan, Bd. 3, S. 517.

157

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 II 2, S. 23 f. und Kapitel 2 I,

S. 25 ff. 158

Protokolle (2. Kommission), S. 3332, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

159

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 II 2, S. 24.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

107

Eigenbesitz sei entscheidend, daß der Besitzer über die Sache - auch ohne gegenständlichen Umgang mit ihr - wie eine eigene bestimme. 160 Nach Ernst ist diese Trennung der Besitztatbestände nach den Besitzfunktionen das Ergebnis einer Verlegenheitslösung ohne in sich geschlossene Konzeption, nämlich der Ausgleich zwischen dem Bestreben Johows, einen echten Besitzschutz überflüssig zu machen und der traditionalistischen Kommissionsmehrheit, die den Besitzschutz im Grundsatz beibehalten wollte. 161 Ausgangspunkt der Entwicklung zum geltenden Besitzrecht sei das von Johow widerwillig in den Teilentwurf aufgenommene Notwehrrecht des Inhabers gegen den Eigenbesitzer gewesen. Dieses sei gleichsam zum archimedischen Punkt geworden, von dem aus schließlich der Eigenbesitz durch die Inhabung als possessorisch geschützter Tatbestand abgelöst worden sei. 162 Dabei seien aber sowohl Johow als auch die beiden Kommissionen davon ausgegangen, daß für die übrigen Besitzfolgen weiterhin der Eigenbesitz als ein von den §§ 854 ff. BGB verschiedener Tatbestand bestimmend sein sollte. Im weiteren Verlauf seiner Untersuchung behandelt Ernst den Eigenbesitz als Grundlage des Eigentumserwerbs an beweglichen Sachen und kommt dabei zu überzeugenden Ergebnissen.

(1) Das Besitzrecht des BGB als Folge sich wandelnder Schutzbedürfnisse Jedoch verdient die These Emsts, es seien nach den Besitzfunktionen zwei verschiedene Besitzbegriffe zu unterscheiden, Kritik. Ihr Ausgangspunkt, die Anknüpfung des Besitzschutzes an die bloße tatsächliche Sachherrschaft beruhe auf einer Verlegenheitslösung ohne in sich geschlossene Konzeption, berücksichtigt nicht hinreichend die dem BGB vorausgegangene rechtsgeschichtliche Entwicklung. Betrachtet man die Entwicklung des Besitzbegriffs von der Antike bis zur Neuzeit, so wird erkennbar, daß sich der Besitzschutz immer mehr vom Schutz des Eigentümers zum Schutz desjenigen, der die Sache tatsächlich nutzt, verlagert hat. Damit geht ein bestimmter rechtstatsächlicher Vorgang einher, nämlich das zunehmende Auseinanderfallen von Eigentum und tatsächlicher Nutzung. In der römischen Antike wurde eine Sache im Regelfall durch den Eigentümer genutzt. 163 Soweit andere Personen mit der Sache

160

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 3, S. 49.

161

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 I, S. 3 f.

162

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 1 2, S. 7.

163

So war z.B. im altrömischen Recht das Eigentum das vermutlich einzige Sachenrecht, Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, §381, S. 143. Femer wurden Miete und Pacht nicht scharf vom Kauf geschieden, Käser, aaO, § 132 II, S. 564.

C. Die Besitztatbestände

108

umgingen, fehlte ihnen häufig - etwa als Sklaven - die eigene Rechtssubjektivität. Daher kam für sie ein eigener possessorischer Schutz nicht in Frage. Das römische Recht schützte daher nur bestimmte Fremdbesitzer (Prekarist, Faustpfandgläubiger, Erbpächter und Sequester) durch die prätorischen Interdikte. 164 Das Mittelalter war hingegen durch ein ausgeprägtes Lehnssystem gekennzeichnet. Die Grundstücke wurden häufig nicht unmittelbar durch den Eigentümer, sondern von Beliehenen, ζ. B. den Vasallen, Pächtern, Zinsleuten und Benefiziaten, bewirtschaftet. 165 Es entstand daher das Bedürfnis, die Lehnsmänner zu schützen, indem ihnen die (unmittelbare) Gewere zuerkannt wurde. Zwar bestand dieser Schutz nicht gegenüber dem Lehnsherrn oder Leihegeber, der die übergeordnete mittelbare Gewere hatte. Dies ist aber eine natürliche Folge des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Lehnsherrn und Lehnsmann. In der Neuzeit, insbesondere im Zuge der Industrialisierung, wurde es immer selbstverständlicher, daß Wirtschaftsgüter nicht unmittelbar durch den Eigentümer genutzt werden. Man denke nur an die Vielzahl der Menschen, die eine Mietwohnung statt ein Eigenheim bewohnen und an die Bedeutung, die Miete, Pacht, Leasing, Sicherungsübereignung und Eigentumsvorbehaltskauf im Wirtschaftsleben haben. Dabei stehen sich die Vertragspartner gleichberechtigt gegenüber, und die Rechte der Nutzungsberechtigten wurden gegenüber dem Eigentümer immer weiter ausgebaut (Beispiel: Soziales Mietrecht). Mit dieser Entwicklung stieg naturgemäß auch das Bedürfnis, nicht nur die Kontinuitätsinteressen des Eigentümers, sondern auch derjenigen, die die Sache tatsächlich nutzen, zu schützen, und zwar ggf. auch gegenüber dem Eigentümer. Der Besitz gewann und gewinnt gewissermaßen als "Eigentum des kleinen Mannes" zunehmend an Bedeutung.166 Schon die dem BGB vorangegangenen Kodifikationen hatten diesem Bedürfnis Rechnung getragen, indem sie den Nutzungsberechtigten als Rechtsbesitzer schützten und zumindest dem Inhaber, der die Sache im eigenen Interesse besaß, Besitzschutz zubilligten. Das PrALR ging sogar noch darüber hinaus, indem es ein eigenes rechtliches Interesse des Inhabers nur im Verhältnis zum Besitzer forderte (PrALR 1. Theil, 7. Titel, §§ 141 ff.). Auch das mittelalterliche-germanische Recht und das gemeine Recht gewährten den Nichteigentümern einen umfassenden Rechtsbesitzschutz. Diese Tradition hat das BGB nicht fortgesetzt. Außer in den §§ 1029 und 1090 Abs. 2 i.V.m. § 1029 BGB gibt es weder im BGB noch sonst im Bundesrecht

164

Siehe oben 1.

165

Vgl. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 28 III 1 a, S. 202.

166

Ein neuer Höhepunkt dieser Entwicklung ist das Urteil des BVerfG in NJW 1993, 2035 f f , wonach der (berechtigte) Besitz des Mieters als Eigentum i.S. des Art. 14 GG geschützt ist.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

109

einen Rechtsbesitz.167 Die Kontinuitätsinteressen der Nichteigentümer mußten aber gleichwohl einen effektiven Schutz erfahren. Diese Funktion des Rechtsbesitzes mußte vom possessorischen Schutz des Sachbesitzes übernommen werden. Dies hatte Johow bereits in der Begründung zum Teilentwurf erkannt. 168 Die weitgehende Abschaffung des Rechtsbesitzes mußte also zwangsläufig dazu fuhren, daß der Anwendungsbereich des Sachbesitzschutzes ausgedehnt wurde. Er konnte fortan nicht mehr vom Bestehen eines Eigenbesitzwillens abhängig gemacht werden. Vielmehr mußte er an die bloße Inhabung anknüpfen. Es ist nur folgerichtig, dieses Verhältnis, das den Besitzschutz auslöst - wie von den Kritikern des 1. Entwurfs gefordert - auch als Besitz zu bezeichnen. Die Loslösung des Besitzes vom Erfordernis des Eigenbesitzwillens und die Anknüpfung an die bloße "tatsächliche Sachherrschaft" beruhen mithin nicht auf einer Konzeptlosigkeit bei der Schaffung des BGB, sie sind vielmehr die konsequente Fortfuhrung einer an modernen Bedürfnissen orientierten Rechtsentwicklung. 169 Die Einschätzung Johows, das künftige Recht könne ganz auf einen possessorischen Schutz verzichten, 170 hat sicherlich zunächst die Beratungen zum Besitzrecht geprägt. Sie verkannte aber die Notwendigkeit eines effektiven Besitzschutzes. Dieser Mangel wurde während des mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Gesetzgebungsverfahrens behoben. Solche Vorgänge liegen bei derart umfangreichen und komplizierten Aufgaben wie der Schaffung eines Zivilgesetzbuchs in der Natur der Sache. Sie rechtfertigen weniger den Vorwurf der Konzeptlosigkeit als daß sie Anhalt dafür bieten, daß das Ergebnis des Verfahrens auf reiflicher Überlegung beruht.

167 H. M.; MünchKomm/Joost Vor § 854 Rn. 7; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 2 7 1 (S. 160), §27 I V I , S. 163; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 7 pr., S. 240 und § 7 III; a. A. J. von Gierke, Sachenrecht, § 13, S. 31 f.; vgl. auch Pawlowski, Rechtsbesitz, S. 95 ff. 168

S. 357, bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht, Teil 1, S. 481.

169

Vgl. aber auch Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 1 I 5, S. 19: "Im Rückblick meinen wir darin (d.h. in der Anerkennung des Besitzschutzes für den Mieter, Anm. des Verf.), den Vollzug des geschichtlich Gebotenen zu erkennen, weil uns die possessorische Schutzlosigkeit vor allem des Haus- oder Wohnungsmieters als unhaltbar erscheint. Bleibt man bei den Quellen, dann ist dieser Gesichtspunkt aber weder für Johow noch für die Kommission ausschlaggebend gewesen." - Selbst wenn letzteres zutreffen sollte, ändert dies nichts daran, daß die Besitzregelung des BGB letztlich doch den modernen wirtschaftlichen Bedürfnissen gefolgt ist. Siehe auch Dedek, ZEuP 1997, 342 ff., der zu Recht darauf hinweist, daß die moderne Gesetzgebung die erheblichen Veränderungen, die die herrschenden sozialen Verhältnisse seit der Antike erfahren haben, berücksichtigen mußte und daher auch Besitzbegriff und -schütz ausweiten mußte. 170

Siehe oben e aa.

C. Die Besitztatbestände

110

(2) Einheitlichkeit des Besitzbegriffs in der geschichtlichen Entwicklung Im übrigen wäre die Annahme zweier wesensverschiedener Besitzbegriffe ein Novum in der Rechtsgeschichte:171 Das römische Recht unterschied zwar zwischen zwei verschiedenen Besitzarten, dem Ersitzungsbesitz und dem Interdiktenbesitz.172 Beide waren jedoch nicht wirklich wesensverschieden, sondern grundsätzlich Eigenbesitz, nur daß der Interdiktenbesitz zusätzlich noch vier Arten von Fremdbesitzern erfaßte. 173 Auch das gemeine Recht unterschied nicht nach den Besitzfunktionen zwischen wesensverschiedenen Besitzbegriffen. Eine Differenzierung wesensverschiedener Besitzbegriffe ist sogar nicht einmal während der Entstehungsgeschichte des BGB zu erkennen. 174 Der Teilentwurf Sachenrecht regelte den Besitz sowohl als Voraussetzung des Sacherwerbs als auch der des Besitzschutzes (§§ 74 ff. TE), ging also für beide Funktionen grundsätzlich von einem einheitlichen Besitzbegriff aus. 175 Freilich knüpfte § 72 TE bei beweglichen Sachen die Gewaltrechte an die Inhabung, jedoch bestimmte § 48 Abs. 3 TE, daß der Inhaber grundsätzlich auch der Besitzer sei. Ähnlich verhielt es sich im 1. Entwurf zum BGB. Der Rechtserwerb setzte Besitz voraus, der Besitzer hatte aber kaum - außer in § 821 Ε 1 - Besitzschutzrechte. Der Besitzschutz kam vielmehr dem Inhaber zu. Inhabung und Besitz unterschieden sich gemäß § 797 E 1 jedoch allein dadurch, daß der Besitzer zusätzlich zur tatsächlichen Sachherrschaft den Willen hatte, die Sache als die seinige zu haben. Es ist hingegen nicht ersichtlich, daß die tatsächliche Beziehung des Inhabers zur Sache eine qualitativ andere sein sollte als die des Besitzers. Die 2. Kommission schließlich wollte zwar im Interesse der Klarheit des Gesetzes die Vorschriften des Abschnitts über den Besitz zunächst auf den Besitz als Voraussetzung des Besitzschutzes beschränken. 176 Sie kam aber später zu der Erkenntnis, daß auf den Begriff des Eigenbesitzes nicht verzichtet werden könne und war auch damit einverstanden, ihn im Abschnitt über den Besitz zu regeln. 177 Die Vorschrift über den Eigenbesitz sollte lauten: "Wer eine Sache als ihm gehörig im Besitze oder im mittelbaren Besitze hat, ist Eigenbesitzer." 178

171

Vgl. zum folgenden Wieling, NJW 1993, 510.

172

Siehe oben a.

173

Wieling, NJW 1993,510.

174

Wieling, NJW 1993,510.

175

Wieling, NJW 1993,510.

176

Protokolle (2. Kommission), S. 3332, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

177

Protokolle (2. Kommission), S. 3737 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 517.

178 Protokolle (2. Kommission), S. 3738, bei Mugdan, Bd. 3, S. 517. (Bei dem Wort "Einzelbesitzer" dürfte es sich um einen Druckfehler handeln.)

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

111

Auch die 2. Kommission wollte also offenbar nicht mit dem Eigenbesitz eine vom Besitz wesensverschiedene neue Besitzart einführen. 179

(3) Eigenbesitz als Besitz besonderer "Farbe" Ein gewichtiger Grund gegen eine Differenzierung zweier Besitzbegriffe nach den Besitzfunktionen folgt daher aus dem BGB selbst. Die Definition des Eigenbesitzes, die die 2. Kommission entwickelt hat, ist in § 872 BGB in prägnanterer Formulierung Gesetz geworden. Danach ist Eigenbesitzer, "wer eine Sache als ihm gehörend besitzt". Die Vorschrift verweist also auf die §§ 854 ff. BGB. Freilich möchte Ernst § 872 gleichwohl anders verstehen: "Nach § 872 ist Eigenbesitzer, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt, wer tatsächlich über die Sache wie deren Eigentümer bestimmt." 180 Mit dem Verb "besitzen" habe sich eine Homonymie in das Gesetz eingeschlichen. Es habe eine andere Bedeutung als der "Besitz" i.S. des § 854 Abs. 1 BGB. Insbesondere sei der Eigenbesitz nicht an das in § 854 Abs. 1 BGB als Besitz bezeichnete räumliche Näheverhältnis der "tatsächlichen Gewalt" gebunden.181 Für eine Homonymie gibt es indes keinen Anhaltspunkt. Schon die possessio des römischen Rechts setzte sich aus dem Besitzcorpus, der in Anlehnung an Savigny überwiegend als tatsächliche Sachherrschaft bezeichnet wird, und dem Eigenbesitzwillen zusammen.182 Ferner bestimmte auch § 797 E 1, der (Eigen-) Besitz einer Sache werde durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache in Verbindung mit dem Willen des Inhabers, die Sache als die seinige zu haben, erworben. Wenn § 872 BGB mit "besitzen" z.B. die tatsächliche Sachherrschaft des § 854 BGB meint, verweist er mithin genau auf den Tatbestand, der - zumindest nach herrschender Ansicht 183 - auch im römischen Recht und in § 797 E 1 zum Erwerb des Eigenbesitzes führte. § 872 wird auch im Schrifttum nahezu einhellig so verstanden, wie es sein Wortlaut bestimmt, daß nämlich der Eigenbesitz sich hinsichtlich seiner tatsächlichen (besser: objektiven) Seite nicht vom Besitz i.S. der §§ 854 ff. BGB unterscheidet. 184 Bildlich gesprochen handelt es sich um Besitz, der eine besondere (Rechts-) "Farbe" trägt, 185 ohne aber wesensverschieden zu sein.

179

Siehe dazu sogleich (3). Vgl. auch Wieling, NJW 1993, 510.

180

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 2 IV, S. 38.

181

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 2 IV, S. 38 f.

182

Siehe oben a.

183

Siehe dazu auch unten bb (3).

184

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 4, S. 143; RGRK/Kregel § 872 Rn. 1, 3; Soergel/Mühl § 872 Rn. 3; MünchKomm/Joost § 872 Rn. 1 ff. Vgl. auch Schreiber, Sa-

112

C. Die Besitztatbestände

(4) Probleme bei der Gesetzesanwendung Im übrigen würde eine Differenzierung der Besitzbegriffe nach den Besitzfünktionen zu unnötigen Komplikationen bei der Gesetzesanwendung führen. So würde sich z.B. die Frage ergeben, ob für § 1007 BGB der Besitzbegriff der §§ 854 ff. BGB oder der Eigenbesitz i.S. der civilis possessio maßgebend sein soll. Im letzten Fall würden Fremdbesitzer als Anspruchsberechtigte ausscheiden, was dem heutigen Verständnis von § 1007 BGB widerspräche. 186 Auch im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis würde sich das Problem stellen, ob Fremdbesitzer daraus berechtigt und verpflichtet sein sollen. Eine Diffenrenzierung des Besitzbegriffes nach den Besitzfolgen ist daher abzulehnen.

(5) § 836 Abs. 3 BGB Daß das Gesetz die Bedeutung der §§ 854 ff. BGB nicht auf den Besitzschutz beschränkt und außerhalb des Besitzschutzes mit "Besitz" nicht stets den Eigenbesitz meint, kann auch aus § 836 Abs. 3 BGB abgeleitet werden. Der Hinweis, der Besitz i.S. des § 836 BGB sei der Eigenbesitz, wäre nämlich überflüssig, wenn hier unter "Besitz" ohnehin der Eigenbesitz verstanden werden müßte.

(6) Einschränkungen bei Ernst Schließlich scheint auch Ernst nicht konsequent an der These von der Unterscheidung zweier verschiedener Besitztatbestände - Eigenbesitz als Voraussetzung für den Rechtserwerb, tatsächliche räumliche Herrschaft für den Besitzschutz - festhalten zu wollen: Zunächst räumt er ein, daß die h.M. die Gewäh-

chenrecht, Rn. 89; Palandt/Bassenge § 872 Rn. 1; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 7 1 1 , S. 30; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 12 II, S. 98; vgl. auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 310, Fn. 1, S. 188. - Allerdings hat der BGH im Feldbahnlokomotivenfall (BGHZ 31, 129, 134) angenommen, Fremd- und Eigenbesitz i.S. des § 872 BGB unterschieden sich grundsätzlich in ihrem Wesen. Mit dieser Begründung bejaht der BGH die Haftung desjenigen aus § 990 BGB, der bei der Umwandlung von Fremd- in Eigenbesitz bösgläubig ist. Worin die Wesensverschiedenheit bestehen soll, sagt der BGH nicht. Der Entscheidung ist daher auch nicht die Behauptung zu entnehmen, der Eigenbesitz unterscheide sich hinsichtlich seiner objektiven Voraussetzungen vom Besitz i.S. des §§ 854 ff. BGB. 185 Heck, Sachenrecht, § 5 Nr. 1, S. 17 f. und § 9 I, S. 34 f.; Baur/Stümer, Sachenrecht, § 7 E 1, S. 71. 186 Siehe zum Schutz des Fremdbesitzers nach § 1007 BGB Soergel/Mühl, § 1007, Rn. 2; MünchKomm/Medicus § 1007, Rn. 5.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

113

rung des Besitzschutzes nicht allein vom Bestehen der tatsächlichen Sachherrschaft, sondern von der Verkehrsanschauung abhängig macht. 187 Danach möchte er selbst den Begriff der tatsächlichen Gewalt doch nicht "als die physische Beherrschung aufgrund räumlicher Nähe", sondern als Inhabung des gemeinen Rechts verstehen. 188 Leider verfolgt er diesen Gedanken nicht weiter. 189

bb) Loslösung des Besitzes vom Erfordernis der tatsächlichen Sachherrschaft Allerdings verdient das Anliegen Emsts, den Besitzbegriff zumindest teilweise vom Erfordernis der tatsächlichen Sachherrschaft zu lösen, uneingeschränkt Zustimmung. Die Überlegenheit eines solchen Besitzbegriffes hat Ernst fur zahlreiche Probleme des Eigentumserwerbs an beweglichen Sachen in seiner ausfuhrlichen Untersuchung 190 nachgewiesen. Dieser Lösung gebührt aber nicht nur - wie von Ernst vertreten - für einzelne Besitzfunktionen, sondern für den Besitz insgesamt der Vorzug.

(1) Heranziehung der civilis possessio des gemeinen Rechts Jedoch sollte die Bestimmung der Besitztatbestände nicht durch die Heranziehung der civilis possessio des gemeinen Rechts erfolgen. Es ist bereits fraglich, ob man auf eine Rechtsfigur, die ihren Ausgangspunkt in der Ersitzung hat, noch zurückgreifen darf, obwohl die Ersitzung ihre Bedeutung weitgehend verloren hat. Ferner ist zu beachten, daß der römisch-rechtliche Begriff der civilis possessio in Deutschland trotz des Einflusses der Historischen Rechtsschule unter der Führung Savignys in der Rechtspraxis nie uneingeschränkte Geltung hatte.191 Vielmehr waren stets auch deutschrechtliche Einflüsse wirksam, die Ernst völlig außer Betracht läßt. 192 Zwar kann man auch den 1. Entwurf des BGB als einen Versuch werten, dem römischen Recht in Deutschland Geltung zu verschaffen. Jedoch stand dieser Entwurf selbst in Widerspruch zum römischen Recht, indem er jedem Inhaber Besitzschutzrechte

187

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 2 IV, S. 42 ff.

188

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 2 IV, S. 43 f.

189

Daß die Anknüpfung des Besitzschutzes an die bloße tatsächliche Sachherrschaft Kritik verdient, erkennt Emst bereits in Kapitel 1 II 2, S. 24. Aber auch dort vertieft er diese Frage nicht. 190

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 4 bis 8.

191

Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 390 f.; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, § 29, S. 222. 192

Vgl. auch die Kritik Wielings, NJW 1993, 510.

8 Härtung

C. Die Besitztatbestände

114

zuerkannte. Ferner zeigt der Vorwurf seiner Kritiker, er sei zu romanistisch, 193 daß das reine römische Recht nach Ansicht zeitgenössischer Rechtswissenschaftler nicht mehr sachgerecht war. Außerdem ist der Begriff der civilis possessio selbst zu unbestimmt. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß das gemeine Recht in Deutschland von der Rezeption im Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Geltung hatte und sich während dieser Zeit naturgemäß auch wandelte. Hinzu kommt die unterschiedliche Bedeutung des gemeinen Rechts in den verschiedenen Teilen Deutschlands.194 Wenn man auf das gemeine Recht verweist, muß man daher auch sagen, auf welches. Aber selbst wenn man - wie Ernst es offenbar tut - das von den Lehren der Historischen Rechtsschule wissenschaftlich durchdrungene gemeine Recht des 19. Jahrhunderts zugrunde legt, ist nicht viel für eine Distanzierung des Besitzes von der Vorstellung, es setze stets tatsächliche Sachherrschaft voraus, gewonnen. Zwar kann man aus heutiger Sicht viele Besitzarten des gemeinen Rechts und der vom gemeinen Recht beeinflußten 195 Kodifikationen als Fälle des Besitzes ohne tatsächliche Sachherrschaft betrachten. Dies haben wir oben bereits getan. 196 Ferner gibt es sogar im römischen Recht Fälle von Besitz, die nicht auf die Existenz tatsächlicher Sachherrschaft zurückgeführt werden können. 197 In der Lehre des 19. Jahrhunderts hingegen wurde der Besitz häufig als die tatsächliche Gewalt über eine Sache begriffen: Der (Eigen-) Besitz setze sich aus zwei Elementen zusammen, und zwar aus der tatsächlichen Sachherrschaft (corpus) und dem Willen, die Sache für sich zu haben (animus). 198 Zu den "modernen Gesetzgebungen" stellte Johow in seiner Begründung der Änderungsvorschläge von 1883/84199 fest, daß sie sich von der Vorstellung des Besitzes als der tatsächlichen Beherrschung der Sache nicht trennen konnten, "weil das Römische Recht

193

Siehe oben e dd.

194

Siehe zur Geltungsdauer und zur Ausbreitung des gemeinen Rechts Thieme, HRG, Bd. 1, Sp. 1506 ff. 195

Vgl. Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. II, § 66 III, S. 373 und § 68 I, S. 377 f. hinsichtlich des PrALR. 196

Siehe oben c und d.

197

Siehe dazu unten (3).

198

Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 1, § 149, S. 748. Vgl. auch Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 169 1, S. 391 ff., §§ 177 ff., S. 408 ff.; Savigny, Das Recht des Besitzes, §§13 ff., S. 205 ff. und Wendt, Lehrbuch der Pandekten, §102, S. 287, §107, S. 297 ff. Anders Arndts von Arnesberg, Lehrbuch der Pandekten, § 135 A, S. 240: "... so konnte nicht jene unmittelbare natürliche Herrschaft über die Sache als wesentliches Moment für dessen Dasein festgehalten werden, sondern wird darauf Gewicht gelegt, ob Jemand thatsächlich in solcher Beziehung zur Sache stehe, wie sich der Eigenthümer, dem nicht fremder Eingriff oder sonst ein natürliches Hinderniß in den Weg tritt, zu der Sache zu verhalten pflegt...", siehe auch § 139, S. 250. 199

Bei Jakobs/Schubert, Die Beratung, Sachenrecht I, S. 217.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

115

den Besitz so auffaßte und wegen der angenommenen Willensunterwerfung der Inhaber so auffassen konnte." "Gegenwärtig", so fährt er fort, "würde es auf eine reine Fiktion hinauslaufen, wenn man dem Vermiether oder Auftraggeber die tatsächliche Macht über die Sache zuschreiben wollte." Johow sieht sich daher zu dem Hinweis veranlaßt, daß der (Eigen-) Besitz im noch zu schaffenden BGB nicht die tatsächliche Macht über die Sache, sondern das tatsächliche Anerkanntsein des Eigentums sei. Wenn Ernst den Tatbestand seines Eigenbesitzes mit den Worten "Bestimmung über die Sache wie über eine eigene" umschreibt und ihn so von einem räumlich-gegenständlichen Verständnis distanzieren will, 2 0 0 befindet er sich zwar im Einklang mit Johow, nicht aber unbedingt mit den Lehren des 19. Jahrhunderts zum gemeinen Recht. 201 Im übrigen bleibt die von Ernst gewählte Umschreibung des Eigenbesitzes recht konturenlos und unklar. "Die Bestimmung über die Sache wie über eine eigene" ist letztlich doch nur eine Leerformel, und es besteht die Gefahr, daß diese wiederum allein mit Blick auf die tatsächlichen Herrschaftsbeziehungen und die Verkehrsanschauung ausgefüllt wird. Man wäre wieder beim Ausgangspunkt angelangt, nämlich der Gleichsetzung von Besitztatbestand und tatsächlicher Sachherrschaft. 202 Schließlich hilft der Begriff des Eigenbesitzes nicht weiter, wenn es um den Erwerb anderer Rechte als des Eigentums geht. 203 Für den Erwerb eines Faustpfandrechts kann nicht der Eigenbesitz, sondern nur der Fremdbesitz Voraussetzung sein, denn der Pfandgläubiger bestimmt nicht über die Sache wie über eine eigene. Fraglich ist, worin der Fremdbesitz bestehen soll: Die bloße tatsächliche Sachherrschaft kann es jedenfalls nicht sein, weil diese ja nur für den Besitzschutz maßgeblich sein soll. Neben der tatsächlichen Sachherrschaft und dem Eigenbesitz müßte also ein weiterer Besitztatbestand - möglicherweise je nach Art des Fremdbesitzes (ζ. B. Pfand, Miete, Verwahrung) auch mehrere - eingeführt werden. Dies wäre ein schon wegen seiner Umständlichkeit unbefriedigendes Ergebnis.

200

Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 2 IV, S. 38.

201

Dessen ist sich Ernst durchaus bewußt, Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 2 IV, S. 39. Er setzt sich mit der Doktrin des 19. Jahrhunderts jedoch nicht weiter auseinander. 202 Vgl. dazu die Kritik von Wieling, NJW 1993, 510 f., wonach der von Ernst gebrauchte Besitzbegriff zu keinen neuen praktischen Ergebnissen fuhrt. 203

*

Vgl. Wieling, NJW 1993, 510.

C. Die Besitztatbestände

116

(2) Berücksichtigung der deutschrechtlichen Einflüsse Bei der Bestimmung des Besitztatbestandes ist nicht nur das römische Recht zu berücksichtigen, es sind vielmehr auch die von Ernst vernachlässigten 204 deutschrechtlichen Einflüsse zu beachten. Wie der rechtsgeschichtliche Überblick gezeigt hat, sind viele germanisch-deutsche Rechtsvorstellungen auch nach der Rezeption des römischen Rechts bis in das 20. Jahrhundert lebendig geblieben. Anders wäre die - sachlich allerdings kaum berechtigte 205- Kritik, der 1. Entwurf des BGB sei zu romanistisch, 206 nicht zu verstehen. In den §§ 854 ff. BGB finden sich daher zahlreiche deutsche Rechtsgedanken wieder: Ähnlich wie das germanische Recht schützt das BGB grundsätzlich jeden Inhaber. Die Figur des mittelbaren Besitzes erinnert an die mittelbare Gewere, die des Erbenbesitzes an die ideelle Gewere. Man kann daher wohl die These wagen, daß der sachliche Gehalt der Besitztatbestände des BGB vorwiegend dem germanischen Recht entstammt,207 während im übrigen das Besitzrecht neben der Ausgestaltung des Besitzschutzes vor allem die Terminologie und die klare Systematik dem römischen Recht verdankt. 208 Aus diesem Befund lassen sich Schlüsse für die Auslegung der Besitztatbestände ziehen: Für den Tatbestand der Gewere war das Eigentum nicht maßgeblich. Auch war das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft nur von untergeordneter Bedeutung. Ausschlaggebend war vielmehr die wirtschaftliche Nutzung der Sache.209 Auf die gleiche Weise kann auch der gestufte Besitz des älteren gemeinen Rechts erklärt werden. Im Fortbestand des Besitzes bei gewaltsamer Entziehung der Sache210 wird die Bedeutungslosigkeit der tatsächlichen Sachherrschaft im älteren gemeinen Recht besonders deutlich. Die Besitztatbestände orientierten sich mithin weniger an tatsächlichen Herrschaftsbeziehungen, sondern vielmehr an wirtschaftlichen Schutzbedürfhissen, die mit der Ausbreitung des Lehnssystems und zunehmender Arbeitsteilung immer bedeutsamer wurden. 211 Diese wirtschaftlichen Interessen lagen in dem Fortbe-

204

Wieling, NJW 1993,510.

205

Wieling, Studi Sanfilippo, Bd. 1, S. 725.

206

Siehe oben e dd.

207

Vgl. Ogris, HRG, Bd. 1, Sp. 391 f.; O. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 114, insbesondere § 114 I I I 5, S. 218 ff. Siehe zum 1. Entwurf des BGB auch Wieling, Studi Sanfilippo, Bd. 1, S. 725, wonach "im Inhaberschutz die germanisch-deutsche Verkehrsanschauung voll" gesiegt habe.-A.A. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 II 4 d, S. 125, dazu sogleich. 208

Vgl. dazu Schubert, Die Entstehung, S. 72 f., 95.

209

Siehe oben b bb.

210

Siehe oben c.

211

Siehe dazu die Darlegungen oben aa (1).

I. Rechtsgeschichtlicher Überblick

117

stand der Möglichkeit, eine Sache zu nutzen und sind am treffendsten als Kontinuitätsinteressen zu bezeichnen. Damit läßt sich der Schutz derselben Interessen, die wir bereits als Grund unseres heutigen Besitzschutzes erkannt haben,212 in der Rechtsgeschichte nachweisen. Es ist daher naheliegend, auch im geltenden Recht die ausschlaggebende Voraussetzung für die Besitztatbestände nicht im Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft, sondern in einer Beziehung zur Sache zu sehen, die schutzwürdige Kontinuitätsinteressen entstehen läßt. 213 Man könnte der hier dargelegten Argumentation entgegenhalten wollen, daß in den Protokollen der BGB-Kommission ein deutschrechtlicher Einfluß nicht zu bemerken sei, daß die Verfasser des BGB vielmehr grundsätzlich vom römischen Recht ausgehen wollten und man von der Ähnlichkeit in der Ausgestaltung der Gewere und des Besitzes nicht auf eine Beeinflussung des letzteren durch die erstere schließen könne. 214 Diese Einwände können jedoch nicht überzeugen: Die 1. Kommission war damit beauftragt, im BGB das vorhandene Recht zu kodifizieren. 215 Das geltende Recht war aber - daran hatte, wie oben dargelegt, auch der Einfluß der Historischen Rechtsschule und der Pandektenwissenschaft nur bedingt etwas ändern können - auch von deutschrechtlichen Gedanken geprägt. Diese mußten daher auch in die Kodifikation Eingang finden. Des weiteren ist es zweifelhaft, ob die Verfasser des BGB wirklich vom römischen Recht ausgehen wollten. Immerhin war sich Johow dessen bewußt, daß sich das damals geltende Recht - etwa durch einen weitergehenden Inha-

212

Siehe oben Β III 1 b a a ( l ) ( d ) .

213

Möglicherweise können sogar die römischen Besitztatbestände auf die Existenz schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen zurückgeführt werden: Da zumindest in altrömischer Zeit die Sachen regelmäßig von ihrem Eigentümer genutzt wurden, hatte grundsätzlich nur dieser schutzwürdige Kontinuitätsinteressen. Dies könnte der Grund für die zentrale Bedeutung des Eigenbesitzes im römischen Besitzrecht sein. Ferner könnte der Schutz bestimmter Fremdbesitzer, nämlich des Erbpächters, des Prekaristen, des Pfandgläubigers und des Sequesters, darauf beruhen, daß diese Personen häufig ein stärkeres Interesse an der Erhaltung des Besitzes haben als der Eigentümer (vgl. Käser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, § 94 III 2 b - e, S. 387 ff.) Immerhin hatte schon Jhering den Besitzschutz des römischen Rechts auf ein privates wirtschaftliches Interesse des einzelnen zurückgeführt (siehe oben Β III 1 b a a ( l ) (c). Indes soll dieser Gedanke hier nicht vertieft werden. Die Anschauungen des römischen Rechtslebens ermöglichten es nämlich, das Bestehen tatsächlicher Gewalt auch dann zu bejahen, wenn sich die Sache in den Händen eines Dritten befand: Nahezu jede Form der Nutzung konnte daher zugleich als Sachherrschaftsbeziehung aufgefaßt werden, so daß der Schutz von Kontinuitätsinteressen dahinter zurücktreten mußte und für eine Bestimmung der Besitztatbestände kaum fruchtbar gemacht werden kann. 214 215

Vgl. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 II 4 d, S. 125.

Vgl. die Empfehlung der vom Bundesrat eingesetzten Vorkommission, Drucksache BR Nr. 53 vom 16.4.1874, abgedruckt bei Rassow, Gruchot 21 (1877), S. 175 - 195; Schubert, Die Entstehung, S. 15 f., 21.

C. Die Besitztatbestände

118

berschutz - vom römischen Recht unterschied und eine vollständige Rückkehr zum römischen Recht nicht möglich war. 216 Die Frage braucht jedoch nicht weiter untersucht zu werden. Es ist nämlich nur von untergeordneter Bedeutung, ob die Verfasser des BGB sich möglicherweise keines deutschrechtlichen Einflusses bewußt waren und nur vom römischen Recht ausgehen wollten. Entscheidend ist vielmehr, ob man die Gedanken, die dem älteren Recht zugrunde lagen, auch zur Erklärung des neueren heranziehen kann. Dabei legt die Ähnlichkeit zweier Regelungen die Vermutung, daß beide auf denselben Rechtsgedanken beruhen, zumindest nahe. Für das Besitzrecht wird diese Vermutung bestärkt, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das mittelalterlichegermanische und das ältere gemeine Besitzrecht das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung und in den Bedürfnissen des Rechtslebens verankert sind, während die Wiedergeburt des "reinen" römischen Rechts im 19. Jahrhundert vorwiegend auf einem zum Dogma erhobenen Historismus beruht und der seit der Antike veränderten Wirklichkeit nicht vollständig gerecht wird. Im übrigen ist die hier auf das mittelalterliche und das ältere gemeine Recht zurückgeführte Idee, für den Besitztatbestand sei das wirtschaftliche Interesse an einer Sache maßgeblich, durchaus in Ansätzen auch im Gesetzgebungsverfahren zum BGB zu finden: So hat z. B. § 72 Ab. 4 TE dem Inhaber, der eine fremde Sache "im eigenen rechtlichen Interesse" innehat, Gewaltrechte auch gegen den (Eigentums-) Besitzer zuerkannt. Ferner sollte nach Ansicht der Kritiker des 1. Entwurfs das eigene rechtliche Interesse des Inhabers für die Abgrenzung zwischen Besitz und besitzschutzloser Inhabung maßgeblich sein. 217

(3) Die Formulierung des Besitztatbestandes in § 854 Abs. 1 BGB Dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB zufolge ist jedoch allein das Vorhandensein tatsächlicher Sachherrschaft für die Entstehung von Besitz maßgeblich. Andere Beziehungen zur Sache - etwa ein rechtliches Interesse an ihr - können danach scheinbar keine Berücksichtigung finden. In Wahrheit kann aber der Entstehungsgeschichte gerade dieser Vorschrift entnommen werden, daß für die Begründung von Besitz weniger das Vorliegen tatsächlicher Gewalt im Sinne einer unmittelbaren körperlichen Einwirkungsmöglichkeit als vielmehr die Schutzwürdigkeit des Besitzers maßgeblich ist. Nachdem die 2. Kommission beschlossen hatte, jedes possessorisch geschützte Verhältnis als Besitz zu bezeichnen, herrschte Meinungsverschiedenheit darüber, wie der Besitztatbestand des § 777 E 2, der dem § 854 Abs. 1 216 Vgl. dazu Begründung zum Teilentwurf Sachenrecht, S. 356 f., bei Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht Teil 1, S. 480 f., siehe auch oben e aa. 217

Siehe oben e dd.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

119

BGB entspricht, zu formulieren sei. 218 Zwar war man sich darin einig, daß der Besitzschutz an das äußere Herrschaftsverhältnis der Person zur Sache anknüpfen sollte, es war aber umstritten, wie dieses Verhältnis zu umschreiben sei. Es wurde vorgeschlagen, den in § 797 E 1 verwendeten Begriff der "tatsächlichen Gewalt" durch den Ausdruck "Inhabung" zu ersetzen. Dies wurde damit begründet, daß es Verhältnisse zur Sache gebe, die zweifellos possessorischen Schutz verdienten, in denen aber keine tatsächliche Gewalt über die Sache vorliege. 219 Zwar sei der Begriff "tatsächliche Gewalt" in der Wissenschaft allgemein üblich, bisher sei seine Ungenauigkeit aber "durch zahlreiche Einzelbestimmungen für bestimmte Verhältnisse erläutert und berichtigt" worden. 220 Werde nun durch das Gesetz allgemein die Erlangung der tatsächlichen Gewalt als Erfordernis des Besitzerwerbes aufgestellt, entstehe bei zu wörtlicher Anwendung des Gesetzes die Gefahr, daß in manchen Fällen zu Unrecht der Besitzschutz verneint werde. 221 Der Begriff "Inhabung" sei in dieser Hinsicht ungefährlicher, weil er unbestimmter sei. Auch sei dieser Begriff durch die gemeinrechtliche Wissenschaft und durch den 1. Entwurf "als Bezeichnung des römischen Begriffes der Detention allgemein bekannt und verständlich geworden." 222 Der Änderungsvorschlag wurde von der Kommissionsmehrheit abgelehnt: "Mit dem Worte "Inhabung" werde das hier in Frage stehende Verhältniß in keiner Weise näher gekennzeichnet. Gerade in den Fällen, in welchen sich die Angemessenheit des Ausdrucks "tatsächliche Gewalt" in Zweifel ziehen lasse, passe der Ausdruck "Inhabung" gewiß nicht, z.B. beim Besitze an entfernt gelegenen Grundstücken. Gegenüber dem Antrage 2 wäre es vorzuziehen, den Begriff des "Besitzes" ohne nähere Erläuterung als bekannt vorauszusetzen, was jedoch bei der Vieldeutigkeit dieses Wortes nicht angehe."223 An dem Begriff "tatsächliche Gewalt" hielt die Kommission mit folgender Begründung fest: "Der Ausdruck "thatsächliche Gewalt" werde bei verständiger Gesetzesanwendung nicht zu bedenklichen Entscheidungen Anlaß geben. Er bezeichne zugleich das für das Wesen des Besitzes kennzeichnende Moment, daß der Besit218

Siehe dazu Protokolle (2. Kommission), S. 3332 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 502 f.

219

Protokolle (2. Kommission), S. 3333 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

220 Wie bereits erwähnt, enthielten auch die Kodifikationen (siehe oben d), der Teilentwurf Sachenrecht (§§ 53 ff, siehe dazu oben e aa) und der 1. Entwurf (§§ 800 ff, siehe dazu oben e cc) spezielle Vorschriften, in denen das Bestehen des Besitzes für besondere Fälle geregelt wurde. In der hier wiedergegebenen Begründung zu dem Änderungsvorschlag kann man eine Bestätigung der oben (jeweils aaO) gewonnen Einschätzung sehen, daß viele Besitztatbestände der Kodifikationen, des Teilentwurfs und des 1. Entwurfs keine tatsächliche Sachherrschaft beinhalten. 221

Protokolle (2. Kommission), S. 3334, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

222

Protokolle (2. Kommission), S. 3334, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

223

Protokolle (2. Kommission), S. 3334, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

120

C. Die Besitztatbestände

zer im Stande sei, Dritte von seinem Machtbereiche auszuschließen. Daß zum Besitzerwerbe Erlangung der thatsächlichen Gewalt nöthig sei, werde in allen Fällen zutreffen. Nach den im Verkehre herrschenden Anschauungen sei es dann zu beurtheilen, ob das thatsächliche Verhältniß der Person zur in Besitz genommenen Sache ausreiche, um den Besitz als fortbestehend anzusehen. Jedenfalls sei es richtiger, die Erlangung der thatsächlichen Gewalt als Erforderniß aufzustellen, als nach dem Vorschlage Jherings die Herstellung desjenigen Verhältnisses der Person zur Sache, welches durch den Zweck ihrer wirthschaftlichen Verwendung geboten sei." 224 Bei dieser Begründung stehen die wichtigsten Aussagen wohl zwischen den Zeilen. Sie macht deutlich, daß es sich bei der Formulierung des § 854 Abs. 1 BGB um eine Kompromißlösung handelt, über die die Kommissionsmehrheit wohl selbst nicht ganz glücklich war. Der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB ist nämlich das Ergebnis einer gewissen Unentschlossenheit der Kommission. Einerseits wollte sie sich - der Kritik am 1. Entwurf 225 folgend - von der engen Anlehnung an das römische Recht lösen, andererseits blieb sie der Lehre Savignys, Besitz sei tatsächliche Gewalt, verhaftet: Der künftige Besitzschutz sollte alle Sachbeziehungen erfassen, die possessorisch schutzwürdig erschienen. So sollte z.B. auch der Besitz an einem entfernt gelegenen Grundstück geschützt werden. 226 Für den Besitztatbestand war mithin ein Ausdruck oder eine Formulierung zu finden, die möglichst alle Fälle einbezog, die possessorischen Schutz verdienten. Der Ausdruck "Inhabung" konnte dies allenfalls dann leisten, wenn man ihn nicht wörtlich verstand, sondern die vor allem zum römischen Recht entwickelte Dogmatik heranzog. Dies war ja im Änderungsvorschlag auch angeregt worden. Die Kommissionsmehrheit geht in der ablehnenden Begründung mit keinem Wort auf diese Anregung ein. Möglicherweise wollte sie den Begriff "Inhabung" deshalb nicht in das Besitzrecht aufnehmen, damit man nicht auch dem neuen Entwurf vorhalten konnte, er sei zu romanistisch. Jhering hatte vorgeschlagen, den Besitztatbestand nicht an die tatsächliche Sachherrschaft, sondern an diejenige äußere "Gestaltung des Verhältnisses der Person zur Sache, welche durch den Zweck der wirthschaftlichen Verwendung bedingt wird" 2 2 7 anzuknüpfen. So erlange ζ. B. der Bauherr, der in seinem Zimmer sitze, keine tatsächliche Gewalt über das Holz, das der Holzhändler auf dem weit entfernten Bauplatz ablade. Wer hier tatsächliche Sachherrschaft annehme, müsse "sich im Zustande des begrifflichen Hypnotismus befinden". 228 224

Protokolle (2. Kommission), S. 3334 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 502 f.

225

Zu der entsprechenden Kritik am 1. Entwurf siehe oben e dd.

226

Vgl. Protokolle (2. Kommission), S. 3334, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502.

227

Jhering, Der Besitzwille, S. 489.

228

Vgl. Jhering, Der Besitzwille, S. 479.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

121

Nach Jhering wird der Bauherr aber gleichwohl Besitzer, weil das Holz an dem Ort liege, der seiner wirtschaftlichen Verwendung als Bauholz entspreche. Mit Hilfe eines weiteren Beispiels läßt sich der Vorschlag Jherings besser verdeutlichen: 229 "Die Salinenverwaltung in Berchtesgaden bezieht ihr zum Sieden der Soole nöthiges Brennholz aus ihren Waldbeständen im Gebirge. Dasselbe wird dort gefällt, in Scheite gespalten und in die nicht schiffbare Ache geworfen, welche es bis zu dem bei der Saline in ihr angebrachten Holzrechen fuhrt, wo es herausgenommen wird. Zweifellos behält die Salinenverwaltung den Besitz an den Holzscheiten. Aber die thatsächliche Gewalt über sie hat sie nicht, denn die Möglichkeit, sie herauszunehmen teilt sie mit jedem Andern. Angenommen, die Ache träte in Folge eines Wolkenbruchs aus dem Ufer und risse Bretter, Balken, Bänke, Tische mit sich fort, so würde an ihnen der Besitz verloren gehen. Also auch hier wiederum Gleichheit des äußeren Verhältnisses und dennoch in dem einen Fall Besitz, in dem andern nicht, und letzteres auch hier mit einer dem gemeinen Mann vollkommen einleuchtenden Deutlichkeit. Keiner der Anwohner wird darüber im Unklaren sein, daß er die den Eigenthümern entführten Bretter und Balken u.s.w. herausnehmen und behalten darf, bis die Eigenthümer sich melden, daß er es aber nicht darf hinsichtlich der Holzscheite. Warum nicht? Weil er weiß, daß das Flößen des Holzes eine zum Zweck der wirthschaftlichen Verwendung desselben getroffene Maßregel ist, nicht anders als das Abladen des Mistes auf dem Felde, des Baumaterials auf dem Bauplatz, daß aber bei den andern Sachen das bisherige zum Zweck der wirthschaftlichen Verwendung derselben erforderliche äußere Verhältniß derselben zur Person gestört worden ist."

Die 2. Kommission mochte auch dem Vorschlag Jherings nicht folgen. Die Herstellung eines Verhältnisses der Person zur Sache, welches durch den Zweck ihrer wirtschaftlichen Verwendung geboten werde, sei "in manchen Fällen nicht erforderlich, in manchen nicht genügend".230 Dieser Begründung ist darin zuzustimmen, daß es durchaus Sachbeziehungen geben kann, die possessorisch schutzwürdig sind, in denen es aber auf ein durch den Zweck der wirtschaftlichen Verwendung bedingtes Verhältnis der Person zur Sache nicht ankommen kann, z.B. wenn der Besitzer eine wirtschaftlich nutzbare Sachen nicht nutzen, sondern als bloßes Sammlerobjekt aufbewahren will. 2 3 1 Jedoch hatte der Vorschlag Jherings den großen Vorzug, daß er den Grund des Besitzschutzes in den Tatbestand des Besitzes einbezog. Mit Hilfe eines so formulierten Besitztatbestandes ist es möglich, den Anwendungsbereich des Besitzrechts mit dem vom Gesetz angestrebten Schutzbereich in Einklang zu bringen. Wäre die 2. Kommission dem Vorschlag Jherings gefolgt, dann wäre sie ihrem Ziel, die possessorisch schutzwürdigen Fälle im Besitztatbestand festzuschrei-

229

Jhering, Der Besitzwille, S. 484 f.

230

Protokolle (2. Kommission), S. 3335, bei Mugdan, Bd. 3, S. 503.

231

Vgl. auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 133; ferner Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 178 Anm. 5: Man bleibt auch Besitzer der Bücher, die man in der Speisekammer aufbewahrt; dazu wiederum Jhering, Der Besitzwille, S. 481 Fn. 1.

C. Die Besitztatbestände

122

ben, ein beträchtliches Stück näher gekommen. Erreicht hätte sie es, wenn sie die zu sehr auf wirtschaftliche Aspekte ausgerichtete Sichtweise Jherings nicht geteilt, sondern auch andere Gesichtspunkte berücksichtigt hätte. Sie hätte die Kontinuitätsinteressen, die wir oben 232 als Gegenstand des Besitzschutzes erkannt haben, in den Besitztatbestand aufnehmen müssen. Der Tatbestand des § 854 Abs. 1 BGB hätte z.B. lauten können: "Der Besitz einer Sache wird durch die Begründung eines tatsächlichen Verhältnisses des Besitzers oder eines Dritten zur Sache erworben, sofern der Besitzer ein eigenes rechtliches, wirtschaftliches oder sonst berechtigtes Interesse am Fortbestand dieser Beziehung hat." Dieser Tatbestand erfaßt alle possessorisch schutzwürdigen Fälle, sogar den mittelbaren Besitz, ohne dem Begriff der tatsächlichen Gewalt selbst Gewalt anzutun. Zwar erscheint insbesondere der Begriff des eigenen berechtigten Interesses zunächst als ziemlich unbestimmt. Gleiches gilt aber auch für den der tatsächlichen Gewalt, wenn man ihn nicht wörtlich versteht, sondern wie die 2. Kommission auf eine "verständige Gesetzesanwendung" hofft und im Zweifel die "im Verkehre herrschenden Anschauungen"233 entscheiden lassen will. Es stellt sich die Frage, warum die 2. Kommission die Anregungen Jherings nicht aufgegriffen hat und statt dessen am Begriff der tatsächlichen Gewalt festhielt. Die in den Protokollen dafür genannten Gründe können nicht überzeugen: Es gehört nicht zum Wesen des Besitzes, daß der Besitzer im Stande ist, mittels tatsächlicher Gewalt Dritte von seinem Machtbereich auszuschließen. 234 Besitz kann nämlich auch dann bestehen, wenn sich der Besitzer einer überlegenen Macht gegenübersieht, gegen die er sich mit tatsächlichen Mitteln nicht wehren kann. Soweit ersichtlich, bezweifelt niemand den Besitz eines Bauern an seinem Feld, auch wenn Heerscharen von Querfeldeinwanderern, denen er sich als einzelner kaum entgegenstellen könnte, sein Getreide niedertreten. Der Besitz an dem über Nacht auf dem Acker abgestellten Pflug bleibt bestehen,235 obwohl ihn doch jeder heimlich entfernen könnte, während der Bauer arglos in seinem Haus schläft. Das Wesen des Besitzes ist nicht die tatsächliche Wehrhaftigkeit des Besitzers, sondern daß er den Besitzer durch die Gewährung rechtlicher Mittel (§§ 861 f. BGB) in den Stand setzt, seine Besitzposition gegen Dritte zu verteidigen. 236 Es liegt in der rechtlichen Zuweisung einer tatsächlichen Beziehung zur Sache,237 und kann mit dem Ausdruck "tatsächliche Gewalt" kaum zutreffend bezeichnet werden.

232

Siehe oben Β III 1 b a a ( l ) ( d ) .

233

Vgl. die oben wiedergegebene Begründung.

234

Vgl. auch schon oben Β III 1 b dd.

235

Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β II 2 a, S. 56.

236

Vgl. auch Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, 2. Aufl. 1869, S. 184.

237

Siehe oben Β III 1 b bb.

I. 1. Rechtsgeschichtlicher Überblick

123

Die Behauptung der Kommission, "daß zum Besitzerwerbe Erlangung der thatsächlichen Gewalt nöthig sei, werde in allen Fällen zutreffen", ist kein Argument. Im Gegenteil: Die Formulierung "werde in allen Fällen zutreffen" statt "treffe in allen Fällen zu" läßt das Unbehagen der Kommissionsmehrheit erkennen, mit dem sie für den Ausdruck "tatsächliche Gewalt" eintrat. Es wird erneut sichtbar, wenn es an anderer Stelle heißt, die Erlangung der tatsächlichen Gewalt als Erfordernis aufzustellen sei "jedenfalls richtiger". Die wahren Gründe, warum die Kommissionsmitglieder am Begriff "tatsächliche Gewalt" festhielten, werden sich nach über 100 Jahren kaum zweifelsfrei ermitteln lassen. Für den Begriff "tatsächliche Gewalt" könnte seine Kürze sprechen, die äußerlich den Anschein besonderer Prägnanz erweckt. Allerdings wird man dem sonst so sehr um Genauigkeit bemühten BGBGesetzgeber wohl nicht unterstellen können, er habe allein um der Kürze des Besitztatbestandes willen auf eine exakte Formulierung verzichtet. Vieles spricht dafür, diese Gründe darin zu sehen, daß die Kommissionsmehrheit sich nicht von der romanistischen Theorie des 19. Jahrhunderts, die maßgeblich von Savigny geprägt war, lösen konnte. 238 Savigny hatte das sogenannte Besitzcorpus allein in der tatsächlichen Sachherrschaft gesehen.239 Den Grund des Besitzschutzes oder die wirtschaftliche Bedeutung des Besitzes hat er bei der Bestimmung des Besitztatbestandes nicht berücksichtigt. 240 Damit ist Savigny zwar dem römischen Recht nicht voll gerecht geworden, denn die römischen Juristen haben teilweise Besitz auch dann bejaht, wenn das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft mehr als zweifelhaft war. 241 Z.B. konnte der Gewalthaber durch den entflohenen Sklaven (servus fugitivus) sogar den Besitz an anderen Sachen erwerben, 242 was nicht mit der Existenz tatsächlicher Gewalt, sondern nur damit erklärt werden kann, daß der Sklave wirtschaftlich dem Vermögen seines Herrn zugerechnet wurde. 243 Gleichwohl hatte sich im 19. Jahrhundert die Umschreibung des Besitzcorpus als tatsächliche Gewalt allgemein durchgesetzt.244 Sie war derart stark in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts verankert,

238

Vgl. dazu Jhering, Der Besitzwille, S. 491.

239

Savigny, Das Recht des Besitzes, § 14, S. 211; § 18, S. 236 ff.

240

Jhering, Der Besitzwille, S. 487; vgl. auch Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, S. 160 ff., S. 179 ff. 241

Jhering, Der Besitzwille, S. 480; Jhering, JherJb. 32 (1893), 78; siehe bereits

oben a. 242 Dies war unter den Klassikern allerdings umstritten. Für den Erwerb Gai. D. 41, 2, 15, Cassius und Julianus bei Paul D. 41, 2, 1, 14, Julianus bei Ulp. D. 7, 1, 12, 3. Dagegen Nerva bei Paul D. 41, 2, 1, 14, Pomp D. 41, 1, 54, 4. 243 244

Käser, Das römische Privatrecht, Erster Abschnitt, § 95 II 4, S. 393.

Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 169, 1, S. 392, § 177, S. 408; § 178, S. 410 ff.; Puchta/Krüger, Cursus der Institutionen, Bd. 2, § 224, S. 135 ff., § 228, S. 148 ff.;

124

C. Die Besitztatbestände

daß Jhering selbst nicht glaubte, seine Auffassung werde sich in naher Zukunft durchsetzen. Vielmehr gab er sich der Hoffnung hin, der von ihm aufgestellte Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Interesses werde, "wenn auch nicht so bald, doch dermaleinst" als der zutreffende erkannt. 245 Es ist daher davon auszugehen, daß die 2. Kommission trotz aller Bedenken vor allem deshalb an dem Ausdruck "tatsächliche Gewalt" festhielt, weil dieser die damals allgemein übliche Umschreibung des Besitzcorpus war. § 854 Abs. 1 BGB verdankt daher seinen Wortlaut in erster Linie dem Umstand, daß sich der Gesetzgeber zumindest terminologisch nicht von der herrschenden Besitz lehre des 19. Jahrhunderts lösen konnte. Das abgewandelte Goethe-Zitat: "Es pflanzen sich ererbte Formeln Wie eine ew'ge Krankheit fort", mit dem Jhering die Übernahme des Begriffs "tatsächliche Gewalt" in den 1. Entwurf kommentierte, 246 trifft für § 854 Abs. 1 BGB somit in besonderem Maße zu. Sachliche Gründe für die Formulierung des § 854 Abs. 1 BGB sind jedenfalls nicht ersichtlich. Damit ist die Bedeutung der "tatsächlichen Gewalt" für die Bestimmung der Besitztatbestände vorgezeichnet: Die Auslegung des § 854 Abs. 1 BGB muß zwar vom Wortlaut, also der "Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache", ausgehen. Der Wortlaut einer jeden Norm ist nämlich zugleich Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung. 247 Der rechtsgeschichtliche Überblick hat aber gezeigt, daß der Ausdruck "tatsächliche Gewalt" keinesfalls wörtlich im Sinne einer natürlichen Möglichkeit der physischen Einwirkung auf die Sache verstanden werden darf. Die von der 2. Kommission gewünschte "verständige Gesetzesanwendung" verlangt vielmehr eine möglichst weite und eine normative Auslegung. Maßgeblich sind daher nahezu ausschließlich teleologische Gesichtspunkte, nämlich der vom Gesetz bezweckte Schutz von Kontinuitätsinteressen 248. Der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB steckt vor allem den äußeren Rahmen der Auslegung ab. Besitz ist zu verneinen, wenn unter keinem Gesichtspunkt mehr von tatsächlicher Sachherrschaft gesprochen werden kann, z.B. wenn ein Schmuckstück in den Tiefen des Meeres versinkt oder endgültig in den Machtbereich eines anderen gelangt. Die tatsächliche Gewalt hat für § 854 Abs. 1 BGB also nur geringe Bedeutung. Daß es dem Gesetzgeber weniger auf die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft als auf die Schutzwürdigkeit des Besitzes ankam, wird auch an der Diskussion deutlich, die in der 2. Kommission über die Normierung des BeWendt, Lehrbuch der Pandekten, § 102, S. 287; Windscheid/Kipp, Pandekten, § 148, S. 732; vgl. auch Arndts von Arnesberg, Lehrbuch der Pandekten, § 139, S. 250 f. 245

Jhering, Der Besitzwille, S. 489.

246

Jhering, Der Besitzwille, S. 480.

247

Vgl. Larenz, Methodenlehre, II Kapitel 4, 2 a, S. 320 m.w.N.

248

Siehe dazu oben Β III 1 b aa (1) (d).

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

125

sitzwillens geführt wurde: 249 Obwohl eine tatsächliche Sachherrschaft ohne einen darauf gerichteten Willen nicht vorstellbar ist, wurde auf das Erfordernis des Besitzwillens verzichtet, und zwar nur, um möglichst alle schutzwürdigen Fälle erfassen zu können.

2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft Es geht nun darum, den Tatbestand des § 854 Abs. 1 BGB zu bestimmen. Dabei ist - wie soeben dargelegt 250 - vom Wortlaut dieser Vorschrift, also vom Erfordernis der "Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache", auszugehen.

a) Die tatsächliche Gewalt als nicht näher zu bestimmender Elementarbegriff Nach h.M. handelt es sich beim Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft um einen gesetzlich nicht näher bestimmbaren Elementarbegriff. Dieser entziehe sich einer juristischen Analyse. Was unter tatsächlicher Sachherrschaft zu verstehen sei, könne daher nicht abschließend anhand feststehender Kriterien gesagt werden. Vielmehr sei nach der Verkehrsanschauung zu beurteilen, ob sich eine Sache in der tatsächlichen Gewalt einer Person befinde. 251 Diese Auffassung geht vor allem auf eine von Goldschmidt 252 zum römischen Recht entwikkelte Theorie zurück, wonach der Besitzbegriff des römischen und eines jeden nur einigermaßen entwickelten Rechts ein "elementarer und zwar unmittelbar aus dem Thatbestand des menschlichen Zusammenlebens geschöpfter, ein gesellschaftlicher (sozialer) Urbegriff ' ist. 253

249 Siehe Protokolle (2. Kommission), S. 3335 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 503 und oben e ee. 250

C I 1 fbb (3).

251

BGH W M 1970, 1518, 1519 = DB 1971, 40; Baur/Stümer, Sachenrecht, § 7 Β II 1 a, S. 54; Eichler, Sachenrecht, 2. Bd., 1. Hlbbd., Kapitel 1, Β I, S. 7; Erman/Werner § 854 Rn. 2; Müller, Sachenrecht, Rn. 76 ff.; Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 1, S. 18 f.; Schwab/Prütting, Sachenrecht, § 7 1 1 , S. 26 f.; Soergel/Mühl § 854 Rn. 4; Staudinger/Bund § 854 Rn. 6, 11; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 1 4 , S. 84; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 131 f. m.w.N.; M. Wolf, Sachenrecht, Rn. 123; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 III, S. 25; kritisch Schreiber, Sachenrecht, Rn. 40. 252 Goldschmidt, Vermischte Schriften, 1. Bd., S. 25, 49, 70 ff., 141; siehe dazu auch die Besprechung von Kipp, ZHR 52 (1902), S. 297 ff.; Goldschmidt, Festgabe für Rudolf von Gneist, S. 65. 253

Goldschmidt, Vermischte Schriften, 1. Bd., S. 49.

126

C. Die Besitztatbestände

Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft wird also von der h.M. nicht definiert. Um ihn zu konkretisieren, werden lediglich einige Merkmale genannt, bei deren Vorliegen regelmäßig die Annahme tatsächlicher Gewalt nach der Verkehrsauffassung gerechtfertigt sein soll. Zu diesen Merkmalen gehört in erster Linie eine räumliche Beziehung der Person zur Sache.254 Sie muß nach dieser Auffassung dem Besitzer die realisierbare Möglichkeit eröffnen, auf die Sache einzuwirken. 255 Teilweise wird zusätzlich verlangt, daß der Besitzer in der Lage sei, andere von der Einwirkung auszuschließen.256 Die erforderliche Stärke dieser Beziehung soll sich nach der Verkehrsanschauung richten und unter anderem von der Art des Gegenstandes abhängen. So seien z.B. an den Besitz eines Grundstücks geringere Anforderungen zu stellen als an den Besitz einer beweglichen Sache.257 Entscheidend sei, ob der Herrschaftswille des Besitzers nach allgemeiner Übung respektiert werde, 258 oder - anders ausgedrückt - ob sich die Sache nach natürlicher Lebensanschauung in einer von Dritten zu respektierenden "faktischen Tabusphäre" des Besitzers befinde. 259 Dies sei etwa dann zu verneinen, wenn jemand in der Halle eines Großstadtbahnhofs seine Brieftasche liegenlasse und sich anschließend 100 m weit entferne. 260 Teilweise wird es für erforderlich, aber auch für ausreichend erachtet, daß sich die Sache an einem Ort befindet, der ihrer wirtschaftlichen Bestimmung entspricht. 261 Bei Geld und Wertpapieren sei beispielsweise zu berücksichtigen, daß sie eingeschlossen und verwahrt zu werden pflegen. Als ein weiteres Merkmal für das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft wird es vielfach angesehen, daß die tatsächliche Beziehung auf eine bestimmte Dauer angelegt ist. 262 Die für den Besitzerwerb erforderliche Dauer soll sich eben254

Einschränkend Müller, Sachenrecht, Rn. 82.

255

Vgl. nur Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 II 3; Schapp Rn. 50; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 41; RGRK/Kregel § 854 Rn. 7. 256 Erman/Werner § 854 Rn. 2; Staudinger/Bund, 12. Aufl., § 854 Rn. 4, einschränkend in der 13. Bearb., § 854 Rn. 4; dagegen zu Recht Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 1, S. 19; siehe auch oben C I 1 f bb (3). 257

Eichler, 2. Bd., 1. Hlbbd.; Kapitel 1 Β I; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 42; Staudinger/Bund § 854 Rn. 9; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 132. 258

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 132.

259

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 I 4.

260

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 132.

261

Eichler, 2. Bd., 1. Hlbbd., Kapitel 1 Β I; Staudinger/Bund § 854 Rn. 9.

262 RGZ 74, 146, 149; 75, 221, 223; 92, 265, 267; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β II 1 a bb, S. 54; Erman/Werner § 854 Rn. 4; Lange, Sachenrecht, §10111,

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

127

falls nach der Verkehrsanschauung bestimmen. Der Spaziergänger, der sich für eine kurze Rast auf einer Parkbank niedersetzt, soll daher ebensowenig Besitz an der Parkbank erlangen 263 wie der Reisende an dem Kursbuch der Bundesbahn, das er sich von einem Mitreisenden entliehen hat. 264 Nach h.M. muß ferner der Erwerb der tatsächlichen Sachherrschaft äußerlich für einen etwaigen Beobachter erkennbar sein. 265 Die Erkennbarkeit sei das allgemein kennzeichnende Merkmal dinglicher Rechte und Herrschaftsverhältnisse.266 An die Erkennbarkeit der Sachherrschaft werden allerdings geringere Anforderungen gestellt, wenn es um den Fortbestand bereits begründeten Besitzes geht. Dann soll es genügen, daß aus den Umständen ersichtlich ist, daß überhaupt ein Herrschaftsverhältnis an der Sache besteht.267 Welche Person die Herrschaft ausübt, muß für den Fortbestand des Besitzes mithin nicht offensichtlich sein. Ein bestehendes Sachherrschafisverhältnis soll daher bereits ausreichend erkennbar sein, wenn sich der Gegenstand nach der Lebensanschauung an einem für ihn typischen Ort befindet. Folglich besteht nach dieser Ansicht der Besitz an einem auf öffentlicher Straße abgestellten Kraftfahrzeug auch dann fort, wenn sich der Besitzer weit entfernt, 268 ja sogar, wenn er vergißt, wo er sein Auto geparkt hat, 269 solange nur die Sachherrschaft von den anderen Rechtssubjekten respektiert wird. Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, das Bestehen tatsächlicher Gewalt setze voraus, daß die Ausübung der Sachherrschaft als Ausdruck einer rechtlichen Befugnis erscheine. 270 Daher sei nicht der private Gast, wohl aber

S. 49; Müller, Sachenrecht, Rn. 84; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), S. 16 f.; Palandt/Bassenge § 854 Rn. 2; Schapp Rn. 50; Soergel/Mühl § 854 Rn. 6; Staudinger/Bund § 854 Rn. 10; aA MünchKomm/Joost § 854 Rn. 10; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 II 7; Heck, Sachenrecht, § 6 I 5, S. 26. 263

Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β II 1 abb, S. 54.

264

Vgl. Staudinger/Bund § 854 Rn. 10, 12, der allerdings auch das zugrundeliegende Rechtsverhältnis heranziehen will; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 II 7. 265

RGZ 66, 258, 262; 77, 201, 208; 151, 184, 186; BGHZ 44, 27, 32; RGRK/Kregel § 854 Rn. 9, Staudinger/Bund § 854 Rn. 8. 266

Vgl. BGHZ 44, 27, 32; Müller, Sachenrecht, Rn. 83; RGRK/Kregel § 854 Rn. 9.

267

Müller, Sachenrecht, Rn. 83; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 45; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 II 6, S. 87. 268

Vgl. nur Schreiber, Sachenrecht, Rn. 45.

269

Erman/Werner § 854 Rn. 3.

270

Soergel/Mühl § 854 Rn. 4; Staudinger/Bund § 854 Rn. 11; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., § 9 II 2; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 III 4 b, S. 26; einschränkend Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 II 5, S. 86; a.A. MünchKomm/Joost § 854 Rn. 14; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 46.

128

C. Die Besitztatbestände

der Hotelgast Besitzer des von ihm bezogenen Zimmers. 271 Ferner könne mit Hilfe dieses Kriteriums entschieden werden, wer von mehreren Personen, die der Sache in tatsächlicher Hinsicht gleich nahe stünden, der Besitzer sei. Dies sei z.B. bedeutsam, wenn ein Brief in einen Briefkasten eingeworfen werde, der von mehreren Personen benutzt werde. 272 Insgesamt kann die h.M. nicht überzeugen. Der Verweis auf die Verkehrsanschauung hilft nicht weiter. 273 Man muß sich zu Recht fragen, woher der "Verkehr", also "der gemeine Mann", mehr über die Voraussetzungen des Besitzes wissen soll als der Jurist. 274 Der Rechtsverkehr kennt weder die rechtlichen Voraussetzungen noch die juristische Bedeutung des Besitzes.275 Im übrigen kann sich eine Verkehrsanschauung, d.h. eine von der Mehrheit der Rechtssubjekte unbestrittene und gemeinsam getragene Überzeugung, nur zu solchen Sachverhalten entwikkeln, die häufig vorkommen und eindeutig sind. In den Grenzfällen jedoch, in denen das Bestehen von Besitz zweifelhaft ist, kann die Verkehrsanschauung keine Kriterien dafür liefern, ob eine Sachbeziehung auch die "tatsächliche Sachherrschaft" beinhaltet. 276 Vielmehr erwartet der Rechtsverkehr gerade in diesen Fällen von dem Juristen eine Entscheidung über den Besitz. Der Hinweis auf den Verkehrsanschauung ist mithin nur eine nichtssagende Leerformel, 277 die schließlich nur dazu führt, daß sich die h.M. bei dem Versuch der Begriffsbestimmung im Kreise dreht. 278 Der Verweis auf die allgemeine Lebensanschauung birgt ferner die Gefahr, daß eine sorgfältige Prüfung des Besitzbegriffes unterbleibt und tatsächliche Sachherrschaft leichtfertig bejaht oder verneint wird. 2 7 9 Als eine Folge dieses

271

Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., § 9 II 2, S. 58.

272

Staudinger/Bund § 854 Rn. 11.

27

· J. von Gierke, Sachenrecht, § 5 III 2 b, S . l l . Vgl. auch E.Wolf, Sachenrecht, § 2 A II b, S. 46: "Verkehrsanschauung ist eine mehr oder weniger häufig anzutreffende notwendig subjektive Meinung, die, soweit sie überhaupt feststellbar ist, richtig oder falsch sein kann. In den weitaus meisten Fällen ist das als 'Verkehrsanschauung' Behauptete die subjektive Meinung des Behauptenden. Nach einer solchen Meinung über Begriff und Existieren des Besitzes zu befinden ist nicht statthaft. Es hängt vielmehr die Richtigkeit der Meinung und damit der 'Verkehrsanschauung' von den Merkmalen des Begriffs Besitz ab." - Grundlegende Kritik an dem in Literatur und Rechtsprechung verschiedener Rechtsgebiete häufig zu findenden Verweis auf die Verkehrsanschauung bei Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 20 ff. 274

So Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 150; Hedinger, S. 16.

275

Vgl. MünchKomm/Joost § 854 Rn. 4.

270

Planck/Brodmann, Vorbem vor § 854 Anm. 3 a.E., S. 32: Hedinger, S. 16, Fn. 24.

277

Vgl. MünchKomm/Joost § 854 Rn. 4.

278

Vgl. Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 150.

119

Vgl. MünchKomm/Joost § 854 Rn. 4.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

129

etwas unbesonnenen Umgangs mit dem Begriff der tatsächlichen Gewalt kann man es daher wohl auch betrachten, wenn die übrigen Besitztatbestände, beispielsweise der mittelbare Besitz, als Fälle "vergeistigter" Sachherrschaft 280 bezeichnet werden. Des weiteren sind auch die Kriterien, die die hier dargestellte Meinung zur Konkretisierung des Sachherrschaftsbegriffs anführt, teilweise zu unbestimmt oder sogar unzutreffend: So kann die h.M. nicht angeben, wie die räumliche Beziehung zur Sache gestaltet sein muß, damit sie eine hinreichende Einwirkungsmöglichkeit verschafft. Eine solche Bestimmung ist auch kaum möglich, denn es gibt eine Vielzahl denkbarer unterschiedlicher räumlicher Beziehungen und tatsächlicher Einwirkungsmöglichkeiten. Mit zunehmendem technischen Fortschritt steigt ihre Zahl stetig. Z.B. erlauben es heutzutage moderne Videoüberwachungsanlagen und Alarmanlagen, Eindringlinge von einem Grundstück oder einem Gebäude fernzuhalten, ohne daß der Besitzer oder eine von ihm beauftragte Person anwesend zu sein braucht. Andererseits können nicht alle bestehenden oder potentiellen Einwirkungsmöglichkeiten zur Besitzbegründung ausreichen, sonst müßte man etwa jeden Passanten, der das auf öffentlicher Straße abgestellte Auto mit der Hand berühren könnte, als Besitzer dieses Autos betrachten. Für die Bestimmung der erforderlichen räumlichen Beziehung ist auch der Hinweis auf die von einem jeden Dritten zu beachtende "faktische Tabuzone" oder darauf, ob nach allgemeiner Übung damit zu rechnen sei, daß der Herrschaftswille respektiert werde, kaum nützlich. Die Grenzen dieser Tabuzone sollen nämlich wiederum von der Verkehrsanschauung abhängen. Dies bedeutet außerdem, daß sich die gesellschaftlichen Wert- und Moralvorstellungen auf sie auswirken. Herrscht in der Gesellschaft ein geringes Rechtsbewußtsein, verkleinern sich die "Tabuzonen". Der Besitzer genießt also einen geringeren Schutz als in Zeiten eines gut entwickelten moralischen Bewußtseins.281 Ein widersinniges Ergebnis: Bedarf der Besitzer keines Besitzschutzes, weil er von rechtstreuen Mitmenschen umgeben ist, erhält er einen umfassenden Besitzschutz. Muß der Besitzer in rauhen Zeiten um seinen Besitz bangen, wird der Besitzschutz eingeschränkt. Lebte er gar in einer Gesellschaft von Dieben und Räubern, schützte ihn das Besitzrecht nicht einmal mehr vor dem Verlust der Dinge, die er am Körper trüge. Würde man dieser Ansicht folgen, so wiche das Recht schließlich dem Unrecht, statt ihm die Stirn zu bieten. Diese Ansicht der h.M. verwundert um so mehr, als der Grund des Besitzschutzes vielfach

280

Siehe dazu oben Β II 1 a.

281

So ausdrücklich Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 132.

9 Härtung

130

C. Die Besitztatbestände

- wenn, wie dargelegt, auch zu Unrecht - im Schutz des Rechtsfriedens, also letztlich auch der Rechtsordnung, erblickt wird. 2 8 2 Auch der Gesichtspunkt der Dauer des Sachherrschaftsverhältnisses kann nicht überzeugen. Zwar mag es zutreffen, daß der Spaziergänger, der sich auf der Parkbank niederläßt und der Reisende, der sich das Kursbuch eines Mitreisenden ausleiht, hinsichtlich dieser Gegenstände keinen Schutz verdienen. Es gibt aber durchaus schutzwürdige tatsächliche Beziehungen, die von vornherein nur auf kurze Dauer angelegt sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Κ beim Juwelier einen Ring kauft und ihn sich übergeben läßt, um ihn sofort seiner anwesenden Freundin zu schenken.283 Im übrigen läßt sich nicht bestimmen, welche Dauer zum Besitzerwerb ausreichen soll. 284 Zwar mögen die Anforderungen, die die h.M. an die objektive Erkennbarkeit des Herrschaftsverhältnisses stellt, in den meisten Fällen der Praxis erfüllt sein, gleichwohl kann die Erkennbarkeit nicht Voraussetzung des Besitzes sein. Zum einen gibt es durchaus Herrschaftsrechte an einer Sache, die nicht nach außen erkennbar hervortreten, z.B. nicht in das Grundbuch eingetragene dingliche Rechte (vgl. § 894 BGB), 2 8 5 zum anderen ist kein Grund ersichtlich, warum äußerlich objektiv nicht erkennbare Herrschaftsverhältnisse nicht geschützt werden sollten. 286 Die Frage der Erkennbarkeit des Besitzes ist letztlich nur eine Frage seiner Beweisbarkeit, nicht aber seines Bestandes.287 Schließlich kann es auch nicht - wie teilweise gefordert - auf den "Anschein einer rechtlichen Befugnis" ankommen. Der Besitz ist nämlich völlig unabhängig von der rechtlichen Zuordnung der Sache. Zweifellos kann daher auch derjenige, der weder ein Recht an der Sache hat noch ein solches behauptet, Besitzer sein. So ist z.B. der Dieb auch dann Besitzer seiner Beute, wenn der Diebstahl für jedermann offenkundig ist. 288 Die h.M. kann also kein wirklich zuverlässiges Kriterium für das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft nennen. Die Schwierigkeiten, die sie mit der Umschreibung des Ausdrucks "tatsächliche Gewalt" hat, sind auf den ersten Blick verwunderlich. Anders als vielfach behauptet,289 ist die Bestimmung der "tat282

Siehe oben Β III 1 b a a ( l ) ( a ) .

283

Schreiber, Sachenrecht, Rn. 44.

284

Schreiber, Sachenrecht, Rn. 44 m.w.N.

285

E. Wolf, Sachenrecht, § 2 A II c 4, S. 50.

286

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 13.

287

E. Wolf, Sachenrecht, § 2 A II c 4, S. 49; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 13.

288

J. v. Gierke ZHR 115 (1952), 228; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 14; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 46. 289 Vgl. nur Soergel/Mühl § 854 Rn. 4; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 II 1, S. 84; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 131.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

131

sächlichen Gewalt" nämlich an sich überhaupt nicht schwierig, da es sich hierbei um einen Begriff der Lebenswirklichkeit handelt. 290 Man könnte ihn als überwiegende Einwirkungsmöglichkeit auf eine Sache definieren. 291 Die eigentlichen Probleme liegen mithin nicht in der Deutung dieses Begriffs, sondern darin, daß es zu unbefriedigenden Ergebnissen fuhren würde, den Besitz allem von einem räumlich aufzufassenden Herrschaftsverhältnis abhängig zu machen: Es entspricht nicht den allgemeinen Lebensbedürfnissen, einerseits jede überwiegende Einwirkungsmöglichkeit als Besitz zu behandeln, andererseits Sachbeziehungen, in denen eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit fehlt, von vornherein vom Besitzschutz auszunehmen.292 Die h.M. versucht diese Schwierigkeiten zu lösen, indem sie die Sachverhalte, in denen sie Besitz bejahen möchte, von vornherein in den Begriff der tatsächlichen Gewalt hineininterpretiert. Über den Hinweis auf die Verkehrsanschauung fließen - unbewußt - rechtspolitische Wertentscheidungen in den Besitzbegriff ein. 293 Die Voraussetzungen der tatsächlichen Gewalt werden also nicht abstrakt, sondern unter Einbeziehung der gewünschten Rechtsfolge - Bestehen oder Nichtbestehen von Besitz - bestimmt. Dies wird z.B. deutlich, wenn ein Herrschaftsverhältnis von gewisser Dauer oder der Anschein rechtlicher Befugnis gefordert wird. Die Dauer oder ein Recht kann bekanntlich nicht für den Bestand einer tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit, sondern allenfalls für ihre Schutzwürdigkeit bedeutsam sein. Jedoch ist der Umweg über die Verkehrsanschauung kaum geeignet, die schutzwürdigen Besitztatbestände zutreffend zu ermitteln. Dies folgt schon daraus, daß - wie oben dargelegt - der Rechtsverkehr weder die rechtlichen Voraussetzungen noch die Bedeutung des Besitzes kennt und nur zu den unproblematischen Fällen eine feststehende Anschauung entwickeln kann. Um den Besitztatbestand sinnvoll abzugrenzen, bedarf es vielmehr einer genauen Gesetzesauslegung. Dabei müssen neben gesetzeshistorischen vor allem teleologische Gesichtspunkte beachtet werden. Es sind also insbesondere die verschiedenen im Einzelfall beteiligten Interessen zu ermitteln und gegeneinander

290

Vgl. Hedinger S. 46.

291

Vgl. Hedinger S. 46: "Einwirkung auf ein Objekt, allenfalls - sofern Konkurrenz zwischen mehreren Subjekten besteht - überwiegende Einwirkung auf ein Objekt." 292

Vgl. Hedinger S. 46, der die Regelung des § 854 Abs. 1 nicht zu Unrecht als einen unvollkommenen Versuch, den Besitztatbestand deskriptiv zu erfassen, bezeichnet. 293

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 151; Holler S. 15 f.; vgl. auch Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 22, der zutreffend auf die Gefahr hinweist, daß der Jurist die eigentliche juristische Arbeit und mithin auch seine Rechtsauffassung hinter Verweisen auf die Verkehrsanschauung verbirgt. 9*

C. Die Besitztatbestände

132

abzuwägen. Entscheidend ist m i t h i n nicht die Verkehrsanschauung, vielmehr geben die Verkehrsinteressen für das Bestehen von Besitz den Ausschlag. 2 9 4 Dies w i r d sogar von einigen Vertretern der h.M. erkannt: Teilweise w i r d gesagt, in Zweifelsfällen könne es entscheidend sein, ob erhebliche Vermögenswerte oder ein gewichtiges immaterielles Interesse berührt seien, 2 9 5 oder es w i r d die Auffassung vertreten, die Schutzwürdigkeit und wirtschaftliche sowie rechtliche Momente seien als unsichtbare Faktoren der Verkehrsanschauung zu berücksichtigen. 2 9 6 Damit w i r d gleichsam eingestanden, daß die Verkehrsanschauung den Besitztatbestand letztlich nicht bestimmen kann. Die Meinung, der B e g r i f f der tatsächlichen Sachherrschaft sei ein Elementarbegriff, der einer juristischen Analyse nicht zugänglich sei und nur mit Hilfe der Verkehrsanschauung bestimmt werden könne, ist mithin abzulehnen.

b) Sachzugriff als Unrecht Nach anderer Ansicht ist die Fremdheit der Sache das Wesensmerkmal des Besitzes. Der Besitz sei ein Zustand, in dem der eigenmächtige Z u g r i f f auf die Sache für alle Nichtbesitzer nach vorpositiven Gerechtigkeitsvorstellungen 2 9 7 als Unrecht erscheine. 298 Wann dieser Zustand erreicht sei, könne nicht allgemeingültig gesagt werden. Jedenfalls sei die tatsächliche Gewalt nur eines von einer Vielzahl von Kriterien, die nicht abschließend aufgezählt werden könnten. 2 9 9 Die Bedeutung der "tatsächlichen Gewalt" in § 854 Abs. 1 B G B bestehe vor allem in der Klarstellung, daß bei der Beurteilung von Besitzfragen nur tatsächliche Begebenheiten, nicht aber Rechte oder Willensregungen zu berücksichtigen seien. 3 0 0 Dieser Auffassung liegt die zutreffende Erkenntnis zugrunde, daß der Beg r i f f der tatsächlichen Gewalt - zumindest bei Zugrundelegung eines natürlichen Sprachgebrauchs - nicht alle schützenswerten Besitztatbestände erfassen kann. Sie ist gleichwohl nicht überzeugend. Zwar mag die Feststellung, es bestehe Besitz, wenn der eigenmächtige Z u g r i f f auf die besessene Sache durch

294 Vgl. auch Planck/Brodmann Vorbem. vor § 854 Anm. 3 a.E., S. 32: "Die Verkehrsverhältnisse sind das entscheidende, nicht die Verkehrsanschauung." 295

Staudinger/Bund § 854 Rn. 13.

296

Eichler, Sachenrecht, Bd. 2 Hlbbd. 1, Β I, S. 7, Β II, S. 8; Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 1 c, S. 21 ff.; vgl. auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 133. 297

Hedinger S. 50.

298

Hedinger S. 45; ihm folgend Holler, S. 17 ff.

299

Hedinger S. 45.

300

Hedinger S. 46.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

133

Nichtbesitzer als Unrecht erscheine, richtig sein. Über die Voraussetzungen des Besitztatbestandes ist damit aber nichts gesagt. Vielmehr handelt es sich hier im gleichen Maße um eine Leerformel wie bei dem Hinweis der h.M. auf die Verkehrsauffassung, allerdings mit dem Unterschied, daß nun völlig auf eine Konkretisierung verzichtet wird. Der Besitztatbestand bleibt gänzlich unbestimmt, für die Rechtsanwendung gibt es keine Entscheidungshilfen. Im übrigen gilt der gleiche Einwand wie gegen die von der h.M. als Besitzkriterium vorgebrachte "faktische Tabusphäre": 301 Ob der Zugriff auf eine Sache als Unrecht erscheint, hängt von den in der Gesellschaft herrschenden Moralvorstellungen ab. Mithin verringert sich auch nach der hier dargestellten Meinung der Besitzschutz ausgerechnet dann, wenn er am meisten gebraucht wird, nämlich in Zeiten, in denen fremder Besitz allgemein nicht respektiert wird. Der Hinweis auf "vorpositive Gerechtigkeitsvorstellungen" bietet hierfür keine Abhilfe, denn erstens sind solche Gerechtigkeitsvorstellungen kaum allgemein feststellbar und zweitens sind alle Gerechtigkeitsvorstellungen auch einem Wandel unterworfen.

c) Sachherrschaft als Wahrscheinlichkeit Durchsetzung des eigenen Willens

der

Einer in der Literatur vertretenen Meinung zufolge ist Sachherrschaft die überwiegende Wahrscheinlichkeit, den eigenen Willen an einer Sache durchzusetzen.302 Diese Wahrscheinlichkeit könne auf tatsächlichen Anstrengungen, aber auch auf Bräuchen beruhen. 303 Da für den Besitzerwerb nicht die tatsächliche Ergreifung Voraussetzung sei, sondern die Wahrscheinlichkeit des Ergreifens genüge, würden durch den Besitz nicht Körper, sondern Kraftfelder geschützt.304 Begründet wird diese Auffassung vor allem mit einer ausführlichen Einzelfallbetrachtung zahlreicher Gerichtsentscheidungen, insbesondere aus dem angelsächsischen Rechtskreis. Auch könne der Besitzerwerb durch die Einfügung einer Sache in die Organisation des Besitzers mit dem Wahrscheinlichkeitsgedanken zutreffend erklärt werden: Besitzer sei, wer mit überwiegen-

301

Siehe oben a.

302

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 170, 178. Der Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit wird auch von Teilen der Literatur angeführt, die den Begriff der tatsächlichen Gewalt nach der Verkehrsanschauung bestimmen wollen, z.B. von Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 132: "Besitz ist nichts anderes als die statistische Wahrscheinlichkeit, die Gewalt über eine Sache ausüben zu können." Vgl. auch Staudinger/Bund § 854 Rn. 5: "...geringere oder größere Chance, auf die Sache einwirken zu können." 303

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 157.

304

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 153.

C. Die Besitztatbestände

134

der Wahrscheinlichkeit seinen Willen durchsetzen könne. 305 Ferner, so wird angeführt, schütze der Wahrscheinlichkeitsgedanke mit Recht den Fleißigen gegen den Schmarotzer, d.h. gegen denjenigen, der eine auf Brauch oder Anstrengung beruhende Wahrscheinlichkeit fremder Willensdurchsetzung zum eigenen Vorteil zerstört. 306 Zur Verdeutlichung dieser Auffassung läßt sich folgendes Beispiel bilden: 307 Jäger J verfolgt einen Fuchs und treibt ihn in die Enge. Kurz bevor er ihn erlegen kann, erscheint A auf der Bildfläche, erkennt die Situation, erschießt den Fuchs und trägt ihn davon. - Sieht man es, bevor A eingreift, als überwiegend wahrscheinlich an, daß J den Fuchs fangen wird, ist J bereits Besitzer geworden. Der Fuchs befindet sich dann bereits in seinem Kraftfeld. Der "Schmarotzer" A, der die Anstrengungen des J zu seinen Gunsten ausnutzt, begeht verbotene Eigenmacht, indem er den Fuchs erschießt und fortträgt.

Der von dieser Meinung vertretene Schutz der "Kraftfelder" trägt dem berechtigten Bedürfnis Rechnung, den Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft von dem Erfordernis aktueller unmittelbarer Sachbeherrschung zu lösen. Dies gilt besonders, wenn es heißt, durch Bräuche könnten die geschützten Kraftfelder ausgedehnt werden. 308 Als Beispiel für ein solches ausgedehntes Kraftfeld wird der am Cape Cod bestehende Brauch genannt, daß ein Fin-Back-Wal demjenigen gehöre, der ihn mit der Lanze erlege. Es sei dort üblich, daß der Finder eines geschossenen Wals den Schützen benachrichtige, damit er herbeikomme und das Tier verwerte. Daher erwerbe der Schütze auch dann den getroffenen Wal, wenn der Kadaver sofort sinke und erst Tage später von anderen Personen am Strand gefunden werde. Allein dieser Brauch begründe eine für den Erwerb ausreichende überwiegende Wahrscheinlichkeit des Ergreifens. Die fehlende tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit spielt hier nach dieser Auffassung also keine Rolle.

Die praktische Rechtsanwendung wird durch die "Wahrscheinlichkeitstheorie" jedoch nicht erleichtert. 309 Wann die Durchsetzung des eigenen Willens überwiegend wahrscheinlich ist, wird im Einzelfall kaum bestimmbar sein. Dies gilt insbesondere für zweifelhafte Grenzfälle: Je komplexer der Sachverhalt ist, desto schwieriger wird die Vorhersage, wer seinen Willen wird durchsetzen können. Ebenso wie das Kriterium der Sachherrschaft 310 versagt auch das

305

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 158.

306

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 157.

307

Vgl. hierzu auch das von Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 151 ff. besprochene Beispiel. 308

Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 157.

309

Siehe hierzu Hedinger S. 20; Holler S. 10; vgl. auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β II 1, S. 54, Fn. 1. 310

Siehe oben a.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

135

Merkmal der Wahrscheinlichkeit also gerade in den Fällen, in denen das Urteil des Juristen besonders gefragt ist. Auch der obige Fuchsjagdfall läßt sich nicht überzeugend mit Hilfe der Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit lösen. Ob es wirklich wahrscheinlich war, daß J den Fuchs fangen wird, läßt sich kaum sagen. Schon die Tatsache, daß A ihm zuvorkommen konnte, spricht wohl eher dagegen. Möglicherweise hätte sich der Fuchs auch in ein Erdloch retten können, J hätte sein Ziel verfehlen, sein Gewehr hätte Ladehemmung haben können. Freilich, wenn schon der Fuchs bedauerlicherweise sein Leben lassen mußte, gönnt man den Jagderfolg eher dem J als dem A . 3 1 1 Diese Beurteilung beruht jedoch allein auf einer Wertung der beteiligten Interessen, nicht aber auf einer Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Willensdurchsetzung.

d) Physische Einwirkungsmöglichkeit Ein Teil der Literatur versteht unter tatsächlicher Sachherrschaft eine auf den Tatsachen des Lebens beruhende Machtbeziehung einer Person zu einer Sache, die der Person physische Einwirkungen auf die Sache ohne Bruch einer fremden Besitzsphäre ermögliche. 312 Erforderlich sei ein räumliches Verhältnis, das eng genug sei, den Gebrauch der Sache zu gewährleisten. 313 Eine ununterbrochene, aktuelle Gewaltausübung setze die tatsächliche Sachherrschaft hingegen nicht voraus. 314 Keinesfalls dürfe durch den Verweis auf die Verkehrsanschauung die juristische Analyse des Sachherrschaftsbegriffs ersetzt werden. 315 "Juristisch analysiert" wird der Sachherrschaftsbegriff durch eine Gesamtbetrachtung der §§ 854 Abs. 1, Abs. 2 und § 856 Abs. 2 BGB: § 854 Abs. 2 BGB betreffe den Besitzerwerb durch Einigung. Ebenso regele § 854 Abs. 1 BGB in erster Linie den Normalfall des Besitzerwerbs durch einverständliches Nehmen und Geben. Beide Vorschriften unterschieden sich allein dadurch, daß im Fall des Abs. 1 von der Erlangung der tatsächlichen Gewalt durch den Erwerber nur gesprochen werden könne, wenn der bisherige Besitzer seine Sachherrschaft zugunsten des Erwerbers aufgebe, während im Fall des Abs. 2 der Erwerber ohne eine solche Aufgabe bereits die Gewalt über die Sache ausüben könne. § 854 Abs. 2 trage also dem Umstand Rechnung, daß es in manchen

311

Vgl. auch Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 153.

312

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 181 f.; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 5 f.; im Ergebnis ähnlich Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 319, der zur Begründung allerdings kaum die gesetzliche Regelung heranzieht, sondern vielmehr auf Savigny, Das Recht des Besitzes, 2. und 3. Abschnitt, verweist. 313

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 5.

314

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 180 f.; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 5.

315 Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 168 f.; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 4; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 320.

136

C. Die Besitztatbestände

Fällen zur Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft keiner Handlungen des bisherigen Besitzers bedürfe. Dessenungeachtet bleibe die tatsächliche Sachherrschaft ebenso wie bei Abs. 1 auch bei Abs. 2 die Grundlage des Besitzerwerbes. Die "Einigung" des § 854 Abs. 2 BGB beziehe sich auf die Erlangung der tatsächlichen Gewalt durch den Erwerber. 316 Auch das Verhältnis des Erwerbers zur Sache nach § 854 Abs. 2 BGB werde also im BGB als tatsächliche Sachherrschaft betrachtet. Dieses Verhältnis bestehe nicht in einer aktuellen Gewaltausübung, sondern in der bloßen Möglichkeit der Gewaltausübung. Nicht erforderlich sei, daß der Zugriff anderer Personen ausgeschlossen oder nur nach besonderen Maßnahmen möglich sei. 317 Spiegelbildlich dazu genüge es für die Aufrechterhaltung des Besitzes nach § 856 Abs. 2 BGB, daß keine andere Person Besitz habe und dem bisherigen Besitzer die Ausübung der Gewalt wieder möglich werden werde. Auch diese gelockerte Sachbeziehung - man könne sie als offenen Besitz bezeichnen - sei tatsächliche Sachherrschaft im Sinne des BGB, solange keine andere Person sie durch Besitzergreifung beseitige.318 Die tatsächliche Sachherrschaft sei daher durch die Möglichkeit der Gewaltausübung ohne Bruch einer fremden Besitzsphäre definiert. Sie werde entweder durch die Ergreifung der Sache oder durch ein Einverständnis des bisherigen Besitzers hergestellt. 319 Die bloße Einwirkungsmöglichkeit genüge daher - außer im Fall der Einigung mit dem bisherigen Besitzer - für den Besitzerwerb nur, wenn an der Sache bisher kein Besitz bestanden habe oder wenn der bisherige Besitz durch die Einwirkungsmöglichkeit beseitigt werde. 320 Dieser Sachherrschaftsbegriff gelte im übrigen auch fur § 855 BGB: Die Möglichkeit der Ausübung tatsächlicher Sachherrschaft sei auch dann gegeben, wenn sie durch eine andere Person vermittelt werde, die bezüglich der Sache einem besonders engen, real ausgeübten Weisungsverhältnis unterliege. 321

316

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 171 f.

317

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 180.

318

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 180.

319

Nach Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 320, kann von der Erlangung einer Herrschaft nur dann geredet werden, wenn die unmittelbare, gegenwärtige Einwirkungsmöglichkeit erlangt sei. Sei der Besitz erst einmal erworben, dann bestehe er allerdings fort, solange zumindest eine reproduzierbare Einwirkungsmöglichkeit fortdauere. - Dies entspricht im wesentlichen der Ansicht Joosts. Der Unterschied besteht allein darin, daß Wilhelm § 854 Abs. 2 BGB hier nicht berücksichtigt, sondern als ein Fall rechtsgeschäftlichen Besitzerwerbs (Rn. 325) betrachtet. 320

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 6; vgl. auch Joost, Gedächtnisschrift für Schultz,

S. 181. 321

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 182.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

137

Diese Ansicht verdient unter drei verschiedenen Gesichtspunkten eine kritische Würdigung: Zuerst ist die Bedeutung, die die tatsächliche Sachherrschaft aufgrund der Analyse der §§ 854, 856 BGB für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Besitzes hat, zu beleuchten. Danach soll behandelt werden, wie diese Meinung die Besitzlagen grundsätzlich beurteilt. Schließlich muß auf den Besitzerwerb durch Ergreifung eingegangen werden.

aa) Die Bedeutung der tatsächlichen Sachherrschaft für Erwerb und Aufrechterhaltung des Besitzes Die dargelegte juristische Analyse der §§ 854, 856 BGB erhellt recht deutlich die Bedeutung der tatsächlichen Sachherrschaft für den Besitztatbestand im allgemeinen: Tatsächliche Gewalt im Sinne einer aktuellen, überwiegenden Einwirkungsmöglichkeit auf eine Sache ist nur für die Besitzbegründung durch Ergreifung erforderlich. Zur Aufrechterhaltung und zur Begründung des Besitzes durch Einverständnis genügt hingegen eine zukünftig irgendwie reproduzierbare Einwirkungsmöglichkeit, solange kein anderer Besitz an der Sache ergriffen hat. Einschränkende Bedingungen, insbesondere in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht, gibt es nicht. Der Bergbauer bleibt Besitzer seiner Gebirgshütte, auch wenn er sie erst wieder im nächsten Frühjahr nach der Schneeschmelze erreichen kann. Ein Astronaut behält sogar den Besitz an einem auf dem Mond zurückgelassenen Meßgerät, wenn nur damit zu rechnen ist, daß er es bei einer späteren Expedition wieder an sich nehmen kann. Der Besitz kann mithin nahezu an jedem Gegenstand, der irgendwann erreichbar ist, aufrechterhalten oder durch Einigung erworben werden. Allerdings ist es mit einem natürlichen Sprachgebrauch kaum vereinbar, ein solches Verhältnis als tatsächliche Gewalt zu bezeichnen. Es entspricht wohl auch nicht dem Sprachgebrauch des BGB: In § 854 Abs. 1 BGB ist unstreitig mit "tatsächlicher Gewalt" eine derart lockere Sachbeziehung nicht gemeint, denn sie reicht für einen Besitzerwerb nicht aus. In § 854 Abs. 2 BGB wird dieser Begriff gar nicht erwähnt. Das Gesetz spricht hier nur von der "Lage", in der der Erwerber die Gewalt über die Sache ausüben kann, also der bloßen Möglichkeit, die Sachherrschaft auszuüben. Zwar könnte man in § 856 Abs. 1 BGB unter tatsächlicher Gewalt auch eine künftig reproduzierbare Einwirkungsmöglichkeit verstehen. Dies würde aber nur bedeuten, daß Besitz nicht bestehen kann, wenn nicht einmal eine derart minimale Sachbeziehung existiert. Es bedeutete nicht, daß das BGB ein solches Verhältnis auch als Sachherrschaft ansieht. Aus § 856 Abs. 2 BGB lassen sich keine Schlüsse ziehen: Ob bei einem vorübergehenden Fehlen der Einwirkungsmöglichkeit die tatsächliche Gewalt nicht existiert oder nur nicht ausgeübt werden kann, ist eine Frage der Formulierung, sagt aber nichts über den Begriff der tatsächlichen Gewalt. Im übrigen ist hier zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber bewußt auf

C. Die Besitztatbestände

138

eine Definition des Besitzes verzichtet hat, weil er erkannt hat, daß die Begründung und die Aufrechterhaltung des Besitzes von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängen müssen.322 Aus den Vorschriften über Erwerb und Verlust des Besitzes können daher die Bedingungen seines Fortbestehens nicht ohne weiteres hergeleitet werden. Warum von der hier dargelegten Meinung auch die für die Aufrechterhaltung des Besitzes erforderliche zukünftige Einwirkungsmöglichkeit als "tatsächliche Sachherrschaft" bezeichnet wird, hat einen anderen Grund. Er liegt in dem bereits oben 323 als unzutreffend erkannten Ausgangspunkt dieser Meinung, Besitz im Sinne der §§ 854, 856 BGB sei tatsächliche Sachherrschaft. 324 Die Bezeichnung der "offenen Besitzlage" als tatsächliche Sachherrschaft wird überflüssig, wenn man den Besitz zutreffend als ein Rechtsverhältnis anerkennt, dessen Fortbestand von der tatsächlichen Sachherrschaft gelöst ist. 325 Im übrigen birgt die von der besprochenen Meinung vertretene Ausweitung des Sachherrschaftsbegriffs die Gefahr, daß der Begriff der "tatsächlichen Gewalt" unnötig an Präzision und Klarheit verliert. Dies ist im Hinblick auf die Auslegung des Besitzerwerbstatbestandes des § 854 Abs. 1 BGB wenig wünschenswert. 326 Der dargestellten Meinung gebührt dennoch das Verdienst, verdeutlicht zu haben, daß nach der gesetzlichen Regelung selbst der Besitz und im Fall des § 854 Abs. 2 BGB sogar der Besitzerwerb nicht von einer fortdauernden aktuellen Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache abhängen.

bb) Die Beurteilung der Besitzlagen Beachtenswert ist die grundsätzliche Beurteilung der Besitzlage durch die Vertreter der besprochenen Ansicht: Der einmal erworbene Besitz bestehe fort, bis er durch Sachergreifung oder Einverständnis an einen anderen übergehe. Solange die Sache in fremden Besitz stehe, genüge die bloße Einwirkungsmöglichkeit nicht zum Besitzerwerb, möge sie auch noch so stark sein. Erforderlich

322

Siehe dazu die Motive, S. 80, bei Mugdan, Bd. 3, S. 44.

323

Siehe oben Β II.

324

Vgl. MünchKomm/Joost vor § 854 Rn. 6.

325

Vgl. dazu oben Β III 2.

326

Diese Gefahr kann sich natürlich nur dann verwirklichen, wenn man den Begriff der tatsächlichen Gewalt als das entscheidende Tatbestandsmerkmal des § 854 Abs. 1 BGB ansieht, und nicht streng zwischen der Besitzergreifung (= Besitzbegründung) und der späteren Besitzausübung unterscheidet.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

139

sei vielmehr die wirkliche Begründung der Herrschaft, der vage Besitz sei nicht zu prüfen. 327 Der bestehende Besitz wird auf diese Weise in sehr starker Weise geschützt. Die Kontinuität der Besitzlage ist damit in einem hohen Maße gewahrt. Eine Schwächung oder Störung der tatsächlichen Beziehung zur Sache läßt den Schutz der Kontinuitätsinteressen durch den Besitz nicht untergehen. Erst wenn durch die Ergreifung der Sache neue Kontinuitätsinteressen entstehen, wechselt der Besitz. Die Beurteilung der Besitzlage durch die Vertreter dieser Ansicht folgt mithin - wohl unbewußt - grundsätzlich den beteiligten Kontinuitätsinteressen. Sie führt daher für eine Vielzahl der Fälle zu überzeugenden Ergebnissen. Eine Abwägung dieser Interessen im Einzelfall findet allerdings nicht statt.

cc) Der Besitzerwerb durch Ergreifung Die Bestimmung des Besitzerwerbstatbestandes durch die dargestellte Meinung kann letztlich nicht überzeugen, und zwar aus folgenden Gründen: Zunächst ist der Begriff der Sachergreifung oder - anders formuliert - der "wirklichen Begründung der Herrschaft" zu unbestimmt. Wann eine Sache ergriffen ist, d.h. eine unmittelbare, gegenwärtige Einwirkungsmöglichkeit 328 besteht, ist im Einzelfall oft schwer zu entscheiden. Auch birgt die erforderliche Abgrenzung zwischen besitzlosen Sachen und Sachen, die sich in jemandes Besitz befinden, Schwierigkeiten. Diese Unterscheidung ist erforderlich, weil bei besitzlosen Sachen die Erlangung der Einwirkungsmöglichkeit für den Besitzerwerb ausreichen soll, während bei letzteren die Einwirkungsmöglichkeit zusätzlich den bisherigen Besitz beseitigen muß. 329 Die Beurteilung des Besitzes hängt also von der zuvor bestehenden Besitzlage ab. Probleme entstehen schon deshalb, weil die Vertreter der hier behandelten Meinung die Möglichkeit eines Besitzverlustes nach § 856 Abs. 1 BGB ohne die Begründung eines neuen, fremden Besitzes nicht berücksichtigen. 330 Sie nennen keine konkreten Voraussetzungen, unter denen eine Sache besitzlos wird und dann unter den erleichterten Bedingungen erworben werden kann. Die Abgrenzung zwischen einer unschädlichen vorübergehenden Verhinderung in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt und dem Besitzverlust soll

327

Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 181; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 320.

328

So die Umschreibung bei Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 320.

329

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 6; vgl. auch Joost, Gedächtnisschrift für Schultz,

S. 181. 330 Vgl. Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 180. Hier wird der Besitzverlust nur als Folge des Besitzerwerbs durch einen anderen erörtert.

C. Die Besitztatbestände

140

vielmehr nach der Leitlinie erfolgen, ob die Beteiligten des Rechtsverkehrs in der Umgebung der Sache noch von einer geschützten Sachherrschaftssphäre ausgehen werden. 3 3 1 Dieser Verweis auf die Anschauungen des Rechtsverkehrs kann aus den gleichen Gründen nicht überzeugen wie die h . M . 3 3 2 Ferner führt es in verwickelten Fällen zu Komplikationen, daß die Entscheidung über den Besitz von der ursprünglichen Besitzlage abhängen soll: Dies gilt vor allem, wenn der Besitz an einer Sache zwischen mehreren Personen streitig ist, die alle auf die Sache zugreifen können oder bereits darauf zugegriffen haben. Sieht man hier die frühere Besitzlage als maßgeblich für die Entscheidung über den Besitz an, dann macht man das Ergebnis von Umständen abhängig, die gerade selbst wegen der unterschiedlichen Einwirkungen ungewiß sind. M a n dreht sich folglich i m Kreise. Die Lösung kann in diesen Fällen daher nicht allein mit Hilfe der Einwirkungsmöglichkeiten gefunden werden. Vielmehr bedarf es einer wertenden Betrachtung unter Heranziehung anderer Kriterien. Selbst dann, wenn feststeht, daß sich die Sache vor dem fraglichen Besitzerwerb in fremdem Besitz befunden hat, ist die gegenwärtige Besitzlage mit Hilfe der dargelegten Auffassung nicht leicht zu klären. Der Besitzerwerb soll in diesem Fall nämlich davon abhängen, daß die physische Einwirkungsmöglichkeit des Erwerbers die des bisherigen Besitzers beseitigt. 3 3 3 Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall sein soll, w i r d nicht gesagt. Das ist besonders deshalb problematisch, weil der Begriff der Einwirkungsmöglichkeit recht weit ausgelegt w i r d und es auf eine ununterbrochene Einwirkungsmöglichkeit nicht ankommen soll. In Zweifelsfällen muß daher eine Abwägung zwischen der Einwirkungsmöglichkeit des Erwerbers und der - möglicherweise nur gelokkerten- Einwirkungsmöglichkeit des bisherigen Besitzers erfolgen. Die Gesichtspunkte, die dabei zu berücksichtigen sind, bleiben unklar. 3 3 4 A l l e i n auf die Stärke der Einwirkungsmöglichkeit abzustellen ist jedenfalls wenig hilfreich. Die Intensität der Einwirkungsmöglichkeit ist nämlich ähnlich unbestimmt wie die überwiegende Wahrscheinlichkeit, den eigenen W i l l e n durchzusetzen. 335 Die dargelegten Probleme lassen sich an folgendem Beispiel

verdeutlichen:

Bei einem Spaziergang durch die sonnigen Ruhrwiesen verliert der Spaziergänger Sorglos (S) einen Geldschein aus seiner Brieftasche. Der Mountainbikefahrer Mooslos (M) hat dies beobachtet und hält an, um den Geldschein aufzuheben. Als er sich von

331

MünchKomm/Joost § 856 Rn. 14.

332

Siehe oben a.

333

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 6.

334 Als Beispiel wird nur das Fortschaffen der Sache genannt, MünchKomm/Joost § 854 Rn. 6. 335

Siehe dazu oben c.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

141

seinem Rad herunterbeugt und den Geldschein so eben mit den Fingerspitzen berührt, kommt der rüstige Rentner Rempel (R) des Weges und schlägt mit seinem Spazierstock den Geldschein zur Seite, so daß M ihn von seinem Rad aus nicht mehr erreichen kann. Daraufhin bricht zwischen M und R ein Wortgefecht über das Geld aus. S, der sich inzwischen etwa 50 m entfernt hat, wird durch den Lärm aufmerksam und kehrt um, um den Geldschein wieder an sich zu nehmen. M und R halten sich jeweils für den Finder des Geldscheins und wollen dies nur gegen die Zahlung eines Finderlohns zulassen. S, M oder R darf den Geldschein notfalls mit Gewalt verteidigen, wenn er gegenwärtig Besitzer desselben ist (§ 859 Abs. 1 BGB). Dies allein aufgrund der Einwirkungsmöglichkeit zu entscheiden, ist kaum möglich, ohne daß der Eindruck von Willkür entsteht: So kann man einerseits sagen, der Besitz des S bestehe fort, da dieser ja nur 50 m entfernt war und seine Einwirkungsmöglichkeit innerhalb weniger Sekunden wiederherstellen konnte. Andererseits hätte S, wäre es nicht zwischen M und R zum Streit gekommen, vermutlich seinen Verlust nicht bemerkt und wäre unbekümmert seines Weges gegangen. Er selbst hätte dann wahrscheinlich seinen Geldschein nicht wiedergefunden. Auch die Verkehrsanschauung hilft nicht weiter. Mir ist zumindest keine allgemein vertretene Ansicht bekannt, wonach derjenige, der eine Sache verloren hat, solange Besitzer bleibt, wie er in Sichtweite ist. Bei einer Befragung der Bevölkerung würden es zwar wahrscheinlich viele für "anständig" halten, den Verlierer durch Zuruf zu benachrichtigen und ihm die verlorene Sache ohne weiteres auszuhändigen. Viele würden aber nicht ganz zu Unrecht sagen, die Ehrlichkeit müßte mit einem Finderlohn bedacht werden. Dies würde jedoch zwischenzeitlichen Besitz des Finders voraussetzen. 336 Einige würden vermutlich die Entscheidung davon abhängig machen wollen, ob S bereits hinter einer Wegbiegung verschwunden war. Zu bedenken ist ferner, daß M das Geld zumindest für den Bruchteil einer Sekunde berührt hat, also eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit hatte. Jedoch war die Berührung eben nur von kurzer Dauer, und immerhin konnte R das Festhalten des Scheines verhindern. Ob M Besitzer ist, könnte wiederum davon abhängen, ob S zuvor seinen Besitz verloren hat. Dann könnte die kurze bloße Einwirkungsmöglichkeit zum Besitzerwerb ausreichen. Obwohl man dem R den Besitz eigentlich am wenigsten zuerkennen möchte, ließe sich auch für ihn eine ausreichende Einwirkungsmöglichkeit begründen: Er hat immerhin erreicht, daß M den Schein nun nicht mehr ohne weiteres an sich nehmen kann. Möglicherweise ist er nun am ehesten in der Lage, das Geld aufzuheben. Wie das Beispiel gezeigt hat, kann über den Besitz nicht allein anhand der physischen Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache entschieden werden. Es muß vielmehr noch weitere Kriterien geben, die beachtet werden müssen, um ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Welche dies sind, wird weiter unten erörtert werden. 337 Auch bei dem bereits erwähnten Kursbuchfall führt das ausschließliche Abstellen auf die physische Einwirkungsmöglichkeit zu keinem eindeutigen Ergebnis. Das gilt insbesondere dann, wenn man den Sachverhalt dahingehend erweitert, daß der Entleiher (E) das Kursbuch des Mitreisenden (M) zur Einsicht mit in das Nachbarabteil nimmt. Das

336

Vgl. nur Palandt/Bassenge Vorbem. vor § 965 Rn. 2.

337

Siehe unten f d d (5).

142

C. Die Besitztatbestände

Gerechtigkeitsempfinden sagt uns, der Verleiher M müsse Besitzer bleiben. Die tatsächliche Lage ist hingegen nicht klar: E kann auf das Kursbuch unmittelbar physisch einwirken. Ob M es problemlos zurückerhalten wird, hängt daher möglicherweise vom Willen des E und im Ernstfall von den körperlichen Kräften der Beteiligten ab. Man kann daher sagen, der M habe Einwirkungsmöglichkeit und Besitz an den E verloren. Andererseits kann man aber auch argumentieren, das Buch befinde sich nur wenige Meter von E entfernt und möglicherweise könne dieser sich im Streitfall das Buch selbst oder mit fremder Hilfe wiederbeschaffen. Unter den Oberbegriff der physischen Einwirkungsmöglichkeit kann man somit jedes gewünschte Ergebnis "herbeisubsumieren". A u f diese Weise kann man zwar seinem persönlichen Gerechtigkeitsgefühl zum Durchbruch verhelfen, wie man zu diesem "gerechten" Ergebnis kommt, bleibt aber im Dunkeln.

e) Schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse Einen völlig anderen Weg zur Bestimmung des Besitztatbestandes hat Heck, ein wichtiger Vertreter der Kontinuitätstheorie und bedeutender Verfechter der Interessenjurisprudenz, beschritten. 338 Nach seiner Auffassung ist "tatsächliche Gewalt" kein Elementar-, sondern ein Blankettbegriff. Die Entscheidung, ob eine konkrete Sachlage Besitz sei, dürfe nicht dadurch gewonnen werden, daß man den Sprachgebrauch für tatsächliche Gewalt festzustellen versuche und die Sachlage unter den gewonnenen Begriff subsumiere. Vielmehr müsse sich der Richter darüber schlüssig werden, ob durch die Sachlage ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse gegeben sei. Nicht die Wortbedeutung, sondern die Lebensbedürfnisse seien für die Entscheidung maßgeblich.339

aa) "Tatsächliche Gewalt" als Blankettbegriff Daß es sich um einen Blankettbegriff handele, begründet Heck damit, daß im gemeinen Bewußtsein der vermeintliche Elementarbegriff nicht existiere. Der Besitz sei - wie sich aus §§ 855, 856 Abs. 2 und 857 ergebe - nicht mit der tatsächlichen Gewalt identisch. Auch werde im gemeinen Bewußtsein mit den Worten "tatsächliche Gewalt" kein abgegrenzter, für die Rechtsanwendung brauchbarer Begriff verbunden. Ebenso wie das Wort "Besitz" mache auch der Begriff "tatsächliche Gewalt" einen Bedeutungswandel durch. Sei mit ihm ursprünglich nur die unmittelbare physische Einwirkung bezeichnet worden, 338 Heck, Sachenrecht, § 5 5., 6., S. 20 ff.; § 6, S. 24 ff. Der Standpunkt Hecks wird auch vertreten von Schmelzeisen, AcP 136 (1932), S. 38 ff. und 129 ff, vgl. insbesondere S. 51 ff. Ebenfalls der Ansicht Hecks folgt Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 5 ff., der neben der "Interessenlage" auch die "Herrschaftslage" bei der Auslegung der Besitztatbestände berücksichtigen will, vgl. dazu auch Bund, Festschrift für Thieme, S. 374 ff. 339

Heck, Sachenrecht, § 6 1., S. 24.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

143

werde nunmehr darunter jede Einwirkung verstanden, auch die nichtphysische und ebenso die bloß mögliche, selbst wenn die Möglichkeit nur auf einer entfernten Aussicht beruhe. Mit Hilfe des Sprachgebrauchs lasse sich der Begriff mithin nicht eingrenzen. Der Richter könne die Grenze nur durch die Würdigung einer Wertidee gewinnen. 340 Im übrigen sei auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, der Begriff der tatsächlichen Gewalt sei ein unabgegrenzter Begriff, der eine Blankettbehandlung fordere, denn in den Materialien werde die Notwendigkeit richterlicher Ergänzung stark betont. 341 Ferner stehe die Theorie Goldschmidts342, der Begriff der tatsächlichen Gewalt sei ein Elementarbegriff, mit den methodischen Grundanschauungen der Begriffsjurisprudenz im Zusammenhang. Nach diesen Anschauungen seien die Rechtsnormen aus kausalen Vorstellungen des gemeinen Rechtsbewußtseins entstanden. Diese Ansicht sei aber unzutreffend. Nicht Strukturvorstellungen seien kausal gewesen, sondern die Lebensbedürfnisse. 343

bb) Die Entscheidung über den Besitztatbestand Die Ausfüllung des Blankettbegriffs "tatsächliche Gewalt" soll durch die Abwägung der Interessen nach Maßgabe der gesetzlichen Werturteile, der ratio legis, erfolgen. In dieser Weise habe der Richter die Sachlagen zu ermitteln, bei denen Kontinuitätsinteressen den Besitzschutz rechtfertigten. 344 Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es nach Ansicht Hecks, für die Gesamtheit der gefundenen Sachlagen, in denen Besitz bestehe, eine möglichst anschauliche Bezeichnung zu finden. Als eine solche zusammenfassende, beschreibende Bezeichnung könne man die unbestimmten Wortverbindungen "tatsächliche Gewalt" und "tatsächliche Herrschaft" betrachten. Andere Bezeichnungen seien insbesondere "Einfügung in die Interessensphäre", aber auch "Bereitschaftslage der Sache", "tatsächliche Nutzung" sowie, hinsichtlich der Zeichenfunktion, der Begriff "Ausdruckslage". Diese Begriffe dürften nur als Zusammenfassungen benutzt werden, nicht aber als entscheidende Oberbegrif-

340

Heck, Sachenrecht, § 5 5., S. 20 f.

341

Heck, Sachenrecht, § 5 5. b, S. 21, unter Hinweis auf Motive, S. 81, 83, 89, bei Mugdan, Bd. 3, S. 44 f., 45 f., 49. 342

Siehe dazu oben a.

343

Heck, Sachenrecht, § 5 5. c, S. 21; Schmelzeisen AcP 136 (1932), S. 42: "Inzwischen hat sich immer stärker die Auffassung durchgerungen, daß die Rechtsordnung zielstrebigem Denken entspringt und nicht ursächlichen Vorstellungen des Gemeinbewußtseins." 344

Heck, Sachenrecht, § 5 6., S. 21.

144

C. Die Besitztatbestände

fe, nicht als Grundlage der Subsumtion, wie es der Lehre vom Elementarbegriff entsprechen würde. 345 Die Entscheidung, ob eine konkrete Sachlage Besitz ist, soll Heck zufolge nach folgendem Schema verlaufen: Zunächst habe sich der Richter zu fragen, ob nach der allgemeinen Erfahrung eine Kontinuitätserwartung, also eine Erwartung fortdauernder Nutzung, begründet sei. Dies werde von den verschiedensten begleitenden Umständen, auch von den zeitlich und örtlich wechselnden Lebensverhältnissen, abhängen.346 Jedenfalls könne eine Kontinuitätslage nur vorliegen, wenn die Möglichkeit künftiger Einwirkung gegeben sei. 347 Anschließend müsse der Richter prüfen, ob diese Kontinuitätserwartung nach der Anschauung des Lebens Schutz verdiene. Da hier nach der Schutzwürdigkeit gefragt werde, werde die Antwort regelmäßig eindeutiger ausfallen als bei der Frage nach der Wortbedeutung. 348 Der Besitz könne auf einer ständigen oder einer wechselnden (intermittierenden) Beziehung beruhen, er könne ein offener oder ein geschlossener, ein sinnlich wahrnehmbarer oder ein nur historisch erkennbarer sein. 349 Eine bestimmte Dauer oder Sichtbarkeit 350 sei nicht erforderlich. Entscheidend für das Bestehen von Besitz ist nach Ansicht Hecks also, daß der Eintritt der Besitzfolge im konkreten Fall angemessen ist.

cc) Kritische Würdigung Der Vorschlag, den Besitztatbestand allein durch eine Wertung der Kontinuitätsinteressen zu bestimmen, stößt in der Literatur überwiegend auf Ablehnung.

(1) Bezugnahme auf die §§ 855, 856 Abs. 2, 857 BGB Bereits der Ausgangspunkt der Theorie Hecks, die "tatsächliche Gewalt" sei kein Elementarbegriff, weil die Verkehrsanschauung einen solchen Begriff 345

Heck, Sachenrecht, § 5 6., S. 21.

346

Heck, Sachenrecht, § 6 1., S. 24.

347

Heck, Sachenrecht, § 5 6., S. 21.

348

Vgl. zum vorstehenden Heck, Sachenrecht, § 6 1., S. 24.

349

Heck, Sachenrecht, § 6 2., S. 24 f.

350

Heck, Sachenrecht, § 6 6., S. 27. Dies gelte zumindest für den Besitzervorzug, also auch für den Besitzschutz. Anders sei es aber bei der Zeichenfunktion, daher könne es hier zu einer divergierenden Begriffsbestimmung kommen. Auf diese "Relativität des Besitzbegriffes" wird noch einzugehen sein, siehe unten cc (4).

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

145

nicht kenne und der Besitzbegriff - wie §§ 855, 856 Abs. 2, 857 BGB zeige - auch mit dem Begriff der tatsächlichen Gewalt nicht übereinstimme, wird beanstandet: Aus den Fällen, in welchen das Gesetz den Besitz über die Fälle der tatsächlichen Gewalt hinaus ausdehne, könnten keine Folgerungen für den Begriff der tatsächlichen Gewalt in § 854 Abs. 1 BGB gezogen werden. Ferner könne die Verkehrsanschauung, auch wenn sie den Begriff der tatsächlichen Gewalt nicht kenne, doch Aussagen darüber treffen, ob die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß die Gewalt über die Sache weiterhin ausgeübt werden könne. Damit sei dann die Frage nach der tatsächlichen Gewalt beantwortet. 351 Sicherlich lassen, darin ist der Kritik zuzustimmen, die Vorschriften der §§ 855, 856 Abs. 2, 857 BGB keine Schlüsse über die Bedeutung der "tatsächlichen Gewalt" in § 854 Abs. 1 BGB zu. Damit ist jedoch die Ausgangsthese Hecks noch nicht widerlegt. Heck stützt sich zur Begründung nämlich weniger auf diese Vorschriften als auf die nahezu grenzenlose Ausdehnung des Sachherrschaftsbegriffs. Die Verwässerung dieses Ausdrucks wird nicht nur deutlich, wenn die Konstellationen der §§ 857 und 868 BGB als "vergeistigte Sachherrschaft" bezeichnet werden 352 , sondern auch dann, wenn das Verhältnis des Astronauten zum auf dem Mond zurückgelassen Meßgerät oder des Bergbauern zur im Winter unerreichbaren Almhütte ein tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis genannt wird 3 5 3 . Des weiteren kann gegen die Theorie vom Blankettbegriff nicht eingewendet werden, die Verkehrsanschauung könne Aussagen über die Wahrscheinlichkeit der Gewaltausübung treffen und so doch die Frage nach der tatsächlichen Sachherrschaft beantworten. Wie bereits dargelegt 354, sind aus der Verkehrsauffassung, insbesondere bei schwierigen Abgrenzungen, keine Kriterien für das Bestehen tatsächlicher Gewalt zu gewinnen. Dies gilt selbst dann, wenn man zur Bestimmung des Besitztatbestandes nicht verlangt, daß die Verkehrsanschauung den juristischen Begriff der tatsächlichen Gewalt kennt.

(2) Kriterien zur Entscheidung der Besitzfrage Des weiteren wird der Lehre vom Blankettbegriff entgegengehalten, sie gebe keine Handhabe zur Beurteilung der Besitzfrage. 355 Das Kontinuitätsinteresse

351

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 132.

352

Siehe oben Β II 1 a.

353

Siehe dazu oben d aa.

354

Siehe oben a.

355

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 1 1 a, S. 132; ähnlich MünchKomm/Joost § 854 Rn. 3. 10 Härtung

146

C. Die Besitztatbestände

sei kein geeignetes Entscheidungskriterium. Es sei erstens zu unbestimmt. 356 Zweitens habe jeder Besitzer dieses Interesse, so daß es keinen unfreiwilligen Besitzverlust geben dürfte. Schließlich könne über die Einschränkung Hecks, die Kontinuitätslage setze die Möglichkeit zukünftiger Einwirkung voraus, wiederum nur mit Hilfe der Verkehrsanschauung entschieden werden. 357 Diese Einwände können nicht überzeugen. Zwar ist auch der Begriff des Kontinuitätsinteresses zunächst ziemlich unbestimmt. Er ist aber sicherlich nicht unbestimmter als der Ausdruck "tatsächliche Gewalt". Ferner hat er gegenüber diesem den Vorteil, daß er die rechtspolitische Wertentscheidung, bestehende Lebensbedingungen möglichst zu bewahren, ins Bewußtsein hebt 358 und in den Tatbestand einbezieht. Dadurch bietet er sehr wohl eine gehaltvolle Grundlage zur Entscheidung von Besitzfragen. Die Entgegnung, jeder Besitzer habe Kontinuitätsinteressen, daher dürfte es keinen unfreiwilligen Besitzverlust geben, übersieht einen wichtigen Aspekt bei der Prüfung der Besitzfrage: Als Besitz kommt nicht jedes bloße Kontinuitätsinteresse, sondern nur eine begründete Kontinuitätserwartung in Betracht, und dies auch nur dann, wenn sie nach den Wertungen, die dem Besitzrecht zugrunde liegen, schutzwürdig sind. Der Besitzer mag mithin ein bestehendes Kontinuitätsinteresse haben, er kann gleichwohl seinen Besitz unfreiwillig verlieren. Der dritte Einwand schließlich, über das Bestehen der Kontinuitätslage könne wiederum nur mit Hilfe der Verkehrsanschauung entschieden werden, beachtet nicht hinreichend die Unterschiede zwischen der Lehre Hecks und der h.M. Heck selbst ist der Ansicht, bei der Begriffsgewinnung seien die Anschauungen des Lebens zu berücksichtigen. 359 Dagegen ist nichts einzuwenden, denn die juristische Bewertung der Besitzlage sollte, da sie sich an die Rechtssubjekte richtet, der Lebenswirklichkeit möglichst entsprechen. Im Gegensatz zur h.M. überläßt Heck jedoch die Wertung der Besitzfrage nicht der Verkehrsanschauung. Besitz soll nicht allein deshalb vorliegen, weil nach der Verkehrsanschauung die tatsächliche Sachherrschaft zu bejahen ist. Vielmehr soll sich der Richter - unter Berücksichtigung der Lebensanschauung - darüber klar werden, ob eine schutzwürdige Kontinuitätserwartung besteht. Er selbst muß, ausgehend vom Schutzzweck des Besitzrechts, die Wertung des Gesetzes auf den Einzelfall übertragen.

356

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 3.

357

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a, S. 132 f.

358

Vgl. auch Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 151.

359

Heck, Sachenrecht, § 6 1., S. 24.

1.2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

147

(3) Nichtbeachtung des Wortlautes Gegen die Ansicht Hecks ist ferner der Einwand denkbar, es werde bei der Bestimmung des Besitzbegriffs der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB nicht hinreichend berücksichtigt. Über die Besitzfrage soll ja nicht durch die Subsumtion unter den Oberbegriff der "tatsächlichen Gewalt" entschieden werden. Maßgeblich soll vielmehr sein, ob der Eintritt der an den Besitz geknüpften Rechtsfolgen nach Abwägung der beteiligten Interessen angemessen, d.h. interessengemäß ist. 360 In dieser Vorgehensweise, den Besitzbegriff allein aus seinen Wirkungen herzuleiten, wird teilweise ein Widerspruch gegen die Grundkonzeption des Gesetzes gesehen, nach der der Gewaltbegriff im Vordergrund stehe.361 In der Tat widerspricht die von Heck gewählte Methode der Gesetzesauslegung der heutzutage anerkannten Auslegungsregel, wonach der Wortlaut einer jeden Vorschrift der Ausgangspunkt der Auslegung ist 362 . Wird bei der Deutung einer Norm ihr Wortlaut außer acht gelassen, mag in den allermeisten Fällen daher ein erheblicher Fehler in der Rechtsfindung vorliegen. Speziell bei § 854 Abs. 1 BGB wiegt dieser Mangel aber nicht schwer. Dies folgt schon aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift: Der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB beruht vor allem darauf, daß der Gesetzgeber sich nicht von der Terminologie Savignys lösen konnte. Er wird jedoch weder der Bedeutung des Besitzes in der Rechtsgeschichte gerecht, noch wollte ihn der Gesetzgeber selbst allzu wörtlich verstanden wissen. 363 Ferner hat der Begriff der tatsächlichen Gewalt auch in der Alltagssprache keine unumstößlich feststehende Bedeutung. Von einem wesentlichen Verstoß gegen die Grundkonzeption des Gesetzes durch die Außerachtlassung des Gewaltbegriffes kann daher - zumindest soweit es um den Besitzschutz geht 364 - wohl kaum die Rede sein.

(4) Relativität des Besitzbegriffs Es ergeben sich jedoch aus einem anderen Gesichtspunkt erhebliche Bedenken dagegen, über die Besitzlage allein durch eine Interessenabwägung zu entscheiden: An den Besitz knüpft nicht nur die Schutzfunktion, sondern auch die Zeichenfunktion an. Geht man davon aus, daß für beide Rechtsfolgen des

360

Zur Methode der lnteressenjurisprudenz Rechtswissenschaft, I Kapitel 3, 3, S. 49 ff.

siehe Larenz, Methodenlehre der

361

Hedinger, S. 19, Fn. 38.

362

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, II Kapitel 4, 2 a, S. 320 ff.

363

Siehe dazu oben C I 1 fbb(3).

364

Siehe dazu sogleich (4).

io*

148

C. Die Besitztatbestände

Besitzes unterschiedliche Interessenwertungen maßgeblich sind, kann es zu einer Spaltung des Besitzbegriffes kommen. Es ist dann denkbar, daß an derselben Sache gleichzeitig verschiedene Personen unmittelbare Alleinbesitzer sind, je nachdem, welche Besitzfolge jeweils in Frage steht. Diese "Relativität der Begriffsbestimmung" wird von Heck befürwortet. Als Beispiel nennt er folgenden Fall: 365 "A ist Filialleiter (Kommis) des B. Er gelangt durch Erbschaft zu Geld und kauft dem Β das Filialgeschäft ab. Nach außen wird aber die Änderung nicht kundgegeben. A tritt ftir Dritte immer noch als Angestellter auf und führt die Geschäfte unter der Firma des B." Nach der Meinung Hecks ist A hinsichtlich des Besitzschutzes als unmittelbarer Besitzer zu behandeln, während die Zeichenwirkung immer noch zugunsten des Β eintreten soll. Beispielsweise werde daher ein Schädiger durch eine an Β erbrachte Ersatzleistung von seiner Ersatzpflicht nach § 851 BGB frei.

Allerdings sind die Fälle, in denen es zu einer Spaltung des Besitzbegriffs kommt, nach der Auffassung Hecks zumindest bei beweglichen Sachen sehr selten. Mit der Einfügung in eine Interessensphäre seien fast immer zugleich Bereitschaftslage und Ausdruckslage gegeben. Daher hält Heck es in den meisten Fällen für geboten, allein auf die Kontinuitätslage abzustellen.366 Der Gedanke der Relativität des Besitzbegriffes wird jedoch von Schmelzeisen 367 weiterverfolgt und ausgebaut. Er unterscheidet nicht zwei, sondern vier verschiedene Besitzfunktionen, nämlich die Verwirklichungsfunktion, die sich z.B. darin äußere, daß sich eine Sache zur Nutzung in der Bereitschaftslage befinde, die Pflichtfunktion (z.B. bei der Herausgabepflicht aus § 985 BGB), die Ausdrucksfünktion (beispielsweise bei der Eigentumsvermutung nach § 1006 BGB) und die Anwartschaftsfunktion (z.B. bei der Ersitzung). 368 Die Frage nach der Person des Besitzers kann danach also, abhängig von der jeweils zu prüfenden Besitzfunktion, in vierfacher Hinsicht verschieden zu beantworten sein. 369 Die Relativität der Begriffsbestimmung wird in der Literatur zu Recht überwiegend abgelehnt.370 Wenn das BGB an den verschiedenen Stellen, z.B. in §§ 929 ff., 985, 1006, von Besitz spricht, geht es ersichtlich von einem einheitlichen, und zwar von dem in den §§ 854 ff. BGB näher ausgestalteten Besitz-

365

Heck, Sachenrecht, § 6 6. a, S. 27; siehe auch Schmelzeisen, AcP 136 (1932), S. 152 f. 366

Heck, Sachenrecht, § 5 7., S. 22.

367

Schmelzeisen AcP 136 (1932), S. 38 ff., 129 ff.

368

Schmelzeisen AcP 136 (1932), S. 54 ff.

369

Vgl. dazu Schmelzeisen AcP 136 (1932), S. 129 ff.

370

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 I 3, S. 83 f.; Hedinger S. 19; Holler, S. 7 f.; vgl. auch Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, S. 301.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

149

begriff aus. Eine Notwendigkeit, speziell fur jede Vorschrift den Besitz neu zu definieren, ist nicht erkennbar. I m übrigen wollte auch der Gesetzgeber dem B G B offenbar einen einheitlichen Besitzbegriff zugrunde legen. Zwar sollte zunächst i m Abschnitt über den Besitz der Besitz nur als Voraussetzung des Besitzschutzes behandelt werden. 3 7 1 Diese Einschränkung wurde jedoch, wie die Aufnahme der Definition des mittelbaren Besitzes 3 7 2 und des Eigenbesitzes 3 7 3 in das Besitzrecht zeigt, aufgegeben. Ferner mag erne Entscheidung durch Interessenabwägung wegen der Unbestimmtheit des § 854 Abs. 1 B G B zwar angemessen sein, soweit allein die Frage des Besitzes oder des Besitzschutzes zu beantworten ist. Hingegen geht es nicht an, bei jeder Folgenorm, in der der Besitz erne Rolle spielt, allein durch eine Wertung der beteiligten Interessen zu entscheiden, wie Heck und Schmelzeisen es wollen. Dies wäre nicht nur unpraktikabel und würde zu Rechtsunsicherheit führen. Die gesetzlichen Tatbestände würden auch ihre Bedeutung als Ausgangspunkt der juristischen Auslegung verlieren. Dies kann man am Beispiel des gutgläubigen Erwerbs verdeutlichen: 374 Voraussetzung des gutgläubigen Erwerbs bei beweglichen Sachen ist es, daß der Erwerber den Besitz an der Sache von dem Veräußerer oder - im Fall des § 934 Halbs. 2 BGB - von einem Dritten erlangt hat. Nach Heck und Schmelzeisen müssen die ursprüngliche Besitzlage und die Tatsache des Besitzwechsels durch Interessenabwägung ermittelt werden. Es entscheidet dann also allein die Interessenabwägung über den Eigentumserwerb. Sie ersetzt den gesetzlichen Tatbestand. Eine solche Vorgehensweise widerspricht jeder juristischen Methode. Sie ist sogar unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, nämlich der Bindung des Richters an das Gesetz, bedenklich. Zwar fließen zweifellos in viele richterliche Entscheidung auch Interessenabwägungen, etwa im Rahmen der teleologischen Auslegung, ein. Oft ist eine Interessenwertung bei der Rechtsfindung unabdingbar. Sie darf jedoch nicht an die Stelle der gesetzlichen Regelung treten. Es besteht sonst die Gefahr, daß gesetzgeberische Entscheidungen umgangen werden. Auch die Abhängigkeit des gutgläubigen Eigentumserwerbs von der Besitzerlangung ist eine zu respektierende legislatorische Entscheidung. Knüpft das Gesetz den Eigentumserwerb an die Erlangung des Besitzes, so ist daher über den Besitzerwerb anhand seines gesetzlichen Erwerbstatbestandes zu befinden. Bei dieser Entscheidung ist für eine Abwägung der Interessen, die den gutgläubigen Eigentumserwerb betreffen, kein Platz.

371

Vgl. Protokolle (2. Kommission), S. 3332, bei Mugdan Bd. 3, S. 502.

372

Protokolle (2. Kommission), S. 6036, bei Mugdan, Bd. 3, S. 516. Die Bedeutung des mittelbaren Besitzes für das gesamte BGB wird aus folgender Protokollstelle deutlich: "... fast alle Bestimmungen, welche rechtliche Folgen an den Besitz knüpfen, auch anwendbar seien auf das Verhältnis mittelbaren Besitzes." 373

Protokolle (2. Kommission), S. 3737 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 517.

374

Siehe hierzu Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, S. 301.

150

C. Die Besitztatbestände

Daß im übrigen die Ergebnisse einer Spaltung des Besitzbegriffs nach der Schutz- und der Erwerbsfunktion wenig überzeugend sind, zeigt folgende Abwandlung des oben geschilderten Filialfalles: 375 Β hat sich bei der Übertragung des Geschäftes an einigen Gegenständen das Eigentum vorbehalten. Dessenungeachtet veräußert A einige dieser Gegenstände an den gutgläubigen D, der sich keine Gedanken darüber macht, wer Geschäftsinhaber ist. - Da B, wie dargelegt, nach der Lehre Hecks und Schmelzeisens hinsichtlich der Zeichenfiinktion Besitzer der Filiale und mithin erst recht der unter Eigentumsvorbehalt stehenden Gegenstände ist, kann D von A die Gegenstände nicht gutgläubig erwerben. § 932 BGB setzt nämlich Besitz des Veräußerers im Sinne des Offenlegungstatbestandes voraus. 376 Man könnte D allenfalls mit einer entsprechenden Anwendung des § 56 HGB helfen. Dieses Ergebnis wird den Schutzbedürfhissen des Verkehrs nicht gerecht und ist daher unbefriedigend. Sachgerechter ist es hingegen, wenn derjenige, der den Besitzschutz genießt, auch den gutgläubigen Erwerb der Sache vermitteln kann, der Besitzbegriff also einheitlich bestimmt wird. D könnte dann von A Eigentum erwerben.

Die Relativität des Besitzbegriffes ist somit abzulehnen. Mithin ist auch der Lehre vom Blankettbegriff nicht zu folgen. Die Relativität des Besitzbegriffes ist nämlich das Ergebnis des methodischen Ansatzes dieser Lehre, den Besitzbegriff allein danach zu bestimmen, ob der Eintritt der Besitzfolgen im konkreten Einzelfall interessengemäß ist. Es sind also methodische Mängel, die gegen die Ansicht Hecks sprechen. 377 Sie offenbaren sich weniger bei der Frage nach dem Besitzschutz, sondern vielmehr bei den übrigen Funktionen des Besitzes.

f) Der Besitz als ein tatsächliches, von Kontinuitätsinteressen getragenes Machtverhältnis Wie die Untersuchung gezeigt hat, können letztlich alle bedeutenden aktuell vertretenen Meinungen zur Bestimmung des Begriffs der tatsächlichen Gewalt nicht überzeugen. Bei einer vergleichenden Betrachtung fallen zwischen ihnen jedoch Gemeinsamkeiten auf, die bei der Begriffsfindung hilfreich sein können: Alle Auffassungen versuchen, den Sachherrschaftsbegriff von einer engen räumlichen Vorstellung zu lösen. Dies geschieht, indem sie entweder auf die

375

Nach Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 I 3, S. 84.

376

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 9 I 3, S. 84.

377

Nicht weiter einzugehen ist auf die Kritik von Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 320, die Lehre Hecks liefe auf einen Sach- statt Personenschutz hinaus. Grund und Gegenstand des Besitzschutzes sei nicht die Möglichkeit künftiger Einwirkung auf die Sache, sondern daß die Herrschaft erworben sei und fortdauere. - Dieser Einwand beruht auf der bereits oben Β III 1 b a a ( l ) (b) als unrichtig erkannten Ansicht, der Besitzschutz bezwecke den Schutz der Persönlichkeit des Besitzers.

1.2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

151

Verkehrsanschauung (siehe oben a), auf vorpositive Gerechtigkeitsvorstellungen (b), auf "Kraftfelder" (c), auf die bloße Möglichkeit zukünftiger Gewaltausübung (d) oder auf schutzwürdige Kontinuitätsinteressen (e) verweisen. Andererseits kann nach allen Meinungen - auch nach der Lehre vom Blankettbegriff - auf eine tatsächliche Beziehung zur Sache nicht vollständig verzichtet werden. Das nötige Minimum eines tatsächlichen Verhältnisses besteht in der Möglichkeit einer zukünftigen faktischen Einwirkung auf die Sache. Eine genauere allgemeingültige Umschreibung der für den Besitz erforderlichen tatsächlichen Umstände ist bisher jedoch nicht gelungen. Dies gilt insbesondere für die Meinungen, die in dem Ausdruck "tatsächliche Gewalt" den allein ausschlaggebenden Begriff für die Bestimmung des Besitztatbestandes gemäß § 854 Abs. 1 BGB sehen. Die teilweise aufgestellten Kriterien enthalten für zahlreiche Einzelfälle zwar viele wahre Anhaltspunkte, können aber nicht als allgemein zutreffend bezeichnet werden. Ferner ist allen Auffassungen gemein, daß sie - bewußt oder unbewußt - bei der Entscheidung, ob Besitz vorliegt oder nicht, auf rechtspolitische Wertungen abstellen. Diese treten bei der Lehre vom Blankettbegriff offen zutage, bei anderen Meinungen sind sie hinter der Verkehrsanschauung, hinter vorpositiven Gerechtigkeitsvorstellungen oder hinter der Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung des eigenen Willens ("Kraftfelder") versteckt. Allein die Auffassung, nach der der Besitz die bloße Möglichkeit zukünftiger physischer Gewaltausübung voraussetzt 378, scheint auf den ersten Blick die Frage nach dem Besitz ohne eine rechtspolitische Wertung beantworten zu können. Dies ist die Folge daraus, daß sie schon in ihrem Ausgangspunkt, nämlich der weitgehenden Bewahrung bereits begründeten Besitzes, eine Bewertung, und zwar den Schutz von Kontinuitätsinteressen, enthält. 379 In Wahrheit kommt auch diese Ansicht im Einzelfall nicht ohne rechtspolitische Wertungen aus: Ob der Besitz an einer Sache untergegangen ist oder ob neuer Besitz durch Ergreifung entstanden ist, kann nicht allein anhand der physischen Einwirkungsmöglichkeit entschieden werden. 380 Des weiteren fällt bei einer vergleichenden Betrachtung auf, daß alle Meinungen in mehr oder weniger großem Umfang die Lebensanschauung bei der Bestimmung des Besitzes für bedeutsam halten. Die Lebenswirklichkeit hat also offensichtlich einen großen Einfluß auf die Bestimmung des Besitzbegriffs. Betrachtet man die erörterten Meinungen, so muß man feststellen, daß trotz allen Streits, trotz der gelegentlich konstatierten "Verzweiflung in deutschen Lehrbüchern" in vielerlei Hinsicht Einigkeit über den Besitztatbestand besteht.

378

Siehe oben d.

379

Siehe oben d bb.

380

Vgl. dazu oben d cc.

C. Die Besitztatbestände

152

Dies zeigt sich vor allem in der praktischen Rechtsanwendung: Wenn es um die Frage geht, ob nach § 854 Abs. 1 BGB Besitz erworben wurde oder nicht, kommen in den meisten Fällen alle Auffassungen zum gleichen Ergebnis. Unterschiede bestehen vor allem in der Begründung, d.h. in der dogmatischen Herleitung des Ergebnisses. Die Suche nach einem Sachherrschaftsbegriff, der als dogmatische Grundlage für die Beurteilung von Besitzlagen dienen kann, mag also schwierig sein. Anlaß zu verzweifeln besteht nach alledem aber nicht, zumindest wenn man die dargelegten Gemeinsamkeiten, die rechtsgeschichtliche Entwicklung, die Rechtsnatur des Besitzes und die allgemeinen Grundsätze der Gesetzesauslegung berücksichtigt. Der Besitztatbestand des § 854 Abs. 1 BGB ist danach wie folgt zu bestimmen:

aa) Tatsächliche Machtbeziehung Voraussetzung des Besitzerwerbes ist, dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB entsprechend, eine tatsächliche Machtbeziehung der Person zur Sache. Es kommen also nur Verhältnisse in Betracht, die auf Tatsachen beruhen. Die Kontinuität dieser Verhältnisse soll ja schließlich durch den Besitz geschützt werden. Rechtliche Herrschaftsbeziehungen sind zunächst völlig unbeachtlich. Dadurch unterscheidet sich der unmittelbare Besitz vom mittelbaren. Den Erwägungen des Gesetzgebers381 entsprechend, möglichst alle schutzwürdigen Sachverhalte zu erfassen, können die räumlichen Voraussetzungen des tatsächlichen Verhältnisses und die erforderliche Intensität der physischen Sacheinwirkung nicht näher konkretisiert werden. Dies folgt auch aus den Erkenntnissen, die wir bei der Erörterung der oben dargelegten Meinungen gewonnen haben 382 . Ein enges räumliches Verhältnis ist jedenfalls zur Aufrechterhaltung des Besitzes nicht zwingend erforderlich. Ausreichend ist vielmehr eine potentielle, zukünftige physische Einwirkungsmöglichkeit. Höhere Anforderungen bestehen allerdings beim Besitzerwerb. Dies folgt aber aus einem späteren, sogleich zu behandelnden Prüfungspunkt. 383 Mithin kann das für den Besitzerwerb erforderliche tatsächliche Verhältnis ebenfalls nicht genauer in physischer Hinsicht, also z.B. bezüglich räumlicher Nähe, Zugriffsmöglichkeit und Einwirkungsdauer, qualifiziert werden.

381

Siehe oben C I 1 f bb (3).

382

Siehe oben C I 2 a bis e.

383

Siehe dazu unten bb (2) (b).

1.2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

153

bb) Teleologische Auslegung (Kontinuitätsinteresse) Das Hauptgewicht der Tatbestandsbestimmung liegt, wegen der Unschärfe des Ausdrucks "tatsächliche Gewalt", auf der teleologischen Auslegung. 384 Bedeutsam ist mithin der Zweck des Besitzes. Dieser wird ganz überwiegend vom Besitzschutz geprägt. Das zeigt sich unter anderem daran, daß die 2. BGB-Kommission die Regelung über den Besitz zunächst auf den Besitzschutz beschränken wollte. Der Besitzschutz bezweckt wiederum in erster Linie die Erhaltung von Kontinuitätsinteressen. 385 Für den Besitztatbestand sind mithin die beteiligten objektiven Kontinuitätsinteressen maßgeblich. Hiergegen ist der Einwand denkbar, daß an den Besitz neben dem Besitzschutz auch andere Rechtsinstitute (z.B. der Eigentumserwerb gemäß §§ 929, 932, 937 BGB und die Eigentumsvermutung nach § 1006 BGB) sowie andere Rechte (beispielsweise §§268 Abs. 1 S.2, 1007 BGB) und Pflichten (z.B. §§ 809 f., 836 BGB) anknüpfen und man daher den Schutz von Kontinuitätsinteressen möglicherweise nicht als allein ausschlaggebend betrachten dürfe. Diese Argumentation hält einer Überprüfung jedoch nicht stand: Viele Normen, die sich außerhalb des possessorischen Besitzschutzes befinden und Besitz voraussetzen, beruhen ebenfalls auf dem Gedanken des Kontinuitätsschutzes.386 Die übrigen Vorschriften lassen einen besonderen Zweck, der sich bereits auf die Bestimmung des Besitztatbestandes auswirken könnte, nicht erkennen: Die Regelungen des gutgläubigen Eigentumserwerbs etwa dürfen die Entscheidung über die Frage, ob Besitz vorliegt, schon aus gesetzessystematischen Gründen nicht beeinflussen. 387 Bei den §§ 809 f., 836 BGB ist nicht ersichtlich, daß aus ihnen ein anderer verpflichtet sein soll als der possessorisch geschützte Inhaber von Kontinuitätsinteressen. Die Folgenormen außerhalb der §§ 854 ff. BGB wirken sich mithin auf den Besitztatbestand nicht aus. Sie setzen vielmehr eine schon im Vorfeld getroffene Entscheidung über den Besitz im Sinne des possessorisch geschützten Tatbestandes voraus.

(1) Der Begriff des Kontinuitätsinteresses Unter dem Kontinuitätsinteresse ist das Interesse am Fortbestand der gegenwärtig existierenden tatsächlichen Sachbeziehungen zu verstehen. Es kann sich aus verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. In Betracht kommen zunächst

384 Vgl. zur grundlegenden Bedeutung der teleologischen Begriffsbildung in der Rechtswissenschaft: Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 77 ff. 385

Siehe oben Β III 1 b a a ( l ) ( d ) .

386

Siehe oben Β III 1 baa(2).

387

Siehe schon oben e (4).

C. Die Besitztatbestände

154

wirtschaftliche Gründe. Diese liegen z.B. regelmäßig bei allen Sachen vor, die in irgendeiner Form genutzt werden sollen, genutzt werden oder zu einer Nutzung bereitgehalten werden. Aber auch ideelle Gründe können ein Kontinuitätsinteresse begründen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Sache als Sammlerobjekt oder als persönliches Erinnerungsstück aufbewahrt wird. Das Kontinuitätsinteresse setzt eine bestimmte Bestandsdauer nicht voraus. Es kann auch an Gegenständen bestehen, die gerade erst, etwa durch Kauf, erworben wurden. Es ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Auf die subjektive Einschätzung eines Beteiligten kommt es nicht an.

(2) Überwiegende Schutzwürdigkeit Natürlich vermag nicht jedes Kontinuitätsinteresse Besitz zu begründen. Dies folgt schon aus der Vielzahl solcher Interessen, die an derselben Sache bestehen können. Erforderlich ist vielmehr ein überwiegend schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse. Die Schutzwürdigkeit ist mit Hilfe verschiedener Kriterien zu bestimmen, die aber - von einer sogleich zu behandelnden Voraussetzung abgesehen388 nicht in jedem Fall vorliegen müssen.

(a) Realisierbarkeit des Interesses Die Schutzwürdigkeit setzt zunächst stets voraus, daß sich das Kontinuitätsinteresse tatsächlich realisieren kann. Es muß also jedenfalls zukünftig die Einwirkung auf die Sache, und zwar in der Lage, in der sie sich gegenwärtig befindet, objektiv möglich sein. 389 Niemand kann ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung der tatsächlichen Lage einer Sache haben, wenn er die Sache in ihrer gegenwärtigen Lage niemals zu seinen wirtschaftlichen oder sonstigen persönlichen Zwecken selbständig wird nutzen können. Beispiel: Der Nachbar Ν hat kein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse hinsichtlich der Hobelbank, die der Heimwerker Η in seinem Hobbykeller aufbewahrt. Ν besitzt sie nicht. Dies gilt auch dann, wenn Η dem Ν gelegentlich aus Gefälligkeit die Benutzung der Hobbywerkstatt erlaubt hat, denn Ν konnte sich nicht selbständig die Nutzung an der Hobelbank verschaffen. 390

388

Siehe dazu (a).

389

So auch Heck, Sachenrecht, § 5 6., S. 21.

390

Ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse des Ν besteht hingegen, wenn Ν dem Η die Hobelbank vermietet hat. Diesem Umstand trägt § 868 BGB Rechnung. Unmittelbarer

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

155

Für das Verhältnis zwischen der Schutzwürdigkeit und dem erforderlichen Machtverhältnis 391 ist folgendes zu beachten: Das schutzwürdige Kontinuitätsinteresse setzt eine auf Tatsachen beruhende Machtbeziehung nicht voraus. Auch der Erbe (§ 857 BGB) und der mittelbare Besitzer (§ 868 BGB) können ein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen tatsächlichen Lage haben, obwohl die Sache nicht in ihrem tatsächlichen Machtbereich liegt. Die Voraussetzung der Realisierbarkeit des Kontinuitätsinteresses konkretisiert jedoch die für den unmittelbaren Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB erforderliche tatsächliche Machtbeziehung, indem sie die wirtschaftlichen und persönlichen Zwecke in die Prüfung einbezieht. Hohe Anforderungen sind an die Realisierbarkeit nicht zu stellen. Dies folgt schon daraus, daß auch zukünftige Einwirkungsmöglichkeiten genügen. Eine hinreichende Einwirkungsmöglichkeit besteht mithin z.B. auch an der im Winter nicht erreichbaren Gebirgshütte oder dem bereits erwähnten Meßgerät auf dem Mond.

(b) Priorität Ein weiteres Kriterium für die Schutzwürdigkeit des Kontinuitätsinteresses ist das Prinzip der Priorität. Danach ist grundsätzlich eine bereits bestehende Sachbeziehung gegenüber einer neu begründeten überwiegend schutzwürdig. Dies ist eine zwingende Folge des Kontinuitätsgedankens, die existierenden tatsächlichen Verhältnisse möglichst zu wahren. Aus einer neu begründeten Sachbeziehung kann daher nur dann Besitz entstehen, wenn gleichzeitig das vorherige, überwiegend zu schützende tatsächliche Verhältnis beseitigt wird. Die Neubegründung des Besitzes setzt somit mehr voraus als seine Aufrechterhaltung. 392 Erfolgt die Besitzbegründung durch einverständliches Geben und Nehmen, so ist es grundsätzlich erforderlich, daß der bisherige Besitzer seinen Besitz zugunsten des Erwerbers vollständig aufgibt. 393 Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Erwerber lediglich Mitbesitz eingeräumt werden soll. 394 Im Falle der einseitigen Besitzergreifung muß die Sache aus dem bisherigen Einflußbereich Besitz gemäß § 854 Abs. 1 BGB liegt hingegen nicht vor, weil es an einer tatsächlichen Machtbeziehung fehlt. 391

Siehe dazu oben aa.

392

Diese allgemein akzeptierte Erkenntnis (siehe dazu schon Motive, bei Mugdan, Bd. 3, S. 44; vgl. auch MünchKomm/Joost § 854 Rdn 3) kann also durch das Erfordernis überwiegender Kontinuitätsinteressen erklärt werden. 393

BGHZ 27, 360; BGH W M 1964, 614, 615; RGRK/Kregel § 854 Rn. 10.

394

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 24.

C. Die Besitztatbestände

156

entfernt werden und in den tatsächlichen Einwirkungsbereich des neuen Besitzers gelangen. Sind diese Voraussetzungen zweifelsfrei erfüllt, liegt regelmäßig ein Besitzerwerb vor. Auf eine weitere Interessenabwägung kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Daher hat z.B. der Räuber, der einer alten Dame im Park die Handtasche entreißt und damit ungestört entkommt, Besitz erlangt. Nach seiner Schutzwürdigkeit ist nicht weiter zu fragen. In weniger eindeutigen Fällen kommt man ohne eine weitere Prüfung der Kontinuitätsinteressen jedoch nicht aus. Wann eine alte Sachbeziehung durch eine neue ersetzt wird, kann nämlich nicht für jeden Einzelfall durch eine Umschreibung der notwendigen räumlichen Voraussetzungen bestimmt werden. 395 Es müssen vielmehr im Zweifel auch hier die beteiligten Kontinuitätsinteressen gegeneinander abgewogen werden. Welche Gesichtspunkte dabei in Betracht kommen, wird im folgenden zu erörtern sein. Zur Klarstellung sei hier noch auf folgendes hingewiesen: Ein Wechsel des unmittelbaren Besitzes nach § 854 Abs. 1 BGB setzt einen tatsächlichen Vorgang voraus. 396 Nur wenn eine Veränderung der tatsächlichen Sachbeziehung vorliegt, ist ggf. durch eine Abwägung der Kontinuitätsinteressen zu prüfen, ob ein Besitzerwerb nach § 854 Abs. 1 BGB stattgefunden hat. Die bloße Änderung der Rechtslage vermag den unmittelbaren Besitz weder zu beenden noch zu begründen. Z.B. wird der Käufer nicht allein durch den Abschluß des Kaufvertrages Besitzer der Sache, möglicherweise aber mit ihrer Aussonderung 397.

(c) Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Die Schutzwürdigkeit eines Kontinuitätsinteresses ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Zugriff auf die Sache eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen würde. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt "das Recht, eine Sphäre der Intimität zu begründen und sie dem Einblick und Zugriff anderer zu entziehen."398 Jeder darf daher auch darauf vertrauen, daß er über die Gegenstände, die sich innerhalb des durch das Persönlichkeitsrecht geschützten Bereichs befinden, jederzeit frei verfügen kann. 399

395

Siehe dazu auch oben d cc.

396

Etwas anderes gilt für den Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB.

397

Siehe unten dd (6).

398

Von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 32.

399 Hieraus kann freilich nicht der Schluß gezogen werden, der Besitzschutz bezwekke in erster Linie den Schutz des Persönlichkeitsrechts. Es geht hier nämlich allein darum, die Reichweite des Schutzes der Kontinuitätsinteressen zu bestimmen. Dabei

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

157

Besitz besteht daher z.B. regelmäßig an den Sachen, die man in seiner Kleidung oder in einer Einkaufstasche bei sich trägt, denn körperliche Durchsuchungen oder die Kontrolle mitgeführter Taschen stellen in aller Regel erhebliche Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht dar 400 . Auch die eigene Wohnung gehört zu der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Geheimsphäre. 401 Daher besitzt man grundsätzlich auch die Gegenstände, die man in der eigenen Wohnung aufbewahrt. Da das Anliegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, eine private Sphäre zu schützen, teilweise von Art. 13 Abs. 1 GG erfüllt wird, 4 0 2 ist hier ferner der spezielle grundrechtliche Schutz der Wohnung (Art. 13 GG) zu berücksichtigen. 403 Art. 13 Abs. 1 GG erfaßt nicht nur die Privatwohnung, sondern gleichfalls Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume. 404 Mithin hat der Inhaber dieser Räumlichkeiten in der Regel auch Besitz an den darin befindlichen Sachen. Jedoch bedarf es hier im Einzelfall einer genaueren Prüfung, weil diese Räume nicht zum Kernbereich der Privatsphäre gehören. Ferner bietet das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG bei Geschäfts- und Betriebsräumen einen geringeren Schutz, soweit die dort vorgenommenen Tätigkeiten nach außen wirken und die Interessen anderer berühren. 405

darf auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden, denn wie die meisten anderen subjektiven Rechte dient auch der Besitz mittelbar dem Persönlichkeitsrecht. Dadurch wird das Persönlichkeitsrecht aber nicht zu dem durch den Besitz spezifisch geschützten Interesse. Siehe dazu bereits oben Β III 1 b aa (1) (b). 400

BGH NJW 1994, 188, 189 m. w. N.

401

LG Düsseldorf NJW 1959, 629 f.

402

Von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 32.

403 Zwar gelten die Grundrechte im Zivilrecht nicht unmittelbar. Es ist aber zu beachten, daß das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente einer objektiven Wertordnung aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Rechtsbereiche, also auch für das Privatrecht, Geltung haben, BVerfGE 7, 198, 205. Auf das Privatrecht "wirkt der Rechtsgehalt der Grundrechte über das Medium der das einzelne Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften, insbesondere der Generalklauseln und sonstigen auslegungsfahigen und auslegungsbedürftigen Begriffe ... ein"; BVerfGE 73, 261, 269. Die Grundrechte haben auf das Privatrecht mithin eine Ausstrahlungswirkung; Jarass/Pieroth/Jarass, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 25. Die grundrechtlichen Wertungen sind daher auch bei der Bestimmung des Besitztatbestandes zu berücksichtigen. 404

Jarass/Pieroth/Jarass, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 2 m. w. N ; von Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 11. 405

Jarass/Pieroth/Jarass, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 5.

C. Die Besitztatbestände

158

(d) Rechtliche Interessen Die Schutzwürdigkeit der Kontinuitätsinteressen kann sich gleichfalls aus der rechtlichen Zuweisung der Sache ergeben. Wer ein Recht zum Besitz hat, darf auch darauf vertrauen, daß die Rechtsordnung das Behalten der Sache sichert. Schutzwürdig ist daher grundsätzlich der Eigentümer, aber auch der Käufer einer Sache, wenn diese ihm tatsächlich überlassen wurde. Zum Beispiel erwirbt der Käufer im Supermarkt Besitz an den Kaufgegenständen, sobald der Kassiervorgang abgeschlossen wurde. Dabei ist es gleichgültig, ob ein fremder Zugriff auf die Waren im Kassenbereich oder im Einkaufswagen noch möglich ist. Ebenso dürfen Mieter oder Pächter regelmäßig auf das Behaltendürfen der Sache vertrauen.

Jedoch können nicht nur rechtliche Zuweisungen, sondern auch rechtliche Interessen die Schutzwürdigkeit begründen. Zu berücksichtigen sind daher beispielsweise Zurückbehaltüngsrechte. Ferner ist das Interesse daran, nicht wegen Unmöglichkeit der Erfüllung einer Rückgabepflicht (z.B. aus §§ 556 Abs. 1, 596 Abs. 1, 604, 695 BGB) schadensersatzpflichtig zu werden, zu beachten. Des weiteren können sonstige Vorteile, die mit dem Besitz einer Sache verknüpft sind, für die Schutzwürdigkeit sprechen. Als Beispiel ist hier der Finderlohn gemäß § 971 BGB zu nennen, der das Finden der Sache, also ihre Inbesitznahme,406 voraussetzt. Ein Hinweis zur Klarstellung: Die Berücksichtigung rechtlicher Interessen bedeutet freilich nicht, daß der Besitz ein Recht zum Besitz voraussetzen würde. Der Besitz erfordert auch nicht den "Anschein einer rechtlichen Befugnis". 407 Die rechtlichen Interessen können vielmehr nur im Zweifel, d.h. wenn die Besitzlage unklar ist, neben anderen Kriterien einen Anhaltspunkt für die Bestimmung der Person des Besitzers geben.408 Fehlt es schon an der Realisierbarkeit der Kontinuitätsinteressen, kann selbst das Eigentum den Besitz nicht begründen. Daher verliert der Eigentümer seinen Besitz an den Dieb, der mit der Beute entkommt.

406

Palandt/Bassenge Vorbem. vor § 965 Rn. 2.

407

Siehe dazu oben a.

408

Auch von einigen Vertretern der h.M. werden rechtliche Momente zur Bestimmung des Besitzes, allerdings als "unsichtbare Faktoren der Verkehrsanschauung", herangezogen: Eichler, Sachenrecht, Bd. 2 Hlbbd. 1, Β I, S. 7, Β II, S. 8; vgl. auch Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I l e , S. 21 f. und Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 1 1 a, S. 133. Siehe dazu oben a) am Ende.

1.2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

159

(e) Vertrauenstatbestände Des weiteren können einfache Vertrauenstatbestände ein Kontinuitätsinteresse als schutzwürdig erscheinen lassen. Voraussetzung ist, daß der Inhaber der tatsächlichen Macht auf den Fortbestand der Machtbeziehung vertrauen darf. Dies ist z.B. der Fall, wenn er gutgläubig von der Wirksamkeit eines in Wahrheit nichtigen Gebrauchsüberlassungsvertrages ausgegangen ist oder ihm eine Sache aufgrund reiner Gefälligkeit für längere Zeit überlassen wurde. Ein Vertrauenstatbestand kann sich auch aus Bräuchen, allgemein üblichem Verhalten oder aus den Anschauungen des täglichen Lebens ergeben. Bei der Berücksichtigung der Lebensanschauung besteht jedoch ein Unterschied zur h.M.: Es wird hier nicht wie bei der h.M. nach Sachherrschaftsverhältnissen, sondern nach der Schutzwürdigkeit gefragt. Über die Schutzwürdigkeit gibt die Lebensanschauung eine eindeutigere Auskunft als über den juristischen Begriff der tatsächlichen Gewalt. 409 Ferner findet die Verkehrsanschauung nicht als allein ausschlaggebendes, sondern nur als eines von mehreren Kriterien Beachtung. Dies bedeutet unter anderem, daß der Schutzbereich des Besitzes sich nicht automatisch bei einem allgemeinen gesellschaftlichen Verfall des Rechtsbewußtseins verkleinern muß. 410

(f) Verhalten der Beteiligten Schließlich läßt auch das Verhalten der Beteiligten wichtige Rückschlüsse auf ihre Schutzwürdigkeit zu. Es verdient nur derjenige den Schutz des Rechts, der selbst alles Erforderliche zur Wahrung seiner eigenen Interessen tut und sich seinen Interessen gemäß verhält. Wer dies unterläßt, darf nicht darauf vertrauen, daß ihm die Sache auch weiterhin zur Verfügung steht. Er muß damit rechnen, sein Recht an einen anderen zu verlieren. 411 Dazu folgendes Beispiel: Der zerstreute A läßt versehentlich seine Geldbörse in der Telefonzelle liegen, die in der Halle eines belebten Großstadtbahnhofs aufgestellt ist, und entfernt sich, um am Informationsschalter nach der Abfahrt seines Zuges zu fragen. Dort bemerkt er nach einiger Zeit den Verlust. Er geht zurück zur Telefonzelle trifft dort den B, der seine Geldbörse in den Händen hält. Β ist zur Herausgabe bereit, aber nur, wenn A ihm einen kleinen Finderlohn zahlt. A meint, er sei Besitzer und habe daher das Recht, dem körperlich unterlegenen Β die Geldbörse notfalls mit Gewalt wieder abzunehmen.

409

Siehe dazu schon oben e bb.

4,0

Siehe zur direkten Abhängigkeit des Besitzbegriffs von gesellschaftlichen Wertund Moral Vorstellungen nach der h.M. oben a. 411 Man kann dies im weitesten Sinne wohl als eine Ausprägung des Rechtssatzes betrachten, "jeder muß sein Vertrauen dort suchen, wo er es gelassen hat".

C. Die Besitztatbestände

160

Über den Besitz allein aufgrund der tatsächlichen Machtverhältnisse zu entscheiden, ist hier ohne Willkür kaum möglich. Entscheidend ist mithin die Abwägung der Kontinuitätsinteressen. Für A sprechen die schutzwürdigen Eigentümerinteressen, während Β seine Aussicht auf Finderlohn geltend machen kann. Ausschlaggebend ist daher letztlich, daß A die Wahrnehmung der eigenen Interessen vernachlässigt hat, indem er sein Portemonnaie in der belebten Halle achtlos liegen ließ. A hat somit seinen Besitz an den Β verloren. Ob der Besitz des A schon beendet war, bevor Β die Geldbörse ergriffen hat, ist zunächst ein rein theoretisches Problem. Solange niemand Notiz von der Sache nimmt, ist die Frage nach dem Besitz uninteressant, denn auf den Besitz als ein Rechtsverhältnis zwischen Personen 412 kommt es nur an, wenn mehrere Personen in irgendeiner Form mit der Sache zu tun haben. Relevant wird die zwischenzeitliche Besitzlage aber, wenn es darum geht, ob die fremde Besitzergreifung verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) ist. Wie sich aus der obigen Interessenabwägung ergibt, hat Β keine verbotene Eigenmacht begangen, denn sonst würde A trotz seines interessewidrigen Verhaltens geschützt. Da man Β durch jeden beliebigen anderen Finder ersetzen kann, kann kein Rechtssubjekt gegenüber A durch die Ergreifung der Geldbörse verbotene Eigenmacht begehen. Aus diesem Grund ist der Besitz des A als zwischenzeitlich beendet anzusehen. A darf sich die Geldbörse nicht mit Gewalt wiederbeschaffen.

cc) Ergebnis (1) Überblick Der Tatbestand des unmittelbaren Besitzes gemäß § 854 Abs. 1 B G B ist also wie folgt zu bestimmen: Ausgangspunkt ist eine tatsächliche Machtbeziehung der Person zur Sache. 4 1 3 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Rechtsbeziehungen bleiben also außer Betracht. Die tatsächlichen Erfordernisse der Machtbeziehung können jedoch nicht näher definiert werden. Letztlich entscheidend ist daher der Schutzzweck des Besitzes. Der Besitz dient ganz vorwiegend der Erhaltung von Kontinuitätsinteressen. Dies gilt insbesondere für den Besitzschutz, aber auch für zahlreiche andere Normen, die an den Besitz anknüpfen. Voraussetzung für den Besitz ist mithin ein nach objektiven Kriterien zu ermittelndes Interesse am Fortbestand der gegenwärtig existierenden Sachbeziehung.

412 413

Sieh oben Β III 2.

Dies gilt allerdings nur für den unmittelbaren Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB. Die anderen Tatbestände enthalten keinen Hinweis auf ein solches Verhältnis.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

161

Dieses Interesse muß schutzwürdig sein. Ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse ist nur gegeben, wenn die als Besitzer in Betracht kommende Person zumindest zukünftig zur Verfolgung eigener wirtschaftlicher oder sonstiger Zwecke auf die Sache, und zwar in der Lage, in der sich diese gegenwärtig befindet, selbständig einwirken kann. Eine derartige künftige Einwirkungsmöglichkeit zur Verwirklichung eigener Interessen ist zwingende Voraussetzung des Besitzes. Hohe Anforderungen sind hieran jedoch nicht zu stellen. Ist die Einwirkungsmöglichkeit zweifelhaft, insbesondere weil mehrere Personen aufgrund einer potentiellen Einwirkungsmöglichkeit als Besitzer in Frage kommen, bedarf es einer Wertung und Abwägung der beteiligten Interessen. Als Wertungsmerkmale sind vor allem die Priorität, das Persönlichkeitsrecht, rechtliche Interessen, Vertrauenstatbestände und das Verhalten der Beteiligten in Betracht zu ziehen. Dieser Katalog ist jedoch nicht abschließend. Es müssen auch nicht stets alle Kriterien erfüllt sein. Im Ergebnis läuft die hier entwickelte Methode zur Beurteilung von Besitzlagen auf eine modifizierte Kombination der oben unter d und e dargelegten Auffassungen hinaus: Eine einmal begründete tatsächliche Herrschaftsbeziehung ist solange als Besitz anzusehen, bis sie durch Einverständnis oder Sachergreifung an einen anderen übergeht oder sonst untergeht. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nicht durch eine willkürliche Festlegung tatsächlicher und räumlicher Kriterien der tatsächlichen Gewalt, sondern durch eine Abwägung der beteiligten Kontinuitätsinteressen zu entscheiden. Im alltäglichen Leben wird bei den meisten Sachen freilich eine ausführlichen Interessenabwägung nicht erforderlich sein. Vielmehr werden sich die Kontinuitätsinteressen oft zwanglos aus den tatsächlichen Verhältnissen ableiten lassen, so daß man bei der Entscheidung allein auf diese abstellen kann. Dies gilt z.B. für die allermeisten Gegenstände, die man in seiner Privatwohnung aufbewahrt, solange kein anderer darauf Zugriff nimmt, oder für die Kleidung, die man an seinem Körper trägt. In komplizierteren Fällen mit Beteiligung mehrerer Personen, und dies sind die juristisch interessanten, wird man auf eine Interessenabwägung allerdings nicht verzichten können.

(2) Der Stellenwert des Kontinuitätsinteresses und seine Begründung Der Besitztatbestand ist insgesamt also stärker durch das Erfordernis schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen geprägt als durch die Voraussetzung der tatsächlichen Gewalt. Dies wird auch daran deutlich, daß zur Aufrechterhaltung des Besitzes kein aktuelles tatsächliches Herrschaftsverhältnisses notwendig ist 414 . Unerläßlich, aber auch ausreichend ist vielmehr ein fortwährendes, ge414

Siehe dazu oben d aa.

11 Härtung

C. Die Besitztatbestände

162

genwärtiges und schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse. Hier wird deutlich, daß es sich beim Besitz um ein Rechtsverhältnis 415 handelt. Einer engeren tatsächlichen Beziehung, die den Namen "tatsächliche Gewalt" verdient, bedarf es lediglich zur Begründung des Besitzes nach § 854 Abs. 1 BGB. Aber auch dies hat seinen Grund letztlich im Kontinuitätsinteresse: Neuer Besitz kann nur entstehen, wenn ältere und somit schutzwürdigere Kontinuitätsinteressen, die an der Sache bestehen, verdrängt werden. 416 Die überragende Bedeutung, die das Kontinuitätsinteresse für die Bestimmung des Besitztatbestandes hat, ist schon eine Folge daraus, daß der Begriff der tatsächlichen Gewalt selbst völlig unscharf ist. Es gibt keine Kriterien, mit deren Hilfe man die tatsächlichen Voraussetzungen der erforderlichen Machtbeziehung auch nur annähernd erfassen könnte. 417 Ferner ist die Berücksichtigung der beteiligten Interessen rechtsgeschichtlich gerechtfertigt. Es wäre, wie der Blick in die Rechtsgeschichte gezeigt hat, ein Novum, hinge der Besitztatbestand allein von tatsächlichen, d. h. vor allem von räumlichen Umständen ab. In allen vorangegangenen Rechtsordnungen setzte der Besitz voraus, daß die Sachbeziehung einem bestimmten Zweck diente, z.B. der Ausübung des Eigentums oder eines bestimmten Rechts an der Sache (im römischen Recht), der wirtschaftlichen Nutzung (im germanischen Recht), der Ausübung eines jeglichen eigenen Rechts (im gemeinen Recht) oder eines eigenen Interesses an der Sache (Kodifikationen). Zwar wird im BGB ein solcher Zweck nicht ausdrücklich gefordert. Dies rechtfertigt aber weder den Schluß, der Besitz werde zweckfrei gewährt, noch die Annahme, im Gegensatz zu der rechtsgeschichtlichen Tradition spiele der Besitzeszweck bei der Begriffsbestimmung keine Rolle. Im Gegenteil: Die Berücksichtigung des Schutzzweckes steht mit den Erwägungen der 2. BGB-Kommission im Einklang, möglichst alle schutzwürdigen Fälle zu erfassen. 418 Des weiteren ist die Entscheidung über den Besitz durch Interessenwertung und -abwägung aus methodischen Gründen angezeigt, denn es ist eigentlich schon fast banal, den Zweck einer Norm bei ihrer Auslegung heranzuziehen. Daß dies beim Besitz bisher kaum geschah, ist verwunderlich. Es mag aber damit zu erklären sein, daß man bislang einen dem Besitz innewohnenden, einen ihm eigenen Wert, wie er in der Erhaltung von Kontinuitätsinteressen zu sehen ist, überwiegend nicht anerkannt hat. Der Friedens- oder Persönlichkeitsschutz, der zumeist als Grund des Besitzschutzes betrachtet wird, 4 1 9 taugt nicht

415

Siehe dazu oben Β III 2.

416

Vgl. bb (2) (b).

417

Vgl. dazu die obigen Ausführungen, insbes. zu a, c und d cc.

418

Siehe oben C I 1 fbb (3).

419

Siehe oben Β III 1 b a a ( l ) ( a ) und (b).

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

163

zur Tatbestandsbestimmung durch teleologische Auslegung, weil er eben nichts dem Besitz Eigentümliches enthält. Schließlich bietet die hier vertretene Auffassung gegenüber den oben dargelegten Meinungen weitere Vorteile bei der Rechtsfindung: Bevor der Richter entscheiden kann, muß er die beteiligten Interessen erforschen und bewerten. Er wird dadurch zu einer bewußteren Entscheidung angehalten. Ferner wird er gezwungen, sein Urteil genau zu begründen. Ein bloßer Hinweis auf eine nicht feststellbare Verkehrsauffassung, auf ein nicht meßbares Kraftfeld oder auf eine nicht definierbare vorpositive Gerechtigkeitsvorstellung genügt dazu nicht. Dies bietet eine größere Gewähr für die Richtigkeit der Entscheidung und sorgt für mehr Transparenz. Auch fließen auf diese Weise die vom Gesetz verfolgten Zwecke unmittelbar in die Entscheidung ein. Das Urteil baut somit auf einer sachgerechten Entscheidungsgrundlage und nicht auf willkürlichen Gesichtspunkten auf.

(3) Relativität des Besitzbegriffes? Die hier vertretene Ansicht führt nicht zu einer Relativität des Besitzbegriffes. Die Frage nach dem Besitzer ist also nicht bei verschiedenen Besitzfünktionen unterschiedlich zu beantworten. Vielmehr ist die getroffene Besitzentscheidung für alle an den Besitz anknüpfenden Folgenormen, z.B. für den (gutgläubigen) Eigentumserwerb, die Eigentumsvermutung gemäß § 1006 BGB oder die Schadensersatzpflicht aus § 836 BGB, bindend. Im Gegensatz zur Ansicht Hecks 420 wird der Tatbestand des § 854 Abs. 1 BGB nämlich nicht durch die Prüfung der Kontinuitätsinteressen ersetzt, sondern nur durch die Berücksichtigung der beteiligten Kontinuitätsinteressen ausgefüllt. Dadurch behält der Besitzbegriff für das gesamte BGB eine einheitliche Bedeutung, was wünschenswert ist 421 . Es ist kein Grund ersichtlich, warum der nach dem obigen Vorschlag festgestellte Besitz nicht für alle Normen Geltung haben sollte. Daß derjenige, der ein auf einer tatsächlichen Beziehung begründetes schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse hat und deshalb kraft Gesetzes Besitzschutz genießt, auch die Eigentumsvermutung geltend machen kann und anderen Eigentum verschaffen kann, erscheint sachgerecht, und zwar auch dann, wenn es gegenwärtig an einer Sachherrschaft fehlt.

420

Siehe oben e.

421

Vgl. dazu die Kritik an der Relativität oben e cc (4).

C. Die Besitztatbestände

164

dd) Einzelfälle (1) Nicht auf Dauer angelegte Sachbeziehungen Auch solche Sachbeziehungen, die nur von kurzer, vorübergehender Dauer sein sollen, können Besitz sein. Daß die geplante Dauer einer Sachbeziehung kein taugliches Besitzkriterium ist, wurde bereits oben festgestellt. 422 Gleichwohl besitzt der Spaziergänger grundsätzlich nicht die Parkbank, auf der er sich zur Rast niederläßt. Ferner hat regelmäßig weder der Reisende an dem ihm von einem Mitreisenden zur kurzen Einsichtnahme ausgehändigten Kursbuch, noch der Privatgast am ihm vom Gastgeber überlassenen Stuhl oder Besteck Besitz. Der Spaziergänger, der Reisende und der Gast haben zwar alle eine - wahrscheinlich sogar eine überwiegende - Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache. Sie dürfen aber nicht auf eine fortbestehende Nutzungsmöglichkeit vertrauen, denn sie haben die Sache aus reiner Gefälligkeit vom Besitzer erhalten. Diese Gefälligkeit verpflichtet den Besitzer zu nichts, daher kann er die Sache jederzeit zurückfordern. Spaziergänger, Reisender und Gast haben somit kein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse und daher keinen Besitz. Allerdings ist der Sachverhalt anders zu beurteilen, wenn der Spaziergänger die Bank gemietet hat oder wenn der Gast das Besteck benötigt, um die von ihm im Restaurant bestellte Mahlzeit einzunehmen. Gleiches gilt für den Reisenden, wenn er sich das Kursbuch für einen wichtigen Zweck, z.B. für einen längeren Bahnurlaub, geliehen hat und der Verleiher diesen Zweck gebilligt hat.

(2) Jagdfälle In dem oben gebildeten Fuchsjagdfall* 23 hat der Jäger J den Fuchs in die Enge getrieben, bevor A erschienen ist. Die dadurch geschaffene tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit begründet eine tatsächliche Machtbeziehung zwischen J und dem Fuchs. Ob sie ausreicht, um dem J Besitz an dem Fuchs zuzusprechen, hängt weder von der Verkehrsanschauung, noch von der Wahrscheinlichkeit der Ergreifung ab, denn beide Größen sind, wie bereits dargelegt, zur Bestimmung des Besitzes nicht geeignet. Entscheidend ist das Vorhandensein eines schutzwürdigen und gegenüber A überwiegenden Kontinuitätsinteresses. Hier ist zu berücksichtigen, daß J die Zugriffsmöglichkeit, die er auf den Fuchs hat, durch seine persönliche Anstrengung herbeigeführt hat. J hat den Fuchs gejagt und ihn gestellt. Demgegenüber hat A die von J geschaffene günstige Lage zu eigenen Zwecken bloß ausgenutzt. Das Verhalten des A erscheint 422

Siehe oben a.

423

Siehe oben c.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

165

daher als störender Eingriff. Der Fleißige darf grundsätzlich darauf vertrauen, daß die Rechtsordnung die Früchte seiner Arbeit vor störenden Eingriffen Dritter schützt. Dies ist ein tragendes Prinzip unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung, das beispielsweise im Urheberrecht, teilweise auch im Recht der Kondiktionen, zum Ausdruck kommt. J erscheint nicht nur gegenüber A, sondern gegenüber jedem Dritten schutzwürdig. Er ist daher Besitzer. 424 A hat durch sein späteres Verhalten - die Tötung und das Fortschaffen des Fuchses verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) begangen. Ob der Fuchs noch eine Chance hatte zu entkommen, ist bedeutungslos. Der Besitz ist kein Rechtsverhältnis zwischen der Person und der Sache, sondern zwischen dem Besitzer und den übrigen Rechtssubjekten.425 J erscheint in dem Moment, als er den Fuchs in die Enge getrieben hat, im Verhältnis zu allen anderen Rechtssubjekten als schutzwürdig. J hätte seinen Besitz allerdings verloren, wenn der Fuchs tatsächlich derart entkommen wäre, daß alle anderen Personen gleichermaßen auf ihn hätten einwirken können. Seine Bemühungen wären dann aus einem natürlichen Grund umsonst gewesen. Im Waljagdfalt 26 ist der Lanzenschütze Besitzer. Der Grund ist auch hier nicht die Verkehrsanschauung oder eine höhere Wahrscheinlichkeit der eigenen Willensdurchsetzung, sondern ein schutzwürdiges, überwiegendes Kontinuitätsinteresse. Durch den Lanzentreffer wurde eine tatsächliche Machtbeziehung begründet, die sich in Form einer potentiellen, zukünftigen physischen Einwirkungsmöglichkeit fortsetzt, wenn der Wal sinkt und erst später am Strand aufgefunden wird. Aufgrund des am Jagdort geltenden Brauchs, den Schützen über den Fundort zu benachrichtigen, darf der Lanzenschütze darauf vertrauen, daß er den Wal verwerten können wird. Der Wal wird dem Schützen zugleich durch den Brauch zugewiesen. Daher hat der Waljäger ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse. Sein Besitz endet erst, wenn der Wal endgültig nicht aufgefunden wird oder ein anderer den Wal im Wege verbotener Eigenmacht verwertet und fortschafft.

(3) Weit entfernte Gegenstände Die Entfernung zu einer Sache ist für den Besitz an ihr grundsätzlich ohne Bedeutung. Man kann auch ein schutzwürdiges Interesse daran haben, daß weit entfernte Gegenstände in ihrer bisherigen tatsächlichen Lage bleiben. Der Landwirt darf zum Beispiel darauf vertrauen, daß er den Pflug, den er über Nacht auf dem Feld stehen gelassen hat, am nächsten Morgen wieder benutzen kann. Der 424

Im Ergebnis richtig Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 153.

425

Siehe oben Β I I I 2.

426

Siehe oben c.

166

C. Die Besitztatbestände

Bergbauer darf das Viehfutter, das er im nächsten Sommer auf seiner Alm erwirtschaften wird, schon im Winter, wenn die Gebirgswege unpassierbar sind, in seine Kalkulation einplanen. Der Fernreisende hat ein schützenswertes Interesse daran, bei der Rückkunft seine Wohnung in ordnungsgemäßem Zustand vorzufinden.

Allerdings sind bei weit entfernten Gegenständen die Besitzvoraussetzungen genauer zu prüfen. Für die erforderliche potentielle Einwirkungsmöglichkeit ist zumindest zu verlangen, daß der Besitzer den Ort, an dem die Sache sich befindet, bestimmen kann. Daher wird man bei verlorenen Sachen - im Gegensatz zu vergessenen Sachen, von denen man weiß, wo sie sich befinden - 4 2 7 Besitz regelmäßig verneinen müssen. Ferner ist zu untersuchen, ob der Besitzer, indem er sich von seiner Sache entfernte, es vernachlässigt hat, seine Interessen zu wahren und dadurch den Besitz verloren hat. 428 Wer z.B. seine Armbanduhr auf einer Parkbank liegen läßt und dann fortgeht, muß damit rechnen, daß andere sie für eine verlorene Sache halten und sie an sich nehmen. Er verliert seinen Besitz. Die Neubegründung des Besitzes setzt grundsätzlich die Beseitigung alter Besitzbeziehungen voraus. 429 Eine Besitzbegründung nach § 854 Abs. 1 BGB kommt daher an weit entfernten Gegenständen nur selten vor. Ausgeschlossen ist sie aber nicht. Beispielsweise möchte der Reisende die Post, die in seinen heimischen Briefkasten gelangt, spätestens bei seiner Heimkehr auch lesen. Unbefugte sollen die Postsendungen nicht entfernen dürfen. Der Reisende hat ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse und erlangt daher auch aus großer Entfernung Besitz an seinem Briefkasteninhalt.

(4) Abstellen von Waren vor dem Verkaufsraum Als einen besonderen Fall der Besitzerlangung an entfernt liegenden Sachen kann man es betrachten, wenn morgens vor Geschäftsöffnung vom Lieferanten Waren für den Ladeninhaber mit dessen Einverständnis vor der verschlossenen Ladentür abgestellt werden. Der BGH bejaht hier zu Recht den Besitzerwerb durch den Ladeninhaber. 430 Die Entscheidungsgründe können jedoch nicht überzeugen: Ob tatsächliche Sachherrschaft vorliege, bestimme sich nach der Lebensauffassung. Die Sachherrschaft des Ladeninhabers könne danach "nicht

427 Zur Unterscheidung zwischen verlorenen und vergessenen Sachen bei der Frage, ob ein Gewahrsamsbruch i.S. des § 242 StGB vorliegt, siehe Wessels, BT 2, § 2 III 3 h, Rn. 97 f. 428

Siehe dazu obenfbb (2) (f).

429

Siehe dazu obenfbb (2) (b).

430

Vgl. BGH NJW 1968, 662 zu der strafrechtlichen, aber parallelen Frage, ob der Geschäftsinhaber Gewahrsam (§ 242 StGB) an den Waren hat.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

167

bezweifelt werden". Der Fall sei nicht anders zu beurteilen als der des auf der Weide zurückgelassenen Pfluges. Daß der Geschäftsinhaber im Zeitpunkt des Abstellens der Ware nicht in der Lage sei, die Wegnahme zu verhindern, spiele kerne Rolle. Diese Argumentation ist bezeichnend für die h.M. Die Begründung der Entscheidung wird durch die bloße Behauptung ersetzt, nach den "Anschauungen des Lebens" könne der Besitz nicht zweifelhaft sein. Der mögliche Einwand, der Ladeninhaber habe keine Einwirkungsmöglichkeit, wird nicht durch Argumente entkräftet, sondern schlechthin für unbeachtlich erklärt. Es ist kaum anzunehmen, daß dies einen beklagten Störer oder angeklagten Dieb wirklich überzeugen wird. Vertrauen in ihre Richtigkeit verdient die Entscheidung erst, wenn die Begründung auch auf die beteiligten Kontinuitätsinteressen abstellt. Der Ladeninhaber ist auf die Verfügbarkeit der angelieferten Waren angewiesen, denn nur so kann er sein Geschäft ordnungsgemäß betreiben. Er ist entweder ihr Eigentümer oder über sie verfügungsbefugt. Er handelt auch nicht seinen Interessen zuwider, wenn er die Waren unbeaufsichtigt läßt, denn es ist allgemein üblich, vor Geschäftsöffhung angelieferte Waren vor dem Geschäft stehen zu lassen. Er durfte daher nach allgemeiner Lebensanschauung darauf vertrauen, daß seine Kontinuitätsinteressen gewahrt würden und verdient daher Schutz.431 Die mangelnde tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit ändert an dem Besitz des Ladeninhabers nichts, weil das Bestehen schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen nicht von einer aktuellen Einwirkungsmöglichkeit abhängt.

(5) "Ruhrwiesen-Fair Im "Ruhrwiesen-Fall" 432 hat S den Besitz am Geldschein verloren, weil er seine eigenen Kontinuitätsinteressen nicht gewahrt hat. Offenbar hätte er bessere Vorkehrungen gegen den Verlust treffen müssen. So mußte er damit rechnen, daß andere den Geldschein an sich nehmen würden. 433 Im Verhältnis zwischen M und R erscheint M als der hinsichtlich der Kontinuitätsinteressen Schutzwürdigere. M hat den Geldschein bereits unmittelbar berührt und durfte darauf vertrauen, daß dieser fortan tatsächlich zu seiner Verfügung stehen werde. Demgegenüber erscheint das vehemente und plötzliche Dazwischentreten des R als ein störender Eingriff. M ist daher Besitzer. Sein Besitz endete nicht durch den Stockschlag des R, denn dadurch wurde die Einwirkungsmöglichkeit

431

In diesem Fall erlangt also auch die Lebensanschauung Bedeutung, siehe dazu oben bb (2) (e). 432

Siehe oben d cc.

433

Vgl. auch oben bb (2) (f).

C. Die Besitztatbestände

168

nicht vollständig beseitigt (Prioritätsprinzip). Hätte R den Geldschein ergriffen, läge verbotene Eigenmacht vor.

(6) Durch Vertragspflichten eröffnete Einwirkungsmöglichkeit Anhand der beteiligten Kontinuitätsinteressen können auch die Fälle besitzrechtlich überzeugend gelöst werden, bei denen sich die Sache in einer fremden Herrschaftssphäre befindet und der Zugang nur aufgrund vertraglicher Pflichten möglich ist. Die zu diesen Sachverhalten bisher ergangenen gerichtlichen Entscheidungen ergeben ein uneinheitliches Bild: Einerseits soll der Automatenaufsteller unmittelbaren (Mit-) Besitz an den in einer Gaststätte aufgestellten Automaten sowie der dafür beanspruchten Wandund Bodenfläche haben. 434 Ferner soll der Aussteller den Messestand besitzen, den er auf einem vom Messeveranstalter bewachten Messegelände aufgebaut hat. 435 Schließlich erwägt der BGH, den unmittelbaren Alleinbesitz an auf einem fremden Grundstück lagernden und ausgesonderten Steinen zumindest dann zu bejahen, wenn die Steine tagsüber von einem Angestellten des Berechtigten bewacht werden und der Inhaber des Lagergeländes gegen seine Vertragspflichten verstieße, falls er die Steine selbst abtransportierte oder den Berechtigten am Zugang hinderte. 436 Verneint wird andererseits der Erwerb des unmittelbaren Besitzes an einem Ackerschlepper, der zwecks Sicherungsübereignung mit einer Blechmarke versehen wird, aber auf dem Grundstück des Sicherungsgebers, der hinsichtlich des Sicherungsgutes ein Austauschrecht hat, verbleibt. 437 Ein Besitzerwerb wird auch dann nicht angenommen, wenn zur Sicherungsübereignung ein Bagger auf einen Bauhof, der sowohl vom Sicherungsgeber als auch von der Geheißperson des Sicherungsnehmers genutzt wird, verbracht wird. 4 3 8 Schließlich genügt es für die Erlangung des Besitzes an Grund und Boden nicht, daß dem Erwerber die Aneignung der Ernteerzeugnisse gestattet wird (§ 956 BGB), er gelegentlich Feldbesichtigungen durchführt und seine Anweisungen hinsichtlich der anzubauenden Früchte vom Landwirt tatsächlich befolgt werden. 439 Die Divergenz dieser Entscheidungen ist unverständlich, wenn man die Besitzlage - wie die h.M. es tut - allein danach beurteilt, ob die tatsächliche Bezie-

434

OLG Düsseldorf MDR 1985, 497.

435

OLG Düsseldorf BB 1984, 2226.

436

BGH W M 1970, 1518, 1519 f. = DB 1971,40.

437

OLG Celle W M 1957, 220, 222.

438

BGH JZ 1978, 104, 105 f.

439

BGHZ 27, 360, 362 f.

I. 2. Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft

169

hung zur Sache nach der Verkehrsanschauung 440 eine hinreichende tatsächliche Herrschaft über die Sache vermittelt. Die Sachverhalte sind nämlich in tatsächlicher Hinsicht in den wesentlichen Punkten entweder identisch oder sehr ähnlich. Beispielsweise kann in den meisten Fällen 441 der Berechtigte nicht während der Nachtzeit auf die Sache zugreifen. Ferner ist sowohl im Steine-Fall als auch im Ackerschlepper-Fall der Inhaber der fremden Herrschaftssphäre vertraglich verpflichtet, eigene Verfügungen über die Sache zu unterlassen und gegebenenfalls den Zugriff auf die Sache zu dulden. 442 Teilweise sind die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten bei den Sachverhalten, bei denen Besitz verneint wurde, sogar günstiger als in den Fällen, in denen Besitz angenommen wurde. So kann im Bagger-Fall der fragliche Erwerber selbständig auf den Bagger einwirken, während der Besitzer im Automatenfall dem Hausrecht des Gaststättenpächters unterliegt und an die Öffnungszeiten der Gaststätte gebunden ist. Im Steine-Fall ist der Besitzer ähnlichen Einschränkungen ausgesetzt wie im Automaten-Fall. Ferner besteht im Automatenfall anders als im Ackerschlepper-Fall wegen fehlender Wirksamkeit des Automatenaufstellvertrages keine vertragliche Regelung, die den Zugriff auf die Sache erlaubt. Des weiteren ist es im Messestand-Fall dem besitzenden Aussteller vom Messeveranstalter verboten worden, den Messestand vom Messegelände zu entfernen - eine Einschränkung der tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit über die Sache, die in keinem der anderen Fälle ersichtlich ist. Die Gegensätzlichkeit der Entscheidungen kann daher kaum dadurch gerechtfertigt werden, daß in den genannten Fällen unterschiedliche tatsächliche Beziehungen zur Sache bestünden, die nach der Verkehrsanschauung unterschiedlich zu beurteilen wären. Gleichwohl sind die Gerichtsentscheidungen im Ergebnis richtig. In den geschilderten Fällen sind die Kontinuitätsinteressen der Beteiligten nämlich unterschiedlich zu bewerten. Im Automatenfall und im MessestandFall hat der bisherige Besitzer die Sache in eine fremde Herrschaflssphäre eingebracht, um sie dort bestimmungsgemäß zu nutzen: Der Aussteller will seine Ausstellungsstücke interessierten Messebesuchern vorführen, der Automatenaufsteller möchte in der Gaststätte seinen Kunden die Nutzung der Geräte gegen Entgelt ermöglichen. Dazu benötigt er auch die Aufstellflächen. Die Ausstellungsstücke und die Automaten können ihre Zwecke nur erfüllen, wenn sich

440 Ausdrücklich auf die Verkehrsanschauung berufen sich BGH W M 1970, 1518, 1519 = DB 1971, 40 sowie OLG Düsseldorf BB 1984, 2226 und MDR 1985, 497. Natürlich liegt auch den anderen erwähnten Entscheidungen die h.M. zugrunde. Dies wird etwa dann ersichtlich, wenn OLG Celle W M 1957, 220, 222 auf das Erfordernis einer gewissen Dauer abstellt. 441 442

Ausnahme: BGH JZ 1978, 104.

Dieses Kriterium wurde vom BGH insbesondere im Steine-Fall herangezogen, um die Erwägung, es könne Besitz vorliegen, zu unterstützen; BGH W M 1970, 1518, 1519 = DB 1971,40.

170

C. Die Besitztatbestände

an ihrer gegenwärtigen tatsächlichen Situation nichts ändert. Aussteller und Automatenaufsteller haben daher ein starkes Interesse an der Aufrechterhaltung der bisherigen tatsächlichen Sachbeziehung. Ein derartiges Interesse ist weder beim Messeveranstalter noch beim Wirt zu erkennen, denn sie sind weder auf den einzelnen Stand,443 noch auf den Automaten angewiesen. Für ein überwiegendes Kontinuitätsinteresse des Ausstellers und des Automatenaufstellers spricht im übrigen der Gesichtspunkt der Priorität. Auch im Steine-Fall hat der Besitzer ein gegenüber dem Inhaber der fremden Herrschaftssphäre überwiegendes schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse, obwohl sich hier die Steine ursprünglich im Besitz des Inhabers des Grundstücks, auf dem die Steine lagern, befanden. Der Erwerber hat die Steine gekauft und darf daher darauf vertrauen, daß sie zukünftig tatsächlich zu seiner Verfügung stehen. Der Käufer hat auch nicht wider seine eigenen Interessen gehandelt, indem er die Steine auf dem fremden Grundstück beließ. Er hat nämlich zur Wahrung seiner Interessen einen Angestellten angewiesen, die Steine zu bewachen. Ferner sollten die Steine nur vorübergehend bis zum Abtransport auf dem Grundstück gelagert werden. Hingegen hat der Verkäufer spätestens durch die Aussonderung der Steine und die Mitteilung an seine Angestellten, daß die Steine nur mit Zustimmung des Käufers abgefahren werden dürfen, seine Kontinuitätsinteressen aufgegeben. Da der Käufer auch eine potentielle Einwirkungsmöglichkeit auf die Steine hatte, ist er Besitzer. In den übrigen Fällen bestehen hingegen keine schutzwürdigen Kontinuitätsinteressen, die einen Besitzerwerb rechtfertigen würden: Der Bagger und der Ackerschlepper sind zur Sicherheit übereignet worden. Zweck der Sicherungsübereignung ist die Sicherung einer Forderung. Dieser Zweck kann auch durch die Bestellung eines Pfandrechts (§§ 1204 BGB) erreicht werden, jedoch muß dann die Sache dem Sicherungsnehmer übergeben werden (§ 1205 BGB). Für die Sicherungsübereignung ist eine Übergabe hingegen nicht erforderlich (§ 930 BGB). Die Parteien greifen daher zur Sicherungsübereignung statt zum Pfandrecht, wenn sie dem Sicherungsgeber die weitere Nutzung der Sache ermöglichen wollen. Außerdem ist vielfach der Sicherungsgeber auf den Besitz des Sicherungsgutes angewiesen, damit er die zu sichernde Forderung erfüllen kann. Es liegt mithin regelmäßig im Interesse beider Parteien, daß das Sicherungsgut im unmittelbaren Besitz des Sicherungsgebers bleibt. Diese Interessenlage wird zusätzlich betont, wenn dem Sicherungsgeber, wie im Ackerschlepper-Fall 444, ein Austauschrecht eingeräumt wird. Entsprechend der beschriebenen Kontinuitätsinteressen ist daher bei der Sicherungsübereignung im Regelfall der Sicherungsgeber Besitzer. Eine kurzfristige Überlassung der Sa-

443

Aus einem möglichen Vermieterpfandrecht des Messeveranstalters folgt nichts anderes, denn dieses Recht kann auch ohne Inbesitznahme des Messestandes ausgeübt werden (§ 561 Abs. 1 Alt. 1 BGB); vgl. OLG Düsseldorf BB 1984, 2226 f. 444

OLG Celle W M 1957, 220, 221.

I. 3. Der Besitzwille

171

che an den Sicherungsnehmer, damit dieser z.B. eine Kennzeichnung anbringen kann, ändert an der Interessenlage und am Besitz nichts. 445 Die tatsächliche Zuordnung der Sache zum Sicherungsgeber wird auch durch den Eintritt des Sicherungsfalles als rechtlichen Vorgang allein nicht beendet. Für den Übergang des unmittelbaren Besitzes an den Sicherungsnehmer sind vielmehr auch tatsächliche Veränderungen erforderlich. 446 Im übrigen spricht schon das Prioritätsprinzip in den geschilderten Fällen für die Sicherungsgeber als Besitzer, da sich die Sachen ursprünglich in ihrem Besitz befanden. Daß am Ackergrundstück der Besitz nicht erworben wird, wenn der "Erwerber" nur gelegentliche Feldbesichtigungen durchführt und der Landwirt seine Anweisungen zum Fruchtanbau tatsächlich befolgt, liegt auf der Hand: Sofern das Feld nicht frei zugänglich ist, ist schon die selbständige Einwirkungsmöglichkeit auf das Grundstück fraglich. Jedenfalls bleibt der Landwirt aber nach der Lage der Kontinuitätsinteressen Besitzer. Obwohl er den Anweisungen des vermeintlichen Erwerbers tatsächlich folgte, blieb er selbst für den Fruchtanbau allein verantwortlich. Solange dies der Fall ist, ist er auf den Fortbestand seiner eigenständigen Einwirkungsmöglichkeit auf das Land angewiesen. Nur mit ihrer Hilfe kann er in den Genuß der Früchte seiner Arbeit kommen. Ob er die Ernte schließlich selbst durchführt oder er einem anderen zwecks Erfüllung einer Verbindlichkeit die Aneignung der Früchte gestattet, ist bedeutungslos, denn auch seine Verbindlichkeit kann er nur erfüllen, wenn er das Land tatsächlich bearbeiten kann. Anders wäre die Besitzlage zu beurteilen, wenn der Landwirt als Angestellter des vermeintlichen Erwerbers tätig geworden wäre. Dann wäre der Ackerbau in dessen Verantwortungsbereich gelangt und die Kontinuitätsinteressen hätten sich dementsprechend verlagert. Der Landwirt wäre dann bloßer Besitzdiener.

3. Der Besitzwille a) Der Besitzwille als zwingende Voraussetzung des Besitzes Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, ob der Besitzerwerb einen entsprechenden Willen voraussetzt. Jedoch fordert die h.M. für den Besitzerwerb einen Besitzerwerbswillen. 447 445

Vgl. OLG Celle W M 1957, 220, 222.

446

Vgl. oben f bb (2) (b).

447 RGZ 106, 135, 136; RG JW 1925, 784; BGHZ 27, 360, 362; Baur/Stürner § 7 Β II 2 a, S. 55 f.; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 8; Schreiber, Sachenrecht Rn. 51; Soergel/Mühl § 854 Rn. 7; Staudinger/Bund § 854 Rn. 14 m.w.N. sowie die im folgenden Genannten. Einschränkend Bekker JherJb. 34 (1895), S. 29 ff.

172

C. Die Besitztatbestände aa) Herleitung und Anforderungen

Die h.M. begründet das Willenserfordernis wie folgt: V o n einer tatsächlichen Sachherrschaft könne sinnvollerweise nur gesprochen werden, wenn das Bewußtsein einer Machtbeziehung zur Sache gegeben sei. 4 4 8 Ferner lasse sich die Notwendigkeit eines Besitzerwerbswillens aus dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 B G B entnehmen: Ohne eigenes Zutun könne man eine Sache "erhalten" oder "bekommen", die "Erlangung" der tatsächlichen Gewalt über eine Sache sei aber ohne ein darauf gerichtetes Streben nicht denkbar. 4 4 9 Teilweise w i r d zur Begründung vorgebracht, das Willenserfordernis sei mit einem allgemeinen Prinzip des Zivilrechts zu rechtfertigen, wonach eine Vermögenswerte Position nicht gegen den W i l l e n des Erwerbers erlangt werden solle. 4 5 0 Insbesondere könne nur eine bewußte Inbesitznahme die mit dem Besitz verbundenen Pflichten (§§ 985, 987 ff., 1007, 836, 837 B G B ) begründen. 4 5 1 Ein weiteres Argument w i r d der Spezialregelung des § 867 B G B entnommen: Der Besitzer eines Grundstücks erlange nach dieser Vorschrift nicht automatisch Besitz an den Gegenständen, die auf sein Grundstück gelangten. Dies zeige, daß Besitz noch nicht durch das unbewußte Innehaben einer Sache begründet werde. 4 5 2 Schließlich w i r d noch auf § 872 B G B hingewiesen: Eine Unterscheidung zwischen Fremd- und Eigenbesitz sei ohne das Willensmoment nicht m ö g l i c h . 4 5 3 Die Anforderungen, die an den Besitzerwerbswillen gestellt werden, sind denkbar gering: N u r wenige Autoren wollen die § § 1 0 4 ff. B G B anwenden und einen Besitzerwerb durch Geschäftsunfähige verneinen. 4 5 4 Sie begründen dies vor allem mit dem Argument der Rechtssicherheit und damit, daß es nicht sinnvoll sei, einem K i n d Besitz an einer goldenen Uhr oder einem Tausendmark-

448

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 8; Schreiber, Sachenrecht Rn. 51; Staudinger/Bund § 854 Rn. 15. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b, S. 134 und Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 319 folgern das Erfordernis eines Besitzwillens ferner daraus, daß mit dem Besitz der Schutz der Persönlichkeit bezweckt sei. Vgl. zur Persönlichkeitsrechtstheorie oben B U I 1 b aa (1) (b). 449

Planck/Brodmann § 854 Anm. 2, S. 38; Soergel/Mühl § 854 Rn. 7; Staudinger/Bund § 854 Rn. 15. 450

Müller, Sachenrecht, Rn. 105.

451

AK/Dubischar § 854 Rn. 3; vgl. auch Erman/Werner § 854 Rn. 10.

452

RGRK/Kregel § 854 Rn. 12; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 51; Staudinger/Bund § 854 Rn. 15. 453

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 8; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 51; Soergel/Mühl § 854 Rn. 7. 454

Aravantinos JherJb 48 (1904), S. 144 f f ; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., 1. Abt., §34,4., S. 182 f.; O.Gierke, Der Entwurf, S. 300; Sandtner, S. 65 f.

. 3. Der Besitzwille

173

schein einzuräumen. Die heute ganz überwiegend vertretene Ansicht läßt hingegen für den Besitzerwerb einen "natürlichen" Willen ausreichen. 455 Geschäftsfähigkeit ist demgemäß nicht erforderlich. Es soll vielmehr genügen, "daß die natürliche Willensfähigkeit ausreichend entwickelt ist; der Erwerber muß reif genug sein, um eine tatsächliche Herrschaftsbeziehung von gewisser Dauer und Selbständigkeit begründen zu können". 456 Wie dies festzustellen ist, bleibt fraglich. 457 Der Besitzerwerbswille muß sich nach h.M. auch nicht auf den konkreten Erwerb bestimmter Gegenstände richten. Der Spezialitätsgrundsatz gilt also nicht. Es soll vielmehr nur eines generellen Willens bedürfen, der nach außen erkennbar sein muß. 458 Dieser generelle Wille sei etwa dann anzunehmen, wenn besondere Vorkehrungen für die Aufnahme von Sachen getroffen würden. Daher werde an dem Brief, der in den Briefkasten eingeworfen werde oder an dem Tier, das in eine aufgestellte Falle gerate, auch dann Besitz erworben, wenn der Besitzer von dem Briefeinwurf oder dem Fang nichts wisse. Aber auch, wenn eine Sache auf andere Weise mit allgemeinem Besitzwillen in den Machtbereich einer Person gelangt, bejaht die h.M. einen Besitzerwerb: 459 Daher soll der Inhaber eines Lebensmittel-Großmarktes Besitzer eines TausendDM-Scheins sein, der von einem Kunden verloren wurde und unter ein Warenregal gerutscht ist. 460 Ferner erwerbe der Ladeninhaber Besitz an den Waren, die morgens vor seinem Geschäft mit seiner Zustimmung abgestellt würden. 461

455

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 9; Planck/Brodmann § 854 Anm. 2, S. 40; RGRKJ Kregel § 854 Rn. 13; Soergel/Mühl § 854 Rn. 9; Staudinger/Bund § 854 Rn. 17 m.w.N. So auch bereits Kretzschmar, § 854 Anm. 3. 456

Soergel/Mühl § 854 Rn. 9; vgl. auch MünchKomm/Joost § 854 Rn. 9.

457

Dies folgt schon daraus, daß die Entwicklung des eigenen Willens bei Kindern einen sehr individuellen Verlauf nimmt. Da aber an die Willensfähigkeit ersichtlich keine hohen Anforderungen gestellt werden und kleine Kinder selten selbständigen Umgang mit wertvollen Gegenständen haben, wird in der Praxis kaum ein Streit über die Willensfähigkeit entstehen. 458

BGHZ 101, 186, 188 m.w.N. = BGH JZ 1988, 357 mit Anmerkung Ernst; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, § 4 1, S. 18; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 10; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 51; Soergel/Mühl § 854 Rn. 8; Staudinger/Bund § 854 Rn. 18; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b, S. 134 f m.w.N.; M. Wolf, Sachenrecht, Rn. 132. Kritisch zur Lehre von der generalisierten Sachherrschaft Wilhelm, Sachenrecht, Rdn 322. 459 Allerdings soll der Wohnungsbesitzer nicht ohne weiteres Besitz an den Sachen erwerben, die ohne sein Wissen, z.B. für einen Dritten, der sich gelegentlich dort aufhält, in seine Wohnung gebracht werden, RGZ 106, 135 f. Siehe dazu noch unten Fn. 492. 460

BGHZ 101, 186; kritisch dazu Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 321 f.

461

BGH NJW 1968, 662.

174

C. Die Besitztatbestände

Jedoch spricht die h.M. dem Betroffenen nicht unterschiedslos den Besitz an allen Gegenständen, die in seinen Machtbereich oder in eine besondere Erwerbsvorrichtung geraten, zu. Vielmehr soll auch hier wiederum die Verkehrsanschauung darüber Auskunft geben, ob der Betroffene im konkreten Fall die Sache erwerben wolle: 4 6 2 Der Besitzer eines Briefkastens erhalte daher nicht den Besitz an einer toten Maus, die eine böse Nachbarin dort eingesteckt habe. 463 Ebensowenig finde ein Besitzerwerb an Briefen statt, die an Dritte gerichtet seien und versehentlich in den Briefkasten eingeworfen würden. Deshalb begehe der Adressat keine verbotene Eigenmacht, wenn er eigenmächtig seinen Brief aus dem Kasten ziehe. 464 Ferner wolle der Hausherr keinen Besitz an Sachen der Gäste, etwa an den im Schirmständer abgestellten Schirmen, erlangen. 465 Umstritten ist schließlich, ob an unbestellt zugesandten Waren Besitz entsteht, wenn sie in Einrichtungen gelangen, die zur Entgegennahme von Sachen bestimmt sind. 466

bb) Einfügung in den Organisationsbereich Ein Teil der Literatur verzichtet auf das Erfordernis eines Besitzerwerbswillens, wenn die Sache in einen Organisationsbereich eingefügt wird, der als solcher bereits eine Herrschaftssphäre darstellt. 467 Für die Verkehrsanschauung sei die objektiv erkennbare Herrschaftslage nämlich bedeutsamer als der nicht erkennbare subjektive Wille. Insbesondere sei die Wohnung eine organisierte Herrschaftssphäre. Daher erlange der Wohnungsinhaber auch den Besitz an einem Päckchen, das der Postbote durch ein offenstehendes Oberlicht in die Wohnung werfe. 468 Ein Besitzerwerbswille ist aber auch nach dieser Ansicht für den Besitzerwerb dort unerläßlich, wo es an einer Einfügung in einen bereits

462 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b aa, S. 135; vgl. auch Lange, Sachenrecht § 10 IV 2, S. 53; Soergel/Mühl § 854 Rn. 8. 463

Lange, Sachenrecht, § 10 IV 2, S. 54; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b bb,

S. 135. 464

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b bb, S. 135.

465

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b bb, S. 135.

466

Für Besitzerwerb MünchKomm/Joost § 854 Rn. 10; Schwung JuS 1985, 449, 451; Soergel/Mühl § 854 Rn. 8. Zweifelnd Weimar JR 1967, 417. Ablehnend Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 10 III 1, Fn. 2, S. 38. 467

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 101 ff.; dagegen Staudinger/Bund § 854 Rn. 19. 468

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 102; a.A. Cosack/Mitteis, 2. Bd., § 6 II 2, S. 24.

I. 3. Der Besitzwille

175

bestehenden organisierten Herrschaftsbereich fehlt. 469 Der Unterschied zur h.M. ist daher in der praktischen Rechtsanwendung gering. 470

cc) Aufrechterhaltung des Besitzes Ist der Besitz erst erworben, bedarf es zu seiner Aufrechterhaltung nach h.M. keines aktuellen Besitzwillens mehr. 471 Auch wer schlafe oder eine gewisse Zeit lang nicht an seine Sache denke, behalte den Besitz. Im übrigen sei der Besitzwille im geschaffenen Zustand der Sachherrschaft realisiert und sei deshalb vorhanden, solange dieser Zustand fortdauere. Er ende erst, wenn der Besitzer seinen Beschluß betätige, nicht mehr besitzen zu wollen. 472

b) Die Irrelevanz des Besitzwillens als selbständiger Bestandteil des Besitztatbestandes Die Argumente, die von der h.M. zur Begründung des Willenserfordernisses vorgebracht werden, können nicht überzeugen.

aa) Der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB Der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB ergibt nichts für die Notwendigkeit eines Besitzwillens. Das "Erlangen" setzt keinesfalls stets einen Willensakt voraus. Dies folgt schon aus der Verwendung, die dieses Wort im BGB selbst findet, vgl. §§ 121 Abs. 1, 532, 561 Abs. 2, 1736, 2053 Abs. 2 BGB. 4 7 3 Für den Beginn der Ausschlußfristen gemäß §§121 Abs. 1, 532 und 561 Abs. 2 BGB kann es nämlich nicht darauf ankommen, ob der Berechtigte aufgrund eines eigenen Willensaktes oder aber ohne seinen Willen durch einen Zufall von den dort genannten Umständen "Kenntnis erlangt". Es gibt keinen Grund, beispielsweise denjenigen, der zufällig von einem Anfechtungsgrund erfährt, gegenüber einem sorgfältigen Vertragspartner, der seine Willenserklärung gewissenhaft überprüft und dabei einen Anfechtungsgrund entdeckt, zu

469

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 102.

470

Baur/Stürner, Sachenrecht § 7 Β II 2 a, S. 55 f.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 102 f. 471 Müller, Sachenrecht, Rn. 105; Soergel/Mühl § 854 Rn. 7; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b bb, S. 135; vgl. auch Staudinger/Bund § 854 Rn. 16 und § 856 Rn. 3 f. 472

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 b bb, S. 135.

473

Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 2, S. 26.

176

C. Die Besitztatbestände

bevorzugen. Ebensowenig hängt die Erlangung der Rechtsstellung eines ehelichen Kindes nach § 1736 B G B von einem entsprechenden W i l l e n des Kindes ab. Zwar bedarf es gemäß § 1726 Abs. 1 B G B zur Ehelicherklärung auch der Einwilligung des Kindes. Dies bedeutet aber nicht, daß i m Zeitpunkt der Ehelicherklärung durch das Vormundschaftsgericht ein W i l l e des Kindes vorhanden sein muß, der sich unmittelbar auf die Erlangung der Rechtsstellung richtet. Gegen die Herleitung des Willenserfordernisses aus dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 B G B spricht aber nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch, sondern vor allem die Entstehungsgeschichte dieser Norm. Der Gesetzgeber wollte es bewußt offenlassen, ob in allen Fällen des Besitzerwerbs ein Erwerbswille nachgewiesen werden kann. Die Klärung dieser Frage sollte Wissenschaft und Praxis überlassen bleiben. 4 7 4 Es verbietet sich deshalb, dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 B G B etwas über den Besitzwillen zu entnehmen. M i t einem solchen Vorgehen würde man dem Gesetz w o h l eher etwas "unterlegen", anstatt es auszulegen. Wollte man i m übrigen w i r k l i c h auf den Wortlaut des § 854 Abs. 1 B G B abstellen, so wäre es näherliegender, aus dem Fehlen seiner ausdrücklichen Erwähnung die Unerheblichkeit des Besitzwillens zu folgern.

bb) Begriff der "Herrschaft" Die Notwendigkeit eines Besitzwillens kann ebenfalls nicht mit dem Argument begründet werden, "Herrschaft" sei schon begrifflich nicht ohne einen entsprechenden W i l l e n denkbar. Diese wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten der Begriffsjurisprudenz anmutende Begründung übersieht völlig, daß es dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Besitztatbestandes nicht so sehr auf die Herrschaftslage, sondern in erster Linie auf den Interessenschutz ankam: 4 7 5 Beide BGB-Kommissionen haben bereits deutlich erkannt, daß es Fälle gibt, die besitzrechtlich schutzwürdig sind und daher als Besitz betrachtet werden müssen, in denen das Vorhandensein eines Besitzerwerbswillens aber zumindest dann fraglich ist, wenn man es mit diesem Erfordernis w i r k l i c h ernst meint. 4 7 6 Nach Ansicht der Kommissionen liegt ein solcher Fall z.B. vor, wenn für eine abwesende Person eine Sache in deren Wohnung niedergelegt wird. Diese Person sollte unbedingt geschützt werden, und zwar auch dann, wenn Wissenschaft und Praxis später zu der Erkenntnis kommen sollten, daß ein

474

Siehe dazu bereits oben C I 1 e ee; Motive (1. Kommission), Bd. 3, S. 81 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 44 f.; Protokolle (2. Kommission), S. 3335 ff. bei Mugdan Bd. 3, S. 503. 475 476

Siehe oben C I 1 fbb(3).

Motive (1. Kommission), Bd. 3, S. 81, bei Mugdan, Bd. 3, S. 44 f.; Protokolle (2. Kommission), S. 3335 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 503.

I. 3. Der Besitzwille

177

Besitzerwerbswille nicht bejaht werden könne. 477 Aus diesem Grund haben beide Kommissionen es abgelehnt, das Willenserfordernis in das Gesetz aufzunehmen. Sie haben damit der Schutzwürdigkeit einen höheren Stellenwert eingeräumt als der konsequenten Durchführung des Herrschaftsgedankens. Daß das Bestehen der "tatsächlichen Gewalt" bzw. der tatsächlichen Sachherrschaft in § 854 Abs. 1 BGB begrifflich keineswegs zwingend einen Besitzwillen voraussetzt, machen ferner die Vertreter der "Willenstheorie" selbst deutlich, indem sie die Anforderungen an den Besitzwillen weitgehend aufweichen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sie es - wie dargelegt 478 - aufgrund des sog. generellen Besitzerwerbswillens für möglich halten, Besitz an Gegenständen zu erwerben, deren Vorhandensein man weder kennt noch überhaupt erahnen kann, also etwa an dem unter einem Warenregal im Kaufhaus verborgenen Geldschein479 oder an der während einer Abwesenheit in den Briefkasten eingeworfenen unerwarteten Post. In diesen Fällen, in denen ein Wissen vom "Beherrschungsobjekt" völlig fehlt, noch von einem Beherrschungswillen zu sprechen, erscheint mehr als zweifelhaft und läuft auf eine Fiktion hinaus. 480 Die Vertreter der "Willenstheorie" relativieren damit selbst weitgehend ihre Forderung nach einem Herrschaftswillen. 481 Im übrigen könnte man mit dem gleichen Recht, mit dem dies für den Willen geschieht, auch behaupten, Herrschaft setze Wissen voraus. Zu Recht wird dies, soweit ersichtlich, jedoch für den Besitzerwerb von niemandem verlangt. 482 Daher sollte man ebensowenig für den Besitzwillen etwas aus den Begriffen "Herrschaft" oder "Gewalt" entnehmen.

cc) Pflichten aus dem Besitzerwerb Auch die mit einem Besitzerwerb möglicherweise verbundenen Pflichten sprechen nicht zwingend für die Notwendigkeit eines Besitzwillens. Es ist dem Gesetz keineswegs fremd, daß jemand ohne seinen Willen und sein Zutun in 477

Vgl. Protokolle (2. Kommission), S. 3337, bei Mugdan, Bd. 3, S. 503.

478

Siehe oben a aa.

479

BGHZ 101, 186, 189 f.

480 Vgl. auch Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 2, S. 26; Westermann/Gursky, Sachenrecht, §13 12, S. 102: "Die Annahme eines generellen Besitzerwerbswillens liefe im übrigen in manchen Fällen, in denen durchaus ein Bedürfnis nach Besitzschutz besteht, auf eine willkürliche Unterstellung hinaus." 481

Vgl. Hedemann JW 1925, 784, der zu recht bemerkt: "...wenn auf der einen Seite behauptet wird, unbewußtes Innehaben genüge nicht, dann aber sogleich der bekannte 'allgemeine' Briefkastenwille für ausreichend erklärt wird, der über die Kenntnisnahme vom Erwerbe des Einzelstückes erhaben ist, so liegt darin ein Widerspruch." 482

Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 2, S. 25.

12 Härtung

178

C. Die Besitztatbestände

die Rolle eines Passivlegitimierten gerät. 483 Beispiele dafür sind der Besitzer des fremden Grundstücks im Fall des § 867 BGB und der Gegner des Grundbuchberichtigungsanspruchs gemäß § 894 BGB, für den zu Unrecht durch ein Versehen ein Recht in das Grundbuch eingetragen wurde. Der Besitzer wird durch einen ohne seinen Willen erfolgten Besitzerwerb auch nicht in unbilliger Weise belastet, denn er kann jederzeit den Besitz aufgeben oder den gegen ihn gerichteten Anspruch durch Herausgabe befriedigen. 484 Ferner wird er durch die prozessualen Rechtsbehelfe (vgl. z.B. § 93 ZPO) hinreichend geschützt.485

dd) § 867 BGB Ob der Vorschrift des § 867 BGB eine Aussage über das Willenserfordernis entnommen werden darf, ist schon deshalb bedenklich, weil es sich bei ihr um eine spezielle Einzelfallregelung handelt, die kaum über die Grundsatzfragen des § 854 Abs. 1 BGB entscheiden kann. 486 Abgesehen davon hat § 867 BGB überhaupt nicht die Bedeutung, die ihm die h.M. unterlegt. Diese Vorschrift besagt nur, daß die bloße zufällige Herstellung eines räumlichen Verhältnisses zwischen Person und Sache für den Besitzerwerb nicht genügt. 487 Was hinzukommen muß, damit Besitz entsteht, sagt sie aber nicht. Sie enthält mithin auch keine Bestimmung über das Willenserfordernis. Daß allein der kundgegebene (generelle) Wille zum Besitzerwerb führt und den Gestattungsanspruch nach § 867 BGB ausschließt, ist im übrigen kaum anzunehmen: Der Besitzer eines Grundstücks kann wohl nicht nur dadurch Besitz an einem vom Wind hinübergewehten Hut eines Spaziergängers erlangen, daß er auf einem aufgestellten Schild, z.B. mit der Aufschrift: "Alle Gegenstände, die auf dieses Grundstück gelangen, gehen in meinen Besitz über", seinen Besitzerwerbswillen kundtut. Der vom Gesetz mit § 867 BGB bezweckte Schutz des früheren Besitzers würde dadurch allzu leicht umgangen. Schließlich wird man der sich aus § 867 BGB ergebenden Forderung nach einer Qualifizierung des räumlichen Verhältnisses schon gerecht, wenn man neben der tatsächlichen Beziehung zur Sache die Begründung eines überwie-

483

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 102.

484

Eine Schadensersatzpflicht aus § 836 BGB kommt ohnehin nur in Betracht, wenn der Besitzer Eigenbesitzerwillen hat (§ 836 Abs. 3 BGB). 485

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 102.

486

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 102.

487

Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 2, S. 26; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 12, S. 102.

I. 3. Der Besitzwille

179

gend schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses für den Besitzerwerb verlangt. Auch dann genügt - wie in § 867 BGB vorausgesetzt - die bloße räumliche Beziehung für den Besitzerwerb nicht. Die oben bereits hergeleitete 488 Bestimmung des Besitztatbestandes des § 854 Abs. 1 BGB steht also im Einklang mit § 867 BGB, ohne daß es noch eines Besitzwillens bedürfte.

ee) § 872 BGB § 872 BGB kann ebenfalls nicht zur Begründung des Willenserfordernisses angeführt werden. Diese Vorschrift behandelt nur den Eigenbesitz. Nur für diese besondere Art des Besitzes verlangt sie einen Willen. Schon deshalb kann man nicht aus § 872 BGB folgern, auch für den Fremdbesitz - der, da er nicht durch den Eigenbesitzwillen qualifiziert ist, sich auch als der Grundtatbestand des Besitzes bezeichnen läßt - sei stets ein Besitzwille erforderlich. Im übrigen liegen die Fragen, ob einerseits Besitzerwerb vorliegt und ob es sich andererseits um Fremd- oder Eigenbesitz handelt, auf zwei verschiedenen Ebenen. Während es bei der ersten darum geht, ob der Besitztatbestand den Willen voraussetzt, die Sache zu beherrschen, behandelt die zweite die davon unabhängige Motivation bei der Besitzausübung. Die Verschiedenheit dieser Fragestellungen wird daran deutlich, daß man über den Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB problemlos entscheiden kann, ohne etwas über den Fremd- oder Eigenbesitz zu sagen.489 Die Unterscheidung zwischen Fremd- und Eigenbesitz ist nämlich nur außerhalb des eigentlichen Besitzrechts, etwa beim Eigentumserwerb durch Ersitzung, bedeutsam. Besitzerwerbswille und Eigenbesitzwille sind also strikt voneinander zu unterscheiden. Diese Unterscheidung wurde im übrigen schon von den Verfassern des BGB bei der Schaffung des Besitzrechts erkannt. 490

488

Siehe oben 2 f.

489

Vgl. Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 12 II 1, S. 99.

490

Vgl. Motive, Bd. 3, S. 81, bei Mugdan, Bd. 3, S. 44 f. (zur Unterscheidung Inhabungswille und Besitzwille); vgl. auch Motive, Bd. 3, S. 83, bei Mugdan, Bd. 3, S. 45: "Die Fassung des Besitzwillens (d.h. hier des Eigenbesitzwillens, Anm. d. Verf.) kann möglicherweise der Erlangung der tatsächlichen Gewalt nachfolgen." - Siehe hierzu auch die unterschiedlichen Formulierungen der 2. Kommission: Im Zusammenhang mit dem späteren § 854 Abs. 1 BGB wird von einem "auf Erlangung der tatsächlichen Gewalt gerichteten Willen" oder vom "Erwerbswillen" gesprochen (Protokolle S. 3336 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 503), der aber nicht in das Gesetz aufgenommen werden sollte. Hingegen befürwortete diese Kommission die Aufnahme des Eigenbesitzwillens, der als Wille, die Sache als die seinige zu haben, umschrieben wird (Protokolle S. 3738, bei Mugdan, Bd. 3, S. 517). 12*

180

C. Die Besitztatbestände

ff) Fälle eindeutiger Zuordnung Gegen die Notwendigkeit des Besitzerwerbswillens spricht ferner, daß es Fallkonstellationen gibt, in denen selbst ein entgegenstehender Wille des Erwerbers die Erlangung des Besitzes nicht verhindern kann. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die Sache nach äußeren Kriterien eindeutig zuordnen läßt. Diese klare Zuordnung darf nicht allein durch innere Vorbehalte des Besitzers durchbrochen werden können. Zum Beispiel erhält der Besitzer einer Hündin ohne weiteres den Besitz an den von ihr geworfenen Welpen, auch wenn er die jungen Hunde überhaupt nicht haben will. 4 9 1 Der Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB darf er sich nicht allein durch das Fehlen des Besitzwillens, sondern nur dadurch entziehen können, daß er seinen Besitz wirklich aufgibt. - Ferner erwirbt der Wohnungsbesitzer auch dann den Besitz an dem während seiner Abwesenheit versehentlich in seine Wohnung verbrachten Paket, wenn es ihn überhaupt nicht interessiert oder er sich des Paketes am liebsten sofort entledigen würde. 4 9 2 Würde man ihn nicht als Besitzer ansehen, dann könnte der wahre Eigentümer seinen Eigentumsherausgabeanspruch aus § 985 BGB nicht geltend machen. 493 Die

491

Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 2, S. 26. Vgl. hierzu aber auch Hedinger, S. 51 Fn. 168: Aus diesem Beispiel könne nichts gegen die Erforderlichkeit des Besitzwillens entnommen werden, weil es unvereinbar sei, daß jemand zwar nicht Besitzer sein wolle, dennoch aber die durch den Besitz sich ergebenden Vorteile wahrnehmen wolle. Wolle der Besitzer nicht auch den Besitz an den Welpen erlangen, müsse er die Hündin nicht in seinem Haus, sondern anderswo werfen lassen. - Letzteres trifft zweifellos zu. Wirft die Hündin im Haus ihres Besitzers, dann ist dieser in jedem Fall auch als Besitzer der Welpen anzusehen. Jedoch kann man aus der Tatsache, daß der Besitzer seine Hündin nicht aus dem Haus jagt, kaum schließen, der Besitzer der Hündin wolle sich auch als Besitzer der Welpen gerieren oder die Welpen zu seinem Vorteil nutzen. Es ist immerhin gut denkbar, daß er allein um seine Hündin besorgt ist und ihm die jungen Tiere gleichgültig oder lästig sind und er sie in keiner Form nutzen will. Auf den Willen des Besitzers kann es daher nicht ankommen. 492

In RGZ 106, 135 f. hat das Reichsgericht in einem ähnlich gelagerten Fall anders entschieden: Dort hatte die Verlobte ihre Aussteuer in dem Zimmer ihres Verlobten, das sich in der Wohnung seiner Eltern befand, aber nur gelegentlich von ihm benutzt wurde, zurückgelassen. Nach der Auflösung der Verlobung verlangte sie die Aussteuer von dem Vater des Verlobten heraus. Das RG hat die Verurteilung des Vaters aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil möglicherweise der Sohn als Besitzer anzusehen sei und es u.U. am Besitzwillen des Vaters fehle. - Diese Entscheidung ist sehr bedenklich, zumal das RG erwägt, daß der Vater die Sache für den Sohn aufbewahrt habe. Besitz des Vaters hätte daher nahegelegen. Die Verlobte kann ihr Recht aber immerhin noch durchsetzen, indem sie ihren Anspruch gegen ihren ehemaligen Verlobten richtet. Ob das RG auch so entschieden hätte, wenn außer den Eltern kein anderer Anspruchsgegner in Betracht gekommen wäre, darf bezweifelt werden. 493 Ein Anspruch aus Besitz dürfte an einer fehlenden verbotenen Eigenmacht des Wohnungsbesitzers scheitern.

I. 3. Der Besitzwille

181

Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, die auch auf derartige Fallgestaltungen zugeschnitten sind, könnten nicht angewendet werden.

Wollte man in den geschilderten Fällen einen Besitzerwerbswillen des Besitzers bejahen, so wäre dies eine reine Unterstellung, die der tatsächlichen Willenslage zuwider liefe. Zu solchen Unterstellungen ist man aber gezwungen, wenn man mit der h.M. stets einen Besitzwillen für die Erlangung des Besitzes fordert. In der Tat fingiert die h.M., wie schon im Zusammenhang mit dem generellen Besitzwillen festgestellt, häufig das Vorliegen eines Besitzwillens. Sie müßte sonst den Besitzer häufig in ungerechtfertigter Weise schutzlos stellen. 494 Durch diese Fiktionen führt sie ihre eigene Forderung nach dem Besitzwillen selbst ad absurdum.

gg) Verkehrsanschauung

als Grenze des "generellen" Besitzwillens?

Die h.M. ist aber nicht nur deswegen zu kritisieren, weil sie teilweise einen Besitzwillen unterstellt, wo ein solcher überhaupt nicht besteht. Es kann ebenfalls nicht gebilligt werden, daß sie über den Geltungsbereich des sog. generellen Besitzwillens im konkreten Einzelfall nach der Verkehrsanschauung entscheiden will. Die Willensbildung ist nämlich eine persönliche Angelegenheit und verläuft nach individuellen Kriterien. Die Verkehrsanschauung kann keine Auskunft darüber geben, was ein bestimmtes Individuum in einem konkreten Fall will. Sie eignet sich mithin genausowenig zur Bestimmung des Besitzwillens wie zur Auslegung des Begriffs der "tatsächlichen Gewalt". Dies läßt sich an den oben genannten Beispielen 495 nachweisen: Zwar mag die Mehrheit der Briefkasteninhaber den Besitz an der toten Maus mit Ekel zurückweisen. Über den Willen des konkret betroffenen Nachbarn ist damit aber noch nichts gesagt. Möglicherweise möchte er die Maus behalten, um seinerseits am nächsten Tag die Nachbarin damit zu erschrecken. Vielleicht benötigt er sie aber auch als Beweisstück vor Gericht oder für seine Sammlung ausgestopfter Säugetiere. Gleiches gilt für den in den falschen Briefkasten eingeworfenen Brief. Der anständige Zeitgenosse wird sich nicht für ihn interessieren, der neugierige Nachbar sehr wohl. Auch der in der Wohnung vergessene Schirm wird bedauerlicherweise in dem einen oder anderen Gastgeber einen Liebhaber finden.

494 Vgl. Emst, JZ 1988, 360: Der "generelle Besitzerwerbswille" diene insbesondere beim traditionsweisen Besitzerwerb der Harmonisierung einer sachgerechten Entscheidung über den Besitz mit dem Erfordernis des Besitzwillens. 495

Siehe oben a aa.

C. Die Besitztatbestände

182

hh) Abschließende Betrachtung der herrschenden Willenstheorie Wie insbesondere der Hinweis auf die Verkehrsanschauung verdeutlicht, entscheidet die herrschende Willenstheorie über den Besitzwillen nach einem Schema, das dem zur Bestimmung der "tatsächlichen Sachherrschaft" überwiegend angewandten ähnelt: Ausgehend vom Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB werden formell Tatbestandsvoraussetzungen (Sachherrschaft, Herrschaftswille) aufgestellt, die aber kaum geeignet sind, alle schutzwürdigen Fälle des Besitzes zu erfassen. Daher ist man gezwungen, die Anforderungen an die Tatbestandsmerkmale gleichzeitig aufzuweichen. Man spricht dann von "vergeistigter" Sachherrschaft oder vom "generellen" Besitzwillen. Dadurch entsteht ein konturloser Tatbestand, der keine sinnvolle Abgrenzung des Besitzbegriffes bietet. Um im Einzelfall die Sachherrschaft und den Herrschaftswillen festzustellen, wird schließlich die "Verkehrsanschauung" bemüht. Über sie fließen - mehr oder weniger unbewußt- rechtspolitische Wertungen ein, die dann letztlich über den Besitz entscheiden. Der Nachteil dieser Vorgehensweise wurde schon angesprochen: 496 Die Heranziehung der Verkehrsanschauung verstellt den Blick auf die wirklich maßgeblichen Merkmale des Besitztatbestandes. Nicht die völlig farblose und undefinierbare Verkehrsanschauung, sondern der vom Gesetzgeber bezweckte Interessenschutz sollte für die Antwort auf die Rechtsfrage nach dem Besitz ausschlaggebend sein. Es bedarf zur Bestimmung des Besitzes nicht der Suche nach einer unbegründeten und zufälligen Mehrheitsmeinung, erforderlich ist vielmehr eine genaue Analyse der beteiligten Interessen. Betrachtet man abschließend die herrschende Willenstheorie, so drängt sich der Verdacht auf, sie würde das Erfordernis des Besitzwillens nicht so sehr verteidigen, wenn nicht das römische Recht nach der Lehre Savignys corpus und animus für den Besitzerwerb verlangt hätte. 497 Der Besitzwille hat nämlich, wie sich aus dem soeben Dargelegten ergibt, innerhalb des Besitztatbestandes keine rechte Funktion: Wird der Besitz, wie zumeist, durch eine Handlung begründet, läßt sich unschwer ein Besitzwille bejahen. Die Forderung nach dem Besitzwillen bewirkt hier keine Eingrenzung des Besitztatbestandes, ist also bedeutungslos. In den übrigen Fällen, in denen die Voraussetzung des Besitzwillens relevant würde, wird sie von der h.M. durch die Anerkennung des generellen Besitzwillens ersetzt. 498 Der Streit um den Besitzwillen ist also für die

496

Siehe oben 2 a.

497

Vgl. Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 2, S. 25.

498

Selbstverständlich bedarf es auch nicht der durch den Verweis auf die Verkehrsauffassung geschaffenen Wertungsmöglichkeit bei der Prüfung des Besitzwillens. Wertungen können nämlich bereits bei der Prüfung der objektiven Tatbestandes einfließen.

I. 3. Der Besitzwille

183

praktische Rechtsanwendung weitestgehend unbedeutend. Dies wird teilweise von den Vertretern der h.M. auch zugegeben.499 Hat die Forderung nach dem Besitzwillen keine praktische Funktion und gibt es auch sonst für sie keinen sachlichen Grund, so kann sie nur als ein rechtsgeschichtliches Relikt bezeichnet werden. Rechtsgeschichtliche Gründe können es aber nicht rechtfertigen, an der Notwendigkeit des Merkmals "Besitzwillen" festzuhalten, zumal das Besitzrecht des BGB ein wesentlich anderes als das des römischen Rechts ist.

ii) Willenserfordernis aufgrund der Einordnung des Besitzes als subjektives Recht? Die Notwendigkeit des Besitzwillens folgt also nicht aus den von der herrschenden Willenstheorie vorgetragenen Argumenten. Es ist aber denkbar, sie aus der Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht 500 herzuleiten, denn der Erwerb eines subjektiven Rechts, insbesondere eines Sachenrechts, setzt häufig einen Erwerbswillen voraus. Als Beispiel sei hier nur der Eigentumserwerb nach §§ 929 ff. BGB genannt. Im Zusammenhang mit der systematischen Stellung des Besitzrechts innerhalb des BGB wurde jedoch bereits festgestellt, daß sich der Besitz vom Eigentum unterscheidet. 501 Er ist zwar seiner Struktur nach mit dem Eigentum vergleichbar, kann aber hinsichtlich der Entstehungsvoraussetzungen nicht mit dem Eigentum und den übrigen dinglichen Rechten gleichgesetzt werden. Ferner gibt es subjektive Rechte, deren Erlangung keinen entsprechenden Willen des Erwerbers erfordern, wie z.B. das Namensrecht (§ 12 BGB) oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht. 502 Sogar das Eigentum kann ohne Willen des Erwerbers erworben werden, so etwa bei der Verbindung nach § 946 BGB und § 947 BGB, bei der Vermischung gemäß § 948 BGB und bei der Verarbeitung nach § 950 BGB, dort insbesondere, wenn nicht der Erwerber, sondern ein Angestellter die neue Sache hergestellt hat.

499

Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β II 2 a, S. 55.

500

Siehe oben Β III 1.

501

Siehe oben Β III 1 add.

502

Diesen Umstand verkennt Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 170, wenn er meint, die Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht lege es nahe, daß der einverständliche Übergang des Besitzes auf einem Rechtsgeschäft und mithin auf einem Willensakt beruhen müsse. Zwar ist es richtig, daß das Rechtsgeschäft durch die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges definiert ist. Dies bedeutet aber nicht, daß umgekehrt ein rechtlicher Erfolg nur durch ein Rechtsgeschäft erreicht werden kann.

C. Die Besitztatbestände

184

Aus der Qualifizierung des Besitzes als subjektives Recht kann mithin nicht gefolgert werden, der Besitzerwerb setze stets einen Besitzerwerbswillen voraus.

j j ) Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen: Die Notwendigkeit eines Besitzerwerbswillens ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB noch aus anderen Vorschriften des Besitzrechts. Sie kann auch nicht aus der Rechtsnatur des Besitzes hergeleitet werden. Der Besitz setzt daher nicht zwingend einen Besitzwillen voraus. Im übrigen ist die Annahme eines Besitzwillens in vielen Fällen bloße Fiktion. Zu solchen Fiktionen ist die h.M. gezwungen, will sie den Besitzer in zahlreichen schutzwürdigen Situationen nicht rechtlos stellen. Insgesamt kann die Bestimmung des Besitzwillens durch die h.M. nicht überzeugen. Man sollte daher auf das Erfordernis des Besitzwillens verzichten.

c) Der Besitzwille als bloßer Faktor des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses Damit ist natürlich noch nicht gesagt, daß der Besitzwille für den Besitztatbestand völlig unerheblich ist. Über den Besitz entscheidet - wie bereits festgestellt 503 - die Abwägung der Kontinuitätsinteressen. Mit diesen Kontinuitätsinteressen korrespondieren in einem bestimmten Umfang der Besitzwille und das Wissen vom Besitz. Regelmäßig hat man hinsichtlich der Gegenstände, deren Existenz man nicht kennt oder die man nicht haben will, auch kein Interesse an der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen tatsächlichen Lage. Ein Kontinuitätsinteresse setzt daher grundsätzlich eine entsprechende Kontinuitätserwartung voraus. Deshalb erwirbt der Besitzer eines Grundstücks zum Beispiel nicht den Besitz an der Beute, die ein Dieb unbemerkt in seinem Garten vergräbt oder in seinem Haus versteckt. Ebensowenig wird er Besitzer des vom Wind auf das Grundstück gewehten Hutes, solange er den Vorfall ignoriert. 504 Er hat keinen Anlaß, darauf zu vertrauen, auch zukünftig über die Gegenstände verfügen zu können.

Es versteht sich von selbst, daß für die Kontinuitätserwartung ein rechtsgeschäftlicher Wille nicht erforderlich ist, sondern ein "natürlicher" Wille genügt. Allerdings ist der Besitzwille nur einer unter mehreren 505 Faktoren zur Bestimmung des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses. Deshalb kann Besitz 503

Siehe oben 2 f bb.

504

Vgl. zu den Beispielen Heck, Sachenrecht, § 6 4. b, S. 26.

505

Siehe zu den übrigen Faktoren oben 2 f bb (2).

I. 3. Der Besitzwille

185

auch ohne einen darauf gerichteten W i l l e n oder der Kenntnis v o m konkreten Gegenstand erworben werden, wenn andere Umstände für die Erlangung des Besitzes sprechen. Daß über das Interesse unabhängig vom W i l l e n entschieden werden kann, ist i m übrigen dem Gesetz nicht unbekannt. Dies zeigt die Nebeneinanderstellung von Interesse und W i l l e n in § 683 S. 1 sowie in § 677 BGB. Gemäß § 683 S. 2, 679 B G B hindert sogar ein entgegenstehender W i l l e des Geschäftsherrn den Anspruch des Geschäftsführers auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag nicht, wenn die Geschäftsführung der rechtzeitigen Erfüllung einer Pflicht des Geschäftsherrn dient und so letztlich, neben dem öffentlichen Interesse, objektiv auch seinem Interesse entspricht. Auch hierin w i r d die Unabhängigkeit des Interesses vom W i l l e n deutlich. Als Beispiele für einen Besitzerwerb ohne Willen sind die Fälle zu nennen, in denen die Sachen in eine bestehende Interessensphäre eingefügt werden. Der Besitzer einer Wohnung kann sich grundsätzlich darauf verlassen, daß ihm die Sachen, die dort für ihn abgestellt werden oder in seinen Briefkasten gelangen, auch künftig zur Verfügung stehen, selbst wenn er von ihrem Vorhandensein nichts weiß und es nicht vorhergesehen hat. Es bedarf jedoch im Einzelfall einer genauen Prüfung: An der toten Maus im Briefkasten wird ein Besitzerwerb aus den bereits dargelegten Erwägungen regelmäßig stattfinden, an dem eingeworfenen fremden Brief hingegen nicht. Der Briefkastenbesitzer hat gegenüber dem wahren Adressaten und dem Boten, der seinen Irrtum bemerkt, kein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse. Er erlangt den Besitz daher erst, wenn er den Brief an sich nimmt. Die Besitzverhältnisse an dem vom Gast vergessenen Schirm richten sich vor allem nach dem zeitlichen Ablauf. Je länger der Schirm in der Wohnung bleibt, desto eher ist Besitz des Wohnungsinhabers zu bejahen, selbst wenn dieser den Schirm noch nicht bemerkt hat. 506 Ein Besitzerwerb ohne Besitzwillen kann auch dann in Betracht kommen, wenn die Sache nicht in einen räumlich abgegrenzten Interessenbereich verbracht wird. Dies gilt etwa für das Schulbeispiel der schönen Schläferin, der ein Verehrer einen Rosenstrauß in die Hand legt. Überwiegend wird dort ein Besitzerwerb mit dem Hinweis auf den fehlenden Besitzwillen abgelehnt. 507 Ferner liege auch eine - von einem Teil der Literatur grundsätzlich als ausreichend erachtete 508 - Einfügung in eine organisierte Herrschaftssphäre nicht vor. 5 0 9 Die Dame erwerbe daher erst dann den Besitz, wenn sie sich nach dem Erwachen dazu entschließe, den Strauß zu behalten. Es ist aber nicht einzusehen, warum die Beschenkte die Blumen nicht mit Gewalt verteidigen dürfen soll, wenn ihr ein Dritter den Strauß abgenommen hat und sie dadurch erwacht ist. 5 1 0 Selbst 506 Vgl. auch Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. I 2, S. 27; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 103. 507 Baur/Stürner, Sachenrecht § 7 B I I 2 a , S. 56; Staudinger/Bund § 854 Rn. 19; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 10 II. 508

Siehe oben a bb.

509

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 103.

510

Vgl. Kegel, Festschrift für von Caemmerer, S. 158, Fn. 21.

C. Die Besitztatbestände

186

wenn sie von den Vorgängen nichts bemerkte und erst später davon erfuhr, ist es sachlich nicht gerechtfertigt, ihr die Ansprüche aus § 861 und § 985 BGB mit der Behauptung zu versagen, sie habe keinen Besitz und somit wegen fehlender Übergabe (§ 929 BGB) auch kein Eigentum erlangt. Sie verdient sogar gegenüber ihrem Verehrer Schutz, wenn dieser sein Geschenk bereut und es der noch Schlafenden wieder abnehmen will. Der Verehrer hat nämlich seine Kontinuitätsinteressen aufgegeben. Es gibt keinen Grund, ihn anders zu behandeln, als wenn die Verehrte bei der Übergabe des Straußes wach gewesen wäre oder er ihr die Rosen während ihrer Abwesenheit in die Wohnung gelegt hätte. Die Schläferin ist daher schon vor ihrem Erwachen als Besitzerin anzusehen. 1

Da über das Bestehen der Kontinuitätsinteressen nach objektiven Kriterien zu befinden ist und der Wille des potentiellen Erwerbers nur die Bedeutung eines von mehreren Gesichtspunkten hat, kann der Besitz u.U. auch trotz eines entgegenstehenden Willens erworben werden. Ohne auf Unterstellungen angewiesen zu sein, gelangt man daher auch dann, wenn zwar objektiv eine Einfügung in eine Interessensphäre vorliegt, der Erwerber die Sache aber nicht haben will, zu interessengerechten und somit sachgemäßen Ergebnissen. Im oben geschilderten Beispiel der werfenden Hündin 5 1 2 kann man deshalb den Besitz an den Welpen bejahen, ohne über den Besitzwillen des Hundebesitzers philosophieren zu müssen.

d) Einzelfälle Abschließend soll noch auf zwei Fälle eingegangen werden, die in der Literatur häufig im Zusammenhang mit dem Besitzwillen behandelt werden.

aa) Der verlorene Tausend-DM-Schein (BGHZ 101, 186) Der erste der beiden Fälle wurde bereits erwähnt: 513 Κ ist Kunde eines von der M betriebenen Lebensmittel-Großmarktes. Eines Tages entdeckt er dort zwischen den unter einem Regal aufgestellten Waren einen Tausend-DMSchein. Κ nimmt den Schein an sich und händigt ihn dem Betriebsleiter des Lebensmittel-Großmarktes aus. Dieser trägt den Vorgang, einer Weisung der M gemäß, in ein sog. "Fundbuch" ein. Ein Verlierer des Geldscheins meldet sich nicht. Nach einem halben Jahr verlangt Κ den Geldschein heraus. Er meint, er habe als Finder Eigentum an dem Geldschein erworben (§ 973 BGB). M hält dem entgegen, sie sei bei der Entdeckung des Tausend-DM-Scheines durch Κ

511

So auch Heck, Sachenrecht § 6 4. c zu einem ähnlichen Beispiel.

512

Siehe b ff.

513

Siehe oben a aa.

I. 3. Der Besitzwille

187

bereits Besitzerin des Geldes gewesen. Daher habe Κ den Geldschein nicht gefunden und auch keinen eigenen Besitz an ihm erlangt. Der BGH gab der M Recht: 514 Nach der Verkehrsanschauung erstrecke sich ihre tatsächliche Sachherrschaft über alle in ihren Geschäftsräumen befindlichen Sachen, soweit an diesen nicht anderweiter Besitz bestehe. Daher habe die M auch tatsächliche Sachherrschaft über den verlorenen Tausend-DM-Schein, zumal dieser "zwischen aufgestellten Waren" und damit an einer Stelle gelegen habe, die von den Angestellten der Beklagten zumindest zum Zwecke der regelmäßigen Bestandskontrollen und Warennachfüllung sowie zwecks Reinigung "mehr oder weniger regelmäßig in Augenschein genommen" werde. 515 Ferner sei es von Bedeutung, daß der Κ den Geldschein ohne entsprechende Nachsuche zwischen den zum Verkauf ausgestellten Waren erblickte. Daraus könne man schließen, daß der Geldschein deutlich sichtbar zwischen den ausgestellten Waren gelegen habe. 516 Der aufgezeigte weite Bereich der tatsächlichen Sachherrschaft sei allerdings grundsätzlich durch das Erfordernis des erkennbaren Besitzwillens zu begrenzen. Im vorliegenden Fall müsse aber auch diese Voraussetzung bejaht werden: Der M seien die von Dritten in ihren Räumen verlorenen Sachen nicht gleichgültig. Sie wolle diese Gegenstände nicht dem Zugriff jedes Dritten aussetzen, sondern im Interesse ihrer vom Verlust betroffenen Kunden oder auch Mitarbeiter behalten und in ihre Obhut nehmen. 517 M habe daher generellen Besitzwillen. Dieser generelle Besitzwille trete in der Anweisung der M an ihre Mitarbeiter, die in ihren Geschäftsräumen verlorenen und bei ihr abgegebenen Sachen in ein sog. "Fundbuch" einzutragen und getrennt zu verwahren, nach außen erkennbar hervor. 518 Diese Entscheidung des BGH ist zu Recht kritisiert worden. 519

(1) Kritik aus der Sicht der h.M. Sie erscheint schon vom Standpunkt der h.M. aus betrachtet, d.h. wenn man Sachherrschaft nach der Verkehrsanschauung und Besitzwillen für erforderlich hält, als zweifelhaft.

514

BGHZ 101, 186.

5,5

BGHZ 101, 186, 188 f.

516

BGHZ 101, 186, 189.

517

BGHZ 101, 186, 189.

518

BGHZ 101, 186, 190.

519

Dubischar, JuS 1989, 703 ff.; Ernst, JZ 1988, 359; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 52 und Rn. 200; Staudinger/Bund § 854 Rn. 18; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 321 f.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 103; vgl. auch Schreiber, Jura 1990, 446 f.

188

C. Die Besitztatbestände (a) Tatsächliche Sachherrschaft

Es ist zunächst mehr als fraglich, ob die Verkehrsauffassung, könnte man eine solche im vorliegenden Fall ermitteln, der M wirklich die tatsächliche Sachherrschaft zusprechen würde. Wer wie Κ zwischen Konservendosen und Lebensmittelpaketen einen Tausend-DM-Schein entdeckt, wird regelmäßig nicht davon ausgehen, das Geld stünde im Besitz eines anderen. Nimmt er den Geldschein an sich, etwa um ihn in ein Fundbüro zu bringen, hat er nicht das Gefühl, fremden Besitz durch verbotene Eigenmacht zu verletzen. 520 Die Lebensanschauung kann somit durchaus auch gegen eine tatsächliche Sachherrschaft der M angeführt werden. Die Argumente, mit denen der BGH gleichwohl die tatsächliche Sachherrschaft der M zu begründen versucht, sind keinesfalls überzeugend: Die deutliche Sichtbarkeit des Geldscheins erleichtert nicht nur seine Auffindbarkeit durch Angestellte der M, sondern auch den Zugriff durch Dritte und macht diesen sogar wahrscheinlich. Nach Ansicht einiger Kritiker der Entscheidung ist daher das "Mindestmaß an Ausschließung Dritter", das für das Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft unerläßlich sei, nicht erreicht. 521 Ferner kann die "mehr oder weniger" regelmäßige Augenscheinnahme des Warenregals durch die Angestellten der M eine tatsächliche Herrschaftsmacht über den Geldschein wohl kaum schon im voraus, d.h. vor seiner Entdeckung, begründen.

(b) Besitzwille Ebenfalls Anlaß zu Bedenken geben die Ausführungen des BGH zum Besitzwillen. Schon die einleitende Bemerkung, daß in dem Erfordernis des Besitzwillens und seiner Erkennbarkeit die entscheidende Eingrenzung des Bereichs der tatsächlichen Sachherrschaft bestehen soll, muß verwundern, handelt es sich doch gerade beim Besitzwillen um ein recht konturenloses und teilweise auf Fiktionen beruhendes Tatbestandsmerkmal. Dies gilt um so mehr, wenn man so großzügig mit dem Begriff des generellen Besitzwillens umgeht, wie der BGH es anschließend in seiner Entscheidung tut. Eine bedeutende selektive Funktion wird dem Merkmal des Besitzwillens daher, soweit ersichtlich, in der Literatur kaum zugemessen.522

520

Dubischar, JuS 1989, 705.

521

Schreiber, Sachenrecht, Rn. 52; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 12, S. 103.

522

Vgl. aber Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 322, der sich für eine Einschränkung der Lehre von der generalisierten Sachherrschaft einsetzt. Zur Funktionslosigkeit des Besitzwillens siehe bereits oben b hh.

I. 3. Der Besitzwille

189

Ferner wird man den Willen, wertvolle Gegenstände zu besitzen, die in den eigenen Räumlichkeiten von einem anderen verloren wurden, wohl jedem zusprechen können. Es ist daher einerseits gar nicht einzusehen, warum es für den Besitz der M überhaupt noch, wie vom BGH gefordert, 523 auf den Nachweis des generellen Besitzwillens ankommen soll. 524 Nimmt man aber andererseits die Forderung nach der Erkennbarkeit des Willens wirklich ernst, ist es zweifelhaft, ob man auf die Anweisung der M an ihre Angestellten und die Führung des "Fundbuches" abstellen darf. Diese Maßnahmen dienen nämlich nicht - wie etwa die Aufstellung eines Briefkastens - dem Besitzerwerb, sondern der späteren Aufbewahrung und Verwaltung der Fundsache.525 Es ist jedenfalls befremdlich, daß die Führung eines "Fundbuches" über die Frage entscheiden soll, ob Κ Finderlohn erhält oder nicht. 526 Den Κ wird diese Unterscheidung wohl kaum überzeugen.

(2) Grundsätzliche Kritik Die Richtigkeit dieser Entscheidung des BGH kann also, wie gezeigt, schon vom Boden der h.M. aus bestritten werden. Die Entscheidung hat jedoch eine grundsätzlichere Kritik verdient. Betrachtet man ihren Wortlaut, so fällt der hohe Anteil von Leerformeln und Allgemeinplätzen auf. Einwände, die der Kläger (hier der K) in seiner Revision gegen die tatsächliche Sachherrschaft oder den Besitzwillen der M vorgebracht hat, werden vom BGH mit dem bloßen Hinweis auf die Verkehrsanschauung 527 oder der Behauptung, sie seien lebensfremd, 528 abgetan. Die Begründung der Entscheidung erschöpft sich ferner vielfach, für den BGH ungewöhnlich, in dem Hinweis auf die Lebenswirklichkeit 529 oder in der Heranziehung von Vergleichsfällen 530. Eine tiefergehende Begründung, etwa unter Berücksichtigung teleologischer Gesichtspunkte, oder eine sorgfältige Interessenabwägung 531 ist in diesem Urteil, das immerhin den Abschluß eines als "Musterprozeß" gedachten Verfahrens 532 bildet, nicht zu

523

BGHZ 101, 186, 190.

524

Ernst, JZ 1988, 359 f.

525

Vgl. die Ausführungen der Revision in BGHZ 101, 186,190.

526

Vgl. auch Ernst, JZ 1988, 360.

527

BGHZ 101, 186, 189.

528

BGHZ 101, 186, 191.

529

BGHZ 101, 186, 189.

530

BGHZ 101, 186, 189 und 191 f.

531

In BGHZ 101, 186, 189 f. werden lediglich die Interessen der Κ angesprochen. Die des M werden nicht beachtet. 532

Vgl. Dubischar, JuS 1989, 703; Ernst, JZ 1988, 359.

C. Die Besitztatbestände

190

finden. Der Entscheidung wird daher zu Recht von den Kritikern Formelhaftigkeit vorgeworfen. 533 Allerdings argumentieren die Kritiker selbst wiederum teilweise mit Leerformeln: Die Behauptung, es fehle an dem "Mindestmaß an Ausschließung Dritter" 534 , enthält, da man dieses erforderliche Mindestmaß nicht bestimmen kann, keine sachlichen Aussage. Hier zeigt sich der Mangel der herrschenden Besitzlehre erneut recht deutlich. Da sie keine zuverlässigen Kriterien zur Bestimmung des Besitztatbestandes liefert, kann man mit ihr fast jedes Ergebnis erzielen und mit den Begriffen "Sachherrschaft", "Verkehrsanschauung" und "genereller Besitzwille" auch formal begründen. Zugleich verstellt diese Vorgehens weise den Blick auf die dem Sachverhalt zugrundeliegende Interessenlage und damit auch den Weg zu einem sachlich richtigen Resultat und einer überzeugenden Begründung. Das Gerede von der "Sachherrschaft" und der "Verkehrsanschauung" führt dazu, daß die Fälle begrifflich abgehandelt werden, ohne daß dabei die zugrundeliegende Interessenlage überhaupt gewürdigt wird.

(a) Fundrechtliche Interessen der Beteiligten Berücksichtigt man im vorliegenden Fall die Interessen der Beteiligten, dann muß man anders als der BGH entscheiden. Der BGH spricht die Interessen der Beteiligten nur am Rande und in unvollständiger Weise an: Bei der Feststellung des generellen Besitzwillens heißt es lapidar, die M wolle die Fundsache im Interesse ihrer vom Verlust betroffenen Kunden oder auch Mitarbeiter behalten. 535 In Kaufhäusern seien Verluste von Sachen nämlich häufig, vielfach würden Verlierer daher dort nach dem Verbleib der verlorenen Sache fragen. - Diese letzte Beobachtung ist zweifellos richtig, sie vermag aber ein Interesse des Verlierers am Besitzerwerb durch den Kaufhausinhaber schon vor der Entdeckung der Fundsache nicht zu begründen, denn solange der verlorene Tausend-DM-Schein unbemerkt zwischen den Regalen liegt, nützt es dem Verlierer nichts, wenn man dem Geschäftsinhaber juristisch den Besitz zuweist. 536 Im Gegenteil, der Besitz des Geschäftsinhabers steht der Rückführung des Geldes an den Berechtigten aus verschiedenen Gründen sogar eher entgegen: Fände der Verlierer seinen Geldschein nämlich wieder, so würde er verbotene Eigenmacht begehen, wenn er ihn an sich nähme und mit seinem Geld das Geschäft verließe - ein widersinniges Ergebnis. 537 Weil die Entscheidung des

533

Vgl. Emst, JZ 1988, 360.

534

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 I 2, S. 103.

535

BGHZ 101, 186, 189.

536

Ernst, JZ 1988, 361.

537

Ernst, JZ 1988, 360; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 52. Dies allein zeigt eigentlich schon, daß die Entscheidung des BGH nicht richtig sein kann.

I. 3. Der Besitzwille

191

BGH ferner dem Kunden eines Geschäfts jeden Anreiz nimmt, mit einer entdeckten Fundsache ordnungsgemäß zu verfahren, sinken zugleich die Chancen, daß der Verlierer seine Sache durch einen ehrlichen Entdecker, der die Fundsache aufnimmt und den Fund meldet, zurückerlangt: 538 Der Kunde hat der Entscheidung des BGH zufolge weder die Aussicht, Eigentum an der Fundsache zu erwerben (§ 973 BGB), noch hat er einen Anspruch auf Finderlohn. Er steht also sogar schlechter als bei einem Fund in einer Behörde (vgl. § 978 BGB). Fühlt er sich nicht aus ideellen Motiven dazu veranlaßt, die Sache abzuliefern, wird er sie daher bestenfalls an ihrem Ort belassen. Möglicherweise wird sie dort dann später von Angestellten des Geschäftsinhabers gefunden, allerdings bleibt sie bis dahin dem Zugriff Dritter ausgesetzt. Mancher Kunde wird jedoch, da ihm der Weg zu einem rechtmäßigen Eigentumserwerb verbaut ist, die Sache in unrechtmäßiger Weise an sich nehmen. Dies ist zwar als Fundunterschlagung (§ 246 StGB) oder, folgt man der dargelegten Ansicht des BGH auch auf dem Gebiet des Strafrechts, gar als Diebstahl (§ 242 StGB) strafbar. Bereits die BGB-Kommissionen haben aber erkannt, daß der Schutz des Verlierers durch das Strafrecht und das allgemeine Rechtsbewußtsein nur unvollständig ist. Sie schufen daher die Ansprüche des Finders, insbesondere den Anspruch auf einen allein am Wert der Fundsache orientierten Finderlohn, um "den Eifer in der Fürsorge für verlorenes fremdes Gut zu befördern und von der Unterschlagung abzuhalten"539. Der Finder werde es vorziehen, so die Überlegung, "sich in ehrlicher Weise einen Theil des Fundes zu verdienen, als sich unehrlicher Weise den ganzen Fund zuzueignen".540 Mit Hilfe der gesetzlichen Ansprüche des Finders sollte also das Interesse des Verlierers daran, die Sache zurückzuerhalten, gefördert werden. Dieser wesentliche Zweck des Fundrechts wird in dem praktisch häufigen Fall des Fundes in privaten, dem öffentlichen Verkehr eröffneten Räumen außer Kraft gesetzt, wenn man nicht den tatsächlichen Entdecker, sondern mit dem BGH den Inhaber der Räumlichkeit als Besitzer und Finder der Fundsache betrachtet. Dem Verlierer ist damit nicht gedient. In diesem Zusammenhang wird noch ein weiterer Gesichtspunkt deutlich, der sich erschwerend auf die Wiedererlangung der Sache auswirken kann: Dem Geschäftsinhaber kommen nach Ansicht des BGH die Vorteile des Fundrechts zu, ohne daß er dafür zunächst etwas leisten muß. Er braucht sich die Rechtsposition des Finders nicht durch Entdeckung und Inbesitznahme des verlorenen Gutes zu verdienen. Diese Rechtsposition bleibt ihm vielmehr auch erhalten, wenn er die Sache erst zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich findet. Dies wird wohl kaum seine Bereitschaft anregen, Fundsachen durch bestimmte 538

Ernst, JZ 1988,361.

539

Vgl. zum Zweck des Finderlohns Motive, Bd. 3, S. 381, bei Mugdan, Bd. 3, S. 212; Protokolle (2. Kommission), S. 3811, bei Mugdan, Bd. 3, S. 660. 540

Protokolle (2. Kommission), S. 3811, bei Mugdan, Bd. 3, S. 660.

192

C. Die Besitztatbestände

Maßnahmen, z.B. durch regelmäßiges Durchsuchen der Geschäftsräume, frühzeitig sicherzustellen. Insgesamt ist daher festzustellen, daß es den Interessen des Verlierers zuwiderläuft, wenn man die Fundsache bereits vor ihrer Entdeckung dem Besitz des Geschäftsinhabers zuordnet. In der Entscheidung des BGH werden aber nicht nur die berechtigten Interessen des Verlierers, sondern auch die des tatsächlichen Finders, d.h. des Kunden, übergangen. Der Zweck des Fundrechts beschränkt sich nämlich nicht darauf, die Rückführung der Sache an den Berechtigten zu fördern. Das Fundrecht gibt dem Finder auch Rechtspositionen, wie z.B. die Aussicht auf den Eigentumserwerb an der Fundsache (§ 973 BGB), und Rechte. Insbesondere kann der Finder Aufwendungsersatz (§ 970 BGB) und Finderlohn (§ 971 BGB) verlangen. Der Finderlohn ist dabei nicht nur als Belohnung für die Ehrlichkeit, sondern auch als Entgelt für die Mühe des Finders gedacht.541 Vor allem der letzte Aspekt greift im vorliegenden Fall ein: Der Κ hat Zeit und Mühe aufgewandt, indem er die Fundsache geborgen und abgeliefert hat und seine Personalien in das "Fundbuch" eintragen ließ. Er hat damit einen wesentlichen Beitrag zur Ermittlung des Verlierers geleistet. Ferner hat er sich durch sein Verhalten für den "ehrlichen Weg" entschieden. Es erscheint daher sachgerecht, den Κ als Finder des Tausend-DM-Scheins zu betrachten. Hingegen ist kaum ein sachlicher Grund ersichtlich, der M die Vorteile des Fundes zuzuweisen. Die M hat den Geldschein nicht entdeckt. Sie hat auch keine konkreten Maßnahmen zur Entdeckung oder Sicherstellung des Geldes ergriffen. 542 Die Führung des "Fundbuches" rechtfertigt es ebenfalls nicht, in M die Finderin des Tausend-DM-Scheins zu sehen, denn als die Eintragung in das "Fundbuch" erfolgte, war der Vorgang des Findens bereits abgeschlossen. Die Eintragung gibt auch kaum einen Anlaß für eine Belohnung der M, sie war nämlich nur mit wenigen Mühen verbunden und ist ferner kein Ausdruck von Ehrlichkeit, denn nach der Entdeckung des Geldes durch Κ kam eine Unterschlagung ohnehin nicht mehr in Betracht. Man kann in der Führung des "Fundbuches" wohl nichts anderes als einen Service der M gegenüber ihren Kunden sehen, der eine schnelle und unbürokratische Abwicklung von Fundangelegenheiten ermöglichen soll. Es wäre aber ein schlechter Dienst, den die M ihren "ehrlichen Kunden" erwiese, wenn sie ihnen durch die Führung des "Fundbuches" die Ansprüche aus einem Fund abschneiden könnte, zumal Finder und Berechtigter sich auch an ein öffentliches Fundbüro hätten wenden können. Man kann der M daher nur die Funktion eines Fundbüros zuerkennen.

541 542

Protokolle (2. Kommission), S. 3811, bei Mugdan, Bd. 3, S. 660.

In dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH zugrundelag, hatte M den Geldschein noch nicht einmal verwahrt, sondern in die Kasse gelegt und mit den übrigen Kassenbeständen vermischt.

I. 3. Der Besitzwille

193

Dadurch wird sie aber ebensowenig wie die "zuständige Behörde" gemäß § 965 Abs. 2 BGB zum Finder. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Beurteilt man die Interessen der Beteiligten nach den Wertungen des Fundrechts, so ist es sachgerecht, den Κ und nicht die M als den Finder des Tausend-DM-Scheins anzusehen.

(b) Kontinuitätsinteressen Allerdings entscheiden nicht die fundrechtlichen Interessen über die Frage, ob Κ Finder ist. Maßgeblich ist vielmehr die Besitzlage: Κ ist Finder, wenn er eine verlorene, d.h. eine besitzlose, aber nicht herrenlose 543 Sache entdeckt und in Besitz genommen hat 544 (§ 965 Abs. 1 BGB). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach den jeweiligen von einem schutzwürdigen Kontinuitätsinteresse getragenen Machtverhältnissen über die Sache.545 Erst bei der Prüfung der Schutzwürdigkeit des Kontinuitätsinteresses können die rechtlichen Wertungen des Fundrechts berücksichtigt werden. 546 Bevor Κ den Geldschein erblickte, war der Besitz des Verlierers bereits erloschen. Es ist zwar denkbar, daß der Verlierer selbst in der Lage war, den Geldschein nach einer Suche wiederzufinden. Dann wäre möglicherweise eine zukünftige physische Einwirkungsmöglichkeit zu bejahen. Jedenfalls hat sich der Verlierer aber nicht seinen eigenen Interessen gemäß verhalten, 547 als er den Tausend-DM-Schein in dem Geschäft zurückließ. Es obliegt dem Besitzer derartig kostbarer Gegenstände, ausreichende Vorkehrungen gegen ihren Verlust zu treffen. Wer einen Tausend-DM-Schein, sei es auch ohne Verschulden im technischen Sinne, unter den Regalen eines Supermarktes der Öffentlichkeit preisgibt, darf nicht darauf vertrauen, daß er auch weiterhin über dieses Geld tatsächlich verfügen kann. Er muß damit rechnen, daß ein anderer den Geldschein an sich nimmt. Das Geld schreit nämlich geradezu danach, aufgehoben und in Besitz genommen zu werden. Es liegt an einem Ort, der nicht sinnvoll ist, um die Kontinuitätsinteressen zu wahren. 548 Die Kontinuitätserwartung des Verlierers ist gegenüber einem Finder daher besitzrechtlich nicht schutzwürdig.

543

MünchKomm/Quack § 965 Rn. 3 ff.; Palandt/Bassenge Vorbem. vor § 965 Rn. 1.

544

MünchKomm/Quack § 965 Rn. 14 ff.; Palandt/Bassenge Vorbem. vor § 965 Rn. 2.

545

Siehe oben 2 f.

546

Vgl. oben 2 f bb (2) (d).

547

Vgl. dazu oben 2 f bb (2) (f).

548

Mit Jhering könnte man auch sagen, es befinde sich an einem Ort, der seiner wirtschaftlichen Verwendung nicht entspreche, vgl. dazu oben 1 f bb (3). 13 Härtung

C. Die Besitztatbestände

194

Auch die M hatte vor der Entdeckung des Geldes durch Κ noch keinen Besitz an dem Tausend-DM-Schein erworben. Zwar konnte auch sie durch ihre Angestellten potentiell zukünftig auf den Geldschein einwirken, es fehlte bei ihr aber an einem schutzwürdigen Kontinuitätsinteresse: Es ist bereits sehr zweifelhaft, ob die M überhaupt die für das Kontinuitätsinteresse grundsätzlich erforderliche Kontinuitätserwartung 549 gebildet hatte, denn sie konnte mit dem Vorhandensein des Geldes nicht rechnen. Anders als die etwa vor oder in den Räumlichkeiten der M abgestellten angelieferten Waren, bei denen ein Besitzerwerb auch ohne das Wissen der M zu bejahen ist, gelangte der Geldschein rein zufällig und unerwartet in ihr Geschäft. Bevor die M von ihm überhaupt erfuhr, hatte sie keinen Anlaß, auf eine fortdauernde Verfügbarkeit über ihn zu vertrauen. Selbst wenn man eine Kontinuitätserwartung der M bejaht, scheitert ein Besitzerwerb jedenfalls an der fehlenden Schutzwürdigkeit des Kontinuitätsinteresses. Ebenso wie der Verlierer handelte die M nämlich ihren eigenen Interessen zuwider, indem sie konkrete Maßnahmen zur Sicherstellung des Geldscheins unterließ. Genauso wie für den Verlierer lag auch für M der Geldschein an einem Ort, der zur Wahrung der zukünftigen Verfügbarkeit nicht sinnvoll war. Wollte M den Besitz an den Fundsachen erwerben, hätte sie durch eine ständige Kontrolle der Geschäftsräume für die sofortige Sicherstellung der Fundsache sorgen müssen. Solange sie den Geldschein noch nicht durch ihre Angestellten in Gewahrsam genommen hatte, mußte sie damit rechnen, daß eine dritte Person das Geld aufnahm und Besitz daran begründete. Aus der Tatsache, daß M Besitzerin der im Geschäft aufgestellten Waren und der übrigen in den Geschäftsräumen befindlichen Sachen, die nicht in fremdem Besitz stehen, ist, können keine Schlüsse für den Besitz an dem Tausend-DM-Schein gezogen werden. Entgegen der Ansicht des BGH kann man den Geldschein nicht mit den Waren 550 und den übrigen Sachen551 vergleichen. Der Tausend-DM-Schein unterschied sich nämlich durch die Interessenverletzung von den übrigen Gegenständen. Einen Tausend-DM-Schein in einem Regal aufzubewahren, das einem unüberschaubaren Personenkreis zugänglich ist, macht aus den genannten Gründen keinen Sinn und verdient daher auch keinen Schutz. Hingegen ist es durchaus sinnvoll, zum Verkauf angebotene Waren in einem Verkaufsregal aufzustellen. Dies ermöglicht den Kunden nicht nur, die Waren vor dem Kauf zu begutachten und zu vergleichen. Es erleichtert und beschleunigt auch den Einkaufsvorgang und gewährleistet so die ausreichende Versorgung der Bevölkerung. Der in einer modernen Industriegesellschaft erforderliche Umschlag von Gütern des täglichen Bedarfs wäre wohl

549

Vgl. oben 3 c.

550

Vgl. BGHZ 101, 186, 189.

551

Vgl. BGHZ 101, 186, 188.

I. 3. Der Besitzwille

195

ohne die Ausstellung der Waren in Verkaufsregalen überhaupt nicht zu erreichen. Man stelle sich die Alternative vor: Die M müßte jedes Stück Seife, jedes Paket Salz dem Kunden einzeln übergeben, die Entscheidung des Kunden, ob er es erwerben will, abwarten und, sollte dieser sich gegen den Kauf entscheiden, die Ware wieder annehmen und für den Kunden unzugänglich verstauen. Weil es somit eine sinnvolle Maßnahme ist, die Waren zugänglich auszustellen, kann man der M nicht vorwerfen, sie handele damit ihren Interessen zuwider. Darüber hinaus kann der mit der Ausstellung der Waren verbundene Zweck den übrigen Rechtssubjekten nicht verborgen bleiben. 552 Er kommt ihnen als Kunden zugute. Bei einer Abwägung der Kontinuitätsinteressen gebührt mithin der M der Vorzug. Die Kunden müssen die Kontinuitätsinteressen der M an den Waren und den übrigen Gegenständen, wie z.B. Werbetafeln, respektieren. M verdient daher hinsichtlich der aufgestellten Waren besitzrechtlichen Schutz. Sie darf darauf vertrauen, daß ein Dritter nicht gegen ihren Willen die Verfügungsmöglichkeit über die Waren beseitigt.553 Hingegen war der Tausend-DMSchein vor seiner Entdeckung noch nicht in den Besitz der M übergegangen. Daß Gegenstände, die in einem Gebäude verloren werden, nicht automatisch in den Besitz des Gebäudebesitzers, hier also der M, übergehen, entspricht im übrigen auch den Vorstellungen des Gesetzes. Dies folgt aus der Existenz der Sonderregelung für den Verkehrsfund. Die §§ 978 ff. BGB wären nämlich überflüssig, wenn die öffentliche Behörde ohne weiteres den Besitz an den in ihren Geschäftsräumen oder Beförderungsmitteln verlorenen Gegenständen erlangen würde. 554 Allerdings unterscheiden die Motive zwischen den dem Verkehre geöffneten Fundorten i.S. des §§ 978 ff. BGB einerseits und den Privatgebieten und Privaträumen andererseits: 555 Während bei den ersteren von der Besitzlosigkeit einer verlorenen Sache auszugehen sei, 556 unterständen die in Privaträumen befindlichen Sachen bereits einer gewissen Detention und könnten nicht im eigentlichen Sinne gefunden werden. Wie der Formulierung

552

Bei der Abwägung der Kontinuitätsinteressen kann auch ihre Erkennbarkeit eine Rolle spielen. Die Erkennbarkeit ist aber keine zwingende Voraussetzung des Besitzes. 553

Angesichts der hohen Zahl von Ladendiebstählen müßte man diese Aussage bezweifeln, wenn man mit der h.M. für den Besitz auf die Verkehrsanschauung abstellen würde. Nach der hier vertretenen Ansicht kommt es aber nicht auf die gerade in der Gesellschaft herrschenden Moralvorstellungen, sondern auf eine davon unabhängige Interessenbewertung an. Diese Interessenbewertung fällt zugunsten der M aus, auch wenn eine Vielzahl von Personen ihren Besitz nicht achtet. - Allerdings wird zur Zeit auch von den Vertretern der h.M. noch nicht der Besitz des Kaufmanns an seinen Waren im Regal bezweifelt. 554

Ernst, JZ 1988, S. 360.

555

Motive, Bd. 3, S. 387, bei Mugdan, Bd. 3, S. 215.

556

Diese Wertung ist vom Gesetzgeber anläßlich der Reform des Fundrechts erneut bekräftigt worden, vgl. BT-Drucks. 7/3559, S. 5. 13*

196

C. Die Besitztatbestände

von "einer gewissen Detention" zu entnehmen ist, bedeutet dies jedoch nicht, daß der Inhaber von Privaträumen stets als Besitzer der in seinen Räumen verlorenen Gegenstände zu betrachten wäre. 557 Es bedarf vielmehr wohl auch nach Ansicht der Motive einer Prüfung im Einzelfall. Weil Supermärkte und Großmärkte einem ähnlichen Publikumsverkehr ausgesetzt sind wie Behörden oder Verkehrsanstalten, und Gegenstände, die in ihren Räumen verloren werden, einer ähnlich geringen Kontrolle durch Angestellte unterliegen, ist es naheliegend, die besitzrechtlichen Erwägungen der Motive zu den dem Verkehr geöffneten Fundorten i.S. des §§ 978 ff. BGB auch auf sie anzuwenden.558 Der Tausend-DM-Schein war also, als Κ ihn fand, eine besitzlose, aber nicht herrenlose Sache. Κ hat an dem Geldschein Besitz begründet. Die Schutzwürdigkeit seiner Kontinuitätsinteressen folgt daraus, daß ihm, wie oben dargelegt, die Stellung eines Finders gebührt. Κ ist mithin Finder. Entscheidet man also über die Besitzlage durch eine Abwägung der Kontinuitätsinteressen, so gelangt man zu einem Ergebnis, das mit den fundrechtlichen Wertungen im Einklang steht.

557 558

Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 321.

Teilweise wird eine entsprechende Anwendung des § 978 BGB für den Fund im Supermarkt gefordert, so etwa von Dubischar, JuS 1989, S. 706 f. und Rother BB 1965, 247 ff. - Eine entsprechende Anwendung ist aber schon deshalb abzulehnen, weil es sich bei den §§ 978 ff. BGB um Sondervorschriften handelt, die weder einer erweiternden Auslegung noch einem Analogieschluß zugänglich sind. Ferner sind diese Vorschriften im wesentlichen auf den Amtscharakter der Behörden und Verkehrsanstalten zugeschnitten. Auch spricht die Entstehungsgeschichte gegen eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Norm. Des weiteren ist es sachlich nicht gerechtfertigt, das allgemeine Fundrecht zu Lasten des Individualfinders durch ein Sonderrecht der "privaten Anstalt" zu verdrängen und so den privaten Träger von Geschäftsräumen ähnlich zu bevorzugen wie den Staat, seine Untergliederungen oder Verkehrsanstalten. Eine Anwendung des § 978 BGB wäre auch nicht im Interesse des Verlierers, denn da gegenüber dem allgemeinen Fundrecht der Anreiz für den Entdecker, die Sache zu ergreifen, vermindert ist, sinken die Aussichten auf die Rückführung der Sache. Außerdem wäre der Verlierer gezwungen, sich ggf. an mehreren Stellen über den Verbleib der Sache zu erkundigen, wenn er den Verlustort nicht kennt. Aus diesen Gründen wendet sich die h.M. gegen eine Anwendung der §§ 978 ff. BGB auf Baulichkeiten mit privaten Zwekken: RGZ 108, 259, 260; Erman/Hefermehl § 978 Rn. 2; Emst, JZ 1988, 361; MünchKomm/Quack § 978 Rn. 6; Schwab/Prütting, Sachenrecht, § 45 V 4, S. 226; Staudinger/Gursky, 13. Bearb., § 978 Rn. 6 m.w.N.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, §59 III 1,S. 442.

I. 3. Der Besitzwille

197

bb) Der Gastwirtschaftstoiletten-Fall (RG JW 1925, 784 f.) 5 5 9 Bereits das Reichsgericht hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem es um einen Fund in fremden Privaträumen ging: Ein Gast findet auf dem Fußboden einer Gastwirtschaftstoilette eine Halskette mit Anhänger, die ein anderer dort zuvor verloren hat, und nimmt sie mit sich. Da das Schmuckstück verschmutzt ist, hatte es vermutlich bereits einige Zeit in dem Toilettenraum gelegen. Der Gastwirt fordert die Herausgabe des Schmuckes mit der Begründung, er habe eine besondere Aufsichtsperson angestellt, deren Aufgabe nicht nur die Reinigung der Räume, sondern ganz besonders die Aufsicht über liegengebliebene Gegenstände gewesen sei. Die Aufwärterin habe verlorene Gegenstände aufheben und ihm, dem Gastwirt, alsbald aushändigen sollen. Dadurch habe verhindert werden sollen, daß eine Besucherin Gegenstände finden könnte, die von anderen Gästen verloren worden seien. Sein Wille, den Besitz an den Gegenständen, die in den Toilettenräumen verloren würden, zu erwerben, sei damit in ausreichender Weise kundgetan. Die Finderin habe daher seinen Besitz verletzt, als sie den Schmuck mitnahm. Das Reichsgericht wies die Herausgabeklage des Gastwirtes ab: Der Besitz einer Sache setze grundsätzlich den Willen voraus, sie tatsächlich zu beherrschen. Allerdings sei es denkbar, daß jemand an Sachen, die in den Bereich seiner tatsächlichen Innehabung gelangten, Besitz erwerbe, bevor er von der Innehabung der Sachen Kenntnis erhalten habe. Dann müßten aber Maßnahmen getroffen worden sein, die einen allgemeinen, auch auf Empfang der betreffenden einzelnen Sache oder Sachen gerichteten Willen des Inhabers erkennen ließen. Beispiele dafür seien der an der Außentür einer Wohnung angebrachte Briefkasten, die aufgestellte Geldsammelbüchse sowie die zum Fang von Wildtieren errichteten Fallen. Der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich von diesen Beispielen wesentlich: Der Abort sei nicht dazu bestimmt, daß seine Besucher dort irgendwelche Gebrauchsgegenstände liegenlassen sollten. Auch die Einstellung einer Aufwärterin ändere daran nichts. Neben der Reinhaltung des Abortes obliege es ihr vor allem zu verhindern, daß irgendwelche Gegenstände in den Toilettenräumen zurückblieben und in die Hand des Abortbesitzers gerieten. Habe ein Besucher versehentlich einen Gegenstand zurückgelassen, müsse die Aufwärterin zunächst versuchen, ihn dem Verlierer oder der Verliererin wieder zuzustellen. Erst wenn dies nicht möglich sei, habe die Aufwärterin die Sache für den Inhaber des Betriebs, zu dem der Toilettenraum gehöre, als dessen Besitzdienerin zu verwahren. Erst dann gehe der Besitz auf den Betriebsinhaber über.

559 Mit Anm. Hedemann. Die Entscheidung ist in RGZ 108, 259 f. auszugsweise abgedruckt.

C. Die Besitztatbestände

198

Daß die herrschende Besitzlehre zumindest zu zweifelhaften Entscheidungsbegründungen führt, wird auch an diesen Ausführungen des Reichsgerichts deutlich. Auf den Widerspruch, der sich aus der Forderung nach dem Besitzwillen einerseits und der Behauptung, es genüge andererseits ein allgemeiner Wille ohne Kenntnis der Sache im Einzelfall, ergibt, 560 braucht hier nicht erneut eingegangen zu werden. 561 Läßt man aber einen generellen Willen für den Besitzerwerb genügen, so muß man wohl auch dem Gastwirt einen solchen zugestehen. Schließlich hat er durch die Einstellung der Aufwärterin konkrete Maßnahmen zur Begründung des Besitzes an den verlorenen Gegenständen ergriffen 562 und so seinen Besitzerwerbswillen nach außen hervortreten lassen. Die nahezu spitzfindig anmutende Unterscheidung des Reichsgerichts, die Aufwärterin begründe erst dann Besitz, wenn eine sofortige Rückführung der Sache nicht ohne weiteres ausführbar sei, vorher obliege es ihr, die Sache der Verliererin oder dem Verlierer wieder zuzustellen, zwingt demgegenüber nicht zu einer anderen Einschätzung. Das Reichsgericht übersieht hier nämlich, daß der Gastwirt durchaus schon Besitzer sein kann, während sich die Aufwärterin um die Rückgabe der Sache an den Berechtigten bemüht. Obwohl der Finder einer Sache für ihre Rückführung sorgen muß (vgl. §§ 965, 967 BGB), ist er als ihr Besitzer anzusehen. Daß die Toilettenräume, wie das Reichsgericht ferner bemerkt, grundsätzlich nicht dazu bestimmt sind, daß die Besucher dort irgendwelche Gebrauchsgegenstände liegenlassen sollen, ist richtig. Fraglich ist aber, warum es darauf ankommen soll. Nach h.M. setzt der Besitz nur die von einem Besitzwillen getragene tatsächliche Sachherrschaft voraus, eine besondere Zweckbestimmung des Herrschaftsbereichs wird jedoch im allgemeinen nicht gefordert. Im Ergebnis ist der Entscheidung des Reichsgerichts freilich zuzustimmen: 563 Die Interessenlage unterscheidet sich nicht von der im oben behandelten Großmarkt-Fall. Der Gastwirt hatte noch keinen Besitz an der Halskette, als der Gast sie fand. Er hat keinen Herausgabeanspruch. Der Gast ist Besitzer und Finder.

560

Hedemann, JW 1925, 784.

561

Siehe dazu oben b.

562

Dadurch unterscheidet sich dieser Fall von dem oben behandelten GroßmarktFall. Die dort von M getroffenen Maßnahmen, nämlich die Anweisung an die Angestellten, Fundsachen zu verwahren und in ein "Fundbuch" einzutragen, dienten vornehmlich der späteren Verwaltung der gefundenen Sachen. 563

A.A. Hedemann JW 1925, 784 und Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, §13 12, S. 69 f., anders 6. Aufl., S. 103.

I. 4. Die Aufrechterhaltung und Beendigung des unmittelbaren Besitzes

199

4. Die Aufrechterhaltung und die Beendigung des unmittelbaren Besitzes (§ 856 BGB) Die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung und die Beendigung des unmittelbaren Besitzes ergeben sich bereits aus dem bisher Gesagten: Der einmal begründete Besitz dauert an, solange ein überwiegendes schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse fortbesteht. Dies ist im Einzelfall durch eine Abwägung und Bewertung der beteiligten Kontinuitätsinteressen festzustellen. 564 Auf eine gegenwärtige tatsächliche Sachherrschaft kommt es nicht an. Der Besitzer hat nämlich ein Kontinuitätsinteresse nicht nur hinsichtlich der Gegenstände, auf die er derzeit tatsächlich einwirken kann, sondern auch an den Sachen, auf deren zukünftige Verfügbarkeit er vertraut. Daß Besitz auch an Sachen bestehen kann, die dem augenblicklichen Zugriff des Besitzers nicht unterliegen, ergibt sich somit schon aus der Definition des Besitztatbestandes565 selbst. Die Vorschrift des § 856 Abs. 2 BGB ist bereits aus dem allgemeinen Besitztatbestand zu erklären und hat vor allem eine klarstellende Bedeutung. Das Gesetz gibt in ihr zum Ausdruck, daß der Besitz nicht nur ein augenblickliches tatsächliches Herrschaftsverhältnis ist, sondern den Charakter eines Rechtsverhältnisses hat. 566 Gemäß § 856 Abs. 1 BGB endet der Besitz, wenn der Besitzer seine tatsächliche Gewalt über die Sache aufgibt oder in anderer Weise verliert. Die Unterscheidung zwischen Besitzaufgabe und Verlust "in anderer Weise" ist dabei besitzrechtlich ohne Bedeutung.567 Ebenso wie für die Begründung des Besitzes nach § 854 Abs. 1 BGB sind auch für die Beendigung der "tatsächlichen Gewalt" nicht die räumlichen Umstände oder die Intensität der physischen Sacheinwirkung maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr wiederum die Bewertung der Kontinuitätsinteressen. Eine Besitzaufgabe kann schon vorliegen, wenn der Besitzer die Sache nicht mehr haben will, 5 6 8 denn dann entfällt regelmäßig auch das Interesse an der 564

Siehe dazu oben 2 f bb (2) (b).

565

Siehe zum Besitztatbestand oben 2 f.

566

Die oben unter Β II 2 aufgeworfene Frage, ob es sich bei dem Besitz nach § 856 Abs. 2 BGB um einen Besitz ohne Sachherrschaft handelt, kann nur wie folgt beantwortet werden: Sicherlich liegt keine Sachherrschaft vor, die einen Besitzerwerb nach § 854 Abs. 1 BGB ermöglichen würde. Es besteht aber auch keine Sachherrschaft im Sinne einer gegenwärtigen tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit. Es handelt sich vielmehr, wie stets beim Besitz, um ein auf einer Interessenwertung beruhendes Rechtsverhältnis. 567 Sie ist allein für die Folgen des Besitzverlustes, etwa für die Frage, ob eine Sache i.S. des §§ 935, 1006 Abs. 1 S. 2, 1007, 1207 BGB abhanden gekommen ist, erheblich; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 58. 568

So auch MünchKomm/Joost § 856 Rn. 4; einschränkend Staudinger/Bund § 856 Rn. 4, 9.

C. Die Besitztatbestände

200

Aufrechterhaltung der tatsächlichen Beziehung zur Sache.569 Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Besitzwille nur eines von mehreren Kriterien ist und ein Kontinuitätsinteresse auch ohne Besitzwillen vorliegen kann. Insbesondere bei Gegenständen, die eindeutig einer Herrschaftssphäre des Besitzers, z.B. seiner Wohnung, zugeordnet sind, genügt daher die Aufgabe des Besitzwillens zur Beendigung des Besitzes nicht. 570 Hier müssen weitere Umstände, wie etwa die Beseitigung der Sache oder die Übergabe an einen anderen, hinzutreten. Ein Wegfall des Besitzwillens ist auch dann unerheblich, wenn der Besitzer die Sache weiterhin nutzt oder zur Nutzung bereithält. Ein Besitzverlust "in anderer Weise" tritt ein, wenn die Besitzbeendigung ohne oder gegen den Willen des Besitzers erfolgt. Dies ist etwa der Fall, wenn die Sache in eine Lage gerät, in der der Besitzer auf sie zukünftig nicht mehr selbständig wird einwirken können,571 z.B. weil er die Sache an einem unbekannten Ort außerhalb seiner Herrschaftssphäre verloren hat oder weil ein Dritter den Besitz ergriffen hat. Zum Besitzverlust "in anderer Weise" gehört auch der Fall, daß der Besitzer sich nicht seinen eigenen Interessen gemäß verhält. 572

II. Die anderen Besitztatbestände Gegenstand des nun folgenden Teils dieser Abhandlung ist es, die Voraussetzungen der übrigen Besitztatbestände des BGB (§§ 854 Abs. 2, 855, 857, 868) zu bestimmen. Dazu kann weitgehend auf die bereits gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen werden.

1. § 854 Abs. 2 BGB Gemäß § 854 Abs. 2 BGB genügt für den Besitzerwerb die Einigung mit dem bisherigen Besitzer, wenn der Erwerber in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben. a) Rechtsgeschäftlicher

Erwerb?

Die überwiegende Meinung sieht in § 854 Abs. 2 BGB einen von § 854 Abs. 1 BGB völlig verschiedenen Besitzerwerbstatbestand: Der Erwerber erlange nicht, wie bei § 854 Abs. 1 BGB, wirkliche tatsächliche Sachherrschaft über die Sache, sondern nur die bloße Möglichkeit der Gewaltausübung und daher ge569

Siehe oben 3 c.

570

Vgl. oben 3 c.

571

Siehe dazu oben 2 f aa und 2 f bb (2) (a).

572

Siehe dazu oben 2 f bb (2) (f).

II. l . § 854 Abs. 2 BGB

201

genüber Abs. 1 ein "Weniger". 573 Anders als bei einem Erwerb nach § 854 Abs. 1 BGB beruhe demgemäß die Besitzerlangung nach § 854 Abs. 2 BGB auch nicht auf einem Realakt, sondern auf einem Rechtsgeschäft. 574 Daher unterliege die Einigung nach § 854 Abs. 2 BGB allen Regeln über Willenserklärungen. Erforderlich sei deshalb Geschäftsfähigkeit, bloße natürliche Willensfähigkeit reiche nicht aus. Des weiteren sei die Einigung nach Maßgabe der §§ 119 ff. BGB anfechtbar. 575 Auch Stellvertretung gemäß §§ 164 ff. BGB sei möglich. 576 Die h.M. kann nicht überzeugen. Sie wird schon ihren eigenen dogmatischen Grundlagen zum Besitzrecht nicht gerecht: Ein Besitztatbestand, der dem Besitzer "weniger" als die tatsächliche Sachherrschaft vermittelt, oder - anders formuliert- ein Tatbestand ohne tatsächliche Sachherrschaft, verträgt sich kaum mit der oben bereits erörterten Annahme der h.M. 5 7 7 , Besitz sei mit tatsächlicher Sachherrschaft gleichzusetzen. Jene Einordnung des Besitzes als bloße Tatsache steht auch der Qualifizierung des § 854 Abs. 2 BGB als Rechtsgeschäft entgegen, denn ein tatsächliches Verhältnis kann durch ein Rechtsgeschäft weder begründet noch übertragen werden. 578 Die h.M. führt mithin zwangsläufig zu einer unbefriedigenden Aufspaltung des unmittelbaren Besitzes: Unmittelbarer Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB ist ihr zufolge tatsächliche Sachherrschaft, unmittelbarer Besitz nach § 854 Abs. 2 BGB eine gleich einem Recht durch Vertrag übertragbare Rechtsposition.579 Es ist aber nicht nur wegen dieser inneren Widersprüche der h.M., sondern vor allem wegen des engen Zusammenhangs mit § 854 Abs. 1 BGB abzulehnen, in § 854 Abs. 2 BGB einen von Abs. 1 völlig verschiedenen Besitztatbestand zu sehen. Bei § 854 Abs. 2 BGB handelt es sich nämlich offensichtlich

573 Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, S. 66; Biermann § 854 Anm. 6; Cosack/Mitteis, 2. Bd., § 7 I 2 b, S. 26; J. von Gierke, Sachenrecht, §7112, S. 18; RGRK/Kregel § 854 Rn. 14; Schlegelberger/Vogels/Pritsch § 854 Rn. 33; Siebert JW 1936, 2453 zu Nr. 3; Soergel/Mühl § 854 Rn. 14; Staudinger/Bund § 854 Rn. 25; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 11 II; so wohl auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β II 2 c, S. 56 f. 574

Erman/Werner § 854 Rn. 15; Palandt/Bassenge § 854 Rn. 9; Planck/Brodmann § 854 Anm. 3 a, S. 41 f.; RGRK/Kregel § 854 Rn. 15; Soergel/Mühl § 854 Rn. 2, 15; Staudinger/Bund § 854 Rn. 29. 575 Vgl. nur Palandt/Bassenge § 854 Rn. 9; Soergel/Mühl § 854 Rn. 15; Staudinger/Bund § 854 Rn. 30. 576 Vgl. nur Palandt/Bassenge § 854 Rn. 9; Soergel/Mühl § 854 Rn. 15; Staudinger/Bund § 854 Rn. 30. 577

Siehe oben Β II.

578

MünchKomm/Joost § 854 Rn. 21; siehe auch oben Β III 2 a.E.

579

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 II 2 b, S. 151.

202

C. Die Besitztatbestände

um einen Unterfall des § 854 Abs. 1 BGB. Dies legt schon die systematische Stellung dieser Vorschrift als zweiter Absatz des § 854 BGB nahe, folgt aber auch aus ihrem Wortlaut: Gemäß § 854 Abs. 2 BGB "genügt" die Einigung zum Erwerbe. Diese Formulierung bringt zum Ausdruck, daß ein Besitzerwerb nach Abs. 2 zumindest keine höheren Anforderungen zu erfüllen hat als ein Besitzerwerb nach Abs. I . 5 8 0 Die Regelung des Abs. 2 ist danach also sachlich bereits in der des Abs. 1 enthalten. Die Entstehungsgeschichte bestätigt diese Einordnung: 581 Nach dem Willen der 1. BGB-Kommission handelt es sich bei § 854 Abs. 2 BGB um "eine Bestimmung erklärender Natur". 582 Die Norm sollte klarstellen, daß beim Besitzerwerb durch Einigung eine an der Sache selbst vorgenommene Besitzhandlung nicht erforderlich sei, denn es wäre ein ungerechtfertigter Formalismus, wenn die Praxis in diesen Fällen später eine solche Handlung verlangen würde. 583 Die Kommission wich hier also von ihrem Grundsatz, die nähere Bestimmung der Besitzerwerbsvoraussetzungen der freien richterlichen Würdigung zu überlassen, 584 ab. Sie wollte der Gefahr vorbeugen, daß wegen einer zu engen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Erlangung der tatsächlichen Gewalt (§ 797 E 1) schutzwürdige Fälle nicht als Besitz angesehen würden. 585 Diese Gefahr bestand in der Tat, denn der relativ unbestimmte Begriff der "tatsächlichen Gewalt" ist zumindest bei wörtlicher Auslegung kaum geeignet, alle Fallkonstellationen einverständlichen Besitzübergangs, die als Besitz schutzwürdig sind, zu erfassen. Wenn sich beispielsweise der Besitzer Β und der Käufer Κ über den Besitzübergang an einer zur Zeit wegen Schneeverwehungen nicht erreichbaren Gebirgshütte einigen, wird man dem Κ wohl kaum "tatsächliche Sachherrschaft" im wörtlichen Sinne an der Hütte zubilligen können. Gleichwohl verdient Κ zweifellos Besitzschutz.

Der Gesetzgeber wollte also mit § 854 Abs. 2 BGB keinen neuen Besitztatbestand schaffen, sondern sicherstellen, daß der allgemeine Besitztatbestand über seinen zu engen und daher mißverständlichen Wortlaut hinaus angewendet wird. 5 8 6

580

Vgl. auch Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 171 f.

581

Zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung der in § 854 Abs. 2 BGB enthaltenen Regelung bis zur Entstehung des BGB siehe Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 172 f. 582

Motive, Bd. 3, S. 93, bei Mugdan, Bd. 3, S. 51.

583

Motive, Bd. 3, S. 93, bei Mugdan, Bd. 3, S. 51.

584

Motive, Bd. 3, S. 93, bei Mugdan, Bd. 3, S. 51.

585

Vgl. dazu Planck/Brodmann § 854 Anm. 3, S. 41.

586

Man kann also auch die Schaffung des § 854 Abs. 2 BGB als Beleg dafür ansehen, daß es dem Gesetzgeber für den Besitz weniger auf den Begriff der tatsächlichen Gewalt als auf die Schutzwürdigkeit des Besitzers ankam; vgl. dazu schon oben 1 f bb (3).

II. l . § 854 Abs. 2 BGB

203

Es ist folglich vor allem wegen des Wortlautes, der systematischen Stellung und der Entstehungsgeschichte von § 854 Abs. 2 BGB abzulehnen, in dieser Vorschrift einen von § 854 Abs. 1 BGB völlig verschiedenen Tatbestand zu erblicken. Aus diesem Grund kann es sich bei § 854 Abs. 2 BGB auch nicht um einen Fall rechtsgeschäftlichen Besitzerwerbs handeln.

b) § 854 Abs. 2 BGB als Tatbestand tatsächlicher Sachherrschaft Ein Teil der Literatur zieht aus der Wesensgleichheit von § 854 Abs. 1 und Abs. 2 BGB den Schluß, daß auch der Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB auf der Grundlage tatsächlicher Sachherrschaft beruhe. 587 § 854 Abs. 2 BGB verzichte nicht auf das Erlangen der tatsächlichen Gewalt. Der Erwerber erhalte vielmehr durch die Einigung tatsächliche Sachherrschaft i.S. des § 854 Abs. 1 BGB über die Sache. Daher handele es sich bei der Einigung nicht um ein Rechtsgeschäft, sondern um ein tatsächliches Einverständnis. Die Regeln über die Geschäftsfähigkeit, die Anfechtung und die Stellvertretung fanden deshalb keine Anwendung. Diese Auffassung wird zwar dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen den beiden in § 854 BGB enthaltenen Tatbeständen gerecht und verdient daher insoweit grundsätzlich Zustimmung. Sie ist dennoch abzulehnen, weil sie den Begriff der "tatsächlichen Sachherrschaft" über den natürlichen Sprachgebrauch hinaus auf Fälle mit bloßer zukünftiger Einwirkungsmöglichkeit ausdehnt. 588 Die für den Besitz erforderliche Interessenabwägung wird auf diese Weise durch eine begriffsjuristische Methode verdrängt oder zumindest verschleiert. Einer Ausdehnung des Sachherrschafisbegriffs auf § 854 Abs. 2 BGB bedarf es auch überhaupt nicht. Wie bereits mehrfach erwähnt, 589 kommt es für den Besitz nämlich weniger auf das Bestehen von "tatsächlicher Gewalt" als vielmehr auf das Vorliegen eines überwiegend schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses an.

587 Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 180 f.; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 21; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 55; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 II 2 a, S. 152; E. Wolf, Sachenrecht, § 2 E 2, S. 83; Kress, Besitz und Recht, S. 316 ff.; Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. II, S. 29 m.w.N. Siehe dazu auch bereits oben I 2 d. 588

Vgl. zu dieser Problematik bereits oben 12 d aa.

589

Vgl. dazu nur oben I 1 f bb (3).

C. Die Besitztatbestände

204

c) Übergang des Kontinuitätsinteresses Zwar sollte man aus dem engen Zusammenhang von § 854 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nicht den Schluß ziehen, § 854 Abs. 2 BGB sei ein Tatbestand tatsächlicher Sachherrschaft. Da es sich, wie soeben dargelegt, bei § 854 Abs. 2 BGB aber um einen Unterfall von § 854 Abs. 1 BGB handelt, können die zu § 854 Abs. 1 BGB gewonnenen Erkenntnisse auf § 854 Abs. 2 BGB übertragen werden. Die Voraussetzungen von § 854 Abs. 2 BGB sind also aus den Tatbestandsmerkmalen des oben bei § 854 Abs. 1 BGB aufgestellten Besitztatbestandes590 herzuleiten. Als Voraussetzungen des Besitzes wurden dort ein überwiegend schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse sowie - aufgrund des Wortlautes dieser Vorschrift im Fall des § 854 Abs. 1 BGB - eine auf Tatsachen beruhende, zumindest zukünftige, physische Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache erkannt.

aa) Einwirkungsmöglichkeit Auch ein Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB kommt also nur in Betracht, wenn der Erwerber zumindest zukünftig die Möglichkeit hat, auf die Sache einzuwirken. Das Gesetz umschreibt dies mit der "Lage ..., die Gewalt über die Sache auszuüben".

bb) Einigung Des weiteren ist für den Besitzerwerb erforderlich, daß der Erwerber ein überwiegend schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse erlangt. Weil bei einem Erwerb nach § 854 Abs. 2 BGB die tatsächliche Lage der Sache unverändert bleibt, muß der Übergang des Kontinuitätsinteresses auf den neuen Besitzer allein durch die Einigung bewirkt werden. Nichts anderes als die Einigung begründet also den Interessenübergang. Dieser Umstand läßt sowohl Rückschlüsse auf die Lage, in der sich die zu erwerbende Sache befinden muß, als auch auf die Beschaffenheit der Einigung zu: Ein Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB kommt nur in Betracht, wenn sich die Sache gegenwärtig an einem Ort befindet, der dem Erwerber eine selbständige Einwirkung ermöglicht. Ein Kontinuitätsinteresse kann nämlich nur an Gegenständen bestehen, auf die man selbständig einwirken kann. 591 Die Sache muß daher jedermann, zumindest aber dem Erwerber, 592 frei zugänglich sein. 590

Siehe oben C I 2 f.

591

Siehe o b e n C I 2 f b b (2) (a).

592

So auch MünchKomm/Joost § 854 Rn. 23; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 55.

II. l . § 854 Abs. 2 BGB

205

Da ein Kontinuitätsinteresse auch an solchen Sachen möglich ist, auf die man nicht augenblicklich zugreifen kann, 593 steht eine große Entfernung zur Sache oder ein vorübergehendes Zugangshindernis, z.B. Hochwasser oder Schneeverwehungen, einem Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB jedoch nicht entgegen. 594 Es genügt dann eine zukünftige selbständige Einwirkungsmöglichkeit. Die Einigung muß so beschaffen sein, daß der Erwerber durch sie ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse erlangt. Der neue Besitzer muß also aufgrund der Einigung auf die zukünftige tatsächliche Verfügbarkeit der Sache vertrauen dürfen. Soll der Erwerber Alleinbesitz und nicht nur Mitbesitz erhalten, muß der bisherige Besitzer zudem gleichzeitig seinen Kontinuitätsschutz wirksam aufgeben. 595 Da schon eine tatsächliche Einigung das Vertrauen auf die zukünftige Verfügbarkeit begründen kann und auch die Besitzaufgabe nur einen natürlichen Aufgabewillen voraussetzt, ist eine rechtsgeschäftliche Einigung nicht erforderlich. Schon eine Einigung mit natürlichem Willen kann ein überwiegend schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse entstehen lassen, ohne daß es auf die Einhaltung der gesetzlichen Regeln über das Rechtsgeschäft ankommt. Die gesetzlichen Regeln über das Rechtsgeschäft gelten also grundsätzlich nicht. Die Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit, zur Anfechtung und zur Stellvertretung finden somit keine Anwendung.

cc) Anwendung der gesetzlichen Regeln über das Rechtsgeschäft Allerdings kann im Einzelfall ein in den Vorschriften über das Rechtsgeschäft enthaltener Rechtsgedanke zum Tragen kommen. So wird man z.B. eine Stellvertretung zulassen können, sofern der Vertretene eine selbständige Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache hat. Dann erscheint sein Kontinuitätsinteresse als schutzwürdig. Auch wird man einzelnen Vorschriften über das Zustandekommen von Verträgen heranziehen können. 596 Eine entsprechende Anwendung der Normen über die Anfechtung (§§ 119 ff. BGB) kommt hingegen schon deshalb nicht in Betracht, weil sie dem engen Zusammenhang zu § 854 Abs. 1 BGB widersprechen würde. Es ist nicht einzusehen, warum die Einigung nach § 854 Abs. 2 BGB anders behan-

593

Dies wird an § 856 Abs. 2 BGB deutlich, siehe dazu oben C I 4.

594

Wie hier auch Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 III 2; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 11 II; a.A. Planck/Brodmann § 854 Anm. 3 b, S. 43. 595 Für den Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB ist die Besitzaufgabe durch den bisherigen Besitzer somit nicht zwingende Voraussetzung; MünchKomm/Joost § 854 Rn. 24; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 57; a.A. BGHZ 27, 360, 362 m.w.N.; Staudinger/Bund § 854 Rn. 27; Gursky JZ 1984, 604; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 III 1, S. 106. 596

Vgl. Rosenberg, Sachenrecht, § 854 Anm. II 2 e, S. 34.

206

C. Die Besitztatbestände

delt werden sollte als die einverständliche Besitzübertragung nach § 854 Abs. 1 BGB. 5 9 7 Ließe man die Anfechtung zu, müßte man im übrigen folgerichtig auch ein Abhandenkommen der Sache i.S. des § 935 BGB bejahen und einen gutgläubigen Erwerb durch Dritte ausschließen. Dieser den Interessen des Rechtsverkehrs zuwiderlaufende Schluß wird nicht einmal von der h.M. gezogen, obwohl sie die §§ 119 ff. BGB unmittelbar anwenden will. Die Begründung dieser Inkonsequenz ist interessant: Für den gutgläubigen Erwerb des Dritten müsse es wohl genügen, daß der bisherige Besitzer dem Erwerber die Inbesitznahme tatsächlich gestattet habe, er ihm also Vertrauen geschenkt habe. 598 Diese Argumentation zeigt nicht nur, daß die Einordnung der Einigung als Rechtsgeschäft unrichtig ist, sondern auch, daß in Wahrheit die Schutzwürdigkeit des Vertrauens über den Besitz entscheidet. Dann muß man dem Erwerber den Besitz aber nicht nur im Hinblick auf § 935 BGB bei einer Weiterveräußerung, sondern insgesamt zubilligen. Auch wenn die Einigung auf einem Irrtum, einer Täuschung oder einer Drohung beruht, darf der Erwerber wegen der Erklärung des bisherigen Besitzers auf die Verfügbarkeit der Sache vertrauen. Redlichkeit ist keine Voraussetzung des Besitzerwerbs. Dies wird schon beim Besitzerwerb durch einen Dieb deutlich. Die Anfechtung ist also auch deshalb nicht zuzulassen, weil das Bestehen eines Anfechtungsgrundes die Verlagerung des Kontinuitätsinteresses auf den Erwerber nicht entfallen läßt. Allenfalls bei schwerwiegenden widerrechtlichen Drohungen, die eine selbständige Willensbildung des bisherigen Besitzers ausschließen, wird man ausnahmsweise einen Besitzübergang verneinen dürfen.

d) Ergebnis § 854 Abs. 2 BGB ist ein Unterfall des § 854 Abs. 1 BGB. Ein Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB setzt voraus, daß der Erwerber selbständig auf die Sache einwirken kann. Vorübergehende Einwirkungshindernisse stehen einem Besitzerwerb nicht entgegen. Ferner müssen sich der bisherige Besitzer und der Erwerber über den Besitzerwerb einigen. Die Einigung ist kein Rechtsgeschäft. Sie ist nicht anfechtbar.

597

Diesen Zusammenhang übersieht Heck, Sachenrecht, § 10, 6., wenn er meint, es liege keine Veranlassung vor, diejenigen Interessen der Kontrahenten, die durch die Bestimmungen über Rechtsgeschäfte allgemein geschützt würden, im Falle des § 854 Abs. 2 BGB nicht zu schützen; siehe hierzu auch Joost, Gedächtnisschrift für Schultz, S. 170. 598 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β II 2 c cc, S. 57; vgl. auch Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 13 III 2, S. 106.

II. 2. § 855 BGB

207

2. § 855 BGB Wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache nicht für sich selbst, sondern für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, ist gemäß § 855 BGB nicht Besitzer. Er wird überwiegend als Besitzdiener bezeichnet.599 Besitzer ist "nur der andere", also derjenige, von dem der Besitzdiener die Weisungen erhält (Besitzherr).

a) § 855 BGB als ein Tatbestand tatsächlicher Sachherrschaft

des Besitzherrn

Betrachtet man den Wortlaut und die systematische Stellung des § 855 BGB, so erscheint diese Rechtsnorm zunächst als eine Ausnahmevorschrift zu § 854 Abs. 1 BGB: Obwohl der Besitzdiener die tatsächliche Gewalt über die Sache "ausübt" und daher eigentlich den Besitztatbestand des § 854 Abs. 1 BGB erfüllt, ist er wegen § 855 BGB dennoch nicht Besitzer. Tatsächliche Sachherrschaft und Besitz fallen also bei § 855 BGB auseinander. Es ergeben sich somit auch aus der Regelung des § 855 BGB Widersprüche gegen die bereits abgelehnte 600 , von der h.M. befürwortete Gleichsetzung des Besitzes mit tatsächlicher Sachherrschaft. aa) Soziales Abhängigkeitsverhältnis Die h.M. versucht, diese Widersprüche zu überwinden, indem sie nicht dem Besitzdiener, sondern dem Besitzherrn die tatsächliche Herrschaft über die Sache, d.h. eine überwiegende Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache, zuspricht. 601 Sie leitet die Voraussetzungen des Besitzdienerverhältnisses folglich aus ihrer These ab, das Wesen des unmittelbaren Besitzes sei tatsächliche

599

RGRK/Kregel § 855 Rn. 1; Staudinger/Bund § 855 Rn. 2; kritisch gegenüber diesem Ausdruck MünchKomm/Joost § 855 Rn. 2. Die Bezeichnung des "anderen" als Besitzherr geht auf Bekker, JherJb 34 (1895), 1, 21 zurück. 600 601

Siehe dazu bereits oben Β II.

RGZ71, 248, 251; Eichler, Sachenrecht, 2. Bd. 1. Hlbbd. 1. Kapitel C III 1, S. 29.; Palandt/Bassenge § 855 Rn. 1; RGRK/Kregel § 855 Rn. 5; Rosenberg, Sachenrecht § 855 Anm. II 1, S. 42; Soergel/Mühl § 855 Rn. 1; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II, S. 89; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 a, S. 156; vgl. auch Müller, Sachenrecht, Rn. 217; Schapp Rn. 57; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 339; anders MünchKomm/Joost § 855 Rn. 1 und Schreiber, Sachenrecht, Rn. 77: Verlagerung der Rechtsfolgen des Besitzes auf den Weisungsberechtigten.

208

C. Die Besitztatbestände

Sachherrschaft: 602 Das Verhältnis zwischen dem Besitzherrn und dem Besitzdiener müsse so beschaffen sein, daß es dem Besitzherrn die tatsächliche Gewalt über die Sache vermittele. Deshalb müsse es selbst ein Herrschaftsverhältnis sein. 603 Der Besitzdiener dürfe lediglich als ein "Werkzeug" erscheinen, mit dessen Hilfe der Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft ausübe.604 Erforderlich sei mithin ein soziales Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Besitzdiener und dem Besitzherrn, kraft dessen der Besitzdiener an die sich auf die Sache beziehenden Weisungen des Besitzherrn gebunden sei. 605 Dieses Erfordernis ergebe sich im übrigen auch aus den in § 855 BGB genannten Beispielsfällen "Haushalt" und "Erwerbsgeschäft", denn der in einem fremden Haushalt oder Unternehmen Tätige sei der Untergebene der haushaltsführenden oder das Unternehmen leitenden Person, 606 und mithin sozial von ihr abhängig. Während es beim Besitzmittlungsverhältnis gemäß § 868 BGB, das auf einer grundsätzlichen Gleichordnung der Beteiligten beruhe, um "Forderung und Verpflichtung" gehe, lasse sich das soziale Abhängigkeitsverhältnis mit den Worten "Befehl und Gehorsam" kennzeichnen.607 Ausschlaggebend sei letztlich, ob der Besitzdiener derart vom Besitzherrn abhängig sei, daß er im Einzelfall unbedingt den in bezug auf die Sache erteilten Weisungen Folge leisten müsse, und ob der Besitzherr im Falle der Gehorsamsverweigerung als befugt anzusehen sei, seine Weisungen aus eigener Machtvollkommenheit durch unmittelbaren Zugriff auf die Sache selbst durchzusetzen. 608 Über diese Fragen

602

Vgl. nur Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 89.

603

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 89.

604

Vgl. RGZ 71, 248, 251; BGH L M § 1006 Nr. 2; RGRK/Kregel § 855 Rn. 5 f.; Schapp Rn. 57. 605

Ein soziales Abhängigkeitsverhältnis fordern RGZ 71, 248, 251; BGH L M Nr. 2 zu § 1006 BGB; BGHZ 27, 360, 363; Erman/Werner § 855 Rn. 2; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, § 7 4a, S. 37 f. ("Besitzausübung in weisungsgebundener Stellung"); Heck, Sachenrecht, § 7 , 3 , S. 29; Hoche JuS 1961, S. 73 f.; Krüger, Erwerbszurechnung, S. 127 f.; Lange, Sachenrecht, § 10 II 2 a, S. 49; Leonhard, Vertretung beim Fahrniserwerb, S. 63 f f ; Müller, Sachenrecht, Rn. 215 ff. ("soziales Über- und Unterordnungsverhältnis"); Palandt/Bassenge § 855 Rn. 1; Planck/Brodmann § 855 Anm. 2, S. 48; RGRK/Kregel § 855 Rn. 5; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 78; Soergel/Mühl § 855 Rn. 3; Schapp Rn. 57; Staudinger/Bund § 855 Rn. 6 (mit Einschränkungen), vgl. auch Rn. 30; Westermann JuS 1961, S. 80; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 89; Wolff/ Raiser, Sachenrecht, § 6 III; vgl. auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 C I 2, S. 65. 606

Staudinger/Bund § 855 Rn. 6.

607

Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 6 III, S. 27; Schapp Rn. 57; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 90. 608

Müller, Sachenrecht, Rn. 219; Rosenberg, Sachenrecht, § 855 Anm. II 2 c, S. 43 m.w.N.; Staudinger/Bund § 855 Rn. 16.

II. 2. § 855 BGB

209

entscheide die Verkehrsanschauung. 609 Bloße wirtschaftliche Abhängigkeit genüge für ein soziales Abhängigkeitsverhältnis nicht. 6 1 0 Das soziale Abhängigkeitsverhältnis kann sich nach h.M. sowohl auf privatem (z.B. Dienstverhältnis) als auch auf öffentlichem Recht (z.B. Beamtenverhältnis), auf Vertrag oder auf Gesetz gründen. 611 Ein wirksames Rechtsverhältnis wird jedoch nicht für zwingend erforderlich gehalten: 612 Die Unwirksamkeit eines beabsichtigten Rechtsverhältnisses, z.B. eines Dienstvertrages, beeinflusse das Besitzdienerverhältnis nicht, solange die Beteiligten davon ausgingen, daß der Besitzdiener den Weisungen des "anderen" folgen müsse.613 Ein Überund Unterordnungsverhältnis könne sich ferner auch aus reiner Gefälligkeit ergeben, etwa wenn jemand im Haus oder im Geschäft des Nachbarn aushelfe. 614 Maßgebend sei nämlich nicht die rechtliche Beziehung zwischen den Beteiligten, entscheidend sei vielmehr, daß der Besitzdiener sich tatsächlich unterordne 615 und unter dem regelmäßigen, tatsächlichen, unmittelbaren Einfluß des Besitzherrn stehe 616 . Am sinnfälligsten äußere sich die soziale Abhängigkeit, wenn die betreffende Sache und der Besitzdiener in eine bestehende Organisation eingeordnet seien, in der der Wille des Inhabers befehle. 617 Beispiele dafür seien Haushalt und Erwerbsgeschäft, sowie öffentliche Anstalten, Post und Bahn. Aber auch ohne eine organisatorische Einordnung wird Besitzdienerschaft bejaht. Beispielsweise sei der Gepäckträger auf dem Bahnhof der Besitzdiener des Reisenden.618 Auch soll eine erhebliche räumliche Entfernung der Annah609

Müller, Sachenrecht, Rn. 219; RGRK/Kregel § 855 Rn. 6; Rosenberg, Sachenrecht, § 855 Anm. I I 2 c, S. 43; Erman/Werner § 855 Rn. 3. 610

BGHZ 27, 360, 363; Soergel/Mühl § 855 Rn. 3; RGRK/Kregel § 855 Rn. 5.

611

Siehe nur Planck/Brodmann § 855 Anm. 2, S. 49; Staudinger/Bund § 855 Rn. 11.

612

Diese Frage wurde offenbar von der zweiten Kommission anders beurteilt, wenn es auf S. 3341 der Protokolle (bei Mugdan Bd. 3, S. 504) heißt, der § 797 a (diese Vorschrift entspricht § 855 BGB) ermögliche es, die Rechtsfrage in den Besitzprozeß hineinzuziehen, indem er auf das Rechtsverhältnis abstelle. 613

Erman/Werner § 855 Rn. 7 m.w.N.; Planck/Brodmann § 855 Anm. 2, S. 49; Staudinger/Bund § 855 Rn. 11; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 4, S. 91. 614

Müller, Sachenrecht, Rn. 219; Planck/Brodmann § 855 Anm. 2, S. 49; vgl. auch Staudinger/Bund § 855 Rn. 6, 11. 615

Palandt/Bassenge § 855 Rn. 1; Rosenberg, Sachenrecht, § 855 Anm. II 2 e, S. 44; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 4, S. 91. 616

So Planck/Brodmann § 855 Anm. 2, S. 49.

6,7

Erman/Werner § 855 Rn. 3; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 90; vgl. auch Eichler, Sachenrecht, 2. Bd., 1. Hlbbd., erstes Kapitel, C III 2, S. 31. 618 Eichler, Sachenrecht, 2. Bd., 1. Hlbbd., erstes Kapitel, C III 2, S. 31; Erman/ Werner § 855 Rn. 3; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 90.

14 Härtung

210

C. Die Besitztatbestände

me eines Besitzdienerverhältnisses nicht entgegestehen. 619 Daher bleibe der angestellte Handelsvertreter auch dann Besitzdiener bezüglich des mitgefühlten Musterkoffers, wenn er sich weit von dem Geschäft entferne. 6 2 0 Ob das Besitzdienerverhältnis ständig erkennbar sein muß, ist innerhalb der h.M. umstritten. 6 2 1 Große praktische Relevanz hat dieser Streit, soweit ersichtlich, nicht erlangt. 6 2 2

bb) Objektives Handeln auf Grund des Abhängigkeitsverhältnisses Ein besonderer Besitzdienerwille w i r d von der h.M. nicht verlangt. 6 2 3 Es genüge, daß der Besitzdiener tatsächlich auf Grund des Abhängigkeitsverhältnis-

619

RGZ 71, 248, 251; BGH W M 1960, 1148, 1149; Erman/Werner § 855 Rn. 4; Soergel/Mühl § 855 Rn. 3; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 90. 620

Vgl. Staudinger/Bund § 855 Rn. 10; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1,

S. 90. 621

Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur bejahen dies, weil nur so der Besitz selbst erkennbar und rechtlich vorhanden sei (Publizitätsprinzip): RGZ 77, 201, 209; BGH L M Nr. 2 zu § 1006 BGB; BGH DB 1956, 963; BGHZ 27, 360, 363; Müller, Sachenrecht, Rn. 221; RGRK/Kregel § 855 Rn. 5; Soergel/Mühl § 855 Rn. 3. - Der wohl überwiegende Teil der Lehre hält hingegen die Erkennbarkeit des Abhängigkeitsverhältnisses nicht für erforderlich: Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 C I 3, S. 65; MünchKomm/ Joost § 855 Rn. 10; Rosenberg, Sachenrecht; § 855 Anm. II 2 e, S. 44; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 78; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 6 III 3. Die Besitzdienerschaft werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß man den Besitzdiener für den Besitzer halte. Femer sei der Schutz des Rechtsverkehrs durch Publizität auf diese Weise ohnehin nicht erreichbar. Nach Erman/Werner § 855 Rn. 9; Staudinger/Bund § 855 Rn. 15 und Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 5, S. 91 muß lediglich die Neubegründung eines Besitzdienerverhältnisses erkennbar gemacht werden, wenn sie Übergabe bei Verfügungsgeschäften sein soll. 622 Bedeutsam ist das Erfordernis der Erkennbarkeit des Abhängigkeitsverhältnisses anscheinend im Sachverhalt von RGZ 77, 201: Die Begründung eines Pfandrechts an einem Warenlager soll dadurch bewirkt werden, daß einem Angestellten des Verpfänders als Besitzdiener des Pfandgläubigers die Schlüssel zu dem Lagerraum übergeben werden. - In Wahrheit ist hier allerdings weniger die Erkennbarkeit als vielmehr das Bestehen eines "sozialen Abhängigkeitsverhältnisses" zwischen dem "Besitzdiener" und dem Pfandgläubiger fraglich. Der Angestellte war nämlich weiterhin für den Verpfander tätig und erhielt von diesem auch Gehalt (RGZ 77, 201, 203). Femer erschöpfte sich die Tätigkeit für den Pfandgläubiger in dem Auf- und Zuschließen der Türe des Vorraums zum Warenlager. Es fehlte mithin wohl an einem umfassenden Weisungsverhältnis i.S. der h.M. 623

BGHZ 8, 130, 133; RGRK/Kregel § 855 Rn. 2; Erman/Werner § 855 Rn. 5; Palandt/Bassenge § 855 Rn. 2; Schapp Rn. 57; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 79; Soergel/Mühl § 855 Rn. 4; Staudinger/Bund § 855 Rn. 14; Westermann/Gursky, Sachen-

II. 2. § 855 BGB

211

ses handele. Der Besitz des Besitzherrn ende erst, wenn der Besitzdiener seinen abweichenden Willen betätige und durch eine äußerlich erkennbare Handlung die Herrschaftsgewalt des Besitzherrn beende.624

cc) Kritik Das soziale Abhängigkeitsverhältnis ist also nach der h.M. das bei weitem bedeutsamste Kriterium für die Entscheidung über die Besitzfrage in Mehrpersonenverhältnissen. Wer in einer Mehrpersonenbeziehung Besitzer ist, soll sich somit vor allem nach der inneren Beziehung zwischen den Beteiligten bestimmen. Ist eine Person von einer anderen sozial abhängig, dann hat nur die "andere" die Rechtsstellung eines Besitzers, ist sie es nicht, dann besitzt sie selbst, sogar wenn sie z.B. als Werkunternehmer, 625 als Entleiher 626 oder als Rechtsanwalt627 vertraglich verpflichtet ist, mit der Sache in bestimmter Weise zu verfahren.

(1) Keine Abhängigkeit kraft gesellschaftlicher Stellung Die h.M. stellt mit der "sozialen Abhängigkeit" nicht nur auf einen Umstand ab, der völlig unbestimmt ist. 6 2 8 Sie verwendet auch einen nicht mehr zeitgemäßen Begriff, der der heutigen Lebenswirklichkeit nicht entspricht: "Soziale Abhängigkeit" bedeutet übersetzt Abhängigkeit kraft gesellschaftlicher Stellung. In diesem Sinn versteht auch die h.M. selbst diesen Ausdruck, denn die "soziale" Abhängigkeit soll - wie dargelegt - unabhängig von einer rechtlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit bestehen. Eine rein gesellschaftlich begründete Abhängigkeit von anderen Personen mag es aber vielleicht noch in den Anschauungen des 19. Jahrhunderts gegeben haben, heute existiert sie nicht mehr. 630 Eine "Befehlsordnung der Gesellschaft" 631 gibt es nicht. 632 Die recht, § 10 II 2, S. 90 f.; Wilhelm, Sachenrecht, S. 207 Fn. 101; eingehende Kritik am Kriterium des Besitzdienerwillens bei Enders S. 76 ff.; a.A. Bruns, Besitzerwerb durch Interessen Vertreter, S. 149 f.; MünchKomm/Joost § 855 Rn. 13. 624

RGRK/Kregel § 855 Rn. 3.

625

Vgl. RG Recht 1923 Nr. 348; RG Recht 1922 Nr. 847; RGRK/Kregel § 855 Rn. 6; Staudinger/Bund § 855 Rn. 22. 626

Vgl. Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1, S. 90.

627

Vgl. MünchKomm/Joost § 855 Rn. 5.

628

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 abb, S. 158; vgl. auch die Darlegungen bei Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 27 f. Siehe auch MünchKomm/Joost § 855 Rn. 5. 629 630

Vgl. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 abb, S. 158.

Last, JherJb 63 (1913), 106; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 abb, S. 158; vgl. auch Enders S. 43 f. und E. Wolf, Sachenrecht, § 2 C II c, S. 64 f. 1*

C. Die Besitztatbestände

212

Hausangestellten oder die Arbeitnehmer in einem Betrieb treten ihrem Arbeitgeber als gleichberechtigte und gleichwertige Vertragspartner gegenüber. Auch das Direktionsrecht des Arbeitgebers ändert daran nichts. Die Arbeitnehmer müssen den Weisungen ihres Arbeitgebers nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, der Tarifverträge, der Betriebs- und Dienstvereinbarungen sowie des Einzelarbeitsvertrages folgen. 633 Daher braucht z.B. ein angestellter Bauingenieur keine Maurerarbeiten zu verrichten. Die Arbeitnehmer mögen daher von ihrem Arbeitsplatz abhängig sein, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sie sind ihrem Arbeitgeber aber nicht gesellschaftlich untergeben, d.h. sozial von ihm abhängig. Dies kann auch an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Der fachlich hochqualifizierte Computerspezialist A arbeitet in dem Großhandelsgeschäft des Β. A beherrscht als einziger das umfangreiche Computemetzwerk des Betriebes. Ein Ausfall seiner Arbeitskraft würde das Unternehmen des Β weitgehend lahmlegen und zu großen finanziellen Verlusten führen. Der gut bezahlte A hat femer im Laufe seines Arbeitslebens und wegen einer großen Erbschaft ein beträchtliches Vermögen angesammelt und arbeitet nunmehr bei Β vor allem zum Zeitvertreib und wegen seiner Passion für Großrechner. - Bei diesem Sachverhalt von einer sozialen Abhängigkeit des A zu sprechen, läuft auf eine Fiktion hinaus. A ist in keiner Weise von Β abhängig, eher ist es umgekehrt. Gleichwohl wäre es nicht sachgerecht, den A als Besitzer des Computers zu betrachten: Daß Β verbotene Eigenmacht beginge, wenn er dem A den Computer entzöge, wäre offensichtlich ein unbefriedigendes Ergebnis.

Ebenso ist innerhalb eines reinen Gefälligkeitsverhältnisses der Begriff der sozialen Abhängigkeit kaum passend: Wer seinem Nachbarn bei Arbeiten in Haus und Garten aushilft, ist nicht von diesem sozial abhängig. Dennoch ist es sinnvoll, daß der Besitz, etwa an den von dem Helfer benutzten Gerätschaften, auch während der Ausführung der Gefälligkeit bei dem Nachbarn verbleibt.

Wie die geschilderten Beispiele gezeigt haben, gibt es Fälle, in denen Besitzdienerschaft bejaht werden muß, zu denen jedoch die Annahme irgendeiner persönlichen Abhängigkeit des Besitzdieners, mithin auch einer sozialen, nicht paßt. 634 Der Anwendungsbereich des § 855 BGB kann daher keinesfalls auf "soziale Abhängigkeitsverhältnisse" beschränkt werden. 635 Abgesehen von den heutigen allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen, mit denen die Forderung nach einer sozialen Abhängigkeit nicht in Einklang zu bringen ist, sollte

631

Dieser Begriff wird von Leonhard, Vertretung beim Fahrniserwerb, S. 64 benutzt.

632

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 a bb, S. 158.

633

Vgl. MünchKomm/Müller-Glöge, § 611 Rn. 245; Palandt/Putzo Einf. vor § 611

Rn. 79. 634

Vgl. auch Enders S. 44.

635

Vgl. auch Schwerdtner JR 1972, S. 116.

II. 2. § 855 BGB

213

man auch aus diesem Grund auf das Tatbestandsmerkmal der sozialen Abhängigkeit verzichten. 636 Im übrigen nimmt die h.M. wohl selbst das von ihr aufgestellte Erfordernis eines Abhängigkeitsverhältnisses nicht wirklich ernst, wenn sie weder eine rechtliche oder wirtschaftliche Begründung des Verhältnisses noch einen Besitzdienerwillen 637 verlangt. Gerade der Wille, sich im Einzelfall den konkreten Weisungen des Besitzherrn unterzuordnen, könnte nämlich das Fehlen einer Abhängigkeit kraft eines Rechtsverhältnisses oder einer wirtschaftlichen Unterlegenheit gut kompensieren. 638

(2) Besitzdienerverhältnis als Nachklang der alten Sklaverei? Ein weiterer Aspekt spricht gegen die Behauptung der h.M., der Besitzdiener müsse von dem Besitzherrn sozial abhängig sein: In einer frühen amerikanischen Kritik über die deutsche Besitzlehre wird gegen die Regelung des BGB über die Besitzdienerschaft der Vorwurf erhoben, sie enthalte einen Nachklang der alten Sklaverei, ja sogar einen Nachklang der von Gothofredus einstmals behaupteten Personeneinheit von Herr und Sklave. 639 Dieser Vorwurf erscheint nicht ganz unberechtigt, wenn man den Tatbestand der Besitzdienerschaft in einer gesellschaftlich begründeten Herrschaft über die Person des Besitzdieners sieht. Die Sklaverei ist nämlich ebenfalls durch eine gesellschaftliche Unterwerfung der Sklaven gekennzeichnet. Ferner legt die Unterstellung eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses die Annahme nahe, das Persönlichkeitsrecht des Besitzdieners werde eingeschränkt, 640 zumal es innerhalb des Verhältnisses auf seinen Besitzdienerwillen nicht ankommen soll. Auch dies erinnert in gewissem Maße an die frühere Leibeigenschaft. Dieser Eindruck wird durch das von der h.M. benutzte Bild vom Besitzdiener als "Werkzeug" des Besitzherrn zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Sache noch verstärkt. Die Sklaverei ist aber mit einem humanistischen Menschenbild nicht vereinbar und deshalb aus guten Gründen längst überwunden. Daher sollte man auch das BGB nicht dem Verdacht aussetzen, es enthalte Relikte aus der Sklavenzeit, indem man den Tatbestand der Besitzdienerschaft in der persönlichen Herrschaft über den Besitzdiener sucht.

636

Daher ist auch Staudinger/Bund § 855 Rn. 6 zu widersprechen, wenn es dort heißt, es gebe zwar Besitzdienerschaft ohne soziale Abhängigkeit (bei Weisungsbefugnis aus Gefälligkeit), gleichwohl sei die "soziale Abhängigkeit" ein taugliches Abgrenzungskriterium zur Stellung des Besitzmittlers. 637

Siehe oben bb.

638

Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 29.

639

Siehe dazu Leonhard, Festschrift für Otto Gierke, S. 29.

640

Vgl. Pawlowski, Rechtsbesitz, § 12, S. 19.

C. Die Besitztatbestände

214

(3) Entscheidung nach konfliktfremden Erwägungen Der h.M. ist ferner auch deshalb nicht zu folgen, weil sie dazu verleitet, über die Besitzfrage nach konfliktfremden, d. h. nicht teleologischen Erwägungen zu entscheiden.641 Dies ist insbesondere der Fall, wenn dritte Personen beteiligt sind. Dann ist es nicht sachgerecht, zur Begründung des Besitzdienerstatus allein das innere Verhältnis zwischen Besitzherrn und Besitzdiener heranzuziehen, zumal die Interna für den außenstehenden Dritten häufig nicht erkennbar sind. 642 Dies wird am Beispiel von RGZ 71, 248 ersichtlich. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die in Wien lebende Klägerin Κ vertraut ihrer Tochter Τ einige Juwelen aus ihrem Juweliergeschäft an. Τ soll damit in Begleitung des Schauspielers L nach Nürnberg fahren, um sie dort der Schwester des L zum Kauf anzubieten. Vor der Abfahrt erteilt die Κ der Τ die strenge Weisung, den Schmuck nicht an Dritte, insbesondere nicht an L, weiterzugeben. Da das in Nürnberg angemietete Zimmer kein verschließbares Behältnis enthält, läßt Τ gleichwohl die Juwelen von L in dessen Schreibtisch, der sich in einem anderen Zimmer befindet, einschließen. Der L nutzt die Gelegenheit, entnimmt den Schmuck, verpfändet ihn seinem gutgläubigen Gläubiger G und flieht anschließend. Κ verlangt von G die Herausgabe der Juwelen. Das Herausgabeverlangen der Κ ist nur begründet, wenn G kein Recht zum Besitz hat. Als Recht zum Besitz kommt lediglich ein Pfandrecht gemäß § 1204 BGB in Betracht. Da L nicht Eigentümer des Schmuckes war, kann G das Pfandrecht allein gemäß §§ 1207, 932, 935 BGB vom Nichtberechtigten L erworben haben. G war im Zeitpunkt des Besitzerwerbs gutgläubig, die Lösung des Falles hängt infolgedessen von der Frage ab, ob die Juwelen der Κ gemäß § 935 BGB abhanden gekommen sind. Ein Abhandenkommen setzt wiederum voraus, daß die Τ auch in Nürnberg Besitzdienerin der Κ war. Nur dann könnte man in der freiwilligen, aber weisungswidrigen Weitergabe des Schmuckes durch Τ an L einen unfreiwilligen Verlust des unmittelbaren Besitzes643 der Κ erblicken. Das OLG Nürnberg als Berufungsgericht hat den Besitzdienerstatus der Τ bejaht. Es begründete dies mit der Stellung der Τ : 6 4 4 Τ habe zur fraglichen Zeit mit ihrer Mutter im gemeinschaftlichen Haushalt gelebt, im Ladengeschäft 641

Vgl. Emst, Eigenbesitz, Kapitel 2 III, S. 36.

642

Auch soweit Erkennbarkeit des Besitzdienerverhältnisses gefordert wird (siehe oben aa), muß diese nur allgemein, nicht aber gegenüber jedem Dritten bestehen. So konnte etwa im sogleich behandelten Fall aus RGZ 71, 248 der Pfandgläubiger die Besitzdienerstellung der Tochter nicht erkennen. 643

Zur Definition des Abhandenkommens vgl. nur Palandt/Bassenge § 935 Rn. 2.

644

RGZ 71, 248, 250.

II. 2. § 855 BGB

215

mitgeholfen, hierfür zwar kein Gehalt erhalten, wohl aber bei ihrer Mutter freie Kost und Wohnung gehabt und von ihr teilweise auch ihre Kleider bezahlt erhalten, während sie im übrigen von den Zinsen ihres väterlichen Vermögens gelebt habe. Bei ihrer Tätigkeit im Laden habe sie an den festgestellten Preisen nichts ändern und auch keine Stundung gewähren dürfen. Daraus sei zu folgern, daß die Τ in einem durch ihr Mithelfen im Laden auch äußerlich erkennbaren Abhängigkeitsverhältnisse gestanden habe, obwohl sie weder Haustochter noch eigentliche Angestellte gewesen sei. Das RG Schloß sich der Argumentation des Berufungsgerichts an, hielt allerdings zur Feststellung des Besitzdienerstatus den Hinweis auf die Stellung der Τ im Erwerbsgeschäft der Κ für ausreichend, ihre Stellung im Haushalt hingegen für unbeachtlich. 645 Darüber, daß die Τ bei ihrer Beschäftigung im Handelsgewerbe ihrer Mutter nur deren Besitzdienerin gewesen sei, könne "ein Zweifel nicht bestehen", auch wenn sie in diesem Geschäft nicht als Gehilfin angestellt gewesen sei. Nach Ansicht des RG hat die Τ den Besitzdienerstatus auch während der Reise nach Nürnberg beibehalten. Die erhebliche räumliche Entfernung zwischen Wien und Nürnberg schließe die Fortdauer des Besitzdienerverhältnisses nicht aus. 646 Der Κ sei daher der Besitz abhanden gekommen, indem die Τ die Juwelen auftragswidrig an L übergeben habe. 647 Berücksichtigt man die Meinung des RG, es komme nur auf die Stellung der Τ im Erwerbsgeschäft an, und läßt man weiter seine Aussage, an der Besitzdienerstellung könne "ein Zweifel nicht bestehen", als eine bloße Behauptung außer Betracht, dann beruht die Entscheidung des RG letztlich auf dem Umstand, daß die Τ im Geschäft an den festgesetzten Preisen nichts ändern und auch keine Stundung gewähren durfte. 648 Der gutgläubige Pfandrechtserwerb des G scheitert also an der fehlenden Befugnis der T, im Geschäft über die Verkaufspreise zu verhandeln. Dieser Zusammenhang ist verblüffend. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Gutglaubenserwerb von einem solchen inneren Umstand abhängen soll. Warum sollte es dem Pfandnehmer G nützen, wenn etwa die Τ nicht ständig im Geschäft der Κ gearbeitet hätte, sondern die Fahrt nach Nürnberg nur ausnahmsweise unternommen hätte, um der Κ einen Gefallen zu erweisen? Warum sollte es ihm zum Vorteil gereichen, wenn die T, deren Existenz er nicht einmal kennt, in dem Familienbetrieb der Κ eine freiere Stellung eingenommen hätte und beispielsweise die Preise selbständig hätte ändern dürfen? Sachlich begründete Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. 649 Hier zeigt sich, daß es nicht sachgerecht ist, über die Besitzfrage nach 645

RGZ 71, 248, 250 f.

646

RGZ 71, 248, 251.

647

RGZ 71, 248, 252 f.

648 Wie vom RG festgestellt, gab es ja kein förmliches Arbeitsverhältnis, das zur Begründung eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses herangezogen werden könnte. 649

So zutreffend Ernst, Eigenbesitz, Kapitel 2 III, S. 36.

216

C. Die Besitztatbestände

der sozialen Abhängigkeit, d.h. nach der inneren Beziehung zwischen dem Besitzherrn und dem Besitzdiener zu entscheiden.650

dd) Andere Tatbestandsumschreibungen Einige Vertreter der Lehre verzichten bei § 855 BGB auf das Erfordernis eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses, obwohl auch sie grundsätzlich zumindest den unmittelbaren Besitz mit tatsächlicher Sachherrschaft gleichsetzen wollen 651 . Bei der Frage, von welchen Voraussetzungen der Tatbestand des § 855 BGB abhängt, nehmen sie unterschiedliche Standpunkte ein:

(1) Willentliche Unterordnung Einer Ansicht zufolge bestimmt es sich nach dem zu erwartenden Verhalten der Beteiligten, ob ein Besitzdienerverhältnis vorliegt. 652 Sei nach der Verkehrsanschauung in der gegebenen Situation damit zu rechnen, daß derjenige, der die Sachgewalt ausübe, sich ohne Widerspruch nach den Weisungen des anderen richte und der andere daher beliebig über die Sache verfügen könne, so sei nur der andere Besitzer. Diese Unterordnung unter den Willen des Besitzherrn werde durch den Willen des Besitzdieners, so wie er sich nach außen darstelle und von der Verkehrsauffassung beurteilt werde, bewirkt. Für die

650

Gegen die h.M. wendet sich auch Kiefner JA 1984, S. 189 ff. Kiefner hält im Gegensatz zur h.M. den Willen des Besitzdieners für rechtlich beachtlich. Der Besitzdienerwille sei unerläßlich, wenn der Besitzherr durch den Besitzdiener Besitz erwerben solle. Neben rechtsgeschichtlichen Argumenten führt Kiefner zur Begründung vor allem an, daß es ohne Besitzdienerwillen keinen bösgläubigen Besitzdiener geben könne. Damit wäre aber die Haftung des Besitzherrn für den Besitzdiener nach §§ 989 f. BGB ausgeschlossen, obwohl sie sachgerecht und allgemein anerkannt sei. - Letztlich kann der Einwand Kiefners jedoch nicht überzeugen. Die von Kiefner behauptete enge Verknüpfung zwischen Bösgläubigkeit und Besitzdienerwille besteht nämlich nicht. Während die Bösgläubigkeit die Besitzberechtigung gegenüber einem Dritten betrifft, bezieht sich der Besitzdienerwille darauf, ob der Besitzdiener im Innenverhältnis für den Besitzherrn besitzen will. Im übrigen rechtfertigt die Notwendigkeit, im Falle der Bösgläubigkeit des Besitzdieners die Haftung des Besitzherrn zu bejahen, nicht die Annahme, daß § 855 BGB stets einen Besitzdienerwillen voraussetzt. 651

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 I c; MünchKomm/Joost § 855 Rn. 5, der allerdings die Regelung des § 855 BGB für eine "Unschärfe" im "Randbereich" hält und diese Bestimmung als eine Verlagerung von Rechtsfolgen (§ 855 Rn. 1) auffaßt. Zu Joost siehe auch oben Β II 1 c. 652

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 a, S. 156 ff.

II. 2. § 855 BGB

217

Frage, ob jemand Besitzdiener sei, sei mithin die nach der Verkehrsauffassung zu erwartende willentliche Unterordnung des Betroffenen entscheidend. Diese Auffassung kann schon deshalb nicht überzeugen, weil sie zur Feststellung des Besitzdienerverhältnisses im wesentlichen auf die Verkehrsanschauung zurückgreift. Die Verkehrsanschauung ist nämlich, wie bereits dargelegt wurde, 653 zur Bestimmung des Besitztatbestandes nicht geeignet. Dies wird auch an den Schwierigkeiten deutlich, die die dargelegte Meinung mit den Grenzfällen, z.B. mit den Besitzverhältnissen bei der unentgeltlichen Verwahrung und beim Auftrag, hat. 654 Ein Besitzdienerverhältnis soll hier anzunehmen sein, wenn sich der Verwahrer oder der Beauftragte völlig dem Vertragspartner unterordnet. Ein derartiger Unterordnungswille wird aber häufig nicht erkennbar sein. Daher sollen, falls der Wille der Beteiligten nicht eindeutig festzustellen ist, nach der erörterten Meinung die betroffenen Interessen und die Rechtslage als Indiz für den Willen herangezogen werden. 655 In schwierigen Abgrenzungsfällen wird also das Tatbestandsmerkmal der willentlichen Unterordnung praktisch durch eine Interessenabwägung ersetzt. Die Brauchbarkeit der von einer Lehre aufgestellten Tatbestandserfordernisse zeigt sich aber gerade in Problemfällen. Daher ist es sachgerechter, die beteiligten Interessen von vornherein zur Bestimmung des Besitzdienerverhältnisses heranzuziehen. Die erörterte Meinung stößt noch aus einem weiteren Grund auf Bedenken: Sofern es um den Besitzschutz geht, 656 erlangt die Frage, ob derjenige, der die Gewalt ausübt, Besitzer oder bloßer Besitzdiener ist, vor allem dann Bedeutung, wenn darüber zwischen dem Gewaltinhaber und dem Weisungsgeber Streit besteht. Einem außenstehenden Dritten ist diese Frage regelmäßig gleichgültig, weil er in jedem Fall fremden Besitz zu respektieren hat und der Gewaltinhaber gegen ihn jedenfalls entweder nach § 859 BGB oder nach §§ 859, 860 BGB Selbsthilfe üben darf. Bei einem Streit zwischen demjenigen, der die Gewalt ausübt, und dem Weisungsgeber wird aber offensichtlich, daß sich der Gewaltinhaber nicht dem Willen des anderen unterordnen wollte. Häufig wird man daher einen Unterordnungswillen unterstellen müssen, wenn man mit der besprochenen Ansicht zu sachgerechten Ergebnissen kommen will. Dazu folgendes Beispiel: Β und sein Nachbar Ν helfen sich häufig gegenseitig bei der Gartenarbeit. Ihre Grundstücke grenzen unmittelbar aneinander an und sind nicht durch einen Zaun voneinander getrennt. Ν benutzt regelmäßig den Rasenmäher des B, um auch den Rasen in seinem eigenen Garten zu mähen. Β hatte dagegen bisher nie etwas einzuwenden. Eines Tages kommt es zwischen Ν und Β zu einem heftigen Streit,

653

Siehe oben C I 2 a.

654

Vgl. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 a cc, S. 160.

655

Vgl. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 a cc, S. 160.

656

Wieling möchte die Bedeutung des § 855 BGB auf den Besitzschutz beschränken, siehe Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 a cc, S. 160.

218

C. Die Besitztatbestände

in dessen Verlauf Β die Herausgabe seines Rasenmähers verlangt. Ν verweigert dies mit der Begründung, er habe seinen Rasen erst zur Hälfte gemäht. Außerdem sei er nutzungsberechtigt, da Β ihm den Rasenmäher überlassen habe. Schließlich sei die Nutzungsberechtigung auch das Entgelt fur die im Garten des Β geleistete Arbeit. Β meint, Ν habe das Gartengerät nur im Rahmen der gemeinsamen Gartenarbeit nutzen dürfen. Diese sei nun beendet. Außerdem sei er - Β - dem Ν nichts schuldig, da er ihm - was zutrifft - seinerseits oft im Garten geholfen habe. Als Ν gleichwohl die Herausgabe verweigert, entreißt Β ihm den Rasenmäher und bringt ihn auf sein eigenes Grundstück. - Im Ergebnis wird man dem Β wohl Recht geben müssen. Β hat dem Ν den Rasenmäher nur im Rahmen des nachbarlichen Gefälligkeitsverhältnisses überlassen. Er hat seinen Besitz nur gelockert, wollte ihn aber erkennbar nicht aufgeben. Er durfte weiterhin darauf vertrauen, den Rasenmäher jederzeit tatsächlich für seinen eigenen Garten nutzen zu können. Sein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse bestand daher fort. Hingegen mußte N, da er das Gartengerät nur aufgrund einer Gefälligkeit gebrauchen durfte, ständig mit dem Entzug des Rasenmähers durch Β rechnen. Ν hatte daher kein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse. Es ist somit sachgerecht, den Β als Besitzer anzusehen und ihm das Selbsthilferecht gemäß § 859 BGB zuzugestehen. Allerdings kann man bei Ν wohl keinen Unterordnungswillen annehmen. Ν hielt sich, wie seine Ausführungen zeigen, für selbständig nutzungsberechtigt. Hält man den Unterordnungswillen für maßgeblich, muß man ihn im vorliegendem Fall - etwa mit dem Hinweis auf die "Verkehrsanschauung" 657 - fingieren, um zu angemessenen Ergebnissen zu kommen. Dadurch wird freilich der Blick auf die erforderliche Interessenabwägung verschleiert. Außerdem sollte man Fiktionen, die ja wohl eher ein begriffsjuristisches Instrument sind, nur als letzten Ausweg anwenden. Die Notwendigkeit, teilweise auf Fiktionen zurückzugreifen, legt es infolgedessen nahe, das Wesen des Besitzdienerverhältnisses nicht in der willentlichen Unterordnung des Besitzdieners, sondern in anderen Tatbestandsmerkmalen zu suchen.

(2) Jederzeitiger Z u g r i f f Teilweise werden die Tatbestandsvoraussetzungen des § 855 B G B aus einer Abgrenzung des Besitzdieners v o m Besitzmittler (§ 868 B G B ) sowie aus dem Normzweck hergeleitet: 6 5 8 Das Besitzdienerverhältnis setze jedenfalls die Pflicht des Besitzdieners voraus, den Weisungen des Besitzherrn zu folgen. Jedoch genüge die bloße Weisungsgebundenheit alleine nicht, denn auch ein Besitzmittler (z.B. ein Rechtsanwalt) könne an Weisungen gebunden sein. Für § 855 B G B müsse daher die Folgepflicht stärker sein. Die erforderliche Intensität der Weisungsgebundenheit ergebe sich aus dem Normzweck des § 855 B G B . Dieser Normzweck bestehe darin, die Rechtsfolgen des Besitzes auf den Weisungsberechtigten zu verlagern, wenn ein anderer zwar die tatsächliche

657 Der Begriff der "Verkehrsanschauung" eröffnet die Möglichkeit, in die Rechtsanwendung eigene Wertungen und Interessenabwägungen versteckt einfließen zu lassen, ohne daß diese näher begründet werden müßten. 658

MünchKomm/Joost § 855 Rn. 5.

II. 2. § 855 BGB

219

Gewalt über die Sache ausübe, die Ausübung der Gewalt durch den anderen aber als von dem Willen des Weisungsberechtigten abhängig erscheine. Das Gesetz erkenne damit, einem praktischen Bedürfnis folgend, an, daß die Betroffenen in diesem Fall die Rechtsfolgen des Besitzes auf den Weisungsberechtigten beziehen würden. 659 Dem Normzweck entsprechend liege ein Besitzdienerverhältnis also vor, wenn die Weisungsgebundenheit so stark sei, daß dem jederzeitigen Zugriff des Besitzherrn keine Hindernisse entgegenstünden. Es müsse erwartet werden können, der Besitzdiener werde bezüglich der Sache jede Weisung entweder ausführen oder durch den Besitzherrn selbst ausführen lassen.660 Außer dem Verzicht auf den unzeitgemäßen Begriff der sozialen Abhängigkeit ist mit dem Lösungsansatz der dargelegten Meinung nicht viel gewonnen, denn inhaltlich besteht zwischen der "sozialen Abhängigkeit" und einer derartig starken "Weisungsgebundenheit", die dem Besitzherrn einen jederzeitigen hindernisfreien Zugriff ermöglichen soll, kaum ein Unterschied. 661 Beide Voraussetzungen werden bei der Rechtsanwendung ähnlich schwer bestimmbar sein. Ferner verwickelt sich die besprochene Meinung in Widersprüche, wenn sie einerseits die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit fordert, andererseits ein Besitzdienerverhältnis auch bei großer räumlicher Entfernung für möglich hält 6 6 2 . Ein weiterer Aspekt spricht gegen den dargelegten Lösungsansatz: Die Rechtsfolge des § 855 BGB besteht darin, daß dem Weisungsberechtigten die Rechtsposition des Besitzes, insbesondere der Besitzschutz, zugewiesen wird, während gleichzeitig demjenigen, der mit der Sache hantiert, jeder Widerstand 659

MünchKomm/Joost § 855 Rn. 1.

660

Vgl. auch Rosenberg, Sachenrecht, § 855 Anm. I I 2 c, S. 43: "Danach ist also Besitzdiener, wer durch seine Beziehung zu einem anderen in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt von dessen Entschließungen völlig abhängig ist, so daß er den Weisungen des anderen in bezug auf die Sache unbedingt Folge leisten muß und der andere bei Gehorsamsverweigerung für befugt zu erachten ist, seinem Willen aus eigener Machtvollkommenheit Wirkung zu verschaffen." Nach Staudinger/Bund § 855 Rn. 16 erweist sich als entscheidend, "daß der Besitzdiener den Anordnungen des Besitzherrn in jedem Einzelfall unbedingt Folge leisten und andernfalls damit rechnen muß, daß der Besitzer von seinem Recht Gebrauch macht, seinen Willen unmittelbar durchzusetzen..." Ein ähnliches Abgrenzungskriterium zum Besitzmittler findet sich bei Soergel/Mühl § 855 Rn. 2: "... kann hier auch der Gesichtspunkt bedeutsam sein, daß der mittelbare Besitzer sich der Selbsthilfe nach § 859 begibt, derjenige dagegen, der seine Sache einem Besitzdiener überläßt, dieses Recht gerade behalten will;..." 661

Daher halten Rosenberg, Soergel/Mühl und Staudinger/Bund § 855 Rn. 6, 16 weitgehend am Erfordernis der sozialen Abhängigkeit fest, obgleich sie § 855 und § 868 BGB ähnlich voneinander abgrenzen wie die hier erörterte Meinung, vgl. die vorhergehende Fußnote. Staudinger/Bund § 855 Rn. 12 ff. will zusätzlich das Kriterium der Fremdnützigkeit einführen. 662

Vgl. MünchKomm/Joost § 855 Rn. 11.

220

C. Die Besitztatbestände

gegen die tatsächlichen Verfügungen des Besitzherrn untersagt wird. Die jederzeitige, hindernisfreie Zugriffsmöglichkeit auf die Sache wird dem Besitzherrn also erst durch die Rechtsfolge des § 855 BGB verliehen. Sie kann daher nicht zugleich Tatbestandsmerkmal des § 855 BGB sein, zumal die Frage nach dem Besitz besonders in denjenigen Fällen interessant wird, in denen der Besitzdiener sich nicht fügt und eine jederzeitige, hindernisfreie Zugriffsmöglichkeit des Besitzherrn daher gerade fraglich ist. Hinge das Bestehen eines Besitzdienerverhältnisses von der jederzeitigen, hindernisfreien Zugriffsmöglichkeit ab, könnte daher nur derjenige die Rechte eines Besitzherrn aus § 855 BGB erhalten, dem man diese Befugnisse von vornherein unterstellt. 663 Dies liefe auf eine petitio principii hinaus. Die Gefahr, sich mit der erörterten Ansicht im Kreise zu drehen, wird auch an der Formulierung erkennbar, es müsse erwartet werden können, der Besitzdiener werde jede Weisung bezüglich der Sache entweder ausführen oder durch den Besitzherrn selbst ausführen lassen664. Hieran fällt zunächst schon bei äußerlicher Betrachtung auf, daß die Begriffe "Besitzdiener" und "Besitzherr", die erst die Rechtsfolge des § 855 BGB markieren, bereits bei der Tatbestandsumschreibung verwendet werden. Im übrigen kann man in der Rechtswissenschaft von einer Person nur ein solches Verhalten "erwarten", zu dem sie rechtlich verpflichtet ist. Hoffnungen, die lediglich auf moralischen Anschauungen beruhen, oder sonstige bloße Spekulationen rechtfertigen eine juristisch relevante Einordnung nicht. 665 Die "Erwartung", jede Weisung in bezug auf die Sache auszuführen oder durch den Besitzherrn selbst ausführen zu lassen, darf man also nur an einen Besitzdiener richten, denn er allein ist wegen § 855 BGB rechtlich verpflichtet, den Weisungen bezüglich der Sache unbedingt zu folgen und jede tatsächliche Verfügung des Besitzherrn zu dulden. Ob der Weisungsempfänger ein Besitzdiener ist, das soll die Anwendung des § 855 BGB aber erst zeigen. 666

663

Die hier dargelegte Meinung ist daher genauso auf Fiktionen angewiesen wie die unter (1) erörterte, siehe dazu bereits oben. 664

MünchKomm/Joost § 855 Rn. 5.

665

Im übrigen müßte gerade in den Konfliktfallen - dies sind die juristisch interessanten - die Prognose stets zum Nachteil des Besitzherrn ausfallen. 666 Noch deutlicher tritt der Zirkelschluß bei Staudinger/Bund § 855 Rn. 16 hervor, siehe dazu Fn. 660: Ob der Inhaber der tatsächlichen Gewalt den Anordnungen des Besitzherrn unbedingt Folge leisten muß und ob der Weisungsberechtigte das Recht hat, seinen Willen unmittelbar durchsetzen, wird vertraglich häufig nicht geregelt sein und soll die Anwendung des § 855 BGB erst ergeben. - Auch die Formulierung bei Soergel/Mühl § 855 Rn. 2 (siehe dazu ebenfalls Fn. 660) hilft kaum weiter: Ob sich der Weisungsberechtigte der Selbsthilfebefugnis begeben hat oder ob er sie behalten hat, soll § 855 BGB gerade klären. Auch der Hinweis auf den Willen, die Selbsthilferechte zu behalten, ändert daran nichts, denn die Besitzschutzrechte knüpfen an den Besitz und nicht an den Willen an.

II. 2. § 855 BGB

221

Das Besitzdienerverhältnis hängt daher nicht von der jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit des Besitzherrn oder von der Erwartung, der Besitzdiener werde mit der Sache weisungsgemäß verfahren, ab.

ee) Einschränkung der Besitzfolgen bei § 935 BGB Schließlich scheinen die Vertreter der h.M. und der übrigen soeben dargelegten Auffassungen selbst mit den Folgen ihrer Auslegung des § 855 BGB unzufrieden zu sein. Dies wird an der großen Zahl der Stimmen in der Literatur deutlich, die bei einer Veruntreuung, d.h. bei einer unbefugten Eigennutzung oder weisungswidrigen Weitergabe der Sache durch den Besitzdiener, ein Abhandenkommen i.S. des § 935 BGB unter bestimmten Voraussetzungen verneinen wollen. 667 Es ist nämlich eigentlich eine unausweichliche Konsequenz der Annahme eines Besitzdienerverhältnisses, daß die Sache bei einer Veruntreuung durch den Besitzdiener dem Besitzherrn i.S. des § 935 BGB abhanden kommt, denn gemäß § 855 BGB ist allein der Besitzherr Besitzer der Sache. Zu der Frage, unter welchen Bedingungen § 935 BGB nicht anwendbar ist, werden unterschiedliche Standpunkte vertreten: Teilweise wird angenommen, der nach außen als Besitzdiener nicht erkennbare und dem Einfluß des Besitzherrn tatsächlich entzogene Besitzdiener, z.B. der mit Musterstücken übers Land fahrende Handlungsreisende, stehe hinsichtlich des § 935 BGB dem Besitzmittler gleich. 668 Nach anderer Ansicht soll § 935 BGB einen gutgläubigen

667

Außer von RGZ 71, 248, 253 f. wird allerdings ein Abhandenkommen bejaht von RGZ 106, 4, 6; Baur/Baur, Sachenrecht, § 52 V 2 abb, S. 531 f.; Enders S. 113 ff.; Heck, Sachenrecht, § 7, 4., S. 29, der jedoch den gutgläubigen Erwerb nicht ausschließt, wenn ein "Machtschein" vorliegt, siehe Heck, aaO, § 60, 6.; Hoche JuS 1961, S. 78; MünchKomm/Quack § 935 Rn. 11; Palandt/Bassenge § 855 Rn. 5 und § 935 Rn. 4; RGRK/Pikart § 935 Rn. 18; Schwab/Prütting, Sachenrecht, Rn. 76 und Rn. 433; Weimar, MDR 1962, S. 21 f.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 4 9 1 6 , S. 367 ff.; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 69 I 1, S. 251. Pawlowski, Rechtsbesitz, § 12 und § 29 will zwar die enge Verquickung zwischen § 855 BGB und § 935 BGB aufgeben. Während § 855 BGB in räumlicher Hinsicht einschränkend ausgelegt werden soll, bejaht er, auf der Grundlage des Veranlassungsprinzips, § 935 BGB aber immer dann, wenn der Eigentümer seinen Besitz notwendigerweise aufgeben mußte. Eine solche notwendige Besitzaufgabe könne u.U. auch in der Übergabe an einen Betriebsangehörigen oder Angestellten gesehen werden, § 29, S. 52. 668

Westermann, Sachenrecht, 5. Auflage, § 4 9 1 6 , S. 238 f. Ihm folgend Erman/Michalski § 935 Rn. 6; J. von Gierke ZHR 115, 230; Hübner, Der Rechtsverlust im Mobiliarsachenrecht, S. 107 f.; Rebe AcP 173 (1973), S. 201 f.; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 81; Soergel/Mühl § 855 Rn. 8 und § 935 Rn. 2; Staudinger/Wiegand, 13. Bearb., § 935 Rn. 14; Wiegand JuS 1974, S. 205 f.; Wieling JZ 1977, S. 295, Fn. 35; Zweigert, RabelsZ 1958, S. 18. Ähnlich bereits Schmelzeisen AcP 136 (1932), S. 149 ff.

222

C. Die Besitztatbestände

Erwerb zumindest dann nicht verhindern, wenn der Besitzdiener im Einzelfall zwar weisungswidrig handelt, er aber eine generelle Befugnis zur Besitzübergabe hat. {Beispiel: Der Reisevertreter wurde angewiesen, die verkaufte Ware nur gegen Barzahlung zu übereignen. Gleichwohl übereignet er an einen Kunden, mit dem er Ratenzahlung vereinbart hat.) 669 Die erste Meinung läuft auf eine Relativität und somit auf eine Spaltung des Besitzbegriffs hinaus: Hinsichtlich der Besitzschutzfunktion sieht sie den Besitzherrn als Besitzer an. Gleichzeitig behandelt sie aber den Besitzdiener im Hinblick auf die Rechtsscheinfunktion wie einen Besitzmittler und spricht ihm deshalb insoweit den Besitz zu. 6 7 0 Es gibt nach dieser Ansicht also gleichzeitig zwei Besitzer an der Sache, denen unterschiedliche Besitzfunktionen zugute kommen. Die Vertreter dieser Meinung nähern sich damit im Ergebnis der Auffassung an, die bewußt zwischen zwei verschiedenen Besitzbegriffen unterscheidet671 und beim gutgläubigen Erwerb vom Besitzdiener wie folgt argumentiert: Die §§ 854 bis 872 BGB beträfen nur den Besitzschutz (possessio ad interdicta). Auf den Besitz als Voraussetzung des Eigentumserwerbs (possessio ad usucapionem) könnten diese Vorschriften daher überhaupt nicht 6 7 2 oder allenfalls entsprechend 673 angewandt werden. Wenn § 855 BGB dem Besitzdiener den Besitz im Hinblick auf den Besitzschutz aberkenne, müsse dies also nicht auch für den Eigentumserwerb gelten. Trete der Besitzdiener als Eigentümer auf, dann sei er Besitzer i.S. der §§ 932 ff. BGB. Veräußere er die Sache, dann sei sie nicht gemäß § 935 BGB abhandengekommen.674

669

Baur/Baur, Sachenrecht § 52 V 2 bb, S. 532; Staudinger/Bund § 855 Rn. 28, siehe auch Schreiber, Sachenrecht, Rn. 81. 670

An dieser Spaltung ändert sich auch dann nichts, wenn man die Grundlage für den Rechtsschein, der den gutgläubigen Erwerb nach §§ 932 ff. BGB rechtfertigt, nicht im Besitz, sondern im tatsächlichen Haben der Sache sieht; so etwa Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 49 I 6, S. 239; Wieling, JZ 1977, S. 295. Sachlich bleibt die Funktionsspaltung erhalten, sie wird durch die Einführung des Begriffs "tatsächliches Haben" nur verschleiert. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB ausdrücklich an den Besitz anknüpft und daher das Gesetz wohl selbst im Besitz den Rechtsschein begründet sieht. 671

Siehe dazu bereits oben C I 1 f aa.

672

So Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, insbesondere Kapitel 2 I, III und IV, S. 25 ff., 32 ff., der für den Mobiliarerwerb den im Traditionszusammenhang zur civilis possessio stehenden Eigenbesitz für maßgeblich hält. 673 674

So Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 10 V 3 c, S. 391.

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 10 V 3 c, S. 391 f. - Nach Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, findet § 855 BGB für den Mobiliarerwerb ohnehin keine Anwendung. Im übrigen müsse der Eigentümer das Risiko des Sachverlustes ebenso tragen wie bei einer weisungswidrigen Weitergabe durch einen Besitzmittler (siehe Emst, aaO, Kapitel 2 III, S. 36). - Eine Trennung nach den Besitzfunktionen gibt es auch nach

II. 2. § 855 BGB

223

Die erste und die ihr im Ergebnis nahestehende Meinung sind nicht zufriedenstellend. Dem BGB liegt ein einziger Besitzbegriff zugrunde, über den einheitlich, d.h. unabhängig von den einzelnen Besitzfunktionen, zu entscheiden ist. Aus diesem Grund wurde die Annahme zweier verschiedener Besitzbegriffe 675 bereits ebenso abgelehnt wie die Relativität des Besitzbegriffes 676. Obwohl ein berechtigtes Interesse besteht, den Rechtsverkehr zu schützen, ist daher der Meinung, § 935 BGB gelte nicht, wenn eine Sache durch einen als solchen nicht erkennbaren Besitzdiener veruntreut werde, nicht zu folgen. Hingegen führt es zu keiner Spaltung des Besitzbegriffs, wenn man ein Abhandenkommen i.S. des § 935 BGB nur für den Fall verneint, daß der Besitzdiener zwar generell zur Weitergabe befugt ist, aber im Einzelfall weisungswidrig handelt. Diese Ansicht behandelt nämlich nicht gleichzeitig teilweise den Besitzherrn und teils den Besitzdiener als Besitzer. Sie beruht vielmehr auf einer Analogie zu §§ 54 ff. HGB, insbesondere zu § 56 HGB. 6 7 7 Der Besitzherr behält also die volle Besitzposition, er muß lediglich die Folgen der generell erteilten Besitzübergabebefugnis gegen sich gelten lassen. Gleichwohl begegnet auch dieser Standpunkt Bedenken: Es wird häufig schwer abzugrenzen sein, ob das weisungswidrige Verhalten des Besitzdieners noch von einer generellen Übergabebefugnis gedeckt ist. So ist es etwa im obigen Beispiel fraglich, ob der Reisevertreter wirklich eine allgemeine Erlaubnis zur Besitzübergabe hat oder ob sich die generelle Befugnis eben nur auf die Übergabe gegen Barzahlung erstreckt. Dann wäre die Sache trotz allgemeiner Befugnis abhandengekommen. Nimmt man eine generelle Erlaubnis an, dann bleibt ungeklärt, ab welchem Schweregrad ein Verstoß gegen die Weisungen dennoch zu einem Abhandenkommen führt. Beispielsweise ist es ungewiß, ob die Ware dem Geschäftsherrn abhanden kommt, wenn der Reisevertreter nicht einmal einen Ratenzahlungsvertrag abgeschlossen hat, sondern dem Kunden die Ware zur Ansicht überläßt oder gar schenkt. Schließlich bleiben nach dieser Auffassung diejenigen schutzlos, die von einem Besitzdiener erwerben, der sich zwar als Eigentümer oder als Verfügungsbefugter geriert, der aber keinerlei Befugnis zur Besitzübertragung hat.

MünchKomm/Joost § 855 Rn. 23: Wenn es im Bereich des Besitzschutzes sinnvoll sei, allein den Besitzherrn als Besitzer anzusehen, so bedeute dies nicht, daß der gutgläubige Rechtsverkehr keines Schutzes bedürfe. Vielmehr bestehe eine Restriktion des § 855 BGB, wenn der Besitzherr den Besitzdiener außerhalb der eigenen räumlichen Herrschaftssphäre mit der Ausübung der tatsächlichen Gewalt betraue und das Besitzdienerverhältnis nach außen nicht erkennbar sei. Die Weggabe der Sache sei dann kein Abhandenkommen. 675

Siehe oben C I 1 f aa.

676

Siehe oben C I 2 e cc (4).

677

Vgl. vor allem Staudinger/Bund § 855 Rn. 28.

224

C. Die Besitztatbestände

Die Versuche, die Geltung des § 935 BGB einzuschränken, wenn ein selbständig handelnder Besitzdiener weisungswidrig eine Sache veräußert, können mithin nicht überzeugen. Um gleichwohl einen sachgerechten Schutz des Rechtsverkehrs zu erreichen, sollte man daher nicht einzelne Rechtsfolgen des § 855 BGB außer Kraft setzen, um auf diese Weise die Konsequenzen einer zu großzügigen Bejahung von Besitzdienerverhältnissen zu korrigieren. Vielmehr sollte von vornherein nur dann ein Besitzdienerverhältnis angenommen werden, wenn dies nach Abwägung der beteiligten Interessen geboten ist.

ff) Zwischenergebnis Der Tatbestand des § 855 BGB kann nicht als soziales Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Besitzdiener und dem Besitzherrn definiert werden. Ebenso unbefriedigend sind die Umschreibungen als willentliche Unterordnung des Besitzdieners unter den Willen des Besitzherrn oder als starke Weisungsgebundenheit, die dem Besitzherrn einen jederzeitigen und hindernisfreien Zugriff auf die Sache ermöglicht. Wie am Beispiel des § 935 BGB gezeigt wurde, bedürfen alle diese Lösungsansätze außerhalb des eigentlichen Besitzrechts einer Korrektur, die wiederum selbst Anlaß zu Bedenken gibt. Der Gedanke, beim Besitz handele es sich um tatsächliche Sachherrschaft und daher sei für die Besitztatbestände vor allem die überwiegende physische Einwirkungsmöglichkeit maßgebend, erweist sich somit auch bei § 855 BGB als unzutreffend.

b) § 855 BGB als Tatbestand schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen des Besitzherrn Über das Bestehen eines Besitzdienerverhältnisses entscheidet nicht die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache, sondern vielmehr die Abwägung der beteiligten schutzwürdigen Kontinuitätsinteressen. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem bisher zum Besitz Gesagten.

aa) Gesetzgebungsgeschichte § 855 BGB verdankt seine Entstehung vor allem der heftigen Kritik am Besitzrecht des 1. Entwurfs zum BGB, das sich in einem wesentlichen Punkt von seinen Vorgängern unterschied:

II. 2. § 855 BGB

225

(1) Der Unterschied des 1. Entwurfs zu früheren Rechtsordnungen Das römische Recht hatte nur solchen Personen Besitzschutz zugebilligt, die zur eigenen Nutzung, zur Verwertung oder zur Verwahrung die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübten.678 Im germanischen Recht genoß ausschließlich derjenige den Schutz der Gewere, für den zumindest der Anschein eines eigenen dinglichen Rechts bestand; 679 der bloße Verwalter einer Sache war nicht Inhaber der Gewere. 680 Auch im älteren gemeinen Recht wurde überwiegend allein die auf einem eigenen Recht beruhende Sachherrschaft als Besitz angesehen.681 Die wichtigsten Kodifikationen des 18. und des 19. Jahrhunderts schließlich gewährten den Eigenbesitzern und den Inhabern Besitzschutz, letzteren aber nur, wenn sie ein eigenes Interesse an der Sache hatten. 682 In der Rechtsgeschichte war der Besitzschutz also stets an das Erfordernis eines eigenen rechtlichen Interesses des Geschützten geknüpft. Im Gegensatz dazu hatte der 1. Entwurf in den §§ 814 ff. jedem Inhaber den vollständigen Besitzschutz zuerkannt. 683 Nach Meinung der Kritiker 6 8 4 führte dies zu "wahrhaft heiteren Konsequenzen"685: Z.B. dürfe nach dem Entwurf eine Dienstmagd die ihr zur Unterkunft zugewiesene Schlafkammer mit Gewalt verteidigen, wenn ihre Herrschaft eine andere Verteilung der Räume verfüge. 686 Akuter sei der folgende Fall: Der mit der Versorgung des herrschaftlichen Hauses beauftragte Hausverwalter verweigere seiner von einer Reise heimkehrenden Herrschaft an der Eingangstür den Zutritt. 687 Der Entwurf gebe der Herrschaft nicht einmal das Recht, ihre Haustüre gewaltsam aufzubrechen. Sie sei rechtlos im eigenen Hause. Daß dieser Satz nicht rechtens werden dürfe, verstehe sich von selbst. 688 Entgegen dem Entwurf wollten die Kritiker überwiegend nur den Inhaber mit eigenem rechtlichen Interesse besitzrechtlich schützen und auch als Besitzer bezeichnen. Der bloße Verwaltungsbesitzer sollte

678

Siehe oben C I 1 a.

679

Siehe oben C 11 b aa.

680

Siehe oben C I 1 b bb (1).

681

Siehe oben C l i c .

682

Siehe oben C I 1 d.

683

Einen Antrag, in den Entwurf eine Vorschrift über den "Inhaber auf beliebigen Widerruf' aufzunehmen, hatte die 1. Kommission abgelehnt, siehe dazu Jakobs/ Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 205. 684

Siehe zur Kritik am 1. Entwurf oben C I 1 e dd.

685

Strohal, JherJb 29 (1890), S. 355.

686

Vgl. Jhering, Besitzwille, S. 503 f.

687

Vgl. Wendt AcP 74 (1889), S. 140; Jhering, Besitzwille, S. 504.

688

Jhering, Besitzwille, S. 504.

15 Härtung

C. Die Besitztatbestände

226

hingegen keinen Besitzschutz genießen. 6 8 9 Die meisten Bundesregierungen schlossen sich diesem Standpunkt a n . 6 9 0

(2) Die Reaktion der 2. Kommission Die Vorkommission des Reichsjustizamtes 6 9 1 und die 2. K o m m i s s i o n 6 9 2 sahen sich durch diese massive K r i t i k veranlaßt, den E n t w u r f um den § 797 a 6 9 3 zu erweitern, dessen Wortlaut i m wesentlichen auf einen Vorschlag des preußischen Justizministers 6 9 4 zurückging und dem späteren § 855 B G B entsprach. Eine sachliche Änderung war damit allerdings von den Kommissionen nicht bezweckt. Nach ihrer Ansicht diente die Einfügung der neuen Vorschrift nur der Ergänzung und Erklärung des § 797 E 1. 6 9 5 Die Rechtsfolge des § 797 a ergebe sich nämlich bei richtiger Auslegung schon aus § 797 E 1, weil von einem auf die Erlangung der tatsächlichen Gewalt gerichteten W i l l e n nur gesprochen werden könne, wenn der Besitzer eine selbständige Stellung zur Sache einnehme. 6 9 6 Übe jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache nicht

689

Siehe dazu oben C I 1 e dd.

690

Vgl. die Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen, Bd. 1, S. 95 ff. und Bd. 2, S. 24 f.: Preußen, Hessen und Baden wollten die bloßen Verwaltungsbesitzer (z.B. Dienstboten, Fabrikaufseher, Hausverwalter) gegenüber den Besitzherrn nicht schützen. Nach der Auffassung Bayerns sollte nur derjenige Besitzschutz genießen, der die Sache in der eigenen tatsächlichen Gewalt mit dem Willen hat, sie in solcher Weise zu besitzen. Ähnlich äußerte sich Sachsen. Besitzer sollte danach vor allem der Eigenbesitzer, der Nutzbesitzer, der Besitzer aufgrund eines willkürlich nicht entziehbaren Verwaltungsrechts (z.B. Sequester, Konkursverwalter) und der Finder sein. In vergleichbarer Weise bestimmten auch Mecklenburg-Schwerin und MecklenburgStrelitz den Kreis der Besitzer (Eigenbesitzer, Nutzbesitzer, Verwaltungsbesitzer aufgrund nicht willkürlich entziehbaren Rechts). Elsaß-Lothringen wollte nur den Inhaber schützen, dem die Sache zum eigenen Vorteil eingeräumt ist, nicht aber den Inhaber, der die tatsächliche Gewalt im Interesse des Besitzers ausübt. Schaumburg-Lippe beschränkte in seiner Stellungnahme den Besitzschutz nach dem Zweck und Ziel der Inhabung. Das Besitzrecht des 1. Entwurfs wurde nur von Anhalt, Lippe, Coburg-Gotha und Reuß ä.L. gebilligt. 691

Protokoll des Reichsjustizamtes S. 603, abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 129. 692

Protokolle (2. Kommission) S. 3340 ff., bei Mugdan, Bd. 3, S. 503 f.

693

§ 778 E 2.

694

Vgl. die Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen, Bd. 1, S. 96, § 799 a. 695

Protokoll des Reichsjustizamtes S. 603, abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 129; Protokolle (2.Kommission) S. 3340, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

II. 2. § 855 BGB

227

flir sich, sondern fur einen anderen derart aus, daß nur dieser andere als Besitzer angesehen werden könne, so solle schon nach dem 1. Entwurf nicht derjenige, der die tatsächliche Gewalt innehabe, sondern derjenige, für den sie ausgeübt werde, als Besitzer behandelt werden. 697 Jedoch sei der 1. Entwurf in diesem Punkt von der Kritik vielfach mißverstanden worden. Deshalb empfehle sich die Aufnahme der neuen Vorschrift in den Entwurf. Dabei solle die Regelung nunmehr in der Weise erfolgen, daß grundsätzlich jeder, der die tatsächliche Gewalt über die Sache erlangt habe, Besitzer sei und nur ausnahmsweise ein Dritter als der eigentliche Besitzer behandelt werde. Für diese Ausnahmen werde sich aber kaum eine vollständig zweifelsfreie Fassung finden lassen.

(3) Schlußfolgerungen Aus der rechtsgeschichtlichen Betrachtung lassen sich vor allem drei Schlußfolgerungen ziehen: (a) Bestätigung bereits gewonnener Ergebnisse Zunächst bestätigt die Kritik am 1. Entwurf und die darauf folgende Reaktion der 2. Kommission die bereits gewonnene Erkenntnis, daß der Begriff der "tatsächlichen Gewalt" nicht wörtlich im Sinne einer bloßen physischen Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache zu verstehen ist 6 9 8 . Diese wörtliche Bedeutung hatten allerdings die Rezensenten des 1. Entwurfs dem Begriff "tatsächliche Gewalt" beigemessen. In ihrer heftigen und nahezu einmütigen Kritik haben sie aber dargelegt, daß es zu einem teilweisen Auseinanderfallen des gesetzlichen Schutzbereichs und der schutzwürdigen Sachverhalte führen würde, wenn man den Besitzschutz - wie es der 1. Entwurf ihrer Meinung nach tat - allein von dem physisch-räumlichen Verhältnis zur Sache abhängig machen würde. Es würden dann zum Teil nicht schutzwürdige Fälle Besitzschutz genießen, während andererseits schutzwürdige Personen vom Besitzschutz ausgeschlossen blieben. Nach Ansicht der Vorkommission des Reichsjustizamtes und der 2. Kommission sollte hingegen § 797 E 1 überhaupt nicht im wörtlichen Sinne ausgelegt werden. Dies ist aus der Begründung zu entnehmen, Schutz solle nur derjenige genießen, der eine "selbständige Stellung zur Sache einnehme" oder der "als Besitzer behandelt werden könne".

696 Protokoll des Reichsjustizamtes S. 603, abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht I, S. 129.

1*

697

Protokolle (2.Kommission) S. 3340, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

698

Siehe oben C I 1 f bb (3).

C. Die Besitztatbestände

228

Die Misere, die die starke Kritik am Besitzrecht des 1. Entwurfs hervorrief und die schließlich zur Einfügung des § 797 a führte, besteht mithin in der unbefriedigenden Formulierung des § 797 E l 6 9 9 . Ein Teil der 2. Kommission erkannte dies auch und forderte eine Neuformulierung des § 797 E 1. Darin sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß der Besitz kein rein physikalisches Gewaltverhältnis sei. Besitzer sei nur derjenige, der eine Sache in seinem Vermögenskreise habe. 700 Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt, vor allem weil man für ihn keine geeignete Gesetzesformulierung fand. 701 Die statt dessen eingefügte Vorschrift des § 797 a konnte dem Problem einige Härten nehmen, beseitigte das Grundübel der Formulierungsschwäche des § 797 E 1 jedoch nicht. Es bleibt beispielsweise bestehen beim Besitz an weit entfernten Gegenständen, die keinem augenblicklichen Zugriff unterliegen, 702 oder wenn mehrere Einzelpersonen, die zueinander nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, als Besitzer in Betracht kommen 703 . Daher ist trotz der Einfügung des § 797 a E 1 daran festzuhalten, daß die tatsächliche Beziehung zur Sache allein letztlich nicht für das Bestehen "tatsächlicher Gewalt" entscheidend ist.

(b) Maßgeblichkeit der Interessenlage Zweitens kann man der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen, daß es für die Frage, ob Besitz oder bloßer Dienergewahrsam nach § 855 BGB vorliegt, maßgeblich auf die Interessenlage ankommt. Alle früheren Rechtsordnungen haben - mehr oder weniger direkt - die beteiligten Interessen herangezogen, um die besitzrechtlich geschützten Positionen von den ungeschützten Fällen der bloßen Inhabung abzugrenzen. 704 Daher ist es naheliegend, die Interessenlage auch über das Bestehen eines Besitzdienerverhältnisses gemäß § 855 BGB entscheiden zu lassen. Es ist nämlich kein Grund ersichtlich, warum einzig und allein das Besitzrecht des BGB ohne einen Bezug zur Interessenlage auskommen sollte.

699

Zu den Formulierungsschwierigkeiten siehe auch oben C I 1 f bb (3).

700

Protokolle (2. Kommission), S. 3342, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

701

Vgl. Protokolle (2.Kommission), S. 3342 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 504. Vorgeschlagen war die Formulierung "Besitzer ist derjenige, welcher eine Sache in seiner thatsächlichen Gewalt hat". Dieser Formulierungsvorschlag half in der Tat kaum weiter. Femer wurde gegen den Änderungsantrag eingewandt, der Besitz sei immer physischer Natur. Dies mag zwar zutreffen, vermag aber die richtige Feststellung, der Besitz sei kein "rein physikalisches Gewaltverhältnis", nicht zu entkräften. 702

Siehe dazu oben C I 2 f dd (3) und C I 1 f aa.

703

Vgl. etwa den Ruhrwiesen-Fall oben C I 2 d cc und C I 2 f dd (5).

704

Siehe oben(l).

II. 2. § 855 BGB

229

Die ausschlaggebende Bedeutung der Interessenbewertung wird auch durch die Protokolle der 2. Kommission belegt. Indirekt gelangt sie dort schon in der Aussage zum Ausdruck, § 797 a (= § 778 E 2) wolle keine Änderung gegenüber § 797 E 1, dem der spätere § 777 E 2 entspricht, bewirken, sondern nur zur Ergänzung und Erklärung dieser Vorschrift dienen 705 . Wie nämlich bereits festgestellt 706, wollte die 2. Kommission bei der Abfassung des besitzrechtlichen Grundtatbestandes (§ 777 E 2) den Besitz vor allem an die Schutzwürdigkeit knüpfen. Die Schutzwürdigkeit setzt dabei, da der Besitz den Individualinteressen zu dienen bestimmt ist, 7 0 7 stets ein gegenwärtiges Interesse des zu Schützenden voraus. Soll § 797 a diesen Grundsatz nicht ändern, sondern nur ergänzen und erklären, dann muß er logischerweise ebenso für § 797 a gelten. Demnach muß die Schutzwürdigkeit und mithin die Interessenlage auch für das Besitzdienerverhältnis maßgeblich sein. Daß die 2. Kommission vom Rechtsanwender eine Interessenabwägung erwartete, geht auch aus dem Eingeständnis hervor, eine zweifelsfreie Fassung werde für § 797 a nicht zu finden sein, vielmehr müsse sich das Gesetz darauf beschränken, die praktisch wichtigsten Fälle hervorzuheben. Wissenschaft und Praxis sei es dann überlassen, "durch eine vernünftige Auslegung für die richtige Anwendung des § 797 a zu sorgen". 708 Nach welchen Kriterien soll nämlich diese "vernünftige Auslegung" erfolgen, wenn die gesetzliche Vorgabe im wesentlichen in der Regelung einiger wichtiger Fälle besteht und die Gesetzesformulierung sogar nach Ansicht des Gesetzgebers selbst zweifelhaft, also vermutlich ungenau ist? Bei dieser Sachlage muß der Wortlaut der Norm jedenfalls in den Hintergrund treten. Erforderlich ist vielmehr die Vornahme einer eigenen Bewertung durch den Rechtsanwender. 709 Dabei muß er sich an den Interessen der beteiligten Personen orientieren. Zunächst ist es bekanntlich ohnehin die Aufgabe des Juristen, die an ihn herangetragenen Streitfragen nach Maßgabe der Gesetze - sofern eine solche besteht - einer interessengemäßen Lösung zuzuführen. Des weiteren besteht der Zweck des Besitzes gerade in dem Schutz eigener Interessen des Besitzers. 710 Diese Interessen müssen daher die Leitlinie der Entscheidung sein, will sich der Jurist nicht dem Vorwurf der Willkür aussetzen. Im übrigen ist der Hinweis auf die vernünftige Auslegung durch Wissenschaft und Praxis das Pendant zu dem Verweis auf die "verständige Gesetzesanwendung", mit dem die 2. Kommission die Formulierung des

705

Protokolle (2. Kommission), S. 3340, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

706

Siehe oben C 11 f bb (3).

707

Siehe dazu oben Β III 1 b aa (1) (d) und (2).

708

Protokolle (2. Kommission), S. 3340 f., bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

709

Siehe zum wertorientierten Denken in der Jurisprudenz Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, II Kapitel 1, 4., S. 214 ff. 710

Siehe oben Β III 1 b aa (d).

230

C. Die Besitztatbestände

§ 111 Abs. 1 E 2 (= § 854 Abs. 1 BGB) begründet hat. 711 Dort kam es der Kommission gleichfalls weniger auf die begrifflich exakte Bestimmung des Besitztatbestandes als vielmehr auf die interessengerechte Erfassung aller schutzwürdigen Sachverhalte an. 712 Die 2. Kommission hat sich ferner auch zu der Frage geäußert, welche Interessen bei § 855 BGB zu berücksichtigen sind: Nach ihrem Willen soll es für das Bestehen eines Besitzdienerverhältnisses entscheidend sein, daß dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt ein "civilrechtlicher Anspruch auf Behalten des Besitzes", insbesondere auch ein Zurückbehaltungsrecht, nicht zusteht. 713 Ein Besitzdienerverhältnis scheidet danach also aus, wenn der Inhaber ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse an der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen tatsächlichen Verhältnisses zur Sache hat. Anders formuliert: Im Falle eines eigenen rechtlich geschützten Kontinuitätsinteresses des Inhabers der "tatsächlichen Gewalt" besteht kein Besitzdienerverhältnis. Die 2. Kommission hat es dabei sogar bewußt in Kauf genommen, daß damit die Rechtsfrage in den Besitzprozeß hineingezogen werden kann: Diese Regelung biete aber andererseits den großen Gewinn, daß sie ein einfaches und regelmäßig leicht und sicher festzustellendes Kriterium schaffe. 714

(c) Ausnahmecharakter des § 855 BGB Den Protokollen der 2. Kommission läßt sich schließlich noch ein weiterer Hinweis entnehmen, der für die Auslegung des § 855 BGB von Bedeutung ist. Nach dem Willen der 2. Kommission handelt es sich bei dieser Norm um eine Ausnahmeregelung zu dem in § 777 E 2 (= § 854 Abs. 1 BGB) niedergelegten Grundsatz, wonach jeder Inhaber der tatsächlichen Gewalt als Besitzer anzusehen ist. 715 Ausnahmevorschriften sind tendenziell eng auszulegen,716 zumindest wenn ihr Ausnahmecharakter auf den gesetzgeberischen Willen zurückgeht. 717 Mithin ist bei der Anwendung des § 855 BGB Zurückhaltung geboten. Im Zweifel ist daher derjenige, der die unmittelbare tatsächliche Einwirkungsmög-

711

Protokolle (2. Kommission), S. 3334, bei Mugdan, Bd. 3, S. 502; siehe auch oben C I 1 e ee. 712

Siehe oben C I 1 fbb (3).

713

Protokolle (2. Kommission), S. 3341, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

714

Protokolle (2. Kommission), S. 3341, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

7,5

Protokolle (2. Kommission), S. 3340, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

716

Vgl. RGZ 153, 1,23; BGHZ 4, 219, 222; 11, 135, 143; BSG NJW 1959, 167, 168; kritisch Weinsheimer, NJW 1959, S. 566. 717

Vgl. die differenzierenden Ausführungen bei Larenz, Methodenlehre, II Kapitel 4, 4 a, S. 355 f.

II. 2. § 855 BGB

231

lichkeit auf die Sache hat, und nicht ein entfernter Dritter als Besitzer zu behandeln.

bb) Systematischer Zusammenhang mit § 854 Abs. 1 BGB und teleologische Auslegung Die ausschlaggebende Bedeutung, die das Kontinuitätsinteresse fur das Bestehen eines Besitzdienerverhältnisses hat, ergibt sich nicht nur aus der Gesetzgebungsgeschichte, sondern auch aus dem bereits zuvor zum Besitz Gesagten: Sie folgt zunächst aus dem engen systematischen Zusammenhang des § 855 BGB mit § 854 Abs. 1 BGB. Wenn nämlich das Kontinuitätsinteresse schon über den Grundtatbestand des unmittelbaren Besitzes entscheidet,718 dann muß es konsequenterweise auch über dessen Einschränkung in § 855 BGB bestimmen. Die Erheblichkeit des Kontinuitätsinteresses ist ferner aus einer teleologischen Gesetzesauslegung herzuleiten: Wie bereits dargelegt, 719 ist es mit der Gewährung des Besitzschutzes bezweckt, bestehende schutzwürdige Kontinuitätsinteressen möglichst zu bewahren. Jedoch ist die tatsächliche Herrschaftslage, auf die in den §§ 854 f. BGB mit dem Ausdruck "tatsächliche Gewalt" und dem Begriff des Weisungsverhältnisses scheinbar allem abgestellt wird, nicht geeignet, alle zu schützenden Sachverhalte zu erfassen 720. Daher muß die Erhaltung von Kontinuitätsinteressen schon bei der Auslegung der Besitztatbestände, also auch bei § 855 BGB, berücksichtigt werden. Nur so ist es möglich, den vom Gesetz angestrebten Schutzzweck effektiv zu erreichen.

cc) Das entscheidende Kriterium: Die Fremdnützigkeit Wie sich aus dem bisher Gesagten ergibt, ist der Tatbestand des § 855 BGB dadurch gekennzeichnet, daß das schutzwürdige Kontinuitätsinteresse nicht bei demjenigen liegt, der tatsächlich mit der Sache hantiert, sondern beim Besitzherrn. Der Besitzherr - und nicht der Besitzdiener - muß in schutzwürdiger Weise auf die jederzeitige tatsächliche Verfügbarkeit der Sache vertrauen dürfen. Die entscheidende Voraussetzung des Besitzdienerverhältnisses ist demnach die Fremdnützigkeit der Inhabung: 721 Der Besitzdiener hat die Sache nicht

718

Siehe dazu oben C I 2 f bb und C I 2 f cc (2).

719

Siehe Β III 1 b a a ( l ) ( d ) .

720

CI 2.

Siehe dazu die Ausführungen zum Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft, oben

C. Die Besitztatbestände

232

aufgrund eines eigenen schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses, sondern im fremden Interesse inne. Dadurch unterscheidet er sich vom Besitzmittler. 722 Diesen Lösungsansatz kann man als Fremdnützigkeitstheorie bezeichnen. Die Relevanz der Fremdnützigkeit ist dabei nicht nur aus der Gesetzgebungsgeschichte, der Gesetzessystematik und dem Gesetzeszweck herzuleiten, sie wird auch durch die Formulierung des § 855 BGB bestätigt. Sie kommt insbesondere in den Worten "für einen anderen", worunter die Inhabung im fremden Interesse zu verstehen ist, aber auch in den Beispielsfällen "Haushalt" und "Erwerbsgeschäft" zum Ausdruck. 723 Diesen Beispielen ist es nämlich gemeinsam, daß die Sachherrschaft im Interesse des Arbeitgebers ausgeübt wird, der die Angestellten in seinem Haushalt oder Betrieb beschäftigt: Er allein zieht den Nutzen aus der geleisteten Arbeit und trägt die Gefahr ihrer Erfolglosigkeit, während die Angestellten am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Tätigkeit nicht unmittelbar beteiligt sind. 724

(1) Keine eigenen rechtlichen Interessen des Besitzdieners An der Fremdnützigkeit der Inhabung fehlt es, wenn der Inhaber der "tatsächlichen Gewalt" ein Recht zum Besitz, ein Zurückbehaltungsrecht 725 oder ein sonstiges rechtliches Interesse unmittelbar 726 an der Sache72 hat. In diesen Fällen kommt ein Besitzdienerverhältnis nicht in Betracht. Deshalb ist z.B. der Mieter einer Sache ebensowenig Besitzdiener des Eigentümers wie der Finder. Auch das Eigentum des Inhabers läßt einen Besitzdienerstatus nicht zu: Ein Gendarm ist daher bezüglich eines Dienstpferdes, das in seinem Eigentum steht, nicht Besitzdiener des Staates.728 Ein Besitzdienerverhältnis liegt ferner dann nicht vor, wenn der Zugriff auf die Sache das Persönlichkeitsrecht 729 des

721 Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 21 ff.; Eichler, Sachenrecht, Bd. 2, 1. Hlbbd., S. 31. Staudinger/Bund § 855 Rn. 12 ff. hält teilweise die Fremdnützigkeit neben der Weisungsgebundenheit für maßgeblich; vgl. auch Krüger, Erwerbszurechnung, S. 128. Neben anderen Kriterien verwendet auch Enders S. 46 f f , 75 das Kriterium der Fremdnützigkeit zur Bestimmung des Besitzdienerbegriffs. 722

Vgl. auch Enders S. 47.

723

Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 21 f.; Staudinger/Bund § 855 Rn. 12; vgl. auch Eichler, Sachenrecht, Bd. 2, 1. Hlbbd., S. 31. 724

Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 21 f.; Staudinger/Bund § 855 Rn. 12.

725

Rohde, Bd. XX, S. 49; Staudinger/Bund 855 Rn. 13.

726

Zum Erfordernis der Unmittelbarkeit siehe unten dd.

727

Vgl. auch oben C I 2 f bb (2) (d).

728

RGZ 55, 163, 165 f.

729

Vgl. dazu auch oben C I 2 f bb (2) (c).

II. 2. § 855 BGB

233

Sachinhabers oder einen sonstigen Vertrauenstatbestand 730 verletzen würde. Der Inhaber hat nämlich ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse hinsichtlich der Gegenstände, die seinem Privatbereich zuzuordnen sind. Beispielsweise endet daher der Besitz des Besitzherrn, wenn der Besitzdiener die Sache in seine Privatwohnung schafft oder in seiner Kleidung versteckt, 731 um sie dem Besitzherrn auf Dauer (§ 856 Abs. 2 BGB) zu entziehen.732 Schließlich scheidet ein Besitzdienerverhältnis aus, wenn der Sachinhaber ein selbständiges, d.h. nicht vom Willen eines Geschäftsherrn abhängiges Verwaltungsrecht hat. Der Insolvenzverwalter (§§ 56 ff. InsO), der Nachlaßpfleger (§§ 1960 ff. BGB) oder der Testamentsvollstrecker (§§ 2197 ff. BGB) ist daher nicht Besitzdiener. 733 Er kann die ihm im Interesse Dritter (Insolvenzgläubiger, Erbe, Erblasser) übertragenen Aufgaben nur dann sachgerecht erfüllen, wenn die zu verwaltenden Gegenstände für ihn tatsächlich verfügbar sind und ihm nicht ohne weiteres entzogen werden können. Hierin offenbart sich sein Kontinuitätsinteresse. Ferner ist der das Gesamtgut allein verwaltende Ehegatte (§ 1422 BGB) unmittelbarer Besitzer. 734 Ihm kann das Verwaltungsrecht nicht ohne weiteres entzogen werden (vgl. § 1447 BGB). Ebensowenig ist das Amtsgericht als Hinterlegungsstelle Besitzdiener. 735 Hingegen steht z.B. der vom Eigentümer bestellte Hausverwalter grundsätzlich 736 in einem Besitzdienerver-

730

Vgl. oben C I 2 f bb (2) (e).

731

Vgl. Müller, Sachenrecht, Rn. 220, der allerdings die Besitzbeendigung mit der fehlenden unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit des Besitzherrn begründet. 732

Freilich erfüllt dieses Verhalten aber den Tatbestand der verbotenen Eigenmacht (§ 858 BGB). 733

Vgl. Strohal JherJb. 29 (1890), S. 361 f.

734

Staudinger/Bund § 855 Rn. 20.

735

KG OLGE 15 (1907), 347, 348; Soergel/Mühl § 855 Rn. 7.

736 Vgl. BGH W M 1960, 1148, 1149 (Verwalter eines Lichtspieltheaters); RGZ 99, 208, 209 (Gutsverwalter); eine Ausnahme besteht nach Meinung des BGH dann, wenn der Besitzer dem Verwalter weitgehende Entscheidungsbefugnisse übertragen hat, siehe BGH aaO; vgl. zu den Ausnahmen auch KG OLGE 42 (1922), 272. Wohl weitergehend LG Mannheim MDR 1973, 764: Der Hausverwalter sei Besitzer, wenn er alle Geschäfte hinsichtlich der Vermietung der Wohnung als Vertreter in eigener Zuständigkeit erledige und der Eigentümer auswärts wohne. Allerdings bejaht das LG Mannheim eine Gegenausnahme, wenn der Verwalter abweichend von der sonst geltenden Bevollmächtigung einer Einzelanweisung in einer bestimmten Angelegenheit (Anbringung eines Sicherheitsschlosses) gefolgt ist. Dann sei "der Hausverwalter insoweit nur weisungsgebundener Besitzdiener" - eine zweifelhafte Konstruktion: Der Hausverwalter ist danach grundsätzlich Besitzer, für den Geltungsbereich einer bestehenden Einzelweisung soll er es aber wiederum nicht sein. Diese Differenzierung wird der Bedeutung und dem Charakter des Besitzes als absolutes Recht nicht gerecht. Die Zuordnung des Besitzes kann kaum von einer zwischenzeitlichen Einzelweisung abhängen. Ständiger willkürlicher und nach außen nicht in Erscheinung tretender Besitzwechsel wäre sonst die Folge. Die Entscheidung über den

C. Die Besitztatbestände

234

hältnis, denn er wird ausschließlich im Interesse seines Geschäftsherrn tätig. Der Eigentümer kann ihm jederzeit das Verwaltungsrecht entziehen, ohne daß dadurch eigene Interessen des Verwalters, die sich unmittelbar auf die Sache beziehen737, betroffen wären. (2) Schutzwürdige Kontinuitätsinteressen des Besitzherrn Die Fremdnützigkeit der Sachinhabung setzt ferner - d.h. neben dem Fehlen eigener schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen des Sachinhabers - voraus, daß der Besitzherr überwiegende schutzwürdige Kontinuitätsinteressen hinsichtlich der Sache hat. In der Person des Besitzherrn müssen deshalb grundsätzlich die gleichen Kriterien 738 erfüllt sein, die auch für die Bejahung des unmittelbaren Besitzes nach § 854 Abs. 1 BGB vorliegen müssen.739 (a) Tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit Der Besitzherr muß daher - zumindest zukünftig - tatsächlich auf die Sache zugreifen können. 740 Dies ist regelmäßig bei den Gegenständen zu bejahen, die sich innerhalb seiner betrieblichen oder häuslichen Sphäre befinden. Bei außerhalb gelegenen Sachen ist hingegen Zurückhaltung geboten: Zwar steht eine große Entfernung dem Besitz grundsätzlich nicht entgegen, jedoch ist hier eine sorgfältigere Abwägung erforderlich. 741 Es muß dabei insbesondere beachtet werden, daß der Sachinhaber eine enge tatsächliche Beziehung zur Sache hat und möglicherweise auf ihr Vorhandensein vertraut, während der Geschäftsherr - z.B. bei der Überlassung von Musterstücken an den Reisenden - 7 4 2 zumindest auf die gegenwärtige Verfügbarkeit verzichtet hat. 743 Ferner ist zu berücksichti-

Besitz sollte daher nicht von der momentanen Herrschaftslage (Einzelweisung), sondern von einer grundlegenden Bewertung der Kontinuitätsinteressen abhängen. 737 Nicht zu berücksichtigen ist das persönliche Interesse des Hausverwalters am Fortbestand des Dienstverhältnisses. Es wird nicht durch das Besitzrecht, sondern durch das Dienstvertragsrecht und das Arbeitsrecht (z.B. durch Kündigungsschutzvorschriften) geschützt. 738

Siehe oben C I 2 f.

739

Damit wird zugleich der Ansicht der 2. Kommission Rechnung getragen, § 855 BGB bewirke keine Änderung des § 854 Abs. 1 BGB; siehe dazu oben aa (2). 740

Vgl. oben C I 2 f bb (2) (a).

741

Vgl. oben C I 2 f dd (3).

742

Siehe dazu unten ee (2).

743

Ausgehend von der Friedenstheorie will auch Pawlowski, Rechtsbesitz, § 12, S. 19 f. die Geltung des § 855 BGB auf die Einordnung in eine bestehende Organisation beschränken: Nur der enge Zusammenhang (Haus, Betrieb) lasse das Abwarten staatlicher Hilfe für den Geschäftsherrn als unzumutbar erscheinen.

II. 2. § 855 BGB

235

gen, daß es sich bei § 855 BGB um eine Vorschrift mit Ausnahmecharakter 744 handelt, die, angesichts ihres Wortlautes ("in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft"), auch in ihrem räumlichen Anwendungsbereich einschränkend auszulegen ist. Allerdings ist ein Besitzdienerverhältnis hinsichtlich der Gegenstände, die sich außerhalb der häuslichen oder betrieblichen Sphäre befinden, nicht völlig auszuschließen. Die 2. Kommission wollte § 778 E 2 (= § 855 BGB) beispielsweise beim Dienstboten, der für die Herrschaft Einkäufe in einem Laden macht, anwenden.745

(b) Aspekte der Interessenbewertung Das erforderliche schutzwürdige Kontinuitätsinteresse des Besitzherrn wird zumeist vermögensrechtlicher Natur sein. 746 Dies ist etwa der Fall, wenn der Besitzherr Eigentümer der Sache ist oder ein durchsetzbares Recht zum Besitz der Sache hat. Im Einzelfall kann sich das schutzwürdige Kontinuitätsinteresse aber auch unmittelbar aus der Ausgestaltung der Beziehung zur Person, die die Sachherrschaft tatsächlich ausübt, ergeben. Dies wird jedoch nur relevant, wenn an der Sache selbst weder ein Recht des Besitzherrn noch ein Recht des Inhabers besteht, also etwa bei einer Fundsache. In diesem Fall findet § 855 BGB dann Anwendung, wenn der "andere" aufgrund der inhaltlichen Regelung des Verhältnisses zum Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft darauf vertrauen kann, daß dieser fremdnützig für ihn handelt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossene Arbeitsvertrag ausdrückliche Regelungen enthält, wie mit bestimmten Sachen zu verfahren ist. 7 4 7 Eine bloße "soziale Abhängigkeit" vermag hingegen ein solches Vertrauen nicht zu begründen. 748

Sofern der Inhaber der Sache ausschließlich im Interesse eines anderen tätig wird, kann sich im Einzelfall ein Besitzdienerverhältnis auch aus einer bloßen Gefälligkeit ergeben. Beispiel: 149 Ein alter Herr entdeckt auf einem Abhang eine verlorene Geldbörse. Er bittet einen jungen Passanten, die Fundsache heraufzuholen. Der Passant erweist ihm 744

Siehe oben aa (3) (c).

745

Protokolle (2. Kommission), S. 3341, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

746

Staudinger/Bund § 855 Rn. 12.

747

Siehe unten ee (3) (b).

748

Vgl. oben a cc.

749

Nach Gottwald, JuS 1979, 249.

236

C. Die Besitztatbestände

den Gefallen und bringt ihm die Geldbörse. Der alte Herr erwirbt den Besitz in dem Zeitpunkt, in dem der Passant die Geldbörse tatsächlich ergreift.

Bei der Prüfung der Schutzwürdigkeit ist ferner zu beachten, ob der Geschäftsherr bei der Weitergabe der Sache seine eigenen besitzrechtlichen Interessen gewahrt hat. 750 Es kann daher beispielsweise entscheidend sein, ob die Sachüberlassung nach ihrem objektiven Erscheinungsbild auf betrieblichen Bedürfnissen beruht. Dies ist etwa bei der Bedienung einer Baumaschine auf einer Baustelle durch einen Bauarbeiter der Fall. Ebenso kann es darauf ankommen, ob die Sache - etwa durch einen Firmenaufdruck - als zum Betrieb gehörig gekennzeichnet ist.

dd) Kritik Soweit ersichtlich, werden im Schrifttum drei verschiedene Einwände dagegen erhoben, die Fremdnützigkeit der Sachinhabung als das entscheidende Tatbestandsmerkmal des Besitzdienerverhältnisses zu betrachten: Als erstes wird der "Fremdnützigkeitstheorie" entgegengehalten, der Interessenbegriff sei viel zu unscharf, um eine Entscheidungshilfe bieten zu können. 751 Zweitens dürfe man beim Besitz nicht auf die innere Beziehung zur Sache, sondern nur auf ihre äußere Beherrschung abstellen. 752 Schließlich wird als Kritik vorgebracht, daß der Besitzdiener einerseits auch im eigenen Interesse handeln könne: Ein solches Interesse sei beispielsweise bei dem im Akkord arbeitenden Former in einer Gießerei zu bejahen, der das Werkzeug des Betriebsinhabers in der Hand halte; der Arbeiter habe ein Eigeninteresse wegen der Abhängigkeit seines Lohns vom Erfolg seiner Arbeit. Andererseits sei es aber auch möglich, daß ein Besitzer die tatsächliche Gewalt im fremden Interesse ausübe (Beispiel: unentgeltlich verwahrender Treuhänder). 753 Alle diese Einwände können im Ergebnis nicht überzeugen: Der Vorwurf der Unschärfe ist eher gegen den Begriff der "sozialen Abhängigkeit" als gegen die "Fremdnützigkeitstheorie" zu richten. Dies erhellt sich schon aus den umständlichen Versuchen, mit denen die h.M. den Tatbestand der "sozialen Abhängigkeit" umschreiben will und folgt vor allem aus derem

750

Vgl. oben C I 2 f bb (2) (f).

751

MünchKomm/Joost § 855 Rn. 6; vgl. auch Enders S. 47.

752

Erman/Werner § 855 Rn. 2. Ähnlich Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1: Es komme nicht auf das "Warum", sondern auf das "Wie" der Sachbeziehung an. 753 Enders S. 47 f.; Krüger, Erwerbszurechnung, S. 128; MünchKomm/Joost § 855 Rn. 6; Rosenberg, Sachenrecht, § 855 Anm. II 1, S. 41 f. Vgl. auch Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 II 1.

II. 2. § 855 BGB

237

Verweis auf die Verkehrsanschauung 754. Während nämlich die nicht näher defmierbare Verkehrsanschauung kaum Anhaltspunkte dafür enthält, wann ein soziales Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, 755 wird der (ausfüllungsbedürftige) Interessenbegriff durch den Zweck des Besitzrechts präzise eingegrenzt: Wie sich aus dem bisher Gesagten ergibt, 756 ist nur das schutzwürdige Kontinuitätsinteresse besitzrechtlich relevant, 757 d.h. es muß ein schutzwürdiges Interesse gerade an der Aufrechterhaltung der bestehenden tatsächlichen Beziehung zur Sache vorliegen. Durch die unmittelbare Berücksichtigung des Gesetzeszwecks und der geschützten Interessen wird außerdem sichergestellt, daß - anders als bei der Heranziehung der dem Herrschaftsgedanken entstammenden "sozialen Abhängigkeit" seitens der h.M. 7 5 8 - die Entscheidung über den Besitz auf sachgerechten Erwägungen beruht. Dies dient der Rechtssicherheit beim Besitz. Der zweite Einwand, mit der Fremdnützigkeit werde zu Unrecht auf die innere Beziehung zur Sache anstatt auf ihre äußere Beherrschung abgestellt, ist aus drei Gründen nicht gerechtfertigt: Wie das Beispiel von RGZ 71, 248 gezeigt hat, 759 kann man erstens einen ähnlichen Vorwurf auch der h.M. entgegenhalten, wenn sie das Bestehen eines Besitzdienerverhältnisses von den internen Beziehungen zwischen Besitzherrn und Besitzdiener - etwa der fehlenden Befugnis, Preisnachlässe zu gewähren - abhängig macht. Zweitens trifft es nicht zu, daß die Fremdnützigkeitstheorie die innere Beziehung zur Sache als ausschlaggebend erachtet. Maßgeblich für die Fremdnützigkeit ist nämlich nicht die innere Einstellung des Besitzdieners, sondern die objektive Abwägung der Interessen von Besitzherr und Besitzdiener 760. Dies sind nach außen hervortretende Umstände. Drittens bedeutet, wie die bisherige Untersuchung ergeben hat, 761 "tatsächliche Gewalt" im Sinne des BGB nicht bloße physische Einwirkungsmöglichkeit, sondern in erster Linie besitzrechtliche Schutzwürdigkeit. Trotz des Wortlautes des § 855 BGB ("Übt jemand die tatsächliche

754

Vgl. dazu oben 2 a aa.

755

Dies gilt um so mehr, als es eine "soziale Abhängigkeit" nach heutiger gesellschaftlicher Anschauung nicht mehr gibt, vgl. oben a cc (1). Siehe zu den Problemen der Verkehrsanschauung auch I 2 a und II 2 a dd (1). 756

Vgl. I 2 f, siehe auch II 2 b cc.

757

Auf einer Verkennung dieses Umstandes beruht wohl auch der dritte dargelegte Einwand gegen die Fremdnützigkeitstheorie, dazu sogleich. 758

Zu den teilweise konfliktfremden Erwägungen der h.M. bei der Anwendung des § 855 BGB siehe oben 2 a cc (3). 759

Siehe dazu oben 2 a cc (3).

760

Staudinger/Bund § 855 Rn. 14.

761

Siehe oben C I 2 f. Vgl. auch die obigen Ausführungen unter C I 1 f bb (3) zu den Erwägungen, die die zweite Kommission bei der Formulierung des Besitztatbestandes angestellt hat.

238

C. Die Besitztatbestände

Gewalt... für einen anderen ... aus ...") kommt es daher nicht entscheidend auf die äußere Beherrschung der Sache an. Vielmehr wird dem Tatbestand des § 855 BGB durch die objektive Interessenwürdigung ausreichend Rechnung getragen. 762 Der dritte gegen die Fremdnützigkeitstheorie vorgebrachte Einwand schließlich verkennt, daß nicht jedes beliebige mit der Sache in Verbindung stehende Interesse für die Beurteilung der Besitzlage bedeutsam ist. Es kommt im Gegenteil nur auf ein solches Interesse an, dessen Schutz vom Recht des Besitzes bezweckt ist, 763 nämlich 764 auf das selbständige, schutzwürdige Kontinuitätsinteresse hinsichtlich der Sache. Dieses Kontinuitätinteresse liegt im Gießerei-Beispiel allein beim Betriebsinhaber: Er zieht unmittelbar die Früchte aus der mit Hilfe des Werkzeugs geleisteten Arbeit, trägt das Erfolgsrisiko und ist daher auf die jederzeitige tatsächliche Verfügbarkeit der zu seinem Betrieb gehörenden und in seinen Räumlichkeiten lagernden Arbeitsgeräte angewiesen. Er muß auf ihr ständiges Vorhandensein vertrauen können. Der Schutz dieses sich unmittelbar auf die Sache beziehenden Interesses ist vom Besitz bezweckt. Der im Akkord arbeitende Former indes mag zwar zugleich ein Interesse daran haben, ungestört mit dem ihm überlassenen Werkzeug arbeiten zu können, um einen höheren Lohn zu erzielen. Besitzrechtlich ist dieses Interesse jedoch irrelevant, denn es besteht nicht an der Sache selbst, sondern ist rein arbeitsrechtlicher Natur: Der Arbeitnehmer will nicht - wie etwa ein Eigentümer oder ein Mieter- ein unmittelbar an der Sache bestehendes Interesse verwirklichen, 765 er erstrebt in Wahrheit eine seinen Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung 766 und eine seinem Leistungsvermögen angemessene Entlohnung. Es steht hier somit nicht ein Interesse an der Sache, sondern das Recht am Arbeitsplatz in Frage. Das Recht des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz will der Besitz aber nicht gewährleisten. 767 Das Besitzrecht wäre auch überhaupt nicht geeignet, diese Interessen zu schützen, weil es die Details der Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und -nehmer nicht berücksichtigen kann. 768 Ein Schutz 762

Vgl. Eichler, Sachenrecht Bd. 2, 1. Hlbbd., S. 31.

763

So auch Müller-Erzbach AcP 142 (1936), S. 26 f.

764

Siehe oben Β III 1 b aa (d) und C I 2 f.

765 Denkbar ist allerdings ein rein affektives Interesse des Arbeitnehmers an seinem Werkzeug. Ein solches wäre aber gegenüber den überwiegenden betrieblichen Interessen und ggf. den Eigentümerinteressen des Betriebsinhabers nicht schutzwürdig. 766

Zum Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers siehe BAG (GS) NJW 1985, 2968, 2969 ff. = BAGE 48, 122, 130 ff. = AP zu §611 BGB (Beschäftigungspflicht) Nr. 14; Palandt/Putzo § 611 Rn. 118 ff.; Staudinger/Richardi § 611 Rn. 798 ff. 767 768

Vgl. auch Baur/Stümer, Sachenrecht, § 7 C II 2, S. 66.

Auf einem ähnlichen Gedanken beruht übrigens § 866 BGB: Die besitzrechtliche Regelung tritt zurück, damit die zwischen den Mitbesitzern bestehenden Regelungen beachtet werden können; vgl. dazu MünchKomm/Joost § 866 Rn. 12.

II. 2. § 855 BGB

239

des Arbeitnehmers vor einer Lohneinbuße im Falle eines Entzugs des Werkzeugs kann lediglich durch das Arbeitsrecht, d.h. auch unter Berücksichtigung der kollektiven und individuellen arbeitsrechtlichen Vereinbarungen, im Wege der Gewährung einer Entschädigung erreicht werden. Die Existenz einer Schadensersatzpflicht 769 des Arbeitgebers ändert im übrigen nichts an der Zuweisung des Besitzes: Muß der Arbeitgeber die Folgen eines Sachentzuges tragen, dann soll er folgerichtig auch frei über die Sache disponieren können. Soweit aber andererseits das Arbeitsrecht dem Arbeitnehmer den Schutz verweigert, darf diese Wertung auch nicht durch das Besitzrecht umgangen werden. Der Besitz des Handwerkers ist aber zu bejahen, wenn er Eigentümer des Werkzeuges ist, denn auf die jederzeitige Verfügbarkeit seines Eigentums darf er vertrauen. Auch das Beispiel vom unentgeltlich verwahrenden Treuhänder spricht nicht gegen die Fremdnützigkeitstheorie, denn der Treuhänder hat sehr wohl ein eigenes schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse: Er ist aufgrund des Verwahrungsvertrages verpflichtet, die ihm anvertraute Sache aufzubewahren und bei Vertragsende herauszugeben. Verletzt er diese Pflichten, trifft ihn unter Umständen eine Schadensersatzpflicht aus §§ 695, 280 BGB oder aus pVV. Daneben sind auch für den unentgeltlichen Verwahrer mit der Innehabung der Sache eventuell unmittelbare Vorteile verbunden, die seine Rechte aus dem Verwahrungsvertrag sichern. Er kann nämlich etwaige Aufwendungs- oder Schadensersatzansprüche (§§ 693 f. BGB) leichter mit Hilfe eines Zurückbehaltungsrechts durchsetzen. Der Treuhänder ist daher - einerseits um seine vertraglichen Pflichten erfüllen zu können und einer etwaigen Schadensersatzpflicht zu entgehen, andererseits um seine eigene vertragliche Rechtsstellung zu sichern darauf angewiesen, daß ihm die zu verwahrende Sache tatsächlich zur Verfügung steht. Seine rechtliche Position ist mithin maßgeblich von dem tatsächlichen Verhältnis zur Sache geprägt. Er muß deshalb auf das Vorhandensein der Sache vertrauen und sie ggf. gegen Dritte verteidigen können. Dieser Interessenlage entsprechend schützt ihn das Gesetz als Besitzer der verwahrten Sache. Daß die Verwahrung überdies dem wirtschaftlichen Interesse eines anderen dient, spielt dabei besitzrechtlich keine Rolle. - Anders ist die Situation hingegen bei einem Arbeitnehmer, dem im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses eine Sache zur Aufbewahrung innerhalb der Firmenräume anvertraut wird. Seine Rechtsstellung bleibt vom tatsächlichen Verhältnis zur Sache unberührt, sie bestimmt sich vielmehr nach dem Arbeitsrecht: Der Arbeitnehmer erhält seinen Lohn auch, wenn ihm die Sache entzogen wird oder ihm auf sonstige Weise verloren geht. Ferner haftet er für die Sache nur nach arbeitsrechtlichen Maß-

769 Entsprechend dem Grundsatz des § 615 BGB hat ein im Akkordlohn arbeitender Arbeitnehmer Anspruch auf den Durchschnittsverdienst, wenn die Ursache für eine Minderleistung in der Sphäre des Arbeitgebers liegt. Das Arbeitsentgeltrisiko darf nämlich nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden; Soergel/Kraft § 611 Rn. 168; Staudinger/Richardi § 611 Rn. 570.

C. Die Besitztatbestände

240

Stäben.770 Außerdem bleibt ein überwiegendes schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse des Arbeitgebers bestehen, da er auf die jederzeitige Verfügbarkeit der Sache innerhalb seiner Firmenräume vertrauen darf. Mithin ist allein der Arbeitgeber Besitzer der Sache. Dies ändert sich allenfalls, wenn die Sache an einen Ort gebracht wird, wo sie dem Zugriff des Arbeitgebers dauerhaft entzogen ist und dieser daher nicht mehr auf ihr Vorhandensein vertrauen kann oder wenn sich die Interessenlage der bei einer Verwahrung bestehenden annähert. Sowohl am Beispiel des Gießereiarbeiters als auch an dem des Verwahrers wird deutlich, daß nur solche Interessen für den Besitz beachtlich sind, die sich unmittelbar auf die Sache selbst beziehen und deren Fortbestand weitestgehend von der Innehabung der Sache abhängig ist.

ee) Einzelfälle Im folgenden soll noch auf einige besondere Fallgestaltungen eingegangen werden.

(1) Ausgelagerte Arbeitsgeräte und Dienstwagen Der Betriebsinhaber ist grundsätzlich Besitzer der Arbeitsgeräte, Fahrzeuge und Maschinen, die zu seinem Betrieb gehören. Dies gilt insbesondere für die Gegenstände, die sich auf seinem Betriebsgelände befinden. Aber auch eine Auslagerung der Sachen steht dem Besitz des Betriebsinhabers nicht entgegen, solange sie nicht nach den allgemeinen Kriterien 771 zum Untergang des Kontinuitätsinteresses oder seiner Schutzwürdigkeit führt. 772 Daher ist zum Beispiel der Bauunternehmer und nicht der Bauarbeiter als Besitzer der auf einer Baustelle aufgestellten Baumaschinen oder Baugerüste anzusehen, es sei denn, der Bauherr hat daran - etwa weil er die Maschine oder das Gerüst gemietet hat ein überwiegendes, schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse. Dann ist der Bauherr Besitzer. Auch bei einem Lieferfahrzeug, das nach der Durchführung der Auslieferungsfahrten regelmäßig vom Fahrer auf dem Betriebsgelände abgestellt wird, wird man den Besitz des Betriebsinhabers bejahen müssen. Dies gilt zumindest, wenn das Lieferfahrzeug als zu einem Betrieb gehörig erkennbar ist.

770 Zur neueren Entwicklung der Haftungsbeschränkungen für Arbeitnehmer im Arbeitsrecht siehe BAG (GS) NJW 1993, 1732; BGH NJW 1994, 856; Palandt/Putzo § 611 Rn. 156 ff. 771

Siehe dazu oben cc.

772

Vgl. insbesondere oben cc (2) (a).

II. 2. § 855 BGB

241

Anders ist die Rechtslage hingegen bei einem Dienstwagen, der einem Angestellten sowohl zu dienstlichen als auch zu privaten Zwecken überlassen wird. Hier besteht unmittelbar an der Sache ein eigenes Kontinuitätsinteresse des Arbeitnehmers: Er hat auf die Verfügbarkeit des Firmenwagens vertraut und - im Regelfall - entweder auf die Haltung eines eigenen Kraftfahrzeugs verzichtet oder anderweitig über sein Privatfahrzeug disponiert. Ohne den Dienstwagen ist er in seiner Mobilität stark eingeschränkt. Die Schutzwürdigkeit dieses Kontinuitätsinteresses folgt daraus, daß die Überlassung eines Dienstwagens als sogenannte freiwillige Sozialleistung eine Gegenleistung aus dem Arbeitsverhältnis darstellt und daher Entgeltcharakter hat. 773 Häufig kommt hinzu, daß der Arbeitnehmer sich an den Kosten des Fahrzeugs beteiligt hat. Außerdem hat der Arbeitgeber mit der Überlassung des Wagens einen Vertrauenstatbestand geschaffen. 774

(2) Musterstücke des Handlungsreisenden Eine Besonderheit gilt für die Musterstücke, die ein Handlungsreisender bei seinen Werbereisen mit sich führt. Abweichend von dem Grundsatz, daß die zu einem Betrieb gehörenden Gegenstände sich im Besitz des Betriebsinhabers befinden, ist hier nicht der Geschäftsherr, sondern der Handlungsreisende als Besitzer anzusehen. Zwar steht allein die Auslagerung der Musterstücke aus der Betriebssphäre dem Besitz des Geschäftsherrn nicht zwingend entgegen, sie bietet aber Anlaß zu einer genauen Abwägung der Kontinuitätsinteressen. 775 Diese Interessenbewertung ergibt, daß der Geschäftsherr - anders als bei Werkzeugen, die zu seinem Betrieb gehören 776 - nicht auf die ständige Verfügbarkeit der Musterstücke vertrauen darf: Ziel der Entsendung von Handlungsreisenden ist es, einen möglichst persönlichen Kontakt zu potentiellen Kunden zu schaffen. Der Handelsvertreter soll bei den Verkaufsgesprächen gezielt auf die Erwartungen und Wünsche der einzelnen Kunden eingehen. Dabei ist es nicht unüblich, dem Kaufinteressenten einige Zugeständnisse (Werbegeschenke, Sonderkonditionen, Lieferversprechen) zu machen, zumal es sich bei dem Vertrieb von Waren durch Handlungsreisende um eine aggressive Form der Kun-

773

Staudinger/Richardi § 611 Rn. 614 ff. Zur Rechtsnatur der freiwilligen Sozialleistungen siehe auch Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeitsbedingungen, 1970, S. 145 ff.; von Arnim, Die Verfallbarkeit von betrieblichen Ruhegeldanwartschaften, 1970, S. 84 f.; Richardi ZfA 1976, S. 7 f., 10 f.; Moll, Die Mitbestimmung des Betriebsrats beim Entgelt, 1977, S. 136 ff. 774

Zum Vertrauenstatbestand als Kriterium der Schutzwürdigkeit siehe oben C I 2 f bb (2) (e). 775

Siehe oben cc (2) (a).

776

Siehe auch oben (1).

16 Härtung

C. Die Besitztatbestände

242

denwerbung handelt, bei der der Geschäftskontakt nicht - wie bei normalen Kaufgeschäften - vom Kunden, sondern vom Handelsvertreter hergestellt wird. Außerdem ist die Möglichkeit durchaus naheliegend, daß der Handlungsreisende in die Verlegenheit kommt, ein Musterstück übereignen zu müssen, weil sich ein Kunde nicht auf eine spätere Lieferung vertrösten lassen und sonst von einem Vertragsabschluß, von dessen Vorteil er soeben überzeugt wurde, wieder Abstand nehmen will. Das Berufsbild des Handlungsreisenden erfordert also eine gewisse Eigenständigkeit und Selbständigkeit im Umgang mit den Kunden. Nur wenn diese Voraussetzungen gewährleistet sind, kann der Handlungsreisende seine Aufgaben sachgerecht erfüllen. Wer als Geschäftsherr von seinen angestellten Handlungsreisenden einerseits eine erfolgreiche Kundenwerbung erwartet, muß ihnen deshalb andererseits - so verlangt es der Geschäftsalltag - eine gewisse Freiheit auch im Umgang mit den Musterstücken einräumen. Er muß zumindest mit dem Verlust der Verfügungsmöglichkeit über die Musterstücke rechnen. Der Geschäftsherr gibt daher zwangsläufig mit der Aushändigung der Musterstücke an den Handlungsreisenden seine Kontinuitätsinteressen und somit seinen Besitz auf. Besitzer ist nunmehr allein der Handlungsreisende. 777 Mit der Zuerkennung des Besitzerstatus wird nicht nur dem Charakter des § 855 BGB als Ausnahmevorschrift Rechnung getragen, wonach im Zweifel die sachnähere Person als Besitzer zu behandeln ist. 7 7 8 Die Zuweisung des Besitzes entspricht auch durchaus einem schutzwürdigen Interesse des Handlungsreisenden, denn der Handlungsreisende ist bei seiner Reise weitgehend auf sich selbst gestellt und kann bei Angriffen Dritter nicht mit schneller Hilfe durch den Geschäftsherrn rechnen. Deshalb ist es sachgerecht, ihm nicht nur die Selbsthilferechte, die ihm auch als Besitzdiener zustehen würden (§ 860 BGB), sondern darüber hinaus auch die Ansprüche des Besitzers aus §§861 f. BGB zuzugestehen. Der Geschäftsherr seinerseits bleibt gegenüber Dritten besitzrechtlich ggf. durch § 869 BGB geschützt. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird unter anderem daran ersichtlich, daß es zu Recht vielfach als nicht sachgerecht empfunden wird, wenn ein etwaiger Gutglaubenserwerb durch Dritte gemäß § 935 BGB an einem fortbestehenden unmittelbaren Besitz des Geschäftsherrn scheitern würde. 779 Dies gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil das Innenverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Handlungsreisendem einem außenstehenden Dritten nicht erkennbar ist und es auch selbständige Handelsvertreter gibt, die zweifellos Besitzer ihrer Musterstücke sind und über sie verfügen dürfen. Will der Geschäftsherr einen Eigen-

777

Für eine einschränkende Auslegung des § 855, allerdings mit anderer Begründung, auch Pawlowski, Rechtsbesitz, § 12, S. 20. 778

Siehe oben aa (3) (c).

779

Siehe dazu bereits oben a ee mit Nachweisen.

II. 2. § 855 BGB

243

tumsverlust durch einen Gutglaubenserwerb verhindern, muß er daher den guten Glauben an das Eigentum oder die Verfügungsbefugnis (§§ 54 f. HGB) des Handelsvertreters, etwa durch einen entsprechenden Aufdruck auf dem Musterstück, zerstören. Ansonsten verbleibt ihm nur ein Schadensersatzanspruch gegen seinen Angestellten wegen des weisungswidrigen Verhaltens - sofern ein solcher nach dem Arbeitsrecht besteht.

(3) Besitzerwerb durch den Besitzdiener Der Besitz kann durch einen Besitzdiener nicht nur ausgeübt, sondern durch ihn auch erworben werden. Dies entspricht einem praktischen Rechtsbedürfiiis, ist allgemein anerkannt 780 und war außerdem von der 2. Kommission so beabsichtigt 781 .

(a) Voraussetzungen Die Voraussetzungen des Besitzerwerbs stimmen mit denen der Besitzausübung durch einen Besitzdiener überein: Grundsätzlich ist die Person Besitzer, die der Sache tatsächlich am nächsten steht, sie also selbst ergreift. 782 Der "andere" erlangt den Besitz nur, wenn seine unmittelbar an der Sache bestehenden Kontinuitätsinteressen überwiegen, der Besitzdiener also bei der Begründung der "tatsächlichen Gewalt" fremdnützig handelt. 783 Ein Besitzerwerb des Geschäftsherrn scheidet somit aus, wenn die sachnähere Person ein eigenes Recht zum Besitz der Sache oder ein Zurückbehaltungsrecht hat. Er kommt hingegen vor allem in Betracht, wenn der Geschäftsherr neben einer potentiellen Zugriffsmöglichkeit 784 ein eigenes, unmittelbar durchsetzbares Recht zum Besitz - etwa als Eigentümer, als dinglich oder als obligatorisch Berechtigter - hat. Beispielsweise erwirbt daher der Betriebsinhaber unmittelbaren Besitz an den Gegenständen, die seine Angestellten an der Warenannahme seines Betriebes vom Lieferanten entgegennehmen. Vollzieht sich die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft demgegenüber außerhalb seiner räumlichen Herrschaftssphäre (Betrieb, Haushalt), ist ein Besitzerwerb des Geschäftsherrn

780 BGHZ 8, 130, 132; Hoche JuS 1961, 73; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 81; Staudinger/Bund § 855 Rn. 24; Westermann JuS 1961, 79; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 10 III 4, S. 93; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV 1 b, S. 161 m.w.N.

16*

781

Protokolle (2. Kommission), S. 3341, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

782

Vgl. oben aa (3) (c).

783

Siehe oben cc.

784

Vgl. oben cc (2) (a).

244

C. Die Besitztatbestände

grundsätzlich z.B. dann zu bejahen, wenn die Mittel für den Erwerb vom Besitzherrn stammen, der Besitzdiener keine eigenen Aufwendungen erbracht hat 785 und entweder eine dingliche Einigung über den Eigentumserwerb zwischen dem Veräußerer und dem Geschäftsherrn bereits besteht oder nach den Regeln über die Stellvertretung bzw. des Geschäfts für den, den es angeht, unmittelbar zwischen ihnen wirksam wird. Die Eheleute erwerben daher unmittelbaren Besitz an den Kaufgegenständen, die ihre Haushälterin für ihren Haushalt einkauft und mit dem zugeteilten Haushaltsgeld bezahlt. 786 Gleiches gilt, wenn ein Dienstbote die von seinem Arbeitgeber bestellten Waren im Geschäft abholt.

(b) Fund durch Arbeitnehmer Von besonderer praktischer Bedeutung sind die Besitzverhältnisse, wenn ein Arbeitnehmer während seiner dienstlichen Tätigkeit eine verlorene Sache findet. "Finder" im Sinne der §§ 965 ff. BGB ist nämlich nur derjenige, der Besitz an der Fundsache begründet. Wer die Sache tatsächlich gefunden, d.h. sinnlich wahrgenommen hat, ist hingegen nach h.M. - trotz der Formulierung des § 965 Abs. 1 BGB, die auf einen Doppeltatbestand aus Finden und Ansichnahme hindeutet - gleichgültig. 787 Wenn also der Arbeitnehmer eine verlorene Sache als Besitzdiener entdeckt und ergreift, hat allein der Besitzherr einen Anspruch auf Finderlohn (§ 971 BGB) und kann gemäß § 973 BGB Eigentum erlangen. Der Arbeitnehmer geht indes leer aus. Bei der Entscheidung über den Besitz ist allerdings - wie sich aus dem unter (a) Gesagten ergibt - zunächst davon auszugehen, daß dem Arbeitnehmer wegen seiner größeren räumlichen Nähe zur Sache grundsätzlich der Vorzug gebührt und er daher im Zweifel nicht als Besitzdiener handelt, sondern selbst Besitz erlangt. Der Arbeitgeber wird nur dann Besitzer, wenn besondere Umstände vorliegen, die für ihn überwiegende, schutzwürdige Kontinuitätsinteressen begründen. Solche Interessen können - anders als bei Gegenständen, die dem Vermögen des Arbeitgebers zuzuordnen sind - nicht aus einem Recht an

785

Dies ist für ein etwaiges Zurückbehaltungsrecht bedeutsam.

786

Vgl. Protokolle (2. Kommission), S. 3341, bei Mugdan, Bd. 3, S. 504.

787

BGHZ 8, 130, 132 f.; Palandt/Bassenge Vorbem. vor § 965 Rn. 2; Staudinger/Gursky, 13. Bearb., § 965 Rn. 8 f f ; kritisch, im Ergebnis aber zustimmend Schreiber, Jura 1990, S. 447. Deneke-Stoll, Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, S. 48 ff.; Erman/Hefermehl § 965 Rn. 3; MünchKomm/Quack § 965 Rn. 14 und Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 59 I 3, S. 436 lassen sogar die Begründung mittelbaren Besitzes genügen. - Für den Schatzfund (§ 984 BGB) soll hingegen nach h.M. allein die Entdeckung maßgeblich sein, MünchKomm/Quack § 984 Rn. 2; Palandt/Bassenge § 984 Rn. 1; Staudinger/Gursky, 13. Bearb., § 984 Rn. 6; vgl. auch BGHZ 103, 105 ff.

II. 2. § 855 BGB

245

der Fundsache selbst folgen, denn im Zeitpunkt der Besitzergreifung existiert ein solches Recht des Arbeitgebers (noch) nicht. Als Grundlage eines Kontinuitätsinteresses eignet sich allein das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Der Arbeitgeber erwirbt Besitz, wenn er aufgrund seiner Beziehung zum Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, daß dieser für ihn eine von einem anderen verlorenen Sache an sich nehmen und daher fremdnützig handeln wird. Dabei ist zu beachten, daß das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kein "soziales Abhängigkeitsverhältnis" kraft gesellschaftlicher Stellung, 788 sondern ein Vertragsverhältnis zwischen zwei prinzipiell gleichberechtigten Vertragspartnern ist. Sein Inhalt wird ausschließlich durch die rechtlich verbindlichen Regelungen des Arbeitsrechts, insbesondere durch den Arbeitsvertrag, bestimmt. Aus diesem Grund ist ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse des Arbeitgebers vor allem dann zu bejahen, wenn er mit dem Arbeitnehmer vertraglich vereinbart hat, daß dieser Fundsachen für ihn zu ergreifen und abzuliefern hat. Zu Recht hat daher der BGH den Besitz an einem Brillantring, den eine Platzanweiserin in einem Lichtspieltheater gefunden und aufgehoben hat, nicht der Platzanweiserin, sondern ihrem Arbeitgeber zugesprochen. 789 In seiner Entscheidungsbegründung stellt der BGH zutreffend darauf ab, daß die Platzanweiserin aufgrund einer Arbeitsanweisung, die sie durch Unterschrift anerkannte, vertraglich verpflichtet war, das Lichtspieltheater nach verlorengegangenen Gegenständen zu durchsuchen und Fundsachen bei dem Portier oder der Geschäftsleitung abzugeben.790 Angesichts dieser Verpflichtung sei sogar ein etwaiger Wille der Platzanweiserin, den Besitz nicht für den Arbeitgeber, sondern für sich selbst zu begründen, unbeachtlich. - Auch die letzte Feststellung verdient Zustimmung, da die Kontinuitätsinteressen objektiv zu bewerten sind und es auf die subjektive Sicht der Beteiligten nicht ankommt. Sofern keine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung besteht, kann sich der Besitzerwerb auch aus einer einseitigen vorherigen Weisung des Arbeitgebers ergeben. Voraussetzung ist, daß diese Weisung vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt ist. Die Grenzen des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts bestimmen sich wiederum vor allem nach dem Arbeitsvertrag. 791 Daher ist eine Weisung des Arbeitgebers lediglich dann verbindlich, wenn sie entweder die im Arbeitsvertrag zugesagte Arbeitspflicht konkretisiert oder auf einer besonderen Regelung im Arbeitsvertrag beruht. 792 Darüber hinaus darf der Ar788

Siehe oben a cc, insbesondere unter (1).

789

BGHZ 8, 130.

790

BGHZ 8, 130, 131 f.

791

Staudinger/Richardi § 611 Rn. 244.

792

Vgl. MünchKomm/Müller-Glöge § 611 Rn. 245; Staudinger/Richardi §611 Rn. 244.

246

C. Die Besitztatbestände

beitgeber 793 Verhaltensregeln erlassen, um einen ungestörten Arbeitsablauf und das reibungslose Zusammenleben und -wirken der Arbeitnehmer sicherzustellen. 794 Fehlt eine spezielle vertragliche Weisungsbefugnis, dann erwirbt der Arbeitgeber durch seine Angestellten aufgrund einer bloßen Weisung den Besitz an einer Fundsache also nur, wenn das "Finden" entweder mit der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers im Zusammenhang steht oder die innerbetriebliche Ordnung betrifft. Um einen Zusammenhang mit der Arbeitspflicht bejahen zu können, wird man regelmäßig das Vorliegen zweier Voraussetzungen fordern müssen: Erstens muß der Angestellte mit einer dienstlichen Aufgabe betraut sein, bei deren Ausführung überhaupt mit dem Auftreten von Fundsachen zu rechnen ist. Zweitens muß das Auffinden von Fundsachen entweder den Zweck der Tätigkeit bilden (z.B. bei einem angestellten Schatzsucher) oder zum "Dienst am Kunden" gehören, sofern diese Aufgabe nach der Art der Beschäftigung zum Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers zählt. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitnehmer in Räumlichkeiten mit Publikumsverkehr arbeitet, in denen häufig Sachen von Dritten vergessen oder verloren werden, und wenn femer damit zu rechnen ist, daß sich die Verlierer wegen des Verlustes an den Arbeitgeber wenden werden. Die Sicherstellung von Fundsachen gehört dann zur Kundenbetreuung, die Bestandteil der Arbeitspflicht ist. Daher erwirbt etwa die Speisewagengesellschaft Besitz an den Fundsachen, die der bei ihr angestellte Oberkellner weisungsgemäß an sich nimmt. 7 9 5

Wirksame Dienstanweisungen aus Gründen der innerbetrieblichen Ordnung kommen in Betracht, wenn es um die Sicherstellung von Fundsachen geht, die von Mitarbeitern auf dem Betriebsgelände verloren werden. Ohne eine vertragliche Vereinbarung oder eine rechtsverbindliche Dienstanweisung erlangt der Arbeitgeber keinen Besitz an einer Fundsache, die ein Arbeitnehmer an sich nimmt. Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch darauf, jedweden Vorteil, den der Arbeitnehmer sich bei Gelegenheit seiner dienstlichen Tätigkeit verschafft, abzuschöpfen. Deshalb wird zum Beispiel eine kommunale Entsorgungsgesellschaft nicht Besitzer einer Fundsache, die ein bei ihr angestellter Straßenkehrer während seines Dienstes auf öffentlicher Straße findet und an sich nimmt.

Der Arbeitgeber erlangt erst recht keinen Besitz an Gegenständen, die der Angestellte als "Privatmann", d.h. während seiner dienstfreien Zeit, findet. Dies gilt sogar für solche Fundsachen, die im Eigentum des Arbeitgebers stehen.796

793

Unter Mitwirkung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

794

Staudinger/Richardi § 611 Rn. 245.

795

Vgl. LG Frankfurt NJW 1956, 873, 874.

II. 2. § 855 BGB

247

Dazu folgendes Beispiel: 191 Dem Reiseunternehmer R wird ein Omnibus gestohlen. A, der für das Unternehmen des U gelegentlich als Aushilfsfahrer arbeitet und daher von dem Diebstahl weiß, findet zufällig den Bus einen Monat später unverschlossen auf einem Parkplatz. Er veranlaßt die Sicherung des Busses durch die Polizei, bis R, den er von dem Fund in Kenntnis setzt, den Bus abholt. Das OLG Hamm hat dem Aushilfsfahrer Finderlohn gemäß § 971 BGB zugesprochen: A habe den Bus i.S. des § 965 Abs. 1 BGB an sich genommen, indem er dessen Sicherstellung veranlaßte. Er habe dabei nicht als Besitzdiener des Unternehmers gehandelt, denn es habe nicht zu seinen Dienstpflichten als Aushilfsfahrer gehört, nach dem Verbleib des Busses zu forschen und das Auffinden seinem Arbeitgeber zu melden. 798 Auch nach - zutreffender - Ansicht des OLG Hamm entscheidet somit die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebende Pflichtenstellung des Arbeitnehmers über die Besitzfrage beim Fund durch Arbeitnehmer. Daß die Besitzlage beim Fund durch einen Arbeitnehmer von der Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Pflichten abhängt, w i r d i m übrigen i n B G H Z 103, 101 deutlich. Dieser Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, daß ein Baggerführer bei Abbrucharbeiten auf einem fremden Grundstück einen jahrhundertealten Münzschatz entdeckt hat. Der B G H hat den Entdekkeranteil des Schatzes zu Recht nicht dem Arbeitgeber, sondern dem angestellten Baggerführer zugesprochen. Er begründet dies wie folgt: "Da das Auffinden von Schätzen äußerst selten ist und deshalb auch nicht zu den Zwecken eines arbeitsteiligen Betriebes gehört, kann eine derart ungewöhnliche und zufallige Entdeckung eines Arbeitnehmers bei natürlicher Betrachtung nicht mit seiner betrieblichen Tätigkeit, zu der ihn der Arbeitsvertrag verpflichtet, in Verbindung gebracht und damit dem Arbeitgeber zugeordnet w e r d e n . " 7 9 9 Nach A n 796

Die durch das Eigentum grundsätzlich vermittelten Kontinuitätsinteressen sind im Zeitpunkt des Fundes unbeachtlich, weil der Besitz des Arbeitgebers durch den vorherigen Verlust der Sache bereits beendet wurde. 797

Nach OLG Hamm NJW 1979, 725.

798

OLG Hamm NJW 1979, 725, 726. So auch Gottwald JuS 1979, 249 f. mit dem zusätzlichen Hinweis, daß auch aus der Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer keine Handlungen gefordert werden können, die nichts mit seiner Arbeit zu tun haben. 799 BGHZ 103, 101, 107. Zustimmend Gursky JZ 1988, 670, auch zu der weitergehenden - im vorliegenden Fall unbeachtlichen - Frage, ob das Direktionsrecht dem Arbeitgeber die Anweisung erlaubt, bei der Ausführung der Arbeit auf Schätze zu achten und diese ggf. an ihn abzuliefern (vgl. hierzu auch Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 60, 2). Entgegen der Ansicht Gurskys dürfte ein solches weitgehendes Weisungsrecht abzulehnen sein. Der von Gursky zur Begründung herangezogene Vergleichsfall BGHZ 8, 130 (Platzanweiserin-Fall) betrifft keine einseitige Anweisung, vielmehr hatte die Finderin dort die Anweisung bezüglich der Fundsachen schriftlich anerkannt (s.o.). Ferner kann man den alltäglichen Fall des Fundes in Kinoräumen kaum mit einem Schatzfund vergleichen. Während das Sicherstellen von Fundsachen wohl noch zum Berufsbild einer Platzanweiserin gehört, ist ein Schatzfund auf einer Baustelle eine äußerst seltene Ausnahme und regelmäßig nicht mehr Gegenstand des Arbeitsver-

248

C. Die Besitztatbestände

sieht des BGH ist also allein die rechtlich verbindliche Leistungspflicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus dem Arbeitsvertrag ergibt, maßgeblich. Beim Schatzfund gemäß § 984 BGB erhält deshalb grundsätzlich der Arbeitnehmer den Entdeckeranteil des Schatzes.800 Nur wenn er aus dem Arbeitsverhältnis - etwa weil er im Rahmen einer geplanten und gezielten Schatzsuche angestellt ist - rechtlich verpflichtet ist, für seinen Arbeitgeber zu "entdecken", wird dieser durch ihn automatisch zum "Entdecker" i.S. des § 984 BGB. 8 0 1 Zwar kommt es bei einem Schatzfünd - anders als bei einem Fund nach §§ 965 ff. BGB - nicht auf die besitzrechtlichen Verhältnisse, sondern auf die erste Wahrnehmung des Schatzes an. 802 Es ist aber kein sachlich zu rechtfertigender Grund ersichtlich, warum ein Arbeitnehmer, der eine verlorene Sache findet, anders behandelt werden sollte als der angestellte Entdecker eines Schatzes. Vielmehr haben die Wertungskriterien des BGH auch für den Fund nach § 965 BGB Gültigkeit. Hier zeigt sich daher erneut, daß das zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehende Rechtsverhältnis über den Besitzerwerb beim Fund durch einen Arbeitnehmer entscheiden muß. 803

träges eines Bauarbeiters. Es ist daher hier zu beachten, daß der Arbeitgeber durch eine einseitige Anweisung nicht verlangen kann, daß der Arbeitnehmer über dessen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag hinaus eigene Rechte an ihn überträgt (vgl. auch Gursky a.a.O.). Demgegenüber kann es keine Rolle spielen, daß der Arbeitnehmer den Schatz ohne den dienstlichen Auftrag nicht gefunden hätte. Es bedarf daher einer beiderseitigen Vereinbarung, will der Arbeitgeber am Schatzfünd teilhaben. 800 So auch Baur/Baur, Sachenrecht § 53 g V I 2, S. 579; Erman/Hefermehl § 984 Rn. 7; Hedemann, Sachenrecht, § 28 III b, S. 171; Palandt/Bassenge § 984 Rn. 1; Planck/Brodmann § 984 Anm. 2 a; Staudinger/Gursky, 13. Bearb., § 984 Rn. 9; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 60, 2. Vgl. auch die Begründung zum Vorentwurf, abgedruckt bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht, Teil 1, S. 1012. A.A. Beierstedt JZ 1953, 389, 390; MünchKomm/Quack § 984 Rn. 3; Rühl, Eigentumsvorbehalt und Abzahlungsgeschäft, S. 133; Zeuner, JZ 1955, 195, 197. 801

BGHZ 103, 101, 106 m.w.N.; RGZ 70, 308, 310 f.; Erman/Hefermehl §984 Rn. 7; Palandt/Bassenge § 984 Rn. 1; RGRK/Pikart § 984 Rn. 9; Staudinger/Gursky, 13. Bearb., § 984 Rn. 9. 802 Erman/Hefermehl §984 Rn. 6; Schreiber, Jura 1990, 447; Staudinger/Gursky, 13. Bearb., § 984 Rn. 6, 8; vgl. BGHZ 103, 101, 105. 803

Hingegen führt es zu Wertungswidersprüchen, wenn man bei § 965 BGB pauschal auf die "soziale Abhängigkeit" abstellt, denn wenn man eine "soziale Abhängigkeit" überhaupt für möglich hält (dagegen oben a cc), bestünde sie gleichermaßen beim Schatzfund, wäre dort aber unbeachtlich.

II. . Der r e s i t z , § 8 BGB

249

(4) Besitzverlust durch Besitzdiener Der durch einen Besitzdiener vermittelte Besitz endet, wenn die Voraussetzungen des Besitzdienerverhältnisses 804 entfallen. Der Besitzherr verliert daher seinen Besitz, sobald der Besitzdiener die "tatsächliche Sachherrschaft" aufgibt oder diesem die Sache abhanden kommt. 805 Gleiches gilt, wenn der Besitzdiener ein überwiegendes Kontinuitätsinteresse an der Sache erlangt, etwa weil er Eigentum an der Sache erwirbt oder die Sache in seinen Privatbereich gelangt. 806 Hat der Besitzherr dauerhaft (§ 856 Abs. 2 BGB) keine Einwirkungsmöglichkeit mehr, so endet sein Besitz ebenfalls. 807 Schließlich geht der Besitz des Besitzherrn auch in dem Zeitpunkt unter, in dem ein anderer Besitzer der Sache wird. Da die Kontinuitätsinteressen objektiv zu beurteilen sind, führt eine bloße Willensänderung des Besitzdieners allein noch nicht zu einer Besitzbeendigung. Vielmehr muß sich die Interessenlage durch eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der Rechtslage objektiv verändern. 808

3. Der Erbenbesitz, § 857 BGB Keine besonderen Probleme bereitet der Tatbestand des § 857 BGB, soweit es den Zusammenhang zwischen Besitz und tatsächlicher Sachherrschaft betrifft. Dies folgt jedoch nicht schon aus dem Fehlen des Begriffs "tatsächliche Gewalt" im Wortlaut des § 857 BGB. Die vielfach befürwortete 809 Qualifizierung des Besitzes als tatsächliche Sachherrschaft legt nämlich eigentlich die Erwartung nahe, daß die h.M. auch bei § 857 BGB als Tatbestandsvoraussetzung das Vorhandensein tatsächlicher Gewalt verlangen und so eine kontroverse Diskussion über die Bedingungen des Erbenbesitzes auslösen würde. Man ist

804

Siehe dazu oben cc.

805

Zu bedenken ist natürlich, ob für den Besitzherrn nicht § 854 Abs. 1 BGB ein-

greift. 806

Vgl. dazu oben cc (1).

807

Vgl. dazu oben cc (2) (a).

808 Auch die h.M. läßt eine bloße Willensänderung nicht genügen. Sie verlangt, daß der Besitzdiener seinen Willen äußerlich erkennbar derart betätigt, daß der Einfluß des Besitzherrn auf die Sache endet; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 D II 3, S. 67; RGRK/Kregel § 855 Rn. 3; Staudinger/Bund § 855 Rn. 27; Westermann/Gursky, Sachenrecht, Bd. 1, § 10 II 2, S. 90 f.; weitergehend allerdings MünchKomm/Joost § 855 Rdn 18. 809

Aber abzulehnende, siehe dazu oben Β II.

C. Die Besitztatbestände

250

sich aber weitgehend darüber einig, daß der Erbe keine tatsächliche Herrschaftsbeziehung zur Sache herstellen muß, um Erbenbesitz zu erlangen. 810

a) Rechtsnatur Die überwiegend vertretene Einstufung des Besitzes als ein rein tatsächliches Verhältnis hat allerdings bald nach Fertigstellung des BGB einen Streit über die Rechtsnatur des Erbenbesitzes ausgelöst. Da das Gesetz durch einen bloßen Rechtssatz keine tatsächliche Machtbeziehung begründen kann, sehen die Vertreter einer älteren Auffassung in § 857 BGB eine Fiktion tatsächlicher Gewalt 811 oder zumindest eine Fiktion des Besitzwillens des Erben. 812 Andere bejahen bei § 857 BGB einen Tatbestand vergeistigter Sachherrschaft. 813 Die heute h.M. schließlich behandelt den Erbenbesitz als eine besondere Art des Besitzes, nämlich als Besitz ohne Sachherrschaft. 814 Dabei wird innerhalb der h.M. teilweise davon ausgegangen, § 857 BGB sei ein aus dem unmittelbaren Besitz des Erblassers und dem Eintritt des Erbfalles bestehender allgemeiner Tatbestand, an den sich dieselben Rechtsfolgen knüpften wie an § 854 BGB. 8 1 5 Nach dieser Ansicht begründet § 857 BGB also einen originären Besitzerwerb des Erben. Überwiegend nehmen die Vertreter der h.M. jedoch an, daß § 857 BGB lediglich den Übergang der aus dem Besitz folgenden Rechtsposition, wie sie der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes innegehabt hat, bewirkt. 816 Für

810

Vgl. unten b.

811

Böthke, Gruchot46 (1902), S. 151; Leonhard, Erbrecht, § 1922, Anm. II A 3 a, S. 3 und § 2025 Anm. V, S. 161; Kretzschmar, Sachenrecht, § 857 Anm. 2, S. 21; MüllerErzbach, JherJb. 53 (1908), 367; Tumau-Förster, Das Liegenschaftsrecht, § 857 Anm. 1, S. 67; weitere Nachweise bei Rosenberg, Sachenrecht, § 857 Anm. I, S. 54. Aus der neueren Literatur bejaht Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 V 1 b, S. 168 eine Fiktion. 812

Rohde, Studien im Besitzrecht, Abschnitt XVIII, S. 16 ff.

813

Rosenberg, Sachenrecht, § 857 Anm. I, S. 54; Weimar MDR 1969, S. 282.

814

BGHZ 2, 164, 167; Baur/Stümer, Sachenrecht, § 8 I 1, S. 72; Binder, Die Rechtsstellung des Erben, S. 45 ff.; Dilcher, Sachenrecht, Kap. I 14, S. 18; Eichler, Sachenrecht, 2. Bd., 1. Hlbbd., S. 89 f., vgl. aber auch S. 91; Michel, S. 28 ff. m.w.N.; MünchKomm/Joost § 857 Rn. 4; Siebert ZHR 93 (1929), S. 10 ff.; Soergel/Mühl § 857 Rn. 1; Staudinger/Bund § 857 Rn. 3 f. m.w.N.; Strohal JherJb. 38 (1898), 62; ders., Das deutsche Erbrecht, 2. Band, § 63 III 2, S. 69; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 15 I 2. S. 111; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 12 I 4. 815 816

Siebert ZHR 93 (1929), S. 17.

Bekker, Beiträge zur Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuches, S. 17; MünchKomm/Joost § 857 Rn. 4; Soergel/Mühl § 857 Rn. 1; ausführlich Michel, S. 33 f.

II. . Der r e s i t z , § 8 BGB

251

diese Sichtweise spreche auch der Wortlaut des § 857 BGB, wonach der Besitz auf den Erben "übergehe". 817 Alle diese Erklärungsversuche können letztlich nicht überzeugen: Gegen eine Fiktion spricht nicht nur die Gesetzgebungsgeschichte, sondern vor allem der Wortlaut des § 857 BGB. 8 1 8 Die Annahme einer vergeistigten Sachherrschaft ist abzulehnen, weil sie den Begriff der tatsächlichen Gewalt verwischt, ohne dabei die Notwendigkeit einer Abwägung der Kontinuitätsinteressen zu berücksichtigen. 819 Die h.M. schließlich verdient zwar Zustimmung, soweit sie den Erbenbesitz als Besitz ohne Sachherrschaft qualifiziert. Es ist aber nicht sachgerecht, in § 857 BGB eine besondere Art von Besitz zu erblicken. Das BGB kennt nämlich nur einen einheitlichen Besitzbegriff, 820 der vom Bestehen tatsächlicher Sachherrschaft im Sinne einer aktuellen Einwirkungsmöglichkeit unabhängig ist. 821 Der Erbe erwirbt nach § 857 BGB weder einen Besitz minderer Qualität noch einen solchen sui generis, sondern vollwertigen Besitz. 822 Er hat grundsätzlich 823 die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten wie jemand, der den Besitz gemäß § 854 Abs. 1 BGB erlangt hat. Allein der Erwerbstatbestand, den er erfüllt, ist ein anderer. Er ist nicht Inhaber der "tatsächlichen Gewalt" i.S. des § 854 Abs. 1 BGB, er verwirklicht vielmehr den gesetzlichen Erwerbstatbestand des § 857 BGB. Daß es nicht zutreffend ist, im Erbenbesitz eine besondere Besitzart zu sehen, zeigt im übrigen ein Vergleich mit dem Eigentum: 824 Das Eigentum kann durch Rechtsgeschäft (§§ 929 ff. BGB), aber auch aufgrund Gesetzes (z.B. gemäß §§ 937, 946 ff., 958 BGB) erworben werden. In beiden Fällen entsteht unzweifelhaft kein wesensverschiedenes, sondern gleichartiges Eigentum. Da

817

Michel, S. 34.

818

Siehe oben Β II 1 b.

819

Vgl. oben Β II 1 a.

820 Vgl. oben Β II 1 c und C I 1 f aa. Einen einheitlichen Besitzbegriff - auch hinsichtlich § 857 BGB - befürworten ebenfalls 0. Gierke, Sachenrecht, § 115 V, S. 241; Heck, Sachenrecht, § 10, 11. a, S. 41; Sandtner, S. 46 und 67 ff; Schmelzeisen, AcP 136 (1932), S. 38 ff, insbes. S. 49 ff. 821

Vgl. oben Β II 2.

822

0 . Gierke, Sachenrecht, § 115 V, S. 241.

823

Eine Besonderheit gilt vor allem bei § 2025 S. 2 BGB. Diese Vorschrift dient aber nur dem Schutz des gutgläubigen Erbschaftsbesitzers, der nicht schon deshalb nach Deliktsrecht haften soll, weil ihm das fremde Erbrecht leicht fahrlässig unbekannt war; vgl. nur MünchKomm/Frank § 2025 Rn. 5. An der Vollwertigkeit des Erbenbesitzes ändert dies jedoch nichts, wie nicht zuletzt die Tatsache zeigt, daß der Erbe gegenüber bösgläubigen Erbschaftsbesitzern nach § 2025 S. 1 BGB vollen Schutz genießt. 824

Vgl. Sandtner, S. 68.

C. Die Besitztatbestände

252

der Besitz als subjektives Recht 825 und als Rechtsverhältnis 826 dem Eigentum strukturell ähnlich ist, kann es fur ihn ebenfalls keinen Unterschied machen, ob er durch ein tatsächliches Verhältnis (§ 854 Abs. 1 BGB) oder kraft Gesetzes (§ 857 BGB) entsteht. Der Erbenbesitz ist also zwar Besitz ohne Sachherrschaft, aber kein Besitz besonderer Art. Er teilt vielmehr die Rechtsnatur mit dem nach §§ 854 f. BGB begründeten Besitz. Er ist subjektives Recht und Rechtsverhältnis. Auch der Grund seiner Entstehung ist mit dem bei den übrigen Besitztatbeständen identisch: Der Erbe wird besitzrechtlich geschützt, weil er ein überwiegendes Kontinuitätsinteresse hat. Dieses Kontinuitätsinteresse ergibt sich daraus, daß der Erbe mit dem Erbfall gemäß § 1922 BGB in die Vermögensposition des Erblassers eintritt. Wie zuvor der Erblasser, ist nun der Erbe auf die Aufrechterhaltung der tatsächlichen Verfügbarkeit der Vermögensgegenstände angewiesen. Die Schutzwürdigkeit des Erben folgt regelmäßig daraus, daß er die Rechte und Pflichten des Erblassers übernimmt. 827 Wie die übrigen gesetzlichen Besitztatbestände ist also auch der Erbenbesitz ein Unterfall des einheitlichen Besitztatbestandes "schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse". Um den besitzrechtlichen Schutz des Erben zu erreichen, hätte es daher eigentlich einer speziellen Regelung des Erbenbesitzes nicht unbedingt bedurft, man hätte es auch bei den allgemeinen Tatbeständen belassen können. 828 § 857 BGB hat aber die wichtige Funktion, die Schutzwürdigkeit des Erben außer Streit zu stellen und seinen Besitz von der kontrovers diskutierten dogmatischen Einordnung des Besitzes unabhängig zu machen. Daß der Erbenbesitz sich in seinem Wesen nicht vom sonstigen Besitz unterscheidet, kann auch nicht mit dem Wortlaut des § 857 BGB ("Der Besitz geht ... über") widerlegt werden. Der Gesetzgeber wollte mit der Formulierung der Besitztatbestände nämlich keine dogmatische Einordnung des Besitzes vornehmen. 829

b) Tatbestandsvoraussetzungen Trotz des Streits um die Rechtsnatur des Erbenbesitzes besteht - wie bereits angedeutet- weitgehend Einigkeit über seine Tatbestands Voraussetzungen.

825

Siehe oben Β III 1.

826

Siehe oben Β III 2.

827

Dies ist allerdings nicht Voraussetzung für den Erbenbesitz, siehe unten b cc.

828

Vgl. Heck, Sachenrecht, § 10, 11., S. 40 f.

829

Siehe oben Β III 1 a cc.

II. . Der r e s i t z , § 8 BGB

253

Nach allgemeiner Ansicht hängt der Erbenbesitz lediglich von zwei Voraussetzungen ab: 8 3 0

aa) Besitz des Erblassers Erstens muß der Erblasser im Zeitpunkt des Erbfalles Besitzer der Sache gewesen sein. Fraglich ist, ob auch dann ein Besitzerwerb nach § 857 BGB stattfindet, wenn der Erblasser nur mittelbaren Besitz hatte. Dies wird von einem Teil der Literatur abgelehnt, weil der mittelbare Besitz schon mit dem ihm zugrundeliegenden Herausgabeanspruch gemäß §§ 1922, 870, 412 BGB auf den Erben übergehe. 831 Die Anwendung des § 857 BGB sei daher überflüssig 832 , die Vorschrift habe allenfalls eine klarstellende Funktion 833 . Jedoch können die Argumente gegen eine Geltung des § 857 BGB für den mittelbaren Besitz nicht überzeugen: Da sich die Regelung des § 857 BGB völlig an den erbrechtlichen Regelungen orientiert und somit in der Rechtsanwendung dieselben Ergebnisse zeitigt wie § 1922 BGB, und es ferner unbedenklich ist, wenn sich dieselbe Rechtsfolge aus zwei Gründen desselben Rechtsgebots ergibt, 834 spricht nichts dagegen, § 857 BGB auch auf den mittelbaren Besitz anzuwenden. Im Gegenteil: Wenn das Gesetz mit § 857 BGB eine Spezialregelung für den Besitzerwerb des Erben bereithält, dann sollte man diese zumindest aus gesetzessystematischen Gründen anwenden. Schließlich könnte man sonst die Geltung des § 857 BGB sogar für den unmittelbaren Besitz in Frage stellen. Da der Besitz ein subjektives Recht und Rechtsverhältnis ist, ergibt sich seine Vererbung nämlich stets aus § 1922 BGB. 8 3 5 Mit der 830

Siehe zu den Voraussetzungen des Erbenbesitzes Eichler, Sachenrecht, 2. Bd., 1. Hlbbd., S. 92 ff.; Michel, Probleme des Erbenbesitzes, S. 42 ff.; MünchKomm/Joost § 857 Rn. 5 ff.; Schreiber, Sachenrecht, Rn. 83 f.; Staudinger/Bund § 857 Rn. 8 ff.; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 V 1 b, S. 168 f.; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 1 2 1 1 , 2 . 831

Michel, S. 43 ff.; MünchKomm/Joost § 857 Rn. 6; Rohde, Studien im Besitzrecht, Abschnitt XVIII, S. 3; Rosenberg, Sachenrecht, § 857 Anm. II, S. 55, § 870 Anm. II 1, S. 152; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 14 II, Fn. 5. 832

Vgl. Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 14 II, Fn. 5; Michel, S. 52.

833

MünchKomm/Joost § 857 Rn. 6.

834

Zur Unbedenklichkeit von Doppelwirkungen im Recht siehe Kipp, Festschrift für von Martitz, S. 220; vgl. auch Michel, S. 54 und Staudinger/Bund § 857 Rn. 8. 835 Michel, S. 38 f. Michel sieht die Funktion des § 857 BGB deshalb vor allem darin, auszusprechen, daß die "Rechtsposition des Besitzers" mit dem Erbfall nicht untergeht, sondern fortdauert, S. 39. Jedoch ist auch das wenig plausibel. Mit dem Tod enden nämlich nur höchstpersönliche Rechte. Da der Besitz das Vermögen betrifft, würde er mit dem Erbfall ohnehin nicht erlöschen.

C. Die Besitztatbestände

254

h.M. 8 3 6 ist daher davon auszugehen, daß auch der mittelbare Besitz nach § 857 BGB auf den Erben übergeht.

bb) Erwerber als endgültiger Erbe Zweitens geht der Besitz nur auf den wahren Erben über. Der Besitzerwerber muß den Erblasser also nach den gesetzlichen Regeln des Erbrechts endgültig beerben. Die Ausschlagung (§ 1953 BGB), Anfechtung (§§ 1957, 2078 f. BGB) oder Erbunwürdigerklärung (§ 2344 BGB) läßt die Erbenstellung und mithin den Erbenbesitz des bisherigen Erben rückwirkend entfallen. An seiner Stelle erhält der neue Erbe rückwirkend Erbenbesitz. Der zwischenzeitlich durch den früheren Erben oder durch Dritte aufgrund anderer Besitztatbestände begründete Besitz wird dadurch freilich nicht beseitigt.

cc) Keine Interessenabwägung im Einzelfall Darüber hinaus kennt § 857 BGB keine weiteren Tatbestands Voraussetzungen: Es ist daher etwa weder ein Besitzwille noch die Kenntnis vom Erbfall erforderlieh. 837 Obwohl der Erbenbesitz als ein Tatbestand des Kontinuitätsinteressenschutzes qualifiziert wurde, bedarf es ebenfalls keiner Abwägung der Kontinuitätsinteressen im Einzelfall. Dies folgt daraus, daß § 857 BGB - anders als etwa § 854 Abs. 1 BGB mit dem Begriff der "tatsächlichen Gewalt" - keinen ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff aufweist und die Schutzwürdigkeit des Erben automatisch aus seiner Erbenstellung resultiert. Der Erbe wird daher auch Besitzer, wenn das Recht zum Besitz nicht auf ihn übergeht, z.B. weil es wie der Nießbrauch (§ 1030 BGB) oder die beschränkte persönliche Dienstbarkeit (§ 1090 BGB) mit dem Tode des Erblassers erlischt (§§ 1061, 1090 Abs. 2 BGB). 8 3 8 Sachlich ist dies dadurch gerechtfertigt, daß dem Erben im Falle einer Herausgabeklage die Rolle des Beklagten zukommen muß und er die Möglichkeit haben soll, etwaige Ansprüche wegen Verwendungen auf die Sache mit Hilfe eines Zurückbehaltungsrechts durchzusetzen. 839 Gleiches gilt, wenn schon der Erblasser 836

RGZ 83, 223, 228 f.; Eichler, Sachenrecht, 2. Bd., 1. Hlbbd., S. 92; Kretzschmar, Sachenrecht, § 857 Anm. 3, S. 22; Lange, Festschrift für Felgentraeger, S. 295; Soergel/Mühl § 857 Rn. 3; Staudinger/Bund § 857 Rn. 8; RGRK/Kregel § 857 Rn. 1; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 15 I 6, S. 112. 837

BGH JZ 1953,706.

838

RG JW 1918, 368; Michel, S. 67 f. m.w.N.; Staudinger/Bund § 857 Rn. 10.

839

Vgl. Michel, S. 60 f. zu dem Fall, daß der Erblasser unmittelbarer Verwaltungsbesitzer war.

II. . Der r e s i t z , § 8 BGB

255

kein Recht zum Besitz hatte. Einzig soweit zu klären ist, ob der Erblasser im Zeitpunkt des Erbfalls Besitzer war, kann es auf eine Interessenabwägung ankommen. Die Einordnung des Erbenbesitzes als Tatbestand des Kontinuitätsinteressenschutzes hat jedoch eine - geringe - praktische Bedeutung für die Frage, ob der Erbe gemäß § 857 BGB auch Besitz an solchen Sachen erwirbt, die seinem tatsächlichen Zugriff endgültig entzogen sind, z.B. weil sie der in der See ertrunkene oder in eine unzugängliche Gletscherspalte gestürzte Erblasser bei sich trug: Zwar setzt der Erbenbesitz - im Gegensatz zum unmittelbaren Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB - nicht voraus, daß der Erbe unmittelbar auf die Sache in ihrer gegenwärtigen tatsächlichen Lage selbständig einwirken kann. 840 Von einem schutzwürdigen Kontinuitätsinteresse des Erben kann man aber nur sprechen, wenn es zumindest zukünftig als möglich erscheint, daß sich das Interesse realisieren kann. Der Erbe erlangt an den genannten Gegenständen daher keinen Besitz. 841

c) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen des Erbenbesitzes können aus dem Kontinuitätsgedanken hergeleitet werden: Der Erbe führt die Besitzposition (z.B. Eigen- oder Fremdbesitz, unmittelbarer oder mittelbarer Besitz) fort, die der Erblasser innehatte.842 Ihm stehen grundsätzlich die gleichen Rechte zu, er hat im wesentlichen aber auch die gleichen Pflichten zu erfüllen. 843 Insbesondere kann der Erbe im Falle der Besitzentziehung Besitzschutzrechte geltend machen. Entzogene Sachen sind dem Erben gemäß § 935 BGB abhanden gekommen. 844

840

Vgl. auch oben C I 2 f bb (2) (a) zum Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB.

841

Vgl. auch Heck, Sachenrecht, § 10, 11. b, S. 41. Allerdings kommen auch diejenigen, die die Rechtsnatur des Erbenbesitzes anders einordnen, häufig zum gleichen Ergebnis, Binder, Die Rechtsstellung des Erben, S. 51 f.; Michel, S. 71 ff.; Rosenberg, Sachenrecht, § 857 Anm. II 3, S. 57 f.; Strohal, Das deutsche Erbrecht, 2. Band, § 63 III 1, S. 68 f.; Strohal JherJb 38 (1898), S. 100; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 12, Fn. 2, S. 42; a.A. Staudinger/Bund § 857 Rn. 12. 842

Etwas anderes gilt hinsichtlich der etwa für die Ersitzung (§ 937 BGB) oder das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 985 ff. BGB) interessanten Frage, ob sich bei § 857 BGB auch die Gut- oder Bösgläubigkeit nach der Person des Erblassers bestimmt. Die Redlichkeit ist kein Bestandteil der Besitzqualität, sondern eine persönliche Eigenschaft des Besitzers. Sie richtet sich daher nach der Person des Erben. Ausführlich zu dieser - umstrittenen - Frage Michel, S. 91 ff, 106 ff. 843 844

Zu den Einzelheiten siehe ausführlich Michel, S. 74 ff.

Eine Einschränkung gilt jedoch, wenn der vorläufige Erbe an dem Nachlaßgegenstand Besitz begründet hat, bevor seine Erbenstellung rückwirkend entfiel, MünchKomm/ Joost § 857 Rn. 12 m.w.N.; Staudinger/Bund § 857 Rn. 22 ff. m.w.N.

C. Die Besitztatbestände

256

d) Beendigung des Erbenbesitzes Die Kontinuitätsinteressen des Erben sind nach § 857 BGB nicht stärker zu schützen, als die des Erblassers an seiner Stelle Schutz verdient hätten. Für den Erbenbesitz gelten daher die allgemeinen Beendigungsgründe des § 856 Abs. 1 BGB. 8 4 5 Der Erbenbesitz endet somit, wenn die Sache in eine Lage gerät, die dem Erben auf Dauer jede selbständige Einwirkungsmöglichkeit nimmt 8 4 6 - etwa weil sie unauffindbar verlorengeht - oder wenn ein Dritter Besitz an der Sache ergreift. Verwirklicht der Erbe einen anderen Besitztatbestand als § 857 BGB, z.B. indem er die Nachlaßgegenstände an sich nimmt oder vermietet, dann richtet sich die Qualität seines Besitzes fortan nur noch nach seiner Per-

4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB Abschließend ist der Blick noch auf den mittelbaren Besitz gemäß § 868 BGB zu richten. Zwar steht dieser - ebenso wie der Erbenbesitz - eigentlich außerhalb der Thematik "Besitz und Sachherrschaft", denn der Begriff "tatsächliche Gewalt" erscheint in den §§ 868 ff. BGB nicht. Während jedoch nach heutiger Erkenntnis der Erbenbesitz ganz überwiegend als Besitz ohne Sachherrschaft betrachtet wird, ordnet die derzeit h.M. - entsprechend ihrer grundsätzlichen Bestimmung des Besitzbegriffes 848 - dem mittelbaren Besitz immer noch die Rechtsnatur tatsächlicher Sachherrschaft zu und leitet daraus seine Voraussetzungen ab. Daher bedürfen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 868 BGB noch kurzer Erörterung.

a) Mittelbarer

Besitz als Tatbestand "vergeistigter

Sachherrschaft"

Nach h.M. ist auch der mittelbare Besitz tatsächliche Herrschaft über eine Sache.849 Zwar übe der mittelbare Besitzer die tatsächliche Gewalt weder in

845

Michel, S. 132 f.; MünchKomm/Joost § 857 Rn. 10; Staudinger/Bund §857

Rn. 18. 846

Siehe oben C I 4.

847

Siehe dazu Michel, S. 140.

848

Siehe dazu bereits oben Β II.

849 BGH NJW 1955, 499; Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, S. 40, 155; Erman/Werner § 868 Rn. 2; Palandt/Bassenge § 868 Rn. 1; Planck/Brodmann §868 Anm. 7, S. 96; RGRK/Kregel § 868 Rn. 3; Rosenberg, Sachenrecht, § 868 III 2, S. 138; Schönfeld, JZ 1959, 302; Soergel/Mühl § 868 Rn. 2; Staudinger/Bund § 868 Rn. 5; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17 5 f, S. 120; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 8 1 1 ,

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

257

eigener Person noch, wie beim Besitz mittels Besitzdiener, durch die Herrschaft über eine andere Person 850 aus. Ihm werde die Sachherrschaft aber durch den unmittelbaren Besitzer der Sache vermittelt: Der unmittelbare Besitzer (Besitzmittler) habe die tatsächliche Sachherrschaft kraft eines Rechtsverhältnisses, des sogenannten Besitzmittlungsverhältnisses, für den mittelbaren Besitzer inne. Dabei verpflichte das Besitzmittlungsverhältnis den Besitzmittler zu einem bestimmten Umgang mit der Sache und ziehe seiner Befugnis, von der Sache Gebrauch zu machen, auch inhaltliche Grenzen. Dadurch werde die Möglichkeit des mittelbaren Besitzers, auf die Sache Einfluß zu nehmen, gesichert. 851 Ferner dränge das Bestehen des unmittelbaren Besitzes den mittelbaren Besitzer nur "auf Zeit" ein wenig in den Hintergrund. 852 Die zeitliche Begrenzung der Sachherrschaft des Besitzmittlers zeige sich darin, daß der mittelbare Besitzer zu gegebener Zeit die Herausgabe der Sache verlangen könne. 853 Aus diesen Gründen habe der mittelbare Besitzer gelockerte - "vergeistigte" 854 Herrschaft über die Sache. Diese Herrschaft trete sinnfällig durch das Besitzmittlungsverhältnis in Erscheinung. 855

aa) Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes nach der Theorie von der vergeistigten Sachherrschaft Nach der soeben dargelegten Auffassung hat der mittelbare Besitz somit zwei Hauptvoraussetzungen: Die erste besteht darin, daß der Besitzmittler unmittelbarer Besitzer der Sache ist. Zweitens muß zwischen dem Besitzmittler und dem unmittelbaren Besitzer ein sogenanntes Besitzmittlungsverhältnis bestehen. Die einzelnen Anforderungen, die an das Besitzmittlungsverhältnis zu stellen sind, leitet die h.M. zu einem großen Teil aus ihrer Qualifizierung des mittelbaren Besitzes als tatsächliche Sachherrschaft her:

S. 31. A.A. in der neueren Kommentar- und Lehrbuchliteratur Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 I 2, S. 214 f. (Mittelbarer Besitz als Fiktion, siehe dazu bereits oben Β II 1 b m.w.N.); MünchKomm/Joost § 868 Rn. 5 f. (Mittelbarer Besitz als Rechtsverhältnis ohne Sachherrschaft). 850

Siehe dagegen bereits oben C II 2 a cc.

851

Staudinger/Bund § 868 Rn. 5; vgl. auch Westermann/Gursky, § 17 5 f, S. 120. 852

Soergel/Mühl § 868 Rn. 2.

853

Staudinger/Bund § 868 Rn. 5.

854

Sachenrecht,

So etwa Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17 5 f, S. 120 m.w.N.; Soergel/Mühl § 868 Rn. 2. 855

Soergel/Mühl § 868 Rn. 2.

17 Härtung

C. Die Besitztatbestände

258

(1) Konkretes Rechtsverhältnis Da der mittelbare Besitz mittelbare Herrschaft über die Sache sei, 856 müsse das Besitzmittlungsverhältnis ein konkretes Rechtsverhältnis sein, das ein Nutzungsrecht oder eine Verwaltungspflicht des Besitzmittlers ausdrücklich oder stillschweigend begründe. 857 Zwar müßten die Parteien nicht einen im BGB geregelten Vertragstyp vereinbaren. Andererseits genüge aber der bloße unbestimmte Wille, die Sache für einen anderen zu besitzen, nicht. 858 Das Rechtsverhältnis braucht jedoch - entgegen einer früher häufig vertretenen Ansicht 859 - der derzeit h.M. zufolge nicht gültig zu sein. Aus dem "Wesen des Besitzes als Sachherrschaft (bei mittelbarem Besitz als mittelbare Sachherrschaft)" ergebe sich vielmehr, daß nicht die rechtliche Verpflichtung, sondern das tatsächliche Verhalten des unmittelbaren Besitzers maßgeblich sei. 860 Es genüge daher, wenn der Besitzmittler das Rechtsverhältnis als bestehend anerkenne ("putatives Rechtsverhältnis" 861), er sich demgemäß dazu verpflichtet fühle, die Sache ordnungsgemäß zu behandeln und zum vorgesehenen Zeitpunkt zurückzugeben, und er sich entsprechend dieser Verpflichtung verhalte. 862 Entscheidend sei also, ob der Besitzmittler für den Oberbesitzer besitzen 856

Vgl. Müller, Sachenrecht, Rn. 229 f.

857

RGZ 49, 170, 173 f.; 54, 396, 398; RGRK/Kregel § 868 Rn. 5; Staudinger/Bund § 868 Rn. 20; Soergel/Mühl § 868 Rn. 9; Westermann/Gursky, Sachenrecht, §18,3, S. 122. 858

Staudinger/Bund § 868 Rn. 20; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18, 3, S. 122.

859

RGZ 105, 413, 414; Aravantinos, JherJb. 48 (1904), 115 ff.; Bartels, Gruchot42 (1898), 659; Boehmer, Grundlagen, II/2, S. 41 f.; Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, S. 157; Kress, Besitz und Recht, S. 200; Leonhard, Vertretung beim Fahrniserwerb, S. 71 ff.; Rosenberg, Sachenrecht, § 868 Anm. II 2 b, S. 121 und c, S. 128 f.; Wendt AcP 87 (1897), 45. Teilweise wurde auch nach dem Grund der Unwirksamkeit differenziert, RGZ 86, 262, 265 (fehlende Vertretungsmacht); RGZ 98, 131, 134 (Geschäftsunfähigkeit des mittelbaren Besitzers); differenzierend auch Mengelkoch, JherJb 76 (1926), 53 ff, 129 ff.; Eichler, Sachenrecht 2. Bd. 1. Hlbbd., S. 18; RGRK/Kregel § 868 Rn. 8; einschränkend, wenn anderer gültiger Herausgabeanspruch besteht, Soergel/Mühl § 868 Rn. 10. 860

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17 5 d, S. 119.

861

Przibilla JW 1908, 397.

862 BGH NJW 1955, 499; BGH W M 1985, 1433; BGHZ 85, 263, 265; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β III 1 b dd, S. 61; Erman/Werner, § 868 Rn. 10; Last, JherJb 63 (1913), 134 f.; Michalski, AcP 181 (1981), 410; Müller, Sachenrecht, Rn. 228; MünchKomm/Joost § 868 Rn. 15; Palandt/Bassenge § 868 Rn. 10; Przibilla JW 1908, 397; Schönfeld, JZ 1959, 302; Staudinger/Bund § 868 Rn. 16 m.w.N.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 333; grundsätzlich auch Soergel/Mühl § 868 Rn. 10. Ähnlich Wieling AcP 184 (1984), 442 und Sachenrecht, Bd. 1, § 6 II 1: Entscheidend ist allein der Wille des Besitzmittlers, nicht aber sein Glaube, das Besitzmittlungsverhältnis sei rechtlich wirksam.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

259

wolle. 863 Diese Auslegung des § 868 BGB könne auch auf den Wortlaut ("als" Nießbraucher usw.) 864 und die Gesetzesmaterialien 865 gestützt werden. 866

(2) Besitzrechtliche Überordnung Teilweise wird es zusätzlich als Voraussetzung des § 868 BGB angesehen, daß die vergeistigte Sachherrschaft des mittelbaren Besitzers auch in seiner besitzrechtlichen Position Ausdruck findet. 867 Deshalb müsse das Recht des Oberbesitzers dem des Besitzmittlers irgendwie übergeordnet sein, seine Rechtsstellung müsse stärker oder umfassender sein als die des unmittelbaren Besitzers. 868 Der unmittelbare Besitz des Besitzmittlers dürfe nur als ein Ausschnitt aus dem Vermögen des Oberbesitzers erscheinen. 869 Bejaht werden diese Voraussetzungen zum Beispiel beim Eigentumsvorbehaltskauf: Da aufschiebend bedingtes Eigentum dem noch bestehenden Eigentum gegenüber untergeordnet sei und der Eigentumsvorbehaltsverkäufer außerdem dem Käufer die Nutzung der Sache gestatte, sei der Eigentumsvorbehaltskäufer Besitzmittler. 870

Andererseits sei ein Besitzmittlungsverhältnis beispielsweise ausgeschlossen, wenn der unmittelbare Besitzer Eigenbesitz habe.

(3) Besitzrechtsableitung Mit der besitzrechtlichen Unterordnung des Besitzmittlers steht eine andere häufig für den mittelbaren Besitz aufgestellte Voraussetzung im engen Zusammenhang: Danach muß der Besitzmittler sein (wirkliches oder vermeintliches)

863

Siehe dazu auch unten (5).

864

Soergel/Mühl § 868 Rn. 10. Freilich überzeugt dieses Wortlautargument nicht, weil die Formulierung "berechtigt oder verpflichtet ist" in § 868 BGB andererseits auf das Erfordernis eines gültigen Rechtsverhältnisses hindeutet. Der Wortlaut ist mithin nicht eindeutig, Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17 5 d, S. 119. 865

Motive Bd. 3, S. 99, bei Mugdan Bd. 3, S. 54; Protokolle (2. Kommission), S. 6071, bei Mugdan, Bd. 3, S. 516 f. 866

MünchKomm/Joost § 868 Rn. 15.

867

Vgl. Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 5, S. 124.

868 Baur/Stürner § 7 Β III 1 b bb, S. 60; Staudinger/Bund § 868 Rn. 22; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 4, S. 123 und § 18 5, S. 124 f.; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 8 I 1 b, S. 32. 869 870

Baur/Stürner § 7 Β III 1 b bb, S. 60; Staudinger/Bund § 868 Rn. 22.

Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β III 1 b bb, S. 60; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 5, S. 124 f. m.w.N. 1*

260

C. Die Besitztatbestände

Recht zum Besitz vom mittelbaren Besitzer ableiten. 871 Die Besitzberechtigung des unmittelbaren Besitzers müsse "den Beteiligten als aus der Rechtsstellung des Oberbesitzers abgezweigt" erscheinen. 872 Dies sei zum Beispiel eindeutig der Fall, wenn der Oberbesitzer dem Besitzmittler die Sache, etwa aufgrund eines wirksamen oder zumindest für wirksam gehaltenen Mietvertrages, übergeben habe.

Allerdings werde eine "Besitzableitung" in dem Sinne, daß der mittelbare Besitzer dem Besitzmittler den unmittelbaren Besitz übertragen haben müsse, von § 868 BGB nicht vorausgesetzt. Deshalb könne ein Besitzmittlungsverhältnis auch durch ein antizipiertes Besitzkonstitut oder durch erkennbares Selbstkontrahieren des Besitzmittlers begründet werden. 873

(4) Herausgabeanspruch Ein wesentliches Kriterium des Besitzmittlungsverhältnisses sieht die ganz h.M. in der Existenz eines Herausgabeanspruchs des Oberbesitzers gegen den Besitzmittler. 874 Die Notwendigkeit dieses Anspruchs wird teilweise damit begründet, daß der mittelbare Besitzer sonst seine Sachherrschaft nicht durchsetzen könne. 875 Andere verlangen den Herausgabeanspruch, weil der Besitzmittler die Sache gemäß § 868 BGB nur "auf Zeit" haben dürfe. 876 Ferner dient

871 OLG Düsseldorf JZ 1951, 269, 270; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β III 1 b bb, S. 59 f.; Soergel/Mühl § 868 Rn. 11; Staudinger/Bund § 868 Rn. 21; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 4, S. 123 f.; WolfïïRaiser, Sachenrecht, § 8 I 1 a, S. 32. O. Gierke, Sachenrecht, § 114 III 5, S. 219 und Wendt, AcP 87 (1897), 44 ff. sprechen von "abgeleitetem Besitz". A.A. Heck, Sachenrecht, § 8, 6 a, S. 33 f.; MünchKomm/Joost § 868 Rn. 22; Müller-Erzbach AcP 142 (1936), 57 f.; Planck/Brodmann § 868 Anm. 2 b, S. 88 f.; Rosenberg, Sachenrecht, § 868 Anm. II 2 c ß, S. 128; Wieling AcP 184 (1984), 443 ff. 872

So Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 4, S. 123.

873

Siehe Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 4, S. 123 f.

874

Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 8 I 2; vgl. auch die in den folgenden Fußnoten Genannten. A.A. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 II 3, S. 217 ff.; ders. AcP 184 (1984), S. 445 ff.; Planck/Brodmann § 868 Anm. 3; Przibilla JW 1908, 396; E. Wolf, Sachenrecht, § 2 Β II b 4, S. 57. Entgegen BGHZ 10, 81, 87 scheint es nach BGH NJW 1955, 499, BGH W M 1985, 1433, 1434 und BGHZ 85, 263, 265 auszureichen, daß der Besitzmittler die Herausgabepflicht anerkennt und freiwillig zur Herausgabe bereit ist. 875 876

RGRK/Kregel § 868 Rn. 7; Staudinger/Bund § 868 Rn. 23.

BGHZ 10, 81, 87; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Β III 1 b dd, S. 61; Erman/ Werner § 868 Rn. 8; J. von Gierke, Sachenrecht, § 6 1 2 , S. 13; MünchKomm/Joost § 868, Rn. 15; Rosenberg, Sachenrecht, § 868 Anm. II 1 bô, S. 122 f.; Soergel/Mühl § 868 Rn. 13; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 6, S. 125 f.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

261

§ 870 BGB als Argument: Wenn dort die Übertragung des mittelbaren Besitzes von der Abtretung des Herausgabeanspruchs abhänge, könne nur die Abtretung eines wirklich existierenden Herausgabeanspruchs gemeint sein. 877 Ein fälliger Herausgabeanspruch wird allerdings nicht verlangt. 878 Der Anspruch kann bedingt, befristet oder von der Ausübung eines Gestaltungsrechts abhängig sein, er darf nur nicht für jede Zeit und endgültig ausgeschlossen sein. 879 Da das Besitzmittlungsverhältnis nicht wirksam sein muß, braucht der Herausgabeanspruch auch nicht aus dem von den Beteiligten als Besitzmittlungsverhältnis gewollten und für gültig gehaltenen Rechtsverhältnis hervorzugehen. Es soll vielmehr genügen, daß überhaupt ein Anspruch, etwa aus §§ 985, 681 S. 2 i.-V.m. 667 oder 812 BGB, besteht.880

(5) Besitzmittlungswille des unmittelbaren Besitzers Unverzichtbare Voraussetzung des mittelbaren Besitzes ist nach h.M. schließlich der Besitzmittlungswille des unmittelbaren Besitzers. 881 Ebenso wie der Besitzmittlungswille einerseits die fehlende Wirksamkeit des Besitzmittlungsverhältnisses überwinden kann, 882 kann also andererseits trotz eines gültigen Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten und eines darin enthaltenen Herausgabeanspruchs der mittelbare Besitz entweder nicht entstehen oder untergehen, wenn der unmittelbare Besitzer nicht den Willen hat, für den anderen

877

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 6, S. 125 f.; J. von Gierke, Sachenrecht, § 6 I 2, S. 13; Last, JherJb 63 (1913), 131. 878

Vgl. nur Staudinger/Bund § 868 Rn. 23 m.w.N.; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 6, S. 125; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 8 I 2. 879

BGHZ 10,81,87.

880

MünchKomm/Joost § 868 Rn. 16; Staudinger/Bund § 868 Rn. 23; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 18 6, S. 126. 881 BGH NJW 1955, 499; RGZ 135, 75, 78; Baur/Stürner, Sachenrecht § 7 Β III 1 b aa, S. 59; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, § 7 3., S. 32; Müller, Sachenrecht, Rn. 228, 251; MünchKomm/Joost § 868 Rn. 17 ff.; Przibilla JW 1908, 397; RGRK/Kregel §868 Rn. 9; Soergel/Mühl § 868 Rn. 6; Staudinger/Bund § 868 Rn. 24; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17 5 d, S. 119. So auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 II, S. 216 ff. und AcP 184 (1984), 451 ff., der den mittelbaren Besitz nicht als vergeistigte Sachherrschaft, sondern als Fiktion einordnet, vgl. auch Schwab/Prütting, Sachenrecht, Rn. 83, der den mittelbaren Besitz als Besitz ohne Sachherrschaft einstuft. Teilweise wird ein Besitzmittlungswille nur für erforderlich gehalten, wenn das Besitzmittlungsverhältnis auf Vertrag, nicht aber, wenn es auf Gesetz beruht, so BayObLGZ 1953, 273, 277; Erman/Werner § 868 Rn. 4; Palandt/Bassenge § 868 Rn. 7; für einen Sonderfall des früheren Erbhofrechts auch BGHZ 9, 73, 79. 882

Siehe oben unter (1).

262

C. Die Besitztatbestände

zu besitzen (Fremdbesitzerwillen) oder er diesen Willen aufgibt. Begründet wird dies wiederum mit dem Wesen des Besitzes als tatsächliche Sachherrschaft: 883 Für den mittelbaren Besitz sei die Bereitschaft des unmittelbaren Besitzers erforderlich, "seine unmittelbare Sachherrschaft abzuschwächen und sie teilweise - mittelbar - einem bestimmten Dritten zuzugestehen".884 Die an den Besitzmittlungswillen gestellten Anforderungen sind nicht hoch: Es soll ein natürlicher Wille genügen885, der dem mittelbaren Besitzer objektiv erkennbar ist. 886 Entsprechend gering sind die Voraussetzungen seiner Beendigung: Der Besitzmittlungswille wird aufgeben, indem der Besitzmittler seine Willensänderung nach außen objektiv erkennbar betätigt, 887 z.B. indem er ein entliehenes Buch mit seinem eigenen Namen kennzeichnet.888 Die Willensänderung muß nicht dem bisherigen mittelbaren Besitzer gegenüber zum Ausdruck gebracht werden. 889

(6) Besitzwille des mittelbaren Besitzers Ob der mittelbare Besitz einen Besitzwillen des mittelbaren Besitzers erfordert, ist umstritten. Teilweise wird dies mit dem Hinweis auf das Wesen des mittelbaren Besitzes als tatsächliche Sachherrschaft bejaht. 890 Die überwiegend vertretene Ansicht hält einen Besitzwillen jedoch zumindest dann für entbehrlich, wenn ein gesetzliches Besitzmittlungsverhältnis (z.B. aus Geschäftsführung ohne Auftrag, elterliche Sorge, Vormundschaft) vorliegt. 891 Da bei vertraglichen Besitzmittlungsverhältnissen der Besitzwille regelmäßig der zwi-

883 Siehe auch bereits oben unter (1) bei den Ausführungen, ob das Besitzmittlungsverhältnis ein wirksames Rechtsverhältnis sein muß. 884

RGRK/Kregel § 868 Rn. 9.

885

MünchKomm/Joost § 868 Rn. 17.

886

BGH NJW 1964, 398; Soergel/Mühl § 868 Rn. 6; Staudinger/Bund § 868 Rn. 25.

887

BGH W M 1965, 1254, 1254 f.; RGZ 135, 75, 80; MünchKomm/Joost §868 Rn. 30; Staudinger/Bund § 868 Rn. 86 m.w.N. 888

Staudinger/Bund § 868 Rn. 86; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 15 II 2.

889

BGH W M 1965, 1254, 1254 f.; RGZ 119, 152, 153 f.; 135, 75, 80; Planck/ Brodmann § 868 Anm. 4 b ß, S. 93; Staudinger/Bund § 868 Rn. 86; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 III 3 a, S. 232; a.A. Hager W M 1980, 671. 890

Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 1912, S. 127. Weil niemandem gegen seinen Willen mittelbarer Besitz aufgedrängt werden könne, verlangt auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 II 5, S. 221 f und AcP 184 (1984), 454 f. einen Besitzwillen des mittelbaren Besitzers. 891 Soergel/Mühl § 868 Rn. 12; Staudinger/Bund § 868 Rn. 26; so wohl auch Erman/Werner § 868 Rn. 4; a.A Palandt/Bassenge § 868 Rn. 15.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

263

sehen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung entnommen werden kann, 892 bedeutet dies im praktischen Ergebnis einen Verzicht auf das Willenserforder-

bb) Kritik Anlaß zur Kritik bieten sowohl die theoretische Grundlage der dargelegten Auffassung als auch die daraus für die praktische Rechtsanwendung abgeleiteten Ergebnisse.

(1) Theoretische Grundlage Schon der Ausgangspunkt der dargelegten Meinung, der mittelbare Besitz sei tatsächliche - wenn auch vergeistigte - Herrschaft über die Sache, kann nicht überzeugen. Er beruht auf der bereits oben 894 als unzutreffend erkannten Gleichsetzung von Besitz und tatsächlicher Sachherrschaft. Die Interpretation des § 868 BGB als ein Tatbestand tatsächlicher Gewalt dient der h.M. nämlich dazu, dem Grundsatz der Identität von Besitz und Sachherrschaft auch für den mittelbaren Besitz Geltung zu verschaffen und damit zugleich den mittelbaren Besitz als einen regulären Besitztatbestand, d.h. als einen Tatbestand tatsächlicher Gewalt, zu legitimieren. 895 Da der Besitz aber eben nicht bloße tatsächliche Gewalt, sondern ein Rechtsverhältnis und ein subjektives Recht ist, 896 das an beliebige gesetzliche Tatbestände - also auch solche ohne tatsächliche Gewalt anknüpfen kann, bedarf es einer Auslegung des mittelbaren Besitzes als eines Falles tatsächlicher Sachherrschaft nicht. Im übrigen ist nicht ersichtlich, worin wirklich die tatsächliche Sachherrschaft des mittelbaren Besitzers bestehen sollte: Selbst wenn der mittelbare Besitzer durch die Existenz des unmittelbaren Besitzes nur "auf Zeit" in den Hintergrund gedrängt wird, so hat er doch gerade während der Dauer des Besitzmittlungsverhältnisses eben keine tatsächliche Gewalt, denn er hat sie für

892

Staudinger/Bund § 868 Rn. 26; vgl. auch Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 1 9 1 2 , S. 127. 893

MünchKomm/Joost § 868 Rn. 21 lehnt die Notwendigkeit eines Besitzwillens völlig ab, da mittelbarer Besitz keine Sachherrschaft, sondern Rechtsfolgenerstreckung sei. 894

Siehe oben Β II.

895

Vgl. dazu Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 5 II 1, S. 108 f.

896

Siehe oben Β III.

264

C. Die Besitztatbestände

diesen Zeitraum zugunsten des Besitzmittlers aufgegeben. 897 Tatsächliche Sachherrschaft wird dem mittelbaren Besitzer auch nicht durch das Besitzmittlungsverhältnis vermittelt, da dieses lediglich - sofern überhaupt ein gültiges Rechtsverhältnis vorliegt - Rechtsansprüche gegen den unmittelbaren Besitzer hervorzubringen vermag. 898 Ansprüche können aber nur Pflichten des Besitzmittlers hinsichtlich der Sache und somit - wenn man dies so nennen mag - eine rechtliche Herrschaft, niemals jedoch eine tatsächliche begründen. Daß die tatsächliche Sachherrschaft vielmehr allein beim Besitzmittler liegt, wird nicht zuletzt daran ersichtlich, daß dieser sich mit den Gewaltrechten aus § 859 BGB auch gegen Angriffe des mittelbaren Besitzers wehren darf. 899 Indem sie die Position des mittelbaren Besitzers als "vergeistigte" Sachherrschaft kennzeichnen, wird indirekt sogar von großen Teilen der h.M. eingeräumt, daß der mittelbare Besitzer keine tatsächliche Sachherrschaft über die Sache hat. Die Welt des Geistes ist eben nicht die Welt der Tatsachen, eine vergeistigte Herrschaft ist mithin keine tatsächliche.900

(2) Abhängigkeit des mittelbaren Besitzes vom Besitzmittlungswillen des Besitzmittlers Es ist aber nicht allein die theoretische Einordnung des mittelbaren Besitzes als Tatbestand tatsächlicher Sachherrschaft, die Kritik verdient. Sehr viel schwerer wiegen die Bedenken gegen die aus dieser Einordnung für die praktische Rechtsanwendung gezogene Schlußfolgerung, der mittelbare Besitz hänge allein vom Willen des Besitzmittlers ab. Diese Ansicht, die man als Subjektivitätstheorie bezeichnen kann, 901 ist bereits vor dem Inkrafttreten des BGB heftig von Jhering kritisiert worden: 902 Indem die Subjektivitätstheorie es vom Willen des Sachinhabers abhängig mache, ob er Besitzer oder bloßer Detentor 903 sei, werde der Besitz zu einem Spielball der Willkür der Parteien. An die 897

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 I 2 a, S. 214; ders., Studi Sanfilippo, S. 732 f.; vgl. auch Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 5 II 1, S. 108 f. 898

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 I 2 a, S. 214; ders., Studi Sanfilippo, S. 733.

899

Vgl. MünchKomm/Joost § 868 Rn. 5; Holler S. 12. Der mittelbare Besitzer dürfte somit nicht einmal nach der "Verkehrsanschauung" tatsächliche Sachherrschaft haben, so zu Recht Schnatenberg, S. 150. 900

Vgl. MünchKomm/Joost § 868 Rn. 5; siehe auch Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 5 II 1, S. 108 f. 901

So Jhering, Besitzwille, S. 7 f. Zu den vermeintlichen Wurzeln dieser Lehre im römischen Recht vgl. Sandtner, S. 78 ff. 902

Die Kritik der Subjektivitätstheorie hat sein Werk "Der Besitzwille" zum Gegen-

stand. 903

Der Detentor entspricht nach heutiger Terminologie dem Besitzmittler.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

265

Stelle der objektiven Rechtsbestimmung werde das souveräne subjektive Belieben gesetzt. Die Anarchie werde damit zum Rechtsprinzip erhoben. Dies sei "der Sprung in den Abgrund". 904 Die Kritik Jherings mag in der Formulierung als zu hart erscheinen, in der Sache ist sie berechtigt: Schon bei oberflächlicher Betrachtung befremdet es, daß eine so bedeutsame Rechtsposition wie der mittelbare Besitz lediglich vom guten Willen eines Dritten abhängen soll. Träfe dies zu, dann könnte der Besitzmittler durch eine bloße einseitige Willensänderung beispielsweise eine etwaige Ersitzung (§ 937 BGB) durch den mittelbaren Besitzer unterbrechen (§§ 940, 942 BGB) 9 0 5 oder die Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 3 BGB zerstören. Dies wäre ein kaum zufriedenstellendes Ergebnis. 906 Bei näherer Untersuchung erscheinen die Probleme noch tiefgreifender:

(a) Beweisschwierigkeiten und Probleme der Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 3 BGB Derjenige, der sich in einem Prozeß auf das Bestehen mittelbaren Besitzes beruft und dafür die Beweislast trägt, gerät bei Zugrundelegung der Subjektivitätstheorie in eigentümliche Beweisschwierigkeiten. Er muß stets nachweisen, daß der Besitzmittler auch gegenwärtig noch für den mittelbaren Besitzer besitzen will. 9 0 7

(aa) Bedeutungsverlust des § 1006 Abs. 3 BGB Die schon aus diesem Grund problematische Norm des § 1006 Abs. 3 BGB 9 0 8 verliert außerdem bei wortlautgetreuer Auslegung unter der Subjektivitätstheorie jeden Sinn, wenn - ein in der Praxis sicherlich häufiger Anwendungsfall dieser Vorschrift - fraglich ist, ob das Eigentum dem unmittelbaren oder dem mittelbaren Besitzer zusteht: Sofern der Besitzmittler den Oberbesitzer anerkennt, herrscht über die Eigentumsfrage regelmäßig kein Streit, die

904

Jhering, Besitzwille, S. 339 f., vgl. dort auch S. 230.

905

Allerdings kann der mittelbare Besitzer bei unfreiwilligem Verlust seines mittelbaren Eigenbesitzes innerhalb eines Jahres die Unterbrechung der Ersitzung unter den Voraussetzungen des § 940 Abs. 2 BGB verhindern, vgl. Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 51 II 4, S. 379; MünchKomm/Quack § 940 Rn. 5. 906

Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, S. 158; Kress, Besitz und Recht, S. 215 f. 907

Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, S. 158.

908

Vgl. dazu Picker AcP 188 (1988), 557.

266

C. Die Besitztatbestände

Regelung des § 1006 Abs. 3 BGB ist also bedeutungslos. In den Fällen aber, in denen die Rechtsfolge des § 1006 Abs. 3 BGB Relevanz erlangt, weil der unmittelbare Besitzer das Eigentum seines Gegners bestreitet, wird die Eigentumsvermutung nach der Subjektivitätstheorie unanwendbar, da es für den mittelbaren Besitz am Besitzmittlungswillen fehlt. 909 Die Regelung des § 1006 Abs. 3 BGB hat daher entweder keinen Nutzen oder ist unanwendbar und verliert somit jeden praktischen Wert.

(bb) Einschränkung des § 1006 Abs. 3 BGB durch die h.M. Allerdings soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß die h.M. dieses widersinnige Ergebnis durch eine einschränkende Auslegung des § 1006 BGB zu verhindern weiß.

(aaa) Bloße Erwerbs Vermutung Sie sieht in dieser Vorschrift - entgegen deren Wortlaut - keine Rechtszustandsvermutung, sondern lediglich eine Erwerbsvermutung: Nach § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB werde nicht schlechthin vermutet, der Besitzer sei Eigentümer. Die Vermutung gehe vielmehr nur dahin, daß der gegenwärtige Eigenbesitzer beim Besitzerwerb zugleich Eigentum erlangt habe (Erwerbsvermutung). 910 Dies folge aus dem Funktionszusammenhang mit den Vorschriften über den derivativen Eigentumserwerb (§§ 929 ff. BGB), 9 1 1 der sich vor allem aus § 1006 Abs. 1 S. 2 BGB ergebe. 912 Die Erwerbsvermutung führe erst aufgrund der allgemeinen Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast zu der weiteren Vermutung, das entstandene Eigentum dauere fort. 913

909

Vgl. Picker AcP 188 (1988), 557 ff. Allerdings plädiert Picker nicht für eine andere Bestimmung des Tatbestandes des mittelbaren Besitzes. Vielmehr möchte er die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 3 entgegen dessen Wortlaut nicht an den mittelbaren Besitz, sondern an den zeitlich älteren Rückgewähranspruch binden, sofern sein Erlöschen noch nicht bewiesen ist, S. 567. Siehe dazu unten (d) (bb). 910

So BGHZ 64, 395, 396; BGH NJW 1967, 2008; 1984, 1456, 1457; Hadding JuS 1972, 184; MünchKomm/Medicus § 1006 Rn. 13 m.w.N.; Soergel/Mühl § 1006 Rn. 2; Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 7 m.w.N. 911

Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 7.

912

BGH NJW 1967, 2008; Baur/Baur, Sachenrecht, § 10 II 2, S. 84; so auch Wolf JuS 1985, 943. 913

MünchKomm/Medicus § 1006 Rn. 13; Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 7 m.w.N.; anders Wolf JuS 1985, 943: § 1006 BGB enthalte neben der Erwerbsvermutung auch eine Bestandsvermutung, so auch Jauernig/Jauernig § 1006 Rn. 1.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

267

Aus dieser Auslegung werden von der h.M. im wesentlichen zwei Schlußfolgerungen gezogen: § 1006 BGB finde keine Anwendung, wenn der Besitzer behaupte, schon vor oder erst nach dem Besitzerwerb Eigentum erlangt zu haben (Beispiel: Der Eigenbesitzer macht einen Eigentumserwerb nach § 929 S. 2 BGB oder durch Ersitzung gemäß § 937 BGB geltend). 914 Dementsprechend sei die Vermutung durch den Nachweis widerlegt, daß der Besitzerwerb nicht gleichzeitig zu einem Eigentumserwerb gefuhrt habe.915 Des weiteren gelte § 1006 BGB nicht für denjenigen, der die Sache zunächst als Fremdbesitzer, also etwa als Mieter, erlangt habe. Er müsse nachweisen, seinen Besitz später rechtmäßig in Eigenbesitz umgewandelt zu haben,916 was auf einen Nachweis des Eigentumserwerbs hinauslaufe. 917

(bbb) Kritik Durch die dargelegte Interpretation des § 1006 BGB gelingt es der h.M., den Instabilitätsfaktor "Besitzmittlungswillen", den sie als Voraussetzung des mittelbaren Besitzes eingeführt hat, aus dem Tatbestand der Eigentumsvermutung weitgehend zu eliminieren: Im Zeitpunkt der Besitzbegründung ist der innere Wille des Besitzmittlers regelmäßig unbeachtlich, weil sich der Besitzmittlungswille aus den äußeren Umständen, z.B. der Entgegennahme einer Sache als Mietsache, ergibt. 918 Dadurch, daß er später das Fehlen seines Besitzmittlungswillens erkennbar macht, kann der unmittelbare Besitzer nach der herrschenden Subjektivitätstheorie zwar den mittelbaren Besitz zerstören, aufgrund der soeben dargelegten Ansicht für sich selbst aber keine Eigentumsvermutung begründen. Außerdem bleibt der ehemalige mittelbare Besitzer durch § 1006 Abs. 2 BGB weiterhin teilweise geschützt.919 Die h.M. kann die Eigentumsvermutung also weitgehend vom Besitzmittlungswillen unabhängig machen und ihr so eine gewisse Stabilität verleihen. Sie kommt deshalb zumeist zu zufriedenstellenden praktischen Ergebnissen.

914

OGH für die britische Zone, NJW 1949, 143 f.; BGH NJW 1967, 2008; Baur/Baur, Sachenrecht, §10112, S. 84; Soergel/Mühl § 1006 Rn. 10; Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 7 m.w.N. 9.5 MünchKomm/Medicus § 1006 Rn. 15; Werner JA 1983, 621; Westermann/Pinger, Sachenrecht, § 34 II 5, S. 238. 9.6

OGH für die britische Zone, NJW 1949, 143 f.; BGHZ 73, 355, 361.

917

MünchKomm/Medicus § 1006 Rn. 14; Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 7; anders insoweit RGRK/Pikart § 1006 Rn. 13. 918

Vgl. nur MünchKomm/Joost § 868 Rn. 17.

919

Vgl. Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 19.

268

C. Die Besitztatbestände

Gleichwohl bestehen gegen die Auslegung des § 1006 BGB durch die h.M. Bedenken. Sie resultieren schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, der eher für eine Rechtszustandsvermutung, d.h. eine Vermutung fur das gegenwärtige Bestehen des Eigentums, spricht. 920 Ob demgegenüber der Hinweis der h.M. auf § 1006 Abs. 1 S. 2 BGB die Annahme einer bloßen Rechtserwerbsvermutung zu rechtfertigen vermag, muß bezweifelt werden, denn diese Ausnahmeregelung zu S. 1 übernimmt lediglich die dem § 935 BGB zugrundeliegende Wertung (Fortbestand des Eigentums bei Abhandenkommen der Sache) für die Eigentumsvermutung, ohne dabei aber auf den Erwerbsvorgang nach den §§ 929 ff. BGB hinzuweisen. Außerdem gilt die Einschränkung des § 1006 Abs. 1 S. 2 BGB nur gegenüber dem früheren Besitzer, dem die Sache abhanden gekommen ist, nicht aber gegenüber Dritten, 921 während § 935 BGB jeden gutgläubigen Eigentumserwerb nach den §§ 932 ff. BGB verhindert. Die Annahme, § 1006 Abs. 1 S. 2 BGB deute auf einen Funktionszusammenhang der Eigentumsvermutung mit den Tatbeständen derivativen Eigentumserwerbs hin, ist somit zumindest nicht zwingend. Ferner verwickelt sich die h.M. in innere Widersprüche, wenn sie einerseits demjenigen, der die Sache zunächst als Fremdbesitzer besessen hat, stets die Vorteile des § 1006 BGB versagt, andererseits aber einem ehemaligen Besitzdiener die Eigentumsvermutung zugesteht, sofern dieser nur nachweist, daß er Besitzdiener - mithin nicht Fremdbesitzer - gewesen ist und daß das Besitzdienerverhältnis nicht mehr besteht.922 Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, beispielsweise den gegenwärtigen Eigenbesitzer eines Autos, das er zuvor als Mieter besessen hat, anders zu behandeln als den ehemaligen Arbeitnehmer, der seinen früheren Dienstwagen nunmehr als ihm gehörend besitzt. Schließlich führt die von der h.M. geforderte Gleichzeitigkeit von Eigenbesitzerwerb und Eigentumserwerb zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Eigentumserwerbstatbestände: Beispielsweise wird unter bestimmten Voraussetzungen der Eigentumserwerb vom Berechtigten gegenüber dem gutgläubigen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten benachteiligt. Dies ist der Fall, wenn ein Eigentümer eine Sache, die er nicht in seinem mittelbaren Besitz hat, nach § 931 BGB übereignet. Dann erlangt der Erwerber durch die Abtretung des Herausgabeanspruchs zwar das Eigentum, nicht aber den Besitz an der Sache. Mangels Gleichzeitig-

920

Eine Rechtszustandsvermutung nehmen an: Rosenberg, Die Beweislast, § 16, S. 225 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §114 1 4 b, S. 656; wohl auch Schlegelberger/Vogels/von Spreckelsen § 1006 Rn. 1. 921 922

Vgl. auch Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 13.

Vgl. zur Eigentumsvermutung zugunsten eines früheren Besitzdieners BGH L M Nr. 2 zu § 1006 BGB; Soergel/Mühl § 1006 Rn. 15; Staudinger/Gursky § 1006 Rn. 7 a.E.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

269

keit von Eigentums- und Besitzerwerb kann er sich der h.M. zufolge selbst dann nicht auf § 1006 BGB berufen, wenn er später Eigenbesitz erlangt. 923 Besser stünde sich der Erwerber allerdings, wenn er - bei sonst gleicher Fallkonstellation - von einem Nichtberechtigten erworben hätte. Dann ginge das Eigentum gemäß § 934 2. Alt BGB erst gleichzeitig mit dem Besitzerwerb auf ihn über, § 1006 BGB fände Anwendung. Eine derartige Schlechterstellung des Erwerbs vom Berechtigten gegenüber dem Gutglaubenserwerb ist nicht sinnvoll und kann schon gar nicht überzeugend mit der fehlenden Gleichzeitigkeit von Eigentums- und Eigenbesitzerwerb begründet werden. 924 Ungereimtheiten ergeben sich auch bei § 929 S. 2 BGB: Der Besitzer, der einen Eigentumserwerb aufgrund dieser Vorschrift behauptet, kann sich nach h.M. auf die Eigentumsvermutung nicht berufen, weil er das Eigentum seinem eigenen Vortrag zufolge später als den Besitz erworben hat. Demnach könnte also derjenige, dem eine Sache übereignet werden soll, die er bereits besitzt, die Eigentumsvermutung zu seinen Gunsten nur dadurch sichern, daß er den zu übereignenden Gegenstand vor der dinglichen Einigung vorübergehend an den Veräußerer zurücküberträgt, um ihn sich bei der Eigentumsübertragung gemäß § 929 S. 1 BGB übergeben zu lassen. Diese umständliche Prozedur will das Gesetz den Beteiligten mit § 929 S. 2 BGB gerade ersparen. Dann darf es aber den Erwerber, der diese Erleichterung nutzt, nicht mit dem Entzug der Eigentumsvermutung bestrafen. 925 Durch die Forderung nach der Gleichzeitigkeit von Eigenbesitz- und Eigentumserwerb wird außerdem die Eigentumsvermutung in unsachgemäßer Weise entwertet, wenn der Eigentümer vorübergehend den Besitz verloren hat. Da er seinem eigenen Vortrag zufolge bei der Wiedererlangung des Besitzes nach § 985 BGB bereits Eigentum hatte, könnte der Eigentümer sich nicht mehr auf § 1006 BGB berufen. 926

(ccc) Ergebnis Insgesamt kann die Auslegung des § 1006 Abs. 3 BGB durch die h.M. somit nicht überzeugen. Mithin können auch die Bedenken, die aus § 1006 BGB gegen das Erfordernis eines Besitzmittlungswillens beim mittelbaren Besitz

923

Vor dem Besitzerwerb findet § 1006 BGB selbstverständlich niemals Anwendung, wie sich eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt. 924

Wolf JuS 1985, 943.

925

Wolf JuS 1985,944.

926

Wolf JuS 1985, 943. Neben Wolf wendet sich auch Jauernig/Jauernig § 1006 Rn. 1 gegen das Gleichzeitigkeitserfordemis der h.M.

270

C. Die Besitztatbestände

hergeleitet wurden, nicht durch eine einschränkende Interpretation der Eigentumsvermutung entkräftet werden.

(b) Eigentumsverlust durch Untreue des Besitzmittlers Soweit es die Ersitzung und die Eigentumsvermutung betrifft, ist der von der Subjektivitätstheorie verursachte Schaden noch erträglich: Die Ersitzung ist, vor allem weil das Gesetz die Möglichkeit gutgläubigen Eigentumserwerbs (§§ 932 ff. BGB) vorsieht, von nur geringer praktischer Bedeutung,927 und aus dem Tatbestand der Eigentumsvermutung kann durch eine entsprechende - wenn auch bedenkliche, seinen Anwendungsbereich nahezu willkürlich beschränkende- Auslegung des § 1006 BGB der Unsicherheitsfaktor "Besitzmittlungswille" weitgehend eliminiert werden 928 . Viel bedeutsamer ist es hingegen, daß der mittelbare Besitzer nach der Subjektivitätstheorie durch den eigenmächtigen Entschluß des Besitzmittlers auf beinahe heimtückische, d.h. seine Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzende Weise sein Eigentum verlieren kann, und zwar an einen Erwerber, der bei Berücksichtigung seiner tatsächlichen Beziehung zur Sache nicht schutzwürdiger erscheint als der mittelbare Besitzer selbst. Zur Verdeutlichung diene folgendes berühmte Beispiel·? 29 Der Zuckerhändler Κ kauft von der Raffinerie E größere Mengen Zucker. E behält sich das Eigentum daran vor und will die Ware erst ausliefern, nachdem Κ den Kaufpreis vollständig bezahlt hat. Daher lagert sie den Zucker als ihr Eigentum und auf ihren Namen gegen eigenen Namenslagerschein bei dem Lagerhalter L ein. Einige Tage später übereignet Κ den eingelagerten Zucker zur Sicherung einer Darlehensschuld an die Bank B. Die Übergabe wird ersetzt, indem Κ seinen angeblichen Herausgabeanspruch gegen L an Β abtritt. Daraufhin händigt L der Β einen auf ihren Namen ausgestellten Lagerschein aus, ohne den E davon in Kenntnis zu setzen.

Legt man die Subjektivitätstheorie zugrunde, steht einem Eigentumsübergang auf die Sicherungsnehmerin Β nichts im Wege: Zwar scheidet ein Erwerb vom Berechtigten aus, denn Κ hat zu keinem Zeitpunkt Eigentum am eingelagerten Zucker erlangt und war auch sonst nicht zur Veräußerung befugt. Jedoch ist ein gutgläubiger Eigentumserwerb nach §§ 931, 934 2. Alt. BGB zu bejahen. Dieser setzt neben der Abtretung eines wirklichen oder - wie im Beispielsfall - eines angeblichen930 Herausgabeanspruchs voraus, daß der Erwerber von

927

MünchKomm/Quack § 937 Rn. 4; Soergel/Mühl Vor § 937 Rn. 2.

928

Siehe oben (a) (bb) (bbb).

929

Nach RGZ 138, 265 (vereinfacht). Ähnlich RGZ 135, 75, aber mit der Besonderheit, daß dem Vorbehaltskäufer die Veräußerung und Verarbeitung des Zuckers gestattet war, siehe dazu Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 7 II 3 b, S. 252 ff.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

271

einem Dritten 931 unmittelbaren oder mittelbaren 932 Eigenbesitz erhält. Sieht man mit der Subjektivitätstheorie das wesentliche Kriterium des mittelbaren Besitzes im Besitzmittlungswillen des Besitzmittlers, dann hat Β mittelbaren Eigenbesitz erworben, denn indem L der Β einen auf ihren Namen lautenden Namenslagerschein aushändigte, brachte er den Willen zum Ausdruck, den eingelagerten Zucker fortan für sie zu besitzen. Zugleich hat L erkennbar seinen Willen betätigt, den Besitz über den Zucker nicht mehr für E auszuüben.933 Durch das treuwidrige Verhalten des L hat E somit sowohl den mittelbaren Besitz als auch das Eigentum an dem Zucker verloren. 934 Bei erster Betrachtung mag man dieses Ergebnis sogar für sachgerecht halten: Wer sein Eigentum in fremde Hände gibt, muß nun einmal damit rechnen, daß er es verlieren kann. Dies ist eine bekannte Folge des vom Gesetz mit den Vorschriften über den Gutglaubenserwerb bezweckten Verkehrsschutzes. Es zeigt sich jedoch recht schnell, daß diese Erwägung im Beispielsfall nicht zutrifft. Anders als beim Gutglaubenserwerb gemäß § 932 und § 933 BGB vollzieht sich nach der dargelegten Lösung der Eigentumsübergang auf Β nämlich heimlich, 935 d.h. durch bloße Absprachen zwischen K, L und Β und ohne erkennbare Veränderung an der Sache.936 Die Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs wird deutlich, wenn man sich E als einen besonders vorsichtigen Eigentümer vorstellt, denn selbst die sorgfältigsten Sicherheitsmaßnahmen könnten einen Eigentumsverlust nicht verhindern: 937 Sogar wenn E seinen Zucker rund um die Uhr und persönlich in den Lagerräumen des L bewachen würde, könnte er das Eigentum an seinem Lagergut verlieren, während es scheinbar wohl behütet und sicher vor ihm liegt. 930

Das Bestehen eines wirksamen Herausgabeanspruchs ist also nicht Voraussetzung, RGZ 89, 348, 349 f.; 138, 265, 267; BGH NJW 1978, 696, 697; MünchKomm/ Quack § 934 Rn. 14; Staudinger/Wiegand, 13. Bearb, § 934 Rn. 10. 931 Im Fall des § 934 2. Alt. BGB ist der Veräußerer - hier Κ - nicht (mittelbarer) Besitzer der Sache. 932

RGZ 135, 75, 77; MünchKomm/Quack § 934 Rn. 15; Staudinger/Wiegand, 13. Bearb., § 934 Rn. 11. Die nachträgliche Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses zwischen unmittelbarem Besitzer und Erwerber genügt, RGZ 138, 265, 267. 933 Vgl. RGZ 119, 152, 153 f.; 135, 75, 79 ff.; anders die Vertreter der Lehre vom Nebenbesitz, dazu sogleich. 934 So wie hier auch RGZ 135, 75; 138, 265; Palandt/Bassenge § 868 Rn. 5; vgl. BGH NJW 1978, 696, 696 f. ("Winterbauhalle-Fair). Vgl. auch BGH NJW 1979, 2037, 2038 ("Saulachse"-Entscheidung), in der der BGH zwar den Übergang mittelbaren Besitzes bejaht, jedoch die Abtretung des Herausgabeanspruchs gemäß § 399 Hlbs. 2 BGB an der Nichteinhaltung einer vereinbarten Form scheitern läßt. 935 Gleiches gilt, wenn man die Subjektivitätstheorie zugrunde legt, für einen Gutglaubenserwerb nach § 934 1. Alt. BGB, vgl. hierzu den sogenannten "FräsmaschinenFall" in BGHZ 50, 45, dazu sogleich (c). 936

Vgl. Picker AcP 188(1988), 521.

937

Vgl. Picker AcP 188 (1988), 521.

272

C. Die Besitztatbestände

Er würde den sich vor seinen Augen abspielenden Eigentumswechsel nicht einmal bemerken. Ferner würde selbst die auffälligste Kennzeichnung seines Eigentums dem E nicht helfen, denn die Erwerberin Β braucht die Sache nicht in Augenschein zu nehmen und wird dies bei einer Sicherungsübereignung auch regelmäßig nicht tun. 938 Hier wird zugleich offenbar, daß, wenn man der Subjektivitätstheorie folgt, der Eigentümer nach § 934 BGB sein Eigentum an weitaus weniger schutzwürdig erscheinende Personen verlieren kann, denn während ihm selbst die aufwendigsten Schutzvorkehrungen nichts nützen, braucht der Erwerber nur den Worten des Veräußerers Glauben zu schenken, um die Voraussetzungen des gutgläubigen Eigentumserwerbs zu erfüllen 939 . Im übrigen gefährdet die Heimlichkeit des Eigentumsverlustes nicht nur das Eigentum, sondern auch sonstige Vermögensinteressen des ursprünglichen Eigentümers. Da dieser den Eigentumsverlust nicht erkennen kann, hält er sich nämlich voraussichtlich auch dann noch für den Eigentümer, wenn er die Sache schon lange verloren hat. Anstatt wegen der Verletzung seines Eigentumsrechts gegen den Veräußerer vorzugehen, schenkt er deshalb jenem weiterhin Vertrauen und räumt ihm womöglich - insbesondere wenn es sich um Vorbehaltseigentum oder Sicherungseigentum gehandelt hat - wegen der vermeintlichen dinglichen Sicherheit weiterhin Kredit ein. Der durch die Eigentumsverletzung angerichtete Schaden verfestigt sich dadurch möglicherweise zusätzlich 940 . Dies ist eine weitere Benachteiligung des ursprünglichen Eigentümers, die zugleich verdeutlicht, welchen Anreiz und welche Möglichkeiten die Subjektivitätstheorie den betrügerischen Vereinbarungen zu Lasten Dritter bietet 941 .

(c) Wertungswiderspruch zwischen § 933 und § 934 BGB Schließlich ist der Subjektivitätstheorie entgegenzuhalten, daß sie in praktisch bedeutsamen Fällen zu einem Wertungswiderspruch zwischen § 933 und § 934 BGB führt. Dies kann am Beispiel der sogenannten "Fräsmaschinen-Entscheidung" des B G H 9 4 2 veranschaulicht werden: Der Maschinenhersteller M verkauft der Firma H eine Fräsmaschine unter Eigentumsvorbehalt. Die Maschine wird in den Geschäftsräumen der H aufgestellt. Noch vor der Zahlung des vollständigen Kaufpreises übereignet H die Ma-

938

Picker AcP 188 (1988), 521 f.

939

Natürlich darf er dabei nicht grob fahrlässig handeln, § 932 Abs. 2 BGB.

940

Vgl. Picker AcP 188 (1988), 522.

941

Die von der Subjektivitätstheorie geschaffene Möglichkeit "fraudolöser Abmachungen" wird bereits von Bruns, Besitzerwerb durch Interessenvertreter, S. 158, kritisiert. 942

BGHZ 50, 45 (hier vereinfacht).

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

273

schine zur Sicherung einer Darlehensschuld an den Kaufmann C. Dabei wird vereinbart, daß H die Fräsmaschine weiterhin in ihren Räumen nutzen darf. Da C selbst einen Kredit - von der Bank L - in Anspruch genommen hat, übereignet er seinerseits die Maschine als Sicherheit an L und tritt an sie seine Rechte aus dem mit H geschlossenen Sicherungsübereignungsvertrag ab. M und L streiten um das Eigentum an der Maschine. - Der BGH gab der L Recht. Zwar habe C ihr das Eigentum nicht als Berechtigter übertragen können, da er nur mittelbarer, aber niemals unmittelbarer Besitzer der Fräsmaschine gewesen sei und somit die Voraussetzungen des § 933 BGB nicht erfülle. L habe das Eigentum aber gutgläubig nach §§ 931, 934 1. Alt. BGB erworben, indem sie sich mit C über den Eigentumsübergang geeinigt habe und C ihr seine Rechte aus dem Besitzmittlungsverhältnis mit H abgetreten habe.

Der erwähnte Wertungswiderspruch besteht darin, daß nach Ansicht des BGH sowohl C als auch L mittelbaren Besitz an der Fräsmaschine durch einen Nichtberechtigten erlangt haben, aber nur L Eigentümer geworden sein soll. Obwohl sich beide - in wirtschaftlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf ihre Schutzwürdigkeit- in vergleichbarer Lage befinden, hat C gegenüber dem ursprünglichen Eigentümer das Nachsehen, während L den M aus seiner Position verdrängen kann. Diese Ungleichbehandlung ist insbesondere deshalb verwunderlich, weil C seinen mittelbaren Besitz immerhin von dem unmittelbaren Besitzer ableitet, während zugunsten der L nur der mittelbare Besitzer verfügt hat. Nach dieser Lösung scheint die Möglichkeit, über fremdes Eigentum zu verfügen, also zu steigen, je weiter der Verfügende von der Sache entfernt ist. 943 Wäre dies richtig, hätte der Nichtberechtigte im übrigen vortreffliche Mittel zur Hand, die Regelung des § 933 BGB zu umgehen: Um eine Sache erfolgreich an einen gutgläubigen Dritten zu veräußern, müßte er seine Distanz zu ihr nur künstlich vergrößern - etwa indem er sie verleiht - und dann die Ansprüche gegen den Entleiher an den Dritten abtreten. 944 Soll die Sache aber weiterhin in seinen Händen verbleiben, brauchte er den Besitz fortan nur einer vertrauten Zwischenperson zu mittein, die dann ihre Ansprüche gegen ihn an den als Erwerber vorgesehenen Dritten abtreten müßte. Der Leidtragende dieser Umgehungsmöglichkeiten ist letztlich wieder der ursprüngliche Eigentümer. 945 Der BGH hat den in seiner Entscheidung zutage tretenden Wertungswiderspruch zwischen § 933 und § 934 1. Alt. BGB recht deutlich erkannt. Er führt aus: 946 "Es ist in der Tat auffallend, daß wirtschaftlich gleichliegende Sachverhalte verschieden beurteilt werden müssen, je nach dem, ob die eine oder die andere Bestimmung (§ 933 oder § 934 Halbs. 1 BGB) zur Anwendung kommt, daß also die Anwendung des geltenden Rechts zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, deren Berechtigung nicht ohne weiteres einsichtig ist. In einem Falle

943

Vgl. Picker AcP 188 (1988), 516.

944

Vgl. Soergel/Mühl § 934 Rn. 1.

945

Zur Benachteiligung des Eigentümers siehe auch schon oben (b).

946

BGHZ 50, 45,51 f.

18 Härtung

C. Die Besitztatbestände

274

wie dem vorliegenden fällt dies besonders auf, weil hier der zweite Sicherungsnehmer, dem die Bestimmung des § 934 Halbs. 1 BGB zugute kommt, der Vorbehaltssache fernergerückt war als der erste, der gemäß § 933 BGB kein Eigentum erwerben konnte." Trotz dieser gravierenden Bedenken sah sich der BGH an eine Entscheidung zugunsten der L gebunden, weil er dies bei wortlautgetreuer Auslegung als eine zwingende Rechtsfolge des § 934 BGB erachtete und er ferner der Ansicht war, daß von dem in den §§ 933, 934 BGB zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers nicht abgewichen werden dürfe. 947 Der Gesetzgeber sei bei der Normierung der §§ 933, 934 BGB nämlich nicht willkürlich verfahren. 948 Vielmehr habe er beiden Vorschriften zwei einheitliche Prinzipien zugrunde gelegt. Ein Prinzip bestehe darin, daß die Schaffung des mittelbaren Besitzes zum gutgläubigen Erwerb nicht ausreiche, wohl aber seine Übertragung. 949 Dem zweiten Prinzip zufolge trete ein Gutglaubenserwerb nur ein, wenn sich der Veräußerer semes Besitzes völlig entäußere. 950 Abgesehen davon, daß eine Entscheidung nicht schon dadurch richtig wird, daß sie "nicht willkürlich" ist, können diese Rechtfertigungsversuche des BGH nicht überzeugen. Beide genannten Kriterien - die Unterscheidung zwischen Schaffung und Übertragung des mittelbaren Besitzes sowie die Besitzaufgabe durch den Veräußerer - stellen nämlich allein auf die Stellung des Veräußerers ab. Die Positionen der eigentlich Beteiligten, d.h. des ursprünglichen Eigentümers und des Erwerbers, beachten sie hingegen nicht. Sie geben daher auch keinen Aufschluß darüber, welcher der beiden Prätendenten schutzwürdiger ist. Mithin können sie keine sachliche Rechtfertigung für die Bevorzugung eines der Beteiligten bieten. 951 Im übrigen hätte es des aufwendigen - und fehlgeschlagenen - Versuchs einer Harmonisierung zwischen § 933 BGB und § 934 BGB im vorliegenden Fall überhaupt nicht bedurft. Der Eigentumsübergang auf den "fernergerückten" Sicherungsnehmer L ist nämlich keine unausweichliche Rechtsfolge des § 934 BGB, sondern beruht - vom BGH völlig außer acht gelassen - auf der Subjekti-

947

Vgl. auch, beinahe resignierend, Baur/Baur, Sachenrecht, § 52 II 4 a, S. 524: Man werde "diese willkürlich erscheinende Regelung ... als vom Gesetz gewollt hinnehmen müssen". 948

BGHZ 50, 45, 52.

949

BGHZ 50, 45, 49; so auch Michalski AcP 181 (1981), 419; Erman/Michalski § 934 Rn. 1; RGRK/Pikart § 934 Rn. 2. 950 BGHZ 50, 45, 50; so auch Baur/Baur, Sachenrecht, § 52 I 1 a aa, S. 517; Michalski AcP 181 (1981), 418; RGRK/Pikart § 934 Rn. 2; Soergel/Mühl § 934 Rn. 1; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 48 II 2 a, S. 361. 951

Ausführlich hierzu Picker AcP 188 (1988), 516 ff.; vgl. ebenso Medicus, Festschrift für Hübner, S. 612. Kritisch ggü. den Rechtfertigungsversuchen wohl auch Staudinger/Wiegand, 13 Bearb., § 934 Rn. 2.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

275

vitätstheorie: Nur wenn man der H die Möglichkeit zubilligt, durch bloße Willensänderung eigenmächtig den bestehenden mittelbaren Besitz zu beenden und einer anderen Person mittelbaren Besitz zu verschaffen, kommt ein gutgläubiger Eigentumserwerb durch L in Betracht. Kann H hingegen durch sein treuwidriges Verhalten keinen neuen mittelbaren Besitz begründen, dann erlangt auch L nicht das Eigentum an der Fräsmaschine, denn es sind bei ihr weder die Voraussetzungen des § 934 1. Alt. BGB noch die des § 934 2. Alt. BGB erfüllt. Die Frage, warum L und nicht C Eigentum erwerben konnte, stellt sich mithin überhaupt nicht mehr. Der ursprüngliche Eigentümer M bleibt vielmehr sowohl gegenüber C als auch gegenüber L geschützt - ein auch in rechtspolitischer Hinsicht 952 zu begrüßendes Ergebnis.

(d) In der Literatur vertretene Lösungsversuche Ein großer Teil der Literatur mißbilligt ebenfalls die soeben beschriebenen praktischen Auswirkungen der Subjektivitätstheorie und verfolgt - ohne die Subjektivitätstheorie aufzugeben - verschiedene Lösungsansätze, um sachgerechte Ergebnisse zu erzielen.

(aa) Die Lehre vom Nebenbesitz Die Lehre vom Nebenbesitz953 verdankt ihre Entstehung vor allem 954 der als unbillig empfundenen Benachteiligung955 des bisherigen Eigentümers gegenüber einem gutgläubigen Erwerber nach § 934 BGB durch die Rechtsprechung. Der Nebenbesitzlehre zufolge soll es möglich sein, daß der bisherige mittelbare Besitzer und der Erwerber gleichzeitig mittelbaren Besitz über die Sache ausüben, wobei sie zueinander nicht - wie im Fall des § 871 BGB vorgesehen - in 952

Vgl. Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, II 2 § 23, S. 31 f. - A, B, D. 953

Diese Lehre geht auf ein zum Zuckereinlagerungsfall (RGZ 135, 75) erstelltes Gutachten Martin Wolffs zurück. Vertreter der Nebenbesitzlehre sind insbesondere Baur/Baur, Sachenrecht, § 52 II 4 c bb, S. 525; Lange, JuS 1969, 164; Medicus, Festschrift für Hübner, S. 611 ff.; Medicus, BR, Rn. 558 ff.; Paulus JZ 1957, 45; Staudinger/Bund § 868 Rn. 9 m.w.N.; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., §19114, S. 89 m.w.N., anders aber nunmehr Westermann/Gursky in der 6. Auflage; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 III 3 b, S. 232 ff. m.w.N.; WolfïïRaiser, Sachenrecht, §69, S. 256, Fn. 22. 954 Vgl. Medicus, Festschrift für Hübner, S. 612 f. Daß außerdem die Inkongruenz zwischen § 933 und § 934 BGB an Gewicht verliert, sieht Medicus, aaO, S. 623 f. als eine "(erfreuliche) Nebenwirkung" der Nebenbesitzlehre an. 955

18*

Siehe dazu oben (b).

276

C. Die Besitztatbestände

einem Stufenverhälnis, sondern auf gleicher Stufe, d.h. unabhängig nebeneinander stehen. Ein solcher gleichstufiger Nebenbesitz werde begründet, wenn der Besitzmittler ein Doppelspiel treibe, er durch sein Verhalten den älteren mittelbaren Besitz also nicht eindeutig zerstören wolle. Da der neue mittelbare Besitzer der Sache nicht näher stehe als der ursprüngliche, komme ein Eigentumserwerb nach § 934 BGB nicht in Betracht. Der Unterschied dieser Lehre zur Rechtsprechung besteht also vor allem darin, daß ein Gesinnungswandel des unmittelbaren Besitzers den mittelbaren Besitz nicht in jedem Fall erlöschen läßt. Die Nebenbesitzlehre bleibt aber - zumindest formal - auf dem Boden der Subjektivitätstheorie, denn auch sie hält den Besitzmittlungswillen des unmittelbaren Besitzers für das maßgebliche Kriterium des mittelbaren Besitzes. Damit begibt sie sich jedoch in innere Widersprüche, denn zugunsten des früheren mittelbaren Besitzers existiert - zumindest im Zeitpunkt, in dem der mittelbare Besitz des Erwerbers begründet wird - kein Besitzmittlungswille: Da dieser nämlich in der Bereitschaft besteht, die Sache zu gegebener Zeit in Anerkennung eines besseren Rechts an den mittelbaren Besitzer herauszugeben, der Besitzmittler aber - wie ihm durchaus bewußt ist - die Sache nur einmal herausgeben kann, ist ein ununterbrochener, gleichzeitiger Besitzmittlungswille zugunsten zweier verschiedener, voneinander unabhängiger mittelbarer Besitzer schon logisch undenkbar. 956 Davon abgesehen entspricht die Annahme eines doppelten Besitzmittlungswillens auch nicht dem wirklichen Willen des Besitzmittlers. Wenn der unmittelbare Besitzer die Sache treuwidrig veräußert, geriert er sich nämlich notwendigerweise als deren Eigentümer und bringt damit den Willen, den bisherigen Besitz nicht mehr anzuerkennen, deutlich zum Ausdruck. Außerdem wird er häufig damit rechnen, sich mit dem Veräußerungserlös von dem gegen ihn gerichteten Herausgabeanspruch und damit von dem bisherigen übergeordneten Besitz "freikaufen" zu können. Sein Verhalten hat also gerade das wirtschaftliche Ziel, fortan nicht mehr zur Herausgabe an den bisherigen mittelbaren Besitzer bereit sein zu müssen.957 Indem sie dem früheren Besitzer weiterhin mittelbaren Besitz zuspricht, erkennt die Nebenbesitzlehre somit in Wahrheit einen mittelbaren Besitz ohne Besitzmittlungswillen an. Sie ist daher mit ihrem eigenen dogmatischen Ausgangspunkt, der Subjektivitätstheorie, nicht vereinbar. Davon abgesehen bestehen gegen die Nebenbesitzlehre weitere Bedenken. So wird die Frage, ob der Besitzmittler die bisherige Besitzbeziehung endgültig löst - dann entsteht kein Nebenbesitz958 - oder ob er lediglich ein Doppelspiel

956 Picker, AcP 188 (1988), 539 ff.; Tiedtke, Jura 1983, 465; vgl. auch MünchKomm/ Joost § 868 Rn. 20. Auf den Begriff "tatsächliche Sachherrschaft" abstellend Urbanczyk, Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, S. 32. 957

Vgl. Picker, AcP (1988), 541 ff.

958

Baur/Baur, Sachenrecht, § 52 II 4 c bb, S. 525.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

277

treibt, häufig zu Abgrenzungsproblemen fuhren. 959 Im übrigen läßt die Nebenbesitzlehre den bisherigen Eigentümer schutzlos, wenn der Besitzmittler ihm gegenüber das Besitzmittlungsverhältnis ausdrücklich aufkündigt. 960 Ferner passen die mit dem Besitz verbundenen Rechtsfolgen, die auf der Ausschließlichkeit des Besitzes beruhen, nicht zu der Annahme eines Nebenbesitzes.961 So wäre es beispielsweise problematisch, für welchen der Besitzer die Eigentumsvermutung (§ 1006 Abs. 3 BGB) gelten sollte, oder welcher Nebenbesitzer die Sache gemäß § 937 BGB sollte ersitzen können. 962 Deshalb schränkt ein Teil der Vertreter der Nebenbesitzlehre die Bedeutung des Nebenbesitzes ausdrücklich ein: 963 Die Funktion des Nebenbesitzes sei ganz negativ. Sie bestehe darin, die Position des Erwerbers soweit herabzustufen, daß sie nicht mehr als derjenigen des bisherigen mittelbaren Besitzers, d.h. des Alteigentümers, überlegen erscheine. Es gehe dabei primär darum, einen Gutglaubenserwerb nach § 934 BGB einzuschränken. Daraus folge, daß auch die Eigentumsvermutung und die Ersitzung für den Erwerber ausgeschlossen seien. In dieser Funktionsbeschreibung wird der eigentliche Zweck der Nebenbesitzlehre deutlich: Er besteht darin, die unbefriedigenden Konsequenzen der Subjektivitätstheorie, die den Fortbestand des mittelbaren Besitzes praktisch der freien Willkür des Besitzmittlers überläßt, im Ergebnis zu korrigieren, indem man dem Erwerber zwar nominell mittelbaren Besitz zugesteht, ihm aber sogleich die mit dem Besitz verbundenen Rechtsfolgen wieder aberkennt. Anstatt die Probleme mit einem fragwürdigen und im Gesetz nicht vorgesehenen Rechtsgebilde wie dem Nebenbesitz zu bekämpfen, sollte man aber besser das Übel von Grund auf beseitigen und den mittelbaren Besitz nicht weiter vom guten Willen des Besitzmittlers abhängig machen.964 Indem sie das Vertrauen des bisherigen mittelbaren Besitzers schützen will und es dem des Erwerbers überordnet, hat die Nebenbesitzlehre dabei schon indirekt den Weg in die richtige Richtung gewiesen: Entscheidend für den mittelbaren Besitz ist die Schutzwürdigkeit des mittelbaren Besitzers. Diese Schutzwürdigkeit ergibt sich aus dem Bestehen der überwiegenden Kontinuitätsinteressen.

959 Vgl. auch Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, § 8 II 2 c (1) und (2) S. 360 ff. 960

Vgl. Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, § 8 II 2 e (4), S. 369 f.

961

MünchKomm/Joost § 868 Rn. 20; Picker AcP 188 (1988), 537 f.; Urbanczyk, Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, S. 33. 962

Im Falle der Ersitzung wäre man möglicherweise sogar gezwungen, "Nebeneigentum" anzunehmen, vgl. dazu Picker AcP 188 (1988), 537 f. 963

Medicus, Festschrift für Hübner, S. 614 f.

964

Vgl. auch Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 7 II 3 b, S. 261.

278

C. Die Besitztatbestände (bb) Maßgeblichkeit des älteren Herausgabeanspruchs

Eine andere Ansicht setzt in ihrer Kritik unmittelbar bei der gesetzlichen Regelung der §§ 1006, 934 BGB an, um im Ergebnis eine Benachteiligung des bisherigen Eigentümers zu vermeiden: Der Wertungswiderspruch zwischen § 933 und § 934 BGB beruhe auf einem gesetzgeberischen Fehler, nämlich der unreflektierten und schematischen Gleichsetzung von unmittelbarem und mittelbarem Besitz. 965 Dabei habe der Gesetzgeber übersehen, daß der mittelbare Besitz durch die Willenshaltung des unmittelbaren Besitzers bedingt und damit bezüglich der tatsächlichen Beziehungen zur Sache dem unmittelbaren Besitz nicht gleichwertig sei. 966 Der mittelbare Besitz scheide daher als Kriterium für den Gutglaubenserwerb aus. 967 Maßgeblich für die Frage, welcher der Prätendenten im Streit um das Eigentum den Vorzug verdiene, sei mithin nicht die Herrschaftsbeziehung, sondern vielmehr diejenige Beziehung zur Sache, die die Eigentumsvermutung nach § 1006 BGB begründe. 968 Allerdings beruhe auch § 1006 Abs. 3 BGB auf einem Fehlgriff der Gesetzesverfasser und sei daher zu korrigieren. 969 Für die Eigentumsvermutung sei deshalb in Wirklichkeit nicht der mittelbare Besitz, sondern die Existenz eines Rückgewähranspruchs aufgrund einer zeitlich begrenzten Sachüberlassung entscheidend. Bei einer Konkurrenz mehrerer rückforderungsberechtigter Eigentumsprätendenten verdränge der zeitlich ältere Rückgewähranspruch die anderen solange, wie nicht der Beweis seines Erlöschens erbracht sei. 970

965

Picker, AcP 188 (1988), 524 ff.

966

Picker, AcP 188 (1988), 532 f.

967

Vgl. Picker, AcP 188 (1988), 548.

968

Picker, AcP 188 (1988), 552 f.

969

Picker, AcP 188 (1988), 555 ff.

970

Picker, AcP 188 (1988), 567. Ähnlich Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, § 8 II 2 d, S. 362 f.: Die Veräußerung sei mißglückt, soweit der bisherige Eigentümer mittels eines schuldrechtlichen Herausgabeanspruchs auf die Sache zugreifen könne. Ebenso wie bei § 933 BGB blockiere der Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den unmittelbaren Besitzer den redlichen Erwerb des Dritten. Zum gleichen Ergebnis führt in den meisten Fällen die Ansicht von Müller in AcP 137 (1933), S. 89 ff., allerdings ohne Rückgriff auf den Herausgabeanspruch: Der mittelbare Besitz könne zwar ohne Wissen des mittelbaren Besitzers zugunsten des Erwerbers verändert werden, eine Funktion von ihm bleibe aber erhalten: Er hindere noch einen Erwerb nach § 934 BGB. In den Fällen des § 934 BGB trete ein gutgläubiger Erwerb daher erst mit Erlangung des unmittelbaren Besitzes ein, wenn der gegenwärtige Besitzer zunächst dem bisherigen Eigentümer gegenüber den Besitz vermittelt habe und seitdem weder eine Veränderung des unmittelbaren Besitzes eingetreten sei noch der Eigentümer den mittelbaren Besitz auf den Veräußerer oder Erwerber übertragen habe.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

279

Bei Zugrundelegung dieser Ansicht hat im obigen Zuckereinlagerungsfall E sein Eigentum nicht an Β verloren. Der hier beschriebene Lösungsansatz ähnelt im Ergebnis und in der Vorgehensweise der Nebenbesitzlehre: 971 Die Subjektivitätstheorie bleibt unangetastet, der Erwerber erlangt daher durch das treuwidrige Verhalten des Besitzmittlers den mittelbaren Besitz. Jedoch werden ihm zugleich, soweit es die Eigentums Vermutung und den Eigentumserwerb betrifft, die Rechtsfolgen des Besitzes aberkannt. Das Eigentum des bisherigen Besitzers bleibt deshalb erhalten. In einem Punkt geht die dargelegte Meinung allerdings weiter als die Nebenbesitzlehre: Während die Nebenbesitzlehre das Besitzrecht lediglich um eine dort nicht vorgesehene Besitzfigur erweitert, setzt sich der erörterte Lösungsansatz völlig über den eindeutigen Wortlaut der §§ 934, 1006 Abs. 3 BGB hinweg. Er ist daher mit den geltenden Recht noch weniger zu vereinbaren als die Lehre vom Nebenbesitz.972 Zustimmung verdient indes der durch den Lösungsansatz erreichte Schutz des bisherigen Eigentümers und die diesem Resultat zugrundeliegende Wertung: Der bisherige Eigentümer wird geschützt, weil sein Vertrauen aufgrund seines älteren Herausgabeanspruchs als schutzwürdiger 973 erscheint, solange sich die Sache unverändert beim unmittelbaren Besitzer befindet. Maßgeblich sind damit letztendlich die älteren und somit schutzwürdigeren Kontinuitätsinteressen. Um dies zu erreichen, sollte man allerdings bei der Bestimmung des Besitztatbestandes ansetzen und nicht - wie die dargelegte Auffassung es tut erst bei den Rechtsfolgen des Besitzes.974 Man käme sonst nämlich zu einem wenig einleuchtenden Auseinanderfallen von materieller Berechtigung und Besitzposition: Der bisherige Eigentümer behielte seine Eigentumsrechte, verlöre aber durch das Verhalten des unmittelbaren Besitzers seine Besitzposition, während der Erwerber zwar keine - oder nur eine untergeordnete - materielle Berechtigung an der Sache hätte, aber die Besitzansprüche aus § 869 BGB geltend machen könnte.

971

Obwohl die Nebenbesitzlehre von Picker heftig kritisiert wird, AcP 188 (1988),

533 ff. 972

Vgl. auch Urbanczyk, Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, S. 34 f.

973

Vgl. die Ausführungen zur Schutzwürdigkeit der Eigentumsprätendenten bei Picker, AcP 188 (1988), 548 ff. 974

Aus dem gleichen Grund ist der Lösungsvorschlag Müllers in AcP 137 (1933), 89 ff. abzulehnen.

280

C. Die Besitztatbestände (cc) Haftungspflicht aus unrechtmäßigem Besitz ("furtum-Lösung")

Einen abweichenden Weg zum Schutz des bisherigen Besitzers und Eigentümers beschreitet Ernst: 975 Der für den Mobiliarerwerb maßgebliche (mittelbare) Eigenbesitz976 werde nicht bereits durch eine erkennbare Willensbetätigung des unmittelbaren Besitzers beendet. Erforderlich sei vielmehr, daß der bisherige Besitzmittler mit seinem Verhalten die verschärfte Haftung des Vindikationsbesitzers auslöse. Eigenbesitzer werde der Besitzmittler daher nur, wenn er entweder die Sache in Zueignungsabsicht beschädigt und sich dadurch nach §§ 989, 990 BGB schadensersatzpflichtig gemacht habe, oder wenn er sie als eigene genutzt und sich dadurch nach §§ 987, 990 BGB zur Nutzungsherausgabe verpflichtet habe. Beispiele für den ersten Fall seien das Herausreißen der Buchseite mit dem Bibliotheksstempel oder die Zerstörung der Fahrgestellnummer eines Autos. Der zweite Fall liege vor, wenn der Verwahrer eine Sache in der Absicht, sie nicht wieder zurückzugeben, gewerblich vermietet und dem Mieter überlassen habe. 977 Eine Fremdzueignung an einen Dritten bestehe nur dann, wenn der Besitzmittler die Ernsthaftigkeit seiner Unterschlagungsabsicht durch einen haftungsbegründenden Sachumgang beweise, etwa indem er den Namen des Dritterwerbers in das geliehene Buch schreibe oder er das geliehene Auto für den Dritten umlackiere. Hingegen werde der bisherige (mittelbare) Eigenbesitz durch das bloße "Gerede" des Besitzmittlers, die Sache fortan für den Erwerber zu besitzen, nicht zerstört, denn durch ein solches "Gerede" setze sich der Besitzmittler einer Haftung als unberechtigter Besitzer nicht aus. 978 Ernst versucht dem bisherigen Eigentümer also zu helfen, indem er die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen ein Gesinnungswandel des Besitzmittlers zur Besitzbeendigung führt, verschärft. Seine Lösung setzt somit unmittelbar beim Besitz an. Dies ist allerdings nur ein scheinbarer Vorteil, da Ernst, wie bereits oben kritisiert wurde, 979 dem BGB von vornherein zwei völlig verschiedene Besitztatbestände zugrundelegt. Davon abgesehen werden die Probleme durch den Vorschlag Emsts nur zum Teil beseitigt. Da Ernst "die Tatsächlichkeit des Besitzes nicht antasten" will, 9 8 0 bleibt der mittelbare Besitz weiterhin der Willkür des Besitzmittlers unterworfen. Sogar die Gefahr eines "heimlichen" Gutglaubenserwerbs ist auch weiterhin nicht völlig auszuschlie-

975

Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 7 II 3 a, S. 228 ff, und Kapitel 7 II 3 b, 242 ff. 976

Zur Bedeutung des Eigenbesitzes nach der Theorie Emsts siehe oben C I 1 f aa.

977

Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 7 II 3 a, S. 235 f.

978

Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 7 II 3 b, S. 246.

979

Siehe oben C I 1 f a a ( l ) b i s (6).

980

Emst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Kapitel 7 II 3 a, S. 233, vgl. auch Kapitel 7 II 3 b, S. 246.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

281

ßen. Schließlich ist der Ansicht Emsts entgegenzuhalten, daß sie einerseits sachfremde Kriterien in den Streit um das Eigentum einführt, andererseits die Interessen der Eigentumsprätendenten aber völlig außer Betracht läßt. Es ist nicht einzusehen, warum der Besitzerwerb eines Dritten beispielsweise von einer durch den unmittelbaren Besitzer begangenen Sachbeschädigung abhängen soll. Außerdem macht der Lösungsvorschlag Emsts die Frage des Eigentumserwerbs häufig von Zufälligkeiten abhängig, etwa von der, ob der Besitzmittler den Namen des Erwerbers in das geliehene Buch schreibt oder nicht.

(3) Ergebnis Insgesamt kann die Einordnung des mittelbaren Besitzes als ein Tatbestand tatsächlicher Sachherrschaft nicht überzeugen. Sie ist unnötig, da der Besitz ein Recht und nicht ein nur tatsächliches Verhältnis ist, und sachlich verfehlt, weil der mittelbare Besitzer keine Möglichkeit hat, auf die Sache tatsächlich einzuwirken. 981 Zu beanstanden ist aber vor allem die aus dieser Einordnung hergeleitete Konsequenz, der mittelbare Besitz sei vom Besitzmittlungswillen des unmittelbaren Besitzers abhängig. Die damit einhergehende Instabilität des mittelbaren Besitzes führt - wie dargelegt - bei § 1006 Abs. 3 BGB und § 934 BGB zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung des bisherigen Eigentümers und mittelbaren Besitzers und bringt einen Wertungswiderspruch zwischen § 933 BGB und § 934 BGB hervor. Die zu diesen Problemen entwickelten Harmonisierungs- und Lösungsversuche eines großen Teils der Literatur 982 , die im Ergebnis einen verstärkten Schutz des älteren Besitzes zum Ziel haben, schlagen letztlich fehl, weil sie den Boden der Subjektivitätstheorie nicht verlassen und den Fortbestand des mittelbaren Besitzes somit weiterhin vom guten Willen des Besitzmittlers abhängig machen.

b) Der mittelbare Besitz als ein Tatbestand schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen Zu sachgerechten Ergebnissen gelangt man daher nur, wenn man den Tatbestand des mittelbaren Besitzes vom Erfordernis des Besitzmittlungswillens löst, um auf diese Weise eine höhere Stabilität des mittelbaren Besitzes zu erreichen. Allerdings darf man hierbei das Tatbestandsmerkmal des Besitzmittlungswillens nicht durch die Forderung nach einem wirksamen Rechtsverhältnis zwischen unmittelbarem und mittelbarem Besitzer ersetzen, wie dies die vor-

981

Siehe oben(l).

982

Siehe oben (2) (d).

282

C. Die Besitztatbestände

nehmlich früher vertretene Objektivitätstheorie tut. 983 Der mittelbare Besitzer würde dann nämlich zwar weitgehend vor einem willkürlichen Besitzverlust geschützt, weil der mittelbare Besitz trotz eines abweichenden Willens des Besitzmittlers fortbestünde, solange sich die Sache im unmittelbaren Besitz des Besitzmittlers befindet und das Rechtsverhältnis mit dem Herausgabeanspruch gültig ist. Dafür würden aber andererseits Schutzlücken bei der Begründung des mittelbaren Besitzes hervorgerufen, wenn nämlich das Besitzmittlungsverhältnis an einem unerkannten Mangel leidet und deshalb unwirksam ist. Der mittelbare Besitz des Verpächters eines landwirtschaftlichen Grundstücks darf beispielsweise nicht allein deshalb untergehen, weil die zuständige Behörde den Pachtvertrag beanstandet hat (vgl. § 4 LPachtVG), zumal der Verpächter im Falle der Nichtigkeit des Vertrages besonders schutzwürdig ist, denn der Pächter wird sich dann für die Abwehr von Angriffen Dritter nicht mehr zuständig fühlen. 984

aa) Die Maßgeblichkeit der Kontinuitätsinteressen Ein umfassender Schutz des mittelbaren Besitzes kann nur erreicht werden, wenn der Schutzzweck des Besitzes schon bei der Bestimmung des Tatbestandes berücksichtigt wird. Auf diese Weise werden die zu schützenden und die geschützten Tatbestände zur kongruenten Deckung gebracht. Der Zweck des Besitzes besteht, wie bereits dargelegt, 985 im Schutz der Kontinuitätsinteressen des Besitzers. Dies gilt auch für den mittelbaren Besitz: 986 Man vertraut nämlich nicht nur auf die jederzeitige tatsächliche Verfügbarkeit der Sachen, auf die man gegebenenfalls - wie im Fall des § 854 BGB persönlich zugreifen will, die sich also im eigenen unmittelbaren Besitz befinden. Ein solches Vertrauen kann vielmehr auch vorhanden sein, wenn die Sache primär dem tatsächlichen Zugriff eines Dritten unterliegen soll. Beispiel: Der Eigentümer E weist, wenn er sein Auto dem Mieter M vermietet und überlassen hat, ein starkes Interesse am Fortbestand der gegenwärtigen tatsächlichen Verhältnisse auf: Dem E steht grundsätzlich nur dann ein Anspruch auf Zahlung des Mietzinses zu, wenn dem M das Auto während der Mietzeit kontinuierlich ohne Besitzstörung zur Verfugung steht (vgl. § 535 S. 1 BGB). Außerdem kann sich seine Erwar983

Vgl. oben a aa(l), Fn. 859.

984

Vgl. Staudinger/Bund § 868 Rn. 16; Westermann/Gursky, Sachenrecht, § 17 5 d, S. 119; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 II 1, S. 216. 985 986

Siehe oben Β III 1 b a a ( l ) ( d ) .

Zum Kontinuitätsinteresse beim mittelbaren Besitz vgl. auch Heck, Sachenrecht §8, 1., S. 31. Abzulehnen ist daher auch die Ansicht Schnatenbergs, beim mittelbaren Besitz handele es sich nicht um Besitz, sondern lediglich um eine Wortschöpfung, die einen im sachenrechtlichen Sinne nicht besitzenden Personenkreis bezeichne, vgl. Schnatenberg S. 153.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

283

tung, das Auto nach Ablauf des Mietverhältnisses von M zurückzuerhalten, nur erfüllen, wenn es dem M nicht zwischenzeitlich von einem Dritten entzogen wird.

Auch das folgende Beispiel erhellt das Kontinuitätsinteresse bei Überlassung der Sache an einen Dritten: 987 Während eines längeren Urlaubs überläßt U dem Freund F seine Wohnung. U wird zweifellos darauf vertrauen, die Wohnung bei seiner Rückkehr ohne weiteres wieder bewohnen zu können und unterläßt es deshalb etwa, sich eine andere Wohnung zu besorgen. Sein Kontinuitätsinteresse unterscheidet sich nicht von dem eines Reisenden, der die Wohnung während seiner Abwesenheit leerstehen läßt.

Allerdings ist nicht jedes subjektiv als bedeutsam erachtete Interesse schutzwürdig. Den §§ 868 f. BGB liegt die Erwägung zugrunde, daß es eine wirtschaftlich sinnvolle und allgemein anerkannte Form der Nutzung ist, eine Sache vorübergehend einem anderen zur Verfugung zu stellen. Der mittelbare Besitz wurde in das BGB eingeführt, um diese Art der Sachnutzung possessorisch zu schützen: Der Vermieter, Verpächter, Verleiher etc. sollte die Möglichkeit erhalten, Angriffe Dritter abzuwehren, um die Sache dem unmittelbaren Besitzer weiterhin vertragsgemäß zur Verfügung halten zu können. Außerdem sollte sein Rückführungsinteresse gesichert werden. 988 Ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse liegt deshalb nur vor, wenn der Oberbesitzer zu seinem eigenen Nutzen die Sache einem Dritten überläßt und er eine - möglicherweise bedingte - Rückgabeerwartung hat. Daß die Bewertung des Kontinuitätsinteresses, obwohl in § 868 BGB nicht ausdrücklich erwähnt, für die Bestimmung des Tatbestandes des mittelbaren Besitzes die maßgebliche Rolle spielt, folgt im übrigen bereits indirekt aus dem zu § 854 Abs. 1 BGB 9 8 9 Gesagten. Ist die Interessenlage nämlich schon für das Bestehen unmittelbaren Besitzes ausschlaggebend, obwohl der Wortlaut des § 854 Abs. 1 BGB sogar auf die "tatsächliche Gewalt" verweist, kann sie nicht minder entscheidend für den mittelbaren Besitz sein.

987

Nach Heck, Sachenrecht, § 8, 1., S. 31.

988

In der 2. BGB-Kommission wurden als Grund für den possessorischen Schutz des mittelbaren Besitzes sowohl das Nutzungsinteresse als auch das Rückführungsinteresse des Oberbesitzers genannt: Ein Teil der Kommission meinte, der Vermieter benötige Besitzschutz, weil er gegenüber dem Mieter verpflichtet sei, Angriffe Dritter abzuwehren. Außerdem werde dadurch dem Vermieter der Besitz am Grundstück erhalten, wenn der Mieter dasselbe heimlich verlasse, Protokolle (2. Kommission), S. 3732, bei Mugdan, Bd. 3, S. 515. Andere Kommissionsmitglieder waren der Ansicht, der mittelbare Besitzer sei possessorisch zu schützen, weil er ein berechtigtes Interesse daran habe, daß der unmittelbare Besitzer nicht aus der Position verdrängt werde, die ihm, dem mittelbaren Besitzer, nach Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses zuteil werden sollte, Protokolle (2. Kommission), S. 3733, bei Mugdan, Bd. 3, S. 515; vgl. auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 I 1, S. 213. 989

Siehe oben C I 2 f.

C. Die Besitztatbestände

284

bb) Die Voraussetzungen des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses Mittelbarer Besitz liegt nur vor, wenn die Überlassung der Sache an den unmittelbaren Besitzer zugleich dem "anderen" i.S. des § 868 BGB fortdauernd von Nutzen ist und dieser "andere" hinsichtlich der Sache eine berechtigte Rückführungserwartung hat. 990 Aus dieser Erkenntnis können die einzelnen Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes hergeleitet werden.

(1) Nutzungsabrede Wie die in § 868 BGB aufgeführten Rechtsverhältnisse zeigen, kann der Nutzen, den der mittelbare Besitzer von der Überlassung der Sache hat, ganz verschiedener Natur sein: Ein praktisch bedeutsamer Fall ist die Miet- oder Pachtzinserzielung. Ferner kann der Nutzen darin bestehen, einen Kredit zu erhalten (Pfandrecht) oder - wie bei der Verwahrung - die Sache selbst vor Verlust oder Beschädigung zu schützen. Aufschlußreich ist die Erwähnung des Nießbrauchs in § 868 BGB: Hieraus ergibt sich, daß Überlassung und beabsichtigter Zweck nicht in einer synallagmatischen Verknüpfung stehen müssen. Daher kommt für den mittelbaren Besitz ebenfalls ein nicht wirtschaftlicher, ideeller Nutzen - wie etwa die Möglichkeit, gegenüber anderen freigebig zu erscheinen - in Betracht. Dies ist namentlich bei der Leihe der Fall. Wie bei der Sicherungsübereignung und beim Vorbehaltseigentum kann die Nutzung auch darin bestehen, die Sache dem unmittelbaren Besitzer zur Verfügung zu stellen, damit dieser mit ihr arbeiten und vom Arbeitserlös seine Schulden bezahlen kann. Auch kann der eigene Vorteil darin liegen, einen Anreiz zum Kauf der Sache zu bieten (Werbung: "Jetzt kaufen, später zahlen"), ohne die Rechte an der Sache völlig aufgeben zu müssen. Letztlich kommt jede Nutzung in Betracht, die ein Eigentümer aus der Sache gemäß § 903 BGB ziehen kann. Erforderlich ist allerdings, daß die Nutzung fortdauernder Natur ist. Erschöpft sie sich in der bloßen Übergabe der Sache, gibt es keine schutzwürdigen Kontinuitätsinteressen, die mittelbaren Besitz rechtfertigen würden, denn der Übergebende vertraut dann nicht mehr auf die zukünftige tatsächliche Verfügbarkeit der Sache. Daher hat beispielsweise der Verkäufer keinen mittelbaren Besitz, nachdem er den Kaufgegenstand übereignet und übergeben hat. Gleiches gilt für den Schenker einer Sache, selbst wenn er mit der Schenkung einen eigennützigen Zweck verfolgt: Beispiel: Die in Münster wohnende Großmutter G schenkt ihrem Enkel E aus Bochum ein Auto, damit dieser sie regelmäßig am Wochenende besuche. E benutzt das

990

Vgl. oben aa.

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

285

Auto jedoch nur, um mit seiner Freundin F zahlreiche Ausflüge in das Sauerland zu unternehmen, besucht seine Großmutter aber nicht. - G ist nicht mittelbare Besitzerin des Autos, denn sie hat es dem E zur endgültigen und alleinigen Nutzung überlassen. Der mit der Schenkung verfolgte Zweck, den E zu regelmäßigen Besuchen zu veranlassen, stellt keine fortdauernde Nutzung der Sache dar, sondern war eine persönlich an E gerichtete Erwartung.

Das Erfordernis einer fortdauernden Sachnutzung durch den mittelbaren Besitzer bedeutet zugleich, daß der unmittelbare Besitzer seinerseits bei der Nutzung Einschränkungen unterworfen sein muß, solange der mittelbare Besitz besteht. Eine solche Einschränkung kann nur auf einer Abrede zwischen den Beteiligten beruhen, die die Rechte und Pflichten beim Umgang mit der Sache festlegt. Diese Abrede kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen oder sich aus den Umständen ergeben, sie kann ebenfalls vorweggenommen sein. Sie braucht nicht rechtswirksam zu sein, denn beim Besitz geht es in erster Linie um Interessen- und nicht um Rechtsschutz. Ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse kann auch vorhanden sein, wenn die Rechtsbeziehung zum Besitzmittler unwirksam ist. 991 Es genügt daher, daß der mittelbare Besitzer nach den Umständen darauf vertrauen darf, der unmittelbare Besitzer werde seine Besitzposition respektieren und ihm die Sache zum vorgesehenen Zeitpunkt zurückgeben. Im Rahmen dieser Betrachtung kommt den an der Sache bestehenden Rechten allerdings eine erhebliche Indizwirkung zu. Mittelbarer Besitz ist daher regelmäßig zu bejahen, wenn der "andere" eine übergeordnete besitzrechtliche Position innehat und der unmittelbare Besitzer sein Besitzrecht von dieser Position ableitet. Hauptanwendungsfall ist hier, daß der Eigentümer seine Sache dem unmittelbaren Besitzer vermietet, verpachtet oder verleiht. Im obigen Beispielsfall hat G auch deshalb keinen mittelbaren Besitz an dem Auto, weil E in der Nutzung des Wagens keiner Einschränkung unterliegt und als Eigentümer - im Gegensatz zur G - ein übergeordnetes Recht an dem Auto hat.

(2) Herausgabeanspruch Unverzichtbare Voraussetzung des mittelbaren Besitzes ist das Bestehen eines gegen den unmittelbaren Besitzer gerichteten Herausgabeanspruchs des Oberbesitzers. Die große Bedeutung des Herausgabeanspruchs wird schon an der Regelung des § 870 BGB deutlich, der zufolge seine Abtretung genügt, um den mittelbaren Besitz zu übertragen. Im übrigen ist ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse ohne Herausgabeanspruch nicht denkbar: Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum das Gesetz die gegenwärtigen tatsächlichen Verhältnisse und die Zugriffsmöglichkeit auf eine Sache als mittelbaren Besitz für 991

Vgl. auch oben b.

286

C. Die Besitztatbestände

jemanden schützen sollte, dem es - indem es ihm einen Herausgabeanspruch verwehrt - dauerhaft die rechtliche Macht versagt, selbst auf die Sache zuzugreifen. 992 Dies gilt auch für einen Beispielsfall, der in der Literatur vorgetragen wird, 993 um die Entbehrlichkeit des Herausgabeanspruchs zu beweisen: Der Dieb D gibt einen gestohlenen PKW an den eingeweihten Werkstattbesitzer W, der den Wagen umfrisiert und für D bereithält. In der Werkstatt wird das Auto von X gestohlen. - Zwar habe, so wird argumentiert, D gegen W wegen § 817 S. 2 BGB keinen Herausgabeanspruch, wohl aber aufgrund der Herausgabebereitschaft des W eine Aussicht auf Rückerlangung des Fahrzeugs. Diese Aussicht werde durch den zweiten Diebstahl gestört. Daher müsse dem D "gemäß dem Zweck des Gesetzes" ein Anspruch aus § 869 BGB zustehen; deshalb sei D mittelbarer Besitzer gewesen. Im übrigen sei zu beachten, daß D sogar einen Anspruch aus § 861 BGB gehabt hätte, wenn ihm selbst das Auto gestohlen worden wäre. Diese Argumentation überzeugt nicht. Wenn D das Auto auf Dauer nicht einmal von W herausverlangen konnte, ist nicht ersichtlich, warum ihm nun ein solcher Anspruch gegen X zustehen sollte. Die Wertung des § 817 S. 2 BGB, demjenigen den Rechtsschutz zu versagen, der sich außerhalb der Rechtsordnung stellt, 994 würde dadurch zumindest teilweise umgangen. Ebensowenig greift der Vergleich mit dem Schutz des Diebes als unmittelbarer Besitzer nach § 861 BGB. Die Umstände, die beim unmittelbaren Besitz ein schutzwürdiges Kontinuitätsinteresse begründen, sind nämlich andere als die, die den mittelbaren Besitz rechtfertigen. Mag es erträglich oder gar sinnvoll sein, den Dieb vor dem Verlust der Sachen zu schützen, auf die er selbst unmittelbar zugreifen will, 9 9 5 dann muß dies nicht auch für die Gegenstände gelten, die er aus der Hand gegeben hat. Vielmehr muß der Dieb - nicht zuletzt wegen § 817 S. 2 BGB - damit rechnen, die Verfügbarkeit der Sache, die er einem anderen zu unmittelbarem Besitz überlassen hat, endgültig zu verlieren. Außerdem erscheint der erste Dieb besitzrechtlich nicht schutzwürdiger als der zweite. Teilweise wird auch der Funktion des mittelbaren Besitzes, dingliche Rechte zu übertragen, ein Argument gegen die Relevanz des Herausgabeanspruchs

992 Das Erfordernis eines Herausgabeanspruchs kann somit zwar nicht - wie von der h.M. angenommen, siehe oben a aa (4) - aus dem Sachherrschafisgedanken abgeleitet werden, da der Anspruch keine tatsächliche Herrschaft über die Sache verleiht; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 II 3 a, S. 217; vgl. auch oben a bb (1). Es ergibt sich aber aus dem Kontinuitätsgedanken. 993

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 I I 3 b, S. 218 f.

994

BGHZ 35, 103, 107; 36, 395, 399 f.; 44, 1, 6; MünchKomm/Lieb § 817 Rn. 9 m.w.N.; Palandt/Thomas § 817 Rn. 14. 995

Vgl. oben Β III 1 b aa (1) (d) (cc).

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

287

entnommen:996 Da der mittelbare Besitz bei einem Gutglaubenserwerb nach §§ 931, 934 BGB die Vertrauensbasis für den Erwerber bilden solle, könne er nicht in einem Rechtsverhältnis, sondern nur in einem wahrnehmbaren, tatsächlichen Verhältnis bestehen. Mithin sei allein die Herausgabebereitschaft des Besitzmittlers, nicht aber der gegen ihn gerichtete Herausgabeanspruch maßgeblich. Daher könne etwa auch der Veräußerer einem Erwerber gemäß §§ 931, 934 BGB Eigentum an einer Sache verschaffen, die er unterschlagen und einem Hehler zur Verwahrung gegeben habe, obwohl ein Herausgabeanspruch gegen den Hehler nicht bestehe. Diese Begründung vermag die Notwendigkeit eines Herausgabeanspruchs für den mittelbaren Besitz ebenfalls nicht zu entkräften. Indem sie den mittelbaren Besitz als tatsächliches Verhältnis bezeichnet, verkennt sie bereits seine Rechtsnatur. Darüber hinaus ist die Herausgabebereitschaft des Besitzmittlers sogar weniger offenkundig und mithin weniger wahrnehmbar als die Existenz eines Herausgabeanspruchs: Während das Bestehen eines Herausgabeanspruchs aus den äußeren Umständen - z.B. der Art und Weise des Sacherwerbs und den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten- hergeleitet werden kann, ist die Herausgabebereitschaft eine beim Besitzmittler angesiedelte innere Tatsache, die sich außerdem jederzeit ändern kann. Daß die Herausgabebereitschaft als Vertrauensgrundlage für den Erwerber nicht in Betracht kommt, folgt aber insbesondere daraus, daß der unmittelbare Besitzer an einer Übereignung nach §§ 931, 934 BGB in keiner Weise beteiligt ist. Der Erwerber braucht die Person des Besitzmittlers nicht einmal zu kennen, kann also auch nicht auf ihr Verhalten vertrauen. Schließlich ist der Erwerb der unterschlagenen Sache in dem vorgetragenen Beispielsfall nicht derart schutzwürdig, wie dies offenbar von der hier abgelehnten Ansicht angenommen wird: Der Erwerber hat den bloßen Worten des Veräußerers vertraut und die Sache in fremden Händen belassen. Er steht ihr somit nicht näher als der Eigentümer nach der Übergabe an den Veräußerer. Es gibt daher keinen zwingenden Grund, warum er gegenüber dem Eigentümer den Vorzug erhalten und diesen aus seiner Position verdrängen können sollte. Im übrigen zeigt bereits die Regelung des § 935 BGB, daß der Verkehrsschutz im BGB nicht unbegrenzt ist. Der Herausgabeanspruch des Oberbesitzers gegen den unmittelbaren Besitzer ist also unverzichtbare Voraussetzung des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses und mithin des mittelbaren Besitzes. Allerdings braucht er nicht fällig zu sein. Eine solche Forderung widerspräche schon dem Sinn des mittelbaren Besitzes, der ja gerade die Sachnutzung durch Sachüberlassung erleichtern will. Im übrigen ist ein Kontinuitätsinteresse auch dann zu bejahen, wenn der Herausgabeanspruch erst zu einem späteren Zeitpunkt oder nach dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses durchsetzbar wird. Der Herausgabeanspruch muß daher

996

Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 II 3 b, S. 219.

C. Die Besitztatbestände

288

bei der Schaffung des mittelbaren Besitzes nur dem Grunde nach angelegt sein und darf nicht endgültig ausgeschlossen sein. Zur Klarstellung sei noch darauf hingewiesen, daß der Herausgabeanspruch auf der Nutzungsabrede 997 beruhen muß. Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn das beabsichtigte Vertragsverhältnis unwirksam ist und der Oberbesitzer daher einen Anspruch aus § 812 BGB gegen den unmittelbaren Besitzer hat. Hingegen genügt ein isolierter Herausgabeanspruch - z.B. aus § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB oder § 1007 BGB - nicht.

(3) Kein Besitzmittlungswille Die soeben aus dem Erfordernis des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses abgeleiteten Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes stimmen mit einzelnen von der h.M. aufgestellten Kriterien 998 überein. Hier wird deutlich, daß auch die h.M. über den mittelbaren Besitz nicht allein nach Merkmalen tatsächlicher Sachherrschaft entscheidet. Indem sie den Tatbestand des mittelbaren Besitzes von einem gültigen Herausgabeanspruch und einem zumindest beabsichtigten Rechtsverhältnis zwischen dem Oberbesitzer und dem unmittelbaren Besitzer abhängig macht, hält sie letztlich die rechtliche Zuordnung der Sache und somit schutzwürdige Kontinuitätsinteressen für maßgeblich. Der entscheidende Unterschied zu der vom Sachherrschafisgedanken getragenen h.M. besteht darin, daß es für die Existenz eines schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses nicht auf den Besitzmittlungswillen des unmittelbaren Besitzers ankommt: Ob jemand den Schutz als mittelbarer Besitzer verdient, kann ausschließlich von seiner Person, nicht aber von der Willkür eines anderen abhängen. Die Schutzwürdigkeit entfällt nämlich nicht schon durch eine bloße Willensänderung des Besitzmittlers. Nur so wird man der Tatsache gerecht, daß die Sachüberlassung eine eigene und daher selbständig zu schützende Nutzung der Sache durch den mittelbaren Besitzer ist. Die Forderung nach einem Besitzmittlungswillen des unmittelbaren Besitzers wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn der mittelbare Besitzer seinen Besitz vom Besitzmittler ableiten würde. Dies ist jedoch nicht der Fall: Der unmittelbare Besitzer behält nämlich seinen vollwertigen Besitz - leitet also keinen Besitz auf den "anderen" über - der mittelbare Besitzer begründet daneben eigenen Besitz, der im Prinzip ebenfalls vollwertig und nur im Verhältnis zum unmittelbaren Besitzer hinsichtlich des Besitzschutzes eingeschränkt ist. Im übrigen würde die Annahme einer Besitzableitung weder mit dem regelmäßigen tatsächlichen Ablauf der Besitzbegründung noch mit der rechtlichen und 997

Siehe dazu oben (1).

998

Vgl. zu diesen Voraussetzungen oben a aa (1) bis (4).

II. 4. Der mittelbare Besitz, § 868 BGB

289

wirtschaftlichen Zuordnung der Sache in Einklang stehen: Es ist der mittelbare Besitzer, der dem unmittelbaren Besitzer Besitz einräumt - und nicht umgekehrt. Außerdem hat der mittelbare Besitzer - zumeist als Eigentümer - das stärkere Recht an der Sache. Damit vertrüge es sich nicht, könnte der unmittelbare Besitzer durch bloßen Entschluß, fortan nicht mehr für den Oberbesitzer zu besitzen, den mittelbaren Besitz beenden. In dem Verzicht auf den Besitzmittlungswillen liegt der Hauptvorzug der Kontinuitätsinteressentheorie: Die Probleme, die nach der Sachherrschaflstheorie durch die Beendigung oder den Wechsel des Besitzmittlungswillens hervorgerufen werden 999 und die auch durch die Lösungsversuche der Literatur nicht beseitigt werden können, 1000 entstehen nicht. Der mittelbare Besitz endet nämlich nicht schon durch bloße Willensänderung, sondern erst, wenn entweder der Herausgabeanspruch durch die Weitergabe der Sache an einen Dritten erlischt, oder wenn dem Verhalten des mittelbaren Besitzers ein Besitzaufgabewillen entnommen werden kann. Letzteres ist erst dann der Fall, wenn dem mittelbaren Besitzer das treuwidrige Verhalten des Besitzmittlers bekannt wird und er keine zumutbaren Maßnahmen zur Wiedererlangung der Sache oder Aufrechterhaltung des mittelbaren Besitzes ergreift. Sofern die Sache beim unmittelbaren Besitzer verbleibt, geht der mittelbare Besitz also regelmäßig nicht unter. Da außerdem nach dem Prioritätsgrundsatz 1001 erne ältere Sachbeziehung schutzwürdiger ist als eine neuere, kann der unmittelbare Besitzer, solange der ursprüngliche mittelbare Besitz besteht, auch keinen mittelbaren Besitz zugunsten eines Dritten begründen. Im Zuckereinlagerungsfall 1002 bleibt also der mittelbare Besitz der Raffinerie E bestehen, obwohl der Lagerhalter L der Bank Β einen Namenslagerschein ausgehändigt hat. Die Β konnte weder mittelbaren Besitz noch Eigentum an dem eingelagerten Zucker erlangen. Auch im Fräsmaschinenfall 1003 befinden sich mittelbarer Besitz und Eigentum weiterhin beim Maschinenhersteller M. Die hier vertretene Auffassung schützt also weitgehend bereits bestehenden Besitz und Eigentum. Sie erreicht damit das Ziel, das auch von einem großen Teil der Literatur, etwa der Nebenbesitzlehre, verfolgt wird, ohne aber die gegen diese Lehren gerichteten Bedenken teilen zu müssen.

999

Siehe dazu oben a bb (2).

1000

Vgl. dazu oben abb (2) (d).

1001

Siehe dazu schon oben C I 2 f bb (2) (b).

1002

Oben abb (2) (b).

1003

Oben a bb (2) (c).

19 Härtung

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durch

Stellvertreter

im

BGB.

§ 855

BGB,

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20 Härtung

Sachregister

Abhandenkommen 221 ff., 255

-

Besitz als Rechtsverhältnis 31 f.,

-

Besitz als subjektives Recht 31 f f ,

-

Gleichsetzung mit tatsächlicher

-

Rechtsfolgenseite 21, 79

Ablösungsrecht 50 Ackerschlepper 168 ff.

61 ff.

Anefangverfahren 85 animus 82, 88 ff., 182

60 f , 78, 183

Arbeitsgeräte 240 Aufrechterhaltung des unmittelbaren Besitzes 199 Ausschluß liquider Einreden 43,45 f.

Sachherrschaft 23 ff., 263 -

Relativität 147 ff., 163

-

Tatbestandsseite 21, 25, 30 f.,

-

Unterschied zum Eigentumsbe-

Automatenaufsteller 168 ff.

79 ff.

Beendigung

griff 22

-

des Besitzes 29

-

des Besitzdienerverhältnisses 249

-

des Erbenbesitzes 256

-

Besitzerwerb durch 243 ff.

-

des mittelbaren Besitzes 262, 289

-

Besitzverlust durch 249

-

des unmittelbaren Besitzes 199 f.

-

Wortlautauslegung 21 ff.

Besitzdiener

Besitzdienerverhältnis 207 ff.

Beschränktes dingliches Recht 35 f., 59

-

Besitz

-

Fremdnützigkeit 231 ff., 236 ff.

Ausnahmecharakter 230 f.

-

Aufgabe 199 f.

-

Gesetzgebungsgeschichte 224 ff.

-

Aufrechterhaltung 199

-

jederzeitiger Zugriff des Besitz-

-

Beendigung 199

-

Erwerb siehe Besitzerwerb

-

Kontinuitätsinteresse 231 ff.

-

mittelbarer siehe dort

-

Maßgeblichkeit der Interessenlage

-

unmittelbarer 79 ff.

-

Verlust 199,249

-

soziales Abhängigkeitsverhältnis

-

Zuweisungsgehalt des 51 ff. -

willentliche Unterordnung 216 ff.

Besitz ohne Sachherrschaft 29 ff., 250, 251 Besitz als absolutes Recht 56, 60, 64, 78 -

228 ff. siehe dort Besitzdienerwille 210 f.

Besitzbegriff des BGB 21 ff. -

herrn auf die Sache 219 f.

Besitz als Rechtsposition 30 ff.

Besitzerwerb -

Anfechtbarkeit 201

-

durch Besitzdiener 243 ff.

-

durch Einigung siehe dort

Sachregister -

durch Ergreifung 139 ff.

-

durch Stellvertretung 92, 96, 100,

-

unmittelbarer Besitz 79 ff.

201 Besitzerwerb durch Einigung 200 ff. -

als rechtsgeschäftlicher Erwerb

-

als Tatbestand tatsächlicher Sach-

-

Anfechtbarkeit 201, 203, 205 f.

-

Stellvertretung 201, 203, 205

-

Übergang des Kontinuitätsinteres-

200 ff. herrschaft 203

ses 204 ff. Besitzherr 207 -

Kontinuitätsinteressen des Besitz-

Besitzverlust - des unmittelbaren Besitzes 199 - durch Besitzdiener 249 Besitzwille 82, 105, 171 ff., 188 f. - als Faktor des schutzwürdigen Kontinuitätsinteresses 184 ff. - als zwingende Voraussetzung des Besitzes 171 ff. - Anforderungen 172 f., 184 - Aufrechterhaltung des Besitzes 175 -

bei Einfügung in den Organisati-

-

des mittelbaren Besitzers 262

onsbereich 174 -

Erkennbarkeit 188 f.

-

genereller 173, 177, 181 f.,

-

Irrelevanz des 175 ff.

187 ff., 198

herrn 224 ff. Besitzmittlungsverhältnis 208 f., 257 ff.

307

- und subjektives Rechts 183 f. Blankettbegriff 142 ff. Briefkasten 79, 128, 166, 173 f., 177,

-

Besitzmittlungswille 261 f., 288 f.

-

besitzrechtliche Überordnung 259

-

Besitzrechtsableitung 259

-

Besitzwille 262 f.

-

Fremdbesitzerwille 261 f.

civilis possessio siehe possessio civilis

-

Herausgabeanspruch 260 f., 278 f.,

corpus 82, 88

181, 185, 189

285 f. -

konkretes Rechtsverhältnis 258 f.

-

Nutzungsabrede 284 f., 288

Besitzmittlungswille 261 f., 264 f., 267, 270 f., 276, 281 f., 288 f. Besitzschutz 37 ff.

Deliktsrecht 63 ff. Diebesbesitz 47 ff., 59 f., 75 f., 286 Dienstwagen 241 Differenzhypothese 73 f. Dingliches Recht 62 Direktionsrecht 212,245 f.

-

Funktion des 18

-

Grund des 37 ff.

-

Schutz des Eigentums 42 ff.

Eigenbesitz 80, 99, 105 ff., 111 ff., 179

-

Schutz des Kontinuitätsinteresses

Eigentum

44 ff. -

40 ff. -

-

als Grund des Besitzschutzes 37,

-

fehlende Selbstbehauptungsfahig-

Schutz des Persönlichkeitsrechts Schutz des Rechtsfriedens 37 ff.

Besitzschutzprozeß 39,43, 45

42 ff. keit des Besitzes gegenüber Eigentum 58 f.

Besitzübertragung als Verfügung 36

Eigentumsähnlichkeit des Besitzes 68 f.

Besitzverletzung

Eigentumsbegriff 22, 25

-

20*

Haftung für 63 ff.

Eigentumsvermutung 265 ff.

Sachregister

308 Elementarbegriff 125 ff., 144 f.

Entwurf der ersten Kommission 98 ff.,

-

Kritik 236 ff.

Friedenstheorie 37 ff.

110

Fuchsjagdfall 134 f., 164 f.

-

Fund 186, 190 ff., 197 f.

Kritik 101 ff.

Entwurf der zweiten Kommission 104 ff., 110

- durch Arbeitnehmer 244 ff. Fundbuch 186, 192

Erbenbesitz 249 ff. -

als Fiktion tatsächlicher Sachherrschaft 25, 27 f , 250 f.

Gast 39, 80, 127 f., 164, 185, 197 f. Gastwirtschaftstoiletten-Fall 197 ff. Gefälligkeit 154, 159, 164, 209, 212,

-

als „vergeistigte" tatsächliche

-

Ausklammerung aus dem Besitz-

-

Beendigung 256

Gepäckträger 209

-

Erwerb des mittelbaren Besitzes

Germanisches Recht 83 ff., 116

218, 235

Sachherrschaft 25 f., 250 f. begriff 28 f.

253 f.

Gegenstand der Untersuchung 17 ff. Gemeines Recht 87 ff., 116

Gesetzgebungsverfahren 93 ff., 118 ff. Gewere 22 f., 83 ff., 108, 116

-

Rechtsfolgen 255

-

Rechtsnatur 250 ff.

-

-

Tatbestandsvoraussetzungen

-

Bedeutung 83 f.

-

ideelle 86 f., 89

252 ff.

Arten und Erwerb 84 ff.

Ersitzung 46,81,265, 267

Gießereiarbeiter 236, 238

Ersitzungsschaden 77

Gleichsetzung des Besitzes mit tat-

Faktische Tabusphäre 126, 129, 133

Gutgläubiger Eigentumserwerb 149 f.,

sächlicher Sachherrschaft 23 ff., 263 Faktisches Arbeitsverhältnis 47

153,206, 221 ff., 268 f., 270 ff.

Faustrecht 38,40,48 Fehlerhafte Gesellschaft 46 f. Fiktion 27 -

Erbenbesitz als Fiktion tatsächli-

-

mittelbarer Besitz als Fiktion tat-

cher Sachherrschaft siehe dort sächlicher Sachherrschaft siehe dort Finderlohn 191 f.

Haftung für Besitzverletzungen 63 ff. Haftungsschaden 76 Handlungsreisender 210, 221 f. 234, 241 ff. Haushälterin 244 Hausverwalter 95, 225, 233 f. Heck 142 ff. Historische Rechtsschule 90 f., 113

Forderungsrechte -

Deliktischer Schutz der 66 f.

Formulierung des Besitztatbestandes 118 ff.

Inhaber 91, 95, 99, 101 f. -

Notwehrrecht des 94 f., 99

Insolvenzverwalter 233

Fräsmaschinenfall 272 ff., 289

Interdiktenbesitz 81 f., 108, 110

Fremdbesitzerwille siehe Besitzmitt-

ius civile 81

lungswille Fremdnützigkeit 231 ff.

Jhering 120 ff.

Sachregister Münzschatz 247 Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhunderts 91 f. Kontinuitätserwartung 184 Kontinuitätsinteresse 37, 44 ff., 51, 74, 117, 119, 145 ff., 193 ff. - Bedeutung 162 f.

Musterstücke 241 ff. Nebenbesitzlehre 275 ff., 289 Notwehrrecht des Inhabers 94 f., 99 Nutzungsabrede 284 f., 288 Nutzungsschaden 65, 67, 72 ff.

-

Begriff 153 ff. Besitzwille als Faktor des 184 ff.

Objektivitätstheorie 282

-

des Besitzherrn 224 ff., 231 ff.,

Organisationswert 51

238 ff. -

des Erben 252

Persönlichkeitsrecht 37,40 ff., 45, 156

-

des mittelbaren Besitzers 281 ff.

Petitorische Einrede 43,45 f., 71

-

Schutzwürdigkeit siehe dort

Pflug 165

-

teleologische Auslegung 153

Physische Einwirkungsmöglichkeit

-

Übergang des Kontinuitätsinteres-

ses beim Besitzerwerb durch Einigung 204 ff. Kontinuitätsschutz anderer Rechtsinstitute 46 f. Kraftfelder 133 ff., 163 Kursbuch 127, 130, 141 f., 164

135 ff., 227 Platzanweiserin 245, 247 possessio civilis 81 f., 101, 106, 111 f., 113 ff. possessio 22 f., 82 f., 88 ff., 111 f., 222 Prekarist 82 f., 89 f. pretium possessionis 66, 73 Priorität 155 ff.

Lebensmittel-Großmarkt 186 ff. Rechtsbesitz 92, 96, 108 f. Materieller Besitzervorzug 50 f. Messerstand 168 ff. Mieter 26, 89, 91, 95 f., 102, 282 f. -

Besitzrecht des 53, 67

Mittelbarer Besitz 17 f., 25 ff., 92, 99, 105, 116, 256 ff. -

als Fiktion tatsächlicher Sachherrschaft 25, 27 f.

-

als Tatbestand schutzwürdiger Kontinuitätsinteressen 281 ff.

Rechtsgeschäftlicher Erwerb des Besitzes 200 ff. Rechtsgeschichtlicher Überblick 81 ff., 107 ff., 162 Rechtsgewere 87 Rechtsnatur des Besitzes 33 ff. -

Materielle Prüfung 36 ff.

-

und systematische Stellung 35

-

und Vererblichkeit 34

-

Wortwahl des Gesetzes 33

-

als „vergeistigte 44 tatsächliche Sachherrschaft 25 f., 256 ff.

-

Begriff des 61

-

Ausklammerung aus dem Besitz-

-

Besitz als 31 ff., 61 ff., 162

begriff 28 f. -

Besitzmittlungsverhältnis siehe dort

-

Erwerb durch Erben 253 f.

Rechtsverhältnis

Reisevertreter siehe Handlungsreisender Relativität des Besitzbegriffes 147 ff. 163,222

Sachregister

310 Römisches Recht 81 ff., 87 ff., 107 f., 110 f. Rückführungsinteresse 283 Ruhrwiesenfall 140 f, 167 f Sachzugriff als Unrecht 133 f. Savigny 90 f. Schadensersatz siehe Haftung für Besitzverletzungen

- Kritik 211 ff., 236 f. Stellvertretung, Besitzerwerb durch 96,100,201,203,205 Subjektives Recht 32, 36 f., 183 - Begriff des 52, 57 Subjektivitätstheorie 264 ff., 276 f. Substanzschaden 72 Supermarkt 196, siehe auch Lebensmittel-Großmarkt

Schatzfünd 244, 247 f. Schatzsucher 246 Schutzgesetz 69 ff. Schutzwürdigkeit der Kontinuitätsinter-

Tatsächliche Gewalt siehe tatsächliche Sachherrschaft Tatsächliche Sachherrschaft -

als Blankettbegriff 142 ff.

-

beim Besitzdienerverhältnis 231 ff.

-

als Elementarbegriff 125 ff.

-

beim Besitzerwerb durch Einigung

-

Bedeutung 124,227

-

Begriff 79 ff., 125 ff.

essen 154 ff.

204 ff. -

beim mittelbaren Besitz 284 ff.

-

Dauer 127, 130 f., 164

-

Einwirkungsmöglichkeit 154 f.,

-

Erkennbarkeit 127,130

-

faktische Tabusphäre siehe dort

-

Persönlichkeitsrecht 156 ff.

-

Kraftfelder siehe dort

-

Priorität 155 f.

-

Physische Einwirkungsmöglichkeit

-

Realisierbarkeit des Interes-

räumliche Beziehung 126, 129

161, 168

ses 154 f.

siehe dort

-

Rechtliche Interessen 158

-

rechtliche Befugnis 127 f.; 130 f.

-

Verkehrsanschauung 159

-

Sachzugriff als Unrecht siehe dort

-

Vertrauenstatbestände 159

-

Schutzwürdigkeit der Kontinui-

-

Verhalten der Beteiligten 159

-

Zurückbehaltüngsrechte 159

tätsinteressen 144 ff.; 154 ff., siehe auch dort

Selbsthilfe 38 f., 43,48 f.

-

Selbstjustiz 39

-

und Besitzmittlungsverhältnis 264

Sklave 81, 108, 123

-

Verkehrsanschauung siehe dort

Sklaverei 213

-

Wahrscheinlichkeit der Durchset-

tatsächliche Machtbeziehung 152

zung des eigenen Willens siehe

Sonstiges Recht 63 ff.

dort

Soziales Abhängigkeitsverhältnis 207 ff.

Tausend-DM-Schein 186 ff.

-

Teilentwurf zum Sachenrecht 93 ff.,

Abgrenzung zum Besitzmittlungsverhältnis 208 f.

-

Abhängigkeit kraft gesellschaftlicher Stellung 211 ff.

-

Erkennbarkeit 210

-

konfliktfremde Erwägungen 214 f.

110 -

Änderungsvorschläge zum 97 f.

Testamentsvollstrecker 96, 233 Trivialitätsargument 24

Sachregister Unvollständiger Besitz 92

Vorteilsausgleichung 74

Verbotene Eigenmacht 30 f., 43,45,

Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung des eigenen Willens 133 ff., 151 Waljagdfall 134, 165 Waren

48 f., 53, 54 ff., 160 Verjährung 46 Verkehrsanschauung 125, 128 f., 131 f., 145, 151, 159, 163, 169, 181 f.,

-

in Verkaufsregal aufgestellte 194 f.

187 ff., 217, 237

-

vor dem Verkaufsraum abgestell-

Verkehrsfund 195 Veruntreuung -

durch Besitzdiener 221

-

durch Besitzmittler 270

Verwahrung 236, 239 Verwalter 84, 90 f., 95, 102 f., 225, 233 f. Verwendungsschaden 77 Vorpositive Gerechtigkeitsvorstellungen 132 f., 151, 163

te 166 f. Wohnung 157, 166, 174 Zuckereinlagerungsfall 270 ff., 279 Zurückbehaltungsrecht 158, 230, 232, 243 Zuweisungsgehalt des Besitzes 51 ff.,

68