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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 85
Olaf Sosnitza
Besitz und Besitzschutz Sachherrschaft zwischen faktischem Verhältnis, schuldrechtlicher Befugnis und dinglichem Recht
Mohr Siebeck
Olaf Sosnitza, geboren 1963; Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bayreuth; 1989 erstes jur. Staatsexamen; 1992 zweites jur. Staatsexamen; 19921994 wiss. Assistent an der Universität Bayreuth; 1994 Promotion; 1994-1997 Rechtsanwalt in Köln; 1997-2002 wiss. Assistent an der Universität Bayreuth; 2001 Habilitation; seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Privatrecht, insbesondere Immaterialgüterrechte an der Bayerischen Julius-Maximilians Universität Würzburg.
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
978-3-16-157942-4 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-147870-3 ISSN 0940-9610 Qus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2003 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Bembo-Antiqua gesetzt, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Für Ulrike
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2001 von der Rechtsund Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Habilitationsschrift angenommen. Das Manuskript wurde im Mai 2001 abgeschlossen, doch konnten Rechtsprechung und Literatur noch weitgehend bis Juli 2003 in den Fußnoten berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt zuvörderst meinem hochverehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Volker Emmerich. Ohne ihn wäre ich heute wohl noch Rechtsanwalt und genösse ich nicht die wissenschaftliche Freiheit, zu der er mich stets ermutigt hat. Für wertvolle Anregungen und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Professor Dr. Diethelm Klippel. Engagierte Unterstützung bei den mühevollen Korrekturen für die Drucklegung habe ich von meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern, den Herren Assessoren Armin Göhring, Stephan Jung und Gregor Lintl, erfahren. Frau Ilse Fritsch danke ich für die sichere Handhabung des Manuskripts. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist für die Gewährung einer Druckkostenhilfe, dem Verlag Mohr Siebeck für die Aufnahme in die Reihe Jus Privatum zu danken. Würzburg, im August 2003
Olaf Sosnitza
Inhaltsübersicht Vorwort
VII
Abkürzungsverzeichnis
XXIII
Einleitung
1
Teil 1
Grundlagen 1. Kapitel
Begriff des Besitzes A. Der zivilrechtliche Besitzbegriff
4
B. Der strafrechtliche Gewahrsamsbegriff
18
C. Der öffentlich-rechtliche Zustandsstörer
26
2. Kapitel
Die Regelungsstruktur des kodifizierten Rechts des Besitzes im Bürgerlichen Recht A. Der Besitz als Bestandteil anderer Rechtsinstitute
28
B. Der Besitz als autonomes Regelungsobjekt, §§ 854 ff. BGB
31
3. Kapitel
Zur Rechtsnatur des Besitzes A. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Besitz und Besitzrecht
49
B. Der Besitz
50
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
79
X
Inhaltsübersicht
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer im Sinne des Art. 14 G G Eine verfassungsrechtliche Aufwertung der zivilrechtlichen Besitzposition mit Ausstrahlungswirkung auf das Bürgerliche Gesetzbuch?
128
Teil 2
Formen des Besitzschutzes im Bürgerlichen Gesetzbuch 1. Kapitel
D e r possessorische Besitzschutz der §§ 858 ff. B G B A. Allgemeines
152
B.
155
Reichweite des possessorischen Besitzschutzes
C. § 1361 a B G B als lex specialis?
170
2. Kapitel
D e r petitorische Besitzschutz nach § 1007 B G B A. Allgemeines
175
B.
177
Entstehungsgeschichte
C. Normzweck
181
D. Anwendungsbereich
195
E.
199
Inhaltliche Reichweite der Besitzberechtigung
3. Kapitel
D e r Besitzschutz im Bereicherungsrecht A. Uberblick über die Entwicklung des Meinungsstandes
208
B.
217
Der Besitz als Gegenstand der Leistungskondiktion
C. Der Besitz als Objekt der Eingriffskondiktion
226
D. Inhalt des Bereicherungsanspruchs
253
E.
254
Konkurrierende Herausgabeansprüche
Inhaltsübersicht
XI
4. Kapitel
Der Besitzschutz im Deliktsrecht A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
258
B. Besitzschutz durch Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB
309
C. Andere Anspruchsgrundlagen
316
Teil 3
Der Besitzschutz außerhalb des BGB 1. Kapitel
Der Besitz als ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 Z P O A. Uberblick über den Meinungsstand
318
B. Zweckgerichteter Lösungsansatz
333
C. Übertragung auf die verschiedenen Fallkonstellationen
337
2. Kapitel
Der Besitz als Aussonderungsrecht im Sinne des § 47 InsO A. Das Recht zur Aussonderung nach § 47 InsO
352
B. Possessorische Ansprüche als Aussonderungsrechte?
354
C. Bereicherungsansprüche als Aussonderungsrechte
358
D. Exceptio rei venditae et traditae
359
Zusammenfassung
374
Literaturverzeichnis
385
Register
415
Inhaltsverzeichnis Vorwort
VII
Abkürzungsverzeichnis
XXIII
Einleitung
1
Teil 1
Grundlagen 1. Kapitel
Begriff des Besitzes A. Der zivilrechtliche Besitzbegriff I. Zum Begriff des unmittelbaren Besitzes
4 6
II. Das Verhältnis der verschiedenen Besitzformen zueinander . . . . 11 B. Der strafrechtliche Gewahrsamsbegriff I. Parallelen und Unterschiede zum zivilrechtlichen Besitz II. Zur inneren Rechtfertigung eines spezifisch strafrechtlichen Gewahrsamsbegriffs C. Der öffentlich-rechtliche
Zustandsstörer
18 18 22 26
2. Kapitel
Die Regelungsstruktur des kodifizierten Rechts des Besitzes im Bürgerlichen Recht A. Der Besitz als Bestandteil anderer Rechtsinstitute
28
B. Der Besitz als autonomes Regelungsobjekt, §§ 854 f f BGB
31
I. Überblick II. Zum Rechtsgrund der Besitzschutzrechte, §§ 858 ff. BGB
31 32
XIV
Inhaltsverzeichnis 1. D i e e i n z e l n e n G r u n d p o s i t i o n e n a) b) c) d) e)
Schutz des Eigentums Schutz der Persönlichkeit Schutz der Kontinuität Schutz des allgemeinen Rechtsfriedens Kombination von Friedens- und Kontinuitätstheorie
2. W ü r d i g u n g
33 33 34 36 37 37 38
a) b) c) d)
Eigentumsschutz Persönlichkeitsschutz Kontinuitätsschutz Friedensschutz aa) Die Präventionsfunktion des possessorischen Besitzschutzes . . bb) Der Besitzer als Sachwalter der Rechtsordnung e) Kombinierter Friedens- und Kontinuitätsschutz
38 38 39 40 42 45 47
3. Kapitel Z u r Rechtsnatur des Besitzes A.
Die Notwendigkeit von Besitz
B.
der
Unterscheidung
und Besitzrecht
Der Besitz
50
I. A l l g e m e i n e s II. I n d u k t i v e B e t r a c h t u n g 1. T e r m i n o l o g i s c h e A r g u m e n t e a) Kohärente Terminologie der §§ 221, 861 Abs. 2, 862 Abs. 2, 943, 999 Abs. 1 BGB b) Gegenüberstellung von Recht und Besitz in den §§ 268 Abs. 1, 1440 S. 1, 1462 S. 1, 1464 S. 2 BGB 2. G e s e t z e s t e c h n i s c h e A r g u m e n t e a) Die rechtsgeschäftliche Ubertragbarkeit des Besitzes, §§ 854 Abs. 2, 870 BGB b) Die Vererblichkeit des Besitzes, § 857 BGB c) Fehlende Eintragbarkeit bei Immobilien d) Vergleich mit der Grundbucheintragung e) Besitz als Grundlage anderweitigen Rechtserwerbs 3. S y s t e m a t i s c h e A r g u m e n t e a) b) c) d) e)
49
Das Verhältnis von § 865 BGB zu § 93 BGB „Vergeistigung" des Besitzes Besitzerwerb durch nicht voll Geschäftsfähige Stellung der §§ 854 ff. BGB Besitzerwerb vom Nichtberechtigten
50 52 52 52 55 55 55 56 57 58 59 60 60 60 61 61 62
Inhaltsverzeichnis
4. Teleologische Argumente a) Der Besitzschutz gegenüber Dritten, §§ 858 ff. BGB b) Zeitliche Begrenzung der Besitzansprüche
5. Würdigung III. Deduktive Betrachtung: Ableitung des Besitzes aus dem subjektiven Recht 1. Z u m Begriff des subjektiven Rechts a) b) c) d)
Willenstheorie Interessentheorie Kombinationstheorie Formal-normative Theorien aa) Subjektives Recht als Normsetzungsbefugnis bb) Subjektives Recht als Klagebefugnis cc) Subjektives Recht als Freiheitsermächtigung und Generalverbot e) Offene Theorien aa) Subjektives Recht als „Rahmenbegriff" bb) Subjektives Recht als Privileg
2. Zur Einordnung des Besitzes als subjektives Recht C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB I. Uberblick über die verschiedenen Arten der Besitzrechte II. Dogmatische Einordnung 1. Die Konkurrenzlehre nach Siber 2. Die Einwendungslehren a) Scherk b) Raupe c) Das Recht zum Besitz als relatives Herrschaftsrecht
3. Das obligatorische Besitzrecht als Inhalt der schuldrechtlichen Forderung III. Zu Inhalt und Reichweite einzelner Besitzpositionen 1. Das dingliche Recht zum Besitz 2. Das obligatorische Recht zum Besitz, insbesondere des Vorbehaltskäufers 3. Zurückbehaltüngsrechte a) b) c) d)
Das Zurückbehaltungsrecht im Allgemeinen Annahmeverzug des Eigentümers Das Befriedigungsrecht des Besitzers Die Einrede des nichterfüllten Vertrages
XV
62 62 64
65 65 66 66 67 67 67 68 69 69 70 71 71
73 79 79 81 83 85 85 86 88
95 103 103 104 106 106 110 111 113
4. Die Besitzberechtigung des Empfängers unbestellter Waren nach §241 a BGB 115
XVI
Inhaltsverzeichnis a) Bisherige Rechtslage aa) Wettbewerbsrechtliche Beurteilung bb) Bürgerlich-rechtliche Beurteilung b) Die neue Regelung des § 241 a B G B c) Ausschluss des Herausgabeanspruchs aa) Objektive und subjektive Auslegung bb) Teleologische Reduktion? (1) Methodik (2) Trennung von Eigentum und Besitz (3) Sanktionscharakter (4) Zwischenergebnis d) Konsequenzen aa) Eigentumslage bb) Befugnisse des Empfängers (1) Nutzungsrecht (2) Weiterveräußerung an Dritte cc) Gesetzliches Besitzrecht
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer im Sinne des Art. 14 GG Eine verfassungsrechtliche Aufwertung der zivilrechtlichen Besitzposition mit Ausstrahlungswirkung auf das Bürgerliche Gesetzbuch? I. Die Argumentation des BVerfG
115 115 116 117 119 119 120 121 122 123 125 125 125 125 125 126 127
128 129
1. Der Grundsatzbeschluss BVerfGE 89, 1 (Kündigung wegen Eigenbedarfs) 129 2. BVerfG, N J W 1994,41 (Kündigung wegen Überbelegung) . 132 3. BVerfG, N J W 2000, 2658 (Duldung eines Treppenhauslifteinbaus) 134 II. Analyse und Stellungnahme 1. 2. 3. 4.
135
Das Umfeld der verfassungsrechtlichen Neuorientierung . . . Zur Argumentationsstruktur im einzelnen Das Besitzrecht als schuldrechtliche Forderung Konsequenzen und Gefahren des verfassungsrechtlich verankerten Besitzrechts
135 137 140 141
a) Folgen für das Individualverhältnis
142
aa) Verschiebung von Rechtspositionen
143
bb) Beeinträchtigung der Rechtssicherheit b) Folgen für die Mietgesetzgebung
147 148
III. Ergebnis
148
Inhaltsverzeichnis
XVII
Teil 2
Formen des Besitzschutzes im Bürgerlichen Gesetzbuch 1. Kapitel
D e r possessorische Besitzschutz der §§ 858 ff. B G B A.
Allgemeines
B.
Reichweite
152 des possessorischen Besitzschutzes
I. Ausschluss petitorischer Einwendungen nach § 863 BGB II. Das Erlöschen der Besitzschutzansprüche gemäß § 864 Abs. 2 BGB III. Z u m Umfang des Besitzschutzes beim mittelbaren Besitz, § 869 BGB C. § 1361 a BGB als lex specialis?
155 155 163 168 170
2. Kapitel
D e r petitorische Besitzschutz nach § 1007 B G B A.
Allgemeines
175
B.
Entstehungsgeschichte
177
I. Der Vorentwurf Johows II. Der Entwurf der Ersten Kommission 1. Die deutsch-rechtliche Klage aus verlorener Gewere 2. Die römisch-rechtliche actio Publiciana III. Der Entwurf der Zweiten Kommission C. Normzweck I. Schutz des vermuteten Rechts II. Schutz des Besitzes als Recht III. Schutz eines besseren Rechts zum Besitz 1. Überblick über die verschiedenen Ansätze a) Das „relativ-absolute Recht" nach Henle b) Das „relativ-dingliche Recht" nach Hörer
177 178 179 180 181 181 182 183 184 184 184 184
XVIII
Inhaltsverzeichnis c) Das „eingeschränkt-absolut dingliche R e c h t " nach Koch
185
d) Das „relative E i g e n t u m " und „absolut bzw. relativ verdinglichte R e c h t " nach Wieling
2. Stellungnahme
187
IV. § 1007 B G B als Einredebeschränkung bzw. als Fall einer gesetzlichen Prozessstandschaft V. Relationale Zuordnung
Inhaltliche
Reichweite
190 192
D. Anwendungsbereich E.
186
195 der Besitzberechtigung
199
3. Kapitel
D e r Besitzschutz im Bereicherungsrecht A.
Uberblick
über die Entwicklung
des Meinungsstandes
I. Die Beratungen des B G B II. Die Rechtsprechung
208 208 210
III. Die Auffassungen in der Literatur 1. Das bisherige Meinungsspektrum
212 212
a) Leistungskondiktion
212
b) Eingriffskondiktion
212
2. Das Verständnis der Besitzkondiktion als Eigentumsschutz nach Klinkhammer 213 3. Würdigung 216 B.
Der Besitz als Gegenstand
der Leistungskondiktion
I. Der Besitz als Vermögenswert 1. Das erlangte „Etwas" nach § 812 Abs. 1 S. 1 B G B 2. Der dem Bereicherungsrecht zugrundeliegende wirtschaftliche Vermögensbegriff 3. Zur vermögensmäßigen Einordnung des Besitzes nach Klinkhammer II. Ausschluss des bösgläubigen Besitzers? C. Der Besitz als Objekt
217 217 217 218 220 223
der Eingriffskondiktion
226
I. Die Theorie vom Zuweisungsgehalt als Ausgangspunkt
226
1. Rechtswidrigkeitstheorie versus Zuweisungstheorie 2. Zur inhaltlichen Bestimmung des Zuweisungsgehalts
226 229
Inhaltsverzeichnis
XIX
II. Zur Bestimmung des Zuweisungsgehalts beim Besitz 1. Der bloße Besitz als solcher 2. Das Recht zum Besitz a) Allgemeines b) Insbesondere die Untervermietungsfälle aa) Die unberechtigte Untervermietung durch den Erstmieter . . . bb) Die unberechtigte Untervermietung durch den Zweitmieter .
3. Das Recht auf Besitz 4. Zuweisungsgehalt ohne Recht zum Besitz?
232 232 234 234 237 238 245
246 250
D. Inhalt des Bereicherungsanspruchs
253
E. Konkurrierende
254
Herausgabeansprüche
4. Kapitel
D e r Besitzschutz im Deliktsrecht A.
Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB I. Der Begriff des „sonstigen Rechts" in der Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 BGB II. Die bisherige Einordnung des Besitzes 1. Die Entwicklung der Rechtsprechung a) Reichsgericht b) Bundesgerichtshof
2. Der Meinungsstand in der Literatur a) b) c) d)
Schutz jeden Besitzers Kein Schutz des Besitzers Schutz des berechtigten Besitzers Schutz des „befugten" Besitzers
III. Zu den Begründungen im Einzelnen 1. Der Besitz als Recht 2. Das schuldrechtliche Besitzrecht als relatives Herrschaftsrecht 3. Die sogenannte Verdinglichung obligatorischer Rechte a) Dulckeit b) Canaris c) Würdigung
4. Der befugte Besitz als eine dem Eigentum angenäherte Position
258 258 261 261 261 265
270 270 271 271 272
273 273 276 281 281 283 284
290
XX
Inhaltsverzeichnis
IV. Konsequenzen für den deliktischen Besitzschutz 1. Schutz des berechtigten Besitzers
291 293
a) Ansprüche gegen den Vertragspartner 293 b) Ansprüche gegen Dritte nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation 294 aa) Das Auseinanderfallen von Eigentum u n d Besitz als weiterer Anwendungsbereich der Drittschadensliquidation . . 295 bb) Vergleich mit der deliktischen Lösung 297
2. Schutz des nichtberechtigen Besitzers a) N u t z u n g s s c h a d e n b) Verwendungsschaden c) Haftungsschaden
V. Uberprüfung der bisher entschiedenen Fälle auf der Grundlage des vorgeschlagenen Lösungsansatzes
300 300 301 302
302
1. Zu den Fällen des Reichsgerichts 2. Zu den Fällen des Bundesgerichtshofs
302 305
B. Besitzschutz durch Schutzgesetze nach 5 823 Abs. 2 BGB
309
I. Das Verbot der Eigenmacht nach § 858 BGB als Schutzgesetz . 309 1. Meinungsstand a) Gesetzesmaterialien b) Rechtsprechung c) Literatur
2. Würdigung II. Strafrechtlicher Schutz der Sachherrschaft C. Andere Anspruchsgrundlagen I. § 826 BGB II. § 1 Abs. 1 ProdHaftG
309 309 310 310
311 314 316 316 316
Inhaltsverzeichnis
XXI
Teil 3
Der Besitzschutz außerhalb des BGB 1. Kapitel
D e r Besitz als ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 Z P O A.
Überblick über den Meinungsstand I. Rechtsprechungsentwicklung II. Die Auffassungen in der Literatur 1. Das materiellrechtliche Verständnis der Drittwiderspruchsklage 2. Die Drittwiderspruchsklage als prozessuale Gestaltungsklage a) Bisher überwiegende Auffassung b) N e u e r e Auffassung
3. Würdigung a) Der Besitz als Interventionsrecht b) Zur Rechtsnatur der Drittwiderspruchsklage
B.
Zweckgerichteter
318 318 320 320 325 326 326
327 327 331
Lösungsansatz
333
I. Die Drittwiderspruchsklage als Korrektiv des formalen Vollstreckungszugriffs
334
II. Negative Komponente: Der Ausschluss schuldnerfremden Vermögens
335
III. Positive Komponente: Das Erfordernis der Drittlegitimation .. 336 IV. Schlussfolgerung C. Übertragung auf die verschiedenen Fallkonstellationen I. Der Schuldner als Eigentümer und Vermieter 1. Bei Grundstücken 2. Bei Mobilien 3. Die Situation bei verbotener Eigenmacht des Vermieters gegenüber dem Mieter II. Der Schuldner als Untermieter
337 337 337 337 339 341 342
III. Der Schuldner als unberechtigter Besitzer
344
IV. Die Fälle der Verschaffungsansprüche
344
XXII
Inhaltsverzeichnis
V. Das Problem der Räumungsvollstreckung nach § 885 Z P O . . . . 346 1. Reichweite des Vollstreckungstitels gegen den Schuldner . . . 346 2. Rechtsbehelfe des Dritten 350
2. Kapitel
Der Besitz als Aussonderungsrecht im Sinne des § 47 I n s O A. Das Recht zur Aussonderung nach § 47 InsO
352
B. Possessorische Ansprüche als Aussonderungsrechte?
354
C. Bereicherungsansprüche als Aussonderungsrechte
358
D. Exceptio rei venditae et traditae
359
I. Kauf unter Eigentumsvorbehalt II. Der nicht bedingte Kauf 1. 2. 3. 4.
Meinungsstand Die Verknüpfung der exceptio mit dem Erfüllungsanspruch Das Schicksal des Erfüllungsanspruchs in der Insolvenz . . . . Das Recht zum Besitz als existente, aber suspendierte Befugnis
359 361 362 364 365 369
Zusammenfassung
374
Literaturverzeichnis
385
Register
415
Abkürzungsverzeichnis
ALR Anh. Anm. ArchBürgR Art. Aufl.
andere Ansicht am angegeben O r t Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt Absatz Abschnitt Abzahlungsgesetz Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch am Ende Allgemeines Eisenbahngesetz alte Fassung Archiv für Presserecht Amtsgericht, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Anhang Anmerkung Archiv für Bürgerliches Recht Artikel Auflage
BauGB BayEG BayLStVG BayPAG BB BBergG BGB BGBl. BGE BGH BGHSt BGHZ B1GBW BlgNR
Baugesetzbuch Bayerisches Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Betriebs-Berater Bundesberggesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Blätter für Grundstücks-, Bau- und Wohnungsrecht Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats
a. A. a. a. O . ABGB ABl. Abs. Abschn. AbzG A. C. AcP ADHGB a. E. AEG a. F. AfP AG AGB AGBG
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
BT-Drucks. BVerfG BVerfGE
Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
CPO
Civilprozessordnung
DB ders. DGVZ DJT DöV DVBl D W
Der Betrieb derselbe Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft
E EBRV ecolex EG EGBGB EWiR
Entwurf Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
f. FamRZ
folgende Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fernabsatz-Richtlinie fortfolgende Festgabe Flurbereinigungsgesetz Fußnote Festschrift Bundesfernstraßengesetz
FARL ff. FG FlurbG Fn. FS FStrG GA GBO GE GG GP Gruchot
GS
Goltdammer's Archiv für Strafrecht Grundbuchordnung Das Grundeigentum Grundgesetz Gesetzgebungsperiode Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, begründet von Grünhut Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat
HausratsVO HdbStR
Hausratsverordnung Handbuch des Staatsrechts
GrünhutsZ GRUR
Abkürzungsverzeichnis HGB Hirth's Ann.
XXV
h. M. HRR Hrsg.
Handelsgesetzbuch Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber
i. E. InsO
im Ergebnis Insolvenzordnung
JA
Juristische Arbeitsblätter
JgJherJb JR Jura JuS JW JZ
Jahrgang Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung
KG KO KritV KrW-/AbfG
Kammergericht Konkursordnung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen
KTS KUG
Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie
LG LK LM
Landgericht Leipziger Kommentar Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
LStVG LZ MarkenG MDR MEPolG
Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Monatsschrift des Deutschen Rechts Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder MünchKomm Münchener Kommentar m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. NJW NJW-RR Nr.
neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
NZM
N e u e Zeitschrift f ü r Mietrecht
OB1.
OLGZ OR OVG
Osterreichische Blätter f ü r gewerblichen Rechtsschutz u n d Urheberrecht Oberster Gerichtshof Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Obligationenrecht Oberverwaltungsgericht
PAG PBefG ProdHaftG
Polizeiaufgabengesetz Personenbeförderungsgesetz Produkthaftungsgesetz
RdW RegE RG RGBl. RGRK RGSt RGZ Rn. Rpfleger
Recht der Wirtschaft Regierungsentwurf Reichsgesetz Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsräte-Kommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer D e r Deutsche Rechtspfleger
S. ScheckG SchlH SchlHA SeuffA StGB StrRG
Seite Scheckgesetz Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Seufferts Archiv f ü r Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Strafgesetzbuch Strafrechtsreformgesetz
TE
Teilentwurf
u. UrhG UWG
und Gesetz über U r h e b e r s c h u t z u n d verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VerbrKrG VersR VGH vgl.
Verbraucherkreditgesetz Versicherungsrecht Verwaltungsgerichtshof vergleiche
WarnR
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, herausgegeben von Warneyer
OGH OLGE
Abkürzungsverzeichnis
XXVII
WaStrG WEG WG WM WoBl WuM Württjb
Wasserstraßengesetz Wohnungseigentumsgesetz Wechselgesetz Wertpapier-Mitteilungen Wohnrechtliche Blätter Wohnungswirtschaft u n d Mietrecht Jahrbuch der Württembergischen Rechtspflege
z.B. ZBernJV ZfgRW ZGB ZHR ZIP ZMR ZPO ZStW ZUM ZVG
z u m Beispiel Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft Zivilgesetzbuch Zeitschrift f ü r das gesamte Handels- u n d Wirtschaftsrecht Zeitschrift f ü r Wirtschaftsrecht Zeitschrift f ü r Miet- u n d Raumrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift f ü r Urheber- u n d Medienrecht/Film u n d Recht Gesetz über die Zwangsversteigerung u n d die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für Zivilprozess
ZZP
Einleitung Die Lehre vom Besitz gilt bis auf den heutigen Tag als kompliziert und verwickelt. Immer wieder haben Abhandlungen zu diesem Thema einleitend, gerne auch mit Klassikerzitaten geschmückt, verschiedenste Aussagen zusammengetragen, die die besondere Schwierigkeit des Besitzrechts belegen sollen. Nicht ganz zu Unrecht vermutete jedoch schon Savigny hinter derartigem Wehklagen meist nicht mehr als eine vorläufige Lobrede auf das eigene Werk,1 mit dem dann alle Schleier der Ungewissheit fortgezogen werden sollen. Angesichts der langen Tradition, auf die das Besitzrecht zurückblicken kann und vor dem Hintergrund seiner extensiven Diskussion als dem, neben der Zivilehe, wohl umstrittensten Gebiet während der Beratungen zum B G B wäre es vermessen, nunmehr mit dem Anspruch anzutreten, den „Stein der Weisen" gefunden zu haben. Das Ziel der Arbeit ist ein weit bescheideneres. Nach mehr als einhundertjähriger Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs soll eine Bilanz gezogen werden. Zu diesem Zweck werden die Grundlagen des Besitzes und seines Schutzes auf dem Fundament des gegenwärtigen positiven Rechts untersucht, und die durch Rechtsprechung und Literatur vorangetriebene Entwicklung wird kritisch überprüft. Dabei wird sich zeigen, dass die Besitzkonzeption des BGB, entgegen manch anfänglicher Skepsis, durchaus nicht verworren ist, sondern als im Großen und Ganzen gelungen und bis heute zeitgemäß bezeichnet werden kann. Der Versuch einer Standortbestimmung muss zudem jüngste Entwicklungen auf judikativer und legislativer Ebene einbeziehen. So fragt sich, welche Auswirkungen die jüngste Rechtsprechung des BVerfG zum Eigentumsrecht nach Art. 14 G G zugunsten des Mieters auf das geltende Besitzrecht hat. Auch der Versuch des Gesetzgebers, in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben die Problematik der Zusendung unbestellter Waren im Bürgerlichen Gesetzbuch erstmals zu regeln, wirft die Frage nach den besitzrechtlichen Konsequenzen auf. Die Arbeit plädiert dafür, sich drei als grundlegend erachtete Prämissen des Besitzrechts in das Bewusstsein zurückzurufen: Erstens ist der Besitz als solcher nicht als Recht, sondern als Tatsache zu begreifen; zweitens kommt dem possessorischen Besitzschutz nach §§ 858 ff. B G B allein eine Präventionsfunktion zu; drittens ist das obligatorische Recht zum Besitz nichts anderes 1
Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl. 1865, § 1, S. 25.
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Einleitung
als ein Anspruch und als solcher Inhalt der schuldrechtlichen Forderung. Es wird sich herausstellen, dass sich vielfältige Streitfragen und begriffliche U n klarheiten bewältigen lassen, wenn man den Versuch unternimmt, die Erscheinungsformen des Besitzes auf die Grundstrukturen des Gesetzes zurückzuführen und die genannten Prämissen berücksichtigt. Der Gang der Darstellung wird sich an diesem Ziel orientieren. In einem ersten Grundlagenteil ist der Begriff des Besitzes abzugrenzen und die Regelungsstruktur des kodifizierten Besitzrechts darzustellen. Daran schließt sich die Analyse der rechtlichen N a t u r des Besitzes wie auch des Besitzrechts an. Der zweite Teil geht darauf aufbauend der Frage nach, wie weit der Schutz des Besitzes in seinen verschiedenen Ausprägungen innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs reicht. Die Untersuchung beschränkt sich hier im Interesse der Übersichtlichkeit auf die Kerngebiete des possessorischen (§§ 854 ff. BGB) und petitorischen (§ 1007 BGB) Besitzschutzes, auf das Bereicherungs- und das Deliktsrecht. Der abschließende dritte Teil richtet den Blick über das BGB hinaus auf das Vollstreckungs- und Insolvenzrecht.
Teil 1
Grundlagen
1. Kapitel
Begriff des Besitzes A. Der zivilrechtliche Besitzbegriff Im Gegensatz zu früheren Gesetzeswerken2 enthält das B G B keine Definition des Besitzes. Nur der mittelbare Besitz wird in § 868 B G B gesetzlich festgelegt. Die Erste Kommission lehnte eine Besitzdefinition, wie sie noch im Entwurf Johows vorgesehen war,3 ab, da man an der Möglichkeit einer genauen und unmissverständlichen Festlegung des Begriffs im Gesetz selbst zweifelte. Insbesondere ging man davon aus, dass für den Besitzerwerb weitergehende Voraussetzungen gelten, als für seine Beibehaltung. Aus Gründen der Praktikabilität sollte sich das Gesetz daher auf Bestimmungen über Erwerb, Fortsetzung und Ende des Besitzes beschränken.4 Im Schrifttum war der Besitzbegriff von jeher streitig.5 Savigny definierte den Besitz an einer Sache als den Zustand, in welchem nicht nur die eigene Einwirkung auf die Sache physisch möglich ist, sondern auch jede fremde Einwirkung verhindert werden kann.6 Auch wenn man berücksichtigt, dass Savigny das zweite Element seiner Definition nicht im Sinne einer erfolgreichen Verhinderung, sondern nur als Möglichkeit der Abwehr verstand,7 ist eine solche Umschreibung noch zu eng. Denn auch Kinder oder Schlafende, die überhaupt keine Chance der Verteidigung haben, können zweifellos Besitzer sein. Jhering sah dagegen durch den Besitz das dahinter stehende Eigentum geschützt und nahm daher Besitz immer dann an, wenn sich die Sache in ihrem normalen äußeren Zustand befinde, in dem sie ihre ökonomische Bestimmung erfülle, dem Menschen zu dienen.8 Mit dieser Umschreibung woll-
2 Vgl. I 7 §§ 1 bis 5 ALR, Art. 2228 Code civil, § 309 A B G B , § 186 Sächsisches B G B , II 1 Art. 1 Hessischer Entwurf. 3 § 4 8 S. 1: „Wer eine Sache mit seinem Willen in thatsächlicher Gewalt hat, ist Inhaber." (Johow, Entwurf, S. 23). 4 Motive, Band III, S. 81 (= Mugdan, Band III, S. 44). 5 Vgl. die Nachweise zur älteren Literatur bei Rosenberg, vor § 854, Anm. 2. 6 Savigny, Recht des Besitzes, § 1, S. 26. 7 Savigny, Recht des Besitzes, § 1, S. 26, Fn. 1. 8 Jhering, Uber den Grund des Besitzschutzes, 2. Aufl. 1869, S. 179.
A. Der zivilrechtliche
Besitzbegriff
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te Jhering dem Umstand Rechnung tragen, dass zwar Heuhaufen auf dem Felde oder Baumaterialien auf dem Bauplatz zurückgelassen werden, ohne dass dadurch der Besitz an diesen Sachen untergehe, dass dies jedoch z.B. nicht für Wertsachen am gleichen Ort gelte. 9 Auch diesem Ansatz stehen jedoch Bedenken entgegen. Abgesehen davon, dass schon die Prämisse Jherings vom Schutz des Eigentums durch den Besitz jedenfalls unter der Geltung des B G B nicht überzeugen kann, 10 führt auch die Verknüpfung des Besitzbegriffs mit der ökonomischen Zweckbestimmung einer Sache in die falsche Richtung. Entweder man weist diese Zweckbestimmung dem Besitzer selbst zu, dann verliert dieses Kriterium indessen jegliche Kontur; oder aber man beurteilt die Zweckbestimmung aus der Sicht eines Dritten, dann müsste der Besitzer schon bei atypischen oder unökonomischen Handlungen den Besitz an der Sache einbüßen. Brodmann kam zu dem Schluss, dass man sich bei dem Versuch der Bestimmung des Besitzbegriffs im Kreis drehe: „Wir suchen den Tatbestand, an den die R e c h t s o r d n u n g den B e s i t z s c h u t z k n ü p f t , u n d w o r a u f wir h i n a u s k o m m e n ist, dass der B e s i t z ist, w a s unter d e m S c h u t z der R e c h t s o r d nung steht. Indessen, diesen Fehler, den Savigny macht, hat v o n allen, die es unternahmen seine D e f i n i t i o n zu verbessern, noch niemand ü b e r w u n d e n . E s gibt keine B e g r i f f s b e s t i m m u n g , die ihn rein vermeidet. Vielleicht ist er überhaupt nicht zu vermeiden, u n d vielleicht ist es auch gar kein Fehler. D e n n so liegt es d o c h , dass wir, wenn wir uns in Zweifelsfällen fragen, ob B e s i t z besteht, entstanden o d e r verloren ist, unwillkürlich so verfahren, dass wir den tatsächlichen Z u s t a n d darauf prüfen, o b er des B e s i t z s c h u t z e s nach allen Richtungen, in denen dieser gilt, w ü r d i g ist oder nicht." 1 1
Dagegen versuchte Martin Wolff den Besitzbegriff als Homonym zu erklären, da das Gesetz das Wort „Besitz" in einem dreifachen Sinne verwende, zum einen als tatsächliche Sachherrschaft, zum anderen als Bezeichnung für jeden Tatbestand, an den die Besitzfolgen geknüpft sind, auch wenn sich dieser Tatbestand nicht als Sachherrschaft darstelle und schließlich als Inbegriff der an die Sachherrschaft oder den ihr gleichgestellten Tatbeständen geknüpften Rechte. 12 Diese Aussage verdeutlicht zwar die Vielschichtigkeit des Phänomens „Besitz", hilft jedoch für die eigentliche Begriffsbestimmung nicht weiter. Der erste Bedeutungsgehalt umfasst, wie noch zu zeigen sein wird, nicht alle Fälle des Besitzes, während die beiden übrigen für die inhaltliche Bestimmung des Besitzes selbst nichts hergeben. Mühl geht demgegenüber davon aus, dass sich der Besitz unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs immer mehr „vergeistigt" habe. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichne „Besitz" eine rein tatsächliche Beziehung und sei die tatsächliche 9 10
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Jhering, a.a.O., S. 179 f. Dazu näher unten, 2. Kapitel, B. II. 1. a, 2. a (S. 33, 38). Planck/Brodmann, vor § 854, Anm. 3 (S. 31). M. Wolff, Sachenrecht, 2. Aufl. 1913, § 3 II (S. 9 f.).
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel: Begriff des Besitzes
Herrschaft einer Person über eine Sache im Gegensatz zum Eigentum als rechtlicher Herrschaft. Dieser Besitztatbestand habe in der modernen Rechtsordnung einen Wandel dadurch erfahren, dass sich das Verhältnis zwischen Besitzer und Sache in zunehmendem Maße vergeistigt und immer mehr rechtliche Elemente in sich aufgenommen habe, unter gleichzeitiger Lockerung des faktischen Bandes. Eine Betrachtung der verschiedenen Erscheinungsformen des Besitzes zeige geradezu eine Stufenleiter der Vergeistigung; sie führe vom unmittelbaren Besitz, bei dem das tatsächliche Band am stärksten sei, über die Besitzdienerschaft und über den mittelbaren Besitz zum Besitz des Erben, bei dem es, solange der Erbe die Nachlassgegenstände nicht wirklich in seine Gewalt bekommt, an einer tatsächlichen Sachherrschaft überhaupt fehle. 13 Trotz des verworrenen Bildes, das die Bestandsaufnahme offenbart, besteht kein Anlass, von einer näheren Konkretisierung des Besitzbegriffs abzusehen oder blumige Formulierungen zu bemühen. Will man festen Boden gewinnen, ist es für den vorliegenden Zusammenhang notwendig, zwei Fragen klar zu trennen. Zum einen stellt sich das Problem, den Begriff des unmittelbaren Besitzes, den das Gesetz unverkennbar als Grundform des Besitzes voraussetzt, zu definieren. Zum anderen muss die Frage beantwortet werden, in welchem Verhältnis die verschiedenen Besitzformen des Gesetzes zueinander stehen und ob sie sich alle unter einen einheitlichen Oberbegriff subsumieren lassen.
I. Zum Begriff des unmittelbaren
Besitzes
Die herrschende Auffassung geht zutreffend von den Regelungen über Erwerb und Verlust des Besitzes in den §§ 854, 856 B G B aus und folgert daraus, dass unmittelbarer Besitz tatsächliche Sachherrschaft erfordert. 14 Unmittelbarer Besitz lässt sich somit als die von einem entsprechenden Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft definieren. Tatsächliche Sachherrschaft ist dabei die nach der Verkehrsauffassung geachtete Einwirkungsmöglichkeit einer Person auf eine Sache. Wie weit die Sachherrschaft reicht, entscheidet sich folglich nicht nach der Möglichkeit, Fremdeinwirkungen abzuwehren, sondern nach den Maßstäben des Verkehrs. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass in einer entwickelten Rechts- und Gesellschaftsordnung die Gemeinschaft jedem einzelnen einen individuellen Organisations- und Herrschaftsbereich zugesteht und die Einordnung eines Gegenstandes in diesen Bereich grundsätzlich billigt und achtet. Diese drückt sich nicht zuletzt in einer allgemeinen natürlichen Scheu aus, Gegenstände, die sich in einer solchen fremden Sphäre befinden, einfach an sich zu nehmen. 15 Man kann diese geachSoergel/Mühl, vor § 854, Rn. 4. Vgl. nur BGHZ 101, 186 (188) = N J W 1987, 2812 (2813); Baur/Stürner, Schwab/Prutting, Rn. 51/52; a. A. zuletzt Härtung, S. 31. 15 K. Müller, Rn. 80, spricht zutreffend von einer „sozialen Hemmschwelle". 13
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§7, Rn. 5;
A. Der zivilrechtliche
Besitzbegriff
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tete Einwirkungsmöglichkeit auch als eine von Dritten zu respektierende „faktische Tabusphäre" bezeichnen. 16 Wenn zum Teil zur Bestimmung der Sachherrschaft auf die Wahrscheinlichkeit, Gewalt über die Sache ausüben zu können, abgestellt wird, 1 7 liegt darin kein abweichender Prüfungsmaßstab, sondern eine komplementäre Uberprüfung der Verkehrsauffassung, denn die Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung beruht nicht zuletzt auf der Bereitschaft der Rechtsgenossen, die Beziehung zu der Sache zu respektieren. 18 Den Rückgriff auf die Verkehrsauffassung oder -anschauung als gefährliche Leerformel zu geißeln, 19 besteht kein Anlass. Dass zur Bestimmung rechtlicher Grenzen auf die Sichtweise der beteiligten Verkehrskreise abgestellt wird, ist auch sonst innerhalb (§§ 138, 242 BGB) und außerhalb (§§1, 3 U W G ) des BGB nicht ungewöhnlich und rechtfertigt sich gerade durch die Verwurzelung der Achtung fremder Sachherrschaft in der allgemeinen Auffassung der redlichen Rechtsgenossen. Freilich darf der Hinweis auf eine vermeintliche Verkehrsanschauung oder -auffassung nicht als Begründungsersatz f ü r das eigene Vorverständnis des Richters instrumentalisiert werden. Gerade in Grenzfällen sind daher auch die Gerichte nicht der Aufgabe enthoben, ihre Einschätzung der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der weiteren Umstände, wie räumlicher Nähebeziehung, typisches Verhalten der Beteiligten und Verkehrsgewohnheiten oder Usancen, darzulegen und zu begründen. Ergibt diese Prüfung kein hinreichend eindeutiges Bild, ist mit Brodmann im Zweifel danach zu entscheiden, ob der betreffende tatsächliche Zustand bei wertender Betrachtung Besitzschutz verdient oder nicht. 20 Diese A n k n ü p f u n g rechtfertigt sich aus der spezifischen Präventionsfunktion der Besitzschutzregelungen. 21 Da die §§ 858 ff. BGB in erster Linie Dritte davon abhalten sollen, den gegebenen Besitzstand auf eigene Faust zu ändern, muss der betreffende Zustand im Interesse des Rechtsfriedens seines Bestandes würdig sein. O b es allerdings glücklich ist, den Ausdruck der tatsächlichen Gewalt als „Elementarbegriff des allgemeinen Bewusstseins" zu bezeichnen, 22 erscheint fraglich. Diese Formulierung legt das Verständnis eines feststehenden Begriffsinhalts nahe, den der Richter lediglich festzustellen und zu übernehmen habe und war daher als „Verweisungstheorie" Gegenstand der Kritik Hecks.22, 16 Westermann/Gursky, § 9 1 4 (S. 73); ähnlich Schönke/Schroeder/Eser, StGB, §242, Rn. 24: „fremde Tabusphäre". 17 Kegel, in-, FS f. v. Caemmerer, S. 149 (167 ff.); Wieling, Sachenrecht I, § 4 I 1 a (S. 132 f.). 18 Staudinger/Bund, § 854, Rn. 6. 19 MünchKomm/Joost, § 854, Rn. 4; Ernst, Eigenbesitz, S. 42 f.; Härtung, S. 128. 20 Ebenso Westermann/Gursky, § 9 I 4. 21 Dazu im Einzelnen unten, 2. Kapitel, B. II. 2. d (S. 40 ff.). 22 Westermann/Gursky, § 9 I 1; Wieling, Sachenrecht I, § 4 11 a (S. 131 f.); Wolff/Raiser, § 5 III (S. 25) m. w. N . zur älteren Literatur. 23 Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 5, 4 (S. 19 f.).
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel:
B e g r i f f des
Besitzes
Sein Hinweis auf die Unabgegrenzheit der Alltagsvorstellungen von „tatsächlicher Gewalt" und „tatsächlicher Sachherrschaft", aus der er den „Blankettcharakter" des Besitzbegriffs folgert, ist insofern berechtigt, als dadurch die selbständige rechtliche Würdigung des tatsächlichen Zustandes als Besitz im Rechtssinne eingefordert wird. Allerdings liegen beide Auffassungen in diesem Punkt weit enger zusammen, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Auch die auf Levin Goldschmidt zurückgehende Lehre vom Elementarbegriff 24 verfolgte nicht das Ziel, den Richter an in der Verkehrsanschauung feststehende Kriterien zu binden. Ihr Bestreben war es vielmehr, gegenüber der seinerzeitigen Doktrin weniger die Sichtweise des Besitzers als die Einschätzung des Verkehrs zu betonen.25 Wichtiger ist demgegenüber das Problem der Statik des Besitzbegriffs. Heck folgerte weiter aus dem Blankettcharakter des Besitzes, dass sein Vorliegen durch Interessenabwägung festzustellen sei, wobei es auf eine „Einfügung in die Interessensphäre" des Einzelnen ankomme. Wegen der verschiedenen Wertideen des Besitzrechts könne diese Interessenabwägung jedoch bei ein und demselben Tatbestand im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionen zu unterschiedlichen Ergebnissen und damit zu einer relativen Begriffsbestimmung kommen.26 Relevant wird dies vor allem, wenn für den Verkehr der Eindruck entsteht, dass eine bestimmte Person Besitzer ist, während in Wirklichkeit ein anderer die tatsächliche Gewalt innehat. Schulfall ist der Verkauf eines Geschäfts an den bisherigen Angestellten, der den Betrieb unter der Firma des Veräußerers fortführt und weiter als Angestellter auftritt, so dass der Inhaberwechsel nicht kundbar wird. Nach der Lehre vom relativen Besitzbegriff stehen dem Erwerber als unmittelbarem Besitzer zwar die Besitzschutzrechte der §§ 858 ff. BGB zu, doch soll die Zeichenwirkung immer noch zugunsten des Veräußerers wirken, so dass z.B. Schadensersatzleistungen mit befreiender Wirkung an ihn erbracht werden können, § 851 BGB.27 Der zweite Fall, der regelmäßig für den relativen Besitzbegriff angeführt wird, ist die eigenmächtige Veräußerung einer Sache durch einen Besitzdiener. Ist die Stellung des Besitzdieners für den Verkehr nicht erkennbar, weil er nach außen hin wie ein selbständiger Besitzmittler auftritt, hängt die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs bei strikter Anwendung der §§ 855, 935 BGB von der vielleicht nur zufälligen Position des Veräußerers als Besitzdiener oder Besitzmittler ab. Paradefall ist der Handlungsreisende, der Warenmuster unterschlägt. Um einen hier sichtbar werdenden Wertungswiderspruch zu vermeiden, wird ebenfalls eine Spaltung des Besitz24 L. Goldschmidt, in: FG f. Gneist, 1888, S. 61 (65) = Studien zum Besitzrecht, 1888, S. 3; ders., Vermischte Schriften, 1901, S. 78. 25 Zutreffend Staudinger/Bund, vor §§ 854 ff., Rn. 38. 26 Heck, Grundriß des Sachenrechts, §5, 6 u. 7 (S.21 f.); dem folgend Schmelzeisen, AcP 136 (1932), 38 ff., 129 ff. 27 Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 6, 6 a; Schmelzeisen, AcP 136 (1932), 38 (39).
A. Der zivilrechtliche
Besitzbegriff
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begriffs b e f ü r w o r t e t , die dazu führt, dass dem Prinzipal der Besitzschutz zuk o m m t , w ä h r e n d der Besitzdiener f ü r die Zeichenfunktion als unmittelbarer Besitzer behandelt wird. 2 8 Gegen die Lehre v o m relativen Besitzbegriff spricht freilich, dass sich dem Gesetz f ü r einen gespaltenen Besitzbegriff keinerlei A n h a l t s p u n k t e entnehmen lassen. Es k o m m t hinzu, dass man bei den problematischen Fällen in der strikten A n w e n d u n g des Gesetzes durchaus keinen Wertungswiderspruch erkennen muss. 2 9 D a f ü r spricht vor allem, dass sich § 935 Abs. 1 B G B die Wertung entnehmen lässt, dem Willen des unmittelbaren Besitzers den Vorrang vor dem Verkehrsschutz einzuräumen. Selbst w e n n man aber das Ergebnis f ü r k o r r e k t u r b e d ü r f t i g erachtet, ist hierfür die entsprechende A n w e n d u n g der Rechtsscheinsgrundsätze gegenüber einer Spaltung des Besitzbegriffs vorzugswürdig. 3 0 M a n muss dann zwar den Einw a n d überwinden, dass das Gesetz bei der Ermittlung der wahren Besitzlage nicht auf den Anschein unmittelbaren Besitzes abstellt, so dass der gute Glaube an eine nicht gegebene Besitzlage nicht geschützt wird. H i e r z u ließe sich immerhin auf das Veranlassungsprinzip als Zurechnungselement verweisen. Ein solcher Weg hätte aber immer noch den Vorteil, weit geringer in das System des Besitzrechts einzugreifen, als die prinzipielle A n n a h m e eines gespaltenen Besitzbegriffs. A n die Lehre v o m relativen Besitzbegriff k n ü p f t auch Ernst an, indem er die S c h u t z f u n k t i o n der §§ 854 ff. B G B strikt von der Zeichenfunktion nach den §§ 929 ff. B G B trennt. 3 1 F ü r ihn hat daher der in den §§ 854 ff. B G B geregelte Besitz als Voraussetzung des possessorischen Besitzschutzes (possessio ad interdicta) nichts zu tun mit dem Besitz als Voraussetzung f ü r den Rechtserwerb (possessio ad usucapionem). Als diesen letzteren, f ü r die Zeichenf u n k t i o n maßgeblichen Besitz betrachtet Ernst den Eigenbesitz, der somit f ü r ihn keinen Unterfall des Besitzes nach den §§ 854 ff. BGB, sondern eine eigenständige Besitzform darstellt. 3 2 Daraus zieht Ernst weiter die Konsequenz, dass die §§ 854 ff. B G B innerhalb der §§ 929 ff. B G B nicht a n w e n d b a r seien, 28
Schmelzeisen, AcP 136 (1932), 129 (149). So auch R G Z 71, 248 (251); 106, 4 (6); Baur/Stürner, §52, Rn. 39; Brehm/Berger, Rn. 27.81; Schwab/Prutting, Rn. 76; Staudinger/Bund, §855, Rn. 28; Westermann/Gursky, § 49 I 6 (S. 405 f.). 30 In diesem Sinne Erman/Michalski, § 935, Rn. 6; H. Hübner, Der Rechtsverlust im Mobiliarsachenrecht, 1955, S. 107 f.; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., §49 I 6 (S. 238); noch weitergehend K. Schmidt, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 579 (597 f.), der in Anknüpfung an Art. 306 Abs. 4 A D H G B ein Abhandenkommen stets verneint, wenn der weggebende Besitzdiener „Obhutsgehilfe" ist. Eine Einschränkung des § 935 BGB befürwortet a u c h ] . Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, 1990, S. 250 f., 404 f., mit der Begründung, der Besitzer habe dem Besitzdiener die Besitzverschaffungsmacht eingeräumt und dadurch den Rechtsverkehr gefährdet; dagegen Westermann/Gursky, § 49 I 6 (S. 406). 31 Ernst, Eigenbesitz, S. 26. 32 Ernst, Eigenbesitz, S. 25 f., 38 ff. 29
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel: Begriff des Besitzes
so dass auch bei eigenmächtiger Veräußerung durch den Besitzdiener gutgläubiger Erwerb möglich sei. 33 Diese Lehre ist allerdings zu Recht auf nahezu vollständige Ablehnung gestoßen. 34 Schon die systematische Verschränkung von Eigenbesitz und possessorischem Besitzschutz in den §§ 854 ff., 872 B G B trotz der Tatsache, dass der Eigenbesitz für den possessorischen Besitzschutz gerade irrelevant ist, spricht dagegen, dass die §§ 854 ff. B G B für die Zeichenfunktion nicht anwendbar sind. Es kommt hinzu, dass § 935 Abs. 1 S. 2 B G B unmissverständlich in direkter Anknüpfung an §§ 854, 868 B G B zwischen unmittelbarem und mittelbarem Besitzer trennt. Ernst stützt sich maßgeblich auf die in den Protokollen enthaltene Aussage, dass die Vorschriften des betreffenden Abschnitts (= §§ 854 ff. B G B ) auf den Besitz als Voraussetzung des Besitzschutzes zu beschränken seien und sieht darin eine „Grundentscheidung des Gesetzgebers". 3 5 Die Materialien sind in dieser Beziehung allerdings keineswegs so eindeutig, wie dies auf den ersten Blick erscheint. Noch in den Motiven war davon die Rede, dass die Besitzvorschriften feststellen sollten, was Besitz ist, um dadurch eine häufig vorkommende Voraussetzung von Rechtsnormen in anderen Abschnitten zu bestimmen. 36 Davon scheint die Zweite Kommission dann in der Tat abzurücken, wenn festgehalten wird, „dass es sich im Interesse der Klarheit des Gesetzes empfehle, die Vorschriften dieses Abschnitts auf den Besitz als Voraussetzung des Besitzschutzes zu beschränken, dagegen diejenigen Bestimmungen wenigstens zunächst auszuscheiden, welche den Besitz als Voraussetzung anderer, insb. Auf das Eigenthum bezüglicher, Rechtsnormen betreffen." 3 7
Betrachtet man aber die dann gestrichenen Vorschriften der §§ 798-809 E I, so zeigt sich zweierlei. Zum einen betreffen diese Normen gerade nicht nur den Besitz als Voraussetzung anderer Vorschriften, sondern regeln zum Beispiel näher den Erwerb und Verlust des Besitzes selbst. 38 Zum anderen ergibt sich aus den Einzelbegründungen, dass die betreffenden Vorschriften durchweg als überflüssig oder selbstverständlich gestrichen wurden. 39 Die Aussage über die Beschränkung der Besitzvorschriften auf ihre Besitzschutzfunktion bleibt danach in ihrer Intention zumindest unklar. Keinesfalls lässt sich damit eine „Grundentscheidung" des Gesetzgebers ablesen. Es ist auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass den Besitzregelungen nur ein derart beschränktes Anwendungsfeld eröffnet ist. Die Vorschrift des § 854 B G B auf eine Nominalde33
Ernst, Eigenbesitz, S. 33 f. Dagegen Brehm/Berger, Rn. 2.4, Fn. 8; Westermann! Gursky, § 12 II 4 (S. 89 f.); Wieling, NJW 1993, 510 f.; Wilhelm, Rn. 400, Fn. 1; Staudinger/Bund, § 872, Rn. 3; dem methodischen Ansatz von Ernst zustimmend MünchKomm/Joost, vor § 854, Rn. 13, Fn. 30. 35 So Ernst, Eigenbesitz, S. 25. 36 Motive, Band III, S. 78 (= Mugdan, Band III, S. 43); vgl. auch unten, 2. Kapitel, A. 37 Protokolle, Band III, S. 28 (= Mugdan, Band III, S. 502). 38 Vgl. ausdrücklich Protokolle, Band III, S. 33 (= Mugdan, Band III, S. 505) zu § 801 E I. 39 Protokolle, Band III, S. 33 f. (= Mugdan, Band III, S. 505 f.). 34
A. Der zivilrechtliche
Besitzbegriff
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finition zu reduzieren, aus der sich ergebe, dass Besitzer derjenige sei, der possessorisch geschützt ist,40 läuft auf einen Zirkelschluss hinaus. Der Begriff des Eigenbesitzes selbst bleibt bei Ernst unscharf. Es soll sich bei ihm um eine „elementare Lebenstatsache" handeln, um die Tatsache nämlich, dass jemand eine Sache wie der Eigentümer in Anspruch nimmt.41 Trotz des Anklangs an die Lehre vom Elementarbegriff nach Goldschmidt verwirft Ernst jedoch ausdrücklich den Rückgriff auf die Verkehrsauffassung zur Feststellung des Eigenbesitzes.42 Da die Begründung beschränkter dinglicher Rechte zum Teil ebenfalls an die Besitzverschaffung geknüpft ist, muss Ernst außerdem auch den Pfandgläubiger und Nießbraucher als Eigenbesitzer ansehen.43 Nach alledem führt die Lehre vom relativen Besitzbegriff in ihren verschiedenen Spielarten nicht weiter. Sie lässt sich nicht überzeugend in die Systematik des geltenden Rechts einfügen und bringt in den entscheidenden Fällen keinen substanziellen Vorteil, da sich die gleichen Ergebnisse, wenn man eine Korrektur der unmittelbaren Anwendung der §§ 854 ff. B G B überhaupt für erforderlich hält, mit anderen, weniger weit reichenden Mitteln erzielen lassen. Ihr berechtigtes Anliegen hat die Lehre insoweit, als sie gemahnt, nicht unbesehen die Besitzregelungen im Kontext der Erwerbstatbestände anzuwenden. Dem kann man jedoch bereits dadurch Rechnung tragen, dass man die §§ 854 ff. B G B stets in ihrer spezifischen Wirkungsweise innerhalb der Eigentumsnormen überprüft.
II. Das Verhältnis der verschiedenen zueinander
Besitzformen
Durch die Anknüpfung an die tatsächliche Gewalt bei Erwerb und Verlust des Besitzes, §§ 854 Abs. 1, 856 Abs. 1 BGB, kommt zum Ausdruck, dass das Gesetz vom unmittelbaren Besitz als Grundform des Besitzes ausgeht. Hinter dem unmittelbaren Besitz bleibt der Besitzdiener nach § 855 B G B insofern zurück, als er zwar die Sache physisch in Händen hält, vom Gesetz aber gerade nicht als Besitzer behandelt wird. Umgekehrt sprechen die §§ 857, 868 B G B den Besitz auch Personen zu, die unter Umständen aktuell überhaupt keine Möglichkeit haben, auf den betreffenden Gegenstand einzuwirken. Um beurteilen zu können, in welcher Beziehung diese verschiedenen Besitzausprägungen zueinander stehen und ob sie sich sinnvoll unter einen gemeinsamen Oberbegriff einordnen lassen, ist zunächst auf die Struktur der Besitzdienerschaft, des Erbenbesitzes und des mittelbaren Besitzes einzugehen. Ernst, Eigenbesitz, S. 33. Ernst, Eigenbesitz, S. 39 f., 300. 42 Ernst, Eigenbesitz, S. 300 f. 43 Ernst, Eigenbesitz, S . 2 6 f . , Fn. 4, 9, 14: „funktional", „im Wesentlichen übereinstimmend", „gleichgestellt". 40 41
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel: Begriff des Besitzes
Wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, der wird im Anschluss an Bekker44 als Besitzdiener bezeichnet, während § 855 B G B nur den anderen, weisungsberechtigten zum Besitzer erklärt. Zum Teil wird darin eine auf praktischen Bedürfnissen beruhende Abweichung vom Begriff des Besitzes im Sinne einer tatsächlichen Sachherrschaft gesehen, die den Besitz von einem Rechtsverhältnis abhängig mache, ähnlich wie bei §§ 857, 868 B G B . 4 5 Diese Auffassung ist jedoch in einem doppelten Sinne unzutreffend. Zum einen wird durch § 855 B G B keine Abhängigkeit des Besitzes von einem Rechtsverhältnis geschaffen. Ein wirksames Rechtsverhältnis zwischen dem Besitzdiener und dem Besitzherrn ist nach ganz überwiegender und zutreffender Auffassung gerade nicht Voraussetzung. 46 Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Unterordnung des einen unter den Willen des anderen. Zum anderen stellt § 855 B G B keine Abweichung, sondern lediglich eine Klarstellung des § 854 B G B dar. Die Vorschrift wurde von der Zweiten Kommission auf Vorschlag des preußischen Justizministeriums in das B G B aufgenommen, um Missverständnissen vorzubeugen. Die Regelung bezweckte keine Änderung, sondern eine Ergänzung und Erläuterung der Grundnorm des § 854 Abs. 1 B G B , 4 7 da man bei Erlass des B G B ganz selbstverständlich davon ausging, dass nach der allgemeinen Verkehrsanschauung in Abhängigkeitsverhältnissen wie Haushalt und Erwerbsgeschäft nicht dem Angestellten, sondern dem Inhaber die tatsächliche Sachherrschaft zukomme. 48 Als Grundsatz sei festzuhalten, dass man seinen Besitz nicht nur durch eigene Handlungen ausüben könne, sondern auch indem man einen anderen derart als Werkzeug benutze, dass der andere den Anweisungen des Besitzherrn unbedingt Folge zu leisten habe. Dies sei nicht nur in der Weise möglich, dass jemand den Besitzherrn im Einzelnen bei der Ausübung der tatsächlichen Gewalt unterstütze oder einen Teil derselben für ihn ausübe, wie zum Beispiel der Kutscher, der die Pferde lenke, sondern auch so, dass jemand vollständig und allein die tatsächliche Gewalt für den Besitzherrn erwerbe, wie etwa der Dienstbote, der für die Herrschaft Einkäufe in einem Laden
Bekker, JherJb 34 (1895), 1 (26, 42). MünchKomm/Joost, § 855, Rn. 1. 46 Vgl. etwa Staudinger/Bund, § 855, Rn. 11; Wieling, Sachenrecht I, §4 IV 1 a (S. 159); Westermann/Gursky, § 10 II 3. 47 Protokolle III, S. 31 (= Mugdan, Band III, S. 504). 48 Planck/Brodmann, BGB, 5. Aufl. 1933, §855, Anm. 1 u. 2; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band II, 6. Aufl. 1900, §33 (S. 130 f.); Sokolowski, Der Besitz, 1907, S. 241 f.; Biermann, Sachenrecht, 3. Aufl. 1914, Anm. 1 zu § 855; Crome, System des deutschen Bürgerlichen Rechts, Band III, 1905, §344 II (mit Fn. 18) m. w.N.; teilweise a. A. Windscbeid/ Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band I, 8. Aufl. 1900, S.691; Last, JherJb 63 (1913), 71 (117 ff.); Staudinger/Kober, BGB, 9. Aufl. 1926, § 855, Anm. II 1 u. 4. 44 45
A. Der zivilrechtliche
Besitzbegriff
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mache. 49 Wenn man § 855 BGB als Ausnahme von § 854 BGB begreift, stellt man folglich in unzulässiger Weise nur auf das schlichte „In-Händen-Halten" ab, ohne die grundsätzlich bei der Bestimmung der tatsächlichen Gewalt nach § 854 BGB heranzuziehende Verkehrsansschauung zu berücksichtigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich der Weisungsabhängige in räumlicher Nähe zum Besitzherrn befindet oder nicht. 50 Dies verdeutlichen auch die in den Materialien angesprochenen Beispiele. Ob der Kutscher nahe bei dem Herrn ist oder der Dienstbote sich irgendwo in der Stadt aufhält, ist letztlich nicht entscheidend. Maßgeblich ist allein, dass der Besitzherr seine Herrschaft über die Sache durch die Bereitschaft des Besitzdieners, Weisungen zu befolgen, ausüben kann. Mögen diese Beispiele heute auch nicht mehr zeitgemäß sein, 51 so hat sich an dem Prinzip der Sachherrschaft durch ein „Werkzeug", die vom Verkehr durchaus dem Weisungsbefugten zugeordnet wird, doch nichts geändert. Man kann es daher vielleicht als Ironie der Geschichte bezeichnen, dass ausgerechnet die als Klarstellung gedachte Vorschrift des § 855 BGB den Blick so sehr auf die räumlich-körperliche Beziehung zur Sache verengt hat, dass die Regelung heute verbreitet als Ausnahme zu § 854 BGB verstanden wird. 5 2 Auch über die Rechtsnatur des Erbenbesitzes herrscht bis heute keine Einigkeit. Während manche den Erbenbesitz als echten Besitz begreifen, 53 sprechen andere von „vergeistigter Sachherrschaft". 54 Daneben findet sich die Einordnung des § 857 BGB als schlichte Fiktion, 55 während die heute herrschende Auffassung in dem Erbenbesitz einen besonderen, von tatsächlicher Sachherrschaft losgelösten Besitztatbestand erblickt, durch den das Gesetz alle Wirkungen des Besitzes des Erblassers auf den Erben übertrage. 56 Dass Protokolle, Band III, S. 31 f. (= Mugdan, Band III, S. 504). A. A. Westermann/Gursky, §10 1 1 (S. 77 f.), der § 855 BGB für Fälle größerer räumlicher Distanz eine über § 854 BGB hinausgehende Funktion zumisst. 51 Baur/Stürner, § 7, Rn. 69, sprechen angesichts des Zuges zum abhängigen Arbeitsverhältnis nicht ganz zu Unrecht davon, dass wir mehr und mehr zu einem „Volk von Besitzdienern" werden. Zahlen zur Entwicklung bei Enders, Der Besitzdiener, 1991, S. 25. 52 Vgl. etwa Baur/Stürner, § 7, Rn. 63, wo von einem „Kunstgriff" die Rede ist. 53 Sandtner, Kritik der Besitzlehre, 1968, S. 68. 54 Baur/Stürner, § 8, Rn. 2; auch Siebert, ZHR 93 (1929), 1 (12), sprach in diesem Zusammenhang bereits von der „Theorie der vergeistigten Sachherrschaft". 55 Wieling, Sachenrecht I, § 4 V l b (S. 168); früher bereits Müller-Erzbach, JherJb 53 (1908), 331 (367). In diesem Sinne auch Lange, in: FS f. Felgentraeger, S. 295 (298), der seine Konsumtionslehre dadurch erklärt, dass die Schutzfunktion des „fingierten Besitzes" nach § 857 BGB durch die des realen vollendet werde, wenn der Erbe den „realen" Erbenbesitz an den Nachlassgegenständen ergriffen hat; dies entspricht der Unterscheidung von „Verkehrsbesitz" (nach § 854 BGB) und „juristischem Besitz" (nach § 857 BGB) im Sinne von Kress, Besitz und Recht, 1909, S. 186 ff., 189 ff. Für die von Siebert, ZHR 93 (1929), 1 (17 f.), befürwortete analoge Anwendung der Besitzschutzvorschriften auf den Erbenbesitz fehlt dagegen nach §§ 854, 857 BGB bereits die erforderliche Regelungslücke. 56 BGH, LM Nr. 6 zu § 836 BGB = JZ 1953, 706; MünchKomm/Joost, § 857, Rn. 3 f.; Staudinger/Bund, § 857, Rn. 3 f.; Schreiber, Rn. 84; Härtung, S. 252; Wilhelm, Rn. 449, spricht von 49 50
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel: Begriff des Besitzes
der Erbe sogleich mit dem Erbfall tatsächliche Sachherrschaft im Sinne des § 854 B G B erlangt, wird man nicht ernstlich vertreten können. Zwar mag man noch über eine eventuelle Ortsabwesenheit des Erben unter dem Blickwinkel der Verkehrsauffassung hinwegkommen, wie man auch dem Verreisenden im Allgemeinen die fortbestehende Sachherrschaft an zurückgelassener Wohnung oder Fahrzeug zubilligt. Im Unterschied zu diesem muss der Erbe jedoch nicht einmal Kenntnis von dem Gegenstand der Sachherrschaft oder überhaupt vom Erbfall gehabt haben. In diesem Fall fehlt folglich der für die Sachherrschaft erforderliche Herrschaftswille. Die Formulierung von der „vergeistigten Sachherrschaft" führt demgegenüber nicht weiter, sondern allenfalls in die Irre, da von dem Kernelement der tatsächlichen Sachherrschaft abgelenkt und der Besitzbegriff dadurch verwässert wird. Das Ziel des § 857 B G B bestand erklärtermaßen darin, durch eine einfache, den Bedürfnissen des Lebens und der Rechtssicherheit entsprechende Gestaltung den Nachlass in der Zeit zwischen dem Tode des bisherigen Besitzers und der Besitzergreifung der zu dem Nachlass gehörenden Sachen durch den Erben gegen Eingriffe Dritter zu sichern. 57 Zu diesem Zweck sollten dem Erben bereits mit dem Erbfall die Besitzschutzansprüche zukommen. Es ging daher bei § 857 B G B im Grunde nur darum, den Erben, der keine tatsächliche Gewalt über die Nachlassgegenstände ausübt, dem Erben mit tatsächlicher Sachherrschaft gleichzustellen, um die an den Sachbesitz geknüpften Rechtsfolgen auszulösen. Damit handelt es sich bei § 857 B G B in Wirklichkeit um eine Fiktion, denn eine solche ist als gesetzestechnische Verweisung dadurch gekennzeichnet, dass das Gesetz bewusst zwei ungleiche Tatbestände gleichstellt, um eine bestimmte Rechtfolge eintreten zu lassen. 58 Dem ist immer wieder entgegengehalten worden, das Gesetz könne nicht Tatsachen schaffen, sondern nur Rechte verleihen und daher auch nicht die tatsächliche Sachherrschaft als physisch-reales Verhältnis für jemanden bestimmen, der sie nicht hat. 59 Diese Argumentation ist indessen schief. Bei der Fiktion geht es nie darum, eine bestimmte Tatsache zu schaffen oder gar „anzuordnen". Gerade deswegen werden die als ungleich erkannten Tatbestände lediglich rechtlich gleichgesetzt, um daraus gleiche Rechtsfolgen ableiten zu können. Wollte man dies anders sehen, müsste man auch § 119 Abs. 2 B G B die einem „rein rechtlichen Besitz". Ahnlich, Michel, Probleme des Erbenbesitzes nach § 857 BGB, 1990, S. 23 ff., 42, der den Erbenbesitz als Rechtsposition ohne Sachherrschaft einordnet, diesen aber nach § 1922 Abs. 1 BGB übergehen lässt und § 857 BGB daher nur die Funktion zumisst, den Besitz entgegen § 856 Abs. 1 BGB fortdauern zu lassen. 57 Denkschrift des Reichsjustizamtes, S. 107 (= Mugdan, Band III, S. 962). 58 Vgl. aus dem umfangreichen Schrifftum aus neuerer Zeit nur Larenz, Methodenlehre, S. 262; Brehm, Allgemeiner Teil des BGB, 4. Aufl. 2000, Rn.41; Fikentscher, Methoden des Rechts, Band IV, S. 285; Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 136. 59 So zuletzt Ebenroth/Frank, JuS 1996, 794 (796); vgl. auch Binder, Die Rechtsstellung des Erben, 1901, S. 47; Wolff/Raiser, § 12 I 4 (S. 42).
A. Der zivilrechtliche
Besitzbegriff
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Eigenschaft als Fiktion absprechen, da das Gesetz aus einem Eigenschaftsirrtum keinen Inhaltsirrtum machen kann. Danach verbleibt allenfalls der Einwand, dass das Gesetz in § 857 B G B nicht die für eine Fiktion typische Formulierung „gilt als" verwendet. 60 Allerdings ist dies ein rein formalistischer Aspekt, der schon deshalb wenig überzeugt, weil die Gesetzestechnik der Fiktion nicht an eine bestimmte Ausdrucksweise gebunden ist. 61 Vor allem aber unterscheidet sich der Ansatz der herrschenden Auffassung selbst im Grunde überhaupt nicht von einer Fiktion, denn auch sie will den Erben zum Zurechnungsobjekt der Rechtsfolgen, die mit dem Besitztatbestand verbunden sind, machen. 62 Hat man dies aber erst einmal erkannt, ist es im Interesse einer möglichst klaren und einheitlichen Begriffsbildung allemal vorzuziehen, durch § 857 B G B die tatsächliche Sachherrschaft des Erben fingiert zu sehen, als einen neuen und besonderen, weil von tatsächlicher Sachherrschaft abgelösten Besitztatbestand zu konstruieren, dessen Sonderstellung man nur schwer erklären kann, ohne dass er einen sonstigen Vorteil bietet. Nicht besser sieht es bei der dogmatischen Einordnung des mittelbaren Besitzes aus. Während die einen in ihm nichts weniger als ein Rechtsverhältnis sehen, 63 halten andere § 868 B G B ebenfalls für eine gesetzestechnische Fiktion, um auch dem mittelbaren Besitzer bestimmte an den Besitztatbestand gekoppelte Rechtsfolgen zuordnen zu können. 64 Die herrschende Auffassung nimmt demgegenüber eine mittlere Position ein. Sie spricht zwar von einer „Vergeistigung" des Besitzes, 65 begreift den mittelbaren Besitz aber gleich-
60 So Staudinger/Bund, § 857, Rn. 4; Härtung, S. 251; Michel, Probleme des Erbenbesitzes nach §857, 1990, S. 23. Bund, Untersuchungen, § 15 (S. 123), geht von einem engeren Fiktionsbegriff aus. Für ihn besteht die Wirkung der Fiktion darin, dass an einen Tatbestand (Fiktionsbasis) die Rechtsfolgen geknüpft werden, die ein anderer Tatbestand (der sog. Fingierte Tatbestand) auslöst. Daraus ergibt sich für ihn die Operationsregel: Zur Gewinnung der Rechtsfolge wird die Fiktionsbasis durch den fingierten Tatbestand ersetzt. Diese Umschreibung der Fiktion erscheint allerdings unnötig beschränkt. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum der Gesetzgeber nicht, statt einen fingierten Tatbestand zu formulieren („Auch der Erbe, der noch keine tatsächliche Gewalt über den Nachlass hat, gilt als Besitzer"), sogleich den anderen Tatbestand mit der Fiktionsbasis bezeichnen kann („Der Erbe ist Besitzer" oder eben „Der Besitzgeht auf den Erben über"), solange nur feststeht, dass der Gesetzgeber von der fehlenden Identität der Tatbestände ausgeht. Letzteres ist angesichts der §§ 854, 856 B G B und im Hinblick auf das erklärte Bemühen der Gesetzesverfasser, den Nachlass nicht ohne Schutz zu lassen, außer Zweifel; a. A. zu Unrecht Michel, Probleme des Erbenbesitzes nach § 857,1990, S. 22 f.
Vgl. dazu näher Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, 2. Aufl. 1969, S. 30 f. Vermittelnd daher MünchKomm/Joost, § 855, Rn. 4: „fiktives Element". 63 MünchKomm/Joost, § 868, Rn. 6; Härtung, S.263 ff. 64 Biermann, Sachenrecht, 3. Aufl. 1914, §868, Anm. 1 b,c; Müller-Erzbach, JherJb 53 (1908), 331 (364 ff.); Wendt, AcP 87 (1897), 40 (49); Wieling, Studi Sanfilippo I, S. 713 (730, 741); ders., AcP 184 (1984), 439. 65 Wolff/Raiser, § 8 III (S. 35); Erman/Werner, § 868, Rn. 2; Westermann/Gursky, § 17, 5 f (S. 110). 61
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel:
B e g r i f f des
Besitzes
wohl als echte, wenn auch gelockerte Sachherrschaft. 66 Der mittelbare Besitzer übe seine Sachherrschaft durch den Besitzmittler aus, der die tatsächliche Sachherrschaft für den mittelbaren Besitzer auf Zeit wahrnehme. Gegen die Gleichsetzung des mittelbaren Besitzes mit einem Rechtsverhältnis spricht, dass das Besitzmittlungsverhältnis nach ganz überwiegender und richtiger Auffassung nicht wirksam sein muss. 67 Besteht aber zwischen Mieter und Vermieter trotz Unwirksamkeit des Mietvertrages ein Besitzmittlungsverhältnis, weil der Mieter tatsächlich seine Herausgabepflicht anerkennt, so folgt daraus noch nicht, dass allein durch den mittelbaren Besitz Rechte und Pflichten zwischen Mieter und Vermieter begründet werden. Der mittelbare Besitz selbst kann daher kein Rechtsverhältnis darstellen. 68 Auch die Vorstellung von einer „gelockerten" Sachherrschaft vermittelt ein Bild, das den tatsächlich bestehenden Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien nicht gerecht wird. Im Gegensatz zum Besitzdiener unterliegt der Besitzmittler typischerweise gerade nicht den Weisungen des mittelbaren Besitzers, soweit diese über die vertragliche Festlegung des Gebrauchs hinaus gehen. Der Mieter kann daher innerhalb des vertragsgemäßen Gebrauchs nach freiem Belieben mit der Mietsache umgehen, so dass dem Vermieter für den Zeitraum der vertraglichen Gebrauchsüberlassung keine Möglichkeit zur Einwirkung auf die Sache zusteht. Zwar wird auch beim unmittelbaren Besitz im Rahmen der Verkehrsanschauung eine gelockerte Zugriffsmöglichkeit akzeptiert, ohne dass dadurch der Bereich der tatsächlichen Sachherrschaft verlassen wird. Daher bleibt auch der Besitz an einem weit entfernt geparkten Fahrzeug erhalten und geht auch der Besitz an einer Wohnung bei einem Auslandsaufenthalt nicht verloren. Jedoch rechtfertigen diese partiellen Ausdehnungen des Begriffs der tatsächlichen Sachherrschaft es nicht, beim mittelbaren Besitz in umgekehrter Weise den Ausnahmefall der fehlenden unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit zum Regelfall zu machen. Es kommt hinzu, dass der mittelbare Besitz stets an den unmittelbaren Besitz gebunden bleibt und zu ihm akzessorisch ist. Der mittelbare Besitz setzt immer den unmittelbaren Besitz voraus. Hat der Besitzmittler selbst noch keinen Besitz begründet, so entsteht auch der mittelbare Besitz noch nicht, mag auch das als Besitzmittlungsverhältnis dienende Rechtsverhältnis zwischen beiden schon vereinbart worden sein. Auch büßt der mittelbare Besit66 V Bruns, Besitzerwerb, 1910, S. 40, 155; Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 8, 1 (S. 31); Rosenberg, % 868, Anm. III 2; Strohal, JherJb 38 (1908), 1 (17); Soergel/Stadlerl\ § 868, Rn. 2; Staudinger/Bund, § 868, Rn. 5; K. Müller, Rn. 227; Schopp, Rn. 58; Schwab/Prutting, Rn. 82; zweifelnd Schreiber, Rn. 62 Fn. 81. 67 BGH, NJW 1955, 499; Wolff/Raiser, § 8 I 2 (S. 33 f.); Baur/Sürner, § 7, Rn. 45; Wieling, Sachenrecht I, § 6 II 1 (S. 216) m.w.N. 68 Ebenfalls ablehnend Staudinger/Bund, §868, Rn. 5; Wieling, Sachenrecht I, § 6 I 2 a (S. 215 Fn. 11).
A. Der zivilrechtliche
Besitzbegriff
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zer seine Besitzstellung ein, sobald der unmittelbare Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft nach § 856 Abs. 1 B G B aufgibt oder den Besitz in anderer Weise verliert. Diese einseitige Abhängigkeit des mittelbaren vom unmittelbaren Besitz spiegelt sich auch in der Reflexwirkung des § 869 B G B wider. Der Besitzschutz kommt dem mittelbaren Besitzer nicht als solchem, sondern nur insoweit zu, als der unmittelbare Besitz beeinträchtigt wird. Den Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 B G B wie auch das Verfolgungsrecht nach § 867 B G B kann der mittelbare Besitzer für sich selbst nur geltend machen, wenn der unmittelbare Besitzer diese Rechte nicht geltend machen kann oder will. Diese Abhängigkeit des mittelbaren Besitzes vom unmittelbaren Besitz verdeutlicht erneut, wie die gesamte Systematik der §§ 854 ff. B G B , dass der unmittelbare Besitz ganz im Vordergrund der besitzrechtlichen Regelungen steht, dieser gleichsam die Grundform des Besitzes darstellt. Der mittelbare Besitz wurde demgegenüber ursprünglich nur geschaffen, um dem Vermieter, Verpächter u. A. possessorische Besitzschutzansprüche zu verschaffen und erst später in § 868 B G B verankert, um dem mittelbaren Besitzer die Ersitzung zu ermöglichen. 69 Die besseren Gründe sprechen daher dafür, im Einklang mit der natürlichen Auffassung allein dem unmittelbaren Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft zuzusprechen. Den §§ 868 ff. B G B kommt danach die Aufgabe zu, den mittelbaren Besitz dem unmittelbaren Besitz im Wege einer Fiktion gleichzustellen. Aus diesem Befund lassen sich nun die Konsequenzen für das Verhältnis der verschiedenen Besitzformen zueinander ziehen. Im Zentrum des Besitzrechts steht der unmittelbare Besitz als die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, deren Vorliegen sich nach der Verkehrsanschauung bestimmt. Die Figur des Besitzdieners stellt demgegenüber keine Abweichung oder Ausnahme dar, sondern lässt sich als gesetzliche Festschreibung der Verkehrsauffassung insofern verstehen, als es um die Ausübung der Sachherrschaft durch Dritte als „Werkzeuge" geht. Der Erbenbesitz nach § 857 B G B sowie der mittelbare Besitz nach § 868 B G B sind demgegenüber gesetzestechnische Regelungen, um die an den Besitz geknüpften Rechtsfolgen auch an ausgewählte Tatbestände ohne tatsächliche Sachherrschaft koppeln zu können. Die Suche nach einem gemeinsamen Oberbegriff des Besitzes, der sowohl unmittelbaren als auch mittelbaren und Erbenbesitz umfasst, etwa als Besitz im engeren und im weiteren Sinne, ist danach ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn und daher müßig. Wichtiger ist es, sich stets der konstruktiven Unterschiede zwischen den Besitzformen bewusst zu bleiben. Erbenbesitz und mittelbarer Besitz sind nicht Unterfälle des unmittelbaren Besitzes oder eine besondere Besitzform ohne Sachherrschaft, sondern schlichte 69 Protokolle, Band III, S. 222 (= Mugdan, Band III, S. 514); dazu im Einzelnen Wieling, Studi Sanfilippo I, S. 713 (738 f.); den., Sachenrecht I, § 6 11 (S. 213 f.).
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel:
B e g r i f f des
Besitzes
Fiktionen zur Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen. Eigen- und Fremdbesitz, Mit- und Teilbesitz sind demgegenüber kombinierbare Unterfälle des unmittelbaren, wie auch des Erben- und mittelbaren Besitzes, die man im Anschluss an Heck70 plastisch als „Besitzfarben" umschreiben kann.
B. Der strafrechtliche
Gewahrsamsbegriff
Tatsächliche Sachherrschaft spielt als Tatbestandselement in vielfältiger Weise auch im Strafrecht eine Rolle. Es stellt sich daher die Frage, welchen Einfluss die zivilrechtliche Ausgestaltung des Besitzes auf die strafrechtliche Begriffsbestimmung ausübt. Das Spektrum möglicher Wirkungsweisen reicht von der direkten Übernahme der zivilrechtlichen Besitzformen über zweckorientierte Modifikationen bis hin zu einer strafrechtsautonomen Begrifflichkeit. Die folgende Betrachtung setzt sich exemplarisch mit dem im Diebstahlstatbestand des § 242 StGB verankerten Begriff des Gewahrsams auseinander, da dieser Tatbestand spätestens mit der Streichung des Besitz- bzw. Gewahrsamserfordernisses bei der Unterschlagung nach § 246 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz (StrRG) vom 26.1.199871 zum wichtigsten Ort der Abgrenzung tatsächlicher Sachherrschaft geworden ist.
I. Parallelen und Unterschiede zum zivilrechtlichen
Besitz
Der objektive Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass eine fremde bewegliche Sache weggenommen wird. Unter der Wegnahme wird in diesem Zusammenhang der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams verstanden. 72 Das danach zentrale Tatbestandselement des Gewahrsams wird im Ausgangspunkt übereinstimmend als von einem Herrschaftswillen getragenes, tatsächliches Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache begriffen, dessen Umfang und Grenzen durch die natürliche Auffassung des täglichen Lebens bzw. unter Berücksichtigung der sozialen Zuordnung bestimmt wird. 73 Zwar wird innerhalb der Strafrechtslehre zum Teil mehr Gewicht auf das physisch-reale Moment der faktischen Herrschaft gelegt,74 während andere stärker die normativ-soziale Komponente der Ver-
Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 5, 1 (S. 17 f.) und § 9 I (S. 34). BGBl. I, S. 164. 72 Schönke/Schröder/Eser, § 242, Rn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 33, Rn. 11. 73 BGHSt 16, 271 (273); 22, 180 (182); BGH, GA 1979, 390 (391); Otto, Delikte, §40, Rn. 16; Tröndle/Fischer, § 242, Rn. 9. 74 Scbönke/Scbröder/Eser, §242, Rn. 25; Tröndle/Fischer, §242, Rn. 9; Mauracb/ Schroeder/Maiwald, § 33, Rn. 14 f.; Kargl, JuS 1996, 971 (973). 70
71
B. Der strafrechtliche
Gewahrsamsbegriff
19
kehrsanschauung betonen, 75 doch werden daraus kaum unterschiedliche Ergebnisse abgeleitet. Einig ist man sich heute in der Uberzeugung, dass der Gewahrsam im strafrechtlichen Sinne nicht nach den bürgerlich-rechtlichen Besitzvorschriften zu bestimmen sein soll. 76 Der Gewahrsamsbegriff sei tatsachennäher und könne daher die Verrechtlichung des Besitzbegriffs, wie sie in den §§ 855, 857 BGB zum Ausdruck komme, nicht mitvollziehen. 77 Es wird daher davon ausgegangen, dass Gewahrsam und unmittelbarer Besitz zwar weitgehend identisch seien, doch deckten sich Besitz im Sinne der §§ 854 ff. BGB und Gewahrsam nicht völlig. 78 Vor diesem Hintergrund wird der strafrechtliche Gewahrsam idealtypisch als das faktische Haben einer Sache im Sinne einer unmittelbaren räumlichen Nähe mit der Möglichkeit der physischen Einwirkung auf den Gegenstand verstanden. Die normativ-soziale Komponente bewirkt demgegenüber zum Teil eine Erweiterung, zum Teil aber auch eine Einschränkung des Herrschaftsverhältnisses. Eine Ausdehnung des Herrschaftsverhältnisses liegt überall dort vor, wo nach der Verkehrsauffassung auch demjenigen, der nicht in unmittelbarer körperlicher Nähe zu einer Sache steht, eine respektierte Herrschaftssphäre zugestanden und damit Gewahrsam eingeräumt wird. Daher hat nicht nur der Bauer Gewahrsam an seinem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug, auch der Reisende bleibt im Gewahrsam seiner Wohnung und der darin befindlichen Gegenstände. 79 Umgekehrt bewirkt die soziale Zuordnung eine Einschränkung insofern, als bestimmten Personen trotz unmittelbarer faktischer Einwirkungsmöglichkeit auf den Gegenstand der Gewahrsam, jedenfalls im Ergebnis, abgesprochen wird. Hierher gehören vor allem die Fälle, in denen die Sachherrschaft im Rahmen eines sozialen Abhängigkeitsverhältnisses ausgeübt wird. So wird von jeher dem Hausherrn und nicht den Hausangestellten der Gewahrsam an den in der Wohnung befindlichen Sachen zugeordnet. Angestellte und Verkäufer in einem Ladengeschäft haben ebenso wenig wie auch sonst Arbeitnehmer Gewahrsam an den Waren bzw. den Arbeitsgeräten. Derartige in abhängiger Position Sachherrschaft ausübende Personen werden als Gewahrsamsgehilfen 80 oder auch Gewahrsamshüter 81 bezeichnet. Zwar neigt die h.M. in solchen Uber-Unterordnungsverhältnissen dazu, mehrstufigen Gewahrsam und damit auch Gewahrsam des Untergeord75 Gössel, ZStW 85 (1973), S. 591 (619 ff.); Laubenthal, JA 1990, 38 (39); Samson, in: SK, § 242, Rn. 27 ff.; Wessels/Hillenkamp, Rn. 71. 76 Samson, JA 1990, 5 (6); Schönke/Schröder/Eser, §242, Rn.31; Tröndle/Fischer, §242, Rn. 9. 77 Maurach/Schroeder/Maiwald, § 33, Rn. 12. 78 RGSt 43,10 (13); Otto, Delikte, § 40, Rn. 31; Samson, in: SK, § 242, Rn. 20; Wessels/Hillenkamp, Rn. 81. 79 RGSt 30, 88 (89); BGHSt 16, 271 (273). 80 Schönke/Schröder/Eser, § 242, Rn. 27. 81 Otto, ZStW 79 (1967), S. 59 (80); ders., Delikte, § 40, Rn. 26 f.
20
Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel:
B e g r i f f des
Besitzes
neten anzunehmen. 82 Jedoch werden daraus keine Konsequenzen gezogen, da sowohl bei der Sachentziehung durch den Untergeordneten als auch bei Wegnahme durch einen Dritten stets allein ein Gewahrsamsbruch bei dem Ubergeordneten angenommen wird. 8 3 Die Figur des „untergeordneten Gewahrsams" ist daher im Grunde eine terminologische Hülse, die lediglich zu Missverständnissen verleitet. Richtigerweise ist daher davon auszugehen, dass allein der Ubergeordnete Gewahrsam hat. 84 Dem Erben wird nicht entsprechend § 857 BGB automatisch mit dem Erbfall der Gewahrsam an den Erbschaftsgegenständen zugebilligt. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Erbe sich nach dem Tode des bisherigen Gewahrsamsinhabers der Sache tatsächlich bemächtigt hat. 85 In gleicher Weise besteht strafrechtlich nicht schon deshalb Gewahrsam, weil der Betreffende mittelbarer Besitzer im Sinne des § 868 BGB ist. Nur wenn der mittelbare Besitzer zugleich auch neben dem unmittelbaren Besitzer eine faktische Zugriffsmöglichkeit auf die Sache hat, kommt ihm (Mit-)Gewahrsam neben dem unmittelbaren Besitzer zu. So hat etwa der Vermieter möblierter Räume (Hotelier, Zimmerwirtin) Mitgewahrsam an den Räumen und den dort befindlichen Einrichtungsgegenständen. 86 Hält man den so umschriebenen Gewahrsamsbegriff dem zivilrechtlichen Besitzbegriff der §§ 854 ff. BGB entgegen, so zeigen sich nach Ausgangspunkt und Ausgestaltung Übereinstimmungen, die durchaus weiter gehen, als man dies im Strafrecht heute weithin annimmt. Nach § 854 Abs. 1 BGB wird der unmittelbare Besitz durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben. Da mit der „Tatsächlichkeit" in diesem Zusammenhang nur zum Ausdruck gebracht werden soll, dass es auf eine Berechtigung zur Sachherrschaft nicht ankommt, geht man auch im Zivilrecht davon aus, dass der Besitz nicht auf das faktisch-physische Haben beschränkt ist, sondern vielmehr die Verkehrsanschauung entscheidet, ob eine tatsächliche Sachherrschaft besteht. 87 Ausdruck dieser über die physische Einwirkungsmöglichkeit hinausgehenden Zuordnung ist auch § 856 Abs. 2 BGB, da die Verkehrsanschauung kurzzeitige Sachherrschaftsbeschränkungen in gewissen Grenzen für unschädlich hält. Damit definiert sich der Gewahrsam ebenso wie der Besitz im Ausgangspunkt als tatsächliche Sachherrschaft unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung bzw. der sozialen Zuordnung. Auf beiden Gebieten lässt sich die tatsächliche Sachherrschaft als der Idealtypus des „In-derBGHSt 10, 400; LK/Ruß, 11. Aufl. 1994, §242, Rn. 25. Schönke/Schröder/Eser, § 242, Rn. 32. 84 Otto, Delikte, § 40, Rn. 26; Samson, JA 1980, 285 (288); Schünemann, Wessels/Hillenkamp, Rn. 84. 85 RGSt 34, 252 (254); 58, 228 (229); Wessels/Hillenkamp, Rn. 82 f. 86 RG, GA 68 (1920), 276; BGH, NJW 1960,1357. 87 Vgl. oben, unter A. I. (S. 6). 82 83
GA 1969, 46 (52);
B. Der strafrechtliche
Gewahrsamsbegriff
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Hand-Haltens" begreifen, um den die Verkehrsanschauung als zusätzliches, korrigierendes Element kreist. Die soziale Zuordnung kann daher genauso dazu führen, dem physischen Inhaber den Besitz zu versagen, wie sie trotz fehlender direkter Einwirkungsmöglichkeit den Besitz zusprechen kann. In einer extremen Sichtweise hat Redslob zu Beginn des Jahrhunderts genau diesen Weg aus strafrechtlicher Sicht eingeschlagen. 88 Er nimmt an, dass das Achtungsverhältnis, das unabhängig von Rechtssätzen lediglich als soziale Erscheinung den Inhaber schütze, ebenso als verletzt empfunden werde, wenn dem Erblasser eigenmächtig Gegenstände abgenommen werden, wie dies der Fall ist, wenn er noch leben würde. Damit zeige sich, dass der Gedanke vom Ubergang des Besitzes auf den Erben bereits im Wesen dieser sozialen Anschauung, in dem Wesen dieser Achtung liege, welche den Besitz ausmache. § 857 BGB sei daher keine Fiktion, sondern lediglich deklaratorischer Natur, da sich dessen Regelungsinhalt bereits aus den allgemeinen Grundsätzen ergebe. 89 In gleicher Weise werde die tatsächliche Sachherrschaft nach der Verkehrsanschauung nicht dem Besitzdiener, sondern dem Herrn zugeordnet, so dass auch § 855 BGB keine Ausnahme, sondern eine Erläuterung zu § 854 Abs. 1 BGB enthalte. 90 Schließlich werde auch der mittelbare Besitzer des BGB im Sinne der Verkehrsansschauung als Besitzer geachtet, so dass ihm neben dem unmittelbaren Besitzer ebenfalls Besitz und Gewahrsam zukomme. 9 1 Diese Auffassung geht gewiss zu weit. Das Kriterium der Verkehrsauffassung, aus dem die soziale Zuordnung von Sachherrschaft abgeleitet wird, ist insofern ein problematisches Begründungselement, als letztlich niemand die Meinung(en) aller beteiligten Personen verbindlich feststellen kann. Das A b stellen auf die Auffassung des Verkehrs oder die Anschauungen des täglichen Lebens hat daher in methodischer Hinsicht immer etwas Willkürliches an sich. 92 Gleichwohl ist es ein unverzichtbares Element, da die Zuordnung von Sachherrschaft stets einer wertenden Entscheidung bedarf und diese Entscheidung an dem Maß der sozialen Achtung von Herrschaftssphären ausgerichtet sein muss. Daraus folgt, dass an die Feststellung einer entsprechenden Verkehrsauffassung umso strengere Anforderungen gestellt werden müssen, je lockerer das tatsächliche Sachherrschaftsverhältnis des Einzelnen zu der konkreten Sache ausgestaltet ist. Vor diesem Hintergrund w i r d man aber kaum ernsthaft davon ausgehen können, dass der Verkehr im Allgemeinen dem Erben unmittelbar mit dem Tode des Erblassers und unabhängig von Aufenthaltsort und Kenntnis des Erben vom Erbfall die tatsächliche Sachherrschaft an den Nachlassgegenständen zuerkennt. Auch im Falle von Be88 89 90 91 92
Redslob, ZStW 30 (1910), S. 205 (216 ff.). Redslob, ZStW 30 (1910), S. 205 (218 f.). Redslob, ZStW 30 (1910), S. 205 (221). Redslob, ZStW 30 (1910), S. 205 (222 f.). Dazu bereits H. Mayer, J Z 1962, 6 1 7 (622, Fn. 44); Kahlo, S. 123 (131 f.).
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel: Begriff des Besitzes
sitzmittlungsverhältnissen geht die Annahme einer allgemeinen Achtung der Sphäre des mittelbaren Besitzers zu weit, da der Verkehr gewiss nicht eine gleichberechtigte Sachherrschaft neben dem unmittelbaren Besitzer anerkennt. Anders liegen die Dinge dagegen beim Besitzdiener nach § 855 B G B . Die Regelung bezweckt keine Änderung sondern eine Ergänzung und Erläuterung der Grundnorm des § 854 Abs. 1 B G B , da man auch im Zivilrecht, jedenfalls bei Erlass des B G B , ganz selbstverständlich davon ausging, dass nach der allgemeinen Verkehrsanschauung in Abhängigkeitsverhältnissen wie Haushalt und Erwerbsgeschäft nicht dem Angestellten, sondern dem Inhaber die tatsächliche Sachherrschaft zukomme. 93 Im Ausgangspunkt entspricht somit der Besitzdiener des § 855 B G B dem Gewahrsamsgehilfen bzw. Gewahrsamshüter des Strafrechts. Allerdings muss gesehen werden, dass der Kreis der zivilrechtlichen Besitzdiener weiter ist als der der Gewahrsamsgehilfen bzw. -hüter. So wird im Strafrecht größeres Gewicht auf die Frage gelegt, ob der weisungsbefugte Inhaber in der konkreten Situation in der Lage ist, den U n tergebenen zu beaufsichtigen und zu kontrollieren. Daher wird ein L K W Fahrer, der Waren am O r t des Firmensitzes ausliefert, als Gewahrsamsgehilfe bzw. -hüter angesehen, während ihm bei Fernfahrten Alleingewahrsam zugeordnet wird. 94 Auch wer eine Außenfiliale selbständig leitet, hat im Verhältnis zum Geschäftsherrn regelmäßig Alleingewahrsam. 95 Dagegen spielt eine solche räumliche Nähebeziehung des Geschäftsherrn zum Angestellten im Zivilrecht grundsätzlich keine Rolle, so dass beispielsweise der Leiter einer Bankfiliale, die Aktien für die Zentrale verwahrt, Besitzdiener ist, 96 wie auch der Handelsvertreter Besitzdiener in Bezug auf den vom Inhaber gestellten Musterkoffer bleibt. 97
II. Zur inneren Rechtfertigung Gewahrsamsbegriffs
eines spezifisch
strafrechtlichen
Bemerkenswert ist, dass die Unabhängigkeit des strafrechtlichen Gewahrsamsbegriffs von der zivilrechtlichen Besitzabgrenzung nicht erst Ausfluss einer Emanzipation des Strafrechts vom Zivilrecht in neuerer Zeit ist. Für das auf der Tatbestandsseite seit 1871 (bis zum 6. StrRG von 1998) unverändert geltende Diebstahlsdelikt wurde bereits vor Inkrafttreten des B G B die Auffassung vertreten, dass der Gewahrsam ein tatsächliches Verhältnis bilde, für Vgl. oben, unter A. II. (S. 11 f.). BGH, GA 1979, 390 (391); RGSt 54, 32 (34); Tröndle/Fischer, Hirth's Ann. (1905), S. 295 (297, 300). 95 Vgl. RGSt 60, 271 (272); Wessels/Hillenkamp, Rn. 89. % RGZ 112,109(113). 97 RGZ 71, 248 (252). 93 94
§242, Rn. 10; Rotering,
B. Der strafrechtliche
Gewahrsamshegriff
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dessen Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die am betreffenden Ort geltenden zivilrechtlichen Vorschriften über Besitz und Detention nicht maßgeblich seien. 98 Bei der Frage, ob sich eine Sache im Gewahrsam eines anderen befunden habe, gehe es „überhaupt nicht... um civilistische Gesichtspunkte", vielmehr sei für § 242 StGB entscheidend, ob jemand eine Sache derart „habe", dass sie ihm „weggenommen" werden k a n n . " Als mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch das Besitzrecht auf eine neue einheitliche Grundlage gestellt wurde, forderten allerdings Teile der Literatur im Sinne der Einheit der Rechtsordnung die Berücksichtigung und Übernahme des zivilrechtlichen Besitzbegriffs in das Strafrecht. 100 So konstatierte Bekker, dass zukünftig neben dem einheitlichen Strafrecht ein ebenso einheitliches Privatrecht stehe, dessen Grundbegriffe, ganz so wie jetzt schon die strafrechtlichen, für ganz Deutschland ein und dieselben sein müssten. Es müsse daher schwer fallen, stichhaltige Gründe dafür anzugeben, warum der zivilrechtliche Besitz oder Gewahrsam ein anderer zu sein habe als der strafrechtliche. 101 Gleichwohl hielten Rechtsprechung und überwiegende Lehre 102 an der autonomen Bestimmung des strafrechtlichen Gewahrsamsbegriffs weiter fest. So hob das RG hervor, dass „nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen (sei), ob ein anderer ein solches Herrschaftsverhältnis über eine Sache hatte, dass es als Inhabung oder Gewahrsam oder Besitz in natürlichem Sinne bezeichnet werden kann und dass seine Beseitigung und die Begründung eigener Verfügungsgewalt an seiner Stelle als „Wegnahme" erscheint. Die zu Zwecken der Durchführung der Privatrechtsordnung vom BGB über den Erwerb und Verlust von Besitz, mittelbarem und unmittelbarem, Eigenbesitz und Besitzdienerschaft, aufgestellten Rechtsgrundsätze sind hierbei nicht schon in ihrer Eigenschaft als Rechtsvorschriften bindend, sondern können nur insoweit Beachtung finden, als sie zugleich der Auffassung des Lebens entsprechende regelmäßige Erscheinungsformen für den natürlichen Zustand der Dinge und den natürlichen Verlauf der Ereignisse wiedergeben, also Erfahrungssätze aussprechen." 103 Ähnlich argumentiert Binding, wenn er be-
RGSt 30, 88 (89); Oppenhoff, Strafgesetzbuch, 11. Aufl. 1888, § 242, Anm. 16. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 4. Aufl. 1892, §242, Anm. 15. 100 J. Goldschmidt, GA 47 (1900), 261, 348 (352); Stenglein, Lexikon des Strafrechts, 1900, S. 751 f.; Redslob, ZStW 30 (1910), 205 (207 ff., 223); ähnlich R. v. Hippel, Lehrbuch des Strafrechts, 1932, § 68 I 3 (S. 328 f.). 101 Bekker,}\ier]b 34 (1895), 1 (65). 102 H.-J. Bruns, Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, 1938, S. 61 f., 202 f.; Lobe, in: FG f. R. Frank, 1930, S. 33 (39); Micelli, Der Begriff des Gewahrsams im Strafrechte, 1906, S. 38; /. U. Schroeder, AcP 97 (1905), 361 (373 f.); W. Siebert, Der strafrechtliche Besitzbegriff besonders in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, 1928, S. 12; Soltmann, Der Gewahrsamsbegriff in § 242 StGB, 1934, S. 75 f. 103 RGSt 50, 183 (184); 48, 384 (385). 98 99
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel: Begriff des Besitzes
tont, dass der „realistischen Auffassung des Strafrechts - der Natur des Verbrechens als störender Einwirkung auf den Bestand der tatsächlichen Verhältnisse allein angemessen - ... auch allein eine durchaus realistische Auffassung des Besitzes" entspreche. 104 Im gleichen Sinne wird bis heute geltend gemacht, dass der Begriff des Gewahrsams „tatsachennäher" sei und daher die Verrechtlichung des Besitzbegriffs nicht mitvollziehe. 105 Das Argument der Tatsächlichkeit vermag indessen für sich genommen noch nicht hinreichend die unterschiedliche Grenzziehung zwischen Besitz und Gewahrsam zu begründen. Denn wie oben gezeigt wurde, haben beide Herrschaftspositionen mit dem Kriterium der tatsächlichen Sachherrschaft unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung als sozialer Zuordnungsfunktion den gleichen Ausgangspunkt. Daher werden beide Begriffe auch von einem normativ-sozialen Element (mit-)bestimmt. Gleichwohl ist die strafrechtsautonome Bestimmung des Gewahrsamsbegriffs nicht nur legitim, sondern auch geboten, wie eine Gesamtschau verschiedener Auslegungsargumente bestätigt. Zunächst eröffnet der Wortlaut des § 242 S t G B einen Interpretationsspielraum, da er gerade nicht von Besitz, sondern in allgemeiner Form von der Wegnahme spricht, die ihrerseits der näheren Konkretisierung bedarf. Es kommt hinzu, dass die Entstehungsgeschichte des StGB wie auch des B G B belegt, dass der Gesetzgeber ebenfalls von einer Abkopplung des Gewahrsamsbegriffs von der zivilrechtlichen Besitzlage ausging. Der Wortlaut des § 2 4 2 StGB geht zurück auf § 2 1 5 des preußischen Strafgesetzbuches von 1851. In den Motiven zu dieser Vorschrift heißt es, dass nicht die Wortfassung „aus dem Besitz oder Gewahrsam" eines anderen, sondern lediglich die Formulierung „einem anderen wegnehmen" gewählt worden sei, weil daraus deutlich hervorgehe, dass der Bestohlene die Detention der Sache noch gehabt haben müsse, der Ausdruck „Gewahrsam" aber bei der Unklarheit der landrechtlichen Lehre vom Besitz möglichst zu vermeiden sei. 106 Ähnliche Überlegungen haben sich bei der Verabschiedung des B G B niedergeschlagen. Art. 33 des ursprünglichen Einführungsgesetzes zum B G B befasste sich mit der Anpassung des Strafgesetzbuches an das neue Zivilrecht. In der Reichstagskommission wurde seinerzeit beantragt, in Art. 33 E G B G B eine Vorschrift aufzunehmen, die die Worte „oder Gewahrsam" nach dem Wort „Besitz" in § 246 StGB streichen sollte. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Begriffe „Besitz und Gewahrsam" nach herrschender Ansicht nicht aus dem Landeszivilrecht zu substan104 Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, Band I, 2. Aufl. 1902, § 63 V. a. (S. 243). 105 Maurach/Schroeder/Maiwald, § 33, Rn. 12; zuletzt Eckstein, S. 94 f. 106 Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, Band II, 1852, S. 459; Lobe, Uber den Einfluss des Bürgerlichen Gesetzbuches auf das Strafrecht, 1898, S. 29.
B. Der strafrechtliche
Gewahrsamshegriff
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tiieren, sondern aus dem Strafgesetzbuch zu entwickeln seien, das beide Ausdrücke nebeneinander gebrauche, um den Tatbestand der Unterschlagung möglichst erschöpfend zu bestimmen; das Strafgesetzbuch aber fasse die tatsächliche Innehabung, das tatsächliche äußere, exklusive, die Möglichkeit voller Verfügungsgewalt gewährende Verhältnis zur Sache ins Auge. 107 Im Übrigen rechtfertigt sich die autonome Bestimmung des Gewahrsamsbegriffs aus der spezifischen Zwecksetzung des Strafrechts als besonders scharfer Sanktion des Rechtsstaats gegenüber individuellem Fehlverhalten. Zwar besteht seit langer Zeit Streit um die Existenz eines von anderen Rechtsgebieten, wie dem Zivilrecht, Verwaltungsrecht etc. unabhängigen, genuin strafrechtlichen Unrechts. 108 Es hat sich inzwischen jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass der Ursprung des Unrechts ein einheitlicher ist, der aber infolge der Arbeitsteilung und Fortentwicklung der Teilrechtsgebiete zu unterschiedlich differenzierten Ausformungen von Unrecht gelangen kann. 109 Innerhalb dieses Aufgabengefüges hat es das Strafrecht übernommen, sich nicht jedes Unrecht zu unterwerfen, sondern nur einen besonderen Sektor, nämlich die schwereren, unerträglichen Formen rechtswidrigen Verhaltens, die als materiell strafbedürftig angesehen werden. Diese Gruppe des Unrechts zieht das Strafrecht durch einen besonderen Typisierungsvorgang - durch Bildung von Tatbeständen mit anschließender Strafdrohung - in seinen Wirkungsbereich. Der Ausdruck „strafbares Unrecht" bezeichnet daher eine U n tergruppe des Unrechts, d.h. eine durch Einbeziehung in Straftatbestände besonders hervorgehobene Spezies des Unrechts. 1 1 0 U m diese qualifizierten Unrechtserscheinungen adäquat erfassen zu können, ist das Strafrecht nicht nur auf strengere Anforderungen an den Unrechtssachverhalt als in anderen Rechtsgebieten, sondern auch auf eine eigenständige Begriffstechnik angewiesen. 111 Daher muss nicht jede Besitzentziehung nach § 858 B G B zugleich ein Diebstahl sein und muss der zivilrechtliche Besitz nicht deckungsgleich mit dem strafrechtlichen Gewahrsam sein.
107 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, IX. Legislaturperiode, IV. Session 1895/97, 3. Anlagenband, Aktenstück Nr.440d, S. 2110; RGSt 37, 198 (201); Lobe, S. 29. 108 v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 1,1925, S. 28 m. w. N.; Maurach/Zipf Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 1992, § 2, Rn. 24. 109 Maurach/Zipf% 2,Rn.25. 110 Maurach/Zipf §2, Rn. 26. 111 Maurach/Zipf § 2, Rn. 28 ff., § 9, Rn. 19.
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Teil 1: Grundlagen
• 1. Kapitel: Begriff des Besitzes
C. Der öffentlich-rechtliche
Zustandsstörer
Der wichtigste Bereich des öffentlichen Rechts, in dem der Besitz eine Rolle spielt, ist das Sicherheits- und Polizeirecht. 1 1 2 Adressat von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ist regelmäßig der Störer, dessen Verantwortlichkeit sich grundsätzlich aus seinem Verhalten oder aus dem Einstehen für einen Zustand ergibt. Die Zustandsverantwortlichkeit, wie sie in § 5 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 des Musterentwurfs für ein Polizeigesetz (MEPolG) und beispielsweise auch in Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BayPAG, Art. 9 Abs. 2 S. 1 , 2 B a y L S t V G geregelt ist, knüpft in erster Linie an die Innehabung der tatsächlichen Gewalt über eine störende Sache an. Der Grund für diese Regelung liegt darin, dass der Inhaber der tatsächlichen Gewalt die Sache und die von ihr ausgehenden Gefahren selbst beherrschen kann; dieser Sachherrschaft korrespondiert die Pflicht zur Gefahrvermeidung. Zudem sollen der Polizei langwierige Ermittlungen bezüglich der Eigentumsverhältnisse erspart werden, da das Sicherheitsrecht als Recht der Gefahrenabwehr auf schnelles und effektives Handeln ausgerichtet ist. 113 Dieser Gesetzeszweck erklärt, dass unter dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt nicht nur der unmittelbare Besitzer des bürgerlichen Rechts, sondern auch der Besitzdiener nach § 855 B G B verstanden wird. 1 1 4 Das für die Besitzdienerschaft konstitutive Element der Weisungsgebundenheit ist nicht in gleicher Weise offenkundig wie die tatsächliche Sachherrschaft und kann daher für die Gefahrenabwehr nicht maßgeblich sein. Aus dem gleichen Grunde spielt es keine Rolle, ob die tatsächliche Sachherrschaft rechtmäßig besteht oder erlangt worden ist. 1 1 5 Dieser Aspekt wirkt sich erst auf der Ebene des Auswahlermessens der Behörde bei gleichzeitiger Zustandsverantwortlichkeit mehrerer Personen aus. Übt der Inhaber die tatsächliche Gewalt ohne den Willen des Eigentümers oder sonstige Berechtigte aus, wie dies etwa bei Dieb-
112 Daneben kennt das Abfallrecht einen eigenständigen Besitzbegriff. Nach § 3 Abs. 6 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes ist Besitzer von Abfällen im Sinne dieses Gesetzes jede natürliche oder juristische Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über Abfälle hat. Der entscheidende Unterschied zum zivilrechtlichen Besitzbegriff besteht darin, dass hier im Interesse eines effektiven Verwaltungszugriffs kein Besitzbegründungswille vorausgesetzt wird (vgl. v. Lersner/Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, Band I, §3 KrW-/AbfG, Rn. 43). Bemerkenswerterweise sehen Teile des Landesabfallrechts eine Unterscheidung von „Besitzerinnen" und „Besitzern" vor, vgl. §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 2 und § 7 des Abfallwirtschaftsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein. 113 Gusy, Rn.279. 114 OVG Münster, DVB1 1977, 257; Drews/Wacke/Vogel/Martens, % 21 3 a; Götz, Rn. 218; Honnacker/Beinhofer, Art. 8, Anm. 5; Denninger, in: Lisken/Denninger, Abschnitt E, Rn. 99. 115 OVG Münster, DVB1 1977, 257; Berner/Köhler, Art. 8, Rn.4; Denninger, in: Lisken/ Denninger, Abschnitt E, Rn. 99.
C. Der öffentlich-rechtliche
Zustandsstörer
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stahl, Unterschlagung oder verbotener Eigenmacht der Fall ist, so ist er allein verantwortlich, Art. 8 Abs. 2 S. 2 BayPAG. 1 1 6 Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass der Betreffende die tatsächliche Sachherrschaft bereits und immer noch ausübt. 117 Daher reicht das Recht zum Besitz allein nicht aus, sofern der Berechtigte die Sache nicht tatsächlich in Besitz genommen und somit noch keine Sachherrschaft begründet hat. 118 Auch der Erbenbesitzer ist entgegen § 857 BGB erst dann Gewaltinhaber, wenn er die Sachherrschaft tatsächlich erlangt hat. 119 Gleiches gilt für die Fälle des mittelbaren Besitzes nach § 868 BGB. 120 Allerdings gilt insoweit eine Erweiterung für den mittelbaren Besitzer, der nicht zugleich Eigentümer der Sache ist. Anders als nach Art. 9 Abs. 2 LStVG ist nach Art. 8 Abs. 2 PAG außer dem Eigentümer auch jeder andere Berechtigte Zustandsstörer neben dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt. Der nicht mit dem Eigentümer identische Untervermieter kann daher von der Polizei auch herangezogen werden, wenn er nicht Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist. Den Sicherheitsbehörden ist ein solcher Zugriff auf den allein schuldrechtlich Berechtigten dagegen verwehrt. 121 Der Umstand, dass die praktische Bedeutung dieses Unterschiedes gering ausfällt, weil die Inanspruchnahme eines schuldrechtlich Berechtigten nur sinnvoll ist, wenn er auf die Sache einwirken kann, 122 ändert nichts daran, dass damit auch mittelbare Besitzer im Sinne des § 868 BGB polizeipflichtig sein können. Formal liegt darin zwar keine Ausdehnung des Begriffs der tatsächlichen Gewalt, da die besondere polizeirechtliche Verantwortlichkeit an den Begriff des sonstigen Berechtigten anknüpft. Der Sache nach wird jedoch die eigentumsunabhängige Zustandsverantwortlichkeit über den Bereich der tatsächlichen Sachherrschaft ausgedehnt.
116 117 118 119 120 121 122
Vgl. OVG Hamburg, DöV 1992, 269; Drews/Wacke/WogeU Martens,% 21 3 a. V G H Baden-Württemberg, DVB1 1990, 1046 (1047). OVG Münster, DVB11977, 257. Schenke, in: Steiner (Hrsg.), II D, Rn. 181. Vgl. OVG Münster, DVB1 1977, 257. Gallwas/Möfile, Rn. 482. Gallwas/Mößle, Rn.482.
2. Kapitel
Die Regelungsstruktur des kodifizierten Rechts des Besitzes im Bürgerlichen Recht
A. Der Besitz als Bestandteil anderer
Rechtsinstitute
Der Besitz ist in vielfältigster Weise Regelungsgegenstand und Anknüpfungspunkt für Rechtsfolgen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Zur Systematisierung der verschiedenen Erscheinungsformen und Ausprägungen ist es heute üblich, einzelne Besitzfunktionen zu unterscheiden. An erster Stelle steht dabei im Allgemeinen die Schutzfunktion des Besitzes, worunter die Normen des possessorischen Besitzschutzes zusammengefasst werden. Der Besitzer hat danach bei verbotener Eigenmacht das Recht der Selbsthilfe, § 859 BGB, und kann bei unfreiwilligem Besitzverlust die Herausgabe der Sache verlangen, § 861 Abs. 1 BGB. Bei Störungen seines Besitzes ist er berechtigt, die Beseitigung der Störung und Unterlassung weiterer Eingriffe geltend zu machen, § 862 Abs. 2 BGB. Daneben kommt dem Besitz bei beweglichen Sachen in vielen Regelungen die Aufgabe zu, Rechtsbeziehungen oder -handlungen offenzulegen, während bei Grundstücken diese Aufgabe, abgesehen von dem Sonderfall des § 920 Abs. 1 BGB, vom Grundbuch erfüllt wird. Diese Publizitäts- oder Zeichenfunktion drückt sich etwa in den verschiedenen Vermutungswirkungen aus, die an den Besitz geknüpft sind. So wird nach § 1006 Abs. 1 B G B vermutet, dass der Besitzer zugleich ihr Eigentümer ist. Abweichend hiervon wird bei Ehegatten nach § 1362 Abs. 1 S. 1 B G B das Eigentum des Schuldners vermutet, um den Vollstreckungszugriff der Gläubiger zu erleichtern. Ist der Hypothekengläubiger im Besitz des Hypothekenbriefes, so wird nach § 1117 Abs. 3 B G B vermutet, dass die für den Erwerb der Hypothek erforderliche Ubergabe des Briefes erfolgt ist. Befindet sich die Pfandsache im Besitz des Verpfänders oder des Eigentümers, so wird nach § 1253 Abs. 2 S. 1 B G B vermutet, dass das Pfand ihm von dem Pfandgläubiger zurückgegeben worden ist, so dass das Pfandrecht nach § 1253 Abs. 1 S. 1 B G B erloschen ist. Daneben zeigt sich die Publizitätsfunktion in der Besitzanknüpfung bei Änderungen der dinglichen Rechtslage. So erfordert die Ubereignung nach § 929 S. 1 BGB grundsätzlich neben der dinglichen Einigung die Übergabe der Sache. Originärer Eigentumserwerb durch Aneignung setzt
A. Der Besitz als Bestandteil anderer
Rechtsinstitute
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nach § 958 Abs. 1 B G B die Begründung von Eigenbesitz voraus, während umgekehrt die Dereliktion gemäß § 959 B G B die Besitzaufgabe verlangt. Für die Begründung und zum Teil auch für das Erlöschen beschränkter dinglicher Rechte ist eine Änderung der Besitzlage konstitutiv, §§ 1032, 1205, 1253 Abs. 1 B G B . Schließlich ist der Besitz der Rechtsscheinstatbestand für den gutgläubigen Erwerb dinglicher Rechte an beweglichen Sachen, §§ 932 ff., 1032 S. 2,1207 B G B . Im Anschluss an Heck wird heute neben der Schutz-und der Publizitätsfunktion verbreitet auch eine Kontinuitäts- oder Erhaltungsfunktion des Besitzes ausgemacht.1 Heck selbst sprach allerdings plastischer von den Rechtswirkungen des „materiellen Besitzervorzugs", die er den Kontinuitätsinteressen des Besitzers als dogmatische Grundlage des possessorischen Besitzschutzes zuordnete. 2 Als Ausdruck dieser Funktion werden so heterogene Normkomplexe wie die Sukzessionsregelungen der §§ 986 Abs. 2, 571 B G B , das Schutzrecht zugunsten der Mieter von Wohnraum, das Ablösungsrecht des Besitzers nach § 268 Abs. 1 S. 2 B G B sowie die Fahrnisersitzung, §§ 937 ff. B G B , angeführt. Die Einteilung in derartige Funktionskategorien ist nicht unproblematisch. Mit jeder der genannten Funktionen werden im Grunde nur Rechtswirkungen beschrieben, deren Voraussetzung in der ein oder anderen Form der Besitz ist. Inwieweit der Besitz selbst die Grundlage einer Zwecksetzung im Hinblick auf diese Rechtswirkung darstellt, lässt sich jedoch nicht für alle Normkomplexe einheitlich beantworten. Nimmt man etwa die für die Erhaltungs- bzw. Kontinuitätsfunktion angeführten Fälle, so zeigt sich, dass die hinter der Gewährleistung des gegenwärtigen Besitzstandes stehenden Ziele höchst unterschiedlicher Natur sind. Sie reichen von der Sicherung des Rechtsfriedens und des Verkehrsschutzes bei der Ersitzung über soziale Schutzzwecke im Mietrecht bis zu einer bewussten punktuellen Verstärkung obligatorischer Rechtsstellungen wie in §§ 986 Abs. 2, 566 BGB. 3 Ihre Gemeinsamkeit liegt allein in der Rechtswirkung, dem bereits Besitzenden einen Vorteil zu verschaffen - beati possidentes. Auch die im possessorischen Besitzschutz erkannte Schutzfunktion des Besitzes führt in die Irre. Es ist nicht die Funktion des Besitzes, geschützt zu sein.4 Welche innere Rechtfertigung den Besitzschutz trägt, ist eine ganz andere Frage. 5 Andererseits erfasst die Publizitätsfunktion die Zwecksetzung des Besitzes durchaus zutreffend, soweit es um die Vermutungswirkung im Hinblick auf ein mit der Sachherr1 MünchKomm/Joost, vor §854, Rn. 13; Baur/Stürner, §6, Rn. 3 ff.; Schwab/Prutting, Rn. 47; M. Wolf, Rn. 164; Kollhosser, JuS 1992, 215; vgl. auch Hedinger, S. 70 ff. 2 Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 4 (S. 14 f.); dazu im Einzelnen unten, 2. Kapitel, B. II. 1. c, 2. c (S. 36, 39). 3 Dazu unten, Teil 2, 4. Kapitel, A. III. 3. c (S. 284 ff.). 4 So treffend Brehm/Berger, Rn. 2.4. 5 Dazu im Folgenden unter B. II. (S. 32 ff.).
30
Teil 1: Grundlagen
• 2. Kapitel: Die Regelungsstruktur
des kodifizierten
Rechts
schaft typischerweise verbundenes Recht geht. Dagegen ist die an das Traditionsprinzip anknüpfende Publizitätsfunktion bei der Ubereignung in ihrer Uberzeugungskraft maßgeblich von dem inhaltlichen Vorverständnis des Traditionsprinzips selbst abhängig. Sieht man mit der bis heute ganz überwiegenden Auffassung den Sinn des Übergabeerfordernisses darin, dingliche Rechtsveränderungen nach außen hin sichtbar zu machen, so ist es folgerichtig, dem Besitz die Aufgabe der Kundbarmachung wie dem Register bei Grundstücken zuzuerkennen. Eine in jüngster Zeit im Vordringen begriffene Meinung deutet das Erfordernis der Ubergabe dagegen in enger Anlehnung an die Entstehungsgeschichte des B G B auf anderer Grundlage und differenzierend nach der Art des Erwerbs. Soweit es um den Erwerb vom Berechtigten geht, wird die Ubergabe als Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Vollzugsaktes gesehen, da das Gesetz der Rechtsgestaltung durch bloße Willensäußerung misstraue. Beim Erwerb vom Nichtberechtigten komme der Ubergabe dagegen die Aufgabe zu, das Risiko des Rechtsverlustes für den Berechtigten zu reduzieren. 6 Nach alledem erscheint es nicht sachgerecht, dem Besitz als solchem bestimmte Funktionen als feste Größen zuzuordnen. Die jeweils mit der Verknüpfung von Sachherrschaft verbundene Zielsetzung kann nur aus der betreffenden Regelung selbst ermittelt werden. Der Aufbau des Gesetzes legt eine andere Einteilung des objektiven Besitzrechts nahe. Der Besitz ist einerseits als eigenständiges Regelungsobjekt in den § 854 ff. B G B sozusagen als „Allgemeiner Teil" des Besitzrechts vor die Klammer gezogen und andererseits als Tatbestandselement in einer Fülle anderer Rechtsinstitute über das Gesetz verstreut. Diese Sichtweise entspricht auch den Vorstellungen der Gesetzesverfasser. 7 So wird in den Motiven darauf hingewiesen, dass der erste Teil des Entwurfs über die Besitzvorschriften feststelle, was Besitz sei, um dadurch eine häufig vorkommende Voraussetzung von Rechtsnormen in anderen Abschnitten zu bestimmen; der gesetzgeberische Grund für Vorschriften, welche eine Definition oder den Ersatz einer solchen enthalten, sei in den weiteren Rechtsnormen zu suchen, welche die Definition verwerten, also bei dem Besitz in den Eigentumsnormen. 8 Die Vorschriften über den Besitzschutz im zweiten Teil des betreffenden Abschnitts wurden dagegen als selbständige Rechtsnormen angesehen. 9
6 In diesem Sinne mit beachtlichen Argumenten Brehm/Berger, Rn. 26.11 ff.; Staudinger/ Wiegand, vor § 929, Rn. 21 f., 26. 7 A. A. Ernst, Eigenbesitz, S. 25 f., dazu oben, 1. Kapitel, A. I. (S. 9 ff.). 8 Motive, Band III, S. 78 (= Mugdan, Band III, S. 43). 9 Motive, Band III, S. 79 (= Mugdan, Band III, S. 43).
B. Der Besitz als autonomes
Regelungsobjekt,
§§ 854 f f . BGB
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B. Der Besitz als autonomes Regelungsobjekt, §§ 854 f f . BGB I. Überblick Das Gesetz geht im ersten Abschnitt des dritten Buches zunächst vom unmittelbaren Besitz aus und regelt dessen Erwerb und Verlust, §§ 854, 856 B G B . Dem unmittelbaren Besitzer wird der Besitzdiener gegenübergestellt, § 855 B G B . Daneben wird gesondert der Ubergang des Besitzes auf den Erben statuiert, § 857 B G B . Damit ist bereits die Kernregelung des unmittelbaren Besitzes abgeschlossen und es schließt sich in den §§ 858 - 867 B G B der Komplex des possessorischen Besitzschutzes an. Dabei wird zunächst in § 858 B G B der einheitliche Grundtatbestand der verbotenen Eigenmacht definiert, aus dem sich dann die Selbsthilferechte der §§ 859, 860 B G B sowie die Ansprüche wegen Besitzentziehung und -Störung ergeben, §§ 861, 862 B G B , die ihrerseits begrenzt sind, §§ 863, 864 B G B . Es folgen Sonderregelungen des Besitzschutzes für den Fall, dass eine Mehrheit von Personen in einer Besitzbeziehung zu derselben Sache steht, §§ 865, 866 B G B . Der Besitzschutz wird ergänzt durch das Recht zur Abholung einer Sache auf fremdem Grundstück, soweit noch kein Besitz begründet wurde, § 867 B G B . Der mittelbare Besitz wird dann in den §§ 868 - 871 B G B erfasst, wobei das Ziel der Erstreckung des Besitzschutzes auf den mittelbaren Besitzer im Vordergrund steht, § 869 B G B . Die abschließende Regelung des Eigenbesitzes in § 872 B G B ist dagegen für die Besitzbestimmungen der §§ 854 ff. B G B und den Besitzschutz irrelevant. Seine Stellung im „Allgemeinen Teil" des Besitzrechts rechtfertigt sich allein dadurch, dass der Eigenbesitz in einer Reihe anderweitiger Rechtsinstitute vorausgesetzt wird, wie etwa bei der Ersitzung, §§ 900, 927, 937 ff., beim Fruchterwerb, § 955 B G B , bei der Aneignung, § 958 B G B , oder bei der Haftung für Gebäudeeinsturz, § 836 Abs. 3 B G B . Die §§ 854 ff. B G B gehen durchweg vom Besitz an Sachen aus. Der noch im gemeinen Recht, in einigen Partikularrechten und im österreichischen A B G B 1 0 bekannte Rechtsbesitz, der dem Inhaber eines dauerhaft ausübbaren Rechts zugesprochen wird, ist von den Verfassern des B G B bewusst abgelehnt worden. Der durch die Anerkennung eines Rechtsbesitzes zu erzielende Vorteil bestünde allein in der Erstreckung des Besitzschutzes auf den Rechtsinhaber. Man ging jedoch davon aus, dass sich allgemeine, auf alle Arten von Rechten passende Regeln darüber, wie die Ausübung des Rechts gestaltet sein müsse, um den Ausübenden vor der Geltendmachung und dem Beweis seines Rechts einen vorläufigen Schutz in der weiteren Ausübung zu gewähren, 10 Z. B. in Teil 2, 5. Kap., §§ 1, 4, 11; 1. Kap. § 9 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis; I 7 § § 4 , 5 ALR, §§311, 312 S. 2, 313 A B G B ; einschränkend schon §71 des Preußischen B G B Entwurfs von 1842; auch im Sächsischen B G B (§§512, 530 ff., 559 ff.) und im Hessischen Entwurf (II 2, Art. 28, 29) war der Rechtsbesitz bereits auf Dienstbarkeiten beschränkt.
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nicht aufstellen lassen. Zudem sah man keine praktische Notwendigkeit für einen eigenständigen Rechtsbesitz, da in den wichtigsten Fällen, wie etwa bei Miete, Pacht und Gebrauchsleihe, mit der Rechtsinhabung ohnehin zugleich Sachherrschaft verbunden ist.11 Danach ließ man es bei einer Erstreckung der Besitzschutzregeln auf den Besitzer bei Grunddienstbarkeiten und beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten nach §§ 1029,1090 Abs. 2 B G B bewenden.12 Eine eigenständige besitzrechtliche Regelung ist im Grunde auch der Herausgabeanspruch des früheren Besitzers nach § 1007 BGB. Auf diese Vorschrift wird wegen ihrer Besonderheiten allerdings gesondert zurückzukommen sein.13
II. Zum Rechtsgrund §§858ff. BGB
der
Besitzschutzrechte,
Der Schlüssel zum Verständnis des objektiven Rechts des Besitzes ist die Antwort auf die Frage nach der inneren Rechtfertigung des Besitzschutzes. Aus welchem Grunde gewährt die Rechtsordnung dem Besitzer - unabhängig von einem Recht zum Besitz und damit sogar gegenüber dem besser besitzberechtigten Eigentümer - das Recht, sich verbotener Eigenmacht zu erwehren, § 859 BGB, die Beseitigung von Besitzstörungen, § 862 BGB, und die Wiedereinräumung des entzogenen Besitzes, § 861 BGB, zu verlangen? Jhering14 hat sich als erster bemüht, die hierzu vertretenen Auffassungen zu systematisieren. Er unterscheidet dabei nach absoluten Theorien, die den Grund des Besitzschutzes in diesem selbst erblicken und nach relativen Theorien, die den Grund des Schutzes in Einrichtungen, Rechtsprinzipien und
Motive, Band III, S. 120 (= Mugdan, Band III, S. 67). Vgl. dazu zuletzt Beermann, Besitzschutz bei beschränkten dinglichen Rechten, 2000. Der Ansatz Pawlowskis (Der Rechtsbesitz, S. 11, 54 f., 69 ff., 73 ff.), den Rechtsbesitz als Betätigung eines dem betreffenden Recht entsprechenden Willens neben der Sachherrschaft anzuerkennen, hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Neben dem Sachbesitz kommt ihm keine eigenständige Bedeutung zu. Als allgemeine Rechtsfigur lässt sich der Rechtsbesitz mit dem geltenden Recht nicht vereinbaren, denn er würde zur Anwendung der possessorischen Ansprüche auch bei berechtigter Leistungseinstellung des Schuldners führen (vgl. Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen, S. 5 ff.). Immaterialgüterrechte sind dagegen zwar zum Teil in ihrem Bestand und Schutzumfang von ihrer Benutzung und damit von der Ausübung des Rechts abhängig. Die Rechtsbeziehung des Berechtigten zu diesen Rechten statt als Inhaberschaft als Rechtsbesitz zu begreifen, wie dies Pawlowski (a.a.O., S. 73 ff.) vorschlägt, erscheint jedoch unnötig kompliziert; zurückhaltend auch Staudinger/Bund, vor §§ 854 ff., Rn. 50. 13 Dazu im Einzelnen unten, Teil 2, 2. Kapitel (S. 175 ff.). 14 Jhering, JherJb 9 (1868), 1 (5 f.). Eine, allerdings nicht kategorisierende, Übersicht über den damaligen Streitstand gibt auch Randa, Der Besitz nach österreichischem Rechte, 1865, § 8, S. 82 ff. 11
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Rücksichten allgemeiner Art außerhalb des Besitzes suchen. 15 Zwar lassen sich gegen diese wie gegen jede andere Einteilung an irgendeiner Stelle Einwendungen erheben, doch sollte trotz der disparaten Meinungen nicht völlig auf den Versuch verzichtet werden, Klarheit über die Motivation des Besitzschutzes zu erlangen. 16 Dies schon deshalb, weil die Fundierung der Besitzschutzansprüche für die Frage nach der Rechtsnatur des Besitzes wichtige Indizien liefert. 17 Das Meinungsbild lässt sich auf vier verschiedene Erklärungsansätze zurückführen, die im Folgenden dargestellt und diskutiert werden. Dabei soll sich die Erörterung entsprechend dem Gegenstand der vorliegenden Arbeit am Bezugsrahmen des gegenwärtigen bürgerlichen Rechts orientieren. Es liegt in der Natur der Diskussion um den inneren Grund des Besitzschutzes, die letztlich so lange geführt wird, wie schon über die Rechtsnatur des Besitzes als solchen gestritten wird, dass Theorien aus unterschiedlichen Epochen von unterschiedlichen Rechtsgrundlagen geprägt sind. Eine auf das gegenwärtige Recht bezogene Betrachtung muss daher jeweils fragen, ob und inwieweit sich der vorgeschlagene Ansatz in die Systematik des gegenwärtigen Rechts widerspruchsfrei einfügen lässt.
1. Die einzelnen
Grundpositionen
a) Schutz des Eigentums Einer ersten Gruppe lassen sich diejenigen Theorien zuordnen, die den Grund des Besitzschutzes im Kern am Schutz des zu vermutenden oder sich entwickelnden Eigentums festmachen. Da der Besitz die Vermutung des Eigentums in sich trage, werde mit dem Besitz das vermutete Eigentum geschützt. 18 Eng verwandt ist hiermit die Vorstellung vom Besitzschutz als notwendiger Ergänzung des Eigentumsschutzes. 19 U m zu verhindern, dass der Eigentümer bei jeder Besitzstörung sogleich sein Eigentum beweisen muss, werde schon der bloße Besitz geschützt; zugleich werde der Gegenbeweis, der Besitzer sei nicht Eigentümer, ausgeschlossen. Dass dadurch der Besitzschutz auch dem Nichteigentümer zugute kommen kann, müsse im Interesse des Ei-
Jhering, JherJb 9 (1868), 1 (4). So jedoch z.B. Bekker, KritV 1876, 1 (22ff.), der die Einordnung dahingestellt sein lässt, da die Frage, warum der Besitz geschützt sei, als eine „Anomalie" erscheine. 17 Siehe dazu unten, 3. Kapitel, B. II. 4. (S. 62 ff.). 18 Hufeland, Uber den eigenthümlichen Geist des Römischen Rechts II, 1816, S. 43; Tigerström, Uber den Rechtsgrund der sg. Possessorischen Interdicte, AcP 22 (1839), 31 (38 f.). 19 /¿ering, JherJb 9 (1868), 1 (45 ff.); Baron, Pandekten, 9. Aufl. 1896, § 112 II 2 a, S. 219 f.; Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Band 2, 1. Halbband, Fn. 2, S. 2 f.; Wieser, JuS 1970, 557 (559 f.). 15
16
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gentumsschutzes hingenommen werden.20 Auf der gleichen Linie liegt die Auffassung, die in dem Besitzschutz das anfangende Eigentum geschützt sieht.21 Da der Besitz Grundlage der Möglichkeit einer Ersitzung (usucapio) sei, werde das zukünftige, sich aufgrund des Besitzes erst entwickelnde Eigentum bereits jetzt geschützt. h) Schutz der
Persönlichkeit
Ein völlig anderer Ansatz besteht darin, den Besitzschutz als Schutz der Persönlichkeit des Besitzers zu begreifen. Dieser Gedanke findet sich erstmals prägnant formuliert bei Savigny: „Dieser Grund nun liegt in der Verbindung jenes factischen Zustandes mit der besitzenden Person, durch deren Unverletzlichkeit er gegen diejenigen Arten der Verletzung mit gedeckt wird, durch welche stets zugleich die Person berührt werden würde. Die Person nämlich soll schlechthin sicher sein gegen jede G e w a l t ; . . . " 2 2
Savigny betrachtet dann zwei Fälle möglicher Gewalt, nämlich zum einen die Gewalt lediglich gegen die Person und zum anderen die Gewalt gegen eine Person und zugleich gegen ein dieser Person zustehendes Recht, z.B. das Eigentum, und fährt dann fort: „In der Mitte zwischen diesen äussersten Fällen liegt der Fall, da die der Person zugefügte Gewalt zugleich einen Besitz stört oder entzieht. Ein selbständiges Recht ist in diesem Fall nicht neben der Person verletzt, aber in dem Zustand der Person ist doch etwas verändert zu ihrem Nachtheil, und soll das Unrecht, welches in der Gewalt gegen die Person liegt, in seinen Folgen gänzlich ausgetilgt werden, so kann dieses nur geschehen durch die Herstellung oder Beschützung jenes factischen Zustandes, worauf sich die G e walt erstreckt hat. Dieses ist der wahre Grund der possessorischen Klagen, . . , " 2 3
Mit dieser Verankerung des Besitzschutzes in der Persönlichkeit des Besitzers greift Savigny auf das Freiheitsideal Kants zurück, wie es in der Metaphysik der Sitten entwickelt wurde. Kant begreift Recht als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür der andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann." 24 Diese Freiheit, im Sinne der Unabhängigkeit von der nötigenden Willkür eines anderen, sieht Kant als jedem Menschen angeborenes, aufgrund seiner Ei-
Jhering, JherJb 9 (1868), 1 (55). Tigerström, Die bonae fidei possessio oder das Recht des Besitzes, 1836 , S. 12 ff., 112 ff. 22 Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl., S. 55 f. Gleichwohl stand Savigny dem Gedanken eines umfassenden Persönlichkeitsrechts als „Urrecht" auf sich selbst, das den Menschen ob der Geburt für sein ganzes Leben begleite, schroff ablehnend gegenüber, vgl. System des heutigen römischen Rechts, Band I, 1840, S. 335. 23 Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl., S. 56; vgl. auch a.a.O. S. 62. 24 Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2. Aufl. 1798, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 33. 20 21
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genschaft als Mensch ihm zukommendes Recht an.25 In dieses Recht werde eingegriffen, wenn dem Besitzer der Besitz entzogen wird: „Ich kann einen Gegenstand im Räume (eine körperliche Sache) nicht mein nennen, außer wenn, obgleich ich nicht im physischen Besitz desselben bin, ich dennoch in einem anderen wirklichen (also nicht physischen) Besitz desselben zu sein behaupten darf. - So werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe (physisch besitze), sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sei, gelegt habe; imgleichen werde ich von dem Boden, auf den ich mich gelagert habe, nicht sagen können, er sei darum mein; sondern nur, wenn ich behaupten darf, er sei immer noch in meinem Besitz, ob ich gleich diesen Platz verlassen habe. Denn der, welcher mir im erstem Falle (des empirischen Besitzes) den Apfel aus der Hand winden, oder mich von meiner Lagerstätte wegschleppen wollte, würde mich zwar freilich in Ansehung des inneren Meinen (der Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädieren, wenn ich nicht, auch ohne Inhabung, mich im Besitz des Gegenstandes zu sein behaupten könnte; ich könnte also diese Gegenstände (den Apfel und das Lager) auch nicht mein nennen." 2 6
Durch das Entwinden des Apfels wird also das „innere Mein" des Besitzer „lädiert", seine Freiheit und damit seine Person verletzt. Zwar beschäftigt sich Kant nicht ausdrücklich und unmittelbar mit dem Besitzschutz. Auf der Grundlage seines Freiheitsbegriffs erscheinen Besitzstörung und -entzug jedoch unmittelbar als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, Besitzschutz damit zugleich als Schutz der Persönlichkeit des Besitzers. Im Anschluss an Savigny ist die Deutung des Besitzschutzes aus dem Schutz der Persönlichkeit - trotz zum Teil scharfer Kontroversen über Detailfragen - im Grunde von einer Vielzahl von Autoren des neunzehnten Jahrhunderts übernommen worden.27 So stellt Pucbta fest, dass „der Besitzer, der in seinem Besitz als solchem geschützt seyn will, ... sein Verlangen nicht auf sein Eigenthum oder sonstiges Recht an der Sache" gründet, „sondern auf seine Persönlichkeit, die in dem Besitz thätig geworden ist". 28 Bruns sieht „gerade erst im Schutze des Besitzes ... die Persönlichkeit und Freiheit des Menschen zur vollen rechtlichen Anerkennung" kommen. 29 Gans betont, dass der sich im Besitz manifestierende „Wille schon an sich ein Substantielles, zu
Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2. Aufl. 1798, Einteilung der Rechtslehre, B., S. 45. Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2. Aufl. 1798, 1. Teil, Das Privatrecht, § 4, S. 59 f. 27 Dabei wird freilich nicht übersehen, dass seinerzeit unter dem Begriff „Recht der Persönlichkeit" zum Teil nur die Fähigkeit des Menschen, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, also die Rechtsfähigkeit, verstanden wurde. Die Abgrenzung und begriffliche Trennung von einem umfassenden Persönlichkeitsrecht ist allerdings bei vielen Autoren fließend und auch umstritten und kann hier nicht vertieft werden, vgl. dazu Leuze, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert, 1962, S. 46 ff., 115 ff.; Scheybing, AcP 158 (1959/ 1960), 503 (518); j eweils m. w. N. 28 Pucbta, Pandekten, 3. Aufl. 1845, § 122, S. 172. 29 Bruns, Das Recht des Besitzes im Mittelalter und in der Gegenwart, 1848, 3 58, S. 492. 25 26
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Schützendes ist": 30 „Das was die Person ergreift und mit ihrem Willen hat, besitzt sie. Der Besitz ist somit nichts, als das erste auf die Außenwelt ausgedehnte Recht der Persönlichkeit." 31 Trotz breiter Zustimmung32 konnte sich die Vorstellung vom Besitzschutz als Persönlichkeitsschutz letztlich nicht durchsetzen und wird heute in dieser Form wohl nur noch von Wieling33 vertreten. Eine Variante hierzu stellt die Deutung des Besitzschutzes als Schutz der Autonomie der Person nach Wilhelm dar. Auch er geht von der Rechtfertigung des Besitzschutzes aus der Sicht des Besitzers im Sinne Savignys aus. Allerdings warnt Wilhelm davor, diese Begründung mit der Verletzung der Person als Persönlichkeitsverletzung misszuverstehen. Stattdessen gehe es um den Schutz der „Autonomie der Person in den Grenzen des Rechts im Bereich der tatsächlichen Beherrschung von Sachen". 34 c) Schutz der
Kontinuität
Andere Autoren rücken den Gedanken der Kontinuität der Lebensverhältnisse in den Mittelpunkt des Besitzschutzes.35 Nach Stahl beabsichtige das Rechtsinstitut des Besitzes „den faktischen Zustand zu Sachen zu konservieren". 36 Die Kontinuität werde ohne Rücksicht darauf, ob ein definiertes Recht vorliegt, als ein Gut anerkannt. Es könne notwendig sein, dieses Interesse vor schwerer wiegenden zurücktreten zu lassen; der rechtlose Besitzer muss schließlich dem Eigentümer weichen. Aber der Eingriff in die Kontinuität sei immer eine Interessenschädigung, ein Verlust an Lebenswerten. Deshalb solle er vermieden werden, bis das Vorliegen eines besseren Rechts, eines überwiegenden Grundes durch Richterspruch festgestellt ist. Heck hat diese Vorstel-
E. Gans, System des römischen (Zivilrechts, 1827, S. 211. E. Gans, Uber die Grundlage des Besitzes, 1839, S. 54 f. 32 Koppe, Zur Lehre vom Besitz, 1839, S. 10 ff.; L. Höpfner, Die Besitzrechtsmittel und Besitzprocesse, 1841, S. 8 ff.; Randa, Der Besitz nach österreichischem Rechte, 1865, § 8, S. 86; Förster/Eccius, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts, Band III, 5. Aufl. 1887, S. 14 f.; Güller, Unfreiwilliger Besitzverlust und gutgläubiger Fahrniserwerb, Zürich 1924, S. 49 ff.; Planck/Brodmann, Anm. 6 vor § 854; R. Eberhardt, Wesen des Besitzes und Grund des Besitzschutzes, in: Mecklenburgische Zeitung für Rechtspflege, 51. Jg., 1935, 211 ff. 33 Wieling, in: FG f. v. Lübtow, 1980, S. 565 (577 f.); ders., Sachenrecht I, § 3 III b. 34 Wilhelm, Rn. 412 ff., 415. 35 Thihaut, System des Pandekten-Rechts, Band I, 6. Aufl., 1823, § 291, S. 224; Dernburg, Pandekten, Band I, 4. Aufl., 1884, § 170, S. 389; ders., Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, Band I, 1875, S. 314; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Band II/l, 4. Aufl. 1870, S. 395; Heck, Grundriß des Sachenrechts, S. 13 u. S. 487; Baur/Stürner, § 9, Rn. 9; zuletzt Amend, JuS 2001, 124 (125), sowie Härtung, S. 44 ff. 36 Stahl, S. 395. 30 31
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lung prägnant mit der Formulierung vom „Organisationswert des Besitzes" als geschützem Rechtsgut umschrieben. 37 d) Schutz des allgemeinen
Rechtsfriedens
Rechtsprechung 3 8 und überwiegende Meinung im Schrifttum 3 9 sehen in den Besitzschutzregelungen dagegen allein den Ausdruck eines allgemeinen Friedensschutzes. Zur Verhinderung des Faustrechts, und damit zum Schutze der öffentlichen Ordnung, müsse die Besitzstörung unterbunden und der Besitzentzug rückgängig gemacht werden können. Dies müsse außerdem unabhängig von der Rechtmäßigkeit des beeinträchtigten Besitzes gelten, da die Rechtsordnung es nicht hinnehmen könne, dass der besser besitzberechtigte Störer den mit der Besitzentziehung verfolgten Zweck erreiche. e) Kombination
von Friedens-
und
Kontinuitätstheorie
Weiter ist vorgeschlagen worden, die Friedenstheorie und die Kontinuitätstheorie zu verbinden. 40 Die Betonung des öffentlichen Interesses am Besitzschutz als Mittel zur Erhaltung des Rechtsfriedens sei zwar zutreffend; zu beachten sei aber, dass das private Interesse des Besitzers an der Erhaltung seines Besitzstandes als Triebkraft benutzt werde, da nicht den Organen der Allgemeinheit, sondern dem verletzten Besitzer die Entscheidung über die Geltendmachung der Besitzrechte vorbehalten sei. 41 Dass das Gesetz jedenfalls in anderem Zusammenhang auch das Kontinuitätsinteresse des Besitzers schüt-
Heck, Grundriß des Sachenrechts, 2. Aufl. 1930, S. 13. BGH, NJW 1979, 1359 (1360); in BGHZ 147, 45 (52) = N J W 2001, 1865 (1867) wird freilich en passant von „der auf dem Besitz beruhenden vorläufigen Güterzuordnung" gesprochen, worin sich der soeben geschilderte Kontinuitätsgedanke widerzuspiegeln scheint. 39 Rudorff, ZfgRW 7 (1831), 90 (108 ff.); Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band III, 1905, §342 I 2, S. 13; Sokolowski, Der Besitz, 1907, S.237f.; Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, 1951, S. 13; Wolff/Raiser, §17 vor I; Oppermann, S.21 f.; J. V. Gierke, Das Sachenrecht des bürgerlichen Rechts, 4. Aufl., 1959, § 9 1 2 , S. 22; Pawlowski, Der Rechtsbesitz, S. 16; L. Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht, in: Summum ius summa iniuria, 1963, S. 145 (154); Medicus, AcP 165 (1965), 115 (119); MünchKomm/'Joost, vor § 854, Rn. 15 f.; Schreiber, Rn. 32. Im gleichen Sinne auch die Denkschrift des Reichsjustizamtes, S. 106 (Mugdan III, S. 962). Schon ]. W. v. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 12. Buch (Hamburger Ausgabe, Band 9, Sonderausgabe 1998, S. 526), bemerkte hierzu: „Dem Staate liegt nur daran, dass der Besitz gewiß und sicher sei; ob man mit Recht besitze, kann ihn wenig kümmern." 40 Staudinger/Bund, Vor §§ 854 ff., Rn. 19; Soergel/Mühl, Vor § 854, Rn. 13; Westermann/ Gursky, § 8, 3a; K. Müller, Rn. 88. 41 Westermann/Gursky, § 8, 3a. 37
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ze, zeigten zudem das sogenannte Ablösungsrecht des Besitzers (§ 268 Abs. 1 S. 2 BGB) und die Möglichkeit der Ersitzung (§§ 937 ff. BGB). 42
2. Würdigung a)
Eigentumsschutz
Gegen die Auffassung, durch den Besitzschutz werde das vermutete Eigentum gesichert, ist schon f r ü h eingewandt worden, dass sich diese These nicht mit dem Umstand vereinbaren lässt, dass der Besitzschutz auch dem Dieb gegenüber dem Eigentümer zusteht. 4 3 Es kommt hinzu, dass der Besitzschutz seine Aufgabe als Schutz vor der probatio diabolica unter der Geltung des BGB eingebüßt hat. Nach gemeinem Recht musste der Kläger bei bestrittenem Eigentumsrecht grundsätzlich den Beweis des ersten originären Eigentumserwerbs der Sache und sämtlicher Übertragungsakte bis auf den Kläger erbringen. 44 Mit der Aufnahme der aus dem deutschen Recht stammenden Eigentumsvermutung in § 1006 BGB wird dem Eigentümer diese Beweislast erspart, so dass die Besitzschutzregelungen insofern keine eigenständige Rolle mehr spielen. Darüber hinaus ist der früher angenommene gänzliche Ausschluss des Gegenbeweises, dass der Besitzer nicht Eigentümer sei, durch die Regelung des § 864 Abs. 2 BGB überholt. Auch die Vorstellung des anfangenden Eigentums als Schutzobjekt, dessen Grundlage der Usucapionsbesitz sei, vermag heute nicht mehr zu überzeugen, da die Besitzschutzregelungen der §§ 858 ff. BGB nicht zwischen gut- und bösgläubigem Besitzer unterscheiden, während die Ersitzung nach § 937 BGB gutgläubigen Eigenbesitz voraussetzt. 45 All diese Einwände sind unabhängig von dem Umstand, dass man vor der Geltung des BGB von einem engeren Besitzbegriff ausgegangen ist, der im Wesentlichen nur den Eigenbesitzer umfasste. 46 b)
Persönlichkeitsschutz
Die Erklärung des Besitzschutzes auf der Grundlage des Persönlichkeitsrechts besticht zunächst durch ihren fundamentalen Ansatz. Dadurch, dass der Wille als Ausdruck der Persönlichkeit des Besitzers in das Zentrum der 42
Westermann/Gursky,^ 8,3a. Gans, System des römischen Civilrechts im Grundrisse, 1827, S. 210; Rudorf/, in: Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl., Anhang S. 577; ders., ZfgRW 7 (1831), 90 (106); J. v. Gierke, Das Sachenrecht des bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1959, § 9 I 2, S. 22 f.; Heck, G r u n d riß des Sachenrechts, 1930, S. 487 f. 44 Arndts R. v. Arnesberg, Lehrbuch der Pandekten, 14. Aufl. 1889, §166 (S. 307); vgl. auch unten, Teil 2, 2. Kapitel, B. I. (S. 177). 45 In diesem Sinne auch bereits Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl., S. 61. 46 Vgl. Schubert, Entstehung, S. 59 m. w. N . 43
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Betrachtung gerückt wird, gelingt es, von den einzelnen geschützten Besitzformen - berechtigter und unberechtigter, gutgläubiger und bösgläubiger Besitz zu abstrahieren. Darüber hinaus ist es durchaus nachvollziehbar, sich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt zu fühlen, wenn man in der Nutzung der Gegenstände, mit denen man sich umgibt und die zugleich auch die eigene Persönlichkeit reflektieren können, beeinträchtigt wird. Gleiches gilt für den Ansatz von Wilhelm. Zwar unterscheidet sich sein Verständnis des Besitzschutzes insofern, als er nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht in unserem heutigen Kontext abstellt. Der von ihm in den Vordergrund gestellte Schutz der personalen Autonomie in Bezug auf die tatsächliche Beherrschung von Sachen zielt vielmehr erkennbar auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Besitzers ab. Aber auch unter diesem Blickwinkel lässt sich der unterschiedslose Besitzschutz zwanglos erklären. In dem grundlegend allgemeinen Charakter dieser Erklärungsmodelle liegt jedoch zugleich deren Schwäche. So lässt sich doch fragen, ob nicht auch der rechtsgrundlose Besitzer, der die Herausgabe der Sache an den Eigentümer verweigert, dadurch dessen Willen missachtet und daher das Persönlichkeitsrecht bzw. die Handlungsautonomie des Eigentümers beeinträchtigt; ebenso müsste man annehmen, dass der Schuldner, der eine Verbindlichkeit nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt, letztlich den Willen des Gläubigers missachtet, also auch dessen Persönlichkeit und Handlungsfreiheit beeinträchtigt. Aus diesem Blickwinkel wären dann auch der Herausgabeanspruch nach § 985 B G B und die Schadensersatzansprüche nach den §§ 280, 281 B G B nichts anderes als Ausdruck des Schutzes des Persönlichkeitsrechts bzw. der Handlungsfreiheit. Dies würde jedoch dazu führen, dass im Grunde sämtliche Vermögensrechte als unselbständige Bestandteile in den immateriellen Rechten aufgingen. Darüber hinaus bleibt die Frage unbeantwortet, warum die Rechtsordnung den Schutz der Person bzw. der Handlungsautonomie des Diebes über den des Eigentümers stellt. Der Rückgriff auf das Persönlichkeitsrecht des Besitzers oder dessen personale Autonomie erscheint daher nicht ausreichend, den spezifischen Regelungsgehalt der §§ 858 ff. B G B zu verdeutlichen.
c) Kontinuitätsschutz Der Gedanke der Kontinuität als Lebenswert drückt dagegen zutreffend aus, dass im Allgemeinen ein Interesse am Erhalt der Lebensverhältnisse besteht. Dieses Interesse kann allerdings immer nur ein vorläufiges sein, wie auch die Vertreter der Kontinuitätstheorie einräumen, da selbstverständlich der nichtberechtigte Besitzer dem berechtigten Eigentümer weichen muss. Hinzu kommt, dass vom Boden der Kontinuitätsvorstellung nicht erklärt werden kann, warum auch der Besitz des Diebes - jedenfalls vorübergehend -
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geschützt wird. 47 Dass die Rechtsordnung auch dessen Interesse an Kontinuität anzuerkennen habe, wird man kaum begründen können. Damit erschöpft sich aber der „Erhalt der Lebensverhältnisse" letztlich in der Sicherung des allgemeinen Friedens, so dass der Kontinuität neben der Friedensfunktion des Besitzschutzes keine eigenständige Bedeutung zukommt. 48 d)
Friedensschutz
Die heute überwiegend vertretene Friedenstheorie kann für sich in Anspruch nehmen, eine tragfähige Erklärung dafür zu liefern, dass auch dem Dieb Besitzschutzansprüche gegenüber dem Eigentümer zustehen. Bis zur rechtlichen Klärung der besseren Besitzberechtigung soll auch der Eigentümer die faktisch bestehende Besitzlage nicht zu seinen Gunsten verändern können, selbst wenn sein Ziel mit der endgültigen Besitzzuordnung übereinstimmt. Dass durch den Ausschluss des Faustrechts reflexartig dem Besitzer, selbst in seiner Eigenschaft als Dieb, ein vorübergehender Kontinuitätsschutz zuwächst, ist der Preis, den die Allgemeinheit durch die Rechtsordnung für den Schutz des Rechtsfriedens zahlt. 49 Darin erschöpft sich jedoch zugleich der Zweck der Besitzschutzregelungen, so dass über die Sicherstellung des öffentlichen Friedens hinaus dem Kontinuitätsinteresse des Besitzers kein eigenständiges Gewicht zukommt. Gegen die Friedenstheorie ist geltend gemacht worden, dass sie in ihrer Betonung der öffentlichen Interessen unzutreffend und im Übrigen zu unbestimmt sei. Zwar bestünden öffentliche Interessen an der Vermeidung von Besitzstörungen, doch würden sich diese in den enger begrenzten Tatbeständen der öffentlich-rechtlichen Normen des Straf- und Verwaltungsrechts ausdrücken. Dagegen seien die öffentlichen Interessen für den privaten Besitzschutz nicht kausal geworden. An dem privatrechtlichen Besitzschutz seien die Interessen der Allgemeinheit nicht stärker beteiligt als etwa an dem Schutz des Eigentums. 50 Heck hat zur Stützung dieser Kritik das weithin bekannte „Hut-Beispiel" 51 angeführt: Wenn A in bestem Glauben in einer Wirtschaft 47 So auch Jhering, Über den Grund des Besitzschutzes, 2. Aufl. 1869, S. 44; Wolff/Raiser, §17, Fn. 1;/. v. Gierke, Das Sachenrecht des bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1959, § 9 I 2, a.E.; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, § 8, 3a a.E.; Wieling, in: F G f. v. Lübtow, 1980, S. 565 (575 f.). 48 Auch Baur/Stürner, § 9, Rn. 9, weisen darauf hin, dass das Ergebnis dieses Schutzes die Wahrung des Rechtsfriedens ist. 49 Genau umgekehrt Härtung, S. 51. 50 Heck, Grundriß des Sachenrechts, S. 12 f. und S. 486. 51 Heck, Grundriß des Sachenrechts, S. 13 und S. 487, wo zusätzlich der Fall angeführt wird, dass ein Nachbar Hühner unterhält, die in den Garten eines anderen eindringen. Güller, S. 35, bildet ein ähnliches Beispiel, in dem dem Besitzer infolge einer Verwechslung in seiner Anwesenheit ein Buch entzogen wird.
B. Der Besitz als autonomes Regelungsobjekt,
§§ 854 f f BGB
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den H u t vertauscht und versehentlich den H u t des Gastes B mitnimmt, so liege sicher verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 BGB vor, aber eine Gefährdung der öffentlichen Interessen an der Erhaltung des Rechtsfriedens sei nicht gegeben. Daraus ergebe sich, dass bei zahllosen Tatbeständen, die nach dem BGB zweifellos unter den Begriff der verbotenen Eigenmacht fallen, die öffentlichen Interessen gar nicht beteiligt seien. 52 Diesem Einwand liegt ein zu enges Verständnis der öffentlichen Interessen zugrunde. Diese werden nicht erst berührt, wenn ein Straftatbestand verwirklicht, in dem angeführten Beispiel also der den H u t des B nehmende A vorsätzlich handelt und einen Diebstahl nach § 242 StGB begeht. Ein öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens besteht vielmehr auch dann, wenn B die Situation erkennt und seinen Besitz gegenüber A verteidigt. 53 Unabhängig davon führt das Hut-Beispiel in die Irre, wenn mit ihm - wie auch mit anderen Situationen verbotener Eigenmacht ohne schuldhaftes Handeln - belegt werden soll, dass die unbewusste Beeinträchtigung des fremden Besitzes nicht den Rechtsfrieden gefährde, gleichwohl aber die Besitzschutzansprüche auslöse. Zu beachten ist nämlich, dass dem Besitzer das Selbsthilferecht nach § 859 BGB keineswegs schrankenlos zusteht. Er darf bei der grundsätzlich zulässigen Anwendung von Gewalt nach allgemeiner Auffassung das zur Abwehr der verbotenen Eigenmacht erforderliche Maß nicht überschreiten. 5 4 So muss ein Mieter, dem ein Abwehrrecht gegenüber dem widerrechtlich eindringenden Vermieter zusteht, diesem zunächst erklären, dass er das Betreten der Wohnung nicht wünsche, bevor er ein weiteres Eindringen gewaltsam verhindern darf. 55 Der Besitzer eines Grundstücks hat einen Dritten zunächst zum Verlassen des Grundstücks aufzufordern und muss bei dessen Weigerung etwaige Schläge erst androhen, bevor er handgreiflich werden darf. 56 Dementsprechend hat der Besitzer in dem Hut-Beispiel auch nach § 859 BGB nicht das Recht, dem einem Versehen unterliegenden Gast sogleich den H u t mit Gewalt zu entreißen. Vielmehr hat er ihn zunächst um die Rückgabe des Hutes zu bitten, wodurch sich das Versehen auch für den im Gehen befindlichen Gast herausstellt. Weigert sich letzterer nun gleichwohl und in Kenntnis der Umstände, den H u t herauszugeben, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass durch diese Weigerung der Rechtsfriede gestört wird.
52
In diesem Sinne auch Wieling, in: F G f. v. Lübtow, 1980, S. 565 (576). Münch Komm/Joost, vor § 854 BGB, Rn. 16. Palandt/Bassenge, §859, Rn. 1; MünchKomm/Joost, §859, Rn. 9; § 859, Rn. 8; Soergel/Stadlern, § 859, Rn. 5. 55 LG Köln, ZMR 1967, 177. 56 O L G Koblenz, M D R 1978, 141. 53 54
Staudinger/Bund,
42
Teil 1: Grundlagen
• 2. Kapitel:
aa) Die Präventionsfunktion
Die Regelungsstruktur
des possessorischen
des kodifizierten
Rechts
Besitzschutzes
Weiter werden gerade die Gewaltrechte des Besitzers gegen die Friedenstheorie ins Felde geführt. Dass der Besitzer zur Verteidigung Gewalt anwenden darf und dass er insbesondere den Täter verfolgen und ihm die Sache mit Gewalt abnehmen darf, fördere keineswegs den Rechtsfrieden, so dass der Besitzschutz die öffentliche Ordnung geradezu beeinträchtige. 5 7 Bei diesem Einwand wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Störung nicht von dem Besitzer, sondern von dem eigenmächtig Handelnden ausgeht, gegen die sich der Besitzer lediglich wehrt und wehren darf. Vor allem aber muss man erkennen, dass den Besitzschutzansprüchen auch eine präventive Funktion zukommt. Die §§ 858 ff. BGB bilden die Grundlage für das allgemeine Bewusstsein, dass sich jeder Besitzer verbotener Eigenmacht erwehren darf. Dementsprechend ist auch grundsätzlich jedem abstrakt klar, dass er sich den Besitzschutzmitteln des Besitzers ausgesetzt sieht, wenn er selbst verbotene Eigenmacht begeht. Dieses Bewusstsein trägt, neben anderen staatlichen Sanktionen wie dem Strafrecht, zumindest auch dazu bei, dass der einzelne davon abgehalten wird, sich des Besitzes eines anderen zu bemächtigen. Präventive Steuerungsfunktionen sind im bürgerlichen Recht durchaus nichts Ungewöhnliches und lassen sich, wie im Folgenden näher aufgezeigt werden soll, z.B. im Deliktsrecht, beim Ausschluss des Bereicherungsanspruchs nach § 817 S. 2 BGB sowie bei der Selbsthilfevorschrift des § 227 BGB ausmachen. Auch dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von Allgemeinen Geschäftsbedingungen liegt eine Präventionswirkung zugrunde. (1) Welcher Stellenwert der Prävention als Zielfunktion im Deliktsrecht zukommt, w i r d allerdings nach wie vor unterschiedlich beurteilt. Nach traditionellem Verständnis steht bei der deliktischen Haftung der Zweck, dem Geschädigten Ausgleich für erlittenen Schaden zu verschaffen, ganz im Vordergrund, während der Präventionsfunktion im Sinne der Schadensvermeidung allenfalls eine sekundäre Bedeutung als „erwünschtes Nebenprodukt" des Ausgleichsprinzips zugebilligt wird. 5 8 Demgegenüber nimmt in neuerer Zeit die Zahl der Literaturstimmen zu, die dem Präventionsgedanken im Deliktsrecht zumindest gleichen Rang oder gar Vorrang gegenüber der Ausgleichsfunktion zuerkennen wollen. 5 9 57 In diesem Sinne Wieling, in: FGf. v. Lübtow, 1980, S. 565 (576); Eichler, S.2 (dort in Fn. 2); Heck, Grundriß des Sachenrechts, S. 486; Härtung, S. 38. 58 Larenz, Schuldrecht I, 1987, §27 I, S.423f.; Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, S. 10 f.; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, 8. Aufl. 2000, § 53, 4, S. 135 ff.; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht, Band I, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2000, §30 II 1, S. 169; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 109; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 18; Canaris, in: FS f. Deutsch, S. 85 (105); generell gegen Prävention als Zielsetzung im Zivilrecht/. Schmidt, KritV 1986, 83 ff. 59 Kötz, Deliktsrecht, 9. Aufl. 2001, Rn. 119 ff.; Schäfer/Ott, S.99f.; Magnus, S.282;
B. Der Besitz als autonomes Regelungsobjekt,
§§ 854 f f BGB
43
(2) Nach § 817 S. 2 B G B ist die Rückforderung einer Leistung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden (gleichfalls) ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten zur Last fällt. Welchem Zweck dieser Kondiktionsausschluss dient, ist seit langem heftig umstritten und kann hier nicht im Einzelnen vertieft werden. 60 Während früher der Gedanke der „Strafe für die Betätigung verwerflicher Gesinnung" hervorgehoben wurde, steht heute überwiegend der Aspekt der Rechtsschutzverweigerung im Vordergrund. 61 Für den vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist die Behandlung sittenwidriger Ratenkredite nach § 817 S. 2 B G B durch die Rechtsprechung. Der B G H folgert in ständiger Rechtsprechung im Anschluss an das R G aus dieser Vorschrift, dass der Darlehensgeber lediglich das Kapital nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Laufzeit zurückverlangen kann, so dass dem Darlehnsnehmer die Valuta zinslos bis zur Fälligkeit der einzelnen Rate verbleibt. 62 Dabei argumentiert das Gericht vor allem mit der Überlegung, dass der Wucherer risikolos arbeiten könnte, wenn er statt des vereinbarten Zinses den üblichen Zinssatz verlangen könnte. 6 3 Dadurch wird der Vorschrift des § 817 S. 2 B G B eine klar präventive Funktion zugewiesen. 64 (3) Auch das zivilrechtlich in § 227 B G B verankerte Notwehrrecht, das der strafrechtlichen Notwehr nach § 32 StGB entspricht, 65 dient nicht nur dem individuellen Verteidigungsinterese des Angegriffenen, sondern zumindest im gleichen Maße auch der Abwehr zukünftiger Ubergriffe durch den Angreifer oder durch Dritte und verfolgt damit spezial- bzw. generalpräventive Zwecke. In der strafrechtlichen Literatur hat sich diese Erkenntnis bereits seit langem durchgesetzt. 66 Plastisch spricht Roxin in diesem Zusammenhang von Löwe, S. 102 ff.; Dreier, Kompensation und Prävention, 2002, S. 128 ff., 413 ff.; Koch, JZ 1999, 922 (924, 927); Körner, NJW 2000, 241 ff.; vgl. auch schon Schiemann, S. 193 ff. Zur weitergehenden Frage eines im Schadensersatzrecht verankerten Sanktionsprinzips zuletzt P. Müller, S. 91 ff. 6 0 Vgl. dazu ausführlich Honseil, Die Rückabwicklung, S. 58 ff.; Reuter/Martinek, §5 V, S. 175 ff. 61 Münch Komm/Lieb, § 817, Rn. 9; Staudinger/W. Lorenz, § 817, Rn. 4 f.; jeweils m.w.N. 62 RGZ (GS) 161, 52 (57); BGH, NJW 1962,1148; WM 1977, 72; NJW 1983,1420 (1422 f.); NJW 1989, 3217; NJW 1993,2108; NJW 1995,1152 (1153). Zum Meinungsstand in der Literatur statt aller Staudinger/W. Lorenz, § 817, Rn. 12. 63 BGH, NJW 1983, 1420(1423). 64 Einen generalpräventiven Zweck erkennen in §817 S. 2 B G B auch Canaris, FS f. Steindorff, S. 519 (523 f.); Larenz/Canaris, § 68 III 3 a, unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (Motive II, S. 850 i.V.m. S. 849), nach denen die Vorschrift „im Volksleben den Sinn für die guten Sitten und für das Interesse der öffentlichen Ordnung...stärken" solle; dagegen Honseil, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 473 (479 f.); kritisch auch H. P. Westermann, in: Zimmermann (Hrsg.), a. a. O., S. 485 (488). 65 Soergel/Fahsel\ % 227, Rn. 1; MünchKomm/Grothe, § 227, Rn. 1. 6 6 Vgl. nur Otto, Strafrechtslehre, §8, Rn. 17; Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 149 ff., S. 155 ff.; Roxin, ZStW Band 93 (1981), S. 68 (74 f.); jeweils m.w.N.; einschränkend Frister, GA 1988,291 (296 ff.).
44
Teil 1: Grundlagen
• 2. Kapitel: Die Regelungsstruktur
des kodifizierten
Rechts
der „Einspannung des Bürgers für präventive Zwecke und die damit verbundene teilweise Suspendierung des staatlichen Gewaltmonopols". 67 Dass dieser Grundgedanke des Notwehrrechts in der zivilrechtlichen Diskussion bisher kaum explizit erörtert wird, mag damit zusammenhängen, dass die Kategorien der Spezial- und Generalprävention eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung von Strafzwecken spielen und dadurch traditionell dem Strafrecht zugeordnet werden, während dem Zivilrecht im Allgemeinen jeglicher pönale Charakter abgesprochen wird. Die hier aufgezeigten Beispiele verdeutlichen jedoch, dass der „apönale" Charakter des Zivilrechts der Berücksichtigung präventiver Wirkungen nicht entgegensteht. (4) Nach ständiger Rechtsprechung 68 und ganz überwiegender Auffassung im Schrifttum 69 können Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nach dem früheren AGBG bzw. nach §§ 305 ff. BGB n.F. unwirksam sind, nicht im Wege der geltungserhaltenden Reduktion durch das Gericht auf ihren gerade noch zulässigen Inhalt zurückgeführt und insoweit als wirksam anerkannt werden. Vielmehr ist die betreffende Klausel insgesamt unwirksam und es treten nach § 306 Abs. 2 BGB an ihre Stelle die gesetzlichen Vorschriften. Dieses Verbot der geltungserhaltenden Reduktion wird u.a. auch damit begründet, dass sonst der Verwender risikolos eine ihm möglichst günstige Gestaltung wählen könnte. 70 Das Risiko der Totalnichtigkeit soll den Verwender folglich von einer zu weitgehenden Klauselfassung abhalten - ein klar präventives Motiv. Eine im Vordringen begriffene Meinung 71 will das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion allerdings auflockern. Der Hintergrund für dieses Bemühen sei der Befund, dass viele Verwender mittlerweile weniger bestrebt seien, durch möglichst weite Klauselfassung ihre Rechte auf Kosten des Vertragspartners zu sichern, als vielmehr ihre AGB der betreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung anzupassen. Da die richterliche Inhaltskontrolle jedoch stetig fortschreite, unterlägen die Verwender auch bei größter SorgRoxin, ZStW Band 93 (1981), S. 68 (75). BGHZ 84, 109 (114 ff.) = NJW 1982, 2309 (2310); BGHZ 90, 69 (73) = NJW 1984, 1177 (1179); BGHZ 92, 312 (314f.) = NJW 1985, 319 (320); BGHZ 96, 18 (25) =NJW 1986, 1610 (1612); BGHZ 106, 259 (267) = NJW 1989, 582 (583); BGHZ 115, 324 (326) = NJW 1992, 575 (576); NJW 1996, 1407. 69 H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 9. Aufl. 2001, §6, Rn. 14; v. Hoyningen-Huene, Rn. 69; J. Neumann, Geltungserhaltende Reduktion, S. 58 ff. (81); Soergel/Stein, AGBG, §6, Rn. 13; Wolf/Horn/Lindach er, AGB-Gesetz, 4. Aufl. 1999, §6, Rn. 31 ff. 70 BGHZ 84, 109 (114) = NJW 1982, 2309 (2310); BGHZ 92, 312 (314 f.) = NJW 1985, 319 (320); BGHZ 96, 18 (25 f.) = NJW 1986, 1610 (1612); BGHZ 115, 324 (326) = NJW 1992, 575 (576); v. Hoyningen-Huene, Rn. 69; Soergel/Stein, AGBG, § 6, Rn. 13; Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 4. Aufl. 1999, § 6, Rn. 28. 71 MünchKomm/Basedow, AGBG, § 6, Rn. 12 ff.; Canaris, FS f. Steindorff, S. 519 (547 ff.); Hager, JZ 1996, 175; Boemke-Alhrecht, S. 38 ff., 115ff.;H. Roth, JZ 1989, 411 (418); v. Mettenheim, FS f. Piper, S. 937 (950); Staudinger/Schlosser, AGBG, § 6, Rn. 17 b. 67
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B. Der Besitz als autonomes Regelungsobjekt,
55 854 f f . BGB
45
falt dem Risiko von Formulierungsfehlern, die dann zur Totalnichtigkeit der Klausel führen. Da hier der Präventionsgedanke nicht mehr greife, sei es gerechtfertigt, die betreffende Klausel einschränkend auszulegen; dies bedeute allerdings nicht eine Reduktion auf das zugunsten des Verwenders höchstens gerade noch zulässige Maß, sondern nur eine Aufrechterhaltung in angemessenem Umfang. 72 Inwieweit dieser Ansatz trägt, kann hier nicht im Einzelnen diskutiert werden. Wichtig ist für den vorliegenden Zusammenhang nur, dass auch die Befürworter einer eingeschränkten geltungserhaltenden Reduktion den allgemeinen Präventionsgedanken nicht in Frage stellen. 73 Vielmehr sehen sie ihn von ihrem Standpunkt aus nicht als berührt an, da der Verwender in den Fällen, in denen sie für eine geltungserhaltende Reduktion plädieren, es nicht auf die zu verhindernde Textstrategie anlege. (5) In der jüngsten Gesetzgebung ist der Präventionsgedanke im B G B sogar mit wettbewerbsrechtlicher Zwecksetzung ausgebaut worden. Die Versagung von Herausgabeansprüchen des Versenders unbestellt zugesandter Waren nach § 241 a Abs. 1 B G B und die Verpflichtung zur Leistung zugesagter Gewinne nach § 661 a B G B haben erklärtermaßen die Aufgabe, unlautere Geschäftspraktiken auch dadurch zurückzudrängen, dass dem Empfänger der Ware ein Behaltensrecht bzw. dem Adressaten der Gewinnzusage ein Anspruch auf Leistung des Preises eingeräumt wird. 74 Insgesamt lässt sich daher heute nicht mehr ernsthaft in Abrede stellen, dass auch dem bürgerlichen Recht präventive Steuerungselemente innewohnen. Interessanterweise wird die präventive Funktion des possessorischen Besitzschutzes allerdings bisher kaum 75 wahrgenommen, obwohl sie gerade hier wegen der Sicherung des Rechtsfriedens im Allgemeinen Interesse viel stärker zu Tage tritt, als bei den übrigen Beispielen. bb) Der Besitzer als Sachwalter
der
Rechtsordnung
Schließlich wird gegen die Friedenstheorie geltend gemacht, dass nicht ersichtlich sei, warum aus der Störung der öffentlichen Ordnung dem Besitzer ein Anspruch entstehen sollte. 76 Die öffentliche Störung sei kein Grund, einen MünchKomm!Basedow, AGBG, § 6, Rn. 12; Staudinger/Schlosser, AGBG, § 6, Rn. 17 a. Deutlich Canaris, FS für Steindorff, S. 519 (567 ff.); v. Mettenheim, FS für Piper, S. 937 (951); vgl. auch Weyer, FS f. J. F. Baur, S. 681 (694). 74 Vgl. Sosnitza, BB 2000, 2317 und insbesondere zum Besitzrecht des Empfängers nach § 241 a Abs. 1 BGB unten, 3. Kapitel, C. III. 4. (S. 115 ff.). 75 Staudinger/Bund, § 863, Rn. 2, spricht im Zusammenhang mit dem Ausschluss petitorischer Einwendungen nach § 863 BGB von einer generalpräventiven Abschreckung. 76 Bruns, Das Recht des Besitzes im Mittelalter und in der Gegenwart, 1848, S. 489; Gans, System des römischen Civilrechts im Grundrisse, 1827, S. 208; Jhering, Grund des Besitzschutzes, S. 62 f.; Koppe, Zur Lehre vom Besitz, 1839, S. 42; Randa, Der Besitz nach österreichischem Rechte, 2. Aufl. 1876, S. 241; Wieling, in: FG f. v. Lübtow, 1980, S. 565 (576). 72
73
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Teil 1: Grundlagen
• 2. Kapitel:
Die Regelungsstruktur
des kodifizierten
Rechts
rechtswidrigen Zustand (z.B. Diebesbesitz) wiederherzustellen. Auch wenn man verhindern wolle, dass der Täter mit der Besitzentziehung seinen Erfolg erreiche, so könne das allenfalls der Grund dafür sein, dem Täter die Sache wegzunehmen, nicht aber für einen Anspruch des Besitzers auf Rückgabe. 7 7 Auch dieser Einwand trägt dem soeben erörterten präventiven Charakter der Besitzschutzansprüche nicht hinreichend Rechnung. Das Bewusstsein, sich als Besitzstörer unmittelbaren Ansprüchen und Gewaltrechten des Besitzers ausgesetzt zu sehen, hält den einzelnen, neben anderen Motivationen zumindest auch davon ab, einen anderen in dessen Besitz zu stören oder ihm den Besitz gar zu entziehen. Der dadurch gewährleistete allgemeine Rechtsfriede hängt jedoch maßgeblich davon ab, dass dem Störer eine wirksame Sanktion droht. Da der Bereich der zivilrechtlich relevanten Besitzbeeinträchtigungen aber keineswegs deckungsgleich mit dem staatlichen Sanktionssystem des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts ist und daher auch nicht stets oder auch nur regelmäßig ein Eingreifen staatlicher Organe möglich sein muss, ist es nicht nur legitim, sondern auch mit dem System des bürgerlichen Rechts ohne weiteres vereinbar, die Besitzschutzansprüche des beeinträchtigten Besitzers als Sanktionen zu instrumentalisieren. Vom Standpunkt der gegen die Friedenstheorie vorgebrachten Kritik könnte danach allenfalls noch geltend gemacht werden, dass es zur Wahrung des Rechtsfriedens keines eigenen Anspruchs des beeinträchtigten Besitzers auf Herausgabe an sich selbst bedurft hätte, es vielmehr ausreichend gewesen wäre, die Herausgabe an einen gerichtlich zu bestellenden Verwahrer verlangen zu können. Dass eine derartige Konstruktion dem Gesetz durchaus nicht fremd ist, zeigen die §§432 Abs. 1, 1217 Abs. 1, 1281 S. 2, 2. Hs., 2039 S. 2 BGB. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Situation des beeinträchtigten Besitzers mit der des Gläubigers in den genannten Vorschriften nicht ohne weiteres vergleichbar ist. So steht der Schuldner in den Fällen der §§ 432 Abs. 1, 1281, 2039 BGB einer Mehrheit von Gläubigern gegenüber, die nur Leistung an alle Gläubiger gemeinschaftlich verlangen können. U m diese Leistung auch bei unterschiedlichem Verhalten der Gläubiger ermöglichen zu können, soll der Schuldner auf Verlangen eines Gläubigers auch an einen gerichtlich zu bestellenden Verwahrer leisten können. Im Falle des § 1217 Abs. 1 BGB steht der Gedanke der Gefährdung des Pfandes durch eine Pflichtverletzung des Pfandgläubigers im Vordergrund, der durch die Herausgabe an den Verwahrer begegnet werden soll. Demgegenüber sieht sich der Störer regelmäßig weder einer Mehrheit von Besitzern gegenüber, noch spielt die Möglichkeit einer Gefährdung der Sache eine Rolle. Abgesehen von dieser unterschiedlichen Interessenlage, die bereits eine abweichende Konstruktion bei den Besitzvorschriften rechtfertigt, wäre auch eine Beschränkung auf einen 77
Wieling, in: FG f. v. Lübtow, 1980, S. 565 (576 f.).
B. Der Besitz als autonomes Regelungsobjekt,
§§ 854 f f . BGB
47
Anspruch auf Herausgabe an einen Verwahrer nicht geeignet, die notwendige präventive Wirkung zu erzielen. Denn wenn der Besitzer bei einer Besitzstörung nicht sogleich - und sei es mit gerichtlicher Hilfe - wieder in den Besitz der Sache gelangen könnte, würde ihm jeder Anreiz genommen, überhaupt die Herausgabe an den Verwahrer zu verlangen. Dem Besitzer geht es nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, darum, dem Störer den Besitz zu entziehen, sondern selbst wieder den Besitz zu erlangen. Kann er dies aber nicht mittels possessorischer Ansprüche durchsetzen, ist es für ihn sinnvoller, sogleich etwaige petitorische Ansprüche geltend zu machen, als wenn er dies nach Herausgabe an einen Verwahrer u.U. in einem zweiten Prozess tun müsste. Der präventive Charakter des Besitzschutzes erfordert daher einen eigenen Herausgabeanspruch des beeinträchtigten Besitzers. Der possessorische Besitzschutz instrumentalisiert somit die private Motivation des Besitzers, sich im Besitz der Sache zu halten bzw. den Besitz wiederzuerlangen, für generalpräventive Zwecke, nämlich die Gewährleistung des allgemeinen Rechtsfriedens. Der Besitzer verfolgt damit zugleich ein Interesse der Allgemeinheit und wird so zum Sachwalter der Rechtsordnung. Völlig zutreffend bezeichnete daher schon Kohler selbst den Dieb als Beauftragten des Staates, als Vertreter der staatlichen Friedensordnung. 78
e) Kombinierter
Friedens- und
Kontinuitätsschutz
Die vorausgegangene Diskussion verdeutlicht zugleich, dass auch eine Kombination von Friedens- und Kontinuitätstheorie nicht über die durch die Friedenstheorie gewonnenen Erkenntnisse hinausführt. Dass das private Interesse des Besitzers an der Erhaltung seiner Besitzposition als Triebfeder benutzt wird, stellt die Friedenstheorie keineswegs in Frage. Berücksichtigt man nämlich den generalpräventiven Effekt, der von den Besitzschutzvorschriften ausgeht, so kommt es auch nicht auf den Gebrauch der Besitzschutzrechte im Einzelfall an. Entscheidend ist allein, dass der potentielle Störer jedenfalls damit rechnen muss, dass der Besitzer von seinen Rechten zur Besitzwahrung Gebrauch macht und dass der Störer schon dadurch von einem Eingriff abgehalten werden kann. Dass das Gesetz in anderem Zusammenhang, etwa nach §§ 268 Abs. 1 S. 2, 937 ff. B G B , auch ein Kontinuitätsinteresse des Besitzers schützt, sagt nichts über den inneren Rechtsgrund des possessorischen Besitzschutzes aus. Dies folgt aus dem beschränkten Anwendungsbereich der kontinuitätsschützenden Regelungen. So steht das Ablösungsrecht des Besitzers nach § 268 Abs. 1 S. 2 B G B nach richtiger Ansicht nur dem berechtigten Besitzer zu. 7 9 Die Ersitzung ist auf den gutgläubigen Eigenbesitzer beschränkt. J. Kohler, Encyklopädie der Rechtswissenschaft, Band 1,1904, S. 601. MünchKomm/Keller, § 2 6 8 , Rn. 12; Soergel/Wolf, § 2 6 8 , R n . 4 ; Gernhuber, § 21 II 2 (S. 469); a. A. Palandt/Heinrichs, % 268, Rn. 4. 78 79
Erfüllung,
48
Teil 1: Grundlagen
• 2. Kapitel: Die Regelungsstruktur
des kodifizierten
Rechts
Demgegenüber gehen die Besitzschutzansprüche der §§ 858 ff. BGB in ihrer Reichweite wesentlich weiter, so dass auch ihr Schutzzweck nicht auf den Teilaspekt der Kontinuität verkürzt werden kann.
3. Kapitel
Zur Rechtsnatur des Besitzes A. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Besitz und Besitzrecht Der Besitz lässt sich auch danach unterscheiden, ob die tatsächliche Sachherrschaft auf der Grundlage einer materiell-rechtlichen Berechtigung ausgeübt wird oder nicht. Dass in den §§ 854 ff. BGB gleichwohl keine Differenzierung zwischen berechtigtem und unberechtigtem Besitz vorgenommen wird, rechtfertigt sich unmittelbar aus dem Zweck des possessorischen Besitzschutzes, das Faustrecht zurückzudrängen, vgl. §§ 863, 864 Abs. 2 BGB. Auch für die Ersitzung nach den §§937 ff. BGB kommt es nicht auf die Wirksamkeit einer zugrunde liegenden Berechtigung für die Innehabung während der Ersitzungszeit, sondern auf den guten Glauben an das eigene Eigentum an. Gleiches gilt für die Ubereignungstatbestände der §§ 929 ff. BGB. Ein schuldrechtliches oder dingliches Recht zum Besitz kann schon nach dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip für die Übereignung nicht relevant sein. Stattdessen erfordert eine wirksame Ubereignung das Eigentum oder eine entsprechende Verfügungsbefugnis auf der Veräußererseite bzw. zumindest den guten Glauben an das Eigentum des Verfügenden auf der Erwerberseite. Seine zentrale Rolle spielt das Recht zum Besitz dagegen bei der rei vindicatio, §§ 985, 986 BGB. Gleichwohl muss auch bei der weiteren Untersuchung des Besitzes und seines Schutzes stets zwischen dem schlichten Besitz, unabhängig von seiner Berechtigung, und der materiell fundierten Ausübung tatsächlicher Sachherrschaft unterschieden werden. Dies zum einen deshalb, weil schon das Besitzrecht als Begrenzung des Vindikationsanspruchs zugleich eine Form des Besitzschutzes darstellt. Zum anderen wird bei der Abhandlung des Besitzschutzes außerhalb der §§ 858 ff. BGB, namentlich im Bereicherungs-, Delikts-, Vollstreckungs- und Insolvenzrecht, immer wieder auf den Unterschied zwischen berechtigtem und unberechtigtem Besitz zurückzukommen sein.
50
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
B. Der Besitz I. Allgemeines Zur Bestimmung der Grundlagen des Besitzes und der Reichweite seines Schutzes ist es unabdingbar, die Rechtsnatur des Besitzes in seiner Ausprägung durch das Bürgerliche Gesetzbuch 1 zu klären. In Rechtsprechung und Literatur herrscht bis heute keine Einigkeit über die typologische Einordnung des Besitzes. Das Meinungsbild reicht von der Annahme eines subjektiven Rechts, 2 eines subjektiven Rechts mit weitgehend dinglicher Wirkung 3 oder sogar eines absoluten Rechts 4 über das Verständnis des Besitzes als einer Tatsache, die vom Gesetz einem Recht im Sinne einer Rechtsstellung 5 , Rechtsposition 6 , Rechtsherrschaft 7 oder einem Rechtsverhältnis 8 gleichgestellt sei, bis zur Kategorisierung als reinem Faktum 9 . Zwar lässt sich eine Tendenz dahingehend erkennen, dass im Laufe der Zeit zunehmend der Besitz als tatsächliche Sachherrschaft auf ein faktisches Sachverhältnis reduziert wird, hinter dem kein subjektives Recht verborgen sein muss. Gleichwohl finden sich bis in die Gegenwart Stellungnahmen, die dem Besitz auch eine rechtliche Qualität zuschreiben, wobei die gewählte Ausdrucksweise oft auffallend unklar ist und eine nähere Spezifizierung unterbleibt. So heißt es bei W. Lorenz, dass 1 Vgl. zu den verschiedenen Auffassungen über die Rechtsnatur des Besitzes vor In-KraftTreten des B G B den Überblick bei Wieling, in: FG f. v. Lübtow, 1980, S. 565 (569 ff.). 2 O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II: Sachenrecht, 1905, § 114 (S. 213 f.); Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 1952, § 80 I 1 (S. 302 f.); Wolff/Raiser, § 3 III; Cosack/Mitteis, § 4 IV 1 (S. 19); Härtung, S. 51 ff.; Soergel/Stadler13, vor §854, Rn. 6; nach Planck/Brodmann, vor § 854, Anm. 5, handelt es sich um „ein Persönlichkeitsrecht in Beziehung auf die Sache". 3 H. Lange, Sachenrecht des BGB, 1967, S. 48. Als dingliches Recht sieht den Besitz auch v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band I, S. 137. 4 O. Chr. Fischer, Die Verletzung des Gläubigerrechts als unerlaubte Handlung, 1905, S. 136; E. Wolf, Lehrbuch des Sachenrechts, 2. Aufl. 1979, § 2 A II b (S. 43 f.). 5 Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band II, 3. Aufl. 1901, §185 (S- 61). 6 Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, S. 55; MünchKomm/Joost, vor §854, Rn. 9; Schwab/Prutting, Rn. 49; Härtung, S. 30 f. 7 Solokowski, Der Besitz, 1907, S. 247. 8 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band III, 1905, § 342 (S. 16); Kniep, Der Besitz, 1900, S. 6; Rosenberg, vor § 854, Anm. 5 (S. 13); Sandtner, Kritik der Besitzlehre, 1968, S . l l . 9 Biermann, Sachenrecht, 3. Aufl. 1914, S. 7; Dernburg, Sachenrecht, § 11 (S. 49); Schapp, Rn. 46; Schreiber, Rn. 29 f.; im Grundsatz ebenso Wilhelm, Rn. 404 ff.; der in Anknüpfung an v. Savigny, Das Recht des Besitzes, 7. Aufl. 1865, S. 43 f., den Besitz als „Factum und Recht zugleich" begreift und die rechtliche Seite des Besitzes in dem Schutz der Autonomie der Person als Grund des Besitzschutzes sieht (dazu näher oben, 2. Kapitel, B. II. 1. b., 2. b.). Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Band II/l. Halbband, Berlin 1957, S. 4, stellt fest, dass eine Institution „Recht des Besitzes" im Grunde genommen nicht existiert.
B. Der Besitz
51
schon die §§ 854 Abs. 2, 857 BGB zeigten, dass es sich bei dem Besitz nicht nur um ein „Faktum" handele. 10 Mühl bezeichnet den Besitz als ein „vorläufiges Recht", soweit mit der Sachherrschaft Rechtsfolgen verbunden seien. 11 Nicht unproblematisch ist es auch, wenn die Auffassung, der Besitz sei zwar kein Recht, jedoch eine Rechtsposition oder Rechtsstellung, mit dem Hinweis gestützt wird, dass der Besitz kondizierbar sei und als „sonstiges Recht" nach § 823 Abs. 1 BGB geschützt werde. 12 Denn ob und inwieweit der Besitz durch das Bereicherungs- und Deliktsrecht geschützt wird, lässt sich §§812, 823 BGB nicht unmittelbar entnehmen. Die Reichweite des Besitzschutzes hängt jedoch ihrerseits entscheidend auch von der rechtlichen Einordnung des Besitzes selbst ab. Die Materialien sprechen dabei keine eindeutige Sprache. Zwar heißt es in den Motiven bei den Vorbemerkungen zu den Besitzvorschriften: „ O b m a n den Besitz als das der V e r w i r k l i c h u n g des Eigenthumes entsprechende Verhältnis der Person zur Sache ansehen will, bleibt eine theoretische Betrachtung. Ihn als Recht zu bezeichnen, ist nicht u n b e d e n k l i c h . Dagegen kann der Besitz ohne B e d e n k e n als eine Rechtsposition bezeichnet w e r d e n ; " 1 3
Kurz darauf wird im Zusammenhang mit dem Besitzerwerb allerdings nochmals ausdrücklich hervorgehoben: „Dadurch, dass von B e s i t z e r w e r b u n g geredet w i r d , w i r d übrigens der Besitz nicht als ein Recht i m subjektiven Sinne bezeichnet. Es bleibt ein fortgesetztes thatsächliches ... Verhältnis." 1 4
Der Gesetzgeber ging also von der Vorstellung aus, dass der Besitz einerseits kein Recht bzw. subjektives Recht, sondern ein tatsächliches Verhältnis darstellt, andererseits aber als Rechtsposition bezeichnet werden kann. Auf diese Differenzierung wird zurückzukommen sein. 15 Die nachfolgende Untersuchung will sich dem Problem auf zwei verschiedenen methodischen Wegen, nämlich induktiv und deduktiv nähern. Zum einen soll durch eine induktive Betrachtung versucht werden, von den einzelnen positiven Besitzregelungen auf den allgemeinen Charakter des Untersuchungsgegenstandes zu schließen. Zum anderen stellt sich die Frage, inwieweit sich deduktiv aus dem Begriff des subjektiven Rechts Rückschlüsse auf die Rechtsnatur des Besitzes bzw. des Rechts zum Besitz ziehen lassen. Dabei soll auf den erkenntnistheoretischen Streit um die Zulässigkeit induktiven 10
Staudinger/W. Lorenz, BGB, 12. Aufl., § 812, Rn. 72. Soergel/Mühl, vor § 854, Rn. 1; in diesem Sinne bereits Alm, Zur rechtlichen Natur des Besitzes, 1928, S. 10 m.w.N. 12 Staudinger/Bund, vor §§ 854 ff., Rn. 36. 13 Motive III, S. 78 f. (= Mugdan, III, S. 43). 14 Motive, III, S. 80 (= Mugdan, III, S. 44). 15 Vgl. unten, 3. Kapitel, B. III. 2. (S. 78 f.). 11
52
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
Vorgehens hier nicht eingegangen werden. 16 Das Leitziel der Wissenschaft soll vorliegend im Anschluss an Kellmann17 in der approximativen Erkenntnis der Wahrheit gesehen werden. In der Jurisprudenz geht es daher beständig um das Auffinden der relativ zu anderen Möglichkeiten am besten argumentativ gestützten und deshalb als richtig zu akzeptierenden Problemlösung. 18 Bei diesem Prozess sind induktive Schlüsse nicht a priori ausgeschlossen. 19
II. Induktive
Betrachtung
Untersucht man die positivierten Rechtssätze auf ihren Aussagegehalt in Bezug auf den Rechtscharakter des Besitzes, so lässt sich eine Fülle von Argumenten zusammentragen, deren Gewicht im Einzelnen zu bestimmen ist. Die verschiedenen Aspekte lassen sich dabei in terminologische, gesetzestechnische, systematische und teleologische Argumente einteilen.
1. Terminologische
Argumente
a) Kohärente Terminologie 943, 999 Abs. 1 BGB
der §§ 198, 861 Abs. 2, 862 Abs. 2,
Ein erstes Indiz für die Einordnung des Besitzes als Recht könnte sich aus dem Wortlaut der §§ 198 (= §221 a.F.), 861 Abs. 2 , 943, 999 Abs. 1 B G B ergeben, da in diesen Vorschriften im Zusammenhang mit dem Besitz von „Rechtsvorgängern" bzw. „Rechtsnachfolgern" gesprochen wird. 20 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es eine Rechtsnachfolge eben nur bei Rechten, nicht jedoch bei rein tatsächlichen Verhältnissen geben kann. Vor In-KraftTreten des B G B war es freilich umstritten, ob ein solcher Schluss überhaupt statthaft ist. So wandte sich insbesondere Bekker21 gegen den „Satz, dass es Succession wol in Rechte doch nicht in Tatsachen geben könne", da eine Sukzession in nichtrechtliche Beziehungen nicht undenkbar, sondern nur ungewöhnlich sei: „So wenig aus dem Fehlen der Succession beim Besitze zu schließen ist, dass der Besitz ein Recht nicht sein könne, ebensowenig würde umgekehrt statthaft sein, aus dem Dasein einer Succession in den Besitz die rechtliche Natur desselben für erwiesen zu erklären." 22 Dem ist zuzugeben, dass sich der Begriff der Sukzession im allgemeinen Sinne von Nachfolge auch 16 Vgl. dazu Popper, Logik der Forschung, 7. Aufl. 1982, S. 3 ff., der die induktive Methode generell ablehnt, da sie überflüssig sei und zu logischen Widersprüchen führe; dagegen Bydlinski, S. 64 Fn. 167. 17 Kellmann, Rechtstheorie 1975, 88 (101). 18 Wittmann, Rechtstheorie 1978, 43 (47). 19 Ebenso Bydlinski, S. 63; A. Kaufmann, S. 79. 20 MünchKomm/Joost, vor § 854, Rn. 9; Soergel/ Stadler13, vor § 854, Rn. 6. 21 Bekker, Das Recht des Besitzes bei den Römern, 1880, S. 302.
B. Der
Besitz
53
auf tatsächliche Verhältnisse beziehen kann. Das BGB spricht nunmehr aber an den genannten Stellen spezifischer von Rechtsnachiolger bzw. Rechtsvorgänger, so dass es nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, dahinter eine Verengung auf die Nachfolge in Rechte zu vermuten. Eine nähere Betrachtung der einzelnen Vorschriften verdeutlicht jedoch, dass die angenommene Indizwirkung keineswegs zwingend ist. Gelangt eine Sache, in Ansehung deren ein dinglicher Anspruch besteht, durch Rechtsnachfolge in den Besitz eines Dritten, so kommt gemäß § 198 BGB die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Verjährungszeit dem Rechtsnachfolger zustatten. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber erklärtermaßen der seinerzeit im Verkehr vorherrschenden Auffassung Rechnung tragen, nach der dem ßesziznachfolger dieselbe Rechtslage verbleibe, die sein Vorgänger eingenommen hat. 23 Die Gesetzesmaterialien bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit der dann im Gesetzeswortlaut verwendeten Formulierung vom „.Rechtsnachfolge in den Besitz" eine Aussage über die Rechtsnatur des Besitzes verbunden gewesen wäre. Dementsprechend war auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zunächst nur streitig, ob für die notwendige Rechtsnachfolge die Erlangung des Besitzes mit dem Willen des früheren Besitzers ausreicht oder ob zusätzlich erforderlich sei, dass der bisherige Besitzer dem neuen Besitzer sein Recht zum Besitz der Sache oder, falls er ein solches nicht hat, doch die Rechtsposition, die er in Ansehung der Sache hat, überträgt. 24 Erstere Meinung hat sich heute mit Recht allgemein durchgesetzt, 25 so dass entsprechend den Motiven besser von Besitznachfolge gesprochen werden sollte. 26 Die gleichen Überlegungen treffen auf die Regelung des § 943 BGB zu. Nach dieser Vorschrift kommt die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Ersitzungszeit dem Dritten zustatten, wenn die Sache durch Rechtsnachfolge in den Eigenbesitz eines Dritten gelangt. Der Gesetzgeber wollte hierduch die Ersitzungslage zwar nicht als erwerbbares Recht, aber doch immerhin als eine Rechtsposition anerkennen, welche ebenso wie das Eigentum im Wege der Singular- und Universalsukzession übertragen wird. 2 7 Ein wesentlicher Unterschied zu § 198 BGB besteht allerdings insoweit, als § 943 BGB Eigenbesitz des Dritten voraussetzt. Erforderlich ist daher ein Ubertragungsvorgang zwischen dem Besitzvorgänger und dem Nachfolger, 22
Bekker, Das Recht des Besitzes bei den R ö m e r n , 1880, S. 304. Ein U b e r b l i c k ü b e r den weiteren, d a m a l i g e n Streitstand findet sich bei Windscheid/Kipp, § 153, Fn. 10. 2 3 M o t i v e , III, S. 341 (= Mugdan, III, S. 540). 24 D a z u a u s f ü h r l i c h Planck/Knoke, § 221, A n m . 2. 25 Soergel/Niedenfübr13, § 2 2 1 , R n . 2; Staudinger/Peters, § 2 2 1 , R n . 5; MünckKomm/ Grothe, § 221, R n . 2. 2 6 Ebenso Staudinger/Dilcher, B G B , 12. A u f l . , § 2 2 1 , R n . 4 ; Staudinger/Peters, §221, R n . 4. 2 7 M o t i v e , III, S. 353 (= Mugdan, III, S. 196).
54
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
der äußerlich einer wirksamen Verfügung entspricht, ohne dass tatsächlich Wirksamkeit gegeben sein muss. 28 Nach § 861 Abs. 2 B G B ist der Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 Abs. 1 B G B ausgeschlossen, wenn der entzogene Besitz dem gegenwärtigen Besitzer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft war und in dem letzten Jahr vor der Entziehung erlangt worden ist. Den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass mit dem Begriff des „Rechtsvorgängers" nicht mehr gemeint ist als der Vorgänger im Besitz. Die Zweite Kommission billigte den § 819 des ersten Entwurfs, der dem heutigen § 861 B G B entspricht, allein mit dem redaktionellen Antrag, in Abs. 2 hinter „Besitzer" die Worte „oder dessen Vorgänger im Besitze" einzufügen. 29 Die spätere Umformulierung in „Rechtsvorgänger" erfolgte danach lediglich aus redaktionell-sprachlichen Gründen, nicht aber um einer Festlegung der Rechtsnatur des Besitzes Willen. Nach heute nahezu einhelliger Auffassung genügt dementsprechend auch zur Anwendung des Ausschlusses nach §861 Abs. 2 B G B der Eintritt in die Besitzstellung des Vorbesitzers, eine besondere Rechtsnachfolge ist nicht erforderlich. 30 Entsprechendes gilt für den Besitzstörungsanspruch gemäß § 862 Abs. 2 B G B . Gemäß § 999 Abs. 1 B G B kann der Besitzer für die Verwendungen eines Vorbesitzers, dessen Rechtsnachfolger er geworden ist, in demselben Umfang Ersatz verlangen, in welchem ihn der Vorbesitzer fordern könnte, wenn er die Sache herauszugeben hätte. Schon der Wortlaut differenziert deutlich zwischen Besitz- und Rechtsnachfolge, denn andernfalls wäre der Einschub „dessen Rechtsnachfolger er geworden ist" überflüssig. Auch die Materialien verdeutlichen, dass der Gesetzgeber von dieser Unterscheidung ausgegangen ist. Das Recht des Besitzers, Verwendungsersatz zu verlangen, wird als bedingter Anspruch begriffen, der dem Besitznachfolger sozusagen als Minus statt des nicht übergegangenen Eigentums vom Vorbesitzer übertragen wird. 31 Vor diesem Hintergrund wird bei § 999 Abs. 1 B G B - anders als bei § 861 Abs. 2 B G B , aber insoweit in Ubereinstimmung mit § 943 B G B - neben der bloßen Besitznachfolge eine Rechtsnachfolge in dem Sinne vorausgesetzt, dass der Besitzübertragung ein, wenn auch unwirksames, Veräußerungsgeschäft zwischen Vorbesitzer und gegenwärtigem Besitzer zugrunde gelegen haben 28 In diesem Sinne RGZ 129, 199 (203 f.); MünchKomm/Quack, §943, Rn.2; Soergel/ Hensslerl\ § 943, Rn. 2; 29 Protokolle, III, S. 43 (= Mugdan, III, S. 511). Auch in der Denkschrift des Reichsjustizamtes (S. 108) wird wie selbstverständlich synonym vom „Rechtsvorgänger" und vom „Vorgänger im Besitze" gesprochen, vgl. Mugdan, III, S. 963. 30 Münch Komm/Joost, §861, Rn. 8; Staudinger/Bund, §861, Rn. 14; Soergel/Stadler", § 861, Rn. 6; Westermann/Gursky, § 24 II 1; Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 c; missverständlich RGRK-Kregel, § 861, Rn. 9. 31 Motive, III, S. 416 (= Mugdan, III, S. 232); Denkschrift des Reichsjustizamtes, S. 133 (= Mugdan, III, S. 979). In diesem Sinne auch Kress, Besitz und Recht, 1909, S. 325, Fn. 867.
55
B. Der Besitz
muss. 32 Nach alledem kann den Vorschriften der §§ 198, 861 Abs. 2, 943 und 999 B G B kein Hinweis darauf entnommen werden, dass es sich bei dem Besitz um ein Recht handelt. b) Gegenüberstellung von Recht und Besitz in den §§ 268 Abs. 1, 1440 S. 1, 1462 S. 1, 1464 S. 2 BGB Gegen die Einordnung des Besitzes als Recht sprechen außerdem die §§ 268 Abs. 1 S. 1 und 2, 1440 S. 1, 1462 S. 1, 1464 S. 2 B G B . Die dort jeweils vorgenommene Differenzierung zwischen Rechten und Besitz wäre überflüssig, wenn es sich bei dem Besitz um ein Recht handeln würde. 33
2. Gesetzestechnische
Argumente
a) Die rechtsgeschäftliche §§ 854 Abs. 2, 870 BGB
Ubertragbarkeit
des
Besitzes,
Für die Einordnung des Besitzes als ein Recht könnte weiter sprechen, dass das Gesetz in den §§ 854 Abs. 2, 870 B G B die Übertragung des Besitzes durch bloße Einigung des bisherigen und des neuen Besitzers, d.h. durch zwei sich entsprechende Willenserklärungen und damit durch bloßes Rechtsgeschäft, zulässt. 34 Allerdings ist zu beachten, dass es sich dabei lediglich um Ausnahmen von dem in den §§ 854 Abs. 1, 856 Abs. 1 B G B niedergelegten Grundsatz handelt, dass für Besitzerwerb wie -Verlust, und damit auch für die Besitzübertragung, auf die Innehabung der tatsächlichen Gewalt abzustellen ist. Erlangung, Aufgabe und Übertragung der tatsächlichen Gewalt stellen Realakte dar.35 Zwar wird der Übertragung der tatsächlichen Gewalt regelmäßig auf beiden Seiten ein entsprechender Wille, also der Wille zur Beendigung des Besitzes beim bisherigen Besitzer und der Wille zur Erlangung des Besitzes beim neuen Be32 RGZ 129, 199 (204); MünchKomm/Medicus, §999, Rn.4; Soergel/Mühl, §999, Rn. 2; RGRK/Pikart, § 999, Rn. 2; Staudinger/Gursky, § 999, Rn. 1; anders offenbar BGHZ 41, 341 (346) = NJW 1964, 1791 (1792), dagegen aber Gursky, AcP 171 (1971), 82, Fn. 2. 33 Ebenso Heck, Grundriß des Sachenrechts, S. 65 f.; Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 5 (17); Rosenberg, vor § 854 Anm. 5 (S. 13); Soergel!Stadler", vor § 854, Rn. 6 u. 11; Wiefels, S. 11. Dass der Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Erwähnung des Besitzes klargestellt haben könnte, dass der Besitz als Recht behandelt werden solle, wie Sandtner, Kritik der Besitzlehre, 1968, S. 32 Fn. 2, meint, ist reine Spekulation und entspricht im Übrigen nicht der Gesetzestechnik des BGB. 34 So etwa Staudinger/Lorenz, BGB, 12. Aufl., §812, Rn. 73; RGRK/Ärege/, BGB, 12. Aufl., vor § 854, Rn. 2; Wiefels, S. 11; a. A. Härtung, S. 201 ff. (Unterfall des § 854 Abs. 1 BGB). 35 Soergel/Stadler", § 854, Rn. 3; Staudinger/Bund, §856, Rn. 13; Larenz/Wolf §22, Rn. 33; Schreiber, Rn. 53.
56
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
sitzer, zugrunde liegen. Konstitutiv ist eine solche Willensentsprechung jedoch nicht, denn auch der Dieb wird durch Erlangung der tatsächlichen Gewalt Besitzer nach § 854 Abs. 1 B G B und der bisherige Besitzer verliert seinen Besitz nach § 856 Abs. 1 B G B . Die vereinfachte Besitzübertragung nach §§ 854 Abs. 2, 870 B G B stellt sich demgegenüber lediglich als Sonderfall dar, mit dem einem unabweisbaren praktischen Bedürfnis entsprochen werden sollte. 36 b) Die Vererb lieh keit des Besitzes, § 857 BGB Einen weiteren Ausdruck für den Rechtscharakter des Besitzes könnte die Regelung des § 857 B G B darstellen, nach der mit dem Erbfall der Besitz des Erblassers auf den Erben übergeht, ohne dass es auf die tatsächliche Sachherrschaft des Erben ankommt. 37 Gegen den Schluss von der Vererbbarkeit auf die Rechtsqualität spricht nicht von vornherein die Tatsache, dass das Gesetz Fälle kennt, in denen Rechte vom Erbübergang ausgeschlossen sind, wie etwa bei Schmerzensgeldansprüchen nach dem früheren § 847 Abs. 1 S. 2 B G B 3 8 oder beim Erlöschen des Nießbrauchs an Sachen (§1061 B G B ) und an Rechten (§1068 Abs. 2 B G B ) , sowie bei beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten (§§ 1090 Abs. 2, 1061 B G B ) im Falle des Todes des Berechtigten. Denn abgesehen davon, dass der Ausschluss des Rechtsübergangs bei § 847 B G B inzwischen beseitigt worden ist, 39 stellen diese Ausschlüsse lediglich bewusste gesetzgeberische Ausnahmen von dem Grundsatz der Vererblichkeit von Rechten dar, die mit Rücksicht auf den höchstpersönlichen Charakter der Rechte aufgenommen wurden. 40 In diesem Sinne wurde es beispielsweise wegen der dem Schmerzensgeld innewohnenden Genugtuungsfunktion als anstößig angesehen, dass der Erbe möglicherweise entgegen dem Willen des Erblassers den Schmerzensgeldanspruch geltend macht. 41 Der Deutung von § 857 B G B als Beleg für den Rechtscharakter des Besitzes steht jedoch entscheidend der systematische Zusammenhang mit § 1 9 2 2 Abs. 1 B G B entgegen. Denn wäre der Besitz ein Recht, müsste er bereits nach § 1922 Abs. 1 B G B mit dem Erbfall auf den Erben übergehen, so dass es der
Vgl. Protokolle, III, S. 227 i.V.m. S. 201 ff. (= Mugdan, III, S. 517 i.V.m. S. 627). So z.B. O. v. Gierke, Fahrnisbesitz, S. 9; Hellwig, Lehrbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Band I, S. 206, Fn. 44; Staudinger/W. Lorenz, 12. Aufl., § 812, Rn. 73; RGRK/Äregel, vor § 854, Rn. 2; Wiefels, S. 11. 38 So aber Jürgens, S. 40. 39 § 847 Abs. 1 S. 2 BGB wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze vom 14.3.1990 (BGBl. I, S. 478) mit Wirkung zum 1.7.1990 gestrichen. 40 RGRK-Rothe, BGB, 12. Aufl., § 1061, Rn. 1; Soergel/Stürner, § 1061, Rn. 1. 41 Motive, II, S. 802 (= Mugdan, II, S. 448). 36 37
B. Der
Besitz
57
Vorschrift des § 857 BGB nicht bedurft hätte. 42 Die Entstehungsgeschichte des § 857 BGB bestätigt zudem, dass die Norm keinerlei Festlegung in die eine oder andere Richtung sein sollte, sondern dass die vorliegende Regelung aus gesetzestechnischen Gründen getroffen wurde. Während das römische Recht den Besitz als faktische Beziehung zu einer Sache begriff und daher die Vererblichkeit des Besitzes verneinte, 43 ging nach germanischem Recht die Gewere mit dem Tod des Erblassers auf den Erben über. 44 In Deutschland konnte sich bis in das neunzehnte Jahrhundert die Vererblichkeit des Besitzes nicht durchsetzen, 45 und auch der erste Entwurf zum BGB ging noch von der Unvererblichkeit aus, stellte aber in den §§ 2052 - 2054 Vorschriften zum Schutz des Erben gegen Beeinträchtigung des Besitzes an Nachlassgegenständen auf. Die Zweite Kommission betonte demgegenüber, dass der Grundsatz der Unvererblichkeit des Besitzes im damals geltenden Recht ohnehin nirgends rein durchgeführt sei, und entschloss sich, die Vererblichkeit durch eine ausdrückliche Vorschrift zu regeln, da es leichter sei, die Ausnahmen von der Vererblichkeit aufzustellen als jene von der Unvererblichkeit. 46 Das Ziel der Regelung war folglich nicht eine punktuelle Formung der Rechtsnatur des Besitzes, vielmehr sollte durch eine einfache, den Bedürfnissen des Lebens und der Rechtssicherheit entsprechende Gestaltung der Nachlass in der Zeit zwischen dem Tode des Besitzers und der Besitzergreifung der zu dem Nachlass gehörenden Sachen durch den Erben gegen Eingriffe Dritter gesichert werden. 47
c) Fehlende Eintragbarkeit
bei
Immobilien
Gegen die Einordnung des Besitzes als (dingliches) Recht spricht weiterhin die Tatsache, dass der Besitz an einem Grundstück nach allgemeiner Meinung kein im Grundbuch nach § 873 Abs. 1 BGB, § 9 GBO eintragbares Recht dar-
Ebenso Soergel/ Stadler13, vor § 854, Rn. 6. Iavolenus D 41.2.23 pr.: Cum heredes instituti sumus, adita hereditate omnia quidem iura ad nos transeut, possessio tarnen nisi naturaliter comprehensa ad nos non pertinet (Wenn wir zu Erben eingesetzt worden sind, so gehen zwar durch den Erbschaftsantritt alle Rechte auf uns über, allein der Besitz steht uns nur dann zu, wenn er natürlich ergriffen worden ist zitiert nach Otto/Schilling/Sintenis, Das Corpus Juris Civilis in's Deutsche übersetzt, Band IV, 1832, S. 289). 44 R. Hübner, Grundzüge des Deutschen Privatrechts, 5. Aufl. 1930, S.206; Planitz, Grundzüge des Deutschen Privatrechts, 3. Aufl. 1949, S. 99; Wilhelm Eduard Albrecht, Die Gewere, 1828, S. 32; A. Heusler, Die Gewere, 1872, S. 172 ff.; E. Huber, Die Bedeutung der Gewere im deutschen Sachenrecht, 1894, S. 38; Ogris, Gewere, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Band I, 1971, Sp. 1658 (1663); O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band II, 1905, § 113 III 1 b (S. 194). 45 Wieling, Sachenrecht I, § 4 V 1 a. 46 Protokolle, V, S. 652 (= Mugdan, V, S. 423). 47 Denkschrift des Reichsjustizamtes, S. 107 (= Mugdan, III, S. 962). 42
43
58
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
stellt. 48 Der Besitz ist keine Belastung der betreffenden Sache, die sich als solche dem Eigentum gegenüber durchsetzt. 49 Demgemäß kann sich der Erwerber auch nicht auf das Schweigen des Grundbuchs in Ansehung der Besitzverhältnisse verlassen, § 892 BGB. 50 Zwar wird kontrovers diskutiert, ob die Besitzüberlassung aufgrund Vermietung oder Verpachtung als „Verfügung" im Sinne des § 893, 2. Alt. BGB anzusehen ist. Doch selbst diejenigen, die dies entgegen der h.M. 51 bejahen, 52 gehen richtigerweise nicht von der Eintragbarkeit des Besitzes im Grundbuch aus. 53 Denn die Frage nach der Eintragungsfähigkeit eines Rechts berührt nicht die Auslegung des Begriffs der Verfügung über das Recht. d) Vergleich mit der
Grundbucheintragung
Gegen die Rechtsnatur des Besitzes wird auch ein Vergleich mit der Grundbucheintragung im Liegenschaftsrecht herangezogen, die ihrerseits nach allgemeiner Ansicht kein Recht darstellt. Sowohl Besitz als auch Grundbucheintrag sind vom Gesetz als Publizitätsmerkmal ausgestaltet worden. Dem Besitz kommt diese Aufgabe bei Mobilien zu, während der Grundbucheintrag diesen Zweck bei Grundstücken erfüllt. Beiden kommt darüber hinaus als Publizitätsmittel die Eigenschaft als Rechtsscheinsträger zu, wie sich aus § 1006 BGB einerseits und § 891 BGB andererseits ergibt. Der Eigenbesitz begründet bei beweglichen Sachen die Grundlage der Ersitzung, § 937 BGB, während dies bei Grundstücken die Grundbucheintragung in Verbindung mit dem Eigenbesitz ist, § 900 BGB. Die rechtsgeschäftliche Übertragung des Eigentums setzt jeweils konstitutiv eine Veränderung in dem entsprechenden Publizitätsmittel voraus, §§929, 873 Abs. 1 BGB. Schließlich stehen sowohl Besitz als auch Grundbucheintragung jeweils selbständig neben dem Eigentumsrecht an der Sache und gehen beide nicht kraft Gesetzes mit dem Eigentumsrecht auf den Erwerber über. Vielmehr begründet der Eigentumsübergang regelmäßig nur den Anspruch auf Einräumung des Besitzes, § 985 BGB, RGZ 54, 233 (235); 61, 374 (378); Soergel/Stürner13, § 873, Rn. 27. Eichler, Institutionen des Sachenrechts, 1. Band, Berlin 1954, S. 56 f. 50 Baur/Stürner, § 29, Rn. 76. 51 RGZ 106, 109 (111); 124, 325 (327); KG JW 1929, 2893 (2894); v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Band II/l, § 54 II 1 (S. 253 f.); Wolff/Raiser, § 45 I 2 c (S. 143); Baur/Stürner, § 23, Rn. 23; Westermann/Eickmann, § 84 III 4 b (S. 658); Staudinger/Emmerich, § 571, Rn. 11; Staudinger/ Gursky, § 893, Rn. 23. 52 v. Brünneck, Gruchot 42 (1898), 291 (306); Hellwig, Rechtskraft, S.429; L. Mitteis, Zwei Fragen aus dem bürgerlichen Recht, 1905, S. 20 ff.; Raupe, JherJb 71 (1922), 97 (182); Gschnitzer, AcP 123 (1925), 43 (69 ff.); Heck, Grundriß des Schuldrechts, §100, 9 (S. 313); Otte, FS Wieacker, S.463 (475); ders., Gedächtnisschrift f. Sonnenschein, S. 181 (187 ff.); Canaris, FS f. Flume I, S. 371 (403 f.); Wacke, FS f. Gernhuber, S. 489 (518 f.); vgl. dazu auch unten, Teil 2, 4. Kapitel, A. III. 3. c (S. 284 ff.). 53 Vgl. nur Canaris, FS f. Flume I, S. 371 (403); MünchKomm/Wacke, § 893, Rn. 10. 48 49
B. Der
Besitz
59
bzw. auf Zustimmung zur Eintragung in das Grundbuch, § 894 B G B . Aus dieser Parallelität wird zum Teil der Schluss gezogen, dass der Besitz ebenso wie die Grundbucheintragung kein Recht sein könne, da nicht ersichtlich sei, warum das Gesetz das gleichlaufende Publizitätsmittel im Mobiliarrecht von seiner Natur her anders regeln wollte. 5 4 Der Schluss von der Rechtsnatur der Grundbucheintragung auf die Rechtsnatur des Besitzes bei Mobilien ist jedoch keineswegs zwingend. Wenn auch die Grundbucheintragung im Immobiliarsachenrecht weite Teile der Funktion des Besitzes bei beweglichen Sachen übernommen hat, so ersetzt die Eintragung den Besitz bei Immobilien doch nicht vollständig. Dies zeigt sich etwa daran, dass auch der Verkäufer eines Grundstücks nach § 433 Abs. 1 S. 1 B G B nicht nur das Eigentum zu verschaffen, d.h. das Grundstück nach § 925 B G B aufzulassen und der Eintragung zuzustimmen, sondern auch die Kaufsache zu übergeben, also den Besitz einzuräumen hat. Darüber hinaus sind die Vorschriften der §§ 854 ff. B G B und damit insbesondere die Besitzschutzansprüche der §§ 858 ff. B G B sowohl auf bewegliche wie unbewegliche Sachen anwendbar. Wenn also im Immobiliarsachenrecht der Besitz am Grundstück eine eigenständige Rolle behält und die Grundbucheintragung lediglich einen Teil der Besitzfunktionen, nämlich den Publizitätszweck übernimmt und insoweit ergänzend neben den Besitz an dem Grundstück hinzutritt, so kann nicht ohne weiteres von Eigenschaften der Grundbucheintragung auf Eigenschaften des Besitzes insgesamt geschlossen werden. Vielmehr ist es gedanklich genauso möglich, dass sich die Besitzeigenschaften sowohl bei Mobilien wie bei Immobilien entsprechen und beide ihrerseits von den Charakteristika der Grundbucheintragung abweichen.
e) Besitz als Grundlage anderweitigen
Rechtserwerbs
Schließlich ist gegen die Rechtsnatur des Besitzes von Hedemann geltend gemacht worden, dass der Besitz als Unterlage für den Erwerb von Rechten, z.B. des Eigentums, zu dem fragwürdigen Bild führe, dass man ein Recht, nämlich den Besitz, erwerben müsse, nur um dadurch zu einem anderen Rechte, dem Eigentum, zu gelangen. 55 Entgegen Hedemann muss dies jedoch nicht ohne weiteres als ein „Misston" gewertet werden. Die Besitzerlangung ist zwar regelmäßig Voraussetzung für den derivativen oder originären Eigentumserwerb (§§ 929, 937, 958, 984 B G B ) , doch dies gilt ebenso für den Erwerb eines Pfandrechts (§ 1204 B G B ) oder eines Nießbrauchs (§ 1032 B G B ) an Sachen. Dass andere dingliche Rechte demgegenüber keinen solchen Stufenerwerb von Rechten kennen, liegt daran, dass bei diesen der Besitz kein Tatbe54 55
Jürgens, S. 62 f. Hedemann, Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, § 44 V (S. 451 f.).
60
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
standselement darstellt. Das Phänomen eines doppelten Rechtserwerbs spricht daher nicht entscheidend gegen die Annahme der Rechtsnatur des Besitzes.
3. Systematische
Argumente
a) Das Verhältnis von § 865 BGB zu § 93 BGB Gegen die Rechtsnatur des Besitzes ist außerdem das Verhältnis des § 865 BGB zu § 93 BGB eingewandt worden. Nach § 865 BGB ist Teilbesitz an einer Sache, insbesondere an Wohnräumen und anderen Räumen, möglich. Demgegenüber bestimmt § 93 BGB, dass wesentliche Bestandteile einer Sache nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können. Vor diesem Hintergrund könnten die Vorschriften nur unter der Prämisse, dass der Besitz kein Recht ist, widerspruchsfrei zueinander in Beziehung gesetzt werden. 56 Allein, auch dieser Schluss erscheint keineswegs als der einzig mögliche. Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht beide Vorschriften im Verhältnis von lex specialis und lex generalis zueinander gesehen werden könnten. § 93 BGB stellte danach als im Allgemeinen Teil angesiedelte Grundregel für alle Rechte das Prinzip auf, dass für wesentliche Bestandteile keine gesonderten Rechte begründet werden können. § 865 BGB würde demgegenüber für den Besitz eine Ausnahme bilden, die sich aus dem praktischen Bedürfnis rechtfertigen ließe, verschiedenen, abgegrenzten Herrschaftsbereichen unabhängig voneinander Besitz zuzusprechen. 57 Das Zusammenspiel dieser Vorschriften ist daher nicht geeignet, die Diskussion um die Rechtsnatur des Besitzes in die eine oder andere Richtung zu stützen.
b) „Vergeistigung"
des Besitzes
Für die Beurteilung, dass es sich beim Besitz nicht um ein reines Faktum handeln könne, wird auch angeführt, dass etwa im mittelbaren Besitz eine gewisse „Vergeistigung" zutage trete. 58 Eine solche Argumentation könnte sich zusätzlich auf einen Teil der Literatur stützen, die im mittelbaren Besitz nichts anderes als ein Rechtsverhältnis sieht. 59 Es wurde jedoch bereits an anderer Stelle 60 dargelegt, dass es sich bei § 868 BGB lediglich um eine gesetzestechnische Fiktion handelt, deren Aufgabe darin besteht, dem mittelbaren Besitzer 56 Heck , Grundriß des Sachenrechts, § 17 IV A (S. 66); Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 5 (17 f.); Rosenberg, vor § 854 Anm. 5; MünchKomm/Joost, vor § 854, Rn. 9; Wiefels, S. 11. 57 Die praktische Wichtigkeit der Vorschrift betont auch die Denkschrift des Reichsjustizamtes, S. 110 (= Mugdan, III, S. 964). 58 Staudinger/Lorenz, § 812, Rn. 73. 59 MünchKomm/Joost, § 868, Rn. 6. 60 Vgl. oben, 1. Kapitel, A. II. (S. 15 f.).
B. Der Besitz
61
Besitzschutzansprüche zu verschaffen und ihm die Ersitzung zu ermöglichen. Daher kann der mittelbare Besitz nicht gegen das faktische Gepräge des unmittelbaren Besitzes als Grundform sprechen. c) Besitzerwerb
durch nicht voll
Geschäftsfähige
Gegen die Einordnung des Besitzes als Recht wird weiter eingewandt, dass auch Geschäftsunfähige den Besitz erwerben können. Stellte der Besitz ein Recht dar, wäre der Schutz der Geschäftsunfähigen nach §§ 104 ff. B G B durch die §§ 854 Abs. 1, 857 B G B durchbrochen, so dass die Gesetzessystematik gegen die Ausgestaltung des Besitzes als Recht spreche. 61 Daran ist zunächst richtig, dass der Besitz nach § 854 Abs. 1 B G B durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt erworben wird. Dieser Vorgang wird allgemein als Realakt betrachtet, so dass selbst Geschäftsunfähige Besitz erwerben können, sofern sie nur einen natürlichen Besitzwillen bilden können. 6 2 Würde man nun vom Besitz als einem Recht ausgehen, würde dies bedeuten, dass auch Geschäftsunfähige durch bloßen Realakt ein Recht, nämlich den Besitz, erwerben können. Ein solcher Vorgang ist unserer Rechtsordnung jedoch keineswegs fremd. So entsteht etwa auch das Urheberrecht nach § 2 Abs. 2 U r h G konstitutiv und allein durch den Vorgang der Schöpfung in der Person des Urhebers. Dieser Schöpfungsprozess stellt ebenfalls lediglich einen Realakt dar, so dass anerkanntermaßen die Geschäftsfähigkeit keine Voraussetzung für das Entstehen des Urheberrechts ist. 63 Auch das bürgerliche Recht kennt eine Reihe von Fällen, in denen Rechte durch schlichten Realakt, auch eines Geschäftsunfähigen, begründet werden können. Zu nennen sind hier etwa die Verbindung und Vermischung (§§ 946 - 948 B G B ) , die Entdekkung eines Schatzes (§ 984) oder die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 682 B G B ) . Anders ist die Situation freilich, soweit es nicht um den Erwerb, sondern um den Verlust des Besitzes geht. Wenn der Besitz ein Recht wäre, wäre der Geschäftsunfähige bzw. der beschränkt Geschäftsfähige in der Tat in Abweichung von §§ 104 ff. B G B in der Lage, durch bloße Ubergabe der Sache den Besitz zu verlieren und dadurch einen rechtlichen Nachteil zu erleiden.
d) Stellung der §§ 854 f f
BGB
Ein weiteres Indiz lässt sich dem Aufbau der sachenrechtlichen Vorschriften des B G B entnehmen. Es fällt auf, dass das Dritte Buch des Bürgerlichen Gesetzbuchs im ersten Abschnitt die Vorschriften über den Besitz voranstellt, 61
62
63
Jürgens, S. 59. RGZ 98, 131 (132); K. Müller, Rn. 120; Westermann/Gursky, § 13 I 2 (S. 92). Möhring/Nicolini/Ahlberg, Einl., Rn. 31 u. § 7 UrhG, Rn. 2; Scbricker/Loewenheim,
UrhG, Rn. 5.
§7
62
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
bevor im zweiten Abschnitt allgemeine Vorschriften über Rechte an Grundstücken behandelt werden. Dabei weisen letztere keinerlei Zusammenhang mit den Besitzregelungen auf. Der dritte Abschnitt, der sich mit dem Eigentum beschäftigt, steht zunächst beziehungslos neben den Besitzvorschriften bis die Verbindung über die Eigentumserwerbstatbestände (§§ 929 ff. BGB), die Ersitzung (§§ 937 ff. BGB), den Fruchterwerb (§§ 955 ff. BGB), die Aneignung (§§958 ff. BGB), die Vermutungswirkung des Besitzes (§1006 BGB) und die petitorischen Besitzansprüche (§§ 1007 BGB) hergestellt wird. Wäre der Besitz ein Recht, entspräche dieser Aufbau nicht der sonst im BGB üblichen Gesetzestechnik, die allgemeinen Vorschriften vor die Klammer zu ziehen. 64
e) Besitzerwerb
vom
Nichtberechtigten
Der gute Glaube an das Besitzrecht oder auch nur an den Besitz des Vormannes ist nicht Voraussetzung für den Besitzerwerb nach § 854 BGB. 65 Dass dies so ist, wird auch durch die Differenzierung zwischen dem gut- und dem bösgläubigen Besitzer in den §§990 Abs. 1, 991, 1007 Abs. 1 BGB unterstrichen. Demgegenüber können Rechte nicht durch einen Bösgläubigen vom Nichtberechtigten erworben werden, vgl. §§405, 892 Abs. 1, 932 Abs. 1 S. 1, 937 Abs. 2, 957, 1155 S. 1, 1192 Abs. 1, 1207 BGB, § 366 HGB, Art. 16 Abs. 2 WG, Art. 21 ScheckG. Dieses geradezu fundamentale zivilrechtliche Strukturprinzip steht in auffälligem Gegensatz zu dem Umstand, dass auch der Bösgläubige Besitz erwerben kann und legt daher den Schluss nahe, dass es sich beim Besitz nicht um ein Recht handelt. 66
4. Teleologische a) Der Besitzschutz
Argumente gegenüber
Dritten, §§ 858 f f . BGB
Dem Besitzer stehen nach den §§ 858 ff. BGB eine Reihe von Besitzschutzansprüchen und damit Rechte zur Verfügung. So steht dem Besitzer nach § 859 Abs. 1 BGB nicht nur das Recht zu, sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt zu erwehren, er hat auch gemäß § 861 Abs. 1 BGB Anspruch auf Wiedereinräumung des durch verbotene Eigenmacht entzogenen Besitzes und kann nach § 862 Abs. 1 BGB verlangen, dass Besitzstörungen beseitigt werden. Dies könnte ein Beleg für den Rechtscharakter des Besitzes sein, da der Besitz selbst Schutzobjekt ist und ihm über seine eigene Existenz hinaus be64 Ebenso Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 5 (17); Soergel/Mühl, JuS 1980, 501; Jürgens, S. 59 f. 65 RGZ 105, 413 (414); Soergel!Mühl, § 854, Rn. 3. 66 So auch Jürgens, S. 74 ff.
vor § 854, Rn. 1; Lopau,
B. Der Besitz
63
stimmte Rechtswirkungen zukommen. 67 So macht insbesondere H. Mitteis geltend, dass in der Regel jeder Anspruch aus einem Recht erwachse und die Funktion eines dinglichen oder persönlichen Rechts darstelle, so dass nicht einzusehen sei, warum dies beim Besitz anders sein sollte. 68 Der Schluss von dem Vorliegen von Schutzansprüchen auf die Rechtsqualität des Schutzobjekts ist jedoch genausowenig verlässlich oder gar zwingend wie der Schluss von dem Bestehen eines Anspruchs auf die Rechtsnatur des Anspruchsgrundes. So stehen z.B. dem Inhaber von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen nach § 17 U W G i.V.m. § 1 U W G bzw. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 826 B G B Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche wegen des Verrats und der Verwertung von Geheimnissen zu. Gleichwohl wird das Objekt des Schutzes, das Geheimnis, nicht als Recht, sondern als Tatsache angesehen. 69 Vor allem aber ist die Vorstellung unzutreffend, dass hinter jedem Anspruch eine Art Mutterrecht stehen müsse, aus dem der Anspruch erwächst. 70 Völlig zu Recht hatte Ludwig Raiser bereits 1961 festgestellt, dass sekundäre Rechte in weitem Umfang auch dem Schutz von Positionen dienen, die unzweideutig nicht zu den primären subjektiven Rechten ausgestaltet sind.71 In diesem Sinne sind die Besitzschutzansprüche der §§ 861, 862 B G B ohne weiteres als sekundäre Ansprüche denkbar, denen keineswegs ein subjektives Recht zugrundeliegen muss. Vor allem aber ist zu beachten, dass die Besitzschutzansprüche der §§ 858 ff. B G B nur aus ihrer spezifischen Friedensfunktion heraus zu erklären sind.72 Das Eigeninteresse des Besitzers an der Aufrechterhaltung seiner Besitzposition wird durch diese Friedensfunktion überlagert und stellt sich damit als bloßer tatsächlicher Reflex der Besitzschutzansprüche dar. Das Gesetz knüpft an den Tatbestand des Besitzes als tatsächlicher Sachherrschaft verschiedene Rechtsfolgen, so dass der Besitz gewisse Rechte in Ansehung der Sache - wenn auch nur vorläufig - vermittelt. Daraus lässt sich jedoch nicht auf die Rechtsnatur des zugrundeliegenden Tatbestandes, eben des Besitzes als tatsächlicher Sachherrschaft, schließen. 73
67 In diesem Sinne RGZ 59, 326 (328); Hellwig, Lehrbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Band 1,1903, S. 206 f.; Cosack/Mitteis, § 4 IV 1 (S. 19). 68 Cosack/Mitteis, § 4 IV 1 (S. 19). 69 Vgl. BGH, GRUR 1955, 424 (425) - „Möbelwachspaste"; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 17 UWG, Rn. 2. 70 Dieses Problem wird uns im Zusammenhang mit der Deutung des petitorischen Besitzschutzes nach § 1007 BGB erneut begegnen, vgl. unten, Teil 2, 2. Kapitel, C. III. 2. (S. 187 ff.). 71 L. Raiser, JZ 1961,465 (467) = ZBernJV 1961,121 (128). 72 Dazu im Einzelnen oben, 2. Kapitel, B. II. (S. 32 ff.). 73 In diesem Sinne auch Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Band I, Berlin 1954, S. 56; RGRK/Kregel, § 854, Rn. 1; Strohal, JherJb 38 (1898), 1 (40).
64
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
b) Zeitliche Begrenzung der Besitzansprüche Vereinzelt ist zur Bestimmung der Natur des Besitzes argumentativ auch auf die zeitliche Begrenzung der Besitzansprüche nach § 864 Abs. 1 BGB zurückgegriffen worden. Nach dieser Vorschrift erlischt ein nach den §§861, 862 BGB begründeter Anspruch mit dem Ablauf eines Jahres nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht, wenn nicht vorher der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht wird. Diese Regelung sei unverständlich, wenn man davon ausgeht, dass der Besitz ein Recht ist, da sie zur Konsequenz hätte, dass im Anschluss an eine verbotene Eigenmacht das Besitzrecht des Geschädigten nach einem Jahr erlösche und der nach § 858 Abs. 1 S. 1 BGB fehlerhafte und rechtswidrige Besitz allein aufgrund des Zeitablaufs gemäß § 864 Abs. 1 BGB zu einem Recht werde; ein Rechtsübergang auf einen Bösgläubigen allein aufgrund eines Zeitablaufs sei dem BGB aber fremd. 74 Diese Argumentation ist schon deshalb nicht überzeugend, weil der Inhalt der Ansprüche nach §§ 861, 862 BGB verkannt wird. Im Falle der Besitzentziehung erlischt nicht das „Besitzrecht" des Geschädigten nach einem Jahr, sondern der frühere Besitzer verliert seinen Besitz durch die verbotene Eigenmacht des Täters, soweit keine Selbsthilfe nach § 859 Abs. 1, Abs. 2 BGB geübt wird. Nach § 864 Abs. 1 BGB erlischt vielmehr der Anspruch des früheren Besitzers auf Wiedereinräumung des Besitzes gemäß § 861 Abs. 1 BGB. Auch im Falle der Besitzstörung erlischt nicht etwa das „Besitzrecht" oder der Besitz des Gestörten, vielmehr kann er nach Ablauf eines Jahres nicht mehr Beseitigung und Unterlassung dieser Störung verlangt werden, §§864 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB. Es findet demgemäß auch kein „Rechtsübergang" aufgrund Zeitablaufs statt. Selbst wenn man annimmt, dass der Besitz ein Recht darstellt, so geht der Besitz im Falle der Besitzentziehung nicht durch Ablauf der Jahresfrist, sondern dadurch auf den Täter über, dass er dem ursprünglichen Besitzer entzogen und die tatsächliche Sachherrschaft schon durch die verbotene Eigenmacht nunmehr vom Täter ausgeübt wird. Auch bei der Besitzstörung bewirkt die Jahresfrist keinen Rechtsübergang. Der bisherige Besitzer behält seinen - beeinträchtigten - Besitz, der Täter kann allenfalls Mitbesitz begründen, dies allerdings schon durch die Störung. Die Vorschrift des § 864 Abs. 1 BGB gibt aber auch deshalb für die Frage nach der Rechtsnatur des Besitzes nichts her, weil sich der Normzweck in jedem Falle nachvollziehbar rechtfertigen lässt. Geht man vom Besitz als reinem Faktum aus, so manifestiert sich im Ausschluss der Besitzansprüche die durch den Zeitablauf gewandelte Verkehrsauffassung im Hinblick auf die Güterzuordnung: das Schweigen hat den Friedensbruch geheilt, 75 es macht den
74 75
Jürgens, S. 45. M. W o l f f , in: FS f. Koch, S. 150 (154).
65
B. Der Besitz
Unfrieden zum Frieden. 76 Der bisherige Besitz wird nicht mehr als schützenswert angesehen, da sich der neue Zustand verfestigt hat und die bisherige Besitzbeziehung verdrängt. 77 Darüber hinaus wird durch die Ausschlussfrist den mit zunehmender Zeit größer werdenden Beweisschwierigkeiten Rechnung getragen. 78 Diese Überlegungen greifen gleichermaßen Raum, wenn der Besitz als Recht begriffen wird, denn der Besitz wird auch unter Zugrundelegung dieser Prämisse durch den Verlust der Sachherrschaft eingebüßt.
5.
Würdigung
Insgesamt ergibt die Analyse des objektiven positivierten Besitzrechts, dass sich einerseits keine überzeugenden Gründe für die Annahme eines subjektiven Rechts des Besitzes finden lassen, andererseits aber eine Reihe von Argumenten eindeutig gegen den Besitz als Recht und für ein Verständnis des Besitzes als schlichtem Faktum sprechen. Hierzu gehören neben der Terminologie in den §§ 268 Abs. 1, 1440 S. 1,1462 S. 1,1464 S. 2 B G B die Regelung der Vererblichkeit des Besitzes in § 857 B G B , die fehlende Eintragbarkeit des Besitzes bei Immobilien, die Möglichkeit des Besitzverlusts durch nicht voll Geschäftsfähige, die systematische Stellung der §§ 854 ff. B G B sowie die Möglichkeit des bösgläubigen Besitzerwerbs.
III. Deduktive Betrachtung: aus dem subjektiven Recht
Ableitung
des Besitzes
U m sich dem Wesen des Besitzes in seiner Ausgestaltung durch die geltende Rechtsordnung zu nähern, soll im Folgenden versucht werden, das Problem in deduktiver Weise zu beleuchten. Da sich der Besitz grundsätzlich sowohl als reines Faktum als auch als subjektives Recht vorstellen lässt, soll untersucht werden, ob eine klarere Einordnung möglich ist, wenn der Besitz von den allgemeinen Kriterien des subjektiven Rechts abgeleitet wird. Zwar ist der Begriff des subjektiven Rechts bis auf den heutigen Tag Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung und weit davon entfernt, geklärt zu sein. Auch das Ziel der vorliegenden Arbeit kann nicht darauf gerichtet sein, dieses grundlegende Problem der Rechtswissenschaft und -philosophie umfassend auszuleuchten oder gar zu „lösen". Wie zu zeigen sein wird, lassen sich jedoch schon aus der Betrachtung der wichtigsten seit Savigny entwickelten unterschiedlichen Konzeptionen und Beschreibungen des subjektiven Rechts
Wolff/Raiser, S.61. MünchKomm/Joost, § 864, Rn. 1. 7 8 Motive III, S. 133 (=Mugdan, III, (= Mugdan, III, S. 964). 76 77
S. 74); Denkschrift des Reichsjustizamtes, S. 109
Teil 1: Grundlagen
66
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
Rückschlüsse auf den Charakter des Besitzes ziehen. Bei der nachfolgenden Untersuchung wird zu berücksichtigen sein, dass es wegen des notwendigerweise hohen Abstraktionsgrades der einzelnen Definitionsversuche problematisch ist, aus ihnen unmittelbar zwingende Ergebnisse zur Einordnung konkreter Erscheinungsformen abzuleiten. Die klassische Auslegung wird hier stets ihre Rolle als Kernelement juristischer Arbeitstechnik behalten. Jedoch erscheint es auch nicht sinnvoll, sämtliche Erklärungsansätze des subjektiven Rechts von vornherein beiseite zu schieben. Gerade eine umfassende Betrachtung der verschiedenen Theorien zum subjektiven Recht kann zumindest geeignet sein, gemeinsame äußere Grenzen zu verdeutlichen und dadurch die im Wege der Auslegung gefundenen Ergebnisse abzusichern.
1. Zum Begriff des subjektiven a)
Rechts
Willenstheorie
Das Verständnis des subjektiven Rechts als Willensmacht oder Willensherrschaft wurde von Friedrieb Carl v. Savigny begründet: „Betrachten wir den Rechtszustand, so wie er uns im wirklichen Leben von allen Seiten umgiebt und durchdringt, so erscheint uns darin zunächst die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unsrer Einstimmung herrscht. Diese Macht nennen wir ein Recht dieser Person, gleichbedeutend mit Befugniß: Manche nennen es das Recht im subjectiven Sinn." 7 9
Das Element der Willensmacht hat Bernhard Windscheid aufgenommen, jedoch von einem positivistischen Standpunkt aus mit der Rechtsordnung verknüpft: „Vom Recht im Sinne von Berechtigung (Recht im subjektiven Sinne, subjektives Recht) spricht man in doppelter Bedeutung. 1. Recht auf ein gewisses Verhalten, Tun oder Unterlassen, der dem Berechtigten gegenüberstehenden Personen oder einer gegenüberstehenden Person. Die Rechtsordnung (das Recht im objektiven Sinne, das objektive Recht) hat auf Grund eines konkreten Tatbestandes einen Befehl zu einem Verhalten bestimmter Art erlassen und diesen Befehl demjenigen, zu dessen Gunsten sie ihn erlassen hat, zur freien Verfügung hingegeben. Sie überlässt es ihm, ob er von dem Befehl Gebrauch machen, und im Besonderen, ob er die ihm gegen den Widerstrebenden von der Rechtsordnung gewährten Mittel zur Anwendung bringen will, oder nicht. Demgemäß ist sein Wille maßgebend für die Durchsetzung des von der Rechtsordnung erlassenen Befehls. Die Rechtsordnung hat sich des von ihr erlassenen Befehls zu seinen Gunsten entäußert, sie hat ihren Befehl zu seinem Befehl gemacht. Das Recht ist sein Recht geworden. 2. Nicht diese Bedeutung hat das Wort Recht, wenn man z.B. sagt, der Eigentümer habe das Recht, seine Sache zu veräußern, der Gläubiger das Recht, seine Forderung zu zedieren, einem Vertragschließenden stehe das Rücktrittsrecht oder das Kündigungs79
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band I, 1841, § 4, S. 7.
B. Der
67
Besitz
recht zu u.a. Man meint in diesen und ähnlichen Redewendungen mit dem Worte Recht, dass der Wille des Berechtigten maßgebend sei für die Entstehung von Rechten der zuerst gedachten Art, oder für den Untergang oder die Veränderung entstandener. Es wird dem Berechtigten ein maßgebender Wille zugeschrieben nicht für die Durchsetzung, sondern für das Sein von Befehlen der Rechtsordnung. Beide Arten der subjektiven Rechte umfaßt die Definition: Recht ist eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft." 8 0
b)
Interessentheorie
N a c h seiner A b k e h r v o n d e r B e g r i f f s j u r i s p r u d e n z hat Rudolf
v.Jhering
die
U m s c h r e i b u n g des s u b j e k t i v e n Rechts als rechtlich geschütztes Interesse geprägt: „Zwei Momente sind es, die den Begriff des Rechts konstituieren, ein substantielles, in dem der praktische Zweck desselben liegt, nämlich der Nutzen, Vorteil, Gewinn, der durch das Recht gewährleistet werden soll, und ein formales, welches sich zu jenem Zweck bloß als Mittel verhält, nämlich der Rechtsschutz, die Klage. Ersteres ist der Kern, letzteres die schützende Schale des Rechts. Jenes für sich allein begründet lediglich einen tatsächlichen Zustand des Nutzens oder Genusses (faktisches Interesse), der jederzeit ohne weitere Folgen von jedem, der dazu tatsächlich in der Lage ist, aufgehoben werden kann. Den Charakter der Zufälligkeit, Hinfälligkeit verliert dieser Zustand erst dadurch, dass das Gesetz ihn unter seinen Schutz nimmt, der Genuß oder die Aussicht auf denselben wird dadurch ein gesicherter: ein Recht. Der Begriff des Rechts beruht auf der rechtlichen Sicherheit des Genusses, Rechte sind rechtlich geschützte Interessen." 8 1
c)
Kombinationstheorie
In der Folgezeit hat sich auf breiter Basis ein Verständnis des s u b j e k t i v e n Rechts etabliert, das die Elemente der W i l l e n s - o d e r R e c h t s m a c h t mit d e m M e r k m a l des rechtlich geschützten Interesses v e r b i n d e t . S o beschreiben Enneccerus/Nipperdey das subjektive R e c h t b e g r i f f l i c h als eine R e c h t s m a c h t , die d e m einzelnen d u r c h die R e c h t s o r d n u n g v e r l i e h e n ist u n d seinem Z w e c k nach ein Mittel z u r B e f r i e d i g u n g menschlicher Interessen darstellt. 8 2
d) Formal-normative
Theorien
Es hat im L a u f e der Zeit nicht an V e r s u c h e n gefehlt, d e r bis heute h e r r schenden E i n o r d n u n g des subjektiven Rechts als R e c h t s m a c h t des E i n z e l n e n z u r W a h r u n g seiner Interessen andere K o n z e p t i o n e n entgegenzustellen. F ü r
Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band I, 1906, § 37, S. 155 f. Jhering, Geist des römischen Rechts, Band III/l, 5. Aufl. 1906, § 60, S. 339. 82 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 14. Aufl. 1952, §72, S. 272 f. 80 81
68
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
den vorliegenden Untersuchungsgegenstand sind allein spezifisch rechtliche Erklärungsansätze von Interesse, so dass rechtssoziologische,83 rechtspsychologische,84 rechtsanthropologische85 und ökonomische 86 Deutungsversuche außer Betracht bleiben sollen. aa) Subjektives
Recht als
Normsetzungsbefugnis
Einen von der rechtsphilosophischen Fundierung abgekoppelten und in diesem Sinne formal-normativen Ansatz zur Bestimmung des subjektiven Rechts hat Eugen Bucher87 gewählt. Er definiert das Recht im subjektiven Sinne als eine dem Berechtigten von der Rechtsordnung verliehene Befugnis, in einem bestimmten Umfang (nach freiem Belieben) Rechtsnormen zu setzen. Ausgehend von der Imperativentheorie und der Theorie vom „Stufenbau der Rechtsordnung" Kelsens legt Bucher seiner Lehre ein weites Verständnis des Normbegriffs zugrunde. Normen sind danach Willensinhalte eines normsetzenden Subjekts gegenüber einem Normadressaten.88 Als normsetzendes Subjekt kommt dabei nicht nur eine Gemeinschaft, sondern auch ein einzelnes Individuum in Betracht. Der Willensinhalt des Individuums wird dabei einer Rechtsordnung zugerechnet und damit zur Rechtsnorm, wenn der Wille des normsetzenden Subjekts auf der Delegation einer Normsetzungsbefugnis beruht.89 Dies bedeutet, dass auch ein individuell-konkreter Befehl des Einzelnen zur Rechtsnorm wird, wenn ein übergeordneter Rechtssatz besteht, der eine entsprechende Befugnis delegiert. Eine solche Delegation ist die Verleihung eines subjektiven Rechts. 90 Der Bestand eines subjektiven Rechts bedingt nach Bucher noch keine Rechtsnorm und begründet deshalb für den Rechtsunterworfenen noch keine Verhaltenspflichten. Letztere werden vielmehr erst durch die Ausübung des subjektiven Rechts, die Anspruchserhebung, begründet.91
83 Luhmann, Zur Funktion der „subjektiven Rechte", in: Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 1 (1970), S. 321 ff.; J. Schmidt, Ein soziologischer Begriff des „subjektiven Rechts", in: Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 1 (1970), S. 299 ff. 84 Schuppe, Der Begriff des subjektiven Rechts, 1887, S. 15 ff., 37 ff.; Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Band 1,1894, S. 145 ff. 85 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 1986, S. 4 ff., 133 ff., 246 ff., 456 ff. 86 J. Schapp, Das subjektive Recht im Prozess der Rechtsgewinnung, 1977, S. 14 ff. 87 Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, 1965, S. 55,191. 88 Bucher, S. 44 ff. 89 Bucher, S. 46 ff., 49. 90 Bucher, S. 56. 91 Bucher, S. 61 ff.
B. Der
69
Besitz
Vor diesem Hintergrund setzt sich Bucher auch mit der Rechtsnatur des Besitzes auseinander.92 Den Besitz als das tatsächliche Innehaben und Beherrschen einer Sache sieht er als bloßes Faktum an. Davon unterscheidet Bucher allerdings die rechtliche Folge des Besitzes im tatbestandlichen Sinne, die er als „Besitzesrecht" bzw. „Besitzesschutzrecht" bezeichnet.93 Bei der Einordnung dieses Rechts differenziert er weiter nach der Stellung gegenüber unberechtigten Dritten und der Position gegenüber dem Eigentümer oder anderen an der Sache dinglich Berechtigten. Die Rechtsstellung, die dem Besitzer aufgrund der Besitzschutzansprüche gegenüber Dritten zukommt, betrachtet Bucher als subjektives, ja sogar absolutes Recht. 94 Dagegen müsse der Besitzesschutz hinter jedem anderen dinglichen Recht zurücktreten, so dass dem Besitzer im Verhältnis zum Eigentümer und den beschränkten dinglich Berechtigten kein Recht zukomme.95 bb) Subjektives
Recht als
Klagebefugnis
Mit Bucher teilt Josef Aicher96 die Prämisse der Imperativentheorie und die Lehre vom Stufenaufbau der Rechtsordnung. Aicher wendet sich jedoch gegen die Theorie des subjektiven Rechts als Normsetzungsbefugnis und erkennt stattdessen im Anschluss an Kelsen97 die Klagebefugnis als konstitutives Merkmal. Daher bestimmt Aicher das subjektive Recht „als die ein Verhalten eines Individuums gebietende oder verbietende objektive Rechtsnorm im Verhältnis zu demjenigen Individuum, dem die Rechtsordnung die Rechtsmacht verliehen hat, bei Nichterfüllung dieser Verhaltenspflicht - als ultima ratio - ein staatliches Verfahren in Gang zu setzen, das in der Verhängung einer Sanktion gegenüber dem sich pflichtwidrig verhaltenden Individuum gipfelt." 9 8
cc) Subjektives
Recht als Freiheitsermächtigung
und
Generalverbot
Jürgen Schmidt hat in Anknüpfung an die „right-privilege"-Lehre Hohfelds99 die formelle Struktur des subjektiven Rechts durch die beiden Elemente Freiheitsermächtigung und Generalverbot gekennzeichnet.100 Danach Bucher, S. 172 ff. Bucher, S. 172. Dies hat nichts zu tun mit dem Recht zum Besitz, vgl. a.a.O., S. 176. 94 Bucher, S. 173. 95 Bucher, S. 175. 96 Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, S. 16 ff. 97 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 141. 98 Aicher, S. 55 f. 99 Wesley Newcomb Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning and Other Legal Essays, New Häven 1923, S. 35 ff. 100 /. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, S. 17, 32 ff. Diesen Ansatz hat Dörner, Dynamische Relativität, 1985, S. 25 ff., aufgegriffen und ausgebaut. Nach 92 93
70
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
müssen für das Vorliegen eines subjektiven Rechts zwei Aussagen gemacht werden können: „ - dass jemand in einem Sozialsachverhalt bestimmte sozialrelevante Veränderungen vornehmen (: Tatbestände setzen) darf und - dass alle anderen die gleichen Tatbestände nicht setzen dürfen." Diese formelle Struktur kann nach Schmidt in zwei völlig verschiedenen inhaltlichen Ausgestaltungen auftreten, die er „Aktionsberechtigung" und „Vermögensberechtigung" nennt. 1 0 1 Die Aktionsberechtigung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Berechtigte das Recht hat, die in der Berechtigung umschriebenen Handlungen vorzunehmen (das „privilege"), während jeder Nichtberechtigte kraft einer N o r m des negativen Sollens (des „right") von den so bestimmten Handlungen ausgeschlossen ist. 102 Die Vermögensberechtigung setzt demgegenüber voraus, dass dem Berechtigten der Vermögenswert des Sachverhaltsbereichs rechtens zukommt, d.h. er ihm „gebührt", während jeder Nichtberechtigte diesen Wert nicht beanspruchen darf. 1 0 3 A k tionsberechtigung und Vermögensberechtigung werden dabei als völlig unabhängig voneinander bestehende Ordnungsstrukturen angesehen, die auch verschiedenen Rechtssubjekten zustehen können. 1 0 4 Auf dieser Grundlage sieht Schmidt jedenfalls das Recht zum Besitz (aus Schuldverhältnissen) als A k tionsberechtigung und damit als subjektives Recht an. 105 Die Besitzschutzregelungen der §§ 861, 862 B G B gewährten dagegen kein Recht zum Besitz, da sie nur das staatliche Schlichtungsmonopol gegenüber dem Faustrecht bewahren sollen. 1 0 6
e) Offene
Theorien
Unter dem Eindruck der nicht zur Ruhe kommenden Diskussion um die Bestimmung des subjektiven Rechts haben sich in neuerer Zeit schließlich auch Positionen herausgebildet, die von der schlichten Unmöglichkeit einer Dörner besteht jedes subjektive Privatrecht aus zwei zuweisenden Normen (einer Erlaubnisund einer Ermächtigungsnorm) und zwei versagenden Normen (einem Störungsverbot und einer Inkompetenznorm). Die zuweisenden Normen bezeichnet Dörner als Verhaltensberechtigung, die der Aktionsberechtigung im Sinne Schmidts entspricht. Im Gegensatz zu Schmidt verneint Dörner allerdings eine eigenständige Vermögensberechtigung. Auf dieser Grundlage hält Dörner die Unterscheidung von absoluten und relativen Rechten für überflüssig und missverständlich (S. 53). Konsequenzen für die Bestimmung der Reichweite des Sanktionsschutzes, etwa über § 823 Abs. 1 B G B , ergeben sich daraus allerdings nicht, da Dörner dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt (S. 69). 101 /. Schmidt, S. 54. 102 J. Schmidt, S. 55. 103 /. Schmidt, S. 57. 104 J. Schmidt, S. 68, 73 ff. 105 ]. Schmidt, S. 183. 106 J. Schmidt, S. 185; ebenso Bork, Der Vergleich, 1988, S. 197.
B. Der Besitz
71
geschlossenen Definition des subjektiven Rechts für alle Fallgestaltungen ausgehen und stattdessen dynamische Beschreibungen vorschlagen. aa) Subjektives
Recht als
„Rahmenbegriff"
So hat Karl Larenz etwa angeregt, auf einen „Rahmenbegriff" des subjektiven Rechts zurückzugehen, der den Sinn dessen zum Ausdruck bringen soll, was generell gemeint ist, wenn vom „subjektiven Recht" gesprochen wird, der aber im Übrigen Raum für verschiedene Strukturen lassen soll. 107 Diesen Rahmenbegriff umschreibt Larenz wie folgt: „dass jemand ein „subjektives R e c h t " hat, besagt, dass ihm etwas - und zwar etwas jeweils Bestimmtes - rechtens zukommt oder gebührt. Bei dem „etwas" kann es sich handeln: um die Achtung, NichtVerletzung seiner eigenen Person und um die ausschließliche Verfügung über bestimmte „Persönlichkeitsgüter"; um einen ihm allein vorbehaltenen Handlungsspielraum (in Bezug auf eine Sache oder ein sonstiges Gut); um die „Leistung", ein bestimmtes Verhalten eines anderen (wobei „Leistung" auch den dadurch zu bewirkenden Erfolg bedeuten kann); um die ihm eingeräumte Möglichkeit einseitiger Gestaltung eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses oder der Mitwirkung an der Willensbildung einer Körperschaft oder Personenmehrheit." 1 0 8
bb) Subjektives
Recht als Privileg
Zuletzt hat Wolfgang Portmann109 einen Vorschlag zur Erfassung des subjektiven Rechts unterbreitet, der ebenfalls von einer einheitlichen Definition aller Erscheinungsformen absieht. Portmann sieht als gemeinsames Wesensmerkmal aller subjektiven Rechte den Umstand an, dass sie dem Begünstigten eine vorteilhafte Ausnahmestellung, ein Privileg, verschaffen. 110 Im Übrigen seien die subjektiven Rechte jedoch in ihrer Charakteristik so verschieden, dass sie sich allenfalls auf drei fundamentale Kategorien der normativen Sphäre zurückführen ließen: auf ein Geschuldetsein, ein Dürfen oder ein Können. 111 Daraus folgert Portmann als einer Art kombinierter Definition: „Das subjektive Privatrecht ist ein privatrechtliches Privileg der Person, wonach sie sich in bestimmter Weise verhalten darf, eine bestimmte Rechtswirkung herbeiführen kann oder (und) wonach ihr ein fremdes Verhalten geschuldet ist." 1 1 2
107 Larenz, in: F G f . Sontis, 1977, S. 129 (130, 147f.); ders., Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, § 13 I, S. 213. 108 Larenz, in: F G f. Sontis, 1977, S. 147 f. 109 Portmann, Wesen und System der subjektiven Privatrechte, 1996. 110 Portmann, Rn. 65 ff., Rn. 68. 111 Portmann, Rn. 45 ff., Rn. 49, Rn. 51, Rn. 58. 112 Portmann, Rn. 70.
72
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
Da Portmann, neben Bucher und/. Schmidt, einer der wenigen ist, die sich im Zusammenhang mit dem subjektiven Recht auch ausdrücklich mit der Einordnung des Besitzes beschäftigen, soll hier auch sein Standpunkt zu dieser Frage nachgezeichnet und später 113 zu seinen Ergebnissen Stellung genommen werden. Kern und Ausgangspunkt seiner Argumentation ist das von ihm so genannte „Verbotsrecht". Diesen Begriff erkennt Portmann paradigmatisch in der negativen Komponente des Eigentumsrechts, dem Ausschlussrecht des Eigentümers gegenüber Dritten, und abstrahiert ihn als ein „absolutes Recht auf ein fremdes Verhalten" mit dem Inhalt, dass es allen verboten ist, bestimmte Güter oder Interessen des Berechtigten zu verletzen oder zu gefährden. 114 Dieses Verbotsrecht lasse sich gedanklich dergestalt in ein Anspruchsbündel auflösen, dass dem Berechtigten im Grunde eine unbegrenzte Vielzahl von Ansprüchen gegenüber jedem Einzelnen zusteht. 115 Diese (unbegrenzt vielen) Unterlassungsansprüche entstünden nun nicht erst durch Verletzung oder Gefährdung des Verbotsrechts, sondern bestünden von Anfang an als dessen Bestandteile; die Störung lasse nur ein bestimmtes Subjekt aus der Masse der Verpflichteten und damit einen einzelnen Unterlassungsanspruch aus dem gesamten Anspruchsbündel hervortreten. 116 Der Störungshandlung ordnet Portmann daher allein die Funktion zu, dass sie das Rechtsschutzinteresse für die klageweise Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs begründe: bis zu einer Verletzungs- oder Gefährdungshandlung bestehe der Unterlassungsanspruch zwar, doch sei er mangels Rechtsschutzbedürfnis nicht durchsetzbar. 117 Aus diesem Befund folgert Portmann, dass immer dann, wenn ein Unterlassungsanspruch gegenüber einem beliebigen Störer gegeben sei, auch ein Verbotsrecht und damit ein absolutes subjektives Recht vorliege. 118 Unter Zugrundelegung dieser Prämissen wendet sich Portmann dann dem Besitz zu und grenzt diesen vom „Recht aus dem Besitz" einerseits und dem „Recht auf" bzw. „zum Besitz" andererseits ab. 119 Der Besitz im Sinne der tatsächlichen Gewalt über eine Sache (Sachbesitz, Art. 919 Abs. 1 Z G B , § 8 5 4 Abs. 1 B G B ) stelle kein absolutes subjektives Recht dar. Unter den Rechten aus dem Besitz versteht Portmann den Anspruch auf Unterlassung einer eigenmächtigen Störung des Besitzes (Art. 928 Abs. 2 Z G B ) und den Anspruch auf Unterlassung einer eigenmächtigen Entziehung des Besitzes (Art. 928 Abs. 2 Z G B analog). Da diese Unterlassungsansprüche gegen jeden beliebigen 113 114 115 116 117 118 119
Vgl. nachfolgend unter II. Portmann, Rn.232. Portmann, Rn. 235. Portmann, Rn. 244. Portmann, Rn. 246. Portmann, Rn. 273. Portmann, Rn. 275.
B. Der
Tb
Besitz
Störer gerichtet seien, seien sie absolute subjektive Rechte auf NichtStörung bzw. Nichtentziehung, denen jeweils ein entsprechendes Verbotsrecht zugrunde liege. 1 2 0
2. Zur Einordnung
des Besitzes als subjektives
Recht
Betrachtet man zunächst die Willenstheorie, so wird man schon nach Savignys Umschreibung den Besitz, im Sinne der tatsächlichen Sachherrschaft und losgelöst von der Grundlage der Herrschaft, nicht als subjektives Recht bezeichnen können. Denn wenn der Besitz in diesem Sinne nicht auf die Berechtigung abstellt, so dass auch der Dieb Besitzer ist, so herrscht dessen Wille nicht mit „unsrer Einstimmung", also nicht unter Billigung der Rechtsordnung. Davon zu unterscheiden sind die Besitzschutzrechte der §§ 858 ff. B G B . Diese werden dem Besitzer im Interesse des allgemeinen Rechtsfriedens 121 von der Rechtsordnung für den Fall der verbotenen Eigenmacht eingeräumt. Der Besitzer kann in dieser Situation in Ubereinstimmung mit der Rechtsordnung Besitzwehr und Besitzkehr üben (§ 859 B G B ) sowie Ansprüche wegen Besitzentziehung und -Störung geltend machen (§§ 861, 862 B G B ) . Diese Besitzschutzrechte selbst können daher zwar als subjektive Rechte angesehen werden. Daraus folgt jedoch nicht, dass der dahinter stehende Besitz als solcher die Qualität eines subjektiven Rechts annimmt. Denn dadurch, dass die Rechtsordnung den Besitz ohne Prüfung einer Berechtigung zum Besitz schützt, soll vorrangig das Faustrecht im Interesse der Allgemeinheit verhindert werden, so dass sich der Schutz des - auch unberechtigten - Besitzes, oder auch der Wille des Besitzers, ungestört den Besitz auszuüben, nur reflexartig ergibt. 122 Gleiches gilt für die Begriffsbestimmung im Sinne Windscheids. Ein Recht auf ein gewisses Verhalten, Tun oder Unterlassen steht dem Besitzer nach den §§ 854 ff. B G B nicht schon aufgrund seiner tatsächlichen Sachherrschaft zu, sondern nur im Falle der verbotenen Eigenmacht seitens Dritter in den Grenzen der Besitzschutzrechte gemäß §§ 858 ff. B G B . Dem Besitzer wird auch nicht ein maßgeblicher Wille für das Sein von Befehlen der Rechtsordnung im Sinne des zweiten Teils der Begriffsbestimmung nach Windscheid zugeschrieben. Diese Umschreibung ist in erster Linie auf Gestaltungsrechte zugeschnitten und passt daher nicht auf die Besitzvorschriften. Die tatsächliche Sachherrschaft allein begründet keine Befehle der Rechtsordnung. Durch die Besitzschutzrechte der §§861, 862 B G B bestehen zwar Befehle
Portmann, Rn. 276 f. Vgl. oben, 2. Kapitel, B. II. (S. 32 ff.). 1 2 2 Dies verkennt Bucher, S. 173, wenn er annimmt, dass das „Besitzesrecht" als subjektives Recht den Willen auf ungestörten Besitz schütze. 120
121
74
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
der Rechtsordnung gegenüber dem Störer, doch werden diese bereits durch die Anordnung des Gesetzes und nicht erst durch den Willen des Besitzers begründet. Auch im Sinne der Interessentheorie nach Jhering wird man den Besitz als solchen nicht als rechtlich geschütztes Interesse ansehen können. Zwar gewährt die tatsächliche Sachherrschaft im Sinne des ersten Moments einen tatsächlichen Zustand des Nutzens und damit ein faktisches Interesse. Es fehlt jedoch an dem zweiten Element, dem durch die Rechtsordnung gesicherten Genuss, da für den Besitz gerade nicht auf die Berechtigung der tatsächlichen Sachherrschaft abgestellt wird. Die Besitzschutzrechte gewähren demgegenüber lediglich reflexartig im Interesse der Allgemeinheit am Ausschluss des Faustrechts einen momentanen, vorübergehenden Genuss, der von dem besser Besitzberechtigten unter Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe jederzeit beendet werden kann. Da sich die Kombinationstheorie in der Verbindung der Willens- und der Interessentheorie erschöpft und keine der Einzeltheorien geeignet ist, den Charakter des Besitzes als subjektives Recht zu begründen, kann auch die Kombinationstheorie kein anderes Ergebnis bringen. Nach Bucher muss der Wille des normsetzenden Subjekts auf der Delegation einer Normsetzungsbefugnis beruhen. Es besteht jedoch kein übergeordneter Rechtssatz, der dem Besitzer als solchem, unabhängig von einer Besitzberechtigung, eine allgemeine Befugnis zur Setzung von Willensinhalten gegenüber Dritten einräumt. Allein die Besitzschutzrechte der §§ 858 ff. BGB delegieren eine entsprechende Befugnis für den besonderen Fall der verbotenen Eigenmacht. Auf der Grundlage seiner Theorie ist es daher konsequent, dem Besitz als solchem den Charakter als subjektives Recht abzusprechen. Ebenso folgerichtig ist es, die einzelnen Besitzschutzrechte der §§ 858 ff. BGB jeweils als subjektive Rechte anzusehen. Soweit Bucher dagegen hinter diesen Einzelrechten ein umfassendes „Besitzesrecht" bzw. „Besitzesschutzrecht" ausmacht, erscheint es fraglich, worin der eigenständige Gehalt eines solchen Rechts liegen soll, wenn es mehr sein soll als die Summe der einzelnen Besitzschutzrechte. Inhaltlich kann ein solches Recht nur darauf gerichtet sein, keine verbotene Eigenmacht zu verüben. Dieses Recht konkretisiert sich aber gerade in dem Recht, sich gegen verbotene Eigenmacht zur Wehr zu setzen (§ 858 BGB), erfolgte Besitzentziehungen und -Störungen rückgängig zu machen und zukünftige zu untersagen (§§ 861, 862 BGB). Darüber hinaus ist die von Bucher vorgenommene Einordnung als absolutes Recht kaum überzeugend, da - wie auch Bucher einräumt - die Rechte des Eigentümers und die der beschränkt dinglich Berechtigten vorgehen und sich im Rahmen des § 864 Abs. 2 BGB sogar gegen die Besitzschutzansprüche durchsetzen. Gleiches gilt für die Begriffsbestimmung nach Aicher. Als ein Verhalten eines Dritten gegenüber dem Besitzer gebietende oder verbietende Rechtsnorm
B. Der
Besitz
75
kommen allenfalls die Besitzschutzrechte in Betracht, aufgrund derer der Besitzer - als ultima ratio - ein staatliches Verfahren in Gang setzen kann, um den Besitz wiederzuerlangen bzw. die Störung zu beseitigen. In Bezug auf den Besitz als solchen fehlen jedoch derartige Normen, so dass sich insoweit andere Normen, die die Besitzberechtigung regeln, durchsetzen und den Besitz dann beenden oder fortdauern lassen können. Die von Schmidt vorgeschlagene Strukturbeschreibung des subjektiven Rechts vermag den Besitz ebenfalls nicht zu erfassen. Schon die erste der beiden von ihm als konstitutiv angesehenen Aussagen trifft nicht auf den Besitz als tatsächliche Sachherrschaft zu. Denn, ob der Besitzer bestimmte sozialrelevante Veränderungen vornehmen darf, kann nicht beurteilt werden, weil die Besitzberechtigung gerade kein Konstituens des Besitztatbestandes ist. Dementsprechend geht Schmidt auch nicht ausdrücklich auf den Besitz als tatsächliche Sachherrschaft ein, sondern wendet sich unmittelbar dem Recht zum Besitz zu. Auf die Besitzschutzrechte kann die Definition der Aktionsberechtigung zwar angewandt werden, da der Besitzer berechtigt ist, die betreffenden Handlungen vorzunehmen bzw. von dem Störer die Wiedereinräumung des Besitzes und die Beseitigung der Störung zu verlangen, während alle anderen die gleichen Tatbestände nicht setzen dürfen. Doch auch hier kann wiederum nicht von der Natur dieser Rechte auf die subjektive Rechtsqualität des zugrundeliegenden Besitzes geschlossen werden, da die Besitzschutzregelungen lediglich der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols dienen, wie auch Schmidt zutreffend erkennt. Unter den Rahmenbegriff nach Larenz lässt sich der Besitz als tatsächliche Sachherrschaft schon deshalb nicht bringen, weil der Besitztatbestand von der Berechtigung abstrahiert und daher nichts darüber ausgesagt wird, ob dem Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft „rechtens zukommt" oder „gebührt". Portmann ist insoweit zuzustimmen, als er dem Besitz im Sinne der tatsächlichen Gewalt über eine Sache die Qualität eines subjektiven Rechts abspricht. Dies ist auf der Grundlage seiner eigenen Definition konsequent. Die Innehabung der Gewalt kann zwar ein (faktisches) Privileg darstellen. Jedoch darf sich der Besitzer allein aufgrund des Besitzes weder in bestimmter Weise verhalten noch kann er bestimmte Rechtswirkungen herbeiführen oder ist ihm ein fremdes Verhalten geschuldet. Zu widersprechen ist ihm allerdings, soweit er die Ansprüche auf Unterlassung von Besitzstörung und -entzug als absolute subjektive Rechte betrachtet, denen ein Verbotsrecht zugrundeliege. Dem Streit um die „erga-omnes"-Theorie, also um die Frage, ob sich das Wesen des dinglichen Rechts in der absoluten Wirkung gegenüber jedermann erschöpft oder ob daneben eine eigenständige positive Funktion verbleibt, 123 entgeht Portmann zwar dadurch, dass er betont, das dingliche Recht dürfe 123 Yg] Jazu
Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Band I, 1954, S. 5 f.; Liver, S. 9 Fn. 17.
76
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
nicht auf seine negative Komponente reduziert werden. 124 Das Terrain einer überzeugend begründeten Argumentation verlässt er aber an der Stelle, an der er - ohne nähere Rechtfertigung - unterstellt, dass die (als unbegrenzt viele gedachten) Unterlassungsansprüche von Anfang an bestünden, so dass die - drohende - Störungshandlung lediglich das bis dahin fehlende Rechtsschutzinteresse begründe. Diese Auffassung entspricht einer, vorwiegend im älteren Schrifttum vertretenen Ansicht, nach der die Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr nicht als materiell-rechtliches Erfordernis, sondern als besondere Form des Rechtsschutzbedürfnisses anzusehen ist. 125 Diese Auffassung ging allerdings davon aus, dass es sich bei dem Unterlassungsanspruch, etwa nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, überhaupt nicht um einen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern um einen rein prozessualen Rechtsbehelf handelt, 126 während Portmann einen von Anfang an bestehenden materiellen Anspruch annimmt. Mit der Annahme eines Bündels von Unterlassungsansprüchen gegen jedermann schlägt Portmann einen Weg ein, der bereits in einer Unstimmigkeit in der Anspruchslehre Windscbeids angelegt war. Dieser betonte, dass der Anspruch keine Rechtsverletzung voraussetze und musste daher annehmen, dass der dingliche Anspruch bereits mit dem Eigentum als Anspruch gegen jedermann entstehe. 127 Die ganz überwiegende Meinung sieht demgegenüber zu Recht die Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr als konstitutives Element eines materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs an. 128 Dafür spricht zunächst, dass Portmann, Rn. 235. Larenz, NJW 1955, 263; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 165 f. 126 Siber, Der Rechtszwang im Schuldrecht, 1903, S. 99 ff., 108 ff.; Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1952, § 38 IV 3; v. Caemmerer, in FS DJT, Band II, S. 49 (53 f.); Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Teilband 2, 8. Aufl. 2000, § 62 IV. 127 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, and I, 7. Aufl. 1891, § 43 (S. 99 f.); die Vorstellung eines Bündels von Ansprüchen gegen Dritte, das aus dem Eigentum fließt, veranlasste /. Kohler (GrünhutsZ 14 [1887], 1 [6]) zu dem sarkastischen Bild einer permanenten globalen Rechtsdurchdringung: „Jedes neuentstehende Eigenthum durchbebt die ganze Menschheit mit einem Schauer, und ein jedes neu gegrabene Erzstück, jeder neu gefangene Fisch bewirkt eine Rechtserschütterung, die bis an den Nordpol reicht, wenigstens so weit, als Menschen wohnen". Der Gedanke einer jedermann obliegenden Verbindlichkeit gegenüber dem Eigentümer, sich des Gebrauchs seiner Sache zu enthalten, in den der Eigentümer nicht einwilligt, findet sich übrigens schon bei Hoffhauer, Untersuchungen über die wichtigsten Gegenstände des Naturrechts, Halle 1795, S. 115 f. Die Tatsache, dass der Gedanke des Naturrechtlers Hoffhauer in der Anspruchskonzeption des Pandektisten Windscheid wiederkehrt, kann als weiterer Beleg für die in jüngster Zeit im Vordringen begriffene These gesehen werden, nach der das Naturrecht keineswegs durch das neunzehnte Jahrhundert überwunden wurde; vgl. dazu im Einzelnen Klippel, in: ders. (Hrsg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, 1997, S. VII ff. und passim; ders., in: Ballestrem (Hrsg.), Naturrecht und Politik, 1993, S. 27 ff. m. w. N. 128 Staudinger/Gursky, §1004, Rn. 195; MünchKomm/Medicus, §1004, Rn. 82; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1985, § 35 IV 2; Münzberg, JZ 1967, 689 (692 f.); Baur, JZ 1966, 380 (382 f.). Auch nach schweizerischem Recht wird die Begehungsgefahr als materiell124
125
B. Der Besitz
77
kein hinreichender Grund dafür erkennbar ist, von der allgemeinen Regel abzuweichen, dass eine Leistungsklage einen materiell-rechtlichen Anspruch voraussetzt. 129 Hinzu kommt, dass materiell-rechtliche Ansprüche regelmäßig Sonderbeziehungen zwischen Individuen darstellen. Von einer solchen Sonderbeziehung kann aber kaum die Rede sein, wenn man annimmt, dass der Unterlassungsanspruch bereits ohne weiteres zwischen dem Berechtigten und jedem beliebigen Dritten - sogar unabhängig von jeglicher Möglichkeit der Beeinträchtigung - besteht. 130 Eine weitere Kontrollüberlegung stützt dieses Ergebnis. Wenn der Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr lediglich die Rolle eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses zugewiesen wäre, müsste dies bedeuten, dass der Anspruch im Übrigen schon vorher in jeder Hinsicht individualisiert ist, so dass auch ein bestimmter Antrag (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) formuliert werden könnte. Gerade dies ist jedoch wegen der Vielgestaltigkeit der möglichen Beeinträchtigungen nicht möglich. Auch Portmann räumt ein, dass erst durch die Störungshandlung eine inhaltliche Konkretisierung des Unterlassungsanspruchs eintritt, allerdings setzt er sich mit dem daraus resultierenden Widerspruch zu seiner These nicht näher auseinander. Kann danach die Vorstellung von einem gegenüber jedermann bestehendem materiellen Unterlassungsanspruch nicht überzeugen, fällt auch die Basis für das von Portmann angenommene „Verbotsrecht" des Besitzers weg. Was bleibt, ist - neben dem unten 131 im Einzelnen zu behandelnden Recht zum Besitz - allein der einzelne Besitzschutzanspruch im Falle der erfolgten oder drohenden Störung bzw. Entziehung des Besitzes. Bei diesem individuellen Anspruch handelt es sich zwar gewiss um ein subjektives Recht, wie auch jeder andere schuldrechtliche oder dingliche Anspruch für sich genommen ein subjektives Recht darstellt. Es kann jedoch nicht allein von diesem Anspruch auf die Rechtsnatur des dahinter stehenden Besitzes oder eines vermeintlichen, neben dem Besitzschutzanspruch bestehenden „Rechts aus dem Besitz" geschlossen werden. Insgesamt bestätigt danach die Lehre vom subjektiven Recht das bereits im Rahmen der induktiven Betrachtung gewonnene Auslegungsergebnis. Der Besitz als solcher, unabhängig von jeglichem Recht zum Besitz, stellt ein faktirechtliche Anspruchsvoraussetzung angesehen, vgl. Meili, in: Honsell/Vogt/Geiser, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, ZGB, Band I, 1996, Art. 28 a, Rn. 2; Egger, Zürcher Kommentar zum ZGB, Band I, 2. Aufl. 1930, Art. 28, Rn. 82; Merz, Schweizerisches Privatrecht, Band VI/1, 1984, § 12 IV 1 b, S. 123 f.; BGE 97 II 108; 108 II 344. Anders als nach deutschem Recht wird bei Fehlen oder späterem Wegfall der ernstlichen Drohung einer künftigen Rechtsverletzung jedoch das Rechtsschutzinteresse verneint und in die Klage nicht eingetreten, d.h. die Klage wird als unzulässig abgewiesen, vgl. B G E 109 II 346; 116 II 359; 124 III 74; Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Kapitel, Rn. 19. 129 Münzberg, JZ 1967, 689 (693); Staudinger/Gursky, § 1004, Rn. 195 a.E. 130 Ähnlich Münch Komm/Medicus, § 1004, Rn. 82. 131 Vgl. nachfolgend unter C.
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
sches Verhältnis dar, das aus sich heraus die Anforderungen an ein subjektives Recht nicht erfüllt. Die Besitzschutzrechte, also das Recht zur Selbsthilfe nach § 859 B G B und das Recht, die Herausgabe der Sache bzw. die Beseitigung von Störungen verlangen zu können, §§ 861, 862 B G B , stellen ihrerseits dagegen ohne weiteres subjektive Rechte dar. Der Rückschluss von derartigen Sekundärrechten auf ein vermeintlich dahinter stehendes „Mutterrecht" des Besitzes, wie er bereits bei Mitteis132 gezogen wird und bei Bucher wiederkehrt, ist indessen weder zulässig noch erforderlich. 133 Wollte man dies anders sehen und in dem Besitz als solchem ein subjektives Recht erkennen, das nicht bereits mit dem Recht zum Besitz zusammenfällt, müsste man außerdem die Frage beantworten, welchen Inhalt ein solches Recht haben soll. Das Recht, sich gegen verbotene Eigenmacht zur Wehr zu setzen und die Beseitigung von Beeinträchtigungen des Besitzstandes infolge solcher Eingriffe zu verlangen, kann es jedenfalls nicht sein, da dies gerade wieder mit den Besitzschutzansprüchen identisch wäre. E. Wolf will demgegenüber dem bloßen Besitzer ein subjektives Recht zuerkennen, die bestehende Sachherrschaft auszuüben. Inhaltlich sei dieses Recht darauf ausgerichtet, dass allein der Inhaber dafür zuständig sei, die Entscheidungen über die Sache zu treffen, die aufgrund der Sachherrschaft möglich sind. 134 Auf der gleichen Linie liegen die bereits von Enneccerus/Nipperdey angestellten Überlegungen. Der Besitz soll danach mit dem „Recht auf die Gewalt über die Sache" verknüpft sein. 135 Danach wird die Reichweite der Besitzerbefugnis nicht nach einem materiellen Recht zum Besitz, sondern allein auf der Grundlage der faktischen Reichweite der Handlungsmöglichkeiten bestimmt. Darin liegt im Grunde genommen die Anerkennung eines individuellen Anspruchs des Einzelnen gegenüber jedem Dritten darauf, dass eine bestehende Besitzlage nicht ohne Zuhilfenahme staatlicher Gewalt geändert wird. Aber auch ein derart verengtes Verständnis eines subjektiven Rechts vermag nicht zu überzeugen. Dagegen spricht, dass dem Besitzer nach dieser Vorstellung eine Handlungsbefugnis allein aufgrund der mehr oder weniger zufällig begründeten Einwirkungsmöglichkeit auf eine Sache zugesprochen würde. Die bloße Erlangung tatsächlicher Gewalt über einen Gegenstand weist dem Besitzer diesen Gegenstand jedoch noch nicht im Sinne einer von der Rechtsordnung gebilligten Handlungsbefugnis zu. Es wäre auch wertungsmäßig nicht nachzuvollziehen, warum die Rechtsgemeinschaft dem Dieb in dessen individuellen Interesse die weitere Disposition über die Sache zugestehen sollte. Dass sie es dennoch tut, lässt sich einzig durch das überindividuelle Interesse an der Verhinderung des Faustrechts erCosack/Mitteis, § 4 IV 1 (S. 19). Dazu schon oben, 3. Kapitel, B. II. 4. a (S. 62). 134 E. Wolf; Lehrbuch des Sachenrechts, § 2 A II b (S. 44). 135 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Band I, 14. Aufl. 1952, § 8 0 1 1 (S. 303). 132
133
79
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
klären, zu dessen Durchsetzung lediglich reflexhaft die weitere Belassung der Sache im faktischen Herrschaftsbereich des Diebes in Kauf genommen wird. Mit dem Besitz als solchem ist danach richtigerweise kein subjektives Recht verbunden. Lediglich im Falle verbotener Eigenmacht durch Dritte werden Besitzschutzansprüche ausgelöst, die ihrerseits als subjektive Rechte qualifiziert werden können. Bleibt man sich dessen bewusst, ist es unschädlich, mit der herrschenden Auffassung vom Besitz als einer „Rechtsposition" zu sprechen. Gleichwohl ist es nicht ungefährlich, verkürzt das Schlagwort von der Rechtsposition zu verwenden, weil darin zumindest unterschwellig bereits das „Recht" mitschwingt und dies die Frage nach der Reichweite des Besitzschutzes in unzulässiger Weise beeinflussen kann. Vorzuziehen wäre daher eine abstraktere Formulierung wie die Bezeichnung des Besitzes als „Rechtslage ohne konkrete Rechtsfolge". 1 3 6
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des §986 I. Überblick
über die verschiedenen
Arten der
BGB Besitzrechte
Ein Recht zum Besitz kann sich aus den verschiedensten Rechtsgrundlagen ergeben. Im öffentlichen Recht fundierte Besitzrechte 1 sollen im Folgenden allerdings ebenso außer Betracht bleiben wie die durch die besondere Situation der Wiedervereinigung bedingten Besitzrechte nach Art. 233 § 2 a E G B G B , dem SachenRBerG und dem SchuldRAndG. Die hier allein interessierenden allgemeinen Besitzrechte des bürgerlichen Rechts werden üblicherweise in dingliche oder relative, in auf Schuldvertrag oder familien- oder erbrechtliche Rechtsverhältnisse beruhend, eingeteilt. Unter diesem Blickwinkel lässt sich das durch § 241 a B G B neu geschaffene Besitzrecht des Empfängers unbestellter Waren nicht ohne weiteres erfassen, da das Recht zum Besitz gerade unabhängig von einem wirksamen Vertrag besteht. 2 Die verschiedenen Arten der Besitzrechte lassen sich aber auch nach ihrem Entstehensgrund unterscheiden. Das Recht zum Besitz einer Sache kann sich zunächst als Bestandteil der Befugnis zur Verwaltung einer fremden Vermögensmasse im weitesten Sinne ergeben. So haben etwa die Eltern ein Recht zum Besitz an den zum Kindesvermögen gehörenden Sachen nach §§ 1626 Abs. 1, 1698 Abs. 1 B G B . In gleicher Weise steht ein Besitzrecht auch dem Vormund (§§ 1793, 1870 B G B ) , dem das Gesamtgut verwaltenden Ehegatten (§1422 B G B ) , dem Nachlassverwalter (§ 1985 B G B ) , dem TestamentsvollSo Brehm/Berger, Rn. 2.8. Hierzu im Einzelnen Soergel/Mühl, §986, Rn. 12; Staudinger/Gursky, m. w. N. 2 Dazu im Einzelnen unten, III. 4. (S. 115 ff.). 136
1
§986, Rn. 8
80
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
Strecker (§ 2205 B G B ) und dem Miterben bei gemeinschaftlicher Nachlaß Verwaltung (§§ 2038 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 743 Abs. 2 B G B ) zu. Desweiteren gehört hierher das Besitzrecht des Insolvenzverwalters an den zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen nach SS 80 Abs. 1, 148 Abs. 1 InsO, wie auch das Recht des Zwangsverwalters zum Besitz des zu verwaltenden Grundstücks nach S 150 Abs. 2 Z V G . Daneben kann das Recht zum Besitz durch Rechtsgeschäft eingeräumt sein. Als einseitiges Rechtsgeschäft ist hier etwa das Vermächtnis nach § 2174 B G B zu nennen, durch das der Bedachte ein Recht zum Besitz des vermachten Gegenstandes gegenüber dem Erben erlangt. Die wichtigsten Fälle der Besitzberechtigung werden dagegen durch Vertrag gewährt. Innerhalb dieser Gruppe lassen sich wiederum zwei Gruppen von Besitzrechten unterscheiden. Zum einen gibt es Verträge, deren Gegenstand unmittelbar auf die Einräumung eines Besitzrechtes gerichtet ist, wie etwa bei Kauf, Schenkung, Miete, Pacht, Leihe, Verwahrung oder auch bei der Bestellung eines Pfandrechts, eines Nießbrauchs oder eines dinglichen Wohnrechts. Zum anderen kennt das B G B Verträge, deren unmittelbarer Gegenstand zwar auf einen anderen Inhalt gerichtet ist, an deren Abschluss das Gesetz jedoch mittelbar eine Besitzberechtigung knüpft. Hierher gehört z.B. das gesetzliche Pfandrecht des Werkunternehmers nach S 647 B G B , das Besitzrecht des Beauftragten während der Dauer des Auftrags, §S 667, 671 B G B , sowie das Recht des Ehegatten auf Mitbesitz an dem im Eigentum des anderen Ehegatten stehenden Hausrat und an der Ehewohnung, das die Eheschließung nach S 1310 B G B als familienrechtlichen Vertrag voraussetzt. Von diesen Fallgestaltungen unterscheidet sich das Besitzrecht des Empfängers unbestellter Waren nach S 241 a B G B dadurch, dass es von vornherein keine Annahmeerklärung des Empfängers, also keinen Vertragsschluss voraussetzt. 3 Der Ubersendung wird zwar regelmäßig ein ausdrückliches oder zumindest konkludentes Angebot des Versenders zum Vertragsabschluss beiliegen bzw. sonst zu entnehmen sein. Daraus ergibt sich indessen für sich genommen noch keine Einräumung eines Besitzrechts unabhängig von dem auf Seiten des Versenders intendierten Vertrag. Darüber hinaus muss mit der Ubersendung überhaupt keine Willenserklärung verbunden sein, da sich der Versender z.B. auch auf eine invitatio ad offerendum beschränken oder die Ware ohne jegliche zusätzliche Erklärung versenden könnte. Mit dem Ausschluss des Vindikationsanspruchs und dem sich daraus ergebenden Recht zum Besitz für den Empfänger unbestellter Ware nach S 241 a B G B kennt das B G B daher nunmehr erstmals ein gesetzliches Besitzrecht im Sinne eines Behaltensrechts, 4 das an die Vornahme eines Realaktes, nämlich die Ubersen-
3 4
Dazu im Einzelnen unten, III. 4. c (S. 119 ff.). Dadurch unterscheidet sich die Position des Empfängers unbestellter Waren von der des
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des 5 986 BGB
81
dung der Ware, geknüpft ist. In seiner Wirkung ist es den schuldvertraglichen insoweit ähnlich, als es sich ausschließlich gegen den Versender richtet und daher relativ ist.
II. Dogmatische
Einordnung
Dass sowohl dingliche Rechte als auch rein obligatorische Befugnisse ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B gewähren und dadurch den Vindikationsanspruch des Eigentümers ausschließen können, wird heute von niemandem mehr ernsthaft in Frage gestellt. Nach einhundertjähriger Geltung des B G B ist die Einschränkung des Herausgabeanspruchs sowohl durch dingliche wie auch durch schuldrechtliche Besitzrechte so tief im Bewusstsein von Wissenschaft und Praxis verankert, dass die Frage, wie das dingliche Eigentumsrecht durch rein obligatorische Befugnisse unmittelbar begrenzt sein kann, nicht mehr gestellt, geschweige denn diskutiert wird. Der Grund dafür, dass dies noch bei In-Kraft-Treten des B G B ganz anders war, liegt darin, dass nach römischem Recht der Eigentümer nicht nur die Hinterlegung (depositum) und den unentgeltlichen Auftrag (mandatum) frei widerrufen konnte, sondern auch in der Lage war, eine von ihm selbst vermietete Sache jederzeit aufgrund seines Eigentums wieder an sich zu nehmen. Der Mieter konnte daher die Rückholung der Sache, auch vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit, nicht verhindern und war stattdessen auf den Schadensersatzanspruch aus der actio conducti gegen den Vermieter angewiesen, wenn dieser wider die bona fides gehandelt hatte.5 Da somit im römischen Recht die schuldrechtliche Befugnis des Mieters nicht geeignet war, den Vindikationsanspruch des Eigentümers und Vermieters auszuschließen, wurde auch im gemeinen Recht 6 und noch nach Verabschiedung des B G B über den Einfluss obligatorischer Besitzberechtigungen auf den dinglichen Herausgabeanspruch gestritten. Darin ist zugleich eine wesentliche Ursache dafür zu sehen, dass Rechtsprechung7 und herrschende Lehre 8 nach In-Kraft-Treten des BGB, ausgeFinders, dessen Besitz bis zur Geltendmachung des „verhaltenen" Anspruchs aus §985 B G B allgemein als rechtmäßig betrachtet wird, vgl. Köhl, S. 108 f. 5 Käser, Eigentum und Besitz im älteren römischen Recht, 2. Aufl. 1956, S. 29 Fn. 51; ders., Römisches Privatrecht, 16. Aufl. 1992, §42 II 5 (S. 203); Dernburg, Pandekten, Band II, 4. Aufl. 1894, S. 304 f.; Siber, Römisches Recht in Grundzügen für die Vorlesung, Band II, Römisches Privatrecht, 1928, § 84, 1 a (S. 204 f.). 6 Die h. M. ließ freilich die Einrede aus dem Vertrag zu, vgl. Dernburg, Pandekten, Band II, S. 305; Deurer, JherJb 1 (1857), 221 ff.; Last, GrünhutsZ 36 (1909), 433 (486 ff.); C. F. Mühlenbruch, S. 279, Fn. 75; Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 276 ff.; ders., JherJb 28 (1890), 37 (49 f., 55 ff.). 7 RGZ 81, 64 (66 f.); 105, 19 (21); 127, 8 (9); 144, 268 (271). 8 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band II, 6. Aufl. 1900, §93 1; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, 14. Aufl. 1955, §226,
82
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
hend vom Wortlaut des § 9 8 6 B G B , das Recht zum Besitz als Einrede und nicht als Einwendung behandelten. 9 Wesentliches Argument hierfür war die Tatsache, dass das Gesetz an zwei zentralen Orten des Eigentumsschutzes in auffallender Weise unterschiedliche Formulierungen zur Einschränkung der aus dem Eigentum fließenden Ansprüche gewählt hat. Während § 1004 Abs. 2 B G B davon spricht, dass der Anspruch ausgeschlossen ist, heißt es in § 986 Abs. 1 S. 1 B G B in schwächerer Form, dass der Besitzer die Herausgabe der Sache verweigern kann. Allerdings darf der Wortlaut nicht überbewertet werden. Das Gesetz verwendet beispielsweise oftmals den Begriff der „Einwendung", ohne dass dadurch Einreden von vornherein ausgeschlossen sind, vgl. §§ 334,404,417, 774 Abs. 1 S. 3, 784 Abs. 1, 792 Abs. 3, 796 B G B . U m so weniger kann allein aus einer gesetzlichen Umschreibung zwingend auf den Charakter eines Verteidigungsrechts als Einrede oder Einwendung geschlossen werden. 10 Auch der Hinweis auf das „Wesen der Sache", das in einem „grundsätzlich gegebenen Vorrang des Eigentums vor dem Besitz" bestehen soll, 11 führt nicht weiter. Begegnet schon das Argument vom „Wesen" oder von der „Natur" einer Sache oft genug methodischen Bedenken, da eher eine Begründung behauptet als gegeben wird, 12 so ist die Aussage über den grundsätzlichen Vorrang des Eigentums jedenfalls gegenüber dem berechtigten Besitz unzutreffend. Gewichtiger sind demgegenüber systematische und teleologische Gründe, die für die Einordnung des Rechts zum Besitz als Einwendung sprechen. Hierzu zählt nicht nur die strukturelle Verwandtschaft der Ansprüche aus § 986 und § 1004 B G B als Eigentumsverwirklichungsansprüche, sondern auch ein Vergleich der verschiedenen Prozesssituationen bei § 986 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. B G B . Hat etwa der Mieter unerlaubterweise untervermietet, so würde der klagende Eigentümer und Vermieter, der Herausgabe der Sache vom U n tervermieter an sich selbst verlangt, im Versäumnisverfahren abgewiesen. War der Mieter dagegen zur Untervermietung berechtigt, so müsste der Kläger bei Annahme einer Einrede im Versäumnisverfahren obsiegen. Auch ein Vergleich mit § 1007 Abs. 2 B G B spricht gegen den Einredecharakter. Das Recht Fn. 6; Kühne, AcP 140 (1935), 1 (23 f.); Planck/Brodmann, Vorbem. 2 zu § 985; v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band I, 1910, § 17 V. 1 (S. 299); RGRK/ Pikart, §986, Rn. 1 u. 24; R. Schmidt, Bürgerliches Recht, Band III, 2. Aufl. 1954, §26 I 3 (S. 64); Siber, JherJb 89 (1941), 1 (6 f.); Sohm, JherJb 73 (1923), 268 (297 Fn. 4); Zitelmann, AcP 99(1906), 1 (33). 9 Vgl. noch typisch Enneccerus/Nipperdey, § 226, Fn. 6: „Zudem steht die herrschende Ansicht mit dem gemeinen Recht in Einklang und vermeidet die zum mindesten auffallende Annahme, dass ein obligatorisches Recht z.B. des Mieters oder Entleihers, den dinglichen Anspruch ipso jure ausschließen könne." 10 Diederichsen, S. 101. 11 RGRK/Pickart, § 986, Rn. 24. 12 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 919 ff. m. w. N.
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des j 986 BGB
83
zum Besitz des Eigentümers wird hier als Einwendung begriffen („... es sei denn, dass ..."), während alle übrigen Besitzrechte nach § 1 0 0 7 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 986 Abs. 1 B G B als Einreden zu behandeln wären. Vor allem aber lässt sich nicht rechtfertigen, warum der Eigentümer im Versäumnisverfahren mit seiner Herausgabeklage durchdringen soll, wenn er selbst vorträgt, dass er die Sache dem Beklagten wirksam vermietet hat. Die heute nahezu einhellige Auffassung geht daher zu Recht davon aus, dass es sich bei dem Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B um eine Einwendung handelt. 13 Die Richtigkeit dieser Ansicht wird sich im Folgenden auch unabhängig von den dargestellten Auslegungsgesichtspunkten auf der Grundlage der dogmatischen Einordnung des Rechts zum Besitz ergeben. Dabei ist zunächst die Entwicklung der Diskussion um das Verständnis des § 986 B G B kurz darzustellen, ohne die nicht verständlich wird, worauf die bis heute unangefochtene Vorstellung von den obligatorischen Besitzrechten als relative Herrschaftsrechte beruht. Die nähere Auseinandersetzung mit der vorherrschenden Betrachtungsweise wird allerdings zeigen, dass ihre Prämisse nicht haltbar ist und die erzielten Ergebnisse zum Teil zu weit gehen.
1. Die Konkurrenzlehre
nach Siber
Am weitesten ging ohne Zweifel Siber mit seiner Lehre vom Vorrang des Herausgabeanspruchs aus persönlichem Rechtsverhältnis. 14 Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Unzulänglichkeit der römisch-rechtlichen rei vindicatio. Da sich der Beklagte in Rom gegen den Eigentumsherausgabeanspruch nur dadurch verteidigen konnte, dass er das Eigentum des Klägers bestritt und im Gegenzug mit der contravindicatio seinerseits das Eigentum für sich in Anspruch nahm, sah man sich gezwungen, zugunsten des Besitzberechtigten eine Art treuhänderische Ubereignung anzunehmen, obwohl dies weit über die tatsächliche Rechtstellung des Besitzers hinausging. 15 U m diese Schwierigkeiten zu vermeiden, nahm Siber an, dass dem Eigentümer gegenüber dem Besitzer, dem er die Sache überlassen hatte, nicht die Vindikation (actio in rem), sondern allein die persönliche Klage aus dem Vertrag (actio in personam) zustehe. 16 Nach Siber soll diese Rechtslage durch das B G B nicht 13 BGHZ 82, 13 (18) = N J W 1982, 940; BGH, NJW 1999, 3716 (3717); MünchKomm/Medicus, §986, Rn. 25; Soergel/Mühl, §986, Rn.2; Staudinger/Gursky, §986, Rn. 1; Plambeck, S. 38; H. Roth, Die Einrede, S. 275 f.; Köhl, S. 121 ff.; Emmerich, Verhältnis der Nebenfolgen, S. 28 ff.; Wolff/Raiser, § 84, Fn. 15; früher bereits Scherk, JherJb 67 (1917), 301 (357 ff.); Raape, JherJb 71 (1922), 97 (166 ff.); Heck, Grundriß des Sachenrechts, 1930, §66, 11 (S.277). 14 Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach deutschem Reichsrecht, 1903, S. 114 ff., 125 ff.; ders., Die Passivlegitimation bei der Rei vindicatio als Beitrag zur Lehre von der Aktionenkonkurrenz, 1907, S. 5 ff., 227 ff.; ders., JherJb 89 (1941), 1 ff. 15 Siber, Die Passivlegitimation, S. 5 ff. 16 Siber, Die Passivlegitimation, S. 10.
84
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
wesentlich verändert worden sein. Passivsubjekt des Vindikationsanspruchs sei nur der Besitzer, der dem Eigentümer nicht oder doch nicht von vornherein rückgabepflichtig ist. 17 Da somit schuldrechtliche Herausgabeansprüche ganz im Vordergrund stehen und die Vindikation von vornherein verdrängen, spielt § 986 BGB nach der Lehre Sibers außer bei Zurückbehaltüngsrechten 18 und einigen Sonderfällen 19 keine eigenständige Rolle mehr. Dieser strukturelle Zusammenhang von Vindikation und persönlichem Rückgabeanspruch ist nicht der zentrale Untersuchungsgegenstand Sibers, sondern lediglich ein Anwendungsfall für sein eigentliches Anliegen, allgemeine Grundsätze zur Erfassung und Behandlung der Anspruchskonkurrenz zu entwickeln. Da er davon ausgeht, dass eine solche Anspruchskonkurrenz zwischen Vindikation und obligatorischem Rückgabeanspruch besteht und der Rückgabeanspruch des Eigentümers aus besonderem obligatorischen Tatbestand im Sinne des Gesetzes lediglich einen Sonderfall des Eigentumsanspruchs darstelle, gehe der obligatorische Anspruch der Vindikation vor. 20 Andernfalls könne das Nebeneinander der verschiedenen Ansprüche dazu führen, dass die vom Gesetz sorgsam herausgearbeiteten Haftungsprivilegien und kurzen Verjährungsfristen unterlaufen werden. 21 Die Gründe dafür, dass sich Siber mit seinem Ansatz nicht durchsetzen konnte, 22 liegen vor allem 23 in der Gesetzessystematik des von ihm gewählten Beispiels wie auch in seinem methodischen Ausgangspunkt. So lässt sich der durch den Vorrang des obligatorischen Rückgabeanspruchs bewirkte Bedeutungsverlust des § 986 BGB kaum mit dessen zentraler Stellung im Gefüge der §§ 985 ff. BGB vereinbaren. Wichtiger noch ist der Einwand, dass der von Siber befürwortete tatbestandsmäßige Rücktritt der Vindikation gar nicht erforderlich ist, um die befürchteten Nachteile unterschiedlicher Haftungs- und Verjährungsregelungen zu vermeiden. Da eine Konkurrenz von vertraglichem Rückgabeanspruch und Vindikation keineswegs zu einer freien Anwendungswahl des Eigentümers führen muss, vielmehr für jeden Anspruch gesondert zu prüfen ist, welcher Regelung gegenüber der anderen der Vorrang
Siber, Die Passivlegitimation, S. 252. Siber, Der Rechtszwang, S. 135 19 Siber, Die Passivlegitimation, S. 239 ff. 20 Siber, Der Rechtszwang, S. 130. 21 Siber, Die Passivlegitimation, S. 233 ff.; ders., Der Rechtszwang, S. 128 ff. 22 Ablehnend insbesondere Oertmann, JherJb 61 (1912), 44; ders., BGB, 5. Aufl. 1928, Vor § 241, Anm. 3 c d; Biermann, BGB, Bd. III, 3. Aufl. 1914, § 985, Anm. 1 b; Cosack-Mitteis, § 54 I 1 a (S. 205 f.); Dietz, Anspruchskonkurrenz, S. 182; Heck, § 66, 12; v. Tubr, § 16 I 4 b (S. 277 Fn. 34); Scherk, JherJb 67 (1917), 301 (360 ff.); Enneccerus/Nipperdey, § 228 III; Köhl, S. 116 f.; zustimmend dagegen Sohm, Institutionen, 14. Aufl. 1911, § 65 I (S. 411). 23 Ausführliche Kritik bei L. Raiser, FS f. Wolff, S. 123 (127 ff.); Münich, S.30ff., 39 ff.; Diederichsen, S. 16 ff.; W. E. Krause, S. 47 f.; Gröbl, S. 24 ff. 17 18
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
85
gebührt, lassen sich auf der Rechtsfolgenseite durchaus sachgerechte Lösungen erzielen.
2. Die
Einwendungslehren
a) Scherk Die Unzulänglichkeiten der früheren herrschenden Auffassung, die in § 986 B G B eine Einrede sah, veranlassten Scherk zur Suche nach einer neuen Erklärung für das Verhältnis von Besitzrecht und Eigentumsanspruch.24 Sie ging davon aus, dass die Annahme einer Einrede dazu führe, dass der Eigentümer einen dinglichen Herausgabeanspruch gegen den Besitzer hat und daher das Besitzrecht des Eigentümers auch dem Besitzberechtigten gegenüber unbeschränkt fortbesteht. Der Eigentümer würde somit dem Besitzer gegenüber notwendig widerrechtlich handeln, wenn er sein ihm gegenüber bestehendes Recht ausübte. Auf der anderen Seite würde der Besitzberechtigte durch die Ausübung seines Rechts zum Besitz notwendig das Eigentum verletzen, ohne dass dies widerrechtlich geschehe. Darin sah Scherk eine tiefgehende Spaltung von subjektivem und objektivem Recht, die es zu überwinden gelte.25 Zu diesem Zweck griff sie auf die Unterscheidung von unmittelbarem und mittelbarem Besitz zurück und stellte fest, dass der unmittelbare Besitz immer nur einer Person zur gleichen Zeit zustehen könne. Daraus schloss Scherk, dass im Verhältnis des Eigentümers zum berechtigten Nichteigentümer das in dem Eigentum enthaltene Recht zum unmittelbaren Besitz auf den besitzberechtigten Nichteigentümer übertragen werde und sich dadurch das Besitzrecht des Eigentümers in ein bloßes Recht auf mittelbaren Besitz verwandele.26 Im Verhältnis zum Eigentümer sei dabei die Stellung des dinglich und des obligatorisch zum Besitz Berechtigten völlig gleich.27 Danach ist also die Berechtigung zum unmittelbaren Besitz auf Seiten des Eigentümers Voraussetzung für den Vindikationsanspruch, so dass die Ausgliederung des Rechts zum unmittelbaren Besitz aus dem Eigentum für die Dauer der Besitzberechtigung des Besitzers zur Klageabweisung führen muss. Das Recht zum Besitz nach § 986 B G B ist demnach eine Einwendung.28 Gegen die Lehre von Scherk ist zutreffend eingewandt worden, dass die angenommene Übertragung des Besitzrechts relativ ist, da sie nur gegenüber dem Eigentümer wirkt und daher nicht geeignet ist, das dem Eigentümer ver-
24 25 26 27 28
Scherk,]\ier]b Scherk, JherJb Scherk,}ber]b Scherk, ]b.ex]b Scherk, JherJb
67 (1917), 67 (1917), 67 (1917), (,7 (\9\7), 67 (1917),
301 301 301 301 301
ff. (309 f.). (312,317,324,333). (326 f., 329). (357).
86
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: 2ur Rechtsnatur des Besitzes
bleibende dingliche Herrschaftsrecht als solches zu mindern.29 Andererseits bleibt vom Standpunkt dieser Konstruktion aus unverständlich, warum das Eigenbesitzrecht des Käufers nicht absolute Wirkung hat, obwohl es doch das absolut wirkende Recht zum Besitz des Eigentümers ist, das endgültig vom Eigentum getrennt werden soll.30 Es kommt hinzu, dass die Vorstellung von der Übertragung des Rechts auf den unmittelbaren Besitz als Bestandteil des Eigentums im Grunde zu einer Einwirkung auf den Inhalt des Eigentums führen müsste. Demgemäß spricht Scherk auch selbst von einer Verfügung, die in der Begründung des Rechts zum Besitz durch Übergabe der Sache vom Eigentümer an den Besitzgläubiger liege.31 Mit dieser Terminologie wird jedoch die grundlegende und bewußte Unterscheidung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften in Frage gestellt. b) Raape Auch Raape kommt zu dem Ergebnis, dass das Recht zum Besitz nach § 986 B G B als Einwendung und nicht als Einrede ausgestaltet ist.32 Anders als Scherk nimmt Raape allerdings an, dass der Eigentümer durch die Besitzüberlassung an den berechtigten Nichteigentümer nicht sein Besitzrecht schlechthin einbüße, sondern einen Nachteil lediglich hinsichtlich eines einzelnen Anspruchs, nämlich seines Eigentumsherausgabeanspruchs erleide.33 Er geht davon aus, dass in der Gebrauchs- und Besitzüberlassung ein von dem zugrundeliegenden schuldrechtlichen Verhältnis scharf zu unterscheidender Rechtsakt liegt, der eine Verfügung nach § 185 B G B darstellt. §986 B G B sei daher nichts anderes als ein Spezialfall des § 185 BGB. 3 4 Das Recht zum Besitz des Mieters beruhe folglich nicht auf dem obligatorischen Versprechen des Vermieters, die Sache zu übergeben und den Gebrauch durch den Mieter zu dulden, sondern auf der in der Besitzüberlassung liegenden Erlaubnis zum Besitzen, die eine Verfügung darstelle.35 Diese Unterscheidung von schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft und in der Besitzüberlassung liegender Verfügung erlaubt es Raape, mit der herrschenden Auffassung an dem rein schuldrechtlichen Charakter der Miete festzuhalten.36 Das Besondere an dem so verstandenen Recht zum Besitz sieht Raape in dem Umstand, dass der Inhalt dieses Rechts nicht auf ein fremdes Verhalten ge-
29 30 31 32 33 34 35 36
L. Raiser, in FS f. M. Wolff, 123 (127,136 f.). Diederichsen, S. 30. Scherk, JherJb 67 (1917), 301 (335). Raape, JherJb 71 (1922), 97 (107). Raape, JherJb 71 (1922), 97 (177). Raape, JherJb 71 (1922), 97 (174). Raape, JherJb 71 (1922), 97 (103, 169 f.). Raape, JherJb 71 (1922), 97 (103 f.).
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
87
richtet ist, sondern ein Recht zu eigenem Verhalten des Berechtigten umfaßt. Dieses Recht wird als „relatives Darfrecht" bezeichnet. 3 7 Die in der Besitzüberlassung liegende Verfügung führe zu einer Stundung des Herausgabeanspruchs, so dass der Anspruch aus § 985 B G B erst nach Ablauf der vereinbarten Besitzzeit fällig werde. 3 8 Vordergründig vermeidet Raape den Vorwurf, die klare Unterscheidung von dinglichen Verfügungshandlungen und schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäften zu verwischen, indem er den Akt der Besitzüberlassung von dem obligatorischen Besitzversprechen des Eigentümers abkoppelt. Dieser Vorteil wird allerdings mit dem Preis einer recht gekünstelten Differenzierung zwischen schuldrechtlichem Anspruch und dinglicher Erlaubnis erkauft. Da die Besitzüberlassung als Einräumung des unmittelbaren Besitzes zunächst nichts anderes als ein Realakt ist, stellt sich die Frage, wonach sich Inhalt und Reichweite der in der Besitzüberlassung liegenden Erlaubnis bestimmen. Tatsächlich wird die angenommene Erlaubnis in aller Regel gerade durch den Inhalt des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts vorgegeben. Der Eigentümer „erlaubt" den Besitz und Gebrauch der Sache eben nur in dem Umfang und zu dem Zweck, der vertraglich vereinbart ist. Lässt sich aber die Eigenständigkeit der angenommenen Erlaubnis nicht aufzeigen, liegt der Verdacht nahe, dass im Grunde doch wiederum dem obligatorischen Rechtsverhältnis Verfügungscharakter beigemessen wird. Es kommt hinzu, dass das Verständnis vom Recht zum Besitz als bloßer Fälligkeitsabrede kaum seiner besonderen Stellung als Anspruchskorrektiv in § 986 B G B gerecht wird. 3 9 Die Fälligkeit eines Anspruchs bestimmt den Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger die Leistung verlangen und der Schuldner die Leistung bewirken kann, § 271 B G B . Die Frage nach der Fälligkeit ist allerdings nur dort sinnvoll, wo sich die Leistungszeit nicht bereits aus der Natur des jeweiligen Anspruchs ergibt. Dies ist vor allem im Schuldrecht der Fall, da die Ausgestaltung des Schuldverhältnisses der Parteiautonomie unterliegt und daher die Bestimmung der Leistungszeit im Einzelfall zweifelhaft sein kann. Ganz anders ist dagegen die Situation im Sachenrecht. Da der dingliche Anspruch durch objektive, gesetzlich fixierte Merkmale tatbestandlich festgelegt wird, tritt seine Fälligkeit stets mit Erfüllung aller Tatbestandselemente ein. Gleichwohl geht die Behauptung, es verstieße gegen den numerus clausus der Sachenrechte, wenn die Parteien nach ihrem Willen den Anspruch aus § 985
Raape, JherJb 71 (1922), 97 (113 f.). Raape, JherJb 71 (1922), 97 (166). Dem Gedanken der hinausgeschobenen Fälligkeit des Herausgabeanspruchs stimmt Jahr, JuS 1964, 125, 218, 293 (297), zu, allerdings mit der Einschränkung, dass diese Wirkung ipso iure eintrete; ebenso Emmerich, Verhältnis der Nebenfolgen, S. 28 f. 39 Diederichsen, S. 32 f. 37
38
88
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
BGB ausgestalten könnten, 4 0 in dieser Allgemeinheit zu weit. Immerhin sieht das Gesetz selbst in § 986 BGB eine Beschränkung des Herausgabeverlangens vor und lässt dafür auch obligatorische Besitzrechte ausreichen, die allein auf dem Willen der Parteien beruhen. Die Vorstellung Raapes vom Recht zum Besitz als Fälligkeitsbestimmung betont aber nur die Selbstverständlichkeit der sachenrechtlichen Tatbestandserfüllung und erklärt nicht die herausgehobene Regelung des Besitzrechts in § 986 BGB. c) Das Recht zum Besitz als relatives
Herrschaftsrecht
Keiner der vorbeschriebenen Erklärungsansätze konnte sich letztlich durchsetzen. Stattdessen geht die herrschende Auffassung spätestens seit Mitte der sechziger Jahre davon aus, dass das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB als sogenanntes relatives Herrschaftsrecht zu verstehen ist. Vorbereitet wurde diese Entwicklung durch die Arbeiten Ludwig Raisers. Den Schlüssel zur Lösung des Problems, wie der Ubergriff des obligatorischen Besitzrechts auf die dingliche Rechtsstellung des Eigentümers bewältigt werden kann, sah Raiser nicht in der Verstärkung des „Rechts zum Besitz" zu einem selbständigen, von seinem Rechtsgrund losgelösten subjektiven Recht, sondern gerade umgekehrt darin, das Eigentumsrecht der ihm gemeinhin zugeschriebenen abstrakten, stets gleichbleibenden Natur zu entkleiden, die zwar eine Beschränkung durch dingliche Rechte kenne, aber jede „bloß" schuldrechtliche Bindung des Eigentümers als sachenrechtlich irrelevant von sich abgleiten lasse. 41 Den Grund für die Betrachtung des Eigentums als ein solch statisches subjektiv-dingliches Recht erkannte Raiser in der durch das Pandektensystem geprägten strengen systematischen Trennung von Schuldund Sachenrecht durch das BGB. 4 2 Im Laufe der Zeit habe sich dann allerdings die Dogmatik des Schuldrechts anders entwickelt als das Sachenrecht. Während man im Schuldrecht durch die Arbeiten von Siber und Stall erkannt habe, dass ein vertragliches Schuldverhältnis nicht nur ein Gegenüber zweier Ansprüche sei, sondern einen „Organismus" darstelle, aus dem eine Fülle einzelner Rechte und Pflichten erwachsen könnten, sei man im Sachenrecht bei dem Verständnis des 19. Jahrhunderts vom Eigentum als einem „an sich schrankenlosen Recht" stehengeblieben. 4 3 Der Vorteil größerer rechtstechnischer Handlichkeit dieses Eigentumsbegriffes werde mit der Gefahr einer Verarmung rechtstechnischer Gestaltungsmöglichkeiten erkauft, wie sich insbesondere an den Schwierigkeiten bei der rechtlichen Einordnung der Treuhand zeige. Notwendig sei daher, im Sachenrecht die dogmatische Entwick40 41 42 43
So Diederichsen, S. 34. L. Raiser, in: FS f. M. Wolff, S. 123 (137). Wolff.'/Raiser, § 1 I 4 (S. 3); L. Raiser, in: FS f. M. Wolff, S. 123 (137). Wolff/Raiser, § 51 II 2 (S. 174); L. Raiser, in: FS f. M. Wolff, S. 123 (138).
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
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lung des Schuldrechts nachzuvollziehen und das Eigentum als ein dingliches Herrschaftsrecht zu begreifen, das als subjektives Recht in eine umfassendere, komplexere Rechtsstellung des Eigentümers eingebettet sei, die mannigfache Rechte und Pflichten, privater und öffentlicher Art, enthalte und je nach der Zweckbestimmung der Sache einer reichen Abstufung und Differenzierung fähig sei. 44 Vor diesem Hintergrund bereite es dann keine Schwierigkeiten, anzunehmen, dass der Eigentümer, der seine Sache zur Miete oder in Verwahrung weggibt, damit nicht nur ein Schuldverhältnis begründe, sondern auch seine Rechtsstellung als Eigentümer verändere. 45 Daraus zieht Raiser weitergehend den Schluss, dass die Vindikation ebenso wie die Anwendung der §§ 987 ff. B G B überall da ausgeschlossen ist, wo der Eigentümer gegenüber dem Besitzer durch ein besonderes, durch die Besitzüberlassung ausgeführtes Schuldverhältnis gebunden ist und seine Eigentümerstellung sich dadurch geändert hat. Dies gelte nicht nur für die Dauer des Rechts zum Besitz des Besitzers, sondern auch für die Zeit danach, da das Schuldverhältnis nicht mit dem Ende des Besitzrechts erlösche, sondern nun abzuwickeln sei. Dem Schutz des Eigentümers diene hier der vertragliche Rückgabeanspruch. 4 6 Problematisch an der Raiser'sehen Theorie sind zunächst einmal die für die Zeit nach dem Ende der Besitzberechtigung gezogenen Konsequenzen. Die Annahme, dass der vertragliche Rückgabeanspruch die Vindikation ausschließt, entspricht im Ergebnis der Konkurrenzlehre Sibers, auch wenn sich die jeweiligen Begründungen deutlich voneinander unterscheiden. Damit ist aber auch Raiser den Einwänden ausgesetzt, denen sich Siber bereits stellen musste. Zwingende Gründe, warum eine Vindikation neben dem vertraglichen Rückgabeanspruch nicht gegeben sein kann, sind nicht ersichtlich. Die Auswahl und gegebenenfalls notwendige Anpassung der Rechtsfolgen kann der nachgelagerten Konkurrenzlehre vorbehalten bleiben, ohne dass dies eine generelle Aussage über den Vorrang von vertraglichen oder dinglichen Ansprüchen erzwingt. Erklärt sich aber die Verdrängung der Vindikation durch den obligatorischen Rückgabeanspruch nicht aus sich heraus, so bleibt Raiser eine Rechtfertigung dafür schuldig, wie die Ablehnung des Eigentumsherausgabeanspruchs nach dem Ende der eingeräumten Besitzberechtigung mit § 986 B G B zu vereinbaren ist. Da der Besitzer angesichts seiner obligatorischen Rückgabepflicht kaum weiterhin als berechtigter Besitzer gesehen werden kann, müsste auch ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B abzulehnen sein, so dass kein Weg an der Vindikation vorbeiführt. Hinzu kommen Bedenken im Hinblick auf den methodischen Ansatz der Raiser'sehen Lehre. Die Auflösung des als Widerspruch empfundenen Zu44 45 46
L. Raiser, in: FS f. M. Wolff, S. 123 (137 f.); Wolff/Raiser, L. Raiser, in: FS f. M. Wolff, S. 123 (138). L. Raiser, in: FS f. M. Wolff, S. 123 (140).
§ 51 II 3 (S. 175).
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standes, dass die obligatorische Besitzberechtigung die dingliche Eigentümerstellung beschränken kann, wird darin gesehen, den gewachsenen, gegenständlich abstrakten Eigentumsbegriff zu einer umfassenden Rechtsstellung auszuweiten, in die alle privaten und öffentlichen Rechte und Pflichten einfließen. Dadurch wird der Eigentumsbegriff des B G B für den Bereich des § 986 B G B inhaltlich in einer Weise verändert, dass die scharfen Konturen zwischen Eigentum und beschränkten dinglichen Rechten als Sachenrechte einerseits und obligatorischen Befugnissen als Schuldrechte andererseits verschwimmen. Die von Raiser erstrebte Bereicherung an rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten hat dann unweigerlich im Gegenzug den Nachteil, den durch wissenschaftliche Abstraktion gewonnenen Vorteil rechtstechnischer Handlichkeit und Geschlossenheit des Systems zu verlieren. 47 An die Vorstellung Raisers, dass der Eigentümer, der seine Sache zur Miete oder in Verwahrung weggibt, damit nicht nur ein Schuldverhältnis begründet, sondern seine Rechtsstellung als Eigentümer verändere, knüpft Larenz an. 48 Er versteht unter „Dinglichkeit" eines Rechts, dass es dem Berechtigten die Befugnis zu irgendeiner Art der Einwirkung auf die Sache selbst gewährt. Ein solches Recht sei zweifellos auch das Recht zum Besitz, möge es auch nur auf einem obligatorischen Rechtsverhältnis beruhen und sich daher nur gegen eine bestimmte Person, den Vertragsschuldner, richten. Sein „dinglicher" Charakter zeige sich insbesondere darin, dass es, so lange es besteht - was sich alleine nach dem Schuldverhältnis bestimme - , den Eigentumsanspruch des Verpflichteten (falls dieser der Eigentümer ist) sowie desjenigen, der gemäß § 931 B G B das Eigentum vom Verpflichteten erworben hat (986 Abs. 2 B G B ) , ausschließt. Wenn auch das nur auf einem Schuldverhältnis beruhende (insofern „relative") Recht zum Besitz einem solchen Eigentümer gegenüber nicht durchdringt, der weder der aus dem Schuldverhältnis Verpflichtete ist, noch das Besitzrecht nach § 9 8 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 B G B gegen sich gelten lassen muss, so sei es doch gegenüber sonstigen Dritten nach § 823 Abs. 1 und § 1007 B G B - ganz abgesehen von dem Schutz, den der Besitz als solcher genieße geschützt, insoweit also einem „absoluten" Rechte weitgehend angenähert. Es fällt auf, dass Larenz den Begriff der Dinglichkeit in einem wesentlich weitergehenden Sinne versteht, als er üblicherweise umschrieben wird. Während ein Recht im Allgemeinen als dinglich bezeichnet wird, wenn es gegenüber jedermann wirkt und daher durch die absolute Herrschaftsmacht des Berechtigten gekennzeichnet ist, lässt Larenz es schon genügen, dass dem Berechtigten die Befugnis zu irgendeiner Art der Einwirkung auf die Sache selbst gewährt wird. Der Grund für diese Begriffsverschiebung liegt darin, dass das Recht zum Besitz von Larenz als Zwischenform in der Mitte von 47 48
Vgl. auch die Kritik bei Gröbl, S. 41 ff. Larenz, Methodenlehre, S. 352.
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des 5 986 BGB
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„persönlichen" und „eigentlich dinglichen" Rechten angesehen wird, die er mit Hilfe des „typologischen Denkens" zu erklären und einzuordnen sucht. 49 Dieser Ansatz wurde in der Folge von Diederichsen im Einzelnen ausgebaut. 50 Auch er sieht die Wirkung eines auf einem obligatorischen Rechtsverhältnis beruhenden Besitzrechts durch schuldrechtliche Konstruktionen nicht hinreichend erklärt. Die Einschränkung des absoluten Eigentumsrechts durch ein relativ wirkendes Schuldverhältnis in der Weise, dass dessen wesentlicher Anspruch, die rei vindicatio ausgeschlossen ist, befremde, weil das Schuldverhältnis seine Wirkungen nur zwischen den Rechtssubjekten entfalte, das dingliche Recht hingegen die Sache selbst erfasse. 51 Die rein schuldrechtlichen Erklärungsansätze ignorierten ein wesentliches Element der „Schuldverträge mit besitzrechtlichen Folgen", welches den übrigen Obligationen fremd sei: nämlich die rechtliche Verbindung des Besitzberechtigten zur Sache. 52 Der Besitzberechtigte habe über die rein obligatorische Beziehung zum Schuldner hinaus ein Recht wenn schon nicht an der Sache, so doch wenigstens auf die Sache. Mit einem bloßen Anspruch gegen den Eigentümer, der die Beziehung des Besitzberechtigten zur Sache selbst außer Acht lasse, sei ihm nicht gedient. Vielmehr ergreife auch das auf einem Schuldverhältnis beruhende Besitzrecht die Sache. Es sei ein Herrschaftsrecht, kein Anspruch. Die Vindikation des Eigentümers gegen den Besitzberechtigten scheitere nicht deshalb, weil der Besitzberechtigte von ihm die Gewährleistung des Besitzstandes fordern kann, sondern weil das Besitzrecht im Verhältnis von Eigentümer und Besitzberechtigtem die Sache Letzterem zuweise. 53 Den von Diederichsen betonten Gegensatz zwischen dem auf die Verschaffung eines Besitzrechts gerichteten bloßen Anspruch und dem die Besitzbefugnis enthaltenden Herrschaftsrecht sieht er besonders durch die Entscheidung R G Z 138, 296 belegt, der folgender Sachverhalt zugrunde lag: Der Bauunternehmer S. erwarb im Mai 1895 einen Bauplatz und errichtete darauf ein Wohnhaus. Er verkaufte das Grundstück durch Vertrag vom 1.2.1896 gegen Übernahme der eingetragenen Hypotheken an den Fabrikarbeiter D., der nach Auflassung am 19.2.1886 im Grundbuch eingetragen wurde. Der Verkauf diente offenbar dazu, das Grundstück dem Zugriff der Gläubiger des S. zu entziehen und zugleich der Sicherung eines Darlehens, so dass von vornherein beabsichtigt war, das Grundstück nach Rückzahlung des Darlehens in drei Jahren zu dem ursprünglichen Kaufpreis an den Sohn des S. zurückzuübertragen. Am 2.12.1898 verkaufte D. das Grundstück an die Ehefrau des S. gegen Übernahme der dinglichen Belastungen und Zahlung von 150 Mark in bar. Zugleich verpflichtete sich D., die von ihm auf dem Grundstück benutzte Wohnung zum Larenz, S. 351 f. Diederichsen, Das Recht zum Besitz aus Schuldverhältnissen, 1965. 51 Diederichsen, S. 4 f. 52 Diederichsen, S. 6. 53 Diederichsen, S. 7; vgl. auch Krückmann, LZ 1931, Sp. 1171; Fuchs, Grundbegriffe des Sachenrechts, 1917, S. 19; Raape, JherJb 74 (1924), S. 179 (208 f.). 49
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1.1.1899 zu räumen und kam dem auch nach. Die Auflassung an Frau S. ist allerdings unterblieben. D. verstarb am 14.2.1899, stand jedoch noch bis zur Entscheidung des Gerichts als Eigentümer im Grundbuch. Frau S. befand sich bis zu ihrem Tode am 13.9.1925 im ungestörten Eigenbesitz des Grundstücks. Ihre Erben hatten dann den Ausschluss des Eigentümers im Wege des Aufgebots nach § 927 B G B beantragt. Dieses Verfahren wurde allerdings nicht durchgeführt, weil die Erben des D. ihrerseits am 24.12.1930 Herausgabeklage als Eigentümer erhoben hatten.
Das R G wies die Klage ab, nachdem beide Vorinstanzen den Klägern Recht gegeben hatten. Der Kaufvertrag vom 2.12.1898 sei wirksam, die Beklagten daher als Rechtsnachfolger von Frau S. dem Verkäufer gegenüber zum Besitz des Grundstücks berechtigt. Sie könnten daher sowohl nach der gemeinrechtlichen exceptio rei venditae et traditae wie nach § 986 B G B die Herausgabe des Grundstücks verweigern. Dieses Besitzrecht sei dauernd, da nur Ansprüche der Verjährung unterlägen, nicht aber Verträge und nicht der Besitz als solcher. Aus diesem Grunde ließ das R G die Frage offen, ob der Auflassungsanspruch im vorliegenden Fall verjährt war. Das Gericht deutet außerdem an, dass gegenüber der Berufung auf die Verjährung des Auflassungsanspruchs der Gegeneinwand der Arglist hätte in Betracht kommen können, nachdem die Kläger und ihr Rechtsvorgänger Frau S. und deren Erben 30 Jahre in ungestörtem Eigenbesitz gelassen hatten. Wäre gleichwohl die Verjährung des Auflassungsanspruchs anzunehmen gewesen, so wären dadurch der Kaufvertrag vom 2.12.1898 und die weitere Vereinbarung vom selben Tage nicht ungültig geworden, und es wäre daher das Recht der Beklagten zum Besitz des Grundstücks nicht erloschen. Denn der Anspruch aus dem Kaufvertrag vom 2.12.1898 auf Übertragung des Besitzes am Grundstück sei erfüllt und könne nicht Gegenstand der Verjährung sein. Dem Einwand des Oberlandesgerichts, Eigentum und Besitz könnten nicht dauernd auseinander fallen, begegnet das R G mit dem Hinweis, dass die Motive zu § 154 E I (= § 194 B G B ) bei beweglichen Sachen sogar ausdrücklich in Kauf nehmen, dass ein Eigentum „sine re" bestehen könne. 54 Selbst von jenem - nicht zu billigenden - Grundsatz aus sei die Zusprechung der Klage nicht gerechtfertigt gewesen, weil sich gegenwärtig eine dauernde Trennung von Eigentum und Besitz am Grundstück nicht feststellen lasse. Denn nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts sei es möglich, dass die Beklagten das Eigentum erlangten, indem sie nach § 927 B G B ein Ausschlussurteil gegen die Kläger erwirken. Nach Diederichsen soll dieses Urteil deutlich die „Ausgliederung" des obligatorischen Rechts zum Besitz aus dem Schuldrecht zeigen. Obwohl die Einrede der Verjährung jedem Anspruch der Beklagten entgegenstehen würde, seien sie nicht rechtlos. Sie hätten vielmehr noch das Recht, das durch Kauf erworbene Grundstück zu besitzen. Das Schuldverhältnis entfalte hier also 54
Motive I, S. 292 (= Mugdan, Bd. I, S. 513).
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
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mit anderen Worten nur noch sachenrechtliche Wirkungen; die rein obligatorischen Möglichkeiten seien erschöpft. Nach alledem erscheine es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass das Recht zum Besitz begriffs- und strukturmäßig kein Anspruch, sondern ein Herrschaftsrecht sei. 55 Diese These versucht Diederichsen an einem weiteren Beispiel zu verdeutlichen. Verspricht der Eigentümer eines Klaviers seinem Nachbarn, während der Mittagsstunde nicht zu musizieren, so wirke sich dieses obligatorische Versprechen auch sachenrechtlich aus. Zwar habe der Versprechensempfänger keine unmittelbare Herrschaftsmacht über das Klavier - er könne es z.B. nicht einfach am frühen Nachmittag unter Verschluss setzen - aber die schuldrechtliche Vereinbarung mit dem Nachbarn greife doch insofern in das Sachenrecht hinüber, als der obligatorisch gebundene Eigentümer nun wenigstens im Verhältnis zum Nachbarn mit der Sache nicht mehr nach Belieben verfahren darf (§ 903 BGB). 56 Dagegen verschaffe sich der Nachbar die Zugriffsmöglichkeit auf die Sache, wenn er das Klavier für die Mittagszeit mietet. In diesem Falle dürfe er seinerseits musizieren, er könne das Klavier aber auch abschließen, ohne dass der Eigentümer ihn daran hindern dürfte. Habe er im ersten Fall nur einen Anspruch gegen den Eigentümer, so stehe ihm im zweiten Fall darüber hinaus ein Herrschaftsrecht über das Instrument selbst zu. Obwohl in beiden Beispielen die Absicht des Nachbarn dieselbe sein möge, sich nämlich in der Mittagsstunde Ruhe zu verschaffen, und in beiden Fällen das „vinculum iuris" für den Eigentümer schuldrechtlicher Natur ist, liege doch ein grundsätzlicher Unterschied in den Wirkungen der beiden Verträge: Der reinen Gebundenheit des Eigentümers im Falle des bloßen Unterlassungsversprechens stehe die Bindung der Sache im Falle des Mietvertrages gegenüber. 57 Durch diese Überlegungen gelangt Diederichsen zu der Feststellung, dass die obligatorischen Besitzrechte nach Art der beschränkt dinglichen Rechte zu konstruieren seien. 58 Das Eigentum werde nicht nur bei der Begründung gewisser dinglicher Rechte um das Besitzrecht gemindert, sondern auch durch die Überlassung der Sache an einen nur obligatorisch zum Besitz Berechtigten. Das Recht zum Besitz stelle sich damit in jedem Fall als die Kehrseite der Selbsteinschränkung des Eigentümers dar, dessen Eigentum durch die Einräumung eines Besitzrechts entsprechend belastet werde. Die Besitzbefugnis, um die das Vollrecht gemindert werde, erhalte der Besitzberechtigte, gleichgültig ob das Besitzrecht dinglich oder obligatorisch ist. Diederichsen begreift daher das Recht zum Besitz als ein gegenüber dem obligatorischen Vertrag verselbständigtes subjektives Recht: Nicht das Schuldverhältnis als solches habe eine die Vindikation ausschließende Wirkung, sondern erst das 55 56 57 58
Diederichsen, Diederichsen, Diederichsen, Diederichsen,
S. 9. S. 88. S. 91. S. 92.
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Besitzes
aus ihm fließende Recht zum Besitz, das als Herrschaftsrecht über die Sache seinem Inhalt gemäß den Herausgabeanspruch des Eigentümers zurückdränge. Das Recht zum Besitz werde aus dem Vollrecht ausgesondert und verselbständigt; für die Dauer des Bestehens eines fremden Besitzrechts sei der Eigentümer nicht besitzberechtigt. Erst diese Überlegung gebe eine Erklärung für den Vorrang des Schuldverhältnisses gegenüber dem dinglichen Vollrecht und wahre die innere Gleichartigkeit aller Besitzrechte, von der § 986 BGB ausgehe. 59 Zugleich sei das obligatorische Recht zum Besitz aber im Ganzen kein dingliches Recht, da es Dritten gegenüber nicht durchsetzbar sei. Die Belastung seines Eigentums durch die Bestellung eines relativen Besitzrechts hindere den Eigentümer nicht daran, die nochmalige inhaltsgleiche Beschränkung einer dritten Person gegenüber einzugehen. Dem obligatorischen Besitzrecht fehle daher der absolute Schutz, da die Sache nur im Verhältnis zum Eigentümer dem obligatorisch Besitzberechtigten zugeordnet sei. 60 Das obligatorische Besitzrecht nehme daher eine Zwitterstellung zwischen Schuldund Sachenrecht ein. Es sei ein dingliches Recht ohne absoluten Schutz oder genauer ein relatives Herrschaftsrecht über eine Sache. Aus dem Schuldrecht stamme die Relativität, das heißt die Begrenzung der Wirksamkeit auf das Verhältnis zwischen Besitzer und Eigentümer. Mit dem dinglichen Recht verbinde es die herrschaftsmäßige Unterwerfung der Sache unter die Gewalt des Berechtigten. 61 Die Konstruktion der obligatorischen Besitzberechtigung als Eigentumsbelastung, durch die das Eigentum um eben dieses Besitzrecht gemindert werde, führt Diederichsen weiter zu der Annahme, dass diese Rechtsänderung nur aufgrund einer Verfügung stattfinden könne. 62 Diese Verfügung liege nicht erst in der Ubergabe der Sache an den Gläubiger, sondern bereits im Schuldvertrag selbst. Dieser enthalte neben der jeweiligen obligatorischen Verpflichtung auch ein verfügungsrechtliches Moment. Schuldrechtliche Verträge, die auf die Gewährung eines Besitzrechts gerichtet sind, schlössen gleichzeitig die das Eigentum um das Recht zum Besitz mindernde Verfügung ein. Dadurch sei der Vorgang der Eigentumsverkürzung aber noch nicht abgeschlossen, solange der Eigentümer sich noch im Besitz der Sache befindet, da ein Herrschaftsrecht an der Sache in diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden sei. Vielmehr stehe die Vollendung des Besitzrechts unter der Rechtsbedingung der tatsächlichen Besitzergreifung durch den Gläubiger. 63 Diese Konzeption des obligatorischen Besitzrechts als relativem Herrschaftsrecht wurde alsbald in der Literatur aufgegriffen und wird heute, so59 60 61 62 63
Diederichsen, Diederichsen, Diederichsen, Diederichsen, Diederichsen,
S. 91 f. S. 93. S. 95. S. 106 ff. S. 111 f.
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weit das Thema überhaupt angesprochen wird, nicht mehr in Frage gestellt. 64 Gleichwohl oder gerade deswegen soll im Folgenden über dieses Verständnis des Rechts zum Besitz erneut nachgedacht werden. Es wird sich dabei zeigen, dass die Konstruktion des relativen Herrschaftsrechts als Zwischenform innerhalb der Schuld- und Sachenrechte nicht frei von Bedenken ist und zugleich einer systemsprengenden Tendenz zur Verdinglichung obligatorischer Rechte argumentativ den Boden bereitet. Dem soll ein Verständnis des obligatorischen Besitzrechts als rein schuldrechtlich begründete Ausübungsüberlassung gegenübergestellt werden, das zudem in der Lage ist, den von Diederichsen aufgezeigten Problemen Rechnung zu tragen.
3. Das obligatorische Besitzrecht als Inhalt der schuldrechtlichen Forderung Die Annahme eines gegenüber der schuldrechtlichen Verpflichtung verselbständigten Besitzrechts, das von dem Eigentümer auf den Vertragspartner übertragen wird, zwingt Diedericbsen zu der Konsequenz, von einer Verfügung auszugehen. Diese Verfügung soll in dem Schuldvertrag selbst angelegt sein und lediglich unter der Rechtsbedingung der tatsächlichen Besitzerlangung des Gläubigers stehen. Schon die Konstruktion der tatsächlichen Besitzerlangung als Rechtsbedingung wirft allerdings Fragen auf. Zwar sind die §§ 158 ff. B G B nicht unmittelbar auf Rechtsbedingungen anwendbar. 65 Zumindest der Rechtsgedanke des § 162 B G B dürfte aber zu berücksichtigen sein, wenn das für den Bedingungseintritt notwendige zukünftige Ereignis allein von dem Handeln der Parteien abhängt und keine übergeordneten Gesichtspunkte, wie etwa der Minderjährigenschutz bei § 108 B G B , entgegenstehen. 66 Dies hätte bei der Deutung der Besitzerlangung als Rechtsbedingung für die Verfügung allerdings unter Umständen eigenartige Folgen. Hat der Eigentümer eine Sache zunächst an eine Person vermietet, aber noch nicht übergeben und vermietet er sie dann ein zweites Mal an einen Dritten, dem er die Sache auch übergibt, so müsste dies nach dem Rechtsgedanken des §162 Abs. 1 B G B dazu führen, dass mit der Ubergabe der Sache an den Dritten nicht nur diesem, sondern zugleich auch dem ersten Mieter das Besitzrecht übertragen worden ist. 64 Staudinger/Gursky, §986, Rn. 1; Köhl, S. 120 f., 122; Gröbl, S. 44 ff.; Plambeck, S. 39; Westermann/Gursky, § 8, 4 (S. 69). 65 Palandt/Heinrichs, Einf. v. § 158, Rn. 5. 6 6 Für eine Anwendbarkeit des § 162 B G B im Einzelfall auch Oertmann, Die Rechtsbedingung, 1924, S. 155 f.; Knorr, Begriff und Rechtsfolgen der Rechtsbedingung, 1978, S. 92 ff., 100 ff.; a.A. RGZ 129, 357 (367, 376); 168, 261 (267); Egert, Die Rechtsbedingung im System des bürgerlichen Rechts, 1974, S. 183 f. m. w. N.; vgl. aber auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 3. Aufl. 1977, §40 1 g (S. 721 ff.).
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Neben diesem Einwand gegen die Verfügungskonstruktion tritt das grundsätzliche Bedenken gegen die Einordnung der obligatorischen Besitzberechtigung als Mischform aus dinglichen und schuldrechtlichen Elementen. In Fortführung des typologischen Denkens nach Larenz führt Diederichsen die auf einer schuldrechtlichen Verbindung beruhende Besitzberechtigung aus dem Schuldrecht heraus und bemüht sich, sie als eigenständige Kategorie zwischen Schuld- und Sachenrecht zu etablieren. Die Folge ist eine den dinglichen Rechten verwandte Vorstellung der Übertragung der Besitzberechtigung als Eigentumsbestandteil auf den Gläubiger und damit eine Verfügung, die indessen zugleich bloß relativ wirken soll, weil die Berechtigung allein den Eigentümer in seinem Verhältnis zum Gläubiger bindet. Die damit verbundene Aufweichung der Unterscheidung von dinglichen und obligatorischen Rechtsverhältnissen wird nicht nur offen eingeräumt, sondern als Ausweg aus einem als Dilemma empfundenen „Ubergreifen" der obligatorischen Besitzberechtigung in das Sachenrecht verstanden. Eine rein schuldrechtliche Auffassung des Besitzrechts ignoriere ein wesentliches Element der Schuldverträge mit besitzrechtlichen Folgen, welches den übrigen Obligationen fremd sei, nämlich die rechtliche Verbindung des Besitzberechtigten zur Sache. 67 Diesen Gedanken versucht Diederichsen an dem geschilderten Klavier-Beispiel zu verdeutlichen. Hatte der Nachbar bei einer bloßen Verpflichtung des Eigentümers, selbst nicht zu spielen, lediglich einen Anspruch gegen Letzteren, so habe der Nachbar als Mieter dagegen ein eigenes Herrschaftsrecht über das Klavier. Ähnlich formulierte bereits Raape mit dem Hinweis, dass der Inhalt der Gebrauchsrechte nicht nur ein Recht auf fremdes Verhalten sei, sondern ein Recht zu eigenem Verhalten. 68 Gegen diesen Befund ist als solchen an sich wenig einzuwenden, so dass grundsätzlich auch nichts dagegen spricht, die Befugnis zur Einwirkung auf eine Sache als Herrschaftsrecht zu kennzeichnen. Jedoch bleibt die Frage offen, warum sich allein daraus eine unterschiedliche Behandlung des obligatorischen Rechts zum Besitz und der übrigen schuldrechtlichen Befugnisse rechtfertigt. Es kommt hinzu, dass der Bezug des Gläubigers zu einer Sache je nach Inhalt und Zweck des Vertrages ganz unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Während er bei der Miete stark ausgeprägt ist, hat etwa der Verwahrer trotz ausschließlicher Sachherrschaft grundsätzlich keine eigenständige Nutzungsbefugnis. Weitere Abstufungen lassen sich vor allem bei den unterschiedlichsten Formen der sogenannten gemischten Verträge ausmachen, wo der Zugriff auf eine Sache stärker oder schwächer neben anderen Leistungselementen ausgeprägt sein kann. Zu denken wäre hier etwa an Sport- und Fitness-Center-Verträge, bei denen eine Einweisung und Überwachung des Trainierenden durch geschultes Personal geschuldet
67 68
Diederichsen, S. 6. Raupe, JherJb71 (1922),97(114).
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des 5 986 BGB
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wird 6 9 oder der Besuch eines bestuhlten Konzerts. 7 0 Noch weiter verflüchtigt sich der Aspekt der Gebrauchsüberlassung bei dem Besuch eines privaten Zoos oder Museums. Daraus ergibt sich das Problem, ob hier in jedem dieser Fälle die mehr oder minder stark ausgeprägte Sachbeziehung die Annahme einer Verfügung rechtfertigen soll oder ob und wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist. Im Übrigen ist die Vorstellung von einem Recht auf eigenes Verhalten nicht auf die auf Gebrauchsüberlassung gerichteten Verträge beschränkt. Heuert beispielsweise ein Boxkämpfer einen anderen Boxer zu Trainingszwecken als Sparringspartner an, so verpflichtet der geschlossene Dienstvertrag nicht nur den Boxer zum Übungskampf, sondern berechtigt der Vertrag vor allem auch den dienstberechtigten Boxkämpfer zu eigenem Handeln, nämlich dem Training seiner Technik an dem Partner. Ebenso ist anerkannt, dass die Abnahmepflicht des Käufers nach § 433 Abs. 2 B G B im Einzelfall auch zur Hauptleistungspflicht ausgestaltet sein kann, mit der dann das Recht des Verkäufers, der z.B. ein besonderes Interesse daran hat, sein Lager zu räumen, korrespondiert, die Ware zu liefern. Auch der Einordnung von Automatenaufstellverträgen als sogenannte Gestattungsverträge 71 liegt erkennbar der Gedanke der Einräumung eines Rechts zu eigenem Verhalten zugrunde, dem gegenüber die Gebrauchsüberlassung ganz in den Hintergrund rückt. Von einer Gebrauchsüberlassung im eigentlichen Sinne kann man auch nicht mehr bei dem bereits erwähnten Besuch eines privaten Museums oder Zoos sprechen. Hier steht vielmehr ganz die Gestattung eines persönlichen Verhaltens des Besuchers, das Betrachten der Kunstgegenstände oder der Gehege, im Vordergrund. Insgesamt bestehen daher erhebliche Einwände gegen die Konzeption des obligatorischen Besitzrechts als einem relativen Herrschaftsrecht, das durch Verfügung auf den Gläubiger übertragen wird. Es bestünde aber nur dann Anlass dazu, die aufgezeigten Schwierigkeiten auf sich zu nehmen, wenn die rein schuldrechtliche Auffassung vom obligatorischen Besitzrecht, die durch die gesetzliche Systematik von vornherein nahegelegt wird, ihrerseits zu noch größeren Problemen führte. Als Test wird das schuldrechtliche Besitzrechtsverständnis nach dem Gesagten zwei Aufgaben zu lösen haben. Zum einen muss eine Antwort auf die strukturelle Frage gegeben werden, wie eine schuldrechtliche Berechtigung geeignet sein kann, die dingliche Eigentumsposition innerhalb des § 986 B G B so einzuschränken, dass in Übereinstimmung mit dem heutigen Verständnis der Norm von dem Recht zum Besitz als Einwendung, und nicht nur als Einrede, ausgegangen werden kann. Zum an6 9 O L G Hamm, NJW-RR 1992, 242; vgl. auch LG Frankfurt, NJW 1985, 1717; Staudinger/Emmerich, vor §§ 535, 536, Rn. 153. 70 AG Hannover, NJW 1981,1219. 71 Roquette, §535, Rn. 166 f.; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 7. Aufl. 1999, vor §§535, 536, Rn. 55; MünchKomm/Voelskow, vor § 535, Rn. 36.
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• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
deren muss zu dem Problem der Besitzberechtigung nach Verjährung des schuldrechtlichen Ubereignungsanspruchs Stellung genommen werden, das das R G ebenso wie den B G H zu der grundsätzlichen Aussage veranlasst hat, das Recht zum Besitz bestehe für den Käufer auch nach Geltendmachung der Verjährung durch den Verkäufer (oder dessen Rechtsnachfolger) fort. Grundlage für das schuldrechtliche Verständnis der Besitzberechtigung ist die prinzipielle Unterscheidung von Rechtszuständigkeit und Rechtsausübung. 72 Ihr entspricht die Gegenüberstellung der Übertragung eines Rechts und der bloßen Ausübungsüberlassung. Während im ersteren Fall das Recht von dem bisherigen Inhaber durch Verfügung auf einen anderen vorübergehend oder auf Dauer übertragen wird, verbleibt das Recht in letzterem Fall bei dem bisherigen Inhaber und dieser gestattet einem anderen lediglich die Ausübung des Rechts durch schuldrechtlichen Vertrag. Das Recht zum Besitz kann daher - sinnbildlich - als Ausschnitt des Eigentums begriffen werden, der zugleich als Bestandteil eines beschränkt dinglichen Rechts durch Verfügung übertragen werden, wie etwa beim Pfandrecht oder Nießbrauch. Das Recht zum Besitz kann aber auch als Eigentumsbestandteil dinglich beim Inhaber verbleiben und seine Ausübung obligatorisch einem Dritten gestattet werden. Dadurch wird eine eigenständige Besitzberechtigung durch schuldrechtlichen Vertrag begründet. Art und Umfang der Ausübungsbefugnis ergibt sich dann aus Inhalt und Zweck dieses Vertrages. Im Falle eines auf ein Jahr befristeten Mietvertrages bedeutet dies, dass der Mieter bei Vertragsbeginn nicht nur einen Anspruch auf Ubergabe der Mietsache hat, sondern dass ihm der Vermieter den Gebrauch der Sache auch während der Mietzeit zu gewähren hat, § 535 Abs. 1 S. 1 B G B . Daraus folgt, dass der Vermieter seine vertragliche Pflicht zur Überlassung der Ausübung des aus dem Eigentum folgenden Rechts zum Besitz nicht schon mit Übergabe der Sache erfüllt hat, sondern dass dem Mieter für die gesamte Laufzeit des Vertrages ein Anspruch auf Belassung des Besitzes zusteht. Dem entspricht die Verpflichtung des Vermieters, den Gebrauch der Sache durch den Mieter nicht zu hindern. Den Vermieter trifft folglich, worauf bereits Lehmann hinwies, 73 eine Duldungspflicht, die sich erst dann zu einem erneuten positiven Anspruch des Mieters auf Neueinräumung des Gebrauchs und damit zu einer Handlungspflicht des Vermieters verdichtet, wenn der Mieter ganz oder teilweise aus seinem Besitz gesetzt worden ist. Das Recht, die Belassung des Besitzes von dem Verpflichteten verlangen zu können, stellt damit nichts anderes als einen Anspruch (§ 194 Abs. 1 B G B ) dar, der zum Inhalt der schuldrechtlichen Forderung aus dem zugrundelie72 Dazu allgemein Hirsch, Die Übertragung der Rechtsausübung, 1910, S. 24 f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 14. Aufl. 1955, Band II, § 139 II Fn.9, §2391 \\v. Tuhr, Band II/2, § 92 II (S. 551 f.). 73 Lehmann, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, 1911, S. 32.
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genden Vertrag gehört. Das obligatorische Recht zum Besitz ist somit nichts von dem Schuldvertrag Gesondertes oder Verselbständigtes, sondern wurzelt unmittelbar in ihm und ist daher auch von seinem Bestand abhängig. Gegen ein solchermaßen verstandenes schuldrechtliches Recht zum Besitz lässt sich nicht einwenden, dass damit zwei inhaltsgleiche Rechte zum Besitz bestünden, zum einen das Recht zum Besitz des Eigentümers als Element seines Eigentums, dass bei ihm mangels Verfügung verblieben ist und zum anderen das Recht zum Besitz des Berechtigten auf Grund der Ausübungsüberlassung. Dass schuldrechtliche Verpflichtungen grundsätzlich in beliebiger Zahl auch mit gegenüber anderen Rechten identischem Inhalt eingegangen werden können, ist Folge der Vertragsfreiheit. Auch der Umstand, dass danach § 986 B G B mit identischem Wortlaut sowohl dingliche als auch schuldrechtliche Rechte erfasst, zwingt zu keiner anderen Beurteilung. D a zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran bestanden hat, dass die Vorschrift auch den lediglich schuldrechtlich Besitzberechtigten einbezieht, kann der Wortlaut nicht dahin verstanden werden, dass er allein das Recht zum Besitz im bildlichen Sinne als dinglichen Eigentumsausschnitt erfasse. 74 Diederichsen hält der rein obligatorischen Konstruktion vor, sie lasse die Kernfrage des § 986 Abs. 1 B G B , wie der Besitzer zum iustus possessor wird, unbeantwortet. E r sieht in der Ausübungsüberlassung nichts anderes als die Einräumung eines relativen Herrschaftsrechts und damit eine konstitutive Rechtsübertragung im Innenverhältnis. Die Ausübung des Besitzrechts sei das Behalten des Besitzes entsprechend dem Inhalt des Besitzrechts. D e r mit dem Eigentümer nicht identische, diesem gegenüber persönlich zum Besitz berechtigte Besitzer besitze die Sache kraft eines eigenen, vom Eigentümer abgeleiteten echten Rechtes, nicht als bloßes Ausübungswerkzeug des Eigentümers. Allein der Gedanke, dass der Eigentümer durch die Bestellung eines Besitzrechts sich eines Stückes seiner sachenrechtlichen Herrschaftsmacht begibt, erkläre den Umstand, dass er die Besitzausübungsüberlassung nicht jederzeit widerrufen kann. 7 5 Mit dieser Sichtweise wird man freilich der Bedeutung und der Reichweite der schuldrechtlichen Besitzposition nicht gerecht. Auch die Ausübung der obligatorisch eingeräumten Besitzbefugnis ist das Behalten des Besitzes entsprechend dem Inhalt der schuldrechtlichen Abrede. Bei der Annahme einer bloßen Ausübung des als Bestandteil des dinglichen Rechts beim Eigentümer verbleibenden Besitzrechts besitzt der Vertragspartner die Sache ebenfalls kraft eigener, freilich schuldrechtlicher, Berechtigung. Auch diese Berechtigung ist ein eigenes, vom Eigentümer abgeleitetes Recht, nur dass es obligatorischer Natur ist. Die Formulierung vom rein obligatorisch Berechtigten als „Ausübungswerkzeug" des Eigentümers weist in die
74 75
A. A. offenbar Diederichsen, Diederichsen, S. 97 f.
S. 97.
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Teil 1: Grundlagen
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falsche Richtung. Der schuldrechtlich berechtigte Besitzer ist kein Werkzeug des Eigentümers, sondern übt seinen Besitz, je nach Ausgestaltung des Vertrages, durchaus im eigenen Interesse und zu eigenen Zwecken aus, ohne dass dies seine Rolle als Fremdbesitzer beeinträchtigt. Es trifft auch nicht zu, dass der Eigentümer ohne Annahme einer dinglichen Verfügung über das Recht zum Besitz die Besitzausübungsüberlassung jederzeit widerrufen kann. Denn Grundlage der Ausübungsüberlassung ist der schuldrechtliche Vertrag, der seinerseits auch verbindlich für den Besitzüberlassungsverpflichteten festlegt, ob und unter welchen Bedingungen er berechtigt ist, die Sache von dem Besitzer wieder zurückzufordern. Es stellt sich danach das von Diederichsen als „Kernfrage" bezeichnete und oben als einer der beiden zu bestehenden Tests angesprochene Problem, wie eine schuldrechtliche Besitzberechtigung zu einer Einwendung gegenüber dem Eigentumsherausgabeanspruch werden kann. In der Tat erscheint es vor dem Hintergrund des im deutschen Recht vorherrschenden Trennungsprinzips zumindest begründungsbedürftig, einem schuldrechtlichen Anspruch unmittelbare Wirkung auf dinglicher Ebene zuzusprechen. Es ist aber durchaus möglich, eine solche Vorgehensweise zu rechtfertigen, wobei sich zwei Begründungsansätze aufzeigen lassen. Zum einen entspricht die willentliche Einräumung einer Besitzberechtigung auf schuldrechtlicher Ebene gedanklich dem Willen des Eigentümers, seinen dinglichen Herausgabeanspruch im Umfang der schuldrechtlichen Berechtigung nicht geltend zu machen. Dies ist für die Parteien regelmäßig so selbstverständlich, dass sie sich darüber keine weiteren Gedanken machen werden. Schon Fritz Baur7b hat betont, dass es geradezu als Verstoß gegen Treu und Glauben empfunden würde, wenn der Herausgabeanspruch in dieser Situation geltend gemacht würde. Es ist daher nicht nur legitim, sondern auch sachgerecht, wenn der Gesetzgeber durch § 986 Abs. 1 S. 1 B G B diese Parallelität auf schuldrechtlicher und dinglicher Ebene zusammenfaßt und synchronisiert. Zum anderen kann §986 B G B als besondere gesetzliche Ausprägung des Einwandes dolo agit quipetit quodstatim redditurus est verstanden werden. Wenn der Eigentümer trotz bestehender schuldrechtlicher Berechtigung des Besitzers seinen Herausgabeanspruch geltend machen und durchsetzen würde, müsste er die Sache aufgrund der schuldrechtlichen Verpflichtung zur weiteren Besitzüberlassung sogleich wieder an den Besitzer herausgeben. Die darin liegende Einschränkung des Trennungsprinzips wiegt insofern geringer, als es nicht um einen Einfluss der schuldrechtlichen Ebene auf das dingliche Eigentumsrecht als solches, sondern auf den Herausgabeanspruch und damit um einen Einfluss auf ein, in den Worten Ludwig Raisers,77 Sekundärrecht geht. Dabei handelt es sich zudem
76 77
Baur, Lehrbuch des Sachenrechts, 2. Aufl. 1960, § 11 A. II. 1. Raiser, JZ 1961, 465 (467) = ZBernJV 1961, 121 (128).
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nicht um eine singuläre Erscheinung. Auch der Unterlassungsanspruch des Eigentümers gegen Störungen seines Eigentums steht nach § 1004 Abs. 2 BGB unter dem Vorbehalt einer Duldungspflicht, die sich nach allgemeiner Meinung auch aus einer schuldrechtlichen Verpflichtung des Eigentümers ergeben kann. 78 Somit verbleibt als Letztes das Problem der Besitzberechtigung nach Verjährung des schuldrechtlichen Ubereignungsanspruchs. Zentrales Argument des RG war die Überlegung, dass der Anspruch aus dem Kaufvertrag auf Übertragung des Besitzes am Grundstück erfüllt sei und daher nicht Gegenstand der Verjährung sein könne. Da der Kaufvertrag im Übrigen jedoch durch die Verjährung nicht ungültig werde, bestehe das Recht des Beklagten zum Besitz des Grundstücks fort. 79 Der BGH hat sich dem ohne Einschränkung angeschlossen: Der erfüllte Anspruch auf Übertragung des Besitzes wirke in der Weise nach, dass er sich in ein (unverjährbares) Recht zum Besitz verwandele. 80 Weder die Begründung des RG noch das Ergebnis dieser Auffassung vermögen indessen zu überzeugen. Tatsächlich ist vielmehr davon auszugehen, dass das Recht zum Besitz aus dem Kaufvertrag mit der Geltendmachung der Einrede der Verjährung erlischt. Die Annahme der Unverjährbarkeit überschätzt die durchaus begrenzte Funktion des Rechts zum Besitz, die ihm durch den Kaufvertrag zukommt. U m dies zu erkennen, muss man sich die besondere Situation des zeitlich gestreckten Übereignungstatbestandes vor Augen führen. Im Idealfall der punktuellen Leistungsabwicklung fallen Eigentumserwerb und Besitzerlangung zusammen. Hier spielt ein eigenständiges Recht zum Besitz für den Käufer keine Rolle, weil er sofort Eigentümer geworden ist. Anders ist die Situation, wenn die Vollendung des Eigentumserwerbs der Übergabe der Sache nachfolgt. Im Hinblick auf den zukünftigen Eigentumserwerb trifft den Veräußerer aus dem Kaufvertrag nicht nur die Verpflichtung, die Sache zu übergeben, sondern auch die Pflicht, sie dem Käufer zu belassen, bis sich der Erwerb des Eigentums vollendet hat. Der Käufer erlangt bei zeitlich gestreckter Leistungserbringung gleichsam im Vorgriff auf seine künftige Eigentümerstellung bereits jetzt die Sachherrschaft über die Sache. Durch das zeitliche Element wird seine Besitzposition der eines auf mehr oder minder lange Dauer zum Besitz Berechtigten, etwa des Mieters, angenähert. Der wesentliche Unterschied liegt freilich darin, dass der alleinige Zweck der Besitzüberlassung an den Käufer in der Vorbereitung des zukünftigen Eigentumserwerbs besteht. Das aus dem Kaufvertrag fließende Recht zum Besitz soll den Käufer sichern, bis das Eigentum von dem Veräußerer auf ihn übergegangen ist, denn 78 79 80
Münch Komm/Medicus, § 1004, Rn. 53 ff.; Erman/Hefermehl, RGZ 138, 296 (299). BGHZ 90, 269 (270) =NJW 1984, 1960 (1961).
§ 1004, Rn. 36.
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des
Besitzes
ab diesem Zeitpunkt besteht für den Veräußerer schon mangels Eigentum kein Vindikationsanspruch mehr. Ist aber der Ubereignungs- bzw. Auflassungsanspruch verjährt und ist die Verjährungseinrede erhoben worden, so steht fest, dass es zum Eigentumsübergang nicht mehr kommen wird. Die weitere Besitzbelassung ist damit zwecklos, denn ein künftiger Übergang des Eigentums kann nicht mehr vorbereitet werden. Eine unabhängig vom Eigentumsübergang bestehende Besitzüberlassung ist indessen nicht Gegenstand des Kaufvertrages, da die Parteien gerade allein im Hinblick auf den zukünftigen Eigentumserwerb die Besitzbelassung gewollt haben. Daher endet das Recht zum Besitz zwar nicht schon allein mit Eintritt der Verjährung, wohl aber mit Erhebung der Verjährungseinrede, § 214 Abs. 1 BGB. Dadurch werden zugleich in angemessener Weise die Interessen des Käufers gewahrt, da ihn die verschärfte Haftung nach den §§ 987 ff. BGB erst ab Geltendmachung der Verjährung durch den Verkäufer treffen, da der Käufer ab diesem Moment weiß, dass er nicht mehr zum Besitz der Sache berechtigt ist. Die so skizzierte Rechtsfolge des beendeten Besitzrechts entspricht auch einzig und allein den Verjährungsvorschriften. Dürfte der Käufer die Herausgabe der Sache verweigern, obwohl sein Ubereignungs- bzw. Auflassungsanspruch verjährt ist, könnte er den Kaufgegenstand gleichwohl auf Dauer dem Verkäufer vorenthalten und für sich gebrauchen, wodurch er wirtschaftlich dem Eigentumserwerb nahe käme. Ein solches Ergebnis liefe auf eine Umgehung der Verjährungsregelungen hinaus. Der notwendige Ausgleich der widerstreitenden Interessen wird demgegenüber durch die §§927, 937 ff. BGB gewährleistet. Das Gesetz stellt mit dem Aufgebotsverfahren bei Grundstücken bzw. mit den Ersitzungsvorschriften bei beweglichen Sachen Instrumente zur Verfügung, um dem Käufer den Eigentumserwerb trotz Zeitablaufs noch zu ermöglichen. Soweit die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Käufer daher auch im Falle der Verjährung seines Übereignungsbzw. Auflassungsanspruchs noch Eigentümer der Kaufsache werden. Im Übrigen aber muss es bei der regelmäßigen Verjährungsfolge verbleiben. Dieses Ergebnis ist auch bei wertender Betrachtung interessengerecht. Zwar mag es auf den ersten Blick unbillig erscheinen, dass der Käufer, der in dem vom RG, wie auch in dem vom BGH entschiedenen Fall, bereits den vollständigen Kaufpreis an den Verkäufer gezahlt hat, nun das Grundstück zurückgeben muss und obendrein auch noch keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises hat. Indessen besteht für den Käufer grundsätzlich keine Veranlassung vollständig vorzuleisten, § 320 BGB. Es realisiert sich daher nur das von ihm selbst eingegangene Risiko, wenn er gleichwohl seine Leistung bereits vollständig erbringt, ohne rechtzeitig auf die Durchsetzung seines Auflassungsanspruchs zu dringen, wofür er - nach damaliger Rechtslage - immerhin 30 Jahre zur Verfügung hatte. Eine besondere Korrektur dieses Ergebnisses mag im Einzelfall nach den allgemeinen Grundsätzen des Verjährungsrechts ge-
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
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mäß § 242 B G B gerechtfertigt sein, wenn der Verkäufer den Käufer in treuwidriger Weise von der Geltendmachung seines Anspruchs abgehalten hat. Dieser Weg scheidet jedoch aus, wenn der Rechtsnachteil der Verjährung allein die regelmäßige Folge der Untätigkeit des Gläubigers ist. Insgesamt ist danach festzuhalten, dass das schuldrechtliche Recht zum Besitz in dem Anspruch des Berechtigten auf Ausübung eines Teils der Eigentümerbefugnisse besteht. Es ist daher Ausfluss und Teil des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts und somit von diesem in seinem Bestand sowie nach Inhalt und Umfang abhängig. § 986 B G B stimmt sowohl die dinglichen als auch die schuldrechtlichen Besitzbefugnisse mit dem Eigentumsherausgabeanspruch ab und stellt sich damit als eine Synchronisationsnorm zwischen Schuld- und Sachenrecht dar. Die innere Rechtfertigung hierfür liegt in dem Einwand des treuwidrigen Verhaltens ( d o l o agit quipetit...), da der vindizierende Eigentümer die Sache sofort wieder an den Besitzberechtigten zurückgeben müsste. Es besteht daher auch keine Veranlassung, die grundlegende gesetzliche Differenzierung von Schuld- und Sachenrecht aufzuweichen und die Einräumung von schuldrechtlichen Besitzbefugnissen als relative Verfügungsgeschäfte anzuerkennen.
III. Zu Inhalt und Reichweite einzelner Besitzpositionen 1. Das dingliche Recht zum Besitz Weithin Einigkeit besteht über die Erfassung der dinglichen Besitzrechte. D a das Eigentum als umfassendes Herrschaftsrecht über eine Sache grundsätzlich alle denkbaren Befugnisse einschließt, § 903 S. 1 B G B , stellen sich die übrigen dinglichen Rechte als Teilausschnitte des Eigentums dar, die einzeln abgegrenzte Befugnisse einräumen und aus dem Eigentum abgeleitet sind. 81 Gehört zu einem beschränkt dinglichen Recht auch die Befugnis des Inhabers, die Sache zu besitzen, so stammt dieses Recht zum Besitz aus dem Eigentum. Durch die Einräumung des beschränkt dinglichen Rechtes wird das Recht zum Besitz aus dem Eigentum abgespalten und mit dem dinglichen Recht auf den Pfandgläubiger, Nießbraucher etc. übertragen. Inhalt und Reichweite der Besitzberechtigung richten sich hier nach der Ausgestaltung des jeweiligen dinglichen Rechts.
81 Larenz/Wolf, § 14, Rn. 36; Schwab/Prutting, Rn. 18; v. Tuhr, Band II/l, § 45,1 (S. 63 mit Fn. 23); Wolff/Raiser, § 51 III, § 147 I 1; a. A. Sontis, in: FS f. Larenz, S. 981 (994); kritisch auch Stadler, AcP 189 (1989), 425 (428 ff. m. w. N.); dagegen Wilhelm, Rn. 91 mit Fn. 161.
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Zur Rechtsnatur
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2. Das obligatorische Recht zum Besitz, insbesondere des Vorbehaltskäufers Inhalt und Umfang des obligatorischen Besitzrechts richten sich nach Ausgestaltung und Zweck des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts. 82 Von besonderem Interesse ist hier vor allem die Position des Vorbehaltskäufers nach Verjährung der Kaufpreisforderung des Verkäufers, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Die Verjährung der Kaufpreisforderung führt nicht zum Erlöschen des Eigentumsvorbehalts, da die Forderung als solche bestehen bleibt und dem Schuldner lediglich ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht zusteht, §214 Abs. 1 BGB. Umstritten war allerdings bis zum In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2002, ob der Vorbehaltsverkäufer trotz Verjährung der Kaufpreisforderung wenigstens die Vorbehaltsware zurückfordern kann. Das Problem rührt daher, dass die Verjährung den Zahlungsverzug des Vorbehaltskäufers beendet und der Verkäufer daher kein Recht mehr hat, nach § 455 Abs. 1 BGB a. F. vom Kaufvertrag zurückzutreten. Die bis dahin h. M. bejahte einen Herausgabeanspruch, da das Besitzrecht des Käufers analog §223 BGB a.F. entfallen sei. Dies wurde auf die Überlegung gestützt, dass auch der Eigentumsvorbehalt der Kreditsicherung diene und ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz vermieden werden müsse 83 . Bedenklich an dieser Lösung ist, dass sie die Verjährung untergräbt; denn der Verkäufer, der sich zunächst nicht um seine Forderung gekümmert hat, kann nun dennoch Druck auf den Vorbehaltskäufer ausüben, wenn Letzterer im Besitz der Sache bleiben will. Darüber hinaus passte § 223 BGB a.F. nicht auf die Situation des Eigentumsvorbehalts. Zum einen dient der Eigentumsvorbehalt nicht (primär) der Durchsetzung der Kaufpreisforderung, sondern der Sicherung des Eigentums des Vorbehaltsverkäufers. Allenfalls mittelbar übt die Eigentumserwerbsaussicht Druck auf die Zahlungsbereitschaft des Käufers aus. Zum anderen will § 223 BGB a. F. dem Gläubiger nur Rechte erhalten, die dieser auch schon vor der Verjährung hatte. Ein rücktrittsunabhängiges Rücknahmerecht hatte der Vorbehaltsverkäufer aber vor dem Eintritt der Verjährung gerade nicht. Es kommt hinzu, dass die Regelung des §223 BGB a.F. eine sich an die Herausgabe anschließende Verwertung voraussetzt, zu der der Vorbehaltsverkäufer gerade nicht verpflichtet ist. Dies leitet zu der Frage nach dem Schicksal des bereits gezahlten Teils des Kaufpreises über. Dass der Verkäufer die bereits erbrachten Teilleistungen, die unVgl. oben, unter C. II. 3. (S. 95 ff.). BGHZ 34, 191 (198); 48, 249 (250); 70, 96; BGH, NJW 1979, 2195; Tiedtke, DB 1980, 1477; Medicus, Bürgerliches Recht, 18. Aufl. 1999, Rn. 294; Dilcher, JuS 1979, 331; Baur/Stürner, §59, Rn. 14; Diederichsen, JuS 1985, 825 (835); v. Look/Stoltenberg, W M 1990, 661 (666 f.); MünchKomm/Westermann, § 455, Rn. 38. 82 83
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ter Umständen bis an den Gesamtkaufpreis heranreichen können, soll behalten können, wird man kaum als sachgerechtes Ergebnis begründen können. 84 Die Rechtsprechung hatte sich für eine Anrechnung der erbrachten Teilleistungen auf die Nutzungs-, Aufwendungs- und Schadensersatzansprüche des Verkäufers nach §§ 5, 2 AbzG ausgesprochen. 85 Dieser Weg ließ sich später über § 13 Abs. 3 VerbrKrG fortsetzen. Allerdings setzen diese Bestimmungen ihrerseits ein bestehendes Rücktrittsrecht voraus und schaffen nicht etwa ein solches. Eine generelle Nutzungsvergütung kann außerdem wiederum gerade bei längerer Vertragslaufzeit einen wirtschaftlichen Druck auf den Käufer zur Zahlung des Restkaufpreises ausüben, der die Verjährung unterminiert. Vor allem aber blieb die Frage offen, was abseits des Anwendungsbereichs des AbzG bzw. des VerbrKrG gelten soll. Bereicherungsansprüche mussten von vornherein ausscheiden, da die Teilzahlungen nicht ohne Rechtsgrund geleistet wurden. Die Rückforderung nach § 346 BGB setzt wiederum einen wirksamen Rücktritt voraus, der hier nicht möglich ist. Man wird auch den Eintritt der Verjährung der Kaufpreisforderung kaum der Unmöglichkeit der Leistung als so ähnlich ansehen können, dass dies eine entsprechende Anwendung der §§ 323 Abs. 3 a. E, 818 ff. BGB rechtfertigen würde. Die Erstreckung der § § 5 , 2 AbzG bzw. des § 13 Abs. 3 VerbrKrG auf sämtliche Vorbehaltskäufe hätte schließlich zu dem eigenartigen Ergebnis geführt, dass der Verkäufer durch das Unterlassen der Geltendmachung seines Zahlungsanspruchs seine eigene Rücktrittsberechtigung herbeiführen könnte. All diese Schwierigkeiten ließen sich ohne umständliche dogmatische Konstruktionen vermeiden, wenn man die entsprechende Anwendung des § 223 BGB a.F. ablehnte und an dem auf vertraglicher Grundlage fortbestehenden Recht zum Besitz des Vorbehaltskäufers festhielt. Danach blieb allenfalls das Bedenken eines dauernden Auseinanderfallens von Eigentum und Besitz, das jedoch nicht allzu schwer wog, wie die Rechtsprechung auch in anderem Zusammenhang anerkannte. 86 Wollte der Vorbehaltskäufer die Sache an einen Dritten weiterveräußern, bleibt es ihm unbenommen, den restlichen Kaufpreis an den Vorbehaltsverkäufer zu zahlen. Die besseren Gründe sprachen daher gegen einen Herausgabeanspruch des Vorbehaltsverkäufers 87 . Es blieb allenfalls zu überlegen, ob in diesem Lösungsweg nicht ein Widerspruch zur Verneinung des Rechts zum Besitz bei verjährtem AuflassungsanA. A. K. Müller, DB 1970, 1209 (1211 f.), unter Verweis auf § 320 BGB. BGH, NJW 1979, 2195 (2196); zustimmend Dilcher, ]uS 1979, 331 (335). 86 So etwa beim Recht zum Besitz nach Ubergabe und verjährtem Auflassungsanspruch, vgl. oben, unter C. II. 3. 87 Ebenso /. Blomeyer, JZ 1968, 691 (695); 1971, 186 (187); Lange, JuS 1963,59; 1971, 511 (515); Peters, JZ 1980, 178; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 4. Aufl. 1997, § 16 VI 2 d (S. 186); Stoll, ZHR 128 (1966), 239 (245 f.); Bodenburg, WM 1979, 1202; Staudinger/ Gursky, § 986, Rn. 26. 84
85
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
spruch liegt. Dies konnte indessen schon deshalb nicht angenommen werden, weil der mit der Geltendmachung der Verjährung verbundene Rechtsverlust in beiden Fällen jeweils verschiedene Personen traf. Verjährt der Auflassungsanspruch des bereits besitzenden Käufers infolge dessen Untätigkeit, ist es auch sachgerecht, das Ende seiner Besitzberechtigung anzunehmen. Versäumt dagegen der Verkäufer, rechtzeitig die Gegenleistung einzutreiben, muß ihn in gleicher Weise ein Rechtsnachteil treffen. Dieser besteht in dem Verlust des Restkaufpreises bei fortbestehendem Besitzrecht des Käufers. Diesen Streit hat der Gesetzgeber mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 88 im Sinne der bisher bereits überwiegenden Auffassung entschieden. § 216 Abs. 2 S. 2 B G B bestimmt nun ausdrücklich, dass der Eigentumsvorbehaltsverkäufer auch noch nach verjährter Forderung zurücktreten kann.
3.
Zurückbehaltüngsrechte
Der Besitzer kann im Einzelfall seinerseits Ansprüche gegen den Eigentümer haben, etwa wenn er Verwendungen auf die Sache gemacht hat. Ihm steht dann ein Zurückbehaltungsrecht zu, das ihn dazu berechtigt, die Herausgabe des Gegenstandes zu verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird, §§ 273, 1000 B G B . Die Frage, ob ein solches Zurückbehaltungsrecht im Allgemeinen oder zumindest in bestimmten Fällen ein Recht zum Besitz nach § 986 B G B begründet, ist im Grunde seit den Anfängen des B G B bis heute streitig geblieben. a) Das Zurückbehaltungsrecht
im
Allgemeinen
Die Rechtsprechung hat sich von jeher auf den Standpunkt gestellt, dass ein Zurückbehaltungsrecht zugleich ein Recht zum Besitz nach § 986 B G B gewähre. 89 Das Zurückbehaltungsrecht sei zwar keine Einwendung, sondern nur eine Einrede 90 und führe zur Verurteilung zur Leistung Zug um Zug, 91 doch ändere dies nichts am Besitzrecht des Besitzers bis zur Bewirkung der Gegenleistung. Andererseits schließe die Besitzberechtigung nicht die Anwendbarkeit der Vindikationsvorschriften aus.92 Weite Teile der Literatur sind dem gefolgt. 93 So wird geltend gemacht, dass § 273 B G B nicht nur ein Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I, S. 3138. RGZ 136, 422 (426); BGH, NJW 1955, 340 (341); WM 1966, 1086 (1088); 1970, 1366 (1367); BGHZ 64, 122 (124) = NJW 1975, 1121; BGH, NJW-RR 1992, 282 (283); NJW 1995, 2627 (2628); 1998, 2045; O L G Kiel, O L G E 4, 27; SeuffA 57 (1902) Nr. 102; SchlHOLG, SchlHA 1987, 12. 90 BGH, WM 1966, 1086(1088). 91 BGH, NJW-RR 1992, 282 (283). 92 BGH, WM 1970, 1366 (1367). 93 Biermann, Sachenrecht, 1898, §986, Anm. 1; Planck/Brodmann, §986, Anm. 1 a; L. 88
89
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
107
Recht zum „Behalten" der Sache, sondern auch zum gebrauchslosen „Haben" gewähre. 94 Bei dem Zurückbehaltungsrecht handele es sich um eine besondere Einredeart, welche über die übliche anspruchshindernde Funktion hinaus mit der Verweigerung der eigenen Leistung (Herausgabe) des Einredeberechtigten verbunden ist. Diese Besonderheit werde im Gesetz durch die gesonderte Regelung der Wirkungen des Zurückbehaltungsrechts in den §§ 274,322 B G B berücksichtigt. § 986 und § 274 B G B ergänzten sich daher eher, als dass sie sich ausschlössen. Die Verweigerung der Besitzherausgabe sei nur eine besondere Form des allgemeinen Leistungsverweigerungsrechts. Wenn allerdings der Grund der Herausgabeverweigerung ein zurückbehaltungsbedingtes Besitzrecht ist, führe dies zu der besonders in § 274 B G B vorgesehenen Abwicklung. Träfe die gegenteilige Auffassung zu, so könnte ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 B G B dem dinglichen Herausgabeanspruch aus § 985 B G B niemals, auch nicht im Zweipersonenverhältnis, entgegengesetzt werden. Denn dieser gehe auf die unbedingte Besitzherausgabe, die mittels eines schuldrechtlichen Einwands ohne Besitzrecht nie verhindert werden könne. 9 5 Hinter dieser Argumentation steht die bereits bei L. Raiser hervortretende Vorstellung von einer Art abschließendem Charakter des § 986 B G B , mit der Folge, dass auch jede Einrede, die dem Vindikationsanspruch entgegengehalten werden kann, zugleich ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B darstellen muss. Daher hielt es Raiser für eine „allzu formale Ausflucht", bei Zurückbehaltüngsrechten nicht § 986 B G B , sondern unmittelbar die §§ 1000 ff., 273 B G B anzuwenden. 96 Gerade dieser angebliche Ausschließlichkeitscharakter des § 986 B G B vermag indessen nicht zu überzeugen. Dass ein Zurückbehaltungsrecht dem Vindikationsanspruch allein in Gestalt eines Rechts zum Besitz nach § 986 B G B , nicht aber unabhängig von einem solchen direkt entgegengehalten werden könne, ist zunächst nicht mehr als eine petitio principii. Die Anwendbarkeit der §§ 273, 274 B G B auch auf dingliche Ansprüche entspricht jedenfalls dem Willen des Gesetzgebers. Von Anfang an hatte man die Ausdehnung des Zurückbehaltungsrechts über das Schuldrecht hinaus ins Auge gefasst. 97 In der Kommission für die zweite Lesung wurde sogar darüber nachgedacht, das Zurückbehaltungsrecht in den Allgemeinen Teil aufzunehmen, doch beließ man es dann doch im Schuldrecht, ohne zu verkennen, dass es sich dabei um Raiser, in FS f. M. Wolff, S. 123 (126); Eichler, Institutionen des Sachenrechts, 1957, Band ll/\, S. 221 Fn. 186; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, § 30 II 3 a, § 33 VI 1; Erman/Kuckuk, §273, Rn. 32; Palandt/Heinrichs, §273, Rn. 20; RGRK/Pikart, §986, Rn. 16 (nur für §273 BGB); K. Müller, Rn. 437; Schapp, Rn. 92; Keller, JuS 1982, 665 (668); Roussos, JuS 1987, 606 (610). 94 MünchKomm/Keller, § 273 BGB, Rn. 102. 95 Roussos, JuS 1987, 606 (610). 96 L. Raiser, in: FS f. M. Wolff, S. 123 (126). 9 7 Protokolle I, S. 312 (= Mugdan, Band II, S. 527).
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
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Besitzes
eine „Verlegenheitslösung" handelte. 98 Zwar heißt es in den Materialien zugleich, dass es der Entwurf „vorgezogen (habe), außerhalb des Gebiets des Obligationenrechts das Zurückbehaltungsrecht für diejenigen Verhältnisse, in welchen es stattfinden solle, durch besondere Vorschriften zu ordnen." 9 9 Gleichwohl entfaltet § 1000 B G B keine Sperrwirkung gegenüber den allgemeinen Regeln über das Zurückbehaltungsrecht. § 1000 B G B wurde für nötig gehalten, weil § 273 Abs. 2 B G B einen fälligen Anspruch des Zurückbehaltungsberechtigten voraussetzt. Der Verwendungsersatzanspruch ist aber nach § 1001 B G B nicht fällig, bis der Eigentümer die Sache wiedererlangt oder ausnahmsweise genehmigt hat. Im Übrigen kommt § 1000 B G B lediglich klarstellende Bedeutung zu, wie sich aus den Motiven 100 ergibt: „ D i e Voraussetzungen des Zurückbehaltungsrechtes des Besitzers ... sind z w a r bei A n w e n d u n g der allgemeinen N o r m e n des Obligationsrechtes auf den dinglichen A n s p r u c h und bei E i n r ä u m u n g eines vollgültigen A n s p r u c h s , nicht blos einer E i n r e d e , an den Besitzer an sich schon gegeben; d o c h erscheint die Beseitigung eines jeden möglichen Zweifels zweckmäßig . . . "
Vor diesem Hintergrund ist daher bereits seit langem anerkannt, dass die §§ 273, 274 B G B grundsätzlich auch auf dingliche Ansprüche unmittelbar anwendbar sind. 101 Darüber hinaus führt die Auffassung vom Zurückbehaltungsrecht als Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B zu dogmatischen Unstimmigkeiten, die von der Rechtsprechung und der ihr folgenden Literatur mit weiteren Brüchen wieder korrigiert werden müssen. Dies beginnt mit dem Umstand, dass ein Zurückbehaltungsrecht eine Einrede gewährt, während man heute allgemein davon ausgeht, dass es sich bei dem Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B um eine Einwendung handelt. 102 Dies müsste dann eigentlich zur Klageabweisung führen, doch wird dieses unhaltbare Ergebnis dadurch vermieden, dass trotz Vorliegens eines Rechts zum Besitz lediglich eine Verurteilung Zug um Zug angenommen wird, eine Rechtsfolge, die § 986 B G B gerade nicht kennt. Es wird also eine Inkonsequenz durch eine zweite „ausgeglichen". Dasselbe Ergebnis lässt sich ohne weiteres dogmatisch stimmig erzielen, wenn die Zurückbehaltüngsrechte aus dem Kreis der Rechte zum Besitz nach § 986 B G B ausgenommen werden und ihre unmittelbare Wirkung gegenüber dem Vindikationsanspruch nach den §§273, 274 B G B akzeptiert wird.
98
Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band 1,1900, § 124 (S. 546, Fn. 6). Protokolle I, S. 312 (= Mugdan, Band II, S. 527). 1 0 0 Motive, Band III, S.416 (= Mugdan, Band III, S.232). 101 Schlegelberger, Zurückbehaltungsrecht, S. 93 ff.; Horstmann, Anwendbarkeit schuldrechtlicher N o r m e n auf dingliche Ansprüche, S. 38 ff. m. w. N . 1 0 2 Dazu im Einzelnen oben, unter C . II. 2. (S. 85 ff.). 99
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
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Dadurch lässt sich auch wesentlichen Strukturunterschieden der beiden Rechtsinstitute Rechnung tragen, die die Auffassung vom Zurückbehaltungsrecht als Recht zum Besitz nach § 986 BGB ohne N o t beiseite schiebt. So ist zunächst auffällig, dass die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts, nicht aber das Berufen auf ein Recht zum Besitz nach § 986 BGB, grundsätzlich durch Sicherheitsleistung abgewendet werden kann, § 273 Abs. 3 BGB. Auch inhaltlich kann bei den Zurückbehaltüngsrechten nicht sinnvoll von einem „Recht zum Besitz" gesprochen werden. Die Formulierung, § 273 BGB gewähre nicht nur ein Recht zum „Behalten" der Sache, sondern auch zum gebrauchslosen „Haben", ist wenig erhellend. Es bleibt nicht nur unklar, inwiefern in einem „gebrauchslosen Haben" mehr liegen soll als in einem „Behalten" der Sache, es wird auch zu wenig berücksichtigt, dass ein „gebrauchsloses Haben" letztlich keine eigenständige Besitzfunktion mehr erfüllt, sondern als prozessuales Gegenmittel lediglich zur Durchsetzung anderweitiger Ansprüche dient. Weitere Probleme stellen sich für die Rechtsprechung und die entsprechenden Teile der Literatur im Hinblick auf die Vindikationsfolgen. Da die Annahme eines Rechts zum Besitz zum Ausschluss der Vindikationslage führt, hätte diese Ansicht im Falle mehrfacher Verwendungen auf die Sache die Folge, dass allein die erste Verwendung nach §§ 994, 996 BGB zu ersetzen und daraus ein Zurückbehaltungsrecht nach § 1000 BGB entstehen würde, während die folgenden Verwendungen wegen des nunmehr bestehenden Rechts zum Besitz nicht unter §§ 994, 996,1000 BGB fielen. Eine sachliche Rechtfertigung für eine solche Differenzierung ist indessen nicht erkennbar und vom Ergebnis her auch kaum haltbar. Auch die Rechtsprechung geht erkennbar davon aus, dass die weiteren Verwendungen erfaßt werden, begründet dies indessen mit der Annahme, dass die §§ 987 ff. BGB im Einzelfall auch bei Vorliegen eines Rechts zum Besitz anwendbar seien. 103 Für eine solche weitere Ausnahme besteht indessen keine Notwendigkeit, wenn die Zurückbehaltüngsrechte von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 986 BGB herausgenommen werden, wie dies die heute wohl überwiegende Lehre 104 zu Recht annimmt.
103
B G H , W M 1970, 1366 (1367); N J W 1995, 2627 (2628). Diederichsen, S. 19; Emmerich, Verhältnis der Nebenfolgen, S. 29 f.; Köhl, S. 110 ff.; Plamheck, S. 49 ff.; Schwab/Prutting, Rn. 514; Wes termann/Gursky, § 30 I 2, § 33 VI 1; Wieling, Sachenrecht I, § 12 I 3 a (S. 529); Wilhelm, Rn. 1104; M. Wolf, Rn. 182; Erman/Hefermehl, § 986, Rn. 1; Münch Komm/Mediais, § 986, Rn. 17; Palandt/Bassenge, § 986, Rn. 4; Soergel/Miihl, § 986, Rn. 2; Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 28; Schreiher, Jura 1992, 356 (359); Seidel, JZ 1993, 180 (182); Waltermann, Jura 1993, 521 (524); früher bereits Scherk, JherJb 67 (1917), 301 (352 ff.); Raape, JherJb 71 (1922), 95 (167 f.); v. Tuhr, Bd. I, S. 300 Fn. 43; vgl. auch O L G Dresden, ZIP 1994, 402. 104
110
Teil 1: Grundlagen
b) Annahmeverzug
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
des Eigentümers
Zum Teil wird ein Besitzrecht des Zurückbehaltungsberechtigten jedenfalls für den Fall angenommen, dass der Besitzer die Sache gegen Befriedigung seiner Ansprüche anbietet und der Eigentümer die Annahme ablehnt, weil er selbst nicht zur Leistung bereit ist. 105 Dem entspricht die Vorstellung eines „vorläufigen Besitzrechtes" nach Art des Verwahrers, das mit der aus § 303 e contrario und § 304 BGB zu folgernden Aufbewahrungspflicht korrespondiere und dazu führe, dass mit Eintritt des Annahmeverzugs die § § 9 8 7 ff. BGB unanwendbar werden. 106 Gleichwohl überzeugt die Konsequenz eines Rechts zum Besitz auch hier nicht. Es ist nicht erkennbar, wie nur durch Hinzutreten des Annahmeverzuges aus einem Zurückbehaltungsrecht, das, wie gezeigt, für sich allein kein Besitzrecht zu begründen vermag, ein Recht zum Besitz mit Ausschluss der Vindikationsvorschriften entstehen soll. Dass sich aus §§ 303, 304 BGB eine generelle Aufbewahrungspflicht auch bei beweglichen Sachen ergebe, der ein entsprechendes Besitzrecht gegenüberstehe, kann man angesichts der Möglichkeit, nicht hinterlegungsfähige Sachen versteigern zu lassen und den Erlös zu hinterlegen, durchaus in Frage stellen. Es ist daher davon auszugehen, dass auch in diesen Fällen durch den bloßen Eintritt das Annahmeverzugs kein Recht zum Besitz begründet wird. 1 0 7 Soweit die Sachherrschaft des Besitzers vor Verzugseintritt ohnehin als berechtigt angesehen wird, ohne dass ihm weitergehend auch ein zukünftiges Behaltensrecht zusteht, wie dies bei den sogenannten verhaltenen Herausgabeansprüchen gegenüber dem Verwahrer, dem Beauftragten, dem Geschäftsführer ohne Auftrag und dem Finder der Fall ist, bleibt diese Besitzposition auch nach Verzugseintritt rechtmäßig, so dass sich auch hier der Annahmeverzug nicht auf die Besitzberechtigung auswirkt. Auch die praktischen Folgen der sich hier gegenüberstehenden Konstruktionen weichen grundsätzlich nicht voneinander ab. Verneint man ein Recht zum Besitz, so haftet der Besitzers nach §§ 989, 990 Abs. 1, 300 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, während die Gegenauffassung §§ 823 Abs. 1, 300 Abs. 1 BGB anwendet. 108 Die Verpflichtung zur Nutzungsherausgabe des unberechtigten Besitzers beschränkt sich auf die tatsächlich gezogenen Nutzungen, §§ 987, 302 BGB. Die Gegenmeinung müsste über die bereicherungsrechtliche Nutzungsherausgabe, §818 Abs. 1 BGB, zum gleichen Ergebnis gelangen. 109 Der wichtigste Fall, bei dem die vorsteSchreiber, Jura 1992, 356 (359). Westermann/Gursky, §32 I; Staudinger/Gursky, Vorbem. zu §§987-993, Rn. 15; in diesem Sinne auch Köhl, S. 109. 107 Ebenso Baur/Stürner, § 11, Rn., 45; Soergel/Mühl, § 990, Rn. 1. 108 Staudinger/Gursky, Vorbem. zu §§ 987-993, Rn. 15. 109 Unklar insoweit Staudinger/Gursky, Vorbem. zu §§ 987-993, Rn. 15. 105 106
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
111
hende Kontroverse ihren Anwendungsbereich gehabt hat, war bisher die Rechtsstellung des Empfängers unbestellter Ware. Dieses Problem hat der Gesetzgeber allerdings zwischenzeitlich mit dem neuen §241 a B G B im Grundsatz dahingehend gelöst, dass der Empfänger nicht nur rechtmäßiger Besitzer bis zu einem Herausgabeverlangen des Versenders ist, sondern weitergehend sogar dauerhaft zum Besitz gegenüber dem Versender berechtigt ist und daher unbegrenzt die Herausgabe verweigern kann. 1 1 0 c) Das Befriedigungsrecht
des Besitzers
Zum Teil wird auch ein echtes Recht zum Besitz angenommen, wenn zu dem Zurückbehaltungsrecht ein Befriedigungsrecht des Besitzers hinzukommt, wie dies nach § 1003 Abs. 1 S . 2 B G B , §371 H G B der Fall ist. 111 Ist beispielsweise das Befriedigungsrecht des Besitzers nach § 1003 B G B entstanden, so soll dies dazu führen, dass die gleichwohl erhobene Vindikationsklage nicht nur zu einer Verurteilung Zug um Zug führt, sondern dass die Klage insgesamt abgewiesen wird. 1 1 2 Das Befriedigungsrecht des Besitzers verleihe diesem die Stellung eines Pfandgläubigers und damit ein Recht zum Besitz im Sinne des § 9 8 6 B G B . 1 1 3 Dementsprechend wird weithin angenommen, dass der Besitzer die Herausgabe der Sache zwar verweigern kann, jedoch über das bloße Haben hinaus nicht zur Sachnutzung berechtigt ist. 114 Da für den Besitzer indessen keine Verpflichtung besteht, von seinem Befriedigungsrecht innerhalb eines bestimmten Zeitraums oder überhaupt Gebrauch zu machen, kann die Annahme eines die Vindikation ausschließenden Rechts zum Besitz zu besonderen Schwierigkeiten führen. U m dem Eigentümer die Möglichkeit zu geben, den eingetretenen Schwebezustand zu beenden, wird vorgeschlagen, von dem Entfallen des Besitzrechts auszugehen, wenn der Eigentümer dem Besitzer Verwendungsersatz gegen Herausgabe der Sache anbietet und ihn damit in Annahmeverzug setzt. 115 Diese Lösung entspricht allerdings nicht der Situation beim Pfandrecht, mit dem das Befriedigungsrecht auf eine Stufe gestellt wird, da dort die bloße Herbeiführung des Annahmeverzuges gerade nicht das Pfandrecht entfallen lässt. 116 Wählt man Dazu im Einzelnen unten, unter C. III. 4. d (S. 125 ff.). BGHZ 34,122 (133) = NJW 1961, 499 (502); Scherk, JherJb 67 (1917), 301 (355 f.); Diederichsen, S.21 Fn. 56; Seidel, JZ 1993, 180 (182); MünchKomm/Medicus, §1003, Rn. 16; RGRK/Pikart, $ 1003, Rn. 5; Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 28, § 1003, Rn. 10. 112 BGHZ 34, 122 (133 f.) = NJW 1961, 499 (502); Scherk, JherJb 67 (1917), 301 (355). 113 BGHZ 34, 122 (133 f.) = NJW 1961, 499 (502). 114 MünchKomm/Medicus, § 1003, Rn. 16; Staudinger/Gursky, § 1003, Rn. 10. 115 Staudinger/Gursky, § 1003, Rn. 10; unklar MünchKomm/Medicus, § 1003, Rn. 16 (Der Eigentümer könne „in der Regel" nicht mehr Herausgabe der Sache gegen Ersatz der Verwendungen verlangen). 116 RG, LZ 1930,118 (120); MünchKomm/Damrau, § 1228, Rn. 11. 110
111
112
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
dagegen die dem Pfandrecht bekannte Lösung, nämlich die Hinterlegung des Verwendungsbetrages unter Verzicht auf die Rücknahme, § 378 B G B , so würde dies dazu führen, dass der Eigentümer einseitig vorleisten müsste um dann anschließend erst auf Herausgabe klagen zu können. Dies entspricht indessen nicht dem Zweck des Befriedigungsrechts. Der Sinn des § 1003 B G B besteht allein darin, dem Besitzer ein Mittel zur Durchsetzung seines Verwendungsersatzanspruchs an die Hand zu geben. Er soll in die Lage versetzt werden, in rechtmäßiger Weise die Sache zur Deckung der von ihm getätigten Verwendungen verwerten zu können, sofern der Eigentümer nicht fristgerecht genehmigt oder den geltend gemachten Anspruch bestreitet. Dabei handelt es sich um ein Verwertungsrecht, das unabhängig von dem Zurückbehaltungsrecht des § 1000 B G B ist, wie sich schon aus dem Umstand ergibt, dass das Befriedigungsrecht nach §1003 B G B auch demjenigen Besitzer zustehen kann, der kein Zurückbehaltungsrecht hat, vgl. § 1 0 0 0 S. 2 B G B . Als ein schlichtes Verwertungsrecht ist das Befriedigungsrecht nicht geeignet, den Herausgabeanspruch des Eigentümers, gegebenenfalls auch nur Zug um Zug, abzuwehren, denn es soll dem Besitzer lediglich unabhängig vom Verhalten des Eigentümers eine Möglichkeit zur Befriedigung seines Verwendungsersatzanspruchs verschaffen. Daraus folgt, dass der Vindikationsanspruch des Eigentümers und das Verwertungsrecht des Besitzers unabhängig voneinander bestehen. Das Interesse des Eigentümers, die Verwertung der Sache auch nach Fristablauf noch zu verhindern, wird dadurch gewahrt, dass §1003 Abs. 1 S. 2, lt. Hs B G B ihm die Möglichkeit gewährt, bis zur Verwertung die Verwendungen, und sei es auch nur dem Grunde nach, noch zu genehmigen. 117 Der Wortlaut weist deutlich darauf hin, dass diese nachträgliche Genehmigung mit der Folge der Beseitigung des Befriedigungsrechts möglich sein muss, da andernfalls der letzte Halbsatz überflüssig wäre. Dass das Befriedigungsrecht nur besteht, wenn die Genehmigung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist erklärt worden ist, versteht sich von selbst. Auch die Verwendung des Präsens („erfolgt" statt „erfolgt ist") weist auf die fortbestehende Genehmigungsmöglichkeit hin. Auf der Grundlage dieses Verständnisses des § 1003 B G B lassen sich die verschiedenen Fallgestaltungen des normtypisch vorausgesetzten Schwebezustandes angemessen lösen. Reagiert der Eigentümer nicht auf die vom Besitzer gesetzte Frist, so steht es letzterem frei, sich aus der Sache für die von ihm getätigten Verwendungen zu befriedigen. Der Eigentümer hat seinerseits unabhängig davon die Möglichkeit, statt die Verwendungen zu genehmigen oder sie zu bestreiten, Herausgabeklage zu erheben. Dadurch kann er auch angemessen auf die Situation reagieren, wenn der Besitzer sich weigert, die Sache herauszugeben und zugleich keine Anstalten unternimmt, die Verwer117
A. A. Staudinger/Gursky,
§ 1003, Rn. 15.
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
113
tung zu betreiben. Soweit dem Besitzer ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, führt die Vindikation im Ergebnis wiederum nur zur Verurteilung Zug um Zug, §§ 1000, 274 BGB. Umgekehrt bleibt der Besitzer selbst nach einer entsprechenden Verurteilung zur Herausgabe zur Verwertung nach § 1003 Abs. 1 S. 2 BGB befugt, solange nicht der Eigentümer genehmigt. Unterbleibt die Genehmigung und verwertet der Besitzer die Sache, steht dem Eigentümer auch kein Schadensersatzanspruch nach §283 BGB a. F. zu, da der Besitzer zur Verwertung der Sache befugt war und er daher die Unmöglichkeit der Herausgabe der Sache nicht zu vertreten hat, § 283 Abs. 1 S. 3 BGB a. F. Nichts anderes gilt nach §§ 281 Abs. 1 S. 1, 280 Abs. 1 S. 2 BGB n. F. Insgesamt ist daher auch das Befriedigungsrecht des § 1003 BGB nicht als Recht zum Besitz anzusehen. 1 1 8 d) Die Einrede des nichterfüllten
Vertrages
Schließlich wird auch für die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach § 320 BGB die Auffassung vertreten, sie gewähre ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB. 1 1 9 Dem ist indessen ebensowenig wie bei den sonstigen Zurückbehaltüngsrechten zuzustimmen. Zusätzlich zu den bereits dargelegten generellen Einwänden kommt hinzu, dass § 320 BGB auf den dinglichen Herausgabeanspruch im Allgemeinen von vornherein nicht anwendbar ist und im Übrigen auch kein Bedürfnis für seine Anwendung besteht. Soweit es um Verträge geht, deren Gegenstand die dauernde Überlassung einer Sache ist, wie etwa Kauf oder Tausch, fehlt es grundsätzlich von vornherein an einem dinglichen Herausgabeanspruch, da der Gläubiger noch nicht Eigentümer der Sache ist. Denkbar ist zwar, dass der Verkäufer teilweise vorleistet, indem er die Sache nach § 930 BGB an den Käufer übereignet. Jedoch ergibt sich das Recht des Verkäufers zum Besitz an der Sache bis zur Zahlung des Kaufpreises in diesem Fall zumindest konkludent aus dem Besitzmittlungsverhältnis, so dass auch hier keine Notwendigkeit besteht, auf § 320 BGB zurückzugreifen. 1 2 0 Soweit der Vertrag dagegen auf die vorübergehende Gebrauchsüberlassung gerichtet ist, wie bei Miete, Pacht oder Leihe, kann zwar ein dinglicher Herausgabeanspruch neben den schuldrechtlichen Ansprüchen bestehen, doch steht der Rück- bzw. Herausgabeanspruch regelmäßig nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zu einer anderen Leistung. Zum Teil wird in der Literatur allerdings für besondere Fallkonstellationen gleichwohl ein Recht zum Besitz aus der Einrede nach § 320 BGB befürwortet. Dies soll dann der Fall sein, wenn die Parteien im Rahmen der VertragsIm Ergebnis ebenso Wieling, Sachenrecht I, § 12 V 8 d ff (S. 609). BGH, NJW-RR 1986, 282 (283); ebenso allgemein RGRK/Pikart, §986, Rn. 16; einschränkend dagegen Seidel, JZ 1993,180 (184 f.). 120 Ebenso Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 28; ähnlich Wilhelm, Rn. 1104, Fn. 1009. 118
119
114
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: 2ur Rechtsnatur des Besitzes
freiheit die Herausgabepflicht ausnahmsweise einmal in den synallagmatischen Zusammenhang einbeziehen. 121 Als Beispiel wird hierzu auf den der bereits erwähnten Entscheidung des B G H zugrundeliegenden Sachverhalt verwiesen. 122 Der Beklagte war hier Komplementär der klagenden Gesellschaft und hatte in dieser Eigenschaft ein von ihm bewohntes Einfamilienhaus in die Gesellschaft eingebracht. Zugleich veräußerte der Beklagte seinen Komplementäranteil an einen Dritten, wobei vorgesehen war, dass der Kaufpreis von der die Transaktion finanzierenden Bank der Klägerin gutgeschrieben und von dieser an den Beklagten überwiesen werden sollte. Der Inhalt einer zwischen den Parteien bestehenden Abrede über die Nutzung des Hauses ist streitig. Während die Klägerin eine kalendermäßige Festlegung der Nutzungszeit behauptet, trägt der Beklagte vor, dass er erst drei Monate nach freier Verfügbarkeit der gesamten Kaufpreissumme aus dem Haus ausziehen müsse. Der B G H entnahm dem Parteivortrag, dass der Beklagte nur von der Klägerin Zahlung des Entgelts für die Veräußerung des Komplementäranteils verlangen können sollte. Dies und der enge wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Grundstücks- und Anteilsveräußerung und Nutzungsabsprache rechtfertigten jedenfalls die Annahme eines dem Beklagten zustehenden Zurückbehaltungsrechts. 123 Seidel stimmt dem zu und beruft sich dabei auf zwei Punkte, die bei § 320 B G B , anders als bei § 273 B G B , für die Annahme eines Rechts zum Besitz sprechen sollen. Zum einen bestehe bei § 320 B G B ein enger originärer Funktionszusammenhang von Leistung und Gegenleistung, der durch die Parteivereinbarung bzw. das Gesetz selbst geschaffen und nicht erst - wie bei dem Zurückbehaltungsrecht des § 273 B G B - später durch einseitige Erklärung einer Partei hergestellt werde. Zum anderen bleibe die Sache Gegenstand des Vermögens des Sachleistungsschuldners, wenn dieser beim gegenseitigen Vertrag die Einrede des nicht erfüllten Vertrages geltend macht. Letztere Aussage trifft zumindest im vorliegenden Fall nicht zu, da der Beklagte das Haus bereits an die Klägerin übereignet hatte. Soweit sonst eine Ubereignung noch nicht erfolgt ist, bleibt die Sache zwar im Vermögen des Sachleistungsschuldners, doch besteht dann auch kein Herausgabeanspruch des Gläubigers nach § 985 B G B . Warum im Übrigen ein „originärer Funktionszusammenhang von Leistung und Gegenleistung" ausnahmsweise für ein eigenständiges Recht zum Besitz sprechen soll, ist nicht recht einsichtig. Es kommt hinzu, dass auch in dem geschilderten Fall des B G H alles darauf hindeutet, dass eigentliche Grundlage des Rechts zum Besitz für den Beklagten die mit der Klägerin getroffene Nutzungsabrede war, § § 3 1 1 Abs. 1, 241 Abs. 1 B G B . Soweit diese bestand, bedurfte es keines Rückgriffs auf § 320
121 122 123
Seidel, ]Z 1993,180(184). BGH, NJW-RR 1986,282. BGH, NJW-RR 1986, 282 (283).
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
115
BGB. Soweit eine solche dagegen fehlte, war es sachgerecht und ausreichend, den Beklagten zur Räumung und Herausgabe des Grundstücks Zug um Zug gegen Zahlung des Anteilskaufpreises zu verurteilen, §§ 320, 322 BGB.
4. Die Besitzberechtigung nach §241 a BGB
des Empfängers
unbestellter
Waren
Das am 30.6.2000 in Kraft getretene Gesetz über Fernabsatzverträge 124 hat zur Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie 125 unter anderem in § 241 a eine ausdrückliche Regelung der Zusendung unbestellter Waren in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt. Nach dessen Absatz 1 wird durch die Lieferung unbestellter Sachen oder durch die Erbringung unbestellter sonstiger Leistungen durch einen Unternehmer an einen Verbraucher ein Anspruch gegen diesen nicht begründet. Danach stellt sich die Frage, ob auch der Vindikationsanspruch des Unternehmers nicht mehr geltend gemacht werden kann mit der Folge, dass dem Verbraucher ein dauerhaftes Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB zustünde. Da diese Frage sogleich nach In-Kraft-Treten der Vorschrift in der Literatur streitig geworden ist, soll im Folgenden zunächst die bisherige Rechtslage bei der Zusendung unbestellter Waren skizziert werden, bevor zu Inhalt und Reichweite der neuen Regelung Stellung genommen wird.
a) Bisherige
Rechtslage
aa) Wettbewerbsrechtliche
Beurteilung
Die Zusendung unbestellter Waren wird in Deutschland seit jeher als Form anreißerischer Werbung für grundsätzlich unlauter gehalten. 126 Der Grund liegt darin, dass der Empfänger gegen seinen Willen in eine Zwangslage gebracht wird. Im Allgemeinen kann er die Entgegennahme einer Sendung nicht verweigern, weil er noch nicht weiß, was sich in ihr befindet, er aber nach Öffnung das Paket nicht mehr zurückgeben kann. Ist er erst einmal im Besitz der Ware, kann er diese nur aufbewahren, zurücksenden oder bezahlen. Dem Ver124 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.6.2000, BGBl. I, S. 897, berichtigt auf S. 1139. 125 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144 S. 19. 126 BGH, GRUR 1959, 277 (278) - „Künstlerpostkarten"; GRUR 1960, 382 (383) - „Verbandsstoffe"; GRUR 1966, 47 (48) - „Indicator"; GRUR 1977, 157 (158) - „Filmzusendung"; GRUR 1992, 855 - „Gutscheinübersendung"; OGH, ÖB1. 1996, 275 (276) - „Gesundes Schlafen"; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 1 UWG, Rn. 72; Köhler/Piper, §1 UWG, Rn. 183; Plaß, in: Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß, § 1 UWG, Rn. 88; Emmerich, Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 1 1 , 5 (S. 148).
116
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
sender wird vorgeworfen, dass er die Trägheit des Empfängers ausnutzt, der das Behalten der Ware der Umständlichkeit der Rücksendung vorzieht. 127 In engen Grenzen wird eine abweichende Beurteilung dann für zulässig gehalten, wenn der Empfänger bei Erhalt der Sendung eindeutig darauf hingewiesen wird, dass ihn weder eine Zahlungs- noch eine Aufbewahrungspflicht trifft und es sich zugleich um geringwertige Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs handelt 128 oder aber wenn eine laufende Geschäftsbeziehung besteht, aufgrund derer der Versender Grund zu der Annahme haben kann, dass der Kunde eine unverlangte Zusendung wünsche. 129
bb) Bürgerlich-rechtliche
Beurteilung
Weit weniger eindeutig als die wettbewerbsrechtliche Einordnung dieser Geschäftspraktik fiel die Antwort auf die durch die Zusendung begründeten Rechte und Pflichten der Parteien nach dem bisherigen bürgerlichen Recht aus. Die Stellungnahmen zu diesem Fragenkreis stammen allerdings fast durchweg aus der Literatur, da Urteile, die sich mit der bürgerlich-rechtlichen Seite des Problems befassen, bisher kaum bekannt geworden sind. 130 Nach h.M. lag in der Benutzung, in dem Verbrauch oder in der Weiterveräußerung der erhaltenen Ware die konkludente Erklärung des Empfängers, das in der Übersendung liegende Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages anzunehmen, §§433, 151 BGB. 131 Durch bloßes Schweigen wurde dagegen ein Kaufvertrag ebenso wenig geschlossen wie ein Verwahrungsvertrag. 132 Im Ergebnis unstreitig stand dem Versender ein Herausgabeanspruch gegen den Empfänger zu, da Ersterer Eigentümer der Ware geblieben ist, § 985 BGB, oder der Empfänger jedenfalls um den Besitz bereichert ist, §812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB. 133 Stark umstritten war dagegen die Frage, ob und in welchem Umfang dem Versender Ansprüche gegen den Empfänger zustehen, wenn die Ware infolge unsorgfältiger Aufbewahrung verschlechtert oder aber verbraucht, vernichtet Baumbach/Hefermehl, Rn. 72; Plaß, Rn. 88. BGH, GRUR 1959, 277 (280) - „Künstlerpostkarten"; GRUR 1960, 382 (384) - „Verbandsstoffe". 129 BGH, GRUR I960, 382 (384) - „Verbandsstoffe"; GRUR 1966, 47 (48 f.) - „Indicator". 130 Vgl. allenfalls RGZ 64, 145 f.; RG, J W 1900, 297; OLG Köln, NJW 1995, 3128 (3129); LG Frankenthal, EWiR 1995, 545. 131 MünchKomm/Kramer, § 151, Rn. 55; Erman/Hefermehl, § 147, Rn. 4; Jauernig/Jauernig, § 145, Rn. 6; Soergel/M. Wolf3, § 151, Rn. 15; Staudinger/Bork, § 146, Rn. 11; H. Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 1009; a.A. Schwung, JuS 1985, 449 (450). 132 Staudinger/Gursky, Vor §§987-993, Rn. 12; Erman/Hefermehl, Rn. 4; Schwung, JuS 1985, 449 (450 f.); a.A. Staudinger/Dilcber, BGB, 12. Aufl., 1979, § 146, Rn. 13. 133 A. A. Staudinger/Dilcher, § 146, Rn. 14 (analog §§ 867, 1005 BGB). 127
128
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des $ 986 BGB
117
oder an Dritte veräußert wird. Während manche eine grundsätzliche Haftung nach den §§ 989, 990 B G B annahmen, 134 verneinte eine weit verbreitete Auffassung ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, weil der Empfänger die Ware zunächst durchaus im Einverständnis mit dem Versender empfangen habe, so dass das Besitzrecht des Empfängers erst entfalle, wenn bei einem Abholungsversuch die Herausgabe der Sendung verweigert wird. 135 Unabhängig davon, ob eine Haftung dem Grunde nach gemäß §§ 989, 990 B G B oder nach § 823 Abs. 1 B G B bejaht wurde, sprach sich die Literatur allgemein für eine Haftungserleichterung aus, deren Grundlage freilich ihrerseits wieder heftig umstritten war. Während die einen auf § 300 Abs. 1 B G B verwiesen, 136 wollten andere § 690 B G B heranziehen 137 oder allgemein auf ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 B G B abstellen. 138 Danach traf den Empfänger nach ganz überwiegender Meinung zunächst eine Pflicht zur Aufbewahrung, so dass er die Ware nicht ohne weiteres wegwerfen konnte. 139 Veräußerte der Empfänger die erhaltene Sendung dagegen an einen Dritten, konnte der Versender die Herausgabe des Erlangten aus unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag, §§667, 681 S. 2, 687 Abs. 2 B G B , bzw. aus ungerechtfertigter Bereicherungverlangen, § 816 Abs. 1 S. 1 B G B . 1 4 0 b) Die neue Regelung des § 241 a BGB Auch auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts wird die Zusendung unbestellter Waren seit langer Zeit kritisch gesehen. Schon die Entschließung des Rates vom 14.4.1975 über das Erste Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher 141 sprach im Anhang unter Ziffern 19 und 24 von der Notwendigkeit, die Käufer von Gütern oder Dienstleistungen vor der Forderung nach Zahlung nicht bestellter Waren zu schützen. Diesen Gedanken greift die Fernabsatzrichtlinie von 1997 auf 142 und betont, dass diese Absatztechnik als unzulässig 134 MünchKomm/Medicus, vor §§987-1003, Rn. 16; Schröder, AcP 179 (1979), 567 (593); Roth, JuS 1997, 519 (521); Schwung, JuS 1985, 449 (451). 135 Palandt/Bassenge, vor §987, Rn. 6; Staudinger/Gursky, vor §§987-993, Rn. 12; Staudinger/Bork, § 146, Rn. 15. 136 MünchKomm/Medicus, vor §§ 987-1003, Rn. 16; Staudinger/Bork, § 146, Rn. 16; Staudinger/Gursky, vor §§ 987-993, Rn. 12. 137 Soergel/Mühl, § 990, Rn. 17; Söllner, AcP 163 (1964), S. 20 (35). 138 Schwung, JuS 1985, 449 (452); Schröder, AcP 179 (1979), S. 567 (593 f.). 139 MünchKomm!Kramer, §145, Rn. 11; Staudinger/Bork, §146, Rn. 14; a.A. Jauernig/ Jauernig, § 145, Rn. 6; i. E. ebenso Schwung, JuS 1985, 449 (453). 140 Schwung,}MS 1985, 449 (453). 141 ABl. E G Nr. C 92 vom 25.4.1975, S. 1. 142 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. E G Nr. L 144 S. 19, Erwägungsgrund 5.
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
anzusehen ist, soweit es sich nicht um eine Ersatzlieferung handelt. 143 Art. 9 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten daher, die erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung von zwei Zielen zu treffen. Zum einen ist zu untersagen, dass einem Verbraucher ohne vorherige Bestellung Waren geliefert oder Dienstleistungen erbracht werden, wenn mit der Warenlieferung oder Dienstleistungserbringung eine Zahlungsaufforderung verbunden ist. Zum anderen ist der Verbraucher von jedweder Gegenleistung für den Fall zu befreien, dass unbestellte Waren geliefert oder unbestellte Dienstleistungen erbracht wurden, wobei das Ausbleiben einer Reaktion nicht als Zustimmung gilt. Der deutsche Gesetzgeber ist zutreffend davon ausgegangen, dass das erste Ziel durch die Generalklausel des § 1 U W G und die geschilderte ständige Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit der Zusendung unbestellter Waren verwirklicht ist. 144 Die zweite Vorgabe wurde insoweit als erreicht angesehen, als bereits nach bisheriger Rechtslage durch das bloße Zusenden unstreitig kein Vertrag und damit auch keine Zahlungsverpflichtung zustandekommt. Der Begriff der „Gegenleistung" in Art. 9 der Fernabsatzrichtlinie wird vom Gesetzgeber allerdings europarechtlich-autonom ausgelegt und vor dem Hintergrund der verbraucherschützenden Gesamtintention der Richtlinie nicht nur auf die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Zahlungsverpflichtung des deutschen Zivilrechts bezogen, sondern in einem weiten Sinne verstanden. Es sollte daher zur Umsetzung von Art. 9 der Fernabsatzrichtlinie eine Regelung im Allgemeinen Schuldrecht geschaffen werden, die klarstellt, dass den Verbraucher im Falle bewusst unbestellt zugesendeter Waren keinerlei Verbindlichkeiten, weder Schadensersatz- noch Nutzungsherausgabeansprüche, treffen, wobei der Gesetzgeber ausdrücklich auch eine Freistellung von der Rückgabeverpflichtung bezweckt hat. 145 Zu diesem Zweck wurde die Vorschrift des § 241 a in das B G B aufgenommen. Abs. 1 bestimmt, dass durch die Lieferung unbestellter Sachen oder durch die Erbringung unbestellter sonstiger Leistungen durch einen Unternehmer an einen Verbraucher ein Anspruch gegen diesen nicht begründet wird. Nach Abs. 2 sind gesetzliche Ansprüche nicht ausgeschlossen, wenn die Leistung nicht für den Empfänger bestimmt war oder in der irrigen Vorstellung einer Bestellung erfolgte und der Empfänger dies erkannt hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. Eine unbestellte Leistung liegt gemäß Abs. 3 nicht vor, wenn dem Verbraucher statt der bestellten eine nach Qualität und Preis gleichwertige Leistung
Erwägungsgrund 16. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT-Drucks. 14/ 2658, S. 23. 145 BT-Drucks. 14/2658, S. 23 f. 143
144
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
119
angeboten und er darauf hingewiesen wird, dass er zur Annahme nicht verpflichtet ist und die Kosten der Rücksendung nicht zu tragen hat. c) Ausschluss des aa) Objektive
Herausgabeanspruchs
und subjektive
Auslegung
Schon diese ersten Betrachtungen rücken eine Frage in das Zentrum der weiteren Überlegungen zur Reichweite der neuen Regelung des §241 a B G B . Kann der Versender, wenn schon kein Vertrag mit dem Empfänger zustande kommt, wenigstens sein Eigentum geltend machen und die Ware nach § 985 B G B wieder zurückfordern bzw. die Herausgabe nach § 812 Abs. 1 S. 1,1. Alt. B G B verlangen? Der Wortlaut des §241 a Abs. 1 B G B ist weit gefasst und lässt es ohne weiteres zu, unter die dort genannten Ansprüche den Herausgabeanspruch nach § 985 B G B einzuordnen. Dafür spricht auch der systematische Zusammenhang mit Abs. 2, in dem für gesetzliche Ansprüche bei fehlgeleiteten Sendungen eine Sonderregelung getroffen wird. Abs. 1 stellt demgegenüber die Grundregel dar, die sich daher ebenfalls auf gesetzliche Ansprüche erstreckt, zu denen auch der Herausgabeanspruch aus dem Eigentum gehört. Dagegen spricht auch nicht die Stellung der gesamten Vorschrift im Allgemeinen Schuldrecht, da ein zwingender Standort für die Regelung ohnehin nur schwer auszumachen ist. 146 Vor allem aber lassen die Materialien keinen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber bewusst den Ausschluss der Rückforderung der Sache gewollt hat. Hierzu heißt es ergänzend in der Gesetzesbegründung: 147 „Ausgeschlossen werden durch Satz 1 nicht nur Ansprüche des gegen das Verbot der Zusendung unbestellter Leistungen verstoßenden Unternehmers auf Aufbewahrung, Nutzungsherausgabe oder Schadensersatz, sondern auch der Rückgabeanspruch des U n ternehmers im Falle unbestellter Warenlieferungen. ... Ein solcher Rückgabeanspruch muss zwar nach Art. 9 F A R L nicht unbedingt ausgeschlossen werden. Es erscheint jedoch angemessen, auch diesen Anspruch als Sanktion des Wettbewerbsverstoßes des Versenders auszuschließen, wie dies auch in anderen europäischen Staaten Praxis ist. So sieht beispielsweise Artikel 15 des portugiesischen Gesetzesdekrets Nr. 272/87 vom 3. Juli 1987 vor, dass der Empfänger unbestellter Erzeugnisse diese in jedem Fall kostenlos behalten kann, was im Ergebnis auf eine Schenkung hinausläuft. Dies ist immer dann angemessen, wenn dem Verbraucher bewusst unbestellte Leistungen aufgedrängt werden. Soweit dies dazu führt, dass in diesem Fall sachenrechtlich ausnahmsweise Besitz und Eigentum dauerhaft auseinanderfallen können, ist dies durch den Schutzzweck der Regelung gerechtfertigt und im Übrigen - z. B. im Hinblick auf die Verjährung von Herausgabeansprüchen - kein Einzelfall im B G B . " (Hervorhebung nicht im Original)
H6 BT-Drucks. 14/2658, S. 46. 14/ BT-Drucks. 14/2658, S. 46.
120
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
Ein anderes Ergebnis könnte sich allerdings dann ergeben, wenn die gemeinschafts- oder die verfassungskonforme Auslegung als Elemente der systematischen Interpretation 148 eine Einengung des Anwendungsbereichs der Norm gebieten würden. Das Gemeinschaftsrecht zieht dem nationalen Gesetzgeber insoweit allerdings keine Schranken, da Art. 14 S. 1 der Fernabsatzrichtlinie es den Mitgliedstaaten vorbehält, strengere Bestimmungen zu erlassen, Art. 9 der Richtlinie also nur eine Mindestharmonisierung enthält. Auch auf der Ebene des deutschen Verfassungsrechts wird man gegen den Ausschluss des Herausgabeanspruchs keine Bedenken erheben können. Insbesondere liegt keine Enteignung im Sinne des Art. 14 G G vor. Ein Eingriff in subjektive Rechtspositionen ist durch §241 a B G B nicht gegeben, weil die Vorschrift nach Art. 229 § 2 Abs. 1 E G B G B auf bereits entstandene Herausgabeansprüche nicht anwendbar ist und es der Versender im Übrigen selbst in der Hand hat, seine Rechte zu sichern, indem er die Ware nicht ohne vorherige Bestellung an Verbraucher verschickt. Die Fälle der irrtümlichen Versendung sind demgegenüber ohnehin nach Abs. 2 ausgenommen, so dass § 241 a B G B insgesamt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 G G darstellt. 149 Vor diesem Hintergrund kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass auch unter der Geltung des § 241 a B G B die Vindikation unberührt bleibe. 150 So legitim es auch sein mag, die Streichung der gesamten Vorschrift zu fordern, eine solche Forderung rechtfertigt es keineswegs, die Norm bis dahin als pro non scripto zu behandeln. 151
bb) Teleologische
Reduktion?
Eine andere Frage ist, ob § 241 a Abs. 1 B G B nicht im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend ausgelegt werden kann oder gar ausgelegt werden muss, dass er den dinglichen Herausgabeanspruch des § 985 B G B nicht ausschließt. 152 Hierzu ist geltend gemacht worden, dass der objektive Zweck
Vgl. dazu Sosnitza, JA 2000, 708 (710 f.) m. w. N. Ebenso Casper, ZIP 2000, 1602 (1606); S. Lorenz, JuS 2000, 833 (841). Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bei Berger, JuS 2001, 649 (651); Deckers, NJW 2001, 1474; Palandt/Heinrichs, § 241 a, Rn. 4; Riehm, Jura 2000, 505 (512 f.); Schwarz/Pohlmann, Jura 2001, 361 (365), im Anschluss an die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 14/2920, S. 5. Demgegenüber wie hier die Gegenäußerung der Bundesregierung, ebenda, S. 14, und der Rechtsausschuss, BT-Drucks. 14/3195, S. 32. 150 So aber Bülow/Artz, NJW 2000, 2049 (2056), freilich ohne Begründung; wie hier dagegen Berger, JuS 2001,649 ( 6 5 3 K a m a n a b r o u , WM 2000,1417 (1426); 5. Lorenz, JuS 2000, 833 (841); Ring, Fernabsatzgesetz, Teil IV, Art. 2, Rn. 28. Für eine einschränkende Auslegung bei nicht wettbewerbswidrigem Verhalten des Unternehmers Palandt/Heinrich, § 241 a, Rn. 4. 151 Dafür jedoch Fiume, ZIP 2000, 1427(1429). 152 Hierfür dezidiert Casper, ZIP 2000, 1602 (1606 f.). 148
149
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des 5 986 BGB
121
des Gesetzes dahin gehe, den Verbraucher vor der Lästigkeit unbestellt erbrachter Leistungen zu schützen. Er solle nicht zur Verwahrung verpflichtet sein, sondern sich der Ware sanktionslos entledigen können. Damit sei aber nicht das Ziel verbunden, dem Verbraucher auch den Sachwert der unbestellten Waren zukommen zu lassen. Der zu diesem objektiven Gesetzeszweck in Widerspruch stehende subjektive Wille des Gesetzgebers sei durch den Vorrang des objektiven Zwecks aufzulösen, da das dauerhafte Auseinanderfallen von Besitz und Eigentum und der Sanktionscharakter anerkannten Prinzipien des B G B widersprächen. 153 Gegen diese Argumentation bestehen indessen erhebliche Vorbehalte, und zwar sowohl in methodischer Hinsicht als auch in der Sache selbst. (1) Methodik Es ist hier nicht der Ort, im Einzelnen auf den methodologischen Streit zwischen den „Objektivisten" und den „Subjektivisten" um die Ermittlung des „wahren" oder „eigentlichen" Zwecks einer Vorschrift einzugehen. 154 Für den vorliegenden Zusammenhang soll nur Folgendes zu bedenken gegeben werden. Einem verselbständigten, objektivierten Gesetzeszweck mag bei bereits lange geltenden Normen insoweit eine gewisse Berechtigung zukommen, als dadurch zwischenzeitliche Entwicklungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft sowie Änderungen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse berücksichtigt werden können. Stellt man aber bei gerade erst verabschiedeten Regelungen einen vermeintlich objektiven Gesetzeszweck gegen den erklärten, abweichenden Willen des Gesetzgebers, obwohl dieser sich im Rahmen des höherrangigen Rechts hält und sich mit Wortlaut und Systematik der Norm vereinbaren lässt, so läuft dies auf eine offene Korrektur des parlamentarischen Gesetzgebers hinaus, die mit dem Prinzip der Gewaltenteilung kaum vereinbar ist. Unabhängig davon bleibt offen, woraus sich der behauptete objektive Zweck der Norm ergeben soll, wenn er denn von der subjektiven Zielsetzung des Gesetzgebers abweicht. Wie schwierig sich die Abgrenzung vermeintlich unterschiedlicher Zwecke gestaltet und wie groß die Gefahr ist, dass statt objektiver Ziele eher subjektive Wertmaßstäbe des Auslegenden einfließen, zeigt gerade das vorliegende Beispiel. Dass § 241 a B G B das Ziel verfolgt, den Verbraucher vor der Lästigkeit unbestellt erbrachter Leistungen zu schützen, ist sicher richtig, entspricht aber auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers. 1 5 5 Der Verbraucher soll demgemäß auch nicht zur Verwahrung verpflichtet sein
153 154 155
Casper, ZIP 2000,1602 (1607). Vgl. dazu näher zuletzt der Überblick bei Sosnitza, JA 2000, 708 f. m. w. N. Dies räumt auch Casper, ZIP 2000,1602 (1607), ein.
122
Teil 1: Grundlagen
• J. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
und sich ohne Folgen der Ware entledigen können. Dass damit aber objektiv nicht das Ziel verfolgt werde, dem Verbraucher auch den Sachwert der unbestellten Waren zukommen zu lassen, ist nicht mehr als eine schlichte Behauptung. Ein Beleg hierfür anhand des „objektiven" Gesetzes wird jedenfalls nicht gegeben. Genauso gut ließe sich umgekehrt argumentieren, dass der objektive Normzweck, nämlich der Schutz des Verbrauchers vor der Lästigkeit unbestellt erhaltener Waren, am effektivsten dadurch verwirklicht wird, dass auch kein Herausgabeanspruch besteht, da potenzielle Versender hierdurch eher abgehalten werden, zu dieser Absatztechnik zu greifen. Diese Überlegungen zeigen, dass es hier im Grunde nicht um einen wie auch immer zu verstehenden objektiven Gesetzeszweck geht, sondern um die Wahl zwischen verschiedenen Mitteln zur Erreichung eines Ziels. Ein gewisses Maß an Schutz vor unbestellt zugesandten Waren erlangt der Verbraucher auch, wenn, unter Ausschluss aller übrigen Ansprüche, der Versender die Ware wieder herausverlangen darf. Der Schutz ist allerdings sicher höher, wenn darüber hinaus auch der Herausgabeanspruch beseitigt wird. Die Auswahl zwischen den verschiedenen zur Verfügung stehenden Mitteln obliegt allerdings zuvörderst dem Gesetzgeber und darf nicht ohne weiteres nachträglich von Rechtsprechung oder Wissenschaft „korrigiert" werden. Zur Rechtfertigung dieser Korrektur dient nun gerade das Argument, das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz und der Sanktionscharakter des Vindikationsausschlusses widerspräche anerkannten Prinzipien des BGB. Aber auch dies ist letztlich nicht überzeugend.
(2) Trennung von Eigentum und Besitz Richtig ist, dass das Gesetz sich bemüht, einen dauerhaft vom Eigentum getrennten Besitz zu vermeiden, doch ist ein solcher gleichwohl nicht ausgeschlossen. Dies zeigt nicht nur die auch in der Gesetzesbegründung angesprochene Möglichkeit der Verjährung von Herausgabeansprüchen. 156 Bei der Verjährung von Kaufpreisansprüchen für unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Waren taucht das Problem einer permanenten Abtrennung des Besitzes vom Eigentum des Vorbehaltsverkäufers ebenfalls auf und kann dort hingenommen werden. 157 Auch bei der Verjährung des Auflassungsanspruchs nach Übergabe des Grundstücks ist die Rechtsprechung bereit, die dauerhafte Trennung von Eigentum und Besitz zu akzeptieren. 158 Die Inkaufnahme einer permanenten Trennung von Eigentum und Besitz ist daher schon auf der Ebene der Auslegung mit guten Gründen vertretbar. Umso eher muss es daher 156 157 ]5S
BT-Drucks. 14/2658, S. 46. Vgl. dazu oben, unter C. III. 2. (S. 104 ff.). Dazu oben, unter C. II. 2. c (S. 88 ff.).
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
123
dem Gesetzgeber prinzipiell möglich sein, sich dieser Technik zu bedienen, auch und gerade wenn es sich dabei um die Ausnahme von einem Regelungsgrundsatz handelt. (3)
Sanktionscharakter
Es bleibt somit der Einwand des Sanktionscharakters, der dem BGB als allgemeinem Zivilrecht fremd sei. Mit dem gezielten Ausschluss des Herausgabeanspruchs hat der Gesetzgeber in der Tat bewusst generalpräventive Zwekke im Interesse eines verbesserten Verbraucherschutzes verbunden. Der A n satz, durch bestimmte Regelungen über den Einzelfall hinaus auch Einfluss auf zukünftiges Verhalten zu nehmen, stellt im bürgerlichen Recht allerdings nichts Neues dar. Wie bereits in anderem Zusammenhang gezeigt wurde, 1 5 9 lassen sich präventive Steuerungsfunktionen z.B. in den § § 8 5 8 f f . BGB, im Deliktsrecht, beim Ausschluss des Bereicherungsanspruchs nach § 8 1 7 S. 2 BGB sowie bei der Selbsthilfevorschrift des § 227 BGB ausmachen. Auch dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von Allgemeinen Geschäftsbedingungen liegt eine Präventionswirkung zugrunde. Auch wenn hier im Einzelnen noch manches streitig ist, verdeutlichen diese Beispiele, dass der grundsätzlich nicht pönale Charakter des Zivilrechts der Berücksichtigung präventiver Wirkungen nicht entgegensteht. Ungewohnt ist demgegenüber die Verknüpfung eines unlauteren Tatbestandes (Zusendung unbestellter Waren) mit einer zivilrechtlichen Rechtebeschneidung (Ausschluss des Herausgabeanspruchs) und der Einbettung im Allgemeinen Zivilrecht. Begreift man die Einschränkung der Rechte auf der Seite des unlauter handelnden Unternehmers spiegelbildlich als Ausweitung der Rechte des durch die unlautere Handlung betroffenen Verbrauchers, so ist eine solche Verknüpfung gleichwohl nicht neu, wie das spezielle Rücktrittsrecht des Verbrauchers aus § 13 a U W G zeigt. Das Besondere des § 241 a BGB liegt daher letztlich in seiner Verortung im Allgemeinen Schuldrecht. Aus diesem Grunde wurde auch bereits verschiedentlich mehr oder weniger offen kritisiert, die Vorschrift gehöre eigentlich in das Wettbewerbsrecht. 1 6 0 Dafür gibt es gewiss gute Gründe, allein, der Gesetzgeber hat sich nun einmal entschlossen, die Regelung in das BGB zu integrieren, was angesichts der an die zivilrechtlichen Ansprüche anschließenden Rechtsfolge auch nicht als sachwidrig bezeichnet werden kann. Die entscheidende Frage kann daher nur lauten, ob es dem Gesetzgeber von vornherein verwehrt ist, einen Tatbestand der Unlauterkeit mit dem Verlust eines ansonsten bestehenden Rechtes zu verknüpfen. Dies wird man jedoch ernsthaft kaum bejahen können, wenn man 159 160
Vgl. oben, 2. Kapitel, B. II. 2. d (S. 40 ff.). Flume, ZIP 2000, 1427 (1429); Casper, ZIP 2000,1602 (1606).
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Teil 1 : Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
berücksichtigt, dass gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Vorgaben nicht entgegenstehen und sich der Gesetzgeber daher im Rahmen seines ihm zustehenden Gestaltungsspielraums bewegt. Gestützt wird dieses Ergebnis durch einen rechtsvergleichenden Uberblick. So ergibt sich aus den Länderberichten in der Begründung des Richtlinienvorschlags 161 der Kommission von 1992, dass nach der Rechtslage in Belgien, in Dänemark, in den Niederlanden sowie in Portugal 162 der Empfänger unbestellter Waren das Recht hat, diese kostenlos zu behalten. Die einschlägigen Vorschriften im Vereinigten Königreich und in Irland sehen immerhin noch vor, dass der Empfänger die unbestellte Ware ohne Bezahlung behalten darf, wenn der Lieferant sie nicht innerhalb von 30 Tagen nach einer Mitteilung des Empfängers, dass die Ware unerwünscht ist, oder ohne eine solche Mitteilung innerhalb von sechs Monaten zurückgefordert hat. In Osterreich sollte die Fernabsatzrichtlinie noch vor ihrer endgültigen Verabschiedung u. a. durch die Aufnahme eines neuen § 864 Abs. 2 A B G B im Jahre 1997 umgesetzt werden. 163 Mit dieser Bestimmung soll der Empfänger von jedweder Verpflichtung gegenüber dem Versender freigestellt werden, wodurch zugleich für den Unternehmer auch das ökonomische Risiko beim Einsatz dieser Vertriebsmethode deutlich erhöht werden soll. 164 Der Empfänger ist danach befugt, die erhaltene Sache wegzuwerfen oder auch sie zu verwenden oder zu verbrauchen, ohne dass dadurch vertragliche Ansprüche begründet werden. Nach h.M. 165 sollen dem Versender allerdings Bereicherungsansprüche zustehen, wenn der Empfänger die Sache ge- oder verbraucht. 166 Im Übrigen geht man, ohne dass dies ausdrücklich angesprochen wird, offenbar allgemein davon aus, dass der Versender seinen Reivindikationsanspruch nach § 366 A B G B gegenüber dem Empfänger geltend machen kann.
161 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vom 20.5.1992, Kom (92) 11 endg. - SYN 411, S. 26 - 70. 162 Auf die Rechtslage in Portugal nimmt auch die Begründung zum Fernabsatzgesetz ausdrücklich Bezug, BT-Drucks. 14/2658, S. 46. 163 „§ 864 (2) Das Behalten, Verwenden oder Verbrauchen einer Sache, die dem Empfänger ohne seine Veranlassung übersandt worden ist, gilt nicht als Annahme eines Antrags. Der Empfänger ist nicht verpflichtet, die Sache zu verwahren oder zurückzuleiten, er darf sich ihrer auch entledigen. Muss ihm jedoch nach den Umständen auffallen, dass die Sache irrtümlich an ihn gelangt ist, so hat er in angemessener Frist dies dem Absender mitzuteilen oder die Sache an den Absender zurückzuleiten." 164 Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer, § 864 Abs. 2 ABGB, Rn. 1. 165 Koziol, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Band I, 12. Aufl., 2002, S. 113; dabei geht die Literatur von einer Leistungskondiktion aus (Schwimann/Apathy, § 864, Rn. 9; Wilhelm, ecolex 1996, 581), während die Materialien einen Verwendungsanspruch nach § 1041 A B G B annehmen (EBRV 311 BlgNR 20. GP, S. 14). 166 Gegen jegliche bereicherungsrechtlichen Ansprüche Saria, RdW 1997, 647 (650).
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB
(4)
125
Zwischenergebnis
Nach alledem besteht für eine teleologische Reduktion des §241 a B G B weder Anlass noch Berechtigung. Der bewusste Ausschluss des Herausgabeanspruchs des Versenders ist de lege lata hinzunehmen. d) aa)
Konsequenzen Eigentumslage
Festzuhalten ist zunächst, dass §241 a B G B die Eigentumslage unberührt lässt. Der Versender bleibt also Eigentümer der dem Empfänger übermittelten Ware, auch wenn er sie nicht mehr herausverlangen kann. Davon gehen auch die Materialien aus, die hervorheben, dass das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz hier durch den Schutzzweck der Norm gerechtfertigt ist. 167 Ein Eigentumsübergang allein durch das Übersenden wäre auch konstruktiv kaum zu bewältigen. Da der erkennbare Wille des Versenders nur für den Fall der Bezahlung der Ware auf eine Ubereignung gerichtet ist, liefe jede andere Auslegung auf eine fingierte Willenserklärung hinaus. Ansonsten bliebe nur die Möglichkeit, § 241 a Abs. 1 B G B als gesetzliche Anordnung des Eigentumsübergangs auch gegen den Willen der Beteiligten anzusehen. Eine solche Rechtsfolge wird man der Norm jedoch nicht entnehmen können, da sie sich darauf beschränkt, Ansprüche gegen den Empfänger auszuschließen. bb) Befugnisse (1)
des
Empfängers
Nutzungsrecht
Steht somit fest, dass der Versender zwar sein Eigentum behält, die Ware aber nicht mehr vom Empfänger zurückverlangen kann, stellt sich weiter die Frage, welche Befugnisse dem Empfänger in Bezug auf die Sache nunmehr zustehen. Grundsätzlich denkbar sind hier zwei Gestaltungsmöglichkeiten. Entweder man geht entsprechend der bisherigen Rechtslage davon aus, dass dem Empfänger kein Recht zum Nutzen, Gebrauchen und Verbrauchen der Sache eingeräumt ist, oder aber man sieht diese Befugnisse nunmehr von der Neuregelung als gedeckt an. Nimmt man an, dass sich die Befugnisse des Empfängers im Vergleich zur früheren Rechtslage nicht geändert haben, hätte dies zur Folge, dass der Versender die Ware zwar nicht herausverlangen, der Empfänger sie aber auch nicht selbst nutzen kann, er sie also, wenn er sie nicht wegwirft, unbenutzt bei sich aufbewahren müsste. Die Annahme eines Herausgabeverweigerungsrechts des Empfängers ohne ein eigenes Nutzungsrecht 167
BT-Drucks. 14/2658, S. 46.
126
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
ist jedoch wenig sinnvoll, da dies darauf hinausliefe, dass keiner die Sache mehr gebrauchen kann. Eine solche Rechtsfolge entspricht auch nicht dem Schutzzweck des §241 a B G B . Wie gezeigt, ging der Gesetzgeber davon aus, dass der Empfänger die Ware kostenlos behalten können soll, was im Ergebnis als Schenkung betrachtet wurde. 168 Folgerichtig steht dem Empfänger durch den Ausschluss des Herausgabeanspruchs des Versenders nach §241 a B G B auch das Recht zu, die erhaltene Ware zu nutzen, zu gebrauchen und zu verbrauchen. 169 (2) Weiterveräußerung
an Dritte
Die persönliche Nutzungsbefugnis des Empfängers schließt nicht notwendigerweise das Recht ein, die Ware an Dritte zu veräußern. Da der Versender zunächst Eigentümer der Sendung bleibt, verfügt der Empfänger als Nichtberechtigter über die Sache. Ist der Dritterwerber gutgläubig, erwirbt er das Eigentum nach §§ 929, 932 B G B , während der Empfänger dem Versender den Erlös nach § 816 Abs. 1 S. 1 B G B bzw. nach §§ 687 Abs. 2 S. 1, 681 S. 2, 667 B G B herauszugeben hat. Vom bösgläubigen Erwerber kann der Versender dagegen die Sache nach § 985 B G B herausverlangen oder die Verfügung durch den Empfänger genehmigen und den Erlös wiederum aus Bereicherungsrecht bzw. unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag fordern. Hat der Empfänger die Sendung an einen Dritten verschenkt, kann der Versender die Ware auch von einem Gutgläubigen zurückfordern, § 816 Abs. 1 S. 2 B G B . 1 7 0 Denkbar wäre allerdings, §241 a B G B nicht nur ein persönliches Nutzungsrecht, sondern auch eine Verfügungsbefugnis zu entnehmen, so dass der Empfänger bei der Weiterveräußerung an Dritte nicht mehr als Nichtberechtigter verfügen würde. Dafür könnte sprechen, dass sich der Empfänger durch den Weiterverkauf der Sache ebenso ihren wirtschaftlichen Wert aneignet, wie durch die Nutzung und den Verbrauch der Ware. Auch die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die Regelung des § 241 a B G B im Ergebnis auf eine Schenkung hinauslaufe, könnte die Annahme nahelegen, dass dem Empfänger auch die Befugnis zur Weiterveräußerung zukommen soll. Allerdings befassen sich die Materialien mit dem Problem der Drittveräußerung nicht ausdrücklich. Umgekehrt spricht die Tatsache, dass die Gesetzesbegründung davon ausgeht, dass das Eigentum beim Versender verbleibt und dass sich die Materialien allein mit dem Verhältnis von Versender und Empfänger befassen, dafür, dass der Gesetzgeber dem Empfänger keine allgemeine Verfügungsbefugnis über BT-Drucks. 14/2658, S. 46. Ebenso S. Lorenz, JuS 2000, 833 (841); Schwarz/Pohlmann, Jura 2001, 361 (366); a.A. Casper, ZIP 2000, 1602 (1616 f.); Berger, JuS 2001, 649 (653). 170 Ebenso Berger, JuS 2001, 649 (653); a. A. Riehm, Jura 2000, 505 (512); Schwarz, NJW 2001, 1449(1453). 168
169
C. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986
BGB
127
die erhaltene Ware einräumen wollte. Auch bei wertender Betrachung sprechen die besseren Argumente dafür, die Beschränkung der Rechte des Versenders auf die Situation des Eigenverbrauchs durch den Empfänger zu begrenzen. Zum einen kann hier wiederum auf die Parallele zur Situation beim Eigentumsvorbehaltskauf verwiesen werden. 171 Zum anderen geht es bei § 241 a B G B um eine Freistellung des Empfängers von Ansprüchen des Versenders als Ausgleich für einen Einbruch in die Privatsphäre des Verbrauchers. Uber einen solchen Ausgleich ginge man hinaus, wenn man dem Empfänger zusätzlich die Befugnis einräumen würde, die Ware an einen Dritten zu veräußern. Die Rechte des Versenders bleiben daher bei Veräußerung der Ware an einen Dritten gewahrt. cc) Gesetzliches
Besitzrecht
Aus dem Vorstehenden ergeben sich zugleich grundlegende Schlussfolgerungen für die sachenrechtliche Lage. Steht dem Empfänger durch §241 a B G B ein Recht zum Behaltendürfen der Sache zu, aufgrund dessen er die Sache nutzen, gebrauchen und verbrauchen darf, dann stellt dies nichts anderes als ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B dar. 172 Der Versender bleibt also Eigentümer und hat grundsätzlich den Herausgabeanspruch nach § 9 8 5 B G B . Nur gegenüber dem Empfänger kann er den Vindikationsanspruch nicht durchsetzen, da diesem ein Recht zum Besitz zusteht. Dieses Besitzrecht beruht nicht auf einer Vereinbarung der Parteien, sondern knüpft unmittelbar an den Realakt der Ubersendung an, der nicht mit einer Willenserklärung des Versenders verbunden sein muss. 173 Das B G B kennt damit erstmals ein dauerhaftes Besitzrecht, das allein auf einem Realakt aufbaut. Dieses Recht zum Besitz ist ein relatives, da es sich allein gegen den Versender richtet. Fallen Versender und Eigentümer auseinander, wie dies beispielsweise der Fall sein kann, wenn der Versender die Ware unter Eigentumsvorbehalt von seinem Lieferanten bezogen hat, so kann der Lieferant die Ware von dem Empfänger herausverlangen, soweit der Versender und Vorbehaltskäufer nicht seinerseits dem Lieferanten gegenüber zum Besitz berechtigt ist, § 986 Abs. 1 S. 1,2. Alt. B G B analog.
171 172 173
Vgl. oben, unter C. III. 2. (S. 104 ff.). A. A. Schwarz, N J W 2001, 1449 (1452); ders./Pohlmann, Vgl. oben, unter C. I. (S. 79).
Jura 2001, 361 (364).
128
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer im Sinne des Art. 14 GG - Eine verfassungsrechtliche Aufwertung der zivilrechtlichen Besitzposition mit Ausstrahlungswirkung auf das Bürgerliche Gesetzbuch? Dass der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff des Art. 14 GG grundsätzlich jedes Vermögenswerte Recht umfasst und damit weiter ist als das von § 903 BGB vorausgesetzte Eigentum, ist seit jeher anerkannt. 1 Im Grunde war es daher nur eine Frage der Zeit, bis das BVerfG sich dazu äußern würde, ob und wie auch die Rechtsstellung des Besitzers, und insbesondere des Mieters, durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt ist. Ob das aus dem Mietvertrag folgende Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung Eigentum im Sinne der Freiheitsgewährleistung des Art. 14 GG ist, ließ das BVerfG lange Zeit offen. 2 Seit BVerfGE 89,1 (= N J W 1993,2035) bejaht das Verfassungsgericht die Frage ganz grundsätzlich, wie sich schon aus der klaren und uneingeschränkten Formulierung des ersten Leitsatzes der genannten Entscheidung ergibt: „Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG." 3 Im Folgenden sollen die Argumente des BVerfG im Einzelnen dargestellt und in ihrem spezifischen Zusammenhang mit dem Zivilrecht analysiert werden. Daran anschließend ist zu fragen, ob und inwieweit sich hieraus Rückschlüsse für die Rechte und Pflichten des Mieters im bürgerlichen Recht ergeben. Die bei unvoreingenommener Betrachtungsweise denkbaren Konsequenzen reichen von einer allein verfassungsrechtlich relevanten Standortbestimmung des Besitzrechts bis zu einer Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs auf das Privatrecht mit der Folge einer dogmatischen Neuqualifizierung und Aufwertung des Besitzrechts.
1 BGHZ 6, 270 (278); v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1953, Art. 14, Anm. 2; Leibholz/Rinck, GG, 4. Aufl., Art. 14, Anm. 1; Kimminich, in: Dolzer/Vogel, BK, Art. 14, Rn. 31; so auch schon für Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung RGZ 109, 310 (319 f.); 111, 320 (328); 129, 246 (248). 2 BVerfGE 18, 121 (131) = NJW 1964, 1848 (1850); BVerfGE 83, 82 (88) = NJW 1991, 157 (158). 3 Vgl. auch BVerfG, NJW 1994, 41, und zuletzt BVerfG, NJW 2000, 2658 (2659).
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
I. Die Argumentation
im Sinne des Art. 14 GG
129
des BVerfG
1. Der Grundsatzbeschluss BVerfGE 89, 1 (Kündigung wegen Eigenbedarfs) D e r zentralen Entscheidung B V e r f G E 89, 1 lag folgender, vereinfachter Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer war Mieter einer Wohnung im zweiten Obergeschoss einer Doppelhaushälfte. Deren Eigentümerin und Vermieterin der Wohnung war die 1912 geborene Klägerin; sie bewohnte die Wohnung im ersten Obergeschoss desselben Hauses. Der Sohn der Klägerin bewohnte eine Wohnung im ersten Obergeschoss der anderen Doppelhaushälfte; seine Wohnung lag auf derselben Ebene wie diejenige der Klägerin. Beide Wohnungen grenzten unmittelbar aneinander. Die Klägerin kündigte dem Beschwerdeführer das Mietverhältnis und führte zur Begründung aus, dass sie die Wohnung für ihren Sohn benötige, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage sei, ihren Haushalt allein zu versorgen, und weil sie darauf angewiesen sei, ihren Sohn in nächster Nähe zu haben, damit dieser ihr helfen und sie pflegen könne. Der Beschwerdeführer widersprach der Kündigung und räumte die Wohnung nicht. In dem anschließenden Räumungsrechtsstreit gab das Amtsgericht der Räumungsklage statt. Das Landgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Der geltend gemachte Bedarfsgrund sei nachvollziehbar und vernünftig. U m der Klägerin die notwendige Pflege zuteil werden zu lassen, müsse ihr Sohn die vom Beschwerdeführer gemietete Wohnung beziehen. Zwar bewohne dieser in der anderen Doppelhaushälfte eine Wohnung, die unmittelbar an diejenige der Klägerin angrenze. Dennoch sei ein Umzug notwendig, da nur auf diese Weise die räumliche Trennung verringert und eine Betreuung der Klägerin erleichtert werden könne. Die Entscheidung des Eigentümers über seinen Wohnbedarf sei grundsätzlich zu achten, insbesondere dürfe das Gericht seine eigene Planung nicht an die Stelle derjenigen des Eigentümers setzen, es sei denn, der Nutzungswunsch sei als missbräuchlich zu bewerten. Da hierfür keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, müsse der verständliche Wunsch der pflegebedürftigen Klägerin respektiert werden, ihren Sohn in unmittelbarer räumlicher Nähe, und zwar in ihrem eigenen Haus, zu wissen. Das B V e r f G entnimmt der Verfassungsbeschwerde des gekündigten Mieters gegen das landgerichtliche Urteil unter anderem die Rüge der Verletzung seines Eigentumsrechts aus A r t . 14 A b s . 1 S. 1 G G u n d sieht sich damit erneut v o r die Frage gestellt, ob das aus dem Mietvertrag folgende Besitzrecht des Mieters an der gemieteten W o h n u n g Eigentum im Sinne dieser Freiheitsgewährleistung ist. Diese Frage b e a n t w o r t e t das G e r i c h t nun erstmals im positiven Sinne und stützt sich dabei auf folgende A r g u m e n t e . Wesentliches M e r k m a l des Eigentums im Sinne des A r t . 14 G G sei, dass ein v e r m ö g e n s w e r t e s Recht dem Berechtigten ebenso ausschließlich w i e Sacheigentum z u r privaten N u t z u n g u n d z u r eigenen Verfügung zugeordnet ist. U n t e r den Schutz der Eigentumsgarantie im Bereich des Privatrechts fielen deshalb grundsätzlich alle Vermögenswerten Rechte, die ihrem Inhaber v o n
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf. Die Wohnung sei für jedermann Mittelpunkt seiner privaten Existenz. Der Einzelne sei auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen. Der Großteil der Bevölkerung könne zur Deckung seines Wohnbedarfs jedoch nicht auf Eigentum zurückgreifen, sondern sei gezwungen, Wohnraum zu mieten. Das Besitzrecht des Mieters erfülle unter diesen Umständen Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukämen. Dieser Bedeutung der Wohnung habe der Gesetzgeber mit der Ausgestaltung des Besitzrechts Rechnung getragen. Es stelle eine privatrechtliche Rechtsposition dar, die dem Mieter wie Sacheigentum zugeordnet sei. 4 Diese rechtliche Zuordnung finde ihren Ausdruck unter anderem in den gegen jedermann wirkenden Schutzrechten, die dem Mieter eingeräumt seien. Er sei befugt, die gemietete Wohnung zu nutzen, §§ 535 S. 1, 536 BGB. Werde er widerrechtlich gestört, könne er die Beseitigung der Störung und das Unterlassen weiterer Störungen verlangen, § 862 Abs. 1, § 858 Abs. 1 BGB. Werde ihm der Besitz widerrechtlich entzogen, könne er die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen, § 861 Abs. 1 BGB. Diese Ansprüche stünden dem Mieter gegenüber jedermann zu, auch gegenüber dem Vermieter oder dem mit diesem nicht notwendig identischen Eigentümer. Rechtswidrige Eingriffe in das Recht zum Besitz verpflichteten den Schädiger zum Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB, da der Besitz als sonstiges Recht im Sinne dieser Bestimmung anerkannt sei. Das Besitzrecht erlösche auch nicht mit der Veräußerung des Grundstücks durch den Vermieter, sondern bestehe gegenüber dem Erwerber fort, § 571 BGB a. F. (= § 566 BGB n. F.). Auch darin finde die Zuordnung des Besitzrechts ihren Ausdruck. 5 Dieses Besitzrecht sei eine Vermögenswerte Rechtsposition, die eine Nutzungs- und Verfügungsbefugnis zum Inhalt habe. Zwar könne der Mieter über sein Besitzrecht nur eingeschränkt verfügen, da er insbesondere nur in den Grenzen des § 549 BGB a. F. (vgl. §§ 540, 553 BGB n. F.) die Sache Dritten zum Gebrauch überlassen könne. Diese Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Mieters stehe einer Anerkennung seines Besitzrechts als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG indessen nicht entgegen. Es sei keine Voraussetzung des Eigentumsschutzes, dass über die Rechte uneingeschränkt verfügt werden könne, diese insbesondere auch beliebig übertragbar seien. Es bestehe kein sachlicher Grund, derart ausgestaltete Rechte vom Schutz der Eigentumsgarantie auszunehmen. 6 4 5 6
BVerfGE 89, 1 (6) = N J W 1993, 2035 f. BVerfGE 89, 1 (7) = N J W 1993, 2035 (2036). BVerfGE 89, 1 (7) = N J W 1993, 2035 (2036); BVerfGE 83, 201 (209) = N J W 1991,1807.
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
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Das Besitzrecht des Mieters ende allerdings mit einer wirksamen Kündigung des Vermieters. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, gesetzliche Regelungen und fachgerichtliche Entscheidungen zum Mieterschutz könnten nicht zugunsten des Mieters am Maßstab des Art. 14 G G gemessen werden. Zwar schütze Art. 14 G G nur vorhandene Positionen. Der Fortbestand eines einmal entstandenen und durch Art. 14 G G als Eigentum erfassten Rechtes, also der Bestandsschutz, könne aber Gegenstand des Grundrechtsschutzes sein. Der Mieter habe schließlich keine originäre, sondern nur eine abgeleitete Beziehung zu dem von einem anderen geschaffenen Wohnraum. Er beanspruche Schutz gegenüber dem Vermieter, von dem er seine Rechte ableite und der ihm diese Rechtsposition in Wahrnehmung seiner privatrechtlichen Eigentümerbefugnisse überhaupt erst eingeräumt habe. Auch der Vermieter könne für aus dem Mietvertrag gegenüber dem Mieter fließende Ansprüche das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G in Anspruch nehmen. 7 Dies stehe der Anerkennung des Besitzrechts des Mieters als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G indessen nicht entgegen. Daraus folge vielmehr nur die N o t wendigkeit einer gesetzlichen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber müsse in Erfüllung seines Auftrages aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 G G die beiden miteinander konkurrierenden Eigentumspositionen inhaltlich ausgestalten, gegeneinander abgrenzen und die jeweiligen Befugnisse so bestimmen, dass die beiden Eigentumspositionen angemessen gewahrt bleiben. Die Befugnisse von Mieter und Vermieter zuzuordnen und abzugrenzen, sei danach Aufgabe des Mietrechts. Der Gesetzgeber habe die schutzwürdigen Interessen beider Seiten zu berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Ein Eigentumsschutz des Mieters für sein Besitzrecht diene dabei der Abwehr solcher Regelungen, die das Bestandsinteresse des Mieters gänzlich missachteten oder unverhältnismäßig beschränkten. Die Eigentumsgarantie bleibe also auch hier staatsgerichtet. Der Eigentumsschutz des Mieters unterscheide sich in seiner Struktur nicht von demjenigen des Vermieters und Eigentümers. Allerdings könne eine bestimmte Ausgestaltung des Mietrechts nicht aus dem Grundgesetz abgeleitet werden. Insbesondere folge aus dem Eigentumsschutz des Besitzrechts nicht, dass im Konflikt beider durch die Verfassung geschützten Eigentumspositionen das Bestandsinteresse des Mieters in jedem Falle vorgehe. Für die Regelfälle ordentlicher Kündigungen habe der Gesetzgeber die notwendige Interessenabwägung mit den §§ 564 b, 556 a B G B a. F. 7 BVerfGE 89, 1 (8) = N J W 1993, 2035 (2036); für Mietzinsforderungen: BVerfGE 37, 132 (141 f.) = N J W 1974, 1499; BVerfGE 49, 244 (247ff.) = N J W 1979, 31; BVerfGE 53, 352 (357 f.) = N J W 1980, 1617; BVerfGE 71, 230 (247) = N J W 1986, 1669 (1670); BVerfGE 79, 80 (84 f.) = N J W 1989, 969; für das Kündigungsrecht: BVerfGE 68, 361 (370) = N J W 1985, 2633 (2634); BVerfGE 79, 283 (289 f.) = N J W 1989, 972 (973); BVerfGE 79, 292 (302) = N J W 1989, 970 (971).
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
(vgl. §§ 573, 574 BGB n. F.) vorgenommen. 8 Auch die Fachgerichte hätten bei der Auslegung und Anwendung des § 564 b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten und müssten die im Gesetz auf verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachte und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeide. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das BVerfG zu korrigieren habe, sei erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Auslegungsfehler erkennen lasse, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht seien. 9 Vor diesem Hintergrund sah das Verfassungsgericht die landgerichtliche Entscheidung als verfassungsgemäß an. Es könne verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden, wenn der Selbstnutzungswunsch der Klägerin im Hinblick auf ihre schwere Erkrankung als vernünftig und nachvollziehbar angesehen wird. 1 0 Die Verfassungsbeschwerde des beklagten Mieters wurde daher unter anderem auch wegen fehlenden Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zurückgewiesen.
2. BVerfG, NJW1994, 41 (Kündigung
wegen
Überbelegung)
An die soeben dargestellte Grundsatzentscheidung knüpfte das BVerfG wenig später an, als es um eine Kündigung nach § 553 BGB a.F. (vgl. §§ 543 Abs. 2 Nr. 2, 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB n. F.) wegen Überbelegung der Wohnung ging. Die Beschwerdeführer hatten von der Klägerin 1977 eine 70 qm große Wohnung, bestehend aus vier Zimmern, einer Küche und einem Bad mit W C gemietet und mit ihren drei Kindern bezogen. Die älteste Tochter zog 1988 aus, hielt sich aber seit 1991 mit ihrem arbeitslosen Ehemann und ihren drei Kindern tagsüber permanent bei den Beschwerdeführern in der Wohnung auf, nachdem in ihrer eigenen Wohnung die Stromzufuhr gesperrt worden war. Als sich die anderen Mieter des Hauses über die höhere Wasserrechnung wegen ständigen Wäschewaschens sowie über Unrat und Müll im gesamten Haus beschwerten, mahnte die Klägerin die Beschwerdeführer zunächst ab und kündigte ihnen schließlich im Juni 1992. Nachdem das AG die Beschwerdeführer zur Räumung verurteilt und das LG die Berufung abgewiesen hatte, erhoben die Beschwerdeführer mit Erfolg Verfassungsbeschwerde.
8 9
BVerfGE 89, 1 (9) =NJW 1993, 2035 (2036). BVerfGE 89, 1 (10) = NJW 1993, 2035 (2036); bestätigt durch BVerfG, NJW-RR 1999,
1097. 10
BVerfGE 89, 1 (10 f.) = NJW 1993, 2035 (2037).
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
133
Das Verfassungsgericht verweist hier erneut auf Auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG als Prüfungsmaßstab. Das Besitzrecht an einer gemieteten Wohnung sei Eigentum im Sinne dieser Freiheitsgewährung. Der Vertragstreue Mieter werde danach gegen einen Verlust seiner Wohnung geschützt, der nicht durch berechtigte Interessen des Vermieters begründet sei. Die Wohnung als der räumliche Mittelpunkt der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit, als Freiraum eigenverantwortlicher Betätigung dürfe ihm nicht ohne beachtliche Gründe durch Kündigung entzogen werden. Soweit der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und von Art. 6 GG berührt sein könnten, träten diese Bestimmungen hinter Art. 14 Abs. 1 GG zurück. Die Vorschrift des § 553 BGB a. F. halte den genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen stand. Nach ihrer einfachrechtlichen Auslegung durch den BGH setze eine fristlose Kündigung wegen Uberbelegung neben der Vertragswidrigkeit des Gebrauchs der Mietsache zusätzlich voraus, dass die Vermieterrechte erheblich verletzt worden sind. Da aber nach den Instanzgerichten im vorliegenden Fall eine unzulässige Überlassung der Wohnung an „Dritte" nicht vorgelegen habe, erfordere die Feststellung einer erheblichen Verletzung der Rechte des Vermieters eine Abwägung der Interessen beider Parteien nach den besonderen Umständen des Einzelfalles; dabei seien an die Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung hohe Anforderungen zu stellen, weil sie regelmäßig einen schweren Eingriff in den persönlichen Lebensbereich der Benutzer darstelle. 11 Diese im Gesetz auf verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck kommende Interessenabwägung müssten die Gerichte in einer Weise nachvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachte und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeide. Der Eigentumsschutz des Mieters stehe daher gerichtlichen Entscheidungen entgegen, die Bedeutung und Tragweite von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG für das Besitzrecht verkennen. 12 Dies sei vorliegend der Fall, da das LG in seiner Berufungsentscheidung bei der Frage, ob Rechte des Vermieters in erheblichem Maße verletzt sind, Bedeutung und Tragweite des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG grundsätzlich verkannt habe. Weil die Tochter mit ihrer Familie die Wohnung nicht zum Schlafen nutzte und auch vormittags nicht anwesend war, habe es sich allenfalls um eine „einfache" Uberbelegung gehandelt. Das LG habe auch nicht unberücksichtigt lassen dürfen, dass das Verhalten der Beschwerdeführer jedenfalls im Verhältnis zu ihren Angehörigen vor der Wertordnung des Grundgesetzes, insbesondere Art. 6 GG, Achtung verdiene.
11 12
BVerfG, N J W 1994, 41 (42), unter Hinweis auf BGH, N J W 1993, 2528 (2529 f.). BVerfG, N J W 1994, 41 (42).
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
3. BVerfG, NJW 2000, 2658 (Duldung eines Treppenhauslifteinbaus) Den vorläufig letzten Schritt zum Ausbau des verfassungsrechtlichen Mietereigentums stellt die Entscheidung des BVerfG vom 28.3.2000 dar, in der es um die Verpflichtung des Vermieters ging, den Einbau eines Treppenhauslifts zu dulden. Der Beschwerdeführer lebte seit 1992 mit seiner bereits bei Mietbeginn querschnittsgelähmten Lebensgefährtin im zweiten Obergeschoss einer Berliner Mietwohnung. Da seine Lebensgefährtin auf den Rollstuhl angewiesen war und von ihm täglich durch das Treppenhaus getragen werden musste, bot der Beschwerdeführer dem Vermieter an, auf eigene Kosten einen Treppenlift einzubauen und diesen bei seinem Auszug aus der Wohnung wieder auszubauen. Der Vermieter willigte nicht in den Umbau ein, weil durch den Einbau und den Betrieb des Lifts zusätzliche Verkehrssicherungspflichten und Haftungsrisiken entstünden. Die Treppenbreite würde durch den Einbau der elektrischen Anlage bis auf 89 cm verengt, was Unfallrisiken nach sich ziehe. Das LG ging in seinem Berufungsurteil davon aus, dass der Mieter grundsätzlich nicht zu baulichen Veränderungen des allen Mietern dienenden Treppenhauses berechtigt sei. Ein Anspruch des Mieters auf Duldung von Umgestaltungen außerhalb der Mieträume sei allenfalls denkbar, wenn sich die Verweigerung der Umgestaltung als Schikane darstelle, was hier jedoch angesichts der sachlichen Gründe für die Weigerung des Vermieters nicht der Fall sei. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, der das Gericht zumindest sinngemäß auch die Geltendmachung der Verletzung seines auf Art. 14 Abs. 1 GG gestützten mietvertraglichen Besitzrechts entnahm, drang der Mieter schließlich doch durch. Das Verfassungsgericht geht davon aus, dass es dem LG oblag, nach Maßgabe des das Vertragsrecht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 BGB, darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Beschwerdeführer die bauliche Umgestaltung verlangen kann. In diesem Zusammenhang sei es Aufgabe des Fachgerichts, die widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. 13 Bei der danach erforderlichen Abwägung der widerstreitenden Belange habe das LG verkannt, dass das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers nicht nur das Recht des Mieters zur Nutzung der Wohnung umfasse. Da der Mieter die Wohnung lediglich nutzen könne, wenn der Zugang zur Wohnung gewährleistet sei, gehöre zum Besitzrecht des Mieters auch das Recht zur Mitbenutzung des Treppenhauses, das zu seiner Wohnung hinführt. Das eigentumskräftige Recht, im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs über die Art und Weise der Nutzung der Wohnung 13
BVerfG, NJW 2000, 2658 (2659).
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer im Sinne des Art. 14 GG
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zu bestimmen, ermächtige den Mieter grundsätzlich ebenso zur Aufnahme seines Lebenspartners in die Wohnung. 14 Da sich dies nur verwirklichen lasse, wenn dem Lebenspartner auch der Zugang zur Wohnung eröffnet sei, erstrecke sich das Recht des Mieters im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G schließlich auch darauf, dass dem Lebensgefährten der Zugang zur Wohnung gewährt werde. Sei der Zugang in diesem Sinne gewährleistet, so könne der Mieter aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G grundsätzlich kein weiter gehendes Recht auf Zustimmung zur baulichen Umgestaltung des Treppenhauses herleiten. Die bauliche Gestaltung der allen Mietern dienenden Gemeinschaftsanlage unterliege, soweit nichts anderes vereinbart ist, der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Vermieters. Etwas anderes gelte indessen, wenn der Zugang aufgrund einer Behinderung erheblich erschwert sei. Hier gelte das Verbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 G G , wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe. Dieses Verbot sei Grundrecht und zugleich objektive Wertentscheidung, die als Teil der objektiven Wertordnung auch in die Auslegung des Zivilrechts einfließe. Die danach erforderliche Abwägung der divergierenden Interessen habe das L G im Rahmen des § 242 B G B nicht vorgenommen.
II. Analyse und Stellungnahme 1. Das Umfeld der verfassungsrechtlichen
Neuorientierung
Die Anerkennung des Besitzrechts des Mieters an der gemieteten Wohnung als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G durch den Beschluss vom 26.5.1993 hat nicht nur die Öffentlichkeit verwirrt, 15 sondern auch die Fachwelt überrascht. Das BVerfG hatte schon 1964 festgestellt, dass der Mieterschutz keine selbständige Rechtsposition sei, die als solche durch Art. 14 G G geschützt sein könnte, sondern eine Verstärkung der vertraglichen Rechte des Mieters. Dabei trete das Recht des Mieters in Konflikt mit dem seinerseits durch Art. 14 G G geschützten Eigentum des Vermieters. 16 Die Frage nach der grundrechtlichen Qualität des Mietbesitzes wurde offengelassen. 17 Dementsprechend ging auch die herrschende Lehre davon aus, dass die Rechtsstellung des Mieters keine selbständig durch Art. 14 G G geschützte Rechtsposition sei, sondern lediglich eine Art Rechtsreflex darstelle. 18 Der im ersten Senat des
BVerfG, NJW 2000, 2658 (2659); BVerfGE 82, 6 (16) = N J W 1990,1593 (1595). Unmittelbar nach Veröffentlichung des Beschlusses fanden sich in der Tagespresse zum Teil sogar Schlagzeilen wie: „Mietern gehört jetzt praktisch ihre Wohnung", vgl. Finger, ZMR 1993,545 m.w.N. 16 BVerfGE 18,121 (131) = NJW 1964, 1848 (1850). 17 BVerfGE 18,121 (131) = NJW 1964, 1848 (1850); BVerfGE 83, 82 (88) = NJW 1991,157 (158). 18 Roellecke, NJW 1992, 1649 (1651); Leisner, HdbStR VI, § 149, Rn. 6 mit Fn. 16; Leib14
15
136
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
Gerichts für Fragen des Mietrechts zuständige Berichterstatter Henschel hatte noch wenige Jahre vor dem Beschluss ausführlich seine ablehnende Stellungnahme gegenüber einem eigenen Grundrecht des Mietbesitzers begründet. 19 Dies geschah vor dem Hintergrund vereinzelter Literaturstimmen, die bereits in den siebziger Jahren die Anerkennung eines aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG hergeleiteten Grundrechtsschutz des Mieters gefordert hatten. So wurde geltend gemacht, die gesellschaftliche Bedeutung angemessener Wohnungsversorgung lege den Ausbau verfassungsrechtlicher Gewährleistung zugunsten des Mieters nahe. 20 Weiter wurde vorgebracht, dass der Schutz der Mieterinteressen in der Rechtsprechung des BVerfG bislang bloße Hypothese geblieben und de facto auf der Ebene des bloßen Rechtsreflexes eingeordnet worden sei. 21 Erst die Höherstufung der Mieterinteressen zu grundrechtlich geschütztem Eigentum werde ihnen bei der Abwägung mit den Vermieterbelangen den Schutzbereich sichern, welcher ihnen zukomme. Da nur beim Mieter die unmittelbare Objektnutzung gegeben sei, welche das Wesen der Eigentumsnutzung nach der Rechtsprechung des BVerfG eigentlich kennzeichne, müsse den Mieterinteressen sogar der Vorrang vor den Vermieterbelangen eingeräumt werden. 22 Diesen Forderungen, die im Grunde nichts anderes waren als ein kaum verhülltes politisches Plädoyer für eine Umgestaltung der bisherigen Eigentumsordnung, war Henschel zu Recht energisch entgegengetreten. Er sieht die Mieterinteressen als objektivrechtliche Gemeinwohlbelange durch Art. 14 Abs. 2 GG geschützt. Diese Norm bilde zwar die spezialgesetzliche Schranke für die Ausgestaltung der Eigentümerbefugnisse und zugleich den Auftrag an den Gesetzgeber, auf die Mieterbelange Bedacht zu nehmen. Sie enthalte jedoch keine Verbürgung zugunsten der Mieter. 23 Der Hinweis auf die „gesellschaftliche Bedeutung" der Wohnungsversorgung und auf eine weitgehende Verdinglichung der Mieterstellung seien demgegenüber nicht mehr als eine petitio principii. Schließlich versage das Argument der unmittelbaren Objektnutzung spätestens dann, wenn der Eigentümer seine Befugnisse in der Gestalt der Eigenbedarfskündigung gerade mit dem Ziel ausübt, die Wohnung selbst zu nutzen. Im Übrigen sei es ohnehin sehr zweifelhaft, aus der bloßen Tatsache unmittelbarer Objektnutzung auf eine Grundrechtsposition des holz/Rinck, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 1971, Art. 14, Anm. 8 n; für einen eigenen Grundrechtsschutz des Mieters aus Art. 14 GG freilich bereits Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Kommentar, 4. Aufl. 1992, Art. 14, Rn. 14. 19 Henschel, NJW 1989, 937 (938 f.). 20 Vgl. Derleder/Winter, JZ 1976, 657 (658); Derleder, in: AK-BGB, Vorb. §§ 535 ff., Rn. 56. 21 Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 333 f.; Derleder, in: AK-BGB, Vorb. §§ 535 ff., Rn. 56. 22 Rittstieg, S.331. 23 Henschel, NJW 1989, 937 (938).
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer im Sinne des Art. 14 GG
137
Mieters aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G schließen zu wollen. Zum einen gehöre auch die Veräußerung des Gegenstandes zu den elementaren Befugnissen des Eigentümers, die nur unter erschwerten Voraussetzungen eingeschränkt werden dürften. In einer auf Austausch gerichteten Gesellschaft könnten die erforderlichen Lebenssubsidien in den seltensten Fällen durch unmittelbaren Gebrauch der eigenen Gegenstände beschafft und erhalten werden. Zum anderen habe der Mieter aber auch keine originäre Beziehung zum fremdgeschaffenen Eigentumsgegenstand, sondern eine derivative, da er seine Rechte von dem ableitet, der ihm seine Rechtsposition in Wahrnehmung seiner Eigentumsbefugnisse überhaupt erst verliehen hat. 2 4 Angesichts dieser Umstände ist es bemerkenswert, wie deutlich und uneingeschränkt sich das B V e r f G dann wenig später für die Anerkennung des Besitzrechts des Mieters als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G aussprach. D i e gesamten Ausführungen zum Eigentumsgrundrecht des Mieters in der Leitentscheidung B V e r f G E 8 9 , 1 waren auf die Würdigung des konkret zu entscheidenden Falles ohne Auswirkungen. D i e Eigenbedarfskündigung der Klägerin wurde für wirksam gehalten und die Verfassungsbeschwerde des Mieters abgewiesen. Es handelte sich also um ein obiter dictum, für das der vorliegende Einzelfall nur der Anlass war, die neue Linie des Gerichts zu verkünden.
2. Zur Argumentationsstruktur
im
Einzelnen
Es fällt auf, dass die Argumentation des Verfassungsgerichts im Kern auf zwei rechtssoziologischen Beobachtungen aufbaut, deren Tatbestand als M o tivation für ein bestimmtes gesetzgeberisches Verhalten gedeutet wird. D e n ersten rechtstatsächlichen Befund drückt das B V e r f G in dem Axiom aus, dass die Wohnung für jedermann Mittelpunkt seiner privaten Existenz sei. Wenn dem so ist, stellt sich allerdings die Frage, was mit dem Mittelpunkt der privaten Existenz derer ist, die über mehrere Wohnungen gleichzeitig, oder über gar keine Wohnung verfügen. Durch die weitere Aussage, dass der Einzelne auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen sei, wird die Wohnung gleichsam aus dem Kreis der „gewöhnlichen" Gegenstände des persönlichen Gebrauchs herausgehoben und zu etwas Besonderem erhöht. Zu einer solchen, fast schon metaphysischen Sockelbildung besteht indessen kein Anlass. Wohnungen sind gewöhnliche Gebrauchsgegenstände wie andere auch. D i e Tatsache, dass große Teile der Bevölkerung in ihrer Wohnung vielleicht mehr Zeit verbringen, als an anderen Orten, rechtfertigt für sich genommen noch keine grundlegend andere rechtliche Behandlung. 24
Henschel, NJW 1989, 937 (939).
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
Die zweite Beobachtung gilt dem Umstand, dass der Großteil der Bevölkerung zur Deckung seines Wohnbedarfs nicht auf Eigentum zurückgreifen könne, sondern gezwungen sei, Wohnraum zu mieten. Aus diesem Gesamtbefund wird gefolgert, dass das Besitzrecht des Mieters gerade die Funktionen übernehme, die typischerweise dem Sacheigentum zukämen. Dagegen ist im Grunde wenig einzuwenden. Daran ist zwar richtig, dass die Miete eines Gegenstandes häufig genug den vom Mieter verfolgten Gebrauchszweck erfüllt, so dass der Erwerb des Gegenstandes nicht erforderlich ist. Damit wird jedoch nur begründet, warum eine Wohnung für Menschen wichtig ist. Mit derselben Überlegung könnte man auch das Eigentum an anderen Miet- bzw. Leasingobjekten wie Kraftfahrzeugen oder Computern begründen, auf die der Mieter, etwa zur Berufsausübung, „existenziell" angewiesen ist. Darüber hinaus lässt das BVerfG völlig außer Betracht, dass die Entscheidung für Miete statt Kauf häufig genug auch das Ergebnis einer bewussten ökonomischen Abwägung ist. Noch gravierender ist die vom Verfassungsgericht aus dem erstellten Befund gezogene Schlussfolgerung auf die vermeintliche gesetzgeberische Motivation zur Regelung des Rechts des Besitzes. Die Behauptung, der Gesetzgeber habe mit der Ausgestaltung des Besitzrechts der vorbeschriebenen Bedeutung der Wohnung Rechnung tragen wollen, ist in dieser Allgemeinheit schlicht unzutreffend. Das Recht des Besitzes als die Summe der Vorschriften, die das tatsächliche Sachherrschaftsverhältnis einer Person zu einer Sache regeln, ist eine umfassende Materie, die sich nicht an Wohnungen als einem Teilausschnitt möglicher Herrschaftsgegenstände ausrichtet. Zwar findet eine Reihe von besonderen mietrechtlichen Bestimmungen zugunsten des als besonders schutzbedürftig angesehenen privaten Wohnungsmieters Anwendung, wie etwa §§ 551,563 a, 563 b, 569 Abs. 4 , 5 7 3 , 5 7 4 ff., 575,577 B G B . Aus derartigen Sonderregelungen lassen sich jedoch keine allgemeinen, dem Sacheigentum angenäherten Besitzrechtsfunktionen ableiten, und auch das Verfassungsgericht stützt sich gerade nicht auf diese Normen. Auch die vom BVerfG gegebenen Beispiele, die belegen sollen, dass das Besitzrecht eine privatrechtliche Rechtsposition darstelle, die dem Mieter wie Sacheigentum zugeordnet sei, sind nur von begrenzter Überzeugungskraft. Zwar ist es zutreffend, die Zuordnung der Sachnutzung im Verhältnis von Mieter und Vermieter dem Mietvertrag zu entnehmen, § 535 Abs. 1 B G B . 2 5 Auf ein falsches Gleis gerät die Argumentation des Verfassungsgerichts dagegen schon mit dem Hinweis auf die Besitzschutzansprüche der §§858 ff. B G B . Der possessorische Besitzschutz dient, wie bereits dargelegt wurde, gerade nicht in erster Linie den Interessen des Besitzers, sondern verfolgt das Ziel der allgemeinen Friedenserhaltung als präventives Mittel. Aus diesem 25
Vgl. unten, Teil 2, 3. Kapitel, C. II. 2. (S. 234 ff.).
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
139
Grunde knüpft er bewusst nicht an eine Berechtigung des Besitzers an und kann schon deshalb keine Zuordnungsfunktion ausüben. Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Besitz, besser gesagt der berechtigte Besitz, als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B „anerkannt" sei, wenn man für eine solche Anerkennung nicht nur auf die herrschende Auffassung abstellt. 26 Im Übrigen muss die Einordnung des Besitzes als deliktisch geschütztes Rechtsgut im vorliegenden Zusammenhang außer Betracht bleiben, weil die Frage nach dem Deliktsschutz gerade der größere Rahmen der hier angestellten Überlegungen ist. Richtig ist dagegen, dass § 5 6 6 B G B eine Form von mietrechtlichem Sukzessionsschutz gewährt. Andererseits ist dem BVerfG wiederum insoweit zu widersprechen, als es in dem Besitzrecht eine Vermögenswerte Rechtsposition sieht, die nicht nur eine Nutzungs-, sondern auch eine Verfügungsbefugnis zum Inhalt habe. Da dem Mieter keine Befugnis zur Verfügung über das Eigentum des Vermieters zukommt, kann sich der von der Verfassungsrechtsprechung verwendete Begriff der Verfügungsbefugnis nur im untechnischen Sinne auf die eigene Nutzungs- und Gebrauchsbefugnis des Mieters beziehen. Insoweit räumt das BVerfG allerdings selbst ein, dass der Mieter nach § 549 B G B a. F. (vgl. §§ 540, 553 B G B n.F.) grundsätzlich gerade kein eigenständiges Recht hat, Dritten den Gebrauch an der Mietsache zu überlassen. Worin bei dieser Rechtslage eine eigene „Verfügungsbefugnis" des Mieters liegen soll, bleibt unklar. Von besonderer Bedeutung ist schließlich der Hinweis des Verfassungsgerichts darauf, dass das Besitzrecht des Mieters mit der wirksamen Kündigung des Vermieters endet. Einerseits wird dadurch nochmals deutlich, dass das BVerfG nicht etwa jeden Besitzer bereits aufgrund seiner tatsächlichen Sachherrschaft nach § 854 B G B , sondern erst und nur soweit als Besitzberechtigten betrachtet, als ein wirksamer Titel die Berechtigung zur Ausübung der Sachherrschaft einräumt. Andererseits wird dieser Vorteil an Rechtsklarheit sogleich wieder dadurch eingebüßt, dass das Gericht im nächsten Satz hervorhebt, der Fortbestand eines einmal entstandenen und durch Art. 14 G G als Eigentum erfassten Rechts, also der Bestandsschutz, könne Gegenstand des Grundrechtsschutzes sein. Es fragt sich, welche Rechtsposition es sein soll, die dem Mieter nach wirksamer Kündigung des Vermieters noch verbleibt und die Gegenstand des Eigentumsschutzes sein kann. Das dem öffentlichen Recht entlehnte Wort des Bestandsschutzes legt die Vorstellung einer Art Nachwirkung des früheren Besitzrechts des Mieters nahe, doch ist dieser Gedanke dem Zivilrecht fremd. Weder hierzu noch zu den Wirkungen eines solchen Bestandsschutzes äußert sich die Entscheidung im Einzelnen.
26
Vgl. dazu im Einzelnen unten, Teil 2, 4. Kapitel, A. II. (S. 261 ff.).
140
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
3. Das Besitzrecht als schuldrechtliche
Forderung
Ein ganz anderes, stimmigeres Bild ergibt sich dagegen, wenn man die verschiedenen Argumente des B VerfG und die dahinter stehende Vorstellung mit dem oben entwickelten Verständnis des schuldrechtlichen Rechts zum Besitz im Sinne des § 986 B G B verbindet. Begreift man das obligatorische Recht zum Besitz als die Berechtigung, die weitere Belassung des Besitzes vom Vermieter verlangen zu können, und damit als ein Forderungsrecht, so ergibt sich daraus auch eine relative Zuordnung der tatsächlichen Sachherrschaft im Verhältnis Vermieter zu Mieter. Grundlage dieser Zuordnung ist der geschlossene Mietvertrag, § 535 Abs. 1 B G B . Die Anordnung des Sukzessionsschutzes in § 566 B G B stellt sich demgegenüber als zwar wichtige, aber dennoch begrenzte Ausnahme dieser Relativität dar. Inhaltlich richtet sich das Forderungsrecht des Mieters nach Ausgestaltung und Zweck des konkreten Mietvertrages. Dieser bestimmt in den Grenzen des Gesetzes damit zugleich die Nutzungsbefugnis des Mieters. Die Gebrauchsüberlassung an Dritte ist nach §§ 540, 553 B G B dagegen grundsätzlich keine Nutzungshandlung, die dem Mieter zugeordnet ist, sondern es bleibt prinzipiell dem Vermieter vorbehalten, diese Nutzungshandlung dem Mieter zusätzlich einzuräumen. Begreift man das Besitzrecht des Mieters als Bestandteil und Folge seiner schuldrechtlichen Forderung gegen den Vermieter, liegt es auch auf der Hand, dass sein Besitzrecht mit der wirksamen Kündigung des Mieters wie auch des Vermieters enden muss. Insgesamt bestehen daher aus diesem Blickwinkel grundsätzlich auch keine Bedenken, das Besitzrecht des Mieters unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G zu fassen. Ebenso, wie sonstige Forderungen im „Eigentum" ihres Inhabers stehen und daher den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz genießen, 27 ist auch das Besitzrecht des Mieters als schuldrechtliche Forderung Teil des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes. Eine solche Einordnung in das Gefüge der Grundrechte führt zu sachgerechten Ergebnissen, solange man sich zweier Umstände stets bewusst bleibt. Dies ist zum einen die Erkenntnis, dass die Interessen des Mieters und des vermietenden Sacheigentümers nicht gleichrangig sind und zum anderen die Abhängigkeit des Besitzrechts des Mieters vom Fortbestand des Mietvertrages. Die fehlende Ranggleichheit der sich gegenüberstehenden Interessen bedarf deshalb besonderer Betonung, weil die Verfassungsrechtsprechung nicht bei dem Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber staatlichem Handeln stehengeblieben ist, sondern in ihnen zugleich den Ausdruck einer objektiven Wertordnung sieht, die in die Auslegung auch des Zivilrechts einfließe und dadurch zu einer mittelbaren Drittwirkung der Grund17 Etwa für Kaufpreisforderungen nach § 433 Abs. 2 BGB BVerfGE 45, 142 (179) = NJW 1977, 2024 (2027); BVerfGE 68, 193 (222) = N J W 1985, 1385 (1389); BVerfGE 83, 201 (208, 210)= NJW 1991, 1807.
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
141
rechte führt. 28 Die Abhängigkeit des Besitzrechts vom Mietvertrag ist Folge seines Charakters als eines auf entgeltliche Gebrauchsüberlassung auf Zeit gerichteten Dauerschuldverhältnisses. Der Anspruch des Mieters auf Gebrauchsüberlassung - etwa bei einem unbefristeten Mietvertrag - unterscheidet sich daher von anderen Forderungen, etwa dem Kaufpreisanspruch nach § 433 Abs. 2 BGB, dadurch, dass der Bestand seiner Forderung in der Zukunft nicht allein von seinem Willen abhängt. Da der Vermieter - idealtypisch - jederzeit den Mietvertrag kündigen kann, hat er auch Einfluss auf die Dauer des Besitzrechts des Mieters. Ist der Mietvertrag wirksam gekündigt worden, besteht daher auch kein Besitzbelassungsanspruch des Mieters mehr, der Gegenstand des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sein könnte. Diesen Unterschied ebnet das BVerfG ein, wenn es, ohne nähere Erklärung, von einem Fortbestand eines einmal entstandenen Rechts, 29 also von einer Art „überwirkenden Bestandsschutz" für das Besitzrecht des Mieters ausgeht.
4. Konsequenzen und Gefahren des verankerten Besitzrechts
verfassungsrechtlich
Die Literatur ist in ihrer Haltung zu der Neuausrichtung der Mieterposition im Gefüge des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gespalten. Während das öffentlichrechtliche Schrifttum dem BVerfG weitgehend folgt, 30 überwiegen im Zivilrecht die kritischen Stellungnahmen. 31 Zwar lässt sich die unmittelbar nach der Leitentscheidung BVerfGE 89, 1 zum Teil befürchtete Zunahme von Verfassungsbeschwerden in Räumungsprozessen unterlegener Mieter, gemessen an den veröffentlichten Entscheidungen, bis heute nicht signifikant feststellen. Dies besagt indessen nichts über mögliche mittel- und langfristige Entwicklungen, für deren Tendenz bereits heute auf unterschiedlichen Ebenen Anzeichen erkennbar sind. Aus dem gleichen Grund besteht auch keine Veranlassung, sich mit den beschwichtigenden Äußerungen zu begnügen, mit denen die neuere Rechtsprechung des BVerfG zum Teil begrüßt wurde. Schon Dazu sogleich unter 4. a. BVerfGE 89, 1 (7) = NJW 1993, 2035 (2036). 30 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG-Kommentar, 5. Aufl., Art. 14, Rn. 14; Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl. 2000, Art. 14, Rn. 9; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 200; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Band I, 1996, Art. 14, Rn.27, 39; Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 1999, Art. 14, Rn. 24; Glos, S. 107 ff., 113; v. Mutius, Gedächtnisschrift f. Sonnenschein, S.61 (81 ff.); kritisch dagegen Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 1,4. Aufl. 1999, Art. 14, Rn. 157; ders., NJW 1993, 2561; ders., in: FS f. Leisner, S.277 (296 ff.); Roellecke, JZ 1995, 74; Sendler, NJW 1994, 709; Sieckmann, S. 157 ff. 31 Diederichsen, Jura 1997, 57 (61 ff.); Emmerich, DWW 1993, 313 (320); ders., in FS f. Gitter, S. 241 ff.; Finger, ZMR 1993, 545; Rüthers, NJW 1993, 2587; Stemel, MDR 1993, 729 (731); zustimmend dagegen Derleder, WuM 1993, 514; Ihler, AcP 197 (1997), S. 565 ff.; C. Möller, AcP 197 (1997), S. 537 (552 ff.). 28
29
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Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel: Zur Rechtsnatur des Besitzes
jetzt zeichnet sich ab, dass der Mietbesitz als Eigentum im Sinne des Verfassungsrechts weit mehr bedeutet als eine „leicht verbesserte Argumentationsbasis" 32 für den Mieter. Die zivilrechtlichen Konsequenzen lassen sich sowohl auf der individuellen Ebene der Vertragsparteien als auch auf der Ebene der Gesetzgebung ausmachen. a) Folgen für das
Individ.ua.lverhältnis
Der vorliegende Fragenkreis ist in die grundsätzliche Problematik des Verhältnisses von Verfassungsrecht und bürgerlichem Recht eingebettet. Nachdem die Theorie der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte lange Zeit nahezu unangefochten ihren Platz behauptete, mehren sich in der jüngsten Zeit die kritischen Stellungnahmen. So wird etwa gefordert, die Figur der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zugunsten des Konzepts der grundrechtlichen Schutzpflicht aufzugeben. 33 Darüber hinaus wird verstärkt in grundsätzlicher Weise ein „Grundrechtsübergriff" auf das Zivilrecht beklagt, der mangels methodischer Fundierung die Zivilrechtsdogmatik zu zersetzen und die Grenze zwischen „Recht und Unrecht" zu verwischen drohe. 34 Es ist hier nicht der Ort, diese Diskussion im Einzelnen auszubreiten. Gleichwohl erscheint das verfassungsrechtliche Eigentum des Mieters, wie im Folgenden näher gezeigt werden soll, als ein deutliches Beispiel für eine im Grunde überflüssige und schädliche Überladung zivilrechtlicher Rechtspositionen durch eine vermeintlich grundrechtlich vorgeprägte objektive Wertordnung. In der Kritik an dieser Entwicklung liegt keine Ausrufung der „Grundrechtsfreiheit des Privatrechts", 35 sondern ein Anstoß zur Rückbesinnung auf die Eigenständigkeit des Zivilrechts und den Gestaltungsspielraum des Zivilrechtsgesetzgebers. In diesem Sinne hatte bereits Dürig vor einem „Zerstörungswerk in systematischer Hinsicht" gewarnt und die „Eigenverantwortlichkeit des Privatrechts für Lösungsmodalitäten" angemahnt. 36 Zwar wandte sich Dürig seinerzeit gegen die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Gerade die Rechtsprechung des BVerfG zum Eigentum des Mieters verdeutlicht jedoch, dass die Verfassungsrechtsprechung trotz des steten BeSo Derleder, WuM 1993, 514 (523). Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 33, 35 ff.; ders., HdbStR V, § 111, Rn. 1 ff., 86 ff.; ders., in: FS f. Großfeld, S. 485 (497 f.); ähnlich Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225 ff.). Kritisch gegenüber der Schutzgebotsfunktion der Grundrechte freilich wiederum Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 (248 ff.). 34 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff.; ders., Jura 1997, 57 (63 f.); Isensee, in: FS f. Großfeld, S. 485 ff.; Leisner, NJW 1997, 636; Medicus, AcP 192 (1992), 35 (54 ff., 70). 35 So der Eindruck bei Limbach, in: Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/35, 1999, S. 383 (387); Volkhart Schmidt, in: Verhandlungen des 61. Deutschen Juristentages Karlsruhe, Band II 1, O 43 (44). 36 Dürig, in: FS f. H. Nawiasky, S. 157 (165, 176 ff., 181). 32 33
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
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kenntnisses zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte der Sache nach längst auf dem Weg zur unmittelbaren Geltung der Grundrechte ist. aa) Verschiebung von Rechtspositionen In ihrer ursprünglichen Funktion kommt den Grundrechten die Aufgabe zu, Eingriffe des Staates in die Rechte des Bürgers abzuwehren. Uber diese Abwehrfunktion ist das BVerfG indessen bereits früh hinausgegangen. Spätestens seit dem Lüth-Urteil 3 7 entnimmt das Verfassungsgericht den Grundrechten in ständiger Rechtsprechung zugleich allgemeine Wertentscheidungen, an denen sich das gesamte Recht auszurichten hat. 38 Das Grundgesetz habe in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet, deren Wertsystem als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten. Dadurch beeinflusse es auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift dürfe in Widerspruch zu ihm stehen, jede müsse in seinem Geiste ausgelegt werden. 39 Die Ausrichtung des bürgerlichen Rechts an dieser objektiven Wertordnung erfolge vor allem über die Generalklauseln und die „wertausfüllungsbedürftigen" Rechtsbegriffe. 40 Durch diese mittelbare Drittwirkung der Grundrechte werden die in ihrer Abwehrfunktion wurzelnden Grundrechtspositionen auf die Ebene der privatrechtlichen Beziehungen der Bürger untereinander transformiert. Da sich aber jeder Bürger in einer Konfliktsituation auf das ein oder andere für ihn streitende Grundrecht, zumindest aber auf das „Auffanggrundrecht" der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 G G berufen kann, ist eine Güterabwägung erforderlich: Eine grundrechtlich geschützte Position muss zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang verletzt würden; ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist auf Grund aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. 41 Der hierin liegende bewusste Verzicht auf eine allgemeine Rangfolge der Grundrechtspositionen führt zu einer generellen Gleichrangigkeit, die nur durch die besonderen Umstände des Falles zum Vorrang der einen oder anderen Rechtsposition führt. In Fortsetzung seiner ständigen Rechtsprechung überträgt das BVerfG diese Argumentation nunmehr auch auf die Eigentumsposition des Mietbesitzers. Nachdem das Verfassungsgericht festgestellt hat, dass sowohl der Mieter als auch der Vermieter für ihre jeweils aus dem Mietvertrag fließenden Ansprüche das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G in Anspruch nehmen kön37 38 39 40 41
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
7,198 (205) = N J W 1958, 257. 73, 261 (269) = N J W 1987, 827. 7, 198 (205) = N J W 1958, 257. 7, 198 (206) = N J W 1958, 257; BVerfGE 73, 261 (269) = N J W 1987, 827. 7, 198 (210 f.) = N J W 1958, 257 (258).
144
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
nen, weist es darauf hin, dass es Aufgabe des Mietrechts ist, die Befugnisse von Mieter und Vermieter zuzuordnen und abzugrenzen. Der Eigentumsschutz des Mieters für sein Besitzrecht diene dabei der Abwehr solcher Regelungen, die das Bestandsinteresse des Mieters gänzlich missachten oder unverhältnismäßig beschränken. Die Eigentumsgarantie bleibe insoweit staatsgerichtet. 42 Nach dieser Betonung der Abwehrfunktion gelangt das Gericht sogleich zur mittelbaren Drittwirkung, indem es die Fachgerichte darauf hinweist, dass diese bei der Auslegung und Anwendung des Kündigungsgrundes nach § 564 b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB a. F. ebenfalls die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten haben. Dabei wird deutlich, dass das BVerfG von der Gleichrangigkeit der Grundrechtspositionen des Mieters und des Vermieters ausgeht. So wird darauf hingewiesen, dass sich der Eigentumsschutz des Mieters in seiner Struktur nicht von demjenigen des Vermieters und Eigentümers unterscheide. 43 Dem entspricht die Verpflichtung der Fachgerichte, die im Gesetz auf verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachzuvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeidet. 44 Die Folge dieser im Ausgangspunkt als gleichgewichtig angenommenen Grundrechtspositionen und ihrer Transformation auf die Privatrechtsebene als mittelbare Drittwirkung ist eine Verschiebung der durch das Zivilrecht austarierten Rechte und Pflichten. Die Lage des Mieters wird durch die grundrechtliche Untermauerung aufgewertet und wirkt sich dadurch in privatrechtlichen Konfliktfällen zu Lasten des Vermieters aus - es findet eine zivilrechtliche Umverteilung von Rechtspositionen statt. Dieser Prozess lässt sich an mehreren Beispielen aufzeigen. Zunächst ist hier auf das Verhältnis der Eigenbedarfskündigung nach § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Härteklausel nach § 556 a BGB a. F. einzugehen. Es entsprach der bisherigen gefestigten Rechtsprechung, dass im Rahmen des § 564 b a. F. keine Abwägung des Erlangungsinteresses des Vermieters gegenüber dem Bestandsinteresse des Mieters notwendig ist. Das generelle Interesse des Mieters an der Beibehaltung der Wohnung wird bereits dadurch berücksichtigt, dass die Kündigung des Vermieters von den Voraussetzungen des Eigenbedarfs abhängig gemacht und damit eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Demgegenüber sind die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall nur auf dessen Widerspruch nach § 556 a BGB a. F.zu berücksichtigen. 45 Danach kam es für die Eigenbedarfskündigung nach § 564 b Abs. 2
42 43 44 45
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
89, 89, 89, 79,
1 (8) =NJW 1993, 2035 (2036). 1 (8, 10) = NJW 1993, 2035 (2036 f.). 1 (9) =NJW 1993, 2035 (2036). 292 (302 f.) = NJW 1989, 970 (971); BVerfGE 68, 361 (370) = NJW 1985,
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
145
Nr. 2 B G B a. F. grundsätzlich nur darauf an, ob der Vermieter vernünftige und nachvollziehbare Gründe für seine Absicht, in den vermieteten Räumen selbst zu wohnen oder eine der begünstigten Personen wohnen zu lassen, vorbringt. Eine weitergehende Überprüfung der grundsätzlich zu achtenden Entscheidung des Eigentümers über seinen Wohnbedarf kam danach zum einen nur im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit des Eigenbedarfs in Betracht, da mangels ernsthafter Selbstnutzungsabsicht der Kündigungstatbestand ohnehin nicht gegeben ist. Zum anderen bildete der Rechtsmissbrauch eine äußerste Grenze für die Eigenbedarfskündigung. Ein solcher Rechtsmissbrauch konnte vorliegen, wenn der Vermieter einen weit überhöhten Wohnbedarf geltend macht oder wenn der vom Vermieter bestimmte Wohnbedarf durch ein ebenfalls im Eigentum des Vermieters stehendes Alternativobjekt ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden kann. 46 Diese Systematik verlässt das BVerfG nun, indem es die beiden zuletzt genannten Aspekte nicht mehr im Rahmen eines möglichen Rechtsmissbrauchs erörtert, sondern sie nur beispielhaft für die Umstände anspricht, die die Fachgerichte berücksichtigen müssen, um der Bedeutung und Tragweite des Bestandsinteresses des Mieters gerecht zu werden. 47 Dadurch wird deutlich, dass fortan bereits unmittelbar in den Tatbestand der Eigenbedarfskündigung die in Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G verorteten Bestandsinteressen des Mieters einzufließen haben. O b darin bereits eine Rückkehr zur umfassenden Güterabwägung nach dem Vorbild des früheren § 4 des Mieterschutzgesetzes von 192 3 4 8 liegt, 49 lässt sich gegenwärtig mangels weiterer Entscheidungen noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Fest steht allerdings, dass das Verhältnis der Eigenbedarfskündigung zur Sozialklausel des § 556 a B G B a. F. unklar geworden ist, da das BVerfG zusätzlich auch bei Anwendung dieser Vorschrift durch die Fachgerichte eine hinreichende Erfassung und Berücksichtigung der Bedeutung und Tragweite der Bestandsinteressen des Mieters fordert. 5 0 Je weiter man den Kreis der für das Bestandsinteresse des Mieters nach § 564 b B G B a. F. maßgeblichen Umstände zieht, desto geringer wird daneben der Anwendungsbereich des § 5 5 6 a B G B a.F. bleiben. Die bisherigen Systematisierungsversuche in der Literatur, wonach bei § 564 b B G B a. F. Rechtsgüter „abstrakt-generalisierend" (Lage auf dem Wohnungsmarkt, Mietdauer, hohes Alter des Mieters) zu berücksichtigen sein sollen, während es für § 556 a B G B a.F. auf „konkret-subjektive" Umstände (Aufnahme pfle-
2633 (2634); B G H Z 103, 91 (96) = N J W 1988, 904 (905); zu den Einzelheiten dieser Rechtsprechungsentwicklung Sonnenschein, N J W 1993,161 (167 f.). 4 6 BVerfGE 79, 292 (305, 307) = N J W 1989, 970 (971 f.). 4 7 BVerfGE 89, 1 ( 1 0 ) = N J W 1993,2035 (2036 f.). 4 8 R G B l . I , S . 353 (354). 4 9 In diesem Sinne Beuermann, G E 1993, 781 (782 f.); Emmerich, in FS f. Mestmäcker, S. 989 (993). 5 0 BVerfGE 8 9 , 1 (10) = N J W 1993, 2035 (2036).
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Teil 1 : Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
gebedürftiger Verwandte, Schwangerschaft, Examen) ankommen soll, 51 vermögen kaum zu überzeugen. An dem aufgezeigten strukturellen Problem hat sich im Übrigen durch die Mietrechtsreform von 2001 nichts geändert. 52 Die Verschiebung der Rechtspositionen durch die Aufwertung zum Mietereigentum wird auch in der Treppenlift-Entscheidung 53 deutlich. Es entspricht der bisher überwiegenden mietrechtlichen Auffassung, dass sämtliche baulichen Veränderungen, die über den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache hinausgehen, der Zustimmung des Vermieters bedürfen, wobei dieser nach Treu und Glauben im Einzelfall zur Zustimmung verpflichtet sein kann, wenn die fragliche Maßnahme durch legitime Interessen des Mieters gedeckt ist und Interessen des Vermieters nicht entgegenstehen, so dass die Versagung der Erlaubnis rechtsmissbräuchlich wäre. 54 Derartige Ausnahmefälle, in denen der Vermieter nicht ohne gewichtigen Grund bauliche Veränderungen verwehren durfte, waren bisher vor allem Modernisierungsmaßnahmen, die die Wohnung auf einen allgemein üblichen Standard bringen. 55 Um solche Modernisierungen ging es im Fall des BVerfG indessen nicht. Vielmehr verlangt das Verfassungsgericht nunmehr eine generelle Interessenabwägung, bei der sich die Belange des Mieters und des Vermieters von vornherein gleichrangig gegenüberstehen. Dies ist hier umso bemerkenswerter, als sich die Lebensgefährtin des Mieters bei Einzug über die bauliche Situation des Hauses im Klaren war. Die Entscheidung legt daher das Verständnis nahe, dass in Zukunft auch bauliche Änderungen, die über den vertragsgemäßen Gebrauch hinausgehen, generell zulässig sind, wenn nur ein, wie immer zu bestimmendes, höherrangiges Interesse des Mieters geltend gemacht werden kann. Weitere Verschiebungen deuten sich an. Beispielhaft sei nur auf die Diskussion um die Berechtigung des Mieters zur Haltung von Tieren, insbesondere von Hunden, in der Wohnung hingewiesen. Nach der bis heute überwiegenden Auffassung im Zivilrecht gehört jedenfalls in städtischen Wohngegenden die Hundehaltung wegen der nie ganz auszuschließenden Gefahr der Gefährdung oder Belästigung von Mitbewohnern oder Nachbarn nicht zum vertragsgemäßen Gebrauch und bedarf daher der ausdrücklichen Erlaubnis des Vermieters.56 Anders ist die Rechtslage dagegen im Wohnungseigentumsrecht. Hier wird das Halten von Haushunden nach verbreiteter Meinung als Beuermann, GE 1993, 781 (783); Schläger, ZMR 1988,241 (244). Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts vom 19.6.2001, BGBl. I, S. 1149. 53 BVerfG, NJW 2000, 2658. 54 BGH, NJW 1974, 1463 (1464); Staudinger/Emmerich, §§ 535, 536, Rn. 76; Bub/Treier, Kapitel III, Rn. 981 ff. (984); Schmidt-Futterer/Blank, § 550 BGB, Rn. 13; weitergehend dagegen Stemel,11, Rn.218. 55 Schmidt-Futterer/Blank, § 550 BGB, Rn. 13; Staudinger/Emmerich, §§ 535, 536, Rn. 77. 56 OLG Hamm, OLGZ 1981, 74; Staudinger/Emmerich, §§ 535, 536, Rn. 95 m. w. N. 51
52
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
14 7
Inhalt eines ordnungsgemäßen Wohnens begriffen. 57 Vor diesem Hintergrund wurde bereits Ende der achtziger Jahre eine Angleichung der Befugnisse des Mieters an diejenigen des Wohnungseigentümers gefordert, da es sich verbiete, zwischen einem Wohnen „erster Klasse" (zu Eigentum) und „zweiter Klasse" (zur Miete) zu unterscheiden. 58 Es verwundert daher nicht, dass inzwischen zur Stützung dieser Auffassung zusätzlich auf die Anerkennung des Mietbesitzes als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG durch das BVerfG verwiesen wird, aus der sich eine „ausdrückliche Gleichstellung der Wohnungsbefugnisse des Mieters mit denjenigen des Wohnungseigentümers" ergebe. 59
bb) Beeinträchtigung
der
Rechtssicherheit
Eine weitere, nicht zu unterschätzende Gefahr der Transformation verfassungsrechtlicher Maßstäbe in das Privatrecht liegt in einem möglichen Verlust an Rechtssicherheit. Nimmt man die Einordnung des Mietbesitzes als verfassungsmäßiges Eigentum und seine Ausstrahlungswirkung als Wertentscheidung auf das Zivilrecht ernst, führt dies dazu, dass letztlich jede Frage der Vertragsdurchführung und -beendigung eine Abwägung der sich gegenüberstehenden grundrechtlich geschützen Positionen von Mieter und Vermieter erfordert. Es kommt hinzu, dass das BVerfG zwar in ständiger Rechtsprechung wiederholt, dass es nicht jeden Abwägungsfehler für maßgeblich hält, sondern einen zu korrigierenden Verfassungsverstoß erst annimmt, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind. Jedoch lässt sich kaum mit einiger Gewissheit im Einzelfall prognostizieren, wo das Verfassungsgericht die relevante Schwelle ansetzt. Es kommt daher nicht von ungefähr, wenn dem Gericht bereits der Vorwurf gemacht wird, es neige in seinem Streben nach äußerster Einzelfallgerechtigkeit dazu, jede Rechtsmaterie an sich zu ziehen und sei dadurch entgegen seinen Beteuerungen längst zur regulären Instanz geworden. 60 All dies verstärkt tendenziell den Druck auf die Fachgerichte, bei jeder Einzelfrage alle möglicherweise berührten Grundrechtspositionen in einer Abwägung einzubeziehen. Da diese Abwägung nicht nach strukturierten Rangverhältnissen, sondern stets mit Blick auf den konkreten Fall zu geschehen hat, droht eine Uberbetonung der an stets subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen aus57 OLG Stuttgart, MDR 1982, 583; BayObLG, MDR 1972, 516; Bärmann/Pick/Merle, § 15, Rn. 8; Bärmann/Seuß/Scbmidt, Praxis, Teil B, Rn. 84; Weitnauer/Lüke, § 15, Rn. 17. 58 AG Dortmund, WuM 1989, 495; Stemel, II, Rn. 164. 59 Dallemand/Balsam, ZMR 1997, 621 (622). 60 Isensee, JZ 1996, 1085 (1090).
148
Teil 1: Grundlagen
• 3. Kapitel:
Zur Rechtsnatur
des
Besitzes
gerichteten Einzelfallgerechtigkeit auf Kosten der Voraussehbarkeit zukünftiger Entscheidungen. 6 1 b) Folgen für die
Mietgesetzgebung
Die möglichen weiteren Konsequenzen der Anerkennung des Mietbesitzes als verfassungsmäßiges Eigentum auf der überindividuellen Ebene, insbesondere für die zukünftige Entwicklung des Mietrechts, können hier nur angedeutet werden. Die neue Verfassungsposition des Mieters hat dabei zugleich ein konservierendes und ein progressives Potenzial. Zum einen birgt die neue Rechtsprechung die Gefahr einer weiteren Zementierung des bestehenden Mietsonderrechts. Denn vor dem Eigentumsanspruch des Mieters aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG wird sich jede Lockerung des erreichten Standes des Mieterschutzes zu rechtfertigen haben. 6 2 Wie groß diese Gefahr letztlich ist, w i r d sich danach beurteilen, welche Anforderungen wiederum das BVerfG an eine solche Rechtfertigung stellt. Zum anderen trägt die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts die Tendenz in sich, als Grundlage für weitere Eingriffe des Gesetzgebers in den Mietwohnungsmarkt zu dienen, 63 da das Eigentumsrecht des Mieters aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nunmehr unmittelbar zur verfassungsrechtlichen Legitimation noch weitergehender Interventionen zur Verfügung steht.
III.
Ergebnis
Die Rechtsprechung des BVerfG zum Besitzrecht des Mieters als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG stellt keine inhaltliche Neuausrichtung der zivilrechtlichen Institute des Besitzes, des Besitzrechts oder des Besitzschutzes dar. Im Gegenteil: Das Verfassungsgericht wollte, gestützt auf die zivilrechtliche Ausgestaltung des Besitzrechts, eine verfassungsrechtliche Standortbestimmung des Besitzrechts des Mieters vornehmen. Daraus ergeben sich keine unmittelbaren Folgen für die hier zu behandelnden Fragen der zivilrechtlichen Reichweite des Besitzschutzes. Die vom BVerfG verfolgte grundrechtliche Fundierung des Mieterbesitzes wirkt sich demgegenüber in erster Linie durch die Figur der mittelbaren Drittwirkung auf der Ebene des Privatrechts bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln und der unbestimmten Rechtsbegriffe des Mietrechts aus. Das Mietrecht ist insoweit ein Beispiel für eine allgemein zu beobachtende Entwicklung zur verfassungs-
61 Ebenso Sendler, NJW 1994, 709 (710); Depenheuer, NJW 1993, 2561 (2564); in: FS f. Gitter, S. 241 (244 f.). 62 Depenheuer, NJW 1993, 2561 (2564); ebenso Roellecke, JZ 1995, 74 (75). 63 Dazu im Einzelnen Emmerich, in: FS f. Mestmäcker, S. 989.
Emmerich,
D. Exkurs: Der Mieter als Eigentümer
im Sinne des Art. 14 GG
149
rechtlichen Durchdringung des Privatrechts, deren Implikationen und Gefahren weit über den Gegenstand der vorliegenden Arbeit hinausreichen und daher hier nur angedeutet werden können.
Teil 2
Formen des Besitzschutzes im Bürgerlichen Gesetzbuch
1. Kapitel
Der possessorische Besitzschutz der §§ 858 ff. BGB A.
Allgemeines
Die Vorschriften der §§ 858 ff. BGB schützen eine bestehende Besitzlage ohne Rücksicht auf eine materielle Berechtigung zu dieser Position. Der dadurch verfolgte Zweck der allgemeinen Friedenssicherung hebt den possessorischen Besitzschutz von den sonstigen Normen des bürgerlichen Rechts ab, die typischerweise vorrangig subjektive Rechte des Einzelnen sichern. Zweifellos handelt der Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsspielraums und es ist sicher ebenso legitim, wenn er auch mit Mitteln des Zivilrechts ein öffentliches Interesse verfolgt. Gleichwohl war die besondere Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes immer wieder Anlass für die Frage nach seiner Zweckmäßigkeit und Berechtigung. Schon Meischeider bestritt die Notwendigkeit eines Besitzschutzes, der in römischrechtlicher Weise von jeglichem Recht zum Besitz abstrahiert. Eine Rechtfertigung seines Bestehens habe der Besitzschutz nur, weil vom Besitz auf das Recht zum Besitz geschlossen werden könne. 1 Kipp warf die legislatorische Frage auf, warum man den Kläger possessorisch siegen lasse, wenn er doch später petitorisch unterliegen könne, warum man also vor die endgültige Entscheidung eine provisorische schieben solle. In Beantwortung dieser Frage hielt er den Besitzschutz jedoch nicht für gänzlich „verwerflich", sondern sprach sich nur dafür aus, im Possessorium auch petitorische Einreden generell zuzulassen, so dass der Streit um den Besitz zu einem Streit um die Beweisposition würde. 2 Den Vorwurf der Prozessverdopplung griff später auch Kruse auf, der eine solche, aus der römischrechtlichen Vergangenheit fortwirkende Regelung „nicht natürlich" nannte: Die Gegenwart bedürfe keiner Rechtsverletzungen, selbst wenn sie vorübergehend seien, und habe nicht die Zeit für zwei Prozesse, wo man sich mit einem begnügen könne. 3 Andere sahen den Besitzschutz jedenfalls in Teilen schlicht als überflüssig an. So wies Gaertner darauf hin, dass das Bedürfnis 1 Meischeider, Besitz und Besitzschutz, 1876, § 38 (S. 189); zustimmend Pflüger, gen, 1890, S. 373 f. 2 Windscheid/Kipp, § 148 (S. 648). 3 Kruse, Das Eigentumsrecht, 1931, S. 720.
Besitzkla-
A.
Allgemeines
153
nach einem schnellen Verfahren bereits durch die weitergehenden einstweiligen Verfügungen gedeckt sei. Eine eigenständige Bedeutung komme dem Besitzschutz nur beim Ausschluss der Einrede aus dem Eigentum des Beklagten zu, während der Besitzer bei Eingriffen durch Dritte ausreichend über § 1007 B G B geschützt sei. 4 Ebenso hielten Wolff/Raiser den Besitzschutz unter Hinweis auf die einstweilige Verfügung für entbehrlich, zumal Besitzschutzklagen in der Praxis ohnehin zu den Seltenheiten gehörten. 5 Für eine Streichung des possessorischen Besitzschutzes hat sich zuletzt Kralik ausgesprochen. Diese Forderung beruht freilich auf der Prämisse, den Besitz selbst als eigenes dingliches Recht anzuerkennen, da dem Besitz, ebenso wie dem Eigentum und jedem anderen Vermögensrecht, eine Funktion der Güterverteilung zukomme, die ihm einen Organisationswert gebe, der der Rechtsordnung schutzwürdig erscheine. Notwendige Folge sei daher die Zulässigkeit der Einrede des stärkeren Rechts. Eine Beeinträchtigung der Schnelligkeit und damit der Wirksamkeit des Besitzschutzes sei dadurch nicht zu befürchten, da es in vielen Fällen leichter sei, den das Eigentumsrecht begründenden Tatbestand als den Besitztatbestand zu beweisen; die Verhältnisse hätten sich hier gegenüber dem römischen Recht stark verändert. 6 Entgegen all dieser Kritik erscheint es dennoch richtig, dass sich der Gesetzgeber für die Aufnahme des possessorischen Besitzschutzes in das B G B entschieden und hieran bis heute festgehalten hat. Wenn auch Regelungen über einen von der materiellen Berechtigung unabhängigen Besitzschutz keinen unverzichtbaren Bestandteil einer entwickelten Rechtsordnung darstellen, 7 so sind sie doch ein nicht zu unterschätzendes Mittel, das neben dem Strafrecht zur Aufrechterhaltung und Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols mit beiträgt. O b Besitzschutzklagen in der Praxis häufig oder selten vorkommen, lässt sich nicht allein und nicht einmal vorrangig an veröffentlichten Entscheidungen der Obergerichte ablesen, da sich vorläufige Besitzregelungen oft genug durch Zeitablauf erledigen, so dass sich die Anrufung der nächsthöheren Instanz erübrigt. Besondere Statistiken über das Vorkommen von Besitzschutzklagen sind jedenfalls, soweit ersichtlich, nicht verfügbar. Im Übrigen kann ein vergleichsweise überschaubares Aufkommen an Besitzschutzprozessen auch als Ausdruck der Effektivität der Präventionsfunktion des possessorischen Besitzschutzes gedeutet werden. Akzeptiert man diese Zielsetzung der §§ 858 ff. B G B , so kommt ihnen auch ein eigenständiger Gehalt zu, der nicht durch andere Regelungen oder Verfahren ersetzt werden kann. § 1007 B G B hilft dem früheren Besitzer nicht weiter, wenn der gegenwärtige Inhaber ein besseres Recht zum Besitz vorweisen kann. Die einstwei-
4 5 6
Gaertner, Der gerichtliche Schutz gegen Besitzverlust, 1901, S. 122,123 f. Wolff/Raiser, § 17 (S. 53). Kralik, Besitz und Besitzschutz heute, 1964, S. 25.
154
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 1. Kapitel:
Der possessorische
Besitzschutz
lige Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO gewährleistet allein ein beschleunigtes Verfahren, setzt jedoch einen materiellrechtlichen Anspruch auf Herausgabe der entzogenen Sache bzw. Unterlassung weiterer Störungen voraus, der ohne die §§ 861, 862 BGB keineswegs gegen jeden Dritten gegeben ist. Abgesehen davon kann der Störer auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung in der Lage sein, ein besseres Recht liquide zu beweisen, so dass sich das Faustrecht letztlich doch in gewissem Umfang durchsetzen könnte. Umgekehrt bedeutet die materiell-rechtliche Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes keineswegs eine unzumutbare Verzögerung des Verfahrens, da die Besitzschutzansprüche nicht nur im ordentlichen Prozess, sondern bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden können. 8 Nicht zu bestreiten ist allerdings die durch den Ausschluss petitorischer Einwendungen begründete Gefahr doppelter Prozesse. Sie in Kauf zu nehmen, ist jedoch der Preis, den eine Rechtsordnung zu zahlen bereit sein muss, wenn sie das staatliche Monopol der Rechtsdurchsetzung auch mit den Mitteln des Zivilrechts sichern will. Der Preis wird darüber hinaus umso niedriger sein, je effektiver die Präventionsfunktion des possessorischen Besitzschutzes ausgestaltet ist. Dass für den possessorischen Besitzschutz auch heute noch ein Bedürfnis besteht, belegt nicht zuletzt auch der Umstand, dass der Gesetzgeber in neuerer Zeit in zunehmendem Umfang von dem Instrument der vorläufigen Besitzeinweisung Gebrauch macht. Vor allem im Zusammenhang mit Planfeststellungsverfahren sind in den verschiedensten Gesetzen Rechtsgrundlagen dafür geschaffen worden, dass eine Behörde einen Einzelnen in den Besitz an einer Sache einweisen kann, vgl. etwa §§ 77 Abs. 3, 116 BauGB, § 18 f FStrG, § 29 a PBefG, § 21 AEG, § 20 WaStrG, §§ 65, 66 FlurbG, §§ 97, 100 Abs. 1 BBergG, Art. 39 BayEG. Folge und Ziel dieser Besitzeinweisung ist die Begründung unmittelbarer Sachherrschaft des Begünstigten mit der Konsequenz der Besitzschutzansprüche nach §§ 858 ff. BGB. 9 Bemerkenswerterweise hat 1975 auch Frankreich, dessen Rechtsordnung wiederholt als Beleg dafür angeführt worden ist, dass possessorischer Besitzschutz nicht gesetzlich verankert sein muss, in
7 Das englische Recht kennt keinen possessorischen Besitzschutz (R. Leonhard, in: FS f. O. v. Gierke, S. 19 [26]), jedoch kann der Besitzer die deliktische Klage wegen unbefugten Betretens, Gebrauchens etc. („trespassing") erheben ( M i d d l e t o n , in: Sachenrecht in Europa, Band I, 2000, S. 109, 115). Nach dänischem Recht hat der Kläger gemäß dem Grundsatz der Stabilität des Besitzes zu beweisen, dass ihm ein besseres Recht an der Sache zusteht ( H i t c h cock/Poulsen, in: Sachenrecht in Europa, Band I, 2000, S. 23; Dübeck, Einführung, S. 232 f.). Das Bürgerliche Gesetzbuch der Niederlande sieht possessorischen Besitzschutz nur für den Eigenbesitzer vor ( N i e p e r / P l o e g e r , in: Sachenrecht in Europa, Band III, 1999, S. 170). 8 Vgl. OLG Saarbrücken, NJW 1967,1813; OLG Stuttgart, MDR 1964, 604; Duffek, NJW 1966, 1345. 9 Vgl. nur Breuer, in: Schrödter, BauGB, § 116, Rn. 13.
B. Reichweite
des possessorischen
Besitzschutzes
155
Art. 2282, 2283 des Code civil ausdrückliche Regelungen über den Besitzschutz aufgenommen. 10
B. Reichweite des possessorischen
Besitzschutzes
I. Der Ausschluss petitorischer Einwendungen
nach §863
BGB
Die grundsätzliche Entscheidung für den possessorischen Besitzschutz sagt noch nichts über dessen Grenzen aus. Einen der wesentlichen Eckpfeiler des Besitzschutzes bringt § 863 B G B zum Ausdruck, auch wenn der Wortlaut der Vorschrift nicht zutreffend formuliert ist. Ein Recht zum Besitz oder zur Vornahme der störenden Handlung kann nicht „nur" zur Begründung geltend gemacht werden, dass verbotene Eigenmacht nicht gegeben sei, denn der Tatbestand der verbotenen Eigenmacht nach § 858 B G B , auf dem die Ansprüche der §§ 861, 862 B G B aufbauen, stellt überhaupt nicht auf ein Recht zum Besitz oder zur Handlungsvornahme ab. § 863 B G B hat daher nach allgemeiner Auffassung den Zweck, klarzustellen, dass eine materielle Berechtigung zu der eingetretenen Besitzlage den Besitzschutzansprüchen nicht entgegen gehalten werden kann und zwar weder als direkte Einrede noch über die Arglisteinrede nach § 2 4 2 B G B . 1 1 Daraus folgt umgekehrt, dass der Beklagte allein possessorische Einwendungen erheben kann, wobei das Gesetz selbst nur das Bestreiten des Tatbestandes der verbotenen Eigenmacht anspricht. Aus den Materialien ergibt sich, dass die Gesetzesverfasser diesen Fall allerdings durchaus als Ausnahme vom Ausschluss petitorischen Vorbringens verstanden haben. So wird ausgeführt, dass die Ausschließung „nur dasjenige petitorische Vorbringen treffen (darf), durch das dargethan werden soll, dass der durch formelles Unrecht geschaffene Zustand dem materiellen Rechte entspreche. Es bleibt aber auch denkbar, dass das petitorische Vorbringen sich gegen das Vorliegen einer Handlung verbotener Eigenmacht richtet, indem das stattgehabte gewaltsame Verfahren durch Nachweis eines Rechtes und des Nachweises der Voraussetzungen, unter denen die eigenmächtige Verwirklichung dieses Rechtes ( . . . ) gestattet ist, als erlaubte Selbsthülfe gerechtfertigt wird." 1 2 10 Loi n° 75-596 du juillet 1975, Bulletin législatif Dalloz (BLD) 1975, S.239; décret 7 9 259 du 28 mars 1979, B L D 1979, S. 163; im Einzelnen dazu Carbonnier, Droit civil, 3/les Biens, 16. Aufl. 1995, Nr. 201 ff.; Wiget, Studien zum französischen Besitzrecht, 1982, S. 93 ff. 11 MiinchKomm/Joost, § 863, Rn. 1; Staudinger/Bund, § 863, Rn. 1, 4. 12 Motive, Band III, S. 130 (= Mugdan, Band III, S. 72). Im gleichen Sinne die Denkschrift des Reichsjustizamtes (S. 109 = Mugdan, Band III, S. 964): „Einwendungen der bezeichneten Art müssen auch im Besitzprozesse insoweit zulässig sein, als sie lediglich zur Begründung der Behauptung geltend gemacht werden, dass wegen des Vorhandenseins der Voraussetzungen erlaubter Selbsthülfe ... die Entziehung oder Störung des Besitzes nicht verbotene Eigenmacht sei; denn in dieser Gestalt sind sie geeignet, den Rechtsgrund des Besitzschutzanspruches zu beseitigen."
156
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 1. Kapitel: Der possessorische
Besitzschutz
Die besondere Situation der erlaubten Selbsthilfe knüpft jedoch, wie auch die Materialien hervorheben, nicht allein an das Vorliegen eines materiellen Rechts zum Besitz an, sondern setzt zudem die Gefahr der Rechtsvereitelung ohne staatliche Hilfe voraus und wirkt in dieser Kombination als Rechtfertigungsgrund, der als gesetzliche Gestattung die verbotene Eigenmacht tatbestandlich ausschließt, § 858 Abs. 1 B G B . Das Berufen auf erlaubte Selbsthilfe ist daher im Grunde keine petitorische Einwendung, sondern richtet sich gegen das Vorliegen verbotener Eigenmacht als solcher. Wichtiger ist allerdings die Erkenntnis, dass den Gesetzesverfassern die Situation der erlaubten Selbsthilfe lediglich als typischer Ausnahmefall vor Augen stand und daher keinesfalls beabsichtigt war, den Beklagten von anderen möglichen Einwendungen gegen die Besitzschutzansprüche zu präkludieren. Der Beklagte kann daher auch seine Störereigenschaft oder den früheren Besitz des Klägers bestreiten oder sich darauf berufen, dass der Eingriff von der Einwilligung des Klägers oder einer Rechtsnorm gedeckt gewesen ist. Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob auch Zurückbehaltüngsrechte vom Ausschluss des § 863 B G B erfasst werden. Die herrschende Auffassung lässt die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nach §§ 273 Abs. 2 , 1 0 0 0 B G B generell 13 oder jedenfalls in Bezug auf solche Ansprüche zu, die durch die Beeinträchtigung entstehen. 14 Zur Begründung wird vor allem darauf hingewiesen, dass das Gesetz dem Herausgabepflichtigen das Zurückbehaltungsrecht nur dann nicht zubilligt, wenn er den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung erlangt hat, §§ 273 Abs. 2, 2. Hs., 1000 S. 2 B G B . Der Gesetzgeber habe daher das Problem der eigenmächtig entzogenen und zurückgehaltenen Sache gesehen, so dass sich die gesetzgeberische Wertentscheidung auch beim possessorischen Besitzschutz auswirken müsse. Bei nicht vorsätzlich begangener verbotener Eigenmacht würden Zurückbehaltüngsrechte daher nicht durch § 863 B G B ausgeschlossen. Diese Argumentation berücksichtigt jedoch nicht hinreichend das Verhältnis der allgemeinen Vorschriften über das Zurückbehaltungsrecht gegenüber den besonderen Regelungen des possessorischen Besitzschutzes. Die § § 2 7 3 Abs. 2 , 1 0 0 0 B G B legen nur fest, unter welchen Voraussetzungen dem Einzelnen überhaupt Zurückbehaltüngsrechte zustehen. Selbst wenn danach ein Zurückbehaltungsrecht dem Grunde nach gegeben ist, wird dadurch jedoch noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob dieses Retentionsrecht auch in der besonderen Situation des Besitzprozesses geltend gemacht werden
13 Soergel/Mühl, § 863, Rn. 3; Staudinger/Bund, § 863, Rn. 7; Biermann, Sachenrecht, 3. Aufl. 1914, § 8 6 3 , Anm. 1 c; Crome, System, 1905, § 3 5 2 (S. 72, Fn.48); Rosenberg, § 8 6 3 , Anm. II 2. 14 MünchKomm/Joost, § 8 6 3 , Rn. 5; Palandt/Bassenge, §863, Rn. 2; Planck/Brodmann, § 863, Anm. 2.
B. Reichweite
des possessorischen
Besitzschutzes
157
kann. 15 Diese Frage kann nur aus der Regelungsstruktur der Besitzschutzvorschriften und aus ihrer besonderen Zwecksetzung beantwortet werden. Stellt man danach auf den bei den Besitzschutzansprüchen ganz im Vordergrund stehenden Präventionsgedanken ab, so ließe sich allerdings in der Tat erwägen, ob nicht Zurückbehaltüngsrechte berücksichtigt werden müssten, denn jenseits der vorsätzlich begangenen verbotenen Eigenmacht wird sich der Störer in aller Regel gerade nicht des Eingriffs bedient haben, um sein Recht auf eigene Faust durchzusetzen. Es geht hier jedoch letztlich um das Problem, inwieweit die bewusst einheitlich und verschuldensunabhängig gebildeten Tatbestände der §§ 858, 863 BGB ihrerseits wieder nach verschuldensgradabhängigen Begehungsformen aufgespalten werden können. Dagegen spricht indessen nicht nur die klare Entscheidung für einen abweichenden Eingriffsmaßstab, der auf ein Verschulden gerade verzichtet, sondern auch die Überlegung, dass andernfalls bei schuldlos verübter Eigenmacht auch sonst genauso gut petitorische Einwendungen zugelassen werden müssten. Diese Konsequenz wird indessen zu Recht nirgends gezogen, da sie die einheitliche Konzeption der §§ 858, 863 BGB auflösen würde. Die Geltendmachung von Zurückbehaltüngsrechten ist daher ebenfalls vollständig von § 863 BGB ausgeschlossen. 16 Das zentrale Problem des possessorischen Besitzschutzes ist die bis auf den heutigen Tag aktuelle Frage, inwieweit § 863 BGB einer petitorischen Widerklage des Störers entgegensteht. Die Diskussion hierzu kann auf eine lange und wechselvolle Entwicklung zurückblicken. Bereits im gemeinen Recht waren die Auffassungen darüber, ob im Possessorium eine auf das Recht zum Besitz gestützte Widerklage zulässig ist, geteilt. 17 Die Rechtsprechung des RG war nicht einheitlich. Hatte sich das Gericht zunächst klar gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage ausgesprochen, da der von § 33 C P O vorausgesetzte rechtliche Zusammenhang mit der Klage oder einem gegen die Klage vorgebrachten, rechtlich zulässigen Verteidigungsmittel nicht gegeben sei, 18 wurde die Frage in späteren Urteilen offen gelassen. 19 In der Literatur hatten sich zunächst einige Stimmen für die Möglichkeit der Widerklage ausgesprochen, nachdem das in § 232 Abs. 2 CPO enthaltene Verbot der Verbindung von possessorischer und petitorischer Klage - wohlgemerkt des Klägers! - in einem Prozess durch die Novelle von 1898 aufgehoben worden A. A. Staudinger/Gursky, § 1000, Rn. 5. Im Ergebnis ebenso Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 a (S. 194); Soergel/Stadlerii, § 863, Rn. 3 a. E.; früher bereits J o s e f , ArchBürgR 15 (1899), 265 (287); Kress, Besitz und Recht, 1909, S. 341 f.; Rohde, Studien, Abschnitt XXII, S. 51. 17 Vgl. nur Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht, Heidelberg 1868, §279 III (S. 1089 f.) m . w . N . 18 RGZ 23, 396 (398); Gruchot 42 (1898), 1185 (1187 f.). 19 RGZ 50, 8 (11 f.). 15 16
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 1. Kapitel: Der possessorische
Besitzschutz
war. 20 Die ganz herrschende Auffassung schloss sich indessen bald dem RG an und sah die Widerklage durch § 33 ZPO ausgeschlossen. 21 Im Laufe der Zeit mehrten sich indessen die Gegenstimmen. Dabei wurde zum einen darauf hingewiesen, dass es dem Beklagten ohne weiteres auch möglich sei, selbständig auf Feststellung seines Rechts zum Besitz zu klagen und daher nicht einzusehen sei, warum dann nicht auch beide Klagen in einem Prozess verbunden werden könnten. 22 Zum anderen stütze man sich auf die Möglichkeit des Richters, Klage und Widerklage gegebenenfalls wieder zu trennen, so dass eine sinnwidrige Belastung des possessorischen Verfahrens mit petitorischen Fragen verhindert werden könne. 23 Diese Argumente griff der BGH auf, als er sich erstmals zu dem Fragenkreis äußerte. 24 Das Gericht bejahte ohne weiteres einen tatsächlichen wie auch rechtlichen Zusammenhang zwischen possessorischer Klage und petitorischer Widerklage. § 863 BGB stehe dem nicht entgegen, da es dem Anspruchsgegner nicht verwehrt sei, sein Recht zum Besitz oder zur Vornahme der störenden Handlungen seinerseits uneingeschränkt klageweise geltend zu machen. Ist diese Klage entscheidungsreif, so habe der Besitzer keinen Anspruch darauf, dass die Entscheidung darüber zurückgestellt wird, solange noch nicht über seinen Besitzschutzanspruch entschieden ist. Ergehe ein entsprechendes Feststellungsurteil und werde dieses rechtskräftig, so führe dies nach § 864 Abs. 2 BGB zum Erlöschen der Besitzschutzansprüche. Eventuellen Bedenken aus Sinn und Zweck des § 863 BGB wegen einer Verzögerung der possessorischen Klage könne dadurch begegnet werden, dass, wenn die Klage entscheidungsreif ist, das Gericht darüber durch Teilurteil zu entscheiden habe, ohne die Entscheidungsreife auch der Widerklage abwarten zu dürfen, §301 ZPO. 25 Die sich aufdrängende Frage, was bei diesem Weg zu geschehen hat, wenn sich im Einzelfall Klage und Widerklage beiderseits als entscheidungsreif gegenüberstehen, beantwortete der BGH bald darauf im Sinne des Vorrangs der petitorischen Widerklage. 26 Da das Problem weder in § 863 BGB noch in § 864 Abs. 2 BGB geregelt sei, liege eine Gesetzeslücke vor. Die 20 Biermann, Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1898, S. 14; Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band II, 3. Aufl. 1901, § 190 VIII (S. 86). Petersen, Civilprozessordnung, Band I, 5. Aufl. 1904, § 33 Anm. 28. 21 Biermann, Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2. Aufl. 1903, § 863, Anm. 2 (unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Auffassung); Crome, System, Band III, 1905, § 352 (S. 73, Fn. 59); O. v. Gierke, Sachenrecht, 1905, § 116 (S. 256, Fn. 44); Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, Band III, 1902, § 863, Anm. 4; Rosenberg, § 863, Anm. III m. w.N.; v. Seuffert, ZPO, Band I, 11 Aufl. 1910, § 33, Anm. 2 e (S. 51). 22 v. Krosigk, JW 1921, 732 f. 23 Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, §24 II 4 (S. 103) m. w. N. zum damaligen Streitstand. 24 BGHZ 53, 166 = NJW 1970, 707. 25 BGHZ 53, 166 (169 f.) = NJW 1970, 707. 26 BGHZ 73, 355 = NJW 1979, 1358; BGH, NJW 1979, 1359.
B. Reichweite
des possessorischen
Besitzschutzes
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Sachlage sei jedoch derjenigen in § 864 Abs. 2 B G B vergleichbar, so dass der Widerklageanspruch zuzuerkennen sei, der ausschließlich aus den Besitzschutzvorschriften hergeleitete Klageanspruch dagegen abzuweisen sei. Denn in einem solchen Fall stehe für das Gericht fest, dass der Besitz an der Sache im Endergebnis dem Widerkläger zustehe. Dem Kläger in dieser Situation Besitzschutzansprüche zuzusprechen, sei genauso eine zwecklose Weiterung, wie im Fall des § 864 Abs. 2 B G B . Dies gelte unabhängig davon, ob die das Recht des Widerklägers zum Besitz bejahende Entscheidung vorläufig vollstreckbar ist oder ob sie eine Vollstreckungswirkung erst mit Rechtskraft haben kann. 2 7 Die Literatur hat sich dieser Fortentwicklung auf breiter Front angeschlossen. 28 Indessen bestehen gravierende Bedenken gegen diesen Lösungsweg. Bei dem eigenartigen Gedanken, dass den Kläger trotz begründetem possessorischen Anspruch auch insoweit die Kosten treffen, mag man sich noch mit der Überlegung trösten, dass dies letztlich auch bei § 864 Abs. 2 B G B der Fall wäre. Problematischer sind dagegen die Konsequenzen, die sich nach der herrschenden Auffassung bei späterer Korrektur des Ausspruchs über die Widerklage ergeben können. Hat der Kläger zum Beispiel nur das Urteil der Widerklage mit der Berufung angegriffen und wird es daraufhin aufgehoben, so fragt sich, wie sich dies auf den possessorischen Anspruch auswirkt. Dass der frühere Besitzer die possessorische Klage einfach erneut anstrengen kann, 2 9 wird man kaum annehmen können, da die Klage rechtskräftig abgewiesen wurde. Vor allem aber spricht gegen die Konstruktion der überwiegenden Auffassung, dass der fundamentale Präventionszweck der Besitzschutzvorschriften ausgeblendet wird. Die Rechtsprechung stellt allein auf den Aspekt der Verfahrensverzögerung ab und begnügt sich mit dem Verweis auf die Möglichkeit der Prozesstrennung nach § 145 Abs. 2 Z P O und der Verpflichtung des Gerichts zur Entscheidung durch Teilurteil. Der Gedanke der Prozessökonomie ist jedoch nicht der alleinige, ja nicht einmal der vorrangige Zweck des possessorischen Besitzschutzes. Stattdessen geht es bei § 863 B G B einzig und allein darum, dem Störer durch den Ausschluss der Berufung auf eine materielle Besitzberechtigung jeglichen Anreiz zu nehmen, sein Recht 27 BGHZ 73, 355 (359) = NJW 1979, 1358. Diese Grundsätze wurden jüngst dahingehend bestätigt, dass der Ausschluss petitorischer Einwendungen nach § 863 B G B jedenfalls dann nicht gelte, wenn über das Besitzrecht letztinstanzlich - wenn auch inzidenter - entschieden wird, BGH, NJW 1999, 425 (427). Diese Rechtsprechung wird inzwischen von den Instanzgerichten auch auf das einstweilige Verfügungsverfahren übertragen, vgl. O L G Rostock, O L G - N L 2001, 279 (281); KG, ZMR 2000, 818 (819); dazu einerseits Schur, ZMR 2000, 802, andererseits Lehmann-Richter, NJW 2003,1717. 28 Palandt/Bassenge, § 863, Rn. 3; RGRK/Kregel, § 863, Rn. 4; Soergel/Mühl, § 863, Rn. 4; K. Müller, Rn. 166; Schapp, Rn. 79; Schreiber, Rn. 104; Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 e; Wilhelm, Rn. 470; Stein/Jonas/Schumann, § 33, Rn. 13; MünchKomm-ZPO/Patzina, § 33, Rn. 26; Hagen, JuS 1972, 124 (127); Lopau, JuS 1980, 501 (504).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 1. Kapitel: Der possessorische
Besitzschutz
auf eigene Faust durchzusetzen. Davon macht § 864 Abs. 2 B G B allein für den Fall eine Ausnahme, dass die Besitzberechtigung des Störers unanfechtbar feststeht. 30 Liegt jedoch erst eine, wenn auch vorläufig vollstreckbare, formell noch nicht rechtskräftige Entscheidung vor, kann sich die Beurteilung über die materielle Berechtigung noch in der nächsten Instanz ändern, so dass eben noch nicht feststeht, ob dem Störer letztlich der besitzrechtliche Vorrang zukommt oder nicht. Der von der heute überwiegenden Auffassung befürwortete Vorrang der petitorischen Widerklage bei gleichzeitiger Entscheidungsreife bewirkt geradezu einen Anreiz zur gewaltsamen Durchsetzung seiner (vermeintlichen) Rechte für denjenigen, der sich gute Chancen ausrechnet, seine Berechtigung im Prozess schnell und liquide darlegen zu können. Will man dem Präventionszweck der §§ 858 ff. B G B dagegen zu der vom Gesetz geforderten Effektivität verhelfen, bieten sich im Grundsatz zwei verschiedene Wege zur Lösung des Problems an. Der einfachere Ausweg liegt darin, die petitorische Widerklage von vornherein nach § 33 Z P O als unzulässig zu betrachten. Zur Begründung ließe sich auf die bereits vom R G vertretene Argumentation zurückgreifen, nach der die Widerklage einen rechtlich zulässigen Zusammenhang erfordert. § 863 B G B bringt indessen gerade zum Ausdruck, dass das Gesetz die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen possessorischen und petitorischen Ansprüchen verbietet. 31 Dieser Ansatz sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass er die Zulassung einer Widerklage verweigere, die als eigenständige Klage zweifellos möglich wäre. Weiter wird geltend gemacht, dass es den Regelungsgehalt des § 863 B G B überfordere, aus ihm ein Verbot der Verbindung nach § 33 Z P O zu entwickeln, da das Privileg eines zusätzlichen Gerichtsstandes nichts mit der Zulässigkeit petitorischer Einreden nach § 863 B G B zu tun habe. 32 Der schwerere Weg, der auch die zuletzt genannten Aspekte berücksichtigen will, setzt auf der Ebene der Zwangsvollstreckung an. Danach ist die petitorische Widerklage grundsätzlich zuzulassen, bei gleichzeitiger Entscheidungsreife von Klage und Widerklage sollen allerdings abweichend von der herrschenden Auffassung beide Ansprüche zuzusprechen sein. Nur im Fall der Revisionsentscheidung ist auch nach dieser Meinung die Klage entsprechend § 864 Abs. 2 B G B abzuweisen. 33 Den Vorwurf der Widersprüchlichkeit bei gleichzeitiger Stattgabe beider Klagen wird man nicht ohne weiteres erheSo Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 e a.E. In diesem Sinne auch Brehm/Berger, Rn. 4.18. 31 So in neuerer Zeit Jauernig/Jauernig, §§ 861-864, Rn. 7; Staudinger/Bund, § 863, Rn. 8; Westermann/Gursky, § 24 II 4; Gursky, JZ 1984, 604 (605); Schwab/Prutting, Rn. 124; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., §98 II 2 c (S. 554); Spiess, JZ 1979, 717 (718). 32 Hager, KTS 1989, 515 (520). 3 3 Dafür MünchKomm/Joost, % 863, Rn. 11; Hager, KTS 1989, 515 (521 f.); Soergel/Stadlern, § 863, Rn. 4. Bemerkenswert ist, dass auch der BGH in seiner letzten Entscheidung zu 29 30
B. Reichweite
des possessorischen
Besitzschutzes
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ben können, denn dass der Beklagte materiell zum Besitz berechtigt ist, zugleich aber der Kläger einen possessorischen Besitzschutzanspruch haben kann, ist nun einmal in der Besitzkonzeption des B G B angelegt. Zum Schwur kommt es hier jedoch, wenn es um die zwangsweise Durchsetzung der sich gegenüberstehenden Ansprüche geht. Das Urteil zugunsten des Klägers ist nach § 708 Nr. 9 Z P O ohne weiteres vollstreckbar, das (Leistungs-)Urteil zur Widerklage jedenfalls nach Sicherheitsleistung, § 709 Z P O . Die Widerklage muss auch keineswegs immer nur auf Feststellung gerichtet sein. Im Fall der Besitzstörung kann der Kläger auf Unterlassung klagen, während der Widerkläger Duldung begehren kann. Vollstreckungsrechtlich kann dies dazu führen, dass sich die Parteien wechelseitig mit Ordnungsgeldanträgen überziehen. Hat der Kläger aufgrund eines erstinstanzlichen Urteils den Herausgabeanspruch vollstreckt, kann der Widerkläger in der zweiten Instanz zur Leistungsklage übergehen 34 und dann aufgrund des zweitinstanzlichen Urteils seinerseits die Sache zurückholen. Will man ein solches vollstreckungsrechtliches Hin und Her vermeiden, muss man nun auf der Ebene der Zwangsvollstreckung eine Vorrangentscheidung treffen. Die Vertreter der beiderseitigen Klagezusprechung gehen daher davon aus, dass der petitorische Titel gegenüber dem possessorischen zurückzustehen habe. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die in § 863 B G B zum Ausdruck kommende Interessenabgrenzung nicht auf vollstreckungsrechtlichem Wege ausgespielt werden dürfe. Bei rechtsmittelfähigen Entscheidungen sei daher nur die possessorische Klage, nicht jedoch die petitorische Widerklage für vorläufig vollstreckbar zu erklären. 35 Vergleicht man beide Wege, so wird deutlich, dass sie im Ergebnis näher beieinander liegen, als es vielleicht auf den ersten Blick den Anschein hat. Die zweite Lösung führt nur insoweit weiter, als sie dem Beklagten unter Umständen einen zusätzlichen Gerichtsstand eröffnet und den possessorischen Anspruch in der Revisionsinstanz ausschließt. Dass diese marginalen Vorteile den beträchtlichen konstruktiven Aufwand rechtfertigen, darf bezweifelt werden, zumal seine Befürworter bei der entscheidenden Frage, nämlich der Begründung für den Vollstreckungsvorrang des Klägers mit § 863 B G B genau auf diejenige Vorschrift rekurrieren, der sie umgekehrt bei der Frage nach der Zulässigkeit der Widerklage jegliche Relevanz abgesprochen haben. Warum der Regelungsgehalt dieser Norm jedoch für die Vollstreckung weiter reichen diesem Fragenkreis davon spricht, dass der Ausschluss petitorischer Einwendungen nach § 863 B G B „jedenfalls dann nicht" gelte, wenn letztinstanzlich über das Besitzrecht befunden wird, BGH, NJW 1999, 425 (427). Ob sich hier möglicherweise eine Einschränkung der bisherigen Position abzeichnet, bleibt abzuwarten. 34 Die Klageänderung ist nach §264 Nr. 2 ZPO zulässig; ebenso Hager, KTS 1989, 515 (523) m. w. N. 35 Hager, KTS 1989, 515 (523); Baur/Stürner, § 9, Rn. 18.
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des Besitzschutzes
• 1. Kapitel:
Der possessorische
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soll als für das Erkenntnisverfahren, wird weder begründet, noch ist dafür eine plausible Erklärung auszumachen. Damit bleibt gegenüber dem einfacheren Weg der Einwand, der Beklagte könne sein Recht zum Besitz auch unabhängig von der Besitzschutzklage gegenüber dem Kläger geltend machen und durchsetzen. Darin liegt indessen kein zwingendes Gegenargument, denn dass ihm diese prozessuale Möglichkeit eröffnet ist, lässt keine Rückschlüsse auf die Voraussetzungen für eine innerprozessuale Klagenverbindung zu. Die Widerklage ist ein eigenständiges prozessuales Gestaltungselement, für das auch unabhängig vom Streit um Inhalt und Bedeutung des § 33 ZPO 36 durchaus nicht in jeder Beziehung die gleichen Regeln und Grundsätze gelten müssen, wie für die eigenständige Klage. Insgesamt trägt daher der generelle Ausschluss der petitorischen Widerklage dem Zweck des possessorischen Besitzschutzes, bei gleichzeitiger Wahrung des Zusammenspiels von materiellen und prozessualen Regelungen, am besten Rechnung. Es bleibt abschließend die Frage, ob § 863 BGB zwingendes Recht darstellt oder ob es der Kläger in der Hand hat, sich auch auf petitorische Einwendungen des Beklagten einzulassen, so dass diese mitzuverhandeln wären und den Klageanspruch letztendlich doch noch zu Fall bringen könnten. Der Kläger kann durchaus ein Interesse an einem solchen Vorgehen haben, wenn er sich dem Beklagten gegenüber im besseren Recht zum Besitz sieht, weil er dadurch einen Folgeprozess vermeidet. 37 Freilich überzeugt es noch nicht, § 863 BGB allein schon wegen seiner Stellung im Sachenrecht als nicht abdingbar zu qualifizieren. 38 Die Interessen des Verkehrs an der Erkennbarkeit und Uberschaubarkeit der dinglichen Rechtsbeziehungen werden in erster Linie durch den sachenrechtlichen Typenzwang und den numerus clausus der Sachenrechte gewährleistet. Daraus ergibt sich jedoch nicht notwendigerweise der zwingende Charakter jeder Norm, die sich, vielleicht sogar mehr oder weniger zufällig, im dritten Buch des BGB befindet. 39 Letztlich spricht gegen die Abdingbarkeit wiederum der präventive Zweck des possessorischen Besitzschutzes. 40 Ob der Kläger mangels anwaltlicher Vertretung einen Fehler begeht, wenn er sich auf eine Diskussion um ein Recht zum Besitz des Beklagten 36 Vgl. dazu im Einzelnen Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 98 II 2 d (S. 554 f.); Stein/Jonas/Schumann, § 33, Rn. 6 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., §33, Rn. 1. 37 Aus diesem Grunde für die Dispositivität des § 863 BGB Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 14, 5 c (S. 53); Wolff/Raiser, § 19 IV (S. 60). 38 So aber Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 a (S. 194). 39 So wird z.B. §999 Abs. 1 BGB allgemein als dispositiv angesehen, vgl. MünchKomm/ Medicus, § 999, Rn. 9; so auch Wieling, Sachenrecht I, § 12 V 7 a (S. 592). Selbst bei der Zuordnungsfunktion übernehmenden Vorschrift des § 950 BGB geht die herrschende Auffassung hinsichtlich des Begriffs des Herstellers im Grunde vom dispositiven Charakter der Norm aus, vgl. Soergel/Henssleru, § 950, Rn. 12 ff. m. w. N. 40 Ebenso Staudinger/Bund, § 863, Rn. 2.
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einlässt, oder ob er nur seine Chancen zur Darlegung eines eigenen besseren Rechts zum Besitz überschätzt, ist zweitrangig. Der Störer darf von vornherein nicht einmal die Aussicht darauf haben, den Kläger dazu bewegen zu können, den Prozess sogleich um das materielle Besitzrecht zu führen, da dies bereits die Durchsetzung (vermeintlich) bestehender Rechte auf eigene Faust begünstigen kann. Ist dem Kläger an der Klärung der materiellen Rechtslage gelegen, steht ihm die Erhebung einer negativen Feststellungsklage frei. Dass ihm allein aus einer solchen Trennung Nachteile erwachsen, ist nicht erkennbar.
II. Das Erlöschen der Besitzschutzansprüche gemäß §864 Abs. 2 BGB Nach § 864 Abs. 2 BGB erlöschen die possessorischen Besitzschutzansprüche der §§ 861, 862 BGB auch dann, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstandes verlangen kann. Diese Regelung verkörpert den gemeinrechtlichen G r u n d s a t z p e t i t o r i u m absorbetpossessorium.41 Die Materialien sehen die innere Rechtfertigung der Vorschrift darin, dass eine possessorische Restitution mit einer ihr folgenden, dem materiellen Recht entsprechenden Restitution ein unnötiger Umweg, eine „zwecklose Weiterung" sei. 42 So richtig dieser Satz ist, darf doch nicht übersehen werden, dass dem Gedanken der Prozessökonomie auf der anderen Seite der die Besitzschutzregelungen beherrschende Präventionszweck gegenübersteht. Den §§ 863, 864 Abs. 2 BGB kommt daher die Aufgabe zu, das allgemeine Interesse an der Verhinderung des Faustrechts einerseits und das Interesse des materiell Berechtigten an der Herstellung der seinem Recht entsprechenden Rechtslage andererseits auszutarieren. Dabei ist die Gewichtsverteilung durch das Gesetz vorgegeben. Dem Allgemeininteresse am Rechtsfrieden wird dadurch der Vorrang eingeräumt, dass dem Störer grundsätzlich kein Anreiz geboten werden soll, sein Recht nach eigenem Gutdünken durchzusetzen, §863 BGB. §864 Abs. 2 BGB stellt sich demgegenüber als spezielle Ausnahmeregelung dar, die das individuelle Interesse des Berechtigten für eine besondere Situation über den Präventionszweck stellt. Dieser mehrschichtigen Zwecksetzung muss man sich bei der weiteren Auslegung des § 864 Abs. 2 BGB bewusst bleiben.
Vgl. Motive, Band III, S. 131 (= Mugdan, Band III, S. 73). Motive, Band III, S. 131 (= Mugdan, Band III, S. 73); Denkschrift des Reichsjustizamtes, Band III, S. 109 (= Mugdan, Band III, S. 964). 41
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 1. Kapitel: Der possessorische
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§ 864 Abs. 2 B G B setzt für das Erlöschen der Besitzschutzansprüche die Feststellung des Rechts des Störers durch rechtskräftiges Urteil voraus. Erforderlich ist danach, dass der Ausspruch über das materielle Recht der Rechtskraft fähig ist, § 322 Abs. 1 ZPO. Daher genügt etwa die Abweisung einer petitorischen Klage des früheren Besitzers nicht. Bisher bestand außerdem grundsätzlich Einigkeit darüber, dass nicht nur eine Feststellungsklage, sondern auch eine Leistungsklage ausreichend ist, wenn sich aus ihr das Recht zum Besitz ergibt. 43 Demgegenüber hat sich jüngst Bund umgekehrt allein für die Berücksichtigung von Leistungsklagen ausgesprochen. Er begründet dies mit der Gefahr, dass der petitorische Gläubiger, der ein Feststellungsurteil erstritten hat, durch verbotene Eigenmacht den dem Schuldner nach § 767 ZPO ermöglichten Schutz unterlaufen könne, da die Vollstreckungsgegenklage bei nachträglichen Einwendungen nur gegenüber Leistungsklagen, nicht jedoch gegenüber Feststellungsklagen angestrengt werden kann. 44 Diese Auffassung erscheint zunächst schon deshalb bedenklich, weil dem materiell Berechtigten im Falle der Besitzentziehung in aller Regel überhaupt nichts anderes übrig bleibt, als Feststellungsklage zu erheben, denn er befindet sich aufgrund der verübten Eigenmacht bereits im Besitz der Sache.45 Aber auch die Befürchtungen, der frühere Besitzer werde benachteiligt, sind nicht recht verständlich. Wenn auch eine Vollstreckungsgegenklage gegenüber Feststellungsurteilen nicht zugelassen wird, so steht der Besitzer doch nicht schutzlos da. Bei rechtlich relevanten nachträglichen Änderungen ist er nicht gehindert, nun seinerseits Feststellungsklage zu erheben. Im Übrigen bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass das erkennende Gericht bereits bei der Entscheidung über den possessorischen Anspruch die nachträgliche Entwicklung in der Rechtsposition des Beklagten berücksichtigt. 46 Richtig ist dagegen, dass § 864 Abs. 2 B G B insoweit einer teleologischen Reduktion bedarf, als das petitorische Recht des Beklagten nicht nur rechtskräftig festgestellt, sondern auch sofort durchsetzbar sein muss.47 Das ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn der Vollstreckung des materiellen Rechts besondere schuldnerschützende Vorschriften, wie etwa §§721, 765 a ZPO, entgegenstehen. Andernfalls hätte es gerade der rücksichtslose Gläubiger in der Hand, durch eigenmächtiges Verhalten derartige Vollstreckungsschutzmaßnahmen auszuhebein. Dies widerspräche dem Präventionszweck des Besitzschutzes 43 Vgl. nur Rosenberg, § 864, Anm. II 1 a; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, § 24 II 6 (S. 103); Soergel/Stadler", § 864, Rn. 6; Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 d (S. 198, Fn. 95). 44 Staudinger/Bund, § 864, Rn. 8. Hager, KTS 1989, 515 (518), auf den sich Bund bezieht, geht allerdings wohl nicht so weit, Feststellungsklagen aus dem Anwendungsbereich des § 864 Abs. 2 B G B überhaupt auszuschließen. 4 5 Ebenso Westermann/Cursky, § 24 II 6 (S. 145 f.). 4 6 So auch zutreffend Hager, KTS 1989, 515 (518 f.). 47 Hager, KTS 1989, 515 (517 ff.); Staudinger/Bund, §864, Rn. 7, 10; Baur/Stürner, §9, Rn. 19.
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und stünde nicht im Einklang mit dem Gedanken, nur die possessorische Klage scheitern zu lassen, deren Folge sogleich durch einen petitorischen Titel wieder rückgängig gemacht werden könnte. Die herrschende Auffassung verlangt entsprechend dem Wortlaut des § 864 Abs. 2 BGB eine rechtskräftige Entscheidung über das materielle Recht des Beklagten, so dass lediglich vorläufig vollstreckbare Urteile den possessorischen Anspruch nicht ausschließen. 48 Dem wird in der Literatur immer wieder vorgehalten, dass dies jedenfalls bei Besitzstörungsklagen zu wechselseitigen, widersprüchlichen Vollstreckungsmaßnahmen nach § 890 ZPO führen könne. Daher wird hier ein Vorrang der petitorischen Entscheidung gefordert, doch könne der Besitzer bei späterer Aufhebung des Urteils die possessorische Klage erneut erheben, da seine frühere Klage nur „als zur Zeit unbegründet" abzuweisen sei. 49 Gegen diese Konstruktion spricht jedoch, dass eine solche Klageabweisung mit dem Gesetz nicht vereinbar ist. § 864 Abs. 2 BGB ordnet das Erlöschen des possessorischen Anspruchs an. Lässt man bereits das vorläufig vollstreckbare Urteil aus dem Recht genügen, kann der possessorische Besitzschutzanspruch nicht wieder aufleben. 50 Die genannte Ansicht führt außerdem dazu, dass die klare gesetzgeberische Entscheidung für einen Vorrang des possessorischen Rechtsschutzes konterkariert wird. Dem Kläger wird nicht nur die Chance genommen, seinen possessorischen Anspruch sogleich durchzusetzen, durch die vorgeschlagene Abweisung seiner Klage als zur Zeit unbegründet wird ihm außerdem zugemutet, später erneut klagen zu müssen, wodurch er weitere Verzögerungen in Kauf zu nehmen hätte. § 864 Abs. 2 BGB bringt jedoch zum Ausdruck, dass der Vorrang der possessorischen Ansprüche erst dann durchbrochen werden soll, wenn endgültig feststeht, dass dem Beklagten die materiell bessere Berechtigung gebührt. Solange dies nicht der Fall ist, die Entscheidung über die petitorische Klage also noch abänderbar ist, muss der possessorische Anspruch daher vorgehen. 51
48 Biermann, Sachenrecht, 3. Aufl. 1914, §864, Anm. 3 a a ; Wolff/Raiser, §19 V (S. 61, Fn. 19); Brehm/Berger, Rn. 4.18; Palandt/Bassenge, §864, Rn. 5; MünchKomm/Joost, §864, Rn. 9; Westermann/Gursky, § 24 II 6 (S. 146). 49 Hagen, JuS 1972, 124 (125, 127); Staudinger/Bund, § 864, Rn. 9; Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 d (S. 199). 50 Die üblicherweise akzeptierten Fälle, in denen eine Klage als zur Zeit unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden, unterscheiden sich daher auch maßgeblich von der Situation des possessorischen Besitzschutzes dadurch, dass gesetzlich oder vertraglich bestimmte Vorverfahren durchzuführen sind oder ein Anspruch noch nicht fällig ist, vgl. nur Walchshöf e r , in: FS f. Schwab, S. 521 ff. m. w. N. 51 Aus dem gleichen Grunde ist es auch nicht akzeptabel, dass der Störer sich aufgrund seines vorläufig vollstreckbaren Titels den Herausgabeanspruch des früheren Besitzers gegen sich selbst pfänden lässt, da der Besitzer auch auf diesem Weg um seinen possessorischen Anspruch gebracht wird; a. A. OLG Stuttgart, HRR 1934, 388 f.; Soergel/Mühl, § 864, Rn. 7 a. E.
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• 1. Kapitel:
Der possessorische
Besitzschutz
In diesem Zusammenhang stellt sich die weitere Frage, inwieweit einstweilige Verfügungen zugunsten des Beklagten im Rahmen der possessorischen Klage zu berücksichtigen sind. Diejenigen, die auch bei nur vorläufig vollstreckbaren Urteilen für eine Anwendbarkeit des § 864 Abs. 2 BGB plädieren, wollen - von ihrem Standpunkt aus konsequent - in gleicher Weise verfahren, wenn dem Beklagten die Sache durch eine auf das Recht zum Besitz gestützte einstweilige Verfügung zugewiesen wird. 5 2 Es verwundert allerdings, dass auch weite Teile der herrschenden Auffassung, die vorläufig vollstreckbare Entscheidungen nicht ausreichen lässt, demgegenüber bei Vorliegen einer einstweiligen Verfügung die possessorische Klage abweisen wollen, ohne diese unterschiedliche Behandlung näher zu begründen. 53 Tatsächlich geht es nicht an, dem Wortlaut des § 864 Abs. 2 BGB entsprechend eine Gleichstellung von rechtskräftiger und vorläufig vollstreckbarer Entscheidung zu verneinen, einer vorläufige Regelung aber, die noch dazu in einem summarischen Verfahren getroffen wurde, einen höheren Grad an Verlässlichkeit zuzugestehen. Gleichwohl ist es im Ergebnis richtig, dass der einstweiligen Verfügung der Vorrang gegenüber dem possessorischen Anspruch zukommt. Dies beruht jedoch nicht auf der Anwendbarkeit des § 864 Abs. 2 BGB, sondern auf der Überlegung, dass die Verfügung für die Dauer ihrer Geltung einen Rechtfertigungsgrund für das Verhalten des Beklagten darstellt. 54 Sein Handeln ist daher durch das Gesetz gestattet, so dass keine verbotene Eigenmacht nach § 858 Abs. 1 BGB vorliegt. 55 Schließlich wird die Frage unterschiedlich beantwortet, ob die zeitliche Reihenfolge von rechtskräftigem Urteil und Verübung der verbotenen Eigenmacht von Bedeutung ist. 56 Bereits das RG sprach sich dafür aus, entgegen dem Wortlaut des § 864 Abs. 2 BGB den possessorischen Anspruch auch dann zu versagen, wenn das Urteil bereits vor dem eigenmächtigen Handeln des Berechtigten unanfechtbar geworden ist. 57 Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, auf die sich das Gericht vor allem stützt, gibt für eine solche erweiternde Auslegung indessen keine Stütze. § 823 Abs. 1 des ersten Entwurfs sah 52 Hagen, JuS 1972, 124 (126 f.); Soergel/Stadlern, §864, Rn. 7; Staudinger/Bund, §864, Rn. 9; Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 d (S. 199). 53 OLG Kiel, J W 1932, 3640; OLG Naumburg, JW 1932, 1401, m. abl. Anm. Matthiessen; OLG Dresden, Recht 1941, Nr. 2922; Palandt/Bassenge, §864, Rn. 5; Soergel/Mühl, §864, Rn. 7; Westermann/Gursky, § 24 II 6 (S. 146). 54 Dazu F. Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, 1967, S. 81. 55 So überzeugend Münch Komm./Joost, § 864, Rn. 10. 56 Für die Beachtung der durch den Wortlaut vorgegebenen Reihenfolge Biermann, Sachenrecht, 3. Aufl. 1914, §864, Anm. 3 a (unter Aufgabe der früheren Auffassung); Planck/ Brodmann, §864, Anm. 2 b; Wolff/Raiser, §19 V (S. 60, Fn. 16); Palandt/Bassenge, §864, Rn. 6; Soergel/Stadler13, § 864, Rn. 7; Staudinger/Bund, § 864, Rn. 11; Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 3 d (S. 199 f.). 57 RGZ 107,258.
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vor, dass die Besitzklage und die Klage aus dem Recht nebeneinander erhoben werden können. Abs. 2 lautete: „Wird in dem über das Recht anhängig gewordenen Prozesse früher rechtskräftig entschieden, als im Besitzprozesse, so ist, wenn und soweit die im Besitzprozesse als verbotene Eigenmacht gerügte Handlung dem durch die Entscheidung in dem ersteren Prozesse festgestellten Rechte entspricht, die Besitzklage ... als erledigt anzusehen."
Die Zweite Kommission entschloss sich dann zur Streichung des ersten Absatzes, da man ihn für selbstverständlich hielt. Abs. 2 wurde zu einer materiell-rechtlichen Vorschrift umgestaltet, die im Wesentlichen dem heutigen § 864 Abs. 2 BGB entsprach. Darin wurde insofern eine Erweiterung des ersten Entwurfs gesehen, als die Vorschrift nun nicht mehr auf den Fall beschränkt sei, dass zur Zeit der rechtskräftigen Feststellung des Rechts die Besitzklage bereits anhängig ist. 58 Diese Erweiterung bezieht sich jedoch allein auf die Rechtshängigkeit der Besitzklage, nicht dagegen auf die Reihenfolge von verbotener Eigenmacht und rechtskräftiger Entscheidung. Auch die teleologischen Argumente, auf die sich das RG und das ihm folgende Schrifttum 59 beruft, vermögen nicht zu überzeugen. Die Behauptung, dass der Gläubiger, der ein ihm günstiges Urteil abwarte, nicht schlechter stehen dürfe als derjenige, der ohne einen solchen Titel verbotene Eigenmacht verübt, enthält einen unzutreffenden Vergleich. Zum einen stehen beide insofern gleich, als es auch dem zunächst das Urteil abwartenden Gläubiger noch möglich ist, durch einen weiteren Titel den Besitzschutzanspruch nach § 864 Abs. 2 BGB erlöschen zu lassen. Denn auch wenn der Gläubiger zunächst auf Herausgabe geklagt und sich die Sache dann auf eigene Faust beschafft hat, ist er nicht gehindert, noch Klage auf Feststellung seines Eigentums und des fehlenden Besitzrechts des Gegners zu erheben. Zum anderen ist der Nachteil, einen weiteren Prozess führen zu müssen, eine gerechtfertigte Sanktion zur Verwirklichung des Präventionszwecks der Besitzschutzvorschriften. Diese Funktion wird in unzulässiger Weise verkürzt, wenn allein darauf abgestellt wird, dass es eine „zwecklose Weiterung" sei, den Besitzanspruch zuzusprechen. Angesichts rechtlicher Möglichkeiten, die Zwangsvollstreckung zumindest zu verzögern und im Hinblick auf praktische Schwierigkeiten, wie sie vor allem in den neuen Bundesländern immer wieder zu Tage treten, sollte man auch den Anreiz zur Selbstdurchsetzung von Titeln nicht unterschätzen. Zwar verbleiben dem Besitzer auch bei Ausschluss seiner Besitzansprüche immer noch die Gewaltrechte nach § 859 BGB. Es besteht jedoch kein Grund, ausgerechnet denjenigen zu belohnen, der sich über diese Hemmschwelle hinwegsetzt und unter Protokolle, Band III, S. 45 (= Mugdan, Band III, S. 518). Biermann, Sachenrecht, 2. Aufl. 1903, § 864, Anm. 3 a; Rosenberg, § 864, Anm. II 1 b; MünchKomm/Joost, % 864, Rn. 11; RGRK/Kregel, § 863, Rn. 5; Westermann/Gursky, § 24 II 6 (S. 146); Petersen, Jura 2002, 255 (256). 58 59
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• 1. Kapitel: Der possessorische
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Umständen sogar ein „Rollkommando" einsetzt. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass zwischen der Rechtskraft des Urteils und dem Besitzeingriff ein längerer Zeitraum liegen kann, in dem sich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse geändert haben können. Wenn man derartigen Veränderungen im Rahmen der possessorischen Klage Rechnung tragen will, 60 führt dies dazu, dass der Besitzprozess entgegen § 863 B G B doch wieder mit unter Umständen langwierigen Prüfungen der materiellen Rechtslage belastet wird. Es zeigt sich damit auch bei diesem Problem, dass eine über den Wortlaut des §864 Abs. 2 B G B hinausgehende Auslegung weder der Singularität dieser Vorschrift noch dem besonderen Präventionszweck des Besitzschutzes gerecht wird.
III. Zum Umfang des Besitzschutzes beim mittelbaren Besitz, §869 BGB Wird gegen den Besitzer verbotene Eigenmacht verübt, so stehen die Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 B G B nach § 869 S. 1 B G B auch dem mittelbaren Besitzer zu. Die Gewaltrechte des § 859 B G B werden hier nicht erwähnt. Die Materialien bringen mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit zum Ausdruck, dass sich der Gesetzgeber bewusst gegen die Einräumung der Gewaltrechte auch an den mittelbaren Besitzer entschieden hat. Der Zweiten Kommission lagen mehrere Anträge vor, die beim mittelbaren Besitz in der ein oder anderen Form eine Bezugnahme auf § 815 E I, der die Gewaltrechte des heutigen § 859 B G B enthielt, vorsahen. Es wurde jedoch letztlich als „gänzlich überflüssig" abgelehnt, „dem mittelbaren Besitzer auch das dem Besitzer nach § 815 zustehende Selbsthülferecht zu gewähren. Die in den §§ 191 ff. (= §§ 227 ff. B G B ) getroffenen allgemeinen Bestimmungen reichten zum Schutze des mittelbaren Besitzers völlig aus." 61
In gleicher Weise nimmt die Denkschrift des Reichsjustizministeriums zu dieser Frage Stellung: „Die Gewährung der in § 843 (= § 859 B G B ) bestimmten Selbsthülfebefugnisse ist allerdings entbehrlich, da die allgemeinen Vorschriften der §§221 ff. (= § § 2 2 7 ff. B G B ) über Selbstvertheidigung und Selbsthülfe dem mittelbaren Besitzer hinreichende Freiheit zur Wahrung seiner Rechte lassen." 62
Eben diese Stellen nimmt Bund dagegen zum Anlass, den abschließenden Charakter des § 869 B G B in Frage zu stellen. Die Materialien zeigten, dass das Problem der Nothilfe für den unmittelbaren Besitzer nicht ganz durchschaut 60 61 62
So MünchKomm/Joost, § 864, Rn. 11 a. E. Protokolle, Band III, S. 226 (= Mugdan, Band III, S. 516). Denkschrift, Band III, S. 111 (= Mugdan, Band III, S. 965).
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worden sei. 63 Dieser Vorwurf beruht allerdings auf der Prämisse, dass der mittelbare Besitzer ebenfalls tatsächliche, wenn auch gelockerte Sachherrschaft ausübe und er daher bei der Abwehr von Angriffen nicht nur uneigennütziger Nothelfer des unmittelbaren Besitzers sei, sondern zugleich ein eigenes Rechtsgut verteidige. 64 Auf derselben Linie liegt ein Großteil des Schrifttums, der die Gewaltrechte des § 859 B G B aus der Natur des mittelbaren Besitzes als wahren Besitzes oder schlicht aus praktischen Erfordernissen ableiten will. 65 Dass der mittelbare Besitz jedoch nicht überzeugend als eigenständige Form tatsächlicher Sachherrschaft gedeutet werden kann, wurde bereits dargelegt. 66 Auch aus einem besonderen Interesse des mittelbaren Besitzers an der Sache, das unter Umständen sogar stärker sein kann als das des unmittelbaren Besitzers, lassen sich die besonderen Gewaltrechte des § 859 B G B ebenso wenig herleiten, müsste man sie doch andernfalls auch dem Eigentümer zubilligen. 67 Vor diesem Hintergrund bestünde nur dann Anlass, entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers den Kreis der Besitzrechte zu erweitern, wenn andernfalls ernstliche Schutzlücken zu befürchten wären. Dafür besteht indessen kein Grund. Der mittelbare Besitzer ist ebenso wie jeder Dritte befugt, die allgemeinen Gewaltrechte nach §§ 227 ff. B G B auszuüben und kann daher Nothilfe zugunsten des unmittelbaren Besitzers leisten. Inhaltlich entspricht das Notwehrrecht nach § 227 B G B dem Recht zur Besitzwehr gemäß § 859 Abs. 1 B G B . 6 8 Darüber hinaus steht Dritten und damit auch dem mittelbaren Besitzer das Recht zu, in den Grenzen der Geschäftsführung ohne Auftrag auch Besitzkehr nach § 859 Abs. 2, 3 B G B im Interesse des unmittelbaren Besitzers zu üben. 6 9 Auf eine Genehmigung des Berechtigten kann es dabei ebensowenig ankommen wie auch sonst bei §§ 677 ff. B G B , solange der Geschäftsführer im Interesse des Geschäftsherrn handelt. 70 Eine
Staudinger/Bund, § 869, Rn. 2. Staudinger/Bund, § 868, Rn. 5; § 869, Rn. 1, 2. 65 Bekker, JherJb 34 (1895) 1 (68 ff.); Cosack/Mitteis, § 13 III; O. v. Gierke, Gutachten für den 24. DJT, Band III, 1898, S. 29 (37 f.); ders., Sachenrecht, § 116 (S. 255 f.); Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 8, 3 (S. 32);Jauernig/'Jauernig, § 869, Rn. 2; Palandt/Bassenge, § 869, Rn. 2; Baur/Stürner, § 9, Rn. 23; K. Müller, Rn. 234; Schapp, Rn. 73; Schreiber, Rn. 100; Soergel/Stadler", §869, Rn. 3; Westermann/Gursky, §26 III 2 (S. 152 f.); M. Wolf, Rn. 167; Kollhosser, JuS 1992, 567 (570); Lopau, JuS 1980, 501 (503); Petersen, Jura 2002, 160 (163); Wolff/Raiser, § 20 I 2 (S. 62), beschränken die Gewaltrechte entsprechend § 869 S. 2 BGB. 6 6 Vgl. dazu oben, Teil 1, 1. Kapitel, A. II. (S. 15 f.). 67 Schwab/Prutting, Rn. 87. 68 Wendt, AcP 87 (1897), 40 (58); MünchKomm/Joost, §859, Rn.2; Staudinger/Bund, § 859, Rn. 5; Westermann/Gursky, §23, 2 (S. 139); Wieling, Sachenrecht I, § 5 III 1 a (S. 179). Für die Annahme, dass die Besitzwehr weiter reiche als die Notwehr (so Palandt/Bassenge, § 859, Rn. 2; Erman/Werner, § 859, Rn. 2), ist nichts ersichtlich. 6 9 Dazu im Einzelnen Wieling, Sachenrecht I, § 5 III 2 a (S. 182 f.); vgl. auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe im Rechtssystem, S. 55 ff. 70 RGRK/Johannsen, §229, Rn. 11; Soergel/Fahsen, §229, Rn.9; Wieling, Sachenrecht I, 63
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Besitzschutz
solche Selbsthilfe zugunsten Dritter lässt sich nicht nur nahtlos in das System der §§ 227 ff., 859 f., 677 ff. B G B einfügen, sondern hat zusätzlich den Vorteil, dass sie die Kasuistik überflüssig macht, zu der die gegenteilige, herrschende Auffassung 71 greifen muss, um in bestimmten Fallgruppen gleichwohl die Hilfe durch Dritte zulassen zu können. Die Ausübung von Gewaltrechten gegen den Willen des unmittelbaren Besitzers kommt in den Grenzen der §§ 227 ff. B G B nur in Betracht, wenn der mittelbare Besitzer seinerseits irgendein Recht an der Sache hat. Danach verbleibt allenfalls die Frage, ob auch der unberechtigte mittelbare Besitzer der Gewaltrechte bedarf, wenn der unmittelbare Besitzer es ablehnt, sich zu verteidigen. Es besteht jedoch keine Veranlassung, für derart spezielle Fallgestaltungen vom Wortlaut des § 869 B G B und dem erklärten Willen des Gesetzgebers abzurücken. 72 Schließlich erfordert auch der Präventionszweck der Besitzregelungen keine eigenen Gewaltrechte des mittelbaren Besitzers, da diese bereits dem unmittelbaren Besitzer zustehen. Aus der Sicht des Störers ist das Besitzmittlungsverhältnis auch nicht ohne weiteres erkennbar, so dass das Risiko der Drittverteidigung nicht über das allgemeine Risiko der Nothilfe hinausgeht. 73 Mit der noch herrschenden Auffassung ist daher davon auszugehen, dass der mittelbare Besitzer auf die Besitzschutzansprüche nach § § 8 6 9 S. 1, 861, 862 B G B beschränkt ist. 74
C. § 1361 a BGB als lex specialis? Leben Ehegatten getrennt, kann jeder von ihnen nach § 1361 a Abs. 1 S. 1 B G B die ihm gehörenden Haushaltsgegenstände von dem anderen Ehegatten herausverlangen. Es besteht allerdings eine Pflicht zur Gebrauchsüberlassung, soweit der andere Ehegatte die Gegenstände zur Führung eines abgesonderten Haushalts benötigt und die Überlassung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht, §1361 a Abs. 1 S . 2 B G B . Aus dieser Ge§5 III 2 a (S. 182); a. A. MünchKomm/ Grothe, §229, Rn.2; Staudinger/Bund, % 859, Rn. 18; Enneccerus/Nipperdey, § 242 III 4 (S. 1047). 71 Planck/Brodmann, §860; Wolff/Raiser, § 6 IV (S. 28 f.); Erman/Hefermehl, §229, Rn. 10; MünchKomm/Joost, § 859, Rn. 3; RGRK/Kregel, § 860; Soergel/Stadler13, § 859, Rn. 2; § 860, Rn. 2; Westermann/Gursky, § 23 (S. 139). 72 So richtig Wieling, Sachenrecht I, § 6 IV 2, mit dem zusätzlichen Hinweis, dass der mittelbare Besitzer gegenüber dem Eigentümer auch nach § 255 BGB vorgehen kann. 73 Ähnlich MünchKomm/Joost, § 859, Rn. 7. 74 RGZ 146, 190; O L G Freiburg, JZ 1952, 334 f.; Planck/Brodmann, §869, Anm. 2; Rosenberg, § 869, Anm. II 1; Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Band II/l, S. 250; Erman/ Werner, § 869, Rn. 4; MünchKomm/Joost, § 869, Rn. 7; RGRK/Kregel, § 869, Rn. 1; Soergel/ Mühl, §869, Rn. 4; Schwab/Prutting, Rn.87; Wieling, Sachenrecht I, § 6 IV 2 (S. 236); Wilhelm, Rn. 477; E. Wolf, Lehrbuch des Sachenrechts, § 2 IV f (S. 76 f.).
C. $ 1361 a BGB als lex
specialis?
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brauchsüberlassungspflicht ergibt sich für den anderen Ehegatten ein petitorischer Herausgabeanspruch, so dass sich bei eigenmächtiger Mitnahme von Haushaltsgegenständen durch den Eigentümerehegatten die Frage stellt, in welchem Verhältnis § 1361 a Abs. 1 BGB zu § 861 BGB steht. Hält man sich an die allgemeine Systematik des Gesetzes, kann die Antwort nicht schwer fallen. Ebenso wie gegenüber jedem anderen petitorischen Herausgabeanspruch muss das possessorische Recht auch von dem Anspruch nach § 1361 a Abs. 1 BGB unabhängig sein. Das spezifische Ziel der Friedenssicherung besitzt im Familienrecht keine geringere Verbindlichkeit als in anderen Bereichen des bürgerlichen Rechts. Im Gegenteil erfordert gerade die besondere Trennungsund Scheidungssituation, die häufig genug mit tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten der Ehegatten verbunden ist, eine besondere Berücksichtigung der Präventionsfunktion der Besitzschutzregelungen. Umso interessanter ist die Frage, wie es vor diesem Hintergrund zu der überaus weit verbreiteten, vielleicht herrschenden Auffassung kommen konnte, nach der im Anwendungsbereich der §§ 1361 a, 1361 b BGB der possessorische Anspruch nach § 861 BGB, 75 ja sogar der gesamte Besitzschutz nach §§ 858 ff. BGB, 76 ausgeschlossen sei. Die inzwischen überaus umfangreiche Rechtsprechung und Literatur zu diesem Thema wurde offenbar nachhaltig von einer Entscheidung des BGH vom 22.9.1982 geprägt. 77 Bis zu diesem Zeitpunkt ging die ganz überwiegende Rechtsprechung von der freien Anspruchskonkurrenz zwischen §1361 a BGB und § 861 BGB aus. 78 In der genannten Entscheidung hatte der BGH dann über die Zuständigkeit des Familiengerichts bei Streitigkeiten über die Rückgabe von Hausrat zu entscheiden. Das Gericht stellte hierzu fest, dass die HausratsVO nicht nur Vorschriften für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe enthalte, sondern dass ihre Verfahrensvorschriften auch auf die Verteilung des Hausrats im Falle des Getrenntlebens von Ehegatten nach § 1361 a BGB anzuwenden seien. Für das Prozessgericht gelte insoweit die Abgabepflicht nach § 18 HausratsVO. Sinn und Zweck dieser Regelung sei es, Streitigkeiten über Rechtsverhältnisse am Hausrat bereits im Falle des Getrenntlebens der Ehegatten bei denjenigen Gerichten zu konzentrieren, die diesen mit der Ehesache aufs engste verknüpften Angelegenheiten örtlich und 75 OLG Köln, FamRZ 1997, 1276 (1277); OLG Schleswig, FamRZ 1997, 892; OLG Oldenburg, FamRZ 1994, 1254 (1255); Baur/Stürner, § 9 Rn. 18, Fn. 1; Schwab/Prutting, Rn. 117; MünchKomm/Joost, § 861, Rn. 14; Soergel/Mühl, § 861, Rn. 11; Palandt/Brudermüller, § 1361 a, Rn. 19. 76 OLG Düsseldorf, FamRZ 1987, 483; 1994, 390. 77 BGH, NJW 1983, 47 f. 78 BayObLG, FamRZ 1968, 319 (321); OLG Düsseldorf, FamRZ 1983, 164 (165); OLG Frankfurt, FamRZ 1981, 184; OLG Hamburg, FamRZ 1980, 250; OLG Nürnberg, FamRZ 1959, 169; AG Witten, MDR 1962, 53 (54); a. A. LG Bochum, FamRZ 1983, 166; LG Stuttgart, MDR 1972,146.
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 1. Kapitel:
Der possessorische
Besitzschutz
sachlich am nächsten stehen. Diese Zweckbestimmung und erhebliche praktische Gründe sprächen dafür, über den Wortlaut des § 1361 a BGB hinaus nicht nur Herausgabeansprüche aus dem Alleineigentum eines Ehegatten am Hausrat und Nutzungsstreitigkeiten hinsichtlich im Miteigentum der Ehegatten stehender Hausratsgegenstände dem Verfahren der HausratsVO zu unterwerfen, sondern auch andere Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit der Benutzung und dem Besitz von Hausratsgegenständen stehen. Dazu gehörten auch Fälle, in denen ein Ehegatte eigenmächtig Gegenstände des Hausrats aus der ehelichen Wohnung verbringt und der andere Ehegatte deswegen die Wiederherstellung der früheren Besitzverhältnisse verlangt. 79 Die Problematik dieser Entscheidung liegt darin, dass ihre Gründe nicht präzise formuliert sind. Die Aussage, dass das Verlangen der Wiederherstellung der früheren Besitzlage „über den Wortlaut des § 1361 a BGB hinaus" gehe, könnte so verstanden werden, dass nunmehr auch ein possessorischer Rückgabeanspruch aus einer analogen Anwendung dieser Norm zu folgern sei, da sich der petitorische Rückgabeanspruch bereits aus der Gebrauchsüberlassungspflicht nach § 1361 a Abs. 1 S. 2 BGB ergibt. Dies ist indessen keineswegs zwingend, da sich das Gericht allein mit Zuständigkeits- und Verfahrensfragen zu beschäftigen hatte. Im Kern ging es daher um die Auslegung des § 18 a Hausrats VO, wonach die Verfahrensvorschriften der Verordnung sinngemäß auf die Verteilung des Hausrats im Falle des § 1361 a BGB und auf die Regelung über die Benutzung der Ehewohnung im Falle des § 1361 b BGB anzuwenden sind. Da sich der petitorische Herausgabeanspruch bereits aus § 1361 a BGB ergibt, hatte der BGH also in Wirklichkeit nur über die Einbeziehung des possessorischen Herausgabeanspruchs in das Verfahren nach der Hausrats VO über den Wortlaut des § 18 a zu befinden. Angesichts dieser Unklarheiten verwundert es nicht, dass die Entscheidung inzwischen in jede Richtung hin interpretiert worden ist. Während manche in dem Urteil ein Bekenntnis zu einem Besitzschutzanspruch, gerichtet auf Wiederherstellung der früheren Besitzverhältnisse, sehen, 80 halten andere nun den temporären Vorrang der Hausratsverordnung für festgestellt, 81 während eine dritte Auffassung davon ausgeht, dass der BGH die Frage nach einem possessorischen Anspruch überhaupt offengelassen hat. 82 Auch erhebliche Teile der Rechtsprechung sahen in der Verweisung von Streitigkeiten über die Rückschaffung eigenmächtig entfernten Hausrats unter die Geltung der HausratsBGH, NJW 1983, 47 (48). Fehmel, Hausratsverordnung, 1986, § 1, Rn. 57. 81 Beitzke, Familienrecht, 24. Aufl. 1985, § 12 VII 5 (S. 91). 82 Hambitzer, FamRZ 1989,236. 83 OLG Düsseldorf, FamRZ 1986, 276 (277); OLG Hamm, FamRZ 1987, 483 (484); OLG Koblenz, FamRZ 1985, 931; OLG Oldenburg, MDR 1994, 170; OLG Schleswig, FamRZ 1997,892. 79 80
C. § 1361 a BGB als lex
specialis?
173
V O zugleich einen Vorrang des § 1361 a BGB gegenüber § 861 BGB. 83 Führt die Entscheidung des BGH danach nicht weiter, bleiben angesichts des Schweigens der Materialien zu §§ 1361 a, 1361 b BGB 84 nur zwei Argumente für eine Verdrängung des § 861 BGB durch § 1361 a BGB. Zum einen wird geltend gemacht, dass Sinn und Zweck des Hausratsverteilungsverfahrens nach §§ 1361 a BGB, 18 a HausratsVO den Ausschluss von Besitzschutzansprüchen gebieten, da es nicht sinnvoll sei, erst die Rückschaffung der entfernten Gegenstände anzuordnen, um dann anschließend im Hausratsverfahren unter Umständen dieselben Gegenstände dem eigenmächtig handelnden Ehegatten wieder zuzusprechen. 85 Dieser Einwand kann jedoch schon deshalb nicht durchgreifen, weil eine vorübergehende Besitzrestitution in Abweichung von der endgültigen materiell-rechtlichen Lage ein typisches Kennzeichen des possessorischen Besitzschutzes ist und daher vom Gesetz bewusst in Kauf genommen wird, um dessen präventive Funktion zu gewährleisten. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass bereits über das Tatbestandselement der „Billigkeit" nach § 1361 a Abs. 1 S. 2 BGB eigenmächtiges Handeln eines Ehegatten berücksichtigt werden könne, so dass kein Bedürfnis für einen eigenständigen possessorischen Anspruch bestehe. 86 Dagegen spricht allerdings, dass der Begriff der Billigkeit zur Erfassung unterhaltsrechtlicher Kriterien, wie Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit, dient und die Einbeziehung eigenmächtigen Handelns in diesen Kontext daher systemfremd wäre. Es kommt hinzu, dass es bei einem solchen Vorgehen dennoch nicht ausgeschlossen ist, dass der die Sache entziehende Ehegatte nach der Gesamtwürdigung der Umstände gleichwohl den Gegenstand zugesprochen erhält, so dass sich sein Faustrecht letztlich doch durchsetzen würde. Darin läge eine zumindest nicht unbedenkliche Einschränkung des Präventionszwecks. Auch die zwischen den Meinungspolen vermittelnden Ansichten vermögen nicht zu überzeugen. Der Vorschlag, in analoger Anwendung von § 1361 a BGB in Verbindung mit §§ 18 a, 13 HausratsVO eine einstweilige Anordnung zu erlassen, die den eigenmächtig handelnden Ehegatten zwingt, alle entfernten Sachen zurückzuschaffen, mit Ausnahme derjenigen Gegenstände, auf die er zur Deckung seines nötigsten Bedarfs angewiesen ist, 87 scheitert bereits am Fehlen einer gesetzlichen Regelungslücke, da die §§ 858 ff. BGB anwendbar sind. Der Ehegatte, der dringendst auf ihm gehörende Gegenstände angewieBT-Dr. 2/224, S. 32 f.; 10/2888, S. 16; 10/4514, S. 22. OLG Düsseldorf, FamRZ 1987, 483; 1994, 390 (391); OLG Frankfurt, FamRZ 1988, 399; OLG Hamm, FamRZ 1988, 1303 (1304); OLG Zweibrücken, FamRZ 1987,1146 f.; Menter, FamRZ 1997, 76 (78). 86 OLG Düsseldorf, FamRZ 1987, 483; OLG Hamm, FamRZ 1988, 1303 (1304). 87 OLG Hamm, FamRZ 1991, 81; OLG Koblenz, FamRZ 1985, 931. Der Vorschlag von Menter, FamRZ 1997, 76 (78 f.), im Wege einer „extensiven Auslegung" des § 1361 b BGB zu einer einstweiligen Anordnung im Sinne der §§ 18 a, 13 HausratsVO zu gelangen, unterscheidet sich dagegen nicht erkennbar von einer unmittelbaren Anwendung des § 861 BGB. 84
85
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 1. Kapitel:
Der possessorische
Besitzschutz
sen zu sein glaubt, mag sich seinerseits im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an das Familiengericht wenden. Der umgekehrte Weg, den possessorischen Anspruch nach § 861 BGB zuzulassen, ihm aber § 1361 a BGB als petitorische Einwendung entgegenzuhalten, 88 scheitert an § 863 BGB. Der Ausschluss petitorischer Einwendungen ist weder dispositiv 89 noch lässt sich aus der allgemeinen Pflicht zu Beistand und Rücksichtnahme gemäß § 1353 BGB herleiten, dass ausgerechnet der auf Faustrecht verzichtende Ehegatte dem eigenmächtig Handelnden einen Vorteil zu verschaffen habe. Der Rechtsfrieden zwischen Ehegatten ist nicht weniger schützenswert als der zwischen Dritten. Nach alledem besteht kein Grund, von der allgemeinen Systematik des Gesetzes abzuweichen und den possessorischen Besitzschutz aus dem Familienrecht und insbesondere bei Getrenntleben der Ehegatten auszuklammern. Der Ehegatte, dem der Mitbesitz an Gegenständen des Hausrats entzogen worden ist, kann daher die Wiederherstellung der früheren Besitzposition nach §§ 861, 866 BGB verlangen, ohne dass die Frage der materiellen Güterverteilung nach §§ 1361 a, 1361 b BGB dadurch berührt wird. Eine ganz andere Frage ist, in welchem Verfahren der Herausgabeanspruch geltend zu machen ist. 90 Insoweit ist und bleibt die Entscheidung des BGH inhaltlich zutreffend. 91 Der die Herausgabe begehrende Ehegatte muss seinen Anspruch daher zwar im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor dem zuständigen Familiengericht geltend machen, kann sich dabei jedoch materiell-rechtlich sowohl petitorisch auf § 1361 a Abs. 1 BGB als auch possessorisch auf § 861 BGB stützen. 92
Dafür Kobusch, FamRZ 1994, 935 (940 f.). Vgl. oben, Teil 2, 1. Kapitel, B. I. (S. 155 ff.). 90 Dies verkennen z.B. OLG Düsseldorf, FamRZ 1983, 164 (165), und OLG Frankfurt, FamRZ 1981, 184, sowie Soergel/Heintzmann, §18 a HausratsVO, Rn. 7, die allein aus der Anwendbarkeit von §861 BGB auf die Zuständigkeit des Prozessgerichts schließen. Richtig dagegen OLG Hamburg, FamRZ 1980, 250. 91 BGH, NJW 1983, 47 (48); a. A. Hambitzer, FamRZ 1989, 236 (238). 92 Ebenso MünchKomm/Wacke, § 1361 a, Rn. 16; Soergel/Lange, § 1361 a, Rn. 13; Soergel/ Stadler", §861, Rn.2; Staudinger/Bund, § 858, Rn. 35; Westermann/Gursky, §24 II 8; für freie Anspruchskonkurrenz auch OLG Bamberg, FamRZ 1993, 335 (336); KG FamRZ 1987, 1147; Brehm/Berger, Rn. 4. 20; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 19 III 4 (S. 190 f.); Hambitzer, FamRZ 1989, 236 (237 f.). 88
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2. Kapitel
Der petitorische Besitzschutz nach § 1007 BGB A.
Allgemeines
Der im Allgemeinen als petitorisch bezeichnete Schutz des Besitzes durch die Vorschrift des § 1007 B G B wird bis heute in seinen Grundlagen und seiner Bedeutung für das System des Besitzschutzes als nicht geklärt angesehen. Hierzu hat nicht nur die wechselvolle Entstehungsgeschichte (dazu sogleich unter B.), sondern auch der komplexe und unübersichtliche Aufbau der Norm, der zum Teil durch eine bewusste Beweislastverteilung bedingt, zum Teil jedoch schlicht missglückt ist, beigetragen. Rückblickend ist es bemerkenswert, wie sehr man sich bei der Einführung des § 1 0 0 7 B G B über dessen Bedeutung für die zukünftige Rechtspraxis täuschte. Ursprünglich ging man davon aus, dass die Klage aus § 1007 B G B nicht nur wegen der geringeren Voraussetzungen, sondern auch im Hinblick auf einen vermeintlich weiteren Anwendungsbereich die Eigentumsklage aus § 985 B G B zumindest stark zurückdrängen, wenn nicht gar überflüssig 1 machen werde. Der Eigentumsanspruch habe im Mobiliarrecht durch § 1007 B G B nicht nur starken Abbruch erlitten, 2 die Klage aus letzterer Norm vereinige vielmehr sogar alle Vorzüge in sich, die sie berechtigten, an die Stelle der Mobilienvindikation zu treten. 3 Ein weiterer Beleg für die hohe Bedeutung, die man der Vorschrift des § 1007 B G B beimaß, ist die wahre Literaturflut, die zu dieser Norm sogleich nach Inkrafttreten des B G B erschienen ist. Allein innerhalb des ersten Jahrzehnts wurden nicht weniger als 26 Dissertationen veröffentlicht. 4 Allerdings fehlte es auch nicht an bald auftretenden kritischen In diesem Sinne etwa Pflüger, JherJb 35 (1896), 451 (458 f.). Beck, Das Verhältnis des § 985 zum § 1007 BGB bei der Verfolgung beweglicher Sachen, 1908, S. 52. 3 Frank, Vergleich der actio Publiciana mit der Klage aus § 1007 des bürgerlichen Gesetzbuches, 1903, S. 77. 4 Beck, Das Verhältnis des § 985 zum § 1007 BGB bei der Verfolgung beweglicher Sachen, 1908; Cuypers, Zum Problem des § 1007 BGB, 1908; Effertz, Der Anspruch aus § 1007 BGB in seinem Verhältnis zu dem Eigentumsanspruch (§ 985 BGB) und zu dem Anspruch wegen Besitzentziehung (§ 861 BGB), 1907; Feustel, Der Anspruch aus § 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuches verglichen mit den Klaggebilden des früheren Rechts, 1900; Frank, Vergleich der 1
2
176
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
Gegenstimmen. Während Hedemanrv' eine „theoretische Überkonstruktion" konstatierte, nahm Oertmann6 an, dass die Vorschrift ihr Dasein im Wesentlichen „der Studierstube und antiquarischen Liebhabereien" verdanke, dem praktischen Leben jedoch so gut wie gar nicht angehöre. Deutlich nüchterner muss die Bilanz demgegenüber nach einhundertjähriger Geltung des BGB ausfallen. Unbestrittenermaßen steht die Eigentumsklage nach § 985 BGB gegenüber dem Rechtsbehelf aus § 1007 BGB ganz im Vordergrund. Die veröffentlichte Rechtsprechung zu letztgenannter N o r m ist spärlich. 7 Gleichwohl ist die Auffassung der jüngeren Literatur über die Relevanz des § 1007 BGB geteilt. Für Boehmer erfüllt die Vorschrift eine „wichtige soziale Aufgabe". 8 Andere messen ihr keine besondere praktische Bedeutung bei. 9 Die Erwaractio Publiciana mit der Klage aus § 1007 des bürgerlichen Gesetzbuches, 1903; Giese, Besitzrechtsschutz im Bürgerlichen Gesetzbuch und actio in rem Publiciana, 1901; Goldstein, Wird durch ein Urteil aus § 1007 BGB eine Rechtskraftwirkung hinsichtlich des Eigentümers für spätere Eigentumsklagen insbesondere für die Negatorienklage (§ 1004 B.G.B.) erzielt?, 1908; Janiszewski, Schutz des früheren Besitzes auf Grund der §§861 und § 1007 des BGB in vergleichender Darstellung, 1905; Jannssen, Uber das Verhältnis der Besitzklage aus § 861 BGB zu der Klage aus § 1007 BGB, 1904; Krohn, Vergleichung der gemeinrechtlichen actio Publiciana und der Ansprüche aus den §§ 1006 und 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1904; Lange, Ein Vergleich der Herausgabeansprüche des Eigentümers einer beweglichen Sache aus § 985 (§ 1006) BGB und des früheren Besitzers aus § 1007 BGB, 1909; Low von und zu Steinfurth, Die Actio Publiciana und die Klage aus § 1007 des BGB, 1904; Loos, Der Herausgabeanspruch des früheren Besitzers (§ 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), 1905; Lorey, Der Anspruch aus früherem Besitze nach § 1007 BGB, 1910; Mattil, Actio Publiciana und Anspruch aus § 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1908; Michel, Uber das Verhältnis der Klage aus Bürgerlichem Gesetzbuch §1007 zu der Klage aus Bürgerlichem Gesetzbuch §861, 1904; Miethke, Wesen und Umfang der Klage des §1007 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich (unter Ausschluß des Inhalts der Klage), 1900; Müller, H., Die Klage aus dem früheren Besitz nach dem bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, 1900; Müller, J., Vergleich der actio in rem Publiciana mit den Klagen aus §§ 1006, 1007 B.G.B., 1905; Neikes, Die Klage aus § 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuches und ihre Grundlagen, unter besonderer Berücksichtigung der actio Publiciana, 1903; Neumann, Der Anspruch des § 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Die Fahrnisverfolgungsklage), 1907; Peipers, Die Besitzrechtsklage nach § 1007 BGB gegenüber der actio Publiciana des römischen und gemeinen Rechts, 1902; Scherer, Unterschiede zwischen der actio Publiciana und der Klage aus § 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1904; Schimanski, Die Ansprüche aus früherem Besitze. Die actio in rem Publiciana, die preußische Klage aus besserem Rechte zum Besitz und § 1007 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1903; Schwartz, Uber das Verhältnis der Ansprüche aus §§861, 1007, 985 B.G.B, zu einander, 1905; Volk, Der Anspruch des früheren Besitzers aus § 1007 BGB mit besonderer Rücksicht auf die Verteilung der Behauptungs- und Beweislast, 1903. 5
Hedemann, Sachenrecht, § 10 VII c. Oertmann, JW 1929, 570 f. 7 Dazu unten, 2. Kapitel, D. (S. 195 ff.). 8 Boehmer, Einführung in das Bürgerliche Recht, 2. Aufl. 1965, § 22 IV 2 (S. 228). 9 MünchKomm/Medicus, § 1007, Rn. 2 („... mehr eine Vorschrift für Grübler als für die Praxis."); Palandt/Bassenge, § 1007, Rn. 1; Fiedler, S. 184 f.; a.A. RGRK/Pikart, § 1007, Rn. 3; Wieling, Sachenrecht I, § 12 IX 2 a, Fn. 11 (S. 626) weist darauf hin, dass keine Statistiken vorliegen; vgl. zuletzt auch ders., in FS f. Hattenhauer, S. 557 (567 ff.). 6
B.
Entstehungsgeschichte
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tung Hörers, dass die Bedeutung des § 1007 B G B mit steigender Verbreitung des Leasings zunehmen werde, 10 hat sich bisher nicht bestätigt. Auch wenn der Besitzschutz über § 1007 B G B in der gerichtlichen Praxis insgesamt keine hervorgehobene Rolle spielt, ist eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen und der Funktion der Vorschrift doch schon deshalb nicht entbehrlich, weil ihr Regelungsgehalt immer wieder in vielfältiger Weise als Ausdruck und Beleg, wenn nicht gar zentraler Angelpunkt eines besonderen Besitz rechts mit zum Teil sogar dinglicher Wirkung verstanden wurde.
B.
Entstehungsgeschichte
I. Der Vorentwurf Johows Die wechselvolle Entstehungsgeschichte des späteren § 1007 B G B beginnt mit dem Teilentwurf zum Sachenrecht. Johow ging von dem Dilemma der probatio diabolica aus, die den Kläger bei bestrittenem Eigentumsrecht grundsätzlich zwingt, den Beweis des ersten originären Eigentumserwerbs der Sache und sämtlicher Ubertragungsakte bis auf den Kläger zu erbringen. 11 Da ein solcher Beweis gerade bei längeren Ubertragungsketten in der Regel kaum erbracht werden kann, kamen für Johow zwei Wege in Betracht, um dem Kläger eine erleichterte Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Zum einen sollte der Erwerb des Eigentums vom Nichtberechtigten in gewissen Grenzen zugelassen werden. Dies geschah durch § 124 des Teilentwurfs (TE) für Grundstücke und durch die §§ 134,135 T E für bewegliche Sachen. Zum anderen sprach sich Johow in den §§ 198 - 202 T E 1 2 für die Aufnahme von gesetzlichen Eigentumsvermutungen aus. Eine darüber hinausgehende Anerken-
Hörer, S. 108. Johow, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Sachenrecht, Begründung zum Sachenrecht, S. 957. 12 § 198: „Demjenigen, welcher als Eigentümer eines Grundstücks im Grundbuche eingetragen ist, steht bis zum Gegenbeweise die Vermuthung des Eigenthums zur Seite." § 199: „Demjenigen, welcher eine bewegliche Sache in gutem Glauben erworben und übergeben erhalten hat, steht bis zum Gegenbeweise die Vermuthung zur Seite, dass die Sache dem Veräußerer gehört hat." § 200: „Die Vermuthung für das Eigenthum einer beweglichen Sache steht bis zum Gegenbeweise ferner zur Seite 1. demjenigen, welcher den Besitz der Sache ohne seinen Willen verloren hat, 2. demjenigen, welcher die Sache ohne Eigenthumsübertragung einem Anderen übergeben hat, gegenüber diesem Anderen und gegenüber denjenigen, welche ihre Rechte von demselben ableiten. Diese Vermuthung erlischt, wenn sie nicht innerhalb Eines Jahres nach Eintritt des Besitzverlustes durch Klagerhebung oder Einrede geltend gemacht ist." § 201: „Beruft jeder der beiden Theile sich auf eine der in den §§ 199 und 200 aufgestellten 10 11
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
nung eines relativen dinglichen Rechts und dessen Schutz lehnte J o h o w dagegen ab. 13 Die Annahme einer relativen Stärke, eines Grades im Recht sei ein Widerspruch in sich, da das Recht keine Abstufungen zulasse; entweder man sei berechtigt oder man sei nicht berechtigt. 14 Die Ermittlung des Rechts zum Besitz müsse daher stets auf das absolute Recht gehen, so dass ein zwischen zwei Nichteigentümern unter völliger Ignorierung des wahren Eigentümers geführter Streit um die Sache ein Unding sei. 15 Ein Recht beider Teile auf den Besitz, von denen das eine stärker sein solle als das andere, erscheine als ein zu unklarer Begriff, um ihn dem Entwurf zu Grunde zu legen. Die den Eigentumsbeweis erleichternden Bestimmungen des Entwurfs sollten daher ausschließlich dem wirklichen Eigentümer zugute kommen. 1 6 Diese Regelungskonzeption hatte auch Auswirkungen auf den Ersitzungsbesitzer. Zwar konnte der gutgläubige Erwerber einer beweglichen Sache das Eigentum nach dreijähriger ununterbrochener Besitzzeit erwerben, § 139 TE. Eine Ersitzung war nach § 143 TE jedoch ausgeschlossen, wenn der Besitzer vor Fristablauf von dem Eigentum eines anderen erfuhr. Erhob daher der gutgläubige Eigenbesitzer die Eigentumsklage und stellte sich im Prozess heraus, dass ein Dritter der wahre Eigentümer der Sache war, so konnte der Kläger gegenüber dem gegenwärtigen Besitzer, unabhängig von dessen Besitzposition, nicht mehr durchdringen. Der gutgläubige Erwerber war daher nach dem Teilentwurf in seiner Eigenschaft als Ersitzungsbesitzer nicht mit petitorischen Ansprüchen gegen Dritte ausgestattet, doch stand ihm bis zum Beweis des Dritteigentums die Eigentumsklage zu, da er sich ja selbst für den Eigentümer hält und dementsprechend seine vermeintlichen Rechte aus dem Eigentum geltend macht.
II. Der Entwurf der Ersten
Kommission
Auch die Erste Kommission ging bei ihren Überlegungen von d e r p r o b a t i o diabolica aus, die durch die allgemeine Beweislastverteilung im Eigentumsprozess bedingt ist. Zwar werde diese Schwierigkeit für Rechte an Grundstücken durch die Vermutung der Rechtsinhaberschaft zugunsten des im Grundbuch Eingetragenen nach § 826 E I erledigt. Auch würden bei beweglichen Sachen durch die Zulassung des gutgläubigen Erwerbs, §§ 877 - 879 E I, durch Eigenthumsvermuthungen, so ist für denjenigen zu entscheiden, welcher vermöge derselben älteres Eigenthum in seiner oder seiner Vormänner Person zu erweisen vermag." § 202: „Leugnet der auf Herausgabe einer beweglichen Sache Beklagte tatsächlich die Inhabung derselben, so wird das Eigenthum des Klägers bis zum Beweise des Gegentheils vermuthet." 13 Johow, S. 958. 14 Johow, S. 958. 15 Johow, S. 960. 16 Johow, S. 960.
B.
179
Entstehungsgeschichte
die possessorischen Klagen, §§ 819 - 824 E I, und durch die Kondizierbarkeit des Besitzes, § 737 Abs. 3 E I , Mittel geboten, sich auf anderem Wege als durch Geltendmachung des Eigentums zu helfen. Gleichwohl nahm die Kommission ein Bedürfnis für weitergehende Herausgabeansprüche gegen Dritte an. 17 Dazu wurden zwei verschiedene Modelle ins Auge gefasst, zum einen der deutsch-rechtliche Herausgabeanspruch aus unfreiwillig verlorener Gewere und zum anderen die römisch-rechtliche actio Publiciana in rem.
1. Die deutsch-rechtliche Klage aus verlorener
Gewere
Ausgangspunkt des ersten Weges war der germanische Rechtsgrundsatz, dass demjenigen, der unfreiwillig die Gewere an einer Sache verloren hat, ein dinglicher Herausgabeanspruch zustand. 18 Zusätzlich verwies die Erste Kommission auf andere Rechtsordnungen, die ähnliche Ansprüche gewährten. 19 So ließ das preußische Recht bei der Geltendmachung des Eigentums den Nachweis genügen, dass dem Kläger der Besitz der Sache durch Gewalt, List oder Betrug oder sonst ohne seinen Willen „entnommen ist", A L R I 7 § 184; I 15 § 34; I 10 § 23. In diesem Fall ist es Sache des Beklagten, seinen Besitztitel anzugeben und nachzuweisen. Verweigert er dies, so gilt er als unredlicher Besitzer und unterliegt. Kommt er der Verpflichtung dagegen nach, so bleibt es dem Kläger unbenommen, die Unredlichkeit des Beklagten darzutun. Soweit zwei Personen ihren Erwerb von demselben Rechtsurheber ableiten, entscheidet die Priorität des Besitzerwerbs. Das französische Recht, Art. 2279 Code civil, und das schweizerische Recht, Art. 206 O R , gewähren dem Bestohlenen und dem Verlierer Vindikationsansprüche. Aus diesen verschiedenen Regelungen folgerte die Erste Kommission den allgemeinen Grundsatz, „dass der frühere Besitzer, welchem der Besitz der Sache auf eine den Eigenthumserwerb in der nächsten Hand ausschließende Weise abhanden gekommen ist, mag nun der Besitz dem früheren Besitzer ohne dessen Willen entzogen oder die Sache von dem früheren Besitzer in unwirksamer Weise tradirt sein, bei der Erhebung der in dem Eigenthume sich gründenden Ansprüche nur seinen früheren Besitz und die Art des Verlustes desselben zu behaupten und zu beweisen brauchte". 2 0
Die Erste Kommission wandte sich jedoch vor allem deshalb letztlich gegen diesen Weg, weil er zwar zu einer Beweiserleichterung führen, aber nicht die als besonders nachteilig betrachtete exceptio de iure tertii ausschließen würde. Motive, Band III, S. 429 (= Mugdan, Band 3, S. 240). Dazu im Einzelnen Laband, Vermögensrechtliche Klagen, S. 90 ff.; E. Huher, in: Berner FSf. Halle, S. 13 ff., 61; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Aufl. 1930, S. 437 ff.; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band I, 2. Aufl. 1962, S. 149 f., 166. 19 Motive, Band III, S. 430 (= Mugdan, Band III, S. 240). 2 0 Motive, Band III, S. 430 (= Mugdan, Band III, S. 240). 17 18
180
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
2. Die römisch-rechtliche actio Publiciana Die andere Lösungsmöglichkeit gründet sich auf die römisch-rechtliche actio Publiciana in rem, nach der derjenige, der in eine Ersitzungslage eingetreten ist und vor der Beendigung der Ersitzung den Besitz der Sache verloren hat, die Sache von jedem herausverlangen kann, der nicht seinerseits Eigentümer geworden ist oder sich in gleicher Ersitzungslage wie der vormalige Besitzer befindet. Die publizianische Klage wurde in den neueren Gesetzgebungen dahin weiterentwickelt, dass sie nicht mehr an den Eintritt in die Ersitzungslage, sondern an die redliche und rechtmäßige Besitzerwerbung anknüpft. 21 Bemerkenswert ist, dass die Erste Kommission in der der actio Publiciana zugrunde liegenden qualifizierten Besitzerwerbung eine dingliche, eigentumsähnliche Rechtsposition mit absolutem Charakter erkannte. 22 Denn von einem absoluten Charakter im Sinne eines Anspruchs gegenüber jedermann kann tatsächlich keine Rede sein, da - wie auch die Motive an gleicher Stelle einräumen - sich der Kläger nicht gegenüber dem wahren Eigentümer durchsetzen kann. Ausschlaggebend dafür, dass sich die Erste Kommission mit § 945 E I 2 3 für einen Herausgabeanspruch nach dem Vorbild der actio Publiciana entschied, war der Umstand, dass dadurch die exceptio de iure tertii ausgeschlossen werden konnte, wofür die Kommission ein dringendes Bedürfnis sah. Zugleich lehnte die Kommission ausdrücklich die Aufnahme besonderer Eigentumsvermutungsregeln zugunsten des Vorbesitzers ab, da hierfür neben der Möglichkeit des gutgläubigen Eigentumserwerbs bei beweglichen Sachen kein Bedürfnis bestehe. 24
21 II 2 § 9 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis; III Art. 181 Bayerischer Entwurf von 1861/64; §§325, 187 Sächsisches BGB; §§372 - 374 ABGB; §516 Züricher Gesetzbuch. Vgl. auch 110 § § 2 1 - 2 3 ALR. 2 2 Motive, Band III, S. 431 (= Mugdan, Band III, S. 241). 2 3 § 945 E I: „Die Vorschriften der §§ 929 - 944 über die dem Eigentümer zustehenden Ansprüche finden entsprechende Anwendung zugunsten desjenigen, welcher den Besitz einer beweglichen Sache erworben hat, sofern er bei dem Besitzerwerbe den Umstand nicht gekannt hat, durch welchen der Erwerb des Eigentums an der Sache verhindert worden ist, und seine Unkenntnis auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. Duie Vorschrift des § 877 Satz 2 findet entsprechende Anwendung. Die aus der Vorschrift des Satzes 1 des Abs. 1 sich ergebenden Ansprüche können jedoch nicht gegen den Eigentümer und auch nicht gegen denjenigen geltend gemacht werden, bei welchem die Voraussetzungen jener Vorschrift gleichfalls zutreffen, es sei denn, dass der letztere seinen Erwerb von dem nämlichen Rechtsvorgänger aus einer späteren Veräußerung herleitet." 24 Motive, Band III, S. 431 (= Mugdan, Band III, S. 241).
C.
Normzweck
III. Der Entwurf der Zweiten
181
Kommission
Die heftige Kritik 2 5 am ersten Entwurf des B G B mit seiner stark römischrechtlichen Ausrichtung und seiner komplexen Rechtstechnik und -spräche blieb auch im Sachenrecht nicht ohne Auswirkung auf die Arbeit der Zweiten Kommission. Von entscheidender Bedeutung für das weitere Schicksal des bisherigen § 945 E I war der Umstand, dass sich die Zweite Kommission entschloss, in § 944 a Abs. 1 eine dem heutigen § 1006 B G B entsprechende Eigentumsvermutung zugunsten des gegenwärtigen und des früheren Besitzers aufzunehmen. 26 Neben dieser Eigentumsvermutung sah die Kommission nun für einen lediglich auf den Eigenbesitzer beschränkten publizianischen Anspruch kein Bedürfnis mehr. 27 Darüber hinaus wurden ernsthafte Zweifel daran angemeldet, dass der mit dem bisherigen Regelungsentwurf bezweckte Ausschluss der exceptio de iure tertii der Gerechtigkeit entspreche und ob der in der Abschneidung dieser Einrede liegende Vorteil praktisch erheblich genug sei, um allein die Beibehaltung der verwickelten Bestimmungen über den publizianischen Anspruch zu rechtfertigen. Statt die bisher vorgesehene Vorschrift zu streichen, entschied sich die Kommission jedoch dafür, den publizianischen Anspruch des Entwurfs zu einem Anspruch aus früherem Besitz gegen den schlechter Berechtigten umzugestalten. Dieser Anspruch schließe sich im Wesentlichen dem preußischen Recht an und wurde bewusst auf den Fremdbesitzer (Mieter, Finder etc.) erstreckt, da man dafür ein vorhandenes Bedürfnis sah. 28 Die daraufhin als § 9 1 9 E II aufgenommene Vorschrift entspricht wörtlich dem heutigen § 1007 B G B .
C.
Normzweck
Die kurzfristige und grundlegende Änderung der Vorschrift beruht folglich auf der Entscheidung des Gesetzgebers, einen „Anspruch aus früherem Besitz gegen den schlechter Berechtigten" zu schaffen. Da die Gesetzesmaterialien keinen weiteren Aufschluss darüber geben, was mit dieser Formulierung im Einzelnen gemeint ist, verwundert es nicht, dass bis heute keine Einigkeit über den Zweck der Regelung besteht. Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Ansätze zur dogmatischen Einordnung der Norm analysiert, bevor auf der Grundlage der bisherigen Ergebnisse die Konsequenzen für die teleologische Ausrichtung der Vorschrift gezogen werden.
25 26 27 28
Dazu Schubert, Entstehung, S. 39 ff. m. w. N. Protokolle, Band III, S. 380. Protokolle, Band III, S. 383 (= Mugdan III, S. 698). Protokolle, Band III, S. 383 (= Mugdan III, S. 698 f.).
182
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
I. Schutz des vermuteten
• 2. Kapitel:
Der petitorische
Besitzschutz
Rechts
Ursprünglich sah man in § 1007 BGB nichts anderes als eine Fortführung der deutsch-rechtlichen Fahrnisklage. Die Vorschrift wurde als die „leibhaftige dingliche Klage des deutschen Rechts" 29 oder auch als die „rechte Erbin der Fahrnisklage aus unfreiwillig verlorener Gewere" 3 0 bezeichnet. Die Grundlage des Anspruchs wurde im unfreiwilligen Besitzverlust gesehen. 31 Die durch § 1007 ermöglichte Besitzvindikation beruhe auf dem Grundgedanken, dass der Besitz die durch ihn verkörperten Rechte repräsentiere. Die Rückforderung des Besitzes verwirkliche daher auch den Schutz der durch ihn zum Ausdruck kommenden Rechte. In die gleiche Richtung gehen diejenigen Literaturstimmen, die den Zusammenhang der Eigentumsvermutung nach § 1006 BGB mit dem Anspruch aus § 1007 BGB betonen und daraus folgern, dass der petitorische Herausgabeanspruch in sich die Rechtvermutung zugunsten des früheren Besitzers aufnehme. Der eigentliche Grund des zu schützenden Anspruchs sei das durch den Besitz verdeckte, in ihm vermutete Recht. 32 Als „Recht" dauere der Anspruch auf Besitz fort, auch wenn das äußere Gewaltverhältnis verloren geht. 33 Gerade wie die Gewere als Erscheinungsform aller dinglicher Rechte geschützt werde, weil sie die Vermutung für das Dasein eines hinter ihr stehenden Rechtes begründe, so soll ein solcher Schutz durch § 1007 BGB dem früheren Besitzer gewährt werden. 34 Dass § 1007 BGB maßgeblich durch deutsch-rechtliche Vorstellungen geprägt ist, lässt sich angesichts der skizzierten Entstehungsgeschichte im Ausgangspunkt gewiss nicht leugnen. Gleichwohl bestehen doch erhebliche Unterschiede, die hier nur angedeutet werden sollen. 35 Zum einen hat die deutsch-rechtliche Fahrnisklage in ihrer Ausprägung als Klage auf Herausgabe anvertrauter Sachen in § 1007 BGB keinerlei Entsprechung. Zum anderen ist § 1007 BGB als Klage auf Herausgabe abhandengekommener Sachen insoweit wesentlich enger als die Fahrnisklage, als zusätzlich nach § 1007 Abs. 3 S. 1 BGB redlicher Besitzerwerb Anspruchsvoraussetzung ist, während die Fahrnisklage jegliche Form des Besitzes, auch den unredlich erworbenen, schützte. Es kommt hinzu, dass die Vorstellung vom Schutz des hinter dem Besitz zu vermutenden Rechtes schon deshalb nicht überzeugt, weil der Herausgabeanspruch nach §1007 BGB gerade kein tatsächlich bestehendes Pflüger, JherJb 35 (1896), 451 (458). O. v. Gierke, Fahrnisbesitz, 1897, S. 72. 31 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 3. Band, 1905, S. 242. 32 Beck, S.22; Lorey, S. 9; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, S. 172; Canaris, Flume I, S. 371 (398). 33 Frank, S. 29. 34 Ludolph, S. 17. 35 Vgl. dazu im Einzelnen Weber, % 1007 BGB, 1988, S. 33 f. 29 30
FS f.
C.
Normzweck
183
Recht zum Besitz voraussetzt, solange der frühere Besitzer und Anspruchsteller nur seinerseits bei Besitzerwerb im guten Glauben war. Eine Vermutung für ein bestehendes Recht zum Besitz wird man § 1007 B G B daher nicht entnehmen können. Heck hat dieses Problem gesehen und von § 1007 B G B als einer Norm des Relativschutzes gesprochen. 36 Es sei begreiflich, dass dann, wenn zwei Leute um den Besitz einer Sache streiten und keiner von ihnen ein definitives Recht an der Sache nachweisen kann, doch Gründe vorliegen könnten, welche den früheren Besitzer als besser berechtigt hinstellten. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser im Recht ist, könne größer sein. 37 Der Aspekt der Wahrscheinlichkeit mag in der häufig durch Tatsachenunsicherheit geprägten Prozesssituation einen Erklärungsansatz bieten. Er versagt gleichwohl in den ebenfalls von § 1007 B G B erfassten Fällen, in denen nachgewiesenermaßen dem Kläger kein Recht zum Besitz zusteht.
II. Schutz des Besitzes als Recht Zum Teil wurde § 1007 B G B auch als Ausdruck der Rechtsqualität des Besitzes als solchem aufgefasst. Der Vorschrift kommt dann die Aufgabe zu, den früheren Besitz in seiner Funktion als subjektives Recht zu schützen. Es sei das in dem Besitz selbst liegende Recht, aus dem der Anspruch aus § 1007 B G B fließe und das gerade hierdurch erst zu einer Art von subjektivem Recht herausgestellt ist. 38 Ebenso, wie zwischen die eigentumsbegründenden Tatsachen und die einzelnen Befugnisse des Eigentümers das „Eigentum" trete, als Folge jener Tatsachen, als Quelle dieser Befugnisse, so schalte sich zwischen den Besitztatbestand und die einzelnen Rechte des Besitzers „der Besitz" selbst als deren Mutterrecht. Von dieser Vorstellung aus erscheine der Anspruch des früheren Besitzers als Ausfluss eines den Besitztatbestand überdauernden gegenwärtigen Besitzrechts. 39 Dass es, jedenfalls nach der Ausgestaltung des B G B , nicht haltbar ist, den Besitz als subjektives Recht zu begreifen, wurde indessen bereits dargelegt. 40 Fehlt es daher schon an dieser Prämisse, so kann auch die Folgerung für den Normzweck des § 1007 B G B als Rechtsschutz für den früheren Besitzer nicht überzeugen.
36 37 38 39 40
Heck, Grundriß des Sachenrechts, 1930, §34, 2 (S. 131). Heck, S. 131. Planck/Brodmann, § 1007 Anm. 1. Wolff/Kaiser, § 3; Wolff, Sachenrecht, 9. Aufl. 1932, § 3 III. Vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, B. III. 2. (S. 73 ff.).
184
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 2. Kapitel:
Der petitorische
Besitzschutz
III. Schutz eines besseren Rechts zum Besitz 1. Uberblick über die verschiedenen Ansätze Daneben hat es immer wieder Versuche gegeben, auch ohne Rückgriff auf die Vorstellung vom Besitz als subjektivem Recht dem petitorischen Besitzschutz ein rechtliches Fundament zu unterlegen. Sämtlichen im Folgenden darzustellenden Ansätzen ist gemein, dass §1007 BGB als Ausdruck eines dinglichen bzw. absoluten Ursprungsrechts begriffen wird, das hinter dem früheren Besitz stehe und aus dem der Herausgabeanspruch gegen den gegenwärtigen Besitzer fließe. a) Das „relativ-absolute
Recht" nach
Henle
Dieses Verständnis wurde bereits von Henle deutlich zum Ausdruck gebracht. Ebenso wie der Anspruch aus § 985 BGB aus dem Eigentum fließe und die §§ 861 Abs. 1, 862 Abs. 2 BGB nicht auf sich selbst beruhten, sondern aus dem Mutterrecht des § 858 Abs. 1 BGB, nicht aus dem Besitz gesetzt und nicht im Besitz gestört zu werden, folgten, müsse auch der Anspruch aus § 1007 BGB einem Mutterrecht entstammen.41 Dieses Mutterrecht müsse als ein Sachenrecht dinglicher, absoluter Natur sein.42 § 1007 BGB liege ein Gebot zugrunde, den Berechtigten in Ansehung des Besitzes der Sache nicht zu beeinträchtigen. Dieses Verbot der Beeinträchtigung sei nicht als relatives, sondern als absolutes ergangen. Der Anspruch des § 1007 BGB sei zwar wesensnotwendig relativ, das Recht aus § 1007 BGB sei jedoch absolut. Absolut sei das Recht schon dann, wenn es sich nicht gegen einen bestimmten, sondern gegen unbestimmt viele Personen als Verpflichtete wende. Innerhalb der absoluten Natur des Rechts aus § 1007 BGB trete allerdings eine relative Ader zutage. Da das Recht nicht allen gegenüber bestehe, es vielmehr vor einem, nämlich dem Eigentümer, zurückweichen müsse, sei das Recht aus §1007 BGB als ein „relativ-absolutes" zu bezeichnen.43 h) Das „relativ-dinglich
e Recht" nach
Hörer
Hörer geht davon aus, dass ein Herausgabeanspruch nur denkbar sei, wenn ein Recht zum Besitz gegeben ist.44 Wenn die Vorschriften zur Besitzrechtsklage einen Herausgabeanspruch geben, so müsse auch ihr ein Recht zum Besitz zugrundeliegen. Allerdings verkennt Hörer nicht, dass ein Kläger auch 41 42 43 44
Henle, Henle, Henle, Hörer,
Das Recht auf Besitz (§ 1007 BGB), 1928, S. 3. S. 4. S. 5. Die Besitzrechtsklage, 1974, S. 85.
C.
Normzweck
185
dann einen Herausgabeanspruch aus § 1007 BGB haben kann, wenn ihm gerade kein Recht zum Besitz zusteht. U m diesen Widerspruch auflösen zu können, will Hörer zwei verschiedene Arten von Besitzrechten unterscheiden, nämlich das Besitzrecht der Tatbestandsseite und das Besitzrecht der Rechtsfolgenseite der Besitzrechtsklage. 45 Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen ist auf die Gutgläubigkeit des Klägers und damit auf sein Recht zum Besitz abzustellen. Hier sei das Recht zum Besitz also Tatbestandsmerkmal. Wenn man dann über den Herausgabeanspruch entscheidet, entscheide man ebenfalls über ein Recht zum Besitz. Dieses Recht zum Besitz gehöre aber der Rechtsfolgenseite an. Zu den Besitzrechten der Tatbestandsseite gehören nach Hörer die herkömmlichen Rechte an beweglichen Sachen, wie die dinglichen Rechte Eigentum, Pfandrecht und Nießbrauch sowie die obligatorischen Rechte wie etwa die Miete. Das Besitzrecht der Rechtsfolgenseite sei dagegen von seiner Natur her anders als die vorgenannten. Bei ihm handele es sich um ein dingliches Herrschaftsrecht, welches die Besitzrechtsklage selbst schaffe. 46 Wenn der Kläger obsiegt, stehe ihm dieses Herrschaftsrecht zu, wenn er verliert, werde das Herrschaftsrecht dem Beklagten zugesprochen. Die Vorschriften über die Besitzrechtsklage ordneten den Besitzstreit der Parteien, indem sie dem Kläger oder dem Beklagten den Besitz zusprechen. Sie gäben somit dem Kläger oder dem Beklagten ein Recht zum Besitz. Die Besonderheit dieses dinglichen Rechts liege darin, dass es nur zwischen den beiden Parteien des Besitzrechtsstreits wirke. Deswegen sei es möglich, dass es einer Partei zugesprochen und somit ihr Herrschaftsrecht anerkannt werde, auch wenn feststehe, dass eine dritte, unbeteiligte Person ein Recht zum Besitz an dieser Sache hat, etwa wenn ein Dritter Eigentümer sei. Dies bedeute, dass das Besitzrecht der Besitzrechtsklage nicht gegenüber jedermann wirke, sondern nur im Verhältnis zur anderen Partei. Es handele sich also um ein relatives Recht, nicht um ein absolutes. Der Besitzrechtsklage liege daher ein relativ-dingliches Recht zugrunde. 47
c) Das „eingeschränkt-absolut
dingliche
Recht" nach Koch
Von einem dem § 1007 BGB zugrundeliegenden „eingeschränkt-absoluten dinglichen Recht" geht dagegen Koch aus. 48 Er geht vom Begriff des dinglichen Rechts aus, das für ihn durch zwei Elemente gekennzeichnet ist. Bei diesen zwei Elementen handele es sich einerseits um das Zugriffsrecht als Außenwirkung des dinglichen Rechts und andererseits um die Zuordnungsfunktion als der Innenwirkung des dinglichen Rechts. Das Zugriffsrecht als Rechts45 46 47 48
Hörer, S. 86. Hörer,S.U. Hörer, S. 88; zustimmend Fiedler, Der petitorische Rechtsschutz, S. 166 f. Koch, § 1007 BGB - Neues Verständnis auf der Grundlage alten Rechts, 1988, S. 54 ff.
186
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
schutzmerkmal des dinglichen Rechts erlaube es dem Rechtsinhaber unmittelbar auf die Sache selbst zuzugreifen, während der lediglich obligatorisch Berechtigte nur auf die Person des Schuldners und damit auf dessen Vermögen zugreifen könne. 49 Die Zuordnungfunktion bringe demgegenüber zum Ausdruck, dass eine bestimmte Sache in das Vermögen des dinglich Berechtigten eingeordnet werde mit der Folge, dass ihm die Nutzungen und Früchte der Sache gebühren. 50 Das in dieser Weise charakterisierte dingliche Recht wirke zwar grundsätzlich gegenüber jedermann und sei daher absolut. Gleichwohl gebe es bestimmte dingliche Rechte, die zwar gegenüber einer Vielzahl von dritten Personen, nicht jedoch ausnahmslos gegen alle wirkten. Ein absolute geschütztes Recht liege aber auch dann vor, wenn das Recht zwar generell geschützt sei, gegenüber einzelnen Personen jedoch nicht wirken könne. 51 Derartige Rechte will Koch als „eingeschränkt-absolut dingliche Rechte" bezeichnen. 52 Ein derartig eingeschränkt-absolut dingliches Recht sieht Koch sowohl beim Eigenbesitzer 53 als auch beim Fremdbesitzer 54 nach § 1007 BGB gegeben. Das eingeschränkt-absolut dingliche Recht könne der Eigenbesitzer auch entsprechend §§ 929 ff. BGB übertragen, nicht jedoch der Fremdbesitzer, da darin ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter, nämlich des Eigentümers, der sich keinen neuen eingeschränkt-absolut dinglich Berechtigten aufdrängen lassen müsse, liege. 55 d) Das „relative Eigentum" Recht" nach Wieling
und „absolut
bzw. relativ
verdinglichte
Auf derselben Linie wie die vorstehenden Ansätze liegt die Auffassung Wielings vom Ersitzungsbesitz als „relativem Eigentum". 56 Das dingliche Recht zeichne sich durch seinen umfassenden Schutz gegen Störungen, z. B. gegen die Vorenthaltung des Besitzes aus: Der Anspruch aus dem dinglichen Recht richte sich gegen jeden, der störend in dieses Recht eingreife. Einen solchen Schutz gebe § 1007 BGB dem dinglichen Recht „Ersitzungsbesitz". Anders als beim Eigentum handele es sich dabei nicht um ein absolut geschütztes dingliches Recht, sondern um ein relatives dingliches Recht: Es sei gegen jedermann geschützt, ausgenommen die Besserberechtigten. Besserberechtigt 49 50 51 52 53 54 55 56
Koch, S. 59 f. Koch, S. 61. Koch, S. 64. Koch, S. 66. Koch, S. 69 ff. Koch, S. 80 ff. Koch, S. 109 ff., 119 ff. Wieling, Sachenrecht I, 1990, § 12 IX (S. 625 ff.).
C.
Normzweck
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sei immer der Inhaber eines absoluten dinglichen Rechts, aber auch der Inhaber eines relativen dinglichen Rechts könne gegenüber einem anderen besserberechtigt sein. 57 Der Ersitzungsbesitz als relatives Eigentum entstehe durch gutgläubigen Erwerb des mittelbaren oder unmittelbaren Eigenbesitzes an einer beweglichen Sache. Das auf diese Weise einmal entstandene Recht des Ersitzungsbesitzes sei entsprechend den §§ 929 ff. B G B übertragbar. O b eine Übertragung des Eigentums in eine Übertragung des Ersitzungsbesitzes umgedeutet werden könne, sei durch Auslegung des hypothetischen Willens der Parteien zu ermitteln, § 140 B G B . 5 8 Auch dem Anspruch des Fremdbesitzers aus § 1007 B G B liege ein dingliches Recht zum Besitz zugrunde, für den grundsätzlich das gleiche gelte wie für den Eigenbesitzer. § 1007 B G B basiere auf einem dinglichen Recht, da die Vorschrift einen Anspruch gegen jeden gewähre, der den Rechtsinhaber durch Vorenthaltung der Sache störe. Die durch § 1007 B G B verdinglichten Besitzrechte der Fremdbesitzer bezeichnet Wieling als verdinglichte Rechte. 5 9 Diese verdinglichten Rechte unterteilt Wieling in absolute und relative verdinglichte Rechte. Absolut seien diejenigen dinglichen Rechte, die grundsätzlich gegen jedermann wirkten, z. B. auch gegen den Eigentümer. Ein absolut dingliches Recht sollen danach nicht nur der Eigentümer, der Nießbraucher und Pfandgläubiger haben, sondern auch der Mieter, der sein Recht vom Berechtigten erworben hat. 60 Relative dingliche Rechte wirkten gegen jedermann, Besserberechtigte ausgenommen. Das relative verdinglichte Recht werde vom Berechtigten erworben, wenn die Bestellung des Rechts unwirksam, der Erwerber aber gutgläubig ist. Vom Nichtberechtigten werde ein relatives verdinglichtes Recht gutgläubig erworben, wenn der Erwerb gegenüber dem Berechtigten nicht wirke, weil die Sache ihm abhandengekommen ist. Der gute Glaube müsse sich dabei stets auf das eigene Recht zum Besitz beziehen. 61
2. Stellungnahme Sämtliche soeben dargestellten Versuche einer dogmatischen Fundierung des §1007 B G B haben eines gemeinsam. Dies ist die mehr oder weniger offen ausgesprochene Prämisse, dass die Herausgabeansprüche des § 1007 B G B in irgendeiner Form auf einem dahinter stehenden Ursprungsrecht beruhen müssen, aus dem sie abgeleitet sind, so wie etwa der Herausgabeanspruch des § 985 B G B auf dem Eigentum gründet. Schon dieser Ausgangspunkt erscheint keineswegs zwingend. Wir haben bereits gesehen, dass der possessorische He57 58 59 60 61
Wieling, Wieling, Wieling, Wieling, Wieling,
S. 628. S. 630. § 13 I 4 (S. 643). § 13 II (S. 644). § 13 III (S. 649).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
rausgabeanspruch des § 861 BGB ein subjektives Recht auf Wiedereinräumung des Besitzes an einer durch verbotene Eigenmacht entzogenen Sache gewährt, ohne dass dem ein dahinter stehendes Ursprungsrecht zugrunde liegen muss. In diesem Zusammenhang lässt sich ganz allgemein folgende Feststellung treffen. Ansprüche können sich aus einem dahinterstehenden dinglichen Recht ableiten (z. B. Eigentum, Pfandrecht) oder aus einem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis obligatorischer Natur (z. B. Miete) entspringen. Sie können ihre Rechtfertigung aber auch aus einer positiven Entscheidung des Gesetzgebers aus anderen Zwecken beziehen, wie dies etwa bei den §§ 858 ff. BGB der Fall ist, die dem Schutz des allgemeinen Rechtsfriedens dienen. 62 In diesem letzteren Fall muss dem gesetzlich eingeräumten Anspruch nicht notwendigerweise ein dingliches oder obligatorisches Ursprungsrecht zugrunde liegen. Vor diesem Hintergrund stellt sich § 1007 BGB als eine solche positive Entscheidung des Gesetzgebers zur Einräumung weitergehender Herausgabeansprüche dar. Aus der Entstehungsgeschichte des § 1007 BGB ergibt sich, dass es den Verfassern des BGB einerseits um den Ausschluss der exceptio de iure tertii und andererseits um die Einräumung eines eigenen Anspruchs für den obligatorisch berechtigten Fremdbesitzer ging. § 1007 BGB hatte daher erkennbar den Zweck, für den Normalfall, in dem der Eigentümer oder der besitzberechtigte Mieter die Herausgabe verlangt, wenn also ein dingliches oder obligatorisches Ursprungsrecht ohnehin gegeben ist, eine erleichterte Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Daneben sollte kein weiteres Recht geschaffen werden. Diejenigen Fälle, in denen der frühere Besitzer nichtberechtigt, aber zumindest bei Besitzerwerb in gutem Glauben an sein Besitzrecht gewesen ist, und welche der § 1007 BGB ebenfalls erfasst, stellen demgegenüber lediglich Ausnahmefälle dar, die in Kauf genommen wurden, ohne dass den früheren Besitzern dadurch ein zugrundeliegendes Recht verschafft werden sollte. Insbesondere Koch ist entgegen zu halten, dass seine Prämissen nicht überzeugen können. Schon die Annahme, dass allein dingliche Rechte einen Zugriff auf die Sache selbst ermöglichen, ist jedenfalls insofern unzutreffend, als auch der Käufer die Herausgabe der Sache selbst im Wege der Zwangsvollstreckung (§ 883 ZPO) durchsetzen kann, solange sie sich noch beim Schuldner befindet. Auch die von Koch in § 1007 BGB ausgemachte Zuordnungsfunktion geht zumindest insofern zu weit, als es um das Verhältnis des früheren Besitzers zum wahren Eigentümer geht. Zwar muss ersterer nach § 993 Abs. 1 BGB die gezogenen Nutzungen nicht herausgeben. Anders ist dies jedoch, wenn der frühere Besitzer nachträglich vom wahren Eigentümer Kenntnis erlangt. Auch jetzt kann ihm zwar immer noch ein Anspruch aus § 1007 BGB gegenüber Dritten zustehen, doch kommt eine Ersitzung nach 62
Dazu im Einzelnen oben, Teil 1, 2. Kapitel, B. II. 2. d (S. 40 ff.).
C. Normzweck
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§ 937 Abs. 2 B G B nunmehr ebenso wenig in Betracht, wie die Berechtigung zum Behalten der weiterhin gezogenen Nutzungen. Es kommt hinzu, dass die gesamte Konstruktion eines „eingeschränkt-absolut dinglichen" Rechts insgesamt recht gekünstelt erscheint. Dies beginnt bei der Begriffsbildung, indem die klare Abgrenzung von absoluten und relativen Rechten durch das Einfügen von Zwischenkategorien aufgeweicht wird. Dies könnte man hinnehmen, wenn der Ertrag eine größere Klarheit bei der rechtlichen Einordnung des § 1007 B G B wäre. Gerade das gelingt jedoch nicht. Vielmehr bleibt die Frage, was denn eigentlich den Inhalt des hinter § 1007 B G B ausgemachten Rechts bilden soll. Es kommt schließlich hinzu, dass das hinter § 1 0 0 7 B G B stehende Recht für den Eigenbesitzer auch nach den Eigentumsregeln übertragbar sein soll. Eine solche Ubertragbarkeit hätte nur für einen ganz eng begrenzten Bereich überhaupt eine, noch dazu nur mittelbare, Bedeutung, nämlich für die Frage, ob dem Rechtsnachfolger die Ersitzungszeit seines Vorgängers nach § 943 B G B anzurechnen ist. 63 In jedem Falle erscheint es aber kaum überzeugend, anzunehmen, dass die Parteien neben einer beabsichtigten Übertragung des Eigentums stets auch ein eingeschränkt-absolut dingliches Recht für den Fall eines fehlgeschlagenen Eigentumsübergangs übertragen wollen. Gegen den Erklärungsansatz Wielings ist einzuwenden, dass die Vorstellung eines „relativen Eigentums" dem B G B nach dessen klarer Struktur, die nicht zuletzt in § 903 B G B zum Ausdruck kommt, fremd ist. Es überzeugt auch nicht, dieses „relative Eigentum" gerade an den Ersitzungsbesitz anzuknüpfen, solange nicht erklärt wird, warum der Anspruch aus § 1007 B G B über die Existenz des Ersitzungsbesitzes hinaus gewährt wird. Erlangt nämlich der bei Besitzerwerb gutgläubige Eigenbesitzer nachträglich Kenntnis vom Eigentum eines Dritten, so kommt eine Ersitzung nach § 937 Abs. 2 B G B nicht mehr in Betracht, während § 1007 B G B allein auf die Gutgläubigkeit bei Besitzerwerb abstellt, so dass der Herausgabeanspruch trotz späterer Bösgläubigkeit weiter gegeben ist. Noch weiter geht die Annahme eines „relativ verdinglichten Rechts" bei der Position des Fremdbesitzers. Da bei diesem einerseits eine Ersitzung von vornherein nicht in Betracht kommt, andererseits aber schon Gutgläubigkeit in Bezug auf das eigene Besitzrecht ausreicht, es also nicht einmal auf das Vorliegen eines tatsächlich bestehenden Besitzrechts ankommt, hat die Annahme eines dinglichen Rechts bei Lichte besehen überhaupt keine Grundlage, will man den Besitz als tatsächliche Innehabung allein gerade nicht ausreichen lassen, wie dies auch Wieling ablehnt. 64
63 64
Koch,SAU. Wieling, § 13 I 4 (S. 643).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
IV. § 1007 BGB als Einredebeschränkung einer gesetzlichen Prozessstandschaft
Besitzschutz
bzw. als Fall
Einen völlig anderen Ansatz zum Verständnis des § 1007 B G B hat zuletzt Weber vorgeschlagen.65 Für ihn stellen die in § 1007 B G B enthaltenen Rechtssätze im Grunde prozessuale Regelungen dar, zu deren Zweckbestimmung sinnvoller Weise zwischen dem Eigen- und dem Fremdbesitzer zu differenzieren sei. Bezüglich der Klage des Eigenbesitzers sei der wesentliche Unterschied zwischen §985 B G B und § 1007 B G B darin zu sehen, dass letzterer Rechtsbehelf dem Beklagten die Möglichkeit nehme, sich zu seiner Verteidigung darauf zu berufen, dass nicht der Kläger, sondern ein Dritter Eigentümer der vom Kläger herausverlangten Sache sei. Der Ausschluss dieser sogenannten exceptio de iure tertii beruhe jedoch nicht auf dem materiellen Recht, sondern stelle eine prozessuale Einredebeschränkung dar.66 Das Eigentum des Dritten könne stets nur als rechtshinderndes, rechtsvernichtendes oder rechtshemmendes Merkmal von Bedeutung sein. Diese Merkmale seien prozessual als Einreden des Beklagten zu behandeln, die er zu beweisen habe. Zu unterscheiden sei dabei, ob der Eigentumserwerb des Dritten vor oder nach dem vom Kläger behaupteten Erwerb stattgefunden haben soll. Soll der Eigentumserwerb des Dritten zeitlich vor dem des Klägers eingetreten sein, sei das Eigentum des Dritten zunächst unerheblich. § 1007 B G B bewirke jedoch, dass von der Vielzahl der theoretisch in Betracht kommenden rechtshindernden Einreden gegen einen nachträglichen Rechtserwerb durch den Kläger allein die Bösgläubigkeit des Klägers beim Erwerb erheblich ist. Soll sich dagegen der Eigentumserwerb des Dritten nach demjenigen des Klägers ereignet haben, handele es sich um eine rechtshindernde Einrede, die in § 1007 B G B in dem Merkmal der freiwilligen Besitzaufgabe mitgeregelt und stets erheblich sei.67 §1007 B G B übernehme daher die Funktion einer prozessualen Einredebeschränkung und bewirke, dass im Herausgabestreit um eine bewegliche Sache die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 B G B in bestimmten Fällen nicht widerlegt werden könne. Die Vorschrift steigere so die Eigentumsvermutung für den früheren Eigenbesitzer von einer widerlegbaren praesumtio iuris zu einer nicht widerlegbaren praesumtio iuris et de iure, einer Fiktion. Die Suche nach einem besonderen, für § 1007 B G B spezifischen Recht sei damit schon vom Ansatz her verkehrt. Klagegrundlage des früheren Eigenbesitzers sei vielmehr stets sein Eigentum. 68 Auch im Falle des aus § 1007 B G B klagenden Fremdbesitzers sieht Weber den eingeräumten materiell-rechtlichen Herausgabeanspruch nur als Mittel 65 66 67 68
Weber, Weber, Weber, Weber,
§ 1007 B G B , 1988, S. 60 ff. S. 62. S. 63. S. 64 f.
C.
Normzweck
191
zu einem anderen Zweck. Dieser Zweck bestehe darin, dem Fremdbesitzer eine gesetzliche Prozessführungsbefugnis einzuräumen. Dem obligatorisch berechtigten Fremdbesitzer sei wegen dessen eigenem rechtlichen Interesse am Besitz der Sache eine Prozessführungsbefugnis eröffnet, ohne sie dem Rechtsinhaber und Oberbesitzer zu entziehen. Die dem prozessführungsbefugten Besitzer eingeräumte materiell-rechtliche Verfügungsmacht sei darauf beschränkt, den zum Vermögen eines anderen Rechtsträgers gehörenden Anspruch geltend zu machen. Da die Prozessführungsbefugnis des Rechtsträgers selbst unberührt bleibe, dürfe er durch ein Urteil, das gegenüber dem nur Prozessführungsbefugten ergeht, nicht in seiner Rechtsverfolgung beeinträchtigt werden. Ein die Klage abweisendes Urteil gegen den Prozessführungsbefugten entfalte daher keine Rechtskraft gegenüber dem Rechtsträger. Eine erfolgreiche Klage des Prozessführungsbefugten auf Leistung an den Berechtigten wirke dagegen auch gegenüber dem Rechtsträger. 69 Dieses Funktionsverständnis des §1007 B G B , das Weber maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte der Norm stützt, besticht zunächst dadurch, dass man tatsächlich ohne einen Rückgriff auf die Vorstellung von einem hinter § 1007 B G B stehenden Recht auskommt, das sich, wie gezeigt, letztlich nur schwer begründen lässt. Gleichwohl vermag auch dieser Erklärungsansatz aus einer Reihe von Gründen nicht zu überzeugen. Dem Einwand, dass sich eine so grundlegend unterschiedliche Funktionsweise wie der Einredebeschränkung beim Eigenbesitzer und der Prozessstandschaft beim Fremdbesitzer nicht einmal ansatzweise dem Wortlaut der Norm entnehmen lässt, mag man noch mit dem Hinweis begegnen, dass die Zweite Kommission die Vorschrift kurzfristig wesentlich umgestaltete, ohne dass es ihr auf die dogmatische Angemessenheit angekommen wäre. 70 Gravierender ist das Bedenken gegen die Behauptung, Grundlage der Klage des früheren Eigenbesitzers sei dessen Eigentum. Da dies ganz offensichtlich in den ebenfalls von § 1007 B G B erfassten Fällen nicht zutrifft, in denen der Kläger unbestrittenermaßen nie Eigentümer der herausverlangten Sache war, läuft eine solche Argumentation auf den Schutz des im früheren Besitz vermuteten Eigentums hinaus. Dieses Verständnis von § 1007 B G B als Besitzschutz für vermutetes Recht wurde jedoch bereits zurückgewiesen. 71 Auch die Annahme einer gesetzlichen Prozessstandschaft im Falle des gutgläubigen Fremdbesitzers lässt sich kaum mit der gesetzlichen Systematik vereinbaren. Der Frage, worin die für eine gesetzliche Prozessstandschaft notwendige Verfügungsbefugnis des Fremdbesitzers in Bezug auf das Eigentum des Oberbesitzers liegen soll, mag man noch mit dem Hinweis begegnen, dass dem früheren Besitzer durch § 1007 B G B selbst eine
69 70 71
Weber, S.68. In diesem Sinne Weber, S. 67. Vgl. o b e n , C . I . ( S . 182, 184 ff.).
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 2. Kapitel:
Der petitorische
Besitzschutz
materiell-rechtliche Verfügungsmacht eingeräumt ist, die sich darauf beschränkt, den zum Vermögen des Oberbesitzers gehörenden Anspruch geltend zu machen. 72 Da die eigene Prozessführung des Rechtsträgers jedoch unberührt bleiben soll, ergeben sich Probleme bei der Abgrenzung der geltend zu machenden Ansprüche des Eigentümers und des früheren Besitzers gegenüber dem gegenwärtigen Besitzer auf die auch Weber nicht näher eingeht. 73 Hierher gehört etwa die Frage, in welchem Umfang der Fremdbesitzer im Rahmen der §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 989 f. BGB das Eigentumsinteresse liquidieren und inwieweit er dabei Zahlung an sich selbst oder doch nur an den Eigentümer verlangen kann. Soweit er das bloße Besitzinteresse geltend macht, geht es dagegen um ihm selbst zugeordnete Positionen, so dass wiederum fraglich ist, ob es tatsächlich allein um die Eigentumsverwirklichung geht. Die gleichen Probleme der Abgrenzung von Eigentümer- und Fremdbesitzerinteressen stellen sich bei der von Weber74 vorgeschlagenen Erstreckung der Verweisung in § 1007 Abs. 3 S. 2 BGB auf den negatorischen Anspruch aus § 1004 BGB. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wie das Problem der Haftungskonkurrenz zu lösen sein soll, wenn der gegenwärtige Beklagte zunächst vom früheren Besitzer auf der Grundlage des § 1007 BGB und anschließend in einem zweiten Prozess vom Oberbesitzer aus Eigentum in Anspruch genommen wird. Der schwerwiegendste Einwand gegen die Konzeption einer gesetzlichen Prozessstandschaft liegt allerdings darin, dass sie allein die Fälle eines wirksamen Besitzmittlungsverhältnisses zwischen Fremdbesitzer und Oberbesitzer erfasst. 75 Tatsächlich reicht der Anwendungsbereich des § 1007 BGB jedoch erheblich weiter, da der Fremdbesitzer zu keinem Zeitpunkt berechtigt gewesen sein muss, solange er nur bei Besitzerwerb in gutem Glauben an sein vermeintliches Besitzrecht gewesen ist. Den tatsächlich nichtberechtigten Fremdbesitzer, der unter Umständen sogar später von seiner fehlenden Berechtigung erfährt, wird man jedoch kaum als befugt ansehen können, die Interessen des wahren Eigentümers geltend zu machen.
V. Relationale
Zuordnung
Angesichts der wechselvollen Entstehungsgeschichte des § 1007 BGB und der vielfältigen Deutungsversuche, von denen sich jedoch letztlich keiner allgemein durchsetzen konnte, ist es nicht verwunderlich, dass heute vielfach Ernüchterung eingetreten ist. Man begnügt sich mit dem Befund, dass § 1007 Abs. 1 BGB eine Art Sanktion gegen den bösgläubigen Erwerber darstelle und 72 73 74 75
Weber, S. 68. Zu formalistisch dagegen Fiedler, Ebenso Kohler, AcP 189 (1989), 299 (302). Weber, S. 76. Ebenso Staudinger/Gursky, § 1007, Rn. 4.
S. 174 f.
C.
193
Normzweck
§ 1007 Abs. 2 B G B doch zumindest die Aufgabe übernehme, die Sache über den früheren Besitzer wieder möglichst nahe an den wirklichen Berechtigten heranzuführen. 76 Jedoch sind auch diese Erklärungsansätze nicht frei von Bedenken. So kann man fragen, warum die als Sanktion verstandene Rechtsfolge des Abs. 1 gerade von der Qualität des früheren Besitzers abhängen soll (Abs. 3 S. 1), wenn es doch generell um die Rückgängigmachung des gegenwärtigen bösgläubigen Besitzes gehe. Bezüglich des Abs. 2 spricht zwar einiges dafür, dass dem wahren Berechtigten tatsächlich die Wiedererlangung leichter fallen mag, wenn die Übertragungskette verkürzt wird, denn mit jeder hinzutretenden Person wird die Sachaufklärung und Rechtsverfolgung schwieriger. 77 Allerdings lässt dieser Gedanke die Frage unbeantwortet, wieso zu diesem Zweck gerade das Interesse des dazwischen liegenden Nichtberechtigten, seinerseits wieder den Besitz zu erlangen, geschützt werden soll. Für die Entwicklung eines eigenen Ansatzes sind nochmals die Eckpfeiler der wechselvollen Entstehungsgeschichte des §1007 B G B hervorzuheben. Der entscheidende Durchbruch für die heute zentrale Bedeutung der Eigentumsklage aus § 985 B G B war die Entscheidung der Zweiten Kommission, die Vermutungsregel des § 1006 B G B , die in Abs. 2 auch zugunsten des früheren Besitzers wirkt, aufzunehmen. Neben dieser Eigentumsvermutung sah die Kommission zu Recht kein Bedürfnis mehr für einen auf den Eigenbesitzer beschränkten publizianischen Anspruch. Nach über einhundert Jahren erweist sich rückblickend betrachtet allerdings die Annahme eines echten Bedürfnisses für die Umgestaltung zu einem Anspruch aus früherem Besitz gegen den schlechter Berechtigten als Fehleinschätzung. Für den Eigentümer ist der Anspruch aus § 1 0 0 7 B G B im Allgemeinen kaum von Bedeutung, da der wesentlich umfassendere Vindikationsanspruch aus §§ 985, 1006 B G B leichter darzulegen ist. Anders ist dies nur dann, wenn dem Beklagten der Nachweis gelingt, dass, jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, ein Dritter in Wirklichkeit Eigentümer der herausverlangten Sache ist. In dieser Situation bietet § 1007 B G B den Vorteil des Ausschlusses der exceptio de iure tertii. Allerdings stellt sich dann die grundsätzliche Frage, welchen Sinn die Herausgabe der Sache an den Kläger haben soll, wenn doch die Eigentumsvermutung des § 1006 B G B widerlegt ist und damit feststeht, dass der Kläger kein Recht an der Sache hat. Das Ersitzungsinteresse des Klägers vermag den Herausgabeanspruch nicht zu begründen, da der Kläger nach Widerlegung der Eigentumsvermutung erfahren hat, dass ihm das Eigentum nicht zusteht und damit eine Ersitzung nach § 937 Abs. 2 B G B ausgeschlossen ist. Auch ein Rückabwicklungsinteresse des Klägers kann nicht in jedem Fall zur Legitimation des Herausgabeanspruchs an76 77
Staudinger/Gursky, § 1007, Rn. 3; MünchKomm/Medicus, A. A. Weber, S. 42, allerdings ohne Begründung.
§ 1007, Rn. 3.
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
geführt werden, da der wahre Eigentümer nicht der Vertragspartner des Klägers sein muss. Für den Fremdbesitzer hat § 1007 B G B insofern eigenständige Bedeutung, als der Herausgabeanspruch nicht wie der possessorische Besitzentziehungsanspruch auf ein Jahr begrenzt ist, §§ 861, 864 BGB. Andererseits ist der Herausgabeanspruch des Fremdbesitzers jedenfalls gegen den Dieb zugleich auch aus Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B gegeben,78 so dass § 1007 B G B allenfalls bei der Weitergabe der entzogenen Sache an Dritte zur Geltung kommt. Daneben spielt § 1007 B G B eine Rolle, wenn der Fremdbesitzer selbst nichtberechtigt, jedoch bei Besitzerwerb gutgläubig war. Dieser insgesamt gesehen doch sehr enge originäre Anwendungsbereich des § 1007 B G B spiegelt sich auch in der Spärlichkeit der bisher zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung wieder. Trotz dieser Fehleinschätzung des Gesetzgebers kommt in § 1007 B G B eine bewusste legislative Entscheidung in doppelter Hinsicht zum Ausdruck. Zum einen ist die Vorschrift eine positive Entscheidung des Gesetzgebers zur Einräumung weitergehender Herausgabeansprüche, die ihrerseits kein zugrunde liegendes Ursprungsrecht voraussetzen oder schaffen.79 § 1007 B G B hat erkennbar den Zweck, für den Normalfall, in dem der Eigentümer oder der besitzberechtigte Mieter die Herausgabe verlangt, also ein dingliches oder obligatorisches Ursprungsrecht ohnehin gegeben ist, eine erleichterte Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Daneben soll kein weiteres Recht geschaffen werden. Diejenigen Fälle, in denen der frühere Besitzer nichtberechtigt, aber zumindest bei Besitzerwerb in gutem Glauben an sein Besitzrecht gewesen ist und welche der § 1007 B G B ebenfalls erfasst, stellen demgegenüber lediglich Ausnahmefälle dar, die in Kauf genommen werden, ohne dass den früheren Besitzern dadurch ein zugrundeliegendes Recht verschafft werden soll. Zum anderen stellt §1007 BGB eine gesetzgeberische Entscheidung für eine bestimmte Rangordnung verschiedener Besitzformen dar. Diese Rangordnung lässt sich wie folgt skizzieren: (1) Der Eigentumserwerb hat Vorrang vor dem früheren, auch dem abhanden gekommenen Besitz (soweit nicht § 986 Abs. 2 BGB eingreift); (2) Der abhanden gekommene Besitz hat Vorrang vor dem gut- oder bösgläubigen gegenwärtigen Besitz; (3) Der gutgläubige gegenwärtige Besitz hat Vorrang vor dem nicht abhanden gekommenen Besitz; (4) der nicht abhanden gekommene Besitz hat Vorrang vor dem bösgläubigen gegenwärtigen Besitz. Innerhalb dieser Rangordnung soll nach § 1007 B G B nicht nur vorläufig, sondern endgültig über das Habendürfen der Sache entschieden werden, ohne dass damit die Rechtsbeziehung der Parteien zum wahren Eigentümer oder einem bevorrechtigten Dritten als Oberbesitzer präjudiziert wird. Diese Ent78 79
Vgl. dazu im Einzelnen unten, 3. Kapitel, C. II. 2. (S. 234 ff.). Dazu bereits oben C. III. 2. (S. 187 ff.).
D.
Anwendungsbereich
195
Scheidung innerhalb der durch § 1007 B G B vorgegebenen Rangordnung soll hier als relationale Zuordnung bezeichnet werden. Eine ähnliche Vorstellung klingt zwar auch in der bereits von der früheren Literatur verwendeten Formulierung vom „relativ besseren Berechtigten" 80 an, doch sollte diese Umschreibung vermieden werden, um nicht den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, dass der Anspruchsinhaber Träger eines in dem Besitz begründeten Rechts sei.81 Der in dieser Weise aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte ermittelte positive Gehalt des § 1007 B G B darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich letztlich doch um eine Norm mit engem originären Anwendungsbereich handelt, die maßgeblich auf einer Fehlvorstellung des Gesetzgebers von ihrer Bedeutung beruht. Der Herausgabeanspruch des § 1007 B G B wirkt wie ein Fremdkörper im System des Eigentums- und Besitzschutzes, dem für besondere Fälle eine Lückenbüßerfunktion zukommt. Schon aus diesem Grunde ist es nicht gerechtfertigt, aus §1007 B G B weitgehende, grundsätzliche Aussagen, etwa über die Rechtsnatur des Besitzes als solchem, abzuleiten.
D.
Anwendungsbereich
§ 1007 B G B ist seinem eindeutigen Wortlaut nach nur auf bewegliche Sachen anwendbar. Diese Beschränkung war bereits in § 945 des Entwurfs der Ersten Kommission vorgesehen. Die Verfasser gingen seinerzeit davon aus, dass bei Grundstücken wegen der Eigentumsvermutung des § 826 E I, der dem heutigen § 891 B G B entspricht, kein Bedürfnis für einen zusätzlichen Herausgabeanspruch bestehe. 82 Auch nach der frühen Kommentarliteratur wurde der possessorische Besitzschutz nach § 861 B G B bei Grundstücken für ausreichend erachtet. 83 Gleichwohl ist bis heute umstritten, ob § 1007 B G B nicht doch entsprechend auf Grundstücke und Grundstücksteile angewandt werden kann, mit der Folge, dass insbesondere Mieter gegen ihre Nachmieter vorgehen können, die auf irgendeine Weise in den Besitz der Wohnung gelangt sind. Auslöser dieses Streits war die Entscheidung B G H Z 7, 208. Nach dem diesem Urteil zugrunde liegenden Tatbestand waren der Kläger und seine Mutter Erben des 1944 verstorbenen Fleischermeisters C, der Inhaber eines in gemieteten Räu-
80 81 82 83
VIII.
Wolff/Raiser, § 23 (S. 69); Planck/Brodmann, § 1007 Anm. 1. Dazu bereits oben unter C. II. (S. 183). Motive, Band III, S. 429 (= Mugdan, Band III, S. 240). Planck/Brodmann, § 1007, Anm. 9; Staudinger/Kober, BGB, 9. Aufl. 1926, § 1007, Anm.
196
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 2. Kapitel:
Der petitorische
Besitzschutz
men betriebenen Fleischereigeschäfts in Berlin war. Der Betrieb ruhte, seit der Vater des Klägers 1943 zum Heeresdienst eingezogen wurde. Während sich der Kläger und seine Mutter bei Kriegsende außerhalb der Stadt befanden, gelangte der Beklagte auf nicht näher festgestellte Weise in den Besitz der Wohnund Geschäftsräume und setzte den Betrieb fort. Da die Jahresfrist des § 864 BGB bereits abgelaufen und damit der possessorische Besitzschutzanspruch aus § 861 BGB erloschen war, bejahte der BGH hier ausnahmsweise eine analoge Anwendung des § 1007 BGB. Dabei betonte das Gericht jedoch die durch das Ende des zweiten Weltkrieges und die Kapitulation eingetretenen besonderen Umstände der damaligen Zeit. Viele Personen hätten ihre unbewegliche Habe, Mietwohnungen und Geschäftsräume im Stich lassen müssen. Im Zuge der allgemeinen Wirren hätten andere Personen eigenmächtig den Besitz an diesen Räumen ergriffen, oder es sei ihnen der Besitz daran von dritten Personen, die dazu nicht berechtigt waren, überlassen worden. Die in den letzten Kriegsmonaten und in der ersten Zeit nach der Kapitulation eingetretenen verworrenen Verhältnisse hätten bewirkt, dass die Berechtigten die Tatsachen, die ihnen Anlass zu einem Vorgehen nach § 861 BGB hätten geben können, oft erst zu einer Zeit erfuhren, als dieser Anspruch nach § 864 BGB auf jeden Fall erloschen war. Selbst wenn ihnen aber diese Tatsachen rechtzeitig bekannt gewesen seien, hätten sie doch infolge der besonderen Zeitverhältnisse häufig zunächst geglaubt, davon absehen zu sollen, ihre Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Sofern es dem Besitzstörer gelungen war, durch Vorspiegelung von Tatsachen eine Beschlagnahme des betreffenden Gegenstandes zu bewirken, hätten auch die Geschädigten mit einem auf Grund des § 861 BGB erwirkten Urteil praktisch wenig erreichen können, bevor es nicht gelang, diese Beschlagnahme rückgängig zu machen. 84 Das LG Berlin hatte noch 1955 einen offenbar ähnlich gelagerten Fall, in dem die Jahresfrist des § 864 BGB ebenfalls bereits abgelaufen war, unter Rückgriff auf das Urteil des BGH in der gleichen Weise entschieden. 85 Bemerkenswert ist, dass das gleiche Gericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1960 feststellte, dass schon seit 1958 in Berlin wieder normale Verhältnisse herrschten, so dass nunmehr keine Veranlassung für eine entsprechende Anwendung des §1007 BGB auf Grundstücke bestehe. 86 Demgegenüber behauptet das AG Tiergarten in einer Entscheidung aus dem Jahre 1991 unter pauschalem Verweis auf das Urteil des BGH und die erste Entscheidung des
84 BGHZ 7, 208 (216). Im gleichen Sinne offenbar in einer unveröffentlichten Entscheidung des BGH v. 25.5.1955 (Az. IV ZR 41/55), zitiert nach RGRK/Pikart, § 1007, Rn. 5. 85 LG Berlin, ZMR 1957, 55. 86 LG Berlin, Urteil v. 4.10.1960 (Az. 65 O 40/60), zitiert nach Hoppmann, B1GBW 1960, 358 f.
D.
Anwendungsbereich
197
L G Berlin apodiktisch, dass § 1007 Abs. 2 B G B auch auf unbewegliche Sachen jedenfalls insoweit anzuwenden sei, als es Wohnräume betreffe. 87 Die Entscheidung des B G H ist in der Literatur ganz überwiegend als zeitbedingte Ausnahme hingenommen worden. 8 8 Im Übrigen wird eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Immobilien abgelehnt. 89 Demgegenüber will Pikart an der generellen analogen Anwendbarkeit des § 1007 B G B ungeachtet der inzwischen wesentlich verbesserten Wirtschaftslage „einstweilen aus praktischen Gründen" festhalten, da nach wie vor gerade bei Mietund Pachtverhältnissen über Wohnungen und gewerblich genutzte Räume ein Interesse der Mieter und Pächter an eigenen Schutzrechten im Bereich des § 1007 B G B anzuerkennen sei. Solche Rechte könnten in den nicht seltenen Fällen unbefugter Entziehung des Miet- und Pachtbesitzes von erheblicher Bedeutung sein. 90 Für eine Ausdehnung des § 1007 B G B auf unbewegliche Sachen spricht sich im Ergebnis auch Canaris aus. Allerdings begründet er dies damit, dass das obligatorische Besitzrecht des Mieters durch § 571 B G B „verdinglicht" werde, so dass die Anwendung des § 1007 B G B gerechtfertigt sei, soweit Besitzrechte von § 571 B G B erfasst werden. 91 Analysiert man die bisherige Rechtsprechung und die für eine erweiterte Anwendung vorgebrachten Argumente, so zeigt sich, dass im Ergebnis doch keine überwiegenden Gründe dafür bestehen, die bewusste Tatbestandsbegrenzung des § 1007 B G B auf bewegliche Sachen zu durchbrechen. Die Entscheidung B G H Z 7, 208 kann kaum als generelle Erstreckung des § 1007 B G B auf den Besitz an gemieteten Räumen verstanden werden. Zu deutlich ist das Bemühen des Gerichts, die ganz außerordentlichen Umstände des Kriegsendes und der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Vordergrund der Begründung zu stellen. 92 Die Tatsache, dass der Kläger aufgrund der besonderen Zeitverhältnisse nicht in der Lage war, die für den possessorischen Besitzschutz geltende Jahresfrist nach § 864 B G B einzuhalten, war für den B G H von entscheidender Bedeutung. Zwar mag man die Konstruktion, mit der das Gericht dem Kläger ersichtlich zu Hilfe kommen wollte, kritisieren. Als schonenderen Eingriff in die Gesetzessystematik hätte es sich angeboten, bei einer Hemmung der Jahresfrist des § 864 B G B anzusetzen. 93 Gleichwohl wird man aus dieser Entscheidung, trotz des allgemein formulierten Leitsatzes, nicht A G Tiergarten, M M 1993, 148 f. Soergel/Mühl, § 1007, Rn. 12; Baur/Stürner, § 9 IV, Rn. 27, Fn. 2; Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, § 35 I 1 a.E.; Wolff.'/Kaiser, § 23 Fn. 3. 89 Staudinger/Gursky, §1007, Rn. 6; MünchKomm/Medicus, § 1007, Rn. 4; Westermann/ Gursky, § 35 I 1 (S. 252) spricht von einem „implizierten Analogieverbot". 90 RGRK/Pikart, § 1007, Rn. 5. 91 Canaris, FS f. Flume I, S. 371 (401); ebenso Dörner, Dynamische Relativität, S. 94. 9 2 B G H Z 7, 208 (216) = N J W 1952, 1410 (1411). 9 3 Der B G H hatte in diesem Zusammenhang selbst eine mögliche Hemmung nach § 31 der Vertragshilfeverordnung in der Fassung vom 3.11.1941 angesprochen, jedoch offengelassen. 87 88
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
schließen können, dass der B G H auch heute noch im Sinne einer erweiterten Anwendung des §1007 BGB entscheiden würde. Vor diesem Hintergrund hatte daher auch das L G Berlin zu Recht festgestellt, dass seit 1958 in Berlin wieder normale Verhältnisse herrschten, die eine rechtzeitige Geltendmachung der possessorischen Klage aus § 861 BGB zuließen, so dass f ü r eine entsprechende Anwendung des § 1007 BGB kein praktisches Bedürfnis mehr bestand. 94 Die allgemeine Bezugnahme des A G Tiergarten auf das Urteil des B G H und die frühere Rechtsprechung des LG Berlin ist daher nicht geeignet, eine generelle Anwendung von § 1007 BGB auf Wohnräume zu begründen. 9 5 Warum über den possessorischen Rechtsschutz hinaus „aus praktischen Gründen" ein Interesse an der Anwendung des § 1007 BGB anzuerkennen sein soll, wie Pickart meint, wird nicht näher begründet. Welches unausgesprochene Ziel hinter diesen Überlegungen steht, wird allerdings klar, wenn man sich vor Augen führt, dass dem bisherigen Besitzer der Herausgabeanspruch gegen den eigenmächtig handelnden Vermieter nach § 861 Abs. 1 BGB im Ergebnis nichts nützt, wenn die Wohnung sofort an einen gutgläubigen Dritten weitervermietet und übergeben wird. Da der Vermieter in dieser Situation aufgrund des gesetzlich verankerten Mieterschutzes in der Regel nicht in der Lage sein wird, dem neuen Mieter wirksam zu kündigen und daher die Wohnung nicht an den vorherigen Besitzer herausgegeben werden kann, ist dieser auf Schadensersatzansprüche gegenüber seinem Vermieter nach §§ 535, 536 a BGB beschränkt. Die analoge Anwendung des § 1007 BGB auf unbewegliche Sachen bezweckt somit, dem bisherigen Besitzer durch einen unmittelbaren Anspruch gegenüber dem neuen Mieter einen effektiven Herausgabeanspruch zu verschaffen. Die besondere Problematik einer solchen Analogie liegt auf der H a n d . Die gesetzliche Systematik der §§ 858, 861 BGB gegenüber dem Relativschutz des § 1007 BGB wird zum Nachteil des neuen Besitzers überspielt. Er büßt die erworbene Besitzposition trotz Gutgläubigkeit ein, ohne dass erklärt werden kann, warum seine Interessen hinter denen des bisherigen Besitzers zurückzutreten haben. Es bleibt schließlich das Argument Canaris', § 566 BGB bewirke eine „Verdinglichung obligatorischer Rechte", die eine entsprechende Anwendung des § 1007 BGB rechtfertige. Hiergegen ist eingewandt worden, dass § 1007 BGB wie § 1006 BGB an die Vermutungswirkung des Besitzes anknüpfe. Da der Daneben käme, je nach den Umständen des konkreten Falles, auch die Annahme höherer Gewalt in erweiterter Auslegung des § 203 Abs. 2 BGB in Betracht. 94 Zitiert nach Hoppmann, BlGBW 1960, 358 (359). 95 Bemerkenswerterweise stand in dem besagten Urteil des AG Tiergarten dem durch den Vermieter ausgesperrten Mieter ohnehin ein possessorischer Herausgabeanspruch nach §§ 861, 858 Abs. 2 BGB auch gegen den neuen Mieter zu, da dieser offensichtlich von dem unzulässigen Vorgehen des Vermieters Kenntnis hatte. Ein Rückgriff auf § 1007 BGB war daher nicht einmal nötig.
E. Inhaltliche
Reichweite
der
Besitzberechtigung
199
Besitz bei Immobilien keine Grundlage für die Vermutung eines Rechts zum Besitz darstellt, weil es an der Verbindung von Besitz und Rechtserwerb fehle, sei §1007 B G B nicht auf unbewegliche Sachen übertragbar. 96 Die Entgegnung, der Besitz habe innerhalb des Uberlassungserfordernisses nach § 566 B G B sehr wohl konstitutive Funktion, 97 ist demgegenüber kritisiert worden, weil die Erlangung von Sukzessionsschutz nach § 566 B G B nicht mit einem Rechtserwerb im Sinne des § 1006 B G B gleichgestellt werden könne. 98 Nach dem hier vertretenen Ansatz zum Verständnis des § 1007 B G B kann die vorstehende Argumentation der Begründung von Canaris nicht entgegengesetzt werden, da sie auf dem Normzweck des Schutzes eines vermuteten Rechts aufbaut. 99 Da § 1007 B G B jedoch wesentlich weiter reicht und gar kein Besitzrecht des früheren Besitzers voraussetzt, ist eine Verknüpfung von Rechtserwerb und Besitz nicht zwingend. Die von Canaris befürwortete Ausdehnung von § 1007 B G B auf die Fälle des § 566 B G B überzeugt allerdings aus anderen Gründen nicht. Zum einen bestehen auch hier die noch an anderer Stelle 100 darzulegenden grundsätzlichen Einwände gegen die Figur der „verdinglichten" obligatorischen Rechte. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass § 566 B G B und § 1007 B G B einen völlig unterschiedlichen Regelungsgegenstand haben. Hier geht es um Sukzessionsschutz, dort um die Wiedererlangung früheren Besitzes. Eine innere Rechtfertigung dafür, den Tatbestand der einen Norm auf den Anwendungsbereich der anderen Norm zu erstrecken, ist nicht erkennbar.
E. Inhaltliche Reichweite der
Besitzberechtigung
§ 1007 B G B soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers einen Anspruch des früheren Besitzers gegen den schlechter Berechtigten gewähren. 101 Da somit eine endgültige Klärung zwischen den Parteien um die materielle Berechtigung zum Besitz angestrebt ist, sind sämtliche petitorischen Einwendungen zulässig. Besondere Bedeutung kommt dabei der Verweisung in § 1007 Abs. 3 S. 2 B G B auf § 986 B G B zu. Der Beklagte kann sich dadurch gegenüber dem Herausgabeanspruch des Klägers verteidigen, dass er ein Recht zum Besitz der Sache darlegt und gegebenenfalls nachweist. Dabei ist man sich im Grundsatz einig, dass es sich um ein Recht zum Besitz handeln muss, dass gerade
96 97 98 99 100 101
Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl. 1966, § 35 I 1; Baur/Stürner, Canaris, FS f. Flume I, S. 371 (401). Vgl MünchKomm/Medicus, § 1007, Rn 4, Fn. 7. Vgl oben unter C. I. (S. 182). Hierzu im Einzelnen unten, 4. Kapitel, A. III. 3. (S. 281 ff.). Dazu oben, unter B . I I I . (S. 181).
§ 9 IV, Rn. 27.
200
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 2. Kapitel:
Der petitorische
Besitzschutz
auch gegenüber dem Kläger wirkt. 1 0 2 Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang obligatorische Besitzrechte, vor allem, wenn sie nachträglich vom Beklagten erlangt werden, da die Behandlung dieser Fälle zum einen nach wie vor umstritten ist und sich zum anderen gerade hier die Konsequenzen aus der dogmatischen Fundierung des § 1007 BGB zeigen. Die Problematik soll im Folgenden anhand mehrerer Beispielsfälle erörtert werden. Fall 1:
Eigentümer E vermietet einen P k w an den Kläger. Nachdem der Beklagte den Wagen bei dem Kläger gestohlen hat, lässt er sich das Fahrzeug ebenfalls von E vermieten.
Der Beklagte war hier beim Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben, so dass dem Kläger der Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB zusteht. Zugleich kann der Kläger den Anspruch auch auf § 1007 Abs. 2 S. 1 BGB stützen, da ihm der Wagen vom Beklagten gestohlen wurde. Fraglich ist allein, ob sich der Beklagte auf den nachträglich mit E geschlossenen Mietvertrag berufen und daraus ein Recht zum Besitz nach §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB ableiten kann. Gursky bejaht dies. Eine nur obligatorische Besitzberechtigung des Klägers gegenüber dem Einzelrechtsvorgänger des Beklagten könne (außerhalb von § 986 Abs. 2 BGB) weder ein dingliches noch ein obligatorisches Besitzrecht des Beklagten im Wege der Replik ausschalten; ein Mieter habe also beispielsweise keinen Anspruch aus § 1007 BGB gegen den beim Besitzerwerb „bösgläubigen" neuen Besitzer, wenn sich dieser nachträglich die Sache vom Eigentümer vermieten oder übereignen lässt. 103 Dieser Argumentation liegt offensichtlich die Vorstellung zugrunde, dass der nachträglich geschlossene zweite Mietvertrag ein Recht zum Besitz für den Beklagten im Sinne der §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB begründe und es daher nun am Kläger liege, seinerseits im Wege der Replik darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, dass ihm ein vorrangiges Besitzrecht gegenüber dem Beklagten zukomme. Mit dieser Sichtweise werden indessen die vom Gesetz vorausgesetzten Besitzrechtswirkungen in ihrer Zielrichtung unzulässigerweise umgekehrt. § 1007 Abs. 3 BGB stellt einen Ausschlusstatbestand gegenüber den Herausgabeansprüchen aus Abs. 1 und Abs. 2 dar. Dieser Anspruchsausschluss erfolgt in Abs. 3 S. 2 durch Bezugnahme auf das Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB, in dem nach richtiger Auffassung eine Einwendung zu sehen ist. 104 Daraus ergibt sich die auch von Gursky geteilte Prämisse, dass sich der Beklagte nur mit einem solchen Besitzrecht gegen den Herausgabeanspruch zur Wehr setzen kann, 102 BGH, LM §855 Nr. 3; O. v. Gierke, S. 57; Soergel/Mühl, §1007, Rn. 6; Staudinger/ Gursky, § 1007, Rn. 16. 103 Staudinger/Gursky, § 1007, Rn. 16; ebenso Palandt/Bassenge, § 1007, Rn. 8. 104 Zur Kontroverse um die Einordnung des Besitzrechts aus § 986 BGB als Einrede oder Einwendung vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. (S. 81 ff.).
E. Inhaltliche
Reichweite
der
Besitzberechtigung
201
das gerade auch gegenüber dem Kläger wirkt. Daher kann ein Bedürfnis für eine Replik des Klägers richtigerweise überhaupt erst dann bestehen, wenn ein solches dem Kläger gegenüber zum Besitz berechtigendes Verhältnis dargetan ist. Überträgt man diese Grundsätze auf den obigen Beispielsfall, so zeigt sich, dass der Beklagte aufgrund des nachträglichen Mietvertrages zwar ein Recht zum Besitz an dem Wagen hat, doch kann dieses obligatorische Besitzrecht wegen seines relativen Charakters zunächst nur gegenüber dem Vertragspartner E wirken. Die Frage, ob sich dieses relative Besitzrecht darüber hinaus auch gegen den Kläger richtet, beurteilt sich demgegenüber nach der Vorschrift des § 986 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB. Durch die Verweisung in § 1007 Abs. 3 S. 2 B G B auf die Vindikationsvorschriften der §§986 bis 1003 B G B wird ein entsprechendes „Besitzer-Besitzer-Verhältnis" begründet, wobei der frühere Besitzer im Sinne des § 1007 B G B an die Stelle des Eigentümers in den §§986ff. B G B tritt. Leitet der Beklagte daher sein.Besitzrecht von einem Dritten ab, so wirkt dies nach § 986 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B nur dann gegenüber dem Kläger, wenn dieser Dritte seinerseits dem Kläger gegenüber zum Besitz berechtigt war. In dem vorliegenden Beispielsfall ist dies jedoch gerade nicht der Fall. Denn auch wenn E Eigentümer des Pkw war, so ist er aufgrund des zuerst geschlossenen Mietvertrages gegenüber dem Kläger verpflichtet, diesem den Besitz einzuräumen und für die Dauer des Vertrages auch zu belassen. E ist daher gegenüber dem Kläger nicht zum Besitz berechtigt. Es fehlt somit bereits an einem dem Kläger gegenüber wirkenden Besitzrecht des Beklagten, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Kläger umgekehrt über ein Besitzrecht verfügt, dass gerade gegenüber dem Beklagten wirkt. Der Kläger kann folglich den Wagen vom Beklagten gemäß § 1007 Abs. 1 bzw. Abs. 2 B G B herausverlangen. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt Canaris,105 Er geht von der Überlegung aus, dass der Eigentümer selbst den Anspruch aus § 1007 B G B nicht mit Hilfe seines Eigentums zu Fall bringen könnte, weil der Kläger ihm sein Recht zum Besitz als Duplik entgegensetzen könnte. Dann aber sei es folgerichtig, dass jemand, der sein Besitzrecht von dem Eigentümer ableitet, ebensowenig geschützt werde wie dieser, da er als dessen Rechtsnachfolger keine stärkere Stellung haben könne: nemo plus iuris in alienum transferre potest quam ipse habet. Man muss allerdings sehen, dass Canaris seine Argumentation sowohl auf die spätere Vermietung als auch auf den späteren Eigentumserwerb 106 bezieht. Der dazu herangezogene Rechtssatz überzeugt jedoch im vorliegenden Kontext nicht, weil es hier nicht um einen dinglichen Rechtserwerb, sondern um die Einräumung obligatorischer Besitzrechte geht. Die Erstreckung derar-
105 106
Canaris, FS f. Flume I, S. 371 (399). Dazu sogleich bei Fall 3.
202
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
tiger Besitzrechte auf Dritte, wie im vorliegenden Fall, wird vielmehr gerade durch § 986 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB sichergestellt. Wieling nimmt an, dass sowohl dem Kläger als auch dem Beklagten jeweils ein „verdinglichtes" Mietrecht zustehe.107 Im Falle der Bösgläubigkeit des Beklagten sei dessen Recht zweitrangig: prior tempore, potior iure. War der Beklagte dagegen bei Besitzerwerb gutgläubig, so erwerbe er entsprechend § 1208 B G B ein erstrangiges Recht. Danach kommt man im vorliegenden Beispielsfall ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kläger den Wagen vom Beklagten herausverlangen kann. Allerdings zwingt die Annahme eines „relativ verdinglichten Rechts" dazu, sich mit dem Rangverhältnis mehrerer solcher angenommener Rechte auseinanderzusetzen. Dabei muss dann, wie gesehen, auf allgemeine Prinzipien und entfernte Pfandrechtsvorschriften zurückgegriffen werden, um eine Lösung zu erreichen, die sich ohne die, bereits aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnende108, Annahme eines „relativ verdinglichten Rechts" schon aus der konsequenten Subsumtion des §1007 B G B ergeben. Fall 2:
E hat den Pkw unter Eigentumsvorbehalt an den Kläger veräußert. Noch bevor der Kläger den Kaufpreis vollständig bezahlt hat, entwendet E den Wagen und veräußert ihn Zug um Zug gegen Barzahlung an den gutgläubigen Beklagten.
Variante:
Der Kläger hat den Wagen nicht unter Eigentumsvorbehalt gekauft, sondern nur von E gemietet.
In diesem Beispielsfall steht dem Kläger gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 1007 Abs. 1 B G B zu, da der Beklagte beim Besitzerwerb nicht bösgläubig gewesen ist. Auch nach § 1007 Abs. 2 B G B besteht kein Herausgabeanspruch, da der Wagen zwar dem Kläger abhanden gekommen ist, der Beklagte jedoch das Eigentum am Fahrzeug von E als Berechtigtem gemäß § 929 BGB erlangt hat. Der Eigentumserwerb ist nach § 1007 Abs. 2 S. 1 B G B negatives Tatbestandselement, bei dessen Vorliegen der Herausgabeanspruch aus Abs. 2 entfällt. Es handelt sich demnach um eine Einwendung, deren Vorliegen der gegenwärtige Besitzer darzulegen und zu beweisen hat. Die Aufnahme des Eigentumserwerbs in Abs. 2 wird vielfach als überflüssig betrachtet, da der gegenwärtige Besitzer das von ihm erworbene Eigentum ohnehin dem Kläger über §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB rechtsvernichtend entgegenhalten könne. 109 Dem entspricht die Auffassung des BGH, der Beklagte könne dem Anspruch des Klägers aus § 1007 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nach §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB eine „Einrede" entgegensetzen, wenn das Eigentum ihn auch Wieling, Sachenrecht I, 1990, § 13 II 4 (S. 646 f.). Dazu oben, unter III. 2. (S. 187 ff.). 109 Wolff/Raiser, §23 II 2 b (S. 72); Münch Komm/Medicus, Gursky, § 1007, Rn. 5,36. 107
108
§1007, Rn. 7;
Staudinger/
E. Inhaltliche
Reichweite
der
Besitzberechtigung
203
dem Kläger gegenüber zum Besitz der Sache berechtigen würde. 110 Diese Überlegungen sind in der Sache gewiss zutreffend und ergeben sich in gleicher Weise nach dem hier vertretenen Verständnis des § 1007 BGB als relativer Zuordnung innerhalb einer Besitzrangfolge. 111 Dadurch, dass der Eigentumserwerb den Herausgabeanspruch nach Abs. 2 S. 1 ausschließt, wird dem Eigentumserwerb ein höherer Rang als dem abhandengekommenen Besitz eingeräumt. Damit wäre nach dem Wortlaut des § 1007 BGB allerdings die Prüfung bereits abgeschlossen, ohne dass es noch auf Abs. 3 ankäme, denn Abs. 1 greift mangels Bösgläubigkeit nicht ein und Abs. 2 scheidet wegen des Eigentumserwerbs des Beklagten aus. Sieht man Abs. 3 als Ausschlusstatbestand gegenüber den Ansprüchen aus Abs. 1 und Abs. 2 an, so könnte man nun nicht einmal mehr die Frage stellen, ob dem Kläger gegenüber dem Beklagten und nunmehrigen Eigentümer ein eigenes Recht zum Besitz zusteht. Ein solches Verständnis widerspräche aber dem Zweck der Vorschrift, eine endgültige Regelung der Besitzberechtigung an der Sache zwischen den Parteien zu erreichen. Um diesem Normziel gerecht zu werden, ist es jedoch nicht erforderlich, entgegen dem Wortlaut des Abs. 2 auf das negative Tatbestandselement des Eigentumswerbs zu verzichten. Vielmehr ist die Verweisung in S. 2 des §1007 Abs. 3 BGB nicht nur als negativer Ausschlusstatbestand aufzufassen, sondern wie ein eigenständiger Absatz zu lesen. Daraus ergibt sich dann, dass bereits im Zusammenhang mit der Prüfung des Eigentumserwerbs in Abs. 2 auch die Frage nach einer besseren Besitzberechtigung nach §986 BGB zugunsten des Klägers zu erörtern ist. Für unseren Beispielsfall 2 ergibt sich daraus, dass dem Kläger gegen den Beklagten kein Herausgabeanspruch zusteht, da das Besitzrecht des Klägers aus dem Vorbehaltskauf, §§ 433, 449 BGB (bzw. in der Variante aus Mietvertrag, § 535 BGB) als schuldrechtliche Berechtigung allein gegenüber dem E wirkt und sich der Beklagte dieses obligatorische Besitzrecht auch nicht gemäß § 566 BGB oder nach § 986 Abs. 2 BGB entgegenhalten lassen muss. 112 Demgegenüber sieht eine verbreitete Ansicht in dieser Sachverhaltskonstellation einen wichtigen Fall, in dem sich der Kläger auch gegenüber dem neuen Eigentümer und gegenwärtigen Besitzer durchsetzen müsse. So nimmt etwa Canaris an, dass das frühere Besitzrecht auch dem Erwerber eines dinglichen Rechts entgegengehalten werden könne. 113 Zur Begründung verweist er wiederum auf einen Vergleich mit der Situation des früheren Eigentümers. Da auch dieser dem Herausgabeanspruch des Klägers sein Eigentum nicht hätte entgegensetzen können, müsse für den Rechtsnachfolger im Eigentum das Gleiche gelten, da dieser keine stärkere Stellung haben könne. Darüber hinaus 110 111 112 113
B G H , L M § 855 Nr. 3. Vgl. oben, unter C . V. (S. 192 ff.). F ü r diesen Fall i m Ergebnis ebenso Staudinger/Gursky, Canaris, FS f. F l u m e I, S. 371 (399 f.).
§ 1007, R n . 16.
204
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
gründet Canaris dieses Ergebnis auf die These, dass der Einräumung eines Rechts zum Besitz Verfügungscharakter zukomme. Da der frühere Eigentümer durch die Einräumung eines solchen Rechts zum Besitz seine Verfügungsmacht „verbraucht" habe, könne er insoweit nicht mehr als Berechtigter verfügen. Wie problematisch dieser Ansatz ist, wird noch im Zusammenhang mit dem deliktischen Besitzschutz näher zu erörtern sein. 114 Es wird nicht nur ohne N o t die grundlegende Unterscheidung von dinglichen und obligatorischen Rechten eingeebnet, sondern auch die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für die rein obligatorische Ausgestaltung vor allem des Mietrechts konterkariert. Hinzu kommt, dass die berechtigten Verkehrsinteressen, namentlich der Dritterwerber, in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werden. Wer vom Eigentümer eine bewegliche Sache nach § 929 BGB erwirbt, muss nach dem BGB gerade nicht damit rechnen, dass obligatorische Rechte Dritter an der Sache bestehen, die ihm entgegengehalten werden können. Dieses Vertrauen des Erwerbers ist durch die Einräumung des unmittelbaren Besitzerwerbs gerechtfertigt, wie sich im Umkehrschluss aus § 986 Abs. 2 BGB ergibt. Auch das Argument, der Veräußerer könne nicht mehr Rechte übertragen, als er selbst habe, führt in die Irre. Denn in Bezug auf sein Eigentum ist er, auch nach obligatorischer Besitzüberlassung an einen Dritten, in vollem U m fang berechtigt. Dass die schuldrechtliche Einräumung von Berechtigungen an der Sache nicht auf die Ebene der dinglichen Berechtigung durchschlagen kann, ergibt sich nicht zuletzt auch aus § 137 S. 1 BGB. Auch diese Vorschrift ist Ausdruck des dem BGB allgemein zugrundeliegenden Prinzips der Trennung von schuldrechtlicher Verpflichtung und dinglicher Berechtigung. In die gleiche Richtung wie die Argumentation von Canaris geht die Begründung von Kochn5 und Wieling,116 Auch diese Autoren gelangen zu einem Vorrang des früheren Besitzers vor dem Erwerber des Eigentums. Allerdings gründen sie die Bevorrechtigung maßgeblich auf das von ihnen zuvor hinter §1007 BGB ausgemachte „eingeschränkt-absolute" bzw. „relativ-verdinglichte" Recht. Der Beklagte könne das Eigentum nicht lastenfrei, sondern nur belastet mit diesem Recht erworben haben. Auch die Gutgläubigkeit des Erwerbers helfe ihm nicht, da wegen des Abhandenkommens der Sache das „Beharrungsinteresse" des Klägers dem Verkehrsinteresse des Beklagten vorgehe. 117 Hier zeigt sich in besonders prägnanterWeise, dass die „Entdeckung" eines solchen vermeintlichen Rechts hinter §1007 BGB nicht nur eine zur Anwendung des §1007 BGB überflüssige, sondern darüber hinaus sogar schädliche Konstruktion ist, da sie zu nicht gerechtfertigten Rückschlüssen auf das übrige System von dinglichen und obligatorischen Rechten führt. Hier 114 115 116 117
Vgl. u n t e n , 4. Kapitel, A. III. 3. (S. 281 ff.). Koch, § 1007 B G B , S. 143 f. Wieling, Sachenrecht 1,1990, § 13 II 4, III 3 (S. 646, 650). Koch, S. 144.
E. Inhaltliche
Reichweite
der
Besitzberechtigung
205
werden im Grunde aus § 1007 B G B als einer eng begrenzten Vorschrift weitreichende Konsequenzen, etwa im Sinne der Miete als dinglichem Recht, 1 1 8 gezogen, die in keinem Verhältnis zu der Aussagekraft der Norm stehen, wie sie sich aus der besonderen Entstehungsgeschichte und der unklaren Zweckrichtung ableiten lässt. Fall 3:
Wie Fall 2, nur hat nicht E, sondern der Beklagte den Wagen zunächst beim Kläger entwendet und sich das Fahrzeug dann anschließend von E übereignen lassen.
In dieser Situation besteht zunächst ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten nach § 1007 Abs. 1 B G B , da der Beklagte bei Besitzerwerb bösgläubig war. Dagegen scheidet ein Anspruch nach § 1007 Abs. 2 B G B aus, da der Beklagte wirksam das Eigentum von E erlangt hat und das Besitzrecht des Klägers aus dem schuldrechtlichen Vertrag mit E nach §§ 433, 449 B G B bzw. § 535 B G B nach der hier vertretenen Auffassung nicht gegenüber dem Beklagten wirkt. Hier stellt sich die Frage, ob sich der Beklagte auch im Rahmen des Abs. 1 auf den Eigentumserwerb berufen kann. Dies ist mit der ganz überwiegenden Meinung zu bejahen, da das Eigentum ebenfalls zum Besitz berechtigt und daher über die Verweisung nach §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 B G B erst recht dem Kläger als Einwendung entgegengehalten werden kann. Der Umstand, dass der Eigentumserwerb als Tatbestandsausschluss allein in Abs. 2, nicht jedoch in Abs. 1 genannt wird, erklärt sich aus der generalisierenden Betrachtung des Gesetzgebers, der zu Recht davon ausging, dass bei bösgläubigem Besitzerwerb regelmäßig ein gutgläubiger Eigentumserwerb ausscheiden werde. Daraus lässt sich allerdings nicht umgekehrt schließen, dass ein ausnahmsweise doch möglicher Eigentumserwerb als Tatbestandsausschluss nicht in Betracht käme. Dies widerspräche dem Ziel des § 1007 B G B , eine relative Zuordnung der Sache unter Einbeziehung aller Rechtsgründe für ein Behaltendürfen zwischen den Parteien zu erreichen. Dem Beklagten steht daher aus dem erworbenen Eigentum trotz seiner Bösgläubigkeit ein Besitzrecht zu. 119 Der Kläger kann sein Recht zum Besitz gegenüber dem E auch nicht über § 9 8 6 Abs. 2 B G B dem Beklagten entgegensetzen, da dieser sein Eigentum brevi manu traditio, § 929 S. 2 B G B , erlangt hat. Fall 4:
Wie Fall 3, nur hat E das Fahrzeug an den Beklagten bisher lediglich verkauft, aber noch nicht übereignet.
Gursky will Fall 4 und Fall 3 gleich behandeln. Der Herausgabeanspruch des Klägers solle entfallen, sobald der Beklagte die Sache vom Eigentümer kauft oder sich übereignen lässt. 120 Diese Gleichstellung erscheint jedoch 118 119 120
Koch, ZMR 1985, 187. Ebenso im Ergebnis Staudinger/ Gursky, § 1007, Rn. 16. Staudinger/Gursky, § 1007, Rn. 16.
206
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 2. Kapitel: Der petitorische
Besitzschutz
nicht gerechtfertigt. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Fällen besteht darin, dass der Beklagte in Fall 4 gerade noch nicht das Eigentum an der Sache erlangt hat. Seine Besitzberechtigung beschränkt sich demgemäß im Moment noch auf das obligatorische Recht zum Besitz aus dem mit E geschlossenen Kaufvertrag. Die Situation stellt sich daher hier nicht anders dar, als im oben behandelten Fall 1, in dem dem Beklagten lediglich ein Recht zum Besitz aus dem mit E geschlossenen Mietvertrag zusteht. Da der Beklagte in Fall 4 bereits im Besitz der Sache ist, das Eigentum von E allerdings erst später auf den Beklagten übergehen soll, wird dieser Situation regelmäßig eine Abrede zugrundeliegen, die einem Eigentumsvorbehaltskauf zumindest sehr nahe kommt. Zwischen E und dem Beklagten besteht daher ein Besitzmittlungsverhältnis im Sinne des § 868 BGB, so dass auch hier davon auszugehen ist, dass der Herausgabeanspruch des Klägers aus § 1007 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nur dann entfällt, wenn das obligatorische Recht zum Besitz des Beklagten nach §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB gerade auch gegenüber dem Kläger wirkt. Dies ist indessen nicht der Fall. Vielmehr ist auch hier nach § 986 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB der bisherige Eigentümer im Verhältnis zum Kläger nicht zum Besitze berechtigt. Der bloße Verkauf der Sache, ohne dass eine Ubereignung von E an den Beklagten bereits erfolgt ist, schließt daher noch nicht den Herausgabeanspruch des Klägers aus § 1007 BGB aus.
3. Kapitel
Der Besitzschutz im Bereicherungsrecht Im Folgenden wenden wir uns der Frage zu, in welcher Weise der Besitz Gegenstand der Kondiktion sein kann. Dabei soll f ü r die Zwecke der vorliegenden Arbeit von der grundsätzlichen Unterscheidung der Leistungskondiktion und der Bereicherung in sonstiger Weise - nachfolgend pars pro toto als Eingriffskondiktion bezeichnet - ausgegangen werden, wie sie auf der Grundlage der Untersuchungen von Wilburg1 und v. Caemmerer2 als Trennungslehre bis heute der ganz herrschenden Auffassung entspricht. Da sich aus den neueren Versuchen, das Bereicherungsrecht auf ein einheitliches Fundament zu stellen, 3 keine erkennbaren Konsequenzen für die hier zu diskutierenden Fallgestaltungen ergeben, soll eine nähere Auseinandersetzung mit der neueren Einheitslehre unterbleiben. 4 Nach einem ersten Blick über die Entwicklung bis zum gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Literatur zur Reichweite des bereicherungsrechtlichen Besitzschutzes sind die einzelnen tatbestandlichen Problemfelder der Leistungs- und der Eingriffskondiktion zu beleuchten. Daran anschließend ist der Inhalt eines etwaigen Bereicherungsanspruchs zu erörtern, bevor abschließend auf Konkurrenzfragen einzugehen ist.
1 Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung nach österreichischem und deutschem Recht. Kritik und Aufbau, Graz 1934. 2 v. Caemmerer, Bereicherung und unerlaubte Handlung, in: FS f. Ernst Rabel, Band I, S. 333 ff. 3 Dazu Bälz, in: FS f. Gernhuber, S. 3 ff.; Batsch, Vermögensverschiebung und Bereicherungsherausgabe, S. 91 ff.; Costede, Verständnis des Bereicherungsrechts, S. 41 ff.; Kaehler, Bereicherungsrecht und Vindikation, S. 154 ff.; Kellmann, Grundsätze der Gewinnhaftung, S. 97 ff.; Knieper, BB 1991, 1578 ff.; Kupisch, Gesetzespositivismus im Bereicherungsrecht, S. 14 ff.; ders., in: FG f. v. Lübtow, 1980, S. 501 ff.; den., JZ 1985, 101 u. 163 ff.; ders., JZ 1997, 213 ff.; MünckKomm/Lieb, § 812, Rn. 3 ff.; Pinger, AcP 179 (1979), 301 ff.; Wilhelm, Rechtsverletzung, passim; ders., JuS 1973, 1 ff.;/. Wolf, Stand der Bereicherungslehre, 1980, S. 126 ff. 4 Dazu im Einzelnen Köndgen, in: F G f. Esser, 1975, S. 55 (56 ff.); Reuter/Martinek, §2 V (S. 35 ff.); Erman/H. P. Westermann, vor §812, Rn. 1, §812, Rn. 1.
208
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
A. Überblick über die Entwicklung des
Bereicherungsrecht
Meinungsstandes
I. Die Beratungen des BGB Die gemeinrechtliche Lehre von der condictio possessionis geht auf die Arbeiten von C. G.Bruns zurück.5 Bruns seinerseits knüpft an den allgemeinen Kondiktionstatbestand Savignysb an, wenn er den Grund der condictiones sine causa darin sieht, dass „all das, was ohne Grund oder nur aus irrthümlichem oder ungesetzlichem Grunde aus Jemandes Vermögen an einen anderen gekommen ist, von diesem zurückgegeben werden muss". 7 Die condictio possessionis ist für Bruns daher nichts anderes als die Anwendung dieses Prinzips auf den Besitz, da der Besitz als solcher eben auch einen Bestandteil des Vermögens bilde.8 Bruns sah den Besitz allerdings nicht nur als Gegenstand der Kondiktion, sondern auch als deren Klagegrund. Die condictio possessionis hatte für ihn daher possessorischen Charakter, so dass petitorische Einreden gegen den Anspruch ausgeschlossen sein sollten.9 Die herrschende Lehre schloss sich Bruns insoweit an, als der Besitz als Gegenstand der Kondiktion anerkannt wurde.10 Dagegen konnte sich die Vorstellung von der possessorischen Grundlage der Klage nicht durchsetzen.11 Im Anschluss an die gemeinrechtliche Doktrin sah auch der erste Entwurf des B G B ausdrücklich die Besitzkondiktion vor. § 737 Abs. 3 lautete: „Die Rückforderung findet auch dann statt, wenn die Leistung nur in der Einräumung des Besitzes oder in der Inhabung bestanden hat."
In § 748 des ersten Entwurfs, der sich mit der Nichtleistungskondiktion befasste, hieß es in Abs. 3: „Auf die Verpflichtungen desjenigen, welcher die Bereicherung herauszugeben hat, finden die Vorschriften des § 737 Abs. 3 und der §§ 739, 740, sowie des § 741 Abs. 2 entsprechende Anwendung.
5 Bruns, Das Recht des Besitzes, 1848, S. 27 ff.; ders., Die Besitzklagen, 1874, S. 185 ff. Vgl. hierzu im Einzelnen zuletzt Klinkhammer, S. 11 ff. 6 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1841, Band V, S. 523. 7 Bruns, Die Besitzklagen, S. 187. 8 Bruns, Die Besitzklagen, S. 188, 189 ff. 9 Bruns, Das Recht des Besitzes, S. 32; ders., Die Besitzklagen, S. 204. 10 Bekker, KritV 1876, 1 (28 f.); Bolze, AcP 79 (1892), 183 (206); Brinz, Pandektenrecht, Band II/2,1882, S. 508 ff., Fn. 23; Dernburg, Pandekten, Band II, 4. Aufl., §138,1 a.E. (S. 368); Pflüger, Besitzklagen, S. 121; Rudorf/, in: Anhang zu Savigny, Recht des Besitzes, 7. Aufl., S. 707 ff. 11 Bolze, AcP 79 (1892), 183 (207 ff.); Jhering, Besitzschutz, S. 138; Meischeider, Besitz und Besitzschutz, 1876, S. 75 f.; Pflüger, Besitzklagen, S. 123, 127 f.; Windscheid/Kipp, §161 (S. 730 f.).
A. Überblick
über die Entwicklung
des
Meinungsstandes
209
Diese Bestimmungen gehen auf einen entsprechenden Antrag Plancks in der Ersten Kommission zurück. Bei der Aufnahme dieser Vorschriften ging die Kommission von der Erwägung aus, dass Besitz und Inhabung, wenn auch nicht Rechte im subjektiven Sinne, so doch ökonomische Güter seien. Sie gewährten wertvolle Rechtspositionen, der Besitz bei der Geltendmachung des Eigentums und als Voraussetzung der Tradition und der Ersitzung, die Inhabung in Ansehung der Sachverteidigung und der possessorischen Klagen. Um die Kondizierbarkeit dieser Rechtspositionen handle es sich. 12 Zwar hatte der Redaktor des Sachenrechts, Johow, eine Regelung der condictio possessionis nicht für nötig und wegen der Schwierigkeiten der Schätzung des Vermögenswertes des Besitzes für bedenklich erachtet. 13 Die Erste Kommission ließ diese Einwände indessen nicht gelten, da die befürchteten Schwierigkeiten nicht unüberwindlich seien. Auch wenn abstrakte Regeln über die Schätzung nicht aufgestellt werden könnten, könne der Richter doch immer nach den konkreten Umständen den an Stelle der Naturalrückgewähr tretenden Wertersatz ermitteln. Im Übrigen sei die condictio possessionis auch nicht überflüssig, da die Vindikation sie nicht vollständig ersetzen könne. 14 Die Erste Kommission ging danach davon aus, dass die condictio possessionis für alle Fälle der Kondiktion gelte. 15 Die Vorkommission des Reichsjustizamtes, die die Beratungen der Zweiten Kommission vorbereitete, wollte an die Spitze des Abschnitts über die Kondiktion einen allgemeinen Rechtssatz stellen, der das Prinzip der Bereicherungsklagen zum Ausdruck bringen sollte. Zu diesem Zweck beschloss man eine Eingangsvorschrift, die - bereits weitgehend übereinstimmend mit § 812 Abs. 1 S. 1 B G B - bestimmte, dass derjenige, der durch eine Vermögensverschiebung aus dem Vermögen eines anderen ohne Grund etwas erlangt habe, verpflichtet sei, das Erlangte an diesen herauszugeben. 16 Dies hatte zur Folge, dass die besondere Erwähnung der condictio possessionis in § 737 Abs. 3 E I im Gesetz abgelehnt wurde, da man eine derartige Bestimmung mit Rücksicht auf die Fassung der allgemeinen Vorschrift („etwas ... erlangt") nicht für erforderlich erachtete. 17 Dementsprechend ging auch die Zweiten Kommission selbstverständlich davon aus, dass die Kondiktion des Besitzes grundsätzlich möglich sei.
12 13 14 15 16 17
Jakobs/Schubert, Johow, Entwurf, Jakobs/Schubert, Jakobs/Schubert, Jakobs/Schubert, Jakobs/Schubert,
Die Beratung S. 435 f. Die Beratung Die Beratung Die Beratung Die Beratung
des Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 769. des des des des
Bürgerlichen Bürgerlichen Bürgerlichen Bürgerlichen
Gesetzbuchs, Gesetzbuchs, Gesetzbuchs, Gesetzbuchs,
S. 770. S. 770 f. S. 833. S. 834.
210
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
II. Die
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
Rechtsprechung
Gestützt auf die Gesetzesmaterialien ließ die Rechtsprechung nach InKraft-Treten des BGB die Besitzkondiktion nach § 812 BGB zu. 18 Dabei standen zunächst die Fälle der Leistungskondiktion im Vordergrund, wie etwa bei der Hingabe eines Depotscheins 19 oder von Aktien, 2 0 bei der Ubergabe eines Grundstücks 21 oder eines landwirtschaftlichen Schleppers. 22 Die Gerichte haben den Besitz als Kondiktionsgegenstand allerdings auch in einer Reihe von Fällen anerkannt, die nach heutigem Verständnis dem Bereich der Nichtleistungskondiktion zugeordnet werden. So etwa, wenn ein Angestellter Waren seines Arbeitgebers stiehlt und sie einem gutgläubigen Erwerber verkauft, der sie seinerseits an Drittabnehmer veräußert. Das RG nahm hier an, dass der Erwerber nur Besitz an den Waren erlangt hat und der klagende Arbeitgeber daher nur Ersatz der Gebrauchsvorteile des Erwerbers bis zur Weiterveräußerung verlangen kann. 23 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die sogenannten Einweisungsfälle. Die betreffenden Sachverhalte sind jeweils dadurch gekennzeichnet, dass eine Behörde in den Nachkriegsjahren bereits vermietete Wohnungen oder Ladenlokale einem Dritten zugewiesen hatte, die behördliche Verfügung aber später aufgehoben oder ihre Unwirksamkeit festgestellt wurde. Der Klage des ursprünglichen Mieters gegen den jetzigen Besitzer auf Herausgabe der Wohnung bzw. des Lokals wurde nach § 812 Abs. 1 S. 2 BGB stattgegeben. 24 Auch in dem sogenannten „Kiesabbau"-Fall 25 ging der BGH, ohne Nennung der konkreten Anspruchsgrundlage, der Sache nach von einer Eingriffskondiktion aus. Die Parteien hatten hier von einem Landwirt die Erlaubnis erhalten, auf jeweils verschiedenen Flächen seines Grundstücks Kies abzubauen. Nachdem die Klägerin einen Teil des ihr zugewiesenen Geländes vom Abraum, d.h. von der Humus- und Lehm-Kies-Schicht, befreit hatte, ordnete das Landratsamt, offenbar wegen fehlender Baugenehmigungen, die sofortige Einstellung des Kiesabbaus an. Die Beklagte erwirkte daraufhin für sich eine entsprechende Genehmigung und kieste dann nicht nur ihre eigene Teilfläche, sondern auch das Gebiet, das die Klägerin bereits abgeräumt hatte, bis zum Grundwasserspiegel aus. Der Klägerin wurden daraufhin die zur Erschließung des Geländes erforderlichen, nunmehr nutzlosen Aufwendungen aus unge18 19 20 21 22 23 24
OLG Hamburg, OLGE 14, 32. OLG Hamburg, OLGE 14, 32. RGZ98, 131. RG, WarnR 1925 Nr. 169; RGZ 129, 307. BGH, NJW 1953, 58. RGZ 115,31 (34). BGH, WM 1961, 274; LG Hamburg, MDR 1950, 96; LG Nürnberg-Fürth, NJW 1950,
263. 25
BGH, NJW 1979, 2034.
A. Überblick über die Entwicklung
des
Meinungsstandes
211
rechtfertigter Bereicherung zugesprochen. Der Beklagte habe bei der Auskiesung die Aufwendungen erspart, die er sonst für die - von der Klägerin durchgeführte - Abräumung des Geländes selbst hätte aufwenden müssen. Er sei daher um die Ersparnis der dafür erforderlichen Kosten bereichert. 26 Zur Reichweite der Eingriffskondiktion nahm der BGH dann bald darauf im sogenannten „Wohnrechtsfall" 27 ausdrücklich Stellung. Nach dem zugrundeliegenden, hier vereinfachten Sachverhalt hatten die Beklagten der Erblasserin, deren Erben die Kläger sind, ein lebenslängliches schuldrechtliches Wohnrecht an bestimmten Räumen eines Hausgrundstücks eingeräumt. Da die betreffenden Räume jedoch für eine gewisse Zeitspanne von den Beklagten genutzt worden waren, verlangten die Kläger die Zahlung einer Nutzungsentschädigung. Der BGH hob in seiner Entscheidung hervor, dass es für einen entsprechenden Bereicherungsanspruch maßgeblich auf die ursprüngliche Besitzlage ankomme. Sollte die Erblasserin noch nicht im Besitz der ihr zustehenden Räume gewesen sein, so wäre die Nutzung der dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume durch die Beklagten nicht mit einer Besitzentziehung verbunden gewesen; die Erblasserin hätte in diesem Falle nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Überlassung des Besitzes an den vom Wohnungsrecht erfassten Räumen gehabt. Eine Bereicherung der Beklagten „in sonstiger Weise" scheide hier aus, da vor der Erfüllung eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Überlassung von Räumen noch keine Rechtsgüterzuordnung zugunsten der Erblasserin erfolgt sei, in die die Beklagten zu Lasten der Erblasserin hätten eingreifen können. § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB solle einen Ausgleich für den Eingriff in ein fremdes Recht gewähren, das die in Anspruch genommenen Vermögensvorteile einem anderen zuweist. Schuldrechtliche Ansprüche auf Herausgabe wiesen aber die beanspruchten Rechtsgüter vor ihrer Erfüllung noch nicht dem Gläubiger zu. Anders sei die Situation daher, wenn die Erblasserin bereits in Besitz der betreffenden Räume gewesen war und sich die Beklagten sich somit den Besitz an den dem Wohnungsrecht unterliegenden Räumen eigenmächtig verschafft hatten. Für diesen Fall bejaht der BGH den Eingriffstatbestand des §812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB, da er mit der herrschenden Literatur davon ausgeht, dass der rechtmäßige Besitz eine Rechtsposition mit Zuweisungsgehalt darstelle, die Grundlage einer Eingriffskondiktion sein könne. 28
26 27 28
BGH, N J W 1979, 2034 (2035 f.). BGH, N J W 1987, 771. BGH, N J W 1987, 771 (772).
212
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
III. Die Auffassungen
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
in der Literatur
Damit kommen wir zur Einordnung der Besitzkondiktion im Spiegel der Lehre. Das Bild war hier bis in die jüngste Vergangenheit durch einen breiten Grundkonsens mit unterschiedlichen Meinungen in Detailfragen gekennzeichnet. Diese Ubereinstimmung hat zuletzt Klinkhammer mit einem fundamental anderen Verständnis der Besitzkondiktion in Frage zu stellen versucht. Nachfolgend wird daher zunächst das bisherige Meinungsspektrum vorgestellt, dem dann der Ansatz Klinkhammers entgegenzustellen und zu diskutieren ist.
1. Das bisherige a)
Meinungsspektrum
Leistungskondiktion
Dass der Besitz Gegenstand der Leistungskondiktion sein kann, wird in der Literatur im Grundsatz allgemein anerkannt. 29 Nach Wilburg ist die Rückforderung der schlichten Einräumung des Besitzes unbedenklich zuzulassen, da es sich um einen Anspruch handele, der nicht aus dem Recht des Besitzes und aus den Grundsätzen des Besitzschutzes stamme, sondern der sich allein auf das anfechtbare Leistungsgeschäft stütze. 30 In Anknüpfung an die Gesetzesmaterialien wird der Besitz als ein „mit erheblichen Rechtswirkungen bekleidetes ökonomisches Rechtsgut" angesehen, das „wertvolle Rechtspositionen" gewähre. 31 Dabei wird im Allgemeinen nicht nach der Qualität des Besitzes des Leistenden unterschieden. Die Leistungskondiktion steht daher nicht nur dem berechtigten, sondern auch dem rechtsgrundlosen und sogar dem bösgläubigen Besitzer zur Verfügung. 32 b)
Eingriffskondiktion
Im Gegensatz dazu ist das Meinungsbild bei der Eingriffskondiktion nach wie vor breiter gefächert. Von manchen Autoren wird der Besitz als Gegen29 v. Caemmerer, Recht der Schuldverin: FS f. Rabel, S. 333 (349); Enneccerus/Lehmann, hältnisse, 14. Aufl. 1954, §221 I 2 (S. 849); Leonhard, Besonderes Schuldrecht II, S.455; v. Mayr, Bereicherungsanspruch, § 11, 1 (S. 128); Emmerich, Schuldrecht-BT, § 16, Rn. 10; Koppensteiner/Kramer, S. 15; MiinchKomm/Lieh, §812, Rn. 292; RGRK/Heimann-Trosien, % 812, Rn. 73; § 812, Rn. 3; SoergeU Mühl, BGB, 11. Aufl., § 812, Rn. 252; Staudinger/Lorenz™, K. Müller, Rn. 182; Wilhelm, Rn. 480. 30 Wilburg, Bereicherung, S. 50 f. 31 Oertmann, Kommentar zum BGB, 5.Aufl. 1929, vor §812, Anm. 2 a (S. 1327f.); v. Mayr, Bereicherungsanspruch, § 1 1 , 1 (S. 129); ebenso K. Müller, Rn. 182. 32 Ausdrücklich in diesem Sinne Medicus, Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn. 600; Lopau, JuS 1980, 501 (506); a. A. für den bösgläubigen Besitzer z.B. Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 344 f., dazu näher unten, B. II. (S. 223 ff.).
A. Überblick
über die Entwicklung
des
Meinungsstandes
213
stand der Eingriffskondiktion generell abgelehnt. So beschränkt etwa Leonhard die condictio possessionis auf den Fall, dass der Besitz durch Leistung übergeht. 33 Die Bereicherung in sonstiger Weise setzt nach ihm einen Rechtserwerb voraus, an dem es jedoch hier fehle, da der Besitz kein Recht sei. 34 Zu dem gleichen Ergebnis gelangt Wilburg aufgrund der Prämisse, dass der Bereicherungsgrund aus einem Recht des Klägers hervorgehen müsse, das Besitzrecht als ein nur vorläufiges Recht dazu aber nicht ausreiche. 35 Andere wollen umgekehrt die Eingriffskondiktion generell anerkennen, ohne dass es auf eine Besitzberechtigung ankommt, so dass selbst dem Dieb Kondiktionsansprüche zustehen würden. 3 6 Die herrschende Lehre nimmt demgegenüber heute eine Mittelstellung ein und bejaht eine Eingriffskondiktion nur zugunsten des berechtigten Besitzers. 37 Diese eingeschränkte Anerkennung der condictio possessionis beruht auf der überwiegend vertretenen Lehre vom Zuweisungsgehalt 38 und der Prämisse, dass nicht dem Besitz als solchem oder dem possessorischen Besitzschutz, sondern allein dem Recht zum Besitz ein ausreichender Zuweisungsgehalt zukommt. 2. Das Verständnis der Besitzkondiktion nach
als
Eigentumsschutz
Klinkhammer
Der traditionellen Einordnung der condictio possessionis hat jüngst Klinkhammer sein Verständnis der Besitzkondiktion als Eigentumsschutz entgegengehalten. 39 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die These, dass die Besitzkondiktion weder aus dem Besitz als solchem, noch aus einem Recht zum Besitz gerechtfertigt werden könne. Soweit es um eine Rechtfertigung aus dem Besitz als solchem geht, befindet sich Klinkhammer noch auf dem Boden der überwiegenden Auffassung, wenn er den Besitzschutz nach den § 858 ff. Leonhard, Besonderes Schuldrecht II, S. 455. Leonhard, Besonderes Schuldrecht II, S. 455 ff., 463. 35 Wilburg, Bereicherung, S. 37 ff. 36 K. Müller, Rn. 182; Lopau, JuS 1980, 501 (506); v. Mayr, Bereicherungsanspruch, § 16, 3 Enneccerus/Lehmann, (S. 158); ohne Einschränkung auch Planck/Landois, §812, Anm. I I a ; Recht der Schuldverhältnisse, 14. Aufl. 1954, §221 1 2 (S. 849); RGRK/Heimann-Trosien, §812, Rn. 3. 37 V. Caemmerer, in: FS f. Rabel, S. 333 (349, Fn. 59); Kurz, Der Besitz, 1969, S. 42 ff.; Koppensteiner/Kramer, S. 80; Reuter/Martinek, § 7 III 2 (S. 249); Emmerich, Schuldrecht-BT, § 17, Rn. 8; Soergel/Mühl, BGB, 11. Aufl., § 812, Rn. 140; Wilhelm, Rn. 480; weitergehend Rümker, Eingriffskondiktion, S. 82 ff., der eine Eingriffkondiktion auch dann zulassen will, wenn zwar kein Recht zum Besitz bestand, dem Besitzer jedoch gewisse Befugnisse verbleiben, wie etwa gezogene Nutzungen zu behalten (§ 993 Abs. 1 BGB), vgl. dazu näher unten, C. II. 4. (S. 250). 38 Dazu näher unten, C. I. (S. 226 ff.). 39 Klinkhammer, Der Besitz als Gegenstand des Bereicherungsrechts, 1997. 33
34
214
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
BGB als Grundlage der Vermögenszuordnung ablehnt. 40 Er wendet sich auch gegen vereinzelte Versuche, die Besitzkondiktion des bloßen Besitzers aus dem petitorischen Besitzschutz nach § 1007 BGB abzuleiten. 41 Dagegen spreche nicht nur die tatbestandsmäßige Beschränkung der Aktiv- und Passivlegitimation bei § 1007 BGB, sondern auch das dogmatische Bedenken, einen bereicherungsrechtlichen Schutz des Besitzes an eine Vorschrift zu knüpfen, die ihrerseits selbst einen Anspruch auf Besitzrestitution gewährt. Darüber hinaus schließt sich Klinkhammer der Meinung St. Webers42 an, wonach § 1007 BGB dem Schutz des Eigentums diene und folgert daraus, dass die Norm somit nicht die rechtliche Anerkennung des Besitzes ergeben könne. 43 Weiterhin kann nach Klinkhammer auch das Haftungsinteresse des Besitzers gegenüber dem Eigentümer nicht die Besitzkondiktion rechtfertigen, da es bei dem Schadensersatzanspruch primär um die Interessen des Eigentümers gehe.44 Der grundlegende Unterschied in der Argumentation Klinkhammers gegenüber dem bisherigen Verständnis der Besitzkondiktion ist die prinzipielle Leugnung eines eigenen Vermögenswertes des Besitzes im wirtschaftlichen Sinne. Entgegen den auf Bruns zurückgehenden Formulierungen der Ersten Kommission, auf die sich bis heute die ganz herrschende Auffassung stützt, sei der Besitz kein ökonomisches Gut. Als solches komme höchstens die Sache selbst in Betracht, nicht jedoch der Besitz, da er kein Gegenstand, sondern eine bestimmte Beziehung einer Person zu einer Sache, nämlich eine tatsächliche und keine rechtliche, sei.45 Auch eine Rechtfertigung der Besitzkondiktion durch ein zugrundeliegendes obligatorisches Recht zum Besitz lässt Klinkhammer nicht gelten. Stelle man auf das schuldrechtliche Besitzrecht ab, so müsse dem Berechtigten ein Bereicherungsanspruch bereits vor Ubergabe der Sache zustehen, so dass es inkonsequent sei, wenn die herrschende Auffassung den Kondiktionsanspruch von der Besitzergreifung abhängig mache. 46 Auch mit dem Begriff des Zuweisungsgehalts lasse sich ein weitergehender Schutz des obligatorischen Besitzrechts nicht legitimieren. Durch den Vertrag werde das Nutzungsrecht dem obligatorisch Berechtigten zwar zugewiesen, aber eben nur gegenüber dem Vertragspartner. 47 Die Eingriffskondiktion aufgrund eigenen Rechts setze daher eine Verdinglichung des obligatorischen Besitzrechts voraus, die das geltende Recht nicht kenne. 48 Der Klinkhammer, v. Caemmerer, 42 Weher, §1007 (S. 190 ff.). 43 Klinkhammer, 44 Klinkhammer, 45 Klinkhammer, 46 Klinkhammer, 47 Klinkhammer, 48 Klinkhammer, 40 41
S. 33 ff. in: FS f. Rabel, S. 333 (349); Wilburg, Bereicherung, S. 39 f. BGB, 1988; vgl. dazu im Einzelnen bereits oben, 2. Kapitel, C. IV. S. 44. S. 45. S. 46 f., 58. Dazu im Einzelnen sogleich unter B. I. S. 63. S. 64. S. 65.
A. Überblick
über die Entwicklung
des Meinungsstandes
215
Ansatz der herrschenden Auffassung sei zudem teilweise zu eng, da auch für den nicht nutzungs- und verwertungsberechtigten Besitzer, wie etwa den Verwahrer, ein anzuerkennendes Bedürfnis für einen Kondiktionsanspruch bestehe. 49 Aus all dem zieht Klinkhammer die Schlussfolgerung, dass die condictio possessionis nicht aus dem Besitz als solchem gerechtfertigt werden könne. Lasse sich allerdings ein anderes Interesse auffinden, das hinter dem Besitz hervortrete, so könne die Besitzkondiktion auch an den bloßen Besitz geknüpft werden. Als dieses notwendige Interesse macht Klinkhammer im Folgenden das Eigentumsinteresse aus. 50 Da dieses Eigentumsinteresse bei allen Kondiktionsformen gleich sei, sei entgegen der herrschenden Auffassung auch nicht zwischen Leistungs- und Eingriffskondiktion zu differenzieren, so dass die condictio possessionis grundsätzlich bei beiden Kondiktionsformen im gleichen Umfang gegeben sei. 51 Die condictio possessionis habe danach den Zweck, dem Berechtigten die Verfolgung seines Rechts zu erleichtern. Dieser Zweck werde je nach Willensrichtung des Besitzers auf unterschiedliche Weise erreicht. Für den Eigenbesitzer habe sich die Besitzkondiktion ursprünglich als erleichterte Vindikation dargestellt, da sich der Gläubiger den Eigentumsbeweis erspare. 52 Nach Einführung des § 1006 BGB übernehme die condictio possessionis dagegen die Aufgabe, die exceptio de iure tertii auszuschließen. 53 Der Fremdbesitzer könne dagegen nicht isoliert, sondern nur in seinem Verhältnis zum Eigentümer betrachtet werden. 54 Aus diesem Blickwinkel verfolgten die Besitzkondiktionen des Eigen- wie des Fremdbesitzers indessen das gleiche Ziel. Beide Ansprüche seien auf die Wiederherstellung der früheren Besitzlage gerichtet. Da der Fremdbesitz ein bestehendes Besitzmittlungsverhältnis voraussetze, werde durch die Rückgabe der Sache zugleich auch der Eigenbesitz wiederhergestellt. Daher stehe auch die Fremdbesitzerkondiktion in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vindikation. 55 Grundlage der Kondiktion des Fremdbesitzers sei daher ebenfalls das Eigentum. Die Besitzkondiktion stelle hier somit nichts anderes als eine gesetzlich eingeräumte Prozessstandschaft dar, die dem Fremdbesitzer eine von der Mitwirkung des Eigentümers unabhängige Klagebefugnis einräume. 56 Eine solche Konstruktion sei dem geltenden Recht auch nicht fremd, da § 1007 BGB ebenfalls nur in befriedigender Weise erklärt werden könne, wenn man ihn als
49 50 51 52 53 54 55 56
Klinkhammer, Klinkhammer, Klinkhammer,S. Klinkhammer, Klinkhammer, Klinkhammer, Klinkhammer, Klinkhammer,
S. 66. S. 68 ff. 4$, 51 iL, 7S. S. 69. S. 70. S. 73. S. 74. S. 75.
216
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
einen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft anerkenne.57 Auch für die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO sei anerkannt, dass die Klage vom Fremdbesitzer erhoben werden kann, auf dessen Besitzrecht es nach herrschender Meinung nicht ankomme; auch diese Konstellation könne nur durch eine Prozessführungsbefugnis sachgerecht erklärt werden.58
3.
Würdigung
Klinkhammers Entwurf der Besitzkondiktion als ein dem Eigentumsinteresse dienender Anspruch lässt die bereicherungsrechtlichen Vorschriften für den Fremdbesitzer in einem völlig neuen Licht erscheinen. Während der Eigenbesitzer wie jeder andere Gläubiger seine eigenen Rechte verfolgt, sollen die §§ 812 ff. B G B für den Fremdbesitzer die Befugnis zur Geltendmachung eines fremden Rechts in eigenem Namen begründen. Der Gedanke der Prozessstandschaft ist, worauf Klinkhammer selbst hinweist, bereits wiederholt zur Erklärung und Fundierung einzelner Befugnisse des Besitzers fruchtbar gemacht worden. Erstmals hat Picker auf die Figur der Prozessstandschaft zurückgegriffen, um das Interventionsrecht des Fremdbesitzers nach § 771 ZPO zu begründen.59 Einen wesentlichen Schritt weiter geht Weber, der selbst dem materiellen Recht in § 1007 BGB für den Fremdbesitzer eine gesetzliche Prozessstandschaft im Verhältnis zum Eigentümer entnehmen will.60 Handelt es sich hier also vielleicht nur um Erscheinungsformen eines allgemeinen Strukturprinzips - der Fremdbesitzer als Prozessstandschafter des Eigentümers? Gewiss wird es häufig so sein, dass die Rechtsverfolgung des Fremdbesitzers sich auch vorteilhaft für den Eigentümer auswirkt. Darüber darf indessen nicht übersehen werden, dass der Fremdbesitzer gleichwohl eigene Rechte im eigenen Namen geltend macht, wenn er die Sache nach § 1007 B G B oder aufgrund Bereicherungsrechts herausverlangt. Auch bei der Drittwiderspruchsklage ist Grundlage des Interventionsrechts die Geltendmachung einer eigenen Rechtsbeeinträchtigung.61 Gegenüber dieser Verfolgung eigener Rechte des Fremdbesitzers stellt sich der Vorteil des Eigentümers lediglich als Reflex dar, der zudem keineswegs in jedem Fall greifbar sein muss, wenn man mit Weber und Klinkhammer sogar auf eine eigene Berechtigung des Fremdbesitzers gegenüber dem Eigenbesitzer verzichtet.
Klinkhammer, S. 76, unter Verweis auf 5t. Weher, § 1007 BGB, 1988, S. 58 ff. Klinkhammer, S. 76, vor allem unter Hinweis auf Picker, Die Drittwiderspruchsklage in ihrer geschichtlichen Entwicklung, S. 460 ff. 59 Dazu im Einzelnen unten, Teil 3, 1. Kapitel, A. II. 3. a (S. 327 ff.). 60 Näher dazu oben, 2. Kapitel, C. IV. (S. 190 ff.). 61 Vgl. unten, Teil 3,1. Kapitel, B. III. (S. 336). 57 58
B. Der Besitz als Gegenstand
der
Leistungskondiktion
217
Es kommt hinzu, dass gegen jeden der bisher diskutierten Anwendungsfälle einer vermeintlichen Prozessstandschaft des Besitzers erhebliche Einwände aus dem jeweiligen Normkontext bestehen. 62 Im vorliegenden Zusammenhang lässt sich etwa fragen, wie es möglich sein soll, dass §812 Abs. 1 S. 1 B G B , je nachdem, ob ein Eigen- oder Fremdbesitzer kondiziert, einmal ein eigenes materielles Recht und einmal eine gesetzliche Prozessstandschaft gewährt, ohne dass dies im Wortlaut zum Ausdruck kommt. Auch die Vorstellung, dass selbst der nichtberechtigte Besitzer für den Eigentümer prozessführungsbefugt sein soll, ist befremdlich. Vor allem aber steht und fällt die gesamte Argumentation Klinkhammers mit der Behauptung, dem Besitz als solchem komme kein Vermögenswert zu. Sie ist Ausgangspunkt seiner Kritik an der bisherigen Besitzkondiktionstheorie und Grundlage seiner Suche nach einer anderen Rechtfertigung für die von ihm im Ergebnis ebenfalls für richtig gehaltene, grundsätzlichen Zulassung der condictio possessionis. Im Folgenden wird sich allerdings zeigen, dass die Prämisse vom Besitz als Vermögensgut durchaus zutreffend ist. 63 Insgesamt besteht daher weder eine Veranlassung noch ein Erkenntnisvorteil, statt von der Verfolgung eigener Vermögensvorteile von einer Prozessstandschaft auf Seiten des Fremdbesitzers auszugehen.
B. Der Besitz als Gegenstand der I. Der Besitz als
Leistungskondiktion
Vermögenswert
1. Das erlangte „Etwas" nach §812 Abs. I S.l
BGB
Gegenstand des Bereicherungsanspruchs ist das erlangte „Etwas" im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 B G B . Unter dem Begriff des erlangten „Etwas" wird allgemein jeder Vorteil verstanden, der das wirtschaftliche Vermögen des Begünstigten irgendwie vermehrt. 64 Im Anschluss an v. Caemmerer65 geht eine im Vordringen begriffene Lehre sogar davon aus, dass der erlangte Gegenstand bei der Leistungskondiktion überhaupt keinen Vermögenswert darstellen muss, da grundsätzlich jede Position in Betracht kommt, die nach der Par-
62 Zu § 1007 B G B vgl. oben, 2. Kapitel, C. IV. (S. 190 ff.); zu § 771 ZPO vgl. unten, Teil 3, 1. Kapitel, A. II. 3. a (S. 327 ff.). 63 Unter B. I. Weitere Einzelpunkten der Argumentation Klinkhammers werden bei der Entwicklung der Leistungs- und Eingriffskondiktion näher zu behandeln sein. 64 B G H Z 55, 128 (131) = N J W 1971, 609 (610); B G H , N J W 1995, 53 (54); O L G Düsseldorf, N J W - R R 1996, 1329 (1330); Palandt/Tbomas, § 812, Rn. 16; RGRK/Heimann-Trosien, § 812, Rn. 1 ff.; Erman/H. P. Westermann, § 812, Rn. 4. 65 v. Caemmerer, in: FS f. Rabel, Band I, S. 333 (348).
218
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
teivereinbarung Gegenstand des Austausches sein soll.66 Bei der Nichtleistungskondiktion wird die Frage nach dem kondizierbaren „Etwas" durch die Bestimmung der in Betracht kommenden Eingriffsobjekte bzw. der Festlegung des Kreises der fremden, Vermögenswerten Güter, die der Bereicherungsschuldner in Anspruch nimmt, beantwortet.67 Bei dieser Ausgangslage ist das Bestreiten eines jeden Vermögenswertes des Besitzes durch Klinkhammer68 bereits nach der weitergehenden Lehre für die Leistungskondiktion unerheblich. Aber selbst wenn man für den Kondiktionsanspruch ganz generell verlangen würde, dass der Bereicherungsgegenstand ein wirtschaftliches Vermögensgut darstellen muss, beständen keine Gründe, den Besitz als Kondiktionsgegenstand auszuschließen. 2. Der dem Bereicherungsrecht zugrunde wirtschaftliche Vermögensbegriff
liegende
Der Begriff des Vermögens wird im Zivilrecht freilich in unterschiedlichen Zusammenhängen auch inhaltlich in unterschiedlicher Weise erfasst. So wird das Vermögen im Sinne der §§311 b Abs. 2, Abs. 3, 1922 Abs. 1 BGB als die Summe der geldwerten Rechte verstanden, das dem Zugriff der Gläubiger durch Zwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren als Vermögen im haftungsrechtlichen Sinne zur Verfügung steht.69 Demgegenüber wird bei dem schadensrechtlichen Vermögensbegriff, wie er in den §§249 ff. BGB vorausgesetzt wird, von einem wirtschaftlichen Begriff des Vermögens ausgegangen. Da der auszugleichende Schaden nicht in der Minderung oder Vernichtung eines Rechts, sondern in der negativen Auswirkung eines tatbestandlichen Handelns auf Realverhältnisse besteht, wird das Vermögen einer Person in diesem Zusammenhang als die Summe der dieser zustehenden Rechte und Güter von wirtschaftlichem Wert, sowie auch der rein faktischen geldwerten Positionen, inklusive Gewinnaussichten, umschrieben.70 Diesem wirtschaftlichen Vermögensbegriff des Schadensrechts steht die eingangs wiedergegebene Formulierung der Rechtsprechung von dem erlangten „Etwas" im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB als jeder Vorteil, der das wirtschaftliche Vermögen des Begünstigten irgendwie vermehrt, sehr nahe.
66 Erman/H. P. Westermann, § 812, Rn. 6; Jauernig/Schlechtriem, § 812, Rn. 8; Staudinger/ Lorenz, § 812, Rn. 65; Emmerich, Schuldrecht BT, § 19, Rn. 3; Koppensteiner/Kramer, S. 116 f.; Loewenheim, S. 20; H. Köhler, AcP 190 (1990), 496 (531). 67 Staudinger/Lorenz, § 812, Rn. 65 a.E.; vgl. dazu unten, C. (S. 226 ff.). 68 Klinkhammer, S. 46 f., 58. 69 Vgl. Larenz/Wolf, §21, Rn. 1 ff. 70 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, 1967, S. 123, 125, 134.
B. Der Besitz als Gegenstand
der Leistungskondiktion
219
Kriterien für die Einordnung einer Erscheinung als Vermögensgegenstand hat Pfister herausgearbeitet.71 Er geht - im Anschluss an Brecher72 und Mertens73 - vom Sinn des Wortes „Vermögen" aus und unterscheidet subjektives und objektives oder außerobjektives Vermögen (Vermögen im engeren Sinne). Subjektives Vermögen ist danach das, was jemand aufgrund seiner Person „vermag", wozu angeborene und erworbene Fähigkeiten und Eigenschaften zählen. Zu dem außersubjektiven Vermögen gehören demgegenüber selbständige, äußere Gegenstände, die auch als „in Geldwerten oder übertragbaren Gütern objektivierte Potenzen" bezeichnet werden,74 sowie unselbständige Werte, die den Vermögenswert der selbständigen, äußeren Gegenstände erhöhen, wie etwa der Goodwill eines Unternehmens.75 Da der Begriff des Vermögens nach Pfister zur Abgrenzung der äußeren Machtsphären unter den einzelnen Rechtssubjekten dient, gehört ein Gegenstand allerdings nur dann zum Vermögen einer Person, wenn eine „Sonderrelation" zwischen dem Inhaber und dem Gegenstand vorliegt, so dass dieser nicht in gleicher Weise für andere zugänglich bzw. verwendbar ist. Es muss danach für den Inhaber eine Ausschlussmöglichkeit an dem Gegenstand bestehen, wobei es unerheblich ist, ob dieser Ausschluss Dritter auf tatsächlichen oder rechtlichen Umständen beruht.76 Danach sind zwei Kriterien für die Qualifizierung als selbständiger Vermögensgegenstand zu erfüllen: Es muss sich (1) um einen realen, außersubjektiven Gegenstand handeln, der (2) von einer Person in irgendeiner Weise unter tatsächlichem oder rechtlichem Ausschluss anderer (nicht unbedingt aller anderen) benutzt werden kann.77 Nach diesem Maßstab ist auch der schlichte Besitz einer Sache als Vermögensgegenstand anzusehen, da die Sache einen außersubjektiven Gegenstand darstellt und es dem Besitzer zumindest tatsächlich möglich ist, andere von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen.78
Pfister, Das technische Geheimnis „Know H o w " als Vermögensrecht, 1974, S. 22 ff. Brecher, Das Unternehmen, S. 105 f. 73 Mertens, Vermögensschaden, S. 124 f. 74 Pfister, Geheimnis, S. 22; Brecher, Das Unternehmen, S. 106. 75 Pfister, Geheimnis, S. 23. 76 Pfister, Geheimnis, S. 24 f. 77 Pfister, Geheimnis, S. 25. 78 Dementsprechend rechnet Pfister, Geheimnis, S. 25, auch das Diebesgut zu dem Vermögen des Diebes. Eine ganz andere Frage ist, wie hoch der Wert des schlichten Besitzes im Einzelfall zu veranschlagen ist; vgl. dazu unten, unter D. (S. 253). 71 72
220
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
3. Zur vermögensmäßigen nach Klinkhammer
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
Einordnung des Besitzes
Dieser im Ergebnis einhelligen Einordnung des Besitzes als möglicher Gegenstand der Leistungskondiktion, von der bereits die Verfasser des BGB ausgegangen waren, 79 hat nun Klinkhammer die These entgegengesetzt, dass der Besitz als solcher kein ökonomisches Gut sein könne. 80 Zur Stützung dieser These greift er im Wesentlichen auf vier Argumente zurück. Zunächst weist Klinkhammer darauf hin, dass der Besitz nur eine bestimmte Beziehung einer Person zu der Sache sei, so dass höchstens die Sache selbst ein ökonomisches Gut sein könne. 81 Für die Sache selbst bestehe indessen die Möglichkeit ihrer rechtlichen Zuordnung, während der Besitz ohne eine solche Zuordnung eine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung sei. Ein Geschäft, das auf die reine Besitzübertragung ohne Verschaffung oder Einräumung auch des Besitzrechts gerichtet ist, sei sinnlos, der bloße Besitz komme als Gegenstand eines schuldrechtlichen Geschäfts daher nicht in Betracht. 82 Die Besonderheit der Besitzübertragung des bloßen, d.h. unberechtigten, Besitzes als Leistung liege darin, dass sie notwendigerweise eigentumswidrig, also rechtswidrig sei. Neben den Interessen der Vertragsparteien seien hier notwendigerweise die Belange eines dritten Eigentümers betroffen. 83 Da die Interessen des Dritten in die Betrachtung einzubeziehen seien, fehle dem Leistungsakt alleine die Tragfähigkeit zur Begründung der Kondiktion. Die auf eine Sache bezogene Leistung erfordere dagegen regelmäßig eine wirksame Verfügung. 84 Das zweite Argument sieht Klinkhammer in einer Begrenzung des Vermögens durch den Sachwert. Es bedürfe keiner Erklärung, dass sich wirtschaftlich durch die Trennung von Besitz und Eigentum oder sonstigen dinglichen Rechten keine wertmäßige Vermehrung der Güter über den Sachwert hinaus ergeben könne. Eine Zunahme des wirtschaftlichen Wertes beispielsweise durch Begründung mehrstufigen mittelbaren Besitzes sei absurd. 85 Dass der Besitz nicht Vermögenswert sein könne, zeige sich auch an der Verschiedenartigkeit der Tatbestände, die der tatsächlichen Sachherrschaft zugrunde liegen können. Denn an einen Vermögenswert wäre nur zu denken, wenn der Besitzer die Sache zum eigenen Nutzen innehat, also beispielsweise nie bei dem bloßen Verwahrer oder Verwalter, die zum Besitz verpflichtet Dazu oben, unter A. I. (S. 208 ff.). Klinkhammer, S. 47, 58 ff., 98 f.; dass der Besitz einen Vermögenswert habe, bestreitet auch Wieling, in: FG f. v. Lübtow, 1980, S. 565 (577 mit Fn. 75). 81 Klinkhammer, S. 47. 82 Klinkhammer, S. 58. 83 Klinkhammer, S. 59. 84 Klinkhammer, S. 60. 85 Klinkhammer, S. 47. 79 80
B. Der Besitz als Gegenstand
der Leistungskondiktion
221
sind. Für diese Besitzer sei der Besitz - wirtschaftlich betrachtet - kein Vorteil, sondern eine Belastung. 86 Als letzten Beleg für seine These von der Unrichtigkeit der Qualifizierung des Besitzes als Vermögenswert oder Vermögensvorteil führt Klinkhammer schließlich die Rechtsfolge des Wertersatzes an. Für die auf den Besitz gerichtete Kondiktion sei fraglich, welcher Wert nach § 818 Abs. 2 BGB zu ersetzen sei, wenn der Beklagte zur Herausgabe nicht mehr im Stande ist.87 Mit der Besitzkondiktion könne der Vorbesitzer, wenn die Sache noch beim Gegner ist, den Besitz und die Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB herausverlangen. Verliert der Gegner indessen den Besitz, so bestehe der Anspruch auf die Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB fort. Es bleibe also nur festzustellen, dass neben dem Wert der Sache kein weiterer Wert vorhanden sei, der herauszugeben wäre. Die Rechtsprechung verneine dies jedoch zu Recht mit der Begründung, der Veräußerungserlös mache nicht den Wert des Besitzes, sondern die Sache aus. Es sei daher auch nicht denkbar, dass dem nicht mehr besitzenden Bereicherungsschuldner an Stelle des Besitzes überhaupt ein Wert verblieben sein könnte. Wenn der bloße Besitz ein Vermögensvorteil sein solle, dann eben nur durch die mit dem Besitz verbundene tatsächliche Möglichkeit der Nutzung oder Verwertung der Sache. Wollte man daher mit der Einordnung des Besitzes als Vermögensvorteil ernst machen, so müsse man dem früheren Besitzer einen Anspruch auf den Veräußerungserlös geben.88 Bei näherer Betrachtung steht indessen keiner der vorgenannten Gründe einer bereicherungsrechtlichen Anerkennung des Besitzes entgegen. Wenn Klinkhammer zwischen dem Besitz als der Beziehung einer Person zu einer Sache und der Sache selbst differenziert und nur letzterer einen ökonomischen Wert zugesteht, abstrahiert er zu weitgehend den Rechtsbegriff des Besitzes von dessen Gegenstand. Die tatsächliche Sachherrschaft ist untrennbar mit der Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache und damit mit der faktischen Gelegenheit zur Nutzung der Sache verbunden. Wer eine Sache in Besitz hat, kann sie tatsächlich für seine Zwecke gebrauchen und erspart sich dadurch die Aufwendungen zur Beschaffung eines entsprechenden Gegenstandes am Markt. Ob der Besitzer hierzu aufgrund eines Besitzrechtes befugt war oder nicht, ist insoweit unerheblich. Allein die Möglichkeit, faktisch jederzeit von einem bloßen Haben zu einem Gebrauchen der Sache übergehen zu können, stellt für den Besitzer einen wirtschaftlichen Vorteil dar. Aus diesem Grunde ist es auch zu kurz gegriffen, einen Vermögenswert nur anzunehmen, wenn der Besitzer die Sache zum eigenen Nutzen innehat. Auch der bloße Verwahrer oder Verwalter wird durch die tatsächliche Sachherrschaft in die Lage ver86 87 88
Klinkhammer, Klinkkammer, Klinkhammer,
S. 47. S. 98. S. 99.
222
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
setzt, jederzeit, wenn auch vertragswidrig, den Gegenstand in Gebrauch zu nehmen. Dass der bloße Besitz als Gegenstand eines schuldrechtlichen Geschäfts in aller Regel nicht in Betracht kommt, ist sicher richtig. Der Leistende verfolgt mit der Besitzeinräumung regelmäßig einen bestimmten Zweck, aus dem sich für den Empfänger ein Recht zum Besitz ergibt. Daraus ergibt sich indessen noch nicht, dass der Besitz als solcher nicht einen Vermögensvorteil darstellen kann (vgl. auch § 817 BGB). Dieser Vermögensvorteil ist auch unabhängig von dem vom Leistenden bezweckten Recht zum Besitz, da der schuldrechtliche Vertrag, aus dem sich das Besitzrecht ergibt, unwirksam sein kann. Im Ausgangspunkt zutreffend hebt Klinkhammer die Begrenzung des Vermögens durch den Sachwert hervor. Allerdings ist die Befürchtung einer Zunahme des wirtschaftlichen Wertes durch mehrstufige Besitzverhältnisse über den Sachwert hinaus unbegründet. Wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird, gewährleistet die Zuordnung der Nutzungsbefugnisse innerhalb der Besitzmittlungsverhältnisse eine entsprechende Minderung der Ansprüche des mittelbaren Besitzers, so dass der Sachwert als Obergrenze gewahrt bleibt. Damit verbleibt die Frage nach dem Wertersatz gemäß §818 Abs. 2 BGB, wenn der Kondiktionsschuldner nicht mehr zur Herausgabe der Sache im Stande ist. Die Anerkennung des Besitzes als Vermögensvorteil zwingt hier, entgegen Klinkhammer, keineswegs dazu, dem früheren Besitzer den Veräußerungserlös zuzusprechen. Soweit das Unvermögen des Kondiktionsschuldners zur Herausgabe der Sache auf einer Veräußerung der Sache an einen Dritten beruht, ist zunächst zu beachten, dass im Falle der Wirksamkeit der Verfügung § 816 Abs. 1 BGB vorgeht. Zusätzliche Bereicherungsansprüche des früheren Besitzers scheiden hier von vornherein aus. Ist die Verfügung dagegen dem Eigentümer gegenüber nicht wirksam, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB in Betracht. Dieser Wertersatz muss sich allerdings nach dem Wert bemessen, den der zukünftige Besitz, d.h. die Sachherrschaft ab unterstellter Rückgabe durch den Empfänger an den früheren Besitzer, für Letzteren gehabt hätte. Dies bestimmt sich wiederum nach Umfang und Inhalt des Rechts zum Besitz des früheren Besitzers gegenüber dessen Oberbesitzer bzw. gegenüber dem Eigentümer. Steht dem früheren Besitzer selbst kein Recht zum Besitz (mehr) zu, so ist der Wert des zurückzuerhaltenden Besitzes gleich null, da er seinerseits die Sache an den Oberbesitzer bzw. Eigentümer wieder herauszugeben hätte. Auf diese Weise wird den Eigentumsinteresen einerseits und den eigenständigen Besitzinteressen andererseits auch bereicherungsrechtlich angemessen Rechnung getragen. Es zeigt sich damit insgesamt, dass Bruns und die Gesetzesverfasser mit Recht vom Vermögenswert des Besitzes ausgegangen sind und man ihn daher bis heute im Ausgangspunkt zutreffend als Bereicherungsgegenstand anerkennt, selbst wenn man entgegen der im Vordringen begriffenen Lehre an der Qualifikation des Bereicherungsgegenstandes als Vermögensvorteil festhält.
B. Der Besitz als Gegenstand
II. Ausschluss des bösgläubigen
der
Leistungskondiktion
223
Besitzers?
Wie bereits erwähnt, gewährt die überwiegende Auffassung die Leistungskondiktion unabhängig von der Qualität des Besitzes des Leistenden, so dass nicht nur dem rechtsgrundlosen, sondern auch dem bösgläubigen Besitzer ein Bereicherungsanspruch zustehen kann. 8 9 Für diese Ansicht spricht, dass der Tatbestand der Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1,1. Alt. B G B an ein erlangtes „Etwas" anknüpft, ohne auf die Berechtigung des Leistenden an dem Vermögensgegenstand oder auf die Kenntnis des Leistenden von seiner fehlenden Berechtigung abzustellen. Da aber der Besitz als eigenständiger Kondiktionsgegenstand anzuerkennen ist - sei es, weil es sich nach richtiger Ansicht um ein vermögenswertes Gut handelt, sei es, weil man von vornherein im Rahmen der Leistungskondiktion jede Position genügen lässt, die Gegenstand eines Austausches sein soll - , ist auch davon auszugehen, dass selbst der bösgläubige Besitzer seine Leistung kondizieren kann. Die Gegenstimmen hierzu sind freilich bis heute nicht verstummt. 90 Sie stützen sich zunächst auf die Überlegung, dass der geleistete Besitz überhaupt nicht aus dem Vermögen des früheren Besitzers stamme, da dieser die Sache seinerseits nicht behalten dürfe. Aus dem gleichen Grunde könne der frühere Besitzer gezogene Nutzungen ebenfalls nicht kondizieren, da er auch diese nicht behalten dürfe, §§ 990 Abs. 1, 987 B G B . 9 1 Diese Argumentation ist indessen unvereinbar mit der Prämisse vom Besitz als eigenständigem Vermögenswert bzw. mit dem Verzicht auf die Vermögensqualität des Geleisteten überhaupt. Darüber hinaus muss man das Rechtsverhältnis des früheren und des gegenwärtigen Besitzers einerseits und das Verhältnis des früheren Besitzers zum Eigentümer andererseits auseinanderhalten. Der Umstand, dass der Bereicherungsgläubiger seinerseits Ansprüchen auf Herausgabe und Nutzungsersatz ausgesetzt ist, ändert hier wie auch sonst nichts an dem bestehenden Kondiktionsanspruch des Bereicherungsgläubigers. Weiter wird daran gezweifelt, dass der Besitzerwerb ohne rechtlichen Grund gegenüber dem Leistenden erfolgt ist, wenn dieser seinerseits wegen Bösgläubigkeit keinen Anspruch auf Wiedereinräumung seines Besitzes hat, der Anspruch vielmehr - nach § 1007 Abs. 3 S. 1,1. Alt. B G B - ausdrücklich ausgeschlossen ist. 92 Dieser Gedanke trägt jedoch nicht, weil das bereicherungsrechtliche Merkmal des rechtlichen Grundes eine andere Funktion erfüllt als der Ausschlusstatbe89
(506).
Vgl. nur Medicus,
Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn. 600; Lopau, JuS 1980, 501
90 Stieve, Der Gegenstand des Bereicherungsanspruchs, S. 69 f.; Planck/Landois, §818, Anm. 4 c; Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 344 f.; Klinkhammer, S. 90 ff.; Bedenken auch bei Staudinger/W. Lorenz, 12. Aufl., vor §§ 812-822, Rn. 23. 91 Planck/Landois, § 818, Anm. 4 c; Klinkhammer, S. 91; vgl. auch Staudinger/W. Lorenz, 12. Aufl., vor §§812-822, Rn. 23. 92 Lent, Die Gesetzeskonkurrenz, S. 344.
224
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
stand des petitorischen Besitzschutzes. Die Frage nach dem fehlenden rechtlichen Grund dient bei der Leistungskondiktion der Ermittlung der schuldrechtlichen Grundlage eines fehlgeschlagenen Leistungsaustausches, dessen Rückabwicklung bezweckt wird. Die Ausschlussgründe des § 1007 Abs. 3 S. 1 BGB sind dagegen das Ergebnis einer technischen Beweislastverteilung innerhalb der ohnehin nur schwer fassbaren ratio des §1007 BGB. Neben dem Zweck, sowohl Eigentümer als auch berechtigtem Besitzer die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern, lässt sich dem § 1007 BGB allenfalls eine begrenzte relative Rangordnung verschiedener Besitzformen entnehmen. 93 Man würde Gewicht und Bedeutung der sich hier gegenüberstehenden Normen in ihr Gegenteil verkehren, wenn man aus der weithin überschätzen Vorschrift des § 1007 BGB Rückschlüsse auf die allgemeine Auslegung der zentralen Kondiktionsnorm des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB ziehen wollte. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Nach § 1007 Abs. 3 S. 1,1. Alt. BGB ist nur der frühere Besitzer ausgeschlossen, der bei Besitzerwerb in bösem Glauben war, nicht aber derjenige, der erst später von seiner fehlenden Besitzberechtigung erfährt. Für den rechtlichen Grund nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB kann aber nicht auf den zufälligen Zeitpunkt der Kenntniserlangung, der zudem weit vor dem Bereicherungsvorgang liegen kann, abgestellt werden. Ein anderes Argument dafür, dem bösgläubigen Besitzer keinen eigenen Bereicherungsanspruch einzuräumen, wird in einer Tendenz des Gesetzes gesehen, den bösgläubigen Besitzer außer gegen verbotene Eigenmacht schutzlos zu lassen. 94 Dass das Gesetz die Position des bösgläubigen Besitzers nicht allzu hoch veranschlagt und ihn insbesondere strenger behandelt als den gutgläubigen Besitzer, ist gewiss richtig, vgl. §§ 990, 989, 987 BGB. Andererseits wird der bösgläubige Besitzer auch nicht von vornherein rechtlos gestellt, wie sich daran zeigt, dass auch ihm, freilich in engeren Grenzen, Verwendungsersatzansprüche zustehen können, §§ 994 Abs. 2, 683, 679, 684, 670 BGB. Dem erst nachträglich bösgläubigen Besitzer kann außerdem ein Herausgabeanspruch nach § 1007 Abs. 1, Abs. 2 BGB zustehen. Es handelt sich daher bei der Schlechterstellung des bösgläubigen Besitzers in der Tat um nicht mehr als eine Tendenz, aus der für sich genommen keine bestimmenden Vorgaben gegen einen Kondiktionsanspruch abgeleitet werden können. Dies gilt umso mehr, als sich durchaus ein eigenständiges Interesse des früheren Besitzers an der Herausgabe der Bereicherung feststellen lässt. 95 Denn durch die Kondiktion wird der Dieb seinerseits in die Lage versetzt, seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Bestohlenen zu erfüllen und dadurch den Schaden zu minimieren.
93 94 95
Dazu im Einzelnen oben, 2. Kapitel, C. V. (S. 192 ff.). Lent, S. 344. A. A. Lent, S. 344.
B. Der Besitz als Gegenstand
der
Leistungskondiktion
225
Versagt man dem bösgläubigen früheren Besitzer einen eigenen Bereicherungsanspruch, ergeben sich außerdem Folgeprobleme im Verhältnis des Besitzers zum Eigentümer. Da es nicht zu rechtfertigen wäre, die eingetretene Bereicherung beim Besitzer zu belassen, 96 müssen diejenigen, die dem unredlichen früheren Besitzer die Kondiktion versagen wollen, dafür dem Eigentümer den Bereicherungsdurchgriff auf den Besitzer ermöglichen. Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre eröffnet diesen Weg über eine analoge Anwendung des § 988 BGB, indem der rechtsgrundlose Besitzer dem unentgeltlichen gleichgestellt wird. 97 Abgesehen von grundsätzlichen Bedenken, den rechtsgrundlosen Erwerb dem unentgeltlichen im Rahmen des § 988 BGB gleichzusetzen, 98 führt dieser Ansatz gerade in Dreiecksverhältnissen zu einer zusätzlichen Schlechterstellung des Besitzers. Denn dieser kann dem die Nutzungen kondizierenden Eigentümer nicht die bereits an den früheren Besitzer geleisteten Zahlungen entgegenhalten. 99 Diesem Aspekt des Einwendungserhalts hat jüngst Klinkhammer die Berechtigung abgesprochen. Er geht von dem Modellfall des leistenden Diebes aus und schließt daraus, dass dessen Vertragspartner auch das bereicherungsrechtliche Risiko zu tragen habe. 100 Dahinter steht die Überlegung, dass dem Besitzer, der sich den Dieb als Vertragspartner ausgesucht hat, eher das Risiko aufgebürdet werden kann, als dem Eigentümer, der ohne eigenes Zutun die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache eingebüßt hat. Dabei wird allerdings übersehen, dass der Eigentümer in anderen Fallgestaltungen für die entstandene Situation durchaus mitverantwortlich sein kann, etwa wenn der Besitzer die Sache vom unehrlichen Finder erlangt hat, nachdem der Eigentümer sie leichtsinnig aus den Augen ließ. Eine Differenzierung nach dem jeweiligen Grad der Mitverantwortlichkeit kennt das Bereicherungsrecht indessen nicht. Schließlich kommt hinzu, dass Klink-
96 Für diesen Weg nur Wieling, AcP 169 (1969), 137 (155); Krawielicki, S. 56 Fn. 199; dagegen im Einzelnen Köhl, S. 230 f.; Pinger, Funktion, S. 50 f.; Michalski, in: FS f. Gitter, 577 (591). 97 RGZ 163, 348 (357); BGHZ 32, 76 (94) = NJW 1960, 1105 (1107); BGHZ 71, 216 (225 f.) = NJW 1978,1529 (1531); BGHZ 109,179 (190 f.) = NJW 1990,447 (450); Enneccerus/ Lehmann, Schuldrecht, §222 III 2 (S. 866); RGRK/Pikart, §988, Rn.4; v. Lübtow, AcP 150 (1949), 252 (256); Klinkhammer, S. 93 ff.; dagegen wollen Staudinger/Lorenz, 12. Aufl., vor §§812-822, Rn. 23, dem Eigentümer neben dem früheren Besitzer die Kondiktion nach §§ 812, 818 Abs. 1 BGB gestatten. 98 Dazu näher Emmerich, Verhältnis der Nebenfolgen, S. 95; Staudinger/Gursky, vor §§ 987-993, Rn. 44. 99 Der in RGZ 163, 348 (360) angedeutete Ausweg, die an den Dritten erbrachten Zahlungen im Rahmen des § 818 Abs. 3 BGB anzurechnen, trägt nicht, weil diese Zahlungen keine Nachteile infolge der Nutzung sind. Dementsprechend kann auch der an einen Dritten gezahlte Kaufpreis nicht bei der Frage der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB angerechnet werden, BGHZ 55, 176 (179) = NJW 1971, 612 (615); BGHZ 109, 139 (145) = NJW 1990, 314 (315). 100 Klinkhammer, S.95.
226
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
hammer seine eigenen Prämissen nicht durchhält und dem Eigentümer in den wichtigsten Fällen im Ergebnis gleichwohl nur einen Anspruch gegen den früheren Besitzer gewährt. Er will dem Eigentümer einen eigenen Kondiktionsanspruch gegen den Besitzer uneingeschränkt nur dann einräumen, wenn der Besitzer seinerseits noch keine Gegenleistung an den früheren Besitzer erbracht hat. In dem „allein problematischen" Fall, dass der vom Eigentümer in Anspruch genommene Besitzer den Besitz rechtsgrundlos erlangt und dafür seinerseits eine Leistung erbracht hat, soll die dem Besitzer verbliebene Bereicherung dagegen nach §§988, 818 Abs. 1 BGB entsprechend dem Zweck des §993 Abs. 1 a.E., 988 BGB begrenzt sein. Der Anspruch auf die dem Besitzer verbliebene Bereicherung sei hier daher auf die Abtretung der gegen den Vertragspartner gerichtete Kondiktion des Besitzers in Höhe der Nutzungen zu beschränken. 101 Entgegen dem von Klinkhammer hervorgerufenen Eindruck dürfte es sich indessen um den Regelfall handeln, dass der Besitzer bereits seinerseits Leistungen an seinen Vertragspartner erbracht hat. Wenn man den Eigentümer hier auf die Kondiktion der Kondiktion verweist, ist das im Grunde nichts anderes, als ihn von vornherein auf seine Ansprüche gegen den früheren Besitzer aus §§ 992, 823, 249 BGB bzw. § 687 Abs. 2 BGB zu beschränken. Nach alldem ist mit der überwiegenden Auffassung daran festzuhalten, dass auch dem bösgläubigen nichtberechtigten Besitzer eigene Bereicherungsansprüche aus Leistungskondiktion zustehen können. Der Eigentümer hat demgegenüber neben seinem Vindikationsanspruch bezüglich der Sache selbst in der Regel keinen Anspruch auf Nutzungsherausgabe.
C. Der Besitz als Objekt der I. Die Theorie vom Zuweisungsgehalt 1. Rechtswidrigkeitstheorie
versus
Eingriffskondiktion als
Ausgangspunkt
Zuweisungstheorie
Der Eingriffskondiktion kommt die Aufgabe zu, Vermögensverschiebungen rückgängig zu machen, die nicht auf einer Leistung des Beeinträchtigten, sondern auf einem Übergriff eines Dritten auf fremde Rechtspositionen beruhen. Da die Verpflichtung zur Herausgabe erlangter Vermögensvorteile die wirtschaftliche Handlungsfreiheit Dritter beeinträchtigt, liegt das Hauptpro101
Klinkhammer, S. 96. Die Frage, ob diese Abgrenzung bei dem Tatbestandsmerkmal „ohne Rechtsgrund" (so Reuter/Martinek, § 7 I 3 [S. 240 f.]) oder bei dem Merkmal „auf Kosten" (dafür Koppensteiner/Krämer., § 9 1 1 [S. 70]; Larenz/Canaris, §67 II 1 [S.131f.], II 2 [S. 134f.]; MünchKomm/Lieb, § 812, Rn. 193) einzuordnen ist, spielt für den vorliegenden Zusammenhang keine Rolle und soll daher nicht weiter verfolgt werden. 102
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
227
blem der Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B in der sachgerechten Abgrenzung der geschützten Rechtspositionen von den übrigen Stellungen, in die jedermann eingreifen kann, ohne sich Bereicherungsansprüchen ausgesetzt zu sehen. 102 Zur Bestimmung der geschützten Rechtspositionen haben sich zwei Grundrichtungen herausgebildet, die ihrerseits jeweils in vielerlei Schattierungen vertreten werden. Die von Fritz Schulz begründete Rechtswidrigkeitstheorie 103 stellt auf die Handlung des Bereicherungsschuldners ab und bejaht einen Kondiktionsanspruch, wenn das betreffende Handeln rechtswidrig war. In dieser reinen Form wird die Rechtswidrigkeitstheorie heute indessen nicht mehr vertreten, da sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass das Kriterium der Rechtswidrigkeit für sich genommen keine zuverlässige Aussage über eine bereicherungsrechtlich relevante Vermögensverschiebung zulässt. So kann eine Handlung durchaus rechtswidrig sein, ohne dass ein Vermögensvorteil auf Kosten eines anderen erlangt ist, wie der Schulfall des eiligen Geschäftsmannes zeigt, der unter Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung einen anderen Verkehrsteilnehmer überholt, um den Termin eines gewinnträchtigen Geschäftsabschlusses nicht zu versäumen. Umgekehrt kann eine Eingriffskondiktion zweifellos gegeben sein, obwohl kein rechtswidriges Verhalten vorliegt, wie etwa bei der Annahme einer Leistung auf eine fremde Forderung. Vor diesem Hintergrund haben die neueren Vertreter der Rechtswidrigkeitstheorie zusätzliche Kriterien entwickelt, die in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit die bereicherungsrechtlich geschützten Positionen abgrenzen sollen. Hierzu gehört etwa das Abstellen auf die Widerrechtlichkeit der Verwendung fremder Rechtsgüter 104 bzw. der Ausnutzung eines fremden identifizierbaren Rechtsobjekts 105 oder das Erfordernis eines Rechtswidrigkeitsurteils, durch das zum Ausdruck gebracht werde, dass die betreffenden nutz- und gewinnbringenden Handlungen dem Gläubiger vorbehalten gewesen seien. 106 In die gleiche Richtung weist der Vorschlag, sich nach dem Zweck einer gläubigerschützenden Norm zu richten, die dem Gläubiger die beliebige Disposition über eine Rechtsposition vorbehält. 107 All diesen ergänzenden Elementen ist gemein, dass sie sich sehr stark an die herrschende Lehre vom Zuweisungsgehalt annähern und dadurch die Frage offenbleibt, worin der eigenständige Gehalt des Rechtswidrigkeitsaspekts zu sehen sein soll. 108
103 104 105 106 107 108
Fr. Schulz, AcP 105 (1909), 1 ff. Jakobs, Eingriffserwerb und Vermögensverschiebung, 1964, S. 64. Kellmann, S. 110 ff. Wilhelm, Rechtsverletzung, S. 90 f. Haines, S. 102 f. Vgl. dazu im Einzelnen MünchKomm/Lieb, § 812, Rn. 201 ff.; Loewenheim,
S. 86 f.
228
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
Die heute ganz überwiegend 1 0 9 vertretene Lehre vom Zuweisungsgehalt geht auf Heckna zurück und wurde von Wilburgnl und v. Caemmerer112 entwickelt. Nach ihr ist entscheidend, ob der Vermögensvorteil durch einen Eingriff in ein fremdes Recht entgegen dessen Zuweisungsgehalt erlangt wurde. Nicht die Handlung des Bereicherten, sondern dessen „Haben" steht im Zentrum der Betrachtung, wenn gefragt wird, ob der Zustand der Bereicherung im Widerspruch zum Zuweisungsgehalt eines Rechts des Gläubigers steht. Die eingetretene Bereicherung muss das Ergebnis einer rechtlich missbilligten Verletzung einer solchen Rechtsposition sein, die nach dem Willen der Rechtsordnung einem Berechtigten zu dessen ausschließlicher Verfügung zugewiesen ist. 113 So einleuchtend diese Umschreibung für die klassischen subjektiven Rechte wie etwa das Eigentum oder die Immaterialgüterrechte ist, so zweifelhaft ist dagegen die Aussagekraft des Begriffs des Zuweisungsgehalts gerade in den problematischen Fällen, etwa wenn es um Positionen im Markenrecht, im Recht des unlauteren Wettbewerbs oder im Zusammenhang mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geht. Da die Lehre vom Zuweisungsgehalt voraussetzt, dass eine Position dem Berechtigten zur alleinigen Verfügung zugewiesen ist, nicht aber selbst erklärt, wann und unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, wurde ihr immer wieder der Vorwurf gemacht, letztlich mit einer Leerformel zu arbeiten, die die Gefahr willkürlicher Ergebnisse in sich berge. 114 Dieser Schwachpunkt wird von den Anhängern der Zuweisungstheorie heute auch durchaus eingeräumt. Man ist sich einig, dass die Lehre vom Zuweisungsgehalt der Ausfüllung bedarf. 115 Uneinigkeit besteht nur bei der Frage, wie diese Konkretisierung zu erfolgen hat. 116 Für den weiteren Fortgang der Arbeit wird im Ausgangspunkt von der Lehre des Zuweisungsgehalts ausgegangen. Trotz der erforderlichen inhaltlichen Konkretisierung gerade in den problematischen Fällen liegt ihr Vorteil 109 BGHZ 82, 299 (306) =NJW 1982, 1154 (1155) - „Kunststoffhohlprofil II"; BGHZ 99, 385 (387) =NJW 1987, 1631 (1632); BGHZ 107, 117 (120ff.) =NJW 1990, 52 - „Forschungskosten"; Emmerich, Schuldrecht-BT, § 17, Rn. 6; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 1 (S. 73 ff.); Larenz/Canaris, § 69 I 1 b, c (S. 169 ff.); Loewenheim, S. 82, 88 f.; Medicus, Schuldrecht II, Besonderer Teil, Rn. 713; Reuter/Martinek, § 7 II 2 (S. 245 ff.); Schlechtriem, Schuldrecht BT, Rn. 664 ff. 110 Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 141, 5 b (S. 421). 111 Wilhurg, Bereicherung, S. 27 ff. 112 v. Caemmerer, in: FS f. Rabel, Band I, S. 333 (353 ff.). 113 BGHZ 82,299 (306) = NJW 1982,1154 ( 1 1 5 5 ) - „Kunststoffhohlprofil II"; BGHZ 107, 117 (120) = NJW 1990, 52 - „Forschungskosten". 114 Jakobs, Eingriffserwerb, S. 24, 104; Reeb, Grundprobleme, S. 35 f.; Kleinheyer, JZ 1970, 471 (472 i.);Joerges, in: AK-BGB, § 812, Rn. 50. 115 Emmerich, Schuldrecht-BT, § 17, Rn. 6; Loewenheim, S. 88; Schlechtriem, in: FS f. Hefermehl, S. 445 (448); Münch Komm/Lieb, § 812, Rn. 205. 116 Dazu sogleich unter 2.
C. Der Besitz als Objekt
der
Eingriffskondiktion
229
gegenüber der Rechtswidrigkeitstheorie darin, dass sie eher den Grundgedanken des Bereicherungsrechts entspricht. Da der Zweck des Bereicherungsrechts nicht - wie im Deliktsrecht - im Ausgleich rechtswidrigen Verhaltens, sondern in der Rückgängigmachung ungerechtfertigter Vermögensvorteile liegt, muss die Frage nach der Legitimität des Behaltens im Vordergrund stehen, nicht der Vorgang der Bereicherung. 117
2. Zur inhaltlichen Bestimmung
des
Zuweisungsgehalts
Unterschiedliche Auffassungen bestehen freilich wiederum bei der Frage, in welcher Art und Weise die Voraussetzungen zu bestimmen sind, unter denen einer Position der notwendige Zuweisungsgehalt zukommt. Canaris hat vorgeschlagen, den Zuweisungsgehalt am Deliktsschutz auszurichten. Das Recht der unerlaubten Handlungen enthalte ein ausdifferenziertes gesetzliches Regelungsprogramm zur Entscheidung gerade des hier vorliegenden Problems, nämlich der Frage, ob und inwieweit ein Gut einer bestimmten Person zugewiesen ist. Zuweisungsgehalt komme daher grundsätzlich denjenigen und nur denjenigen Gütern zu, die deliktsrechtlich geschützt sind, und zwar so weit, wie der Deliktsschutz tatbestandsmäßig reicht. 118 Gegen eine solche akzessorische Ausrichtung sprechen allerdings die bereits erwähnten unterschiedlichen Funktionen der beiden Regelungsbereiche. Während es bei dem Deliktsrecht um die Wiedergutmachung rechtswidrigen Verhaltens geht, bezweckt das Bereicherungsrecht eine Abschöpfung ungerechtfertigter Vermögensvorteile.119 Wenn damit auch in weiten Bereichen eine Parallelität der beiden Gebiete gegeben ist, muss daraus doch nicht folgen, dass deliktsrechtlicher Schutz stets zugleich auch Kondiktionsansprüche auslöst.120 Belegt wird dies z.B. durch diejenigen Fälle, in denen es um Verstöße gegen das U W G geht. Zwar wird das Wettbewerbsrecht als Sonderdeliktsrecht begriffen, 121 doch stehen bei den Sanktionen die einem großen Kreis Aktivlegitimierter eröffneten Unterlassungsansprüche nach § § 1 , 3 , 1 3 Abs. 1 und Abs. 2 U W G ganz im Vordergrund, während Ansprüche aus Eingriffskondiktion nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommen. 122 Diesen Einwänden be1 1 7 Treffend Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 5 0 I 1 a (S. 74); Loewenheim, S. 88. 118 Larenz/Canaris, § 69 I 1 c (S. 170 f.). 1 1 9 Dazu näher Fikentscher, Besonderes Schuldrecht, § 97 II (Rn. 1040 ff.). 1 2 0 In diesem Sinne auch Medicus, Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn. 709 a.E.; Loewenheim, S. 87. 121 B G H , G R U R 1982, 495 (497) - „Domgarten-Brand"; Köhler/Piper, Einf. U W G , Rn. 39; Emmerich, Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 3 , 1 (S. 12); Klippel, in: Ekey/Klippel/ Kotthoff/Meckel/Plaß, Einleitung 2, Rn. 5. 122 Vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Einl. U W G , Rn. 417 ff.; Emmerich, Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 23, 4 (S. 358); Köhler/Piper, vor § 13 U W G , Rn. 106 ff.
230
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
gegnet Canaris von vornherein dadurch, dass er als zusätzliches Kriterium die Entgeltsfähigkeit des betreffenden Gutes verlangt. 123 Mit dieser Einschränkung nähert man sich allerdings der im Folgenden noch näher darzustellenden herrschenden Meinung, die auf die entgeltliche Gestattungsmöglichkeit abstellt, so weit an, dass sich die Frage stellt, worin noch der eigenständige Gehalt der deliktsrechtlichen Parallele bestehen soll. Auch bei einzelnen Schlussfolgerungen wirft die Parallele von bereicherungs- und deliktsrechtlichem Schutz Fragen auf. So spricht sich Canaris für einen entsprechenden Schutz bei Forderungen aus, wenn in sie selbst und nicht lediglich in den Gegenstand, auf dessen Leistung sie gerichtet sind, eingegriffen wird. 124 Daher sei die Eingriffskondiktion grundsätzlich nicht gegeben, wenn jemand dem Verkäufer der verkauften Sache wegnimmt und dadurch dem Käufer die Durchsetzung seiner Forderung aus § 433 Abs. 1 BGB unmöglich macht. Anders soll dies dagegen sein, wenn der Dritte dadurch zugleich in vorsätzlich sittenwidriger Weise handelt und den Tatbestand des § 826 BGB erfüllt. 125 Dies hätte allerdings zur Folge, dass der Zuweisungsgehalt einer Rechtsposition nicht abstrakt objektiv feststünde, sondern von der Qualität eines Drittverhaltens abhängig wäre. Die Art des Eingriffsverhaltens ist jedoch im Allgemeinen kein Kriterium, das bereicherungsrechtlich für die Bestimmung des Eingriffsgegenstandes relevant ist. Kleinheyer hat demgegenüber dafür plädiert, den Zuweisungsgehalt einer Rechtsposition danach zu beurteilen, ob ein negatorischer Unterlassungsanspruch besteht. Eine Eingriffskondiktion soll danach möglich sein, wenn die Bereicherung durch die Inanspruchnahme eines dem Bereicherungsgläubiger vorbehaltenen Rechtsguts ermöglicht wurde. Ein Rechtsgut soll in diesem Sinne einem anderen vorbehalten sein, wenn und soweit die Rechtsordnung dieser Person gestattet, über die Verwendung dieses Gutes zu bestimmen und sich gegen Zugriffe auf dieses Gut zur Wehr zu setzen, in der Regel also, wenn und soweit ein Unterlassungsanspruch zugebilligt wird. 126 Dieser Ansatz hat sich indessen zu Recht nicht durchgesetzt, weil er der Erkenntnis nicht hinreichend Rechnung trägt, dass in vielen Bereichen, wie wiederum das Wettbewerbsrecht dokumentiert (§ 13 Abs. 1 und Abs. 2 UWG), Unterlassungsansprüche eingeräumt werden, die nicht allein individuellen Interesse zu dienen bestimmt sind. Das alleinige Abstellen auf einen bestehenden Unterlassungsanspruch würde daher zu einer nicht zu vertretenden Ausdehnung der Eingriffskondiktion auf Kosten der Freiheit des Wirtschaftsverkehrs führen. Die heute wohl überwiegende Auffassung beurteilt den Zuweisungsgehalt einer Position demgegenüber danach, ob der Gläubiger den Eingriff des Drit123 124 125 126
Larenz/Canaris, § 69 I 1 d, 2 f (S. 171,175 f.). Larenz/Canaris, § 69 I 2 d (S. 174 f.), § 76 II 4 g (S. 397 f.). Larenz/Canaris, § 69 I 2 g (S. 177). Kleinhey er, JZ 1970, 471 (475).
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
231
ten gegen Entgelt hätte gestatten können. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass im Bereich der Eingriffskondiktion nur solche Rechtsgüter bereicherungsrechtlich relevant seien, die dem Gläubiger eine Verwertung durch rechtsgeschäftliche Gestattung erlaubt hätten. 127 Der Schuldner hat danach dann ein kondiktionsfähiges Etwas erlangt, wenn er eine Nutzungs- oder Verwertungsmöglichkeit okkupiert hat, für deren Einräumung der Berechtigte, also der Gläubiger, entsprechende Zahlung hätte verlangen können. 128 In die gleiche Richtung zielt die Denkfigur eines „Verwertungsmonopols" 129 oder auch die Annahme eines Zuweisungsgehalts aufgrund einer marktfähigen Verwertungsmöglichkeit. 1 3 0 Dem Gedanken der Befugnis zur entgeltlichen Gestattung entspricht es auch, wenn die Rechtsprechung die Beeinträchtigung einer schützenswerten und vermögensrechtlich nutzbaren Rechtsposition voraussetzt. Der Zuweisungsgehalt der geschützten Rechtsposition entspreche einem Verbotsanspruch des Rechtsinhabers, in dessen Macht es stehe, die Nutzung des Rechtsgutes einem sonst ausgeschlossenen Dritten zur wirtschaftlichen Verwertung zu überlassen. Der Eingriffskondiktion unterliege demnach ein solcher vermögensrechtlicher Vorteil, den der Erwerber nur unter Verletzung einer geschützten Rechtsposition und der alleinigen Verwertungsbefugnis des Rechtsinhabers erlangen konnte. 131 Das Kriterium der entgeltlichen Gestattungsmöglichkeit ist im Grundsatz überzeugend, weil es nicht nur auf die negative Verbietungskompetenz, sondern auch positiv auf die Nutzungs- und Verwertungskompetenz des Gläubigers abstellt und dadurch in den meisten Fällen zu sachgerechten Ergebnissen gelangt. Allerdings verbleiben Bereiche, in denen die herrschende Auffassung ihre Schlussfolgerungen mit ihrer Prämisse nicht in Einklang zu bringen vermag. Hierzu gehört gerade auch der Bereicherungsanspruch des Besitzers. Zwar wird dem berechtigten Besitzer, wie etwa dem Mieter, durchweg die Eingriffskondiktion gestattet, um ihn auch bereicherungsrechtlich gegen Eingriffe Dritter zu schützen. 132 Von einer entgeltlichen Gestattungsmöglichkeit des Mieters gegenüber dem Dritten kann indessen keine Rede sein, da der Mieter nach § 540 Abs. 1 BGB grundsätzlich gerade nicht berechtigt ist, ohne die Erlaubnis des Vermieters den Gebrauch der gemieteten Sache einem Dritten zu überlassen. Diese Diskrepanz lässt sich zum Teil daraus erklären, dass es bei der Diskussion um die Ausfüllung des Zuweisungsgehalts in der Regel MünchKomm/Lieb, § 812, Rn. 210. MünchKomm/Lieb, §812, Rn. 209; Loewenheim, S. 88; Schlecbtriem, in: FS f. Hefermehl, S. 445 (450 ff.). 129 Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 1 d (S. 76); Koppensteiner/Kramer, S. 76 u. 82, die sich allerdings gegen das Element der Entgeltlichkeit wenden (S. 76). 130 Reuter/Martinek, § 7 III 2 c (S. 256 f.); Emmerieb, Schuldrecht-BT, § 17, Rn. 6. 131 BGHZ 107, 117 (120 f.) = NJW 1990, 52.0 132 Vgl. etwa Koppensteiner/Kramer, S. 83. 127 128
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
um Fallgestaltungen geht, bei denen zweifelhaft ist, ob überhaupt ein Bereicherungsanspruch gegen den Eingreifenden gegeben ist. Demgegenüber steht bei Eingriffen in das Besitzrecht an einer Sache dem Grunde nach fest, dass gegen den Dritten aus Kondiktion vorgegangen werden kann, es muss nur entschieden werden, ob dieser Bereicherungsanspruch dem Eigentümer oder dem berechtigten Besitzer zusteht. Gleichwohl ist das Ergebnis der herrschenden Auffassung auch in diesem Fall zutreffend, wie im Folgenden 133 näher dargelegt werden wird. Für die Fälle des berechtigten Besitzes muss zur Konkretisierung des Zuweisungsgehalts statt auf die entgeltliche Gestattungsmöglichkeit vielmehr darauf abgestellt werden, ob der Besitzer an Stelle des Eingreifenden gerade zu der konkreten Handlung allein befugt gewesen wäre. 134 Dieser Maßstab rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass sich die Befugnisse des berechtigten Besitzers letztlich aus dem Eigentum des mittelbaren Besitzers ableiten, § 903 B G B , und durch das das Besitzrecht begründende Rechtsverhältnis dem Besitzer zugewiesen sind. Damit offenbart und bestätigt sich zugleich, dass sich kaum ein einheitliches, für alle denkbaren Fallgestaltungen gleichermaßen passendes Kriterium zur inhaltlichen Ausfüllung des Zuweisungsgehalts finden lässt. Dementsprechend setzt sich in der Literatur auch zunehmend die Einsicht durch, dass die Frage nach dem Zuweisungsgehalt, trotz hilfreicher Fallgruppenbildung, letztlich nicht ohne Wertentscheidung im konkreten Einzelfall zu beantworten ist. 135
II. Zur Bestimmung
des Zuweisungsgehalts
beim Besitz
1. Der bloße Besitz als solcher Der schlichte Besitz als solcher trägt keinen ausreichenden, für die Eingriffskondiktion erforderlichen Zuweisungsgehalt in sich. Er ist als tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis ein reines Faktum, das nichts darüber aussagt, ob dem Besitzer auch eine entsprechende Befugnis zur Einwirkung auf die Sache zusteht. Auch die mit dem bloßen Besitz verbundenen possessorischen Besitzschutzrechte der §§ 858 ff. B G B begründen keine gütermäßige Zuordnung zum Vermögen des Besitzers, da ihnen lediglich der Zweck zukommt, im Interesse der Friedenssicherung vorläufig den status quo der Besitzlage aufrechtzuerhalten, ohne dass es auf eine materielle Berechtigung für diese Besitzlage ankommt. 136 Dazu sogleich unter II. 2. Ahnlich Rümker, S. 82: entscheidend ist, ob die Rechtsordnung dem Eigentümer oder dem Besitzer die Befugnis zugewiesen hat, den vom Eingreifer erzielten Vermögenserwerb selbst zu erlangen. 135 Emmerich, Schuldrecht-BT, § 17, Rn. 6; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 1 a, b (S. 74); Schlechtriem, ZHR 149 (1985), 327 (332). 136 Vgl. oben, Teil 1, 2. Kapitel, B. II. (S. 32 ff.). 133 134
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
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Nähere Betrachtung verdient allerdings die Frage, ob nicht §1007 BGB eine hinreichende Grundlage für die Zuweisung des Besitzes zugunsten des früheren Besitzers bilden kann. Kurz hat dieses Problem unter dem Aspekt der Eigentumsvermutung diskutiert. In § 1007 BGB wirke zugunsten des gutgläubigen Besitzers die Rechtsvermutung des § 1006 BGB weiter, d.h. zu seinen Gunsten stelle das Gesetz die Vermutung auf, dass er beim Besitzerwerb ein Recht erlangte und ihm dieses Recht zum Besitz noch zusteht, sofern nicht der Beklagte ein besseres Recht zum Besitz einwendet; in § 1007 BGB handele es sich daher nicht um die Zuordnung des Besitzes als Tatsache, sondern um die Zuordnung des, wenngleich nur vermuteten, Rechts zum Besitz. 137 Auf die Eigentumsvermutung kann es jedoch im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht ankommen, weil § 1007 BGB auch Fälle erfasst, in denen dem früheren Besitzer unstreitig kein Recht zum Besitz zusteht. Nach § 1007 BGB kann sogar der frühere nichtberechtigte Besitzer, wenn er nur bei Besitzerlangung in gutem Glauben an sein Besitzrecht war, vom jetzigen Besitzer grundsätzlich die Herausgabe der Sache verlangen, wenn dieser entweder selbst bösgläubig war, Abs. 1, oder die Sache dem früheren Besitzer abhanden gekommen war, Abs. 2. Soweit der Herausgabeanspruch besteht, kann der frühere Besitzer darüber hinaus bei Bösgläubigkeit des jetzigen Besitzers auch Nutzungsherausgabe geltend machen, §§1007 Abs. 3 S. 2, 990 Abs. 1, 987 BGB. Die Ansprüche aus § 1007 BGB sind petitorischer Natur, da der Beklagte dem früheren Besitzer jedes materielle Recht zum Besitz ihm gegenüber geltend machen kann, §§ 1007 Abs. 3 S. 2,986 BGB. Soweit ein solches Besitzrecht nicht besteht, führt § 1007 BGB dazu, dass der frühere dem gegenwärtigen Inhaber im Besitz vorgeht. Daraus könnte, unabhängig von jeglicher Eigentumsvermutung nach § 1006 BGB, zu schließen sein, dass jedenfalls in diesem Verhältnis der Besitz dem früheren Besitzer durch § 1007 zugewiesen sei, so dass ihm auch Ansprüche aus Eingriffskondiktion zustehen müssten. Eine solche Schlussfolgerung würde indessen den durchaus begrenzten originären Anwendungsbereich und Zweck des § 1007 BGB überbewerten und zu einer nicht gerechtfertigten Ausdehnung der Eingriffskondiktion führen. Die Vorschrift des §1007 BGB verfolgt, wie bereits gezeigt, 138 ein doppeltes Ziel. Zum einen ist die Norm eine positive Entscheidung des Gesetzgebers zur Einräumung weitergehender Herausgabeansprüche, die ihrerseits kein zugrunde liegendes Ursprungsrecht voraussetzen oder schaffen. § 1007 BGB hat erkennbar den Zweck, für den Normalfall, in dem der Eigentümer oder der besitzberechtigte Mieter die Herausgabe verlangt, also ein dingliches oder obligatorisches Ursprungsrecht ohnehin gegeben ist, eine erleichterte Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Daneben soll kein weiteres Recht geschaffen
137 138
Kurz, Der Besitz, S. 23. Hierzu und zu dem Folgenden ausführlich oben, 2. Kapitel, C. III. 2. (S. 187 ff.).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
werden. Diejenigen Fälle, in denen der frühere Besitzer nichtberechtigt, aber zumindest bei Besitzerwerb in gutem Glauben an sein Besitzrecht gewesen ist, und welche der § 1007 B G B ebenfalls erfasst, stellen demgegenüber lediglich Ausnahmefälle dar, die in Kauf genommen werden, ohne dass den früheren Besitzern dadurch ein zugrundeliegendes Recht konstitutiv verschafft werden soll. Daraus folgt, dass § 1007 BGB insoweit, über eine nicht bereits durch Eigentum oder ein anderes dingliches oder schuldrechtliches Besitzrecht bestehende Berechtigung hinaus, keine zusätzliche Zuweisung einer Besitzbefugnis intendiert. Zum anderen stellt § 1007 B G B eine gesetzgeberische Entscheidung für eine bestimmte Rangordnung verschiedener Besitzformen dar. Innerhalb dieser Rangordnung soll nach § 1007 B G B nicht nur vorläufig, sondern endgültig über das Habendürfen der Sache entschieden werden, ohne dass damit die Rechtsbeziehung der Parteien zum wahren Eigentümer oder einem bevorrechtigten Dritten als Oberbesitzer präjudiziert wird. Auch daraus lässt sich kein Zuweisungsgehalt zugunsten des relativ begünstigten früheren Besitzers ableiten. Denn der für die Eingriffskondiktion vorausgesetzte Zuweisungsgehalt muss eine Rechtsposition dem Berechtigten allen Übrigen gegenüber zuordnen. Gerade dies ist beim früheren Besitzer nicht der Fall, da er trotz seines Herausgabeanspruchs nach § 1007 B G B gegenüber dem jetzigen Besitzer immer noch seinerseits zur Herausgabe an den Eigentümer oder einen besserberechtigten Dritten verpflichtet sein kann. Da § 1007 BGB darüber keine Aussage enthält, kommt der Vorschrift auch insoweit kein Zuweisungsgehalt im bereicherungsrechtlichen Sinne zu. 139
2. Das Recht zum Besitz a)
Allgemeines
Liegt der Innehabung der tatsächlichen Sachherrschaft allerdings ein Recht des Besitzers zugrunde, das ihm die Befugnis zur Ausübung der Sachherrschaft einräumt, so stellt sich die Frage, ob ihm das Haben und Gebrauchen der Sache im Umfang des Rechts auch bereicherungsrechtlich zugewiesen ist. Soweit es sich um Besitzrechte handelt, die sich aus beschränkten dinglichen Rechten, wie Pfandrecht oder Nießbrauch, ergeben, wird dies allgemein bejaht, weil es sich dabei um absolute Rechte handelt, denen generell der erforderliche Zuweisungsgehalt zugesprochen wird. Ob eine rein schuldrechtliche Besitzberechtigung in gleicher Weise die bereicherungsrechtliche Güterzuweisung begründen kann, wird dagegen nur selten näher beleuchtet. Zum Teil wird dies unter Hinweis auf § 816 Abs. 2 B G B bejaht, wobei zusätzlich auf ein praktisches Bedürfnis verwiesen wird. Mieter und Pächter sollten auch berei-
139
Im Ergebnis ebenso Kurz, S. 23 f.
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
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cherungsrechtlich gegen Eingriffe Dritter geschützt werden, weil sie in solchen Fällen die eigentlich Betroffenen seien. 140 Kurz hat demgegenüber den von Diederichsen ausgebauten Ansatz des schuldrechtlichen Rechts zum Besitz als relativem Herrschaftsrecht aufgegriffen und daraus die bereicherungsrechtlichen Konsequenzen gezogen. Danach sei nicht die Abgrenzung von absoluten und relativen Rechten maßgeblich, sondern die Unterscheidung von Anspruch und Herrschaftsrecht. Während der Anspruch nur eine Rechtsbeziehung zwischen zwei Personen schaffe, gewähre das Herrschaftsrecht dem Berechtigten eine unmittelbare Rechtsmacht über einen bestimmten Gegenstand. Möge auch das obligatorische Recht zum Besitz als relatives Herrschaftsrecht über die Sache ohne absoluten Schutz sein, das die Sache dem obligatorisch Berechtigten nur im Verhältnis zum Eigentümer zuordne, so sei bereicherungsrechtlich diese Zuordnung zu beachten. 141 Mit der Übernahme der Konstruktion des obligatorischen Besitzrechts als relativem Herrschaftsrecht, das nach Art der beschränkt dinglichen Rechte konzipiert wird, übernimmt Kurz aber auch die Schwäche dieses Ansatzes. Ihm liegt die Vorstellung einer Übertragung der Besitzberechtigung als Eigentumsbestandteil auf den schuldrechtlich Berechtigten und damit zugleich einer Verfügung zugrunde, die indessen bloß relativ wirken soll, weil die Berechtigung allein den Eigentümer in seinem Verhältnis zum Gläubiger binde. Damit ist eine bedenkliche Aufweichung der grundlegenden Unterscheidung von dinglichen und obligatorischen Rechtsverhältnissen verbunden. Sie in Kauf zu nehmen, besteht im Bereicherungsrecht ebensowenig Anlass wie bei der dogmatischen Fundierung des Rechts zum Besitz nach § 986 B G B . 1 4 2 Das schuldrechtliche Recht zum Besitz ist nichts anderes als das Recht, die Belassung des Besitzes von dem Verpflichteten verlangen zu können. Als solches ist es Inhalt der schuldrechtlichen Forderung aus dem zugrundeliegenden Vertrag und somit auch in seinem Bestand von diesem abhängig. 143 Das Schuldverhältnis weist daher im Umfang der Berechtigung dem Besitzer das Haben und Gebrauchen der Sache zu und bewirkt dadurch die bereicherungsrechtlich relevante Güterzuordnung. Freilich ist diese Zuweisung für sich genommen nur eine relative. Der schuldrechtliche Vertrag entfaltet seine Wirkungen nur zwischen den Parteien und trifft eine Regelung darüber, wer von ihnen die Sache in welchem Umfang haben und gebrauchen können soll. Unberührt bleibt davon die sachenrechtliche Zuständigkeitsordnung, die sich in der Verteilung der dinglichen Rechte, etwa in dem nach wie vor bestehenden Eigentum des obligatorisch Verpflichteten, äußert. Somit stellt sich die Frage, ob es für die vermögensmäßige Zu140 141 142 143
Koppensteiner/Kramer, S. 83; Kellmann, S. 89. Kurz, Der Besitz, S. 46 f. Dazu oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 2. c (S. 85 ff.). Vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 3. (S. 95 ff.).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
Weisung von Rechtsgütern im Rahmen von § 8 1 2 B G B auf die dingliche Rechtslage ankommt oder ob eine nur auf schuldrechtlicher Grundlage beruhende relative Zuordnung die bereicherungsrechtlich zu schützende Güterverteilung modifizieren kann. Die ganz herrschende Auffassung stellt auf absolute Rechte ab. Relative Rechte, insbesondere Forderungen, werden unter Hinweis auf § 816 Abs. 2 B G B nur insoweit als Gegenstand der Eingriffskondiktion anerkannt, als in die Stellung als Gläubiger eingegriffen wird, 1 4 4 etwa bei befreienden Leistungen an Dritte, nicht dagegen bei der bloßen Dritteinwirkung auf den geschuldeten Gegenstand. 1 4 5 Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass eine Forderung nur vom Schuldner, nicht dagegen von einem Dritten verletzt werden könne. 1 4 6 Nach dieser Prämisse müsste die herrschende Ansicht eigentlich dem obligatorisch berechtigten Besitzer die Eingriffskondiktion bei Einwirkungen eines Dritten auf die Sache versagen. Denn wenn die Figur des relativen Herrschaftsrechts mit quasi-dinglicher Wirkung abzulehnen ist und der bloße Besitz als tatsächliche Sachherrschaft keinen Zuweisungsgehalt aufweist, verbleibt allein die schuldrechtliche Berechtigung des Besitzers als Grundlage einer Güterzuordnung. Es besteht indessen kein Grund, relativen Rechten von vornherein die Kraft der Vermögensaufteilung auch im Verhältnis zu Dritten abzusprechen. Eine Beschränkung der Eingriffskondiktion auf die absoluten Rechte würde diese Kondiktionsform auf einen Annex des sachenrechtlichen Rechtsschutzes reduzieren. Bei dem Tatbestand der Eingriffskondiktion handelt es sich jedoch nicht um einen Nebenanspruch aus dem Eigentum, sondern um die selbständige schuldrechtliche Nachprüfung der Planmäßigkeit einer Güterbewegung. Grundlage des Schutzes ist der Zuweisungsgehalt, d.h. der Rechtsinhalt des verletzten Rechts, unabhängig davon, ob diesem Recht absoluter oder relativer Charakter zukommt. 1 4 7 Darin liegt auch ein entscheidender Unterschied des Bereicherungsrechts zum Deliktsrecht. Im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 B G B ist der bereicherungsrechtliche Schutz nach § 812 B G B nicht auf absolute Rechte begrenzt. Für ihn ist allein entscheidend, ob ein Gut dem Vermögen des Gläubigers zuzuordnen ist oder nicht. Eine vermögensmäßige Zuordnung auf schuldrechtlicher Grundlage entgegen der sachenrechtlichen Zuständigkeit ist im Übrigen auch sonst nichts Unbekanntes, wie etwa das Beispiel der Sicherungsübereignung zeigt. Vollstrecken Gläubiger des Sicherungsnehmers
144 Wilhurg, S. 46 f.; v. Caemmerer, in: FS f. Rabel, S. 333 (355); Reuter/Martinek, § 7 III 1 (S. 249); Schlechtriem, in: FS f. König, S. 57 (75). 145 Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 1 f (S. 77 f.); Larenz/Canaris, § 69 I 2 d (S. 175). 146 Emmerich, Schuldrecht-BT, § 17, Rn. 10; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 1 f (S. 77). 147 Insoweit zutreffend Kurz, Der Besitz, S. 45.
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
237
in das Sicherungsgut, so steht dem Sicherungsgeber nach überwiegender Auffassung selbst bei noch offener zu sichernder Forderung und einem nur schuldrechtlichen Rückübertragungsanspruch jedenfalls bis zur Verwertungsreife ein Widerspruchsrecht nach § 771 Z P O zu, weil die Sache als wirtschaftlich zum Vermögen des Sicherungsgebers gehörend betrachtet wird. 148 In der Insolvenz des Sicherungsnehmers hat der Sicherungsgeber unter den gleichen Voraussetzungen grundsätzlich ein Aussonderungsrecht nach § 4 7 InsO. 1 4 9 Festzuhalten ist danach, dass auch die rein schuldrechtliche Besitzberechtigung eine ausreichende Grundlage für die Zuweisung des Besitzes zum Vermögen des Inhabers der tatsächlichen Sachherrschaft sein kann. Wie weit dieser Zuweisungsgehalt reicht, wenn der Berechtigte noch nicht im Besitz der Sache ist, wird unten im Einzelnen zu erörtern sein. 150 Für den vorliegenden Zusammenhang genügt zunächst die Feststellung, dass die herrschende Auffassung im Ergebnis zu Recht dem berechtigten Besitzer die Eingriffskondiktion zubilligt. b) Insbesondere
die
Untervermietungsfälle
Die Eingriffskondiktion ist vor allem relevant bei Eingriffen Dritter in die tatsächliche Sachherrschaft des Besitzers. Hat beispielsweise ein Mieter zusätzlich zu der gemieteten Wohnung eine Garage für weitere 100,- D M monatlich von dem Vermieter überlassen bekommen und benutzt der Nachbar des Mieters in dessen urlaubsbedingter Abwesenheit die Garage, um dort das eigene Fahrzeug abzustellen, so kann der Mieter von dem Nachbarn nach §§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., 818 Abs. 1, Abs. 2 B G B Wertersatz für die gezogenen Nutzungen verlangen. Der Zuweisungsgehalt des Rechts zum Besitz, in das der Nachbar eingegriffen hat, richtet sich nach dem Umfang der Befugnis des Mieters. Ihm war die Nutzung der Garage aufgrund des Mietvertrages mit dem Vermieter zugewiesen, so dass er das Recht hatte, dort Fahrzeuge abzustellen. Hätte der Nachbar dagegen die Abwesenheit des Mieters zu Handlungen genutzt, zu denen der Mieter selbst nach dem Mietvertrag nicht berechtigt gewesen wäre, z.B. zur Unterbringung eines Pferdes, so steht nicht dem Mieter, sondern dem Vermieter als Eigentümer ein Anspruch aus Eingriffskondiktion zu, da diese Nutzungshandlung ihm aufgrund seines Eigentums abstrakt vorbehalten ist. Auf die Frage, ob der Mieter die Möglichkeit hatte, dem
148 BGHZ 72, 141 (143 ff.) = N J W 1978, 1859; Musielak/Lackmann, §771, Rn. 18; MüncbKomm-ZPO/K. Schmidt, § 771, Rn. 28. 149 RGZ 124, 73; BGH, WM 1965, 84 (85); Kuhn/Uhlenbruck, §43, Rn. 15 c; Hess, InsO, § 47, Rn. 189; Smid/Smid, InsO, § 47, Rn. 14. 150 Dazu unter C. II. 3. (S. 246).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
Nachbarn den Gebrauch entgeltlich zu gestatten, kommt es dagegen wegen § 540 Abs. 1 B G B nicht an. 151 Problematisch ist allerdings der Zuweisungsgehalt bei Ansprüchen aus Eingriffskondiktion, die an Handlungen des Vertragspartners anknüpfen, weil es hier um die Verteilung spezifischer Befugnisse im Innenverhältnis geht. Symptomatisch ist dies in der Situation der unberechtigten Untervermietung. Zu erörtern sind hier zwei Fallvarianten. Im Vordergrund steht der typische Fall, dass der (Erst-)Mieter, der die Sache vom Eigentümer gemietet hat, unberechtigt an einen Dritten untervermietet. Hier stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang der Eigentümer und Vermieter bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen den Erstmieter geltend machen kann. In einem weiteren Schritt ist zu untersuchen, wie sich die Beurteilung in den UnterUntermietfällen ändert, wenn also der Vermieter nicht notwendig der Eigentümer ist. Denkbar sind hier Kondiktionsansprüche des Erstmieters oder des Eigentümers. aa) Die unberechtigte
Untervermietung
durch den
Erstmieter
Im typischen Fall der unberechtigten Untervermietung durch den Erstmieter lehnt die ständige Rechtsprechung einen Anspruch des Vermieters auf Herausgabe des Untermietzinses oder auch nur eines Teils davon generell ab. 1 5 2 Ein Teil der Literatur ist dem gefolgt. 153 Ein beachtlicher Teil des Schrifttums spricht sich demgegenüber für einen Kondiktionsanspruch des Vermieters aus, wobei allerdings im Einzelnen sowohl die Anspruchsgrundlage als auch der Umfang der Bereicherung umstritten ist. Vereinzelt wird der unmittelbare Rückgriff auf § 816 Abs. 1 S. 1 B G B vorgeschlagen, 154 andere wollen zumindest in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift eine Herausgabepflicht des Mieters bejahen. 1 5 5 Schließlich wird eine Kondiktion nach § 8 1 2 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B befürwortet, die zur Herausgabe des gesamten Untermiet-
Vgl. bereits oben, C. I. 2. (S. 229 ff.). BGH, NJW 1964, 1853; WM 1969, 298 (300); BGHZ 131, 297 (305 ff.) = NJW 1996, 838 (840); O L G Celle, ZMR 1995, 159 (160); O L G Düsseldorf, NJW-RR 1994, 596 f.; LG Hildesheim, WuM 1990, 341 f. 153 Palandt/Weidenkaff, § 540, Rn. 14; RGRK/Gelhaar, § 549, Rn. 17; Koppensteiner/Kramer, S. 94; Larenz, Schuldrecht II/l, 13. Aufl. 1986, §48 III (S. 231); Medicus, Schuldrecht II, Rn. 713 a.E.; ders., Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn. 707, 719, 833; Mutter, MDR 1993, 303 (304 f.); Reuter/Martinek, § 8 I 3 a (S. 307 ff.); Roquette, § 549, Rn. 41; Söllner, JuS 1967, 449 (451 ff.); Stemel, II, Rn.265; so jetzt auch Wolf/Eckert/Ball, Hdb. des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl., Köln 2000, Rn. 1314 f. 154 Diederichsen, NJW 1964, 2296. 155 Staudinger/Emmerich, §549, Rn. 107; Emmerich, Schuldrecht-BT, §17, Rn. 23; MünchKomm/Voelskow, §549, Rn. 17; Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 7. Aufl., Köln 1995, Rn. 1314 f. 151
152
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
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zinses 156 bzw. zur Zahlung eines Untermietzuschlags (§553 Abs. 2 B G B ) 1 5 7 führen soll. Die von Diederichsen vertretene unmittelbare Anwendung von § 816 Abs. 1 S. 1 B G B beruht auf seinem Verständnis von den obligatorischen Besitzrechten als sogenannten relativen Herrschaftsrechten, denen er eine Mittelstellung zwischen den schuldrechtlichen und den dinglichen Rechten zuerkennen will. 158 Für eine Verwischung der Grenzen dieser grundlegenden Kategorien durch „Entdeckung" neuer Zwischenformen besteht jedoch kein Anlass. 159 Die Vermietung stellt als Abschluss eines schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts keine Verfügung dar, da sie sich nicht unmittelbar auf das Eigentumsrecht des Vermieters in Form einer Übertragung, Belastung, Änderung oder Aufhebung auswirkt. Ist man dagegen bereit, die Untervermietung mit einer Verfügung gleichzusetzen, so wäre eine entsprechende Anwendung des § 816 Abs. 1 S. 1 B G B nicht von vornherein ausgeschlossen. Fraglich ist hier, ob die Verfügung bzw. Vermietung „dem Berechtigten gegenüber wirksam ist", da der Untermieter kein Recht zum Besitz gegenüber dem Vermieter erlangt. 160 Die für § 8 1 6 Abs. 1 S. 1 B G B geforderte Wirksamkeit kann nicht schon darin gesehen werden, dass ein gutgläubiger Dritte die eingeräumten Nutzungsvorteile wegen § 993 Abs. 1,2. Hs B G B nicht herauszugeben hat. 161 Zum einen macht die Privilegierung des gutgläubigen nichtberechtigten Besitzers diesen noch nicht zum berechtigten. Zum anderen hätte die an die Gutgläubigkeit gebundene Gleichstellung von Nutzungsprivilegierung und Wirksamkeit die eigenartige Konsequenz, dass die zunächst vorliegende Wirksamkeit bei späterer Bösgläubigkeit des Dritten wieder entfallen würde. Ist danach davon auszugehen, dass der Untermieter kein Recht zum Besitz gegenüber dem Vermieter erlangt, so muss dies dennoch letztlich der Wirksamkeit der „Verfügung" nicht entgegenstehen. Denn man wird hier - wie auch sonst bei § 8 1 6 Abs. 1 S. 1 B G B - in der Geltendmachung des Bereicherungsanspruchs eine konkludente Genehmigung sehen können. 162 Gleichwohl bedarf es keiner analogen Anwendung des § 816 Abs. 1 S. 1 B G B , da im Fall der unberechtigten Unterver-
RGRK/Heimann-Trosien, § 812, Rn. 69; Soergel/Mühl, 11. Aufl. 1985, § 812, Rn. 141. Erman/H. P. Westermann, § 812, Rn. 71; MünchKomm/Lieb, § 812, Rn. 221; Gebauer, Jura 1998, 128 (130 ff.); Kollhosser, BB 1973, 820; Neumann-Duesberg, BB 1965, 729 (731); Theuffel, JuS 1997, 886 (887 f.). 158 Dazu bereits oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 2. c (S. 88 ff.). 159 Vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 3. (S. 95 ff.). 160 Darauf verweisen BGHZ 131, 297 (306) = NJW 1996, 838 (840); Larenz/Canaris, § 69 II 1 d (S. 182); Medicus, Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn.715; Söllner, JuS 1967, 449 (452); Reuter/Martinek, $ 8 I 3 a (S. 310). 161 So aber Gebauer, Jura 1998, 128 (130). 162 Diederichsen, NJW 1964, 2296 f.; Gebauer, Jura 1998,128 (130). 156 157
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
mietung bereits die allgemeine Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB erfüllt ist. Als Hauptargument gegen einen solchen Kondiktionsanspruch ist immer wieder ins Feld geführt worden, dass der Mieter den Untermietzins nicht auf Kosten des Vermieters erlangt haben könne, weil die Untervermietung, auch wenn sie unberechtigt erfolgt, ein dem Mieter zugewiesenes Geschäft darstelle. Dem Vermieter entgingen durch die Untervermietung keine Verwertungsoder Gebrauchsmöglichkeiten, deren er sich nicht schon durch den Abschluss des Hauptmietvertrages entäußert hätte; er selbst könnte die Mietsache einem Dritten gar nicht mehr überlassen. 1 6 3 Mit dieser Begründung betrachtet man das Problem jedoch aus dem falschen Blickwinkel. Es geht nicht darum, ob der Vermieter nach erfolgter Vermietung seinerseits an einen Dritten hätte untervermieten können. Der Schlüssel liegt vielmehr in der Frage, wem die Entscheidung über die Untervermietung zugewiesen ist. Diese Frage regelt das Gesetz in § 540 Abs. 1 BGB indessen eindeutig zugunsten des Vermieters. Noch im Ersten Entwurf ging das Gesetz davon aus, dass das Gebrauchsrecht des Mieters das Recht mitumfassen sollte, die Mietsache einem anderen zu überlassen, sie insbesondere unterzuvermieten, soweit nichts Gegenteiliges vereinbart war. 1 6 4 Die Zweiten Kommission entschied sich jedoch bewusst gegen eine solche Regelung und knüpfte die Befugnis zur Untervermietung in Anlehnung an das preußische Recht ( A L R 1 2 1 §§ 309 ff.) an die Erlaubnis des Vermieters, da die Person des Mieters für den Abschluss und die Bedingungen des Mietvertrages von entscheidender Bedeutung sei und dem Vermieter nicht gegen seinen Willen ein Untermieter aufgedrängt werden dürfe. 1 6 5 Die selbständige Gebrauchsüberlassung an Dritte soll damit von der Entscheidung des Vermieters abhängen. Zum Ausgleich wurde dem Mieter für den Fall der verweigerten Erlaubnis ein außerordentliches befristetes Kündigungsrecht gewährt, § 540 Abs. 1 S. 2 BGB. Diese Kündigungsmöglichkeit ändert jedoch nichts daran, dass der Vermieter in seiner Entscheidung über die Zulassung der Untermiete völlig frei ist. 166 Steht dem vermietenden Eigentümer aber die ungebundene Disposition darüber zu, wer die Mietsache zum selbständigen Gebrauch erhält, so ist dies letztlich nichts anderes als ein Ausfluss seines Eigentumsrechts, § 903 S. 1 BGB. Ihm ist die Entscheidung über die Einräumung des Gebrauchs an Dritte zugewiesen, nicht dem Mieter. Gerade diese
163 BGHZ 131, 297 (306) = N J W 1996, 838 (840); LG Hildesheim, WuM 1990, 341 (342); Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 1 g (S. 79); Medicus, Schuldrecht II, Rn. 713; Mutter, MDR 1993, 303 (304); Reuter/Martinek, § 8 I 3 a (S. 310). 164 Motive, Band II, S. 395 ff. (= Mugdan, Band II, S. 220 ff.). 165 Protokolle II, S. 182 ff. (= Mugdan, Band II, S. 843 ff., 846). 166 A. A. Söllner, JuS 1967, 449 (453). An diesem Grundsatz ändert auch der unter engen Voraussetzungen stehende Anspruch auf Erlaubnis bei Wohnraum nach dem später eingefügten § 549 Abs. 2 BGB a. F. (vgl. § 553 Abs. 1 BGB n. F.) nichts.
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
241
aus dem Eigentum des Vermieters folgende Entscheidungsbefugnis maßt sich der Mieter an, der entgegen § 540 Abs. 1 B G B ohne Erlaubnis des Vermieters die Sache untervermietet. 167 In dieser Anmaßung liegt daher ein Eingriff in das Eigentum des Vermieters. 168 Dieser hätte zu jedem Zeitpunkt, auch nachträglich, die Erlaubnis erteilen können. Es kommt daher überhaupt nicht darauf an, ob er selbst dem Dritten den Gebrauch noch hätte überlassen können. Dagegen ist in verschiedener Form eingewandt worden, dass die Eingriffskondiktion zurücktreten müsse, da das Handeln des Mieters eine Vertragsverletzung darstelle, die dem Bereicherungsrecht vorgehe. So wurde geltend gemacht, dass sich die Untervermietung lediglich als Teil der Ausübung des Gebrauchsrechts des Mieters darstelle; selbst wenn die Untervermietung ohne Erlaubnis des Vermieters als vertragswidrige Ausübung des Mietgebrauchs anzusehen sei, rechtfertige dieser Umstand es nicht, dem Vermieter weitergehende Ansprüche zuzubilligen als in anderen Fällen vertragswidrigen Gebrauchs. 169 Auf derselben Linie liegt die Behauptung, das Kontrollrecht des Vermieters über den vom Mieter ausgeübten Gebrauch sei nicht Teil der absolut geschützten Rechtssphäre des Vermieters und damit der Güterzuordnung, sondern sei Bestandteil des Mietvertrages mit dem Hauptmieter, also des schuldrechtlichen Obligationengefüges. Bei der unberechtigten Untervermietung habe daher der Ausgleich nach Vertragsrecht zu erfolgen, so dass für eine Eingriffskondiktion kein Raum sei. 170 Die Einordnung der Untervermietung als Ausübung des dem Mieter eingeräumten Gebrauchsrechts ist jedoch unzutreffend, da die Überlassung der Sache an Dritte gerade nicht von den ihm vertraglich gewährten Befugnisse umfasst ist. Daher ist auch das „Kontrollrecht", oder besser die Entscheidungsbefugnis des Vermieters als Ausfluss seines Eigentums nach wie vor ihm zugewiesen. Die Situation stellt sich hier nicht anders dar als bei einem gegenständlich, zeitlich oder in sonstiger Weise beschränkten mietvertraglichen Gebrauch. Hat beispielsweise der Vermieter 167 Daraus folgt zugleich, dass der Mieter durch die Untervermietung und den darin liegenden Eingriff in die Dispositionsbefugnis des Vermieters ein Geschäft des Vermieters und nicht etwa ein eigenes vornimmt (a.A. BGHZ 131, 297 [306 f.] = N J W 1996, 838 [840]; BGH, NJW 1964, 1853; MüncbKomm/Voelskow, § 549, Rn. 17; Mutter, MDR 1993, 303 [305]; Reuter/Martinek, § 8 I 3 a [S. 309]; Söllner, JuS 1967, 449 [451]). Der Vermieter kann daher den gesamten Untermietzins nach §§687 Abs. 2 S. 1, 681 S.2, 667 BGB herausverlangen. Freilich kann der Mieter seinerseits diesen dem Vermieter gezahlten Mietzins nach §§ 687 Abs. 2 S. 2, 684 S. 1 BGB als Aufwendungsersatz zurückfordern und insoweit aufrechnen. Auf diesem Wege steht dem Vermieter daher, weitergehend als nach Bereicherungsrecht (vgl. dazu sogleich im Text), der gesamte Betrag zu, um den der Untermietzins den Mietzins übersteigt (ebenso Herschel, JuS 1968, 562 f.; Kraemer, in: Bub/Treier, Hdb. der Geschäfts- und Wohnraummiete, 2. Aufl., Kap. III, Rn. 1035 [in der 3. Aufl. nicht mehr wiederholt]). 168 Im Ergebnis ebenso Neumann-Duesberg, BB 1965, 729 (731); Gebauer, Jura 1998, 128 (131 f.); Theuffel, JuS 1997, 886 (888). 169 O L G Celle, ZMR 1995, 159 (160). 170 Söllner, JuS 1967, 449 (453); Reuter/Martinek, § 8 I 3 a (S. 311).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
eines Mehrparteienhauses einem Mieter die Benutzung einer im Keller befindlichen Waschmaschine für ein festes Entgelt ausschließlich zu bestimmten Uhrzeiten eingeräumt, so beschränkt sich der vertragsgemäß vereinbarte Gebrauch auf die Nutzung innerhalb der vorgesehenen Uhrzeit. Benutzt der Mieter die Maschine gleichwohl außerhalb der vertraglich festgelegten Zeiten, so handelt er insoweit nicht anders als irgendein Dritter, der die Maschine gebraucht, ohne mit dem Vermieter in einer vertraglichen Beziehung zu stehen. Zwar wird man dem Vermieter auch einen vertraglichen Schadensersatzanspruch zuzusprechen haben, weil durch die Abrede, die Waschmaschine nur innerhalb der festgelegten Zeiten zu benutzen, zumindest konkludent zugleich die vertragliche Verpflichtung des Mieters begründet wird, jegliche Benutzung zu anderen Zeiten zu unterlassen. Dies kann jedoch keine Sperrwirkung gegenüber einer daneben bestehenden Eingriffskondiktion begründen, da der Vermieter ansonsten gegenüber seinem Vertragspartner bezüglich gezogener Vermögensvorteile schlechter stünde als gegenüber Dritten. Diese Überlegungen werden im Übrigen durch die Rechtslage in anderen Bereichen, etwa bei der Verletzung von beschränkten Markenlizenzen, bestätigt. Hat beispielsweise ein Markeninhaber einem Lizenznehmer die Verwendung der Marke nur für bestimmte Waren gestattet und benutzt der Lizenznehmer das Zeichen gleichwohl auch für andere Waren, so stehen dem Markeninhaber nicht nur Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung zu, sondern er kann auch nach § 30 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG die Rechte aus seiner Marke gegen den Lizenznehmer geltend machen. Zu diesen Ansprüchen gehört nicht nur der verschuldensabhängige Anspruch auf Schadensersatz nach § 14 Abs. 6 MarkenG, der dem Markeninhaber die Wahl der dreifachen Schadensberechnung eröffnet, 1 7 1 sondern auch der allgemeine, verschuldensunabhängige Bereicherungsanspruch aus Eingriffskondiktion, nach dem für den erlangten Kennzeichengebrauch eine angemessene und übliche Lizenzgebühr als Wertersatz zu zahlen ist, §§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., 818 Abs. 2 B G B . 1 7 2 Schließlich wird gegen einen Kondiktionsanspruch des Vermieters geltend gemacht, dass es eines solchen Rechtsbehelfs von vornherein nicht bedürfe. Gegen den unbefugten Gebrauch der Mietsache durch einen Dritten könne sich der Vermieter durch fristlose Kündigung oder Unterlassungsklage wehren, §§ 541, 543 Abs. 2 Nr. 2 B G B . Soweit ihm aus der unbefugten Untervermietung ein Schaden, beispielsweise durch erhöhte Abnutzung, entstehen sollte, sei ihm der Mieter ohnehin ersatzpflichtig. Durch die Untervermietung 171 BGHZ 44, 372 (376) = N J W 1966, 823 (825) - „Meßmer Tee II"; BGH, G R U R 1987, 364 (365) - „Vier-Streifen-Schuh"; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Einl. UWG, Rn. 381 ff.; Köhler, in: Großkomm. UWG, vor § 13 Abschn. B, Rn. 321 ff. 172 BGHZ 99, 244 (248) = N J W 1987, 2869 (2871 f.) - „Chanel No. 5 I"; Fezer, Markenrecht, 3. Aufl. 2001, § 14, Rn. 530; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl. 2003, vor §§ 14-19, Rn. 125; Wülfel, S. 101 ff.
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
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als solche entstehe dem Vermieter jedoch kein Schaden, so dass auch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung nicht in Betracht kämen. 173 Bei diesen Überlegungen wird übersehen, dass bis zur Kenntnis des Vermieters von der Untervermietung und damit bis zu einer möglichen fristlosen Kündigung oder Unterlassungklage die Untervermietung bereits einen erheblichen Zeitraum bestanden haben kann. Die während dieser Zeit durch die Missachtung der Entscheidungsbefugnis des Vermieters erzielten Vermögensvorteile dem Mieter zu belassen und ihn dadurch umso mehr zu belohnen, je besser es ihm gelingt, sein Handeln vor dem Vermieter geheimzuhalten, erscheint keinesfalls gerechtfertigt. Insgesamt spricht daher alles dafür, den Mieter im Falle der unberechtigten Untervermietung nicht anders zu behandeln als bei anderen Eingriffen in den Zuweisungsgehalt des Vermietereigentums. Der Vermieter hat somit dem Grunde nach einen Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB. Fraglich kann nur sein, in welcher Höhe der Kondiktionsanspruch besteht. Die Bereicherung des Mieters besteht nicht in den erzielten Einnahmen aus der Untervermietung, sondern in den ersparten Aufwendungen zur Erlangung der Zustimmung des Vermieters, da Gegenstand des Eingriffs die Entscheidungsbefugnis des Vermieters über die Untervermietung ist. 174 Wäre der Vermieter nur gegen Zahlung einer höheren Miete bereit gewesen, die Untervermietung zu erlauben, so ist der Mieter um den erhöhten Mietzins für den betreffenden Zeitraum bereichert. Es kann daher nur um eine angemessene Erhöhung des Mietzinses gehen, für die sich in § 549 Abs. 2 S. 2 BGB a. F. (vgl. §553 Abs. 2 BGB n.F.) inzwischen ein gesetzlicher Anhaltspunkt findet 175 und deren Umfang das Gericht gegebenenfalls nach §287 ZPO zu schätzen hat. In diesem Zusammenhang stellt sich das weitere Problem, ob der Mieter nicht zumindest einwenden kann, dass der Vermieter möglicherweise von vornherein nicht bereit gewesen wäre, seine Zustimmung zur Untervermietung zu erteilen. In diesem Sinne ist in der Tat vorgebracht worden, dass eine auf einen „fiktiven Mietzuschlag" gerichtete Eingriffskondiktion schon deswegen ausscheiden müsse, weil sie auf die Fiktion eines Vertrages nach § 549 Abs. 2 BGB a. F. (§ 553 BGB n. F.) über einen erhöhten Mietzins hinauslaufe, wenn feststehe, dass eine solche Abrede ohnehin nicht zustandegekommen
BGHZ 131, 297 (307) = N J W 1996, 838 (840). Das Gleiche muss bei analoger Anwendung von § 816 Abs. 1 S. 1 BGB gelten, so dass es insoweit nicht auf den Streit um den unterschiedlichen Haftungsumfang nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., 818 Abs. 2 BGB einerseits und §816 Abs. 1 S. 1 BGB andererseits (vgl. MünchKomm/Lieb, § 816, Rn. 27 ff.; Koppensteiner/Kramer, S. 155 ff.; Emmerich, SchuldR-BT, § 17, Rn. 27) ankommt. 175 Ebenso Diederichsen, N J W 1964, 2296 f.; Erman/H. P. Westermann, §812, Rn.71; Münch Komm/Lieb, §812, Rn.221; Gebauer, Jura 1998, 128 (133); Theuffel, JuS 1997, 886 (888). 173
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
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Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
wäre. 1 7 6 Mit diesem Argument wird unmittelbar an die aus dem Bereich des Rechts am eigenen Bild stammende „Herrenreiter"-Doktrin des BGH angeknüpft. Die Rechtsprechung hat hier wiederholt darauf verwiesen, dass die Bemessung des zu ersetzenden Schadens nach dem Entgelt, das bei Abschluss einer Vereinbarung vermutlich zu entrichten gewesen wäre, dann nicht in Betracht komme, wenn feststehe, dass der Abgebildete die Verwendung seines Bildes aus besonderen Gründen keinesfalls gestattet, also auch nicht quasi die erfolgte unbefugte Verwertung seines Bildnisses genehmigt hätte. 177 Zu beachten ist indessen, dass sich die in diesem Sinne äußernden Urteile in erster Linie mit Schadensersatzansprüchen befassen. Daher ist bereits fraglich, ob dieser Grundsatz überhaupt auf Bereicherungsansprüche übertragbar ist. 178 Der Hinweis des BGH in der „Herrenreiter"-Entscheidung, dass ein Bereicherungsanspruch nicht gegeben sei, weil „der Kläger eine vermögensrechtliche Benachteiligung nicht erfahren hat und demzufolge auch eine Vermögensverschiebung als Voraussetzung der in §§812 ff. BGB normierten Ansprüche nicht gegeben" sei, 179 wird heute allgemein als unzutreffend angesehen. Die Vorstellung, dass der Bereicherung des Schuldners eine Entreicherung des Gläubigers entsprechen müsse gilt inzwischen zu Recht als überholt 180 - es geht um Bereicherungsrecht und nicht um Entreicherungsrecht. 181 Unabhängig davon ist die „Herrenreiter"-Doktrin ohnehin nicht überzeugend, weil es bei dem Abstellen auf eine angemessene Lizenzgebühr allein um eine Berechnungsmethode zur Feststellung des Nutzungswertes geht, nicht jedoch darum, im Sinne einer nachträglichen Fiktion der Genehmigung eine Art vertragliches Verhältnis herzustellen. 182 Richtiger Ansicht nach kommt es daher bei Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht nicht darauf an, ob der Betroffene sein Persönlichkeitsrecht selbst hätte nutzen wollen. 183
LG Hildesheim, WuM 1990, 341 (342). BGHZ 26, 349 (353) = NJW 1958, 827 (829) - „Herrenreiter"; BGHZ 30, 7(17) = NJW 1959, 1269 (1272) - „Caterina Valente"; BGHZ 35, 363 (366) = NJW 1961, 2059 (2060) „Ginseng-Wurzel". 178 Dafür OLG Stuttgart, NJW 1983, 1203 (1204); in diesem Sinne wohl auch BGH, N J W 1979, 2205 (2206); dagegen OLG München, ZUM 1996,160 (162). 179 BGHZ 26, 349 (353 f. - insoweit nicht in NJW 1958, 827) - „Herrenreiter". 180 Koppensteiner/Kramer, S. 84; Loewenheim, S. 96; Canaris, in: FS f. Deutsch, S. 85 (89 f.); Ehmann, JuS 1997,193 (202); H ü f f e r , JuS 1981,263 (264); Vollkommer, in: FS f. Leisner, S. 599 (606). 181 So die griffige Formel bei Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 2 (S. 79). 182 So zutreffend OLG München, ZUM 1996, 160 (162); Gotting, Persönlichkeitsrechte, S. 54 ff.; Gerstenberg/Gotting, in: Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl. 1999, § 60 UrhG/§§ 33-50 KUG, Rn. 6. 183 OLG Hamburg, AfP 1983, 282 (283); Möhring/Nicolini/Gass, UrhG, 2. Aufl. 2000, §60 Anh. §22 KUG, Rn.54; MünchKomm/Schwerdtner, § 12, Rn. 299; MünchKomm/Lieb, § 812, Rn. 219; Schlechtriem, in: FS f. Hefermehl, S. 445 (463). 176 177
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
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Aus dem gleichen Grunde kann es dann auch bei einem Eingriff in die Entscheidungsbefugnis des Eigentümers nach § 540 Abs. 1 BGB nicht darauf ankommen, ob der Vermieter die Zustimmung erteilt hätte oder nicht. bb) Die unberechtigte
Untervermietung
durch den
Zweitmieter
Steht danach fest, dass der Eigentümer und Vermieter bereicherungsrechtliche Ansprüche gegen den Mieter geltend machen kann, bleibt zu untersuchen, wie sich die herausgearbeiteten Grundsätze auf den Fall auswirken, dass der Vermieter nicht zugleich Eigentümer der Mietsache ist, wie etwa bei der Unter-Untermiete. Hat der Hauptvermieter und Eigentümer dem Erstmieter die Erlaubnis zur Untervermietung erteilt, so erstreckt sich diese Gestattung auch auf weitere Untervermietungen, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben. 184 Der Untermieter bedarf dann seinerseits zur Unter-Untervermietung nach § 540 Abs. 1 BGB der Erlaubnis seines Vermieters, also des Erstmieters, nicht dagegen des Hauptvermieters. 185 Daraus folgt, dass die Entscheidungsbefugnis über die weitere Untervermietung dem Erstmieter im Rahmen des mit dem Hauptvermieter und Eigentümer geschlossenen Vertrages übertragen und dadurch zugewiesen worden ist. Der Untermieter greift dann in diese Dispositionsbefugnis des Erstmieters ein, wenn er ohne dessen Erlaubnis an einen Vierten weitervermietet. Dem Erstmieter steht daher, wie dem Eigentümer und Vermieter im Ausgangsfall, ein Anspruch auf erhöhten Mietzins nach §§ 812 Abs. 1 S. 1,2. Alt., 818 Abs. 2 BGB gegen den Untermieter zu. Der Eigentümer und Hauptvermieter hat allerdings auch die Möglichkeit, seine Erlaubnis zur Untervermietung gegenüber dem Erstmieter auf die erste Untervermietung zu begrenzen. Der Erstmieter ist dann nicht befugt, dem Untermieter die weitere Untervermietung zu gestatten. Uber die weitere U n tervermietung zu entscheiden bleibt dann als Ausfluss des Eigentumsrechts des Hauptvermieters diesem weiterhin zugewiesen, § 903 S. 1 BGB. Hält sich der Erstmieter an diese Beschränkung, vermietet aber der Untermieter eigenmächtig an einen Vierten weiter, so steht der Bereicherungsanspruch dem Hauptvermieter unmittelbar gegen den Untermieter zu, da dieser in die dem Hauptvermieter verbliebene Entscheidungsbefugnis eingegriffen hat. Dieser Kondiktionsanspruch ist auch nicht subsidiär gegenüber der Leistungsbeziehung des Erstmieters zum Untermieter, da sich die dem Untermieter durch Leistung des Erstmieters eingeräumte Nutzungsbefugnis nicht auf eine weitere Untervermietung erstreckt. Der Erstmieter und Untervermieter kann 184 Heintzmann, N J W 1994, 1177 (1179); Soergel/Heintzmann, Hamm, N J W - R R 1992, 783. 185 Soergel/Heintzmann, § 549, Rn. 25.
§549, Rn. 8; a.A. OLG
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
hier keinen eigenen Kondiktionsanspruch haben, weil ihm die Entscheidungsbefugnis durch die Beschränkung auf eine erste Untervermietung nicht eingeräumt worden ist. Hält sich der Erstmieter dagegen nicht an die vorgegebene Beschränkung und erlaubt er dem Untermieter die Unter-Untervermietung, dann greift der Erstmieter dadurch in die Entscheidungskompetenz des Hauptvermieters ein und ist ihm daher nach §§812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., 818 Abs. 2 BGB zur Herausgabe der Bereicherung verpflichtet. Ein Anspruch gegen den Untermieter besteht hier nicht.
3. Das Recht auf Besitz Die ganz überwiegende Auffassung gewährt die Eingriffskondiktion nur demjenigen Besitzberechtigten, der sich zum Zeitpunkt des Eingriffs bereits im Besitz der Sache befunden hat. Hatte der Betreffende dagegen nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Ubergabe, ohne die tatsächliche Sachherrschaft auszuüben, so wird dieser Position als so genanntem Verschaffungsanspruch nach allgemeiner Meinung der erforderliche Zuweisungsgehalt abgesprochen. 186 Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass eine schuldrechtliche Verpflichtung in Bezug auf einen Gegenstand dessen Zugehörigkeit zum Vermögen des Schuldners noch nicht verändere. Zur Stützung dieser These wird darauf verwiesen, dass die aus Eingriffen Dritter resultierenden Ersatzansprüche nicht dem Gläubiger des Herausgabeanspruchs, sondern dessen Schuldner als dem Noch-Berechtigten zustünden; ob der Gläubiger die Entschädigungsleistung des Dritten oder den Anspruch seines Schuldners gegen den Dritten verlangen kann, bestimme sich nur nach den Vorschriften des Schuldrechts über die Rechtsfolgen aus vertraglichen Leistungsstörungen. 187 Wolle man anders entscheiden, müsse man außerdem z.B. auch dem Käufer einer Sache einen Anspruch gegen einen anderen Käufer zubilligen, der die Sache vom Schuldner (fahrlässig) erwirbt; dies würde jedoch die Wettbewerbsfreiheit der übrigen Marktteilnehmer unzumutbar beeinträchtigen 188 und § 281 BGB a. F. (§ 285 BGB n. F.) überflüssig machen. 189 Lehnt man die Konstruktion des schuldrechtlichen Rechts zum Besitz als relatives Herrschaftsrecht wegen seines systemsprengenden Charakters ab und begreift man stattdessen die schuldrechtliche Forderung auf Überlassung und Belassung des Besitzes als die Grundlage für den bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt, wie dies oben vorgeschlagen wurde, so muss man auch die Frage beantworten, ob dies nicht auch schon vor Übergabe der Sache 186 187 188 189
BGH, NJW 1987, 771. BGH, NJW 1987, 771. Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, § 50 I 1 f (S. 77 f.). Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 63 (aus dem Blickwinkel des Deliktsrechts).
C. Der Besitz als Objekt der
Eingriffskondiktion
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gelten muss, mit der Folge, dass die allgemein akzeptierte Grenze zu den Verschaffungsansprüchen überschritten wird. Eine nähere Betrachtung des Problems zeigt allerdings, dass der hier gewählte Weg keineswegs zu dieser Konsequenz führt. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Anknüpfung an die Übergabe im Ergebnis durchaus die sachgerechte Abgrenzung der Eingriffskondiktion gewährleistet. Dabei sind jedoch nicht so sehr die soeben wiedergegebenen Bedenken der herrschenden Auffassung von ausschlaggebender Bedeutung, als vielmehr das Interesse aller Beteiligten an der Klarheit und Erkennbarkeit der Vermögensverhältnisse. Die Schwierigkeit der Konkretisierung des Zuweisungsgehalts stellt sich im vorliegenden Zusammenhang anders als bei den üblicherweise diskutierten Grenzfragen der Eingriffskondiktion. Während es dort, wie etwa bei Wettbewerbsverstößen, beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht darum geht, ob diese Positionen überhaupt einer Person bereicherungsrechtlich zugeordnet sein können, steht beim Zugriff auf den Besitz an einer Sache durch einen Dritten fest, dass in einen Vermögensbestandteil eingegriffen wird, es stellt sich nur die Frage, wem der betroffene Vermögensgegenstand zuzuordnen ist. Wird etwa ein vermietetes Fahrzeug noch vor Ubergabe an den Mieter beim Vermieter gestohlen, so ist zu klären, inwieweit neben dem Vermieter als Eigentümer ein eigener Kondiktionsanspruch des Mieters denkbar ist. Es geht hier im Grunde um das Problem, ein Kriterium zu bestimmen, das den Übergang des Besitzes vom Vermögen des Vermieters zum Vermögen des Mieters festlegt. Die sicherste Grenzziehung ermöglicht ohne Zweifel der Übergang der tatsächlichen Sachherrschaft. Ebenso wie beim Eigentum als Vermögensgegenstand auf die Vollendung der Übereignung abzustellen ist, ist für den Besitz der Wechsel in eine andere Vermögenssphäre durch die Überlassung der tatsächlichen Sachherrschaft markiert. An diesem Kriterium ist festzuhalten, soweit andere, vorgelagerte Merkmale keinen früheren Vermögensübergang unter Wahrung der Interessen der Beteiligten ermöglichen. Das bloße Entstehen des schuldrechtlichen Besitzrechts wird man dafür allerdings schon deswegen nicht ausreichen lassen können, weil sonst durch das Bereicherungsrecht das vertragliche Gefüge der Rechte und Pflichten zwischen den Parteien überspielt würde. So könnte der Mieter durch die Eingriffskondiktion die Sache unmittelbar vom Dieb beschaffen und dadurch ein etwa bestehendes Zurückbehaltungsrecht des Vermieters umgehen. Man könnte aber daran denken, als relevantes Kriterium auf den Zeitpunkt der uneingeschränkten Leistungspflicht des Besitzschuldners abzustellen, um der vertraglichen Pflichtenbeziehung der Parteien ausreichend Rechnung zu tragen. Erst wenn der Anspruch auf Besitzverschaffung an einer bestimmten Sache fällig ist und dem Schuldner keinerlei Gegenrechte mehr zustehen, wäre es danach gerechtfertigt, den Besitz an der Sache vermögensmäßig nunmehr
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
dem Gläubiger zuzurechnen, da er von jetzt an dem Schuldner nicht mehr gebührt. Ist beispielsweise ein individuell bestimmtes Fahrzeug für einen kalendermäßig festgelegten Zeitraum vermietet und hat der Mieter den Mietzins vorgeleistet 190 und steht dem Vermieter auch sonst kein Leistungsverweigerungsrecht zu, so gebührt dem Mieter mit Beginn des vereinbarten Zeitraums der Besitz an der Sache. Die Zuordnung würde sich hier vom Vermögen des Schuldners auf das des Gläubigers verschieben, weil der Schuldner nun für den vertraglich vorgesehenen Zeitraum kein schutzwürdiges Interesse mehr an der Wiedererlangung der Sache und an einem Nutzungsersatz hat. 191 Für diesen Zuordnungswechsel ließe sich auch § 285 BGB ins Felde führen. Soweit dem Vermieter die eigene Leistung durch den Eingriff des Dritten unmöglich wird, soll er den daraus resultierenden Ersatzanspruch gegen den Dritten nicht behalten dürfen, sondern an den Mieter herausgeben müssen. Durch einen direkten Kondiktionsanspruch des Mieters würde §285 BGB auch keineswegs überflüssig, da konkurrierende Ansprüche des Vermieters gegen den Dritten oder auch gegen andere, etwa bei Versicherungsleistungen, bestehen können. Zwar könnte man dagegen einwenden, dass § 285 BGB grundsätzlich allein die interne Vertragsbeziehung der Parteien regele und daher keine Aussage über einen direkten Zugriff des Gläubigers gegen den Dritten enthalte. Jedoch lässt sich der Norm immerhin eine Entscheidung dafür entnehmen, dass dem Gläubiger im Ergebnis der Ersatzanspruch vermögensmäßig als Surrogat der geschuldeten Leistung zugeordnet sein soll. Den Gläubiger in dieser Situation von der direkten Kondiktion auszuschließen und ihn auf die Auseinandersetzung innerhalb der Vertragsbeziehung mit dem Schuldner zu verweisen bestünde nur dann Anlass, wenn andernfalls schützenswerte Interessen des Schuldners oder des Dritten verletzt würden. Dass dies in Bezug auf den Schuldner nicht der Fall ist, wird dadurch gewährleistet, dass die vermögensmäßige Zuordnung nach den vorstehenden Ausführungen erst bejaht wird, wenn dem Schuldner keine Gegenrechte mehr zustehen, die ihm die Leistungsverweigerung gegenüber dem Gläubiger ermöglichen. Die Interessen des Dritten können dagegen in unterschiedlicher Weise berührt sein. Soweit es darum geht, dass der Dritte aufgrund seines Eingriffs überhaupt einem Kondiktionsanspruch ausgesetzt ist, ist er allerdings nicht schutzwürdig, da er ohne die Vermietung einem entsprechenden Bereicherungsanspruch des Vermieters ausgesetzt gewesen wäre. Ein etwaiges Vertrauen, gerade nur demjenigen bereicherungsrechtlich verpflichtet zu sein, in dessen räumlicher Sphäre sich die Sache bei dem Eingriff befunden hat, ist gleichfalls nicht schützenswert, weil dieser Umstand nichts über die vermö190 Dem stünde es gleich, wenn sich der Vermieter durch Vereinbarung der Abrechnung nach Ablauf der Mietzeit zur Vorleistung verpflichtet hätte. 191 Davon unberührt bleibt der Vindikationsanspruch des Eigentümers gegenüber dem Dritten.
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Eingriffskondiktion
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gensmäßige Zuordnung oder auch nur über die Eigentumslage aussagt. Anders ist die Situation freilich, wenn der Dritte nicht autonom auf die Sache eingewirkt hat, sondern den Besitz beispielsweise vom Vermieter im Falle der vertragswidrigen Zweitvermietung oder -Veräußerung erhalten hat. Das legitime Interesse des Dritten, hier nicht einem unmittelbaren Zugriff weiterer Gläubiger des Vermieters ausgesetzt zu sein, deren Kreis der Dritte keinesfalls übersehen kann, wird allerdings bereits dadurch gewahrt, dass das Leistungsverhältnis des Vermieters zum Dritten der Eingriffskondiktion des Mieters vorgeht. Gleichwohl wird man diesen Weg nicht konsequent zu Ende gehen können. Denn wenn man auf die uneingeschränkte vertragliche Leistungspflicht als Kriterium für den Vermögensübergang abstellt, müsste dies dazu führen, dass sich z.B. bei nachträglichem Entstehen eines Zurückbehaltungsrechts die einmal vollzogene Zuordnung zum Vermögen des Gläubigers wieder rückgängig machen müsste, da sonst wiederum ein Eingriff in das Vertragsgefüge zu befürchten wäre. Ein möglicher mehrfacher Vermögenswechsel in Abhängigkeit von schuldrechtlichen Rechten und Gegenrechten, deren Berechtigung noch dazu häufig genug zwischen den Parteien umstritten sein kann, lässt sich jedoch nur schwer mit dem Interesse der Parteien und Dritter an einer klaren Vermögenszuordnung vereinbaren. Hinzu kommt das Problem der möglichen Vervielfachung schuldrechtlicher Besitzpositionen. Schuldrechtliche Rechte können, im Gegensatz zu dinglichen Rechten, an derselben Sache und auf gleicher Ebene in beliebiger Zahl geschaffen werden, auch wenn der Schuldner sich dadurch entsprechend oft schadensersatzpflichtig zu machen droht. Beim Abstellen auf die uneingeschränkte vertragliche Leistungspflicht könnte dies zur Folge haben, dass der Besitz an derselben Sache gleichzeitig mehreren Personen vermögensmäßig zugeordnet wäre, mit denen der Schuldner inhaltsgleiche Verträge geschlossen hat. Dies wäre jedoch logisch nicht denkbar, weil dann jedem der Alleinbesitz an der Sache zugeordnet wäre. In diesen Fällen würde sich zudem ein Dritter, der sich der Sache beim Schuldner bemächtigt, einer Vielzahl von Bereicherungsgläubigern ausgesetzt sehen, ohne dieses Risiko steuern zu können. Dieser letztgenannte Aspekt weist jedoch bereits den Weg zur Bewältigung der Problematik. Das Dilemma des Dritteingreifers ist die Folge des Umstandes, dass auf der Ebene der schuldrechtlichen Beziehungen der jeweiligen Gläubiger zum Schuldner mangels Ubergabe der Sache noch nicht entschieden ist, welcher Gläubiger in den Genuss der Erfüllung gelangt. In gleicher Weise muss daher dem Besitz auch auf der Ebene des Bereicherungsrechts die Aufgabe zukommen, den Konflikt zwischen mehreren potenziellen Bereicherungsgläubigern zu lösen. Dem Besitz kommt damit eine Begrenzungsfunktion zu. Soweit die Ubergabe als Teil einer geschuldeten Ubereignung erfolgt, tritt diese Begrenzungsfunktion nicht selbständig hervor, da mit dem erwor-
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
benen Eigentum ein absolutes Recht gegeben ist, das ohne weiteres als bereicherungsrechtliches Eingriffsobjekt anerkannt wird. Hat die Ubergabe jedoch kein absolutes Recht des Empfängers zur Folge, wie bei dem Vollzug eines Mietvertrages, dann wird deutlich, dass dadurch diejenige Person individualisiert wird, der aufgrund einer schuldrechtlichen Zuordnung der Besitz als Vermögen gebührt. Die von der herrschenden Ansicht vorgenommene Grenzziehung zwischen den schutzlosen Verschaffungsansprüchen und dem berechtigten Besitz erweist sich damit im Ergebnis als zutreffend. Der bloße Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages bewirkt keine vermögensmäßige Zuordnung entgegen der sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung. Dem im Besitz befindlichen schuldrechtlich Berechtigten ist dagegen die Eingriffskondiktion eröffnet. Grundlage des erforderlichen Zuweisungsgehalts beim obligatorischen Recht zum Besitz ist jedoch die schuldrechtliche Forderung auf Überlassung der Sache.
4. Zuweisungsgehalt
ohne Recht zum Besitz?
In bestimmten eigenartigen Konstellationen kann sich die Frage stellen, ob die Position des Besitzers diesem Bereicherungsansprüche gegen Dritte verschafft, obwohl dem Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft kein Recht zum Besitz zusteht. Hier ist zunächst an die Lage des gutgläubigen nichtberechtigten Besitzers zu denken. Dieser braucht nach § 993 Abs. 1 B G B die gezogenen Nutzungen nicht an den Eigentümer herauszugeben, soweit er unverklagt ist, § 987 B G B , und den Besitz weder deliktisch, § 992 B G B , noch unentgeltlich, § 988 B G B , erlangt hat. Dies gilt nach § 991 Abs. 1 B G B sogar für den unverklagten bösgläubigen Fremdbesitzer, solange der mittelbare Besitzer seinerseits gutgläubig und unverklagt ist. Daraus wird zum Teil die Konsequenz gezogen, dass dem unberechtigten Besitzer für die Zeit, in der er selbst nicht zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet ist, seinerseits im Wege der Eingriffskondiktion gegen Dritte vorgehen könne, die Nutzungen aus der Sache gezogen haben. 1 9 2 Diese Argumentation überzeugt indessen nicht, weil sie den Umfang der durch die Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses dem unberechtigten Besitzer eingeräumten Vorteile überschätzt. § 993 Abs. 1 B G B will dem gutgläubigen Besitzer allein die von ihm tatsächlich gezogenen Nutzungen belassen. Die bloße Aussicht des Besitzers, bis zum Eintritt seiner Bösgläubigkeit weitere Nutzungen ziehen zu können, die er dann nicht herauszugeben hätte, ist jedoch völlig unsicher, da seine privilegierte Stellung durch den Verlust seiner Gutgläubigkeit jederzeit beendet werden kann. Die Möglichkeit des Besit192 Rümker, S. 83 f., im Anschluss an seinen Lehrer Medicus, der in AcP 165 (1965), 115 (121) diese Position für das Deliktsrecht entwickelt hat.
C. Der Besitz als Objekt
der
Eingriffskondiktion
251
zers, bis dahin noch weitere Nutzungen ziehen zu können, ist daher lediglich eine Chance oder Hoffnung, die ihm diese Nutzungen bereicherungsrechtlich noch nicht zuweist. Der Umstand, dass ein anderer diese Nutzungen noch vor dem Eintritt der Bösgläubigkeit des Besitzers erlangt hat, kann aber der Nutzziehung durch den Besitzer selbst nicht gleichgestellt werden, da der Dritte unabhängig vom Besitzer handelt. Dem gutgläubigen Besitzer steht daher in diesen Fällen kein Anspruch aus Eingriffskondiktion zu. 193 Der zweite Bereich, in dem ein Zuweisungsgehalt ohne ein Recht zum Besitz für den Inhaber der Sache diskutiert wird, ist die Rechtslage bezüglich gezogener Sachfrüchte. Nach § 955 B G B erwirbt der gutgläubige Eigenbesitzer mit der Trennung das Eigentum an den Erzeugnissen und sonstigen Früchten der Sache. Soweit dem Eigenbesitzer kein dingliches Recht an der Muttersache zusteht oder ein Schuldverhältnis mit dem Berechtigten der Muttersache ihm die Früchte zuordnet, ist der Eigenbesitzer nach §§ 987,989,992, 823,249 B G B verpflichtet, die in sein Eigentum gelangten Früchte an den Berechtigten der Muttersache zu übereignen. Zieht ein Dritter unbefugt Früchte und verbraucht diese oder verwendet er sie anderweitig für sich, wird ebenfalls eine Eingriffskondiktion des Eigenbesitzers gegen den Dritten bejaht. 194 Dieses durchaus zutreffende Ergebnis hat indessen nichts mit der Stellung des Kondiktionsgläubigers als unberechtigtem Besitzer zu tun, sondern folgt aus dem Umstand, dass der Besitzer nach § 955 B G B mit der Trennung vollgültiges Eigentum an den Früchten erworben hat. Der Eigenbesitzer kann daher, wie jeder andere Eigentümer auch, von dem Eingreifer die Herausgabe der widerrechtlich gezogenen Früchte oder Wertersatz nach § 818 Abs. 2 B G B verlangen. Dagegen will Kurz in diesen Fällen dem Besitzer einen Kondiktionsanspruch versagen. Der Eigenbesitzer habe zwar die tatsächliche Möglichkeit, einen Rechtserwerb zu vollenden, die §§ 955 ff. B G B besagten aber nicht, dass er auch berechtigt sei, die Nutzungen zu ziehen und das Eigentum zu erwerben. Diese Erwerbsaussichten hätten (nur) dann eigentumsähnlichen Charakter, wenn ihr Inhalt besagen würde, dass der Besitzer jeweils zur Nutzung berechtigt ist, denn wer eine Sache nutzen darf, dem sei auch der Besitz zugewiesen. Da dies aber hier nicht der Fall sei, könne diese Position bereicherungsrechtlich nicht berücksichtigt werden. 195 Kurz übersieht indessen, dass es hier nicht nur um Erwerbsaussichten geht, sondern dass der Eigenbesitzer im Moment der Trennung der Früchte an ihnen vollgültiges Eigentum erwirbt. Wenn sie in dieser Situation das Eigentum und damit sozusagen den Prototyp des subjektiven Rechts mit Zuweisungsgehalt bereicherungsrechtlich nicht ausreichen lassen will, so nur deshalb, weil der Eigenbesitzer im Innenverhältnis zum Be-
193 194 195
Im Ergebnis ebenso Kurz, S. 60. Rümker, S. 84. Kurz, S. 62 f.
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
rechtigten an der Muttersache seinerseits zur Übereignung der Früchte nach §§ 987, 989, 992, 823, 249 B G B verpflichtet ist. Die Verpflichtung zur Weitergabe der Früchte begründet daher für Kurz die Zuweisung dieser Rechtsgüter an den Berechtigten der Muttersache. Eine solche Zuweisung aufgrund schuldrechtlicher Berechtigung entgegen der eigentumsmäßigen Zuordnung ist jedoch abzulehnen, weil dadurch die Grenze zu den bereicherungsrechtlich nicht geschützten schlichten Verschaffungsansprüchen überschritten würde. Schließlich sind die Fälle näher zu beleuchten, in denen dem unberechtigten Besitzer ein Zurückbehaltungsrecht nach §§273 und 1000 B G B zusteht. Dass sich aus einem solchen Recht zur Zurückhaltung als schlichtem Druckmittel zur Durchsetzung eines Gegenanspruchs noch kein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B ergibt, wurde bereits erörtert. 196 Unabhängig davon will Kurz dem Zurückbehaltungsberechtigten die Eingriffskondiktion gestatten, wenn ihm die Sache von dritter Seite entzogen wird. 197 Immerhin ergebe sich aus § 273 Abs. 2 BGB, dass der Berechtigte eine fremde Sache zurückbehalten dürfe. Obwohl sich das Zurückbehaltungsrecht nicht auf die Sache selbst beziehe und kein Herrschaftsrecht über diese gewähre, sich vielmehr nur gegen den Kläger richte, dürfe der Berechtigte die Sache haben. Als positive Befugnis sei aber nicht nur ein Nutzungsrecht, sondern auch das Recht zum Haben bereicherungsrechtlich entscheidend. Da gemäß §§273, 1000 B G B der Besitzer zum Haben nur unter der Bedingung berechtigt sei, dass der Kläger seine Ansprüche nicht befriedigt, sei insoweit ein Sachentzug bereicherungsrechtlich zu schützen. Diese Auffassung vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Es bleibt unklar, was tatsächlich Grundlage des erforderlichen bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalts sein soll, wenn dem Besitzer ein Recht zum Besitz gerade fehlt. Dass das „gebrauchslose Haben" des Zurückbehaltungsberechtigten keine eigenständige Besitzfunktion mehr erfüllt und im Grunde nur ein prozessuales Druckmittel zur Durchsetzung anderweitiger Ansprüche darstellt, wurde bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt. 198 Die Rechtsordnung weist dem Besitzer daher allein die Befugnis zu, die Zurückhaltung der Sache als faktisches Druckmittel einzusetzen, solange sich der Besitzer tatsächlich noch in der faktischen Sachherrschaft über den Gegenstand befindet. Dies zeigt sich auch in dem Umstand, dass er das Zurückbehaltungsrecht einbüßt, sobald er den Besitz, egal auf welche Weise, verliert. Er mag dann über § 861 B G B oder § 1007 Abs. 1, Abs. 2 B G B wieder in den Besitz gelangen und sein Zurückbehaltungsrecht erneut ausüben, eine bereicherungsrechtlich zugewiesene Vermögensposition ist damit jedoch nicht verbunden. 196 197 198
Dazu oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. III. 3. (S. 106 ff.). Kurz, S. 63. Oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. III. 3. (S. 106 ff.).
D. Inhalt des
253
Bereicherungsanspruchs
Diese Beurteilung ändert sich auch nicht, wenn der Besitzer das Befriedigungsrecht nach § 1003 BGB erlangt. 199 Dieses Befriedigungsrecht verschafft dem Besitzer lediglich eine zusätzliche faktische Möglichkeit, seinen Anspruch gegen den Eigentümer durchzusetzen. Das Befriedigungsrecht erlischt außerdem, sobald der Eigentümer die Verwendungen genehmigt. 200 Dadurch ist dem Besitzer noch keineswegs der Substanzwert der Sache - in Höhe seiner Verwendungsansprüche - zugewiesen, sondern lediglich ein faktischer Weg eröffnet, seine Forderung abzudecken, ohne rechtswidrig in das Eigentum des Verwendungsschuldners einzugreifen.
D. Inhalt des
Bereicherungsanspruchs
Bei der Leistungskondiktion ist der Bereicherungsanspruch auf die Wiedereinräumung der tatsächlichen Sachherrschaft, also auf Herausgabe der Sache selbst gerichtet. Für gezogene Nutzungen hat der Empfänger nach §§ 818 Abs. 1, Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Bei der Eingriffskondiktion muss sich der Umfang des Bereicherungsanspruchs strikt nach Inhalt und Reichweite der Besitzberechtigung richten, die dem Gläubiger den erforderlichen Zuweisungsgehalt vermittelt. Daraus folgt zum Beispiel, dass der Mieter die Rückgabe der Mietsache an sich selbst nur verlangen kann, solange er seinerseits gegenüber dem Vermieter zum Besitz berechtigt ist. Nach Ablauf der vertraglichen Mietzeit kann dagegen allein der Vermieter aufgrund seines Eigentums die Sache von dem Dritten herausverlangen. Ebenso stehen dem Besitzberechtigten keine Ansprüche bei Eingriffen in die Sachsubstanz zu, etwa bei Veräußerung der Sache, weil dazu allein der Eigentümer selbst befugt ist. Die von dem Eingreifer gezogenen Nutzungen sind nur in dem Umfang an den Berechtigten herauszugeben, in dem sie von dem Besitzrecht des Besitzers umfasst waren. Wird beispielsweise unbefugt die Seitenwand des von M gemieteten Hauses als Reklamefläche benutzt, 201 so hängt der Anspruch des M auf angemessene Entschädigung für die unberechtigte Nutzung davon ab, ob M seinerseits nach dem Mietvertrag selbst berechtigt gewesen wäre, die Wand für Reklamezwecke zu nutzen oder von Dritten nutzen zu lassen. Aus dem gleichen Grunde führt die unberechtigte Unter-Untervermietung nicht zu einem Kondiktionsanspruch des Mieters, sondern des Eigentümers, wenn dieser lediglich die einfache Untervermietung zugelassen hatte. 202 Eine weitere Einschränkung der Verpflichtung zur Herausgabe gezogener Nutzungen wird man aus einem Vergleich mit dem Eigentümer-Besitzer-Ver199 200 201 202
A. A. Rümker, S. 85. Dazu oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. III. 3. c (S. 111 f.). So der Beispielsfall nach Baur/Stürner, § 9, Rn. 39; Rümker, Dazu im Einzelnen oben, unter C. II. 2. b bb (S. 245).
S. 83.
254
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 3. Kapitel: Der Besitzschutz im
Bereicherungsrecht
hältnis schließen müssen. Anerkanntermaßen enthalten die §§ 987 ff. B G B eine Privilegierung des gutgläubigen, unverklagten nicht besitzberechtigten Besitzers, als dieser die bereits gezogenen gewöhnlichen Nutzungen nicht herauszugeben hat, § 993 Abs. 1 BGB. Durch den nach herrschender Auffassung203 grundsätzlich geltenden Vorrang der §§ 987 ff. BGB vor den §§ 812 ff. B G B wird dieses Privileg auch im Anwendungsbereich des Bereicherungsrechts gewahrt. Im Verhältnis des Eingreifenden zum bloß berechtigten Besitzer würde dieser Vorrang mangels eines Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses dagegen nicht gelten. Da jedoch kaum erklärbar ist, wieso dem berechtigten Besitzer in weiterem Umfang ein Recht auf Nutzungsherausgabe zustehen soll als dem Eigentümer, wird man die Wertung des § 993 Abs. 1 B G B hier in das Bereicherungsrecht hineinzuziehen haben, so dass der Eingreifende auch gegenüber dem berechtigten Besitzer nur auf die Ubermaßfrüchte haftet. 204 Dass der Wert des Besitzes bzw. der aus ihm gezogenen Nutzungen im Allgemeinen nicht leicht zu ermitteln ist, hatte schon Bruns dargelegt.205 Dies ist jedoch noch kein Grund, dem Besitz als solchem jeglichen Vermögenswert abzusprechen.206 Soweit für den konkreten Gegenstand kein Markt für kurzfristige Gebrauchsüberlassung, etwa wie bei Fahrzeugen oder Computern, besteht, wird man den Wert nach § 287 ZPO zu schätzen haben.
E. Konkurrierende
Herausgabeansprüche
Der Kondiktionsanspruch des Besitzers kann mit dem Vindikationsanspruch des Eigentümers in Konkurrenz treten, soweit es um die Herausgabe der Sache selbst geht. Es stellt sich dann die Frage nach dem Verhältnis der Herausgabeansprüche zueinander und den Konsequenzen für den Bereicherungsschuldner, wenn er an den einen oder an den anderen die Sache zurückgibt. Diese Problematik kann sich allerdings nur im Fall der Leistungskondiktion ergeben. Hat der Schuldner den Besitz aufgrund einer Eingriffskondiktion auf Kosten des Besitzers erlangt, setzt dies nach den vorstehenden Ausführungen ein Recht zum Besitz des Kondiktionsgläubigers voraus, das Grundlage des für die Eingriffskondiktion erforderlichen Zuweisungsgehalts ist. Besteht aber eine Besitzberechtigung gegenüber dem Eigentümer, so ist nach heute ganz überwiegender Auffassung § 986 Abs. 1 S. 2 B G B entspre-
203 BGH, NJW 1980, 2353 (2354); Baur/Stürner, §11, Rn. 34; Emmerich, Verhältnis der Nebenfolgen, S. 49, Fn. 113, S. 89, Fn. 191; Staudinger/Gursky, vor §§ 987-993, Rn. 35, jeweils m. w. N. 204 Ebenso Kurz, S. 65 f. 205 Bruns, Besitzklagen, S. 191 ff. 206 Dazu bereits oben, unter B. I. (S. 217 ff.).
E. Konkurrierende
Herausgabeansprüche
255
chend anzuwenden, 207 mit der Folge, dass der Eigentümer grundsätzlich ohnehin nur Herausgabe an den Besitzer verlangen kann. Eine Konfliktlage kann hier für den Schuldner von vornherein nicht entstehen. Anders dagegen im Falle der Leistungskondiktion. Hat V beispielsweise eine fremde Sache an K verkauft und übergeben und ist sowohl der Kaufvertrag als auch das Ubereignungsgeschäft nichtig, so sieht sich K nunmehr sowohl der Besitzkondiktion des V nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. B G B als auch der Vindikation des E aus § 985 B G B ausgesetzt. Gibt K die Sache an den Kondiktionsgläubiger heraus, droht ihm die Verpflichtung zum Schadensersatz gegenüber dem Eigentümer nach §§ 989, 990 B G B . Entspricht K dagegen dem Eigentumsherausgabeanspruch, läuft er Gefahr, im Verhältnis zu seinem Vertragspartner bei Berufung auf den eigenen Bereicherungswegfall durch die Saldotheorie auch eine entsprechende Kürzung seines eigenen Bereicherungsanspruchs wegen des gezahlten Kaufpreises zu erleiden. Eine Hinterlegung wird in aller Regel ausscheiden, wenn es sich nicht gerade um Wertpapiere, Kostbarkeiten oder andere hinterlegungsfähige Sachen im Sinne des § 372 B G B handelt; eine Versteigerung nach § 383 Abs. 1 B G B ist nicht möglich, da hierfür Gläubigerverzug vorausgesetzt wird, die Gläubiger hier jedoch jeweils Leistung an sich verlangen. Das Verfahren der Urheberbenennung nach § 76 Z P O hilft vorliegend ebensowenig weiter, weil K sich nicht in einem Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 B G B befindet. Damit hängt die Lösung dieses Konflikts von der umstrittenen Frage ab, in welchem Verhältnis die Gläubigerrechte des Eigentümers und des obligatorisch Herausgabeberechtigten stehen. Ein Teil der, vor allem älteren, Lehre geht davon aus, dass das Recht des Obligationsgläubigers als das stärkere sich stets gegen den Vindikationsanspruch durchsetze. 208 Demgegenüber nimmt die heute überwiegend vertretene Auffassung in Rechtsprechung und Literatur einen prinzipiellen Vorrang des Eigentumsrechts an. 2 0 9 Begründet wird dies mit der Überlegung, dass der Obligationsgläubiger, der gegenüber dem Eigentümer nicht oder nicht mehr zum Besitz berechtigt ist, kein eigenes legitimes Interesse an der Durchsetzung seines Rückgabeanspruchs mehr zustehen könne, da er die Sache seinerseits an den Eigentümer zurückzugeben habe. 2 1 0 Die Herausgabe der Sache an den obligatorisch berechtigten Gläubi207 MünchKomm/Medicus, §986, Rn. 23; Palandt/Bassenge, §986, Rn. 7; Staudinger/ Gursky, § 986, Rn. 42; Westermann/Gursky, § 30 II 3 c (S. 193); Wieling, Sachenrecht I, § 12 I 3 a cc (S. 533 f.); Köhl, S.319; Tiedtke, JZ 1989, 179 (181); a.A. Biermann, §986, Anm. 3 b; Planck/Brodmann, § 986, Anm. 1 b; Raape, JherJb 71 (1922), 97 (177); Diederichsen, S. 32; mit Einschränkung auch Wilhelm, Rn. 1123. 208 v. Tuhr, Band II/2, § 94 IV (S. 579);Josef, LZ 1925,1304 (1308); Denk, JuS 1981, 9. 2 0 9 BGHZ 5, 337 (340) = NJW 1952, 778 (779); BGHZ 73, 321 = NJW 1979,1204; Soergel/ Mühl, § 985, Rn. 25; Staudingerl Gursky, § 985, Rn. 147, § 989, Rn. 18 f.; Waldner, MDR 1979, 811 f.; Raape, JW 1925, 472 f. 210 Waldner, MDR 1979, 811 (812).
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 3. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Bereicherungsrecht
ger sei in dieser Situation außerdem keine Leistung aus dem eigenen Vermögen des Schuldners, sondern eine Vorteilsverschaffung auf fremde Kosten. 211 Folge dieses Vorrangs der Vindikation ist, dass der Schuldner dem Eigentümer bei Rückgabe an den Obligationsgläubiger aus § 989 BGB haftet, wenn dieser dem Eigentümer gegenüber erkennbar kein Recht zum Besitz hatte oder wenn der Schuldner mit dieser Möglichkeit jedenfalls ernsthaft rechnen musste. 212 Dagegen wird umgekehrt bei Herausgabe an den Eigentümer jegliche Pflichtverletzung im Verhältnis zum Obligationsgläubiger verneint, weil die Belastung des Schuldners mit dinglichen Herausgabeansprüchen des Eigentümers in den Verantwortungsbereich des Gläubigers falle. 213 Gegen den prinzipiellen Vorrang der Vindikation vor obligatorischen Rückgabeansprüchen sprechen allerdings strukturelle Argumente wie auch die Interessenlage der Beteiligten. Zunächst stehen der dingliche Herausgabeanspruch aus § 985 BGB und der schuldrechtliche Bereicherungsanspruch grundsätzlich gleichrangig nebeneinander. Im System der subjektiven Rechte kommt dem absoluten Recht des Eigentümers kein genereller Vorrang vor dem relativen Recht des obligatorischen Gläubigers zu. 214 Auch die beteiligten Interessen begründen keine Bevorzugung des Vindikationsanspruchs, sondern unterstreichen umgekehrt gerade die prinzipielle Unabhängigkeit der Herausgabeansprüche voneinander. Der Eigentümer hat zwar ein Interesse an der Ausschaltung des Obligationsgläubigers, um seine Risiken bei der Rückholung der Sache so gering wie möglich zu halten. Dem steht indessen auf der anderen Seite das Interesse des Obligationsgläubigers gegenüber, etwa bestehende Gegenrechte im Innenverhältnis zum Eigentümer nicht dadurch einzubüßen, dass die Sache unmittelbar an den Eigentümer herausgegeben wird. 2 1 5 Schließlich dürfen auch die Interessen des Schuldners nicht vernachlässigt werden. Geht man vom Vorrang der Vindikation aus, so bürdet man ihm das Risiko der Leistung an einen Nichteigentümer auf. Die Prüfung der Eigentumslage kann für den Schuldner durchaus mit Schwierigkeiten verbunden sein, weil ihm das Innenverhältnis des Gläubigers zum Eigentümer nicht bekannt sein muss und die Vermutungswirkung des § 1006 BGB hier gerade für den Obligationsgläubiger als Vorbesitzer spricht. Der Schuldner hat daher ein legitimes Interesse, sich an den Gläubiger zu halten, den er sich selbst ausStaudinger/Gursky, § 985, Rn. 147. Palandt/Bassenge, §990, Rn.2; Staudinger/Gursky, §989, Rn. 18; Glaß, Gefahrtragung und Haftung, S. 129 f.; Kohler, Rückabwicklung, S. 396. 213 BGHZ 5, 337 (340) = NJW 1952, 778 (779); Stumpp, JuS 1964, 310 (313); Staudinger/ Kaiser, § 351, Rn. 57; Staudinger/Gursky, § 989, Rn. 18. 214 Müller-Laube, AcP 183 (1983), 215 (220). 215 Für den Fall, dass die Durchsetzung etwaiger nach § 999 Abs. 1 BGB auf den Schuldner übergegangener Verwendungsersatzansprüche des Obligationsgläubigers gefährdet werden, bejahen auch Staudinger/Gursky, §989, Rn. 18, eine Schadensersatzverpflichtung des Schuldners. 211 212
E. Konkurrierende
Herausgabeansprüche
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gesucht hat und an dessen Gläubigerstellung er keine Zweifel zu haben braucht. 216 Insgesamt sprechen daher die überzeugenderen Gründe für die generelle Gleichrangigkeit der Herausgabeansprüche. 2 1 7 Der Schuldner kann daher an den Obligationsgläubiger ebenso herausgeben wie an den Eigentümer, ohne sich jeweils im Verhältnis zu dem anderen schadensersatzpflichtig zu machen bzw. seinen Bereicherungsanspruch auf die Gegenleistung einzubüßen.
In diesem Sinne auch Müller-Laube, AcP 183 (1983), 215 (223 f.). Ebenso Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 3. Aufl. 1991, § 10 IV 2 (S. 128); Müller-Laube, AcP 183 (1983), 215 (219 ff.); MünchKomm/Medicus, §990, Rn. 16 a; Wieling, Sachenrecht I, § 12 I 3 e (S. 539). 216 2,7
4. Kapitel
Der Besitzschutz im Deliktsrecht A. Besitz als „ sonstiges
Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
I. Der Begriff des „sonstigen Rechts" in der Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 BGB Der erste Entwurf des BGB sah noch eine deliktsrechtliche Generalklausel vor. § 704 E I hatte folgenden Wortlaut: „Hat jemand durch eine aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangene widerrechtliche Handlung - Tun oder Unterlassen - einem anderen einen Schaden zugefügt, dessen Entstehung er vorausgesehen hat oder voraussehen musste, so ist er dem anderen zum Ersätze des durch die Handlung verursachten Schadens verpflichtet, ohne Unterschied, ob der Umfang des Schadens vorauszusehen war oder nicht. Hat jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines anderen verletzt, so ist er den durch die Rechtsverletzung dem anderen verursachten Schaden diesem zu ersetzen verpflichtet, auch wenn die Entstehung des Schadens nicht vorauszusehen war. Als Verletzung eines Rechtes im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen."
Als eine zum Schadensersatz verpflichtende widerrechtliche Handlung im Sinne des Abs. 1 wurde nach den Motiven vor allem das Handeln gegen ein absolutes Verbotsgesetz angesehen. 1 Bei derartigen Gesetzesverletzungen sollte die Haftung allein durch die Voraussehbarkeit der Schadensentstehung begrenzt sein. Demgegenüber war die Haftung nach Abs. 2 bei der Verletzung von Rechten oder diesen gleichgestellten Gütern insofern strenger, als es nicht auf die Voraussehbarkeit der Schadensentstehung ankam. Andererseits war diese verschärfte Haftung dadurch begrenzt, dass der Schadensersatzanspruch nur dem Inhaber des Rechts bzw. Rechtsguts zustand. Die Motive zu den Deliktsvorschriften im ersten Entwurf enthalten keine Ausführungen zur Behandlung des Besitzes. Allerdings finden sich Hinweise zu den deliktsrechtlichen Folgen im Zusammenhang mit der Regelung der 1
Motive, Band II, S. 726 (= Mugdan,
Band II, S. 405).
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des 5 823 Abs. 1 BGB
259
verbotenen Eigenmacht in § 814 E I, der dem heutigen § 858 B G B entspricht. Dort heißt es, dass der Vorschrift neben der Definition der verbotenen Eigenmacht insoweit selbständige Bedeutung zukomme, als das Verbot vim ne fClaas possidenti zu Gunsten des Inhabers aufgestellt werde. Werde dieses Verbot aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit übertreten, so hafte der Täter als Delinquent aus § 704 E I. In Zweifel könne nur kommen, ob die verbotene Eigenmacht als rechtsverletzende Handlung anzusehen und deshalb nach § 704 Abs. 2 E I zu beurteilen sei. Diese Frage werde zu bejahen sein, obwohl es für das Delikt gleichgültig sei, welche Rechte an der Sache bestehen. Das Gewaltverbot begründe für den Inhaber eine absolut geschützte Rechtsstellung. Mehr sei nicht zu verlangen, um eine Rechtsverletzung im Sinne des § 704 Abs. 2 E I anzunehmen.2 Der zweite Entwurf gestaltete die deliktsrechtliche Grundnorm dagegen wesentlich anders. § 704 Abs. 1 E I wurde aufgegeben. Stattdessen wurde § 746 E II in Anlehnung an § 704 Abs. 2 E I wie folgt formuliert: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines anderen widerrechtlich verletzt oder wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, ist dem anderen zum Ersätze des dadurch verursachten Schadens verpflichtet. Ist nach dem Inhalte des Gesetzes ein Verstoß gegen dasselbe auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein."
Die Protokolle lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Zweite Kommission bewusst von der Generalklausel des § 704 Abs. 1 E I abwandte. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass der Standpunkt des ersten Entwurfs von keiner Seite mehr vertreten wurde.3 Darüber hinaus wurde im Zusammenhang mit einem anderen Antrag, der die Deliktshaftung allein an die widerrechtliche, schuldhafte Schadenszufügung knüpfen wollte, das generelle Bedenken geäußert, dass dadurch das Problem der Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen auf den Richter abgeladen werde. Es liege aber weder in der Tendenz des Entwurfs noch entspreche es der Auffassung des Volkes von der Stellung des Richteramtes, die Lösung solcher Aufgaben, die durch das Gesetz erfolgen müsse, auf die Gerichte abzuwälzen. Außerdem ließen sich die Konsequenzen eines solchen Vorgehens nicht absehen und man könne daher auch nicht „ähnliche Auswüchse" ausschließen, wie diejenigen, die zahlreiche Urteile französischer Gerichte aufwiesen. Diesen Bedenken gegenüber verdiene es den Vorzug, dem Richter zu seiner Entscheidung schon im Gesetz einen gewissen objektiven Maßstab an die Hand zu geben.4 Der Zweiten Kommission lag ein Antrag des Königreichs Sachsen vor, den Besitz ausdrücklich als ein Recht aufzunehmen, dessen Verletzung zum Scha2 3 4
Motive, Band III, S. 110 (= Mugdan, Band III, S. 61). Mugdan, Band II, S. 1075. Mugdan, Band II, S. 1075.
260
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
densersatz verpflichte. 5 Die Mehrheit lehnte dies jedoch ab. Der vorgeschlagene Zusatz mache an dieser Stelle einen durchaus doktrinären Eindruck. Der Besitz werde durch das Verbotsgesetz des § 814 E I, welches die Anwendung des Abs. 1 ermögliche, genügend geschützt. Die Bezeichnung des Besitzes als Recht, wenn auch nur im Sinne des Abs. 1, sei geeignet, zu Missverständnissen zu führen, als wenn damit die wissenschaftliche Frage über das Wesen des Besitzes habe entschieden werden sollen. Jedenfalls müsse es vermieden werden, in dieser Hinsicht unnötige Zweifel in das Gesetz hinein zu tragen. 6 Die dem heutigen §823 Abs. 1 BGB entsprechende Aufzählung „... das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen..." wurde in der zweiten Lesung des § 746 E II eingefügt. Der Antragsteller selbst sah darin eine hauptsächlich redaktionelle Änderung. Bei der früheren Beratung habe man den lehrhaften Schlusssatz des § 704 E I, dass als Verletzung eines Rechts „im Sinne der vorstehenden Vorschrift" auch die Verletzung eines der einzeln aufgeführten immateriellen Rechtsgüter anzusehen sei, mit Recht gestrichen, da die heutige Wissenschaft ein persönliches Recht im weiteren Sinne annehme. Danach aber finde sich im zweiten Entwurf nirgends unmittelbar angesprochen, dass die Verletzung dieser Güter sich zivilrechtlich als ein Delikt darstelle. Dem Antrag wurde allerdings auch entgegengehalten, dass es nach seiner Fassung fraglich erscheine, ob alle Rechtsgüter gedeckt seien, da die Schlussklausel „oder ein sonstiges Recht" sich an „Eigentum" anschließe und daher enger verstanden werden könne. 7 Diese Stellungnahmen bringen bereits die sich bald gegenüberstehenden Auffassungen über die Konkretisierung des „sonstigen Rechts" zum Ausdruck. Da sich den Materialien kein ausdrücklicher Hinweis entnehmen lässt, warum später über die in § 704 Abs. 2 E I genannten Güter hinaus auch das Eigentum aufgenommen wurde, lassen sich zwei Argumentationslinien unterscheiden. Man kann zum einen in der Nennung des Eigentums eine Begrenzung der in Betracht kommenden Rechte sehen, da sonstige Rechte im Sinne der Vorschrift nur solche sein sollen, die ihrer Struktur nach eigentumsähnlich sind. Man kann zum anderen aber auch die Aufnahme des Begriffs „Eigentum" damit erklären, dass dadurch eine unerwünschte Gleichstellung von Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit mit dem nachfolgenden Begriff „Recht" vermieden werden sollte, so dass der Hervorhebung des Eigentums keine besondere Bedeutung für die Auslegung des Begriffs „sonstiges Recht" zukäme. 8 Dementsprechend wurde schon früh die Diskussion geführt, ob der Begriff des „sonstigen Rechts" in einem weiten Sinne als jedes rechtlich ge5 Mugdan, Band II, S. 1072,1076; Benöhr, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 499 (510). 6 Mugdan, Band II, S. 1077. 7 Mugdan, Band II, S. 1078. 8 In diesem Sinne Krasser, Schutz vertraglicher Rechte, S. 160 f.
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
261
schützte Interesse zu verstehen ist, 9 oder ob eine restriktive Interpretation dahingehend notwendig ist, dass nur absolute, d.h. von jedermann zu achtende Rechte erfasst werden. 10 Letztere Auffassung hat sich schnell und bis heute im Ausgangspunkt nahezu unangefochten durchgesetzt. Danach werden als sonstige Rechte nach § 823 Abs. 1 B G B nur solche Positionen geschützt, die über einen spezifischen Zuweisungsgehalt und über eine gewisse Ausschließungsfunktion verfügen. 11
II. Die bisherige Einordnung 1. Die Entwicklung a)
der
des Besitzes
Rechtsprechung
Reichsgericht
Erstmals nach In-Kraft-Treten des B G B nahm das R G im Petroleum-Fall 12 zur deliktsrechtlichen Einordnung des Besitzes Stellung. Der Beklagte betrieb in einem gemieteten Lokal eine Gastwirtschaft, während der Kläger im Nebenhaus einen Großhandel mit Petroleum unterhielt. Der Beklagte machte geltend, dass das Petroleum durch die Zwischenmauer gedrungen sei, seine Räume mit Petroleumgeruch erfüllt habe und dadurch Feuergefahr entstanden sei. Er musste auf polizeiliche Anordnung die gemieteten Räume verlassen, da diese wegen des Geruchs und der Feuergefahr zum dauernden Aufenthalt von Menschen nicht mehr geeignet waren. Nachdem der Beklagte Schadensersatz gefordert hatte, erhob der Kläger negative Feststellungsklage. Das R G hob zunächst hervor, dass das Recht des Mieters obligatorischer Natur sei, rügte aber gleichwohl, dass das Berufungsgericht die Anwendbarkeit des § 823 B G B auf schuldhafte Beeinträchtigungen des durch die Einräumung des unmittelbaren Besitzes vollzogenen Rechts des Mieters verneint hat. Mit der Ubergabe entwachse das Recht des Mieters dem reinen Obligationsrechte. Es bestünden nicht mehr bloß zwischen den obligatorisch Verbundenen Rechte und Pflichten, sondern jedermann habe das durch den Besitz erkennbare Mietrecht zu achten. Sei dies aber der Fall, so könne es nicht zweifelhaft sein, dass schädigende widerrechtliche Eingriffe von Personen, die nicht im obligatorischen Mietverbande stehen, Schadensersatzansprüche erzeugen können. Die Schadensersatzpflicht könne sowohl aus Abs. 1 als auch aus Abs. 2 des § 823 hergeleitet werden, wobei das Gericht ausdrücklich of-
v. Liszt, Deliktsobligationen, S. 26. RGZ 57, 353 (356); 59, 49 (51); 95, 283 (284). 11 MünchKomm/Mertens, §823, Rn. 123; Staudingerl Hager, §823, Rn.B 124; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 189; Medicus, Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn. 607; Larenz/Canaris, §76 I 1 c; II 4 a; Fikentscher, Besonderes Schuldrecht, Rn. 1214. 9
10
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
fen ließ, welchem Weg der Vorrang gebührt oder ob beide Möglichkeiten nebeneinander bestehen. 13 An diese Entscheidung knüpfte das RG im Telegramm-Urteil 14 an. In diesem Fall wurde dem Kläger von einer Firma B per Telegramm ein Kaufangebot übermittelt. Da der Kläger abwesend war, nahm sein Dienstmädchen das Telegramm entgegen. Die Firma B überlegte es sich jedoch noch am selben Tage anders und forderte ihr Telegramm beim örtlichen Telegraphenamt zurück. Dieses veranlasste einen Telegraphenboten am Ort des Klägers, sich zur Wohnung des noch nicht heimgekehrten Klägers zu begeben und das Dienstmädchen zu fragen, ob ein Telegramm für den Kläger gekommen sei. Auf die Antwort, es liege ein Telegramm da, ließ der Telegraphenbote es sich von dem Dienstmädchen geben, eröffnete es, stellte fest, dass es das betreffende war, sagte dem Dienstmädchen, er müsse es wieder mitnehmen, und entfernte sich. Dem später auf dem Postamt erschienenen Kläger wurde die Herausgabe des Telegramms wie auch nur die Mitteilung des Inhalts verweigert. Da der Kläger dadurch gehindert war, das Angebot rechtzeitig anzunehmen, konnte er die Ware nicht weiterverkaufen und machte daher entgangenen Gewinn als Schadensersatz gegen den Reichspostfiskus geltend. Das RG ließ ausdrücklich offen, ob der Kläger durch die Aushändigung des Telegramms an das Dienstmädchen bereits Eigentümer geworden war. Jedenfalls habe der Kläger in diesem Moment Besitz an der Telegrammurkunde erlangt. In der widerrechtlichen Entziehung der Urkunde durch den Telegraphenboten liege eine unerlaubte Handlung, für die der Beklagte haftbar sei, §§ 823 Abs. 1, 831 BGB. Unter Verweis auf die Petroleum-Entscheidung stellte das Gericht sodann fest, dass für die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB ein gegenständlich widerrechtlicher Eingriff in den Besitz des Klägers genüge; der Besitz werde in Ansehung des Rechtsschutzes gleich einem Rechte behandelt und falle deshalb unter die „sonstigen Rechte" des § 823 Abs. 1 BGB. Diese Grundsätze übertrug das RG im Nachnahme-Fall 15 auch auf den mittelbaren Besitz. Hier hatte der Postschaffner M dem Beklagten mit dem Post-Paketwagen 20 Wertpakete überbracht, die mit 5540 Mark Nachnahme und mit 108 Mark Porto und Bestellgeld belastet waren. Da P, der Geschäftsführer des Beklagten, nicht genügend Geld in der Kasse hatte, wurde vereinbart, dass die Pakete dableiben und M das Geld gegen Mittag abholen sollte. Noch bevor sich M mittags einfand, erschien der frühere Postillion D, der mit M die Pakete abgeladen hatte und kassierte das Geld, ohne hierzu berechtigt gewesen zu sein. Da sich der Beklagte weigerte, erneut zu zahlen, erhob das Deutsche Reich Zahlungsklage. Das RG ging für den Fall, dass die Nachnah12 13 14 15
RGZ RGZ RGZ RGZ
59, 326. 59, 326 (328). 91, 60. 102, 344.
A. Besitz als „sonstiges
Recht" im Sinne des 5 823 Abs. 1 BGB
263
mesendungen an P nicht endgültig, sondern nur zur einstweiligen Verwahrung abgegeben worden wären, davon aus, dass der Kläger den mittelbaren Besitz behalten hätte und daher wegen fahrlässiger Beeinträchtigung und Entziehung dieses Besitzes nach § 823 BGB von P und nach § 31 BGB vom Beklagten Schadensersatz verlangen könne. Im 1922 entschiedenen Hausstand-Fall 16 hatte die Ehefrau des Klägers diesen verlassen und ihren Vater veranlasst, in Abwesenheit des Klägers den Hausstand aufzulösen und die ihr gehörenden Einrichtungsgegenstände mitzunehmen. Der Ehemann klagte gegen den Vater auf Herausgabe der Gegenstände und machte hilfsweise Wertersatz für den Fall geltend, dass der Beklagte zur Herausgabe nicht mehr in der Lage ist. Da nach damaliger Rechtslage dem Ehemann auch an dem Vermögen der Ehefrau das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht zustand (§§ 1363, 1373 BGB a. F.), ging das Gericht vom Besitz des Ehemannes an den Gegenständen zum Zeitpunkt der Hausstandsauflösung aus. Zugleich bestätigte das RG unter Verweis auf die früheren Urteile die allgemeine Formulierung vom Besitz als ein „sonstiges Recht" nach § 823 Abs. 1 BGB. Der Kläger habe daher nach §§ 823 Abs. 1, 249 BGB einen Herausgabeanspruch und könne im Falle der objektiven Unmöglichkeit der Herausgabe nach § 251 BGB Wertersatz verlangen. Der gleiche Anspruch ergebe sich aus §§ 823 Abs. 2, 858 BGB. In dem der Weinfässer-Entscheidung 17 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte eine in Frankfurt a. M. ansässige Firma P Weinfässer von der Zweitbeklagten in Spanien gekauft. Die Ware wurde verschifft und die darüber ausgestellten Oberkonnossemente an die Firma P übersandt, die den Wein an den Kläger weiterverkaufte, die Konnossemente an ihn indossierte und aushändigte. Später fiel die Firma P in Konkurs. Nachdem die Ware bei den Frankfurter Spediteuren angekommen war, hatten offenbar der erstbeklagte Konkursverwalter und die Zweitbeklagte bei diesen darauf gedrängt, die Weinfässer nicht an den Kläger herauszugeben. Der Kläger hatte daraufhin zunächst erfolgreich gegen die Beklagten auf Einwilligung, dass die Spediteure die Fässer an ihn aushändigen, geklagt und verlangt nun Ersatz des Schadens, der ihm dadurch entstanden ist, dass die Spediteure ihm die Herausgabe verweigert hatten. Das RG sah in den, im Einzelnen nicht näher beschriebenen, Verboten und Drohungen der Beklagten gegenüber den Spediteuren eine Störung des unmittelbaren Besitzes der Spediteure an den Weinfässern, da die Möglichkeit, den Besitz auf einen anderen, nämlich den Kläger, zu übertragen, verkürzt worden sei. Daher stünden dem Kläger als mittelbarem Besitzer nach § 869 BGB ebenfalls Besitzschutzansprüche zu. Da der Besitz ein „sonstiges Recht" im Sinne des §823 Abs. 1 BGB und §858 BGB ein Schutzgesetz im 16 17
RG, WarnR 1922 Nr. 41. RG, JW 1931, 2904 = SeuffA 86 Nr. 9.
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sei, hätten die Beklagten daher auch dem Kläger, bei schuldhaftem Handeln, nach Deliktsrecht den entstandenen Schaden zu ersetzen. Schließlich behandelte das RG den deliktsrechtlichen Besitzschutz auch im sogenannten Kieslaster-Fall. 18 Der Kläger verwendete einen unter Eigentumsvorbehalt angeschafften Lastkraftwagen, um Kies zu einer Baustelle an einer Bahnstrecke zu transportieren. Beim Abladen rutschte das Fahrzeug weg, wurde manövrierunfähig und kurze Zeit später von einem herannahenden Güterzug erfasst. Der Kläger verlangte daraufhin Schadensersatz von der Deutschen Reichsbahn. Das RG bejahte die Sachbefugnis des Klägers. Zunächst verwies es wiederum auf die vorangegangenen Urteile und betonte, dass die Verletzung des Miet- oder Pachtbesitzes an einer Sache als ein „sonstiges Recht" einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB und, mit Rücksicht auf den Besitzschutz des §858 BGB, auch aus §823 Abs. 2 BGB begründen könne. Daran anschließend stellte das Gericht fest, dass dasselbe von der Verletzung des aufschiebend bedingten Eigentums an einer Sache, § 455 BGB a. F. (§ 449 BGB n. F.), und des Besitzes an ihr zu gelten habe. Danach lässt sich feststellen, dass das RG schon bald nach In-Kraft-Treten des BGB ohne nähere Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte den Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB etablierte. Mit diesem Schritt ging das Gericht weit über die gemeinrechtliche Rechtsprechung vor 1900 hinaus. Bis dahin stand dem lediglich schuldrechtlich berechtigten Besitzer nach h.M. ein eigener Schadensersatzanspruch nach der lex Aquilia bei nur fahrlässigen Vermögensbeschädigungen nicht zu. 1 9 Der Anspruch des Pächters wegen Beschädigung der auf dem Pachtgut stehenden Früchte wurde vom RG noch 1883 als nicht verallgemeinerungsfähiger Ausnahmefall angesehen. 20 Der Besitz hat somit in der Rechtsprechung nach 1900 eine bedeutsame Verstärkung erfahren. Dem RG lagen allerdings ausschließlich Fälle zur Entscheidung vor, in denen der Besitzer ein Recht zum Besitz hatte, so dass das Gericht sich nicht zum deliktischen Schutz des unberechtigten Besitzers äußern musste.
RGZ 170,1. RGZ 9, 158 (163); Arndts v. Arnesberg, Lehrbuch der Pandekten, 14. Aufl. 1889, § 324 (S. 635); Baron, Pandekten, 9. Aufl. 1896, § 313 (S. 577); Dernhurg, Pandekten, Band II, 1886, §131 Fn. 15; Keller, Pandekten, Band II, 1866, §355 (S. 126); Keppmann, S. 62 ff.; Billstein, Das deliktische Schadensersatzrecht der lex Aquilia, S. 28 ff.; Zimmermann/Vierse, S. 319 (326). 20 RGZ 9, 158 (163 f.). 18
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A. Besitz als „sonstiges
b)
Recht"
im Sinne des 5 823 Abs. 1 BGB
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Bundesgerichtshof
Die Rechtsprechung des R G setzte der B G H in der Arztpraxis-Entscheidung 2 1 nahtlos fort. In diesem Fall wohnte der Kläger im 1. Stock des Hauses X., in dem er auch seine ärztliche Praxis betrieb. Die Beklagte war Mieterin der im Erdgeschoss gelegenen Räume, w o sie u.a. eine Zwischendecke einziehen ließ. Zur Befestigung dieser Decke wurden - in Tag- und Nachtarbeit mit elektrischen Bohrmaschinen 500 Löcher in die Eisenbetondecke gebohrt, die sich zwischen dem Erdgeschoss und den Räumen des Klägers befand. Der B G H hielt den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB sowohl wegen einer Gesundheitsverletzung als auch wegen der Beeinträchtigung des Besitzes des Klägers für erfüllt. Der Besitz, insbesondere der eines Mieters, gehöre zu den nach § 823 BGB geschützten „sonstigen Rechten". Mit der Ubergabe der Mietsache bestünden nicht mehr nur Rechte und Pflichten zwischen den Parteien des Mietvertrages, sondern jedermann habe das durch den Besitz erkennbare Mietrecht zu achten. Im Turmdrehkran-Fall 2 2 hatte die Klägerin die Beklagte mit dem Transport eines gemieteten Turmdrehkrans zu einer Baustelle der Klägerin in M . beauftragt. Angestellte des (offenbar vermietenden) Bauunternehmens M luden das Kranführerhaus, ohne es zu befestigen, auf die Zugmaschine. Bei einer Fahrt mit der Zugmaschine kippte das Kranführerhaus bei einer Wendung über die Bordwand und wurde beschädigt. Der B G H bestätigte hier wiederum, dass der Besitz zwar kein Recht, jedoch gleich einem ausschließlichen Recht gegen jedermann geschützt sei, lehnte aber erstmals die Einbeziehung des mittelbaren Besitzes insoweit ab, als der Deliktsanspruch gerade gegen den unmittelbaren Besitzer gerichtet ist. Den Grund sieht das Gericht darin, dass der Schutz des mittelbaren Besitzes in bestimmter Richtung relativiert ist, nämlich insofern, als die Besitzregelungen keinen Schutz des mittelbaren Besitzers gegen Beeinträchtigungen seiner Rechtsstellung durch den unmittelbaren Besitzer vorsehen, während auf der anderen Seite dieser auch gegenüber dem mittelbaren Besitzer Besitzschutz genießt. U m die Frage des deliktischen Besitzschutzes des Mitbesitzers ging es dann in dem Lastenaufzugs-Fall. 2 3 Hier hatten beide Parteien in demselben Gebäude Gewerberäume gemietet, wobei ihnen jeweils in den getrennten Mietverträgen auch die gemeinschaftliche Benutzung eines Lastenaufzugs zugestanden war. Ein Arbeiter der Beklagten beschädigte durch unsachgemäße H a n tierung diesen Aufzug, so dass er vorübergehend ausfiel. Die Klägerin verlangte daraufhin von der Beklagten Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens. Der B G H gewährt auch hier dem Besitzer Ansprüche aus uner21 22 23
BGH, JZ 1954, 613 =BB 1954,426. BGHZ 32,194 = NJW 1960,1201. BGHZ 62, 243 = NJW 1974,1189.
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
laubter Handlung, da der durch eine solche Handlung geschädigte Mitbesitzer andernfalls schutzlos sei. Dieser Schutz bestehe nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch gegenüber anderen Mitbesitzern, da § 866 BGB als ausschließlich auf die Besitzschutzmöglichkeiten der §§ 859 ff. BGB zugeschnittene Regelung Schadensersatzansprüche nicht beschränke. Im Opel Admiral-Fall 2 4 hatte der Kläger einen Pkw bei der Beklagten zum Preis von 3.300,- DM gekauft, wobei Ratenzahlung vereinbart war. Außer einer Anzahlung von 500,- DM und einem Betrag von 290,- DM erbrachte der Kläger jedoch keine weiteren Zahlungen. Die Beklagte ließ daher den Pkw bei dem Kläger gegen dessen Willen im Dezember 1971 abholen. Der Kläger klagte darauf hin vor dem Amtsgericht erfolgreich auf Wiedereinräumung des Besitzes an dem Fahrzeug nach § 861 BGB. Die Beklagte stellte das Fahrzeug dann ab August 1972 dem Kläger wieder zur Verfügung. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger nun Schadensersatz für die Vorenthaltung des Pkw für die Zeit von Dezember 1971 bis August 1972. Der B G H bestätigte hier wiederum, dass als geschütztes Rechtsgut für einen Deliktsanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB der unmittelbare Besitz wie auch das Anwartschaftsrecht des Klägers in Betracht kämen und dass darüber hinaus ein Schadensersatzanspruch nach §§ 823 Abs. 2, 858 BGB möglich sei. Die Frage, ob auch der nichtberechtigte oder nur der berechtigte Besitzer Schadensersatz verlangen kann, ließ der BGH dagegen ausdrücklich offen, da die Parteien in dem betreffenden Verfahren den Kaufvertrag nicht aufgehoben hätten und die Beklagte auch nicht zurückgetreten sei, so dass der Kläger während des fraglichen Zeitraums berechtigter Besitzer gewesen sei. Dem Leasing-Fall 25 lag der folgende, vereinfachte Sachverhalt zugrunde. Die Klägerin schloss mit L als Leasingnehmer einen Leasingvertrag über einen fabrikneuen Pkw. Nach dem Vertrag war die Klägerin berechtigt, bei Untergang oder totaler Beschädigung des Fahrzeugs den Vertrag fristlos zu kündigen und als Schadensersatz die Differenz zwischen dem festzustellenden Zeitwert des Fahrzeugs und der Summe sämtlicher, noch offener Leasingraten zu verlangen. Die Klägerin blieb auch nach Ubergabe an L Eigentümerin des Fahrzeugs. Als der Pkw später durch Alleinverschulden des D beschädigt wurde und wirtschaftlicher Totalschaden vorlag, kündigte die Klägerin den Leasingvertrag und machte gegen den Dritten die ebenfalls nach dem Leasingvertrag auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche des L geltend. Der BGH bekräftigte wiederum, dass der (berechtigte) unmittelbare Besitz, hier des L an dem Kfz, ein „sonstiges Recht" nach § 823 Abs. 1 BGB darstelle. Die dem L aus der Beschädigung des Fahrzeugs erwachsenden Verpflichtungen gegenüber der Klägerin erkannte der BGH auch als der Rechtsgutsverletzung 24 25
BGH, WM 1976, 583. BGH, VersR 1976, 943 = JZ 1976, 643.
A. Besitz als „sonstiges
Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
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zurechenbare Folgeschäden an. Allerdings sah das Gericht einen eigenständigen Schaden des Leasingnehmers nur insoweit als gegeben an, als ihm die Sachnutzung entzogen ist (Nutzungsschaden) und er nach den Leasingbedingungen durch die Kündigung verpflichtet wird, die noch offenen Leasingraten nunmehr alle sofort zu zahlen (Haftungsschaden). Gegen die von der Klägerin angestellte Schadensberechnung formulierte der BGH deutliche Vorbehalte, verwies die Sache jedoch zur weiteren Sachaufklärung zurück. Die noch im Opel Admiral-Fall offengelassene Frage nach einem Schadensersatzanspruch auch des unberechtigten Besitzers entschied der BGH dann im Pferde-Fall. 26 Der Kläger kaufte in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt beim Beklagten, einem Pferdehändler, im November 1975 das Pferd „Duell", behielt sich aber nach seiner Darstellung ein Umtauschrecht vor. Da er mit „Duell" nicht zufrieden war, kam es im Mai 1976 zu Verhandlungen der Parteien, in deren Folge der Beklagte das Pferd beim Kläger abholte und diesem die Stute „Formosa" zum Ausprobieren übergab. Der Kläger teilte dem Beklagten dann Anfang Juli 1976 mit, dass er sich entschieden habe und „Formosa" behalte. Der Beklagte nahm gleichwohl kurz darauf die Stute ohne Wissen des Klägers wieder an sich. Der Kläger verlangte daraufhin unter anderem Nutzungsersatz für die Zeit seit der Rückholung von „Formosa". Der BGH ging davon aus, dass sich die Rechtsbeziehungen der Parteien mangels einer bindenden Umtauschvereinbarung darin erschöpften, dass jeder das - weiterhin dem anderen gehörende - Pferd bis auf weiteres probeweise benutzen durfte. Das sich daraus ergebende Recht des Klägers zum Besitz von „Formosa" habe der Beklagte spätestens einseitig beenden können, als sich aus seiner Sicht die Vertragsverhandlungen zerschlagen hatten und dies sei bei Abholung der Stute im Juli 1976 der Fall gewesen. Der Kläger war danach seit diesem Zeitpunkt nicht mehr zum Besitz berechtigt, so dass sich die Frage nach deliktsrechtlichen Ansprüchen auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung stellte. Der BGH hob zunächst hervor, dass der Kläger hier den Schaden geltend mache, der in der Beeinträchtigung der Möglichkeit liegt, die Sache zu gebrauchen. Ersatz eines solchen Schadens könne derjenige, dem ein Recht auf Nutzung nicht zustand, von dem zur Nutzung Berechtigten jedoch nicht verlangen, auch wenn dieser ihm den Besitz im Wege verbotener Eigenmacht entzogen hat; denn in einem solchen Fall sei der Besitzer verpflichtet, die Nutzungen zu unterlassen und dem Berechtigten die Nutzungsmöglichkeit einzuräumen. Im sogenannten Verfolgungs-Fall 27 hatte der Beklagte mit seinem Pkw ein am Straßenrand geparktes Fahrzeug beschädigt und anschließend Unfallflucht begangen. Der Kläger, ein über Funk von einem Kollegen informierter 26 27
BGHZ 73, 355 =NJW 1979,1358. BGH, NJW 1981, 750.
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Zollassistent, nahm die Verfolgung mit einem privat gemieteten Kraftwagen auf. Im Verlauf der Verfolgung verursachte der Beklagte einen weiteren Unfall, in dem auch der gemietete Wagen beschädigt wurde. Nachdem die Vermieterin des Klägers diesen auf Schadensersatz in Anspruch genommen hatte, verlangte der Kläger nun vom Beklagten Schadensersatz. Der BGH bestätigt den Anspruch des Klägers als unmittelbarem Besitzer aus § 823 Abs. 1 BGB und bezieht wiederum, unter Verweis auf die Leasing-Entscheidung, den Haftungsschaden des Mieters ein. Im Hallenmiete-Fall 28 ging es erneut um die Nutzungsentschädigung für den unberechtigten Besitzer. Die Klägerin vermietete einen abgetrennten Teil einer Halle samt Laderampe an eine Firma A, die ihrerseits den größten Teil des Mietobjekts an die Beklagte weitervermietete. Als die Firma A in Mietrückstand geriet, kündigte die Klägerin den Hauptmietvertrag fristlos. Zugleich verlangte sie von der Beklagten, den Mietzins in Zukunft nicht mehr an die Firma A, sondern an sie, die Klägerin, zu zahlen. Außerdem forderte die Klägerin die Beklagte auf, mit ihr einen Mietvertrag abzuschließen oder unverzüglich das Objekt zu räumen. Als auf eine weitere Zahlungsfrist der Klägerin die Beklagte gleichwohl den Mietzins nicht an sie leistete, ließ die Klägerin die Hallen- und Rampenzugänge versperren. 15 Tage später gelangte die Beklagte mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung wieder in den Besitz des Mietobjekts. Die Firma A hat der Klägerin ihre Ansprüche aus dem Untermietvertrag abgetreten. Gegen den Zahlungsanspruch der Klägerin hat die Beklagte Minderung für die Dauer der Vorenthaltung der Mietsache geltend gemacht. Außerdem hat sie die Aufrechnung mit Ersatzansprüchen erklärt, die sie damit rechtfertigt, dass sie infolge der Aussperrung Lieferaufträge nicht habe erfüllen können und sich dadurch Dritten gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht habe. Der BGH geht davon aus, dass die fristlose Kündigung der Klägerin wirksam war, so dass auch das Recht der Beklagten zum Besitz der Halle und ihre Befugnis zur Nutzung im eigenen Interesse erloschen ist. Die Beklagte war daher zum Zeitpunkt der Aussperrung aus der Halle nichtberechtigte Besitzerin. Deutlicher als in der Pferdefall-Entscheidung lässt das Gericht dann die allgemeine Frage nach einem deliktischen Schadensersatzanspruch des unberechtigten Besitzers offen und beschränkt sich darauf, in Bestätigung der genannten Entscheidung jedenfalls einen Nutzungsschaden des nichtberechtigten Besitzers zu verneinen. Dieser Grundsatz wurde später nochmals im sogenannten Musikfestival-Fall 29 bestätigt. Einem Anspruch des nichtberechtigten Besitzers auf Ersatz des Nutzungsschadens stehe die Regelung der §§ 989, 993 BGB entgegen, die das Nutzungsinteresse dem nichtberechtigten Besitzer jedenfalls nicht für den Zeitraum zuweise, in dem der zum
28 29
BGHZ 79, 232 = NJW 1981, 865. BGHZ 114, 305 (312) = NJW 1991, 2420 (2421).
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
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Besitz berechtigte Eigentümer die Sache - wenn auch aufgrund verbotener Eigenmacht - in unmittelbarem Eigenbesitz hatte. Dieser Zuweisungsregelung habe auch die deliktische Lastenzuweisung Rechnung zu tragen. 30 Im Uferwand-Fall 3 1 hatte die Klägerin eine Uferwand aus Stahlspundbohlen in einem Binnenhafen errichtet. Auftraggeberin war die Stadt als Eigentümerin des Hafens. Während der Bauarbeiten geriet ein Schiff bei der Einfahrt in den Hafen gegen den bereits stehenden Teil der Spundwand und beschädigte diesen. Nachdem die Klägerin den Schaden auf ihre Kosten beseitigt hatte, nahm sie den Beklagten als Schiffsführer auf Schadensersatz in Anspruch. Der B G H ging davon aus, dass eine Verletzung des Eigentums der Klägerin nicht in Betracht komme, da die errichtete Spundwand nach §§ 94, 946 B G B in das Eigentum der Stadt übergegangen sei. Der Stadt stünde jedoch mangels Schaden kein Ersatzanspruch zu, da die Klägerin bis zur Abnahme des Werkes die Gefahr einer Beschädigung der Uferwand trage, §§ 631, 644 B G B . Der Klägerin stehe jedoch als Werkunternehmer, wie dem Mieter oder Leasingnehmer, gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus Besitzverletzung nach § 823 Abs. 1 B G B zu, wenn der Beklagte schuldhaft gehandelt hat. Zwar sei es in den bisherigen Fällen um den Ersatz des sogenannten Haftungsschadens gegangen, während hier der Schaden des Besitzers durch den Umfang seiner Erfüllungspflicht gegenüber dem Eigentümer bestimmt werde. Indes handele es sich ebenfalls um einen Folgeschaden, dessen vermögensrechtliche Natur die Zurechnung zur Rechtsgutsverletzung nicht hindere. Insgesamt zeigt sich danach, dass der B G H die Rechtsprechung des R G fortgeführt und jedenfalls auch den nur schuldrechtlich berechtigten Besitz in dem Kreis der sonstigen Rechte nach § 823 Abs. 1 B G B etabliert hat. 32 Die Frage nach einem entsprechenden Schutz des nicht berechtigten Besitzers hat der B G H dagegen bisher nicht eindeutig beantwortet. Zwar ist dem Gericht kein Vorwurf zu machen, wenn im Interesse effektiver Rechtsfindung die tatbestandsmäßige Erfassung des Besitzes offengelassen wird, weil jedenfalls ein ersatzfähiger Schaden verneint wird. Gleichwohl ist es unbefriedigend, dass dadurch eine Stellungnahme des B G H zum deliktischen Schutz des unberechtigten Besitzers auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sein wird. Denn zu einer Festlegung in der Vorfrage der tatbestandlichen Reichweite wäre das Gericht erst gezwungen, wenn der Besitzer einen Schaden in Bezug auf Nutzungen geltend macht, die er nicht nach §§ 989, 993 B G B herauszugeben hat. Dies dürfte allerdings nur in ganz besonders gelagerten Fällen relevant werden.
30 Auf die nähere Analyse der vorgenannten Entscheidung soll im vorliegenden Zusammenhang verzichtet werden, da der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt in wesentlichen Teilen noch nicht hinreichend geklärt war. 31 B G H , N J W 1984, 2569. 32 Vgl. auch B G H Z 147,45 (50) = N J W 2001, 1865 (1866).
270
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
2. Der Meinungsstand
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
in der
im
Deliktsrecht
Literatur
Das Meinungsbild z u m Deliktsschutz des Besitzes in der Literatur ist disparat. Es soll daher im Folgenden ein Uberblick über die einzelnen Positionen vermittelt werden, bevor dann im Anschluss die für die sich gegenüberstehenden Ansichten sprechenden Argumente näher untersucht werden. a) Schutz jeden
Besitzers
Schon bald nach Inkrafttreten des BGB sprach sich das überwiegende Schrifttum dafür aus, den Besitz als solchen, ohne Unterscheidung nach berechtigtem oder unberechtigtem Besitz, unter § 823 Abs. 1 BGB zu fassen. 33 Z u m Teil wurde der Besitz ohne weiteres zu den absoluten Rechten gerechnet. 34 Andere betrachteten den Besitz zwar nicht als absolutes Recht, aber doch jedenfalls als ein durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut. 3 5 Unter „Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB sei jedes Rechtsgut zu verstehen, das gegenüber jedermann wirksam ist und über das sein Inhaber verfügen kann, so dass darunter auch der übertragbare und vererbliche Besitz falle. 36 Im gleichen Sinne sahen Enneccerus/Lehmann den Besitz als „sonstiges Recht" an, da der Besitz nicht nur Tatsache sei, sondern ein Recht auf den Besitz gewähre, das gegen Besitzstörung und Besitzentziehung durch Klage geschützt sei. 37 Auch im neueren Schrifttum wird diese Auffassung vertreten. D u r c h die Regelungskonzeption der §§ 858 ff. BGB komme zum Ausdruck, dass der Besitz als eine Rechtsposition ausgestaltet ist, die gegenüber Eingriffen Dritter mit absoluter Wirkung geschützt wird. Da es im Rahmen der §§ 858 f. BGB nicht darauf ankomme, ob eine Besitzberechtigung gegeben ist, sei auch der unberechtigte Besitzer grundsätzlich nach § 823 Abs. 1 BGB geschützt. 38 Zudem wird darauf verwiesen, dass nicht der Schutz des bestohlenen Diebes, sondern Praktikabilitätsgründe und die Interessen des Eigentümers eine solche Ausdehnung des Deliktsschutzes erforderten. 3 9 Einen ähnlichen Ansatz vertreten neuerdings Brehm/Berger. Sie gehen davon aus, dass die tatsächliche Inneha-
33 v. Liszt, Deliktsobligationen, S. 21; Oertmann, § 823, Anm. 3 e; Enneccerus/Kipp/Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 1. Band 2. Abteilung, 6. Aufl. 1914, §451 Fn. 10; Haase, §823 Abs. I BGB, S. 52; Spillmann, S.48; Heck, Grundriß des Sachenrechts, 1930, §14, 7 (S. 54), § 17 IV (S. 65 f.); Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 5 (18); Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. 1960, §202,1 b b b (S. 845). 34 v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Band I, § 11 (S. 204, 208 f.); E. Wolf, Lehrbuch des Sachenrechts, 2. Aufl. 1979, § 2 A II b (S. 44 f.). 35 Spillmann, S. 48; Haase, S. 52 m.w.N. 36 Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 5 (18). 37 Enneccerus/Lehmann, §234 I 1 c (S. 913). 38 K. Müller, Rn. 180 f.; ders., Schuldrecht-BT, 1990, Rn. 2390. 39 Lopau, JuS 1980, 501 (506).
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
271
bung als Schutzposition mit den Rechtsgütern vergleichbar ist, die in § 823 Abs. 1 B G B aufgezählt sind. 40 Da der Besitz jedoch keinen Zuweisungsgehalt habe, sei ein Schadensersatzanspruch regelmäßig nicht begründet, weil es am Schutzzweck der Norm fehle. In Betracht komme jedoch ein auf Naturalrestitution gerichteter Schadensersatzanspruch, da dadurch nicht notwendig ein Vermögensschaden ausgeglichen werden müsse.41 b) Kein Schutz des
Besitzers
Die Gegenposition bezog schon früh Planck'1'2 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien. Die Motive 43 zum 1. Entwurf führten aus, dass das Gewaltverbot des §814 (des jetzigen §858 B G B ) für den Inhaber eine absolut geschützte Rechtsstellung begründe; mehr sei nicht zu verlangen, um eine Rechtsverletzung im Sinne des § 704 Abs. 2 (des jetzigen § 823 Abs. 1 B G B ) anzunehmen. Die Zweite Kommission hatte aber einen Antrag, den Besitz in dem (jetzigen) § 823 B G B aufzuführen, abgelehnt, weil der Besitz durch das Verbotsgesetz des (heutigen) § 858 B G B genügend geschützt werde und der Anschein zu vermeiden sei, als habe das Gesetz die wissenschaftliche Frage nach dem Wesen des Besitzes entscheiden wollen. 44 Da Planck davon ausging, dass vom Standpunkt des B G B aus der Besitz kein subjektives Recht darstellt, 45 lehnte er auch die Anwendung des § 823 Abs. 1 B G B ab. 46 c) Schutz des berechtigten
Besitzers
Die heute ganz überwiegende Meinung nimmt demgegenüber eine vermittelnde Position ein. Nach ihr sollen nur dem berechtigten Besitzer, nicht dagegen dem rechtsgrundlosen Besitzer Deliktsansprüche nach § 823 Abs. 1 B G B zustehen können. 47 Erst wenn dem Besitzer auch ein Recht zum Haben und zur Nutzung der Sache zusteht, ergebe sich daraus die notwendige Zuweisung des Besitzes, die sich mit der Abwehrfunktion der §§ 858 ff. B G B zu einer eiBrehm/Berger, Rn. 2.9. Brehm/Berger, Rn. 4.24. 42 Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, Band II, 1. u. 2. Aufl., 1900, § 823, Anm. 2 a (S. 608). 43 Motive, Band III, S. 110. 44 Protokolle, Band II, S. 573. 45 Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, Band III, 1. u. 2. Aufl., 1902, vor §854, Anm. 3 (S.30). 46 Im Ergebnis ebenso Eccius, Gruchot 53 (1909), 1 (8 ff.); Schick, Besitzschutz, S. 73 ff.; Jürgens, S. 119, 178; auch Härtung, S. 66 ff., obwohl er den Besitz als subjektives Recht einordnet. 47 Diederichsen, S. 67; Fikentscher, Besonderes Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, Rn. 1214; Krasser, S. 202 f.; Schreiber, Rn. 118; Schwab/Prutting, Rn. 49; Westermann/Gursky, §8, 4; M. Wolf, Rn. 168; Th. Honseil, JZ 1983, 531 (532). 40 41
272
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
gentumsähnlichen Position verbinde. Die Vertreter dieser Auffassung legen allerdings zum Teil unterschiedliche Akzente bei der Anknüpfung an das betroffene Rechtsgut. Manche gehen davon aus, dass der berechtigte Besitz Schutzgut ist. 48 Andere sehen das Recht zum Besitz als geschütztes Rechtsgut an. 49 Schließlich findet sich auch der Gedanke einer Art stellvertretenden Eigentumsschutzes. Da der Besitzer kraft des Schuldverhältnisses die Sachnutzung an Stelle des Eigentümers ausübe, müsse der Deliktsschuldner ebenso Schadensersatz leisten, als wenn der Eigentümer selbst die Sache gebraucht hätte. 50 In die gleiche Richtung deutet die Vorstellung einer für den Deliktsschutz notwendigen „Interessenschutzposition" des Besitzers, die sich ihrerseits aus dem absoluten Schutz des Eigentums herleite, als dessen „vorgeschobener Posten" der Besitzer so gegenüber Dritten fungiere. 5 1 d) Schutz
des „ befugten
"
Besitzers
Uber den Standpunkt der h.M. geht Medicus52 noch hinaus. Nach seiner Auffassung ist Schutzobjekt bei § 823 Abs. 1 BGB der befugte Besitz, der possessorischen Schutz genießt. Der Besitz stelle insoweit ein „sonstiges Recht" im Sinne dieser Vorschrift dar, als er mit einer Befugnis der Besitzers verbunden ist, da dann der possessorische Klagenschutz mit dem Zuweisungsgehalt der Befugnis zusammen eine dem Eigentum vergleichbare Position ergebe. Eine derartige Befugnis bestehe nicht nur für den berechtigten Besitzer, sondern auch für den unverklagten redlichen Besitzer, wenn er eine nutzbare Sache weder unentgeltlich noch deliktisch erlangt hat. Weiter könne sich eine rechtlich anerkannte Befugnis unabhängig von der Qualität des Besitzes aus Zurückbehaltungs- oder Wegnahmerechten sowie endgültigen Herausgabeansprüchen ergeben. Schließlich sei als eine solche Befugnis auch die für den Besitzer begründete Möglichkeit anzusehen, sich einer Haftung durch die Herausgabe der unversehrten Sache ohne Opfer aus dem eigenen Vermögen zu entledigen; ersatzfähig sei daher auch der Haftungsschaden jedes Besitzers. Für den Fall des entgeltlichen redlichen Besitzers vor Rechtshängigkeit ist dem eine Reihe von Autoren gefolgt. 53 48 Fabricius, AcP 160 (1961), 273 (298, 303); Fikentscher, Rn. 1214; Schreiber, Rn. 118; Schwab/Prutting, Rn. 49; Boehmer, Einführung in das Bürgerliche Recht, 2. Aufl. 1965, S. 308. 49 v. Caemmerer, FS DJT, Band II, S. 49 (82); Canaris, FS f. Flurae I, S. 371 (401); Latenz, Schuldrecht II, 13. Aufl. 1986, § 48 IV (S. 241 f.); Larenz/Canaris, § 76 II 4 f (S. 396); Dulckeit, Verdinglichung, S. 15; Westermann, AcP 152 (1952/1953), 93 (95); Wieling, Sachenrecht I, § 5 IV 6 c. 50 Goldmann, Gruchot 54 (1910), 56 (68). 51 Wilhelm,KnA^i. 52 Medicus, AcP 165 (1965), 115 (136, 148); ders., Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn. 607. 53 Baur/Stürner, § 9 V, Rn. 34; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teil-
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des $ 823 Abs. 1 BGB
III. Zu den Begründungen
273
im Einzelnen
1. Der Besitz als Recht Soweit dem Besitz als solchem die Qualität eines Rechts oder gar eines dinglichen Rechts zugesprochen und darauf aufbauend mit den „sonstigen Rechten" des § 823 Abs. 1 B G B gleichgestellt wird, kann auf die früheren Ausführungen zur Rechtsnatur des Besitzes Bezug genommen werden. 54 Nach dem hier vertretenen Verständnis des Besitzes als tatsächlicher Sachherrschaft stellt das bloße Haben einer Sache von vornherein keine Position dar, die aus sich heraus ein subjektives Recht begründet. Die tatsächliche Gewalt über einen Gegenstand gewährt nach der Rechtsordnung für sich allein noch keine Willensmacht im Sinne einer Befugnis zur Einwirkung auf die Sache. Ist der Besitz danach schon kein Recht, so kann er erst recht nicht als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B angesehen werden, da ihm der von der h.M. zu Recht geforderte Zuweisungsgehalt fehlt. 55 Es überzeugt auch nicht, die §§ 858 ff. B G B als Ausdruck eines absoluten Schutzes des Besitzers gegen Eingriffe Dritter zu begreifen. Da die Gewaltrechte der §§858 f. B G B letztlich spezielle Selbsthilferechte darstellen, vermitteln sie ebensowenig einen absoluten Rechtsschutz wie die allgemeinen Selbsthilferechte der §§ 227 ff. B G B . Die Besitzschutzansprüche der §§ 861 f. B G B bezwecken keine dauernde Güterzuordnung, sondern wenden sich im Interesse des Rechtsfriedens allein gegen die Art der Besitzveränderung. Dementsprechend bestehen zwar grundsätzlich auch für den nichtberechtigten Besitzer Besitzschutzansprüche gegenüber dem Eigentümer, der Ersterem gegenüber verbotene Eigenmacht begangen hat. Diese Ansprüche haben jedoch nach § 863 B G B nur eine vorübergehende Wirkung, da sich die petitoriband 2, 8. Aufl. 2000, § 55 I 2 b (S. 163); Jauernig/Teichmann, § 823, Rn. 16; Kollhosser, JuS 1992, 567 (572); Soergel/StadlerI3, vor §854, Rn. 13; Soergel/Zeuner, §823, Rn.58. Im gleichen Sinne bereits v. Caemmerer, in: FS DJT, Band II, S.49 (83). Für den Nutzungsschaden ebenso MüncbKomm/Mertens, § 823, Rn. 145 f., der den Verwendungs- und den Haftungsschaden dagegen nur über §§ 823 Abs. 2, 858 BGB zuerkennen will. Wieser, JuS 1970, 557, verlangt nur für den Nutzungsschaden eine Berechtigung des Besitzers, nicht dagegen für den Verwendungs- und den Haftungsschaden; er lässt dabei allerdings offen, ob sich der Anspruch aus § 823 Abs. 1 B G B ergibt und stellt allein auf § 823 Abs. 2 B G B i.V.m. § 858 B G B ab; im gleichen Sinne, jedoch auf § 823 Abs. 1 B G B gründend, Wilhelm, Rn. 484. 54 Vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, B. (S. 50 ff.). 55 Dagegen lässt sich der Einordnung des Besitzes als solchen unter § 823 Abs. 1 B G B nicht entgegenhalten, dass dann mit §249 BGB die Regelung der §§858, 861, 864 B G B aus den Angeln gehoben würde (so aber v. Caemmerer, in: FS DJT, Band II, S. 49 [83]; Wilhelm, Rn. 481). Vielmehr stünden der possessorische und der deliktische Besitzschutz auch in diesem Fall selbständig nebeneinander, wie sich an dem deliktischen Verschuldenserfordernis einerseits und dem possessorischen Einwendungsausschluss nach § 863 B G B andererseits zeigt. Im Schnittfeld beider Regelungsbereiche ließe sich im Übrigen eine Anpassung der Verjährung nach § 852 B G B an die Jahresfrist des § 864 Abs. 1 B G B erwägen.
274
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
sehen Ansprüche des Eigentümers durchsetzen. Darüber hinaus steht selbst die vorübergehende Wirkung der petitorischen Ansprüche unter dem Vorbehalt, dass das bessere Recht des Eigentümers nicht liquide ist, § 864 Abs. 2 BGB. Schließlich ist der Kreis der Anspruchsgegner nach §§ 861 Abs. 2, 862 Abs. 2 BGB insoweit eingeschränkt, als der entzogene bzw. gestörte Besitz seinerseits fehlerhaft war. Der Besitzschutz ist daher keineswegs absolut ausgestaltet. Die Vorstellung einer absoluten Schutzwirkung zugunsten auch des unberechtigten Besitzers steht darüber hinaus nicht im Einklang mit der Wertung des Deliktsschutzes. Unterstellt man den Besitz unabhängig von seiner Berechtigung dem Schutz des § 823 Abs. 1 BGB, muss eine Korrektur auf der Ebene der Schadensberechnung erfolgen, da andernfalls selbst der Dieb von dem ihn bestehlenden Zweitdieb Schadensersatz dafür verlangen könnte, dass er statt des gestohlenen Pkws nun ein Mietfahrzeug hat nehmen müssen. 56 Daher meint K. Müller beispielsweise auch, dass dem Besitzer Nutzungsmöglichkeiten im Sinne eines Vermögensschadens nur entgangen seien, wenn sie ihm rechtlich zustanden. 57 Dies hat aber zur Folge, dass dem Dieb, dem eine Nutzung der gestohlenen Sache nie zusteht, in keinem Fall einen Nutzungsschaden hat. Dies führt zu der eigenartigen Konsequenz, dass der Diebesbesitz zwar stets ein geschütztes Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB wäre, aber nie einen Nutzungsschaden gewähren könnte. § 823 Abs. 1 BGB bringt jedoch insoweit eine Wertung zum Ausdruck, als die dort erfassten Rechte und Rechtsgüter grundsätzlich als schutzwürdig angesehen werden und ihre Verletzung per se einen Schadensersatzanspruch begründet. Damit verträgt es sich nicht, wenn auf der Schadensebene eine bestimmte Schadensart von vornherein ausgeschlossen wird. Das gleiche Bedenken besteht auch gegen den Vorschlag von Brehm/Berger, den Schadensersatzanspruch des bloßen Inhabers nach dem Schutzzweck der Norm auf die Naturalrestitution zu begrenzen.58 Zwar ist die Haftungsbegrenzung durch den Schutzzweck der verletzten Norm oder Verkehrspflicht heute als allgemeines Prinzip des Haftungsrechts auch im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. 59 Dabei geht es jedoch um den Ausschluss bestimmter Verletzungshandlungen aus dem Kreis grundsätzlich möglicher Verletzungshandlungen, etwa weil der Pflichtverstoß die Gefahr für das betroffene Rechtsgut nicht in haftungsrelevanter Weise erhöht hat. Auch der Ausschluss bestimmter Schäden aus dem Kreis allgemein ersatzfähiger Schäden ist bei fehlendem Rechtswidrigkeitszusammenhang möglich. Gegenstand des Ausschlusses sind in diesen Fällen jedoch stets In diesem Sinne aber anscheinend Lopau, JuS 1980, 501 (506). K. Müller, Rn. 180 a. 58 Brehm/Berger, Rn. 4.24. 59 MiinchKomm/Mertens, § 823, Rn. 47 f.; Soergel/Mertens, vor § 249, Rn. 146 ff.; Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1990, Rn. 297 ff. 56 57
Deutsch,
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
275
konkrete Handlungen oder Schäden, neben denen andere Handlungen oder Schäden bei entsprechendem Rechtswidrigkeitszusammenhang noch zur Schadensersatzverpflichtung führen können. Beschränkt man indessen den bloßen Besitzer unter Hinweis auf den Schutzzweck der Norm auf die Geltendmachung der Naturalrestitution, so würde man dadurch alle weitergehenden Ersatzansprüche per se ausschließen. Bei einem Rückgriff auf den Rechtswidrigkeitszusammenhang läge es darüber hinaus näher, auf die Fallgruppe abzustellen, bei der die vom Schädiger verletzte Verhaltensnorm nicht den Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts bezweckt. 60 Denn die Vorschriften über die verbotene Eigenmacht nach §§ 858 ff. B G B bezwecken die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen Interesse der Friedenserhaltung, während das Interesse des bisherigen Besitzers allenfalls als Rechtsreflex zur Geltung kommt. 61 Auch unter diesem Gesichtspunkt spricht daher mehr dafür, den Besitz als solchen von vornherein nicht als ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B anzuerkennen. Schließlich ist entgegen Lopaubl auch nicht erkennbar, inwiefern ein eigener Schadensersatzanspruch des Diebes gegen den Zweitdieb dem Eigentümer deliktsrechtlich 63 einen Vorteil bringen soll. Der Dieb hat dem Eigentümer ohnehin nach §§ 992, 823 Abs. 1, 249, 251 Abs. 1 B G B nicht nur einen etwaigen Substanzschaden, sondern auch - soweit anerkannt - Ersatz für entgangene Nutzungen zu leisten. Diese Verpflichtung besteht ohne weiteres auch für den Zeitraum, ab dem der Zweitdieb die Sache dem ersten Dieb entzogen hat, § 848 B G B . Sie wird erst durch den hypothetischen Kausalverlauf (§§ 287 S. 2, 848 lt. HS B G B ) begrenzt, der auch im Rahmen der Schadensberechnung nach §§ 249 ff. B G B zu beachten ist. 64 Der zweite Dieb entgeht dadurch auch nicht seiner eigenen Verantwortung gegenüber dem Verletzten. Denn er ist seinerseits dem Eigentümer für den Zeitraum ab dem zweiten Diebstahl zum Schadensersatz nach §§992, 823 Abs. 1, 249, 251 Abs. 1 B G B verpflichtet. Hält sich der Eigentümer nur an den ersten Dieb, so erfolgt der Ausgleich bezüglich des Schadens ab dem zweiten Diebstahl im Innenverhältnis der Diebe nach §§ 840 Abs. 1, 426 Abs. 1 B G B . 6 5 Daneben kann der Erstdieb seine Ersatzleistung an den Eigentümer nach § 255 B G B auch davon abVgl. MünckKomm/Mertens, § 823, Rn. 48 m. w. N. Dazu im Einzelnen oben, Teil 1, 2. Kapitel, B. II. 2. d (S. 40 ff.). 62 Lopau,]aS 1980,501 (506). 63 Zum bereicherungsrechtlichen Aspekt vgl. oben, 3. Kapitel, B. II. (S. 223 ff.). 64 MünchKomm/Stein, § 848, Rn. 1; Soergel!Mertens, vor § 249, Rn. 152 ff. m.w.N. 6 5 Eine andere Frage ist, ob beide Diebe im Innenverhältnis zu gleichen Teilen verpflichtet sind, oder ob der Zweitdieb den Schaden entsprechend § 254 Abs. 1 B G B allein zu tragen hat. Gegen Letzteres spricht die Überlegung, dass der Zweitdieb ohne den ersten Diebstahl in der Regel wohl kaum gerade den Wagen des Eigentümers entwendet haben würde. Außerdem hätte der erste Dieb den Wagen ohne den Zweitdiebstahl doch weiter für sich behalten und wäre daher auch so dem Eigentümer zum weiteren Schadensersatz verpflichtet gewesen. 60 61
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz im
Deliktsrecht
hängig machen, dass dieser ihm seine Ansprüche gegen den Zweitdieb abtritt. 66
2. Das schuldrechtliche Herrschaftsrecht
Besitzrecht als relatives
Dass der obligatorisch berechtigte Besitz ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstelle, wird nach verbreiteter Auffassung mit der auf Larenz und Diederichsen zurückgehenden Konstruktion als relativem Herrschaftsrecht67 begründet. Der Besitzberechtigte habe über die rein obligatorische Beziehung zum Schuldner hinaus ein Recht auf die Sache. Das auf einem Schuldverhältnis beruhende Besitzrecht ergreife daher auch die Sache selbst und sei somit ein Herrschaftsrecht und kein Anspruch. Dieses Recht zum Besitz sei ein durch Verfügung aus dem Vollrecht ausgesondertes und verselbständigtes subjektives Recht. Es nehme folglich eine Zwitterstellung zwischen Schuld- und Sachenrecht ein: Es sei ein dingliches Recht ohne absoluten Schutz oder genauer ein relatives Herrschaftsrecht über eine Sache. Als relatives Herrschaftsrecht weise es auch die für ein sonstiges Recht nach § 823 Abs. 1 B G B konstitutiven Elemente der Ausschlussfunktion gegenüber Dritten einerseits und des eigenen Zuweisungsgehalts andererseits auf.68 Die Figur des relativen Herrschaftsrechts wurde bereits in anderem Zusammenhang als unnötige Mischform kritisiert, die die Grenzen zwischen Schuld- und Sachenrecht verwischt, ohne dass dafür ein Bedürfnis oder eine Rechtfertigung angeführt werden kann.69 Auf die betreffenden Ausführungen kann hier verwiesen werden. Es kommt für die Frage nach dem Deliktsschutz hinzu, dass der Charakter als „relatives" Herrschaftsrecht doch eigentlich gerade gegen eine Gleichstellung mit einem dem Eigentum vergleichbaren sonstigen Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB sprechen müsste. Wenn man dagegen die Eigentumsähnlichkeit aus einer Kombination des possessorischen Abwehrrechts der §§ 858 ff. B G B und des in dem obligatorischen Besitzrecht liegenden Zuweisungsgehalts herleitet, verbindet man zwei Wirkungen des berechtigen Besitzes, die unterschiedlichen Interessen dienen. Der weit gespannte possessorische Besitzschutz, der grundsätzlich gerade nicht an die Berechtigung des beeinträchtigten Besitzes anknüpft, dient dem Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung des Faustrechts und erfüllt damit eine Friedensfunktion, während das Interesse des Besitzers an der zumindest vorübergehenden Aufrechterhaltung seiner Besitzposition allenfalls reflexhaft
66 67 68 69
Vgl. hierzu auch unten, IV. 2. c (S. 302). Dazu bereits im Einzelnen oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 2. c (S. 88 ff.). Westermann/Gursky, § 8, 4 (S. 69); Medicus, AcP 165 (1965), 115 (136). Im Einzelnen oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 2. c, 3. (S. 88 ff., 95 ff.).
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
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mitberührt wird. 7 0 Darüber hinaus ist der possessorische Besitzschutz auch keineswegs absolut ausgestaltet, wie etwa die Ausklammerung des fehlerhaft erlangten Besitzes in den §§ 861 Abs. 2, 862 Abs. 2 B G B zeigt. Die obligatorische Besitzberechtigung andererseits kann zwar Grundlage der Zuweisung der tatsächlichen Sachherrschaft im vertraglich festgelegten Umfang sein, wie wir im Zusammenhang mit der Eingriffskondiktion gesehen haben. 71 Der Anspruch auf die Übertragung und Belassung des Besitzes ist jedoch ein relatives Forderungsrecht, 7 2 das als solches den absolut geschützten Rechten nach § 823 Abs. 1 B G B nicht gleichgestellt werden kann. Dies bestätigt auch die wissenschaftliche Diskussion um das allgemeine Problem des deliktischen Forderungsschutzes. Bekanntlich geht die nach wie vor überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass Forderungen wegen ihres relativen Charakters keine sonstigen Rechte im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B darstellen, zumal sonst ein systemwidriger allgemeiner Vermögensschutz die Folge wäre, der zu unerträglichen Haftungsrisiken für den allgemeinen Rechtsverkehr führt. 73 Eine Mindermeinung spricht sich demgegenüber dafür aus, zumindest in Teilbereichen einen eigenständigen Deliktsschutz für Forderungen anzuerkennen. Dabei werden regelmäßig drei Fallgruppen erörtert. Zum einen geht es um Situationen, in denen ein Dritter auf den Forderungsgegenstand einwirkt, indem er etwa die verkaufte Sache zerstört. Daneben ist ein Eingriff dadurch denkbar, dass der Dritte auf den Schuldner einwirkt und ihn von der Erfüllung seiner Verpflichtung abbringt, indem er ihn z. B. an der Leistungserbringung hindert oder ihn zum Vertragsbruch verleitet. Schließlich geht es um Fälle, in denen ein Nichtberechtigter über die Forderung verfügt, indem er sie etwa mit Wirkung gegenüber dem Forderungsinhaber einzieht. In den ersten beiden Fallgruppen ist man sich im Grundsatz nahezu 74 einig, dass ein Deliktsschutz nach § 823 Abs. 1 B G B ausscheidet und dass stattdessen beim Hinzutreten besonderer Dazu oben, Teil 1, 2. Kapitel, B. II. 2. d (S. 40 ff.). Hierzu oben, 3. Kapitel, C. II. 2. (S. 234 ff.). 72 Vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 3. (S. 95 ff.). 73 RGZ 95, 283; 111, 298 (302); BGHZ 7, 30 (36 f.); 29, 65 (73 f.) = N J W 1959, 479 (481); BGH, NJW 1970, 137 (138); MüncbKomm/Mertens, § 823, Rn. 131 f.; Soergel/Zeuner, § 823, Rn. 48; Staudinger/7/ager, §823, Rn. B 162; Emmerich, SchuldR-BT, §22, Rn. 5; Esser/Weyers, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 2, 8. Aufl. 2000, § 55 I 2 b (S. 163); Kötz/ Wagner, Deliktsrecht, 9. Aufl. 2001, Rn. 74; Schlechtriem, Schuldrecht BT, 5. Aufl. 1998, Rn. 761; Gernhuher, Schuldverhältnis, § 3 II 8 b (S. 39 ff.); Krasser, S. 186 ff., 200 f.; Hammen, AcP 199 (1999) 591 ff.; Medicus, Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn.610; ders., in: FS f. Steffen, S. 333 (338 ff.); Otte, JZ 1969, 253 (255 ff.). 74 Anders Koziol, Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, S. 152 ff., 185, der das „Recht auf obligationsmäßige Willensrichtung des Schuldners" schützen will und dadurch in der zweiten Fallgruppe zu einem Deliktsschutz gelangt; dagegen Larenz/Canaris, § 76 II 4 g (S. 398). Löwisch, Deliktsschutz, S. 76 ff., will den Deliktsschutz gegen alle Handlungen gewähren, die gegen das Recht gerichtet sind, worunter er unter anderem auch die unbefugte 70 71
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Umstände allenfalls der weitergehende Vermögensschutz nach § 826 BGB eingreifen kann. Lediglich bei der dritten Fallgruppe befürwortet eine starke Mindermeinung einen Deliktsschutz nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Eingriffs in die sogenannte „Forderungszuständigkeit". 75 Inwieweit die Aufnahme der so verstandenen Forderungszuständigkeit in den Kreis der sonstigen Rechte nach § 823 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist, ist für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung nicht weiter relevant und kann hier daher offen bleiben. Wichtig ist jedoch, dass man sich jenseits dieser Meinungsverschiedenheit weitgehend einig ist, dass die bloße Einwirkung auf den Forderungsgegenstand keinen Deliktsanspruch des Gläubigers auslösen soll. Der Einwirkung auf den Forderungsgegenstand entspricht aber gerade die Situation, in der sich der obligatorisch berechtigte Besitzer befindet, wenn ein Dritter die Sache zerstört, entwendet oder in sonstiger Weise durch Einwirkung auf die Sachsubstanz den Gebrauch verhindert. Der Umstand, dass der obligatorisch berechtigte Besitzer zum Zeitpunkt des Eingriffs bereits im Besitz der Sache ist, vermag für sich genommen keinen weitergehenden Deliktsschutz zu rechtfertigen. Zwar besteht hier insoweit ein Unterschied zum sonstigen Forderungsinhaber, als der Besitzer Einwirkungen auf die Sache nach den §§861, 862 BGB grundsätzlich abwehren kann. Diese Abwehransprüche resultieren jedoch wieder nur aus der Friedensfunktion des possessorischen Besitzschutzes, der selbständig neben das schuldrechtliche Recht des Besitzers tritt. Dass es beim Schutz des berechtigten Besitzers der Sache nach um einen ansonsten abgelehnten Forderungsschutz geht, zeigt auch die Behandlung des mittelbaren Besitzers. In der Konsequenz der herrschenden Lehre läge es, auch dem berechtigten mittelbaren Besitzer den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB gegenüber jedermann zu Teil werden zu lassen. Bezeichnenderweise wird aber gegenüber dem unmittelbaren Besitzer kein Deliktsanspruch gewährt. Vordergründig wird dies zwar darauf gestützt, dass dem mittelbaren Besitzer auch keine Besitzschutzansprüche gegenüber dem unmittelbaren Besitzer nach §§ 868, 861, 862 BGB zustehen, da der mittelbare Besitzer bereits durch die schuldrechtlichen Beziehungen und die daraus sich ergebenden Ansprüche hinreichend geschützt (sie!) sei. 76 Zum Teil wird jedoch zutreffend darauf abgestellt, dass es hier um Forderungsschutz geht. 77 Rechtsausübung fasst. Neuerdings will Chr. Becker, AcP 196 (1996), 439 (449 ff., 452 ff.), Forderungen tatbestandlich umfassend dem § 823 Abs. 1 BGB zuordnen und für notwendig gehaltene Einschränkungen erst bei nachgelagerten Tatbestandsmerkmalen wie Kausalität oder Verschulden vornehmen. 75 v. Caemmerer, in: FS f. Rabel I, S. 333 (355); Canaris, in: FS f. Steffen, S. 85 (97); Fabricius, AcP 160 (1961), 273 (303 f.); Larenz, Schuldrecht II, 12. Aufl. 1981, § 72 I a (S. 604 f.); Larenz/Canaris, § 76 II 4 g (S. 397 ff.); Schwitanski, S. 223; Stall, AcP 162 (1963), 203 (212); dagegen zuletzt Hammen, AcP 199 (1999) 591 ff. 76 BGHZ32, 194 (205) = N J W 1960, 1201 (1204). 77 Fikentscher, Besonderes Schuldrecht, Rn. 1214.
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
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Auch die Publizitätsfunktion des Besitzes vermag einen Deliktsschutz des berechtigten Besitzers nach Übergabe der Sache nicht zu rechtfertigen. Das R G hatte allerdings im Petroleum-Fall in der Publizität des Besitzes den entscheidenden Grund dafür gesehen, dass mit der Ubergabe der Mietsache das Recht des Mieters dem reinen Obligationenrecht entwachse; es bestünden nicht mehr nur Rechte und Pflichten zwischen den obligatorisch verbundenen Parteien, sondern jedermann habe das durch den Besitz erkennbare Mietrecht zu achten. 78 Die Formulierung von dem durch den Besitz erkennbaren Mietrecht, das jedermann zu achten habe, wurde später vom B G H übernommen. 79 Auch in der Literatur wurde immer wieder an die Publizitätsfunktion des Besitzes angeknüpft. Nach Löning vervollständigt der der Publizität dienende Besitz das Mietrecht zum Schutzgegenstand des § 823 Abs. 1 B G B . 8 0 Auch für Dulckeit vermag allein die Publizitätsfunktion des Besitzes den deliktischen Schutz zu rechtfertigen, weil er ein obligatorisches Besitzrecht in ein kundbares Recht verwandele. 81 Den Gedanken der Publizität hat Fabricius aufgegriffen und versucht, ihn als allgemeines Kriterium zur Bestimmung der nach § 823 Abs. 1 B G B geschützten Rechte fruchtbar zu machen. 82 Danach sollen sonstige Rechte im Sinne dieser Norm nur solche Rechte sein, deren Rechtsgut, d.h. das Interesse des Berechtigten an dem Gegenstand, auf den sich das Recht bezieht, „sozialtypisch offenkundig" ist. Unter „sozialtypischer Offenkundigkeit" wird dabei „die aufgrund unserer Sozial- und Kulturauffassung selbstverständliche, d.h. durch einfache, überwiegend auf Gewohnheit und Erfahrung beruhende Gedankenreflexion von einem allgemein sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand auf das Vorhandensein eines Rechtsguts begründete Erkennbarkeit des Rechtsguts" verstanden. 83 Dem Forderungsrecht fehle es danach normalerweise an der sozialtypischen Offenkundigkeit, doch ändere sich dies, wenn das Forderungsrecht verdinglicht werde, wie bei der in Vollzug gesetzten Miete oder Pacht. Es sei hierbei allerdings nicht die aus dem Mietrecht entspringende Verpflichtung des Mieters, 84 die mit der Besitzüberlassung seitens des Vermieters (Verpächters) an den Mieter (Pächter) sozialtypisch offenkundig wird, sondern es sei der aufgrund des Mietvertrages rechtmäßige Besitz des Mieters (Pächters), der gemäß § 823 Abs. 1 B G B schutzwürdig sei. 85
78 79 80 81 82 83 84 85
RGZ 59, 326 (328). B G H , J Z 1954,613 = B B 1954,426. Löning, Grundstücksmiete, S. 157. Dulckeit, Verdinglichung, S. 15. Fabricius, AcP 160 (1961), 273 (289 ff.). Fabricius, AcP 160 (1961), 273 (291, 295). Gemeint ist offenbar der Vermieter. Fabricius, AcP 160 (1961), 273 (302 f.).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz im
Deliktsrecht
All diese Ausführungen sind jedoch nicht geeignet, die Ausdehnung des Deliktsschutzes auf Forderungen und damit auch auf den obligatorisch berechtigten Besitzer zu rechtfertigen. Dem zuletzt genannten Kriterium der sozialtypischen Offenkundigkeit ist zu Recht immer wieder vorgehalten worden, zu weit und zu unbestimmt zu sein, als dass eine klare Abgrenzung der sonstigen Rechte des § 823 Abs. 1 B G B möglich wäre. 86 Im vorliegenden Zusammenhang kommt hinzu, dass Fabricius seinen eigenen Maßstab verlässt und stattdessen auf ein allgemeines Billigkeitskriterium zurückgreift. Bei dem in Vollzug gesetzten Mietvertrag soll nämlich nicht die Verpflichtung des Vermieters offenkundig werden, sondern einfach der rechtmäßige Besitz des Mieters „schutzwürdig" sein. Aber auch der allgemeine Gedanke der Publizität wird in seiner Fähigkeit zur Bestimmung der nach § 823 Abs. 1 B G B geschützten Rechte überschätzt. Die bloße Tatsache, dass sich eine Person im Besitz einer Sache befindet, lässt für einen Dritten noch nicht erkennen, ob diese Person ihre tatsächliche Sachherrschaft in ihrer Eigenschaft als Eigentümer oder Mieter ausübt. Der Besitz allein kündet weder von einem Recht zum Besitz noch von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines solchen Rechtes. Deswegen kann entgegen der Rechtsprechung keine Rede davon sein, dass das Mietrecht durch den Besitz für jedermann erkennbar ist. Diese Überlegungen spiegeln sich auch in der Diskussion um das Traditionsprinzip bei der Ubereignung beweglicher Sachen wider. Vielfach wird hier das Ubergabeerfordernis mit dem Publizitätsgedanken gerechtfertigt. Ebenso, wie bei Immobilien die Eintragung im Grundbuch, solle bei den M o bilien das Traditionsprinzip die Rechtsveränderung kundbar machen. 87 Das so verstandene Traditionsprinzip ist freilich wegen seiner zahlreichen Durchbrechungen (vgl. nur §§ 930, 931 B G B ) von jeher kritisiert worden. 88 In jüngerer Zeit ist daher vorgeschlagen worden, den Zweck des Traditionsprinzips nicht im Publizitätsgedanken, sondern beim Erwerb vom Berechtigten im Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Veräußerungsvorgangs und beim Erwerb vom Nichtberechtigten in der Risikobegrenzung für den Berechtigten zu sehen. 89 Die im Besitz als tatsächlicher Sachherrschaft zum Ausdruck kommende Publizität hat ihre Berechtigung als Legitimationsgrundlage für den gutgläubigen Erwerb, wie sie auch in der Eigentumsvermutung des § 1006 B G B zum Ausdruck kommt. Sie ist jedoch nicht geeignet, ein möglicherweise dem
86 Löwisch, S. 42 ff.; Krasser, S. 182 ff.; Medicus, in: FS f. Steffen, S. 333 (335, Fn. 15); Habersack, S. 129 f. 87 Motive, Band III, S. 333 (= Mugdan, Band III, S. 184 f.); Martinek, AcP 188 (1988), 573 (576); Schwab/Prutting, Rn. 371. 88 Kohler, ArchBürgR 18 (1900), 1; Heck, Grundriß des Sachenrechts, §56 (S.235, 241); Brandt, S. 160 ff.; Süß, in: FS f. M. Wolff, S. 141 (149 ff.); Wacke, Das Besitzkonstitut, S.40f. und passim; Brehm/Berger, Rn. 26.12 ff. 89 Brehm/Berger, Rn. 26.9,26.11 ff.
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
281
Besitz zugrundeliegendes obligatorisches Rechtsverhältnis kundbar zu machen. Daher ist die Publizitätsfunktion auch nicht geeignet, ein schuldrechtliches Besitzrecht zu einem „sonstigen Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB aufzuwerten.90
3. Die sogenannte
Verdinglichung
obligatorischer
Rechte
Dass obligatorische Rechtsbeziehungen nach dem B G B über ihren relativen Charakter hinaus auch mit einzelnen Drittwirkungen ausgestattet sein können, wurde schon früh erkannt. Otto v. Gierke wies darauf hin, dass das BGB, anders als das Preußische Landrecht, das persönliche Recht durch den Besitz zwar nicht in ein dingliches Recht umschlagen lasse, der Besitz ihm aber immerhin in bestimmtem Umfang „dingliche Wirksamkeit" verleihe, wobei er vor allem § 571 B G B a.F. (§ 566 BGB n.F.) im Auge hatte.91 In gleicher Weise sprach Müller-Erzbach von der „verdinglichenden Kraft", welche der Besitz von Grundstücken in der Hand eines Mieters gewinne.92 Gelegentliche Vorstöße, das Mietrecht, zumindest bei der Grundstücksmiete, auch auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs als ein dingliches Recht zu begreifen,93 fanden keine Gefolgschaft. a)
Dulckeit
Das Schlagwort von der „Verdinglichung obligatorischer Rechte" prägte jedoch nachhaltig Dulckeit mit seiner gleichnamigen Schrift von 1951. Ihm ging es erklärtermaßen um ein Aufbrechen der „fortschreitenden Erstarrung" in der Dogmatik des Ineinandergreifens von Schuld- und Sachenrecht. Dabei ist Gegenstand seiner Untersuchung die Frage, ob es im System des geltenden Vermögensrechts Forderungsrechte gibt, die zwar eindeutig als solche bestimmt sind, die dennoch aber schon Züge eines dinglichen Rechts an sich tragen.94 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die These, dass das B G B auf einer Vermengung der aus dem gemeinen Recht übernommenen strengen Scheidung zwischen Schuldrechten und Sachenrechten einerseits und dem deutschrechtlichen Grundsatz der Publizitätsfunktion des Besitzes andererseits beruht. Eine vollständige oder auch nur beschränkte echte Verdinglichung obligatorischer Rechte erscheine auf diese Weise ausgeschlossen. Das Im Ergebnis ebenso Schick, S. 75. O. v. Gierke, Fahrnisbesitz, S. 20; ders., Deutsches Privatrecht, Band II, 1905, S. 611 f. 92 Müller-Erzbach, AcP 142 (1936), 5 (19). 93 Cosack/Mitteis, §105 (S. 390 ff.); Löning, Grundstücksmiete, S.47ff., 149 ff.; zuletzt Wieling, Gedächtnisschrift f. Sonnenschein, S. 201 (211 ff.). Vgl. zur entsprechenden Diskussion in Österreich F. Bydlinski, WoBl 1993, 1 (3 ff.) m. w. N. 94 Dulckeit, S. 10. 90 91
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Gesetz müsse daher zu schuldrechtlichen Hilfskonstruktionen greifen oder sich anderer Rechtseinrichtungen und Bestimmungen bedienen, die eine mehr oder weniger weit reichende Verdinglichung des Anspruchs zur Folge haben, wenn das Gesetz aus praktischen Gründen bestimmte dingliche Wirkungen gewähren wolle. Derartige schuldrechtliche Hilfskonstruktionen sieht Dulckeit in den §§986 Abs. 2, 571 a.F. (566 n.F.), 577 a.F. (567 n.F.) BGB. Eine echte Verdinglichung obligatorischer Rechte lasse sich dagegen in den §§ 883 ff., 1007, 823 Abs. 1 BGB feststellen. 95 Das BGB sei damit aber durch ein Auseinanderfallen des einer bestimmten Regelung zugrundeliegenden Rechtsgedankens und seiner konstruktiven Ausgestaltung gekennzeichnet, und dies führe notwendigerweise zu unheilbaren inneren Brüchen. 96 Um den darin liegenden Konflikt zu lösen, setzt Dulckeit beim Verhältnis der Forderung zum dinglichen Recht an. Er geht von der Vorstellung aus, dass sich jedes Forderungsrecht durch Leistung des Geforderten ohne weiteres in ein dingliches Recht bzw. jeder Anspruch sich durch Erfüllung in ein absolutes Recht verwandelt. 97 Grundlage hierfür ist die Figur des „relativen Eigen". Bei der Veräußerung einer körperlichen Sache werde bereits im Schuldvertrag das Eigentum an der Sache selbst relativ übertragen. 98 Das im Vertrag versprochene Eigen stehe inter partes und idealiter bereits dem Erwerber zu. Mit Besitzverschaffung verwandele sich dann das relative in ein absolutes Recht. 99 Bis zur Übergabe habe der Veräußerer kraft Rechtsscheins noch als dinglich Berechtigter zu gelten; der Eigentümer im Innenverhältnis sei der wahre, der Eigentümer im Außenverhältnis sei der scheinbare Eigentümer.100 Auf dieser Grundlage kommt Dulckeit zu dem Ergebnis, dass sich das obligatorische Besitzrecht mit der Ubergabe der Sache in ein auch nach § 823 Abs. 1 BGB dinglich geschütztes Recht verwandelt. So sehr der Anstoß Dulckeits zu einer dogmatischen Neuorientierung im Verhältnis von Schuld- und Sachenrecht begrüßt wurde, so einmütig war zugleich die Ablehnung seines Vorschlags zur konstruktiven Bewältigung des Problems. 101 In der Tat lässt sich sein Lösungsweg mit dem geltenden Recht nicht vereinbaren. Wenn Dulckeit mit der Besitzübergabe am Traditionsprinzip festhält, die Übertragung des Eigentums aber bereits im Schuldvertrag, wenn auch nur relativ, verankert sieht, so beseitigt er im Grunde das dingliche Dulckeit, S.28. Dulckeit, S. 29. 97 Dulckeit, S. 41. 98 Dulckeit, S. 43. 99 Dulckeit, S. 33. 100 Dulckeit, S. 43. 101 Vgl. Lange, NJW 1952, 1366; Westermann, AcP 152 (1952/1953), 93 ff.; Weitnauer, in: FS f. Larenz, S. 705 (707 ff., 710 ff.); Canaris, in: FS f. Flume I, S.371 (378 ff.); Dörner, S. 83 Fn. 19 und insbesondere die Auseinandersetzung mit den rechtsphilosophischen und rechtshistorischen Aspekten der Lehre Dulckeits bei Diederichsen, S. 76 ff. 95 96
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des 5 823 Abs. 1 BGB
283
Verfügungsgeschäft. Weiterhin erscheint die relative Aufspaltung der Eigentümerstellung bis zur Ubergabe der Sache nicht konsequent. Wenn man von einer unterschiedlichen Eigentümerstellung im Innen- und Außenverhältnis ausgeht, müsste der Veräußerer, wie bei einem Verstoß gegen ein Veräußerungsverbot (§§ 135, 136 BGB), im Verhältnis zu Dritten materiell und nicht nur kraft Rechtsscheins dinglich Berechtigter sein. Daneben bleibt unklar, wie Dulckeit die Fälle der Eigentumsübertragung erklären will, bei denen die Besitzübertragung abgekoppelt ist, wie etwa beim Eigentumsvorbehalt (§449 BGB) oder bei der Übereignung mittels Besitzkonstitut (§ 930 BGB). Auch die Problematik paralleler Verschaffungsansprüche wird nicht erörtert, so dass sich die Frage nach dem Schicksal des „relativen Eigen" bei mehreren inhaltsgleichen Ansprüchen stellt. Die Lehre Dulckeits hat sich daher insgesamt zu Recht nicht durchzusetzen vermocht. Die Vorstellung von einer „Verwandlung" des obligatorischen Rechts in ein dingliches Recht durch die Ubergabe vermag daher ebenfalls nicht die Einbeziehung in den Deliktsschutz nach § 823 Abs. 1 B G B zu rechtfertigen. b) Canaris Mehr als ein Vierteljahrhundert später hat Canaris das Thema der Verdinglichung obligatorischer Rechte erneut aufgegriffen.102 Er analysiert, inwieweit das Gesetz bestimmten obligatorischen Rechten einzelne dingliche Rechtsfolgen zuerkennt und geht der Frage nach, ob und gegebenenfalls inwieweit aus dieser partiellen Zuerkennung dinglichen Schutzes auf weitere dingliche Wirkungen geschlossen werden kann. 103 Dabei sieht Canaris das entscheidende Kriterium des dinglichen Rechts in dessen Absolutheit. Die Wirkungen der Absolutheit fasst er in drei Gruppen zusammen. Primär gehe es um einen umfassenden Klageschutz gegenüber jedem beliebigen Dritten, der sich in Herausgabe-, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen nach dem Modell der §§ 985,1004, 823 Abs. 1 B G B orientiere. Daneben drücke sich die Absolutheit einer Rechtsposition in einem Verfügungs-, insbesondere in einem Sukzessionsschutz aus, so dass ein anderer, insbesondere der bisherige Berechtigte oder der Inhaber des Vollrechts grundsätzlich nicht mehr mit Wirkung zu Lasten des dinglich Geschützten verfügen kann. Schließlich drücke sich die Absolutheit eines Rechts in seiner Konkurs- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit aus.104 Das Recht zum Besitz aus Schuldverhältnissen sieht Canaris vor allem durch die §§ 986 Abs. 2, 571 B G B a. F. (§ 566 B G B n. F.) verdinglicht. § 986 102 103 104
Canaris, in: FS f. Fiume I, S. 371 ff. Canaris, a.a.O., S. 371 (372). Canaris, a.a.O., S. 371 (373 f.).
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Abs. 2 BGB enthalte den allgemeinen Rechtsgedanken, dass der Erwerber einer Sache mit Rechten des Besitzers grundsätzlich zu rechnen und diese zu respektieren habe, auch wenn sie nur obligatorischer Art sind. 105 Demgegenüber schaffe §571 BGB a.F. im Liegenschaftsrecht Sukzessionsschutz. Auch darin liege, trotz des schuldrechtlichen Instruments der Vertragsübernahme, eine teilweise Verdinglichung des Rechts zum Besitz. Diese Konstruktion müsse über den Wortlaut der §§ 571 a.F., 581 Abs. 2 BGB wegen der gleichgerichteten Interessenlage darüber hinaus bei allen nicht-vormerkungsfähigen Rechtsstellungen eingreifen, sofern diese auf einem vertraglichen Dauerschuldverhältnis mit dem Eigentümer beruhen und ihr wesentlicher Inhalt in einem Recht zum Gebrauch der Sache besteht. 106 Der durch § 986 Abs. 2 BGB verliehene Sukzessions- und Verfügungsschutz führe dazu, dass das Recht zum Besitz bei beweglichen Sachen auch vollstreckungsbeständig sein müsse. Dagegen schlage die schuldrechtliche Grundstruktur des Rechts z u m Besitz im Konkurs wieder durch, da in dem Wahlrecht des Konkursverwalters nach § 1 7 K O eine Wertung zugunsten der Masse zum Ausdruck komme, soweit nicht ausnahmsweise §21 Abs. 1 K O eingreife. 107 Bei Grundstücken ergebe sich die Zwangsvollstreckungs- und Konkursfestigkeit des Rechts zum Besitz im Anwendungsbereich des § 571 BGB a.F. aus §§57 f ZVG bzw. § 21 Abs. 1 und Abs. 4 K O , wobei die Stellung des Mieters und Pächter allerdings gegenüber einem echten dinglich Berechtigten insofern schwächer ist, als dem Erwerber ein Kündigungsrecht zusteht. 1 0 8 Aus diesem Befund folgert Canaris, dass die Rechtsstellung des berechtigten Besitzers so weit „verdinglicht" sei, dass das Recht zum Besitz auch als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen sei. 109 Lediglich bei solchen Besitzrechten an Grundstücken, die nicht unter § 571 BGB a. F. fallen, könne nicht von einer auch nur teilweisen Verdinglichung gesprochen werden, so dass es wieder darauf ankäme, ob man den berechtigten Besitz als solchen zu den sonstigen Rechten des § 823 Abs. 1 BGB zählt oder ob § 858 BGB ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist, ohne dass Canaris dazu freilich Stellung nimmt. 1 1 0 c)
Würdigung
Bei dieser Begründung des deliktischen Besitzschutzes nach § 823 Abs. 1 BGB fällt auf, dass Canaris entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung 1 1 1 nicht mehr prüft, ob und inwieweit von der Zuerkennung einzelner dinglicher 105 106 107 108 109 110 1,1
Canaris, Canaris, Canaris, Canaris, Canaris, Canaris, Canaris,
a.a.O., a.a.O., a.a.O., a.a.O., a.a.O., a.a.O., a.a.O.,
S. 371 S. 371 S. 371 S. 371 S. 371 S. 371 S. 371
(392 f.). (394). (396 f.). (397 f.). (401); Larenz/Canaris, (401). (372).
% 76 II 4 f (S. 396).
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
285
Rechtsfolgen auf weitere dingliche Wirkungen geschlossen werden kann. Stattdessen wird ohne nähere Begründung unmittelbar und einschränkungslos aus dem konstatierten Sukzessions- und Verfügungsschutz auch der allgemeine Drittschutz abgeleitet. Einen solchen, gleichsam zwingenden, Zusammenhang anzunehmen, erscheint indessen zweifelhaft. Die Frage, ob und in welchem Umfang der obligatorisch Berechtigte gegen Rechtsnachfolger oder Verfügungen seines Vertragspartners geschützt ist, hat mit der Frage nach dem Schutz gegen allgemeine Eingriffe Dritter nichts zu tun. Es handelt sich hier jeweils um unterschiedliche Schutzebenen, die sich nicht berühren müssen. Auch bei sonstigen Forderungen wird Sukzessionsschutz gewährt, §§ 404 ff. B G B , ohne dass die ganz überwiegende Auffassung zugleich von einem allgemeinen Deliktsschutz nach § 823 Abs. 1 B G B ausgeht. Es kommt hinzu, dass die Grundlage der angenommenen Dinglichkeitserstreckung, nämlich der Sukzessionsschutz des § 566 B G B und der Verfügungsschutz nach § 986 Abs. 2 B G B , durchaus von begrenzter Reichweite ist. Die Regelung des § 566 B G B wurde vom Gesetzgeber als „Anomalie" bewusst in Kauf genommen, um den Grundstücksmieter gegen „Austreibung" zu sichern. Dabei wurde ausdrücklich auch die Miete von Geschäftsräumen und die Pacht von Landgütern und gewerblichen Unternehmungen einbezogen. 112 Wenn daher auch nicht der „soziale" Mieterschutz im Sinne der Sicherung des privaten Wohnraummieters allein oder auch nur vorrangig maßgeblich war, so zeigen die Materialien doch deutlich, dass es sich bei § 566 B G B um einen Schutzmechanismus handeln sollte, der in Durchbrechung der schuldrechtlichen Begrenzung von Rechten und Pflichten gerade nur den Grundstücksmietern und -pächtern zugute kommen sollte. Die ganz überwiegende Auffassung geht daher bis heute zutreffend davon aus, dass § 566 B G B eine eng auszulegende Mieterschutzbestimmung darstellt. 113 § 9 8 6 Abs. 2 B G B ist demgegenüber in seiner Grundkonstellation nichts anderes als ein Anwendungsfall des § 404 B G B . 1 1 4 Soweit dem in neuerer Zeit verbreitet entgegengehalten wird, dass der Herausgabeanspruch nach § 985 B G B in der Person des neuen Eigentümers neu entstehe, 115 wird übersehen, dass der Besitzer sein obligatorisches Besitzrecht nicht nur dem abgetretenen Herausgabeanspruch nach § 404 B G B entgegehalten kann, sondern dass dieses Besitzrecht zugleich nach § 986 Abs. 1 B G B auch gegenüber dem (neuen) dinglichen
Protokolle, Band II, S. 137 f. (= Mugdan, Band II, S. 815 f.). RG, WarnR 1916, Nr. 101; BGHZ 107, 315 (320) = N J W 1989, 2053; Staudinger/Emmerich, § 571, Rn.4; Gather, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 7. Aufl. 1999, §571, Rn.2ff.; Buh/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. 1999, Kapitel II, Rn. 857. 114 So zu Recht schon Raape, JherJb 71 (1922), 97 (123, Fn. 1); v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Band I, S.214. 115 Dulckeit, S. 19 Fn. 12; Diederichsen, S. 52; Erman/Hefermehl, § 986, Rn. 9; Staudinger/ Gursky, § 986, Rn. 49; Weitnauer, in: FS f. Larenz, S. 705 (711). 112
113
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
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Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Herausgabeanspruch des Erwerbers aus § 985 BGB wirkt. 1 1 6 Selbständige Bedeutung erlangt § 986 Abs. 2 BGB dagegen, soweit dem Besitzer lediglich ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, da ein solches kein Recht zum Besitz nach § 986 Abs. 1 BGB darstellt, 117 und in den Fällen eines Eigentumserwerbs ohne Abtretung eines Herausgabeanspruchs, die nach allgemeiner Meinung über den zu engen Wortlaut des § 986 Abs. 2 BGB zur Vermeidung einer allzu leichten Umgehung ebenfalls einzubeziehen sind. Hierzu gehört vor allem die Übereignung durch Vereinbarung eines Besitzkonstituts nach §930 BGB 118 und die Ubereignung vorübergehend entfernten Grundstückszubehörs nach §926 BGB. 119 Schließlich darf nicht übersehen werden, dass der Schutz des § 986 Abs. 2 BGB an den Fortbestand des Besitzes gebunden ist. Erlangt der Erwerber des Eigentums auf irgendeine Art auch den Besitz an der Sache, so kann der Besitzberechtigte nicht die Herausgabe der Sache von ihm verlangen. Der neue Eigentümer ist nicht verpflichtet, seinerseits dem Besitzberechtigten den Besitz wieder einzuräumen, sondern hatte nur kein Recht, die Sache von ihm herauszuverlangen. 120 Auch der Hinweis auf die Vollstreckungs- und Insolvenzbeständigkeit des Besitzrechts ist als Beleg für einen allgemeinen Drittschutz nicht tragfähig. Zum einen können auch rein schuldrechtliche (Herausgabe-)Ansprüche ein Widerspruchs- bzw. Aussonderungsrecht gewähren, ohne dass deswegen auch ein Rückschluss auf den deliktsrechtlichen Schutz derartiger Ansprüche gezogen wird oder werden kann. Zum anderen liegen auch hier wiederum der Ebenso Waltermann, Jura 1993, 521 (529). Dazu im Einzelnen oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. III. 3. (S. 106 ff.). 118 BGHZ 111, 142 (145 ff.) = NJW 1990, 1914; OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2513; Wilhelm, Rn. 1125; Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 55 m.w.N. 119 Canaris, FS f. Fiume I, S.371 (392); Waltermann, Jura 1993, 521 (531); Westermann/ Gursky, § 30 II 3 d (S. 193). Dagegen besteht kein Grund, auch die Ubereignung durch brevi manu traditio nach §929 S.2 BGB einzubeziehen (Ebenso Planck/Brodmann, §986, Anm. 2 a; Soergel/Mühl, § 986, Rn. 18; Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 56; a. A. Wolff/Raiser, § 84 IV 1 a [S. 324, Fn. 21]; MünchKomm/Medicus,% 986, Rn.21; Waltermann, Jura 1993, 521 [531]). In dem v o n J . Kohler, ArchBürgR 18 (1900), 1 (94 f.), angeführten Fall, dass der Mieter eines Pferdes, der erst in sechs Monaten zur Rückgabe verpflichtet ist, das Tier im Namen eines Freundes vom Eigentümer erwirbt, kann sich der Mieter ohne weiteres durch entsprechende Abrede mit dem Freund schützen. Warum dies anders zu beurteilen sein soll, wenn die Ubereignung durch brevi manu traditio an den Besitzmittler des besitzberechtigten mittelbaren Besitzers erfolgt (so Weimar, JR 1982, 364 [365]; Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 56), ist nicht ersichtlich. 120 v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Band I, S. 214; Diederichsen, S. 53. Die von Canaris, in: FS f. Fiume I, S. 371 (393), vertretene Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 986 Abs. 2 BGB analog §§ 940 Abs. 2, 955 Abs. 3 BGB auf die Fälle, in denen der Eigentümer die Sache wegnimmt und nach § 929 BGB an einen Dritten übereignet, der Besitzer sie jedoch innerhalb eines Jahres nach §§ 861, 858 Abs. 2 S. 2 BGB vom Erwerber zurückerlangt, vermag daran wegen der engen Voraussetzungen (Gesamtnachfolge oder positive Kenntnis des Erwerbers) nichts zu ändern. 116 117
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
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Vollstreckungs- und Insolvenzschutz einerseits und der Deliktsschutz nach § 823 Abs. 1 B G B andererseits auf verschiedenen Ebenen. Der Grund für die Interventionsbefugnis liegt in der Geltendmachung der Nichtzugehörigkeit zum Schuldnervermögen in Verbindung mit einer eigenen Rechtsbeeinträchtigung. 121 Es geht dort also um den Schutz des Vermögens des Interventionsbefugten. Demgegenüber knüpft der allgemeine Deliktstatbestand des § 823 Abs. 1 B G B an die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter an, während der Schutz des Vermögens dem Auffangtatbestand des § 826 B G B vorbehalten ist. Insgesamt ist danach festzuhalten, dass die Ableitung eines allgemeinen Drittschutzes des Rechts zum Besitz aus dem Sukzessions- und Verfügungsschutz der §§ 566, 986 Abs. 2 B G B , sei es direkt oder über den Umweg der Vollstreckungs- und Insolvenzbeständigkeit, konstruktiv nicht zu überzeugen vermag. Dass mit den Vorschriften der §§ 566, 986 Abs. 2 B G B die Relativität des Schuldverhältnisses durchbrochen und dadurch eine punktuelle „Verdinglichung" geschaffen wird, lässt sich gewiss nicht bestreiten. Damit ist aber noch keine Entscheidung über die Frage getroffen, in welchem Umfang weitere absolute Wirkungen angenommen werden können. Die nähere Betrachtung von Inhalt und Reichweite der Vorschriften zeigt jedoch, dass ihre Grundlage zu eng ist, als dass man daraus ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip der „Verdinglichung" und damit auch eines generellen Drittschutzes folgern kann. Neben diese konstruktiven Bedenken gegen eine „Verdinglichung" obligatorischer Rechte tritt die Gefahr einer tendenziellen Ausweitung dieser Verdinglichungswirkung, die zu einem Überspielen gesetzlicher Wertungen führen kann. Hierfür sei an dieser Stelle nur auf drei Beispiele hingewiesen. Ein Ansatzpunkt für eine solche Ausweitung ist die Frage nach der analogen Anwendbarkeit des § 566 B G B - jenseits ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - auf andere Fälle der Nutzungsüberlassung als der Miete. Während Rechtsprechung und herrschende Literatur nach wie vor eine Übertragung auf vergleichbare Fallgestaltungen mit Rücksicht auf den besonderen Ausnahmecharakter der Vorschrift ablehnen, 122 wird zum Teil eine entsprechende Anwendung zumindest für entgeltliche Nutzungsverhältnisse vertreten 123 und in jüngster Zeit sogar die Erstreckung auf sämtliche Nutzungsverträge gefordert. 124 Sicher ist es zur Ablehnung jeglicher Analogie nicht ausreichend, Siehe dazu im Einzelnen unten, Teil 3, 1. Kapitel, B. II., III. (S. 335 ff.). RG, LZ 1921, 413; BGH, NJW 1964, 765; BGH, NJW 1982, 221 (222); BGHZ 107, 315 (319) = NJW 1989, 2053; Soergel/Heintzmann, §571, Rn. 3; Staudinger/Emmerich, §571, Rn. 36. 123 Canaris, in: FS f. Flume I, S. 371 (394 ff.); MünchKomm/Voelskow, § 571, Rn. 3. 124 So Schön, JZ 2001,119 (123), der freilich zur „Vervollständigung" seiner Analogie auch vom unentgeltlich Nutzungsberechtigten fordert, dass er sich im Gegenzug dazu bereit erklären müsse, ein „angemessenes Entgelt" an den Erwerber zu zahlen (S. 125 f.). Den hierfür he121
122
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Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz im
Deliktsrecht
sich auf die formale Regel singularia non sunt extendenda zu berufen. 125 Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für die punktuelle Durchbrechung der schuldrechtlichen Relativität gerade nur zugunsten des Grundstücksmieters und -pächters verschiebt allerdings die Begründungslast zum Nachteil desjenigen, der sich auf die Notwendigkeit einer Analogie beruft. Diese gesetzgeberische Gewichtung darf man nicht dadurch nivellieren, dass man dem Gesetzgeber vorhält, er habe mit seiner Entscheidung für den § 566 B G B die Kohärenz seines eigenen dogmatischen Systems aus Gründen der Wahrung vorrangiger Mieterinteressen selbst aufgegeben und dadurch zugleich den Weg frei gemacht zu einer Übertragung dieser pragmatischen Methode auf andere Vertragstypen.126 Als zweites Beispiel für die Ausdehnung absoluter Wirkungen kann auf den Streit um die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs des Mietrechts vom Nichteigentümer verwiesen werden. In Anknüpfung an eine ältere Lehre 127 will Canaris gemäß oder analog §§ 893, 2367 B G B auch den gutgläubigen Erwerb eines unter § 566 B G B fallenden Besitzrechts zulassen. Die Rechtsstellung der von § 566 B G B geschützten Personen sei so stark verdinglicht, dass ihre Schaffung als Verfügung angesehen werden könne. 128 Hier tritt die verdinglichende Wirkung in besonders deutlicher wie bedenklicher Weise hervor, weil der wahre Eigentümer, der mit dem Mietvertrag zwischen dem Scheineigentümer und dem Mieter nichts zu tun hat, unmittelbar aus dieser Drittobligation verpflichtet wird. Die herrschende Auffassung lehnt demgegenüber mit Recht einen solchen gutgläubigen Erwerb eines Mietrechts ab. 129 Dass darin ein Wertungswiderspruch zu dem Fall liegen soll, dass der nichtberechtigte Vermieter das Grundstück an einen Gutgläubigen weiterverrangezogenen §§ 571, 573, 574 B G B a. F. lässt sich dies allerdings nicht entnehmen. § 571 B G B a. F. (§566 B G B n. F.) knüpft an das Vorliegen eines entgeltlichen Vertrages an, die §§ 573 f. B G B a. F. (§§ 566 b, 566 c B G B n. F.) bezwecken umgekehrt gerade einen eng begrenzten Schutz des durch die Verfügung über den Mietzins begünstigten Dritten bzw. des Mieters selbst. 125 Dazu näher Bydlinski, S. 440; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 181; Engisch, Einführung, S. 129 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 155 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 355 f.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 489 a. 126 So aber Schön,}Z 2001, 119(122). 127 Kühne, AcP 140(1935), 1 (50 f.); Raape, JherJb 71 (1922), 97 (181 f.), m.w.N. 128 Canaris, in: FS f. Flume I, S.371 (403); ebenso Otte, in FS f. Wieacker, S. 463 (473); ders., Gedächtnisschrift f. Sonnenschein, S. 181 (192 f.); Wacke, in: FS f. Gernhuber, S. 489 (518 f.); MünchKomm/Wacke, §893, Rn. 10. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt Koch, ZMR 1985, 187 (191), für die Mobiliarmiete, allerdings aufgrund der nach geltendem Recht kaum haltbaren Prämisse eines echten dinglichen Rechts des Mieters aus § 1007 B G B (dazu näher oben, 2. Kapitel, C. III. 1. c, S. 185 ff.). 129 RGZ 106, 109 (111 f.); 124, 325 (327); KG, JW 1929, 2893 (2894); Wolff/Kaiser, §45 I 2 c (S. 143); Staudinger/Emmerich, §571, Rn. 11; Blank/Börstinghaus, §571, Rn. 4; Palandt/ Bassenge, §893, Rn. 3; Soergel/Stürner", §893, Rn. 3; Staudinger/Gursky, §893, Rn. 23; Westermann/Eickmann, § 84 III 4 b (S. 658).
A. Besitz als „sonstiges
Recht"
im Sinne des $ 823 Abs. 1 BGB
289
äußert, 130 ist nicht erkennbar. Denn richtiger Ansicht nach ist an dem aus dem Wortlaut des § 566 BGB folgenden Erfordernis der Identität von Vermieter, Eigentümer und Veräußerer festzuhalten, so dass die Vorschrift bei Veräußerung durch einen Dritten ohne Genehmigung des Eigentümers ohnehin nicht eingreift. 131 Dieses Ergebnis wird auch durch den Zweck des Mieterschutzes bestätigt. §566 BGB soll den Mieter vor den Nachteilen einer Veränderung der Vermieterstellung nach Abschluss des Mietvertrages schützen, nicht jedoch vor den Nachteilen, die sich daraus ergeben, dass er einen schuldrechtlichen Vertrag mit einem von vornherein Nichtberechtigten geschlossen hat. Aber selbst wenn man von der Anwendbarkeit des § 566 BGB im Falle der Veräußerung an einen gutgläubigen Erwerber ausgeht, lässt sich die unterschiedliche Behandlung im Vergleich zum ursprünglich wahren Eigentümer damit rechtfertigen, dass hier um die Bindung unterschiedlicher Personen geht 132 und der gutgläubige Erwerber gegenüber dem wahren Eigentümer als weniger schutzwürdig anzusehen ist, weil Ersterer es in der Hand hat, sich vor Abschluss des Geschäfts über die Besitzlage zu informieren und sich gegebenenfalls durch Abstandnahme vom Erwerb der Rechtsfolge des § 566 BGB zu entziehen. 133 Das dritte Beispiel ist die Anwendung des § 1007 BGB auf Grundstücke. Nach ganz überwiegender Auffassung erfasst § 1007 BGB entsprechend seinem klaren Wortlaut und dem Willen der Gesetzesverfasser nur bewegliche Sachen. 134 Die abweichende Entscheidung BGHZ 7, 208 wird demgegenüber als ein durch die besonderen Umstände der Nachkriegszeit bedingtes Judiz betrachtet. 135 Cattaus spricht sich demgegenüber für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf Immobilien aus. Da das obligatorische Besitzrecht des Mieters durch § 571 BGB a. F. „verdinglicht" sei, sei es auch gerechtfertigt, § 1007 BGB auf Grundstücke zu erstrecken, soweit Besitzrechte von So Wacke, in: FS f. Gernhuber, S. 489 (518). BGH, NJW 1974, 1551; Blank/Börstingbaus, §571, Rn.4; Bub/Treier, 3. Aufl., II, Rn. 861; Soergel/Heintzmann, § 571, Rn. 6. 132 So Staudinger/Emmerich, § 571, Rn. 11. 133 Einen weiteren Wertungswiderspruch will Wacke (a.a.O., S. 519) darin ausmachen, dass bei einem rückabzuwickelnden Erwerb des Vermieters der Schutz des Mieters davon abhinge, ob nur das Kausalgeschäft oder auch das Verfügungsgeschäft unwirksam ist. Jedoch muss auch in dieser speziellen Fallkonstellation eine differenzierende Lösung nicht ohne weiteres inkonsistent sein. So kann der Schutz des geschäftsunfähigen Veräußerers durchaus höher zu bewerten sein, als die Interessen schuldrechtlich berechtigter Dritter. Eine solche Wertung ließe sich im Falle der Anfechtung auch der Anordnung der ex-tunc-Wirkung nach § 142 Abs. 1 BGB entnehmen. Selbst wenn man dem nicht folgt, erscheint es nicht gerechtfertigt, wegen eines solchen Detailproblems das grundsätzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis in Bezug auf die Anwendbarkeit des § 566 BGB umzukehren. 134 Staudinger/Gursky, § 1007, Rn. 6; MünchKomm/Medicus, § 1007, Rn. 4; Westermann/ Gursky, § 35 11 (S. 252). 135 Dazu näher oben, 2. Kapitel, D. (S. 195 ff.). 130 131
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
§ 571 BGB a. F. erfasst werden. 136 Schließlich wird eine Ausweitung der Verdinglichungswirkung über §1007 BGB für möglich gehalten. Canaris geht davon aus, dass sich der berechtigte frühere Besitzer nach dieser Vorschrift gegenüber späteren obligatorischen Besitzrechten durchsetzen kann, die sich vom wahren Berechtigten ableiten. 137 Im gleichen Sinne solle aber auch gegenüber dem Erwerber eines dinglichen Rechts zu entscheiden sein, weil die Einräumung des Rechts zum Besitz Verfügungscharakter habe. Die Folge ist ein weit über § 986 Abs. 2 BGB hinausreichender Sukzessionsschutz, wenn der Berechtigte den Besitz verloren hat. § 1007 BGB führe danach für obligatorische Besitzrechte im Ergebnis weitgehend zu derselben Rechtslage wie § 936 BGB für beschränkte dingliche Rechte. 138 Nach alledem bleibt es bei dem Befund einer partiellen „Verdinglichung" obligatorischer Rechte durch die §§ 566, 986 Abs. 2 BGB. Es ist im Ausgangspunkt unbestritten, dass es der Rechtsordnung frei steht, relative Rechte mit Wirkungen zu versehen, die absoluten Rechten eigentümlich sind. 139 Darin liegt durchaus eine Bereicherung des gesetzgeberischen Instrumentariums. 140 Soweit der Gesetzgeber jedoch keine ausdrückliche Regelung einzelner dinglicher Wirkungen getroffen hat, muss es bei der systematischen Trennung von obligatorischen und dinglichen Rechten und ihren Wirkungen verbleiben, will man nicht ihre grundsätzliche Unterscheidung überhaupt in Frage stellen. Jenseits der geregelten Fälle bedarf es daher in jedem Einzelfall einer genauen Prüfung, ob und inwieweit Mischformen notwendig und sinnvoll sind. Für die dingliche Wirkung des allgemeinen Drittschutzes über § 823 Abs. 1 BGB zugunsten des Besitzrechts ist dies in der bisherigen Diskussion nicht überzeugend dargetan worden.
4. Der befugte Besitz als eine dem angenäherte Position
Eigentum
Nach den bisherigen Ausführungen steht auch fest, dass der „befugte" Besitz im Sinne Medicus~141 kein taugliches Schutzobjekt nach § 823 Abs. 1 BGB sein kann. Da der Besitzer hier nicht über ein Recht zum Besitz verfügt, fehlt es von vornherein an einer Rechtsposition, die als subjektives Recht Grundlage eines ausreichenden Zuweisungsgehalts sein kann. Der redliche unverklag-
Canaris, in: FS f. Flume I, S. 371 (401); ebenso Dörner, Dynamische Relativität, S. 94. Hierzu näher oben, 2. Kapitel, E. (S. 199 ff.). 138 Canaris, a.a.O., S. 371 (399 f.). 139 Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 45 f.; Waltermann, Jura 1993, 521 (530). 140 Canaris, a.a.O., S. 371 (380). 141 Medicus, AcP 165 (1965), 115 (136, 148); ders., Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rn. 607. 136
137
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des 5 823 Abs. 1 BGB
291
te Besitzer darf zwar tatsächlich gezogene Nutzungen behalten, § 993 Abs. 1 B G B . Die bloße Aussicht, bis zum Eintritt seiner Bösgläubigkeit weitere Nutzungen ziehen zu können, die er dann nicht herauszugeben hätte, ist jedoch lediglich eine vage Chance oder Hoffnung. 1 4 2 Nichts anderes gilt für eventuelle Zurückbehaltüngsrechte des Besitzers. 1 4 3 Schließlich ist auch die „Befugnis" des unberechtigten Besitzers, sich einer Haftung durch die H e rausgabe der unversehrten Sache zu entledigen, kein subjektives Recht, sondern im Gegenteil eine Verpflichtung des Besitzers gegenüber dem Herausgabeberechtigten. Wollte man hier ein für § 823 Abs. 1 B G B erforderliches Schutzgut bejahen, hieße dies, die Anforderungen an den Zuweisungsgehalt eines Rechts soweit zu verringern, dass man zu einem allgemeinen Vermögensschutz über die deliktsrechtliche Grundnorm gelangte. Medicus beruft sich für seine Position allerdings zusätzlich auf die Verweisung nach § 1007 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 992 B G B und folgert daraus, dass der einen Herausgabeanspruch nach § 1 0 0 7 B G B erzeugende Besitz unter § 8 2 3 Abs. 1 B G B fallen müsse. 144 Diese Argumentation steht jedoch nicht in Einklang mit dem ganz herrschenden Verständnis von § 992 B G B als Rechtsgrundverweisung. 145 Danach ist es allein Aufgabe des § 992 B G B , die grundsätzlich bestehende Sperrwirkung der Vorschriften des Eigentümer-BesitzerVerhältnisses für einen engen Bereich, nämlich bei verbotener Eigenmacht oder Vorliegen einer Straftat, aufzuheben. Das Eingreifen der Verweisung besagt daher noch nichts über das Vorliegen eines Deliktsanspruchs nach § 823 Abs. 1 B G B , der seinerseits gesondert zu prüfen ist. 1 4 6 Unabhängig davon wird man schon angesichts der wechselvollen Entstehungsgeschichte und der unbestrittenen handwerklichen Mängel des § 1007 B G B 1 4 7 weitreichende Folgerungen aus der entlegenen Verweisung nach § 1007 Abs. 3 S. 2 i.V.m. §§ 9 8 6 1003 B G B für zentrale Fragen des allgemeinen Deliktsrechts kaum ziehen können.
IV. Konsequenzen für den deliktischen Besitzschutz Nach den bisherigen Ausführungen lässt sich für den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 B G B bei Eingriffen in die tatsächliche Sachherrschaft Folgendes festhalten. Als unselbständiger Bestandteil des umfassenden EigentumsDazu bereits oben, 3. Kapitel, C. II. 4. (S. 250 ff.). Vgl. oben, 3. Kapitel, C. II. 4. (S. 250 ff.). 144 Medicus, AcP 165 (1965), 115 (128 f.). 145 O L G Karlsruhe, NJW 1990, 719; Erman/Hefermehl, § 992, Rn. 1; MünchKomm/Medicus, § 992, Rn. 5, 12; Palandt/Bassenge, § 992, Rn. 4; Staudinger/Gursky, § 992, Rn. 2; Köhl, S. 167; Wieling, Sachenrecht I, § 12 III 5 d (S. 562). 146 Ebenso Schick, S. 77. 147 Hierzu bereits oben, 2. Kapitel, A., B. (S. 175 ff.). 142 143
292
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
rechts ist der Besitz unzweifelhaft geschützt. Gleiches gilt für die beschränkt dinglichen Rechte als „sonstige Rechte" nach § 823 Abs. 1 BGB, soweit sie ein Recht zum Besitz begründen, §§ 1065, 1227 BGB. Dagegen scheidet der Besitz als solcher von vornherein als taugliches Schutzobjekt aus, da er als reines Faktum eines subjektiven Rechts entbehrt. Die Einordnung einer Rechtsposition als „sonstiges Recht" erfordert jedoch nicht nur die Eigenschaft als subjektives Recht, sondern darüber hinaus auch eine strukturelle Ähnlichkeit zum Eigentum. An dieser strukturellen Ähnlichkeit fehlt es beim obligatorischen Recht zum Besitz, das als schuldrechtliche Forderung ebenso wenig geschützt ist, wie Forderungen nach richtiger Auffassung auch sonst nicht unter § 823 Abs. 1 BGB fallen. Daran kann auch der possessorische Besitzschutz nach Übergabe nichts ändern, weil die §§ 858 ff. BGB der Erhaltung des allgemeinen Rechtsfriedens dienen und daher auch dem unberechtigten Besitzer zustehen. Diese Vorschriften bezwecken folglich keine spezifische Aufwertung des berechtigten Besitzes, so dass sich daraus kein allgemeiner deliktischer Drittschutz ableiten lässt. Da auch die gesetzlichen Ansätze absoluter Wirkungen relativer Rechte in den §§ 566, 986 Abs. 2 BGB keine ausreichende Grundlage eines allgemeinen Drittschutzes sind, kann das schuldrechtliche Recht zum Besitz nicht als „sonstiges Recht" nach § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden. Freilich ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, den Kreis der sonstigen Rechte im Wege der Rechtsfortbildung auf weitere Rechtspositionen zu erstrecken. Dabei muss allerdings die Grundentscheidung des Gesetzgebers gegen eine umfassende Generalklausel und für einen differenzierten Rechtsgüterschutz, wie er in den §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 826 BGB zum Ausdruck kommt, beachtet werden. Danach ist der Schutz des Vermögens über § 823 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, und kommt, je nach Fallgestaltung und unter zusätzlichen Voraussetzungen, allenfalls über §§ 823 Abs. 2, 826 BGB in Betracht. In diesem Sinne erleidet aber der rein schuldrechtlich Besitzberechtigte lediglich einen Vermögensschaden, wenn ein Dritter auf den Gegenstand seiner Berechtigung einwirkt und dadurch Vermögensnachteile des Berechtigten auslöst. Vor diesem Hintergrund bedarf jede Erweiterung des Kreises der nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten sonstigen Rechte der besonderen Begründung und Legitimation. Will man den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB nicht vorschnell aufweichen, ist eine solche Erweiterung daher nur akzeptabel, wenn anderweitige Anspruchsgrundlagen und Schutzmechanismen keine ausreichende Sicherung der Interessen des Berechtigten gewährleisten. Dass ein solcher Vergleich notwendig ist, belegt beispielhaft etwa die Diskussion um das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als deliktisch geschütztes sonstiges Recht. Ursprünglich aus der Not einer fehlenden wettbewerbsrechtlichen Generalklausel geboren, hielt die Rechtsprechung an dieser Figur allerdings auch nach Einführung des § 1 U W G n. F. im Jahre 1909
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
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fest. 148 Der B G H hat in der Folgezeit den Unternehmensschutz auf das gesamte gewerbliche Tätigkeitsgebiet ausgeweitet und zugleich die noch vom R G verlangte Begrenzung des Schutzes auf unmittelbar gegen den Bestand des Betriebes gerichtete Angriffe aufgegeben. 149 Der Deliktsschutz nach § 823 Abs. 1 B G B erfordert danach einen unmittelbaren, d.h. betriebsbezogenen Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis des Unternehmens. Dem so verstandenen Recht am Gewerbebetrieb wird dabei eine lediglich subsidiäre Funktion zugesprochen. Der durch ihn vermittelte Deliktsschutz greift nur ein, soweit auf andere Anspruchsgrundlagen nicht zurückgegriffen werden kann. 150 Vor allem im Hinblick auf den zuletzt genannten Aspekt wird dem Recht am Gewerbebetrieb in neuerer Zeit sogar wieder jede eigenständige Berechtigung abgesprochen, da ein ausreichender Schutz bereits durch andere Ansprüche gewährleistet wird. 151 Eine Stellungnahme zu Inhalt und Reichweite des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist für den vorliegenden Zusammenhang nicht erforderlich. Wesentlich ist vielmehr die Erkenntnis, dass eine Ausweitung des Deliktsschutzes durch Anerkennung weiterer „sonstiger Rechte" nur gerechtfertigt ist, soweit ohne einen solchen Deliktsschutz unerträgliche Schutzdefizite festzustellen sind. Im Folgenden werden daher die dem berechtigten Besitzer zustehenden Ansprüche näher untersucht. Dabei wird sich zeigen, dass tatsächlich eine Reihe von Schutzmechanismen zur Verfügung stehen, die unter Berücksichtung der vertraglichen Risikoverteilung einen hinreichenden Schutz des Besitzers gewährleisten.
1. Schutz des berechtigten a) Ansprüche gegen den
Besitzers
Vertragspartner
Der Schutz des obligatorisch berechtigten Besitzers wird vorrangig durch das Vertragsrecht sichergestellt. Paradigmatisch kann hier auf die Situation des Mieters verwiesen werden. Ihm gegenüber ist der Vermieter nicht nur zur Überlassung, sondern auch zur Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand verpflichtet, §§ 535 Abs. 1 B G B . Daraus folgt, dass der Vermieter zum einen selbst Störungen des Mieters im vertragsgemäßen Gebrauch zu unterlassen und zum anderen von Dritten ausgehende Störungen zu unterbinden hat. Darüber hinaus trifft den Vermieter RGZ 58, 24 (29); 94, 248 (249); 141, 336 (338). BGHZ 3, 270 (279 f.) = NJW 1952, 660 (661) - „Constanze I"; BGHZ 24, 200 (205 ff.) = NJW 1957,1315 (1316) - „Spätheimkehrer"; BGH, NJW 1983, 2195 (2196) - „Photokina". 150 BGHZ 36, 252 (256 f.) = N J W 1962, 1103 (1104) - „Gründerbildnis"; BGHZ 69, 128 (138 f.) = NJW 1977, 1875 (1877) - „Fluglotsen"; BGHZ 105, 346 (350) = N J W 1989, 707 (708); MiinchKomm! Mertens, § 823, Rn. 484; Soergel/Zeuner, § 823, Rn. 109, jeweils m.w.N. 15] Larenz/Canaris, § 81 IV 1 (S. 560 ff.); Emmerich, SchuldR-BT, § 22, Rn. 11. 148 149
294
Teil 2: Formen des Besitzschutzes • 4. Kapitel: Der Besitzschutz im Deliktsrecht
die Pflicht, während der Vertragsdauer eingetretene Mängel und Beschädigungen der Sache, die der Mieter nicht zu vertreten hat, zu beseitigen. Er muss daher auch bei Einwirkungen Dritter die Mietsache grundsätzlich wieder instand setzen. Die Erhaltungspflicht erlischt erst bei nicht von ihm zu vertretender Unmöglichkeit, etwa bei völliger Zerstörung der Sache. 152 Schadensersatzansprüche stehen dem Mieter gegen den Vermieter nach § 536 a Abs. 1 B G B in drei Fällen zu, nämlich erstens verschuldensunabhängig, soweit der Mangel schon bei Abschluss des Vertrages vorhanden war, zweitens bei nachträglich entstehenden Mängeln, soweit der Mangel vom Vermieter zu vertreten ist, sowie drittens bei Verzug des Vermieters mit der Beseitigung eines Mangels. b) Ansprüche gegen Dritte nach den der Drittschadensliquidation
Grundsätzen
Damit bleibt zu prüfen, wie sich die schadensrechtliche Lage des berechtigten Besitzers darstellt, wenn sein Vertragspartner die Besitzbeeinträchtigung nicht zu vertreten hat. Relevant wird dies vor allem bei schuldhaften Eingriffen Dritter. Wird beispielsweise ein von M gemietetes Fahrzeug von D zugeparkt, so dass M nicht, wie geplant, mit dem Mietwagen zu einem vereinbarten Termin fahren kann, und versäumt er dadurch einen Geschäftsabschluss, so entgeht ihm ein Gewinn, § 252 B G B , ohne dass ihm ein direkter Anspruch gegen D zustünde. Vermieter V erleidet demgegenüber keinen Schaden, da das Fahrzeug nicht beschädigt wurde und V seinen Mietzinsanspruch gegen M wegen der kurzfristigen Nutzungsbeeinträchtigung nicht ohne weiteres einbüßt. Weiter ist vorstellbar, dass das Fahrzeug von V an M verliehen und bei diesem schuldhaft von D zerstört wird, so dass sich M daraufhin als Ersatz ein anderes Fahrzeug mieten muss. Hier hat V zwar einen Sach- aber keinen Nutzungsschaden. Der Nutzungsschaden ist vielmehr bei M in Form des Mietzinses für das Ersatzfahrzeug entstanden, ohne dass ihm allerdings mangels Verletzung eines eigenen absoluten Rechts ein Deliktsanspruch zustünde. War die Sache im vorangegangenen Beispiel vermietet und hatte V die Gegenleistungsgefahr individualvertraglich auf M abgewälzt, so besteht im Falle der Beschädigung des Fahrzeugs der Schaden des M in dem nutzlos aufgewendeten Mietzins sowie in der Differenz zu einem höheren Mietzins für das Ersatzfahrzeug.
152
O L G Karlsruhe, Z M R 1995, 201; Staudinger/Emmerich,
§§ 535, 536, Rn. 59.
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
aa) Das Auseinanderfallen Anwendungsbereich der
von Eigentum und Besitz als Drittschadensliquidation
295
weiterer
All diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass der Besitzer den jeweiligen Schaden erlitten hat, aber mangels vertraglicher Beziehung zum Schädiger und mangels dinglichen Rechts nicht über eine eigene Anspruchsgrundlage verfügt. Demgegenüber liegt zwar ein Eingriff in das Eigentum des Vertragspartners des Besitzers vor, doch ist diesem kein Schaden durch Beeinträchtigung der Gebrauchsmöglichkeit entstanden. Die Verlagerung des Schadens auf den Besitzer ist dadurch entstanden, dass der Eigentümer dem Besitzer den Gebrauch der Sache eingeräumt hat. Ob der Gebrauch einer Sache aber vom Eigentümer selbst oder durch einen berechtigten Dritten ausgeübt wird, ist aus der Sicht des schädigenden Dritten rein zufällig. Für ihn ist es ex ante weder erkennbar noch muss es erkennbar sein, wer den Gebrauch des Schadensobjekts ausübt. Damit liegen die Wertungsgesichtspunkte vor, die in Rechtsprechung und herrschender Literatur zur Annahme der Drittschadensliquidation führen. 153 Die zufällige Verlagerung des Nutzungsschadens vom Eigentümer auf den Besitzer darf den Schädiger nicht ungerechtfertigt privilegieren. Dahinter steht letztlich der bereits bei Wilburg anklingende Gedanke, dass der Besitzer, der anstelle des Eigentümers die Sache gebraucht, „als Interessent durch das Eigentum des anderen und nur durch das Eigentum gegen Dritte materiell geschützt" wird. 154 Die Auslagerung der Sachnutzung vom Eigentümer auf den berechtigten Besitzer darf nicht dazu führen, dass der Nutzungsschaden nicht mehr zu ersetzen ist. 155 Dass sich der berechtigte Besitz nicht in die bisher anerkannten Fallgruppen der Drittschadensliquidation vollständig einfügen lässt, steht einer Anwendung der Grundsätze der Liquidation im Drittinteresse nicht von vornherein entgegen. Die bisher akzeptierten Fälle gelten als nicht abschließend, so dass bei vergleichbarer Interessenlage eine Drittschadensliquidation 153 Auf die grundsätzliche Frage nach der Existenzberechtigung der Drittschadensliquidation kann im vorliegenden Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Soweit diese Rechtsfigur in der Literatur vollständig oder zumindest für bestimmte Fallgruppen in Frage gestellt wird (Hagen, Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, 1971; F. Peters, AcP 180 [1980], 329 ff.; M. Junker, Die Vertretung im Vertrauen im Schadensrecht, 1991; Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation bei obligatorischer Gefahrentlastung, 1996), kommen die betreffenden Autoren indessen über andere, zum Teil kompliziertere Begründungswege zu den gleichen Ergebnissen. Für die Notwendigkeit der Drittschadensliquidation zuletzt ausführlich Traugott, Das Verhältnis von Drittschadensliquidation und vertraglichem Drittschutz, 1997, S. 26 ff. 154 Wilburg, JherJb 82 (1932), 51 (116). 155 Ahnlich Rödig, Erfüllung des Tatbestandes des § 823 Abs. 1 B G B durch Schutzgesetzverstoß, 1973, S. 39 ff., der dem Eigentümer bis zur Ubergabe eine Art „Verteilerfunktion" zumisst und eine Begünstigung des Störers dadurch, dass diese Verteilerfunktion durch Vollzug des Vertrages „infrage gestellt" werde, ablehnt.
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
durchaus auch in anderen Situationen in Betracht kommen kann. 156 Es kommt hinzu, dass ohnehin bereits deutliche Parallelen zu den bereits bestehenden Fallgruppen existieren. Bei Treuhandverhältnissen wird dem Treuhänder die Möglichkeit eingeräumt, Ersatzansprüche aus einer Verletzung des Treuguts geltend zu machen, soweit dem Treugeber ein eigener Anspruch fehlt. 157 Hat der Treugeber allerdings unmittelbaren Besitz an dem Treugut, wie dies etwa bei der Sicherungsübereignung der Fall sein kann, billigt ihm die herrschende Auffassung einen eigenen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu, so dass eine Drittschadensliquidation für unnötig gehalten wird. 1 5 8 Die Vorstellung, dass der Eigentümer den Schaden des Besitzers liquidiert, ist also dem bisherigen Diskussionsstand keineswegs fremd. Im Übrigen ähnelt die vorliegende Problematik der Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung. Hier wird primär an den Sachsubstanzschaden und an die fehlende Eigentümerstellung des Dritten angeknüpft. Die zufällige Schadensverlagerung resultiert aus einer eingeleiteten, aber noch nicht abgeschlossenen Eigentumsübertragung, bei der der Erwerber aber bereits die Gefahr trägt. Der Veräußerer soll dann in erster Linie den Sachsubstanzschaden im Interesse des Erwerbers liquidieren können. Demgegenüber steht bei den hier interessierenden Fallgestaltungen die Sachnutzung im Vordergrund. Der Eigentümer „überträgt" die Nutzung der Sache an den berechtigten Besitzer. Soweit hier die Gefahr durch Vereinbarung oder aufgrund Gesetzes auf den Besitzer übergegangen ist, tritt auch bezüglich der Sachnutzung eine Schadensverlagerung ein, die dem Schädiger zum Vorteil und dem Besitzer zum Nachteil gereicht. Gegen die Heranziehung der Drittschadensliquidation kann auch nicht eingewandt werden, dass genau der Schaden des Besitzers unter Umständen in der Person des Eigentümers nicht entstanden wäre, etwa weil der Vermieter nicht auf dem Weg zu dem betreffenden Geschäftstermin gewesen wäre oder ein Ersatzfahrzeug nicht gebraucht hätte. Denn nach zutreffender Auffassung ist auch bei den bisher anerkannten Fallgruppen der Drittschadensliquidation maßgeblich auf den dem Dritten entstandenen Schaden abgestellt worden ohne Rücksicht darauf, ob ein ohne Verlagerung beim Gläubiger entstandener Schaden eventuell geringer ausgefallen wäre. 159 Ebensowenig, wie ein gerin156 MünchKomm/Grunsky, Vor §249, Rn. 117; Kollhosser, AcP 166 (1966), 277 (305); zurückhaltend Staudinger/Schiemann, Vor §§ 249 ff., Rn. 76 („nicht erforderlich"). 157 BGH, NJW 1967, 930 (931); Soergel! Mertens, Vor § 249, Rn. 253; v. Caemmerer, ZHR 127(1965), 241 (259). 158 Medicus, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, 13. Aufl. 2002, Rn. 612. 159 BGH VersR 1972, 1138 (1140); Erman/Kuckuk, Vor §249, Rn. 145; Soergel/Mertens, Vor §249, Rn. 251, 259; Staudinger/Medicus, 12. Aufl., §249, Rn. 198; v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 241 (262); Larenz, SchuldR I, 14. Aufl. 1987, § 27 IV b 3 (S.465); Lübbe, S. 113; offengelassen von BGHZ 49, 356 (361 f.); a. A. MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, Rn. 120; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 191 f.; F. Peters, AcP 180 (1980), 329 ff.; Neuner, JZ 1999,126 (131 f.).
A. Besitz als „sonstiges
Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
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gerer Schaden des Geschädigten zu einem höheren Anspruch des Gläubigers führen kann, steht ein größerer Schaden des Geschädigten einer Liquidation im Drittinteresse entgegen. 160 Dass die Person des Geschädigten und die bei ihr bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse dem Schädiger unbekannt sind, rechtfertigt es keineswegs, Ersatz nur in der Höhe zuzusprechen, als wäre im Verhältnis des Anspruchsberechtigten zum Geschädigten noch keine Gefahrverlagerung eingetreten. 161 Denn die Person des Geschädigten und dessen Dispositionen sind dem Schädiger auch sonst im Deliktsrecht häufig genug unbekannt. Ein Vertrauen des Schädigers auf eine bestimmte Vermögenslage des Geschädigten wird in aller Regel ohnehin nicht bestehen und wäre im Übrigen auch nicht schutzwürdig, denn der Schädiger hat den Geschädigten zu nehmen, wie er ist. 162 bb) Vergleich mit der deliktischen
Lösung
Die Anerkennung der Drittschadensliquidation hat zur Folge, dass der Schaden des Dritten zur Anspruchsgrundlage des Verletzten gezogen wird. Der verletzte Eigentümer kann daher den Schaden des berechtigten Besitzers vom Schädiger ersetzt verlangen und hat dem Besitzer dann die Ersatzleistung nach § 285 B G B zur Verfügung zu stellen. Der Besitzer kann freilich seinerseits vom Eigentümer die Abtretung des Anspruchs nach § 285 B G B verlangen und dann im eigenen Namen gegen den Schädiger vorgehen. Dies wird sich vor allem dann anbieten, wenn der Eigentümer kein eigenes Interesse an einer Rechtsverfolgung gegenüber dem Schädiger hat, etwa bei Fehlen eines Sachsubstanzschadens. Durch diese Konstruktion wird zugleich in sachgerechter Weise der Kreis der ersatzberechtigten Besitzer auf die besitzberechtigten Sachinhaber begrenzt, denn dem unberechtigten Besitzer gegenüber besteht keine Uberlassungspflicht, die unmöglich werden könnte. 163 Da der Geschädigte bei der Drittschadensliquidation immer aus dem Recht eines Dritten gegen den Schädiger vorgeht, stellt sich die Frage, inwieweit der Lübbe, S. 113. So aber MiinchKomm/Grunsky, Vor § 249, Rn. 120. 162 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 605; Soergel!Mertens, vor §249, Rn. 22; vgl. auch R G Z 155, 37 (41 f.); so auch schon das House of Lords, Hay or Bourhill v. Young [1943] A.C., S. 92 (109 f.): „the wrong-doer must take the victim as he finds him." 163 j ) e r Empfänger unbestellter Waren, der sich entschließt, die Ware ohne Abschluss eines Kaufvertrages mit dem Versender zu behalten, ist zwar nach §241 a Abs. 1 B G B berechtigter Besitzer (dazu im Einzelnen oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. III. 4. d cc, S. 127). Mangels vertraglicher Verpflichtung des Versenders zur Gebrauchsüberlassung steht dem Empfänger jedoch kein Anspruch auf Abtretung eines entsprechenden Schadensersatzanspruchs gegen den Versender zu, falls ein Dritter die Ware beim Empfänger beschädigt oder zerstört. Dieses Ergebnis ist nach dem allgemeinen Rechtsgedanken der § § 8 1 6 Abs. 1 S.2, 822, 988 B G B auch sachgerecht, denn der Empfänger ist unverhofft und ohne eigenes Opfer in den Besitz der Ware gelangt. 160
161
298
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Weg „über den Rechtsgutsinhaber" für den Geschädigten Nachteile begründet, die ein deliktischer Direktanspruch vermeidet. Zu denken wäre hier zunächst an das Einwendungsrisiko des Besitzers, etwa bei einer Aufrechnung des Schädigers mit Forderungen gegen den Gläubiger und Rechtsgutsinhaber. Das Aufrechnungsverbot gegen deliktische Hauptforderungen nach § 393 BGB greift nur bei vorsätzlichem Handeln des Schädigers. Unabhängig davon wird man eine Aufrechnung gegen Schadensersatzforderungen, die im Drittinteresse liquidiert werden, wegen mangelnder Gegenseitigkeit von vornherein nicht zulassen können. Denn der Gläubiger hat bezüglich der konkreten Schadensposition des Geschädigten aufgrund des „Herüberziehens" des Schadens zur Anspruchsgrundlage lediglich eine formale Rechtsposition inne. Er muss seinen Ersatzanspruch entweder sogleich an den Geschädigten abtreten oder den Schaden einklagen und die Ersatzsumme sogleich an den Geschädigten auskehren. Die Situation stellt sich hier nicht anders dar als bei einem Nutzungs- oder Befriedigungsrecht eines Dritten (z.B. Nießbrauch, Pfandrecht), bei dem der Anspruchsinhaber als nicht „vollberechtigter Gläubiger" angesehen wird. 1 6 4 Dafür spricht auch die umgekehrte Parallele zu den Fällen, in denen ausnahmsweise nach Treu und Glauben eine Aufrechnung gegenüber dritten Personen zugelassen wird, die hinter dem formalen Inhaber der Hauptforderung stehen. So wird etwa in Treuhandfällen eine Aufrechnung gegen Hauptforderungen, die formal ein Treuhänder inne hat, mit Gegenforderungen gegen den Treugeber jedenfalls dann zugelassen, wenn der Treuhänder eine ganz untergeordnete, unselbständige Stellung einnimmt, z.B. bei Weisungsabhängigkeit gegenüber dem Treugeber nach Art eines Angestellten oder bei einem schlichten Vermögensverwalter. 165 Ein größerer Handlungsspielraum steht auch dem Gläubiger bei der Drittschadensliquidation nicht zu, so dass eine Aufrechnung des Schädigers allenfalls mit Forderungen gegen den Geschädigten selbst in Betracht kommt. Den Besitzer trifft hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs auch kein Insolvenzrisiko. Zwar ist der Gläubiger und Rechtsgutsinhaber bis zur Abtretung seines Anspruchs formal Inhaber der Forderung. Dem Besitzer als Geschädigtem steht jedoch ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO zu. 166 Auch 164 Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 18 VI a 1 (S. 257); Traugott, Drittschadensliquidation, S. 109; gegen Aufrechenbarkeit mangels Gegenseitigkeit auch Bögemann, S. 58; Reinhard, Ersatz des Drittschadens, S. 118 f. m.w.N.; a.A. W.-D. Lange, Abgrenzung, S. 56 f.; Stuckart, Drittersatzansprüche, S. 65 Fn. 1; Urban, „Vertrag" mit Schutzwirkung, S. 157 f.; Neuner,}Z 1999,126(132). 165 BGHZ 25, 360 (367) = NJW 1958, 18 (19 f.); BGH, NJW 1968, 594 (595); OLG Hamm, Rpfleger 1965,174; MünchKomm/v. Feldmann, § 387, Rn. 10; Soergel/Zeiss, § 387, Rn. 3. 166 Ebenso Bögemann, S.57f.; Krückmann, AcP 139 (1934), 26 (61 ff.); W.-D. Lange, S. 54 f.; Lübbe, S. 114; Puhle, Vertrag, S. 144; Reinhardt., S. 119 ff.; Stuckart, S. 65 Fn. 1; Traugott, S. 107; Urban, S. 156 f.; Wiggert, Die Geltendmachung fremden Schadens, 1933, S. 34 f. (40); a. A. Neuner, JZ 1999,126 (132).
A. Besitz als „sonstiges
Recht"
im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
299
hier wirkt sich wieder die unselbständige Position des Gläubigers aus, der über seine Anspruchsgrundlage lediglich den Schaden eines Dritten liquidiert. Wirtschaftlich ist die Schadensersatzforderung dem Geschädigten zugeordnet, so dass es ihm ebenso zugestanden werden muss, die Forderung aus der Insolvenzmasse zu ziehen, wie dies bei der eigennützigen Treuhand dem Treugeber in der Insolvenz des Treuhänders zugebilligt wird. 1 6 7 Es verbleibt danach für den Besitzer lediglich das Risiko eines Doppelprozesses. Weigert sich der Gläubiger und Rechtsgutsinhaber, seinen Ersatzanspruch an den Besitzer nach § 285 BGB abzutreten, muss Letzterer zunächst auf Abtretung klagen, bevor er gegen den Schädiger vorgehen kann. 1 6 8 Zwar können die Vertragsparteien — auch konkludent - von vornherein vereinbaren, dass der berechtigte Besitzer das Recht haben soll, den ihm entstandenen Schaden im Außenverhältnis gegenüber einem Drittschädiger zu verfolgen. In diesem Sinne wird man beispielsweise die entsprechenden Klauseln in (Finanzierungs-)Leasingverträgen zu interpretieren haben, mit denen die Sach- und Preisgefahr auf den Leasingnehmer abgewälzt wird. 1 6 9 Wo es an einer solchen auch nur konkludenten Abtretung jedoch fehlt, führt jedoch kein Weg an einer eigenen Klage des Geschädigten gegen den Anspruchsinhaber auf Abtretung vorbei. Allerdings darf dieser „Umweg" gegenüber einem deliktischen Direktanspruch nicht überbewertet werden. Für den Verletzten und Vertragspartner des geschädigten Besitzers besteht keinerlei Veranlassung, dem Abtretungsbegehren nicht nachzukommen, da seine eigene Rechtsstellung dadurch in keiner Weise beeinträchtigt wird. Darüber hinaus würde sich der Anspruchsinhaber dem Besitzer gegenüber wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht schadensersatzpflichtig machen, wenn er ohne jeden Grund die Abtretung verweigerte und dem Besitzer dadurch die eigene Rechtsverfolgung erschwerte. Der Besitzer wird daher in aller Regel keinerlei Schwierigkeiten haben, die Abtretung durch den Gläubiger an sich selbst zu erreichen. Besonders gelagerte Ausnahmefälle, in denen eine Rechtsdurchsetzung gegenüber dem Gläubiger nicht möglich ist, wenn z. B. der Vermieter nicht mehr auffindbar ist, wiegen demgegenüber keineswegs so schwer, dass sie für sich genommen einen deliktischen Direktanspruch des obligatorisch berechtigten Besitzers und damit eine dogmatische Durchbrechung der schuldrechtlichen Relativi-
167 BGHZ 11, 37 (41) = NJW 1954,190 (192); Kuhn/Uhlenbruck, § 43, Rn. 10 e; Gottwald, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, §40, Rn. 30; FK-InsO/Joneleit/Imberger, §47, Rn. 44. 168 Fikentscher, AcP 190 (1990), 34 (100, Fn. 109); Walker, AcP 194 (1994), 295 (303); Traugott, S. 108. 169 Vgl. dazu näher BGH, NJW 1988, 198; Emmerich, ]uS 1990, 1 (5); v. Westphalen, Der Leasingvertrag, 5. Aufl. 1998, Rn. 870 ff.; Michalski/Schmitt, Der Kfz-Leasingvertrag, 1995, Rn. 192 ff.
300
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
tat und eine A u f w e i c h u n g des begrenzten Rechtsgüterschutzes nach § 823 Abs. 1 B G B zu rechtfertigen vermögen.
2. Schutz des nichtberechtigten a)
Besitzers
Nutzungsschaden
Ist der Besitzer gegenüber dem Eigentümer nicht z u m Besitz der Sache berechtigt, fehlt es an jeglicher Grundlage für eine Zuweisung der N u t zungsmöglichkeit an den Besitzer. Es ist daher auch sachgerecht, w e n n dem Nichtberechtigten kein Schadensersatzanspruch bei Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit gegen Dritte zusteht. Stattdessen obliegt es dem Eigentümer, sich wegen der Beeinträchtigung an den Dritten zu halten. Daran ändert sich auch nichts, w e n n der Besitzer im guten Glauben an seine Besitzberechtigung ist. § 993 Abs. 1 B G B ordnet nur die tatsächlich gezogenen N u t z u n g e n dem Besitzer zu. 1 7 0 Weshalb der gutgläubige Besitzer die N u t zungsziehung unterlässt, sei es aus freier Entscheidung, sei es, weil ihm die N u t z u n g durch einen Dritteingriff unmöglich gemacht wird, ist unerheblich. Freilich können hier wiederum eigene vertragliche Ansprüche des nichtberechtigten Besitzers hinzutreten, soweit zwischen ihn und den Eigentümer weitere Personen getreten sind. Hat beispielsweise B ein dem Eigentümer E abhanden gekommenes Fahrzeug in gutem Glauben von V erworben und wird dieses Fahrzeug dann von einem Dritten beschädigt, so stellen die Aufwendungen für einen Ersatzwagen für die Dauer der Reparatur einen Schaden dar, den B als Teil des Nichterfüllungsschadens nach §§ 440 Abs. 1, 325 BGB a.F. (§§433 Abs. 1 S. 1,275 Abs. 1, Abs. 4, 311 a A b s . 2 S . 1 BGB n.F.) gegenüber seinem Vertragspartner V geltend machen kann. Ein anderes Beispiel lässt sich aus einer Abwandlung des Hallenmieten-Falls 1 7 1 bilden. Vermietet Eigentümer E eine Halle an A, der sie wiederum an M untervermietet, und hat E den Hauptmietvertrag wegen Zahlungsverzugs wirksam außerordentlich gekündigt, so ist M ab diesem Zeitpunkt gegenüber E nicht mehr zum Besitz berechtigt und hat die Mietsache an E herauszugeben, §§ 546 Abs. 2, 985 BGB. Räumt M auf Verlangen des E die Halle nicht, kann E von ihm nach § § 9 9 0 Abs. 1 S. 2, 991, 987 BGB Nutzungsersatz geltend machen. 1 7 2 M hat seinerseits einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen A nach §§ 536 Abs. 3, 536 a Abs. 1 BGB, da A die Kündigung durch E zu vertreten hat. Wird Dazu bereits oben, 3. Kapitel, C. II. 4. (S. 250); 4. Kapitel, A. III. 4. (S. 290). BGHZ 79, 232 = NJW 1981, 865. 172 § 557 Abs. 1 BGB gilt nur unter den Vertragsparteien und greift daher nicht im Verhältnis von Vermieter zu Untermieter ein, OLG Hamburg, NZM 1999, 1052; Palandt/Weidenkaff, § 546 a, Rn. 5; Staudinger/Sonnenschein, § 557, Rn. 8 m. w. N. 170 171
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
301
in dieser Situation der Zugang zur Halle durch einen Dritten versperrt und die Nutzung des Objekts dadurch dem noch besitzenden M unmöglich gemacht, ändert dies grundsätzlich nichts an dem Schadensersatzanspruch des M im Verhältnis zu A. E steht demgegenüber nunmehr kein Nutzungsersatz mehr gegenüber M zu, soweit dieser wegen der Sperrung die Halle nicht an E herausgeben kann. Stattdessen hat E einen Deliktsanspruch gegen den Dritten wegen der Verhinderung der Rückgabe und der dadurch bewirkten Beeinträchtigung des Eigentums. b)
Verwendungsschaden
Auch der unberechtigte, aber gutgläubige Besitzer, der auf die Sache Verwendungen tätigt, ist keineswegs schutzlos. Hat beispielsweise B das dem Eigentümer E abhanden gekommene Fahrzeug, das er in gutem Glauben von V erwarb, wegen eines Schadens reparieren lassen, so steht B grundsätzlich ein Verwendungsersatzanspruch gegen E nach § 994 Abs. 1 B G B zu. Wird das Fahrzeug allerdings von einem Dritten zerstört, bevor E es zurückerhält, will Medicus dem B einen eigenen Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 B G B wegen dessen „Verwendungsschadens" zusprechen, da dann die Voraussetzungen des § 1001 B G B nicht mehr eintreten könnten; zudem seien die Verwendungen nicht im Schaden des Eigentümers enthalten, denn der Eigentümer müsse sich im Verhältnis zum Schädiger von dem erhöhten Sachwert denjenigen Betrag abrechnen lassen, den er hätte aufbringen müssen, um die Sache vom Besitzer herausverlangen zu können. 173 Letzteres ist nach der Differenzhypothese grundsätzlich richtig, denn ohne das schädigende Ereignis würde sich die unversehrte Sache noch im Besitz des B befinden und E könnte sie nur gegen Ersatz der Verwendungen von B herausverlangen. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass der Eigentümer durch die Geltendmachung des vollen Schadensersatzanspruchs konkludent die Verwendungen des B genehmigt. Darüber hinaus muss es nach der Wertung des § 1001 B G B der Wiedererlangung der Sache gleichstehen, wenn der Eigentümer vom Schädiger tatsächlich den vollen Sachwert als Schadensersatz erhält, da auch in diesem Fall dem Eigentümer die Werterhöhung durch die Verwendung zugute kommt. Beschränkt sich der Eigentümer dagegen auf die Geltendmachung des verminderten Wertes der zerstörten Sache, so besteht kein Verwendungsersatzanspruch des B. Letzterem bleibt es dann aber immer noch unbenommen, die getätigten Verwendungen als Teil seines Nichterfüllungsschadens gegen seinen Vertragspartner V nach §§440 Abs. 1, 325 B G B a.F. (§§433 Abs. 1 S. 1, 275 Abs. 1, Abs. 4, 311 a Abs. 2 S. 1 B G B n.F.) durchzusetzen. Denn wenn V seine Verpflichtung zur Eigentumsverschaffung ordnungsgemäß erfüllt hätte, 173
Medicus, AcP 165 (1965), 115 (123 f.).
302
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
hätte B auch einen entsprechenden Schadensersatzanspruch gegen den Dritten wegen Eigentumsverletzung gehabt. c)
Haftungsschaden
Eine Verantwortlichkeit des unberechtigten Besitzers für Verschlechterungen der Sache oder die Unmöglichkeit der Herausgabe an den Eigentümer kommt von vornherein nur in Betracht, soweit der Besitzer nicht redlich und unverklagt ist, § 993 Abs. 1 BGB. Auch in diesem Fall ist seine H a f t u n g allerdings grundsätzlich verschuldensabhängig, §§990 Abs. 1, 989 BGB, es sei denn, er befindet sich im Verzug, §§ 990 Abs. 2,287 S. 2 BGB, oder er ist deliktischer Besitzer, §§992, 848 BGB. Der unberechtigte Besitzer hat es daher selbst in der Hand, durch rechtzeitige Rückgabe der Sache den Eintritt eines eigenen Schadens zu verhindern. Warum aber gerade der besonders nachlässige Herausgabeschuldner und der Dieb auf einen eigenen allgemeinen deliktischen Ersatzanspruch gegen Drittschädiger angewiesen sein sollen, ist nicht recht verständlich. Dass der Haftungsschaden hier letztlich auf den Eingriff eines Dritten zurückgeht, 1 7 4 ist zwar richtig, vermag für sich genommen aber noch keinen Deliktsanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB zu begründen. Denn der Haftungsschaden stellt sich hier als reiner Vermögensschaden des unberechtigten Besitzers dar, der nach der Struktur des deutschen Deliktsrechts nur unter besonderen Voraussetzungen ersatzfähig sein soll. Darüber hinaus besteht bei deliktischem Besitz die Möglichkeit des gesamtschuldnerischen Innenausgleichs der Schädiger nach §§ 840 Abs. 1, 426 Abs. 1 BGB. Der mit der Herausgabepflicht im Verzug befindliche unberechtigte Besitzer hat dagegen bei Zerstörung der Sache durch einen Dritten die Möglichkeit, seine Ersatzleistung an den Eigentümer von der Abtretung der Ersatzansprüche des Eigentümers gegen den Dritten abhängig zu machen, § 255 BGB. 1 7 5
V. Uberprüfung der bisher entschiedenen Fälle auf der Grundlage des vorgeschlagenen Lösungsansatzes 1. Zu den Fällen des Reichsgerichts Im Petroleum-Fall 1 7 6 stand dem Mieter ein entsprechender Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter zu, §538 Abs. 1 BGB a.F. (§536 n.F. BGB), der seinerseits als Eigentümer Deliktsansprüche gegen den PetroleumGroßhändler hatte. 174 175 176
Medicus, AcP 165 (1965), 115 (123). Vgl. auch oben, unter A. III. 1. (S. 273 ff.). R G Z 59, 326.
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des $ 823 Abs. 1 BGB
303
Im Telegramm-Fall 1 7 7 bestand keine Notwendigkeit, auf den Besitz abzustellen, denn der Kläger war mit Aushändigung des Telegramms an das Dienstmädchen bereits Eigentümer der Urkunde geworden. Mit der Ubergabe eines Telegramms will die Post regelmäßig das betreffende Schriftstück übereignen. Das Dienstmädchen hat durch die Entgegennahme des Telegramms als Stellvertreterin für den Dienstherrn konkludent die Annahme des Übereignungsangebots erklärt. Die Rechtslage wäre darüber hinaus nicht anders, wenn das Vertragsangebot auf schriftlichem Wege übermittelt und der Brief vom Postboten in einen Briefkasten des Empfängers eingeworfen worden wäre. Das Eigentum an Briefen geht regelmäßig auf den Empfänger über. 178 Dadurch, dass der Empfänger einen Briefkasten vorhält und diesen der Allgemeinheit zugänglich macht, erklärt er konkludent, das Eigentum an der Post erlangen zu wollen, die üblicherweise bestimmungsgemäß über derartige Briefkästen zugestellt wird. Da der Empfänger zugleich mit Einwurf in den Briefkasten den Besitz an der Post erlangt, wird er bereits in diesem Moment Eigentümer, unabhängig davon, ob er zu Hause ist und wann er die Post entnimmt. 1 7 9 Das R G ist daher ohne N o t auf den Besitz als deliktsrechtlichen Anknüpfungspunkt ausgewichen. Dies ist umso bedenklicher, als das Gericht ganz allgemein einen gegenständlich widerrechtlichen Eingriff in den Besitz ausreichen lässt. Da hier nicht nach berechtigtem und unberechtigtem Besitz unterschieden wird, legt dies die Annahme nahe, dass auch der unberechtigte Besitz Deliktsschutz genieße. Dies wird zusätzlich dadurch gestützt, dass der Empfänger des Telegramms bei Verneinung eines Eigentumsübergangs wohl als unberechtigter Besitzer anzusehen wäre, denn eine schuldrechtliche Grundlage für die Innehabung des Telegramms bis zur Heimkehr des Empfängers und dann erfolgenden Eigentumsübergang ist nicht ersichtlich. Dieses eigenartige Ergebnis bestätigt zusätzlich, dass es eher dem Verkehrsverständnis entspricht, bereits mit Aushändigung an eine Empfangsperson - bzw. mit Einwurf in einen Briefkasten - von einem Eigentumsübergang auszugehen. Im Nachnahme-Fall 1 8 0 ergab sich der Zahlungsanspruch, wie auch das R G richtig feststellte, bereits aus der ausdrücklich übernommenen Verpflichtung des Beklagten bei Entgegennahme der Warensendungen. Bei Annahme einer nur einstweiligen Verwahrung der Nachnahmesendungen lag ein konkludent geschlossener Verwahrungsvertrag vor, der den Beklagten bei Unmöglichkeit
R G Z 91, 60. Vgl. R G Z 69, 401 (403). 1 7 9 Eine Parallele findet sich beim Aufstellen von Automaten. Hier wird angenommen, dass der Aufsteller bereits mit Einwerfen Eigentümer der Geldstücke wird, RGSt 44, 114 (115). 1 8 0 R G Z 102,344. 177 178
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Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
der Herausgabe nach §§ 695, 690, 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtete. Der Hausstand-Fall 181 ist von familienrechtlichen Besonderheiten geprägt, deren gesetzliche Grundlagen sich im Laufe der Zeit erheblich geändert haben. Der Herausgabeanspruch stand dem Ehemann damals in seiner Eigenschaft als (Allein-)Besitzer aus §861 Abs. 1 BGB zu. Nach heutiger Rechtslage ist besitzrechtlich bei Ehegatten nach der konkreten Einwirkungsmöglichkeit zu unterscheiden. Jeder Ehegatte hat Alleinbesitz an den seinem persönlichen Gebrauch dienenden Sachen und solchen unter seinem Sonderverschluss. 182 Am gemeinsam benutzten Hausrat hat demgegenüber jeder Ehegatte Mitbesitz, wobei jeweils der mitbesitzende Nichteigentümer dem Eigentümer den Besitz aufgrund des aus der ehelichen Lebensgemeinschaft fließenden Mitbesitzrechts nach § 1353 vermittelt. 183 Bei vollständiger Besitzentziehung steht dem einzelnen Mitbesitzer der possessorische Besitzschutz nach § 861 Abs. 1 BGB nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch gegenüber dem Mitbesitzer zu. 184 Im Falle des Getrenntlebens trifft § 1361 a BGB nunmehr eine besondere Regelung der Hausratsverteilung. Danach kann jeder Ehegatte die ihm gehörenden Haushaltsgegenstände von dem anderen Ehegatten herausverlangen, doch ist er verpflichtet, sie dem anderen Ehegatten zum Gebrauch zu überlassen, soweit dieser sie zur Führung eines abgesonderten Haushalts benötigt und die Überlassung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht, § 1361 a Abs. 1 BGB. Entfernt ein Ehegatte eigenmächtig Haushaltsgegenstände, die sich in seinem Alleineigentum befinden, deren Überlassung jedoch der andere Ehegatte nach § 1361 a Abs. 1 BGB verlangen kann, so steht Letzterem ebenfalls ein Herausgabeanspruch zu. U m stritten ist nur, ob dieser Anspruch vorrangig nach § 1361 a Abs. 1 BGB analog oder daneben zumindest auch nach § 861 BGB besteht. Schon um den rücksichtslosen Ehegatten, der auf eigene Faust handelt, nicht zu begünstigen, sollten allerdings beide Regelungen nebeneinander anwendbar sein. 185 Nichts anderes kann hier gelten, wenn der Ehegatte einen Dritten mit der Wegschaffung der Gegenstände beauftragt. Dagegen wird die Frage nach einem möglichen Schadensersatzanspruch des nach § 1361 a Abs. 1 S. 2 BGB berechtigten Ehegatten, etwa wenn der Eigentümer-Ehegatte die weggeschaffte Sache versehentlich zerstört oder beschädigt, soweit ersichtlich, nirgends erörtert, und dies zu Recht. Denn der Überlassungsanspruch bezieht sich nur auf vorhandene Gegenstände, so dass beispielsweise den Eigentümer-Ehegatten keine
181 182 183 184 185
RG, WarnR 1922 Nr. 41. OLG Koblenz, NJW-RR 1994,1351; Palandt/Bassenge, BGH, NJW 1979, 976 (977). BGH, DB 1973,913. Dazu im Einzelnen oben, 1. Kapitel, C. (S. 170 ff.).
% 866, Rn. 3.
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des 5 823 Abs. 1 BGB
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Ausbesserungs- oder Ersatzbeschaffungspflicht trifft. 1 8 6 Bis zur Grenze der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 B G B hat die Verschlechterung oder der Untergang der Sache daher für den Eigentümer keine Schadensersatzpflicht zur Folge. Soweit der Ehegatte ihm gehörende Haushaltsgegenstände an Dritte veräußert, gilt die Beschränkung des § 1369 B G B nach h.M. auch während des Getrenntlebens. 1 8 7 Der Schutz des anderen Ehegatten wird daher durch das Erfordernis seiner Einwilligung und durch den Herausgabeanspruch gegenüber dem Dritten, §§1369 Abs. 3, 1368, 985 B G B , gewährleistet. Die gleiche Bindung gilt, soweit Dritte als Vertreter bzw. Ermächtigte des Eigentümer-Ehegatten handeln. 188 Auch im Weinfässer-Fall 189 erscheint ein Rückgriff auf das Deliktsrecht keineswegs erforderlich. Durch die gegenüber den Spediteuren ausgesprochenen Verbote und Drohungen, für die es keinerlei erkennbare Grundlage gab, hatte sich die Gemeinschuldnerin als Verkäuferin und Vertragspartnerin des Klägers zweifelsohne einer positiven Vertragsverletzung schuldig gemacht, denn auch nach Übertragung der Konnossemente oblag der Verkäuferin die vertragliche Nebenpflicht, alles zu unterlassen, was die Erbringung der vertragsgemäßen Leistung, d.h. die Herausgabe der Fässer an den Kläger beeinträchtigt. 190 Daneben kann der Kläger gegenüber den Spediteuren Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn diese ohne Grund die Herausgabe der Ware an ihn verzögern, §§ 458, 425 Abs. 1 H G B . Im Kieslaster-Fall 191 stellt sich gleichfalls nicht die Frage nach dem Besitz als deliktsrechtlich geschütztem Rechtsgut, da der Kläger als Vorbehaltskäufer Inhaber des Anwartschaftsrechts war, das nach allgemeiner Ansicht als sonstiges Recht nach § 823 Abs. 1 B G B geschützt ist. 1 9 2
2. Zu den Fällen des Bundesgerichtshofs Im Arztpraxis-Fall 1 9 3 begegnet wiederum die vom R G aus der PetroleumEntscheidung übernommene Formulierung Bedenken, dass das durch den Besitz erkennbare Mietrecht von jedermann zu achten sei. Zum einen ist das KG, O L G E 7, 45; 21, 215; MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1361 a, Rn. 10. O L G Saarbrücken, O L G Z 1967, 1 (7); BayObLG, FamRZ 1980, 571 (572); LG Berlin, FamRZ 1982, 803 (804); O L G Koblenz, FamRZ 1991, 1302; Soergel/Lange, §1369, Rn. 3; Staudinger/Thiele, § 1369, Rn. 31; Palandt/Brudermüller, § 1369, Rn. 2; Erman/Heckelmann, § 1369, Rn. 7; a.A. Gernhuber/Coester-Waltjen, §35 III 4; MünchKomm/Wacke, §1369, Rn. 22; Palandt/Diederichsen, BGB, 51. Aufl., § 1369, Rn. 2. 188 MünchKomm/Wacke, § 1369, Rn. 16. 189 RG, J W 1931, 2904 = SeuffA 86 Nr. 9. 190 So schon zu Recht Matthiessen,JW 1931, 2905. 191 RGZ 170, 1. 192 BGHZ 55, 20 (26); BGH, NJW 1970, 699; Baur/Stürner, §59, Rn.45; MünchKomm! Westermann, § 455, Rn. 56; Brox, JuS 1984, 657 (660). 193 BGH, JZ 1954, 613 = B B 1954,426. 186 187
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• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Mietrecht als rein schuldrechtliche Beziehung gerade nicht ohne weiteres von außen, d.h. durch einen Dritten erkennbar. Sinnlich wahrnehmbar ist allein die Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft, hier des Klägers über die Wohnung im 1. Stock. Ob dies aber aufgrund eines wirksamen Mietvertrages geschieht, kann kein Außenstehender beurteilen. Allenfalls mag eine Vermutung dafür bestehen, dass die Sachherrschaft des Klägers auf einem entsprechenden Recht zu seiner Ausübung gründet, doch ist für einen Dritten ohne konkrete Kenntnisse der Verhältnisse nicht erkennbar, welcher Art dieses Recht ist (Eigentum, Miete). Auf eine Vermutung stellt der BGH auch nicht ab. Im Übrigen bestanden für den Kläger aufgrund seines Mietvertrages entsprechende Ansprüche nach § 536 a Abs. 1 BGB gegenüber seinem Vermieter, der seinerseits Schadensersatzansprüche gegenüber der Mieterin im Erdgeschoss hatte, sei es aus Vertrag, wenn er zugleich auch Vermieter der Beklagten gewesen sein sollte, sei es aus § 823 Abs. 1 BGB. Soweit ein Rückgriff des Klägers gegen seinen Vermieter, etwa wegen mangelnden Verschuldens, nicht möglich gewesen wäre, würden nach der hier vertretenen Konstruktion wiederum die Grundsätze der Drittschadensliquidation anzuwenden sein. Da der BGH in der Turmdrehkran-Entscheidung 194 dem mittelbaren Besitzer gegenüber dem unmittelbaren Besitzer deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche versagt hat, bestehen insoweit keine Abweichungen zum hier vertretenen Standpunkt. Der Schutz der Klägerin gegenüber der Beklagten beschränkt sich auf die Gefährdungshaftung nach der Kraftverkehrsordnung, durch die zugleich eventuelle Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung ausgeschlossen werden. 195 Nicht Gegenstand des seinerzeitigen Verfahrens waren allerdings mögliche weitergehende Ansprüche der Klägerin im Innenverhältnis zu dem Bauunternehmen M, dessen Angestellte das Kranführerhaus auf die Zugmaschine geladen hatten, ohne es zu befestigen. Soweit in dieser Rechtsbeziehung ein Verschulden des Bauunternehmers M vorlag, konnte sich die Klägerin an das Bauunternehmen halten. Die Lösung des Lastenaufzugs-Falls 1 9 6 stellt sich wie beim ArztpraxisFall dar. Die Klägerin kann sich aufgrund ihres Mietvertrages an ihren Vermieter halten, der seinerseits vertragliche oder deliktische Ansprüche gegenüber der Beklagten hat. Im Übrigen findet ein Ausgleich über die Drittschadensliquidation statt. Vor diesem Hintergrund kann die Auffassung des BGH, der Mitbesitzer wäre ohne unmittelbaren Deliktsanspruch schutzlos, nicht überzeugen. Im Opel Admiral-Fall 1 9 7 war wiederum, wie im Kieslaster-Fall des RG, ein Rückgriff auf den Besitz als geschütztes Rechtsgut entbehrlich, da der Kläger BGHZ 32, 194 = NJW 1960, 1201. Dazu im Einzelnen BGHZ 32, 194 (196 ff., 203); Wittenberg, Rn. 16; Muth/Lehmann, KVO, 4. Aufl. 1984, § 31 Anm. 4. 196 BGHZ 62, 243 = NJW 1974, 1189. 194
195
KVO, 4. Aufl. 1991, § 31,
A. Besitz als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB
307
ohnehin Inhaber eines Anwartschaftsrechts aus dem Eigentumsvorbehaltskauf war, so dass die Schadensersatzforderung im Ergebnis zu Recht auf § 823 Abs. 1 B G B gestützt wurde. Der Leasing-Fall 1 9 8 würde nach dem hier vertretenen Modell im Ergebnis genauso entschieden wie vom B G H . Der Klägerin und Leasinggeberin bleibt es zunächst unbenommen, den ihr selbst entstandenen Schaden aufgrund der Verletzung ihres Eigentums ersetzt zu verlangen. Soweit es sich um einen auf Vollamortisation gerichteten Vertrag handelt, besteht allerdings kein Schaden des Leasinggebers. 199 Die Schadenspositionen des Leasingnehmers L konnte die Klägerin nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation gegenüber dem Beklagten geltend machen und war L dann ihrerseits nach Maßgabe des Innenverhältnisses zur Herausgabe der Ersatzleistung verpflichtet. Der Pferde-Fall 2 0 0 ist allein über die vorvertragliche Schuldrechtsbeziehung der Parteien zu lösen. Mangels einer bindenden Umtauschvereinbarung befanden sich die Parteien in Vertragsverhandlungen über einen Tausch der Pferde. Da jeder das Pferd des anderen probeweise benutzen sollte, um zu prüfen, ob er mit dem Tausch einverstanden sei, stand jedem ein Nutzungsrecht am Pferd des anderen für die Dauer der Vertragsverhandlungen zu. Dieses Nutzungsrecht endete, sobald die Verhandlungen, egal durch wen, abgebrochen waren. Der Beklagte konnte daher auch einseitig durch Abholen der Stute „Formosa" die Vertragsverhandlungen beenden und dadurch das Nutzungsrecht des Klägers erlöschen lassen. Dem Beklagten oblag zwar durch die Aufnahme der Verhandlungen eine Schutz- und Fürsorgepflicht auch für die Interessen und Rechtsgüter des Klägers, so dass es ihm insbesondere nicht erlaubt war, ohne Zustimmung des Klägers bei diesem einzudringen und das Pferd zurückzuholen. Ein entsprechender Anspruch aus c.i.c. auf Ersatz der entgangenen Nutzung scheitert jedoch am fehlenden Schaden, da der Kläger mit dem Ende der Verhandlungen seinerseits verpflichtet war, die Stute an den Beklagten herauszugeben. Die Parallelität der Argumentation des B G H verdeutlicht zusätzlich, dass es im Grunde nicht um deliktische, sondern um (vor-)vertragliche Wertungen geht. Im Verfolgungs-Fall 201 konnte der Kläger von der Vermieterin, der er seinerseits Schadensersatz geleistet hat, entsprechend § 285 B G B die Abtretung ihrer Deliktsansprüche aus verletztem Eigentum gegen den Beklagten verlangen und dann in eigenem Namen geltend machen. Die eigenen Schadenspositionen, wie etwa die Anwaltskosten des Vorprozesses, konnte der Kläger im Wege der Drittschadensliquidation einfordern. 197 198 199 200 201
BGH, WM 1976,583. BGH, VersR 1976, 943 = JZ 1976, 643. BGH, BB 1990, 2441; Graf v. Westphalen, Der Leasingvertrag, 5. Aufl. 1998, Rn. 954. BGHZ 73, 355 = NJW 1979, 1358. BGH, NJW 1981, 750.
308
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz im
Deliktsrecht
Im Hallenmiete-Fall 202 hat der B G H im Ergebnis zu Recht einen Nutzungsersatzanspruch der Beklagten abgelehnt. Nach der fristlosen Kündigung des Hauptmietvertrages hatte die Beklagte als Untermieterin gegenüber der Klägerin kein Recht zum Besitz mehr, so dass sie zur Herausgabe des Mietobjekts verpflichtet war, §§ 546 Abs. 2, 985 B G B . Der Klägerin stand grundsätzlich auch ein Anspruch auf Nutzungsersatz für die Dauer der nicht erfolgten Rückgabe der Mietsache nach § § 9 8 7 Abs. 1, 990 Abs. 1 S.2, 991 Abs. 1 B G B zu, da die Beklagte sogleich über die fristlose Kündigung des Hauptmietverhältnisses informiert worden war. Entgegen dem B G H wird man jedoch den Nutzungsersatz um einen entsprechenden Betrag für den Zeitraum kürzen müssen, während dessen die Beklagte von der Halle ausgesperrt gewesen ist; denn in dieser Zeit hat die Beklagte das Mietobjekt weder tatsächlich genutzt (§ 987 Abs. 1 B G B ) , noch hatte sie auch nur die Möglichkeit der Nutzung ( § 9 8 7 Abs. 2 B G B ) . Ein weitergehender Anspruch stand der Klägerin auch nicht als Verzugsschaden nach § § 5 4 6 Abs. 2, 286 Abs. 1, 280 Abs. 1, Abs. 2 B G B zu, da es jedenfalls an einer Mahnung fehlte und keine Anhaltspunkte erkennbar sind, die eine solche ausnahmsweise entbehrlich erscheinen ließen. Die Beklagte schuldete dagegen der Firma A als Vermieterin keinen Mietzins mehr, da diese durch ihren Zahlungsverzug im Verhältnis zur Klägerin als Hauptvermieterin schuldhaft die Kündigung und damit die Herausgabepflicht nach § 546 Abs. 2 B G B verursacht hatte. Die Beklagte konnte darüber hinaus von der Firma A Schadensersatz nach §§ 536 Abs. 3, 536 a Abs. 1 B G B wegen der entgangenen Lieferaufträge verlangen. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Beklagte ausgesperrt hatte. Denn durch die fristlose Kündigung war die Beklagte verpflichtet, die Halle sofort an die Klägerin herauszugeben, § 546 Abs. 2 B G B , so dass ihr die Halle zur Erfüllung ihrer Lieferaufträge ohnehin nicht zur Verfügung stand. Im Ufermauer-Fall 203 ist der Schadensausgleich ebenfalls im Wege der Drittschadensliquidation zu bewerkstelligen. Die Nähe zur anerkannten Fallgruppe des vorzeitigen Gefahrübergangs ist hier besonders deutlich. Der Unterschied besteht nur darin, dass die in den Hafengrund eingeschlagenen Bohlen sogleich in das Eigentum der Stadt übergegangen sind, während der Gefahrübergang nach §§631, 640, 644 B G B bis zur Abnahme des Werkes hinausgeschoben wird. Es handelt sich also sozusagen um einen Fall des „verspäteten" Gefahrübergangs, der nicht anders behandelt werden kann, als der Fall des vorzeitigen Gefahrübergangs, da die zugrundeliegende Wertung - zufälliges Auseinanderfallen von Eigentumsverletzung und Schaden - in beiden Situationen die gleiche ist. 204 Bezeichnenderweise hatte die Stadt auch tatsächlich die ihr zustehenden Ansprüche an die Klägerin abgetreten. 202 203 204
BGHZ 79, 232 = NJW 1981, 865. BGH, NJW 1984, 2569. In diesem Sinne auch BGH, NJW 1970, 38 (41); Selb, NJW 1964, 1765 (1767).
B. Besitzschutz
durch Schutzgesetze
nach § 823 Abs. 2 BGB
309
Zusammenfassend lässt sich danach feststellen, dass sich alle bisher entschiedenen Fälle auch ohne Rückgriff auf einen eigenständigen Deliktsanspruch des Besitzers nach § 823 Abs. 1 B G B angemessen bewältigen lassen. Auch dadurch bestätigt sich, dass keine Notwendigkeit für eine systemfremde Einbeziehung des Besitzes oder des Rechts zum Besitz in den Tatbestand des § 823 Abs. 1 B G B besteht.
B. Besitzschutz durch Schutzgesetze I. Das Verbot der Eigenmacht als Schutzgesetz
nach §823 Abs. 2 BGB
nach §858
BGB
Unabhängig von dem begrenzten Schutz qualifizierter Rechte und Rechtsgüter nach § 823 Abs. 1 B G B bleibt die Frage nach dem deliktischen Schutz des Besitzes über die partielle Generalklausel des § 823 Abs. 2 B G B . Ganz im Vordergrund steht dabei von jeher das Problem, ob und inwieweit die Regelung der verbotenen Eigenmacht in § 858 B G B ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 B G B ist.
1.
Meinungsstand
a)
Gesetzesmaterialien
Wie bereits im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 B G B gezeigt, lehnte die Zweite Kommission die explizite Aufnahme des Besitzes als ein deliktsrechtlich geschütztes Recht ab. 2 0 5 Man ging stattdessen davon aus, dass der Besitz durch das Verbotsgesetz des § 814 E I (= § 858 B G B ) , welches die Anwendung des § 746 E II (= § 823 Abs. 2 B G B ) ermögliche, genügend geschützt sei. 206 Im gleichen Sinne äußerte sich das Reichsjustizamt in seiner Denkschrift. Dort wird hervorgehoben, dass zum Begriff der verbotenen Eigenmacht nicht gehöre, dass der Besitz vorsätzlich oder fahrlässig entzogen oder gestört wird, doch sei nach § 807 der Reichstagsvorlage (= § 823 B G B ) die Schadensersatzpflicht von einem schuldhaften Zuwiderhandeln gegen das Verbot abhängig. 207 Die Gesetzesverfasser hielten also das Verbot der Eigenmacht nach § 858 B G B ohne weiteres für ein ausreichendes Schutzgesetz, um Deliktsansprüche auslösen zu können.
205
206 207
Dazu oben, unter A. I. (S. 258 ff.). Mugdan, Band II, S. 1077. Mugdan, Band III, S. 963.
310
b)
Teil 2: Formen
des Besitzschutzes
• 4. Kapitel:
Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
Rechtsprechung
Das RG ging schon bald nach In-Kraft-Treten des BGB von der Anwendbarkeit des § 823 Abs. 2 BGB bei Vorliegen verbotener Eigenmacht aus. Im Petroleum-Fall hob das Gericht hervor, dass sich der Mieter neben § 823 Abs. 1 BGB auch auf § 823 Abs. 2 BGB stützen könne, da § 858 BGB den Schutz des Besitzers bezwecke. 208 Diesen Grundsatz bestätigte das Gericht in der Folge, 209 wobei es allerdings stets mit berechtigten Besitzern zu tun hatte und daher nicht auf die Frage eingehen musste, ob und inwieweit dies auch für Fälle des unberechtigten Besitzes zu gelten hat. Der BGH übernahm diese Rechtsprechung ohne nähere Auseinandersetzung. 210 Die Frage nach dem Schutz des nicht berechtigten Besitzers ließ das Gericht im „Opel-AdmiralFall" zunächst offen.211 Seit dem „Pferde-Fall" hat sich der BGH dahingehend festgelegt, dass Schadensersatz nach §823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nur verlangen kann, wer ein Recht auf Nutzung hat, da sonst kein Schaden vorliege.212 Danach geht das Gericht offenbar davon aus, dass grundsätzlich auch der unberechtigte Besitz über § 858 BGB im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB geschützt wird, es aber an dem Tatbestandsmerkmal des Schadens fehle und (nur) daher ein Ersatzanspruch ausscheide. c)
Literatur
Das Schrifttum ist in der Frage der Schutzgesetzqualität des § 858 BGB gespalten. Die überwiegende Auffassung folgt der Rechtsprechung, 213 wobei zum Teil ausdrücklich der nichtberechtigte Besitzer einbezogen wird. 214 So verweist Canaris darauf, dass der gutgläubige nichtberechtigte Besitzer gegenüber dem Eigentümer die Nutzungen nach § 993 Abs. 1 BGB behalten dürfe und ihm daher auch ein ersatzfähiger eigener Schaden entstehe, wenn ihm der Besitz entzogen wird. 215 Andere stützen sich auf eine strikte Tren208 209
RGZ 59, 326 (328). RG, Gruchot 51 (1907), 985 (986); Warn 1922, Nr. 41; J W 1931, 2904 (2906); RGZ 170,
1(6). 210 BGHZ 20, 169 (171) = NJW 1956, 787 (788); BGH, VersR 1957, 296; zuletzt BGH, WM 1996,91. 211 BGH, WM 1976, 583 (584). 212 BGHZ 73, 355 (362) =NJW 1979, 1358 (1359); BGHZ 79, 232 (237 f.) = N J W 1981, 865 (866); BGHZ 114, 305 (312) = N J W 1991, 2420 (2422); vgl. auch BGHZ 147, 45 (49) = NJW 2001, 1865. 213 Erman/Schiemann, §823, Rn. 161; MünchKomm/Mertens, §823, Rn. 146; Palandt/ Thomas, § 823, Rn. 145; Strohal, JherJb 38 (1898), 1 (56); Emmerich, SchuldR-BT, § 24, Rn.4; K. Müller, SchuldR-BT, 1990, Rn.2462; Pieper, in: FS OLG Zweibrücken, S.231 (238 ff.); Mittenzwei, MDR 1987, 883 (885 f.). 214 Dulckeit, S. 17 f.; Fraenkel, Tatbestand, S. 176 ff.; Th. Honseil, JZ 1983, 531 ff.; Larenz/ Canaris, § 77 III 1 c (S. 440); Schick, S. 81 ff.; Härtung, S. 69 ff. 215 Larenz!Canaris, § 77 III 1 c (S. 440).
B. Besitzschutz durch Schutzgesetze
nach § 823 Abs. 2 BGB
311
nung von Unrechtstatbestand und Schaden. Danach stelle zwar auch der Eingriff in den unberechtigten Besitz eine unerlaubte Handlung dar, doch begründe nur der Verlust rechtmäßig zu erlangender Vorteile einen Schaden, so dass weder entgangener Gewinn noch auch nur Herausgabe der Sache als Naturalrestitution nach § 249 S. 1 B G B verlangt werden könne, wenn die Herbeiführung dieses Zustandes von Rechts wegen nicht bestehen solle. 216 Ein Teil der Literatur will den Anwendungsbereich des Ersatzanspruchs zumindest auf den Kreis der berechtigten Besitzer begrenzen. 2 1 7 Demgegenüber lehnt eine beachtliche und im Vordringen begriffene Mindermeinung die Einordnung von § 858 B G B als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 B G B überhaupt ab. 2 1 8 Dabei steht die Überlegung im Vordergrund, dass das Eigenmachtverbot bewusst nicht auf den berechtigten Besitz beschränkt ist, ein deliktischer Schutz auch des unberechtigten Besitzes jedoch zu untragbaren Konsequenzen führe.
2.
Würdigung
Will man Klarheit über die Reichweite des Besitzschutzes nach § 823 Abs. 2 B G B gewinnen, muss man bei dem Begriff des Schutzgesetzes selbst ansetzen und fragen, nach welchen Kriterien sich der Charakter einer Regelung als Schutznorm richtet. Bei aller Unsicherheit über die Grenzziehung im Einzelnen lassen sich die Anforderungen doch dahingehend konkretisieren, dass die betreffende Norm nach ihrer Funktion einem gezielten Individualschutz dienen muss. Zwar braucht dies nicht das alleinige Ziel zu sein, so dass insbesondere auch überindividuelle Interessen, wie der Schutz der Allgemeinheit, einfließen und neben den Individualschutz treten können. Die Interessen des Einzelnen dürfen aber gegenüber den weiteren Zielen nicht derart in den Hintergrund treten, dass sie nur noch als Ausfluss einer allgemeinen Ordnungsfunktion der Norm gleichsam reflexartig mitberührt werden. 2 1 9
216 Fraenkel, Tatbestand, S. 186 f.; ähnlich Th. Honseil, JZ 1983, 531 (534 f.), der zusätzlich zwischen deliktischem und sonstigem nichtberechtigten Besitzer unterscheiden und nur letzterem einen Ersatzanspruch einräumen will. 217 Jauernig/Jauernig, §858, Rn. 9; Soergel/Zeuner, §823, Rn. 297; Staudinger/Hager, §823, Rn. G41. 218 Soergel/Mühl, vor §854, Rn. 15; Brehm/Berger, Rn. 4.24; Schreiber, Rn. 118; Schwab/ Prutting, Rn. 128; Westermann/Gursky, § 8, 4 (S. 70); Börner, JuS 1978, 666 (668, Fn. 12); Gursky, JZ 1997, 1094 (1095); Haase, J R 1981, 287; Medicus, AcP 165 (1965), 115 (118 f., 137, 149); van Venrooy, JuS 1979,102 (103); früher bereits Eccius, Gruchot 53 (1909), 1 (8 ff.); Siber, Schuldrecht, 1931, § 76 (S. 453 f.); v. Caemmerer, in: FS f. DJT, Band II, S. 49 (83). 2 1 9 Vgl. BGHZ 66, 388 (390) = N J W 1976, 1740; BGHZ 100, 13 (14f.) = N J W 1987, 1818; BGHZ 105, 121 (124) = NJW 1988, 2794 (2795); BGHZ 122, 1 (3 f.) = NJW 1993, 1580; Soergel/Zeuner, § 823, Rn. 289; Larenz/Canaris, § 77 II 2 (S. 433); Bistritzki, S. 23 ff.; Th. Honseil, JA 1983, 101 (103); Knöpfle, NJW 1967, 697 (700).
312
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz im
Deliktsrecht
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Regelung des § 858 Abs. 1 B G B , so wird man der Vorschrift zunächst einmal einen eigenständigen materiellen Regelungsgehalt und eine damit verbundene Wertung nicht absprechen können. Die N o r m bringt zum Ausdruck, dass die Entziehung oder Störung des Besitzes ohne oder gegen den Willen des Besitzers grundsätzlich nicht von der allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt, sondern widerrechtlich ist. Ein solch eigenmächtiges Handeln wird von der Rechtsordnung missbilligt und deshalb untersagt. Es geht daher sicher zu weit, wenn man § 858 Abs. 1 B G B auf eine bloße Legaldefinition zur Normierung eines Sprachgebrauchs ohne inhaltlichen Regelungsgehalt reduziert. 220 Andererseits ist mit dem vorbeschriebenen Regelungsgehalt noch nichts darüber ausgesagt, zu welchen Zwecken ein solches Unwerturteil ausgesprochen wird. § 858 Abs. 1 B G B ist das Fundament des possessorischen Besitzschutzes und teilt daher dessen Funktion. Die nähere Analyse der §§ 858 ff. B G B hat jedoch ergeben, dass der Zweck des possessorischen Besitzschutzes in der Erhaltung des allgemeinen Rechtsfriedens zu sehen ist. 221 Im Interesse der Allgemeinheit soll das Faustrecht auch dort unterbunden werden, wo ihm unter Umständen ein materielles Recht auf die angestrebte Besitzänderung zur Seite steht. Zu diesem Zweck sollen begonnene Störungen unterbunden (§ 859 B G B ) oder später wieder beseitigt (§§ 861, 862 B G B ) werden, ohne dass es grundsätzlich auf die materielle Rechtslage ankommt. Dem possessorischen Schutz kommt dadurch zugleich eine Präventionsfunktion zu, da dem Störer von vornherein jeder Anreiz genommen werden soll, sein vermeintliches Recht selbst durchzusetzen. Die Interessen des betroffenen Besitzers werden dadurch nur mittelbar berührt. Dies gilt nicht nur, wenn er im Besitz der Sache verbleibt, weil die Präventionsfunktion ihre Wirkung entfaltet und es nicht zu eigenmächtigem Handeln kommt, sondern auch bei Eingreifen der Besitzschutzrechte, da die Rechtsordnung hier lediglich den bisherigen Besitzer, unabhängig von seiner materiellen Berechtigung, als Mittel zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des allgemeinen Rechtsfriedens instrumentalisiert. Daraus folgt reflexartig ein Schutz des Besitzinteresses zugunsten des bisherigen Besitzers, der von der Rechtsordnung lediglich in Kauf genommen wird, um einen effektiven Schutz des allgemeinen Rechtsfriedens gewährleisten zu können. Es ist daher der allgemeine Rechtsfrieden, der in § 858 B G B zu einem gesetzlich geschützten Wert wird, nicht aber der Besitz selbst. 222 Uber diesen Schutzzweck ginge es jedoch weit hinaus, wollte man auch den unberechtigten Besitzer entsprechend der Reichweite des § 858 Abs. 1 B G B So aber Rödig, Erfüllung, 1973, S. 11 f. Dazu oben, Teil 1, 2. Kapitel, B. II. 2. d. (S. 40 ff.). 2 2 2 A. A. Pieper, in: FS O L G Zweibrücken, S.231 (240); der dortige Hinweis auf §231 BGB führt ebenfalls nicht weiter. Diese Vorschrift erweitert die Haftung auf das Verschuldenselement, lässt aber den Kreis der geschützten Rechtsgüter unberührt. 220 221
B. Besitzschutz
durch Schutzgesetze
nach § 823 Abs. 2 BGB
313
über § 823 Abs. 2 BGB allgemein in den Genuss eines Schadensersatzanspruchs gelangen lassen. Es überzeugt auch nicht, den unberechtigten Besitzer zunächst in den Unrechtstatbestand einzubeziehen und ihn dann auf der Schadensebene wieder auszuscheiden, indem man gerade nur ihm einen ersatzfähigen Schaden abspricht, so dass im Ergebnis allein der berechtigte Besitzer als Deliktsgläubiger übrig bleibt. Denn der Maßstab für die Reichweite des Ersatzanspruchs muss der Schutzzweck des § 858 Abs. 1 BGB sein und diese Vorschrift differenziert nun einmal nicht nach der Rechtsgrundlage des beeinträchtigten Besitzes. Allerdings bedarf der Schutzzweck des § 858 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Instrumentalisierung des bisherigen Besitzers zur allgemeinen Friedenssicherung noch einer weiteren Differenzierung. Ziel des possessorischen Besitzschutzes ist nicht die Erhaltung des Besitzes für die Zukunft oder die Verhinderung einer bestimmten Besitzlage, sondern lediglich die Unterbindung einer bestimmten Art und Weise, wie eine solche Besitzänderung bewirkt wird. Daher kann es nicht um das Interesse des bisherigen Besitzers an der Aufrechterhaltung seiner bisherigen Rechtslage gehen. Wird er jedoch im Interesse der Allgemeinheit tätig und fordert er die Wiedereinräumung des Besitzes bzw. die Beseitigung der Besitzstörung, so verwirklicht er genau den Präventionszweck, der von den §§ 858 ff. BGB verfolgt wird. Schäden, die sich mit diesem Präventionszweck vereinbaren lassen, können daher unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm über §§858 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB ersatzfähig sein. Der Kreis der hier in Betracht kommenden Schadenspositionen ist allerdings nicht allzu groß. Jeglicher Nutzungsschaden muss von vornherein ausgeschlossen sein, da es beim possessorischen Besitzschutz, wie erwähnt, nicht auf die Aufrechterhaltung einer Nutzungsmöglichkeit ankommt. Danach bleiben im Grunde nur zwei denkbare Posten übrig. Zum einen ist dies der Anspruch auf Naturalrestitution, § 249 S. 1 BGB, also auf Herausgabe der entzogenen Sache oder Beseitigung der eingetretenen Störung. Dadurch werden die §§ 861, 862 BGB mit ihren speziellen possessorischen Besitzschutzschranken keineswegs überspielt, denn der deliktische Anspruch unterscheidet sich mit seinem Verschuldenserfordernis und der Möglichkeit der Berücksichtigung petitorischer Gegenrechte grundlegend vom possessorischen Besitzschutz, so dass beide Anspruchskomplexe konkurrieren können. 223 Zum anderen gewinnt der deliktische Ersatzanspruch eine eigenständige Bedeutung, wenn es um den Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten geht. Hat sich etwa ein bestohlener Besitzer an einen Rechtsanwalt gewandt, der die Rechtslage prüft und den fehlerhaften Besitzer unter Klageandrohung zur Herausgabe auffordert und gibt dieser daraufhin tatsächlich zur Vermeidung eines Rechtsstreits die Sache zurück, so 223
In diesem Sinne ebenso Schick, S. 82; vgl. auch schon oben, Fn. 54.
314
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz im
Deliktsrecht
müsste der frühere Besitzer ohne einen entsprechenden Deliktsanspruch auf den Rechtsanwaltskosten sitzen bleiben, da ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch mangels Verfahren nicht besteht. Nach dem Schutzzweck des § 858 Abs. 1 B G B muss dieser Schaden jedoch ersatzfähig sein, da der frühere Besitzer sich gerade im Interesse einer effektiven Präventionswirkung um die sofortige Rückgängigmachung der Besitzstörung gekümmert hat. Dieser Lösungsweg hat nicht nur den Vorteil, dass er in Übereinstimmung mit § 858 Abs. 1 B G B stets berechtigten und unberechtigten Besitzer gleich behandelt, er trägt auch in systemgerechter und angemessener Weise der Einschätzung des Gesetzgebers von § 858 B G B als Schutzgesetz Rechnung.
II. Strafrechtlicher Schutz der Sachherrschaft Ein weiterer Ansatzpunkt für eine deliktische Haftung kann der strafrechtlich sanktionierte Schutz der Sachherrschaft sein. Soweit Normen den Eingriff in Sachherrschaftspositionen unter Strafe stellen, können sie zugleich Schutznormen im Sinne des § 823 Abs. 2 B G B darstellen und einen ergänzenden Schadensersatzanspruch auslösen. Für die vorliegende Untersuchung seien nur zwei Deliktstatbestände herausgegriffen, zum einen der Diebstahl, § 242 StGB, und zum anderen der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248 b StGB. Da der Tatbestand des Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB auch erfüllt sein kann, wenn die Sache nicht dem Eigentümer, sondern dem Mieter oder gar dem Dieb weggenommen wird, könnte dies die Vermutung nahelegen, dass es sich auch bei diesem Straftatbestand um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 B G B handelt, so dass der Besitzer jedenfalls bei Verwirklichung einer entsprechenden Straftat einen umfassenden Schadensersatzanspruch gegen den Täter erhielte. Dass der Diebstahlstatbestand als zivilrechtliches Schutzgesetz gleichwohl in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - keine Rolle spielt und auch in der Literatur 224 kaum Erwähnung findet, liegt gewiss vor allem daran, dass ihm als Schutzgesetz neben dem Schutz des Eigentums und - nach herrschender Meinung - des berechtigten Besitzers nach § 823 Abs. 1 B G B keine eigenständige Bedeutung zukommt. Lehnt man dagegen, wie hier vorgeschlagen, die Einbeziehung des lediglich obligatorisch berechtigten Besitzers in den Schutz des § 823 Abs. 1 B G B ab und reduziert man den Anwendungsbereich des § 858 B G B im Einklang mit seiner begrenzten Schutzfunktion auf die wenigen, oben dargestellten Fälle, so wird ein möglicher weitergehender Ersatzanspruch über strafrechtliche Deliktstatbestände von Bedeutung. Die da2 2 4 In den gängigen Kommentaren des B G B wird § 242 StGB bei den beispielhaft aufgeführten Schutzgesetzen durchweg nicht erwähnt. Allenfalls im Zusammenhang mit dem versuchten Diebstahl findet sich ein Hinweis auf § 823 Abs. 2 B G B i.V.m. §§ 242, 22 f. StGB, vgl. Erman/Schiemann, § 823, Rn. 34.
B. Besitzschutz
durch Schutzgesetze
nach § 823 Abs. 2 BGB
315
nach im Zentrum stehende Frage nach dem Schutzzweck des § 242 StGB wird allerdings dadurch nicht gerade erleichtert, dass schon das Rechtsgut des Diebstahlstatbestandes in der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur umstritten ist. Die bislang überwiegende Auffassung sieht neben dem Eigentum auch den Gewahrsam als geschützt an. 225 Die Gegenmeinung erkennt allein im Eigentum das geschützte Rechtsgut und hält den Gewahrsam daher nicht für ein eigenständiges Schutzobjekt des Diebstahls. 226 Dass aber auch nach der bisher herrschenden Auffassung der selbständige Schutz des Gewahrsams nicht allzu weit reicht, zeigt sich daran, dass die Antragsbefugnis nach §§ 247, 248 a StGB allein dem Eigentümer zugebilligt wird. 2 2 7 Jedenfalls aber nach Beseitigung des Gewahrsamserfordernisses in § 246 StGB durch das 6. StrRG von 1998 nimmt eine wachsende Zahl von Literaturstimmen zutreffend an, dass allein das Eigentum durch § 242 StGB geschützt wird. Die Wegnahme wird danach nur noch als eine, in § 242 StGB freilich notwendig vorausgesetzte Art der Eigentumsverletzung betrachtet. 228 Danach dient § 242 StGB zwar dem Individualschutz. Davon strikt zu trennen ist jedoch die weitere Frage, ob der Geschädigte zum Kreis der geschützten Personen gehört. 229 Ein individueller Schutz des vom Eigentümer verschiedenen Gewahrsamsinhabers ist aber nach dem Vorstehenden von § 242 StGB nicht bezweckt, so dass für ihn auch kein eigenständiger Schutz über § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommt. Anders ist dies dagegen beim Delikt des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs. Nach § 248 b Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer ein Kraftfahrzeug oder ein Fahrrad gegen den Willen des Berechtigten in Gebrauch nimmt, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Bereits der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, ihren Zweck im Schutz des Gebrauchsrechts zu erkennen, das nicht unbedingt dem Eigentümer zustehen muss, so dass als Berechtigter auch der obligatorisch Berechtigte, wie etwa der Nießbraucher und der Mieter zu sehen sind. 230 Der Mieter eines Kraftfahrzeugs ist danach als Verletzter auch zur Stellung des erforderlichen Strafan225 RGSt 54, 280 (282); BGHSt 10, 400 (401); 29, 319 (323); LK/Ruß, vor §242, Rn. 3; Lackner/Kühl, §242, Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT/I, §33, Rn. 1. 226 Schönke/Schröder/Eser, § 242, Rn. 2; NK-StGB/Kindhäuser, § 242, Rn. 5; Arzt/Weber, § 13, Rn. 35; ähnlich Otto, Delikte, § 39, Rn. 1 ff., der auf die „umfassende Sachherrschaft einer Person über eine Sache" abstellt und darunter eine selbstständige, nicht aus fremdem Recht hergeleitete Herrschaftsposition versteht. 227 BGHSt 10, 400 (401 ff.). 228 Tröndle/Fischer, § 242, Rn. 1; Wessels/Hillenkamp, Rn. 57; Lesch,}K 1998, 474 (477). 229 Larenz/Canaris, § 77 II 2 a (S. 434 f.) und III 3 a (S. 443). 230 BGHSt 11, 47 (51); Tröndle/Fischer, § 248 b, Rn. 2; LK/Ruß, § 248 b, Rn. 6; NK-StGB/ Kindhäuser, § 248 b, Rn. 2; Arzt/Weber, § 13, Rn. 141; Wessels/Hillenkamp, Rn. 394, 396. Für bloßen Eigentumsschutz dagegen Schönke/Schröder/Eser, §248 b, Rn. 1; sachlich übereinstimmend Otto, Delikte, § 48, Rn. 1, unter dem Begriff der „umfassenden Sachherrschaftsposition".
316
Teil 2: Formen des Besitzschutzes
• 4. Kapitel: Der Besitzschutz
im
Deliktsrecht
trags befugt, §§ 248 b Abs. 3, 77 Abs. 1 StGB. 231 Es besteht daher auch kein Grund, § 248 b StGB nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzuerkennen, 2 3 2 so dass der Mieter für diesen engen Anwendungsbereich einen Schadensersatzanspruch gegen den Täter aus eigenem Recht erlangt.
C. Andere
Anspruchsgrundlagen
I. §826 BGB In besonderen Ausnahmefällen kann schließlich auch die Generalklausel des § 826 BGB eingreifen. Handelt der Schädiger vorsätzlich und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise, so kann dem Besitzer daraus ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB zustehen, der auch primäre Vermögensschäden abdeckt.
II. § 1 Abs. 1 ProdHaftG Wird durch den Fehler eines Produkts eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts nach § 1 Abs. 1 P r o d H a f t G verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, sofern es sich u m eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt handelt und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich f ü r den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu vom Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist. Da der Tatbestand hier weiter gefasst ist, als bei § 823 Abs. 1 BGB, kann der Geschädigte auch ein dinglich oder obligatorisch berechtigter Besitzer sein. 233 Das Produkthaftungsgesetz begründet daher auch zugunsten des Besitzers eine verschuldensunabhängige Haftung, die freilich durch die nach § 1 Abs. 2 und 3 P r o d H a f t G und die Selbstbeteiligung nach § 11 P r o d H a f t G erheblich eingeschränkt ist.
231
Arzt/Weber, § 13, Rn. 141. So auch B G H Z 22, 293 (296 f.) = N J W 1957, 500; B G H , VersR 1962, 725 (728) und die Selbstbeteiligung nach § 11 P r o d H a f t G . 233 Rolland, Produkthaftungsrecht, 1990, § 1 P r o d H a f t G , Rn. 36; MünchKomm/Cahn, §1 P r o d H a f t G , Rn. 5; Soergel/Zeuner, § 1 P r o d H a f t G , Rn. 3; Staudinger/Oechsler, § 1 ProdH a f t G , Rn. 8; Änderte, Haftungsumfang, 1990, S. 104 f.; a. A. Produkthaftungshandbuch/ Graf v. Westphalen, 2. Aufl. 1999, § 71, Rn. 27 f., der als „Geschädigte" nur Inhaber dinglicher Rechte ansieht und den Ersatz von Vermögensschäden für ausgeschlossen hält. 232
Teil 3
Der Besitzschutz außerhalb des BGB
1. Kapitel
Der Besitz als ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 Z P O Im Zeitpunkt des Zugriffs der Gläubiger auf das Vermögen des Schuldners wird sich ein Gegenstand als Vollstreckungsobjekt typischerweise im Gewahrsam des Schuldners oder eines Dritten befinden. Wird die Sache bei einem Dritten gepfändet, stellt sich die Frage, ob allein der Besitz des Dritten diesem das Recht einräumt, die weitere Vollstreckung zu verhindern und seine eigene Besitzposition zu sichern bzw. wieder herzustellen. Der Dritte kann aber auch ein Interesse an der Erlangung des Besitzes haben, wenn die Sache beim Schuldner gepfändet wurde. In die Untersuchung der Frage, ob der Besitz ein die Veräußerung hinderndes Recht nach § 771 Z P O ist, müssen daher auch Herausgabeansprüche des Dritten einbezogen werden.
A. Uberblick über den Meinungsstand I.
Rechtsprechungsentwicklung
Bei Immobilien ging das R G unter der Geltung des B G B zunächst davon aus, dass der Besitz als solcher kein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 Z P O darstelle. Der bloße Besitz biete der Widerspruchsklage keine genügende Grundlage gegenüber einer solchen Vollstreckungsmaßregel, die ihrerseits den Besitz unberührt lässt. 1 Einen grundlegenden U m schwung stellte demgegenüber die Entscheidung R G Z 116, 363 dar, in der der Kläger zwei Grundstücke gekauft hatte, die ihm auch bereits aufgelassen und übergeben worden waren. Noch vor Eintragung des Klägers als Eigentümer in das Grundbuch wurden jedoch zwei Sicherungshypotheken für den Beklagten eingetragen. Das R G ließ hier offen, ob der Besitz als solcher nach seiner rechtlichen Gestaltung, die er durch das B G B erfahren hat, als Recht angesehen werden könne. Entscheidend sei vielmehr, ob das Bestehen des Besitzes für den Besitzenden eine Rechtslage ergibt, die einer Veräußerung im Sinne 1
RGZ 81, 64 (66).
A. Überblick
über den
Meinungsstand
319
des § 771 Z P O entgegensteht. Dafür könne nicht bereits auf § 858 B G B abgestellt werden, da es keine verbotene Eigenmacht darstelle, wenn die Zwangsversteigerung nach den gesetzlichen Vorschriften betrieben werde. 2 Jedoch genieße der Besitzer gegenüber dem Herausgabeverlangen des Eigentümers den Schutz des § 986 B G B . Die dadurch für den Besitzer geschaffene Rechtstellung stelle ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 Z P O dar. Ein solches sei immer schon dann anzunehmen, wenn die Veräußerung der den Vollstreckungsgegenstand bildenden Sache durch den Schuldner dem berechtigten Dritten gegenüber sich als rechtswidrig darstellen würde. 3 Im Anschluss an die gegen dieses Urteil gerichtete Kritik in der Literatur schränkte das R G bald darauf den zuletzt genannten Grundsatz wiederum erheblich ein. Im geltenden Liegenschaftsrecht komme dem Besitz des Grundstückskäufers keine Bedeutung für die dingliche Rechtsgestaltung zu. Der bloße Besitz verleihe auch in Verbindung mit dem Käuferanspruch keine dingliche Rechtsstellung und § 986 Abs. 1 B G B gewähre einem Besitzer, der, wie der Käufer, nur schuldrechtlich zum Besitz berechtigt ist, lediglich eine Einrede gegenüber dem Herausgabeverlangen des ihm verpflichteten Eigentümers. 4 Dem dinglichen Vollstreckungsrecht eines Hypothekengläubigers gegenüber könne die nur auf schuldrechtlichem Gebiet liegende Rechtswidrigkeit einer anderweitigen Verfügung dem besitzenden Käufer gegenüber kein Widerspruchsrecht für diesen begründen. 5 Obwohl darin eine grundlegende Korrektur der Aussage aus R G Z 116, 363 zum Ausdruck kommt, wurde die neuere Entscheidung des R G zum Teil lediglich als Feststellung für den „Sonderfall" angesehen, dass der Hypothekengläubiger die Zwangsvollstreckung betreibe, während ansonsten am Grundsatz aus R G Z 116, 363 festzuhalten sei. 6 Gegenstand mehrerer Instanzurteile war auch die Drittwiderspruchsklage der Ehefrau gegen die allein gegen ihren Ehemann gerichtete Zwangsräumung. Hatte die Ehefrau die gemeinsam bewohnte Wohnung mitgemietet und dadurch Mitbesitz erlangt, so wird ihr selbst die Klage aus § 771 Z P O zugestanden, da sich das allein gegen den Ehemann erwirkte Räumungsurteil notwendig auch gegen sie selbst richtet. 7 Anders ist die Situation dagegen bei Mobilien. Hier nahm das R G schon vor 8 und auch nach 9 Inkrafttreten des B G B generell an, dass der Besitz zu den durch § 690 C P O bzw. § 771 Z P O geschützten Rechtsgütern gehöre. Auch der B G H hatte sich schon früh dahingehend festgelegt, dass der Besitz, und RGZ 116, 363 (365 f.). RGZ 116, 363 (366). Im gleichen Sinne O L G Stuttgart, O L G E 4, 380 (381); O L G Rostock, O L G E 20, 342. 4 RGZ 127, 8 (9). 5 RGZ 127, 8 (12). 6 O L G Naumburg, J W 1936, 2361. 7 O L G Köln, NJW 1954,1895; O L G Hamm, NJW 1956, 1681 (1682). 2 3
320
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel:
Der Besitz als ein hinderndes
Recht
zwar auch der mittelbare, ein die Veräußerung hinderndes Recht sei, 10 ohne dies allerdings im Einzelnen zu begründen.
II. Die Auffassungen
in der Literatur
Im Schrifttum wird mit der späteren Rechtsprechung des RG 1 1 und entgegen RGZ 116,363 einhellig angenommen, dass bei Immobilien der Besitz kein die Veräußerung hinderndes Recht darstelle, da sich aus §891 BGB ergebe, dass der Besitz am Grundstück für die dingliche Rechtsgestaltung keine Rolle spiele. 12 Anders stellt sich das Meinungsbild dagegen beim Besitz an beweglichen Sachen dar, das im Folgenden skizziert werden soll. Die Diskussion zur Reichweite der Interventionsklage und insbesondere zum Besitz als Interventionsgrundlage wird dabei bis in die Gegenwart von dem Streit um die Rechtsnatur der Drittwiderspruchsklage überlagert.
1. Das materiellrechtliche Verständnis der Drittwiderspruchsklage Die sogenannte materiellrechtliche Theorie begreift das materielle Recht des Dritten als eigentlichen Gegenstand der Klage, das durch die Zwangsvollstreckung beeinträchtigt wird. Der Dritte könne daher nur dann intervenieren, wenn ihm ein materielles Recht zusteht, das ihm ein Abwehrrecht gegenüber dem die Vollstreckung betreibenden Gläubiger gewähre. Da der Dritte jedoch regelmäßig allenfalls zum Schuldner, nicht aber gegenüber dem Gläubiger in einer Sonderverbindung steht, kommen danach nur absolut geschützte Rechtspositionen als materielle Rechte in Betracht. Die Drittwiderspruchsklage stellt sich danach als modifizierte zivilrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsklage entsprechend § 1004 BGB dar. 13
RGZ 34, 422 (424) = JW 1895, 126 (127). RG, J W 1921, 1246 (1247). Auf den bloßen Besitz als solchen stellt auch OLG Königsberg, OLGE 40, 404 (405), ab. 10 BGHZ 2, 164 (168). 11 RGZ 127, 8(9). 12 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, §771, Rn. 15; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1419; Gerhardt, Zwangsvollstreckungsrecht, 2. aufl., §16 III 1 h; MünchKomm-ZVO/K. Schmidt, § 771, Rn. 38; Schuschke/Walker, § 771, Rn. 24; Stein/Jonas/ Münzberg, § 771, Rn. 29; Zöller/Herget, § 771, Rn. 14. 13 Kühne, Gruchot 23 (1879), 497 (511); v. Glasenapp, Gruchot 24 (1880), 245 (251 ff.); Francke, ZZP 38 (1909), 361 (366 ff.); F. Schulz, AcP 105 (1909), 1, 394 ff.; Nessel, Das Pfändungspfandrecht, S. 31; Frommhold, Die Widerspruchsklage, S. 200 ff., 222 ff.; Falkmann/ Mugdan, Die Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 1914, §37, 2 (S. 410 ff.); L. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1932, §88, 6 (S. 324); Bettermann, in FS f. F. Weber, S. 87 ff.; A. Blomeyer, AcP 165 (1965), 481 (486 ff.); ders., Zivilprozeßrecht, 1975, §35 II 1, 3 (S. 150). 8
9
A. Überblick
über den
Meinungsstand
321
Aus dieser dogmatischen Einordnung der Interventionsklage zog vor allem die ältere Literatur die Konsequenz, dass die Frage, ob der Besitz ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO sei, anhand der possessorischen Besitzschutzregelungen des BGB zu beurteilen sei. Die Vollstreckungsmaßnahme sollte danach grundsätzlich den Tatbestand der Besitzentziehung bzw. Besitzstörung gemäß §§861, 862 BGB erfüllen, doch war fraglich, ob in dem Handeln des staatlichen Vollstreckungsorgans eine verbotene Eigenmacht des Gläubigers, § 858 BGB, gesehen werden kann. Soweit der Dritte unmittelbarer Besitzer der Sache und nicht zu ihrer Herausgabe bereit war, sollte die gleichwohl vorgenommene Pfändung wegen Verstosses gegen § 809 ZPO rechtswidrig sein. Diese Rechtswidrigkeit konnte dem Gläubiger jedoch nur zugerechnet werden, wenn man das staatliche Vollstreckungsorgan als Vertreter des Gläubigers ansah. 14 Das zentrale Problem der materiellrechtlichen Theorie liegt jedoch in der Behandlung des mittelbaren Drittbesitzes. Dem Vermieter, Verpächter, Verleiher und Hinterleger steht jeweils als mittelbarem Besitzer aus dem zugrundeliegenden Vertragsverhältnis ein obligatorisches Rückforderungsrecht zu. Da dieses relative Recht grundsätzlich nur gegen den Vertragspartner gerichtet ist und daher nicht ohne weiteres gegenüber dem vollstreckenden Gläubiger geltend gemacht werden kann, konnte es nach dem materiellrechtlichen Verständnis der Interventionsklage eigentlich keinen Drittwiderspruch begründen. Wollte man daher nicht derartige mittelbare Besitzer von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 771 ZPO herausnehmen, 15 sondern auch ihnen die Interventionsbefugnis mit der ganz herrschenden Meinung und in sachlicher Übereinstimmung mit dem Aussonderungsrecht nach § 43 KO bzw. § 47 InsO gewähren, so sahen sich die Vertreter der materiellrechtlichen Theorie vor einen erheblichen zusätzlichen Begründungsaufwand gestellt. Zunächst hatte man sich bemüht, den Schutz des mittelbaren Besitzes unter Hinweis auf § 869 BGB, und damit ebenfalls possessorisch, zu rechtfertigen. 16 Danach sollte dem mittelbaren Besitzer die Besitzentziehungsklage nach §§ 869 S. 1, 861 Abs. 1 BGB zustehen, wenn der Gerichtsvollzieher die Sache bei dem unmittelbaren Besitzer zum Zwecke der Pfändung fortnimmt. Belässt das Vollstreckungsorgan die Sache dagegen im Gewahrsam des Schuldners und legt nur das Pfandsiegel an, so sollte die Besitzstörungsklage nach §§ 869 14 Frommhold, S . 2 5 1 ; Gütermann, Die rechtlichen G r u n d l a g e n der W i d e r s p r u c h s k l a g e , 1896, S. 130; Nessel, S. 39; Seuffert/Walsmann, Z P O , Bd. II, 12. A u f l . , Berlin 1933, § 771 A n m . 2 c m. w. N . 15 So aber Frommhold, S. 247 f.; Falkmann/Mugdan, § 37, 4 h u. 1 (S. 426, 429 ff.); dagegen im Einzelnen Picker, D r i t t w i d e r s p r u c h s k l a g e , S. 47 ff. 16 Francke, ZZP 38 (1909), 361 (370ff.); Coenders, in F G f . R. Schmidt, 1932, S. 330 (332 ff.); L. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, 2. A u f l . 1932, § 8 8 , 2 a (S. 321) u. § 88, 6 (S. 324); A Blomeyer, A c P 165 (1965), 486.
322
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel:
Der Besitz als ein hinderndes
Recht
S. 1, 862 Abs. 1 BGB gegeben sein. Die nach §§ 869, 858 BGB vorausgesetzte verbotene Eigenmacht wurde allerdings vielfach verneint, da der Gerichtsvollzieher nach § 808 ZPO allein auf den Gewahrsam des Schuldners abzustellen habe und bei dessen Vorliegen vom Eigentum des Schuldners ausgehen dürfe. 1 7 Andere wollten zwischen formeller Einhaltung der Pfändungsvorschriften und der materiellen Rechtmäßigkeit der Vollstreckung trennen und danach auch bei mittelbarem Besitz des Dritten verbotene Eigenmacht des Gläubigers annehmen. 1 8 Eine weitere Auffassung wollte die Ausdehnung der relativen Herausgabeansprüche auf das Verhältnis zum vollstreckenden Gläubiger unter Rückgriff auf die These von der Verdinglichung der obligatorischen Rechte 1 9 erreichen. Danach wurden die Rückgabeansprüche aus Miete, Pacht, Leihe und Verwahrung im Grunde als dingliche Rechte 2 0 oder jedenfalls als den dinglichen Rechten angenäherte Rechte 2 1 angesehen. Zur Begründung verwies man unter anderem auf die §§ 556 Abs. 3 a. F. (§ 546 Abs. 2 n. F.), 604 Abs. 4 (= Abs. 3 a. F.) BGB, wonach der Herausgabeanspruch auch gegenüber dem jetzigen Besitzer besteht, wenn dieser den Besitz vom Mieter bzw. Entleiher erhalten hat. 22 Später ist man dazu übergegangen, die Einbeziehung obligatorischer Ansprüche bei § 7 7 1 ZPO durch ein sehr weit gefasstes Verständnis des § 1004 BGB zu rechtfertigen. 2 3 Da die Drittwiderspruchsklage nichts anderes als eine negatorische Klage darstelle, müsse ihr Anwendungsbereich ebenso ausgedehnt werden, wie dies bei § 1004 BGB geschehen sei. Auch die negatorische Klage sei längst nicht mehr auf absolute Rechte beschränkt, sondern durch Rechtsprechung und Lehre der rechtswidrigen Beeinträchtigung jedes geschützten Rechtsguts eröffnet. Einen grundlegend anderen Ansatz zur Erklärung der Interventionsbefugnis des obligatorisch Berechtigten hat zuletzt Picker in die Diskussion eingeführt. 2 4 Er betrachtet den mittelbaren Besitzer als Prozessstandschafter des Eigentümers, der im „Interventionsprozess als der bloße Sachwalter und Nothelfer und also gleichsam als der prozessuale Geschäftsführer des dinglich Berechtigten" dessen Recht geltend mache. 25 Die Grundlage hierfür sieht 17 RGZ 14, 358 (362 f.); v. Glasenapp, Gruchot 24 (1880), 245 (252); Kühne, Gruchot 23 (1879), 497 (501); Falkmann/Mugdan, § 37, 4 h (S. 426) m.w.N. 18 Frommhold, S. 251; Gütermann, S. 132 f.; Westerburg, Gruchot 23 (1879), 870 (889). 19 Vgl. dazu bereits oben, Teil 2, 4. Kapitel, A. III. 3. (S. 281 ff.). 20 E. Kühne, AcP 140 (1935), 1 (20, 26 f.); F. Schulz, AcP 105 (1909), 1 (298 ff., 395 f.). 21 Frommhold, ZZP 23 (1897), 354 (360). 22 E. Kühne, AcP 140(1935), 1 (20 ff., 26 ff.); F. Schulz, AcP 105 (1909), 1 (299, 395 f.). 23 Bettermann, in: FS f. F. Weber, S. 87 (89). 24 Picker, Drittwiderspruchsklage, S. 406 ff. 25 Picker, S. 472; zustimmend Merrem, Ist der Besitz ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des §771 ZPO?, 1995, S. 113, 139f.; ähnlich Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (488 ff.).
A. Überblick
über den
Meinungsstand
323
Picker in der Präsumtionswirkung des Besitzes, die im geltenden Recht vor allem durch §1006 Abs. 3 BGB zum Ausdruck komme. Der Herausgabeanspruch des mittelbaren Besitzers ist danach lediglich Anknüpfungspunkt für das hinter dem Besitz vermutete Eigentum. Picker legt im Einzelnen dar, dass schon lange vor Erlass der C P O auch dem bloß obligatorisch Berechtigten die Interventionsbefugnis eingeräumt wurde. Dies sei jedoch nicht auf tiefere dogmatische Erwägungen, sondern auf die schlichte Anerkennung eines praktischen Bedürfnisses gestützt worden. Rechtstatsächlicher Hintergrund sei das seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert starke Anwachsen des Warenverkehrs gewesen, der eine erhebliche Verkomplizierung des Handels mit sich gebracht habe. Diese Veränderung des Handelsverkehrs habe dazu geführt, dass der Eigentümer zunehmend Mittelspersonen für seinen Warenabsatz einschaltete, die ihrerseits gegenüber dem von seinen Gläubigern in Anspruch genommenen Warenbesitzer kraft Vertrages zur Rückforderung der Sache berechtigt waren. 2 6 Die bis heute allgemein respektierte, in ihrer ratio jedoch nicht erkannte historische Beschränkung des Kreises der zur Intervention befugten obligatorisch Berechtigten sei nichts anderes als die rechtliche Konsequenz aus dem praktischen Anliegen, den Eigentümer auch mit Hilfe seiner Mittelsmänner zu schützen: Weil es nicht darum gegangen sei, dem obligatorisch Berechtigten als solchem ein Klagerecht zu gewähren, sei die Widerspruchsklage nicht auf die Inhaber von Forderungsrechten schlechthin ausgedehnt worden. Insbesondere sei der nach der Art seines Rechts ausschließlich eigeninteressierte Gläubiger eines Verschaffungsanspruchs von vornherein außer Betracht geblieben. Die Klagebefugnis sei allein auf solche Personen erstreckt worden, die nach der Art ihrer Berechtigung bezüglich der Sache typischerweise als Mittelspersonen fungierten, die also das Eigentum „hinter sich" hatten und deshalb die Sache dem dinglich Berechtigten näher brachten. 27 Die Drittwiderspruchsklage ist danach dogmatisch betrachtet eine materiellrechtliche Abwehrklage, mit der Eigentumsrechte in Prozessstandschaft geltend gemacht werden. Dass gleichwohl die Lehre von der Interventionsklage als prozessuale Gestaltungsklage seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ihren Siegeszug antreten konnte, beruht nach Picker auf der Interdependenz zweier Entwicklungen. Zum einen sei das Verständnis für die Hilfsfunktion des obligatorischen Anspruchs als bloße Erleichterung der Rechtsverfolgung des Eigentümers im Zuge des rechtswissenschaftlichen Positivismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts verloren gegangen und infolge dessen das Interventionsrecht des obligatorisch berechtigten Klägers als materielle Erweiterung des Rechtsschutzes begriffen. 2 8 Zum anderen habe das Bestreben der begin26 27 28
Picker, S. 444. Picker, S. 471. Picker, S. 475.
324
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel:
Der Besitz als ein binderndes
Recht
nenden Prozessrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, sich vom materiellen Recht zu emanzipieren, dazu geführt, auch die Drittwiderspruchsklage nicht materiell, sondern als prozessual eigenständig zu deuten. 29 Beide Entwicklungen hätten dazu geführt, die praktische Handhabung der Interventionsklage und die dogmatische Grundlage vermeintlich in Einklang zu bringen. „Die neue, von der Akzessorietät gegenüber dem Privatrecht abgehende Auffassung vom Prozessrecht löste scheinbar mühelos die bisherige Zwangslage der Jurisprudenz, die nicht umhin konnte, das in seinem wahren sachlichen Zweck nicht mehr erkannte und deshalb mit den Mitteln der etablierten Dogmatik nicht mehr zu lösende Klagrecht des nur obligatorisch Berechtigten trotz aller Denkschwierigkeiten als evident sachgerechte Rechtsgestaltung anzuerkennen. Umgekehrt wurde die neue Auffassung vom Prozessrecht selbst wiederum durch den praktischen Anwendungsfall scheinbar empirisch bestätigt, und so schienen sich Theorie und Praxis durch die Ubereinstimmung ihres Ergebnisses gegenseitig zu legitimieren." 30 Als jedoch die Präsumtionswirkung des Besitzes durch § 1006 Abs. 3 BGB Wiederanerkennung gefunden habe und der obligatorische Anspruch im Rahmen der Eigentumsklage von Gesetzes wegen in seine historische Funktion wiedereingesetzt worden sei, sei die prozessuale Theorie bereits soweit etabliert gewesen, dass der Akt des Gesetzgebers nicht einmal mehr auch nur zu dem Versuch einer Rückbesinnung angeregt habe. 31 Den materiellrechtlichen Ansatz der Drittwiderspruchsklage im Sinne Pickers hat jüngst Merrem aufgegriffen und daraus Folgerungen für die Einordnung des Besitzes als ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO gezogen. 32 Da der Kläger der Widerspruchsklage zuvor mit dem beklagten Gläubiger in keinerlei Rechtsbeziehung stand, könne sein Abwehrrecht nur durchgreifen, wenn es auch gegenüber Dritten wirke, also dinglicher Natur sei. Werde aber durch die Pfändung nur der Besitz des Klägers gestört, so müsse gerade diese Besitzposition dinglich wirkenden Schutz genießen. Diesen Schutz sieht Merrem durch § 1007 BGB gewährleistet, da er von der Prämisse ausgeht, dass dem Ersitzungsbesitzer und dem Fremdbesitzer unter den Voraussetzungen des § 1007 BGB ein „eingeschränkt-absolut dingliches Recht" zustehe. 33 Soweit § 1007 BGB eingreife, sei daher auch der Besitz, unabhängig von einem schuldrechtlichen Recht zum Besitz, geschützt gegen Beeinträchtigungen von Dritten außer dem Eigentümer und einem besserberechtigten Besitzer. Hatte folglich der Kläger vor der Pfändung an den Picker, S. 486 ff. Picker, S. 506. 31 Picker, S. 482. 32 Merrem, S. 139 f., 141 ff. 33 Merrem, S. 157 ff.; vgl. dazu im Einzelnen bereits oben, Teil 2, 2. Kapitel, C. III. 1. c (S. 185). 29
30
A. Überblick
über den
Meinungsstand
325
gepfändeten Sachen das derart verstandene dingliche Recht aus § 1007 B G B , so könne er die Pfändung durch gegen den Gläubiger gerichtete Klage nach § 771 Z P O für unzulässig erklären lassen. Die Klage sei daher nur dann abzuweisen, wenn die Pfändung für den Gläubiger eines gegenüber dem Kläger besserberechtigten Besitzers erfolge. 34
2. Die Drittwiderspruchsklage Gestaltungsklage
als prozessuale
Den Gegenpol zum materiellrechtlichen Verständnis des Interventionsrechts bildet die bereits erwähnte sogenannte prozessrechtliche Theorie, die in der Drittwiderspruchsklage eine eigenständige Klage mit prozessualer Gestaltungswirkung sieht. 35 Dieser heute ganz überwiegend vertretenen Auffassung liegt die Annahme zugrunde, dass die Zwangsvollstreckung in einen nicht dem Schuldner gehörenden Gegenstand durchaus zulässig sei, da die Zugehörigkeit zum Schuldnervermögen gerade nicht Voraussetzung der Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung sei und die Vermögenszugehörigkeit vom zuständigen Vollstreckungsorgan allenfalls prima facie geprüft werde. Die Zwangsvollstreckung werde daher nicht wegen des die Veräußerung hindernden Rechts, sondern erst durch das Urteil, das die Zwangsvollstreckung „für unzulässig erklärt", § 775 Nr. 1 Z P O , ex nunc unzulässig gemacht. 36 Nach der prozessrechtlichen Theorie ist folglich § 771 Z P O selbst die Anspruchsgrundlage für das begehrte Gestaltungsurteil. Im Rahmen der Begründetheit der Klage kommt es dann nur darauf an, ob „ein die Veräußerung hinderndes Recht" für den Kläger besteht, und erst in diesem Zusammenhang kommt das materielle Recht zum Zuge. Das die Veräußerung hindernde Recht ist somit lediglich Voraussetzung, nicht Inhalt des Anspruchs. Trotz dieses gemeinsamen Ausgangspunktes gehen die Meinungen unter den Vertretern der prozessrechtlichen Theorie über die Relevanz des Besitzes als ein die Veräußerung hinderndes Recht auseinander.
Merrem, S. 163 f. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Einl. §§771-774, Rn. 1; Stein!Jonas/Münzberg, §771, R n . 4 f . ; Thomas/Putzo, §771, Rn. 1; Zöller/Herget, §771, Rn. 4; Brox/Walker, Rn. 1398; Gerhardt, § 1 6 I; Henckel, AcP 174 (1974), 97 (109); Jauernig, Insolvenzrecht, §13 III. 36 Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2 (S. 658); Jauernig, Insolvenzrecht, § 13 III; Henckel, AcP 174 (1974), 97 (109); a. A. MüncbKomm-ZVO/K. Schmidt, § 771, Rn. 3 und 77, der von einer „materiellen Gestaltungsklage" ausgeht, die darauf gerichtet sei, mit Rechtskraft des Urteils das Befriedigungsrecht des Gläubigers (Pfändungspfandrecht) zu beseitigen; dagegen Rosenberg/Gaul/Schilken, S. 659. 34 35
326
Teil 3: Der Besitzschutz
a) Bisher überwiegende
• 1. Kapitel:
Der Besitz als ein hinderndes
Recht
Auffassung
Die nach wie vor herrschende Meinung betrachtet den Besitz an Mobilien als ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO. Dabei wird entweder generell vom Besitz als solchem gesprochen 3 7 oder jedenfalls auf den berechtigten Besitz abgestellt. 38 Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass hierfür regelmäßig keine Begründung angegeben wird. Soweit eine Rechtfertigung erfolgt, stützt sie sich darauf, dass der berechtigte Besitz w e gen § 986 Abs. 2 BGB nicht durch Verfügung beeinträchtigt werden könne. 3 9 Auch w i r d darauf hingewiesen, dass der besitzberechtigte Dritte bei einer Pfändung des Herausgabeanspruchs nach §§ 846 ff. ZPO dem Gläubiger die mangelnde Fälligkeit entgegenhalten könne. 4 0 Nicht nur der unmittelbare, sondern auch der mittelbare Besitz soll ein Interventionsrecht gewähren, w o für entweder auf praktische Gründe verwiesen 4 1 oder das Besitzmittlungsverhältnis als Grundlage angesehen wird. 4 2 b) Neuere
Auffassung
In jüngerer Zeit mehren sich allerdings die Stimmen, die den unmittelbaren oder mittelbaren Besitz als Grundlage für ein Interventionsrecht in Frage stellen. Dafür werden zwei Gründe angeführt. Zum einen sage der Besitz über die Vermögenszugehörigkeit einer Sache nichts aus. Zum anderen bestehe für die Drittwiderspruchsklage kein Bedürfnis, da der unmittelbare Besitzer wegen § 809 ZPO ohnehin die Herausgabe an den Gerichtsvollzieher verweigern könne und sich gegen eine gegen seinen Willen durchgeführte Pfändung mit der Erinnerung nach § 766 ZPO wehren könne, während dem mittelbaren Besitzer aufgrund des Besitzmittlungsverhältnisses ein Herausgabeanspruch zustehe, der seinerseits durch die Drittwiderspruchsklage geschützt sei. 43
37 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, §771, Rn. 15; Schönke/Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band I, 12. Aufl., Rn. 46.11; Zöller/ Herget, § 771, Rn. 14. 38 Baumann/Brehm, Zwangsvollstreckungsrecht, §13 III 5 b ß, Fn. 70; Brox, FamRZ 1981, 1125; Canaris, FS Flume I, S. 371 (396 f.); Gerhardt, § 16 III 1 h; A K - Z P O / S c h m i d t - v o n Rhein, § 771, Rn. 15; Schuschke/Walker, § 771, Rn. 24; Stein/Jonas/Münzberg, § 771, Rn. 30. 39 Baumann/Brehm, Zwangsvollstreckungsrecht, §13 III 5 b ß, Fn. 70; Canaris, FS f. Flume I, S. 371 (396); Stein/Jonas/Münzberg, § 771, Rn. 30. 40 W. Krieger, Der Besitz, S. 101 f. 41 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 771, Rn. 15; Zöller/Herget, § 771, Rn. 14. 42 W. Krieger, S. 102. 43 Arens/Lüke, Jura 1982, 455 (464); Brox/Walker, Rn. 1420; Diederichsen, S. 145; Jauernig, Insolvenzrecht, § 13 IV 1 c; Lüke, Zivilprozeßrecht, 7. Aufl., Rn. 599; Rosenberg/Gaul/ Schilken, §41 VI 6 b (S. 679); Thomas/Putzo, §771, Rn.21; Prutting/Weth, JuS 1988, 505 (511); MünchKomm-ZVO/K. Schmidt, § 771, Rn. 38; Westermann/Gursky, § 8, 4 a.E.
A. Überblick
über den
Meinungsstand
327
3. Würdigung Eine Auseinandersetzung mit den sich gegenüberstehenden Auffassungen soll im Folgenden auf zwei verschiedenen Ebenen erfolgen. Zum einen sind die jeweiligen Begründungsansätze unabhängig von der Frage der Rechtsnatur der Drittwiderspruchsklage zu diskutieren. Zum anderen ist, sozusagen eine Stufe darüber, zur rechtlichen Einordnung der Interventionsklage Stellung zu nehmen. a) Der Besitz als
Interventionsrecht
Wenig überzeugend ist es zunächst, das Interventionsrecht des mittelbaren Besitzers auf den possessorischen Besitzschutz zu stützen. Zu Recht ist bereits früh eingewandt worden, dass von der dazu erforderlichen verbotenen Eigenmacht nach § 858 B G B tatsächlich weder auf Seiten des Gerichtsvollziehers noch durch den die Vollstreckung betreibenden Gläubiger die Rede sein kann. Die Zwangsvollstreckungsvorschriften der Z P O gestatten gerade die Einwirkung auf die Sachherrschaft des gegenwärtigen Besitzers, soweit die entsprechenden Vollstreckungsvoraussetzungen eingehalten werden, so dass das Vollstreckungsorgan selbst den Besitz nicht widerrechtlich stört oder entzieht. Auch dem Gläubiger kann nicht der Vorwurf der widerrechtlichen Besitzstörung oder -entziehung gemacht werden, da das Gesetz ihn gerade auf den Klage- und Vollstreckungsweg unter Zuhilfenahme staatlicher Organe verweist. Eine Unterscheidung zwischen formeller Einhaltung der Pfändungsvorschriften und materieller Rechtmäßigkeit der Vollstreckung erscheint demgegenüber als künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Vorgangs, die dem Gesetz auch sonst fremd ist und für die keine weitere Rechtfertigung oder Notwendigkeit besteht. Dass die These von der Verdinglichung der obligatorischen Rechte die Interventionsbefugnis des Besitzers nicht zu begründen vermag, liegt nach dem bisher Gesagten auf der Hand. Die vermeintliche „Verdinglichung" stellt sich im Grunde als ein Schlagwort für einen Dritt- und Sukzessionsschutz dar, der seinerseits bei den einzelnen in Betracht kommenden Regelungen erst noch zu beweisen ist. 44 Die Einordnung der schuldrechtlichen Herausgabeansprüche des Vermieters, Verpächters, Verleihers und Hinterlegers als dingliche Rechte ist jedenfalls auf der Grundlage des gegenwärtigen Rechts nicht haltbar. Auch ein weit gefasster Anwendungsbereich der negatorischen Klage nach § 1004 B G B führt im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter. Zwar ist es richtig, dass sich der Geltungsbereich des § 1004 B G B heute nicht mehr nur auf das Eigentum und andere absolute Rechte, wie das Markenrecht, §§ 14,15 44
Vgl. dazu bereits ausführlich oben, Teil 2, 4. Kapitel, A. III. 3. (S. 281 ff.).
328
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
MarkenG, oder Urheberrecht, §§11, 97 UrhG, erstreckt. Vielmehr wird der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des §1004 B G B als sogenannter quasinegatorischer Anspruch nach ganz überwiegender Auffassung auch bloßen Rechtsgütern und rechtlich geschützten Interessen eingeräumt. Darunter werden die deliktisch geschützten Rechtsgüter ebenso eingeordnet, wie Ehre und Kredit, 45 Erwerb und Fortkommen 4 6 oder die Freiheit der Willensbestimmung. 47 Im vorliegenden Zusammenhang geht es indessen um den obligatorischen Herausgabeanspruch des mittelbaren Besitzers, der durch die Zwangsvollstreckung, und damit durch eine Einwirkung auf die Sache selbst, beeinträchtigt würde. Es handelt sich also um nichts anderes als die Forderung des mittelbaren Besitzers gegen den Schuldner, in die durch Maßnahmen in Bezug auf den Gegenstand selbst eingegriffen wird. Ein deliktischer Schutz von Forderungen wird jedoch zu Recht von der nach wie vor ganz herrschenden Meinung abgelehnt, 48 so dass konsequenterweise auch der quasinegatorische Anspruch hier nicht eingreifen kann. Eine Ausnahme mag insoweit für Fälle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 B G B gelten, doch kann es sich dabei nur um besonders gelagerte Fälle handeln. Keinesfalls wird man bereits jede Zwangsvollstreckungsmaßnahme in schuldnerfremdes Vermögen ausreichen lassen können, selbst wenn der Gläubiger bewusst in Kauf nehmen sollte, dass der Vollstreckungsgegenstand nicht dem Vermögen des Schuldners angehört. Dies beruht auf der Konzeption der Zwangsvollstreckung als formalisiertem Verfahren, das im Interesse des Gläubigers allein die Einhaltung formaler Vollstreckungsvoraussetzungen verlangt und im Übrigen die Last der Rechtsverteidigung dem Drittberechtigten zuweist. 49 Grundlegende Bedenken bestehen auch gegenüber dem Versuch Pickers, den mittelbaren Besitzer lediglich als Prozessstandschafter des Eigentümers zu deuten. Dagegen ist zunächst eingewandt worden, dass eine derart „gekünstelte Konstruktion" den Gesetzgeber der Z P O noch nicht bestimmt haben könne. 50 Daran ist richtig, dass man bei Erlass der C P O noch vom materiellen Parteibegriff ausging und sich der formelle Parteibegriff mitsamt dem als Korrektiv dienenden Kriterium der Prozessführungsbefugnis erst in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts durchsetzte. 51 Der Begriff der Prozessstandschaft geht auf die Arbeiten J. Kohlers zurück, die diese Entwicklung beeinflusst haben. 52 Allerdings ließe sich diesem Argument entgegenhalten, dass RGZ 140, 392 (402). O L G Köln, NJW 1972, 293. 47 BGH, NJW 1952, 417 (418). 48 Dazu bereits oben, Teil 2, 4. Kapitel, A. III. 2. (S. 276 ff.). 4 9 Vgl. näher unten, unter B. I. (S. 334). 50 Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2 (S. 660). 51 Vgl. Heintzmann, Die Prozeßführungsbefugnis, 1970, S. 5 f.; Pawlowski, JuS 1990, 378. 52 ]. Kohler, JherJb. 24 (1886), 187 (319); ders., Grünhuts Zeitschrift Bd. 14 (1887), 1 (39 f.); ders., ZZP 12 (1888), 97 (100 f.); ders., Der Prozeß als Rechtsverhältnis, 1888, S. 95 ff. 45
46
A. Überblick
über den
Meinungsstand
329
ein dogmatisches Erklärungsmodell noch nicht deswegen ohne Überzeugungskraft ist, weil es dem seinerzeitigen Gesetzgeber nicht bewusst oder bekannt sein konnte. Recht, auch positiviertes Recht, ist nichts Statisches und kann daher auch jenseits weiterer legislativer Akte Entwicklungen und Veränderungen unterliegen. Maßgeblich ist allein, ob sich spätere Erklärungsansätze bruchlos in das geltende Recht einfügen. Ist dies der Fall, so lässt sich in legitimer Weise sagen, dass die als neu erkannte dogmatische Struktur bereits im positiven Recht angelegt war, auch wenn der ursprüngliche Gesetzgeber dies nicht erkannt haben mag. Gravierend sind jedoch andere Vorbehalte gegen den Ansatz Pickers. Schon die Prämisse der Präsumtionswirkung des mittelbaren Besitzes nach § 1006 Abs. 3 B G B trifft für die hier maßgeblichen Fälle nicht zu. Denn die Vermutungswirkung gründet sich nach allgemeiner Ansicht auf das Zusammentreffen von Eigentums- und Besitzerwerb, wie sich auch aus § 1006 Abs. 1 S. 2 B G B ergibt, so dass sie nur für den Eigenbesitzer gilt. 53 Daher ist nicht nur der Fremdbesitzer von § 1006 B G B ausgeschlossen, sondern auch der Eigenbesitzer, der selbst darlegt, dass sein Besitzerwerb nicht zum Eigentumserwerb geführt habe, weil er schon vorher Eigentum erworben habe 54 oder auch derjenige, der behauptet, bei Besitzerwerb zunächst Fremdbesitz und erst später Eigentum erworben zu haben. 55 Vermieter, Verpächter, Verleiher und Hinterleger, die sich nicht zugleich auf ihr vermeintliches Eigentum stützen, sind daher von vornherein von der Vermutungswirkung des § 1006 B G B ausgeschlossen. Soweit sie dagegen vortragen, dass sie mit Besitzerwerb auch Eigentum erlangt hätten, können sie sich unmittelbar auf ihr Eigentum stützen, so dass es dann auf den obligatorischen Herausgabeanspruch oder ihren mittelbaren Besitz nicht mehr ankommt. Es kommt hinzu, dass nicht erkennbar ist, ob Picker die vermeintliche Prozessstandschaft zwischen Eigentümer und Besitzer als eine gesetzliche oder gewillkürte betrachtet. Sollte es sich um eine gesetzliche Prozessstandschaft handeln, fragt es sich, worin die Grundlage dafür bestehen soll, ganz abgesehen davon, dass es dem Beklagten kaum zumutbar ist, ohne materielle Rechtskraftwirkung gegenüber dem Eigentümer den Prozess führen zu müssen. 56 Sollte Picker dagegen von einer gewillkürten Prozessstandschaft ausgehen, wäre seine Annahme unzutreffend, dass bei der Interventionsklage auf die Behauptung des Eigentums verzichtet würde. 57 Denn der gewillkürte Prozessstandschafter hätte in diesem Fall nicht nur das Eigentum des Dritten darzulegen und zu beweisen, sondern müsste außerdem ein besonderes Eigenin-
53 54 55 56 57
BGH, NJW 1967, 2008; NJW 1992, 1162 (1163); NJW 1993, 935 (936). BGH, NJW 1984, 1456(1457). BGH, WM 1964,788; 1193; WM 1968,406. So zu Recht Stein/Jonas/Münzberg, § 771, Rn. 4, Fn. 24. Picker, S. 464 ff.
330
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
teresse für seine Prozessführung dartun. 58 Ist danach schon die Basis für das Konstrukt einer Prozessstandschaft zwischen Eigentümer und mittelbarem Besitzer kaum tragfähig, so kann auch die darauf aufbauende Auffassung von Merrem nicht überzeugen. Dessen Annahme eines „eingeschränkt-absolut dinglichen Rechts" aus § 1 0 0 7 B G B ist darüber hinaus aus den bereits zu § 1007 B G B dargelegten Gründen 5 9 nicht geeignet, die Drittwiderspruchsklage zu rechtfertigen. Damit kommen wir zu den Vertretern der Theorie von der prozessualen Gestaltungsklage. Soweit diese ganz generell auf den Besitz als ein die Veräußerung hinderndes Recht abstellen, kann dies schon deswegen nicht überzeugen, weil der Besitz als solcher nach richtiger Auffassung kein Recht darstellt. 60 Fordert man dagegen berechtigten Besitz, so lenkt dies zwar zutreffend den Blick auf die hinter dem Besitz stehende Berechtigung des Klägers, doch kann diese Interventionsbefugnis - wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird 61 - immer noch zu weit gehen. Es bleibt die Frage, ob die Annahme eines Interventionsrechts beim Besitz an beweglichen Sachen nicht bereits deshalb zu verwerfen ist, weil der besitzende Dritte über §§ 809, 766 Z P O doch ohnehin geschützt ist. Darin kann allerdings allenfalls ein ergebnisorientiertes Praxisargument gesehen werden: Da der Besitzer einfach die Herausgabe an den Gerichtsvollzieher verweigern kann und bei gleichwohl erfolgter Pfändung Erinnerung einlegen kann, wird der Dritte in aller Regel auch ohne Drittwiderspruchsklage erreichen können, dass die Zwangsvollstreckung in den betreffenden Gegenstand eingestellt wird. Ein für die Mehrzahl der Fälle praktisch gangbarer Weg enthebt gleichwohl nicht der grundlegenden Beantwortung der Frage nach dem Konkurrenzverhältnis der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe. Gründe, hier ausnahmsweise nicht von der Selbständigkeit der einzelnen Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung auszugehen, sind indessen nicht ersichtlich. 62 Es fällt zudem auf, dass das Argument von der Uberflüssigkeit des Interventionsrechts in vergleichbaren Konstellationen nicht bemüht wird, ohne dass erkennbar wäre, woraus sich eine solch unterschiedliche Behandlung rechtfertigt. So wird etwa dem Besitzpfandgläubiger nach ganz herrschender Auffassung ohne weiteres die Drittwiderspruchsklage zugestanden, 63 obwohl auch Ebenso Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2 (S. 661). Vgl. dazu oben, Teil 2, 2. Kapitel, C. III. 1. c, 2. (S. 185 ff.). 60 Vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, B. (S. 50 ff.). 61 Vgl. unten, C. (S. 337 ff.). 62 Auch in der älteren Literatur ist man wie selbstverständlich von der Unabhängigkeit der Erinnerung nach § 766 ZPO vom Widerspruchsrecht des Besitzers nach § 771 ZPO ausgegangen, vgl. Seuffert/Walsmann, ZPO, Band II, 12. Aufl. 1933, §771, Anm. 2 c; Falkmann/ Mugdan, § 37, 4 h (S. 427). 63 OLG Hamm, NJW-RR 1990 233; Brox/Walker, Rn. 1418; MünchKomm-ZVOIK. Schmidt, § 771, Rn. 34; Musielak/Lackmann, § 771, Rn. 23; Schönke/Baur/Stürner, Rn. 46.10; 58
59
A. Überblick
über den
Meinungsstand
331
der Pfandgläubiger nach § 1204 B G B , der sich im Besitz des Pfandgegenstandes befindet, dem Gerichtsvollzieher die Herausgabe verweigern und bei dennoch erfolgter Pfändung Erinnerung einlegen könnte. Gleichwohl wird dieser Weg beim besitzenden Pfandrechtsinhaber fast durchgängig 64 nicht einmal erwähnt. Schließlich sind Fälle denkbar, in denen die Erinnerung als Rechtsbehelf ausscheidet, so dass die Frage nach der Interventionsbefugnis für den Besitzer virulent wird. Dies ist etwa der Fall, wenn der besitzende Dritte die Sache zwar freiwillig an den Gerichtsvollzieher herausgibt, dabei jedoch einem Irrtum unterliegt. 65 Auch wenn es sich dabei eher um seltene Ausnahmefälle handelt, kommen sie doch vor. 66 Dadurch wird zusätzlich unterstrichen, dass die Frage nach der Anwendbarkeit der Drittwiderspruchsklage auf den unmittelbaren Sachbesitzer nicht offenbleiben darf. b) Zur Rechtsnatur der
Drittwiderspruchsklage
Lenkt man den Blick von den einzelnen Argumenten zur Erfassung des Besitzes als Interventionsrecht auf die dahinter stehende Frage nach der rechtlichen Einordnung der Drittwiderspruchsklage selbst, so könnte die Vermutung naheliegen, dass hier die Weichen für Inhalt und Reichweite des Rechtsbehelfs gestellt werden. In diesem Sinne hat etwa Merrem jüngst den Streit um die Drittwiderspruchsklage als materiellrechtliche Abwehrklage oder prozessuale Gestaltungsklage erneut in den Mittelpunkt gerückt, um daraus einen Maßstab für die Frage zu erhalten, ob der Besitz Grundlage des Interventionsrechts sein kann. 6 7 Demgegenüber setzt sich in der Literatur zunehmend die ernüchternde Erkenntnis durch, dass die Auseinandersetzung um das allein „richtige" Verständnis der Drittwiderspruchsklage müßig ist, zumal sich Einzelergebnisse nicht allein aus der ein oder anderen Deutung ableiten lassen. 68 Da die nach der jeweils vertretenen Theorie gefundenen Ergebnisse im Wesentlichen übereinstimmen, wird dem Streit vielfach von vornherein die praktische Relevanz abgesprochen. 69
Stein!'Jonas/Münzberg, § 771, Rn. 28; Zöller/Herget, § 771, Rn. 14; a.A. Thomas/Putzo, § 771, Rn. 17; Wieczorek/Schütze/Salzmann, § 771, Rn. 47. 64 Schuschke/Walker, §771, Rn. 22 heben die Erinnerung neben dem Widerspruchsrecht ausdrücklich hervor. 65 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 809, Rn. 5; Musielak/Bork, § 809, Rn. 8; Zöller/Stöber, § 809, Rn. 8; Gerlach, ZZP 89 (1976), S. 294 (329); W. Krieger, S. 18. 6 6 Vgl. BGH, JZ 1978, 199 (200). 67 Merrem, S. 23, 53 ff. 68 Brox/Walker, Rn. 1398; Scbönke/Baur/Stürner, Rn. 46.2; Münzberg/Brehm, in FS f. F. Baur, S. 517 (520, 533). 69 Jauernig, Insolvenzrecht, §13 III; Rosenberg/Gaul/Schilken, §41 II 2 (S. 661); Stein/ Jonas!Münzberg, § 771, Rn. 4 Fn. 26; a. A. Picker, S. 51.
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Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
Bei näherer Betrachtung wird man dieser Einschätzung in Bezug auf die Rechtsnatur der Interventionsklage nur schwer widersprechen können. In ihrem Ausgangspunkt stellt sich die Drittwiderspruchsklage gewiss als prozessuales Instrument mit Gestaltungswirkung dar, weil sie eine bisher zulässige Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, § 775 Nr. 1 ZPO. Da die Vollstreckungsorgane die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zum Schuldnervermögen nicht zu ermitteln haben, sondern allein der Gewahrsam des Schuldners zu prüfen ist, § 808 ZPO, kann die Vollstreckung allein wegen des Bestehens eines die Veräußerung hindernden Rechts nicht unzulässig sein. Diese Unzulässigkeit wird erst durch das Urteil auf die Interventionsklage ex nunc hergestellt. Erst das Gestaltungsurteil aus § 771 verschafft dem Dritten die Befugnis, sein Recht über §§ 775, 776 ZPO im Vollstreckungsverfahren durchzusetzen und bewirkt eine gegenständliche Beschränkung der Vollstreckbarkeit. 70 Es erlischt die Vollstreckungsbefugnis allein in Ansehung dieses Gegenstandes, ebenso wie bei der Rechtspfändung die „Sperre" des im Pfändungsbeschluss enthaltenen Verfügungsverbots aufgehoben und das Zugriffsrecht auf den Gegenstand beseitigt wird. 7 1 Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass der Drittwiderspruchsklage auch eine negatorische Funktion innewohnt, da sie zur Abwehr eines Vollstreckungsübergriffs in die Rechte des Dritten dient. Es verwundert daher auch nicht, dass die Klage aus § 771 ZPO von manchen nicht allein materiellrechtlich oder prozessual, sondern als Mischform gedeutet wird. 7 2 Nicht überzeugend ist demgegenüber der Versuch Merrems, maßgebliche Unterschiede der Theorien dadurch zu „entdecken", dass der prozessualen Theorie unterstellt wird, es würde bei ihr allein darum gehen, ein Nichtrecht des Schuldners geltend zu machen, ohne dass es auf ein dem Gläubiger gegenüber durchsetzbares Recht des Dritten ankäme. 73 Auf das bloße Negativum der Nichtzugehörigkeit des Gegenstandes zum Vermögen des Vollstreckungsschuldners lässt sich der Klagegrund nach der herrschenden Auffassung nicht reduzieren, da es auch nach der prozessualen Theorie für die Begründetheit der Klage auf „ein die Veräußerung hinderndes Recht" im Sinne des § 771 ZPO zugunsten des Klägers ankommt. Die Vertreter der prozessualen Theorie haben daher auch nie geleugnet, dass sich die Haftung des Gegenstandes im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach materiellem Recht beurteilt. Die durchaus berechtigte Kritik an der prozessualen Theorie liegt jedoch in dem Umstand, dass sie gerade keine Aussage darüber erlaubt, welche Rech-
70 Rosenberg/Gaul/Schilken, §41 II 2 (S. 658 f.); Stein/Jonas/Münzberg, §771, Rn. 5; Münzberg/Brehm, in FS f. F. Baur, S. 517 (526 ff.). 71 Vgl. BGHZ 72, 334 (338) =NJW 1979, 373; Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2 (S. 659). 72 Schönke/Baur/Stürner, Rn. 46.2; Prutting/Weth, JuS 1988, 505 (506). 73 Merrem, S. 98 f.
B. Zweckgerichteter
Lösungsansatz
333
te die Veräußerung hindern. 7 4 Dieser Schwachpunkt ist andererseits zugleich die Stärke dieses Ansatzes, weil er es erlaubt, auch den allseits für schutzwürdig gehaltenen Inhaber eines obligatorischen Herausgabeanspruchs, der nicht bloßer Verschaffungsanspruch ist, in den Anwendungsbereich des § 771 Z P O einzubeziehen. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass nach der prozessualen Ausgestaltung der Interventionsklage im Ausgangspunkt die besseren Gründe für die Annahme einer prozessualen Gestaltungsklage sprechen. Daraus lassen sich allerdings keine unmittelbaren Folgerungen für die Bedeutung des Besitzes oder von Herausgabeansprüchen als ein die Veräußerung hinderndes Recht ziehen. D e n Nachteil der materiellrechtlichen Theorie, eine Wirkung obligatorischer Ansprüche gegen den Schuldner auch gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger nicht angemessen erklären zu können, vermeidet die prozessuale Theorie um den Preis, inhaltlich gar keine Abgrenzung der interventionsberechtigenden Rechte vorzunehmen. Im Folgenden sollen einige Überlegungen angestellt werden, wie dieses Dilemma durch nähere Konkretisierung der Interventionsbefugnis aufgelöst werden könnte. Im Anschluss daran sollen die gefundenen Ergebnisse auf die wichtigsten Fallgestaltungen, die den Besitz oder Herausgabeansprüche betreffen, angewandt und mit den bisherigen Auffassungen verglichen werden.
B. Zweckgerichteter
Lösungsansatz
Die herrschende Auffassung bestimmt das „die Veräußerung hindernde Recht" nach § 771 Z P O aus der Sicht des Schuldners. Es wird überwiegend eine Vergleichsbetrachtung zur Situation bei freihändiger Veräußerung des Vollstreckungsgegenstandes durch den Schuldner angestellt und gefragt, ob sich der Schuldner dadurch dem Dritten gegenüber rechtswidrig verhalten würde. In den Fällen, in denen der Schuldner selbst durch die Veräußerung des Vollstreckungsgegenstandes widerrechtlich in den Rechtskreis des Dritten eingreifen würde und daher der Dritte den Schuldner hindern könnte zu veräußern, soll er auch dessen Gläubiger daran hindern können, sie im Wege der Zwangsvollstreckung zu verwerten. 7 5 Demgegenüber soll im Folgenden gezeigt werden, dass es dem Zweck des Interventionsrechts als Korrektiv des formalen Vollstreckungszugriffs besser entspricht, wenn man bei der Bestimmung der Interventionsbefugnis stärker auf die Sicht des Dritten abstellt. 74
So etwa Münzberg/Brehm, in FS f. F. Baur, S. 517 (522). R G Z 116, 363 (366); B G H Z 55, 20 (26) = N J W 1971, 799 (800); 72, 141 (145 f.) = N J W 1978, 1859 (1860); Rosenberg/Gaul/Schilken, §41 IV (S. 665); Schönke/Baur/Stürner, Rn. 46.4; Brox/Walker, Rn. 1410; Musielak/Lackmann, §771, Rn. 12; Wieczorek/Schütze/ Salzmann, § 771, Rn. 42. 75
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Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
I. Die Drittwiderspruchsklage als Korrektiv des formalen Vollstreckungszugriffs Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass das Zwangsvollstreckungsverfahren im Interesse der effektiven Rechtsdurchsetzung zugunsten des Gläubigers notwendigerweise ein formalisiertes Verfahren ist. Dem Gläubigerzugriff kann an sich nur das Vermögen des Schuldners ausgesetzt sein. Da die Auswahl der Vollstreckungsobjekte zur Durchsetzung einer Geldforderung, um einmal von diesem typischen Fall auszugehen, jedoch nicht in die Hände des Gläubigers gelegt ist, sondern den staatlichen Vollstreckungsorganen obliegt und der Gläubiger auf diese Auswahl in der Regel auch keinen Einfluss hat, wäre das Vollstreckungsorgan an sich gezwungen, genau festzustellen, ob der in Betracht kommende Vollstreckungsgegenstand gerade zum Schuldnervermögen gehört. Eine solche Ermittlung wäre allerdings häufig so aufwändig und durch missbräuchliches Verhalten so leicht zu verzögern, dass eine wirksame Rechtsdurchsetzung gefährdet, wenn nicht gar ausgeschlossen wäre. Der Gesetzgeber hat daher in legitimer Weise die Anforderungen an die Zulässigkeit des Vollstreckungszugriffs erleichtert, indem er etwa bei beweglichen Sachen nicht auf das Eigentum, sondern lediglich auf den Gewahrsam des Schuldners an der Sache abgestellt hat, § 808 Z P O . Befindet sich die Sache im Gewahrsam eines Dritten, so wird der fehlende Gewahrsam des Schuldners nur dadurch überwunden, dass der Dritte den Gegenstand freiwillig herausgibt, § 809 Z P O . Konsequenz dieser Regelung ist, dass ein Zugriff auf die Sache, die sich bei einem nicht herausgabebereiten Dritten befindet, selbst dann scheitert, wenn der Gegenstand tatsächlich dem Schuldner gehört. Die in dem bloßen Abstellen auf den Gewahrsam bzw. die Herausgabebereitschaft liegende Formalisierung des Vollstreckungszugriffs dient der besseren Rechtsverwirklichung des Gläubigers, begründet aber zugleich die Gefahr des Eingriffs in fremde Rechte. Die darin liegende Risikoverlagerung vom Gläubiger auf eventuell betroffene Dritte ist nur akzeptabel, wenn den Dritten ein effektives Instrument zur Korrektur der formalen Vermögenszuordnung im Interesse der materiellen Berechtigung gegeben wird. Diese Korrektivfunktion übernimmt die Drittwiderspruchsklage nach § 771 Z P O . Daraus sind zwei wesentliche Folgerungen zu ziehen, die sich als negative und positive Komponente des „die Veräußerung hindernden Rechts" im Sinne des § 771 Z P O darstellen. Zum einen muss der intervenierende Dritte geltend machen, dass der Gegenstand der Vollstreckung nicht zum Vermögen des Schuldners gehört (dazu unter II.). Zum anderen muss der Dritte dartun können, dass gerade ihm eine Legitimation zukommt, die Nichtzugehörigkeit zum Schuldnervermögen geltend zu machen (dazu unter III.).
B. Zweckgerichteter
II. Negative Komponente: Der Ausschluss schuldnerfremden
Lösungsansatz
335
Vermögens
Da die Interventionsklage die Aufgabe hat, den formalisierten Vollstreckungszugriff zu korrigieren, muss der Kläger geltend machen, dass der Gegenstand der Zwangsvollstreckung nicht zum Schuldnervermögen gehört. Ob ein Gegenstand zum Vermögen des Schuldners oder einer anderen Person gehört, bestimmt sich danach, wem der Gegenstand zugeordnet, d.h. in einem ausschließlichen Sinne zugewiesen ist. Eine solche Zuordnung ist in Bezug auf Sachen notwendig, weil obligatorische Rechte an bzw. auf Sachen zwar beliebig vermehrbar, aber nur begrenzt ausübbar sind. So kann der Eigentümer seine Sache zwar mehrfach verkaufen oder vermieten, aber bei rechtmäßigem Verhalten stets nur einmal übereignen bzw. zum Gebrauch überlassen.76 Dementsprechend kann auch das Vermögen in einem ausschließlichen Sinne stets nur der einen oder anderen Person eingeräumt sein. Für die Frage, wie die Zuordnung zum Vermögen einer Person erfolgt, ist zwischen der Sache selbst und dem Besitz an der Sache zu unterscheiden. Die Sache selbst wird in aller Regel durch das Eigentum dem Vermögen einer Person zugeordnet. In besonderen Fällen kann diese Zuordnungsfunktion des Eigentums allerdings durch vorrangige Drittinteressen überlagert sein. Dies ist etwa bei der eigennützigen Treuhand in der Form der Sicherungsübereignung der Fall, wenn in das Eigentum des Sicherungsnehmers vollstreckt wird. Hier gewährt die herrschende Auffassung dem Sicherungsgeber vor Eintritt des Sicherungsfalls zu Recht die Drittwiderspruchsklage, da der Sicherungsnehmer aufgrund der Sicherungsabrede keine Berechtigung zur Verwertung des Sicherungsguts hat und daher einem vollwertigen Eigentümer vermögensmäßig nicht gleichgestellt werden kann. Der Besitz an der Sache bedarf ebenfalls einer Zuordnung im vermögensrechtlichen Sinne. Hierbei ist wiederum zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen zu differenzieren. Bei beweglichen Sachen erfolgt die Zuordnung durch ein Recht zum Besitz in Verbindung mit der tatsächlichen Sachherrschaft über den Gegenstand. Erst diese tatsächliche Sachherrschaft grenzt den Betreffenden hinreichend eindeutig von anderen Besitzberechtigten ab. Bei Immobilien tritt für die sachenrechtliche Zuordnung die Eintragung im Grundbuch an die Stelle der tatsächlichen Sachherrschaft. Daher kann der Besitz an einem Grundstück nur dem zugeordnet sein, der zum Besitz des Grundstücks berechtigt und im Grundbuch eingetragen ist. Die vorstehende Differenzierung zwischen der Sache selbst und dem Besitz an einer Sache findet sich auch in den verschiedenen Anknüpfungspunkten für eine Pfändung wieder. Im Regelfall wird die Sache selbst Gegenstand 76
I m G r u n d e schlägt sich hier die rechtliche K o n s e q u e n z des physikalischen Prinzips,
dass zwei K ö r p e r zur selben Zeit nicht am selben O r t sein k ö n n e n , nieder.
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Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
der Pfändung sein, so dass eine Übertragung des Eigentums an der Sache an einen Dritten im Wege der Verwertung beabsichtigt ist, §§ 803 ff., 814 ff., 864, 869 Z P O . Gegenstand der Zwangsvollstreckung kann aber auch der Besitz an einer Sache sein. Dies geschieht durch Pfändung eines bestehenden Herausgabeanspruchs nach §§ 846 ff., 829 ff. Z P O . Schließlich kommt auch die Pfändung eines persönlichen Rechts zur Nutzung einer Sache, etwa aus Miete oder Pacht, in Betracht. Ein solches Nutzungsrecht kann grundsätzlich nach §§ 857 Abs. 1, 828 ff. Z P O gepfändet werden. Dies setzt nach § 851 Abs. 1 Z P O allerdings voraus, dass das Nutzungsrecht übertragbar ist. Für den wichtigsten Bereich solcher persönlicher Nutzungsrechte, nämlich für Miete und Pacht, setzt dies nach § 540 B G B jedoch voraus, dass der Vermieter bzw. Verpächter seine Erlaubnis zur Überlassung der Sache an einen Dritten erteilt hat. Soweit dies nicht der Fall ist, sind solche Nutzungsrechte unpfändbar. 77 Vor diesem Hintergrund kann der intervenierende Dritte in verschiedener Weise geltend machen, dass ein Vollstreckungsgegenstand nicht Teil des Schuldnervermögens ist. Zum einen kann er sich darauf berufen, dass die Sache selbst nicht zum Vermögen des Schuldners gehört, etwa weil der Schuldner nicht der Eigentümer der als solche gepfändeten Sache ist. Der Dritte kann aber auch das Eigentum des Schuldners einräumen oder dahingestellt sein lassen und lediglich geltend machen, dass der Besitz an der Sache, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nicht dem Schuldner zusteht, etwa weil der Schuldner den Besitz aufgrund schuldrechtlichen Vertrages auf den Dritten übertragen hat. Dann macht der Dritte geltend, dass der Besitz insoweit nicht dem Schuldner „gebührt", also nicht zu dessen Vermögen gehört. Der Gläubiger ist in diesem Fall darauf angewiesen, den dem Schuldner zustehenden Herausgabeanspruch zu pfänden. Wird umgekehrt eine vermietete Sache beim Schuldner als Mieter gepfändet, kann der Vermieter sein Eigentum geltend machen und den Gläubiger darauf verweisen, sich allein an das im Vermögen des Schuldners befindliche obligatorische Nutzungsrecht zu halten, soweit dieses überhaupt nach § 5 4 0 B G B , § § 8 5 7 Abs. 1, 851 Abs. 1 Z P O pfändbar ist.
III. Positive Komponente: Das Erfordernis der Drittlegitimation Allein auf die Tatsache, dass der Vollstreckungsgegenstand nicht zum Vermögen des Schuldners gehört, kann die Interventionsklage nicht gestützt werden, vielmehr muss der Kläger seinerseits legitimiert sein, sich auf die Schuldnerfremdheit zu berufen. Eine solche Legitimation ist schon deshalb erforder77
R G Z 70, 226 (229); 134, 91 (96); KG, O L G E 19, 22; Stein/Jonas/Münzberg, Rn. 29.
§857,
C. Übertragung
auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
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lieh, weil andernfalls eine dem Zivilprozessrecht fremde Popularklage möglich wäre. Andererseits muss der zur Intervention legitimierte Dritte nicht mit demjenigen identisch sein, zu dessen Vermögen der Vollstreckungsgegenstand tatsächlich gehört. Die notwendige Legitimation des Dritten kann sich vielmehr bereits aus einem Recht in Bezug auf den Vollstreckungsgegenstand ergeben, das ihm eine materiell bessere Berechtigung gegenüber dem Schuldner einräumt. Dies ist stets dann der Fall, wenn der Dritte dem Schuldner gegenüber dinglich oder schuldrechtlich zum Besitz an der Sache berechtigt ist. Eine solche Berechtigung allein kann allerdings für die Interventionsbefugnis nicht ausreichen. Da sich der Dritte gegen den Vollstreckungszugriff des Gläubigers wehrt, kann er an der Einstellung der Zwangsvollstreckung nur dann ein berechtigtes Interesse haben, wenn seine materiell bessere Berechtigung gegenüber dem Schuldner gerade auch durch die Vollstreckung beeinträchtigt wird. Die erforderliche Legitimation fehlt daher, wenn der Dritte seinen Anspruch auf Besitz in gleicher Weise auch gegen den Rechtsnachfolger, also den Erwerber des Vollstreckungsgegenstandes, durchsetzen kann.
IV. Schlussfolgerung Ein „die Veräußerung hinderndes Recht" im Sinne des § 771 Z P O liegt daher dann vor, wenn der Dritte geltend machen kann, dass die Sache nicht zu dem Vermögen des Schuldners gehört und dem Dritten ein dingliches oder schuldrechtliches Recht zum Besitz der Sache zusteht, das gerade durch die Vollstreckung beeinträchtigt würde.
C. Übertragung auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
Im Folgenden wird die soeben herausgearbeitete Interventionsbefugnis anhand der wichtigsten Fallgestaltungen überprüft und mit den bisher vertretenen Lösungen verglichen. Dabei geht es nicht nur um die Situation, in der der Dritte im Zeitpunkt des Vollstreckungszugriffs mittelbarer oder unmittelbarer Besitzer war, sondern auch um jegliche Fälle eines irgendwie gearteten Herausgabeanspruchs des Dritten gegenüber dem Schuldner.
I. Der Schuldner als Eigentümer und Vermieter 1. Bei
Grundstücken
Hat der Schuldner ein ihm gehörendes Grundstück an einen Dritten vermietet und übergeben, so erfolgt die Verwertung des Grundstücks beim Vollstreckungszugriff des Gläubigers grundsätzlich durch Zwangsversteigerung
338
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel:
Der Besitz als ein hinderndes
Recht
nach §§864, 869 ZPO, §§15 ff. ZVG. Nach dem hier befürworteten Prüfungsmaßstab kann dem Dritten als Mieter kein Interventionsrecht zustehen. Da das Grundstück dem Schuldner gehört, ist das Eigentum am Grundstück auch Bestandteil seines Vermögens. Auch der Besitz am Grundstück ist dem Schuldner als dem im Grundbuch Eingetragenen vermögensmäßig zugeordnet. Der Grundstücksmieter kann daher in diesem Fall nicht geltend machen, dass der Vollstreckungsgegenstand nicht zum Schuldnervermögen gehört. Hat der Dritte das Grundstück dagegen vom Nichteigentümer, z.B. von einem vermeintlichen Erben des Grundstückseigentümers gemietet, so kann er sich zwar darauf berufen, dass die Sache nicht zum Vermögen des Schuldners gehört. Dem Dritten steht aufgrund des Mietvertrages gegenüber dem Schuldner auch der Besitz an der Sache zu. Diese Berechtigung wird jedoch durch die Zwangsversteigerung nicht beeinträchtigt, da der Ersteher nach § 90 Abs. 1 ZVG mit Zuschlag das Eigentum am Grundstück erwirbt und gemäß §§ 57 ZVG, 566 BGB in den Mietvertrag mit dem Dritten eintritt. Zwar könnte man erwägen, ob nicht das Sonderkündigungsrecht des Erstehers nach § 57 a ZVG eine solche Beeinträchtigung des Besitzrechts des Mieters darstellt, da diese Kündigungsmöglichkeit dem Schuldner nicht zur Verfügung stand. Dagegen spricht indessen, dass die Vollstreckung und die Verwertung als solche auf das Besitzrecht des Mieters zunächst ohne Einfluss sind. Es bedarf vielmehr eines zusätzlichen Aktes, nämlich der Kündigung des Erstehers, die ihrereits erst die Besitzberechtigung beendet. Darüber hinaus ist das Sonderkündigungsrecht des Erstehers durch die Kündigungsschutzbestimmungen des Mietrechts beschränkt, 78 so dass die Wirkung des Kündigungsrechts nach § 57 a ZVG nur darin besteht, die vertragliche Kündigungsfrist auf die gesetzliche Frist abzukürzen. 7 9 Das Sonderkündigungsrecht hat daher allenfalls mittelbare Auswirkungen auf das mietvertragliche Besitzrecht des Dritten, die für sich allein genommen nicht ausreichen können, die Drittwiderspruchsklage zu rechtfertigen. 80 Dieses Ergebnis stimmt mit der heute einhelligen Meinung überein, die dem Besitzer bei Immobilien von vornherein kein Interventionsrecht gewährt. Abweichungen ergeben sich nur, soweit der Sukzessionsschutz des § 57 ZVG nicht eingreift und daher das Besitzrecht des Dritten durch die Zwangsvollstreckung beeinträchtigt wird. Dies betrifft alBGHZ 84, 90 (100) = N J W 1982, 1696 (1698 f.); BayObLG, Rpfleger 1992, 531 (533). Stöber, ZVG, § 57 a, Rn. 6; Böttcher, ZVG, 3. Aufl. 2000, §§ 57-57 d, Rn. 13. 80 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 93 Abs. 1 S. 2, 3 ZVG. Die dort dem Besitzer ausdrücklich eingeräumte Drittwiderspruchsklage betrifft nur den Fall, dass der Ersteher den Zuschlagsbeschluss nach § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG verwendet, um trotz des fortgesetzten Mietverhältnisses ohne weiteres die Räumung zu betreiben. A. A. offenbar W. Krieger, S. 96 f., der davon ausgeht, dass der Mieter die Möglichkeit habe, „die Vollstreckung über § 771 ZPO anzugreifen, wenn trotz seines nicht erloschenen Rechts in das Grundstück vollstreckt werden soll". Es geht hier jedoch nicht um die Vollstreckung in das Grundstück, sondern um die anschließende Räumung gegenüber dem Mieter. 78 79
C. Übertragung
auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
339
lerdings nur ganz abgelegene Fallgestaltungen, wie etwa eine Grundstücksleihe 81 vom vermeintlichen Erben.
2. Bei Mobilien Ist der Dritte unmittelbarer Besitzer einer vom Schuldner gemieteten beweglichen Sache, so kann er beim Vollstreckungszugriff des Gläubigers geltend machen, dass der Besitz an der Sache aufgrund des Mietvertrages und seiner tatsächlichen Sachherrschaft für die Vertragsdauer ihm zugeordnet und daher nicht Bestandteil des Schuldnervermögens ist. Die Besitzberechtigung würde der Mieter infolge der Zwangsvollstreckung einbüßen, da der Erwerber den Gegenstand im Rahmen der Verwertung durch staatlichen Hoheitsakt erwirbt und insbesondere § 986 Abs. 2 B G B nicht eingreift. Dem Mieter steht daher grundsätzlich ein Interventionsrecht nach § 771 Z P O zu. D a dem Schuldner während des bestehenden Mietvertrags nicht der Besitz vermögensmäßig zugeordnet ist, steht ihm nur der Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 B G B zu, so dass der Gläubiger darauf verwiesen ist, diesen nach §§ 846 ff. Z P O zu pfänden. Daraus ergibt sich, dass die Rechtsbehelfe der Drittwiderspruchsklage und der Erinnerung selbständig nebeneinander bestehen können. Gibt der Dritte den Gegenstand freiwillig an den Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Pfändung heraus, so werden die Verfahrensvoraussetzungen der Vollstreckung nach §§ 808, 809 Z P O eingehalten. Eine Erinnerung nach § 766 Z P O kommt danach nicht in Betracht. Problematisch ist aber, wie sich die freiwillige Herausgabe an den Gerichtsvollzieher auf das Interventionsrecht des Besitzers auswirkt. Der B G H geht davon aus, dass der herausgabebereite Dritte sein etwaiges Widerspruchsrecht nach § 771 Z P O , das er als berechtigter Besitzer geltend machen konnte, verliert. 82 Dagegen behält der Dritte sein Interventionsrecht, wenn er irrtümlich eigene Sachen, die nicht zum Vermögen des Schuldners gehören, an den pfändenden Gerichtsvollzieher herausgibt. O b bei Vorliegen besonderer Umstände in der Herausgabe an den Gerichtsvollzieher ein Verzicht auf ein die Veräußerung der Pfandsache hinderndes materielles Recht gesehen werden kann, ließ der B G H dagegen ausdrücklich offen. 8 3 Die Rechtsprechung nimmt also an, dass in der Herausgabe an den Gerichtsvollzieher für sich genommen noch keine Disposition über ein materielles Recht des Dritten liegt und sich das Verhalten des Dritten daher allein auf sein prozessuales Widerspruchsrecht nach § 771 Z P O auswirkt. Dem ist 81 82 83
Vgl. BGH, NJW 1964, 765. B G H J Z 1978, 199(200). B G H , J Z 1978, 199(200).
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Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel:
Der Besitz als ein hinderndes
Recht
im Ausgangspunkt zuzustimmen. In der bloßen Bereitschaft zur Herausgabe des Vollstreckungsgegenstandes wird man für sich genommen schon deswegen nicht ohne weiteres eine so weitgehende Folge wie die Aufgabe eines materiellen Rechts des Dritten erkennen können, weil der weitere Verlauf des Vollstreckungsverfahrens von der materiellen Rechtslage unabhängig ist und dem Dritten daher die Verfolgung seiner Rechte grundsätzlich weiter offen steht. 84 Unklar bleibt freilich nach der Rechtsprechung, wie man sich den „Rechtsverlust" beim Interventionsrecht konstruktiv vorzustellen hat. Denkbar wäre es, in der Erklärung der Herausgabebereitschaft neben der Zustimmung zur Pfändung als Prozesshandlung, 85 zugleich auch einen konkludenten Verzicht auf die zukünftige Erhebung einer Drittwiderspruchsklage und damit eine weitere Prozesshandlung zu erblicken. Ein solcher Verzicht hätte allerdings zur Folge, dass der Dritte unter keinem Gesichtspunkt mehr zum Widerspruch nach § 771 ZPO berechtigt wäre. Eine Einschränkung auf bestimmte Gründe bzw. veräußerungshindernde Rechte wird nicht möglich sein, weil dem Gerichtsvollzieher und dem vollstreckenden Gläubiger die die Interventionsbefugnis des Dritten begründenden Rechte nicht erkennbar sind. Es kommt hinzu, dass bei einem umfassenden Verzicht kaum eine angemessene Berücksichtigung von Irrtumsfällen möglich erscheint, da nach ganz herrschender Meinung eine Anfechtung von Prozesshandlungen wegen Irrtums nach §§119 ff. BGB ausgeschlossen ist. 86 Angesichts dieser weitreichenden Folgen ist es ebensowenig interessengerecht, von einem Verzicht auf die Drittwiderspruchsklage auszugehen, wie man eine Aufgabe des materiellen Rechts des Dritten annehmen kann. 87 Andererseits ist der herausgabebereite Dritte insofern in einer besonderen Lage, als er es im Gegensatz zu anderen Interventionsbefugten, die nicht im Besitz des Vollstreckungsgegenstandes sind, in der Hand hat, durch seine Herausgabebereitschaft auf den weiteren Verlauf des Vollstreckungsverfahrens Einfluss zu nehmen. Wer in Kenntnis der anstehenden Vollstreckung einen Gegenstand, der sich bei ihm befindet, für die Pfändung zur Verfügung stellt, bringt damit zum Ausdruck, dass er sich gegen die Verwertung des Gegen-
Ebenso Gerlach, ZZP 89 (1976), 294 (328) m. w. N. Stein/Jonas/Münzberg, § 809, Rn. 9; MünchKomm-ZVO/Schilken, § 809, Rn. 7. 86 BGHZ 80, 389 (392) = N J W 1981, 2193; BGH, NJW 1985, 2335; Stein/Jonas/Leipold, vor §128, Rn. 230; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 65 V 3; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 4 7 VI (S. 191); Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S. 76, 86; ders., in FS Bötticher, S. 173 (192); Baumgärtel, ZZP 87 (1974) 121 (127 f.); Gaul, AcP 172 (1972) 342 (347); Schwab, JuS 1976, 69 (70 f.); a. A. Arens, Willensmängel bei Parteihandlungen im Zivilprozeß, 1968, S. 119 ff., 205 ff.; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974, § 9 IV, S. 86 ff.; Orfanides, Die Berücksichtigung von Willensmängeln im Zivilprozeß, 1982, S. 72 ff.; M. Wolf, Das Anerkenntnis im Prozeßrecht, 1969, S. 70 f. 87 In diesem Sinne auch Gerlach, ZZP 89 (1976), 294 (328). 84 85
C. Übertragung
auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
341
standes nicht zur Wehr setzen will. Es wäre daher widersprüchlich, w e n n sich der Dritte später auf sein Besitzrecht berufen u n d gegen die Zwangsvollstreckung intervenieren würde. Richtigerweise sollte daher das Widerspruchsrecht des herausgabebereiten Dritten am Maßstab des venire contra factum proprium ausgerichtet werden. Soweit der Dritte in Kenntnis seines Interventionsrechts der Vollstreckung zustimmt, widerspricht eine gleichwohl erhobene Widerspruchsklage dem G e b o t von Treu u n d Glauben, § 242 B G B . D a d u r c h lassen sich zugleich die Irrtumsfälle angemessen lösen. D e n n w e n n der Dritte irrig der Auffassung ist, ihm stehe an dem betreffenden Gegenstand kein Besitzrecht (mehr) zu u n d gibt er ihn deshalb an den Gerichtsvollzieher heraus, so k a n n es nicht als widersprüchliches Verhalten gewertet werden, w e n n der Dritte sich nach A u f d e c k u n g des Irrtums auf sein Interventionsrecht beruft. In dieser besonderen Fallkonstellation wäre folglich zwar nicht die Erinnerung, wohl aber die Drittwiderspruchsklage gegeben.
3. Die Situation bei verbotener Eigenmacht des Vermieters gegenüber dem Mieter H a t sich der Schuldner u n d Vermieter nach Überlassung der Sache an den Mieter seinerseits ohne den Willen des Mieters wieder in den Besitz der Sache gebracht u n d erfolgt dann die Vollstreckung, so ändert sich die rechtliche Beurteilung nicht. Bei Immobilien ergibt sich dies daraus, dass dem Eigentümer u n d Schuldner als dem im G r u n d b u c h Eingetragenen Eigentum u n d Besitz als Vermögen zugeordnet sind. Soweit der Eingetragene nicht der Eigentümer ist, greifen w i e d e r u m §§ 57 Z V G , 566 B G B ein, so dass der E r w e r b e r in den bestehenden Mietvertrag eintritt. D e r U m s t a n d , dass der Schuldner in diesem Falle z u m Z e i t p u n k t des Vollstreckungszugriffs die tatsächliche Sachherrschaft über das G r u n d s t ü c k ausübte, ändert nichts daran, dass das G r u n d s t ü c k im Sinne des § 57 Z V G dem Mieter „überlassen" war, d e n n der Vermieter k a n n nicht durch einseitigen A k t gegen den Willen des Mieters den diesem durch das Gesetz eingeräumten Schutz entziehen. A u c h bei beweglichen Sachen wird die durch das Recht z u m Besitz u n d die Ü b e r g a b e der Sache bewirkte vermögensmäßige Z u o r d n u n g des Besitzes gegenüber dem Mieter nicht einseitig dadurch wieder aufgehoben, dass sich der Vermieter ohne den Willen des Mieters erneut in den Besitz der Sache bringt. D e r Mieter bleibt daher auch nach der verbotenen Eigenmacht des Vermieters aufgrund seines schuldrechtlichen Besitzrechts legitimiert, die N i c h t z u g e h ö rigkeit des Besitzes an der Sache z u m Schuldnervermögen gegenüber dem vollstreckenden Gläubiger geltend zu machen. N a c h anderer Auffassung soll ein Widerspruchsrecht ausscheiden, w e n n der Schuldner Eigentümer der Sache ist, da trotz des Herausgabeanspruchs kein Übergriff in schuldnerfrem-
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Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
des Vermögen vorliege. 88 Dabei wird indessen der Blick zu eng nur auf das Eigentum als Vermögensgegenstand gerichtet. Tatsächlich muss zwischen dem Eigentum und dem Besitz als verschiedene Vermögensobjekte unterschieden werden. Der Besitz ist im vorliegenden Fall jedoch aufgrund des Mietvertrages und der ursprünglichen Ubergabe an den Mieter nicht mehr dem Vermögen des Eigentümers zugeordnet. Für das Interventionsrecht des Mieters spricht im Übrigen auch die Parallele zu den §§ 808, 809, 766 ZPO. Ohne die verbotene Eigenmacht des Vermieters hätte es der Mieter in der Hand gehabt, die Vollstreckung durch Verweigerung der Herausgabe zu verhindern. Dies darf ihm nicht durch das eigenmächtige Handeln des Vermieters unmöglich gemacht werden.
II. Der Schuldner als
Untermieter
Als nächstes sind die Fälle zu untersuchen, in denen sich der Schuldner umgekehrt in der Mieterrolle befindet. Da die Zwangsversteigerung von Grundstücken nach § 17 ZVG grundsätzlich erfordert, dass der Schuldner als Eigentümer eingetragen ist, kommen als gemietete Vollstreckungsgegenstände regelmäßig nur bewegliche Sachen in Betracht. Der Vermieter, der zugleich Eigentümer ist, kann sich schon aufgrund seines Eigentums nach § 771 ZPO gegen den Vollstreckungszugriff des Gläubigers wehren. Ist der Vermieter dagegen, wie etwa im Falle der Untervermietung, nicht selbst Eigentümer, sondern z.B. seinerseits nur Hauptmieter gegenüber dem Eigentümer und zugleich Untervermieter gegenüber dem Schuldner, gehen die Auffassungen über sein Interventionsrecht auseinander. Die überwiegende Ansicht sieht in den obligatorischen Herausgabeansprüchen, die auf Rückgabe einer überlassenen Sache gerichtet sind, wie etwa die Ansprüche des Vermieters, Verpächters, Verleihers oder Hinterlegers, ein die Veräußerung hinderndes Recht, auch wenn der Anspruchsinhaber nicht Eigentümer der Sache ist, solange nur die Sache nicht zum Vermögen des Schuldners gehört. 89 Manche legen das Schwergewicht der Begründung dabei nicht auf den Herausgabeanspruch, sondern auf das zwischen Drittem und Schuldner bestehende Besitzmittlungsverhältnis. 90 Demgegenüber wollen andere derartige Herausgabeansprüche von vornherein nicht ausreichen lassen, weil sie keine dinglichen
88 MunchKomm-ZPO/K. Schmidt, §771, Rn. 40; Stein/Jonas/Miinzberg, §771, Rn. 32; Wieczorek/Schiitze/Salzmann, § 771, Rn. 58. 89 RGZ 45, 80 (82); 84, 214 (216); 127, 8 (9); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 771, Rn. 20; Brox/Walker, Rn. 1421; Jauernig, Insolvenzrecht., § 13 IV 2; Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 41 VI 7 (S. 679); Stein/Jonas/Miinzberg, § 771, Rn. 31; Zoller/Herget, § 771, Rn. 14 („Herausgabeanspruch"). 90 W.Krieger, S. 102.
C. Übertragung auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
343
Rechte darstellen. 91 Dieser Auffassung liegt die Prämisse zugrunde, dass die Drittwiderspruchsklage als materiell-rechtlich negatorische Klage zwingend ein dingliches Recht erfordere, welches allerdings auch gutgläubig nach § 1007 B G B erworben werden könne. 9 2 Nach dem hier zugrundegelegten Verständnis besteht kein Grund, dem mittelbaren Besitzer die Interventionsbefugnis zu versagen. Er kann geltend machen, dass der Vollstreckungsgegenstand nicht zum Vermögen des Schuldners gehört, da dieser nicht Eigentümer der Sache ist. Dem Vermögen des Schuldners ist vielmehr allein das aus dem schuldrechtlichen Verhältnis zum Dritten resultierende Besitzrecht zugeordnet, z.B. also das persönliche Nutzungsrecht aus dem Mietvertrag mit dem Dritten als Vermieter. Auf diesen Vermögensgegenstand kann der Gläubiger des Schuldners jedoch allenfalls nach §§ 857 Abs. 1, 828 ff. Z P O zugreifen, wenn die Untervermietung gestattet ist. 93 Die Legitimation des Dritten, die Nichtzugehörigkeit des Eigentums des Schuldners geltend zu machen, folgt aus dem Umstand, dass der Vermieter vertraglich gegenüber dem Schuldner nach Ablauf der Mietzeit berechtigt ist, die Sache wieder herauszuverlangen und daher im Verhältnis zu diesem das bessere Besitzrecht hat. Durch die zwangsweise Verwertung der Sache würde der Vermieter aber seinen schuldrechtlichen Rückforderungs- bzw. Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 B G B verlieren, da der Erwerber den Gegenstand ohne irgendeine Verpflichtung gegenüber dem Dritten erwirbt. Diese Grundsätze müssen sogar ohne Rücksicht darauf gelten, ob der Dritte seinerseits gegenüber dem Eigentümer zum Besitz berechtigt ist. Denn auch wenn der Hauptmietvertrag unwirksam ist, ist der Untervermieter der Gefahr ausgesetzt, seinen Rückforderungs- bzw. Herausgabeanspruch gegenüber dem Schuldner infolge der Zwangsvollstreckung einzubüßen. Zwar mag es auf den ersten Blick eigenartig erscheinen, einem gegenüber dem wahren Eigentümer nicht Berechtigten eine eigene Interventionsbefugnis einzuräumen. Dabei darf indessen nicht übersehen werden, dass es nicht Aufgabe der Zwangsvollstreckung und der Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen ist, eine materiell-rechtlich endgültige Vermögenslage herzustellen. Wie gezeigt, geht es vielmehr darum, einen Ausgleich zwischen dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers und den berechtigten Interessen der beteiligten Dritten herbeizuführen. Dieser Interessenausgleich orientiert sich an der Geltendmachung der Nichtzugehörigkeit zum Schuldnervermögen einerseits und an der Beeinträchtigung eigener Interessen des Dritten andererseits. Beides kann auch beim Dritten als gegenüber dem Eigentümer nicht Berechtigten gegeben sein. Es kommt hinzu, dass dem Dritten ein eigenes legitimes Inter-
91 92 93
Merrem, S. 161. Dazu und zur Kritik an diesem Ansatz im Einzelnen bereits oben, A. II. 3. (S. 327 ff.). Dazu oben, B. II. (S. 335 ff.).
344
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
esse, die Sache selbst wiederzuerlangen, auch im Verhältnis zum wahren Eigentümer nicht abgesprochen werden kann. Denn aufgrund des unwirksamen oder fehlenden Vertragsverhältnisses bestehen auch Rückforderungsansprüche des Eigentümers gegenüber dem Dritten, z.B. aus Leistungskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. B G B . U m diese eigenen Verpflichtungen gegenüber dem Eigentümer erfüllen zu können, ist der Dritte auf das Interventionsrecht angewiesen, ohne dass es darauf ankommen kann, ob und wann der Eigentümer seinerseits von seinem Interventionsrecht Gebrauch macht.
III. Der Schuldner als unberechtigter
Besitzer
Die vorstehenden Grundsätze gelten in gleicher Weise, wenn der Schuldner weder Eigentümer noch berechtigter Besitzer des Vollstreckungsgegenstandes ist. Hat beispielsweise der Schuldner einen vermieteten Gegenstand beim Mieter entwendet, so kann sich nicht nur der Eigentümer, sondern auch der Mieter gegen den Vollstreckungszugriff des Gläubigers wehren. Der Mieter ist legitimiert, die Nichtzugehörigkeit des Gegenstandes zum Schuldnervermögen geltend zu machen, weil die Zwangsvollstreckung und Verwertung der Mietsache sein schuldrechtliches Nutzungsrecht beeinträchtigen würde. Die herrschende Auffassung stellt demgegenüber auf die dem Mieter gegen den Schuldner zustehenden Herausgabeansprüche ab, die dem Mieter ein die Veräußerung hinderndes Recht gewährten. 94 Eines Rückgriffs auf diese Herausgabeansprüche bedarf es indessen nur dann, wenn der Mietvertrag aus irgendeinem Grunde unwirksam ist und dem vermeintlichen Mieter daher kein schuldrechtliches Nutzungsrecht zusteht, das durch die Zwangsverwertung beeinträchtigt werden könnte. Erst in diesem Falle ergibt sich die Legitimation des bisherigen Besitzers aus Herausgabeansprüchen, die ihm gegenüber dem Schuldner ein relativ besseres Recht zum Besitz einräumen. Zu diesen Ansprüchen gehört der Herausgabeanspruch aus Eingriffskondiktion, § 8 1 2 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B , und aus dem früheren Besitz, § 1007 Abs. 1 B G B , nicht dagegen der possessorische Anspruch gemäß § 861 B G B , da diese Befugnis zur Rückforderung der Sache nichts über die materielle Berechtigung zum Besitz der Sache gegenüber dem gegenwärtigen Besitzer aussagt.
IV. Die Fälle der
Verschaffungsansprüche
Es bleiben schließlich die Fälle der so genannten Verschaffungsansprüche. Mit diesem Begriff wird üblicherweise die Position desjenigen charakterisiert, der aufgrund eines schuldrechtlichen Vertrages oder eines gesetzlichen Schuldverhältnisses bisher lediglich einen Anspruch auf Ubergabe bzw. Über94
Stein/Jonas/Münzberg,
§ 771, Rn. 31.
C. Übertragung auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
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lassung des Besitzes an der Sache hat, ohne dass die Sache bereits aus dem Vermögen des Schuldners ausgeschieden ist. Hierher gehört etwa der Käufer einer beweglichen Sache oder der Mieter vor Übergabe oder auch der Bereicherungsgläubiger, der ohne rechtlichen Grund Eigentum und Besitz an einer Sache geleistet hat. Derartige Verschaffungsansprüche reichen nicht aus, um ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 Z P O zu begründen, weil Eigentum und Besitz nach wie vor dem Vermögen des Schuldners zugeordnet sind. Dies gilt im Grundsatz bei unbeweglichen wie bei beweglichen Sachen. Dem Käufer oder Mieter eines Grundstücks steht die Drittwiderspruchsklage nicht zu, wenn der Gläubiger gegen den Verkäufer bzw. Vermieter vollstreckt, da Letzterem als im Grundbuch Eingetragenem das Eigentum und der Besitz am Grundstück vermögensmäßig zugeordnet sind, also nicht in schuldnerfremdes Vermögen vollstreckt wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Grundstückskäufer durch eine Vormerkung gesichert ist, da die Eintragung einer Auflassungsvormerkung für sich allein die Vermögenszuordnung noch nicht verändert. 95 Der Schutz des vorrangigen Vormerkungsberechtigten wird dadurch sichergestellt, dass die Verwertung im Rahmen der Zwangsvollstreckung als beeinträchtigende Verfügung dem Vormerkungsberechtigten gegenüber relativ unwirksam ist und dieser daher von dem Ersteher nach § 888 Abs. 1 B G B Zustimmung zur Auflassung und Herausgabe des Grundstücks verlangen kann. Gleiches gilt im Ausgangspunkt für den Käufer oder Mieter einer beweglichen Sache. Auch er hat kein Interventionsrecht, wenn der Gläubiger des Verkäufers oder Vermieters in die dem Vertragspartner gehörende Sache vollstreckt, da Eigentum und Besitz dem Vermögen des Verkäufers bzw. Vermieters noch zugeordnet sind. Allerdings stellt sich die Situation anders dar, wenn ein Dritter in das Vermögen des Verkäufers oder Vermieters eingreift. Hat beispielsweise ein Dritter den vermieteten Gegenstand noch vor Ubergabe an den Mieter beim Vermieter gestohlen und vollstreckt ein Gläubiger des Dritten nun in die Sache, so steht dem Vermieter aufgrund seines Eigentums selbstverständlich die Drittwiderspruchsklage zu. Nach dem hier vertretenen Verständnis des Interventionsrechts muss es aber auch dem Mieter offenstehen, unabhängig vom Vermieter gegen die Zwangsvollstreckung beim Dritten vorzugehen. Der Mieter kann geltend machen, dass die Sache nicht zum Vermögen des Dritten gehört. Die Legitimation des Mieters hierzu leitet sich aus dem Umstand ab, dass sein obligatorisches Nutzungsrecht durch die Verwertung der Sache beeinträchtigt würde. Dies ist jedenfalls der Fall, soweit es sich um den Kauf oder die Miete einer individuell bestimmten Sache handelt, nicht dagegen bei Gattungskauf oder -miete. Schon diese obligatorische Berechti95
BGH, NJW 1994, 128 (129 f.).
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Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
gung des Käufers bzw. Mieters verschafft diesem in Bezug auf die Sache eine bessere Berechtigung als dem Dritten. War der Dritte dagegen seinerseits ebenfalls obligatorisch zum Besitz der Sache berechtigt, etwa im Fall des Doppelverkaufs oder der Doppelvermietung, so stehen sich die beiden Käufer bzw. Mieter als im gleichen Maße berechtigt gegenüber, so dass ein Interventionsrecht ausscheidet.
V. Das Problem der Räumungsvollstreckung
nach § 885 ZPO
Abschließend ist noch auf die Problematik der zwangsweisen Räumung von Immobilien einzugehen, bei der ebenfalls das Interventionsrecht nach § 771 ZPO als Rechtsbehelf des mitbesitzenden Dritten diskutiert wird. Hier geht es regelmäßig um die Situation, dass der Vermieter und Eigentümer nach Ablauf des Mietvertrages die zwangsweise Räumung und Rückgabe der vermieteten Wohnung gegen den Mieter betreibt. Es stellt sich dann die Frage, ob Dritte, die mit dem Mieter und Vertragspartner des Vermieters gemeinsam die Wohnung nutzen, wie etwa Ehegatten, Kinder oder sonstige Verwandte, sich gegen den allein gegen den Mieter gerichteten Vollstreckungstitel wenden können. Der Unterschied zu den bisher behandelten Fällen liegt darin, dass hier keine Verwertung der herauszugebenden Sache zum Zwecke der Erfüllung eines Zahlungsanspruchs des Gläubigers erfolgen soll, sondern der zu vollstreckende Anspruch des Gläubigers unmittelbar auf die Herausgabe der Sache gerichtet ist. Zwei Fragen sind hier auseinanderzuhalten. Zum einen ist zu untersuchen, inwieweit aus einem gegen den Mieter gerichteten Vollstreckungstitel auch gegen Dritte vorgegangen werden kann. Während der Vollstreckungsgläubiger ein Interesse hat, sich nur an seinen Vertragspartner zu halten und sich nach Möglichkeit nicht auch noch mit einem wechselnden Personenkreis von Wohnungsinhabern auseinandersetzen zu müssen, gebietet der Anspruch auf rechtliches Gehör, dass Dritte grundsätzlich nur dann Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt sind, wenn sie zuvor in das Verfahren zur Titelgewährung einbezogen worden sind. Zum anderen stellt sich die Frage nach den Rechtsbehelfen des Dritten, gegen den die Räumung aus einem gegen den Schuldner gerichteten Titel vollstreckt wird.
1. Reichweite
des Vollstreckungstitels
gegen den
Schuldner
Die Zwangsvollstreckung setzt nach § 750 Abs. 1 ZPO voraus, dass die Person, gegen die sie gerichtet ist, in dem Titel oder in der Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet ist. Dies ist bei der Räumungsvollstreckung nach § 885 ZPO im Allgemeinen der Mieter, der die Rückgabe der Wohnung an den Vermieter schuldet. Aus § 886 ZPO ergibt sich, dass eine Vollstreckung unmittelbar aus einem gegen den Schuldner gerichteten Titel gegen Dritte, die
C. Übertragung auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
347
sich im Gewahrsam der Sache befinden, nicht möglich ist. Daraus folgt, dass der Vollstreckungsgläubiger grundsätzlich gegen jeden, der sich im Gewahrsam der herauszugebenden Sache befindet, einen eigenen Vollstreckungstitel benötigt. Als Gewahrsam in diesem Sinne wird weithin der Besitz nach den § § 8 5 4 ff. B G B angesehen, so dass insbesondere auch jeder Mitbesitz bzw. Mitgewahrsam genügt. 96 Daher kann beispielsweise aus einem gegen den Schuldner gerichteten Titel auch gegen Besitzdiener gemäß § 855 B G B vollstreckt werden, wozu in aller Regel Minderjährige oder in den Hausstand aufgenommene Angestellte, wie Bedienstete oder Lehrlinge, gezählt werden, es sei denn, ihnen ist durch besonderen Vertrag unmittelbarer Besitz an bestimmten Räumlichkeiten eingeräumt worden. So einig man sich über diese Grundsätze ist, so umstritten ist bis heute die Möglichkeit der Vollstreckung gegen andere, mit dem Schuldner zusammenlebende Personen, wobei neben den nichtehelichen Lebensgefährten und den Mitgliedern von Wohngemeinschaften vor allem die Ehegatten im Vordergrund der Diskussion stehen. Die nach wie vor herrschende Praxis und weite Teile der Literatur wollen eine Vollstreckung ohne eigenen Titel gegen den Ehegatten grundsätzlich zulassen, es sei denn, dieser habe Mitbesitz an der Wohnung aufgrund eigenen Besitzrechts, also insbesondere in den Fällen, in denen der Ehegatte den Mietvertrag mitunterzeichnet und dadurch selbst als (Mit-)Mieter aufgetreten ist. 97 Ein solches Abstellen auf ein eigenes Besitzrecht muss allerdings schon deshalb verwundern, weil es nach dem Gesetz auf das Recht zum Besitz gerade nicht ankommt, sondern allein auf den Gewahrsam bzw. Besitz zu rekurrieren ist, §§ 886, 809 Z P O . Auch die zur Begründung der herrschenden Meinung herangezogenen Argumente können nicht überzeugen. In erster Linie wird vorgebracht, dass Ehegatten nur einen durch das eheliche Zusammenleben begründeten, bloß „abgeschwächten", weil abgeleiteten und vom Besitzrecht des mietenden Ehegatten abhängigen Mitbesitz hätten. 98 Daran ist richtig, dass der Ehegatte, der nicht Vertragspartner 96 Schilken, DGVZ 1988, 49 (50); Noack, DGVZ 1978, 97 (101); Zöller/Stäb er, § 886 ZPO, Rn. 1; Rosenberg/Gaul/Schilken, §70 III; a. A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 886 ZPO, Rn. 2; Braun, AcP 196 (1996), 557 (584, 592): Alleingewahrsam. 97 O L G Düsseldorf, ZMR 1957, 144; O L G Frankfurt, MDR 1969, 852; O L G Köln, NJW 1958, 598; O L G Kiel, WuM 1982, 304; LG Baden-Baden, WuM 1992, 493; LG Heidelberg, DGVZ 1994, 9; LG Oldenburg, DGVZ 1991, 26 u. 139; LG Tübingen, NJW 1964, 2021 = JZ 1965, 107 m. Anm. Baur, Geißler, DGVZ 1987, 65 (67); Jauernig, Insolvenzrecht, §26 II 3; Scherer, DGVZ 1993, 161 (163); Ä. Schulz, Ehewohnung, S. 71; Schuschke, NZM 1998, 58 (61) f.); a.A. Braun, AcP 196 (1996), 557 (582 ff., 592), der einen eigenen Titel nur bei Alleingewahrsam eines Dritten für erforderlich hält. 98 O L G Frankfurt, MDR 1969, 852 (853); O L G Hamm, NJW 1956, 1681 (1682); O L G Köln, NJW 1958, 598; LG Kiel, WuM 1982, 304; LG Oldenburg, DGVZ 1991, 26 u. 139; LG Tübingen, NJW 1964, 2021 (2022); Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, §885 ZPO, Rn. 9 f.; Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl. 2002, § 885 ZPO, Rn.4a; Geißler, DGVZ 1987, 65 (67); Scherer, DGVZ 1993,161 (163).
348
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel:
Der Besitz als ein hinderndes
Recht
des Vermieters ist, sein Besitzrecht nicht unmittelbar vom Vermieter, sondern von seinem Ehegatten ableitet, der seinerseits als Mieter während der Dauer des Mietverhältnisses besitzberechtigt ist. Die Abhängigkeit der Besitzberechtigung des Ehegatten hat aber nichts mit der Frage eines der Zwangsräumung entgegenstehenden Besitzes zu tun. Einen „abgeleiteten" oder „schwächeren" (Mit-)Besitz kennt das BGB in den §§ 854 ff. nicht. Die herrschende Ansicht vermengt an dieser Stelle in unzulässiger Weise tatsächlichen Besitz und rechtliche Befugnis zum Besitz. Dass diese Kategorien auseinanderzuhalten sind, spiegelt sich auch auf der Ebene des Prozessrechts wider. Die Frage der rechtlichen Befugnis zum Besitz ist Gegenstand des Erkenntnisverfahrens, die Beseitigung des auch ohne Besitzrecht fortdauernden Besitzes ist Ziel der Zwangsvollstreckung. Die Argumentation der h.M. läuft demgegenüber darauf hinaus, dass der Gläubiger auch ohne Titel gegen nicht besitzberechtigte Personen auf Räumung vollstrecken k a n n . " Zum Teil wird der erweiterte Vollstreckungszugriff auch auf den Rechtsgedanken des § 739 ZPO gestützt. 100 Nach § 739 ZPO gilt nur der Schuldner als Gewahrsamsinhaber und Besitzer der Sache, soweit nach § 1362 BGB zugunsten des Gläubigers vermutet wird, dass der Schuldner Eigentümer beweglicher Sachen ist. Dabei wird allerdings übersehen, dass § 739 ZPO lediglich die Funktion hat, die materiell-rechtliche Vermutung des § 1362 BGB, die ohnehin nur für bewegliche Sachen gilt, im Vollstreckungsrecht zu ergänzen. Dadurch soll lediglich verhindert werden, dass der Vollstreckungszugriff an den für Außenstehende nicht durchschaubaren Besitz- und Eigentumsverhältnissen der Ehegatten bei beweglichen Sachen scheitert, die zudem leicht manipuliert werden können. Bei der Räumungsvollstreckung besteht diese Gefahr jedoch nicht, da die Besitzverhältnisse an der Ehewohnung ohne weiteres festgestellt werden können. Daher ist es auch nicht widersprüchlich, für den Zugriff auf Gewahrsam und Eigentum bei beweglichen Sachen einen einzigen Titel genügen zu lassen, während für den Zugriff auf den Gewahrsam allein bei Immobilien ein Titel gegen jeden Ehegatten verlangt wird. 1 0 1 § 739 ZPO verfolgt nicht ganz allgemein das Ziel, die Vollstreckung gegen Ehegatten zu erleichtern. 102 Die überwiegende Auffassung verweist außerdem auf §885 Abs. 2 und 3 ZPO, woraus sich zumindest mittelbar ergeben solle, dass FamilienangehöriEbenso Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296 (1298); Rahl, DGVZ 1987, 38 (41). Merkert, JR 1966, 379 (380); Schreiber, Jura 1987, 555 (557); A. Schulz, S. 72; ähnlich LG Oldenburg, DGVZ 1991, 26; LG Tübingen, NJW 1964, 2021 (2022); Peters, ZZP 91 (1978), 338 (341 f.). 101 A.A. Braun, AcP 196 (1996), 557 (562). 102 OLG Hamburg, MDR 1960, 769; Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296 (1299); Rahl, DGVZ 1987, 38 (41); Scbilken, DGVZ 1988, 49 (56); Stein/Jonas/Brehm, § 885, Rn. 10; Zöller/ Stöber, § 885, Rn. 6. 99
100
C. Übertragung auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
349
ge der Zwangsvollstreckung auch dann unterliegen, wenn sie nicht selbst Schuldner sind. 103 Dem wurde bereits mit Recht entgegengehalten, dass diese Vorschriften, die sich ebenfalls zunächst nur auf Mobilien beziehen, keineswegs eindeutig festlegen, dass sämtliche Familienangehörigen erfasst werden. Vielmehr lassen sich diese Vorschriften auch dahingehend verstehen, dass darunter nur solche Angehörigen fallen, die eine dem Besitzdiener vergleichbare Stellung einnehmen. Eine erweiterte Auslegung, die auch den Ehegatten ganz allgemein einbezieht, würde in unzulässiger Weise die bis zur Gleichberechtigung der Ehefrau tradierte Rolle als Besitzdienerin fortschreiben. 104 Im Übrigen werden vor allem praktische Gründe angeführt, die gegen das Erfordernis eines eigenen Titels gegen Ehegatten sprechen sollen. So sei es dem Vermieter, der nicht zugleich Eigentümer ist, unzumutbar, einen eigenen Titel gegen den Ehegatten zu erwirken, da ihm kein Anspruch aus § 546 Abs. 2 B G B zustehe. 105 Auch könnten Klagen zu verschiedenen Gerichten erforderlich werden, es könne ein höheres Kostenrisiko entstehen und der Aufwand bei Wechsel des Mitbewohners sogar nutzlos werden. 106 Allein, weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 546 Abs. 2 B G B stehen einer Anwendung auf Ehegatten als Mitbesitzer ohne eigenes Besitzrecht entgegen. 107 Dies gilt in besonderem Maße seit die Unterscheidung zwischen unselbständigem und selbständigem Mitgebrauchsrecht im Rahmen der §§ 540, 546 B G B (§§ 549, 556 B G B a.F.) aufgegeben worden ist. 108 Gerade der Umstand, dass der Vermieter dem Vertragspartner nicht die Aufnahme seines Ehegatten in die Wohnung verwehren kann, 109 spricht dafür, im Gegenzug dem Vermieter einen entsprechenden Rückgabeanspruch auch dem Ehegatten gegenüber zu gewähren. Soweit im Übrigen praktische Schwierigkeiten bestehen, vermögen diese für sich genommen nicht die gesetzliche Systematik, die, wie gezeigt, den Vollstreckungszugriff an den Gewahrsams- bzw. Besitzbegriff koppelt, zu überspielen, zumal andernfalls in erheblichem Maße in die Rechtsposition der mitbesitzenden Wohnungsinhaber eingegriffen würde. 103 LG Heidelberg, DGVZ 1994, 9 (10); LG Mainz, MDR 1978, 765; LG Oldenburg, DGVZ 1991, 26; Baur, JZ 1965, 108 f.; Geißler, DGVZ 1987, 66 (67); Gerhardt, Vollstreckungsrecht, §13 II 2 b; Jauernig, Insolvenzrecht, §26 II 3; MUnchKomm-'LVOISchilken, § 885, Rn. 9; Schilken, DGVZ 1988, 49 (57). 104 Stein/Jonas/Brehm, §885 ZPO, Rn. 12; Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296 (1300); Rabl, DGVZ 1987, 38 (40); H. Schneider, DGVZ 1986, 4 (6). 105 H. Schneider, DGVZ 1986,4 (7); ebenso LG Kiel, WuM 1982, 304; Schreiber, Jura 1987, 555 (556). 106 H. Schneider, DGVZ 1986,4 (8). 107 Ebenso Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296 (1301); Staudinger/Sonnenschein, §556 BGB, Rn. 54; Stein/Jonas/Brehm, § 885 ZPO, Rn. 13. 108 Vgl. dazu im Einzelnen Staudinger/Emmerich, §549 BGB, Rn. 15 u. §556, Rn. 54; Brunn, NJW 1988, 1362 (1363 f.). 109 Allgemeine Meinung, vgl. nur Staudinger/Emmerich, § 549 BGB, Rn. 8; MünchKomm/Voelskow, § 549 BGB, Rn. 9.
350
Teil 3: Der Besitzschutz
• 1. Kapitel: Der Besitz als ein hinderndes
Recht
Vor diesem Hintergrund setzt sich in jüngerer Zeit in zunehmendem Maße die Erkenntnis durch, dass das Abstellen auf eine eigene Besitzberechtigung des Mitbesitzers im Rahmen der Räumungsvollstreckung nach § 885 Z P O verfehlt ist und es daher allein sachgerecht ist, einen Titel gegenüber jedem (Mit-)Gewahrsamsinhaber zu verlangen. 110
2. Rechtsbehelfe
des Dritten
Wird die Räumungsvollstreckung aus einem gegen den Mieter gerichteten Titel auch gegen einen Mitbesitzer betrieben, obwohl dazu ein eigener Titel gegen diesen erforderlich ist, so steht dem Mitbesitzer nach allgemeiner Auffassung die Erinnerung nach § 766 Z P O zur Verfügung. Daneben wird dem Mitbesitzer zum Teil auch ausdrücklich die Drittwiderspruchsklage nach §771 Z P O zugebilligt. 111 Nach dem oben 112 entwickelten Lösungsmodell ist dem mit der Einschränkung zuzustimmen, dass der Mitbesitzer ein eigenes Besitzrecht gegenüber dem vollstreckenden Gläubiger geltend machen kann und sich nicht allein auf seinen faktischen Mitbesitz beruft. In diesem Fall greift nämlich ebenfalls der Grundgedanke des Interventionsrechts als Korrektiv des formalen Vollstreckungszugriffs. Der mitbesitzende Dritte kann geltend machen, dass der Besitz als Vollstreckungsgegenstand nicht in vollem Umfang dem Schuldner als dessen Vermögen zugeordnet ist, da er nicht Allein-, sondern lediglich Mitbesitzer ist. Die Legitimation des Dritten, dies im Vollstreckungsverfahren einzuwenden, ergibt sich aus der eigenen Besitzberechtigung gegenüber dem Gläubiger, die durch die Räumungsvollstreckung beeinträchtigt würde. Soweit es um die Zwangsvollstreckung bei Immobilien geht, besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied auf der Ebene der Vermögenszuordnung, auf die sich der Dritte bei seinem Interventionsrecht beruft. Bei den „klassischen" Fällen der Drittwiderspruchsklage, die oben unter D. I. 1. behandelt wurden, sind wir davon ausgegangen, dass sich die vermögensmäßige Zuordnung des Besitzes an Immobilien unabhängig von der tatsächlichen Sachherrschaft am Grundstück nach der Grundbucheintragung richtet, während wir hier auf die faktischen Besitzverhältnisse abstellen. Diese Differenzierung rechtfertigt 110 O L G Hamburg, NJW 1992, 3308; KG, NJW-RR 1994, 713; O L G Köln, WuM 1994, 285 (286 f.); O L G Oldenburg, NJW-RR 1994, 715; MünchKomm/Wacke, §1362 BGB, Rn. 36; Staudinger/Emmerich, Vorb. §§535, 536 BGB, Rn. 202; Musielak/Lackmann, §885 ZPO, Rn. 6; Stein/Jonas/Brehm, §885 ZPO, Rn. 15; Zöller/Stöber, §885, Rn. 5 a; Artzt/ Schmidt, ZMR 1994, 90; Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296 (1302); H. Müller, Zwangsvollstreckung gegen Ehegatten, S. 60; Münzberg, in FS f. Gernhuber, S. 781 (785); Pawlowski, DGVZ 1988,97. 111 O L G Hamm, NJW 1956,1681 (1682); O L G Köln, NJW 1954,1895; LG Baden-Baden, WuM 1992, 493; LG Oldenburg, DGVZ 1991, 139; Stein/Jonas/Brehm, § 885 ZPO, Rn. 27. 112 Vgl. B.II., III. (S. 335 ff.).
C. Übertragung auf die verschiedenen
Fallkonstellationen
351
sich aus dem bereits erwähnten zentralen Unterschied zwischen der Verwertungs- und der Räumungsvollstreckung. Ist der zu vollstreckende Anspruch des Gläubigers ein Zahlungsanspruch, so dient der zwangsweise Zugriff auf einen Vermögensgegenstand des Schuldners der Umwandlung des Gegenstandes in Geld, um den Gläubiger zu befriedigen. Dieser Umweg ist bei der Räumungsvollstreckung nicht erforderlich, da der zu vollstreckende Anspruch des Gläubigers unmittelbar auf die Herausgabe, d.h. Besitzübergabe, des Gegenstandes gerichtet ist. Da es aber nur bei der Verwertung eines Grundstücks durch Eigentumsübertragung auf die Grundbuchsituation ankommt, nicht aber bei der Vollstreckung eines Herausgabeanspruchs, ist für die Frage der vermögensmäßige Zuordnung des Besitzes auch nur bei der Räumungsvollstreckung auf die Besitzverhältnisse außerhalb des Grundbuchs abzustellen.
2. Kapitel
Der Besitz als Aussonderungsrecht im Sinne des §47 InsO Ebenso wie in der Einzelzwangsvollstreckung kann auch beim Zugriff der Gesamtheit der Gläubiger im Insolvenzverfahren die besitzrechtliche Position Dritter betroffen sein. Im Zentrum der nachfolgenden Betrachtungen soll das Aussonderungsrecht stehen, mit dem sich der Dritte am deutlichsten vom Kreis der Insolvenzgläubiger abheben kann. Daher ist zunächst auf Inhalt und Reichweite des Rechts zur Aussonderung gemäß § 47 InsO einzugehen (unter A.), bevor die verschiedenen in Betracht kommenden Besitzpositionen als mögliche Grundlagen für ein Aussonderungsrecht zu untersuchen sind. Von besonderem Interesse sind dabei die possessorischen Ansprüche (unter B.), Bereicherungsansprüche (C.) sowie der Einwand der verkauften und übergebenen Sache (D.).
A. Das Recht zur Aussonderung
nach § 47
InsO
Das Ziel des Insolvenzverfahrens besteht darin, die Gläubiger eines Schuldners gemeinsam zu befriedigen, indem - vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in einem Insolvenzplan - das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös unter den Gläubigern verteilt wird, vgl. § 1 InsO. Der Gesamtheit der Gläubiger soll als Insolvenzmasse das gesamte Vermögen zur Verfügung stehen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, 1 § 35 InsO. Wie schon unter der Geltung der KO pflegt man dabei der Insolvenzmasse als „Sollmasse" eine „Istmasse" gegenüberzustellen. Während die Sollmasse nur das dem Schuldner gehörende Vermögen umfasst, erstreckt sich die Istmasse auf alle Gegenstände, die der Insolvenzverwalter in Besitz genommen hat und 1 Mit der Einbeziehung des während des Verfahrens erworbenen Vermögens ist der Gesetzgeber bewusst über die punktuelle Vermögensfixierung des § 1 Abs. 1 KO hinausgegangen, vgl. die Begründung zu §42 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 122. Kritisch dazu Dieckmann, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 127 ff.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 9.02.
A. Das Recht zur Aussonderung
nach 5 47 InsO
353
auf die er Anspruch erhebt. 2 Da sich somit in der Istmasse auch Gegenstände befinden können, die im Vermögen eines Dritten stehen, muss dieser die Möglichkeit haben, sein Vermögen aus der Istmasse herauszuziehen. Diese Funktion übernimmt das Aussonderungsrecht nach § 47 InsO, das im Grundsatz dem bisherigen Recht, § 43 K O , § 26 Abs. 1 VerglO, entspricht. 3 § 47 S. 1 InsO hebt auf die Sollmasse ab und stellt daher den Insolvenzgläubigern jeden Dritten gegenüber, der aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört. In dieser Zwecksetzung liegt die Parallelität des Aussonderungsrechts zur Drittwiderspruchsklage in der Einzelzwangsvollstreckung begründet. Sowohl das Aussonderungsrecht als auch die Drittwiderspruchsklage stellt ein Korrektiv gegen den formalen Vollstreckungszugriff dar. Begrifflich wird im Anschluss an den früheren § 43 K O häufig vom Aussonderungsanspruch gesprochen, durch den die Nichtzugehörigkeit eines Gegenstandes zur Insolvenzmasse geltend gemacht werde. 4 Gleichwohl war und ist man sich einig, dass die Vorschrift keinen eigenständigen Anspruch gewährt, sondern durch die Bezugnahme auf die dinglichen oder persönlichen Rechte des Dritten auf das materielle Recht verweist. 5 U m dies deutlicher zu machen, ist auch vorgeschlagen worden, statt von einem Aussonderungsanspruch von der Aussonderung in einem allgemeineren Sinne als der Verteidigung eines massefremden Rechts zu sprechen. 6 Auch der Wortlaut des § 47 InsO bringt diese Verweisungstechnik deutlicher als bisher zum Ausdruck, indem in Satz 1 zunächst bestimmt wird, dass derjenige kein Insolvenzgläubiger ist, der die Nichtzugehörigkeit des Gegenstandes zur Insolvenzmasse geltend macht, während Satz 2 dann zur Bestimung des Anspruchs auf das materielle Recht abstellt. Darüber hinaus besteht Einigkeit, dass die Geltendmachung der Nichtzugehörigkeit eines Gegenstandes zur Insolvenzmasse nicht voraussetzt, dass sich der Insolvenzverwalter bereits im Besitz des Gegenstandes befindet. Eine Aussonderung ist daher auch dann gegeben, wenn der Dritte gegenüber dem Herausgabeanspruch des Verwalters die Nichtzugehörigkeit des Gegenstandes zur Insolvenzmasse als Einrede erhebt. 7 2 Zwar wird der Wert dieser terminologischen Unterscheidung bestritten, da schuldrechtliche Ansprüche des Gemeinschuldners als Sollmasse zugleich Bestandteil der Istmasse sind, vgl. K. Schmidt, KTS 84, 345 (377 f.). Im vorliegenden Zusammenhang geht es jedoch umgekehrt um das Ausscheiden fremder Vermögensgegenstände durch Dritte. 3 Davon geht auch der Gesetzgeber aus, vgl. Begründung zu § 5 4 RegE, BT-Drucks. 12/ 2443, S. 124. 4 Jaeger/Lent, Konkursordnung, 8. Aufl. 1958, § 4 3 , Rn. 2; Kuhn/Uhlenbruck, §43, Rn. 1 b; FK-InsO/Joneleit/Imberger, § 47, Rn. 3. 5 Jaeger/Lent, § 4 3 , Rn. 3; Kuhn/Uhlenbruck, § 4 3 , Rn. 6; FK-InsO/Joneleit/Imberger, § 47, Rn. 4. 6 K. Schmidt, ZZP 90 (1977), 38 (50 f.); Kilger/K. Schmidt, § 43 K O , Anm. 1. 7 Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Band II: Insolvenzrecht, 12. Aufl. 1990, Rn. 14.1; Kilger/K. Schmidt, § 43 Anm. 1.
354
Teil 3: Der Besitzschutz
• 2. Kapitel: Der Besitz als
Aussonderungsrecht
Der Alleineigentümer hat somit grundsätzlich nicht nur dann ein Aussonderungsrecht, wenn er nach § 985 BGB die ihm gehörige Sache von dem besitzenden Insolvenzverwalter herausverlangt, sondern auch, wenn er sich in seiner Eigenschaft als Eigentümer gegen ein unberechtigtes Herausgabeverlangen des Verwalters verteidigt. Auch beschränkte dingliche Rechte wie Pfandrecht oder Nießbrauch sind aussonderungsfähig, wenn der Insolvenzverwalter diese Rechte als unwirksam behandelt oder sie als dem Gemeinschuldner gehörig für die Masse in Anspruch nimmt. 8 Schuldrechtliche Ansprüche können zur Aussonderung berechtigen, wenn sie auf Herausgabe einer nicht dem Gemeinschuldner gehörigen Sache gerichtet sind, 9 ohne dass der Gegenstand im Eigentum des Gläubigers stehen muss. 10 Hierzu zählt etwa der Rückgewähranspruch des Vermieters 11 oder Verpächters, der Anspruch des Verleihers auf Herausgabe der verliehenen, des Hinterlegers auf Herausgabe der in Verwahrung gegebenen Sache, wie auch der Anspruch des Verpfänders auf Rückgabe des Pfandes oder der Anspruch des Geschäftsherrn auf Herausgabe der dem Beauftragten zur Ausführung des Auftrags überlassenen Sachen. Dagegen begründen reine Verschaffungsansprüche, die auf die Übertragung eines zum Vermögen des Gemeinschuldners gehörenden Gegenstandes gerichtet sind, kein Aussonderungsrecht. 1 2
B. Possessorische Ansprüche
als
Aussonderungsrechte?
Auch den Ansprüchen aus dem Besitz wird weithin Aussonderungscharakter zuerkannt. Lent umschreibt dies, stellvertretend für viele, dahingehend, dass auch der Besitz, als eine von der Rechtsordnung gewährleistete Macht zur Behauptung in der Gewalt einer Sache, ein Recht und damit einen „Gegenstand" bilde, der wie andere Vermögensrechte aussonderungsfähig sei. So wirke der auf Grund des Besitzrechtes nach § 861 BGB erwachsene Wiedereinräumungsanspruch, einerlei, ob die verbotene Eigenmacht vom nachmaligen Gemeinschuldner oder erst vom Konkursverwalter verübt worden ist, als Aussonderungsanspruch. 1 3 Ausgesondert werde die Sache nur dem Besitze, nicht kraft des § 985 BGB dem Eigentum nach. Was dem Gemeinschuldner im Sinne des § 43 K O „nicht gehört", sei der Besitz. Allerdings werde diese Aussonderung vorwiegend in Ansehung solcher Sachen von Belang sein, an 8
R G Z 44, 1 (3); 60,247 (251); 86, 235 (240 f.); Kilger/K. Schmidt, § 43 Anm. 5; Kuhn/Uhlenbruck, § 43, Rn. 58. 9 R G Z 63, 307 (308); O L G Hamburg, O L G E 11, 359; Kuhn/Uhlenhruck, § 43, Rn. 61. 10 R G Z 63, 307 (308). 11 B G H Z 127, 156 (160) = N J W 1994, 3232. 12 Kuhn/Uhlenhruck, % 43, Rn. 67. 13 Jaeger/Lent, § 43, Rn. 27.
B. Possessorische
Ansprüche
als Aussonderungsrechte?
355
denen weder dem Gemeinschuldner noch dem Aussondernden nachweisbar Eigentum zusteht. Auch stelle das den Gegenstand der Aussonderung bildende Besitzrecht nur eine unvollkommene, vorläufige Machtbefugnis (§ 864 Abs. 2 BGB) dar. Allein dies liege eben in der Natur des Besitzrechtes, das darum doch eine Reihe erheblicher, auch für die Konkursmasse verwertbarer Vorteile biete. Daher begründeten auch der Abwehranspruch des Besitzers nach § 862 BGB wie auch der Herausgabeanspruch des früheren Besitzers nach § 1007 BGB die Aussonderung. 14 Dem folgt die neuere Literatur 15 so verbreitet, dass diese Auffassung inzwischen als unumstritten bezeichnet wird. 1 6 Dabei wird ergänzend darauf verwiesen, dass der Besitz von der Rechtsordnung als ein ausschließliches Recht behandelt und über § 823 Abs. 1 BGB geschützt werde. 1 7 Indessen wird es nach den vorangegangenen Ausführungen zu Charakter und Reichweite der possessorischen Besitzschutzvorschriften 18 nicht überraschen, dass nach der hier vertretenen Sichtweise der herrschenden Auffassung in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden kann. Erkennt man, dass die possessorischen Ansprüche der §§ 861 f. BGB als formale Sanktionsnormen gerade nicht auf eine materielle Besitzberechtigung abstellen, so kann der possessorische Herausgabeanspruch für sich allein nicht geeignet sein, ein Aussonderungsrecht zu begründen. Dass aber auch für die Aussonderung nach § 47 InsO bzw. § 43 KO eine materielle Berechtigung des Dritten erforderlich ist, folgt aus der Parallelität der Aussonderung zur Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO in der Einzelzwangsvollstreckung. Hier wie dort geht es einerseits darum, die Schuldnerfremdheit des Vermögensgegenstandes geltend zu machen und andererseits um eine positive Legitimation des Dritten, diesen Einwand der Schuldnerfremdheit erheben zu können. 19 Zwar ist es für die Aussonderung ebensowenig wie für die Drittwiderspruchsklage erforderlich, dass gerade dem Dritten statt dem Schuldner der Gegenstand gehört. 20 Notwendig ist aber zumindest eine gegenüber dem Schuldner bessere materielle Berechtigung an dem Gegenstand, weil es in der Einzelzwangsvollstreckung wie in der Insolvenz um die Zuordnung von Vermögenswerten als Vorfrage einer möglichen Gläubigerbefriedigung geht. Diese Legitimationsfunktion kann der Anspruch aus § 1007 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB erfüllen, weil über § 1007 Abs. 3 S. 2 BGB die materiell bessere Besitzberechtigung gegenüber dem Schuldner
Jaeger/Lent, § 43, Rn. 27. Baur/Stürner, Rn. 14.15; Jauernig, Insolvenzrecht, §44 II 4; Kilger/K. Anm. 14; Gottwald, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, §40, Rn. 15. 16 W. Krieger, Der Besitz, S. 106. 17 Hess, Konkursordnung, § 43, Rn. 15; Kuhn/Uhlenbruck, § 43, Rn. 52. 18 Dazu oben, Teil 1, 2. Kapitel, B. II. 2. d (S. 40 ff.). 19 Vgl. oben, Teil 3, 1. Kapitel, B. II., III. (S. 335 ff.). 20 RGZ 63, 307 (308); 84, 214 (216). 14 15
Schmidt,
§43
356
Teil 3: Der Besitzschutz
• 2. Kapitel: Der Besitz als
Aussonderungsrecht
zum Tragen kommt. Anders ist dies dagegen bei den rein possessorischen Ansprüchen, die als formale Restitutionsnormen die materielle Berechtigung ausblenden. Allenfalls dort, wo neben den possessorischen Herausgabeanspruch eine materielle Besitzberechtigung des Dritten hinzutritt, ist es gerechtfertigt, die Aussonderung auf den possessorischen Anspruch zu stützen. Diese Differenzierung soll im Folgenden anhand von drei Beispielen verdeutlicht werden. Stiehlt etwa S eine Sache bei D, nachdem D seinerseits die Sache dem Eigentümer E entwendet hatte, so steht dem D gegen S allein ein Herausgabeanspruch nach § 861 BGB zu. Dieser possessorische Anspruch ist für sich genommen indessen nicht ausreichend, in der Insolvenz des S ein Aussonderungsrecht f ü r den D zu begründen. Zwar kann D geltend machen, dass der Gegenstand nicht zum Vermögen des Schuldners S gehört, doch fehlt D seinerseits die erforderliche Legitimation, diese fehlende Vermögenszugehörigkeit zu reklamieren. Eine materielle Besitzberechtigung kommt ihm weder gegenüber E noch gegenüber S zu. Der Anspruch auf Herausgabe nach § 861 BGB selbst legitimiert den D ebensowenig, weil D dadurch nicht berechtigt wird, im Besitz der Sache zu bleiben. Anders stellt sich die Situation dar, wenn man annimmt, dass E seine Sache an D auf drei Monate verliehen hat und S sie dort wegnimmt, weil er - zu U n recht - behauptet, ihm sei von E ein Pfandrecht an der Sache eingeräumt. 21 Ein Anspruch nach § 1007 Abs. 1 BGB scheidet aus, soweit S bei Inbesitznahme der Sache in gutem Glauben an sein Pfandrecht war. D hat daher auch in diesem Fall nur nach § 861 BGB einen Herausgabeanspruch gegen S. Im Unterschied zum ersten Beispiel ist D hier aber im Vergleich zu S insofern besser berechtigt, als D aufgrund des Leihvertrages bis zum Ablauf der drei Monate gegenüber E zum Besitz berechtigt ist. Diese schuldrechtliche Besitzberechtigung ist eine ausreichende Legitimation, in der Insolvenz des S die Nichtzugehörigkeit des Gegenstandes zum Schuldnervermögen geltend zu machen, so dass in Verbindung mit dem Herausgabeanspruch aus § 861 BGB eine Aussonderung gerechtfertigt ist. Schließlich ist der Fall zu betrachten, dass der Eigentümer und Vermieter die Mietsache nach Ablauf des Mietvertrages eigenmächtig wieder an sich nimmt. Soweit nicht ausnahmsweise die besonderen Voraussetzungen des § 864 Abs. 2 BGB vorliegen, steht dem Mieter ein Herausgabeanspruch nach § 861 BGB zu, obwohl ihm keine materiellrechtliche Besitzberechtigung gegenüber dem Eigentümer mehr zukommt. Die herrschende Meinung müsste auch hier ohne weiteres dem Mieter die Aussonderung in der Insolvenz des Eigentümers gestatten. Dies erscheint indessen kaum mit Sinn und Zweck des Aussonderungsrechts als Korrektiv des formalen Vollstreckungszugriffs vereinbar, denn der Mieter kann nicht geltend machen, dass die Mietsache nicht 21
Fall in Anlehnung an Baur/Stiirner,
Rn. 14.15.
B. Possessorische
Ansprüche als Aussonderungsrechte?
357
zum Vermögen des Vermieters gehört. Die Sache steht ebenso im Eigentum des Vermieters, wie diesem auch der Besitz an der Sache nach Ablauf des Mietvertrages gebührt. Erst recht fehlt dem Mieter die Legitimation, irgendeine Nichtzugehörigkeit zum Schuldnervermögen geltend zu machen, da ihm kein Besitzrecht mehr zusteht. Einzig und allein die Art und Weise, wie der Eigentümer wieder in den Besitz der ihm gehörenden Mietsache gelangt ist, wird vom Gesetz missbilligt, nicht jedoch das materielle Ergebnis der Besitzänderung. In dieser Situation ist ein Konflikt zwischen den Interessen der Gläubiger an der Erhaltung der Insolvenzmasse und dem Interesse des Besitzers und der Allgemeinheit an der Verhinderung der individuellen Rechtsdurchsetzung unausweichlich. Gewährt man die Aussonderung und verwirklicht man damit den Präventionszweck der Besitzschutzvorschriften, erschwert man dadurch zugleich die Verwertung zugunsten der Gläubiger, die unter U m ständen sogar fürchten müssen, dass der betreffende Gegenstand später überhaupt nicht mehr zur Insolvenzmasse gezogen werden kann. Räumt man dagegen dem Verwertungsinteresse den Vorrang ein und verneint eine Aussonderung, so hat dies zur Folge, dass die durch eigenmächtiges Handeln geschaffene Lage anerkannt und die Präventionsfunktion des Besitzschutzes eingeschränkt wird. Wägt man die jeweiligen Risiken und Interessen gegeneinander ab, so sprechen die besseren Argumente für den Vorrang der Insolvenzverwertung. Dies beruht vor allem darauf, dass die Vermögenslage der materiellen Berechtigung entspricht und daher nach dem in § 47 InsO zum Ausdruck kommenden Regelungsprinzip kein Korrekturbedürfnis besteht. Demgegenüber verbleibt aus dem Zweck des possessorischen Rechtsschutzes allein der Sanktionscharakter, der über den Einzelfall hinaus dem Faustrecht vorbeugen soll. Dieser Gesichtspunkt wiegt jedoch nicht allzu schwer, wenn man sich die Situation des Gemeinschuldners vor Augen führt. Es dürfte kaum zu befürchten sein, dass Herausgabegläubiger in Erwartung ihrer eigenen Insolvenz dazu übergehen, ihre Herausgabeansprüche selbst durchzusetzen. Die damit verbundene Einschränkung des possessorischen Rechtsschutzes ist auch begrenzt auf das Verhalten des Gemeinschuldners, da jegliche verbotene Eigenmacht des Insolvenzverwalters eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet. Der Vorrang der Insolvenzverwertung rechtfertigt sich zudem aus der Überlegung, dass sich das Verhältnis zwischen den Parteien mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgeblich ändert. Während es bis dahin lediglich um einen Herausgabeanspruch des bisherigen Besitzers gegenüber dem jetzigen Besitzer geht, wird mit der Insolvenz nunmehr ein über die Parteien hinausreichendes, objektiviertes Verfahren eröffnet, in dem auch maßgebliche Drittinteressen, nämlich die der übrigen Gläubiger zu berücksichtigen sind. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich eine wesentliche Schlussfolgerung für das Verständnis des § 47 InsO. Entgegen verbreiteter
358
Teil 3: Der Besitzschutz
• 2. Kapitel:
Der Besitz als
Aussonderungsrecht
Auffassung enthält § 47 S. 2 InsO, ebenso wie der frühere § 43 KO, nicht lediglich einen gleichsam automatischen Verweis auf das materielle Recht in dem Sinne, dass bei Vorliegen eines materiell-rechtlichen Herausgabeanspruchs auch ein Aussonderungsrecht besteht. Die Vorschrift ist vielmehr nach ihrem Zweck aus sich heraus auszulegen und setzt für ein Aussonderungsrecht eine materielle Berechtigung des Dritten voraus, die sich nicht allein aus den §§ 861 f. BGB als formale Sanktionsnormen ergibt. Auch in diesem Verständnis setzt sich die Parallele zur Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO fort. 22
C. Bereicherungsansprüche
als
Aussonderungsrechte
7M den bloßen Verschaffungsansprüchen werden im Allgemeinen auch die Bereicherungsansprüche gezählt, obwohl sie in erster Linie auf Naturalrestitution gerichtet sind. Sie werden daher, wenn der Bereicherte insolvent wird, zu einfachen Insolvenzforderungen, unabhängig davon, ob der erlangte Gegenstand noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist oder nicht. 23 Von diesem Grundsatz werden weithin nur zwei Ausnahmen behandelt. Dies ist zum einen die Ersatzaussonderung nach § 48 InsO, der dem früheren § 46 KO entspricht, und zum anderen der Fall, dass die Bereicherung erst zugunsten der Insolvenzmasse eintritt, da dann eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO entsteht. Der Grundsatz, dass Bereicherungsansprüche als bloße Verschaffungsansprüche nicht zur Aussonderung berechtigen, bedarf indessen einer weitergehenden Differenzierung. Hierzu muss gesehen werden, dass man bei der bisherigen Behandlung dieses Problems durchweg von der typischen Situation ausgegangen ist, dass der Gemeinschuldner um das Eigentum bereichert ist, etwa bei Anfechtung des Kausalgeschäfts nach Verkauf und Ubereignung einer Sache. Daher wird auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gegenstand im Rechte des Veräußerers verblieben ist und somit kraft Eigentums ausgesondert werden kann, wenn der Erwerb des Gemeinschuldners von vornherein nichtig gewesen oder rückwirkend vernichtet worden ist, etwa bei Anfechtung der Ubereignung wegen Willensmangels, §§ 119,123,142 BGB. 24 Allerdings sind auch Fälle denkbar, bei denen der Gemeinschuldner Bereicherungsansprüchen ausgesetzt ist, ohne das Eigentum an der Sache erlangt zu haben. Wird beispielsweise dem Mieter die Mietsache vom Gemeinschuldner Dazu oben, Teil 3, 1. Kapitel, B. I. (S. 334). RGZ 66, 385 (390); Jaeger/Lent, §43, Rn.31; Hess, §47, Rn. 290; Kuhn/Ublenbruck, § 43, Rn. 67; kritisch v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Band II/2, 1918, § 73 III (S. 111 f.). 24 Jaeger/Lent, § 43, Rn. 31; Kuhn/Ublenbruck, % 43, Rn. 67. 22 23
D. Exceptio rei venditae et traditae
359
entwendet, so steht dem Mieter unter anderem auch ein Bereicherungsanspruch aus Eingriffskondiktion zu, § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B . 2 5 Der Gemeinschuldner ist in diesem Fall um den Besitz an der Sache bereichert. Es besteht kein Grund, dem Mieter in dieser Situation kein Aussonderungsrecht zu gewähren, solange der Mietvertrag noch nicht beendet ist. Es handelt sich auch nicht um einen einfachen Verschaffungsanspruch, da die Mietsache nicht in das Vermögen des Gemeinschuldners übergegangen ist. Der auf die Besitzkondiktion gerichtete Anspruch ist daher nicht anders zu behandeln, als andere schuldrechtliche Herausgabeansprüche, wie die des Vermieters, Verpächters, Verleihers etc. Für die Frage, ob Bereicherungsansprüche ein Aussonderungsrecht gewähren, ist also nach dem Gegenstand der Kondiktion zu unterscheiden. Richtet sich die Kondiktion auf die Rückübertragung des Eigentums, handelt es sich um einen einfachen Verschaffungsanspruch. Wird dagegen lediglich der Besitz kondiziert, kann der Gläubiger aussondern. Dabei wird freilich vorausgesetzt, dass der Besitz das alleinige Kondiktionsobjekt ist. Der Veräußerer kann also der Einordnung seines Anspruchs auf Kondiktion des übertragenen Eigentums als Verschaffungsanspruch und damit als einfache Insolvenzforderung nicht dadurch entgehen, dass er sich darauf beschränkt, den mit dem Eigentum übertragenen Besitz zu kondizieren.
D. Exceptio rei venditae et traditae Die Verteidigung des Besitzes durch einen Dritten wird relevant, wenn der Insolvenzverwalter die Herausgabe der Sache zum Zwecke der Verwertung verlangt und dies darauf stützt, dass der Gegenstand noch zum Vermögen des Gemeinschuldners gehört. Vor allem wenn der Gemeinschuldner eine Sache verkauft und übergeben, aber noch nicht übereignet hat, stellt sich die Frage, ob der vom Käufer erlangte Besitz insolvenzfest ist. Dabei ist im Folgenden zwischen dem wichtigsten Fall, nämlich dem Eigentumsvorbehaltskauf und den sonstigen, nicht bedingten Verträgen zu unterscheiden.
I. Kauf unter
Eigentumsvorbehalt
Wird der Vorbehaltsverkäufer insolvent, muss sich der Vorbehaltskäufer fragen, wie er trotz Insolvenzeröffnung bedingungsloses Eigentum an der Vorbehaltsware erlangen kann. Der einfachste Weg ist für ihn die sofortige und vollständige Zahlung des noch ausstehenden Kaufpreises an den Insolvenzverwalter. Der hierdurch ausgelöste Bedingungseintritt führt zum Eigen25
Dazu im Einzelnen oben, Teil 2, 3. Kapitel, C. II. 2. (S. 234 ff.).
360
Teil 3: Der Besitzschutz
• 2. Kapitel:
Der Besitz als
Aussonderungsrecht
tumsübergang, obwohl der Vorbehaltsverkäufer aufgrund der Insolvenzeröffnung nicht mehr verfügungsbefugt ist. 26 Fraglich und äußerst umstritten war unter der Geltung der Konkursordnung allerdings, ob der Konkursverwalter den Eigentumserwerb verhindern kann, indem er zuvor gemäß § 1 7 KO die Vertragserfüllung ablehnt. Nach dieser Vorschrift kann der Konkursverwalter an Stelle des Gemeinschuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung von dem anderen Teil verlangen, wenn ein zweiseitiger Vertrag zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens von dem Gemeinschuldner und von dem anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt ist. Der Formulierung „kann ... verlangen" entnahm die Rechtsprechung, dass der Konkursverwalter ein Wahlrecht habe. Er könne entweder den Vertrag erfüllen und vom anderen Teil gleichfalls Erfüllung verlangen oder die Vertragserfüllung ablehnen. 27 Lehnt er die Vertragserfüllung ab und hat die andere Vertragspartei bereits teilweise geleistet, kann sie ihren Rückzahlungsanspruch nur als Konkursforderung geltend machen. Für die Frage der Behandlung des Eigentumsvorbehalts im Verkäuferkonkurs kam es daher entscheidend darauf an, ob der Verkäufer bereits erfüllt hat, wenn er dem Vorbehaltskäufer die Ware übergeben und aufschiebend bedingt übereignet hat. In diesem Fall wäre eine Anwendung von § 17 KO ausgeschlossen und der Käufer könnte mit vollständiger Kaufpreiszahlung vorbehaltsloses Eigentum erwerben. Die Rechtsprechung 28 und Teile der Literatur 29 verneinten dies unter Hinweis auf die Verpflichtung des Verkäufers zur unbedingten Eigentumsübertragung nach §433 Abs. 1 S. 1 BGB. Grob unbillige Härten sollten danach allenfalls durch Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben vermieden werden. 3 0 In der Literatur wurde dieses Ergebnis zu Recht weithin kritisiert und nach We-
26 Schon unter der Geltung der Konkursordnung wurde aus der Wertung des § 161 Abs. 1 BGB gefolgert, dass der Erwerb eines Rechts aus der Konkursmasse nicht unter § 15 KO fällt, sofern es bereits vor Konkurseröffnung als bedingtes Recht entstanden war, vgl. Brox, JuS 1984, 657 (667). Gleiches gilt nunmehr nach § 91 I InsO, vgl. FK-InsOMp/> § 91, Rn. 13. 27 RGZ 79,209 (211); BGHZ 68, 379 (380) = NJW 1977,1345; BGHZ 98,160 (169) = NJW 1986, 2948 (2950). Etwas anders ist der Begründungsansatz in der neuesten BGH-Rechtsprechung. Danach wird der gegenseitige Vertrag bereits durch die Konkurseröffnung umgestaltet. Die beiderseitigen Erfüllungsansprüche erlöschen und an ihre Stelle tritt ein einseitiger Anspruch des anderen Teils auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, der als Konkursforderung (§ 3 KO) zu behandeln ist. Entscheidet sich der Konkursverwalter nunmehr für die Erfüllung, entstehen die untergegangenen Ansprüche von neuem mit altem Inhalt, vgl. z.B. BGHZ 103,250 (252, 254) = NJW 1988, 1790 (1791); BGHZ 116, 156 (158) = N J W 1992, 507 (508); BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966 (1967). Hierzu im Einzelnen unten, E. II. 2. 28 RGZ 133, 40 (42 f.); BGHZ 48, 203 (205) = N J W 1967, 2203 (204); BGHZ 98, 160 (168 f.) = N J W 1986, 2948 (2949 f.). 29 Vgl. z.B. Häsemeyer, KTS 1973, 2 (12 ff.); K. Müller, Rn. 2447; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung, Band. I: Der einfache Eigentumsvorbehalt, 1963, S. 335 ff. 30 Vgl. RGZ 140, 156 (162 f.); BGH, WM 1961, 888 (891); BGH, NJW 1962, 2296 (2297); BGHZ 98, 160 (168) = N J W 1986, 2948 (2949 f.).
D. Exceptio
rei venditae
et
traditae
361
gen gesucht, das Wahlrecht des Konkursverwalters einzuschränken. 31 Zum Teil wurde dazu von einem weiten Leistungsbegriff ausgegangen und damit eine Erfüllung schon mit Ubergabe der Kaufsache angenommen, 32 zum Teil wurde § 17 K O von vornherein im Hinblick auf die Wertung des § 161 Abs. 1 S. 2 B G B als unanwendbar angesehen. 33 Mit dem In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 hat der Streit um die Behandlung des Eigentumsvorbehalts im Konkurs des Verkäufers ein Ende gefunden. Nach § 107 Abs. 1 S. 1 InsO kann der Käufer die Erfüllung des Kaufvertrages verlangen, wenn der Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt verkauft und dem Käufer den Besitz an der Sache übertragen hat. 34 Der Insolvenzverwalter hat also kein Ablehnungsrecht, sondern ist auf Verlangen des Käufers zur Erfüllung des Kaufvertrages verpflichtet. Die mit dem Anwartschaftsrecht des Eigentumsvorbehaltskäufers verbundene Besitzposition ist damit insolvenzfest.
II. Der nicht bedingte Kauf Hat der Käufer dagegen kein Anwartschaftsrecht erlangt, weil bei der beweglichen Sache die Ubereignungserklärung noch aussteht oder bei Immobilien keine Auflassungsvormerkung eingeräumt wurde, lässt sich die Frage nach der Insolvenzfestigkeit des Käuferbesitzes nicht mehr mit derselben Eindeutigkeit dem Gesetz entnehmen und ist daher sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung umstritten.
Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, § 17, Rdnr. 18 c, d. So z.B. MünchKomm/Westermann, § 455, Rn. 87; Staudinger/Honseil, § 455, Rn. 29 und 48 m. w. N . zur älteren Literatur. 33 So etwa MünchKomm/Westermann, § 455, Rn. 87; Westermann/Westermann, § 39 III 3 b. m.w. N. 34 Der Wortlaut des § 107 Abs. 1 S. 1 InsO Ist freilich wenig glücklich. Dass der Käufer vom Insolvenzverwalter die Erfüllung des Kaufvertrages verlangen kann, erscheint kaum sinnvoll, da der Verkäufer beim Eigentumsvorbehalt typischerweise seine Leistungshandlung bereits erbracht hat. Nach den Buchstaben des Gesetzes muss im Grunde die bedingte Ubereignung noch nicht erfolgt sein, doch wird man dies immerhin mit der Überlegung korrigieren können, dass der Zweck des § 107 Abs. 1 InsO die Sicherung eines vor der bedingten Ubereignung noch nicht bestehenden Anwartschaftsrecht ist. Umgekehrt verlangt der Gesetzestext, dass der Verkäufer dem Käufer „den Besitz an der Sache übertragen" haben muss, obwohl eine Ubereignung sogar ohne Verschaffung des (mittelbaren) Besitzes möglich ist, § 929 S.2 B G B . Gemeint war sicherlich nichts anderes als die aufschiebend bedingte Eigentumsübertragung. O b dies allerdings ausreicht, um das Erfordernis der Besitzübertragung im Rahmen der Auslegung zu eliminieren (dafür Westermann/Westermann, § 39 III 3 c [S. 293]; Jauernig, Insolvenzrecht, § 49 III [S. 227]), ist angesichts der Tatsache, dass es in § 107 Abs. 2 InsO ebenfalls enthalten ist und dort eine eigenständige Funktion erfüllt, zumindest zweifelhaft; vgl. dazu auch Marotzke, J Z 1995, 803 (810 f.). 3]
32
362
1.
Teil 3: Der Besitzschutz
• 2. Kapitel: Der Besitz als
Aussonderungsrecht
Meinungsstand
Die Motive zu § 986 B G B lassen erkennen, dass der Gesetzgeber selbst davon ausging, dass sich der durch den Konkursverwalter geltend gemachte Eigentumsherausgabeanspruch gegenüber dem besitzenden Käufer durchsetzt: „Vindiziert der Konkursverwalter, so tritt eine andere Beurteilung ein; denn die Erfüllung der Forderung des obligatorisch berechtigten Inhabers ist nicht eine Masseschuld." 3 5
Vor diesem Hintergrund nimmt die herrschende Auffassung seit Verabschiedung des BGB 3 6 bis heute 37 an, dass die exceptio rei venditae et traditae kein Aussonderungsrecht gewähre. Gleichwohl finden sich nach wie vor in verschiedenen Ausprägungen Ansätze zu einem weitergehenden Schutz des besitzenden Käufers. So ging bereits Dernburg davon aus, dass die exceptio rei venditae et traditae nach § 986 B G B nicht nur dem Eigentümer, sondern auch allgemein den Rechtsnachfolgern des Veräußerers und daher ebenso der Konkursmasse desselben gegenüber erhoben werden könne. Den Motiven hielt er vor, dass der dort gezogene Schluss unzutreffend sei, da die Konkursgläubiger kein selbständiges dingliches Recht an den Gegenständen der Masse hätten, sondern darauf verwiesen seien, den Eigentumsanspruch des Gemeinschuldners geltend zu machen, so dass sie auch den Einreden unterlägen, welche diesem entgegenstehen.38 Im Falle eines verkauften und übergebenen, jedoch noch nicht aufgelassenen Grundstücks nahm in frühen Entscheidungen auch das O L G Stuttgart ein Aussonderungsrecht des Besitzers an.39 Der Veräußerer habe zwar die Möglichkeit, über das Grundstück rechtswirksam zu verfügen, aber er habe weder die Befugnis zu solchen rechtlichen Verfügungen, noch andererseits die Möglichkeit, tatsächlich mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren, d.h. dasselbe nach Belieben zu benützen und andere von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903 BGB), weil der Käufer das Grundstück ihm gegenüber auf Grund des Vertrages berechtigterweise besitze. Das Eigentum des Veräußerers sei daher lediglich formales (Buch-)Eigentum. Eine derart in nur formalem Eigentum einer Person stehende Sache könne aber nicht mehr als zu deren Vermögen gehörig angesehen werden. Dem schloss sich Müller an, der ergänzend darauf hinwies, dass beim Kauf nicht eine fortMotive, Band III, S. 422 (= Mugdan, Band III, S. 235). R G Z 90, 218 (221 ff.); RG, J W 1936, 655; Biermann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuche, 3. Aufl. 1914, §986, Anm. 1; Enneccerus/Lehmann, Das Bürgerliche Recht, Band II, 2. Aufl. 1901, § 68 (S. 202); Fuchs, Grundbuchrecht I, Band I, 1902, §§ 985 - 1007, Rn. 2. 3 7 O L G Dresden, ZIP 1998, 1154 ( 1 1 5 5 ) ; J a e g e r / H e n c k e l , Konkursordnung, 9. Aufl. 1997, § 17, Rn. 166; MünchKomm/Medicus, § 986, Rn. 27; Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 65; Diederichsen, S. 147 ff. 38 Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reiches und Preußens, Band III, 4. Aufl. 1908, §92, 3. 3 9 O L G Stuttgart, O L G E 4, 380 (382) = Württjb 15, 175; Württjb 18, 62. 35 36
D. Exceptio rei venditae et traditae
363
gesetzte Gebrauchsüberlassung, sondern eine einmalige Besitzübertragung zum Vertragsinhalt gehöre, so dass die Besitzübertragung als ein vor der Konkurseröffnung vollzogener Erfüllungsakt durch die Konkurseröffnung unangetastet bleibe. Was aber für die vor Konkurseröffnung vorgenommenen Erfüllungsgeschäfte gelte, müsse entsprechend für Einreden gelten, die auf Grund eines vor dieser Zeit vorgenommenen Erfüllungsgeschäftes entstanden sind. Auch sie blieben nach der Konkurseröfnung bestehen und könnten auch dem Konkursverwalter gegenüber geltend gemacht werden, da diesem gegenüber dieselben Einwendungen erhoben werden könnten, die dem Gemeinschuldner gegenüber gegeben waren. 40 Deutlich über diesen Punkt hinaus ging Kühne mit der These, dass sich sowohl bei Immobilien wie bei beweglichen Sachen der Besitzer gegenüber dem Konkursverwalter durchsetze. Er folgerte dies aus den § 2 1 K O , § 9 8 6 Abs. 2 B G B , die er als Ausdruck einer grundlegenden Konfliktsentscheidung zugunsten der Dinglichkeit relativer Rechte vermöge ihrer Verbindung mit dem Besitz begriff. 41 Demgegenüber sprach sich Martin Wolff schon früh für eine Unterscheidung zwischen Liegenschafts- und Fahrnisrecht aus. Dem Fahrnisbesitzer, der schon bei der Konkurseröffnung den Besitz hatte, müsse der Besitzrechtseinwand gegenüber dem Konkursverwalter gemäß § 986 Abs. 2 B G B ebenso zustehen, wie gegenüber einem neuen Eigentümer, einem Nießbraucher oder Pfandgläubiger. Der Liegenschaftsbesitzer könne sich im Umfang des § 2 1 K O auf Miet- oder Pachtrechte berufen, auf andere obligatorische Besitzrechte dagegen nur dann, wenn sie durch Vormerkung gesichert sind, da im Liegenschaftsrecht die Publizitätswirkungen nicht an den Besitz, sondern an den Bucheintrag geknüpft seien. 42 Kleinrath unterstützte diese Auffassung mit dem Hinweis darauf, dass der Konkursverwalter bei unbeweglichen Sachen nicht genötigt sei, die Sache an sich zu nehmen und so den Besitz zu stören, sondern die Verwertung für die Masse nach § 126 K O durch Antrag auf Zwangsversteigerung bewirken könne. 43 Dulckeit schloss sich dieser Differenzierung an, befürwortete allerdings eine Analogie zu § 986 Abs. 1 B G B , statt zu Abs. 2, da der Konkursverwalter eine Treuhänderstellung innehabe und daher eher als Vertreter und nicht als Rechtsnachfolger des Eigentümers anzusehen sei. 44 Zu demselben Ergebnis gelangt heute Wieling auf der Grundlage des von ihm angenommenen „relativ verdinglichten Rechts" des obligatorisch berechtigten Besitzers. 45 Da der Inhaber eines obligatorischen Besitz-
40 41 42 43 44 45
Müller, LZ 1908, 684 (686). Kühne, AcP 140 (1935), 1 (58). M. Wolff, in FG f. R. Koch, 1903, S. 150 (159); ebenso Wolff/Raiser, Kleinrath, LZ 1910, 126 (130). Dulckeit, Verdinglichung, S. 20 Fn. 13. Dazu bereits oben, Teil 2, 2. Kapitel, C. III. 1. d (S. 186).
§ 84 IV 1 a, Fn. 21.
364
Teil 3: Der Besitzschutz
• 2. Kapitel: Der Besitz als
Aussonderungsrecht
rechts bei beweglichen Sachen mit der Übergabe ein dingliches Recht an der Sache erwerbe, werde er auch im Konkurs geschützt. 46
2. Die Verknüpfung der exceptio mit dem
Erfüllungsanspruch
Dass schon der Ansatz Wielings, das Entstehen eines „relativ verdinglichten Rechts", nicht überzeugt, wurde bereits dargelegt. 47 Wie noch zu zeigen sein wird, belegt die aus einer solchen Konstruktion angenommene Insolvenzfestigkeit des schlicht obligatorisch Berechtigten zusätzliche Bedenken gegen die Annahme eines solchen Rechts. Aus grundsätzlichen Überlegungen kann auch die Prämisse Kühnes von der generellen Verdinglichungstendenz der obligatorischen Rechte nicht geteilt werden. 48 Da für eine systemfremde Umkehrung von Regel und Ausnahme bei der Drittwirkung relativer Rechte weder Veranlassung noch Rechtfertigung besteht, geht es auch nicht an, hinter § 21 K O bzw. §§ 110,111 InsO und § 986 Abs. 2 B G B eine vermeintlich allgemeine Konfliktsentscheidung zugunsten der Drittwirkung zu sehen. Dulckeit ist insofern zuzustimmen, als § 986 Abs. 2 B G B weder direkt noch analog im Verhältnis zum Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter angewandt werden kann. Da der Gemeinschuldner auch nach Eröffnung der Insolvenzverfahrens Eigentümer der Sache bleibt und nach § 80 InsO bzw. § 6 K O lediglich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf den Verwalter übergeht, kann man den Verwalter kaum einem Rechtsnachfolger gleichstellen. Damit bleiben nur zwei Möglichkeiten, den Herausgabeanspruch des Insolvenzverwalters zu Fall zu bringen. Entweder man leugnet bereits die Zugehörigkeit des betroffenen Gegenstandes zum Schuldnervermögen oder aber man geht von einem Recht zum Besitz des Käufers aus, das sich in der Insolvenz auch gegenüber dem Verwalter durchsetzt. Ersteren Weg haben das O L G Stuttgart und Müller eingeschlagen. Die Annahme eines „rein formalen" (Buch-)Eigentums des Gemeinschuldners ist allerdings problematisch, da die Bindung des Verkäufers hier aus seiner schuldrechtlichen Verpflichtung gegenüber dem (Erst-)Käufer abgeleitet wird. Stellt man jedoch für die vermögensmäßige Zuordnung auf rein schuldrechtliche Beziehungen ab, verschwimmt die Grenze zu den Verschaffungsansprüchen, die nach allgemeiner Meinung kein Aussonderungsrecht gewähren. Auch die Übergabe des Grundstücks an den Käufer kann keine Zuordnung zu dessen Vermögen rechtfertigen, da die tatsächlichen Besitzverhältnisse für die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück gerade keine Rolle spielen. Anders ist dies in der Tat bei beweglichen Sachen wegen des grundsätzlichen Übergabeerfor-
46 47 48
Wieling, Sachenrecht I, 1990, § 12 I 3 a dd. Vgl. oben, Teil 2, 2. Kapitel, C. III. 2. (S. 187 ff.). Dazu oben, Teil 2, 4. Kapitel, A. III. 3. (S. 281 ff.).
D. Exceptio rei venditae
et
traditae
365
dernisses nach § 929 S. 1 B G B . Daher kann hier die Zuordnung zu einem bestimmten Vermögen Schwierigkeiten bereiten, wenn Eigentum, Besitz und Nutzungsbefugnis nicht zur gleichen Zeit, sondern in einem schrittweisen Prozess übertragen werden. In diesem Zusammenhang überzeugt es allerdings nicht, wenn Müller die Ubergabe der Kaufsache vor Ubereignung an den Käufer als vollzogenen Erfüllungsakt für unantastbar hält, weil es sich um eine einmalige Besitzübertragung und nicht um eine fortgesetzte Gebrauchsüberlassung handele. 49 Eine solche Sichtweise ist zu sehr an dem Normalfall der punktuellen vollständigen Erfüllung durch Ubergabe und gleichzeitige Übereignung orientiert und passt daher nicht auf die Situation einer schrittweisen Vermögensübertragung. Letztere weist auch durchaus Parallelen zu Dauerschuldverhältnissen auf. Denn eine einmalige Besitzübertragung im Sinne der physischen Ubergabe der Sache gibt es in der Regel beim Kauf ebenso wie bei der Miete. Umgekehrt ist nicht nur der Mietvertrag, sondern auch der Kaufvertrag auf die fortgesetzte Gebrauchsüberlassung gerichtet, da der Verkäufer nach dem Willen der Parteien nach der Übergabe der Sache noch das Eigentum auf den Käufer zu übertragen hat und daher erst recht nicht mehr befugt sein soll, dieselbe zurückzufordern. Daher ergibt sich für den Käufer bis zum Eigentumsübergang auch aus dem Kaufvertrag ein Recht zum Besitz gegenüber dem Verkäufer, § 986 Abs. 1 S. 1 B G B . Hier liegt auch der Schlüssel zur Frage nach dem Aussonderungsrecht des Käufers. Das Recht des Käufers zum Besitz der Kaufsache beruht auf seinem Erfüllungsanspruch aus dem Kaufvertrag. Es ist in Bestand, Umfang und Durchsetzbarkeit abhängig von dem Recht des Käufers, vom Verkäufer Übereignung verlangen zu können. Daher muss das Recht zum Besitz auch in der Insolvenz des Verkäufers das Schicksal des Erfüllungsanspruchs teilen.
3. Das Schicksal des Erfüllungsanspruchs in der Insolvenz Die Diskussion um die allgemeine Frage, welchen Einfluss das Insolvenzverfahren auf vertragliche Erfüllungsansprüche hat, ist in jüngerer Zeit wieder in Bewegung geraten. Dabei wird freilich selten thematisiert, welche Konsequenzen sich aus der jeweiligen Auffassung gerade für ein mit dem Erfüllungsanspruch verbundenes Recht zum Besitz ergeben. Es soll daher im Folgenden zunächst die abstrakte Vorfrage erörtert werden, wie sich die Insolvenz auf den Erfüllungsanspruch auswirkt, bevor dann daraus die Konsequenzen für das aus dem Erfüllungsanspruch fließende Recht zum Besitz gezogen werden.
49 Auch Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 65, gehen davon aus, dass die exceptio rei et traditae auf dem bereits erfüllten Besitzverschaffungsanspruch beruht.
venditae
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Teil 3: Der Besitzschutz
• 2. Kapitel:
Der Besitz als
Aussonderungsrecht
Lange Zeit nahm die ganz herrschende Meinung an, dass dem Konkursverwalter nach § 17 KO ein Wahlrecht zustehe, einen synallagmatischen Vertrag, den der Gemeinschuldner vor Konkurseröffnung geschlossen hat und der von beiden Vertragsparteien nicht oder nicht vollständig erfüllt worden ist, entweder zu erfüllen oder dies abzulehnen. Darin wurde ein echtes Gestaltungsrecht des Konkursverwalters gesehen, dessen Ausübung die Erfüllungsansprüche zum Erlöschen bringt.50 Wählt der Konkursverwalter Erfüllung, wird dadurch das Gegenrecht zum Massegläubigerrecht erhoben, § 59 Nr. 2 KO. Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, wird der Gläubiger auf einen Schadensersatzanspuch beschränkt, § 26 S. 2 KO. Durch die Ablehnung soll danach zugleich das Vertragsverhältnis endgültig umgewandelt werden, so dass auch nach Beendigung des Konkursverfahrens von keinem Vertragspartner mehr Erfüllung beansprucht werden kann.51 Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass sich aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 KO („kann ... erfüllen") ergebe, dass der Konkursverwalter nach pflichtgemäßem Ermessen ebensogut die Erfüllung ablehnen könne und das die Vorschrift dazu diene, schwebende Austauschverträge in einer dem Konkurszweck entsprechenden Weise aus- oder umzubilden. 52 In den achtziger Jahren modifizierte dann die Rechtsprechung diesen Ansatz, um, wie es hieß,53 stärkeres Gewicht auf den Konkurszweck derpar conditio creditorum zu legen. Zwar wird daran festgehalten, dass die Erfüllungsansprüche erlöschen. Als das diese Umgestaltung auslösende Moment wird nun aber nicht mehr die Entscheidung des Konkursverwalters nach § 17 KO angesehen, sondern bereits die Eröffnung des Konkursverfahrens. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Gemeinschuldner und dem Vertragspartner werde daher durch die Konkurseröffnung umgestaltet. An die Stelle des gegenseitigen Vertrages trete der einseitige Anspruch des anderen Teils auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, § 26 KO, der lediglich eine Konkursforderung nach § 3 KO darstelle. Der Erfüllungsanspruch sei demgegenüber erloschen, so dass allein die Willenserklärung des Konkursverwalters, den Vertrag zu erfüllen oder - was dem gleichstehe - Erfüllung zu verlangen, den untergegangenen Anspruch gegen den Vertragspartner wieder erstehen lasse. Diese Erklärung habe daher nicht nur rechtsgestaltende Wirkung, sie begründe den
50 RGZ79, 209 (211); 135, 167 (170); BGH, NJW 1962, 153 (155); 2296 (2297); 1963, 1869 (1870); BGHZ 48,203 (205) = NJW 1967,2203 (2204); BGHZ 68, 379 (380) = NJW 1977,1345; BGHZ 89,189 (195) = NJW 1984,1557 (1558); BGHZ 98,160 (169) = NJW 1986,2948 (2950); Böhle/Stammschräder, Konkursordnung, 12. Aufl. 1976, §17 Anm. 4 a; Jaeger/Lent, §17, Rn. 30; Mentzel/Kuhn/Uhlenhruck, Konkursordnung, 9. Aufl. 1979, § 17, Rn. 36. 51 Böhle/Stammschräder, § 17 Anm. 4 c; Jaeger/Lent, § 17, Rn. 41. 52 Jaeger/Lent, § 17, Rn. 30. 53 Zur Rechtfertigung der Rechtsprechungsänderung im Einzelnen Kreft, ZIP 1997, 865
(866).
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Anspruch aus dem Schuldverhältnis vielmehr neu. 54 Dem hat sich die überwiegende Literatur angeschlossen. 55 Dieser gefestigten Auffassung tritt seit einiger Zeit eine wachsende Zahl von Autoren entgegen, die erhebliche Zweifel an der dogmatischen Schlüssigkeit und der Zweckmäßigkeit der von der h.M. erzielten Ergebnisse anmelden. 56 So wird etwa geltend gemacht, dass die Konstruktion der neueren überwiegenden Auffassung nicht mit dem unbeschränkten Nachforderungsrecht der Gläubiger nach § 164 KO bzw. §201 InsO in Einklang zu bringen sei. Wenn die Verfahrenseröffnung den Erfüllungsanspruch des Gläubigers beseitige, dürfte es ihm an sich nicht mehr möglich sein, diesen Anspruch auf Erfüllung nach Abschluss des Verfahrens gegenüber dem Gemeinschuldner weiter zu verfolgen. Gleichwohl lassen auch Rechtsprechung und herrschende Lehre es grundsätzlich zu, den Erfüllungsanspruch nach Verfahrensabschluss unbeschränkt gegen den Schuldner geltend zu machen, ohne dass hinreichend erklärt werden könne, wie der Erfüllungsanspruch wieder „auflebe". Das gleiche Problem bestehe bei akzessorischen Sicherheiten, die mit dem Erfüllungsanspruch verbunden sind. Auch diese müssten mit der Verfahrenseröffnung erlöschen und könnten eigentlich nicht mehr ohne weiteres auferstehen, wenn das Verfahren beendet ist. Weiter wird kritisiert, dass der Schutz bestehender Aufrechnungslagen nach den §§ 53 ff. KO bzw. §§ 94 ff. InsO durch die herrschende Auffassung ausgehöhlt werde, weil die Ansprüche mit Verfahrenseröffnung erlöschen und damit eine vor Eröffnung bestehende Aufrechnungslage ohne Rücksicht auf die Wertung der genannten Vorschriften beseitigt werde. Gleiches gelte für das Schicksal von Vorausabtretungen. Die Wirksamkeit derartiger Zessionen müsse nach den Bestimmungen über die Konkurs-, §§ 29 ff. KO, bzw. Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff. InsO, beurteilt werden und dürfe nicht durch § 17 KO bzw. § 103 InsO präjudiziert werden. Die Konsequenz aus diesem Befund besteht für die Kritiker in der Annahme, dass die jeweiligen Erfüllungsansprüche der Vertragsparteien nicht erlöschen und zwar weder durch die Verfahrenseröffnung noch durch die Ausübung des Wahlrechts des Verwalters nach § 17 KO bzw. § 103 InsO. Wählt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages, so habe dies keine rechtsgestaltende Wirkung, sondern bringe im Gegenteil zum Ausdruck, dass es bei der unveränderten 54 BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966 (1967); BGHZ 116,156 (158) = NJW 1992, 507 (508); BGHZ 106, 236 (241 ff.) = NJW 1989, 1282 (1283); BGHZ 103, 250 (252, 254) = N J W 1988, 1790 (1791); OLG Frankfurt, ZIP 1995, 369 (371). 55 Jaeger/Henckel, § 17, Rn. 149, 162, 210, 212; Kuhn/Uhlenhruck, § 17, Rn. 1, 19, 36; Heilmann, KTS 1985, 639 (640 ff.); Henckel, JZ 1986, 694 (696); 1987, 359 (360); ders., ZZP 99 (1986), 419 (429 f.); Kreft, ZIP 1997, 865 ff.; Stürner, ZZP 94 (1981), S.263 (298 f.); Uhlenbruch,]!. 1992,425 f. 56 Marotzke, Gegenseitige Verträge, Rn. 3.42 ff.; ders., JZ 1977, 552 (553); Gerhardt, FS f. Merz, S. 117 (120 ff.); ders., Gedächtnisschrift f. Knobbe-Keuk, 1997, S. 169 (173 ff.); Bork, FS f. Zeuner, S. 297 (302 ff.); Tintelnot, ZIP 1995,616(618).
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Rechtslage bleiben soll. Lehnt der Verwalter dagegen die Erfüllung ab, so trete der gegen die Insolvenzmasse gerichtete Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung neben den Erfüllungsanspruch. Der Vertragspartner des Gemeinschuldners müsse sich dann entscheiden: Entweder er nimmt mit seinem Erfüllungsanspruch, der sich im Falle des Käufers nach § 69 K O bzw. § 45 InsO in einen Geldbetrag umwandelt, am Verfahren teil, dann steht ihm auch die Quote nur Zug um Zug gegen die Erbringung der ihm obliegenden Gegenleistung zu, § 320 B G B . Oder aber er verzichtet auf die Teilnahme am Verfahren, mit der Folge, dass sich sein Erfüllungsanspruch nur noch gegen den Gemeinschuldner richtet und nach Abschluss des Verfahrens nach allgemeinen Regeln durchgesetzt werden kann, § 164 K O bzw. § 201 InsO. 5 7 Die Einwände gegen die Konstruktion des erloschenen und gegebenenfalls später wieder „auferstandenen" Erfüllungsanspruchs sind in der Tat gravierend. Ist man erst einmal soweit gegangen, den Anspruch, sei es durch die Verfahrenseröffnung, sei es durch die Erfüllungsablehnung des Verwalters, als erloschen zu betrachten, lässt sich kaum überzeugend begründen, wie und wodurch er später wieder in seiner ursprünglichen Form neu entstehen kann, ohne dass die Voraussetzungen einer materiellrechtlichen Neuvornahme vorliegen. Es besteht auch kein Grund, dem Gläubiger entgegen § 264 K O bzw. § 2 0 1 InsO von vornherein die Möglichkeit zu versagen, seinen ursprünglichen Erfüllungsanspruch nach Verfahrensende gegenüber dem Schuldner weiter zu verfolgen, und zwar selbst dann, wenn der Verwalter die Erfüllung explizit abgelehnt hat. 58 Hinter dem Ansatz der herrschenden Auffassung steht daher auch erkennbar weniger das Bemühen um eine geschlossene Dogmatik als vielmehr das Ziel einer möglichst weitgehenden Massevermehrung. Dieser Aufgabe dient die angenommene Unterbrechungswirkung der Insolvenz, weil dadurch etwa vor Verfahrenseröffnung bestehende Aufrechnungslagen und Vorausabtretungen beseitigt werden. Nach alledem sprechen die besseren Argumente dafür, von einem grundsätzlichen Bestehenbleiben des Erfüllungsanspruchs auszugehen. Gleichwohl kann der Inhalt des Erfüllungsanspruchs wegen der Umwandlung angemeldeter Forderungen nach § 69 K O bzw. § 45 InsO in bestimmten Fällen eine Einschränkung erforderlich machen, da andernfalls die Gefahr besteht, dass der Gläubiger mehr geltend machen kann, als ihm zusteht. Danach ergibt sich 57 Bork, FS f. Zeuner, 1994, 297 (307 ff.); ders., Einführung in das neue Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2002, Rn. 160; Marotzke, Rn. 3.42 ff.; ders., JZ 1977, 552 (553); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 20.07; im Ansatz ebenso bereits U. Huber, BB 1964, 731 (733); Musielak, AcP 179 (1979), 189 (212); Pflug, AG 1986, 305 (307 ff.). 58 In diesem Sinne bereits O L G Jena, SeuffA 47 (1892) Nr. 87; Schultze, Das Deutsche Konkursrecht in seinen juristischen Grundlagen, 1880, S. 79 ff.; ebenso Seuffert, Deutsches Konkursprozessrecht, 1899, S. 190, für den Fall, dass der Gläubiger seinen Ersatzanspruch nicht im Konkurs verfolgt hat.
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folgende Situation. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers bleibt trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens und auch bei Ablehnung der Vertragserfüllung durch den Verwalter zunächst mit seinem ursprünglichen Inhalt bestehen. Meldet der Gläubiger seinen Anspruch nicht zur Tabelle an, steht es ihm frei, diesen ursprünglichen Erfüllungsanspruch nach Abschluss des Verfahrens gegen den Gemeinschuldner weiter zu verfolgen, § 164 K O bzw. §201 InsO. Soweit die verkaufte Sache verwertet wurde und der Schuldner daher nicht mehr in der Lage ist, diese zu übereignen, verbleibt dem Gläubiger freilich gleichwohl nur ein Schadensersatzanspruch, §§440 Abs. 1, 325 Abs. 1 B G B a. F. (§§ 433 Abs. 1 S. 1, 275 Abs. 1, Abs. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 B G B n. F.). Hat der Gläubiger dagegen am Verfahren teilgenommen, so wandelt sich sein auf Ubereignung gerichteter Erfüllungsanspruch nach § 69 K O bzw. § 45 InsO in einen Geldbetrag um. In diesem Fall wird man dem Gläubiger das Recht zur weiteren Verfolgung seines Erfüllungsanspruchs nach § 164 K O bzw. §201 InsO mit dem ursprünglichen Inhalt, also gerichtet auf Ubereignung der Kaufsache, dann nicht mehr zubilligen können, wenn er im Verteilungsverfahren eine Quote erhalten hat und es sich bei dem Ubereignungsanspruch um eine unteilbare Leistung handelt, etwa bei der Verpflichtung zur Ubereignung eines einzelnen Gegenstandes. Andernfalls würde der Gläubiger ungerechtfertigter Weise einen Geldbetrag aus der Masse und obendrein die Sache selbst erhalten können.
4. Das Recht zum Besitz als existente, aber suspendierte Befugnis Es bleibt zu untersuchen, wie sich diese Meinungsunterschiede in der Vorfrage zum Schicksal des Erfüllungsanspruchs auf das mit diesem verknüpfte Recht zum Besitz auswirken. Für die herrschende Auffassung ist die Frage leicht zu beantworten. Da der Erfüllungsanspruch mit der Verfahrenseröffnung erloschen ist, endete damit auch das Recht des Käufers, die Kaufsache weiter zu besitzen. Nur für den Fall, dass der Verwalter sich für die Erfüllung des Vertrages entscheidet, wird der Erfüllungsanspruch neu begründet, so dass auch das Besitzrecht des Käufers ex nunc wieder entsteht. Hier zeigt sich allerdings ein weiteres Bedenken gegen die Konstruktion der herrschenden Auffassung. Denn die Annahme, dass das Besitzrecht ex nunc erneut entsteht, bedeutet umgekehrt, dass es in dem Zeitraum von der Verfahrenseröffnung bis zur Entscheidung des Verwalters nicht existierte. Danach war der Käufer in der betreffenden Zeitspanne Besitzer ohne ein entsprechendes Besitzrecht, so dass der Verwalter eigenartigerweise sogar Nutzungsersatz verlangen könnte, § § 9 9 0 Abs. 1, 987 B G B , obwohl der Vertrag im Ergebnis durchgeführt wird.
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Die nach den vorstehenden Ausführungen vorzugswürdige Gegenmeinung müsste demgegenüber auf den ersten Blick zu einem durchgängigen Recht zum Besitz des Käufers gelangen, da sie auch von einem weiter bestehenden Erfüllungsanspruch ausgeht. Gleichwohl zieht kein Vertreter dieser Auffassung, soweit man sich überhaupt mit dieser Frage befasst, die Konsequenz, dass der Käufer die Sache auch gegenüber dem Verwalter behalten könne. Marotzke weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass zwischen der Person des Verkäufers und Gemeinschuldners einerseits und dem Insolvenzverwalter andererseits zu differenzieren ist. Der Eigentumsverschaffungsanspruch des Käufers richtet sich auch dann, wenn über das Vermögen des Verkäufers das Insolvenzverfahren eröffnet ist, nach wie vor gegen den Verkäufer persönlich. Auch wenn der Verkäufer diesen Anspruch während des Insolvenzverfahrens nicht ohne Mitwirkung des Verwalters erfüllen kann, §§ 80 Abs. 1, 81 Abs. 1, 91 InsO, schließt dies doch nicht aus, dass dieses „Leistungshindernis" mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfällt. In diesem Fall kann der Käufer seinen Eigentumsverschaffungsanspruch auch dann, wenn der Verwalter die Erfüllung abgelehnt hat, wieder unbeschränkt geltend machen.59 Dies kann etwa dann zum Tragen kommen, wenn der Insolvenzverwalter die Kaufsache an den Gemeinschuldner freigibt und dieser dann seinerseits die Sache von dem Käufer herausverlangt. Eine ganz andere Frage ist, ob der Käufer daneben auch gegenüber dem Insolvenzverwalter zum Besitz berechtigt ist. Angesichts des allgemeinen Grundsatzes, dass der Insolvenzverwalter für den Gemeinschuldner handelt und er daher nicht mehr Rechte in Anspruch nehmen kann, als diesem zustehen,60 bedarf es einer besonderen Rechtfertigung dafür, dass der Verwalter anders als der Gemeinschuldner nicht gehindert sein soll, die Sache zu vindizieren. Marotzke sieht diese Rechtfertigung in einer Analogie zur Behandlung der Zurückbehaltüngsrechte. 61 Schon aus den Motiven zur Konkursordnung ergibt sich der bis heute anerkannte Rechtssatz, dass ein Konkursgläubiger gegenüber dem Verwalter selbst dann nicht berechtigt ist, einen zur Konkursmasse gehörenden Gegenstand bis zur vollständigen Befriedigung seiner Forderung zurückzubehalten, wenn er dieses Recht gegenüber dem Verfahrensschuldner an sich, z.B. nach § 273 B G B , hat: „Die Frage, ob einem Gläubiger im Konkurse das Retentionsrecht verbleiben oder abgesprochen werden soll, hat allein zur Voraussetzung, dass der Anspruch des Inhabers - die Gegenforderung - sich als eine Konkursforderung darstellen würde. ... Für eine Konkursforderung hingegen darf der Inhaber das Retentionsrecht im Konkurse nicht ausüben. Das Retentionsrecht ist als solches kein dingliches Recht, die Sache haftet dem Marotzke, Rn. 9.73. R G Z 99, 161 (167); B G H Z 56, 228 (231 f.) = N J W 1971, 1750; Kuhn/Uhlenhruck, Rn. 23. 61 Marotzke, Rn. 9.77 f. 59
60
§6,
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Inhaber nicht; er hat kein Recht, sich aus ihr zu befriedigen; der Inhaber retinirt, weil die Abforderung der Sache von dem Schuldner dolos ist. Aber die Abforderung zur K o n kursmasse durch den Konkursverwalter und für die Konkursgläubiger ist nicht dolos. Man sagt, die Konkursgläubiger haben nicht mehr Rechte als der Gemeinschuldner; das ist nicht richtig; sie haben den Anspruch, dass alle nicht dinglich verhafteten Sachen des Gemeinschuldners zur gleichmäßigen Vertheilung für alle Konkursforderungen dienen ... . Das Retentionsrecht macht die Gegenforderung des Inhabers nicht zu einer bevorzugten; es würde thatsächlich zu einem Vorrecht führen, könnte der Inhaber sie durch Retention der Verwendung für Alle entziehen. D e r Inhaber muß die Sache abliefern und seine Forderung wie jeder andere Konkursgläubiger liquidiren." 6 2
Danach soll also das den Konkursgläubigern in ihrer Gesamtheit zustehende Recht auf gemeinschaftliche Befriedigung aus allen nicht dinglich verhafteten Sachen des Gemeinschuldners Vorrang genießen gegenüber dem allgemeinen Grundsatz, dass Einreden gegenüber einem Anspruch des Gemeinschuldners auch gegenüber dem Konkursverwalter erhoben werden können. In Übertragung dieser Grundsätze folgert Marotzke, dass auch eine an sich berechtigte Vindikation des Insolvenzverwalters nicht an einer schuldrechtlichen Bindung des Verfahrensschuldners gegenüber dem Besitzer scheitern dürfe, die auf einem dem Letzteren lediglich die Rechte eines Insolvenzgläubigers verleihenden Kaufvertrag beruht. 63 Diese Ausführungen sind folgerichtig und überzeugend. Zur Stützung kann zusätzlich auf die gemeinsame dogmatische Fundierung von Retentionsrecht und Recht zum Besitz verwiesen werden. Wie an anderer Stelle im Einzelnen gezeigt wurde, 64 stellt sich auch das schuldrechtliche Recht zum Besitz nach § 986 B G B letztlich nur als positiv-rechtliche Ausformung der exceptio dolus generalis dar. Unabhängig davon lässt sich unseres Erachtens die Vindikationsbefugnis des Verwalters auch aus dem das Insolvenzrecht durchziehenden Gedanken der Hemmung der Rechtsdurchsetzung gegenüber dem Schuldner begründen. Die Insolvenzmasse dient nach § 38 InsO zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Zum Zwecke der Befriedigung dieser Gläubigergemeinschaft geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über, § 80 Abs. 1 InsO; von dem Schuldner nach Verfahrenseröffnung gleichwohl vorgenommene Verfügungen sich gemäß § 8 1 Abs. 1 S. 1 InsO grundsätzlich unwirksam. Relative Veräußerungsverbote nach §§ 135,136 B G B , die gegen den Schuldner bestanden haben, entfalten im Insolvenzverfahren keine Wirkung mehr, § 80 Abs. 2 S. 1 InsO. Anhängige 62 Motive zu dem Entwurf einer Konkursordnung und dem Entwurf eines Einführungsgesetzes, S. 212 f. =Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band IV: Konkursordnung, 1881, S. 205. 63 Marotzke, Rn. 9.78. 6 4 Vgl. oben, Teil 1, 3. Kapitel, C. II. 3. (S. 95 ff.).
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Prozesse, deren Ausgang die Insolvenzmasse betreffen, werden nach § 2 4 0 Z P O unterbrochen, um dem Insolvenzverwalter Zeit und Gelegenheit zu geben, über die Fortführung des Prozesses durch Aufnahme nach §§ 85, 86 InsO zu entscheiden. Im Übrigen sind die Gläubiger für die Dauer des Insolvenzverfahrens an der individuellen Verfolgung und Vollstreckung ihrer Ansprüche gehindert, §§ 87, 201 InsO. Nach der darin zum Ausdruck kommenden Verfahrensstruktur bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Art „Einfrierung" oder Suspendierung der Rechtsverhältnisse. Nicht nur der Gemeinschuldner ist nun gehindert, die ihm zustehenden Rechte in Bezug auf die Insolvenzmasse auszuüben, auch die Gläubiger können die ihnen aus Rechtsverhältnissen zum Schuldner zustehenden Rechte nicht mehr außerhalb des Insolvenzverfahrens ausüben und verfolgen. Ausnahmen bestehen nur, soweit das Gesetz selbst auf den Bestand der Rechtsbeziehung unmittelbar Einfluss nimmt oder den Parteien die Entscheidung über die Fortsetzung der Rechtsbeziehung an die Hand gibt. Ersteres geschieht dadurch, dass das Gesetz das Erlöschen (§§ 115 ff. InsO) oder die uneingeschränkte Fortgeltung bestimmt (§ 108 InsO), Letzteres ist in §§ 103, 107 InsO vorgesehen. Daraus folgt, dass das schuldrechtliche Besitzrecht des Käufers nicht etwa mit Verfahrenseröffnung entfällt, 65 sondern dass es lediglich für die Dauer der Insolvenz suspendiert ist und daher während dieser Zeit gegenüber dem Gemeinschuldner wie dem Insolvenzverwalter keine Wirkung entfaltet. Die Suspendierung endet dagegen und das Recht zum Besitz kann wieder gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden, wenn das Insolvenzverfahren beendet ist oder der Kaufgegenstand freigegeben wurde. Diese Überlegungen treffen im Grunde in gleicher Weise auch auf den Erfüllungsanspruch selbst zu. 66 Wie bereits dargelegt, geht der Erfüllungsanspruch nicht unter, und es obliegt der Entscheidung des Gläubigers, ob er sich auf das Insolvenzverfahren einlässt oder ob er bis zum Abschluss des Verfahrens wartet und seinen Anspruch dann gegenüber dem Gemeinschuldner unmittelbar weiterverfolgt. In jedem Falle aber ist der Erfüllungsanspruch während des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Gemeinschuldner nicht durchsetzbar. Auch gegenüber der Masse kann die Erfüllung ohne den Willen des Insolvenzverwalters nicht erzwungen werden. Der Erfüllungsanspruch ist daher während des Verfahrens zwar existent, aber in seinen Wirkungen ausgesetzt. Daher trifft die VorstelSo aber Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 71 a.E. In diesem Sinne auch bereits O L G Jena, SeuffA 47 (1892) Nr. 87; Schultze, Das Deutsche Konkursrecht, S. 81; vgl. auch Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, § 374 (S. 283): „So erscheint der Concurs, seinem Wesen nach, als ein bloßes Executionsverfahren über eine bestimmte Vermögensmasse, und die Aufgabe des Richters besteht in der Ausgestaltung der Ansprüche der einzelnen Gläubiger auf diese Masse. Auf das endliche Schicksal der Forderungen hat der Concurs keinen Einfluss, so dass jeder Gläubiger, der in demselben ganz oder theilweise ausfällt, sein Recht noch immer gegen den Schuldner geltend machen kann, wenn dieser etwa späteshin neues Vermögen erwirbt". 65
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lung der herrschenden Meinung von der Umgestaltung des Schuldverhältnisses durch die Verfahrenseröffnung in ihrem Kern durchaus das Richtige, nur geht sie mit der Annahme, dass die Erfüllungsansprüche erlöschen, zu weit. Tatsächlich erschöpft sich die Gestaltungswirkung in der Suspendierung des Erfüllungsanspruchs und des aus ihm folgenden schuldrechtlichen Besitzrechts für die Dauer des Verfahrens
Zusammenfassung Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen sich abschließend wie folgt zusammenfassen: 1. Das Gesetz geht in den §§ 854 ff. B G B vom unmittelbaren Besitz als Grundform des Besitzes aus. Unmittelbarer Besitz ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Tatsächliche Sachherrschaft ist dabei die nach der Verkehrsauffassung geachtete Einwirkungsmöglichkeit einer Person auf eine Sache. Die Stellung des Besitzdieners nach § 855 B G B bedeutet demgegenüber keine Ausnahme, sondern eine Klarstellung des § 854 BGB. Mit der Figur des Besitzdieners wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Verkehr die tatsächliche Sachherrschaft in Fällen der Unterordnung unter den Willen eines anderen nicht dem Untergeordneten, sondern dem Weisungsbefugten zuordnet, der die tatsächliche Sachherrschaft durch den seinem Willen unterworfenen als „Werkzeug" ausübt. Der Erbenbesitz nach § 857 B G B stellt eine gesetzliche Fiktion dar, die das Ziel verfolgt, den Nachlass in der Zeit zwischen dem Tode des bisherigen Besitzers und der Besitzergreifung der zu dem Nachlass gehörigen Sachen durch den Erben gegen Eingriffe Dritter zu sichern. Zu diesem Zweck sollen dem Erben die Besitzschutzrechte auch unabhängig von jeglicher Kenntnis vom Erbanfall zustehen. Auch der mittelbare Besitz nach § 868 B G B ist nach der Konzeption des Gesetzes lediglich eine Fiktion, die die Aufgabe erfüllt, dem mittelbaren Besitzer trotz fehlender Sachherrschaft die an den Besitz geknüpften Rechtsfolgen zuzuordnen. Konsequenz dieses Befundes ist die Einsicht, dass die Suche nach einem gemeinsamen Oberbegriff des Besitzes, der sowohl den unmittelbaren, als auch mittelbaren und Erbenbesitz umfasst, ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn und daher müßig ist. Eigen- und Fremdbesitz, Mit- und Teilbesitz sind demgegenüber kombinierbare Unterfälle des unmittelbaren, wie auch des Erben- und mittelbaren Besitzes, die sich im Anschluss an Heck als „Besitzfarben" umschreiben lassen. 2. Der Besitz ist zum einen als eigenständiges Regelungsobjekt in den §§ 854 ff. B G B als eine Art „Allgemeiner Teil" des Besitzrechts vor die Klammer gezogen und findet sich zum anderen als Tatbestandselement in einer Fülle anderer Rechtsinstitute über das Gesetz verstreut. Die Antwort auf die Fra-
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ge nach der inneren Rechtfertigung des possessorischen Rechtsschutzes gemäß §§ 858 ff. BGB ist dabei der Schlüssel zum Verständnis des objektiven Rechts des Besitzes. Diese innere Rechtfertigung findet der allein an die tatsächliche Sachherrschaft anknüpfende Besitzschutz in dem Ziel der Sicherung des allgemeinen Rechtsfriedens. Bis zur rechtlichen Klärung der besseren Besitzberechtigung soll selbst der Eigentümer die faktisch bestehende Besitzlage nicht auf eigene Faust zu seinen Gunsten verändern können, auch wenn sein Ziel mit der endgültigen Besitzzuordnung übereinstimmt. Dass durch den Ausschluss des Faustrechts reflexartig dem Besitzer unabhängig von seiner materiellen Berechtigung ein vorübergehender Kontinuitätsschutz zuteil wird, ist lediglich der Preis, den die Allgemeinheit durch die Rechtsordnung für den Schutz des Rechtsfriedens zahlt. Dadurch erschöpft sich jedoch zugleich der Zweck der Besitzschutzregelungen, so dass über die Sicherstellung des öffentlichen Friedens hinaus dem Kontinuitätsinteresse des Besitzers kein eigenständiges Gewicht zukommt. Dabei kommt dem possessorischen Besitzschutz eine ausgeprägte Präventionsfunktion zu. Die §§ 858 ff. BGB bilden die Grundlage für ein allgemeines Bewusstsein, sich als Besitzstörer selbst bei materiell-rechtlicher Berechtigung zum Besitz unmittelbaren Ansprüchen und Gewaltrechten des Besitzers ausgesetzt zu sehen. Dieses Bewusstsein hält den Einzelnen, neben anderen Motivationen zumindest auch davon ab, einen anderen in dessen Besitz zu stören oder ihm den Besitz gar zu entziehen. Der präventive Charakter des Besitzschutzes erfordert eigene Anspruch des beeinträchtigten Besitzers. Dadurch wird die private Motivation des Besitzers, sich im Besitz der Sache zu halten bzw. den Besitz wiederzuerlangen, für generalpräventive Zwecke instrumentalisiert, so dass der Besitzer zum Sachwalter der Rechtsordnung wird. 3. Der Besitz ist als tatsächliche Sachherrschaft ein Faktum. Aus ihm alleine folgt kein subjektives Recht. Die sich aus dem possessorischen Besitzschutz ergebenden Rechte der §§858 ff. BGB sind ihrerseits als Gewaltrechte bzw. Besitzschutzansprüche zwar subjektive Rechte. Es handelt sich bei ihnen jedoch um sekundäre Rechte, die zur Effektivierung der Präventionsfunktion des possessorischen Besitzschutzes gewährt werden. Ihnen liegt daher kein irgendwie geartetes subjektives „Mutterrecht" des Besitzes zugrunde, aus dem sie fließen. 4. Vom Besitz ist das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB zu unterscheiden. Die verschiedenen Arten der Besitzrechte lassen sich nach ihrem Entstehungsgrund unterscheiden und reichen vom Recht zum Besitz als Bestandteil der Befugnis zur Verwaltung fremder Vermögensmassen über rechtsgeschäftlich begründete Besitzrechte bis hin zum gesetzlichen Besitzrecht des Empfängers unbestellter Waren nach § 241 a BGB. Das Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB ist eine Einwendung und keine Einrede. Das obligatorische Recht zum Besitz lässt sich entgegen der
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herrschenden Auffassung jedoch nicht als „relatives Herrschaftsrecht" im Sinne einer Zwischenform innerhalb der Schuld- und Sachenrechte begreifen, sondern stellt als Recht, die Belassung des Besitzes von dem Verpflichteten verlangen zu können, nichts anderes als einen Anspruch dar, der zum Inhalt der schuldrechtlichen Forderung aus dem zugrundeliegenden Vertrag gehört. § 986 B G B stellt sich danach als Synchronisationsnorm zwischen schuldrechtlicher und dinglicher Ebene dar und bringt zugleich den Einwand dolo agit qui petit quod statim redditurus est zum Ausdruck. Daraus folgt weiter, dass es unzutreffend ist, bei verjährtem Ubereignungs- bzw. Auflassungsanspruch von einem unverjährbaren Recht zum Besitz auszugehen. Tatsächlich erlischt das Recht zum Besitz aus dem Kaufvertrag mit der Geltendmachung der Einrede der Verjährung. Das Recht zum Besitz des Vorbehaltskäufers bleibt auch nach Verjährung der Kaufpreisforderung des Verkäufers bestehen. Entgegen der bisher vorherrschenden Ansicht kann der Vorbehaltsverkäufer die Sache auch nicht analog § 223 B G B a.F. zurückfordern. Anders ist dies nun nach § 216 Abs. 2 S. 2 B G B n. F. Dagegen gewähren Zurückbehaltüngsrechte nach §§273, 1000 B G B ebensowenig ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 B G B wie die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach § 320 B G B . Daran ändert auch weder der Eintritt des Annahmeverzugs des Eigentümers noch das Hinzutreten des Befriedigungsrechts des Besitzers etwas. Der Ausschluss des Vindikationsanspruchs durch §241 a Abs. 1 B G B verfolgt im Interesse eines verbesserten Verbraucherschutzes ebenfalls generalpräventive Zwecke und begründet dadurch ein gesetzliches Recht zum Besitz für den Empfänger unbestellter Waren, aufgrund dessen er die Sache nutzen, gebrauchen und verbrauchen darf. 5. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Besitzrecht des Mieters als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G intendiert und bewirkt keine inhaltliche Neuausrichtung der zivilrechtlichen Institute des Besitzes, des Besitzrechts oder des Besitzschutzes. Die verfolgte grundrechtliche Fundierung des Mieterbesitzes beeinflusst das Privatrecht demgegenüber durch die Figur der mittelbaren Drittwirkung bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln und der unbestimmten Rechtsbegriffe des Mietrechts. 6. Die Aufnahme des possessorischen Besitzschutzes in den §§ 858 ff. B G B war eine sachgerechte Entscheidung bei Abfassung des B G B , die bis heute in einem nicht zu unterschätzenden Maße neben dem Strafrecht zur Aufrechterhaltung und Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols beiträgt. Bei der Ermittlung der Reichweite des possessorischen Besitzschutzes stellt die besondere Präventionsfunktion der §§ 858 ff. B G B einen wichtigen Auslegungsmaßstab dar. So wird allein ein konsequenter Ausschluss der petitorischen Widerklage dem Zweck des possessorischen Besitzschutzes bei gleichzeitiger Wahrung des Zusammenspiels von materiellen und prozessualen Regelungen gerecht. Die gleiche Zwecksetzung gibt letztlich den Ausschlag für den zwin-
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genden Charakter des § 863 BGB, da es für den Störer von vornherein keine Aussicht geben darf, sich in einem späteren Besitzprozess unmittelbar auf die materielle Besitzlage zu berufen. § 864 Abs. 2 BGB bedarf insofern einer teleologischen Reduktion, als das petitorische Recht des Beklagten nicht nur rechtskräftig festgestellt, sondern auch sofort durchsetzbar sein muss. Andernfalls hätte es gerade der rücksichtslose Gläubiger in der Hand, durch eigenmächtiges Verhalten Vollstreckungsschutzmaßnahmen nach §§721, 765 a ZPO auszuhebein. § 864 Abs. 2 BGB ist über seinen Wortlaut hinaus nicht auf lediglich vorläufig vollstreckbare Urteile anwendbar. Dass demgegenüber die possessorische Klage bei Vorliegen einer auf das Recht zum Besitz gestützten einstweiligen Verfügung abzuweisen ist, stellt keinen Widerspruch dar, da die Verfügung für die Dauer ihrer Geltung einen Rechtfertigungsgrund für das Verhalten des Beklagten bildet und dadurch keine verbotene Eigenmacht nach § 858 Abs. 1 BGB gegeben ist. Der Präventionszweck des possessorischen Besitzschutzes verbietet es auch, § 864 Abs. 2 BGB über seinen Wortlaut hinaus auf den Fall anzuwenden, dass das Urteil bereits vor dem eigenmächtigen Handeln des Berechtigten unanfechtbar geworden ist. Auch bei der Frage nach den Gewaltrechten des mittelbaren Besitzers lässt sich der Präventionsgedanke fruchtbar machen. Da aus der Sicht des Störers ein Besitzmittlungsverhältnis nicht ohne weiteres erkennbar ist, geht das Risiko der Drittverteidigung nicht über das allgemeine Risiko der Nothilfe hinaus, so dass mit der überwiegenden Auffassung davon auszugehen ist, dass der mittelbare Besitzer auf die Besitzschutzansprüche nach §§ 869 S. 1, 861, 862 BGB beschränkt ist. Der possessorische Herausgabeanspruch des § 861 BGB ist ebenso wie gegenüber jedem anderen petitorischen Herausgabeanspruch auch von dem Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes an Haushaltsgegenständen nach § 1361 a BGB unabhängig. Der die Herausgabe begehrende Ehegatte hat den possessorischen Anspruch jedoch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor dem zuständigen Familiengericht geltend zu machen. 7. § 1007 BGB stellt sich als positive Entscheidung des Gesetzgebers zur Einräumung weitergehender Herausgabeansprüche dar, die nicht an ein Ursprungsrecht anknüpfen. Die Vorschrift verfolgt den Zweck, für den Normalfall, in dem der Eigentümer oder der berechtigte Besitzer die Herausgabe verlangt, wenn also ein dingliches oder obligatorisches Ursprungsrecht ohnehin gegeben ist, eine erleichterte Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Daneben wird kein weiteres Recht geschaffen. Diejenigen Fälle, in denen der frühere Besitzer nichtberechtigt, aber zumindest bei Besitzerwerb in gutem Glauben an sein Besitzrecht gewesen ist, und welche der § 1007 BGB ebenfalls erfasst, stellen demgegenüber lediglich Ausnahmefälle dar, die in Kauf genommen werden, ohne dass den früheren Besitzern dadurch ein zugrundeliegendes Recht konstitutiv verschafft wird. § 1007 BGB begründet dabei zugleich eine relationale Zuordnung, d.h. eine Rangordnung verschiedener Besitzformen
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innerhalb derer nicht nur vorläufig, sondern endgültig über das Habendürfen der Sache entschieden wird, ohne dass damit die Rechtsbeziehung der Parteien zum wahren Eigentümer oder einem bevorrechtigten Dritten als Oberbesitzer präjudiziert wird. Die Vorschrift ist über ihren Wortlaut hinaus nicht auf Immobilien anwendbar. Durch die Verweisung in § 1007 Abs. 3 S. 2 BGB auf die Vindikationsvorschriften der §§ 986 bis 1003 BGB wird ein „Besitzer-Besitzer-Verhältnis" begründet, wobei der frühere Besitzer im Sinne des § 1007 BGB an die Stelle des Eigentümers in den §§ 986 ff. BGB tritt. Leitet der Beklagte daher sein Besitzrecht, auch nachträglich, von einem Dritten ab, so wirkt dies nach § 986 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB nur dann gegenüber dem Kläger, wenn der Dritte seinerseits dem Kläger gegenüber zum Besitz berechtigt ist. Dies gilt in gleicher Weise, wenn der Beklagte die Sache nachträglich vom Eigentümer gekauft hat, sie ihm aber noch nicht übereignet worden ist. Erst mit Eigentumsübergang kann sich der Beklagte nach §§ 1007 Abs. 3 S. 2, 986 BGB auch dem Kläger gegenüber auf sein Eigentum berufen. Die Verweisung in § 1007 Abs. 3 S. 2 BGB ist nicht nur als negativer Ausschlusstatbestand aufzufassen, sondern wie ein eigenständiger Absatz zu lesen. Daraus ergibt sich, dass bereits im Zusammenhang mit der Prüfung des Eigentumserwerbs in Abs. 2 auch die Frage nach einer besseren Besitzberechtigung nach § 986 BGB zugunsten des Klägers zu erörtern ist. 8. Der Besitz kann Gegenstand der Leistungskondiktion sein. Er ist zutreffend bereits von den Gesetzesverfassern als Vermögenswert erkannt worden und kann daher unabhängig von einer Berechtigung zum Besitz der Kondiktion unterliegen. Auch dem bösgläubigen nichtberechtigten Besitzer können eigene Bereicherungsansprüche aus Leistungskondiktion zustehen. Der Eigentümer selbst hat demgegenüber neben seinem Vindikationsanspruch bezüglich der Sache selbst in der Regel keinen Anspruch auf Nutzungsherausgabe. Der Besitz kann auch Objekt der Eingriffskondiktion sein. Da der Besitz als solcher die Sachherrschaft jedoch nicht dem Inhaber zuweist, kommt nur der berechtigte Besitz als Gegenstand der Eingriffskondiktion in Betracht. Zur Konkretisierung des erforderlichen Zuweisungsgehalts ist entgegen der herrschenden Auffassung jedoch nicht auf das Kriterium der entgeltlichen Gestattungsmöglichkeit, sondern vielmehr darauf abzustellen, ob der Besitzer an Stelle des Eingreifenden gerade zu der konkreten Handlung allein befugt gewesen wäre. Für die Fälle der unberechtigten Untervermietung ist die Einsicht, dass die Entscheidung über eine Untervermietung durch § 540 Abs. 1 BGB allein dem Vermieter zugewiesen ist, von grundlegender Bedeutung. Die Disposition darüber, wer die Mietsache zum selbständigen Gebrauch erhält, ist Ausfluss des Eigentumsrechts. Diese Entscheidungsbefugnis maßt sich der Mieter an, der entgegen § 540 Abs. 1 BGB ohne Erlaubnis des Vermieters die Sache un-
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tervermietet. In dieser Anmaßung liegt daher ein Eingriff in das Eigentum des Vermieters. Dieser hätte zu jedem Zeitpunkt, auch nachträglich, die Erlaubnis erteilen können, so dass es entgegen der Rechtsprechung und Teilen der Literatur nicht darauf ankommt, ob der Vermieter selbst dem Dritten den Gebrauch noch hätte überlassen können. Dem Vermieter steht daher ein Bereicherungsanspruch aus § 8 1 2 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B zu, der entsprechend § 553 Abs. 2 B G B auf eine angemessene Erhöhung des Mietzinses gerichtet und gegebenenfalls nach § 287 Z P O zu schätzen ist. Diese Grundsätze gelten entsprechend bei der unerlaubten Unter-Untervermietung. Hat der Hauptvermieter und Eigentümer dem Erstmieter die Erlaubnis zur Untervermietung uneingeschränkt erteilt, so ist die Entscheidungsbefugnis über die weitere Untervermietung dem Erstmieter übertragen und dadurch zugewiesen. Der Untermieter greift dann in diese Dispositionsbefugnis des Erstmieters ein, wenn er ohne dessen Erlaubnis an einen Vierten weitervermietet. Dem Erstmieter steht dann ein Anspruch auf erhöhten Mietzins nach §§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., 818 Abs. 2 B G B gegen den Untermieter zu. Hat der Eigentümer und Hauptvermieter dagegen seine Erlaubnis zur Untervermietung auf die erste Untervermietung beschränkt, so stehen ihm Bereicherungsansprüche zu, wenn der Untermieter unberechtigt weitervermietet oder der Hauptmieter dem Untermieter unberechtigt die Weitervermietung gestattet. Das bloße Recht auf Besitz desjenigen, der sich noch nicht im Besitz der Sache befunden hat, ist keine hinreichende Grundlage für den bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt, weil hier die Interessen der beteiligten Verkehrskreise an der Klarheit und Erkennbarkeit der Vermögensverhältnisse vorgehen. Dem Besitz kommt auf der Ebene des Bereicherungsrechts eine Begrenzungsfunktion zu, indem der Konflikt zwischen mehreren potenziellen Bereicherungsgläubigern gelöst wird. Durch die Ubergabe der Sache wird diejenige Person individualisiert, der aufgrund einer schuldrechtlichen Zuordnung der Besitz als Vermögen gebührt. Die von der herrschenden Ansicht vorgenommene Grenzziehung zwischen den schutzlosen Verschaffungsansprüchen und dem berechtigten Besitz erweist sich damit im Ergebnis als zutreffend. Der für die Eingriffskondiktion erforderliche Zuweisungsgehalt besteht ohne ein Recht zum Besitz nicht. Dies gilt auch für den gutgläubigen Besitzer sowie für den Inhaber eines Zurückbehaltungsrechts nach §§ 2 7 3 , 1 0 0 0 B G B , selbst wenn der Besitzer zusätzlich das Befriedigungsrecht nach § 1003 B G B erlangt. Der gutgläubige Eigenbesitzer erwirbt dagegen nach § 955 B G B mit der Trennung das Eigentum an den Erzeugnissen und sonstigen Früchten der Sache, so dass ihm schon in seiner Eigenschaft als Eigentümer Kondiktionsansprüche zustehen, ohne dass es auf seine Stellung als unberechtigter Besitzer ankommt.
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Der Inhalt des Bereicherungsanspruchs ist bei der Leistungskondiktion auf die Wiedereinräumung der tatsächlichen Sachherrschaft gerichtet. Für gezogene Nutzungen hat der Empfänger nach § 818 Abs. 1, Abs. 2 B G B Wertersatz zu leisten. Bei der Eingriffskondiktion richtet sich der Umfang des Bereicherungsanspruchs strikt nach Inhalt und Reichweite der Besitzberechtigung. Genießt der Eingreifende gegenüber dem Eigentümer das Privileg des § 993 Abs. 1 B G B , so muss diese Privilegierung allerdings auch im Verhältnis zu einem berechtigten Besitzer als Kondiktionsgläubiger ihre Wirkung entfalten. Sofern der auf Herausgabe gerichtete Kondiktionsanspruch mit dem Vindikationsanspruch des Eigentümers konkurriert, ist von einer generellen Gleichrangigkeit der Ansprüche auszugehen. Der Schuldner kann daher an den O b ligationsgläubiger ebenso herausgeben wie an den Eigentümer, ohne sich jeweils im Verhältnis zu dem anderen schadensersatzpflichtig zu machen bzw. seinen Bereicherungsanspruch auf die Gegenleistung einzubüßen. 9. Als unselbständiger Bestandteil des Eigentums ist der Besitz nach § 823 Abs. 1 B G B geschützt. Gleiches gilt für die beschränkt dinglichen Rechte als „sonstige Rechte", soweit sie ein Recht zum Besitz begründen, §§ 1065, 1227 B G B . Dagegen scheidet der Besitz als solcher als taugliches Schutzobjekt aus, da er als reines Faktum eines subjektiven Rechts entbehrt. Das obligatorische Recht zum Besitz ist als schuldrechtliche Forderung ebenso wenig nach § 823 Abs. 1 B G B geschützt, wie Forderungen auch sonst keinen allgemeinen Deliktsschutz genießen. Daran ändert auch der possessorische Besitzschutz nach Übergabe nichts, weil die §§858 ff. B G B der Erhaltung des allgemeinen Rechtsfriedens dienen und daher auch dem unberechtigten Besitzer zustehen. Diese Vorschriften bezwecken folglich keine spezifische Aufwertung des berechtigten Besitzes, so dass sich daraus kein allgemeiner deliktischer Drittschutz ableiten lässt. Da auch die gesetzlichen Ansätze absoluter Wirkungen relativer Rechte in den §§ 566, 986 Abs. 2 B G B keine ausreichende Grundlage eines allgemeinen Drittschutzes sind, kann das schuldrechtliche Recht zum Besitz nicht als „sonstiges Recht" nach § 823 Abs. 1 B G B angesehen werden. Eine Erweiterung des Kreises der sonstigen Rechte im Wege der Rechtsfortbildung ist angesichts der gesetzgeberischen Grundentscheidung gegen eine umfassende deliktische Generalklausel nicht gerechtfertigt, da anderweitige Anspruchsgrundlagen und Schutzmechanismen eine ausreichende Sicherung der Interessen des Berechtigten gewährleisten. Im Verhältnis zu seinem Vertragspartner wird der berechtigte Besitzer durch die ihm zustehenden Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche geschützt. Soweit dem Besitzer Vermögensschäden entstehen, die durch Eingriffe Dritter ausgelöst werden und für die der Vertragspartner des Dritten nicht einzustehen hat, sind diese im Wege der Drittschadensliquidation zu regulieren. Die zufällige Verlagerung des Nutzungsschadens vom Eigentümer auf den Besitzer darf den Schädiger nicht ungerechtfertigt privilegieren.
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Auch der unberechtigte, aber gutgläubige Besitzer bleibt bei Versagung deliktischer Ansprüche nicht sachwidrig ohne Schutz. Ein Ersatz des Nutzungsschadens kommt nicht in Betracht, weil dem Besitzer mangels Besitzrecht keine Nutzungsmöglichkeiten zugewiesen sind. Ein eventueller Verwendungsschaden kann entweder als Teil des Nichterfüllungsschadens gegen den Vertragspartner des Besitzers geltend gemacht werden oder als Verwendungsanspruch dem Eigentümer entgegen gehalten werden, wenn dieser den vollen Sachwert gegenüber dem Schädiger liquidiert. Einen eventuellen Haftungsschaden kann der unberechtigte Besitzer selbst kontrollieren, indem er die Sache rechtzeitig zurückgibt. Eine Verantwortlichkeit des unberechtigten Besitzers für Verschlechterungen der Sache oder die Unmöglichkeit der Herausgabe kommt ohnehin nur in Betracht, soweit der Besitzer nicht redlich und unverklagt ist, § 993 Abs. 1 BGB. Bei deliktischem Besitz besteht im übrigen die Möglichkeit des gesamtschuldnerischen Innenausgleichs der Schädiger nach §§ 840 Abs. 1, 426 Abs. 1 BGB. § 858 BGB ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB insoweit, als der allgemeine Rechtsfriede durch das Verbot der Eigenmacht gesichert werden soll. Zu diesem Zweck wird der bisherige Besitzer, unabhängig von einer Besitzberechtigung, als Sachwalter der Rechtsordnung instrumentalisiert, um eine bestimmt Art und Weise der Besitzänderung, nämlich die auf eigene Faust herbeigeführte, zu unterbinden. Daher kann es nicht um das Interesse des bisherigen Besitzers an der Aufrechterhaltung seiner bisherigen Rechtslage gehen, sondern nur um den Ersatz solcher Schäden, die sich mit dem Präventionszweck des possessorischen Besitzschutzes vereinbaren lassen und daher unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm über §§ 858 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB ersatzfähig sind. Der Kreis der möglichen Schadenspositionen beschränkt sich danach zum einen auf den Anspruch auf Naturalrestitution, d.h. auf Herausgabe der entzogenen Sache oder Beseitigung der eingetretenen Störung und zum anderen auf den Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zur Durchsetzung der Besitzschutzansprüche. Ein eigenständiger Schutz des vom Eigentümer verschiedenen Gewahrsamsinhabers kommt auch über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 242 StGB nicht in Betracht, da der Diebstahlstatbestand allein das Eigentum schützt. Anders ist dies beim Delikt des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs. Da § 248 b StGB auch den Schutz des Gebrauchsrechts bezweckt, kann etwa der Mieter eines Kraftfahrzeugs Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 248 b StGB gegen den Täter geltend machen. Weitere Ansprüche sind in engen Grenzen nach § 826 BGB und nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG möglich. 10. Für die Frage, inwieweit der Besitz ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO darstellt, ist der traditionelle Streit über das materiell-rechtliche oder prozessuale Verständnis der Drittwiderspruchsklage letztlich nicht ergiebig. Bei der Bestimmung des „die Veräußerung hin-
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dernden Rechts" wird der Blick zu sehr auf die Position des Schuldners gerichtet und gefragt, ob er durch die Veräußerung des Vollstreckungsgegenstandes widerrechtlich in den Rechtskreis des Dritten eingreifen würde. Der Charakter der Drittwiderspruchsklage als Korrektiv des formalen Vollstreckungszugriffs legt es stattdessen nahe, stärker die Situation des Dritten in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 Z P O liegt danach dann vor, wenn der Dritte geltend machen kann, dass die Sache nicht zum Vermögen des Schuldners gehört und dem Dritten ein dingliches oder schuldrechtliches Recht zum Besitz der Sache zusteht, das gerade durch die Vollstreckung beeinträchtigt würde. Danach kommt etwa dem Mieter eines Grundstücks kein Interventionsrecht zu, da der Ersteher bei der Zwangsversteigerung mit dem Zuschlag das Eigentum am Grundstück erwirbt und gemäß §§ 57 Z V G , 566 B G B in den Mietvertrag eintritt. Anders ist die Situation bei Mobilien, da der Erwerber den Gegenstand im Rahmen der Verwertung durch staatlichen Hoheitsakt erwirbt und insbesondere § 986 Abs. 2 B G B nicht anwendbar ist. Für den besitzenden Dritten bestehen danach die Rechtsbehelfe der Drittwiderspruchsklage nach § 771 Z P O und der Erinnerung gemäß § 766 Z P O selbständig nebeneinander. Das Widerspruchsrecht des herausgabebereiten Dritten ist allerdings am Maßstab des venire contra factum proprium auszurichten. Dies hat zur Folge, dass eine spätere Widerspruchsklage bei vorangegangener Herausgabe in Kenntnis des Interventionsrechts dem Gebot von Treu und Glauben widerspricht, § 242 B G B , bei Vorliegen eines Irrtums über das Interventionsrecht jedoch möglich bleiben kann. Befindet sich der Dritte umgekehrt in der Rolle des Vermieters einer beweglichen Sache, so steht ihm im Falle des Vollstreckungszugriffs auf die beim Schuldner als Mieter befindliche Sache ein Interventionsrecht zu, da der Schuldner nicht Eigentümer der Sache ist und das persönliche Nutzungsrecht aus dem Mietvertrag allenfalls nach §§857 Abs. 1, 828 ff. Z P O Vollstreckungsgegenstand sein kann, wenn die Untervermietung gestattet ist. Die Legitimation des Dritten, die Nichtzugehörigkeit der Sache zum Vermögen des Schuldners geltend zu machen ergibt sich aus dem Umstand, dass der Dritte als Vermieter seinen Rückforderungs- bzw. Herausgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 B G B durch die Verwertung verlieren würde. Diese Grundsätze gelten ohne Rücksicht darauf, ob der Dritte seinerseits gegenüber dem Eigentümer zum Besitz berechtigt ist. Ist der Schuldner unberechtigter Besitzer, hat auch der Mieter das Drittwiderspruchsrecht, da sein Nutzungsrecht durch die Verwertung der Sache bedroht ist. Auf etwaige Herausgabeansprüche des Mieters aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. B G B oder § 1007 B G B kommt es erst an, wenn dem Dritten selbst kein Nutzungsrecht zusteht. Verschaffungsansprüche gewähren demgegenüber grundsätzlich kein Interventionsrecht, weil Eigentum und Besitz nach wie
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vor dem Vermögen des Schuldners zugeordnet sind. In Ausnahmefällen kann dies allerdings anders sein. Hat der Schuldner etwa einen vermieteten Gegenstand noch vor Ubergabe an den Mieter beim Vermieter gestohlen, so kann auch der Mieter, unabhängig vom Vermieter, gegen die Zwangsvollstreckung vorgehen. Bei der Räumungsvollstreckung nach § 885 ZPO benötigt der Vollstreckungsgläubiger grundsätzlich für jeden, der sich im Gewahrsam der herauszugebenden Sache befindet, einen eigenen Vollstreckungstitel. Entgegen der nach wie vor herrschenden Auffassung gilt insoweit bei Ehegatten, die sich im Mitbesitz der Wohnung befinden, nichts anderes. Wird die Räumungsvollstreckung aus einem gegen den Mieter gerichteten Titel auch gegen einen Mitbesitzer betrieben, obwohl dazu ein eigener Titel gegen diesen erforderlich ist, so steht dem Mitbesitzer die Erinnerung nach § 766 ZPO zur Verfügung. Die Drittwiderspruchsklage tritt als selbständiger Rechtsbehelf nur dann daneben, wenn der Mitbesitzer ein eigenes Besitzrecht gegenüber dem vollstreckenden Gläubiger geltend machen kann und sich nicht allein auf seinen faktischen Mitbesitz beruft. 11. Die insolvenzrechtliche Aussonderung nach § 4 7 InsO zeigt insofern eine Parallele zur Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO, als es in beiden Fällen darum geht, die Schuldnerfremdheit eines Vermögensgegenstandes geltend zu machen und eine positive Legitimation des Dritten erforderlich ist, diesen Einwand der Schuldnerfremdheit erheben zu können. Notwendig ist daher auch für die Aussonderung eine zumindest gegenüber dem Schuldner bessere materielle Berechtigung an dem Gegenstand. Diese Legitimationsfunktion können zwar die petitorischen Herausgabeansprüche nach § 1007 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB, nicht jedoch die possessorischen Besitzschutzansprüche der §§ 861 f. BGB erfüllen. Für die Frage, ob Bereicherungsansprüche ein Aussonderungsrecht gewähren, ist nach dem Gegenstand der Kondiktion zu unterscheiden. Richtet sich die Kondiktion auf die Rückübertragung des Eigentums, handelt es sich um einen schlichten Verschaffungsanspruch, der die gegenwärtige Zuordnung des Gegenstandes zum Vermögen des Schuldners unberührt lässt. Wird dagegen lediglich der Besitz kondiziert, kann der Gläubiger aussondern. Bei der Verteidigung des Besitzes an einer verkauften, aber noch nicht übereigneten Sache gegenüber dem die Herausgabe verlangenden Insolvenzverwalter ist zwischen dem Eigentumsvorbehaltskauf und dem Kauf ohne Ubereignungsbedingung zu unterscheiden. Mit dem In-Kraft-Treten der neuen Insolvenzordnung wurde der Streit um die Behandlung des Eigentumsvorbehalts im Konkurs des Verkäufers beendet. Nach § 107 Abs. 1 S. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter kein Ablehnungsrecht mehr und ist daher auf Verlangen des Käufers zur Erfüllung des Kaufvertrages verpflichtet. Bei der Frage nach dem Aussonderungsrecht des Käufers im Falle fehlender Ubereignungs-
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bedingung ist von der Erkenntnis auszugehen, dass das Recht des Käufers zum Besitz der Kaufsache auf seinem Erfüllungsanspruch aus dem Kaufvertrag beruht. Daher muss das Recht zum Besitz auch in der Insolvenz des Verkäufers das Schicksal des Erfüllungsanspruchs teilen. Entgegen der bisher überwiegenden Auffassung ist davon auszugehen, dass der Erfüllungsanspruch des Gläubigers auch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen bleibt. Daher entfällt das Besitzrecht des Käufers auch nicht mit Verfahrenseröffnung. Es ist jedoch für die Dauer der Insolvenz suspendiert und entfaltet daher während dieser Zeit gegenüber dem Gemeinschuldner wie dem Insolvenzverwalter keine Wirkung.
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Stichwortverzeichnis A b s o l u t h e i t des Rechts 283 f. A b t r e t u n g 226, 2 9 7 f f . , 302, 307 Actio Publiciana 180 A l l g e m e i n e Geschäftsbedingungen 42, 44, 123 Alleinbesitz 304 A n n a h m e v e r z u g 110 f. Arglist 92 A u f b e w a h r u n g s p f l i c h t 110, 115 f. A u f l a s s u n g s a n s p r u c h 92, 102, 105 f., 122 A u f r e c h n u n g 298 A u s s o n d e r u n g 237, 286, 298, 321, 3 5 2 f f . A u s ü b u n g s ü b e r l a s s u n g 98 ff. Befriedigungsrecht I I I f . , 253 Bereicherungsrecht 126, 2 0 7 f f , 358 Besitz - B e g r e n z u n g s f u n k t i o n 249 - begriff, relativer 8 f. - berechtigter 212 f., 271 f., 2 9 3 f f , 311 - bösgläubiger 62, 194, 212, 2 2 3 f f , 233, 250 - diener 8 f., 11 f., 17, 21 f., 26, 347, 349 - e i n w e i s u n g 154 - entziehung 25, 62 ff., 73 f., 270, 304, 312 f., 321 - f o r m e n 11 ff., 194 - k o n d i k t i o n 208 ff., 255, 359 - mittelbarer 6 ff., 15 ff., 27, 60 f., 85, 168 ff., 222, 232, 263 ff., 320 ff., 326 ff. - mittlungsverhältnis 16, 21 f., 113, 170, 192, 206, 326 - nachfolger 53 f. - nichtberechtigter 226, 232 f., 250 f., 268, 273, 3 0 0 f f , 310 - rechtsgrundloser 212, 225 f., 271 - rechtsklage 184 f. - schütz, petitorischer 47, 155 ff .,175 ff, 214, 224, 2 3 3 , 2 7 3 f., 313
-
schütz, possessorischer 9 f., 17, 28 f., 42, 47,49, 1 3 8 , 1 5 2 f f . , 196ff., 208 f., 232, 272, 276f., 304, 312f., 321, 344, 354 ff. - Störung 35, 37, 40, 47, 54, 62, 64, 73 ff., 160 f., 321 - Übertragung 55 f., 220, 363 f. - unentgeltlicher 225, 250, 272 - unmittelbarer 6 f f , 11, 16 f., 19 f., 31, 85, 169 f., 261 ff., 326, 339 Betriebsgeheimnis 63 C o n d i c t i o possessionis 208 ff. C o n d i c t i o sine causa 208 Deliktsrecht 42, 229 f . , 2 5 8 f f . Diebstahl 18, 23f., 41, 274f., 3 1 4 f . Doloagit 100,103 D r i t t w i d e r s p r u c h s k l a g e 216, 3 1 8 f f . Drittschadensliquidation 2 9 4 f f , 306 Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 117, 250, 254, 291 Ehegatten 79 f., 170 ff., 304 f, 346 ff. Eigenbedarf 1 2 9 f f „ 137f., 144f. Eigenbesitz 9 f., 23, 38, 47, 53, 58, 92, 186 f., 190 ff., 215 f., 2 5 1 , 3 2 9 Eigenmacht, verbotene 41 f., 62 f., 73 f., 155 ff., 163 f., 188, 259, 273 f., 309 ff., 341 f., 354 ff. Eigentum - des M i e t e r s 128 ff. - s v e r m u t u n g 38, 178, 182, 190, 233, 280 - svorbehalt 104 ff., 122, 127, 202 f., 264, 283, 307, 359ff. E i n g r i f f s k o n d i k t i o n 194, 212 ff., 2 2 6 f f , 253 ff., 277, 344, 359
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Stichwortverzeichnis
Einrede - des nichterfüllten Vertrages 113 f. - Recht zum Besitz als 8 2 , 8 5 , 1 0 6 , 1 0 9 Einwendung - Recht zum Besitz als 82 f., 85 ff., 106, 109 - petitorische 155 ff., 199 ff. Erbenbesitz 13, 17 f., 27, 56 f. Ersitzung 29, 34, 38, 47, 49, 58, 62, 102, 178 ff., 186 ff. Ersitzungsbesitz 178, 186 f., 324 Erinnerung 326, 330 ff., 339f., 350 f.
Haustierhaltung 146 Herausgabeanspruch 39, 47, 81 ff., 100, 119 ff., 171 ff., 179 ff., 339, 342 f. Herrschaftsrecht 83, 8 8 f f , 185, 235 f., 276 ff. Individualschutz 3 1 1 , 3 1 5 Insolvenz 237, 286 f., 352 ff. Irrtum 340 f.
Fahrnisklage 182 Fernabsatzrichtlinie 115, 117 f. Feststellungsklage 164, 261 Fiktion 13 ff., 60, 190, 243 f. Forderung
Leasing 138, 266 f., 299, 307 Leistungskondiktion 212, 217 f f , 253 ff. Lizenznehmer 242
- als sonstiges Recht 277 ff. - Besitz als 140 f. - szuständigkeit 278 Fremdbesitz 18, 100, 181, 186 ff., 215 ff., 250, 324, 329 Friedensschutz 37, 40ff Furtum usus 315 Gebrauchsrechte 96 f. Geschäftsgeheimnis 63 Geschäftsunfähige 61 Generalklausel, deliktische 258 ff. Geschäftsführung ohne Auftrag 61, 117, 126, 169 Gestaltungsklage, prozessuale 323, 325, 330 ff. Getrenntleben von Ehegatten 171 ff., 304 f. Gewahrsam 18 ff., 315, 318, 321 f., 332, 334, 347 ff. Gewahrsamsgehilfe 19, 22 Gewahrsamshüter 19, 22 Gewalt, tatsächliche 7 ff., 20ff., 55, 273 Gewerbebetrieb 228, 247, 292 f. Gewere 57, 179 f., 182 Grundbuch 58 f., 178, 280, 335, 338, 351 Haftungserleichterung 117 Handlung, unlautere 123 Hausratsgegenstände 8 0 , 1 7 1 f f , 304
Kombinationstheorie 67, 74 Konkurs 283 f., 360 ff. Kontinuitätsfunktion 29
Markenlizenz 242 Materiellrechtliche Theorie 320 ff. Miete 16, 81 ff., 95 ff., 128 f f , 185, 187 f., 195 ff., 234ff, 261 f., 265 ff., 279, 293 f., 302 f., 305 ff., 337ff., 342 ff. Mitbesitz 18, 64, 80, 174, 265 f., 304, 319, 346 ff. Mitverschulden 117 Notwehr 43, 169 Nutzung(en) 110, 186, 188, 221 f., 223 f., 237, 250 ff., 267 ff., 274 f., 291, 300, 310 Nutzungsbefugnis 96, 126, 140 Nutzungsersatzanspruch 267, 300, 308, 369 Objektnutzung (des Mieters) 136 Obligationsgläubiger 255 ff. Öffentliche Ordnung 42 Pfandrecht 28, 59, 80, 98, 111 f., 185 ff., 234, 298 Pfändung 321 ff., 325 ff., 330 f., 335 f., 339 f. Präventionsfunktion 7, 42 ff., 153 f., 171, 312, 357 Produkthaftung 316 Prozessführungsbefugnis 191, 216, 328 Prozessrechtliche Theorie 325, 332 Prozessstandschaft 190 ff., 216 f., 322 f., 328 f.
Stichwortverzeichnis P u b l i z i t ä t s f u n k t i o n 28 ff., 2 7 9 f f . R ä u m u n g s v o l l s t r e c k u n g 346 ff. R e a l a k t 55, 61, 80, 87, 127 Recht - absolutes 50, 69, 72 f., 184 ff., 234 ff., 256, 270 ff., 282 - dingliches 57, 81, 88 ff., 103, 184 ff., 281 ff., 322 - relatives 88 ff., 184 ff., 235 f., 276 ff. - sonstiges 2 ß 8 f f - subjektives 50f., 6 6 f f . , 71> ff., 256 - z u m Besitz 49, 70, 7 9 f f , 103 ff., 140, 184 ff., 199 f f . , 2 3 4 f f , 276 Rechts - a u s ü b u n g 98 - b e d i n g u n g 94 f. - frieden 37, 40f., 312 - nachfolger 52 ff., 189, 201, 285 - scheintatbestand 29 - Vorgänger 52 ff. -
Zuständigkeit 98
R e d u k t i o n , geltungserhaltende 42, 44 f., 123 Rei vindicatio 49, 83, 91 R ö m i s c h e s Recht 57, 81, 83, 152 f., 180 Sachfrüchte 250 f. Sachherrschaft 5 ff., 18 ff., 26 f., 50 f., 56, 64 f., 73 ff., 169, 220 ff., 234 ff., 246 f., 252, 273, 314, 335 Schaden(sersatz) 63, 110, 113, 130, 242, 255, 258 ff., 294 ff. Schenkung 8 0 , 1 1 9 , 1 2 6 Schmerzensgeld 56 Schutzgesetz 263 f., 284, 3 0 9 f f . Selbsthilfe 28, 41, 64, 78, 156, 168 ff., 273 Sitten, gute 43, 316 Störer 26 f., 46 f., 72 ff., 156 ff., 163 f., 196, 312 Tausch 1 1 3 , 3 0 7 Teilbesitz 1 8 , 6 0 Traditionsprinzip 30, 280, 282 Trennungsprinzip 49, 100 Treuhand 88, 296, 298 f., 335 U b e r b e l e g u n g 132 f.
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U n t e r l a s s u n g s a n s p r u c h 63 f., 72, 101, 161, 229 f., 2 8 3 , 3 2 8 U n t e r s c h l a g u n g 18, 25, 27 Veränderungen, bauliche 134 f., 146 Verbotsrecht 72 f., 75, 77 Verdinglichung 95, 136, 198, 214, 2 8 1 f f , 322, 327 Verfassungsbeschwerde 129ff., 141 Verfügung, einstweilige 153 f., 166 V e r f ü g u n g s b e f u g n i s 49, 126, 130, 139, 191,364,371 Verjährung 53, 84, 92, 98, 101 ff., 122 Verkehrsauffassung 6 f., 11, 14, 17, 19, 21 Vermietung 58, 82, 201, 237ff., 248 f., 253, 342 f., 346 Vermögensbegriff 218 f. Verpachtung 58 Verpflichtungsgeschäft 86 f., 103 f., 239 Verträge, gemischte 96 V e r w e n d u n g s e r s a t z 54, 108, 111 f., 224, 301 f . Vindikation 83 ff., 89 ff., 106 ff., 182, 193, 215, 254 ff. Vorbehaltskäufer 104 ff., 359 ff. Ware, unbestellte 79 ff., 111, 115 f f . W e i s u n g s g e b u n d e n h e i t 26 Wettbewerbsrecht 45, 115 f., 118, 123, 229 f., 292 W i d e r k l a g e , petitorische 157 ff. W i l l e n s e r k l ä r u n g 55, 80, 116, 125, 127, 366 W o h n u n g 16, 19, 128 ff., 195 ff., 210 f., 237ff., 346 ff. Zeichenfunktion 9f., 28 Z u r ü c k b e h a l t u n g s r e c h t 106 f f . , 1 5 6 , 2 5 2 , 286, 2 9 1 , 3 7 0 Zustandsverantwortlichkeit 26 Z u w e i s u n g s g e h a l t 213, 2 2 6 f f . , 253 f., 261, 271 ff., 276, 291 Zwangsversteigerung 319, 337, 342, 363 Zwangsvollstreckung 160 f., 167, 188, 218, 283 f., 319, 321, 3 2 7 f f „ 3 3 4 f f . , 346ff., 353 ff.
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