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German Pages 275 [276] Year 2004
Beschränkung des Flughafenbetriebs Planfeststellungsverfahren Raumordnungsrecht
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 163
Beschränkung des Flughafenbetriebs Planfeststellungsverfahren Raumordnungsrecht Vorträge auf den Fünften Speyerer Planungsrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 19. bis 21. März 2003 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Herausgegeben von
Jan Ziekow
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-11489-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der vorliegende Band fasst die Vorträge zusammen, die auf dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag am 19. März 2003 und den Fünften Speyerer Planungsrechtstagen vom 19. bis 21. März 2003 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer stattfanden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltungen waren Vertreter aller Ebenen der Verwaltung, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, von Planungsträgern und -büros, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Meine Sekretärin, Frau Ruth Nothnagel, hat sachkundig die Formatierung des Bandes übernommen; hierfür sei ihr gedankt. Darüber hinaus gebührt meinen Sekretärinnen, Frau Nothnagel und Frau Kögel, meiner Assistentin Frau Privatdozentin Dr. Annette Guckelberger sowie den Herren Wissenschaftlichen Referenten Dr. Thorsten Siegel, Martin-Peter Oertel, Mag. rer. pubi., und Alexander Windoffer herzlicher Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung.
Speyer, im Januar 2004
Jan Ziekow
Inhaltsverzeichnis
Nachtflugverbote im Luftverkehr - Versuch einer Systematisierung Von Markus Deutsch, Frankfurt a.M
9
Anforderungen der Betriebsbeschränkungsrichtlinie und ihrer Umsetzung in das deutsche Recht Von Wilhelm Stoffel,
Köln
49
Die Berücksichtigung der Lärmklassifizierung von Flugzeugen in der Flughafenplanung Von Volker Gronefeld,
München
71
Naturschutzrechtliche Anforderungen in der Fachplanung - eine Bestandsaufnahme nach der Novellierung des BNatSchG Von Günter Halama, Leipzig
93
Erheblichkeit von Abwägungsmängeln Von Ingo Kraft,
München
105
Gestaltungsspielräume der Planfeststellungsbehörde im Verfahren und im Beschluss Von Michael Kromer, Karlsruhe
123
Die Bedeutung der Plangenehmigung nach der Novellierung des Rechts der UVP Von Bertram Walter, Halle
135
Vereinbarungen in Ergänzung zum Planfeststellungsverfahren Von Holger Steenhoff
Lahr
145
Inhaltsverzeichnis
8
Probleme der „landesplanerischen Letztentscheidung" im System der Raumordnungsplanung Von Reinhard Hendler, Trier
153
Die Anwendung raumordnerischer Verträge Von Christian Specht, Mannheim
171
Windkraftanlagen in der Regionalplanung Von Martin Maslaton, Leipzig
185
Die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen Von Caspar David Hermanns, Berlin
203
Datenschutz in der Raumplanung Von Wolfgang Durner, München
217
Aktuelle Entwicklungen im Recht der Verbandsklage Von Thomas Wilrich, Verzeichnis der Autoren
Frankfurt a.M
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Nachtflugverbote im Luftverkehr - Versuch einer Systematisierung Von Markus Deutsch
I. Einleitung Im Zusammenhang mit anstehenden Ausbauvorhaben im Bereich der Flughafeninfrastruktur 1 und dem starken Anstieg nächtlicher Flugbewegungen2 hat die Diskussion um Nachtflugbeschränkungen eine neue Dimension bekommen. Sie dreht sich vor allem um das bei dem anstehenden Ausbau des Flughafens Frankfurt vorgesehene Verbot planmäßiger Flugbewegungen zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr 3 . Ein solches Nachtflugverbot hätte auf die Hauptdrehscheibe des internationalen Luftverkehrs in Deutschland weitreichende Auswirkungen. Es würde zu einem Wegfall nahezu der gesamten nächtlichen Fracht- und Postflüge fuhren. Die Touristikflüge wären ebenfalls erheblich beeinträchtigt. Zudem werden Folgewirkungen auf anderen deutschen Flugplätzen eintreten. Zum einen werden dort voraussichtlich Nachtflugbewegungen zunehmen (und zu neuen Lärmproblemen fuhren), um den in Frankfurt ausgeschlossenen Verkehr aufzunehmen. Zum anderen wird der Druck auf Zulassungsbehörden und Flugplatzbetreiber wachsen, ähnlich weitreichende Beschränkungen wie in Frankfurt einzurichten. Die nachfolgenden Ausführungen sind eine vertiefende Darstellung des Vortrags vom 19. März 2003. Rechtsprechung und Literatur sind bis 9/2003 berücksichtigt, in Einzelfallen auch darüber hinaus. 1 Flughafenkonzept der Bundesregierung, Entwurf vom 30.8.2000, S. 19, das den Ausbau der Flughäfen von Frankfurt, München, Düsseldorf und Berlin vorsieht; zu dem Konzept Schmidt, Die Luftverkehrskonzepte der Bundesregierung, in: Koch, Umweltprobleme des Luftverkehrs, 2003, S. 59, 60 f.; Koch / Wieneke, NVwZ 2003, 1153, 1154 f. 2 Im Jahre 1984 verzeichnete etwa der Flughafen Frankfurt noch 12.440 nächtliche Flugbewegungen, im Jahr 1999 44.795 (Mediationsgruppe Frankfurt / Main, Endbericht, Stand: 31.1.2001, S. 24) und im Jahr 2001 bis einschließlich August immerhin bereits 31.455, Bescheid des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 24.9.2001 - VI 8 - 66 m 04.03.02.07 - S. 10; zu den Prognosen über die Verkehrsentwicklung Koch / Wieneke, NVwZ 2003, 1153. 3 Mediationsgruppe Frankfurt / Main, Endbericht a.a.O. (Fn. 2), S. 147 f.
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Die beabsichtigte Beschränkung schlägt sich auch in der rechtlichen Diskussion nieder. Juristisch stand bisher die Frage nach einem Anspruch der Flughafenanlieger auf Einführung von Nachtflugbeschränkunken im Vordergrund. Nun geht es um die Frage nach der Grenze für solche Beschränkungen. Ihr wird im Folgenden nachgegangen. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben werden dabei nicht behandelt. Auch die Problematik der Gesundheitsgefährdung durch nächtlichen Fluglärm 4 ist nicht Gegenstand der Untersuchungen. Es geht allein um die maximale Grenze für Nachtflugverbote. Hinter dem Schlagwort „Nachtflugverbot" verbergen sich ganz unterschiedliche Regelungen. Von einem Nachtflugverbot ist im Folgenden die Rede, wenn Flugbewegungen aller regulären (planmäßigen) Verkehre ausgeschlossen sind. Ein absolutes Nachtflugverbot bezieht sich auf die gesamte Nachtzeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr. Ein begrenztes Nachtflugverbot ist auf einen Teil der Nacht begrenzt (ζ. B. auf den Zeitraum zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr). Nachtflugbeschränkungen fuhren dagegen nicht zu einem völligen Ausschluss von Flugbewegungen. Sie verbieten bestimmte Bewegungsarten (ζ. B. nächtliche Starts oder Landungen) oder die Verwendung bestimmter Flugzeugtypen oder verweisen Bewegungen auf bestimmte Bahnen eines Flugplatzes. Typische Nachtflugbeschränkungen sind Lärm- 5 und Bewegungskontingente6.
II. Rechtslage 1. Die Notwendigkeit von Nachtflügen Für Nachtflüge gibt es eine Reihe von Gründen.
4 Dazu Ortscheidt / Wende, Fluglärmwirkungen, Umweltbundesamt, 2000, S. 11, 20; Dolde, ZfL 2003, 88, 122; Berkemann, ZUR 2002, 202 ff.; Quaas, NVwZ 1991, 16; Schmidt, Rechtsfragen bei der Ermittlung und Bewertung von Fluglärm, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts, Band 12 (1990), S. 159 ff.; zum Stand der Lärmwirkungsforschung und mit Vorschlägen für ein Schutzkonzept Grief ahn / Jansen / Scheuch / Spreng, ZfL 2002, 171 ff. 5 Bei einem Lärmkontingent wird eine höchstzulässige Lärmmenge festgelegt. Es wird ferner bestimmt, welcher Anteil dieser Lärmmenge durch einzelne Flugzeugtypen „verbraucht" wird. Überschreitungen des Kontingents werden sanktioniert. Eine Lärmkontingentierung ist etwa für den Flughafen Frankfurt am Main mit Bescheid des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 24.9.2001 (Fn. 2) festgelegt worden. 6 Beim Bewegungskontingent wird die Zahl der Bewegungen in einem bestimmten Nachtzeitraum limitiert, Steinberg /Bidinger, UPR 1993, 281 f.; Bidinger, Planung und Nutzung von Verkehrsflughäfen unter besonderer Berücksichtigung von Kapazitätsbeschränkungen, 1996, S. 18.
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a) Notsituationen und gesetzliche vorgeschriebene Flüge Ein Nachtflugbedarf fur Ausweichlandungen aus meteorologischen, technischen oder sonstigen Flugsicherheitsgründen (ζ. B. bei medizinischen Notfallen) ist offensichtlich. Gleiches gilt fur Ausbildungs- und Übungsflüge. Sie sind nach geltendem Luftverkehrsrecht Voraussetzung für das Erreichen bestimmter Qualifikationen, müssen also durchgeführt werden (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 a, Nr. 2 LuftPersV). b) Verspätung und Verfrühung Gewichtige sachliche Gründe für Nachtflüge ergeben sich aus der Verspätungsproblematik. Planmäßige Flüge müssen auch bei Verspätungen landen können und zwar möglichst auf dem Zielflugplatz. Eine Umleitung auf einen anderen Flugplatz ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Das Flugzeug kann den planmäßigen Flugbetrieb am kommenden Tag nicht absolvieren; es kommt zu weiteren Verspätungen auch bei Anschlussflügen. Umgekehrt besteht auch ein gewichtiges Bedürfnis an der Durchführung von Starts bei einer Abflugsverspätung. Insbesondere im interkontinentalen Flugverkehr (aber nicht nur dort) können planmäßige Flüge nicht einfach abgesagt werden, wenn sie sich verspäten. Dies würde nicht nur die Flugplanung gravierend stören, sondern auch bedarfsgerechte Flüge oft unmöglich machen. Probleme wirft auch eine verfrühte Ankunft auf. Solche Frühankünfte treten vor allem bei Interkontinentalverbindungen auf und beziehen sich auf die letzten Nachtstunden. Derartige Frühankünfte lassen sich auch bei sorgfältiger Planung als Folge günstiger meteorologischer Verhältnisse (Rückenwind bei Transatlantikflügen) nicht ausschließen. c) Fracht Eine gewichtige Rolle bei der Nachtflugproblematik spielt die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft. Vor allem zeitkritische Güter werden im sog. „Nachtsprung" befördert, also mit Lieferung am Tage nach der Frachtaufgabe. Frachtdienstleister organisieren den Frachtflugverkehr nach dem System der Drehscheibe („Hub and Spokes")7 und tätigen regelmäßig erhebliche Investitionen in den Ausbau ihres Express-Knotens, die nicht kurzfristig rückgängig gemacht werden können. Da regelmäßig ein Teil der Fracht bei den Passagiermaschinen der gleichen Linie oder einer bestimmten Allianz von Luftverkehrsun7 Zur Bedeutung und Funktion der Drehscheiben im Luftverkehr Pro Luftfahrt, Flughafen Frankfurt a. M. -Drehscheibe des Weltluftverkehrs, 1998, S. 17-23.
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ternehmen mitbefördert wird 8 , ist es auch nicht möglich, Frachtflüge nachts mit vertretbaren Kosten auf einen anderen Flughafen zu verlegen. Es kommt hinzu, daß sich die Logistikwirtschaft ebenfalls an den Nachtflugmöglichkeiten auf einem Flugplatz einrichtet. Sie würde bei Verlust der Nachtfrachtfunktion zumindest teilweise an andere Standorte abwandern. Mittelbar hätte ein Nachtflugverbot Auswirkungen auf die exportierende Wirtschaft, die ihre Exportströme anders organisieren müsste. d) Post Ähnlich bedeutsam ist der Nachtflugbedarf im Postwesen. § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Post- und Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) schreibt vor, daß von den inländischen Briefsendungen im Jahresdurchschnitt mindestens 80% am ersten der Einlieferung folgenden Tag zugestellt sein müssen (E + l ) 9 . Gerade bei der Post besteht ein öffentliches Interesse an Nachtflügen, die dem Ziel einer möglichst zeitnahen Zulieferung dienen10. Der Nachtpostverkehr ist zudem ebenfalls nach dem Prinzip einer Drehscheibe (Nachtpoststern) organisiert und auf die Mitbenutzung von Passagierflugzeugen angewiesen. Nachtpostflüge können daher nicht ohne weiteres zu anderen Flughäfen verlagert werden 11 . Voraussetzung wäre eine Umorganisation des Nachtpoststerns. e) Passagierlinien-
und Touristikverkehr
Beim Passagierlinienverkehr ergibt sich ein Bedarf an Starts und Landungen in der Nachtzeit neben der Verspätungs- und Verfrühungsproblematik aus der Zeitverschiebung, etwa im Verhältnis zu den immer wichtiger werdenden Verbindungen nach Asien. Bestimmte Ankünfte aus Asien können praktisch nur nachts erfolgen. Da Start- und Landerechte in anderen Staaten nur in bestimm-
8
So werden etwa in Frankfurt 53% der gesamten Luftfracht als Zuladung im Frachtraum von Passagiermaschinen mitbefördert, unter http: / / www.flughafen-frankfurt.com / de / pressarcaife / may2000 / zahlenbody. 9 Dazu v. Dannwitz, in: Badura u.a., PostG, Kommentar, 2000, Anh. § 11 § 2 PUDLV Rdnr. 17. 10 Der VGH Mannheim bezeichnet dieses öffentliche Interesse als „unbestreitbar", VGH Mannheim, Urt. vom 22.4.1999 - 8 S 1284 / 98, VB1BW 2000, 27, 32. 11 Derzeit befindet sich der zentrale Nachtpoststern am Flughafen Frankfurt. Für den Fall der Verlagerung des Nachtpoststerns befürchten die Deutsche Post AG und der Bundesverband der deutschen Postdienstleister gravierende Qualitätsverluste und Millionenkosten (vgl. dazu das Protokoll der Anhörung des Hessischen Landtags vom 12. Mai 2000 Teil 1 S. 10 f.). Hinzu kämen nachteilige Umweltauswirkungen. So würden ca. 9.000 bis 18.000 zusätzliche LKW-Fahrten im Jahr erforderlich, Süddeutsche Zeitung vom 03.06.2000, S. 15.
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ten Zeitabschnitten gewährt werden, können Flüge bei Nachtflugbeschränkungen eventuell undurchführbar bzw. erforderliche Zwischenlandungen unmöglich werden 12 . Auch im Touristikverkehr besteht ein Bedarf an Nachtflügen. Moderne Charterflugzeuge können sich dem Wettbewerb nur stellen, wenn sie bis zu drei Umläufe am Tag bewältigen13. Dies ist nur bei einer mindestens 17stündigen Umlaufzeit möglich 14 . Bei einem Nachtflugverbot in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr ließe sich eine solche Umlaufzeit nicht mehr realisieren; ein Nachtflugverbot zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr würde zu erheblichen Einschränkungen führen. j) Home-Base-Carrier Ein Luftverkehrsunternehmen hat Nachtflugbedarf an dem Flugplatz, an dem es seine Wartungseinrichtungen unterhält. Da die Luftfahrtzeuge den ganzen Tag über im Verkehr eingesetzt werden, müssen die notwendigen Wartungsarbeiten und technischen Untersuchungen zwangsläufig in der Nacht geleistet werden. Auch insoweit besteht ein Verkehrsbedürfhis zumindest für Landungen in den Nachtrandzeiten. An einem koordinierten Flughafen stehen zudem während des Tages keine ausreichenden Zeitnischen zur Verfügung, um Flugzeuge für Wartungszwecke heranzuführen. Falls eine Wartung in den Nachtstunden nicht möglich ist, können zudem die Wartungseinrichtungen nicht ausgelastet werden. Investitionen in die Wartungsinfrastruktur werden entwertet. 2. Stand der Diskussion Auf diese Belange hätte ein Nachtflugverbot abhängig von der zeitlichen Reichweite erhebliche Auswirkungen. Die Frage nach der Grenze einer möglichen Beschränkung hat daher aus der Sicht der am Luftverkehr Beteiligten große Bedeutung. Sie ist noch nicht abschließend geklärt. Rechtsprechung und Literatur haben sich zwar mit Nachtflugverboten und -beschränkungen auseinandergesetzt. Die Auffassungen gehen jedoch auseinander.
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Pro Luftfahrt, a.a.O. (Fn. 7), S. 57. Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt / Main, Endbericht, (Fn. 2), S. 33. 14 Dazu auch OVG Bremen, Beschl. vom 5.11.1993 - 1 (G) Τ 2/93, NVwZ-RR 1994, 189, 191 f.; OVG Lüneburg, Beschl. vom 09.6.1997 - 12 Κ 325/96 - zitiert nach JURIS-Online, S. 58. 13
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a) Rechtsprechung Die Rechtsprechung prüft Nachtflugverbote im Zusammenhang mit Klagen von FluglärmbetrofFenen. Diese fordern in Klagen gegen die luftverkehrsrechtlichen Zulassungen (Genehmigung bzw. Planfeststellung) 15 regelmäßig weitreichendere Nachtflugbeschränkungen als die von der Behörde angeordneten bis hin zu Nachtflugverboten zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr. Die Rechtsprechung hat einen entsprechenden Anspruch der Flugplatzanlieger bisher verneint. aa) Die Rechtsprechung zu Verkehrsflughäfen Mit Nachtflugverboten an Verkehrsflughäfen haben sich das Bundesverwaltungsgericht und verschiedene Oberverwaltungsgerichte befasst. (a) Leitentscheidung zum Ausschluss von Nachtflugbewegungen an Verkehrsflughäfen ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Januar 1991 zum Ausbau des Flughafens München II 1 6 . Das Gericht führt aus, dass das von den Klägern geforderte völlige Nachtflugverbot zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr mit der Widmung des Vorhabens als internationaler Großflughafen nicht zu vereinbaren sei. Eine Planungsentscheidung, die trotz eines solchen Widmungszwecks aus Lärmschutzgründen ein absolutes Nachtflugverbot verhängen würde, wäre widersprüchlich und rechtswidrig 17. Ein Bedarf an nächtlichen Ausweichlandungen aus meteorologischen, technischen oder sonstigen Flugsicherheitsgründen sowie ein Nachtflugbedarf für die Zwecke der luftverkehrsrechtlich vorgeschriebenen Ausbildungs- und Übungsflüge (§ 4 Abs. 2 Nr. 1, 6 Abs. 5 Nr. 4 (a.F.), 14 Abs. 2 Nr. 2, 83 LuftPersVO) ist nach Auffassung des Gerichts selbstverständlich 18. Die Zulassung von insgesamt 28 Flugbewegungen in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr (etwa zur Bewältigung der Verspätungsproblematik bei einem Ausschluss jeglicher Flugbewegungen zwischen 24:00 Uhr und 5:00 Uhr) verletzt die Betroffenen nicht in ihren Rechten. Die Verteilung des Flugbewegungskontingents über die Nacht ist - so das Ge-
15 Zum Rechtsschutz ÌVysk, Rechtsschutz für Kommunen, Verbände und Drittbetroffene, in: Koch, Umweltprobleme des Luftverkehrs, a.a.O. (Fn. 1), S. 271 ff. 16 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51/89, NVwZ-RR 1991, 601 ff., 616 München II. 17 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 615 - München II. 18 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 615 - München II.
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rieht - Bestandteil der planerischen Abwägungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde 19, dürfe also nicht vom Gericht vorgenommen werden. (b) An dieser Rechtsprechung hält das Bundesverwaltungsgericht fest. In seiner Entscheidung über die Erweiterung des Flughafens Erfurt hat es sich mit der Forderung der Kläger nach weiteren Nachtflugbeschränkungen, als den im Planfeststellungsbeschluss angeordneten, nicht mehr ausdrücklich auseinandergesetzt. Es hat sich auf den Hinweis beschränkt, dass damit eine erhebliche Einschränkung des Widmungszwecks des internationalen Verkehrsflughafens verbunden gewesen wäre 20 . (c) Auch die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung verneint bisher einen Anspruch der Fluglärmbetroffenen auf Einfuhrung eines absoluten Nachtflugverbotes an Verkehrsflughäfen. Die Begründung ist unterschiedlich. Das OVG Münster 21 ist der Auffassung, ein nahezu absolutes Nachtflugverbot in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr könne nicht ohne pflichtwidrige Vernachlässigung der Belange des Flugplatzbetreibers verhängt werden. Anders als das Bundesverwaltungsgericht erwähnt der Senat nicht den Widmungszweck des Flughafens als Schranke eines Nachtflugverbots. Das OVG Lüneburg lässt offen, ob der Widmungszweck als internationaler Verkehrsflughafen die Anordnung einer weitgehend bewegungsfreien nächtlichen Kernzeit ausschließt. Das Gericht verneint jedenfalls einen Anspruch der Anlieger auf Einführung eines solchen Nachflugverbotes 22. Der VGH München hat in einer neueren Entscheidung die Klage von Anliegern gegen eine Änderung der Betriebsregelung des Flughafens München II zurückgewiesen, weil diese keinen Anspruch auf Beibehaltung der bisherigen, restriktiven Nachtflugregelungen hätten23. Der VGH Kassel verneint ebenfalls den Anspruch einer benachbarten Kommune auf die Einführung weitreichender Flugverkehrsbeschränkungen in der Nachtzeit, ohne allerdings auf die Widmung als Verkehrsflughafen abzustellen24. bb) Die Rechtsprechung zu Verkehrslandeplätzen Die Rechtsprechung hat auch bei Verkehrslandeplätzen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 LuftVG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 1 LuftVZO) den betroffenen Anliegern keinen 19
BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 614 - München II. 20 BVerwG, Urt. vom 27.10.1998 - 11 A 1.97, BVerwGE 107, 313, 327. 21 OVG Münster, Urt. vom 29.9. 1994 - 20 D 28 / 91.AK - UA S. 18 ff. 22 OVG Lüneburg, Urt. vom 9.6.1997 - 12 Κ 325/96, zit. nach JURIS Online S. 55. 23 VGH München, Urt. vom 3.12.2002 - 20 A 01.40019 u. a. - UA S. 23 = DVB1. 2003, 818 (nur Leitsatz). 24 VGH Kassel, Urt. vom 2.4.2003 - 2 A 2646 / 01 - UA S. 40.
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Anspruch auf Verhängung eines vollständigen Nachtflugverbots eingeräumt. In einer Entscheidung über die Änderung der Betriebsgenehmigung eines Verkehrslandeplatzes hat der VGH Baden-Württemberg 25 die Rechtmäßigkeit einer Regelung offengelassen, die Flüge ab 5:30 Uhr zuließ, die Genehmigung allerdings wegen eines Verfahrensverstoßes aufgehoben. Deutlicher wurde der Hessische VGH. Er hat in einer neueren Entscheidung die Forderung der Kläger zurückgewiesen, die Genehmigungsbehörde zu einem Ausschluss jeglicher Flugbewegungen zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr auf einem Verkehrslandeplatz zu verpflichten 26. cc) Bewertung Die Gerichte sind sich zwar einig in der Ablehnung eines Anspruchs der Flughafenanlieger auf Einfuhrung eines absoluten Nachtflugverbots zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr. In der Begründung bieten die Entscheidungen aber kein einheitliches Bild. Das Bundesverwaltungsgericht argumentiert, dass die widmungsgemäße Funktion des internationalen Großflughafens einem absoluten Nachtflugverbot zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr entgegenstünde. Die Oberverwaltungsgerichte lassen offen, ob es insoweit auf die Widmung ankommt. Zur Frage nach einem Mindestmaß an Flugbewegungen in der Nacht äußert sich nur das Bundesverwaltungsgericht, das nächtliche Not- und Ausweichlandungen sowie die vorgeschriebenen Ausbildungsflüge für selbstverständlich hält und ein Bewegungskontingent von 28 Flügen bei Ausschluss von Flugbewegungen zwischen 0.00 und 5.00 Uhr nicht beanstandet. Ob daraus der Schluss gezogen werden kann, damit sei die Grenze für ein Nachtflugverbot beschrieben, ist aber sehr fraglich 27. Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war nämlich die Frage, ob den klagenden Flughafenanliegern ein Anspruch auf Einführung eines weiterreichenden Nachflugverbots zusteht, also ob die angegriffene Regelung sie in ihren Rechten verletzte. Das wäre nur der Fall, wenn zu ihren Gunsten eine weiterreichende Einschränkung rechtlich geboten gewesen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht musste daher nicht prüfen, ob die Behörde die Grenzen ihrer Handlungskompetenz bei der Verhängung von Nachtflugverboten überschritten hatte. Selbst eine den Flugplatzbetreiber und die Lufiverkehrsunternehmen rechtswidrig belastende (weil zu weitreichende) Betriebsregelung hätte die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt. Selbst die Aussage des
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VGH Mannheim, Urt .vom 19.11.1999 - 8 S 127 / 99, VB1BW 2000, 157, 159 ff. VGH Kassel, Urt. vom 6.8.2002 - 2 A 828/Ol u. 2 A 301/01, ESVGH 2002, 237, 240 f. 27 Bezeichnenderweise ist die in der Praxis offensichtlich zu restriktive Beschränkung durch Genehmigung der Regierung von Oberbayern vom 23.3.2001 gelockert worden, dazu VGH München, Urt. vom 3.12.2002 - 20 A 01.40019. 26
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Senats, die Verteilung der limitierten Flugbewegungen in der Nachtzeit sei Bestandteil der planerischen Abwägung und setze eine planend abwägende Entscheidung der zuständigen Behörde voraus 28, bedeutet nicht, dass ein Ausschluss von Flugbewegungen zwischen 0.00 Uhr und 5.00 Uhr generell abwägungs- bzw. ermessensfehlerfrei verfugt werden darf 29 . Diese Ausführungen stehen im Zusammenhang mit der Reichweite der gerichtlichen Kontrollbefugnis. Das Bundesverwaltungsgericht beanstandete mit diesen Ausführungen, dass das Berufungsgericht seine Kontrollbefugnisse durch die Vorgabe einer noch weitergehenden bewegungsfreien Kernzeit überschritten hatte. Die Betonung der Aussage liegt auf der funktionalen Zuständigkeit der Behörde für diese Abwägungsentscheidung, nicht aber auf der Unbedenklichkeit einer solchen Regelung. Die Frage nach der maximalen Grenze für die Verhängung von Nachtflugverboten ist daher gerichtlich noch nicht geklärt. b) Literatur Während die Frage nach der Zulässigkeit von Nachtflugbeschränkungen schon mehrfach Gegenstand der juristischen Diskussion war 30 , hat sich die Literatur mit der Zulässigkeit von absoluten Flugverboten während der Nachtzeit erst in jüngerer Zeit auseinandergesetzt. aa) Baumann Baumann31 vertritt die Auffassung, dass bei einer Neuanlage eines Verkehrsflughafens auch ein absolutes Nachtflugverbot - als Minus gegenüber der Ablehnung des Planfeststellungsantrages - festgesetzt werden kann. Bei bestehenden Flughäfen hält er die nachträgliche Anordnung sehr strikter Nachtflugbe-
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BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 614. So aber wohl Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten über rechtliche Fragestellungen zur Umsetzung eines „Nachtflugverbotes", August 2002, S. 294 f. 30 Sehr ausführlich Sachs, Rechtsgutachten über die Zulässigkeit der Anordnung bestimmter Nachtflugbeschränkungen über den Flughafen Köln / Bonn nach deutschem Recht, 1999; Pieroth, Die Grundrechtskonformität von Nachtflugbeschränkungen für den Passagierflugverkehr mit Bonuslistenflugzeugen und für den Frachtflugverkehr mit besonders schweren Bonuslistenflugzeugen, 1998; dazu Giemulla, ZLW 2000, 30; Geisler, ZLW 1997, 307. 31 Baumann, Nachtflugbeschränkungen und ihre rechtliche Absicherung, Hearing des Hessischen Landtags betreffend Frankfurter Flughafen vom 10. bis zum 12. Mai 2000, S. 19 ff. unter http://www.baumann-rechtsanwaelte.de/aktu/download/Nachtflugbeschraenkungen2.pdf. 29
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schränkungen fur zulässig32. Wird der Flughafen geändert, sollen der Behörde im Rahmen der dann durchzuführenden Verfahren eine breite Palette von Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die auch ein absolutes Nachtflugverbot einschlössen33. Baumann geht nicht auf die Frage ein, ob bei der Neuanlage die Planungsentscheidung durch die Festsetzung eines absoluten Nachtflugverbotes nicht widersprüchlich wird. Ebenso wenig thematisiert er dies für die Änderung eines bestehenden Vorhabens, obwohl er die Frage nach einer Grenze der behördlichen Handlungskompetenzen stellt 34 . bb) Sparwasser / Voßkuhle Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle 35 kommen für die nachträgliche Einführung eines Nachtflugverbots an einem internationalen Großflughafen zu einem etwas differenzierteren Ergebnis. Bei einem internationalen Verkehrsflughafen müssten nachts nur Rettungs-, Notfall- und Ausweichflüge, in gewissem Umfang Ausbildungsflüge und grundsätzlich Verspätungsflüge für den Tagesflugverkehr zugelassen werden 36 . Ansonsten sei ein Nachtflugverbot zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr nach fehlerfreier Abwägung bzw. Ermessensausübung zulässig. Der Widmungszweck des Flughafens spiele bei der Anordnung eines Nachtflugverbots keine ausschlaggebende Rolle 37 . Im Zusammenhang mit der Erweiterung eines Flughafens führt nach Meinung von Sparwasser/ Voßkuhle die vom Flugplatzbetreiber beantragte Änderungsgenehmigung nach § 8 Abs. 4 Satz 2 i. Verb. m. § 6 Abs. 4 LuftVG zu einem Nachtflugverbot, das ermessensfehlerfrei zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr eingeführt werden kann 38 . Einen einseitigen behördlichen Teilwiderruf der Betriebsregelungen eines planfestgestellten Flughafens mit dem Ziel, ein Nachtflugverbot einzuführen, halten sie 32 Baumann, Nachtflugbeschränkungen und ihre rechtliche Absicherung, a.a.O. (Fn. 31), S. 21 ff. 33 Baumann, Nachtflugbeschränkungen und ihre rechtliche Absicherung, a.a.O. (Fn. 31), S. 23 ff. 34 Baumann, Nachtflugbeschränkungen und ihre rechtliche Absicherung, a.a.O. (Fn. 31), S. 28. 35 Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), passim; das Gutachten wurde im Zusammenhang mit der beabsichtigten Erweiterung des Flughafens Frankfurt für das Regionale Dialogforum erstellt. 36 Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 285, 286. 37 Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 288 ff.; anders allerdings Hobe/Stoffel, ebda. (Fn. 29), S. 295 ff., nach denen der „Widmung erhebliche - und über die Auffassung der Gutachtergruppe Sparwasser / Voßkuhle hinausgehende - Bedeutung" zukommt. 38 Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 364 ff.
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bei Überschreitung der „Zumutbarkeitsgrenze" für zulässig. Angeordnet werden könne aber nicht ein Verbot jeglicher Flugbewegungen, sondern nur derjenigen Flüge, deren Zulassung zu einer Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle für nächtliche Lärmbelastungen führe 39 . cc) Gronefeld Gronefeld* 0 unterscheidet ebenfalls die Änderungsgenehmigung auf entsprechenden Antrag des Flugplatzbetreibers und die nachträglich einseitige behördliche Anordnung. Nach seiner Auffassung ist eine auf Antrag des Flugplatzbetreibers erteilte Änderungsgenehmigung (§§8 Abs. 4 Satz 2, 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG) zur Einführung eines Nachtflugverbotes an einem internationalen Verkehrsflughafen zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr rechtlich sehr problematisch. Sie komme in Konflikt mit dem Widmungszweck dieses Flughafens 41. Eine Kernzeitregelung zwischen 0:00 Uhr und 5:00 Uhr könne dagegen - offensichtlich in Anlehnung an die ursprüngliche Betriebsregelung für den Flughafen München II - in Betracht kommen 42 . Die einseitige behördliche Anordnung einer solchen Nachtflugbeschränkung an einem bestehenden Verkehrsflughafen schließt Gronefeld im Ergebnis dagegen aus. Der dafür erforderliche Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses setze das Vorliegen schwerer Nachteile für das Gemeinwohl voraus (§ 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG). Da die mit den nächtlichen Flugbewegungen verbundenen Nachteile - der Fluglärm - aber in der Regel durch nachträgliche Schutzauflagen zugunsten der betroffenen Nachbarn (etwa durch den Einbau von Schallschutzfenstern oder ähnliche passive Schallschutzmaßnahmen) beseitigt werden könnten, sei der Widerruf unverhältnismäßig 43 .
39 Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 264 ff., zu den Ermessenserwägungen ab S. 273 ff. 40 Gronefeld, Rechtliche Stellungnahme über die Voraussetzungen und die Zulässigkeit der Anordnung eines Nachtflugverbotes nach Maßgabe der Empfehlungen der Mediationsgruppe für die Zukunft des Verkehrsflughafens Frankfurt am Main, Februar
2001. 41 42 43
Gronefeld, Gronefeld, Gronefeld,
Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 40), S. 59 f. Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 40), S. 60. Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 40), S. 71 f.
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dd) Geisler Geisler lehnt die Einführung eines Nachtflugverbots zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr an einem bestehenden internationalen Verkehrsflughafen ab 44 . Nach seiner Auffassung kann ein solches Nachtflugverbot weder auf Antrag des Flugplatzbetreibers durch Änderung der Genehmigung (§ 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG) noch einseitig von der Behörde über den Teilwiderruf der Betriebszulassung eingeführt werden. Eine derartige vom Flugplatzbetreiber beantragte Änderungsgenehmigung strukturiert nach seiner Auffassung die bisherigen Flughäfen so grundlegend um, dass sie keine Änderung, sondern einen Teilwiderruf der luftverkehrsrechtlichen Zulassungsentscheidung darstellt. Ein derartiges Auseinanderklaffen von Zulassungsentscheidungen und Änderungsgenehmigung sei aber nicht hinzunehmen45. Ein Teilwiderruf nach § 6 Abs. 2 Satz 2, 4 LuftVG finde bei planfeststellungsbedürfiigen Flugplätzen (also Flughäfen und Landeplätzen mit beschränktem Bauschutzbereich) keine Anwendung. Dem stehe der Vorrang der Planfeststellung entgegen, die nicht durch einen Widerruf der Betriebsgenehmigung ausgehöhlt werden dürfe 46 . Der einseitige behördliche Teilwiderruf der Planfeststellung nach § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG zur Einführung eines Nachtflugverbots scheitere schließlich am Widmungszweck des Flughafens und der Tatsache, dass mildere Mittel - passive Schallschutzmaßnahmen - zur Sicherstellung des Ziels ausreichten 47. Nichts anderes soll für eine Anordnung eines Nachtflugverbots bei der Änderungsplanfeststellung anlässlich der Erweiterung des Flughafens gelten 48 . ee) Bewertung In der Literatur herrscht damit überwiegend Übereinstimmung, dass ein absolutes Nachtflugverbot unter Ausschluss jeder Flugbewegung zumindest bei bestehenden Flughäfen unzulässig ist. Es müssen zumindest Rettungs-, Notfallund Ausweichflüge sowie Ausbildungsflüge und gegebenenfalls Verspätungs-
44 Geisler, Rechtliche Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Nachtflugverbots am Flughafen Frankfurt / Main anlässlich der geplanten Erweiterung des Flughafens sowie zu den Beteiligungsrechten und Rechtsschutzmöglichkeiten des Bundesverbandes Internationaler Express- und Kurierdienste e. V. und seiner Mitgliedsunternehmen, August 2002. 45 Geisler, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 44), S. 13. 46 Geisler, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 44), S. 15. 47 Geisler, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 44), S. 16 f., 24 ff. 48 Geisler, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 44), S. 18 ff.
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flüge zugelassen werden 49 . Ob darüber hinaus weitere Flugbewegungen zugelassen werden müssen, ist umstritten. Es fällt auf, dass die Autoren ausschließlich eine verfahrensbezogene Prüfung anstellen. Sie untersuchen alle, inwieweit in einem bestimmten Verfahren Nachtflugverbote - sei es von Amts wegen, sei es auf Antrag des Flugplatzbetreibers - angeordnet werden können. Das verstellt den Blick auf die eigentlich entscheidende Frage. Im Kern geht es nämlich darum, ob mit der Funktion als Verkehrsflugplatz / Verkehrsflughafen zwingend nächtliche Flüge verbunden sind und welche Grenzen daraus für die Einschränkung nächtlicher Flugbewegungen folgen. Die Frage, ob und in welchem Verfahren eine Einschränkung umgesetzt werden kann, ist dagegen eine nachgelagerte. Daher ist zunächst zu klären, wie sich das geltende Recht zu Nachtflügen verhält. Sie könnten verboten oder aber grundsätzlich zulässig sein. Wenn sie zulässig sind, ist zu prüfen, ob und welche Schranken einem möglichst vollständigen Ausschluss nächtlicher Flugbewegungen entgegenstehen.
3. Die Regelung von Nachtflügen a) Kein Verbot nächtlicher Flugbewegungen Die Antwort auf diese Frage wäre einfach, wenn dem geltenden Recht ein Verbot von Nachtflügen zu entnehmen wäre. Das ist aber nicht der Fall. Weder die Verfassung noch das einfache Gesetzesrecht sehen ein solches Verbot vor. aa) Verfassungsrecht Nächtlicher Fluglärm kann die Gesundheit der Flughafenanwohner beeinträchtigen. Die behördliche Zulassung von Nachtflügen kann daher ein Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG sein. Dieses Grundrecht schützt neben der körperlichen Integrität und der psychischseelischen Gesundheit im weiteren Sinn 50 .die körperliche Gesundheit im engeren biologisch-physiologischen Sinn 51 . Wann Fluglärm gesundheitsschädigend
49 Abweichend nur Baumann, Nachtflugbeschränkungen und ihre rechtliche Absicherung, a.a.O. (Fn. 31), S. 18, der eine Ausnahme wohl nur bei Not- und besonderen Härteföllen zugesteht. 50 Zum Schutzumfang Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, 1996, Art. 2 II Rdnr. 18 ff. 51 BVerfG, Beschl. vom 14.1.1981 - 1 BvR 612 / 72, BVerfGE 56, 54, 73 ff, ob der Gesundheitsbegriff im Sinne der WHO einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen meint, lässt das Gericht offen; zu Recht ablehnend Schulze-Fielitz, in: Dreier, a.a.O. (Fn. 50), Art. 2 II Rdnr. 21 m.w.N.
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oder -gefährdend ist, ist nach wie vor umstritten 52, braucht hier aber nicht entschieden zu werden. Selbst wenn die Zulassung nächtlichen Fluglärms wegen der Auslösung von Gesundheitsbeeinträchtigungen einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit darstellt, folgt daraus kein Verbot sämtlicher Nachtflüge. Die zuständige Behörde kann Nachtflüge zulassen, wenn sie dem notwendigen Schutz der körperlichen Unversehrtheit dadurch Rechnung trägt, dass sie die entsprechenden Auswirkungen des Fluglärms am Einwirkungsort unterbindet. Art. 2 Abs. 2 GG verlangt nicht, dass der gesundheitsschädliche Fluglärm an der Quelle unterbunden wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Behörde sich auf passiven Schallschutz beschränken kann 53 . Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsbehörde bei der Zulassung fluglärmverursachender Anlagen die Möglichkeiten aktiver, den Lärm an der Quelle eindämmender Schallschutzmaßnahmen nicht ausgeblendet, sondern in die Abwägung mit einbezieht54. Die Rechtsprechung lehnt es daher ab, beim Fluglärm einen Vorrang aktiver Schallschutzmaßnahmen vor passiven Schallschutzmaßnahmen - etwa entsprechend § 41 BImSchG - zu verlangen. Sie räumt den Behörden einen Gestaltungsspielraum ein 55 . bb) Die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention Aus den im Rang einfachen Gesetzesrechts stehenden Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention folgt ebenfalls kein Verbot der behördlichen Zulassung von Nachtflügen 56. Dieser Eindruck wurde im Zusammenhang mit
52
Dazu Dolde, in: Ziekow, Bewertungen von Fluglärm - Regionalplanung - Planfeststellungsverfahren, 2003, S. 37, 45 ff.; ders., ZfL 2003, 88 ff., 123 ff.; Koch / Wienecke, Die Zukunft des Fluglärmgesetzes, in: Koch, Umweltprobleme des Luftverkehrs, a.a.O. (Fn. 1), S. 243 ff; Schulze-Fielitz, Schutz vor Fluglärm ohne Fluglärmschutzverordnung, ebd., S. 146 ff.; eine Übersicht geben Ortscheidt / Wende, Fluglärmwirkungen, a.a.O. (Fn. 4), passim.; zur Lärmwirkungsforschung in den vergangenen 25 Jahren, Ising /Kruppa, in: Bartels / Ising, Nachtfluglärmproblematik, Ergebnisse des Workshops in Neufahrn im Juni 2001, 2001, S. 44 ff. 53 BVerfG, Beschl. vom 14.1.1981 - 1 BvR 612 / 72, BVerfGE 56, 54, 83 f. 54 Beispiele für aktive Lärmschutzmaßnahmen im Bereich der Flugbetriebsregelungen finden sich bei Koch / Wieneke, NVwZ 2003, 1153, 1158. 55 BVerwG, Beschl. vom 20.2.1998 - 11 Β 37.97, ZLW 1999, 237, 239; BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 605; anders im Sinne eines zumindest wünschenswerten Vorrangs des aktiven Lärmschutzes, VGH München, Urt. vom 25.2.1998 - 20 A 97.40017 u. 20 A 97.40018, NVwZ-RR 1998, 490, 493; für einen relativen Vorrang des aktiven Lärmschutzes, wenn passive und aktive Maßnahmen gleichermaßen möglich sind, Schulze-Fielitz, in: Koch, Umweltprobleme des Luftverkehrs, a.a.O. (Fn. 1), S. 145, 172. 56 Zu dieser Problematik bereits EGMR, Urt. vom 21.2.1990 - 3 / 1989 / 163 / 219 Rayner und Powell. / .Vereinigtes Königreich; ferner EKMR, E. vom 15.7.1980 -
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der „Hatton-Entscheidung" des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 2. Oktober 2001 57 erweckt. Zu Unrecht: Der Gerichtshof bejahte zwar eine Verletzung des Art. 8 Abs. 1 EMRK durch die behördliche Zulassung zusätzlicher Nachtflüge durch ein Fluglärmkontingent am Flughafen London Heathrow. Er beanstandete jedoch nur, dass den zuständigen Behörden trotz der aus Art. 8 Abs. 2 EMRK resultierenden Einschätzungsprärogative ein Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Belangen einerseits und den Rechten der Beschwerdeführer auf Achtung ihrer Wohnung und auf Schutz ihres Privat- und Familienlebens vor Fluglärm andererseits nicht gelungen war 58 . Der Sache nach rügte der Gerichtshof also einen „Abwägungsfehler". Ein Verbot der Zulassung von Nachtflügen entnahm er Art. 8 Abs. 1 EMRK gerade nicht. Dass Art. 8 Abs. 1 EMRK kein solches Verbot enthält, hat mittlerweile das Urteil der Großen Kammer des EGMR vom 08.07.2003 bestätigt, das entgegen der Entscheidung vom 02.10.2001 eine Verletzung des Art. 8 Abs. 1 EMRK durch die Zulassung zusätzlichen nächtlichen Flugbetriebs ausdrücklich verneinte. Der Staat ist demnach auch durch die im Range eines einfachen Gesetzes geltende EMRK nicht daran gehindert, Nachtflüge zuzulassen59. b) Generelle Zulässigkeit von Nachtflügen Wenn sich dem geltenden Recht kein grundsätzliches Verbot von Nachtflügen entnehmen lässt, heißt dies umgekehrt noch nicht, dass Nachtflüge per se zulässig sind. Für diese Annahme bedarf es eines entsprechenden rechtlichen Anhaltspunkts. Er ergibt sich aus § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG. § 29 b LuftVG regelt die Pflichten der Flugplatzunternehmer, Luftfahrzeughalter und Luftfahrzeugführer zur Verminderung von Fluglärm. Nach § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG ist dabei auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Das LuftVG setzt demnach Nachtflüge voraus, bei deren konkreter Ausgestaltung aber dem Ruhebedürfnis sehr weitgehend Rechnung zu tragen ist. Aus dieser Systematik ergibt sich zwingend, dass Nachtflüge grundsätzlich zulässig sind 60 . Das bedeutet allerdings nicht, dass Nachtflüge unter allen Um-
7889 / 77 - DR 19, 186 - Arondelle ./. Vereinigtes Königreich; EKMR E. v. 16.10.1985 - 9310 / 81 - DR 44 /13 - Baggs ./. Vereinigtes Königreich. 57 EGMR, Urt. vom 2.10.2001 - 36022/97 - Hatton u. a. ./. Vereinigtes Königreich, Rdnr. 95 ff. 58 EGMR, Urt. vom 2.10.2001 - 36022/97 - Hatton u. a. ./. Vereinigtes Königreich, Rdnr. 100 ff., 107. 59 EGMR, Urt. vom 8.7.2003 - 36022 / 97 - Hatton u. a. ./. Vereinigtes Königreich, Rdnr. 100 ff. 60 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 615; BVerwG, Beschl. vom 20.2.1998 - 11 Β 37.97, ZLW 1999, 237, 239; VGH Kassel, Urt. vom 2.4.2003 - 2 a 264601 - UA S. 40; Hofmann / Grabherr, LuftVG, Kommentar, Stand:
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ständen, während der gesamten Nacht und an jedem Flugplatz zulässig sein müssen. Die Frage, ob und inwieweit Nachtflüge an einem Flugplatz vollständig ausgeschlossen werden können, wird durch § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG nicht beantwortet. Ein Ansatz zu ihrer Beantwortung ergibt sich aus der Verkehrsfunktion von Flugplätzen.
4. Flugplätze als öffentliche Verkehrsinfrastruktur Luftverkehr ist ohne Flugplätze nicht möglich. Theoretisch ist ein Flugplatz fur den Betrieb von Luftfahrzeugen allerdings verzichtbar. Starts und Landungen setzen einen Flugplatz nicht notwendig voraus 61. Zu Beginn der Luftfahrt waren daher Starts und Landungen außerhalb von Flugplätzen die Regel. Sie wurden allerdings bald einer Regelung unterworfen 62. Flugplätze sind dem Luftverkehr zwingend als Verkehrswege vorgeschrieben. a) Flugplatzzwang Starts und Landungen sind nämlich mit Gefahren für das Luftfahrzeug und für Dritte verbunden. Sie müssen daher auf einem geeigneten Gelände durchgeführt werden 63. Der Gesetzgeber hat deswegen durch die Einführung des Flugplatzzwangs64 (§ 25 Abs. 1 LuftVG) Start- und Landevorgänge an Flugplätze gebunden. Diesem Flugplatzzwang korrespondiert zwangsläufig ein Recht der Luftverkehrsteilnehmer zur Nutzung von Flugplätzen. aa) Verkehrsflugplätze Das gilt jedenfalls für die Flugplätze, die dem Luftverkehr dienen. Sie befriedigen ein öffentliches Verkehrsbedürfnis 65. Auf ihnen darf grundsätzlich jeDezember 2002, § 29 b Rdnr. 3; Geisler, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 44), S. 15; Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 276. 61 Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 2. Auflage (1996), S. 354. 62 Badura, Rechtsfragen der Flughafenplanung, in: Rüthers / Stern, Festgabe zum zehnjährigen Jubiläum der Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 27, 28. 63 Delbanco, Die Änderung von Verkehrsflughäfen, 1998, S. 47. 64 Vgl. § 6 der Verordnung betreffend die vorläufige Regelung des Luftfahrtrechts v. 17.12 1918 (RGBl. S. 1407), später dann § 12 LuftVG v. 1.8.1922 (RGBl. I S. 681 ff.); Delbanco, a.a.O. (Fn. 63), S. 46 ff. 65 BVerwG, Urt. vom 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., BVerwGE 56, 110, 119 - Startbahn 18 West; Giemulla, in: Giemulla / Schmid, LuftVG, Kommentar, Stand: Dezember 2002, § 6 Rdnr. 3; Bidinger, a.a.O. (Fn. 6), S. 122; Horn, VB1BW 1992, 5, 7.
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dermann starten und landen66. Diese Flugplätze sind also Verkehrsträger, wie Schiene, Straße und Wasserstraße auch. Sie sind diesen Verkehrsträgern gegenüber gleichwertig 67 . Das Luftverkehrsrecht unterscheidet Verkehrsflughäfen (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO) und Verkehrslandeplätzen (§ 49 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO) sowie Sonderflughäfen (§38 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZO) und besondere Landeplätze (§ 49 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZO), die anderen Zwecken als denen des allgemeinen Luftverkehrs dienen68. Letztere bleiben im folgenden außer Betracht. bb) Nutzungszwecke und Organisationsform Die Vielfalt der Flugplätze und der Nutzungszwecke verdeutlicht, warum das LuftVG keine bestimmte rechtliche Organisation für Flugplätze vorschreibt. Die internationalen Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik Deutschland werden ausnahmslos von juristischen Personen des Privatrechts errichtet und betrieben. Anteilseigner sind allerdings vielfach öffentlich-rechtliche Körperschaften (Städte, Bundesländer oder der Bund). Das Gleiche gilt für Verkehrslandeplätze. Völlig unterschiedlich sind die Betreiber von Flugplätzen strukturiert, die nicht dem allgemeinen Verkehr dienen. Neben öffentlich-rechtlichen Körperschaften finden sich als Träger Industrieunternehmen und Vereine. cc) Organisationsform und Zuweisung der Zweckbestimmung Die unterschiedlichen Organisationsformen der Träger und die unterschiedlichen Zweckbestimmungen zeigen gleichzeitig, dass Flugplätzen nicht von selbst die Zweckbestimmung zukommt, als öffentliche Infrastruktureinrichtung für den Luftverkehr zu fungieren. Besonders deutlich wird dies an den Flugplätzen, die dem allgemeinen Luftverkehr dienen, aber von juristischen Personen des Privatrechts betrieben werden. Die Beziehung des Flugplatzbetreibers und der Luftfahrt zu diesem Flugplatz ist zunächst eine rein privatrechtliche. Das allgemeine Wettbewerbsrecht verlangt zwar, dass der Betreiber dann, wenn er Zugang gewährt, dies diskriminierungsfrei tut, eröffnet aber nicht zwangsläufig einen Zugang zu diesem Flugplatz für die Zwecke des Luftverkehrs. Dies ist nur der Fall, wenn eine öffentliche Zweckbestimmung die privatrechtliche Stellung des Betreibers überlagert. Diese Zweckbestimmung muss den Flugplätzen, die dem
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Hofmann/Grabherr, LuftVG, a.a.O. (Fn. 60) § 6 Rdnr. 12. Badura, Rechtsfragen der Flughafenplanung, a.a.O. (Fn. 62), S. 27, 28. 68 Bei diesen Plätzen kann es sich um Sportflugplätze, Flugplätze für Industrieunternehmen oder für einen ähnlichen eingeschränkten Benutzerkreis handeln, Giemulla, in: Giemulla / Schmid, LuftVG, a.a.O. (Fn. 65), § 6 Rdnr. 3. 67
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allgemeinen Verkehr zugänglich gemacht werden sollen, daher in irgendeiner Form zugewiesen werden. b) Die Widmung im Straßenrecht Eine solche Zuweisung einer öffentlichen Zweckbestimmung kennt das geltende Recht auch bei anderen Infrastruktureinrichtungen. Deutlich wird dies an der Straßenverkehrsinfrastruktur. Sie erhält ihre Funktion als allgemein zugänglicher Verkehrsweg durch die Widmung (vgl. etwa § 2 Abs. 1 FStrG). Die Widmung ist eine feststehende Rechtsfigur im öffentlichen Sachenrecht. Mit ihr sind unterschiedliche Rechtswirkungen verbunden. Zum einen wird die Infrastruktureinrichtung durch die Widmung zu einer öffentlichen Sache69. Diese Zweckbestimmung überlagert die privatrechtliche Rechts- und Pflichtenstellung des Eigentümers 70. Zum anderen konkretisiert die Widmung die öffentliche Zweckbestimmung inhaltlich. Entsprechend der tatsächlichen oder beabsichtigten Verkehrsbedeutung der Infrastrukturinrichtung legt sie die Verkehrsfimktion fest. Sie bestimmt ferner den Kreis der Nutzer und regelt den Umfang der Nutzung 71 . Im Straßenrecht begründet sie den Gemeingebrauch 72. c) Die Widmung der Luftverkehrsinfrastruktur Wenn das Luftverkehrsrecht ebenfalls eine Widmung der Flugplatzinfrastruktur kennt, liegt es nahe, diese Strukturmerkmale auf das Flugplatzrecht zu übertragen. Eine solche Übertragung hätte Auswirkungen nicht nur auf die Eröffnung der Flugplatznutzung für die Luftfahrt, sondern zwangsläufig auch auf den Nutzungsumfang und den (zeitlich begrenzten) Ausschluss der Verkehrsfünktion.
69 Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Auflage (1998), S. 39 f.; Herber, in: Kodal / Krämer, Straßenrecht - eine systematische Darstellung, 6. Auflage (1999), Kap. 7 Rdnr. 2 ff. 70 Dazu Sauthoff Straße und Anlieger, 2003, Rdnr. 43. 71 Grupp, in: Marschall / Schröter / Kastner, Bundesfernstraßengesetz (FStrG) Kommentar, 5. Auflage (1998), § 2 Rdnr. 5; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 6. Auflage (2000), § 76 Rdnr. 1. 72 Sauthoff a.a.O. (Fn. 70), Rdnr. 194.
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aa) Widmung als Beschränkung auf Festlegung der Zweckbestimmung Rechtsprechung73 und Literatur 74 gehen davon aus, dass auch Flugplätze gewidmet sind. Allerdings verwenden weder das LuftVG noch die auf seiner Grundlage ergangene LuftVZO den Begriff der Widmung. Die Regelwerke sehen auch keine ausdrückliche Widmungsverfügung oder eine Entwidmung vor. Sparwasser / Voßkuhle vertreten daher die Auffassung, dass die Widmung ausschließlich die Zweckbestimmung des Flugplatzes festlege und in ihrer Bedeutung darüber nicht hinausgehe75. Ein eigenständiger Widmungsakt sei nicht erforderlich. Ebenso wenig bedürfe es für eine bestimmte Verkehrsbeschränkung einer Entwidmung der Flugplatzinfrastruktur. Die Widmung stelle keine besondere Hürde für die Einführung von Nachtflugbeschränkungen dar. Die Zweckbestimmung könne daher bei der Änderungsplanfeststellung eines Flughafens geändert werden, Schranke sei allein das Abwägungsgebot. bb) Funktion der Widmung Diese Ansicht verkürzt die Funktion der Widmung und wird ihrer Aufgabe, die Verkehrsfunktion des Flugplatzes zu bestimmen, nicht gerecht. (a) Bereits das formale Argument, das LuftVG kenne den Begriff der Widmung nicht, überzeugt nicht. Auch das Eisenbahnrecht enthält keine Vorschriften über die Widmung. Dennoch ist allgemein anerkannt, dass die Eisenbahnverkehrsinfrastruktur für den öffentlichen Zweck gewidmet wird 7 6 . Rechtsgrundlage sind die Vorschriften über Planfeststellung bzw. Plangenehmigung (§ 18 AEG). Nach zutreffender Ansicht erfolgt auch im Luftverkehr die Widmung nicht als eigenständiger Akt, sondern in der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung nach § 6 LuftVG 77 . Bei Flughäfen gilt nichts anderes. Die Planfeststellung ist nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG im Grundsatz auf die Errichtung der Flughafenanlagen beschränkt. Zwar hat der Gesetzgeber des Planungsvereinfa-
73 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 605, 615; BVerwG, Urt. vom 27.10.1998 - 11 A 1.97, BVerwGE 107, 313, 327 f. 74 Gronefeld, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 40), S. 57; Geisler, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 44), S. 29 f.; Quaas, ZLW 2003, 175, 179 („Umwidmung"); Ronellenfltsch, DÖV 1994, 45, 48. 75 Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 289 ff. 76 Kühlwetter, Widmung und Entwicklung öffentlichen Eisenbahnrechts - eine unbekannte Größe?, in: Grupp / Ronellenfltsch, Festschrift für Willi Blümel, 1999, S. 309, 314. 77 Bidinger, a.a.O. (Fn. 6), S. 122, allerdings ohne nähere Begründung.
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chungsgesetzes vom 17.12.199378 in § 8 Abs. 4 Satz 1 LuftVG die Möglichkeit eröffnet, betriebliche Regelungen auch im Planfeststellungsverfahren zu treffen. Der Grund waren jedoch allein Zweckmäßigkeitserwägungen 79. An dem eigentlichen Sitz der Betriebsregelung in der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung hat sich daher nichts geändert. (b) Immerhin müssen Sparwasser / Voßkuhle einräumen, dass die Widmung die öffentliche Zweckbestimmung des Flugplatzes festlegt 80. Damit erkennen sie an, dass die Widmung den Flugplatz für den allgemeinen Luftverkehr öffnet. Mit anderen Worten: Die Widmung regelt - wie die Rechtsprechung ausdrücklich festgestellt hat 81 - den öffentlich-rechtlichen Status der Luftverkehrsinfrastruktur und legt mit dinglicher Funktion den Umfang der Nutzung fest 82 . Dieser Status überlagert die private Sachherrschaft des Flugplatzbetreibers. Er muss den Flugplatz für die allgemeine Luftfahrt bereitstellen und ihn betreiben (§§ 45 Abs. 1, 53 LuftVZO), kann ihn also nicht ohne weiteres stilllegen. Von dieser Betriebspflicht kann er sich noch nicht einmal durch Verzicht auf die Rechte aus der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung (§ 6 LuftVG) entledigen83. Mit anderen Worten: Ohne die Widmung hätte der Flugplatz nicht die rechtliche Qualität einer allgemeinen Verkehrsinfrastruktur. cc) Klassifizierung des Verkehrswegs Die Widmung konkretisiert ferner die Verkehrsfunktion. § 6 Abs. 1 LuftVG differenziert zwischen Flughäfen, Landeplätzen und Segelfluggeländen. Die Bestimmungen der LuftVZO verfeinern diese Unterscheidung unter dem Aspekt der Verkehrsfunktion. Sie unterscheiden im Verhältnis zu Flugplätzen, die nicht dem allgemeinen Verkehr dienen, Verkehrsflughäfen (§38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO) und Verkehrslandeplätzen (§ 49 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO). Auch in diesem Punkt gibt es Parallelen zwischen dem Luftverkehrs- und dem Straßenrecht. Das Straßenrecht unterscheidet verschiedene Straßenklassen, zum Beispiel Bundesautobahnen und Bundesstraßen (§ 1 Abs. 2 FStrG), Landes-, Kreis-, Ge78
BGBl. IS. 2123. BT-Drucks. 12/4328, S. 22. 80 Dass die öffentliche Zweckbestimmung infolge der Widmung auch eine andere als die für Verkehrsinfrastrukturen sein kann - OVG Koblenz, Urt. vom 26.9.2000 - 7 C 10088 / 99, UA S. 36 ff. zur Widmung für militärische Zwecke - verkennen Sparwasser/Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle a.a.O. (Fn. 29). S. 289 Fn. 670. 81 BVerwG, Urt. vom 30.5.1984 - 4 C 58.81, BVerwGE 69, 256, 276 f. 82 Sparwasser / Voßkuhle sehen dies ohne diese Funktion der Widmung näher zu erörtern, Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, a.a.O. (Fn. 29), S. 359. 83 Greiner, BayVBl. 1994, 449, 451; Quaas, ZLW 2003, 175, 179. 79
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meindestraßen sowie sonstige öffentliche Straßen 84. Die Parallele zwischen der Einstufung von Flugplätzen in Verkehrsflughäfen und Verkehrslandeplätzen einerseits und der Einstufung von Straßen in unterschiedliche Straßenklassen andererseits ist offensichtlich. In beiden Fällen beschreibt die Einstufung die Verkehrsaufgabe. (a) Verkehrsflughäfen unterscheiden sich von Verkehrslandeplätzen durch ihre Anlagen und Einrichtungen. Nach § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO bedürfen sie einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich (§ 12 LuftVG). Aus der Notwendigkeit des Bauschutzbereiches folgt, dass derartige Flughäfen vor allem für Flugzeuge ab einer bestimmten Größe (ca. 20t Höchstabfluggewicht M T O W 8 5 ) und für den Instrumentenflugbetrieb genutzt werden sollen 86 . Dafür sind in der Regel Start- und Landebahnen von mindestens 1.500 m Länge und 30 m Breite erforderlich. Da mit Flugzeugen der entsprechenden Größenordnung vor allem nationale, kontinentale und interkontinentale Linienverkehre 87 abgewickelt werden, soll der Verkehrsflughafen offensichtlich die entsprechende Verkehrsfiinktion für eine derartige Nutzung übernehmen. Sie wird ihm mit der Widmung zugewiesen. (b) Angesichts der unterschiedlichen Destinationen der Verkehre und der daraus resultierenden Anforderungen an die Flughafeninfrastruktur werden bei den Verkehrsflughäfen weitere Differenzierungen erforderlich. Im Schrifttum wird eine Unterteilung in Flughäfen für den interkontinentalen, den kontinentalen und den regionalen Verkehr vorgeschlagen, um verkehrspolitischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen 88. Die Rechtsprechung unterscheidet die im Gesetz ebenfalls nicht ausdrücklich erwähnten Kategorien internationaler Verkehrsflughäfen 89 bzw. internationaler Großflughäfen 90. Letztere sind im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Internationale Großflughä-
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Vgl. Sauthoff, a.a.O. (Fn. 70), Rdnr. 293 f. Maximum Take Off Weight. 86 Hofmann / Grabherr, LuftVG, a.a.O. (Fn. 60), § 6 Rdnr. 11; zur baulichen Ausstattung von Flughäfen Giemulla, in: Giemulla / Schmid, LuftVG, a.a.O. (Fn. 65), § 6 Rdnr. 3. 87 Zum Linienverkehr als Charakteristikum eines Flughafens VGH Mannheim, Gerichtsbescheid v. 17.9.1993 - 8 S 846 / 93, ZLW 1994, 352, 357; Delbanco, a.a.O. (Fn. 63), S. 32; Quaas, ZLW 2003, 175, 184. 88 Schleicher-Reymann-Abraham, Das Recht der Luftfahrt, Bd. 2, 3. Auflage (1966), § 6 LuftVG Anm. 3. 89 BVerwG, Urt. vom 27.10.1998 - 11 A 1.97, BVerwGE 107, 313, 327; OVG Bremen, Beschl. vom 5.11.1993 - 1 (G) Τ 2 / 93, NVwZ-RR 1994, 189, 192. 90 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 615; OVG Hamburg, Urt. vom 20.1.1997 - Bf. III 54 / 95 Ρ - UA S. 29. 85
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fen sind Knotenpunkte des Interkontinental Verkehrs91. Sie zeichnen sich durch eine entsprechende bauliche Konfiguration aus (Nutzung durch Großraumflugzeuge, in der Regel mehrere Bahnen, entsprechend dimensionierte Abfertigungs- und Wartungseinrichtungen). Ihre Verkehrsfunktion soll alle Arten von Luftverkehr ermöglichen und ist von der Tendenz her umfassend. Gegen diese Präzisierung innerhalb der Gruppe der Verkehrsflughäfen lässt sich nicht einwenden, sie sei im Gesetz nicht vorgesehen. Ein Seitenblick auf das Straßenrecht zeigt, dass sie auch im Straßenrecht vorgenommen wird, ohne dass es dort eine ausdrückliche Grundlage gibt. Um die Verkehrsfunktion von Straßen zu verdeutlichen (etwa bei sonstigen öffentlichen Straßen), kann diese in der Widmung nach objektiven Kriterien näher bestimmt werden (ζ. B. als Rad- oder als Gehweg)92. Es gibt keinen sachlichen Grund, warum dies bei Flughäfen anders sein sollte. Wie bei Straßen unterscheiden sich auch bei Flughäfen Ausstattung und Betrieb der Infrastruktur nach der Verkehrsfunktion, je nachdem, ob diese eher dem Bedarf nationaler, kontinentaler oder interkontinentaler Verkehre dient. (c) Verkehrslandeplätze brauchen nach dem auf ihnen vorgesehenen Flugbetrieb keine Sicherung durch einen Bauschutzbereich (§ 49 Abs. 1 LuftVZO). Sie stehen grundsätzlich nur solchen Flugzeugen offen, die - negativ abgegrenzt - angesichts ihrer Größe nicht auf Verkehrsflughäfen angewiesen sind. Von Flughäfen unterscheiden sie sich durch das Fehlen flughafentypischer Einrichtungen 93 . Das zeigt, dass auf derartigen Landeplätzen andere Verkehre als auf Flughäfen abgewickelt werden. Der Flugbetrieb reicht von einmotorigen Flugzeugen mit 800 kg MTOW bis zu Flugzeugen mit rund 14 t bis 20 t MTOW 9 4 . Linienverkehre und Verkehre unter Instrumentenflugbedingungen werden auf Verkehrslandeplätzen regelmäßig nicht durchgeführt. d) Bewertung Das Luftverkehrsrecht kennt demnach wie das Eisenbahn- und das Straßenrecht ebenfalls eine Widmung. Ihre Bedeutung erschöpft sich nicht darin, dass sie des Zweck des Flugplatzes näher bestimmt. Sie begründet dessen Eigenschaft als öffentliche Verkehrsinfrastruktur und legt dessen Verkehrsfunktion durch Vorgabe des Flugplatztypus fest. Parallelen zum Straßenrecht sind unverkennbar. 91
Zur Funktion von Verkehrsknoten im Luftverkehr Pro Luftfahrt, a.a.O. (Fn. 7), S. 18 f. 92 Herber, in : Kodal / Krämer, a.a.O. (Fn. 69), Kapitel 7 Rdnr. 2.2. 93 VGH Mannheim, Gerichtsbescheid v. 17.9.1993 - 8 S 846 / 93, ZLW 1994, 352, 357. 94 Hofmann/Grabherr, LuftVG, a.a.O. (Fn. 60), § 6 Rdnr. 14.
Nachtflugverbote im Luftverkehr
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5. Verkehrsausschluss im Straßen- und im Flugplatzrecht Das legt es nahe, für den Ausschluss von Verkehren ebenfalls auf Strukturprinzipien des Straßenrechts abzustellen, soweit diese vergleichbar sind. a) Straßenrecht Beschränkungen des Verkehrs, insbesondere der Ausschluss von Verkehren, müssen sich im Straßenrecht auch an der Widmung - genauer: an der durch die Widmung vermittelten Verkehrsfünktion - messen lassen. Zwar kann es widmungsrechtlich zulässig sein, bestimmte Verkehre aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu beschränken. Straßenverkehrsrechtliche Anordnungen können widmungsgemäße Nutzungen sogar ausklammern und die Widmung in bestimmtem Umfang überlagern 95 . Dadurch dürfen allerdings keine Nutzungszustände herbeigeführt werden, die auf eine dauerhafte Beschränkung der Widmung oder eine dauerhafte Entwidmung hinauslaufen 96 . Verkehrsbeschränkungen sind im Rahmen der Widmung daher nur zulässig, wenn sie situationsbedingt sind, nicht dagegen, wenn sie auf Dauer konzipiert werden 97 . Das Bundesverwaltungsgericht hat die Aussperrung des Kraftfahrzeugverkehrs aus den engen verkehrsreichen Straßen einer historischen Innenstadt als widmungsrechtlich zulässig angesehen98. Im Schrifttum wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass damit die äußerste Grenze dessen erreicht ist, was ohne Veränderung des Widmungszwecks möglich ist 99 . Unzulässig ist es auf jeden Fall, alle Verkehre (auch Fußgängerverkehre) für einen bestimmten Zeitraum verkehrsrechtlich auszuschließen. Dieses Ziel kann nur durch eine (teilweise) Entwidmung und damit durch eine straßenrechtliche Maßnahme erreicht werden Das liegt nicht nur an Kompetenzfragen: Straßenverkehrsbehörde und Träger der Straßenbaulast sind nicht notwendigerweise identisch. Auch materiell unterscheiden sich verkehrsrechtliche und wegerechtliche Maßnahmen. Die Entwidmung ist nämlich an andere Voraussetzungen als verkehrsrechtliche Beschränkungen gebunden. Sie ist regelmäßig nur zulässig, wenn sich die Verkehrsbedeutung 95
Steiner, DAR 1994, 341; Sauthoff, a.a.O. (Fn. 70), Rdnr. 53. BVerfG, Beschl. vom 9.10.1984 - 2 BvL 10/82, BVerfGE 67, 299, 322; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 5.4.1984 - 5 Ss (OWi) 37 / 84 - 23 / 84 I, NVwZ 1985, 685, 686; Steiner, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 6. Aufl. (1999), V Rdnr. 167. 97 BVerwG, Urt. vom 25.4.1980 - 7 C 19.78, DÖV 1980, 915; Steiner, DVB1. 1992, 1561, 1564; Sauthoff a.a.O. (Fn.70), Rdnr. 53. 98 BVerwG, Urt. vom 25.4.1980- 7 C 19.78, DÖV 1980,915. 99 Krit. Steiner, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, a.a.O. (Fn. 96), V Rdnr. 167. 96
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der Straße ändert oder ändern soll, ferner wenn trotz eines vorhandenen Verkehrsbedarfs überwiegende öffentliche Belange für die (teilweise oder vollständige) Entwidmung sprechen. Mit anderen Worten: Die Verkehrsfunktion der Straße muss geändert werden. b) Luftverkehrsrecht Im Luftverkehrsrecht ist dies nicht anders. Zwar kennt das Luftverkehrsrecht keine ausdrückliche Unterscheidung zwischen Wegerecht und Verkehrsrecht wie im Straßenrecht. Aber auch im Luftverkehrsrecht wird die Verkehrsfunktion durch Betriebsregelungen näher ausgestaltet. Hier wie dort besteht das Bedürfnis, dass Betriebsregelung und Verkehrsfunktion kongruent sind. aa) Verkehrsausschluss im Widerspruch zur Widmung Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Neuanlage des Flughafens München II die Unzulässigkeit eines absoluten Nachtflugverbots mit der Widmung des Flughafens als internationalen Großflughafen begründet 100. Es hat - im Einklang mit dem Straßen- und Wegerecht - darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Planungsentscheidung, die trotz des Widmungszwecks des internationalen Verkehrsflughafens ein absolutes Nachtflugverbot verhängen würde, in sich widersprüchlich und rechtswidrig wäre. Das Gericht versteht den Widmungszweck als rechtliche Schranke der Planung. Diese Schranke gilt dann aber nicht nur für Planungsentscheidungen, sondern auch für die einseitige Aufhebung der Betriebsregelung, sei es beim Widerruf nach § 6 Abs. 2 Satz 3, 4 LuftVG bzw. § 49 LuftVG oder bei der Änderung der Betriebsregelung auf Antrag des Flugplatzbetreibers nach § 8 Abs. 4 Satz 2 i. Verb. m. § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG. Betriebsregelungen, die diese Schranke nicht einhalten, sind rechtswidrig 1 0 1 .
100
BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 615. Rechtsschutz gegen solche Betriebsregelungen stehen in jedem Fall dem Flugplatzbetreiber (nach Sachs, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 30), S. 119 bis 122, können sich die deutschen Flugplatzbetreiber lediglich auf die im Rechtsstaatsprinzip fundierten Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit berufen, mangels Grundrechtsfähigkeit nicht aber auf Grundrechte), aber auch den Luftverkehrsunternehmen zu, die an diesem Flugplatz einen verfestigten Betrieb aufgebaut haben, BVerwG, Urt. vom 26.7.1989 - 4 C 35.88, BVwerGE 82, 246, 251; VGH München, Urt. vom 25.2.1998 - 20 A 97.40017 u. 20 A 97.40018, ZLW 1999, 260, 266 ff. 101
Nachtflugverbote im Luftverkehr
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bb) Betriebsbeschränkung und Verkehrsfiinktion Wenn die Betriebsregelungen nicht zu einem vollständigen Ausschluss des Flugverkehrs und damit zu einem Ausschluss der Verkehrsfiinktion, sondern nur zu einer Einschränkung der Flugbewegungen fuhren, stellt die Widmung keine entscheidende rechtliche Schranke dar. Ein solches relatives Flugverbot lässt die Verkehrsfunktion fortbestehen. Widmungsrechtlich zulässig sind etwa Lärm- oder Bewegungskontingente oder der Ausschluss besonders lauten Fluggeräts. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie ohne rechtliche Grenzen angeordnet werden können. Darauf ist noch zurückzukommen.
6. Widmung und Nachtflug Für die Frage nach der Grenze behördlicher Nachtflugbeschränkungen bedeutet dies, dass zunächst zu klären ist, ob Nachtflüge zur widmungsgemäßen Nutzung eines Flugplatzes gehören. Wenn diese Frage bejaht wird, kommt es darauf an, ob Nachtflüge für eine bestimmte Flugplatzklasse vollständig oder teilweise ausgeschlossen werden können, ohne dass sich an dessen Verkehrsfunktion etwas ändert. Zumindest theoretisch wäre es zwar denkbar, dass das Luftverkehrsrecht nachts keinen Verkehr vorsieht. Dieser Punkt ist jedoch bereits geklärt. § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG zeigt, dass nächtliche Flugbewegungen grundsätzlich zulässig sind. Damit kommt es darauf an, ob an allen Flugplätzen Nachtflüge zulässig sind. Im Gegensatz zu den Straßen, bei denen dies auch nachts der Fall ist, ist die Lage im Luftverkehr nicht so eindeutig. Anders als im Straßenverkehr spielen beim Luftverkehr die Art der abzuwickelnden Verkehre, das benutzte Fluggerät und die zu überwindende Distanz eine ganz andere Rolle. Es ist ferner zu berücksichtigen, dass nach § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG auf die Nachtruhe besondere Rücksicht zu nehmen ist. Da aktive Schallschutzmaßnahmen durch Lärmschutzwälle nicht möglich sind, kann Schallschutz an der Quelle nur durch eine Beschränkung des Flugbetriebs, sei es durch Anforderungen an die Schallemissionen des Luftfahrtgeräts 102, sei es durch Betriebsbeschränkungen erfolgen. Das spricht dafür, dass im Luftverkehrsrecht Bewegungsverbote in größerem Umfang zulässig sind als im Straßenrecht. Bestätigt wird dies durch die Landeplatz-Lärmschutzverordnung, die auf bestimmten Landeplätzen unter anderem Nachtflüge mit propellergetriebe-
102 Zu den technischen Möglichkeiten der Lärmminderung am Fluggerät Dobrzynski, Technische Entwicklungen der Lärmminderung an der Quelle, in: Koch, Umweltprobleme des Luftverkehrs, a.a.O. (Fn. 1), S. 105 ff.; zum rechtlichen Instrumentarium Schulte, Rechtliche Instrumente der Lärmminderung an der Quelle, ebd. (Fn. 1), S. 117 ff.
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nen Flugzeugen und Motorseglern bis 9 t höchstzulässige Startmasse untersagt (§ 1 Landeplatz-LärmschutzV). 7. Verkehrsfunktion und Nachtflugverbote Für die weitere Untersuchung kommt es daher darauf an, ob es bestimmte Flugbewegungen gibt, die Tag und Nacht zulässig sind und auf dem Verkehr dienenden Flugplätzen in keinem Fall ausgeschlossen werden können, ohne gegen deren bestimmungsgemäße Funktion zu verstoßen. Im Anschluss ist für jede Klasse von Flugplätzen zu prüfen, ob Nachtflüge zu den Verkehren gehören, die auf diesem Flugplatz nach dessen widmungsgemäßer Bestimmung abgewickelt werden sollen und in welchem Umfang eine Einschränkung zulässig ist. a) Generell zulässige Nachtflüge Zu den unabdingbar mit der Widmung als Luftverkehrsinfrastruktur verbundenen nachts zulässigen Flugbewegungen gehören jedenfalls solche, die aus Gründen der Sicherheit und zur Hilfeleistung bei Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Auch im Luftverkehrsrecht gilt der Grundsatz „Not kennt kein Gebot" 1 0 3 . § 25 Abs. 2 Nr. 2 LuftVG hebt sogar den Flugplatzzwang des § 25 Abs. 1 Satz 1 LuftVG und die Beschränkungen für die Flugplatzbenutzung in § 25 Abs. 2 Satz 2 LuftVG auf, wenn die Landungen aus Gründen der Sicherheit oder zur Hilfeleistung bei einer Gefahr für Leib oder Leben einer Person erforderlich sind. In diesen Fällen darf selbst außerhalb von Betriebsstunden des Flugplatzes gelandet oder gestartet werden; nur nach Notlandungen sind Wiederstarts ausgeschlossen. Zwingen daher Mängel oder Störungen am Luftfahrzeug, Wetterbedingungen oder das Befinden des Luftfahrzeugführers bzw. der Passagiere zu Ausweich- oder Notlandungen oder müssen etwa in medizinischen Versorgungsfallen nachts Starts und / oder Landungen durchgeführt werden, ist dies eine unabdingbare widmungsgemäße Benutzung. Eine entsprechende Beschränkung der Widmung unter Ausschluss solcher Flugbewegungen wäre - das gilt für alle dem allgemeinen Luftverkehr dienenden Flugplätze mit § 25 Abs. 2 LuftVG nicht zu vereinbaren.
103
Schwenk, Handbuch, a.a.O. (Fn. 61), S. 355.
Nachtflugverbote im Luftverkehr
b) Nachtflugverbote
an internationalen
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Großflughäfen
Ob und in welchem Umfang internationale Großflughäfen dem Nachtflugverkehr offen stehen, hängt von ihrer widmungsgemäßen Verkehrsfiinktion ab. Sie dienen neben nationalen und kontinentalen Flügen in erster Linie dem interkontinentalen Luftverkehr. Sie sind zentrale Umschlagplätze für Passagiere und in der Regel auch für Fracht und Post. Ihre Verkehrszwecke sind umfassend 104. Internationale Großflughäfen befriedigen daher grundsätzlich alle Bedürfnisse des internationalen Luftverkehrs. Diese Verkehrsfiinktion ist ihnen widmungsgemäß zugewiesen. Dazu gehören auch nächtliche Flugbewegungen. aa) Ausbildungs- und Übungsflüge Zulässig sind die rechtlich vorgeschriebenen Ausbildungs- und Übungsflüge während der Nacht (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 a, Nr. 2 LufiPersV). Grundsätzlich müssen Luftfahrzeugführer dafür ausgebildet werden, auf einem internationalen Verkehrsflughafen auch nachts zu landen. Daher gehören entsprechende Ausbildungs· und Übungsflüge zu den nachts zulässigen Nutzungsarten. Auch nach Auffassung des BVerwG werden sie vom Widmungszweck eines Verkehrsflughafens umfasst 105. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß derartige Flüge keine unmittelbare Verkehrsfiinktion haben. Sie können daher in erheblichem Umfange zurückgedrängt, in die Nachtrandzeiten verlagert und auf ein absolutes Minimum reduziert werden, ohne dass deshalb die widmungsgemäße Funktion des internationalen Großflughafens in Frage gestellt würde. bb) Verspätungs- und Verfrühungsflüge Ein unmittelbarer Bezug zur Verkehrsfunktion besteht bei verspäteten Verkehren. Mit der Verkehrsfiinktion eines internationalen Großflughafens wäre es nicht zu vereinbaren, wenn eine Benutzung bei Verspätungen nicht zulässig wäre 1 0 6 . Gerade bei internationalen Verkehren kann es aus den unterschiedlichsten Gründen schon wegen der langen Flugstrecken zu Verspätungen kommen. Verspätete Landungen planmäßiger Tagesflugbewegungen müssen daher zugelassen werden; ihr Ausschluss wäre bei einer Klassifikation als internationaler
104
Greiner, BayVBl 1994, 449, 451 ; Bidinger, a.a.O. (Fn. 6), S. 124. BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 615. 106 BVerwG, Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51 / 89, NVwZ-RR 1991, 601, 615; OVG Berlin, Urt. vom 2.5.1996 - 2 A 5.92, ZLW 1997, 378, 405. 105
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Großflughafen nicht zu rechtfertigen 107. Wie weit solche Verspätungsflüge in die Nacht hinein zulässig sein müssen, lässt sich nicht abschließend sagen. Hier ist - mit entsprechenden Zuschlägen im Interesse der Flugsicherheit - auf durchschnittliche Erfahrungswerte abzustellen. Nichts anderes gilt für verspätete Starts. Gerade internationale Verbindungen können nur zuverlässig bedient werden, wenn die Flüge nicht wegen einer ggf. geringfügigen Verspätung auf den nächsten Tag verschoben werden müssen. Ein Nachtflugverbot darf erst zu dem Zeitpunkt beginnen, zu dem die Verspätungssituation erfahrungsgemäß bereits aufgelöst ist. Das hängt nicht zuletzt von der Kapazität des Flughafens ab. Eine ähnliche Problematik stellt sich bei Flügen, die zu früh ankommen. Eine verfrühte Ankunft kann gerade bei Interkontinentalflügen trotz Planung nicht ausgeschlossen werden. Es besteht daher ein erhebliches Verkehrsbedürfhis, internationale Großflughäfen für eine verfrühte Landung zu nutzen. Die Bereitstellung entsprechender Verkehrsinfrastruktur für außerplanmäßig frühe Landungen ist durch dieses Verkehrsbedürfhis gedeckt und wird vom Widmungszweck internationaler Großflughäfen umfasst. cc) Home-Base-Carrier Von der Rechtsprechung bisher nicht behandelt wurde die Frage, ob zum Widmungszweck der nächtliche Verkehr der Luftfahrzeuge gehört, die an dem betreffenden Flughafen ihre Wartungseinrichtungen und ihre Heimatflughafeninfrastruktur haben. Dafür spricht, daß derartige Einrichtungen nicht an allen Flughäfen gleichermaßen eingerichtet werden können, sondern sich in der Regel an Flughäfen mit einer entsprechenden Drehscheibenfunktion für die jeweilige Luftverkehrsgesellschaft befinden. Deren Flugzeuge müssen zur Durchführung dringend erforderlicher Wartung diese Flugplätze ansteuern. An Flughäfen, die vor allem der Abwicklung internationaler Verkehre dienen, muss dies vorrangig in den verkehrsarmen und damit in den Tages- und Nachtrandzeiten geschehen. Aus verschiedenen Gründen: Zum einen sind gerade die Großflughäfen während der Tagzeiten oft völlig ausgelastet. Zum anderen sind Wartungsarbeiten häufig nur nachts möglich, da die Maschinen tagsüber im Flugbetrieb eingesetzt werden. Daher gehört es zur Funktion eines internationalen Großflughafens, auch diese Verkehre zumindest während der Nachtrandzeiten abzuwickeln.
107
Gronefeld, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 40), S. 61; Sparwasser/Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 286.
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dd) Ausschluss der übrigen Flüge zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr Die bisher identifizierten Nachtflüge sind im Wesentlichen solche, die keine eigentliche Verkehrsfunktion haben bzw. eher der Not gehorchend vom Tag in die Nacht verschoben werden. § 29 b Abs. 1 Satz 2 LuftVG enthält keine Indizien, dass Nachtflüge nur auf diese Zwecke beschränkt zulässig sein sollen. Die Vorschrift erlaubt unabhängig von dem konkreten Anlass generell Nachtflüge. Ein entsprechender Bedarf besteht - wie gezeigt - für den Fracht- und den Postverkehr, die auf Nachtflugmöglichkeiten angewiesen sind, aber auch, insbesondere in den Nachtrandzeiten, für den Charterbetrieb 108 sowie für bestimmte Interkontinentalflüge, bei denen die Flugrouten- und Flugplanstruktur dazu zwingt nachts anzukommen oder abzufliegen. Auch solche Verkehre finden typischerweise an internationalen Großflughäfen statt und müssen daher von deren Verkehrsfunktion mit erfasst sein. Das spricht mit dem Bundesverwaltungsgericht gegen einen vollständigen Ausschluss jeglichen sonstigen Nachtflugverkehrs für den gesamten Nachtzeitraum und zwar auch, soweit er über die durch § 25 Abs. 2 LuftVG zugelassenen Flüge oder die zwangsläufig nicht plankonformen Flugbewegungen (Verspätung / zu frühe Ankunft) hinausgeht109. Derartige Flüge können also für den gesamten Zeitraum zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr nicht vollständig ausgeschlossen werden, weil sich eine solche Betriebsregelung in Widerspruch zur Widmung als internationaler Großflughafen setzen würde. ee) Nachtflugverbot für eine bestimmte Kernzeit Damit ist allerdings noch nicht gesagt, ob es zulässig ist, zwar nachts Flüge zuzulassen, in die Betriebsregelung aber gleichzeitig einen Bewegungsausschluss für die (überwiegende) nächtliche Kernzeit einzubauen. Eine solche flugfreie Kernruhezeit würde die Verkehrsfiinktion des internationalen Großflughafens für diese Zeit völlig aufheben. Der Flughafen würde für diese Zeit nicht nur für bestimmte Verkehrs- oder Luftfahrtsegmente gesperrt; er hätte überhaupt keine Verkehrsfunktion mehr. Ein Seitenblick auf das Straßenrecht zeigt, daß eine so weitreichende Verkehrsbeschränkung dort ohne eine Änderung der Widmung nicht möglich ist. Dieser Grundgedanke lässt sich auf den Flugverkehr übertragen. Die Funktion eines internationalen Großflughafens ist es, internationalen Verkehr - und damit einen Verkehr über mehrere Zeitzonen 108
192.
OVG Bremen, Beschl. vom 5.11.1993 - 1 (G) Τ 2/93, NVwZ-RR 1994, 189,
109 In diese Richtung auch Giemulla, ZLW 2000, 30, 33, allerdings ohne nähere Begründung.
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hinweg - abzuwickeln. Im Frachtbereich setzt dies für den Nachtsprung nächtliche Starts voraus. Ähnliches kann für den Passagierverkehr gelten, wenn der Zielort Starts in der Nacht infolge der Zeitverschiebung notwendig macht. Für den Postverkehr gilt nichts anderes. Gerade weil die Post im nationalen Postdienst zu 80% am nächsten Tag ausgeliefert werden soll und weil internationale Großflughäfen in der Regel als Drehscheibe auch für die Post genutzt werden, müssen Postflüge an solchen Flughäfen auch in der Mitte der Nacht abgewickelt werden können. Insbesondere in den Nachtrandzeiten besteht ein erhebliches Bedürfnis nach Nachtflugmöglichkeiten für den Charterbetrieb 110 an solchen Flughäfen. Für diese Verkehre muss also ein bestimmtes Maß an nächtlichen Bewegungen möglich sein. Sie können nicht vollständig für einen größeren Zeitraum der Nacht ausgeschlossen werden. Dies wäre mit der widmungsgemäßen Funktion eines internationalen Großflughafens nicht zu vereinbaren. Wo die Grenze genau verläuft, lässt sich allerdings nicht generell sagen111. Sie ergibt sich aus der Einbettung des Großflughafens in das nationale und internationale Luftverkehrssystem 112. Ein Ausschluss von Nachtflügen während einer weitreichenden Kernzeit hält sich nur dann im Rahmen der Widmung, wenn er auf das daraus resultierende Verkehrsbedürfiiis abgestimmt ist. ff) Nachtflugbeschränkungen Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies bedeutet nicht, dass nachts jede beliebige Verkehrsmenge zugelassen werden muss. Der Verkehr kann - anders als etwa im Straßenverkehr - mengenmäßig beschränkt werden 113 . Im Straßenverkehr besteht dafür kein Bedarf, weil - wie erwähnt - aktive Schallschutzmaßnahmen auf andere Weise (ζ. B. durch bauliche Vorkehrungen unmittelbar an der Verkehrsinfrastruktur) getroffen werden können. Im Luftverkehr ist dies nicht möglich. Ein aktiver Lärmschutz kann hier neben Maßnahmen am Fluggerät nur durch Betriebsregelungen erfolgen. Das bedeutet andererseits nicht, dass beim Luftverkehr aus Gründen des Lärmschutzes eine Reduzierung der Verkehrsmenge zwingend ist. Die Unterschiede zwischen Straßen- und Luftverkehr rechtfertigen es nicht, die Verkehrsfunktion der Luftverkehrsinfrastruktur vollständig aufzuheben. Aktiver Lärmschutz kann auch durch Betriebsregelungen wie Lärm- und Bewegungskontingente, den Ausschluss bestimmten besonders
110
192.
OVG Bremen, Beschl. vom 5.11.1993 - 1 (G) Τ 2/93, NVwZ-RR 1994, 198,
111 Bidinger geht davon aus, dass Einschränkungen nur insoweit zulässig sind, als die Nachfrage auf dem konkreten Flughafen nur geringfügig unterschritten wird, Bidinger, a.a.O. (Fn. 6), S. 125. 112 Bidinger, a.a.O. (Fn. 6), S. 120. 113 Bidinger, a.a.O. (Fn. 6), S. 123.
Nachtflugverbote im Luftverkehr
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lauten Luftfahrtgeräts, die Festlegung von Immissionsgrenzwerten in der Nachbarschaft oder durch Bahnbenutzungsregelungen erreicht werden 114 . Der Widmungszweck verlangt nicht, dass alle Bahnen ftir Nachtflüge nutzbar sind. Problematischer sind Beschränkungen der Bewegungsarten. Sie halten sich nur dann im Rahmen der Widmung, wenn für die ausgeschlossene Bewegungsart während des Zeitraums ihres Ausschlusses kein Verkehrsbedürfnis besteht. Ein Landeverbot muss etwa die Abwicklung von verspäteten Landungen ermöglichen. Eine Startbeschränkung muss beispielsweise dem Verkehrsbedürfiiis von internationalen Fracht- und Postflügen Rechnung tragen. Ob eine Nachtflugbeschränkung verfügt werden kann, hängt zudem nicht allein von ihrer Vereinbarkeit mit der Widmung ab. Selbstverständlich müssen auch die sonstigen rechtlichen Voraussetzungen gegeben sein. Der Ausschluss bestimmter Luftfahrzeuge ist etwa am Gleichheitsgrundsatz zu messen. Differenzierungen zwischen den einzelnen Luftfahrzeugen können zu Problemen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG führen. Ob und inwieweit Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Differenzierung ab. Ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann: So kann eine mit dem Lärmschutz begründete Differenzierung nach dem beförderten Gut sehr problematisch sein, weil dieses Gut im Hinblick auf die Lärmwirkungen kein geeignetes Differenzierungskriterium ist 1 1 5 . c) Sonstige Verkehrsflughäfen Verkehrsflughäfen unterhalb der Kategorie der internationalen Großflughäfen dienen primär kontinentalen Verkehren oder dem Mittelstreckenverkehr. Sie haben in der Regel keine oder nur eine eingeschränkte Drehscheibenfunktion. Auch an diesen Flughäfen ist ein Ausschluss sämtlicher Nachtflugbewegungen mit der widmungsgemäßen Verkehrsfiinktion nicht zu vereinbaren. aa) Ausbildung, Verspätung und Verfrühung, Home-Base-Carrier Das gilt zunächst für Ausbildungsflüge. Ebenso müssen an diesen Flugplätzen Verspätungen bzw. - soweit nach der Verkehrsfiinktion erforderlich - die Verfrühungen abgewickelt werden. Auch der Verkehr der Home-Base Carrier gehört an diesen Flughäfen zur bestimmungsgemäßen Verkehrsfiinktion.
114 Dazu Bayr, Lärmminderung in der Planfeststellung - Konzepte, in: Koch, Umweltprobleme des Luftverkehrs, a.a.O. (Fn. 1), S. 135, 142 ff. 115 Sachs, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 30), S. 113.
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bb) Weitere Nachtflüge Ansonsten sind an diesen Flughäfen vor allem die für die Abwicklung von kontinentalen und Mittelstrecken erforderlichen nächtlichen Flugbewegungen zulässig. Von Bedeutung ist dies etwa für Touristik- aber auch für Post- und Frachtflüge. Angesichts der Ziel- bzw. Herkunftsorte können derartige Flüge aber in der Regel in den Nachtrandzeiten bewältigt werden. In der Kernzeit der Nacht sind an diesen Flughäfen aufgrund der abzuwickelnden Verkehre kaum Flugbewegungen erforderlich. Eine Ausnahme gilt allenfalls für die Post. Das bedeutet, dass an diesen Flugplätzen nächtliche Flugbewegungen in größerem Umfange eingeschränkt werden können als an internationalen Großflughäfen. Zulässig sind nicht nur Nachtflugbeschränkungen, sondern auch Nachtflugverbote für einen größeren nächtlichen Zeitraum. d) Verkehrslandeplätze Auf Verkehrslandeplätzen werden in der Regel nationale und Flüge über die Grenze von Nachbarstaaten abgewickelt. Dagegen dienen diese Flugplätze allenfalls nachrangig der Abwicklung kontinentaler Flugbewegungen. Ihre Verkehrsaufgabe ist im Vergleich zu internationalen Großflughäfen oder sonstigen Verkehrsflughäfen eine untergeordnete. Das wirkt sich auch auf den widmungsgemäßen Umfang von Nachtflugbewegungen aus. Sie müssen nachts für Notlandungen und ggf. in begrenztem Umfang für Ausbildungszwecke in den Nachtrandstunden zur Verfügung stehen. Da an diesen Flugplätzen bestimmungsgemäß grundsätzlich keine Linien- oder linienähnlichen Verkehre und auch keine Flüge unter Instrumentenflugbedingungen stattfinden, stellt sich die Verspätungs- und Verfrühungsproblematik nicht. Eine nächtliche Verkehrsfunktion für Post und Fracht besteht an diesen Plätzen typischerweise nicht. An Verkehrslandeplätzen steht daher der weitgehende Ausschluss von Nachtflugbewegungen mit der widmungsgemäßen Verkehrsfünktion in Einklang. An diesen Plätzen können nächtliche Flugbewegungen für den größten Teil der Nacht ausgeschlossen werden. Bestätigt wird dies durch die Landeplatz-LärmschutzV, die weitreichende Einschränkungen nächtlicher Flugbewegungen an diesen Plätzen enthält. e) Bewertung Der Rückgriff auf die widmungsgemäße Verkehrsfunktion erlaubt also eine in sich schlüssige Systematisierung von Nachtflugverboten und Nachtflugbeschränkungen. Nachtflugverbote, die im Widerspruch zur widmungsgemäßen Verkehrsfunktion stehen, können nicht angeordnet werden. Eine entsprechende behördliche Entscheidung wäre rechtswidrig. Anders ist dies bei Nachtflugbe-
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schränkungen. Sie sind widmungsrechtlich im Regelfall unproblematisch. Die Rechtsprobleme liegen bei ihnen auf einer anderen Ebene.
8. Änderung der widmungsgemäßen Funktion Die bisherigen Ausführungen könnten den Eindruck erwecken, als dürften an einem als internationalen Großflughafen gewidmeten Flugplatz - für andere Flugplatzklassen gilt dies entsprechend - nachträglich keine Nachtflugverbote verhängt werden. Das trifft nicht zu. Im Straßenrecht ist das Ergebnis eindeutig: Wenn eine nicht widmungskonforme Verkehrsbeschränkung eingeführt werden soll, muss der Widerspruch durch eine Teilentwidmung und Umstufung der Straße beseitigt werden. Es stellt sich auch hier die Frage, ob dies für die Luftverkehrsinfrastruktur in gleicher Weise gilt. a) Die Entwidmung der Luftverkehrsinfrastruktur Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass sich die Notwendigkeit einer Entwidmung von Flughäfen aus der Rechtsprechung nicht ableiten lasse116. Das Erfordernis einer Teileinziehung oder Entwidmung von Verkehrsflughäfen stelle die Rechtsprechung nicht auf. Der Widmungszweck sei Gegenstand einer ordnungsgemäßen, widerspruchsfreien Planungsentscheidung. Nachtflüge seien daher durch einen ermessensfehlerfreien Teilwiderruf des luftverkehrsrechtlichen Zulassungsaktes (Planfeststellung oder Genehmigung) grundsätzlich zulässig 1 1 7 , die Widmung setze insoweit keine Schranke. Die Änderung der Betriebsregelung ist zwar im Ausgangspunkt eine Abwägungs- oder Ermessenentscheidung. Das bedeutet aber nicht, dass die Widmung ohne weiteres „weggewogen" werden kann. Die entscheidende Frage ist, wann die Änderung in sich widerspruchsfrei ist, also den Anforderungen an eine fehlerfreie Abwägung- bzw. Ermessensentscheidung genügt. Das ist - wie gezeigt - dann nicht mehr der Fall, wenn die beabsichtigte Regelung im Widerspruch zu der widmungsgemäßen Verkehrsfunktion steht. Entscheidend kommt es darauf an, unter welchen Voraussetzungen die widmungsgemäße Verkehrsfunktion geändert werden kann. Die These, dass eine solche Änderung ohne weiteres abwägungsfrei möglich wäre, greift also eindeutig zu kurz.
116 Sparwasser / Voßkuhle, achten, a.a.O. (Fn. 29), S. 291 ff. 117 Sparwasser / Voßkuhle, achten, a.a.O. (Fn. 29), S. 294 ff.
in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutin: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgut-
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b) Die Änderung der Verkehrsfunktion Auch hier hilft ein Blick auf das Recht anderer Verkehrsinfrastrukturen weiter. aa) Entwidmung im Straßen- und Bahnrecht Das geltende Straßenrecht kennt (bei inhaltlicher Übereinstimmung in abweichenden Formulierungen) zwei gesetzliche Voraussetzungen für eine (Teil-)Entwidmung: den Wegfall des Verkehrsbedürfhisses oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls 118 . Ändert sich das Verkehrsbedürfhis für eine Straße, wird deren Widmung teilweise aufgehoben und die Straße in eine andere Straßenklasse umgestuft. Ändert sich das Verkehrsbedürfhis nicht, ist eine Umstufung dennoch noch nicht ausgeschlossen. Es müssen aber überwiegende Gründe des Wohls vorliegen, die eine solche Umstufung rechtfertigen. In Betracht kommen etwa haushalts- und / oder gesundheitspolitische Gründe. Ähnlich ist dies im Bahnrecht. Dort kommt eine Entwidmung nur in Betracht, wenn die bisherige Betriebsfläche dauerhaft und nicht bloß vorübergehend nicht mehr für Bahnzwecke benötigt wird 1 1 9 . bb) Luftverkehrsinfrastruktur Dass es bei der Umstufung von Verkehrsflughäfen eine ähnliche Struktur gibt, zeigt § 6 Abs. 3 LuftVG. Danach ist die Genehmigung eines Verkehrsflughafens über die in § 6 Abs. 2 LuftVG genannten Gründe hinaus dann zu versagen, wenn durch die Anlegung und den Betrieb des beantragten Flughafens die öffentlichen Interessen unangemessenerweise beeinträchtigt werden. Das öffentliche Interesse meint hier in erster Linie die öffentlichen Verkehrsinteressen 120. Ein Flughafen darf daher nur dann betrieben werden, wenn ein entsprechendes Verkehrsaufkommen vorliegt oder zumindest zu erwarten ist. Ist dies nicht der Fall und werden dadurch die öffentlichen Verkehrsinteressen unangemessenerweise beeinträchtigt, darf eine Genehmigung für einen Verkehrsflughafen nicht erteilt werden bzw. muss eine bereits erteilte Genehmigung widerrufen werden. Die Parallelen zum Straßenrecht sind evident. Übertragen auf
1,8
Herber, in: Kodal / Krämer, Straßenrecht a.a.O. (Fn. 69), Kap. 10 Rdnr. 8 m.w.N. Steenhoff, UPR 1998, 182, 184. 120 Schleicher-Reymann-Abraham, LuftVG, a.a.O. (Fn. 88), § 6 Anm. 17 m.w.N.; Giemulla, in: Giemulla / Schmied, LuftVG, a.a.O. (Fn. 65), § 6 Rdnr. 36; Hofmann / Grabherr, LuftVG, a.a.O. (Fn. 60), § 6 Rdnr. 60; Birmanns, Internationale Verkehrsflughäfen, 2001, S. 170 f. 119
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Flughäfen bedeutet dies, dass eine Umstufung dann in Betracht kommt, wenn öffentliche Interessen unangemessen beeinträchtigt werden. Das kann einmal der Fall sein, weil die Verkehrsbedeutung des Flughafens sich geändert hat oder ändern soll, zum anderen, weil es anderweitige öffentliche Interessen fur eine solche Umstufung gibt. cc) Rechtsgrundlage der Entwidmung Gegen diese Überlegung lässt sich auch nicht einwenden, dass das Luftverkehrsrecht die Entwidmung nicht ausdrücklich regelt. Dass dies nicht erforderlich ist, zeigt der bereits erwähnte Seitenblick in das Recht anderer Verkehrsinfrastrukturen, insbesondere in das Recht der Eisenbahnverkehrsinfrastruktur. Auch dort ist anerkannt, dass eine Entwidmung als actus contrarius zur Widmung geboten ist, um die Zweckbestimmung einer Bahnanlage aufzuheben. Rechtsgrundlage für die Entwidmung im Bahnrecht ist § 18 AEG, obwohl diese Vorschrift nichts zur Entwidmung sagt 121 . Daher kommt es auch im Luftverkehrsrecht nur darauf an, ob es eine Rechtsgrundlage für die Entwidmung von Flugplätzen mit entsprechenden inhaltlichen Anforderungen enthält. c) Entwidmung und Umstufung durch Teilwiderruf Eine Entwidmung und die entsprechende Umstufung können durch einseitigen behördlichen Widerruf der Betriebsregelung erfolgen. Bei planfeststellungsbedürftigen Flugplätzen (Flughäfen und Landeplätzen mit beschränktem Bauschutzbereich) ist streitig, ob die Änderung der Betriebsregelung durch Widerruf der Genehmigung gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 LuftVG i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 3, Satz 4, Abs. 3 LuftVG i.V.m. § 48 LuftVZO 1 2 2 oder durch Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses nach § 49 VwVfG 1 2 3 erfolgt. Im ersteren Fall kommt ein Widerruf in Betracht, wenn sich nachträglich Tatsachen ergeben, die die Annahme rechtfertigen, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet wird bzw. wenn durch den Betrieb des beantragten Flughafens die öffentlichen Interessen in unangemessener Weise beeinträchtigt werden. Soweit der Widerruf auf § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG gestützt wird, muss er zur Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl erforderlich
121
Steenhoff, UPR 1998, 182, 184. Sparwasser / Voßkuhle, in: Hobe / Stoffel / Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 29), S. 223 ff. 123 Gronefeld, Rechtliche Stellungnahme, a.a.O. (Fn. 40) S. 71 unter Berufung auf BVerwG, Urt. vom 28.6.2000 - H C 13.99, BVerwGE 111, 276, 284. 122
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sein. Der Streit braucht hier nicht entschieden zu werden. Selbst wenn man einen Widerruf auf die einfacheren Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 3, 4, Abs. 3 LuftVG i.V.m. § 48 LuftVZO stützen wollte, müssten die aufgezeigten Grenzen beachtet werden. aa) Der Widerruf der Genehmigung Nach § 6 Abs. 3 LuftVG i.V.m. § 38 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO ist die Genehmigung zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen fur ihre Erteilung nachträglich nicht nur vorübergehend entfallen sind. Der Verordnungsgeber hat mit dieser Regelung von der Ermächtigungsgrundlage des § 32 Abs. 1 Nr. 9 a LuftVG Gebrauch gemacht. Wegen des Widerspruchs zwischen § 6 Abs. 2 Satz 3, Satz 4 LuftVG, der anders als die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO den Widerruf wegen eines Wegfalls der Eignung des Flugplatzgeländes bzw. wegen nachträglich eingetretener Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ins Ermessen der Behörde stellt und als höherrangige Regelung vorgeht 124 , findet § 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO allenfalls dann Anwendung, wenn andere Genehmigungsvoraussetzungen weggefallen sind. Die Vorschrift bezieht sich also vor allem auf die Genehmigungsvoraussetzung des § 6 Abs. 3 LuftVG. Voraussetzung für einen Widerruf ist daher, dass öffentliche Interessen ohne Aufhebung des Verwaltungsakts unangemessen beeinträchtigt sind. Soweit es um das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Nachtruhe geht, ist dieses allerdings nicht ausreichend. Weil § 6 Abs. 3 LuftVG nur für Verkehrsflughäfen gilt, Fluglärm aber auch an anderen Flugplätzen auftritt, besteht Einigkeit, dass hier andere Interessen als die des Schutzes vor Fluglärm gemeint sind 125 . Deswegen kann eine Umstufung eines Verkehrsflughafens nicht allein auf Fluglärmgesichtspunkte gestützt werden, wohl aber auf eine beabsichtigte Änderung der Verkehrsfunktion. bb) Widerruf der Planfeststellung An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn man an einem planfestgestellten Flughafen den Widerruf nur nach Maßgabe des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zur Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl zulassen will. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG enthält einen allgemeinen Rechtsgrundsatz für Ausnahmesituationen ähnlich dem Prinzip vom 124
Dazu Sachs, Rechtsgutachten, a.a.O. (Fn. 30), S. 47 f. Schleicher-Reymann-Abraham, LuftVG, a.a.O. (Fn. 88), § 6 Anm. 17 m.w.N.; Giemulla, in: Giemulla / Schmied, LuftVG, a.a.O. (Fn. 65), § 6 Rdnr. 36; Hofmann / Grabherr, LuftVG, a.a.O. (Fn. 60), §6 Rdnr. 60; Birmanns, a.a.O. (Fn. 120), S. 170 f. 125
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Wegfall der Geschäftsgrundlage 126. Im Planfeststellungsrecht geht die Rechtsprechung davon aus, dass § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG als ultima ratio gilt, wenn nachträgliche Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht ausreichen 127 . Nach dieser Vorschrift wäre selbst bei Verlust der Verkehrsbedeutung eine Teilentwidmung eines internationalen Großflughafens nur zulässig, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. An dieser Voraussetzung dürfte auch regelmäßig ein Teilwiderruf mit dem Ziel der Umstufung eines internationalen Großflughafens scheitern, da der nächtliche Fluglärm in der Regel nicht so gravierend ist, dass die Genehmigung trotz fortdauernder Verkehrsbedeutung widerrufen werden muss. Grundsätzlich kann nämlich dem Nachtfluglärm durch weniger gravierende Maßnahmen begegnet werden. Sie reichen von der Anordnung passiver Schallschutzmaßnahmen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG bis zum Teilwiderruf zwecks Einführung von widmungskonformen Bewegungsbeschränkungen. cc) Umstufung und Nachtflugbeschränkung Im Ergebnis kann daher die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen der einschlägigen Widerrufsvorschrift und unter Beachtung der durch die Verkehrsbedeutung und die überwiegenden öffentlichen Interessen skizzierten Schranken die Widmung aufheben, den Flugplatz neu einstufen (umstufen) und die mit dem neuen Status konforme Nachtflugbeschränkung der betrieblichen Regelungen erreichen. Das Erfordernis der Widerspruchsfreiheit zwischen Widmung und Betriebsbeschränkung steht also der Einführung etwa eines Nachtflugverbots nicht zwingend entgegen. Es ist allerdings schon hier darauf hinzuweisen, dass die Umstufung auch praktische Konsequenzen hat und der Flugplatz keineswegs mehr so weiterbetrieben werden kann, als habe er noch die ursprüngliche Verkehrsfiinktion.
126 BVerwG, Urt. vom 28.6.2000 - H C 13.99, BVerwGE 111, 276, 284, die Entscheidung verweist auf die entsprechende Aussage in BVerwG, Urt. vom 21.5.1997 - 11 C 1.96, BVerwGE 105, 6, 15; OVG Berlin, Urt. vom 2.5.1996 - 2 A 5.92, ZLW 1997, 378, 399 f.; Klappstein, in: Knack, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl. (1998), § 49 Rdnr. 6.5 m.w.N. 127 BVerwG, Urt. vom 28.6.2000 - H C 13.99, BVerwGE 111, 276, 284, 276; BVerwG, Urt. vom 21.5.1997 - H C 1.96, BVerwGE, 105, 6, 15; OVG Berlin, Urt. vom 2.5.1996 - 2 A 5.92, ZLW 1997, 378, 399.
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d) Die Änderungen auf Antrag des Fl ughafenunternehmers Neben der einseitigen behördlichen Aufhebung ist auch eine Umstufung auf Antrag des Flugplatzbetreibers denkbar. Der Sache nach geht es um einen Antrag auf Änderung der Betriebsregelung nach § 8 Abs. 4 i. Verb. m. § 6 Abs. 4 LuftVG. Das bedeutet allerdings nicht, dass die zuständige Behörde deswegen hinsichtlich einer Teilentwidmung und Umstufung etwa eines Flughafens keine Schranken zu beachten hat. aa) Keine Bindung an den Antrag Dass die Behörde an einen entsprechenden Antrag nicht gebunden ist, ist unstreitig. Der Flughafenunternehmer hat keinen Anspruch auf Genehmigung der beantragten Änderung. Nach ständiger Rechtsprechung 128 und auch nach der Literatur 129 ist die isolierte luftverkehrsrechtliche Änderungsgenehmigung nicht nur Unternehmergenehmigung, sondern auch Planungsentscheidung. Als Planungsentscheidung setzt sie ein Gestaltungspotential des Planungsträgers und der planenden Behörde voraus. Die Streitfrage, ob die Planungskompetenz beim Vorhabenträger 130 oder bei der Genehmigungsbehörde 131 liegt, braucht hier jedoch nicht erörtert zu werden. Die Genehmigungsbehörde ist nicht auf die bloße Kontrolle des Antrags beschränkt, sondern muss eine abwägende Entscheidung treffen und (zumindest) Mängel des Antrags planend ausgleichen132. Ein Anspruch des Flugplatzbetreibers auf die beantragte Änderung der Betriebsregelung wäre mit dem planerischen Gestaltungspotential der Behörde nicht zu vereinbaren 133 .
128
BVerwG, Urt. vom 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., BVerwGE 56, 110, 135 f. Hofmann / Grabherr, LuftVG, a.a.O. (Fn. 60), § 6 Rdnr. 2. 130 Ule / Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. (1995), § 41 Rdnr. 11. 131 So für die Planfeststellung im Luftverkehrsrecht, BVerwG, Urt. vom 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., BVerwGE 56, 110, 116; differenzierter BVerwG, Urt. vom 24.11.1997 - 7 C 25.93, DVB1. 1995, 238, 240. 132 Hoppe/Just, DVB1. 1997, 789, 793 m.w.N. 133 Die Rechtsprechung erkennt in Planungsverfahren allenfalls einen Anspruch des Vorhabenträgers auf fehlerfreie Ausübung des Planungsermessens an, BVerwG, Urt. vom 24.11.1994 -IC 25.93, BVerwGE 97, 143, 148; dazu Weidemann, DVB1. 1994, 264 ff. 129
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bb) Schranken des Planungsermessens Das bedeutet aber nicht, dass sie andererseits völlig frei in ihrer Gestaltung wäre. Die Schranken für eine Teilentwidmung und Umstufung sind auch in der Abwägungsentscheidung als interne Schranken zu beachten. Die Behörde kann daher die Betriebsregelung eines Flughafens nur dann mit dem Ziel der Teilentwidmung und Umstufung auf Antrag des Flugplatzbetreibers ändern, wenn sich die Verkehrsbedeutung des Flughafens geändert hat (bzw. ändern soll) oder wenn überwiegende öffentliche Gründe für eine Änderung der widmungsgemäßen Einstufung sprechen. e) Widerspruchsfreiheit
der Änderungsregelung
Abschließend bleibt zu klären, was im Falle der Entwidmung und Umstufung des Flugplatzes geschieht, wenn Widersprüche zwischen der Einstufung und der tatsächlichen Verkehrsfunktion bestehen. Das ist deswegen relevant, weil die Möglichkeit nahe liegt, dass die zuständigen Behörden zwar den Flughafen sei es im Änderungsgenehmigungsverfahren oder im Wege des Teilwiderrufs umstuft, um Nachtflugbeschränkungen einzuführen, de facto aber die bisherige Verkehrsbedeutung beibehält. Dass die tatsächliche Verkehrsbedeutung insoweit bei einer Teilentwidmung Grenzen zieht, ist im Wegerecht anerkannt. So kann eine Umstufung geboten sein, wenn die Verweigerung der Neueinstufung angesichts der tatsächlichen Verkehrsverhältnisse rechtsmissbräuchlich wäre 134 . Erst recht unzulässig ist es, wenn eine Verkehrsinfrastruktur teilentwidmet und in eine niedrigere Straßenklasse neu eingestuft wird, obwohl sich ihre bisherige Verkehrsfunktion gar nicht ändern soll 1 3 5 . Für die Widmung der Luftverkehrsinfrastruktur kann insoweit nichts anderes gelten. Sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung gibt es auch hier nicht. Eine Änderungsgenehmigung würde in diesem Falle daran scheitern, dass die Planungsentscheidung nach der Diktion des Bundesverwaltungsgerichts in sich widersprüchlich werden würde. Sie wäre abwägungsfehlerhaft und rechtswidrig. Für die Teilaufhebung der Genehmigung gilt nichts anderes. Auch die Ermessensentscheidung wäre ermessensfehlerhaft. Die Behörde würde das ihr eingeräumte Ermessen überschreiten. Es ist daher nicht rechtmäßig, einen Großflughafen zwecks Aufrechterhaltung seiner Verkehrsfunktion auszubauen, aber aus Anlass des Ausbaus eine Betriebsregelung zu verhängen, die der widmungsgemäßen Funktion eines solchen Flughafens widerspricht.
134
VG Stuttgart, VB1BW 1969, 190. OVG Lüneburg, Urt. vom 12.9.1963 - 1 OVG A 174 / 62, DVB1. 1964, 153, 154; Wolff / Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, a.a.O. (Fn. 71), § 78 Rdnr. 2. 135
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I I I . Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten: Die bisherige Diskussion um die Grenze der behördlichen Kompetenzen bei der Anordnung von Nachtflugverboten hat den Charakter der Flugplätze als Verkehrsinfrastruktur nicht hinreichend berücksichtigt. Der Umfang des zulässigen Verkehrs wird durch ihre Widmung als Luftverkehrsinfrastruktur bestimmt. Die widmungsgemäße Verkehrsfunktion wird im Wesentlichen durch die Flugplatzklassen des § 6 Abs. 1 LuftVG vorgegeben. Diese Klassifizierung kann anhand objektiver Merkmale weiter ausdifferenziert werden. So wird bei den Verkehrsflughäfen eine weitere Unterteilung in internationale Großflughäfen vorgenommen. Die widmungsgemäße Verkehrsfunktion schließt in bestimmtem Umfang Nachtflüge auf Flughäfen und Landeplätzen, die dem Luftverkehr dienen, ein. Am weitreichendsten ist diese Verkehrsfunktion auf internationalen Großflughäfen. Dort können Nachtflugverbote, die jeden planmäßigen Verkehr auf dem Flughafen ausschließen, weder fur die gesamte noch für einen wesentlichen Teil der Nacht verhängt werden. Weiterreichende Beschränkungen sind auf sonstigen Verkehrsflughäfen, noch gravierendere Einschränkung bis hin zu weitestgehenden Ausschlüssen nächtlicher Flugbewegungen auf Verkehrslandeplätzen zulässig. Die widmungsgemäße Verkehrsfunktion setzt auch einer Teilaufhebung der Betriebsregelung - sei es auf Antrag des Flugplatzbetreibers, sei es durch behördlichen Widerruf - Grenzen. Sollen Nachtflugverbote festgelegt werden, die mit dem derzeitigen Widmungszweck nicht zu vereinbaren sind, muss die Widmung teilweise widerrufen werden. Das ist vor allem bei einer Änderung der Verkehrsbedeutung zulässig. Allerdings muss dann der Flugplatz an die neue Verkehrsfunktion angepasst werden.
Anforderungen der Betriebsbeschränkungsrichtlinie und ihrer Umsetzung in das deutsche Recht Von Wilhelm Stoffel 1
Vorbemerkungen Am 28. März 2002 trat die neue „Richtlinie 2002 / 30 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren fur lärmbedingte Betriebsbeschränkungen an Flughäfen der Gemeinschaft" 2 in Kraft. Dieses neue Regelwerk wurde - abhängig von der jeweiligen Interessenslage - als bahnbrechende Neuerung zur erleichterten Einfuhrung von Betriebsbeschränkungen, bis hin zu weitreichenden Nachtflugverboten, gefeiert oder aber etwas abwertend als reine Verfahrensvorschriften abgetan. Die Wahrheit wird wohl wie so oft in der Mitte dieser gegensätzlichen Positionen liegen. Nach meiner persönlichen Einschätzung ist weder die Euphorie der einen, noch die Gelassenheit der anderen Seite gerechtfertigt. Dies wird im Folgenden hoffentlich deutlich werden.
I. Vorgeschichte der Betriebsbeschränkungsrichtlinie Die Betriebsbeschränkungsrichtlinie und ihr Inhalt müssen in einem historisch-politischen Kontext gesehen werden. Zwei Vorgänge sind dabei von zentraler Bedeutung: -
Hushkit-Streit zwischen der EU und den USA;
-
Verabschiedung neuer Lärmstandards in Anhang 16 des Chicagoer Abkommens und die Beschlüsse der 33. Generalversammlung der ICAO zum „ausgewogenen Ansatz."
1 Institute of Air and Space Law, McGill University (Montreal). Der Autor ist Rechtsanwalt in Köln mit dem Interessensschwerpunkt öffentliches und privates nationales und internationales Luftrecht. 2 ABl. 2002 L 85 / 40; im Folgenden Betriebsrichtlinie.
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1. Der Huskit-Streit zwischen der Europäischen Union und den USA Die Europäische Union bemühte sich lange Zeit vergeblich, über ihre Mitgliedstaaten3 die Internationale Zivilluftfahrt Organisation (ICAO 4 ) zur Verabschiedung neuer Lärmstandards in Annex 16 zum Chicagoer Abkommen5 zu bewegen. Die gültigen Standards stammten aus dem Jahre 1977 und waren nach Ansicht der Kommission ungeeignet, den gestiegenen Bedürfnissen der Flughafenanwohner nach Verminderung oder Vermeidung von Fluglärm - insbesondere während der Nachtstunden - nachzukommen. Die Schritte, die im Rahmen der ICAO zur Lärmbewältigung unternommen wurden, waren der Europäischen Kommission nicht ausreichend. Sie war der Ansicht, dass die besonderen Probleme an EU-Flughäfen nur durch drastischere Maßnahmen zu bewältigen waren. Folgerichtig legte die Kommission im April 1998 einen Vorschlag einer neuen Richtlinie 6 vor, die ab dem 1. April 2002 den Ausschluss bestimmter Flugzeuge von EU-Flughäfen zwingend vorsah. Es handelte sich dabei um ältere Flugzeuge, die neuzertifiziert wurden, um den Standards des Kapitels 3 zu Anhang 16 des Chicagoer Abkommens zu entsprechen. Dabei waren sowohl technisch nachgerüstete Flugzeuge betroffen als auch solche Flugzeuge, deren Lärm durch Betriebsbeschränkungen reduziert wurden. Ab dem 1. April 2002 durften auf Flughäfen innerhalb der EU keine neuzertifizierten Flugzeuge betrieben werden, es sei denn, sie wurden vor Inkrafttreten der Richtlinie dort bereits betrieben. Die USA betrachteten die neue Richtlinie mit großer Skepsis und sahen in ihr eine direkte Diskriminierung einheimischer Luftfahrtunternehmen, Flugzeugausrüster und Motorenhersteller. Nachdem keine Einigung mit der EU erzielt werden konnte, begannen die USA ein Streitschlichtungsverfahren gemäß Artikel 84 des Chicagoer Abkommens gegen die Mitgliedstaaten der EU. 7 Gleich-
3 Gemäß Artikel 91 ff. des Chicagoer Abkommens können nur Staaten Mitglied dieser Organisation werden. Die Europäische Union kann daher nur über ihre Mitgliedstaaten auftreten. 4 International Civil Aviation Organization. 5 Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7.12.1944, BGBl. 1956 II, 441. 6 Verordnung (EG) Nr. 925 / 1999 des Rates vom 29.4.1999 zur Registrierung und zum Betrieb innerhalb der Gemeinschaft von bestimmten Typen ziviler UnterschallStrahlflugzeuge, die zur Einhaltung der in Band I Teil 3 Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, 2. Ausgabe (Juli 1993), festgelegten Normen umgerüstet und neu bescheinigt wurden, ABl. L 115 / 1 vom 4.5.1999. 7 Siehe zum Huskit-Streit ausfuhrlich: Claes, Aircraft Noise Regulation in the European Union: The Huskit Problem, 65 Journal of Air Law and Commerce (2000), Nr. 2, S. 329 ff.
Anforderungen der Betriebsbeschränkungsrichtlinie
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zeitig drohten sie damit, die gerade aufgenommenen Gespräche innerhalb der ICAO über die Einfuhrung neuer Lärmstandards zu boykottieren. Im Wesentlichen argumentierten sie, dass die technische Nachrüstung den Lärm ausreichend reduziere und die neuzertifizierten Flugzeuge im Übrigen den in Anhang 16 zum Chicagoer Abkommen festgelegten Lärmstandards entsprechen würden. In schwierigen Verhandlungen gelang es den Parteien zunächst, sich innerhalb des Umweltschutzkomitees der ICAO (Committee on Aviation Environmental Protection - CAEP-5) auf verbesserte Lärmstandards in dem neuen Kapitel 4 zu Band 1 Teil 3 des Anhang 16 des Chicagoer Abkommens zu einigen. In dem Schlussbericht zum 5. Meeting empfahl CAEP, die neuen Bestimmungen obligatorisch für alle neuen Flugzeuge anzuwenden, die nach dem 1. Januar 2006 zugelassen werden sollen, freiwillig für solche Kapitel 3-Flugzeuge, deren Neuzertifizierung gemäß Kapitel 4 beantragt wird. Der ICAO-Rat folgte diesen Vorschlägen und verabschiedete die neuen Regelungen im Juni 2001.8 Aus noch näher darzulegenden Gründen erscheint es aber höchst zweifelhaft, ob die Betriebsbeschränkungsrichtlinie tatsächlich mit der ICAO-Politik im Einklang steht. Daher erscheint es auch zweifelhaft, ob mit ihr der Konflikt mit den USA behoben werden kann.
2. Verabschiedung neuer Lärmstandards in Anhang 16 des Chicagoer Abkommens und die Beschlüsse der 33. Generalversammlung der ICAO zum „ausgewogenen Ansatz" Wie bereits erläutert, führte der Huskit-Streit zur Verabschiedung neuer Lärmstandards in Anhang 16 Band I Teil 3 Kapitel 4 zum Chicagoer Abkommen. Darin gelang es, einen neuen Lärmstandard für bestimmte UnterschallStrahlflugzeuge zu beschließen. Weiterhin wurde im Herbst 2001 als neue ICAO-Politik zur Bewältigung von Lärmproblemen von der 33. Generalversammlung der so genannte „ausgewogene Ansatz (balanced approach)" angenommen. Die Richtlinie übernimmt dieses Konzept. Daher soll im Folgenden der wesentliche Inhalt dieses Konzeptes kurz erläutert werden.
8 Siehe dazu ausfuhrlich: Hupe, Experts formulating strategy for alleviating aviation's impact on the environment, 56 ICAO Journal (2001) Nr. 4, S. 5 ff; die Beschlüsse der letzten Sitzung sind enthalten in ICAO Doc. 9777, CAEP / 5.
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a) Der Inhalt des „ ausgewogenen Ansatzes " Während der 33. Versammlung haben die Mitgliedstaaten der ICAO insgesamt 31 Resolutionen verabschiedet.9 In unserem Zusammenhang ist Resolution A 33-7 „Consolidated statement of continuing ICAO policies and practices related to environmental protection" und der dort in Anhang C enthaltene „balanced approach" von zentraler Beschluss-Bedeutung. Danach sollen Lärmprobleme durch vier Elemente bekämpft werden: -
Lärmvermeidung an der Quelle
-
Landes- und Flächenutzungsplanung
-
lärmmindernde Betriebsverfahren
-
lärmbedingte Betriebsbeschränkungen.
Anhang C bezeichnet die genannten Elemente als principal elements " 10. Weiter erkennen die Vertragsstaaten der ICAO in Anhang C an, dass Staaten etablierte Methoden und Verfahren haben, die einen Einfluss auf die Umsetzung des „balanced approach" haben können. Daher werden die Staaten aufgefordert, „im Hinblick auf die Bewältigung von Lärmproblemen den ausgewogenen Ansatz zu beschließen, unter voller Berücksichtigung der Führung durch die ICAO, der einschlägigen rechtlichen Verpflichtungen, bestehender Vereinbarungen und Gesetze sowie etablierten Strategien, ..." n. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass dieser Katalog nicht abschließend ist und weitere Elemente Berücksichtigung finden können. Traditionell gehört beispielsweise der passive Lärmschutz zu den Maßnahmen zur Lärmreduzierung im Umfeld von Verkehrsflughäfen. Auch wenn der passive Lärmschutz nicht ausdrücklich als Element des „balanced approach" erwähnt ist, findet er dennoch im Rahmen der Prüfung möglicher Maßnahmen zur Reduzierung des Fluglärms Berücksichtigung.
9
Die Texte der 33. Versammlung sind verfügbar unter www.icao.int. Vgl. Erwägungsgrund 5: „Whereas the balanced approach to noise management developed by ICAO consists of identifying the noise problem at an airport and then analyzing the various measures available to reduce noise through the exploration of four principal elements, namely reduction at source, land-use planning and manage noise abatement, operational procedures and operating restrictions ...". 11 Vgl. Entschließungsgrund 2. a) zu Anhang C: „The Assembly: 1 2. Urges States to: a) adopt a balanced approach to noise management, taking full account of ICAO guidance, relevant legal obligations, existing agreements, current laws and established policies, when addressing noise problems at their international airports." 10
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Aus den Erwägungsgründen des Anhang C ergibt sich, dass der ausgewogene Ansatz dazu dienen soll, einen möglichst hohen und praktikablen Grad an Gleichförmigkeit in der internationalen Zivilluftfahrt, insbesondere auch im Hinblick auf umweltrechtliche Vorschriften, sicherzustellen. Ziele der Leitlinien sind die sichere, wirtschaftliche und geordnete Entwicklung der Zivilluftfahrt sowie die Förderung der Umweltqualität. Diese sollen einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. Auf der Grundlage der Leitlinien sollen den Vertragsstaaten flexible Instrumentarien in die Hand gegeben werden, um lokalen Lärmproblemen angemessen zu begegnen. Gerade diese Flexibilität wird als eine der Stärken dieses Konzeptes angesehen. Der ausgewogene Ansatz wird in Anhang D flankiert durch ein Programm zur Außerdienststellung bestimmter Unterschallstrahlflugzeuge, welche die Lärmgrenzen gemäß Anhang 16 Band 1 Kapitel 3 überschreiten. Dabei ist es wichtig, daraufhinzuweisen, dass die Staaten eindringlich gebeten werden, keine Maßnahmen zu beschließen, die darauf abzielen, Flugzeuge, die entweder gemäß Kapitel 3 oder 4 des Anhangs 16 zum Chicagoer Abkommen erst- oder neuzertifiziert wurden, schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen12. Hinsichtlich Kapitel 3-Flugzeugen sollen Betriebsbeschränkungen nur im Rahmen des ausgewogenen Ansatzes zulässig sein. Weiterhin bietet Anhang E einen Leitfaden zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen an Flughäfen. Auch hier ist zwischen den verschiedenen Flugzeugen streng zu unterscheiden. Kapitel 2-Flugzeuge können Gegenstand von jeglichen Maßnahmen sein. Kapitel 3-Flugzeuge können unterhalb der Schwelle des schrittweisen Abzugs grundsätzlich Gegenstand von Betriebsbeschränkungen sein, soweit diese den in Anhang E enthaltenen Leitlinien hinsichtlich des Verfahrens und ihres Umfangs genügen. Maßnahmen zum schrittweisen Abzug von Kapitel 4-Flugzeugen sollen in keinem Fall zugelassen werden. 13 Bei der Bekämpfung von Lärmproblemen sind weitere Aspekte zu berücksichtigen. Neben den verbesserten Lärmstandards zählen dazu aber auch die besondere Situation, in denen sich die Entwicklungsländer befinden, Ausnahmeregelungen insbesondere für Cargo-Flugzeuge mit Lärmzertifizierungen gemäß Kapitel 2 und 3 des Anhangs 16 oder Flugzeuge im Langstreckeneinsatz. Soweit der Zugang zu Flughäfen für bestimmte Flugzeuge eingeschränkt wird, sollen die wirtschaftlichen Auswirkungen für die betroffenen Luftfahrtunternehmen durch entsprechend frühzeitige Ankündigungen und die Gewährung von
12
Vgl. Entschließungsgrund 4: „The Assembly: 4. Urges States not to introduce measures to phase-out aircraft which comply, through original certification or recertification, with the noise standards in Volume I, Chapters 3 or 4 of Annex 16." 13 Vgl. Entschließungsgründe 3. und 4.
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Übergangsfristen abgefedert werden, damit sich diese auf die Beschränkungen rechtzeitig einstellen können. b) Offene Fragen Allerdings bleiben einige Fragen offen. Zunächst definieren die Leitlinien nicht, wann ein „Lärmproblem" an einem internationalen Flughafen vorliegt. Damit bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, Kriterien zu entwickeln, die erfüllt sein müssen, damit von einem Lärmproblem an einem Flughafen gesprochen werden kann. Diese Lücke in den Leitlinien reflektiert aber den allgemeinen Tatbestand, dass die Lärmforschung bis heute keine international anerkannten Standards entwickelt hat. Es fehlen insbesondere allgemeine Kriterien für die Gesundheitsschädlich- und -gefahrlichkeit von Fluglärm. Es stellt sich weiterhin die Frage, welche Maßnahmen überhaupt unter die Definition der Betriebsbeschränkungen fallen. Sind beispielsweise Nachtflugverbote erfasst? Auf der 33. Versammlung wurde argumentiert, dass dort, wo gar nicht mehr geflogen werden dürfe, kein Betrieb mehr vorläge, der eingeschränkt werden könne, und daher solche Beschränkungen nicht unter die Definition des ausgewogenen Ansatzes fielen 14. Bei der einstimmigen Annahme der neuen Leitlinien wurde allerdings von keinem Mitgliedstaat ein Vorbehalt hinsichtlich der Anwendbarkeit der Vorschriften auf Nachtflugbeschränkungen erklärt, so dass daraus nur der Schluss gezogen werden kann, dass nach dem Willen der Mitgliedstaaten der ICAO solche Beschränkungen von der Resolution A 33-7 gedeckt sind. Die Resolution sagt direkt nichts zum Verhältnis der einzelnen Elemente des ausgewogenen Ansatzes zueinander. Es ist insoweit hilfreich, auf die Arbeitspapiere der 33. Versammlung der ICAO zurückzugreifen. Das ICAO Exekutivkomitee bezeichnete unter Berufung auf die Beschlüsse des CAEP / 5 die einzelnen Elemente des ausgewogenen Ansatzes als gleichwertig 15 . Allerdings sollen Betriebsbeschränkungen nicht der erste Schritt zur Lösung von Lärmproblemen sein 16 . Daher ist davon auszugehen, dass in jedem Fall eine Abwägung vorgenommen werden muss, wonach zunächst die Instrumentarien zur Anwendung kommen, welche als zur Lärmvermeidung geeignet die Zivilluftfahrt am wenigsten einschränken. Eine solche Auslegung wird auch durch den Wortlaut
14
Vgl. ICAO Doc. A 33-WP / 43, 3.3. So auch: European Civil Aviation Conference, A European View on Aircraft Noise, ICAO Doc. A 33-WP/73, Rdnr. 6: „ECAC Member States ... note with approval that CAEP / 5 confirmed that all four elements of the balanced approach were given equal weight. One element was neither more nor less important than any other." 16 ICAO Doc. A 33-WP / 43, 3.3. 15
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des Anhangs C gestützt, in dessen Entschließungsgrund 3. d) die Staaten aufgefordert werden, Betriebsbeschränkungen nicht als ersten Schritt einzuführen, sondern erst nach der Berücksichtigung der Vorteile, die durch andere Elemente des ausgewogenen Ansatzes erzielt werden können 17 . Bei der Lektüre der Leitlinien fällt auf, dass Kapitel-4 Flugzeuge in Anhang C überhaupt nicht erwähnt werden. Gemäß Anhang D sollen keine Beschränkungen eingeführt werden, die darauf abzielen, erst- oder neuzertifizierte Kapitel-3 oder 4 Flugzeuge von einem Flughafen abzuziehen. Kapitel-4 Flugzeuge sind in Anhang D ansonsten nicht erwähnt. Erwähnung finden sie hingegen im Zusammenhang mit der Einführung lokaler Betriebsbeschränkungen gemäß Anhang E. Dort heißt es in Entschließungsklausel Nr. 4, dass die Staaten dringend gebeten werden, „keine Betriebsbeschränkungen einzuführen, die auf den Abzug von Flugzeugen, die entweder durch Erst- oder Neuzertifizierung den Lärmstandards des Anhangs 16 Band 1 4. Kapitel entsprechen, abzielen " 18 Aus dieser Passage und den detaillierten Ausführungen zu den zulässigen Betriebsbeschränkungen für Kapitel-3 Flugzeuge in Anhang D kann der Schluss gezogen werden, dass Kapitel-4 Flugzeuge von Betriebsbeschränkungen nicht betroffen sein sollen. Allerdings kann diese Passage auch so verstanden werden, dass nur solche Maßnahmen unzulässig sind, die darauf abzielen, Kapitel 4Flugzeuge abzuziehen („aimed to the withdrawal). Offen bleibt aber auch bei einer solchen Interpretation, ob damit nur ein völliger Abzug gemeint ist. Folgt man dieser Auslegung, wären partielle Betriebsbeschränkungen auch für Kapitel-4 Flugzeuge zulässig, da sie unterhalb der Schwelle der auf einen Abzug zielenden Beschränkungen liegen. Die Resolution A 33-7 selber und ihre Anhänge lassen wohl beide Auslegungen zu. Die Arbeitspapiere der 33. Generalversammlung enthalten keine Hinweise darauf, wie diese Vorschrift zu interpretieren ist. Indizien für die erste Auslegung können aus der Entstehungsgeschichte der Resolution A 33-7 abgeleitet werden. Durch die neuen Leitlinien sollte der Hushkit-Streit zwischen der EU und den USA entschärft werden. Da nunmehr dem Wunsch gerade der EU nach strengeren Lärmstandards in Form des neuen Kapitels 4 zu Anhang 16 nachgekommen wurde, kann man die Auffassung vertreten, dass jedenfalls die modernen Kapitel 4-Flugzeuge uneingeschränkt eingesetzt werden dürfen, da 17
„The Assembly: 3. Encourages State to: d) not apply operating restrictions as a first resort but only after consideration of the benefits to be gained from the other elements of the balanced approach and in a manner which is consistent with Appendix E to this Resolution". 18 „ The Assembly: 4. Further urges the States not to permit the introduction operating restrictions aimed at the withdrawal of aircraft that comply , throug original certification or recertification, with the noise standards in Volume /, of Annex 16".
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diese dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Auch Aussagen von Teilnehmern des CAEP-5 sprechen eher für eine restriktive Auslegung. Dem Vernehmen nach konnte der neue Lärmstandard in Kapitel 4 nur verabschiedet werden, weil Kapitel 3-Flugzeuge nur im Rahmen des ausgewogenen Ansatzes Einschränkungen unterliegen sollten, mit der Folge des uneingeschränkten Betriebs von Kapitel-4 Flugzeugen. Welche Auslegung zutrifft, kann daher zurzeit nicht mit hinreichender Sicherheit gesagt werden. Die Resolution A 33-7 sieht in Anhang C vor, dass der ausgewogene Ansatz auf seine Auswirkungen auf die lokale Lärmsituation überprüft werden soll. Daher bleibt es abzuwarten, wie sich die Staatenpraxis im Hinblick auf Beschränkungen von Kapitel-4 Flugzeugen entwickeln wird.
I I . Die Umsetzung des „ausgewogenen Ansatzes in der Richtlinie 2002 / 30 / EG" Die Kommission legte dem Parlament am 28.11.2001 einen Richtlinienvorschlag über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft vor 19 , dem das Parlament am 26. Februar 2002 mit Änderungen zustimmte20. Nach Veröffentlichung der neuen Richtlinie im Amtsblatt der Gemeinschaften am 28.3.200221 haben die Mitgliedstaaten sie gemäß Artikel 16 durch entsprechende Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis zum 28. September 2003 in nationales Recht umzusetzen.
1. Ziele der Richtlinie Die Richtlinie versucht einen Spagat zwischen langfristigem und nachhaltigem Ausbau der Flughafeninfrastruktur und -kapazität und der gleichzeitigen Begrenzung oder Reduzierung der Zahl der durch nachhaltige Auswirkungen des Fluglärms betroffenen Menschen22. Dies wird in den immerhin 25 Erwägungsgründen deutlich, die der Richtlinie vorangestellt sind. Gemäß Artikel 1 dient die Richtlinie folgenden Zielen: -
19 20 21 22
Festlegung von Vorschriften für die Gemeinschaft, um eine kohärente Einführung von Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen zu erleichtern und damit die Zahl der von den nachteiligen Auswirkungen
KOM (2001) 695 endg. Eine Synopse ist zu finden in Dokument A5-0053 / 2002. A.a.O., oben Fn. 2. Die Kommission ausfuhrlich dazu: a.a.O., oben Fn. 19, S. 4 ff.
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des Fluglärms betroffenen Menschen zu begrenzen oder zu reduzieren, -
Schaffung einer Grundlage, die den Anforderungen des Binnenmarktes entspricht,
-
Förderung des langfristig tragbaren Ausbaus der Flughafenkapazitäten,
-
Erleichterung der Erreichung bestimmter Lärmminderungsziele auf den einzelnen Flughäfen,
-
Ermöglichung der Auswahl von Maßnahmen, um ein Höchstmaß an Umweltnutzen möglichst kostengünstig zu erreichen.
Weder beabsichtigt sie, ein europaweites Lärmkontingent einzuführen noch allgemeine Betriebsbeschränkungen auf Gemeinschaftsflughäfen festzulegen. Aus einer Gesamtschau der Regelungen lässt sich erkennen, dass es sich bei der neuen Richtlinie eher um eine Betriebs- als um eine Umweltrichtlinie handelt, die prioritär die Aufrechterhaltung des Flughafenbetriebes unter Berücksichtigung des Schutzes der Bevölkerung vor Fluglärm zum Ziel hat. Ein Indiz dafür ist auch darin zu sehen, dass nicht der GD-Umwelt, sondern der GD-Energie und Verkehr für die Richtlinie zuständig ist.
2. Inhalt der Richtlinie Im Folgenden soll der wesentliche Inhalt der Richtlinie, insbesondere ihr Anwendungsbereich und die Stellung des Umweltschutzes im EU-Recht, dargestellt werden. a) Anwendungsbereich der Richtlinie Die Richtlinie ist auf zwei Kategorien von Flughäfen anwendbar, zunächst nämlich auf Flughäfen, die dem zivilen Luftverkehr offen stehen, und die unter Berücksichtigung des Durchschnitts der letzten drei Kalenderjahre vor der Anwendung der Richtlinie mehr als 50.000 Flugbewegungen jährlich verzeichneten 23 . Weiterhin betrifft sie Stadtflughäfen. Diese werden definiert als „ein Flughafen im Zentrum eines Ballungsraums, der über keine Piste mit einer Startrollstrecke von mehr als 2.000 Metern verfügt und lediglich Punkt-zuPunkt-Flugdienste zwischen europäischen Staaten oder innerhalb europäischer Staaten anbietet, wo eine große Anzahl von Menschen objektiv durch Fluglärm
23
Vgl. Artikel 2 a).
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belästigt wird und wo jede Zunahme der Flugbewegungen bei der extremen Lärmsituation eine besondere Belästigung bedeutet" 2* Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag enthielt das Kriterium „keine Piste mit einer Startrollstrecke von mehr als 2.000 Metern" nicht 25 . Dies hätte zur Folge gehabt, dass eine Reihe der größeren Verkehrsflughäfen in der Gemeinschaft als Stadtflughäfen im Sinne der Richtlinie hätten gelten können, mit der Folge weitergehender Beschränkungsmöglichkeiten. Das Parlament wiederum drängte auf eine Definition, die über die Vorstellungen der Kommission hinausgegangen wäre: „Stadtflughafen ist ein Flughafen im Zentrum eines Ballungsraumes mit vorwiegend innereuropäischen Punkt-zu-Punkt-Flugdiensten, wo eine signifikante Zahl von Menschen objektiv durch Fluglärm belästigt wird und wo jede Zunahme von Flugbewegungen eine besonders große Belästigung bedeutet" 26 Die Stadtflughäfen sind in Anhang I der Richtlinie aufgeführt. In der Bundesrepublik Deutschland gehört zurzeit nur Berlin-Tempelhof zu dieser Kategorie 27 . Änderungen dieser Liste können gemäß Artikel 2 b) Satz 3 i.V.m. Artikel 13 Absatz 3 von der Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaates nach Anhörung des gemäß Artikel 11 der Marktzugangsverordnung 28 eingesetzten Ausschusses vorgenommen werden. b) Allgemeine Lärmschutzregeln für Luftfahrzeuge gemäß Artikel 4 Die Richtlinie lässt unter bestimmten Voraussetzungen Betriebsbeschränkungen zu, die wie folgt definiert werden: „Betriebsbeschränkung ist eine lärmrelevante Maßnahme zur Begrenzung oder Reduzierung des Zugangs ziviler Unterschallflugzeuge zu einem Flughafen. Darin eingeschlossen sind Betriebsbeschränkungen, durch die knapp die Vorschriften erfüllende Flugzeuge von bestimmten Flughäfen abgezogen werden sollen, sowie partielle Betriebsbeschränkungen, die den Betrieb ziviler Unterschallflugzeuge je nach Zeitraum einschränken" 29. 24
Vgl. Artikel 2 b). Vgl. KOM (2001) endgültig, S. 15. 26 Vgl. A5-0053 / 2002, endgültig, S. 7. 27 Die weiteren Stadtflughäfen sind: Stockholm Bromma (Sw), London City und Belfast City (beide GB). 28 Verordnung (EWG) Nr. 2408 / 92 des Rates über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs vom 23.7.1992, ABl. Nr. L 240 vom 24.8.1992, S. 8 ff. in der Fassung der Berichtigung in ABl. Nr. L 15 vom 23.1.1993, S. 33 und ABl. Nr. L 45 vom 23.2.1993, S. 30 sowie der Ergänzungen in ABl. Nr. C 241 vom 29.8.1994, S. 169 und ABl. Nr. L 1 vom 1.1.1995, S. 1. 29 Vgl. Artikel 2 e). 25
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Artikel 4 der Richtlinie legt allgemeine Lärmschutzregeln für Flugzeuge fest: „(l)Die Mitgliedstaaten beschließen einen ausgewogenen Ansatz bei der Lösung von Lärmproblemen auf Flughäfen ihres Gebietes. Sie können ferner wirtschaftliche Anreize fur Lärmschutzmaßnahmen treffen. (2) Plant eine zuständige Behörde Betriebsbeschränkungen, so berücksichtigt sie die voraussichtlichen Kosten und den wahrscheinlichen Nutzen der verschiedenen möglichen Maßnahmen sowie die Besonderheiten des Flughafens. (3) Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen oder Maßnahmenpakete sind nicht restriktiver, als es zur Verwirklichung der für einen bestimmten Flughafen festgelegten Umweltziele notwendig ist. Sie stellen keine Diskriminierung wegen der Nationalität oder Identität des Luftfahrtunternehmens oder des Flugzeugherstellers dar. (4) Für leistungsbedingte Betriebsbeschränkungen ist von dem Lärmwert des Flugzeuges auszugehen, der durch das gemäß Band 1 des Anhangs 16 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt, dritte Ausgabe (Juli 1993), durchgeführte Bescheinigungsverfahren ermittelt wurde." Artikel 4 steckt somit einen Rahmen ab, in dem sich Maßnahmen zur Verbesserung der Lärmsituation bewegen müssen. In erster Line kommt der bereits erwähnte ausgewogene Ansatz zur Anwendung. Gemäß Artikel 2 (g) ist ausgewogener Ansatz „der Ansatz, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten die möglichen Maßnahmen zur Lösung des Lärmproblems auf einem Flughafen auf ihrem Gebiet prüfen, insbesondere die absehbare Auswirkung einer Reduzierung des Fluglärms an der Quelle, der Flächennutzungsplanung und -Verwaltung, der lärmmindernden Betriebsverfahren und Betriebsbeschränkungen" Diese Definition deckt sich völlig mit der Definition in Anhang C zur Resolution A 33-7 der ICAO-Versammlung. Hier fragt es sich, warum nicht generell auf die Definition der ICAO verwiesen wurde. Das Parlament war der Ansicht, dass eine dynamische Verweisung auf die sich fortentwickelnden ICAO-Regeln die Rechte und Pflichten der Europäischen Gesetzgebungsorgane verletzten würde, über das anzuwendende Recht autonom zu entscheiden. Im Übrigen sollte auch dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen werden, wonach beispielsweise Maßnahmen im Rahmen der Flächenutzungsplanung in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen 30 . Hier kann somit die sehr strittige Frage dahinstehen, ob und welche Bindungswirkungen Resolutionen der Versammlung der ICAO haben31. Unter Be30
A.a.O., oben Fn. 20, S. 20. Siehe dazu umfassend: Böhme, Die Internationale Organisation der Zivilen Luftfahrt, Göttingen 1956, S. 158 ff.; Rosenmöller, Die Internationale Organisation der Zivilluftfahrt, Münster 1959, S. 52 ff.; allgemein zur Bindungswirkung von Resolutionen internationaler Organisationen: Kimminich /Hobe, Einfuhrung in das Völkerrecht, 7. Aufl. 2000, S. 192, m.w.N. 31
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rücksichtigung der beschriebenen Einschränkung wird die Resolution A 33-7 Bestandteil des Gemeinschaftsrechts und somit bindend. Allerdings sind bei der Anwendung des ausgewogenen Ansatzes die überkommenen Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts, insbesondere auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Verbot von Wettbewerbsverzerrungen 32, zu berücksichtigen. In der Richtlinie werden somit keine neuen Maßstäbe gesetzt. Sie versucht, die Lärmsituation an besonders belasteten Flughäfen mit für alle Flughäfen gleichen Instrumentarien zu verbessern 33. Damit sollen auch Wettbewerbsverzerrungen, wie sie in Artikel 9 Abs. 2 der Marktzugangsverordnung erwähnt werden, verhindert werden. Dazu wird in den Erwägungsgründen der neuen Richtlinie ausgeführt: „(23) Die Richtlinie entspricht den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, wie sie in Artikel 5 EG-Vertrag verankert ist. Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft können zwar dazu beitragen, eine Verschlechterung der Lärmsituation in der Umgebung von Flughäfen zu verhindern, können unter Umständen aber auch den Wettbewerb verzerren. Daher kann die Gemeinschaft das Ziel besser durch harmonisierte Vorschriften für Betriebsbeschränkungen als Teil der Lärmschutzmaßnahmen erreichen. Die Richtlinie beschränkt sich auf die zur Erreichung dieses Zieles notwendigen Mindestvorschriften und geht über das dazu notwendige Maß nicht hinaus." Gemäß Artikel 4 (1) der Richtlinie kommen folgende Hauptelemente zur Anwendung: -
Reduzierung des Fluglärms an der Quelle
-
Flächennutzungsplanung und -Verwaltung
-
lärmmindernde Betriebsverfahren
-
Betriebsbeschränkungen.
Dies sind wiederum Hauptelemente. Auch hier treten weitere Elemente hinzu, die bei der Prüfung von Lärmminderungsmöglichkeiten Berücksichtigung finden müssen. Dazu zählen die einschlägigen rechtlichen Verpflichtungen, bestehenden Vereinbarungen, geltenden Gesetze und etablierten Strategien 34. Aus einer Gesamtschau ergibt sich, dass Artikel 4 der Richtlinie keinen materiellen Inhalt hat, außer dass zwingend vorgeschrieben wird, den ausgewogenen Ansatz bei der Lösung von Lärmproblemen an ihren Flughäfen anzuwenden. Auch unterlässt es die Richtlinie, näher zu definieren, wann ein „Lärmproblem" vorliegt. Dies bleibt nach wie vor den Mitgliedstaaten überlassen.
32 33 34
Vgl. Artikel 4 (3). Kommissionsvorschlag, a.a.O., oben Fn. 19, S. 7. Vgl. Erwägungsgrund 10.
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Dies geschieht im Rahmen der den Mitgliedstaaten eröffneten Möglichkeit, umweltpolitische Ziele autonom festzulegen. c) Exkurs: Die Stellung des Umweltschutzes
im EU-Recht
Hier ist der Punkt erreicht, kurz auf die Stellung des Umweltschutzes im EURecht einzugehen35. Gemäß Artikel 1 EG hat die Gemeinschaft u. a. die Aufgabe, eine „Politik auf dem Gebiet des Umweltschutzes" zu betreiben und ein „hohes Maß an Umweltschutz und Umwelt" sicherzustellen. Gemäß Artikel 6 EG sind die Erfordernisse des Umweltschutzes bei den Gemeinschaftspolitiken im Sinne von Artikel 3 EG zur Förderung einer nachhaltigen umweltverträglichen Entwicklung einzubeziehen. Zwischen den umweltpolitischen und wirtschaftspolitischen Zielen muss demnach ein ausgewogener Ausgleich gefunden werden. Die Umweltpolitik geht von drei maßgeblichen Gestaltungsprinzipien aus: dem Vorsorge- oder Vorbeugeprinzip, dem Ursprungsprinzip und dem Verursacherprinzip 36. Gemäß Artikel 174 Abs. 2 Satz 1 EG 3 7 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine hohen Schutzstandard im Rahmen konkreter umweltpolitischer Maßnahmen sicherzustellen. Klärungsbedürftig ist damit die Frage, welche Stellung der Umweltschutz gegenüber anderen Zielen der Gemeinschaft einnimmt oder anders gefragt, wie werden Kollisionslagen zwischen den Belangen des Umweltschutzes und den wirtschaftlichen Grundfreiheiten aufgelöst. Der Gerichtshof hat bereits Ende der 80er Jahre in seiner Entscheidung zur Dänischen Pfandflaschenregelung 38 und Anfang der 90er Jahre in der Entscheidung zu dem Wallonischen Einfuhrverbot fur Abfälle 39 deutlich gemacht, dass der Umweltschutz als zwingendes Erfordernis betrachtet wird. Später stellt er in einer Entscheidung über bestimmte deutsche Regelungen zur Zulassung von Flugzeugen fest, dass strengere Lärmvorschriften als in einschlägigen EU-
35 Siehe dazu ausführlich: Hobe /Stoffel /Sparwasser / Voßkuhle, Rechtsgutachten über rechtliche Fragestellungen zur Umsetzung eines „Nachtflugverbotes" am Flughafen Frankfurt, 2002, S. 143 ff. mit weiteren umfangreichen Nachweisen; das Gutachten ist online verfügbar unter www.dialogforum-flughafen.de ; auch Hobe /Stoffel, Völkerrechtliche und europarechtliche Rahmenbedingungen für die Einführung eines Nachtflugverbotes am Flughafen Frankfurt / Main, ZLW 2003, S. 1 ff. 36 Siehe dazu ausführlich mit weiteren Nachweisen: Oppermann, Europarecht, 2. Aufl., München 1999, Rd-Nr. 2008; auch Krämer, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU / EG-Vertrag, Bd. 3, Artikel 130r, Rdnr. 18 ff.; ebenso die Entscheidungen des EuGH insbesondere zu den Wallonischen Abfällen, EuGH, Rs. C-2 / 90, Slg. 1992,1-4431. 37 EG für den Europäischen Gemeinschaftsvertrag in der Fassung des Vertrages von Amsterdam. 38 EuGH, Rs. 302 / 86, Slg. 1988, 4607. 39 A.a.O., oben Fn. 36.
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Richtlinien vorgeschrieben durch Erwägungen der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes gerechtfertigt sein können 40 . Ohne in die Details gehen zu können, lässt sich feststellen, dass der EuGH den Umweltschutz als die wirtschaftlichen Grundfreiheiten einschränkendes Tatbestandsmerkmal oder einen einschränkenden Rechtfertigungsgrund ansieht. Die Auflösung widerstreitender Interessen geschieht dann auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit. Allerdings sind die Mitgliedstaaten nicht völlig frei in der Festlegung umweltpolitischer Ziele. Diese können nur dann eine wirksame Einschränkung der Wirtschaftsfreiheiten bewirken, wenn sie ihrerseits - gemessen an den Zielen der Gemeinschaft - den überkommenen gemeinschaftlichen Grundsätzen, insbesondere der Verhältnismäßigkeit, der Nichtdiskriminierung und des Übermaßverbotes, genügen. Dazu muss eine Umweltpolitik hinreichend konkret formuliert werden. Dies hat die Kommission in ständiger Spruchpraxis zur Marktzugangsverordnung wiederholt festgestellt 41. In einer Entscheidung zum Pariser Flughafensystem 42 gemäß Artikel 8 Abs. 1 Marktzugangsverordnung macht die Kommission beispielsweise folgende Ausführungen: „Artikel 8 Abs. 1 ... ermächtigt die Mitgliedstaaten, den Verkehr zwischen den Flughäfen eines Flughafensystems zu verteilen, und anerkennt im Prinzip die Rechtmäßigkeit einer aktiven Flughafen-Planungspolitik, soweit diese die allgemeinen Prinzipien des Gemeinschaftsrechts respektiert. Eine solche Planungspolitik kann eine große Anzahl verschiedener Faktoren berücksichtigen, die in den Augen der zuständigen Behörden prioritär sind. Es erscheint klar, dass die Maßnahmen, die im Rahmen einer Flughafen-Planungspolitik angenommen werden, sich von einem Flughafensystem zum anderen unterscheiden können. Um wirksam zu sein, ziehen diese Maßnahmen mehr oder weniger starke Beschränkungen des Zugangs zur Gesamtheit oder Teilen der zu dem Flughafen gehörenden Flughäfen nach sich. Es stände im Widerspruch zu diesen Erwägungen, den Anwendungsbereich des Artikel 8 Abs. 1 derart zu begrenzen, dass für einen Mitgliedstaat a priori die Möglichkeit ausgeschlossen wäre, eine bestimmte Flughafenpolitik für ein gewisses Flughafensystem durchzuführen...." Übertragen auf die neue Richtlinie bedeutet dies, dass Einschränkungen des Betriebes eines Flughafens europarechtlich unbedenklich sind, wenn sie durch zwingende Erfordernisse des allgemeinen Interesses, d. h. hier konkret des Umweltschutzes, gerechtfertigt sind, das gleiche Ergebnis nicht durch weniger
40
EuGH, Rs. C-389 / 96, Slg. 1998,1-4473. Siehe dazu umfassend: Niejahr, in: Frohnmeyer / Mückenhausen, EG-Verkehrsrecht, München 2001, Nr. 51, Rdnr. 204 ff. 42 Entscheidung der Kommission vom 14.3.1995 in einem Verfahren zur Anwendung der Verordnung (EWG) 2408/92 (Sache V I I A M A / 9 / 9 4 Französische Verkehrsaufteilungsregeln für das Pariser Flughafensystem), 92 / 259 / EG, ABl. L 162 vom 13.7.1995, S. 25 ff. 41
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einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann und die Beschränkungen im Übrigen nicht diskriminierend sind 43 . d) Das Prüfungsverfahren
des Artikel 5
Gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie werden bestimmte Informationen, die in einem Anhang II zur Richtlinie katalogartig aufgeführt sind, bei der Entscheidung über Betriebsbeschränkungen berücksichtigt. Neben dem Ist-Zustand 44 soll eine Prognose ohne die neue Maßnahme45 angestellt werden. Weiterhin muss eine Prüfung zusätzlicher Maßnahmen erfolgen 46. Soweit Maßnahmen gemäß der Richtlinie 85 / 337 / EWG einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden, wird im Rahmen des Artikels 5 davon ausgegangen, dass diese den Anforderungen gemäß Artikel 5 Absatz 1 genügt, sofern bei der Prüfung soweit möglich die im Anhang II genannten Informationen berücksichtigt werden. Diese Vorschrift des Artikels 5 Absatz 2 dient der Verfahrensvereinfachung. Für die Fälle, in denen eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegt bzw. erforderlich ist, ersetzt dieses Verfahren das Verfahren des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 2 0 0 2 / 3 0 / E G . Betriebsbeschränkungen für Flugzeuge stellen eine Maßnahme zur Eindämmung der Auswirkungen des Flughafens auf die Umwelt dar. Als solche können sie auch der UVP unterliegen. Soweit eine UVP-Prüfung den Erfordernissen des Anhangs II entspricht, braucht keine besondere Prüfung gemäß Artikel 5 Absatz 1 erfolgen. e) Das „phase-out Verfahren
" des Artikel 6
Die zentralen materiellen Regelungen enthält Artikel 6. Danach kann der Zugang zu Flughäfen von nur knapp die Vorschriften erfüllenden Flugzeugen beschränkt werden. Unter solchen Flugzeugen ist ein ziviles Unterschallstrahlflugzeug zu verstehen, „das die im Band 1 Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt festgelegten Höchstwerte um e 43
Vgl. auch Erwägungsgrund (23) und Begründung der Kommission, a.a.O., oben Fn. 19, S.8. 44 Zu berücksichtigen sind dabei: Beschreibung des Flughafens und der Umweltschutzziele fur den Flughafen und den Mitgliedstaat, Angaben der Lärmkonturen des laufenden Jahres sowie der vergangenen Jahre, Beschreibung der bisherigen Maßnahmen zur Verminderung des Fluglärms; vgl. Anhang II, Nr. 1. 45 U.a. bei vorgesehenem Flughafenausbau bereits genehmigte und im Programm vorgesehene Kapazitätserweiterungen, Nutzen der zusätzlichen Kapazität; Beschreibung der Auswirkungen auf die Lärmsituation ohne weitere Maßnahmen; voraussichtliche Lärmkonturen; vgl. Anhang II, Nr. 2. 46 U.a. Einschätzung des Kosten-Wirksamkeits- oder des Kosten-Nutzen-Verhältnisses; Auswirkungen der Maßnahmen auf andere Flughäfen; vgl. Anhang II, Nr. 3.
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ne kumulative Marge von höchstens 5 EPNdP (Effective Perceived Noise in Dezibel) unterschreitet...". Zur Begründung dieser Ausnahmeregelung fuhrt die Kommission aus, dass diese Flugzeuge gemessen an ihrem Gewicht überproportional zur Verschlechterung der Lärmsituation beitragen würden 47 .
Es ist auffallig, dass in der Richtlinie die neuen Lärmhöchstwerte gemäß Band 1 Teil II Kapitel 4 des Annex 16 nur in Artikel 6 Abs. (2) im Zusammenhang mit weitergehenden Beschränkungen an Stadtflughäfen erwähnt werden. Danach „,können auf Stadtflughäfen strengere Maßnahmen hinsichtlich der Begriffsbestimmung der knapp die Vorschriften erfüllenden Flugzeuge eing führt werden, sofern diese Maßnahmen nicht zivile Unterschallstrahlflugzeuge betreffen, die laut ihrer ursprünglichen Bescheinigung oder ihrer Neubeschei nigung den Lärmstandards des Bands 1 Teil II Kapitel 4 des Anhangs 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt entsprechen Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass zum einen fur Kapitel-4 Flugzeuge einheitliche Lärmstandards innerhalb der Gemeinschaft gelten sollen und der Zugang der Kapitel-4 Flugzeuge zu Flughäfen der Gemeinschaft nur mit dem Instrumentarium der Richtlinie reguliert werden kann. Weiterhin wird damit festgelegt, dass an Flughäfen gemäß Artikel 2 a) hinsichtlich aller übrigen Flugzeuge, die nicht der Kategorie der „knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge" gemäß Artikel 2 d) entsprechen, typenbezogene Beschränkungen unzulässig sind. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass Ausgangspunkt der Entwicklung zur Richtlinie 2002 / 30 / EG der Hushkit-Streit und die Entwicklungen innerhalb der ICAO waren. Die Kommission ist bemüht, sich nicht in einen erneuten Gegensatz zu den Beschlüssen der ICAO zu setzen, in dem weitergehende Lärmstandards gesetzt würden. Diese Intention klingt im Richtlinienvorschlag der Kommission an, in dem ausgeführt wird: „Kapitel 4 und die Regeln für die Neubescheinigung stellen einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Lärmwerte im Luftverkehr dar. Da die meisten derzeit hergestellten Flugzeuge jedoch bereits dem in Kapitel 4 angegebenen Höchstwert entsprechen, werden sich die Auswirkungen dieses Höchstwertes erst im Laufe der Zeit bemerkbar machen; sie reichen daher für eine Verbesserung der Lärmsituation nach Abschluss der Ausmusterung von Kapitel-2-Flugzeugen nicht aus. Daher sind für die marktbedingte Einführung von Kapitel-4-Flugzeugen Begleitmaßnahmen erforderlich, die eine harmonisierte Anwendung der Betriebsbeschränkungen ermöglichen, einschließlich der Außerdienststellung von Flugzeugen, welche die Höchstwerte des Kapitels 3 nur knapp einhalten." Hinsichtlich der übrigen Kapitel-3 und der Kapitel-4 Flugzeuge verbleibt nur das sonstige Instrumentarium der Richtlinie. Fraglich ist aber, ob mit der neuen
47
A.a.O., oben Fn. 19, S. 5.
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Richtlinie wirklich ein Ende des Hushkit-Streites erreicht wird. Gemäß Anhang D, Entschließungsgrund 4 der Resolution A 33-7 soll gerade ein phase-out von Kapitel 3 und Kapitel-4 Flugzeugen vermieden werden 48. Daraus ergibt sich auch, dass es den Mitgliedstaaten nach der neuen Richtlinie nicht gestattet ist, fluggerätbezogene Betriebsbeschränkungen einzuführen, die über die Richtlinie hinausgehen, beispielsweise in der Form von Kapitel4+Bonusliste. Parallelen zur so genannten Karlstad-Entscheidung 49 der Kommission liegen auf der Hand. Darin hatte die Kommission entschieden, dass zum damaligen Zeitpunkt der völlige Abzug von bestimmten Flugzeugen vom Flughafen Karlstad (Schweden) rechtswidrig gewesen sei, da es eine abschließende Regelung auf Gemeinschaftsebene in Form der Richtlinie 9 2 / 1 4 / EWG 5 0 gegeben habe. Indem die schwedischen Behörden Kapitel-2 Flugzeugen den Zugang zum Flughafen Karlstad unter Missachtung der genannten Richtlinie generell verweigerten, verstießen sie gegen geltendes Gemeinschaftsrecht. Eine Rechtfertigung in umweltpolitischen Zielen konnte die Kommission darin nicht sehen. Zeitliche Einschränkungen wurden als rechtmäßig erachtet. Überträgt man diese Grundsätze auf die Richtlinie 2002 / 30 / EG, wären nur solche Betriebsbeschränkungen unzulässig, die Kapitel 4-Flugzeuge vollkommen ausschließen oder solch weitreichenden Beschränkungen unterwerfen, dass ein Flughafen faktisch mit solchem Fluggerät nicht mehr angeflogen werden kann. Nach dieser Auslegung wären aber partielle Beschränkungen, auch in der Form von Nachtflugverboten, zulässig, typenbezogene Betriebsbeschränkungen von Kapitel 4-Flugzeugen, ζ. B. in der Form der „knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeuge" oder „Kapitel 4+Bonusliste Luftfahrzeugehingegen unzulässig. Allgemeine, d. h. typenunabhängige und alle Flugzeuge unabhängig von ihrer Lärmzertifizierung treffende Beschränkungen sind zulässig, soweit sie den übrigen Anforderungen der Richtlinie entsprechen. Die Kommission betont in der Begründung zur neuen Richtlinie ausdrücklich, dass mit ihr abschließende Regelungen geschaffen werden, und zieht eine Parallele zur VO 9 2 / 1 4 / EWG. Durch die harmonisierten Regelungen in der neuen Richtlinie ist es den Mitgliedstaaten damit zukünftig verwehrt, Betriebsbeschränkungen zu erlassen, die über den Rahmen der Richtlinie hinausgehen.51
48
Vgl. aber Anhang E, Entschließungsgrund 3 c). Entscheidung der Kommission vom 22.7.1998 über ein Verfahren zur Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 2408 / 92 des Rates (Sache VII / AMA /10 / 97 - Zugang zum Flughafen Karlstad), ABl. L 233 vom 20.8.1998, S. 25 ff. 50 Richtlinie 92 /14 / EWG des Rates vom 2.3.1992 zur Einschränkung des Betriebes von Flugzeugen des Teils II Kapitel 2 Band 1 des Anhangs 16 zum Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt, 2. Ausgabe (1988), ABl. L 76 vom 23.3.1992, S. 21 ff. 51 So die Kommission, a.a.O., oben Fn. 19, S. 7 f. 49
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Gemäß Artikel 6 Abs. (1) kann die Zugangsberechtigung nur schrittweise entzogen werden. In einem ersten Schritt werden sechs Monate nach Abschluss der Prüfung gemäß Artikel 5 und dem Beschluss, den Betrieb zu beschränken, auf dem betreffenden Flughafen keine im Vergleich zur entsprechenden Vorjahresperiode zusätzlichen Dienste mit knapp den Vorschriften erfüllenden Flugzeugen mehr zugelassen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Lärmbelästigungen, die von diesen Flugzeugen ausgehen, nicht steigen sollen. In einem zweiten Schritt, frühestens weitere sechs Monate danach, kann von jedem Betreiber verlangt werden, die Zahl der Flugbewegungen seiner nur knapp die Vorschriften erfüllenden Flugzeuge, die den betreffenden Flughafen anfliegen, um jährlich 20% der ursprünglichen Gesamtzahl an Flugbewegungen zu reduzieren. Durch diese Maßnahme soll ein kontinuierlicher Austausch der eingesetzten Flugzeugmuster sichergestellt werden, der allerdings so gestaltet ist, dass die betreffenden Luftfahrtunternehmen von unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen verschont bleiben. Gerade diese Regelungen begegnen der Kritik der Luftfahrtunternehmen. Sie wenden ein, dass ein wirtschaftlicher Betrieb eines Unternehmens nur bei einer Mindestflottengröße aufrechterhalten werden könne. Falle durch den schrittweisen Abzug die Zahl der entsprechenden Flugzeuge, komme dies de facto einer Stilllegung, und damit dem wirtschaftlichen Aus für den betroffenen Unternehmer gleich. Dies gelte in besonderer Weise für die home base carrier. j) Ausnahmeregelungen in Artikel 8 und Artikel 9 Artikel 8 der Richtlinie enthält eine wichtige Ausnahmeregelung zugunsten von in Entwicklungsländern eingetragenen Flugzeugen: „Knapp die Vorschriften erfüllende Flugzeuge, die in Entwicklungsländern eingetragen sind, werden für einen Zeitraum von zehn Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie von Artikel 6 ausgenommen, wenn a) diese Flugzeuge - mit einem Lärmzeugnis, das die Einhaltung der Höchstwerte des Bands 1 Teil II Kapitel 3 des Anhang 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt-Organisation bescheinigt - den betreffenden Flughafen der Gemeinschaft zwischen dem 1. Januar 1996 und dem 31. Dezember 2001 („Bezugszeitraum") angeflogen haben, und b) diese Flugzeuge in dem Bezugszeitraum in dem Register des betreffenden Entwicklungslandes eingetragen waren und weiterhin von einer in diesem Entwicklungsland ansässigen natürlichen oder juristischen Person betrieben werden." Der Kommissionsentwurf enthielt eine anders lautende Ausnahmeregelung, die auf eine Anlage zur Richtlinie Bezug nahm, in der die knapp die Vorschriften erfüllenden Flugzeuge der Entwicklungsländer nach Regionen und Ländern genannt waren, einschließlich Flugzeugmuster, Kennzeichen, kumulative Marge
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in EPNdP und Betreiber 52. Dieser Ansatz wurde vom Parlament verworfen 53. Wie schon in der Richtlinie 92 / 1 4 / EG soll mit dieser Vorschrift einerseits auf die besondere Situation der Entwicklungsländer Rücksicht genommen werden, andererseits war sie zeitlich zu beschränken, da nach Ansicht des Parlaments die Interessen der Entwicklungsländer die Interessen der Bevölkerung an Flughäfen nicht auf Dauer überwiegen dürften. Weiterhin soll sichergestellt werden, dass Ausnahmeregelungen nur für bestimmte Flughäfen gelten. Dies hat zur Folge, dass für jeden Flughafen, der von dem betreffenden Flugzeug bis dahin angeflogen wurde, ein neuer Antrag gestellt werden muss. In Übereinstimmung mit der gängigen Praxis mussten für bestimmte Flüge Ausnahmeregelungen gefunden werden. Diese befinden sich in Artikel 9. Danach können in Einzelfällen „Mitgliedstaaten auf Flughäfen in ihrem Gebiet einzelne Flüge von knapp die Vorschriften erfüllenden Flugzeugen, die auf Grundlage andere Bestimmungen dieser Richtlinie nicht zulässig wären, genehmigen. Die Freistellungen beschränken sich auf a) Flugzeuge, die im Einzelfall unter so außergewöhnlichen Umständen eingesetzt werden, dass die Verweigerung einer vorübergehenden Freistellung nicht gerechtfertigt wäre, b) Flugzeuge, die Flüge ohne Entgelt zum Zwecke von Umbauten, Reparaturen oder Wartung durchführen." Durch die Beschränkung auf nicht kommerzielle Flüge wird ein Missbrauch dieser Vorschrift verhindert. Gemäß Artikel 7 ist die Richtlinie auf Betriebsbeschränkungen, die bereits vor ihrem Inkrafttreten am 28. März 2002 erlassen worden sind, nicht anwendbar. Gleiches gilt für unwesentliche technische Änderungen partieller Betriebsbeschränkungen, die für die Luftfahrtunternehmen auf einem bestimmten Gemeinschaftsflughafen keine signifikanten Kostenauswirkungen haben und die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie vorgenommen werden.
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Vorschlag der Kommission, a.a.O., oben Fn. 19, S. 24 ff. Vgl. Parlament, a.a.O., oben Fn. 20.
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3. Verhältnis der Verordnung (EWG) 2408 / 92 und der Richtlinie 2002 / 30 / EG Die Richtlinie lässt offen, in welchem Verhältnis sie zur Marktzugangsverordnung steht54. Zum einen ist grundsätzlich von keiner Normenhierarchie auszugehen. Zum anderen ist die neue Richtlinie immer auch im Kontext der Marktzugangsverordnung zu sehen. Allerdings sieht Artikel 6 der Richtlinie vor, dass statt des Verfahrens des Artikels 9 der Marktzugangsverordnung das „phase-out" des Artikels 6 der Betriebsbeschränkungsrichtlinie Anwendung findet. Insoweit verdrängt Artikel 6 hinsichtlich „knapp die Vorschriften erfüllenden Luftfahrzeugen" die Regelungen des Artikels 9 der Marktzugangsverordnung 55 .
I I I . Anmerkungen zur Umsetzung der Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland Gemäß Artikel 16 Abs. 1 muss die Richtlinie bis zum 28. September 2003 ins nationale Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Wie die Vorgaben in das deutsche Luftrecht integriert werden, bleibt abzuwarten. Daher sollen im Folgenden nur einige Bemerkungen hinsichtlich der Inhalte erfolgen, denen ein besonderes Augenmerk geschenkt werden sollte. Inhalt des in Artikel 4 angesprochenen ausgewogenen Ansatzes ist ein Abwägungsprozess, der nach deutschem Recht in jedem luftrechtlichen Zulassungsverfahren, sei es luftrechtliches Genehmigungsverfahren gemäß § 6 Abs. 2 LuftVG 5 6 oder Planfeststellungsverfahren § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG, ohnehin vorgenommen werden muss. Daher ändert sich materiell nichts an der heute bereits geltenden Rechtslage. Einer Änderung der §§ 6, 8 LuftVG bedarf es daher zur Umsetzung des ausgewogenen Ansatzes nicht. Das Prüfungsverfahren des Artikels 5 basiert auf einem Datenmaterial, das bereits weitgehend im luftrechtlichen Genehmigungsverfahren Berücksichtigung findet. Denkbar wäre, dass der Katalog auf der Ebene der luftrechtlichen
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Vgl. auch Erwägungsgrund (8). Davon geht offensichtlich auch die Kommission aus, die in einem jüngsten Konsultationspapier für die Revision der Verordnungen Nr. 2407 / 92 und 2408 / 92 ausführt, dass Artikel 6 der Richtlinie 2002 / 30 / EG an die Stelle des Artikels 9 der Verordnung 2408/92 hinsichtlich des Betriebes von knapp die Vorschriften erfüllende Luftfahrtzeuge tritt. 56 Siehe dazu umfassend: Giemulla, in: Giemulla / Schmid, LuftVG Kommentar, § 6, mit weiteren umfangreichen Nachweisen. 55
Anforderungen der Betriebsbeschränkungsrichtlinie
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Verordnung zusammen mit den übrigen Verfahrensvorschriften übernommen wird. Bereits die Richtlinie 92 / 1 4 / EWG wurde durch teilweise wörtliche Übernahme in § 11c LuftVO in deutsches Recht umgesetzt. Ähnliches ist denkbar mit dem phase-out Verfahren des Artikel 6.
Artikel 2 f der Richtlinie definiert den Begriff „Betroffener" als eine „,natürliche oder juristische Person, die von Lärmminderungsmaßnahmen, einschließlich Betriebsbeschränkungen betroffen ist oder betroffen werden könnte od ein berechtigtes Interesse an solchen Maßnahmen hat." Auf den ersten Blick erscheint dieser Begriff weiter gefasst als der Kreis der Beteiligten, die nach deutschem Verwaltungsrecht im luftrechtlichen Zulassungsverfahren unterschiedlich intensiv beteiligt werden müssen. Bei näherem Hinsehen ergibt sich aber aus der Zusammenschau mit den Artikeln 10 und 11, dass der Kreis durch die Richtlinie nicht erweitert wird. Artikel 10 verweist hinsichtlich der Konsultationsverfahren im Rahmen der Artikel 5 und 6 auf das nationale Recht. Die Richtlinie wollte kein „EU-rechtliches Verwaltungsverfahren" schaffen. Soweit etwaige Betriebsbeschränkungen eingeführt werden sollen, kann durch ein Offenlegungsverfahren in Anlehnung an die Regelungen in § 6 Abs. 5 LuftVG und § 10 Abs. 2 Nr. 2 und 3 Satz 1-3 LuftVG den Anforderungen der Richtlinie nachgekommen werden. Ein förmliches mündliches Erörterungsverfahren ist damit nicht notwendig. Ähnliches gilt für die Bekanntmachung der Betriebsbeschränkungen gemäß Artikel 11 der Richtlinie. Diese kann sich an § 74 Abs. 5 VwVfG orientieren.
IV. Zusammenfassung Die neue Richtlinie 2002 / 30 / EG stellt einen wichtigen Schritt zur Harmonisierung der auf die Prüfung von Betriebsbeschränkungen an Flughäfen der Gemeinschaft anzuwendenden Verfahrensvorschriften dar. In diesem Zusammenhang greift sie den sogenannten „balanced approach" der ICAO auf, ohne ihn aber deckungsgleich zu übernehmen. Daher erscheint es fraglich, ob durch die Richtlinie der Hushkit-Streit mit den USA entschärft werden kann. Ihr materieller Inhalt beschränkt sich im Wesentlichen auf das phase-out Verfahren gemäß Artikel 6. Gerade dieser Regelungskomplex begegnet aber vor dem Hintergrund der jüngsten Beschlüsse der 33. Versammlung der ICAO Bedenken. Weitergehende materielle Wirkungen entfaltet sie nicht. Hinsichtlich des Umsetzungsbedarfs in der Bundesrepublik Deutschland ist festzustellen, dass sich dieser in Grenzen hält, da das deutsche luftrechtliche Zulassungsverfahren den Ansprüchen der Richtlinie weitgehend genügt. Daher er-
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scheint eine schlanke Umsetzung weniger Bereiche in das deutsche Recht vorzugswürdig.
Die Berücksichtigung der Lärmklassifizierung von Flugzeugen in der Flughafenplanung Von Volker Gronefeld
Es ist eine alte Erkenntnis des Luftverkehrsgesetzes, dass ein Luftfahrzeug zum Verkehr nur zugelassen werden kann, wenn die technische Ausrüstung des Luftfahrzeuges so gestaltet ist, dass das durch seinen Betrieb entstehende Geräusch das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Maß nicht übersteigt. Diese Vorschrift, § 2 Abs. 1 Nr. 4 LuftVG, hat mit dem Gesetz zur Änderung des Luft Verkehrsgesetzes vom 5. Dezember 19581 Eingang in die Neufassung des Luftverkehrsgesetzes 2 gefunden und gilt seitdem unverändert 3, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. August 2002 4 . Vorschriften über die Lärmklassifizierung und Lärmzertifizierung von Luftgerät, § 11 c LuftVO 5 und § 10 LuftVZO, 6 bestanden seinerzeit nicht. Auch das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 19717 enthält keinerlei Anforderungen an die Lärmzertifizierung oder Lärmklassifizierung von Fluggerät, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit den Auswirkungen des Fluglärms, also der Immissionsseite. Die Frage der Lärmzertifizierung bzw. Lärmklassifizierung von Fluggerät ist - international - durch den Anhang 16 des Chicagoer Abkommens aufgegriffen worden. Dieser Anhang beruht auf der Arbeit einer internationalen Konferenz im Jahre 1966 und ist im Jahre 1971 in Kraft getreten. Die der Lärmzertifizierung zugrunde liegenden Lärmstandards sind in den Folgejahren durch die Kapitel 2 und 3 des Anhangs 16 Band 1 Teil II zum ICAO Abkommen fortge1
BGBl. IS. 899. Bekannt gemacht am 10. Januar 1959, BGBl. I S. 9 ff. 3 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 LuftVG i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. März 1999 (BGBl. I S. 550), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21.8.2002 (BGBl. S. 550). 4 BGBl. I S. 3355. 5 I.d.F. der Bekanntmachung vom 27. März 1999, BGBl. I S. 580, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 14. Dezember 2001, BGBl. I 2002 S. 396. 6 I.d.F. der Bekanntmachung vom 27. März 1999, BGBl. I S. 610, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. August 2002, BGBl. I S. 3355. 7 BGBl. I S. 282. 2
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schrieben worden. Diese Lärmstandards sind im Jahre 2002 durch das Kapitel 4 des Anhangs 16 zum ICAO-Abkommen Band 1 Teil II ergänzt worden, das eine weitere Senkung der Lärmstandards mit sich brachte. Die Lärmstandards des Anhangs 16 zum ICAO Abkommen haben Eingang in europäische Richtlinien und Verordnungen und in das nationale Recht (etwa § 11 c LuftVO, § 10 LuftVZO und § 3 Abs. 3 LuftVZO i.V.m. den Lärmschutzforderungen fur Luftfahrzeuge - LSL - ) gefunden. Parallel hierzu hat sich das Recht der luftrechtlichen Zulassung von Anlage, Ausbau und Betrieb von Verkehrsflughäfen entwickelt. Haben die luftrechtlichen Genehmigungen und Planfeststellungsbeschlüsse bis etwa 1980 die Lärmzertifizierungs- und Lärmklassifizierungsvorschriften noch nicht zur Kenntnis genommen, hat sich dies in der Folge geändert. Das planungsrechtliche Gegenstück der Einfuhrung und Entwicklung von Lärmstandards als Grundlage von Lärmzertifizierungen und Lärmklassifizierungen ist die Berücksichtigung von Lärmstandards, die zum Schutz der Flughafenumgebung über die Lärmzertifizierungswerte hinausgehen, bei der planungsrechtlichen Zulassung von Anlage und Betrieb von Verkehrsflughäfen. So fanden sich in der luftrechtlichen Genehmigung vom 9. Mai 1974 und im Planfeststellungsbeschluss vom 08.07.1979 für den Neubau des Verkehrsflughafens München ebenso wenig wie in der luftrechtlichen Genehmigung vom 23.08.1966 und im Planfeststellungsbeschluss vom 23.03.1971 für den Ausbau des Verkehrsflughafens Frankfurt am Main Betriebsregelungen, die die Zulassung von Luftfahrzeugen, etwa zur Nachtzeit, von ihren Emissionswerten, d.h. Lärmstandards, abhängig machen. Dies hat sich etwa mit der ersten Nachtflugregelung für den Verkehrsflughafen München, verfügt im Planfeststellungsbeschluss vom 7. Juni 1984, wie in anderen luftrechtlichen Planungsentscheidungen jener Zeit auch, geändert. Nach dieser Regelung waren zwischen 22.00 und 6.00 Uhr Flugbewegungen nur zulässig, wenn sie mit Luftfahrzeugen durchgeführt wurden, die die Lärmgrenzwerte des Anhangs 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 zum ICAO-Abkommen nicht überschreiten. Starts und Landungen mit Luftfahrzeugen, die die Lärmgrenzwerte des Anhangs 16, Band 1 Teil II Kapitel 2 zum ICAO-Abkommen nicht überschreiten, waren zwischen 22.00 und 6.00 Uhr nur bis zum 31.12.1995 zulässig. Inzwischen gehört die Sicherung von Lärmstandards, d.h. die Berücksichtigung von Lärmklassifizierungen, zum gängigen Repertoire von Genehmigungsund Planfeststellungsbehörden, namentlich, wenn es um den Schutz der Nachtruhe vor Fluglärm (§ 29 b Abs. 1 S. 2 LuftVG) geht.
Die Berücksichtigung der Lärmklassifizierung von Flugzeugen
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I. Lärmklassifizierungen und Betriebsregelungen in Verwaltung und Rechtsprechung 1. Beispiele von Regelungen über den Ausschluss lärmklassifizierter Flugzeuge von der Flughafennutzung a) Die Änderungsgenehmigung für die Nachtflugregelung des Verkehrsflughafens München vom 23. März 2001 enthält folgende Regelung: „Ab dem Sommerflugplan 2002 dürfen in der Zeit zwischen 22.00 bis 6.00 Uhr nur mehr Flugzeuge starten und landen, die in der jeweils aktuellen Bonusliste des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen geführt werden. Diese Liste ist in Anhang 4 der Genehmigung beigefügt und von der Genehmigung um gewisse Flugzeugmuster erweitert worden." Die Genehmigungsbehörde hat sich das Recht vorbehalten, die abgewandelte Bonusliste in der Zukunft weiter zu modifizieren. Starts und Landungen von nach dem Anhang 16, Kapitel 3 lärmzertifizierten Flugzeugen, die an jeder Messstelle in der Umgebung des Flughafens München im Mittel keine höheren Einzelschallpegel als 75 dB(A) erzeugen, sind in der Zeit von 22.00 bis 23.30 Uhr und von 5.00 bis 6.00 Uhr zulässig. Die Änderung (und Erweiterung) der vormals geltenden Nachtflugregelung für den Verkehrsflughafen München ist auf der Grundlage von § 8 Abs. 4 LuftVG i.V.m. § 6 Abs. 4 S. 2 LuftVG - als Planungs- und damit Zulassungsentscheidung - verfügt worden. Sie gestattet in der Zeit zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (mit Ausnahme der Kernzeit) auf dem Verkehrsflughafen München Flugbetrieb, allerdings nicht mit allen Luftfahrzeugen, die nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 oder § 3, § 10 LuftVZO lärmzertifiziert sind oder die nach § 11 c LufiVO in der Bundesrepublik Deutschland starten und landen können, sondern mit Fluggerät, das strengeren Anforderungen an den Lärmschutz standhalten muss. Gegen die Änderungsgenehmigung vom 23.03.2001 gerichtete Klagen sind vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit dem (nicht rechtskräftigen) Urteil vom 03.12.2003 abgewiesen worden 8. Die Urteilsbegründung des Gerichtes beschränkt sich im Hinblick auf die zitierte Regelung der Nutzung des Verkehrsflughafens München zur Nachtzeit auf den Satz: „Derartige Beschränkungen dienen dem Lärmschutz ganz allgemein, weil sie einen Anreiz zum Einsatz lärmarmen Geräts auch am Tage bieten". Auf die Frage, ob das Planungsrecht Starts und Landungen mit Fluggerät untersagen kann, das nach Maßgabe von ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 bzw. § 3, § 10 LuftVZO lärmzertifiziert ist, oder nach § 11 c LuftVO in Deutschland
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Nr. 20 A 01.40019 ff. - , BayVBl. 2003, 691 (Auszug).
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starten und landen darf, geht das Gericht nicht ein. Das Gericht hält, ohne dies näher auszuführen, strengere Maßstäbe als die Lärmzertifizierung nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 bzw. § 10 LuftVZO für Betriebsregelungen im Rahmen planerischer Zulassung von Luftverkehr auf der Grundlage von § 6 (§ 8) LuftVG und als Ergebnis einer Abwägungsentscheidung wie auch unter Berücksichtigung von § 29 b Abs. 1 S. 2 LuftVG für zulässig. b) Gestützt auf § 6 Abs. 2 S. 4 LuftVG hat die Genehmigungsbehörde für den Verkehrsflughafen Nürnberg mit Bescheid vom 24. März 1997 die frühere weitergehende Zulassung von Flugbetrieb auf dem Verkehrsflughafen Nürnberg zur Nachtzeit widerrufen. Nach der mit diesem Bescheid getroffenen Neuregelung sind jetzt in der Zeit zwischen 22.00 bis 6.00 Uhr (mit Ausnahme von Verspätungen bis 23.00 Uhr) nur noch Starts und Landungen mit Flugzeugmustern zulässig, die in der jeweils geltenden Bonusliste des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowohl für startende als auch für landende Flugzeuge enthalten sind. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat auf die Klage einer Luftverkehrsgesellschaft die getroffene Einschränkung der Zulässigkeit von Starts und Landungen auf dem Verkehrsflughafen Nürnberg bestätigt9. In dieser Entscheidung billigt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einer Luftverkehrsgesellschaft einen in der Sache rechtlich wehrfähigen Vertrauensschutz nicht zu. Die Luftverkehrsgesellschaften könnten nicht auf Dauer damit rechnen, auf Flughäfen Luftfahrtgerät einzusetzen, das nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 lärmzertifiziert ist und bisher auf diesem Flughafen verkehren konnte. Die Einschränkung von Luftverkehr auf einem Verkehrsflughafen auch in Bezug auf lärmzertifiziertes Fluggerät nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 kann also, namentlich zur Nachtzeit, nicht nur Gegenstand einer rechtmäßigen planerischen Zulassungsentscheidung, sondern auch einer rechtmäßigen Ermessensentscheidung (Widerruf nach § 6 Abs. 2 S. 4 LuftVG) sein. Dies wirft, neben der Geltung und rechtlichen Verbindlichkeit des ICAO Anhangs 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 auch im Hinblick auf § 3, § 10 LuftVZO, also die Verkehrszulassung lärmzertifizierten Fluggerätes, sowie in Bezug auf § 11 c LuftVO Fragen des Bestands- und Vertrauensschutzes von Luftverkehrsgesellschaften auf, die im Vertrauen auf eine gesetzliche Regelung, nämlich der Lärmzertifizierung von Flugzeugen mit der Folge der Verkehrszulassung und der Gestattung von Starts und Landungen nach § 11 c LuftVO auf Verkehrsflughäfen in Fluggerät und Flughafenanlagen investieren.
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BayVGH, Urt. vom 25.2.1998 - Nr. 20 A 97.40017 f. - , NVwZ-RR 1998, 490; die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist ohne Erfolg geblieben, BVerwG, Beschl. vom 12.6.1998 - Nr. 11 Β 19 / 98 - , DVB1. 1998, 1184.
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2. Beispiele aus der Rechtsprechung zum Ausschluss lärmklassifizierter Flugzeuge von der Flughafennutzung a) Im Falle des Verkehrsflughafens München hatten Lärmbetroffene den Lärmschutz des von ihnen angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses für unzureichend gehalten. aa) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in Leitsatz 4 seines Urteils vom 27.07.1989 (Flughafen München) folgendes betont: „Im Regelfall ist es nicht zulässig, allgemeine nationale oder internationale Flugbetriebsregelungen für einen einzelnen Verkehrsflughafen zu verschärfen oder Kapazitätsbeschränkungen unterhalb der tatsächlichen Kapazität zu verfügen." 10 Dieser Leitsatz stützt sich auf folgende Erwägungen: Aus der überörtlichen Natur des Luftverkehrs folgt seine Bindung an die allgemeinen Regelungen, von denen sich ein einzelner Flughafen in der Regel nicht abkoppeln kann. Der Luftverkehr würde für die Teilnehmer unzumutbar erschwert, wenn an den einzelnen Flughäfen unterschiedliche lokale Sonderregelungen beachtet werden müssten. Solche kann es daher im Allgemeinen ebenso wenig geben, wie etwa unabhängig von sachlichen Notwendigkeiten - Abgasbeschränkungen für den Kfz-Verkehr durch Widmungsbeschränkungen an Gemeindestraßen durchgesetzt werden können. Ausnahmesituationen können nur zugelassen werden, wo eine örtliche Ausnahmesituation vorliegt, die ihrer Art nach atypisch ist und nicht weiterhin auch von anderen Flughäfen in Anspruch genommen werden kann. Im Übrigen können keine Kapazitätsbeschränkungen unterhalb der tatsächlichen Kapazität verfügt werden, da bei einem internationalen Verkehrsflughafen die Widmung für den allgemeinen Verkehr eindeutig im Vordergrund steht: Diese Widmung, die sich auch durch die Begriffe Gemeingebrauch oder im Luftverkehr genauer - Betriebspflicht (§ 45 LuftVZO) charakterisieren lässt, bedeutet, dass Verkehr im Rahmen der allgemein geltenden Regeln zugelassen werden muss, so lange er tatsächlich möglich ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beruft sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf § 1 Abs. 1 LuftVG. Zwar sei eine Zurückdrängung dieses Gesichtspunktes von der Sache her durchaus vorstellbar, doch würde sie in die Leitvorstellungen des Verkehrsrechtes nicht unerheblich eingreifen und muss daher - Wesentlichkeitstheorie - dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Abhilfe kann insoweit nicht im Wege der Planfeststellung oder luftrechtlichen Genehmigung, sondern nur im nationalen, europäischen oder internationalen Rahmen geschaffen werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat also den lärmbetroffenen Klägern auf der Aktivseite, der „Emissionsseite" des Fluggeräts 10
BayVGH, Urt. vom 27.7.1989-Nr. 20 Β 81 D.I-DVB1. 1990, 115.
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nicht geholfen. Den von ihm für erforderlich gehaltenen Schutz der Flughafennachbarschaft vor Fluglärm hat das Gericht den Klägern in Form eines von ihm entwickelten Lärmkontingentes gegeben. bb) Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Revisionsentscheidung vom 29.01.199111 das vom BayVGH für richtig gehaltene Lärmkontingent aufgehoben. Die Festsetzung eines Lärmkontingentes durch ein Gericht greife in die der Planfeststellungsbehörde übertragene planerische Gestaltungsfreiheit ein. Das Verwaltungsgericht habe lediglich zu prüfen, ob die Bindungen rechtsstaatlicher Planung eingehalten sind. Überdies löse aktiver Lärmschutz in Form von betriebsregelnden Lärmkontingenten seinerseits abwägungserhebliche und damit zu bewältigende Probleme aus. Aktiver Lärmschutz durch Lärmkontingente beeinträchtige im Hinblick auf seine kapazitätsbeschränkende Wirkung möglicherweise den Widmungszweck des betreffenden Fughafens oder berührt internationale Übereinkommen über die Zuteilung von Fluglinien. 12 Im Übrigen aber hat das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in den zitierten Bezügen nicht in Frage gestellt. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht -jedenfalls im Hinblick auf den Tagflug 13 - in Bestätigung der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes folgenden Hinweis gegeben: „Einer Nutzungsbegrenzung des Flughafens unterhalb der durch Widmungszweck, Dimensionierung und Konfiguration vorgezeichneten Kapazität wäre schon deshalb nicht zu billigen, weil die Planungsentscheidung als dann in sich widersprüchlich wäre. Lärmkontingentierungen sind nur insoweit zulässig, als sie sich „innerhalb des Spielraums bewegen, der sich aus der in den Einzelheiten keineswegs absolut festlegenden Grenzen der notwendigen Kapazität eines internationalen Großflughafens ergeben". 14 Die Kläger hatten in dem seinerzeitigen Verwaltungsstreitverfahren gefordert, „flugtechnische Verbesserungen" (aktiver Lärmschutz in Form einer Verbesserung des Fluggerätes) in die abwägend-planerische Gestaltung des Vorhabens aufzunehmen. Dem ist das Bundesverwaltungsgericht nicht gefolgt. Es hat vielmehr darauf hingewiesen, dass die Regelungen des Luftverkehrsgesetzes und der Luftverkehrszulassungsordnung „mit hinreichender Klarheit die fehlende Kompetenz der Planfeststellungsbehörde" erweisen, ihrerseits (zusätzliche) Anforderungen an die Ausstattung des Fluggerätes unter Lärmschutzgesichtspunkten zu stellen.
11
BVerwG, Urt. vom 29.1.1991, - 4 C 51.89 - , BVerwGE 87, 332 ff. BVerwGE 87, 332 / 343 ff. 13 BVerwGE 87, 332/340 ff. 14 BVerwG, a.a.O., Blatt 50 der Urteilsausfertigung (insoweit in BVerwGE 87, 332 ff. nicht abgedruckt). 12
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Auch ist in den seinerzeitigen Verfahren gerügt worden, dass (etwa unter Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. § 38 Abs. 1 BImSchG) technische Verbesserungen des Gerätes für den jeweiligen Stand der Technik in Form der jeweiligen Lärmzertifikate gemäß dem Anhang 16 des ICAO-Abkommens in der Planfeststellung abgelehnt worden seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit auf die Pflicht des Normgebers zur „Nachbesserung" verwiesen: Es sei nicht die Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, einer gesetzlichen Regelung vorzugreifen. Jedenfalls könne der Planfeststellungsbehörde auf diese Weise ein Abwägungsfehler und damit die Rechtswidrigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses nicht angelastet werden 15 . In diese Richtung bestehen also allein schon aus kompetenzrechtlichen Gründen keine Rechtsansprüche immissionsbetroffener Dritter, auch nicht über das Recht auf gerechte Abwägung der widerstreitenden Belange. b) Im Fall des Verkehrsflughafens Nürnberg hatte ein Luftfahrtunternehmen gegen die Verschärfung der Nachtflugregelung vom 24. März 1997 geklagt. Die Neuregelung sieht vor, dass in der Zeit zwischen 22.00 und 6.00 Uhr nur mehr Starts und Landungen von Luftfahrzeugen zulässig sind, die in der (jeweiligen) Bonusliste des Bundesministers für Verkehr, Bau und Wohnungswesen enthalten sind. Die Klage ist vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und dem Bundesverwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben. aa) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 25.02.199816 zur Rechtsmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der geänderten Nachtflugregelung (Bonuslistenregelung) wenig ausgeführt, obgleich hierzu nach seiner Entscheidung vom 27.07.198917 Veranlassung bestanden hätte. Die Klageabweisung ist maßgeblich darauf gestützt worden, dass der Klägerin kein Recht zur Seite stehe, den Verkehrsflughafen Nürnberg zur Nachtzeit auch in der Zukunft ungehindert mit Flugzeugen zu befliegen, welche nicht der Bonusliste des Bundesverkehrsministers entsprächen. Die bloße bisherige Möglichkeit des Einsatzes bestimmter Flugzeuge im Nachtflugbetrieb stelle keine geschützte Rechtsposition einer Luftverkehrsgesellschaft dar; es sei gerade auch im Hinblick auf § 29 b LuftVG abwägungsgerechte Regelungen zur Beschränkung der Emissionen (Bonuslistenregelung) den Vorrang vor passivem Schallschutz zu geben.18 bb) Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision 19 ebenso wie einen Antrag der Luftverkehrsgesellschaft 20 15 16 17 18 19
BVerwGE 87, 332 / 352 f. BayVGH, Urt. vom 25.2.1998, - 20 A 97.40017, 40018 - , BayVBl. 1998, 463 ff. BayVGH, DVB1. 1990, 115. BayVGH, BayVBl. 1998, 463/465. BVerwG, Beschl. vom 12.6.1998, - 11 Β 19.98 - , DVB1. 1998, 1184.
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nach § 80 Abs. 5 VwGO abgewiesen. In ihrem Beschwerdevorbringen hatte sich das Unternehmen darauf berufen, dass mit der neuen Nachtflugregelung für den Verkehrsflughafen Nürnberg Flugzeugmuster von der Nutzung des Flugplatzes ausgeschlossen würden, obgleich es sich um Luftfahrzeuge mit einer Lärmzulassung nach ICAO Anhang 16, Kapitel 3 handele, d.h. die ausgeschlossenen Flugzeuge den strengsten international gültigen Lärmvorschriften entsprechen. Das Bundesverwaltungsgericht ist dem entgegengetreten. Die Neuregelung diene unter Berücksichtigung der absehbaren Verkehrsentwicklung dem Lärmschutz der Bevölkerung; dass sich dies im Rahmen des § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG halte, bedürfe keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass es sich bei den ausgeschlossenen lauten Flugzeugmustern um solche mit einer Lärmzulassung nach ICAO Anhang 16, Kapitel 3 handele. Es gebe keine Rechtsgrundlage dafür, dass solche Flugzeuge auf jedem Flughafen auch zur Nachtzeit starten und landen dürften. Einen Rechtssatz des Inhaltes, dass Luftfahrtunternehmen, die Flugzeuge nach ICAO Anhang 16, Kapitel 3 einsetzen, nicht vom Nachtflugbetrieb eines Flughafens ausgeschlossen werden dürfen, so lange dort andere Flugzeuge dieser Klassifizierung nachts starten oder landen dürfen, gebe es nicht. 21
I I . Die Lärmzertifizierung von Fluggerät als Recht auf Flughafennutzung In der Rechtsprechung wird es für unzulässig gehalten, allgemeine nationale oder internationale Flugbetriebsregelungen für einen einzelnen Verkehrsflughafen zu verschärfen 22. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass flugtechnische Verbesserungen (aktiver Lärmschutz in Form einer Verbesserung des Fluggerätes) nicht in die Abwägung planerischer Gestaltung des Vorhabens aufzunehmen sind, da die Regelung des Luftverkehrsgesetzes und der Luftverkehrszulassungsordnung mit hinreichender Deutlichkeit die fehlende Kompetenz der Planfeststellungsbehörde erweisen, ihrerseits zusätzliche Anforderungen an die Ausstattung des Fluggerätes unter Lärmschutzgesichtspunkten zu stellen23. Andererseits erachtet es die Rechtsprechung für rechtlich unbedenklich, Luftfahrtgerät mit einer Lärmzulassung nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 von der Nutzung eines Flughafens (zur Nachtzeit) auszuschließen, da es keine Rechtsgrundlage dafür gebe, dass solche Flugzeuge auf jedem Flughafen 20 21 22 23
BVerwG, Beschl. vom 7.4.1998, - 11 VR 3.98 (Nr. 11 Β 19.98). BVerwG, DVB1. 1998, 1184/ 1187. BayVGH, Urt. vom 27.7.1989, - 20 Β 81 D.I - , Leitsatz 4, DVB1. 1990, 115. BVerwGE 87, 332 ff.
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auch zur Nachtzeit starten und landen dürfen. Einen Rechtssatz des Inhaltes, dass Luftfahrtunternehmen, die Flugzeuge nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 einsetzen, nicht vom Nachtflugbetrieb eines Flughafens ausgeschlossen werden dürfen, so lange andere Flugzeuge dieser Klassifizierung nachts starten und landen können, gebe es nicht 24 . Dies alles wirft Fragen nach der rechtlichen Bedeutung von Lärmstandards und Lärmzertifizierung, d.h. dem rechtlichen Einfluss der Lärmzertifizierung von Fluggerät auf den einer luftrechtlichen Planungsentscheidung zugrunde liegenden Abwägungsprozess, auf.
1. Völkerrechtliche Grundlagen der Lärmklassifizierung a) Vorschriften über die zulässigen Lärmimmissionen von Luftfahrzeugen finden sich in den völkerrechtlichen Regelungen des Anhangs 16 zum ICAOAbkommen. Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt zum 7. Dezember 1944 nach Wiedererlangung ihrer Lufthoheit mit Wirkung vom 7. April 1966 beigetreten 25. Durch das Beitrittsgesetz vom 7. April 1956 nimmt das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 den Rang eines Bundesgesetzes ein und verschafft ihm innerstaatliche Geltung. Die für die Zertifizierung von Luftfahrtgeräten maßgeblichen Lärmimmissionswerte von Luftfahrzeugen sind jedoch nicht im Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt enthalten, sondern im Anhang 16 zum Chicagoer Abkommen vom 7. Dezember 1944. Der Anhang 16 zum ICAO-Abkommen ist im Jahre 1971 in Kraft getreten; er enthält Vorschriften über Fragen der Lärmzertifizierung und des Lärmschutzes (Festsetzung von Lärmimmissionswerten). Der Anhang 16 zum Chicagoer Abkommen ist nicht förmlicher Bestandteil des Chicagoer Abkommens und hat demzufolge auch nicht denselben völkerrechtlichen Status. Ihm kommt rechtliche Bindungswirkung - anders als dem in innerstaatliches Rechts transformierten Chicagoer Abkommen selbst - nicht zu. Allerdings stellen die im Anhang 16 zum ICAO-Abkommen (wie auch die Regelungen zum Anhang 14 des ICAO-Abkommens) eine internationalrechtliche Konvention dar, die von den Mitgliedstaaten, namentlich auch der Bundesrepublik Deutschland, befolgt wird. Weder ist in Bezug auf den Anhang 16 des Chicagoer Abkommens (auch nicht hinsichtlich seiner Kapitel 3 und Kapitel 4) ein erfolgreiches, auf Art. 38 des Chicagoer Abkommens gestütztes Ablehnungsverfahren durchgeführt worden, noch hat die Bundesrepublik Deutschland 24 25
BVerwG, DVB1. 1998, 1184 / 1187. Beitrittsgesetz vom 7.4.1956, BGBl. II S. 411.
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gemäß Art. 38 des Chicagoer Abkommens angezeigt, dass sie den Vorschriften des Anhangs 16 des IC AO-Abkommens nicht Rechnung tragen wird 26 . Auf dieser rechtlichen Grundlage werden für die Vertragsstaaten einheitliche Grundsätze für die Lärmzertifizierung von Luftfahrtgerät geschaffen. Die rechtliche ΒindungsWirkung dieser einheitlichen Lärmzertifizierungsvorschriften geht, gerade unter Berücksichtigung des Rechtscharakters des Anhangs 16 zum Chicagoer Abkommen jedoch nicht so weit, innerstaatliche Planungsentscheidungen, wie die Zulassung von Flugbetrieb auf Verkehrsflughäfen, gerade auch zur Nachtzeit, in rechtlich erheblicher Weise zu dirigieren. Schon gar nicht ergeben sich Rechte Dritter aus den Lärmzertifizierungsvorschriften des Anhangs 16 zum Chicagoer Abkommen. Das Chicagoer Abkommen verfolgt neben anderem das Ziel der Einrichtung internationaler Luftverkehrsdienste auf der Grundlage gleicher Möglichkeiten (Abs. 3 der Präambel des Chicagoer Abkommens); demzufolge weist Art. 44 des Chicagoer Abkommens der ICAO die Aufgabe zu, eine unterschiedliche Behandlung von Vertragsstaaten zu vermeiden 27. Diesem Ziel dient auch die Schaffung einheitlicher Maßstäbe für die Lärmzertifizierung von Luftfahrtgerät. Den Vorschriften des Chicagoer Abkommens einschließlich seines Anhangs 16 ist nach allem ein Diskriminierungsverbot, nicht aber eine Garantie des Einsatzes lärmzertifizierten Fluggerätes unter jeglichen (lokalen) Bedingungen eines Flughafens zu entnehmen. b) Auch der Vollversammlung der ICAO ist die fehlende „Garantie" für den Einsatz lärmzertifizierten Fluggerätes bewusst. Dies hat dazu geführt, dass die ICAO im Jahre 2002 im Rahmen der 33. Versammlung die Resolution A 33 / 7 „Consolidated Statement of Continuing ICAO Policies and Practices Related to Environmental Protection" verabschiedet hat. aa) In Appendix C der von der Vollversammlung der ICAO (Nr. 2) beschlossenen Resolution A 33-7 drängt die internationale Zivilluftfahrtorganisation die Mitgliedstaaten (Urges), sich einen ausgewogenen Ansatz der Lärmbekämpfung „zu eigen zu machen" (Adopt), in dem die Leitlinien der ICAO, die relevanten gesetzlichen Verpflichtungen, die bestehenden Vereinbarungen, die gegenwärtige Gesetzeslage und die bestehende Verwaltungspraxis voll in Rechnung gestellt werden, wenn Lärmprobleme auf den internationalen Flughäfen gelöst werden müssen. Betriebsbeschränkungen sollen nicht als erstes Mittel, sondern erst dann in Kraft gesetzt werden, wenn die Vorteile der anderen Elemente des ausgewogenen Ansatzes in Übereinstimmung mit Appendix E der Resolution 33-7 in Betracht gezogen worden sind. 26
mens. 27
§ 1 b LuftVG verweist ausdrücklich auf Art. 37 und 38 des Chicagoer AbkomArt. 44 g des Chicagoer Abkommens.
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In Appendix E drängt die Vollversammlung der internationalen Zivilorganisation (Nr. 2) die Mitgliedstaaten, keine Betriebsbeschränkungen auf einem Flughafen für Luftfahrzeuge einzuführen, die Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 erfüllen, bevor die Luftfahrzeuge, die die Lärmwerte in Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 überschreiten, nicht den in Betracht kommenden Flugplatz verlassen haben und nicht alle möglichen Maßnahmen zur Lösung des Lärmproblems auf der Basis des ausgewogenen Ansatzes ergriffen worden sind. Im Übrigen (Nr. 2) gibt der Appendix E verschiedene Erwägungen an, die bei der Entscheidung über eine erwogene Betriebsbeschränkung in Betracht gezogen werden sollten. Schließlich (Nr. 4) drängt die Vollversammlung der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation die Mitgliedstaaten, keine Betriebsbeschränkungen für Luftfahrzeuge zuzulassen, die den Anforderungen des ICAO Anhang 16 Band 1 Kapitel 4 entsprechen. bb) Die Resolution der ICAO A 33 / 7 (2002) zielt darauf ab, dass Luftfahrtgerät, das nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 4 lärmzertifiziert ist, von keinen Betriebsbeschränkungen freizuhalten ist. Luftfahrtgerät, das nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 lärmzertifiziert ist, soll erst dann Beschränkungen unterworfen werden, wenn die anderen Elemente des ausgewogenen Ansatzes zur Lärmbekämpfung nicht ausreichen. Angestrebt wird ein Äquivalent in betrieblicher Hinsicht für die investiven Aufwendungen in neues, lärmärmeres Fluggerät. Der Resolution A 33 / 7 der ICAO Vollversammlung kommt Rechtsverbindlichkeit im Sinne einer völkerrechtlichen Verpflichtung nicht zu. Wird der Resolution nicht gefolgt, löst dies keine völkerrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten aus. Schon gar nicht bindet die Resolution A 33 / 7 innerstaatliche Planungsentscheidungen. Gleichwohl enthält der „ausgewogene Ansatz" im Sinne der Resolution A 33 / 7 ein Entscheidungsprogramm, das dem Entscheidungsprogramm einer Abwägungsentscheidung, etwa auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 LuftVG oder § 8 Abs. 1 LuftVG ähnlich ist. Rechtliches Gewicht erhält die Resolution A 53 / 7 der 33. Vollversammlung dadurch, dass der in ihr enthaltene „Ausgewogene Ansatz" Eingang in die, noch in innerdeutsches Recht umzusetzende Richtlinie 2002 / 30 / EG des Europäischen Parlaments und Rats vom 26.03.2002 über die Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft gefunden hat.
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2. Europarechtliche Grundlagen der Lärmklassifizierung Die Vorschriften des ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II sind in der Vergangenheit ohne erhebliche Änderungen in das Europäische Recht übernommen worden 28 . Die Richtlinie 2002 / 30 EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. März 2002 über die Regeln und Verfahren fur lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft 29 verweist darauf, dass die in ICAO Anhang 16, Kapitel 4 angegebenen Höchstwerte für die Zulassung von Luftfahrzeugen und nicht als Grundlage für Betriebsbeschränkungen festgelegt worden sind (Erwägungsgrund 4 der Richtlinie). In Erwägungsgrund 10 bezieht sich die Richtlinie 2002 / 30 / EG vom 26. März 2002 ausdrücklich auf die Entschließung A 33 / 7 der 33. Versammlung der ICAO, also auf den Begriff des „ausgewogenen Ansatzes" als ein tragfähiges Verfahrenskonzept zur Bekämpfung von Fluglärm. Auf dieser Grundlage bestimmt Art. 4 der Richtlinie 2002 / 30 / EG, dass die Mitgliedstaaten einen ausgewogenen Ansatz bei der Lösung von Lärmproblemen auf Flughäfen ihres Gebietes beschließen. Dies bedeutet, dass bei der Bekämpfung von Fluglärm eine sorgfältige Prüfung der Reduzierung des Fluglärms an der Quelle, der Maßnahmen zur Flächennutzungsplanung und Verwaltung, lärmmindernder Betriebsverfahren sowie Betriebsbeschränkungen in Betracht zu ziehen sind. Betriebsbeschränkungen können zwar möglich sein, unterliegen aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Richtlinie soll einen gemeinsamen Rahmen von Richtlinien und Verfahren für Betriebsbeschränkungen auf Gemeinschaftsflughäfen als Teil eines ausgewogenen Lärmschutzansatzes schaffen und dazu beitragen, den Anforderungen des Binnenmarktes Rechnung zu tragen. Auf Flughäfen mit weitgehend vergleichbaren Lärmproblemen sollen die gleichen Betriebsbeschränkungen eingeführt werden. 28 Richtlinie des Rates vom 20.12.1979 zur Verringerung der Schallemissionen von Unterschallluftfahrzeugen Nr. 80 / 51 / EWG (ABl. Nr. C 18, S. 20); Richtlinie des Rates vom 21.4.1983 zur Änderung der Richtlinie 80/51/EWG Nr. 83/206/EWG (ABl. Nr. L 117, S. 15); Richtlinie des Rates vom 4.12.1989 zur Begrenzung der Schallemission von zivilen Unterschallflugzeugen Nr. 89/629/EWG (ABl. Nr. L 313, S. 27); Richtlinie des Rates vom 2.3.1992 zur Einschränkung des Betriebes von Flugzeugen des Teils II Kapitel 2 Band 1 des Anhangs 16 zum Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt Nr. 92/14/EWG (ABl. Nr. L 76 S. 21); Verordnung des Rates (EG) Nr. 925 / 1999 vom 29.4.1999 zur Registrierung und zum Betrieb innerhalb der Gemeinschaft von bestimmten Typen ziviler Unterschallflugzeuge, die zur Einhaltung der in Band 1 Teil II Kapitel 3 des Anhangs 16 des Abkommens über Internationale Zivilluftfahrt, Dritte Ausgabe (Juli 1993), festgelegten Normen umgerüstet und neu bescheinigt worden sind (ABl. Nr. L 115 S. 1); Verordnung (EG) Nr. 991 /2001 der Kommission (ABl. Nr. L 138 S. 8). 29 ABl. Nr. L 85 vom 28.3.2002, S. 40.
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Der Ausbau der Flughafeninfrastruktur soll im Hinblick auf eine langfristig tragbare Entwicklung des Luftverkehrs erleichtert werden; es muss gestattet werden, die derzeitigen flughafenspezifischen Lärmschutzmaßnahmen fortzusetzen und bestimmte technische Änderungen an partiellen Betriebsbeschränkungen vorzunehmen (Erwägungsgründe 17 und 18). Hinsichtlich der Lärmklassifizierungen enthält Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie die Festlegung, dass für leistungsbedingte Betriebsbeschränkungen von dem Lärmwert des Luftfahrzeuges auszugehen ist, der durch das gemäß Band 1 des Anhangs 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt, 3. Ausgabe (Juli 1993), durchgeführte Bescheinigungsverfahren ermittelt wurde. Die Richtlinie 2002 / 30 / EG bezieht sich also auf die Lärmzertifizierungsstandards der ICAO und will die Mindestanforderungen betrieblicher Art für die lauten ICAO Anhang 16 Kapitel 3 Flugzeuge schaffen. Die Richtlinie unterwirft die Beurteilung von Betriebsbeschränkungen dem Verfahrenskonzept des ausgewogenen Ansatzes, namentlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Garantien für den beschränkungsfreien Betrieb von lärmzertifiziertem Fluggerät auch nach ICAO Anhang 16 Band 1 Teil II Kapitel 4 lassen sich der Richtlinie 2002 / 30 / EG nicht entnehmen. c) Lärmzertifizierung im deutschen Recht. aa) Nach § 32 Abs. 4 Nr. 1 LuftVG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 LuftVZO unterliegt das in der Bundesrepublik Deutschland zuzulassende Luftfahrtgerät einer Musterzulassung. Die Musterzulassung ist die staatliche Zulassung eines mustergeprüften Stückes mit der Wirkung, dass Einzelstücke, die dem zugelassenem Muster nachgebaut sind, nach der Stückprüfüng (§§ 15 ff. LuftGerPO) zum Verkehr zugelassen werden können. Für das Muster sind die Nachweise zu erbringen, dass die technische Ausrüstung des Luftfahrzeuges so gestaltet ist, dass die durch seinen Betrieb entstehenden Lärm- und die Abgasemissionen das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Maß nicht übersteigen, § 3 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 3 LuftVZO i.V.m. den in den NfL zu veröffentlichenden Lärmschutzforderungen für Luftfahrzeuge (LSL). Die Musterzulassung sichert die technische Überprüfung des Flugzeuges und ist Voraussetzung für die Verkehrszulassung. bb) Die Berechtigung zum Verkehr im Luftraum der Bundesrepublik Deutschland haben Luftfahrzeuge, die in der Deutschen Luftfahrzeugrolle eingetragen sind, § 1 c Nr. 1 LuftVG. Für diese Luftfahrzeuge ist die Benutzung des Luftraums nach § 1 Abs. 1 LuftVG in Deutschland frei. Die Verkehrszulassung, die Voraussetzung der Eintragung der Luftfahrzeugrolle ist, erhält ein Luftfahrzeug dann, wenn es über eine Musterzulassung verfügt (§ 2 Abs. 1 S. 1 LuftVG) und - neben anderem - die technische Ausrüstung des Luftfahrzeuges so gestaltet ist, dass das durch seinen Betrieb entstehende Geräusch das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Maß nicht übersteigt, § 2 Abs. 1 Nr. 4 LuftVG. Bei der Verkehrszulassung wird für das zugelassene Luft-
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fahrzeug ein Lärmzeugnis erstellt, wenn die Einhaltung von § 3 Abs. 3 LuftVZO i.V.m. den Lärmschutzforderungen fur Luftfahrzeuge nachgewiesen ist. Ausländische Lärmzeugnisse werden anerkannt, wenn sie den in § 10 Abs. 5, Abs. 6 LuftVZO festgesetzten Werten entsprechen. cc) Musterzulassung und Verkehrszulassung garantieren nicht die beschränkungsfreie Nutzung des Luftraums, sie sind ausschließlich Voraussetzung fur die Aufnahme von Luftverkehr. Das Nämliche gilt für § 11 c LuftVO. Das von § 11 c LuftVO in Bezug genommene Lärmzeugnis ist Voraussetzung für Starts und Landungen im Bereich der Bundesrepublik Deutschland, enthält aber keine Garantie des jederzeitigen Zugangs zu Verkehrsflughäfen oder aber einen Anspruch auf Freistellung von Betriebsbeschränkungen. dd) Die Genehmigungen nach § 20, § 21 LuftVG. Luftfahrtunternehmen bedürfen nach § 20 Abs. 1 LuftVG einer Betriebsgenehmigung sowie nach §21 Abs. 1 S. 1, wenn sie Personen oder Sachen gewerbsmäßig auf bestimmten Linien öffentlich und regelmäßig befördern, einer weiteren Genehmigung. Für ausländische Unternehmen gilt § 21 a LuftVG. Die Genehmigung nach §21 LuftVG erstreckt sich auf die Flugpläne, Beförderungsentgelte und Beförderungsbedingungen. Die Genehmigungen nach § 20 und §21 LuftVG beseitigen im Sinne einer Erlaubnis die gesetzliche Zulassungssperre und eröffnen dem Unternehmen den Marktzutritt. Mit der Zulassung (Genehmigung / Erlaubnis) verbindet sich nicht die Garantie, Starts und Landungen mit bestimmtem Fluggerät (ohne Berücksichtigung der Lärmklassifizierung) durchführen zu können. Soweit §21 Abs. 2 LuftVG die Luftfahrtunternehmen, die Fluglinienverkehr betreiben, verpflichtet, den Betrieb ordnungsmäßig einzurichten, aufzunehmen und während der Dauer der Genehmigung aufrecht zu erhalten, findet diese Verpflichtung ihre Grenze an Betriebsbeschränkungen auf der Grundlage von § 6 und § 8 LuftVG.
I I I . Die Lärmklassifizierung von Flugzeugen im Rahmen luftrechtlicher Planfeststellung 1. Flughafenbetriebliche Regelungen in der Planfeststellung nach § 8 LuftVG a) Für den Bereich des Luftrechtes stellt § 8 Abs. 4 LuftVG klar, dass betriebliche Regelungen auch Gegenstand der Planfeststellung sein können; die Genehmigung nach § 6 LuftVG ist nicht Voraussetzung für ein Planfeststellungsverfahren oder ein Plangenehmigungsverfahren. Die nach § 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG dem Planfeststellungsverfahren nachfolgende Genehmigungsanpassung entbehrt planerischer Gehalte.
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Die von der Abwägung bestimmte Planung, d.h. die Zulassung des jeweiligen Vorhabens, entscheidet sich auf der Stufe der Planfeststellung nach § 8 LuftVG. Hierbei umfasst die planerische Zulassung nach § 8 Abs. 1 S. 1 LuftVG Anlage und Betrieb des Flughafens als Gestaltung der öffentlichrechtlichen Eigenschaft der Sache, § 35 S. 2 VwVfG. Dies gilt auch für die Entscheidung darüber, welches Fluggerät - zu welcher Zeit - auf der öffentlichrechtlich zuzulassenden Verkehrsanlage verkehren darf. Diese Rechtslage ist durch die Einfügung von Abs. 4 in § 8 LuftVG weder geändert noch neu geschaffen worden. Schon vor dieser Gesetzesänderung hat das Bundesverwaltungsgericht betriebliche Regelungen in einer Planfeststellung für zulässig erachtet, zunächst auf der Grundlage von § 9 Abs. 2 LuftVG 3 0 , dann aber und rechtlich zutreffend als Gestaltung der öffentlich-rechtlichen Sache Flughafen im Rahmen des § 8 Abs. 1 LuftVG 3 1 . b) § 8 Abs. 1 LuftVG enthält also die (umfassende) materielle Ermächtigung der Planfeststellungsbehörde zur luftverkehrsrechtlichen Fachplanung: Es obliegt der Planfeststellungsbehörde, schon mit der Zulassung des Vorhabens eine dinglich wirkende Begrenzung der zulässigen Art der Benutzung oder der Flughafenkapazität auszusprechen und damit wie allgemein bei der Widmung von Sachen für öffentliche Zwecke die öffentlich-rechtliche Eigenschaft der Sache unmittelbar rechtlich zu gestalten. Eingrenzungen betrieblicher Art sind damit nicht Schutzvorkehrungen im Sinne von § 9 Abs. 2 LuftVG, sondern Betriebsregelungen (Flughafenbetrieb) in Form einer allgemein gültigen Auflage. Im Rahmen der Zulassung eines Verkehrsflughafens, § 8 LuftVG, kann also grundsätzlich - in Form einer allgemein gültigen Auflage auch darüber entschieden werden, ob lärmzertifiziertes Fluggerät und wenn ja, in welchem Umfang, auf dem planfestzustellenden Verkehrsflughafen verkehren darf. Eines vorgängigen luftrechtlichen Genehmigungsverfahrens (§6 Abs. 1, §6 Abs. 4 S. 2 LuftVG) bedarf es - § 8 Abs. 1, § 8 Abs. 6 LuftVG - nicht. aa) Die Planfeststellung eines Verkehrsflughafens „widmet" den Verkehrsflughafen als „öffentliche Sache" nach Maßgabe der dem Verkehrsflughafen übertragenen Verkehrsaufgabe 32 verbunden mit der Betriebspflicht des Flughafenunternehmers. Das Zusammenwirken der Zulassung von Anlage und Betrieb wirft im Hinblick auf die dem Flughafen übertragene Verkehrsaufgabe Fragen der Konsistenz der Zulassungsentscheidung auf. In dem dieserort gezogenen Rahmen obliegt es der planenden Behörde, im Rahmen der ihr übertragenen planerischen Gestaltungsfreiheit unter Einbezug aller Belange auch darüber zu entscheiden, ob die Lärmzertifizierung von Fluggerät den Zugang zum Flugha-
30 31 32
BVerwG, Urt. vom 30.5.1984- 4 C 58.81 - , BVerwGE 69, 256 / 276 ff. BVerwGE 87, 332 / 343 ff. BVerwGE 69, 256 / 276.
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fen eröffnet oder ob im Hinblick auf den gebotenen Immissionsschutz weitergehende Betriebsregelungen veranlasst sind. bb) Rechte des Flughafenunternehmers wie auch Dritter auf Zulassung eines Verkehrsflughafens in bestimmter Weise bestehen nicht; derartige Rechte ergeben sich auch nicht aus § 1 Abs. 1 LuftVG. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Flughafen Nürnberg daraufhingewiesen, dass eine Rechtsgrundlage dafür, dass Flugzeuge mit einer Lärmzulassung nach Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 auf jedem Flughafen auch zur Nachtzeit starten und landen dürfen, nicht besteht. Im Leitsatz seiner Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht betont, dass es § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG (für die luftrechtliche Genehmigung, § 8 Abs. 1 LuftVG für die luftrechtliche Planfeststellung) gestattet, zum Schutz der Flughafenanwohner vor einer Gesundheitsgefährdung durch Fluglärm eine Nachtflugregelung zu erlassen, die bestimmte Strahlflugzeuge mit Lärmzertifikation nach Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 des ICAO-Abkommens Starts und Landungen verbietet. Allerdings hat es das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich offen gelassen, ob Nachtflugbeschränkungen auf der Grundlage der Bonusliste des Bundesministeriums für Verkehr generell ICAO-konform und mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar wären 33.
2. Grenzen der Abwägungsentscheidung a) Planerische Gestaltungsfreiheit als zentrales Element einer Zulassungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 LuftVG erstreckt sich in umfassender Weise auf schlechthin alle planerischen Gesichtspunkte, die zur - möglichst optimalen Verwirklichung der gesetzlich vorgesehenen Planungsaufgabe (hier: Verkehrsaufgabe), aber auch zur Bewältigung der von dem Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung erst aufgeworfenen Probleme von Bedeutung sind 34 . Eine Planungsentscheidung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 LuftVG charakterisiert den komplexen Prozess der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung und der Auswahl einzusetzender Mittel. Planung hat finalen und keinen konditionalen Charakter 35. Alle Überlegungen, die bei der fachplanerischen Zulassung des Flughafens einschließlich des Fluggerätes im Hinblick auf Fluglärm die Grundsätze gebundener Erlaubnisse auf die luftrechtliche Fachplanung übertragen und hieraus in die eine oder andere Richtung Grenzen oder Ansprüche Dritter herleiten wollen, gehen an diesem Umstand vorbei. 33 34 35
BVerwG, Beschl. vom 12.6.1998-11 Β 19.98-, DVB1. 1998, 1184. BVerwGE 87, 332/341. BVerfG, Beschl. vom 17.7.1996 - 2 BvF 2 / 93 - , BVerfGE 95, 1/16; st. Rspr.
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b) Auch die Gerichte können ihre Abwägung nicht an die Stelle der zur Planungsentscheidung berufenen Behörde setzen. Sie können nur prüfen, ob sich die Abwägung der Behörde in den gesetzlich-verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen hält: Die Kontrolle von Planungsentscheidungen bezieht sich damit im Wesentlichen auf die Einhaltung prozeduraler Erfordernisse und die Überprüfung der Planungsentscheidung auf ihre Konsistenz (Widerspruchsfreiheit). Planungsakte können, anders als etwa Zulassungsentscheidungen auf der Grundlage des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, des Gewerberechtes, des Baurechtes etc. nicht im Wege eines Konditionalprogrammes normativ vorherbestimmt werden; sie sind - wie ausgeführt - zweckbestimmt. Dies weitet den planerischen Gestaltungsraum aus, ohne dass Rechtsansprüche Dritter, sei es von Betroffenen oder Nutzen der Verkehrsanlage, auf die planerische Entscheidung Einfluss nehmen können. c) Planungsleitsätze, die durch die Abwägung nicht überwunden werden könnten, bestehen in den hier interessierenden Zusammenhängen nicht. Soweit das Verhältnis von aktiven und passiven Lärmschutz in § 41 BImSchG für Straßen und Schienenwege eine spezielle Ausgestaltung erfahren hat, gilt dies nicht für die Bewältigung der Probleme des Fluglärms 36. Auch § 29 b LuftVG enthält keinen Planungsleitsatz sondern - wie § 50 BImSchG - einen Optimierungsgrundsatz. Dieser Optimierungsgrundsatz wird im Hinblick auf § 2 Abs. 1 Nr. 4 LuftVG dadurch angereichert, dass keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch das Luftfahrtgerät hervorgerufen werden sollen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Der Stand der Technik ist durch die Zulassungsvorschriften des Luftverkehrsgesetzes, der LuftVZO und der LuftVO gesetzlich geregelt. aa) Ein die Abwägungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde dirigierender Rechtsanspruch lärmbetroffener Dritter etwa auf (ausschließliche) Zulassung von Fluggerät, das leiser als die der Lärmzertifizierung zugrunde liegenden Lärmstandards ist, besteht nicht. Es liegt auch insoweit in der Entscheidungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde, in welcher Weise in der Planungsentscheidung unzumutbarem Fluglärm entgegenzutreten ist. Nach § 9 Abs. 2 LuftVG (im Falle der Unzumutbarkeit) können zu Lasten des Vorhabensträgers Maßnahmen des passiven Schallschutzes angeordnet werden. Auch aus § 29 b LuftVG ergibt sich nicht das rechtliche, durch Lärmbetroffene einklagbare Gebot, über die für die Musterzulassung und die Verkehrszulassung von Fluggerät maßgeblichen Anforderungen (Stand der Technik) bei der Zulassung von Flugbetrieb im Rahmen einer Planfeststellung hinauszugehen. bb) Zentrales Element der Ermächtigung in § 8 Abs. 1 LuftVG ist wie gesagt die planerische Gestaltungsfreiheit zur möglichst optimalen Verwirklichung der 36
BVerwG, Beschl. vom 20.2.1998 - 11 Β 37 / 97 - , NVwZ 1998, 850.
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gesetzlich vorgegebenen Planungsaufgabe. Die Planungsaufgabe (Verkehrsaufgabe) bestimmt die Rechtfertigung des Vorhabens. Ist die „Widmung" des Vorhabens nach Maßgabe der Ziele des Luftverkehrsgesetzes gerechtfertigt, dann können Betriebsbeschränkungen - zur Bewältigung der vom Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung erst aufgeworfenen Probleme - als unmittelbare rechtliche Gestaltung der öffentlich-rechtlichen Eigenschaft der Sache und damit Beschränkung der Wahrnehmung der Verkehrsaufgabe erst dann in Betracht kommen, wenn andere Möglichkeiten zur Problembewältigung keinen Erfolg versprechen. Dies gilt umso mehr, als der Stand der Technik in den Lärmstandards, der LuftVZO und der LuftVO festgeschrieben ist. Insoweit kommt eine Beschränkung des Flugbetriebes auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 S. 2 LuftVG auf einen Ausschnitt des lärmzertifizierten Fluggerätes erst und auch nur dann in Betracht, wenn dies (Problembewältigung) unumgänglich ist, die getroffenen Maßnahmen dem Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 GG, entsprechen und die Planungsentscheidung (Übertragung der Verkehrsaufgabe) hierdurch nicht in sich widersprüchlich wird. Dem entspricht, dass im Fall unzulänglicher Lärmvorsorge grundsätzlich nur ein Anspruch auf Planergänzung, nicht aber auf Planaufhebung (etwa teilweise Rücknahme der öffentlich-rechtlichen Zulassung) nachträglicher Betriebsbeschränkung besteht37. cc) Dies alles wird durch den „Ausgewogenen Ansatz" der Resolution 33-7 bestätigt. Der „ausgewogene Ansatz" der Resolution 33-7 der ICAO Vollversammlung greift den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf. Ausgangspunkt ist, dass die Lärmzertifizierungsvorschriften des ICAO Anhang 16 Kapitel 3 den Stand darstellen, der gegenwärtig - internationalrechtlich - als Stand der Technik festgeschrieben werden kann. Die Fortschreibung des ICAO Anhang 16 Kapitel 3 in einem Kapitel 4 soll darüber hinaus nach dem Willen der Resolution 33-7 das insoweit zertifizierte Fluggerät von Betriebsbeschränkungen freistellen. Der „ausgewogene Ansatz" der Resolution 33-7 hat keine verbindliche Wirkung fur den innerstaatlichen Abwägungsprozess. Allerdings wird der „ausgewogene Ansatz" von der in innerdeutsches Recht umzusetzenden Betriebsbeschränkungsrichtlinie aufgegriffen (Erwägungsgrund 10 der Richtlinie, Art. 2 g der Richtlinie). Maßgebliches Ziel der Richtlinie ist - neben den in Art. 4 der gerichtlich getroffenen allgemeinen Lärmschutzregeln für Luftfahrzeuge - die Einführung von Betriebsbeschränkungen mit dem Ziel eines Abzugs von knapp
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BVerwG, Urt. vom 18.4.1996 - Nr. 11 A 86.95 - , BVerwGE 101, 73 ff.
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die Vorschriften des ICAO Anhang 16 Kapitel 3 erfüllenden Luftfahrzeugen, Art. 6 der Betriebsbeschränkungsrichtlinie. Dem von der Richtlinie angestrebten Mindeststandard einheitlicher Betriebsregelungen würde es entsprechen, bei der Umsetzung dieser Richtlinie Betriebsbeschränkungen für nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 4 lärmzertifizierte Flugzeuge auszuschließen, zumindest aber die Anordnung von Beschränkungen für nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 4 lärmzertifizierte Flugzeuge an das Vorliegen zwingender öffentlicher Gründe zu binden. In jedem Falle aber entspricht es rechtmäßiger Abwägung und liegt damit in der planerischen Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde, Fluggerät, das nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 4 lärmzertifiziert ist, wie auch Fluggerät, das die Lärmwerte des ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 3 deutlich unterschreitet, von Betriebsbeschränkungen auszunehmen. d) Flughafenbetriebliche Regelungen, sei es als Teil einer Entscheidung nach §8 LuftVG oder einer Entscheidung nach §6 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 LuftVG, schränken als öffentlich-sachrechtliche Grundregelung die Widmung des im Übrigen zugelassenen Vorhabens in der Weise ein, dass die Flugbetriebsflächen nur noch für einen Ausschnitt des grundsätzlich zugelassenen Verkehrs offen stehen. aa) Derartige Regelungen steuern die Ausnutzung der Flughafenkapazität; die Beantwortung aber der Frage, welche Kapazität dem Luftverkehr auf einem Flughafen zur Verfügung stehen soll, kommt besondere Bedeutung zu 38 . Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Vorschriften über die zulässigen Lärmimmissionen von Luftfahrzeugen darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung der Nutzung eines Flughafens auf in besonderer Weise lärmzertifiziertes Gerät von der Sache her durchaus erwünscht und notwendig sei, nicht aber Gegenstand einer Planungsentscheidung sein könnte 39 . Derartige Entscheidungen können - nicht unerheblich - in die Leitvorstellungen des Verkehrsrechtes eingreifen und damit dem Gesetzgeber überlassen sein 40 . Für die eisenbahnrechtliche Planfeststellung ist nachdrücklich darauf hingewiesen worden, dass es bei Betriebsbeschränkungen für die Eisenbahn um Fragen der Wettbewerbsfähigkeit gehe, also eine Frage, deren Beantwortung allein dem Gesetzgeber zustehe41. 38
Hierzu BVerwG, Urt. vom 26.7.1989 - 4 C 35.88 - , BVerwGE 82, 246 ff. BayVGH, Urt. vom 27.7.1989 - 20 Β 81 D.I - , Bl. 74 ff. der Urteilsausfertigung; auszugsweise veröffentlicht in DVB1. 1990, 115 ff. 40 BVerwGE 82, 246 / 254 ff; Die Frage, ob und inwieweit lärmzertifiziertes Fluggerät gleichwohl von der Nutzung eines Flughafens durch Verwaltungsentscheidung ausgeschlossen werden kann, könnte auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz den Vorbehalt des Gesetzes ansprechen. Vgl. auch BVerwGE 109, 29 / 37. 41 BlümeU VerwArch 1992, 146 ff. 39
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bb) Dem Kern nach handelt es sich im Hinblick auf den Einsatz lärmzertifizierten Fluggerätes aber nicht um die Fragen der Verteilung bei der Ausnutzung der Flughafenkapazität, sondern darum, ob und inwieweit lärmzertifiziertes Fluggerät Zutritt zu Flughafenkapazitäten begehren kann. Die Grundlagen der Lärmzertifizierung sind nicht nur internationalrechtlich geregelt; sie sind in innerdeutsches Recht (Musterzulassung, Verkehrszulassung / Verkehrsrechte) transferiert. Soweit die Lärmzertifizierung von Fluggerät innerstaatlich (bei der Musterzulassung und bei der Verkehrszulassung) gesetzlich geregelt ist, besteht kein Regelungsbedarf im Rahmen der Planfeststellung; soweit im Rahmen der Zulassung - d e r öffentlich-rechtlichen Sachbestimmung - der Verkehrsanlage darüber hinausgehende Anforderungen (Betriebsbeschränkungen) ins Auge gefasst werden (z.B. Bonuslistenregelung) ist zu prüfen, ob die Anforderungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes beachtet sind. Dies bedingt insbesondere die Prüfung der Entscheidung danach, ob auch unter Maßgabe gesetzlicher Ordnungsvorstellungen (etwa § 29 b LuftVG) sachgerechte Differenzierungsgründe vorliegen. Hierauf hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss zur Nachtflugregelung des Verkehrsflughafens Nürnberg zutreffend hingewiesen42. Damit aber ist der Weg - insoweit - zu einer Entscheidung auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 LuftVG (§ 6 Abs. 1 S. 2 LuftVG) auch im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG freigemacht. Ein Politikvorbehalt (Wettbewerb) besteht nicht. e) Nach Art. 87 d Abs. 1 GG wird die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt. Nach Art. 87 d Abs. 2 GG können durch das Luftverkehrsgesetz Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung den Ländern als Auftragsverwaltung übertragen werden. Eine derartige Übertragung hat das Luflverkehrsgesetz in § 31 Abs. 2 vorgenommen. Nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG unterfällt die Genehmigung von Flugplätzen (einschließlich Planfeststellung) der Auftragsverwaltung. Dies gilt nicht für die nach § 32 Abs. 4 Nr. 1 LuftVG genannten Anforderungen an den Bau, die Ausrüstung und den Betrieb der Luftfahrzeuge, die der Regelung einer Rechtsverordnung (LuftVZO, LuftVO) durch das Bundesministerium für Verkehr unterliegen. aa) Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass die Frage der Zulassung (Musterzulassung, Verkehrszulassung, Einräumung von Verkehrsrechten) von Luftfahrtgerät Sache der bundeseigenen Verwaltung ist und diese Regelungen (Übernahme der internationalrechtlichen Vorschriften des ICAO Anhang 16) nicht der Disposition der Länder bei der Zulassung von Anlage und Betrieb eines Verkehrsflughafens im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung unterliegen. Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland dem Abkommen über die in-
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BVerwG, DVB1. 1998, 1184.
Die Berücksichtigung der Lärmklassifizierung von Flugzeugen
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ternationale Zivilluftfahrt von 1944 beigetreten 43. Der Beitritt zu diesem Abkommen begründet neben den im Abkommen selber festgelegten Verpflichtungen für Verkehrsflughäfen, die am internationalen Luftverkehr teilhaben, auch die Verpflichtung, die Regelungen der Anhänge zum ICAO-Abkommen vom 07.12.1944 über Anlage und Betrieb solcher Flughäfen zu beachten. Das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt von 1944 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dem beizutreten gemäß Art. 32 Abs. 1 GG der Bund zuständig ist. Dieses Abkommen hat als völkerrechtlicher Vertrag die Zustimmung des Bundestages durch ein besonderes Gesetz (Art. 59 GG) erhalten und ist von der Bundesrepublik Deutschland - mit Gesetzesrang - ratifiziert worden. Auch insoweit mögen in die bundeseigene Verwaltung weisende Argumente bestehen. bb) Auf der anderen Seite hat das Luftverkehrsgesetz in § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG die Genehmigung (und Planfeststellung) von Flugplätzen der Bundesauftragsverwaltung zugewiesen und damit dem Umstand Rechnung getragen, dass zunächst die Entscheidung über die öffentlich-rechtliche Zulassung einer derartigen Infrastrukturanlage nach Maßgabe der örtlichen Begebenheiten zu entscheiden ist. Hieraus ist der Schluss zu ziehen, dass, worauf auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung hinweist, die Ortsbezogenheit der erforderlichen Betriebsregelungen unter Berücksichtigung des Abwägungsgebotes (Schutz der Flughafennachbarschaft vor, insbesondere unzumutbaren, anders nicht entgegenzutretenden Lärmauswirkungen) es rechtfertigen kann, lokale Betriebsregelungen bei der luftrechtlichen Zulassung zu verfugen, die über die Anforderungen der in den Lärmzertifizierungsvorschriften zum Ausdruck kommenden Lärmstandards hinausgehen. Auch greifen die Regelungen über die fachplanerische Zulassung eines Flughafens (nebst Betriebsregelungen) nicht unmittelbar auf die Zulassung von Fluggerät zu. Sie machen sich vorbehaltlich einer ausstehenden anders lautenden gesetzlichen Regelung - im Rahmen der ihr aufgegebenen Problembewältigung den Umstand zu Nutze, dass die technische Zulassung von Luftfahrtgerät keine Garantie von Starts und Landungen lärmzertifizierten Fluggeräts auf einem Verkehrsflughafen einschließt. Soweit durch derartige Betriebsregelungen - etwa unter Bezug auf Lärmzertifizierungen - die Interessen des Bundes berührt werden, verbleibt die letzte Entscheidung - im Rahmen des fachplanerischen Zulassungsverfahrens - ohnehin beim Bund, § 31 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG.
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Beitrittsgesetz vom 7.4.1956, BGBl. II S. 411.
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IV. Ergebnisse 1. Regelungen über den Einsatz lärmzertifizierter Flugzeuge sind auf deutschen Verkehrsflughäfen in luftrechtlichen Genehmigungen oder Planfeststellungen üblich. Diese Regelungen greifen entweder die Lärmstandards nach ICAO Anhang 16, Kapitel 3 auf oder verschärfen die Anforderungen des ICAO Anhang 16 Kapitel 3, sei es durch die ursprüngliche auf Gebührenregelungen bezogene Bonusliste des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen oder durch besondere lokale Vorgaben. 2. Die Lärmzertifizierung von Flugzeugen bestätigt, dass die lärmzertifizierten Flugzeuge im Zeitpunkt ihrer Zulassung dem „Stand der Technik" entsprechen. 3. Die Lärmzertifizierung von Flugzeugen verschafft den Flugzeugen den Zutritt zum Luftverkehr. Sie enthält aber keine Garantie für ungehinderte Starts und Landungen auf deutschen Verkehrsflughäfen. Etwas anderes müsste durch Gesetz bestimmt werden. Die Resolution der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation 33-7 legt hinsichtlich der nach ICAO Anhang 16, Band 1 Teil II Kapitel 4 lärmzertifizierten Flugzeuge den Mitgliedstaaten eine entsprechende Garantie (Freistellung von Betriebsbeschränkungen) nahe. 4. Die Beschränkung des Zugangs lärmzertifizierter Flugzeuge zu einem Verkehrsflughafen ist Bestandteil der fachplanungsrechtlichen Zulassung des Verkehrsflughafens nach § 8 Abs. 1 LuftVG. 5. Die Beschränkung der Zulassung von lärmzertifizierten Flugzeugen betrifft das „Grundverhältnis" der fachplanungsrechtlichen Zulassung eines Verkehrsflughafens. Sie ist Gegenstand der fachplanungsrechtlichen Abwägung (§8 Abs. 1 S. 1, S. 2 LuftVG), nicht aber einer Auflage nach § 9 Abs. 2 LuftVG. 6. Die Entscheidung über die Beschränkung lärmzertifizierten Fluggerätes bei der fachplanerischen Zulassung liegt im planerischen Gestaltungsfreiraum der Behörde; Rechtsansprüche Dritter bestehen nicht. Auf der anderen Seite besteht auch kein Anspruch des Flughafenunternehmers oder Dritter auf fachplanungsrechtliche Zulassung in bestimmter Weise. 7. Das Entscheidungsprogramm des § 8 Abs. 1 LuftVG wird im Hinblick auf die Zulassung oder Beschränkung lärmzertifizierten Fluggerätes nicht von Planungsleitzielen oder Abwägungsdirektiven bestimmt. Eine derartige Direktive ergibt sich auch nicht aus § 29 b LuftVG. Die Resolution der ICAOVollversammlung 33-7, der ausgewogene Ansatz, beschreibt für die nach ICAO Anhang 16 Kapitel 3 lärmzertifizierten Flugzeuge den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für die nach ICAO Anhang 16 Kapitel 4 lärmzertifizierten Flugzeuge begehrt die Resolution, jedoch ohne nationale Verbindlichkeit, die Freistellung dieser Flugzeuge von Betriebsbeschränkungen.
Naturschutzrechtliche Anforderungen in der Fachplanung - eine Bestandsaufnahme nach der Novellierung des BNatSchG
Von Günter Halama
Eigentlich würde ich gerne ins europäische Naturschutzrecht hineinspringen und Fragen des FFH- und des Vogelschutzrechts ansprechen, aber dann liefe ich Gefahr, das Thema zu verfehlen, denn gerade im diesem Bereich hat die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes so gut wie keine Neuerungen gebracht. Die §§ 19 a bis 19 f sind nahezu wortgleich in die §§ 32 bis 37 übernommen worden. Ich konzentriere mich also auf die Dinge, die sich im Bundesnaturschutzgesetz bewegt haben, insbesondere im 7. Abschnitt. Dieser 7. Abschnitt war ja immer schon auch dem Mitwirkungsrecht der Naturschutzverbände gewidmet. Allerdings befanden sich die Naturschutzverbände früher in etwas merkwürdiger Gesellschaft, nämlich in der Nachbarschaft von Bußgeld- und von StrafVorschriften. Jetzt haben sie den 7. Abschnitt ganz allein für sich gewonnen, unbeeinträchtigt von anderen Materien. Der Gesetzgeber hat ihnen überdies sehr viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als früher, als er sich ihnen nur in § 29 widmete. An diesen § 29 möchte ich anknüpfen. Der findet sich jetzt wieder in den §§ 58 und 60 des neuen Bundesnaturschutzgesetzes, also aufgefächert in zwei Vorschriften, wobei der § 58 Rechtshandlungen von Bundesorganen, der § 60 Rechtsakte von Landesbehörden betrifft. Während § 58 unmittelbar geltendes Recht ist, ist § 60 bloß eine Rahmen Vorschrift. Das bedeutet aber nicht viel, denn soweit er einen Katalog mitwirkungsbedürftiger Rechtshandlungen enthält, stellt er Mindestanforderungen dar. Insofern kann man ihn als eine Vollregelung bezeichnen. Der Gesetzgeber hat, soweit es um die mitwirkungsbedürftigen Akte geht, kein Neuland betreten. Er hat das, was es schon vorher gab, fortentwickelt. Für den Bereich des Planungsrechts von Bedeutung ist, dass er den Katalog erweitert hat um die planfeststellungsersetzenden Plangenehmigungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung. In diesem Bereich ist früher ja erbittert gestritten worden. Die Verbände haben immer wieder versucht, ihren Fuß in Klageverfahren zu bekommen. Die Rechtsprechung hat diese Versuche jedoch stets abgewehrt. Im Beteiligungsbereich hat sich also nicht viel getan.
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Neuland hat der Gesetzgeber im Bereich des § 61 beschritten. In dieser Vorschrift hat er die Verbandsklage bundesrechtlich geregelt. Nicht als ob dies völligen Neuheitswert hätte. Die Verbandsklage hat es vorher auch schon gegeben. Die Besonderheit jetzt besteht darin, dass erstmals auch Akte von Bundesbehörden im Wege der Verbandsklage angegriffen werden können. Das ist etwas ganz Neues. Und im Übrigen hat die Verbandsklagemöglichkeit dazu geführt, dass das, was es früher auf Landesebene gegeben hat, wo der föderalen Vielfalt keine Grenzen gesetzt waren, vereinheitlicht worden ist. Den Ländern bleibt es allerdings weiterhin freigestellt, über das hinaus zu gehen, was der Bund vorsieht. Früher war es so, dass es Länder gab, die ein durchaus gut ausgebautes Verbandsklagesystem kannten, etwa Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ferner gab es solche, in denen die Verbandsklage als kleines zartes Pflänzchen eher ein Dasein im Verborgenen fristete, etwa Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Daneben standen Länder, die die Verbandsklage überhaupt nicht kannten. Und da waren merkwürdige Allianzen zu verzeichnen. Zu denen, in denen es die Verbandsklage nicht gab, gehörten z.B. Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, die sonst ja eigentlich kaum mehr gemeinsam haben, als dass sie Touristenmagnete sind. Jetzt ist die Verbandsklage auch in diesen Ländern möglich. Allerdings hat der Gesetzgeber in diesem Bereich nicht zu dem ganz großen Wurf ausgeholt. Er hat die Verbandsklagebefugnis nicht Verbänden schlechthin, sondern nur Naturschutzvereinen zuerkannt. Auch vom Gegenstand her sind die Verbandsklagen beschränkt. Von den Naturschutzverbänden dürfen nur naturschutzrelevante Fragen zum Gegenstand ihrer Klagen gemacht werden. Immerhin ist schon dies ein Schritt nach vorn. Von besonderem Interesse mag § 61 Abs. 3 sein. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber als materielle Präklusion ausgestaltet. Den Verbänden ist die Möglichkeit abgeschnitten, im Klageverfahren Argumente vorzubringen, die sie bereits im Verwaltungsverfahren hätten anbringen können. Die Vorschrift ist ganz allgemein formuliert. Dies deutet darauf hin, dass die Präklusionsregelung in allen Verbandsklagefällen gilt. Das hat aber nicht verhindert, dass die Frage aufgeworfen worden ist, ob es nicht unabhängig von der Regelung des § 61 Abs. 3 speziellere, strengere Präklusionsregelungen gibt, die den § 61 Abs. 3 verdrängen. Als einen in dieser Hinsicht geeigneten Kandidaten hat man schnell § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG ausgemacht. Diese Vorschrift besagt, dass Einwendungen nach Ablauf der Einwendungsfrist ausgeschlossen sind. Sie bezieht sich an sich unmittelbar nur auf das Verwaltungsverfahren, in der Rechtsprechung ist aber seit jeher anerkannt, dass sich diese Ausschlusswirkung auch auf das gerichtliche Verfahren erstreckt. Insofern ist § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG als Konkurrenzregelung vom Prinzip her durchaus geeignet. Man könnte abstrakte tiefsinnige Betrachtungen darüber anstellen, in welchem Verhältnis diese Vorschriften zueinander stehen. Hat § 61 Abs. 3 Vorrang
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als zeitlich neuere Vorschrift oder § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG, weil er im Vergleich zu § 61 Abs. 3 die speziellere Regelung enthält? Darüber kann man stundenlang diskutieren. Das setzt aber voraus, dass beide Vorschriften wenigstens teilweise deckungsgleich sind. Und das bedeutet, dass man die Frage stellen muss, ob der § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG auf Naturschutzverbände überhaupt anwendbar ist. Schaut man sich diese Vorschrift an, so heißt es dort nur lapidar, dass Einwendungen nach Ablauf der Einwendungsirist ausgeschlossen sind. Das bedeutet für sich genommen nicht sehr viel. Man muss weiterfragen: Was verbirgt sich hinter dem Begriff der Einwendung, was ist mit Einwendungsfrist gemeint? Das ergibt sich nicht unmittelbar aus dieser Vorschrift. Der Gesetzgeber knüpft erkennbar an eine anderweitige Regelung an. Und diese anderweitige Regelung findet sich in § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG. Dort heißt es: Jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, kann bis zu zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist Einwendungen erheben. Da taucht der Begriff Einwendung auf, da ist auch von der Einwendungsfrist die Rede. Ist diese Vorschrift anwendbar auf Naturschutzvereine? Die Rede ist von jedem, dessen Belange berührt werden. Einwendungsberechtigt ist also derjenige, der geltend machen kann, dass seine Belange berührt werden. Es genügt nicht, dass irgendwelche Belange beeinträchtigt sind. Es müssen eigene Belange sein. § 73 VwVfG setzt voraus, dass individuelle Betroffenheit geltend gemacht wird. Nur unter dieser Voraussetzung greift er tatbestandlich ein. Stellt man sich die Frage, ob dies für die Naturschutzverbände zutrifft, so ist die Antwort relativ einfach. Sie können keine eigenen Belange ins Feld führen. Der Schutz der Belange von Natur und Landschaft ist eine öffentliche Aufgabe und bleibt eine öffentliche Aufgabe, auch wenn die Naturschutzverbände sich diese Aufgabe in ihren Satzungen aufs Panier schreiben. Dass die Verbände in das Verfahren eingeschaltet werden, beruht nicht darauf, dass man ihnen ermöglichen will, eigene Belange geltend zu machen. Es soll sichergestellt werden, dass sie ihren Sachverstand in das Verfahren einbringen. Insofern ist ihre Funktion durchaus vergleichbar der der Naturschutzbehörden. Private „Betroffene" sind sie nicht. Das müssten eigentlich auch diejenigen einräumen, die sich auf den Standpunkt stellen, § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG sei auf Verbände anwendbar. Denn träfe das wirklich zu, dann könnte man eigentlich ernsthaft über die Klagebefugnis gar nicht streiten. Denn dass derjenige, der eigene Belange geltend machen kann, diese dann auch klageweise muss verteidigen können, das versteht sich im Grunde von selbst. Das Recht zu klagen wird den Verbänden aber abgesprochen, sofern nicht der Gesetzgeber für sie eine besondere Regelung trifft. Also kann die Frage im Grunde bloß die sein, ob die Verbände dem Kreis von Personen, der in § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG angesprochen ist, sachlich so nahe stehen, dass es gerechtfertigt ist, sie so zu behandeln wie Betroffene. Das muss man aber wohl aus zwei Gründen verneinen. Der Gesetzgeber hätte es in der Hand, das klarzustellen, wenn er es denn so wollte. Der Gesetzgeber könnte
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in § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zum Ausdruck bringen, dass neben denen, deren Belange berührt werden können, auch Naturschutzvereine Einwendungen erheben können. Er könnte einen entsprechenden Zusatz auch bei § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG anbringen. Auch das wäre für ihn ein Leichtes. Auch das hat er indes nicht getan. Ob es sinnvoll, zweckmäßig oder gar wünschenswert wäre, so zu verfahren, darüber mag man diskutieren. Ob es vor dem Hintergrund der europarechtlichen Entwicklung und der Aarhus-Konvention ratsam wäre, wenn der Gesetzgeber so vorginge, mag zweifelhaft sein. Dass es ihm grundsätzlich erlaubt ist, Naturschutzverbände Betroffenen gleichzustellen, daran habe ich keinen Zweifel. Er hat dies aber nicht getan. Und es gibt einen weiteren Grund, der darauf schließen lässt, dass er die Verbände nicht so behandelt wissen will wie private Betroffene, die ihre Belange im Rahmen der Anhörung geltend machen können. Er widmet sich den Verbänden in einem eigenen Abschnitt im BNatSchG und überschreibt diesen Abschnitt mit „Mitwirkung". Man sollte sich nicht an Worte klammern. Mitwirkung bedeutet selbstverständlich nicht Mitentscheidung. Aber der Gesetzgeber stellt sich unter Mitwirkung doch offenbar etwas anderes vor als dass, was die Betroffenenanhörung ausmacht. Jedenfalls greift er sowohl bei § 29 a.F. als auch jetzt in den §§ 58 und 60 Formulierungen auf, die er sonst bei der Beteiligung der Behörden verwendet. Den Verbänden ist Gelegenheit zur Äußerung bzw. zur Stellungnahme zu geben. Das ist genau die Wendung, auf die der Gesetzgeber auch bei der Behördenbeteilung zurückgreift. Das deutet darauf hin, dass es eben um eine andere Art der Beteiligung geht als die Anhörung. Es ist auch offensichtlich, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nicht an die Auslegung der Planunterlagen anknüpft. Das Beteiligungsrecht unterscheidet sich inhaltlich von der Anhörung. Es ist einerseits enger als das, was § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG vorgibt. Auszulegen sind die Planunterlagen, also alle Unterlagen, die sich auf das Vorhaben als Ganzes beziehen. Die Beteiligung der Verbände erstreckt sich dagegen nur auf das naturschutzrelevante Entscheidungsmaterial. Andererseits geht der Gesetzgeber selbst davon aus, dass Naturschutzverbände mehr einfordern können als der normale Betroffene, denn er bestimmt, dass ihnen einschlägige Sachverständigengutachten zugänglich zu machen sind. Es ist einhellige Rechtsprechung seit eh und je, dass Gutachten, jedenfalls grundsätzlich, nicht zu den Planunterlagen gehören, die ausgelegt werden müssen. Eine Ausnahme wird nur dann gemacht, wenn sie zum Verständnis der Planungskonzeption unabdingbar sind. Der Verbandsbeteiligung liegt erkennbar ein eigenständiges Konzept zugrunde. Kommt man zu dem Ergebnis, dass § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG nicht anwendbar ist, so wird man wieder auf die allgemeine Vorschrift des § 61 Abs. 3 zurückgeworfen. Diese Erkenntnis mag bei manchen Planern Schreckensvisionen auslösen, weckt sie doch die Vorstellung, dass dann, wenn § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG i.V.m. § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG und den Fristenregelungen, die sich
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darin finden, nicht greift, die Verbände im Verwaltungsverfahren nicht daran gehindert werden können, sich mit etwaigen Einwendungen zu beliebiger Zeit Gehör zu verschaffen. Die Frage lautet: Gibt es tatsächlich fur Verbände im Verwaltungsverfahren keinerlei Fristbindung? § 61 Abs. 3 sagt zu dieser Frage nichts und kann hierzu naturgemäß auch nichts sagen, denn er betrifft ja das gerichtliche Verfahren. Wie das Verwaltungsverfahren auszugestalten ist, gehört nicht zu seinen Regelungsgegenständen. Insoweit überlässt der Gesetzgeber die Lösung dem Verwaltungsverfahren. Die §§ 58 und 60 BNatSchG greifen diese Thematik zwar auf, sie äußern sich aber nur dazu, in welchen Fällen ein Beteiligungsrecht besteht und wie dieses Recht im Einzelnen auszugestalten ist. Fristbestimmungen enthalten diese Vorschriften nicht. Also bietet es sich an, im sonstigen Bundesrecht auf die Suche zu gehen. Im Fernstraßengesetz stößt man auf § 17 Abs. 3 b. Diese Vorschrift betrifft die Beteiligung von Behörden. Den Behörden, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt wird, ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Gesetzgeber geht von einer Maximalfrist von drei Monaten aus. Ist diese Vorschrift auf Naturschutzverbände anwendbar? Die Antwort ist eindeutig nein. Die Naturschutzvereine sind keine Träger öffentlicher Belange. Sie werden in der Rechtsprechung als Verwaltungshelfer bezeichnet; als solche sind sie Sachwalter von Natur und Landschaft. Das ändert aber nichts daran, dass sie private Vereinigungen sind. Und als private Vereinigungen können sie nicht so behandelt werden wie Behörden, es sei denn, der Gesetzgeber sieht das so vor. Eine solche Regelung gibt es, man höre und staune, im Luftverkehrsgesetz. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 dieses Gesetzes enthält eine Regelung, die wortwörtlich mit § 17 Abs. 3 b FStrG übereinstimmt: Die Behörden, deren Aufgabenbereich berührt wird, sind zu beteiligen; ihnen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben, Maximalfrist drei Monate. Und dann heißt es: Dies gilt auch für Naturschutzverbände. Diese Regelung ist 1998 ins Luftverkehrsgesetz eingeführt worden, weil der Gesetzgeber offenbar in diesem Bereich Regelungsbedarf gesehen hat. Der Gesetzgeber ist ersichtlich nicht davon ausgegangen, dass die Frage der Verbändebeteiligung, soweit es um Fristen geht, im Luftverkehrsgesetz bereits geregelt sei. In § 10 Abs. 4 Satz 1 LuftVG gibt es eine Vorschrift, die dem § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG genau entspricht: Einwendungen sind nach Ablauf der Einwendungsfrist ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat indes offenbar nicht die Vorstellung gehabt, dass die Verbände durch diese Regelung erfasst seien. Auch die Behördenbeteiligung hat er nicht als rechtlichen Aufhänger gesehen. Denn er hat die Verbände den Behörden lediglich gleichgestellt. Zu dieser Regelung kann man nur sagen: Problem erkannt, Diskussionsflut gebannt. Der Gesetzgeber hat für klare Verhältnisse gesorgt. Im Fernstraßenrecht ist das nicht so. Eine dem § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LuftVG entsprechende Regelung fehlt. Also muss man die Suche fortsetzen. Helfen sonstige Vorschriften weiter? Als Anknüpfungspunkt bieten sich die
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verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften der Länder an. Die sind aber ebenfalls unergiebig, denn sie entsprechen insoweit den bundesrechtlichen Regelungen. Sie regeln nur die Behörden- und die Betroffenenbeteiligung, nicht aber die Verbandsbeteiligung. Fündig wird man aber, wenn man in die Landesnaturschutzgesetze schaut. Diese Gesetze enthalten durchweg Vorschriften, die sich mit der Frage befassen, innerhalb welcher Fristen Verbände, die am Verfahren beteiligt werden, ihre Stellungnahmen abgeben können oder müssen. Die Situation ist so, wie man es in einem Bundesstaat erwarten kann: Die Vielfalt kennt keine Grenzen. In Sachsen-Anhalt billigt man den Verbänden mindestens einen Monat, in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen zwei Monate für ihre Stellungnahmen zu. In den meisten anderen Bundesländern begnügt man sich mit der Regelung, dass eine angemessene Frist einzuräumen sei. Angemessen bedeutet keinen konkreten Zeitraum. Was angemessen ist, hängt von den Umständen ab. Maßgebend können zum Beispiel der Schwierigkeitsgrad der naturschutzfachlichen Fragen, die durch die Planung angesprochen werden, oder der Umfang des Informationsmaterials sein. Bei der Frage, was angemessen ist, mag es allenfalls erwägenswert sein, gewisse Wertungen, die sich aus anderen Vorschriften ergeben, in die Fristbestimmung einfließen zu lassen. Wenn der Gesetzgeber in § 17 Abs. 3 b FStrG davon ausgeht, dass die Behörden in der Lage sind, innerhalb von drei Monaten sachgerecht Stellung zu nehmen, dann wird man vielleicht daraus folgern können, dass dies, zumindest im Normalfall, auch Verbänden möglich sein muss. Die Fristbestimmungen, die sich im Fernstraßenrecht und im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht finden, mögen somit als Orientierungshilfe nützlich sein, mehr aber auch nicht. Dies gilt insbesondere für § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG, der einschlägig ist, wenn ein Plan geändert wird. Der Gedanke, der hinter dieser Regelung steht, lässt sich nicht ohne weiteres auf die Verbandsbeteiligung übertragen. Wird der Plan geändert, so können sich Behörden und Betroffene nach § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG innerhalb von zwei Wochen dazu äußern. Eine Planänderung bedeutet nicht zwangsläufig, dass Verbände erneut beteiligt werden müssen. Eine erneute Verbandsbeteiligung ist nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, wenn sich das für die naturschutzfachliche Beurteilung relevante Material ändert. Ist eine Verbandsbeteiligung geboten, so gelten die insoweit maßgeblichen Vorschriften. Dann ist zu beachten, was das Landesrecht vorschreibt. Wenn, wie in Sachsen-Anhalt, eine Frist von einem Monat vorgesehen ist, dann ist eine Stellungnahme auch bei einer erneuten Beteiligung innerhalb eines Monats möglich. Allenfalls dort, wo sich das Landesrecht damit begnügt, von einer angemessenen Frist zu sprechen, kann man sich fragen, ob sich aus § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG herleiten lässt, dass es bei einer erneuten Beteiligung in der Regel mit einer wesentlich kürzeren Frist als bei der ersten Beteiligung sein Bewenden haben darf. Mehr gibt § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG nicht her.
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In einem Punkt hat die Verbandsklageeröffhung durch den Gesetzgeber dazu gefuhrt, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts obsolet geworden ist. Ich denke an die bekannt gewordene umstrittene Entscheidung vom Oktober 1990 zur Partizipationserzwingungsklage. Was war die Botschaft dieses Urteils? Es ging um die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss. Geltend gemacht wurde von dem Verband, er sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Was haben die Vorinstanzen gemacht? Das, was man von ihnen erwarten konnte. Sie haben die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbediirfhisses als unzulässig abgewiesen. In dem Stadium, in dem man sich befand, war für eine Beteiligung kein Raum mehr. Insofern waren die Entscheidungen der Vorinstanzen durchaus konsequent. Diese Rechtsprechung lief nicht auf eine völlige Rechtsschutzverweigerung hinaus. Denn die Verbände konnten im Verwaltungsverfahren versuchen, sich ihr Recht zu verschaffen. Sie konnten sich ihre Beteiligung mit einer Leistungsklage erkämpfen und vorläufigen Rechtsschutz beantragen. Ob sie auf diesem Wege Erfolg hatten, grenzte allerdings an ein Glücksspiel. Das war ein Wettlauf mit der Zeit. Der Verband musste immer gewärtigen, dass er mit seiner Klage durch den Verlauf des Verwaltungsverfahrens überrollt wurde. Sobald die Planungsentscheidung da war, war er mit seinem Rechtsschutzlatein am Ende. Das war kein gerade idealer Rechtsschutzzustand, das muss man zugeben. Das hat das Bundesverwaltungsgericht wohl veranlasst, sich Gedanken darüber zu machen, wie sich die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessern lassen. Sein Ergebnis lautete: Die Klage ist zulässig. Mehr noch: Die Klage ist auch begründet, wenn der Verband nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Wird dieser Nachweis erbracht, so hat die Klage Erfolg, unabhängig davon, ob die Sachentscheidung der Behörde in Ordnung ist oder nicht. Das ist ein rigoroser Standpunkt. Man hat also die Verletzung des Beteiligungsrechts als absoluten Verfahrensfehler qualifiziert. Das ist nicht etwas ganz Außergewöhnliches. Die Figur des absoluten Verfahrensfehlers kennt man auch in anderen Zusammenhängen, etwa im Atomrecht, auch im Bereich des luftrechtlichen Verfahrens, wenn im Rahmen des § 6 LuftVG eine Gemeinde, die anzuhören gewesen wäre, nicht beteiligt wird. Trotzdem erstaunt es, dass der Senat sich auf diesen strengen Standpunkt gestellt hat. Man kann sich fragen, was ihn hierzu veranlasst hat. Denkbar gewesen wäre ja auch eine vermittelnde Lösung. Dem Anliegen der Naturschutzverbände hätte man auch dadurch Rechnung tragen können, dass man sich auf folgenden Standpunkt gestellt hätte: Um überhaupt Rechtsschutzmöglichkeiten zu eröffnen, ist eine Anfechtungsklage zulässig. Bei der Frage der Begründetheit kommt es aber darauf an, ob sich der Verfahrensfehler auf das Entscheidungsergebnis überhaupt ausgewirkt haben kann. Eine solche Konstruktion wäre denkbar gewesen. Vielleicht wäre sie sogar nahe liegend gewesen, und man kann sich fragen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht so nicht verfahren ist. Hierfür kann man, denke ich, zwei Gründe
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anfuhren. Der eine ist ein Sanktionsgedanke. Der Senat wollte die Behörden offenbar dazu anhalten, es mit der Verbandsbeteiligung ernst zu nehmen und mit den Beteiligungsrechten der Verbände sorgfältig umzugehen. Er hatte allerdings wohl die Befürchtung, dass diese Sanktionskeule nicht so recht wirken würde, wenn die Richtigkeit der Sachentscheidung den Ausschlag für den Prozessausgang gab. Eine solche Sicht hätte vielleicht doch die eine oder andere Behörde dazu ermuntern können, es mit der Beteiligung nicht so genau zu nehmen, in der Hoffnung, dass dann am Ende doch alles gut gehen werde, weil sich die Entscheidung in der Sache letztlich nicht beanstanden lasse. Es könnte sein, dass man einer solchen Taktik von vornherein einen Riegel hat vorschieben wollen. Ein weiterer Grund könnte vielleicht darin zu suchen sein, dass der 4. Senat damals ein, wie soll ich sagen, distanziertes Verhältnis zu § 46 VwVfG hatte. Wenn man die ältere Rechtsprechung zum Planfeststellungsrecht durchmustert, dann stellt man fest, dass § 46 VwVfG keine Rolle spielt. Der Senat hat diese Vorschrift, soweit nur irgend möglich, zu umschiffen versucht. § 46 VwVfG taucht in der zweiten Entscheidung zum Flughafen München, die in der amtlichen Sammlung im 75. Band abgedruckt ist, zwar auf, doch ist dort bezeichnenderweise die Rede vom Rechtsgedanken des § 46 VwVfG. Wendet man eine Vorschrift nur dem Rechtsgedanken nach an, so bedeutet dies, dass sie nicht unmittelbar anwendbar ist, aber Aussagen enthält, die sich auch außerhalb ihres eigentlichen Anwendungsbereichs fruchtbar machen lassen. Indes kann kein Zweifel daran bestehen, dass § 46 VwVfG auch im Planfeststellungsrecht gilt. Und das nicht erst, seit sich in § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG die Regelung findet, dass § 46 VwVfG unberührt bleibt. Was bedeutet dieser Verweis? § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG betrifft die Fälle der Fehlerbehebung. Der Gesetzgeber stellt hierfür das ergänzende Verfahren und die Planergänzung zur Verfügung. Gleichzeitig macht er aber deutlich, dass es dieser Instrumente nur bedarf, wenn der Verfahrensfehler überhaupt beachtlich ist. Nur dann besteht ein Heilungs- und ein Planerhaltungsbedarf. Beachtlich ist ein Fehler aber dann nicht, wenn die Voraussetzungen der §§45 und 46 VwVfG vorliegen. Insoweit erschöpft sich § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG in einem klarstellenden Hinweis. Dass § 46 VwVfG im Rahmen der Planfeststellung anwendbar ist, ergibt sich unmittelbar aus § 72 VwVfG. Danach sind im Planfeststellungsverfahren, soweit nicht die Spezialregelungen des 2. Abschnitts des Teils V eingreifen, die allgemeinen Vorschriften, mit Ausnahme der in § 72 VwVfG ausdrücklich genannten Bestimmungen, anwendbar. Zu den ausgeschlossenen Regelungen gehört § 51, nicht aber § 46 VwVfG. Der Rechtfertigungsgrund, der sich für das Urteil vom Oktober 1990 anführen ließ, ist entfallen, seit es die Verbandsklage gibt. Die vom Senat entwickelte Sonderform der Partizipationserzwingungsklage diente dazu, den Verbänden überhaupt einen Weg zu eröffnen, der es ihnen ermöglichte, auf die sachliche Entscheidung wirksam Einfluss zu nehmen. Diese Chance braucht man ihnen
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nicht zu bieten, soweit sie sowieso in der Lage sind, eine Entscheidung unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen. Genau diese Möglichkeit eröffnet die Verbandsklage. Der Senat hat dann auch die Konsequenzen gezogen und sich erstmals in dem zweiten A 20-Urteil vom 31. Januar 2002 von seiner früheren Rechtsprechung verabschiedet. Dieses Verfahren betraf eine Verbandsklage nach altem schleswigholsteinischem Recht. Die Aussagen im Urteil vom 31. Januar 2002 lassen sich aber verallgemeinern, nachdem der Bund die Verbandsklage flächendeckend eingeführt hat. Einige Worte noch zur Eingriffsregelung. Auf diesem Felde hat der Gesetzgeber ja auch etwas unternommen. Der frühere § 8 war, soweit es um die bundesrechtlichen Vorgaben ging, dreistufig konzipiert: Vermeidung, Ausgleich, Abwägung. Der Bundesgesetzgeber stellte es den Landesgesetzgebern frei, auch Ersatzmaßnahmen vorzuschreiben. Von dieser Möglichkeit haben die Bundesländer in sehr unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. Manche haben sich stark an den Ausgleichsbegriff angelehnt, andere haben sich davon weitgehend abgeseilt. Auch unter diesem Blickwinkel wies das rechtliche Spektrum mithin zahlreiche Facetten auf. Jetzt hat der Bundesgesetzgeber zweierlei getan. Er hat einerseits die Ersatzmaßnahmen in sein eigenes Regelungskonzept aufgenommen. Er definiert jetzt selbst, was unter Ersatzmaßnahmen zu verstehen ist. Im Übrigen hat er die Rangfolge verändert. Jetzt umfasst die Eingriffsregelung folgende Stufen: Vermeidung, Ausgleich, Ersatz, erst dann hat der Gesetzgeber die Abwägung verortet. Als Begründung dafür, warum nun die Ersatzmaßnahmen an die Ausgleichsmaßnahmen, wenn man so will, angedockt werden, wird in den Materialien der Umstand genannt, dass es sich vielfach als schwierig erwiesen habe, Ausgleichs- von Ersatzmaßnahmen abzugrenzen. Das mag wohl wahr sein. Bereitet die Abgrenzung ernstliche Probleme, so hätte es eigentlich nahe gelegen, den Weg zu wählen, den der Gesetzgeber im BauGB beschritten hat. Dort ist die Unterscheidung zwischen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen aufgegeben worden. Nach § 1 a BauGB ist die Eingriffsregelung als Abwägungsposten zu berücksichtigen. § 200 a BauGB definiert, was unter Ausgleichsmaßnahmen zu verstehen ist. Dabei werden Augleichs- und Ersatzmaßnahmen in einem Atemzug genannt. Es ist der Gemeinde also nach Abwägungsgrundsätzen möglich, sich des einen oder des anderen Kompensationsmittels zu bedienen. Zu dieser Lösung hat sich der Gesetzgeber bei der Eingriffsregelung in § 19 nicht durchgerungen. Er hat an der Rangfolge zwischen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen festgehalten. Vorrangig ist ein Ausgleich zu schaffen, erst dann kommen Ersatzmaßnahmen in Betracht. Die Probleme sind somit bloß an eine andere Front verlagert worden. Was sich geändert hat, ist, wie gesagt, die Rangfolge. Die Abwägungsregel, die früher Platz 3 einnahm, ist jetzt auf den vierten Rang abgerutscht. Man könnte geneigt sein, darin einen Verlust für den Naturschutz zu sehen. Denn
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immerhin handelt es sich bei der Abwägungsklausel scheinbar um eine ausgesprochen gehaltvolle Regelung. Wenn man die Vorschrift unbefangen nimmt, dann kann ein Vorhaben an dieser Regelung scheitern. In § 8 Abs. 3 a.F. hieß es: Der Eingriff ist zu untersagen, wenn... . Nach der neuen Formulierung darf der Eingriff nicht vorgenommen werden, wenn... . Ein verbal scharfes Schwert, das aber nicht zum Hauen taugt. Meine These ist: § 8 Abs. 3 a.F. war bedeutungslos, und was bedeutungslos ist, das bleibt bedeutungslos, ob es nun an dritter oder an vierter Stelle geregelt wird. Der Gesetzgeber könnte es auch an zwölfter Rangstufe aufführen, ohne dass sich etwas ändern würde. Denn in der Praxis ist die Regelung leergelaufen. Ich wäre gerne bereit, eine Prämie für jeden auszuloben, der mir glaubhaft versichern kann, davon Kenntnis zu haben, dass ein Vorhaben jemals an § 8 Abs. 3 a.F. gescheitert ist. Ich habe dergleichen jedenfalls noch nie erlebt. Und da es einen solchen Fall früher nicht gegeben hat, wird es ihn auch in Zukunft nicht geben. Mit dieser Feststellung könnte man es bewenden lassen und sagen: So ist das eben. Trotzdem macht sich ein Gefühl des Unbehagens breit. Wie kommt es eigentlich, dass eine Regelung, die, wenn man sie unbefangen liest, doch von erheblicher Tragweite ist, praktisch keine Rolle spielt? Das könnte darauf beruhen, dass der Gesetzgeber selbst dieser Vorschrift nur einen schmalen Anwendungsbereich hat eröffnen wollen. Die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege kommen in nahezu allen umweltrelevanten Bereichen zur Geltung. Dafür trägt das Fachrecht Sorge. Im Planungsrecht sind die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu berücksichtigen. Das gilt gleichermaßen für die Bauleitplanung und die Fachplanung. Auch im Vorhabenzulassungsrecht spielen die Naturschutzbelange eine Rolle. § 35 BauGB ist hierfür ein Beleg. Auch in anderen Rechtsbereichen gehört die Wahrung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege zum Entscheidungsprogramm. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG verweist insoweit auf die Anforderungen des Baurechts. § 11 Abs. 1 Satz 6 GenTG folgt diesem Muster. Auch dort, wo sich der Gesetzgeber nicht einer solchen Verweisungstechnik bedient, stellt er klar, dass bei der Zulassung umweltrelevanter Vorhaben den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege als Teil der öffentlichen Interessen oder Gemeinwohlbelange Rechnung zu tragen ist. Der Gesetzgeber hätte mit § 8 Abs. 3 a.F. eine Regelung für die Fälle schaffen können, in denen das Fachrecht, aus welchen Gründen immer, nicht seinerseits schon Vorsorge für die Naturschutzbelange trifft. Dies wäre eine denkbare Konzeption gewesen. Für ein solches Modell hat sich der Gesetzgeber im Jahre 1976 aber offenbar nicht entschieden. In den Materialien ist die Rede davon, dass der Landverbrauch immens sei. Zahlreiche Aufsätze belegen, dass sich daran bis auf den heutigen Tag nichts geändert hat. An den Hinweis auf die Problematik des Landverbrauchs schließt sich in den Gesetzesmaterialien die Feststellung an, das Fachrecht habe sich nicht als geeignetes Mittel erwiesen, um in diesem Bereich etwas zu bewirken.
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Die Eingriffsregelung wird als Instrument gekennzeichnet, das es ermöglichen soll, einem ungebremsten Landverbrauch entgegenzusteuern. Nun frage ich: Welche Vorschrift im Rahmen der Eingriffsregelung kann denn überhaupt geeignet sein, diese Wirkung zu erzielen? Nicht das Vermeidungs- und nicht das Ausgleichsgebot. Durch Kompensationsmaßnahmen wird nicht verhindert, dass Land in Anspruch genommen wird. Es kommt eigentlich nur die Abwägungsregel in Betracht. Nur sie führt dazu, dass ein Vorhaben untersagt werden oder nicht ausgeführt werden darf. Nur sie erweist sich als potenziell geeignetes Mittel. Das setzt aber voraus, dass man sich Gedanken darüber macht, anhand welcher Kriterien die naturschutzrechtliche Abwägungsentscheidung zu treffen ist. Eines ist klar: Ein selbständiges zusätzliches Instrument kann diese Abwägungsregelung nur dann sein, wenn nicht dieselben Kriterien wie im Fachrecht eine Rolle spielen. Sonst läuft die Regelung von vornherein leer. In der Praxis hat sich indes eine Tendenz durchgesetzt, die auf eine Parallelwertung der Abwägungsvorschriften des jeweils einschlägigen Fachrechts und des Naturschutzrechts hinausläuft. Bei einer solchen Sichtweise erweist sich die naturschutzrechtliche Regelung zwangsläufig als die schwächere, denn bei ihr steht der Naturschutz gegen den „Rest der Welt", während der Naturschutz und die Landschaftspflege im Fachrecht unter Umständen Verbündete in anderen Belangen finden, die gegen das Vorhaben sprechen, wie etwa den Belangen des Immissionsschutzes, des Wasserhaushalts oder der Landwirtschaft. Solange sich das Prüfprofil im Rahmen der Eingriffsregelung nicht vom jeweils einschlägigen Fachrecht unterscheidet, ist der Streit um die richtige dogmatische Verortung der naturschutzrechtlichen Abwägungsentscheidung von eher zweitrangiger Bedeutung. Die Rechtsprechung zu § 8 Abs. 3 a.F. ist schwankend. Das Bundesverwaltungsgericht hat die naturschutzrechtliche Abwägung zunächst als planerische Abwägung gekennzeichnet, sich dann aber auf den Standpunkt gestellt, dass es sich um die Anwendung strikten Rechts handele. Diese Aussage wird in der letzten Entscheidung dahin relativiert, dass die Entscheidung nach § 8 Abs. 3 a.F. dann eine rechtlich gebundene sei, wenn auch das Fachrecht auf Bindung beruhe. Ob Gleiches gilt, wenn das Fachrecht zu einer planerischen Abwägung ermächtigt, hat der Senat ausdrücklich offen gelassen. Das ist eine etwas missliche Situation. Die Planer brauchen aber ob dieser Ungewissheit nicht über die Maßen besorgt zu sein, denn nach den bisherigen Erfahrungen spielt die naturschutzrechtliche Abwägung, wie gesagt, ohnehin keine Rolle. Dann ist es einerlei, ob die Abwägung rechtlich so oder so zu qualifizieren ist. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, können die Praktiker getrost den Gerichten überlassen.
Erheblichkeit von Abwägungsmängeln Von Ingo Kraft
I. Einleitung Vorbild der fachplanungsrechtlichen Relevanzfilter für Abwägungsmängel ist die bauleitplanungsrechtliche Vorschrift des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB. 1 Sie stand Pate bei der Schaffung der gleichlautenden §§ 36d Abs. 6 Satz 1 BBahnG,2 17 Abs. 6c FStrG, 3 19 Abs. 4 WaStrG, 4 10 Abs. 8 LuftVG, 5 29 Abs. 8 PBefG, 6 20 Abs. 7 AEG, 7 5 Abs. 7 MBP1G8 und 75 Abs. la VwVfG. 9 Der Wortlaut von bauplanungsrechtlicher und fachplanungsrechtlicher Rechtsfolgenregelung unterscheidet sich im Einleitungssatz geringfügig; die Tatbestandsvoraussetzungen des zweiten Halbsatzes sind identisch formuliert:
1 BauGB vom 8.12.1996, BGBl. I S. 2253; Vorläufernorm war der wortgleiche § 155b Abs. 2 Satz 2 BBauG 1979 i.d.F. des Gesetzes vom 6.7.1979, BGBl. I S. 949. 2 Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Vereinfachung des Planungsverfahrens für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz - PIVereinfG) vom 17.12.1993, BGBl. I S. 2123, aufgehoben durch Art. 8 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27.12.1993, BGBl. S. 2378. 3 Art. 2 Nr. 5 g) PIVereinfG vom 17.12.1993, BGBl. I S. 2123. 4 Art. 3 Nr. 6 b) PIVereinfG vom 17.12.1993, BGBl. I S. 2123. 5 Art. 4 Nr. 3 d) PIVereinfG vom 17.12.1993, BGBl. I S. 2123. 6 Art. 5 Nr. 3 c) PIVereinfG vom 17.12.1993, BGBl. I S. 2123. 7 Art. 5 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27.12.1993, BGBl. I S. 2378. 8 Gesetz zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebebahnen vom 23.11.1994, BGBl. IS. 3486. 9 Art. 1 Nr. 9 GenBeschlG vom 12.9.1996, BGBl. I S. 1354; aktuell in der Fassung der Bek. vom 23.1.2003, BGBl. I S. 102.
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Wortlaut: §214 Abs. 3 Satz 2 BauGB
§ 75 Abs. la VwVfG
Mängel im Abwägungsvorgang
Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange
sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Im Vorgriff auf die spätere Interpretation der Tatbestandsvoraussetzungen ist festzuhalten, dass die unterschiedliche Formulierung des ersten Halbsatzes keine inhaltliche Bedeutung besitzt. Mit der Schaffung dieser Vorschriften wurde die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Dogmatik der Trennung von AbwägungsVorgang und Abwägungsergeöws als selbständigen Prüfungsgegenständen10 gesetzlich festgeschrieben; abweichenden Auffassungen in der Literatur 11 war mit dieser legislatorischen Zementierung endgültig der Boden entzogen.
I I . Auslegung des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Nachdem die Verfassungsmäßigkeit des § 155b Abs. 2 Satz 2 BBauG 1979 von gewichtigen Stimmen der Literatur in Zweifel gezogen worden war, 12 sah sich das Bundesverwaltungsgericht anlässlich seiner ersten Befassung mit dieser Vorschrift zu einigen Klarstellungen genötigt: Die Regelung schränke das verfassungsrechtlich durch das Rechtsstaatsprinzip abgesicherte13 Abwägungsgebot
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Grundlegend BVerwG, Urt. vom 5.7.1974 - IV C 50.72, BVerwGE 45, 309 (312 ff.). 11 Vgl. einerseits Koch, DVB1. 1983, 1125; ders., DVB1. 1989, 399 zur Überflüssigkeit der gesonderten Prüfung des Abwägungsergebnisses und andererseits Heinze, NVwZ 1986, 87 ff. mit der Forderung, nur das Abwägungsergebnis zu kontrollieren; zu diesen Ansätzen Erbguth, DVB1. 1986, 1230; Ibler, DVB1. 1988, 469. 12 Vgl. nur Boecker, BauR 1970, 370; Grave, BauR 1980, 205; Gubelt, NJW 1979, 2075; F. Kirchhof, NJW 1981, 2382; Breuer, NVwZ 1982, 273 (278 f.); Schrödter, BBauG, 4. Aufl., § 155b Rdnr. 10. 13 BVerwG, Urt. vom 20.10.1972 - IV C 14.71, BVerwGE 41, 67 (68): „..., dass das Gebot einer gerechten Abwägung der von einer Planung berührten öffentlichen und pri-
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nicht ein und lasse deshalb das an die Planungsträger gerichtete Gebot unberührt, dass auch der Abwägungsvorgang gerecht sein müsse. Die Vorschrift betreffe (nur) die Rechtsfolgen, die sich aus einer etwaigen Nichtbeachtung des fortbestehenden Gebots gerechter Abwägung ergäben. 14 Rechtssoziologisch betrachtet erscheint diese dogmatisch saubere Abschichtung wie eine Beschwörung der Gemeinden, die ausgedünnte Fehlerrelevanzregelung nur ja nicht als reduzierte Handlungsanweisung zu verstehen. Immerhin erachtete der 4. Senat seine Interpretationsarbeit angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 14, 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG als verfassungskonforme Auslegung. Offensichtlichkeit und Kausalität wurden, durch die Konjunktion „und" im Gesetzestext getrennt, als zwei selbständige Tatbestandsmerkmale gehandhabt; die Offensichtlichkeit wurde nicht etwa auf die Kausalität bezogen.15
1. Offensichtlichkeit eines Abwägungsmangels Entgegen den Gesetzesmaterialien, die den Gerichten die Kontrolle „aller Einzelheiten und Umstände der politischen Meinungsbildung und Beschlussfassung bei der gerichtlichen Nachprüfung von Bauleitplänen als Übergriff in die Planungshoheit der Gemeinden" (sie!) abschneiden wollte, 16 hat das Bundesverwaltungsgericht den Filter der „Offensichtlichkeit" auf folgende Funktionen reduziert: vaten Belange, weil vom Wesen einer rechtsstaatlichen Planung gefordert, unabhängig von seiner gesetzlichen Positivierung in § 1 Abs. 4 Satz 2 BBauG gilt." Zuletzt BVerfG, Beschl. vom 11.11.2002- 1 BvR218/99, DVB1. 2003, 192(193). 14 BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 - 4 C 57.80, BVerwGE 64, 33 (35). 15 Dafür plädiert neuerdings - in Anlehnung an § 46 VwVfG n.F. - Gaentzsch, UPR 2001,201 (205). 16 15. Bundestagsausschuss in BT-Drs. 8 / 2885 S. 36: „Der Ausschuss will mit dieser Vorschrift ausschließen, dass in die gerichtliche Nachprüfung von Bauleitplänen alle Einzelheiten und Umstände der politischen Meinungsbildung und Beschlussfassung in den Gemeindeparlamenten einbezogen werden und die Gerichte damit im Ergebnis in die Planungshoheit der Gemeinden eingreifen" sowie S. 46: „Satz 2 ... schränkt die Überprüfungsmöglichkeit des Abwägungsvorganges ein. Durch die Formulierung „offensichtlich" wird die Überprüfungsmöglichkeit aller Vorgänge im Abwägungsprozess, der sich grundsätzlich auf die im Rahmen der Beschlussfassung des Bauleitplans von der Gemeindevertretung vorzunehmende Abwägung bezieht, ausgeschlossen und nur auf die Fälle beschränkt, in denen z.B. evident, d.h. erklärtermaßen und offen erkennbar unsachliche Erwägungen der Gemeindevertretung in die Abwägung eingeschlossen sind. So ist ζ. B. ausgeschlossen, dass die Erwägungen der einzelnen Mitglieder der Gemeindevertretung im Abwägungsprozess geprüft werden und hierüber gegebenenfalls Beweis erhoben wird. „Offensichtlich" ist ζ. B. vielmehr ein Mangel, wenn sich die Mehrheit der Gemeindevertretung, die den Bauleitplan beschlossen hat, erklärtermaßen bzw. evident von Erwägungen hat leiten lassen, die mit einer sachgerechten Beurteilung des Bauleitplans nichts mehr zu tun haben." (a.a.O. S. 46).
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a) Die erste Ebene betrifft in Anlehnung an die Gesetzesbegründung den personellen Anknüpfungspunkt der Prüfung und differenziert zwischen dem Kollegialorgan als Beschlusskörper und dem einzelnen Ratsmitglied (kollektiv - individuell). Das einzelne Mitglied des Beschlussorgans mit seinen Vorstellungen und Motiven wird von vornherein ausgeblendet. Begründet wird diese Einschränkung der Perspektive damit, dass sich die individuellen Vorstellungen und Beweggründe nicht verlässlich klären ließen und zudem allein die demokratische Entscheidung der Mehrheit der gewählten Ratsmitglieder, nämlich die nach den Vorschriften der Gemeindeordnung wirksame Abstimmung über eine Beschlussvorlage, maßgebend sei. 17 b) Die zweite Unterscheidung thematisiert die abstrakte Dokumentationsfähigkeit der zugrundeliegenden Umstände, wenn der 4. Senat die äußere und die innere Seite des Abwägungsvorgangs einander gegenüberstellt. 18 Die gerichtliche Rechtskontrolle soll auf diese Weise auf den Bereich objektiv fassbarer Sachumstände konzentriert werden, um eher spekulativ bleibenden Motiven und Vorstellungen einzelner Ratsmitglieder oder aber auch der Mehrheit nicht nachgehen zu müssen. Beachtlich sind nur Fehler und Irrtümer, die sich aus den Beschlussvorlagen oder Planunterlagen ergeben. 19 Beispielhaft sei hier der fehlerhaft ermittelte und in den Lageplan eingetragene Bestand anlässlich der Überplanung eines Gebiets erwähnt. 20 Fußte die Abwägungsentscheidung dagegen auf rechtlich unzutreffenden Überlegungen, nimmt die rechtliche Schwierigkeit dieser Vorfragen dem Abwägungsmangel nicht die Offensichtlichkeit. 21 Entgegen dem Wortlautargument und entsprechenden Ansätzen in der Gesetzesbegründung, die Offensichtlichkeit bestimme sich selbst in komplexen Abwägungsgeflechten - parallel zu § 44 VwVfG - nach Evidenzgesichtspunkten22 und darauf basierenden Befürchtungen in der Literatur, damit bleibe von dem Justizgewährungsanspruch nicht mehr viel übrig, 23 erteilte das Bundesverwaltungsgericht dem so verstandenen allgemeinen Evidenzmaßstab eine Absage. Mit der Floskel, „die leichte Erkennbarkeit" schöpfe den Inhalt des Offensichtlichkeitsmaßstabs nicht aus, schränkte der Senat das Tatbestandsmerkmal in Richtung auf die erläuterte Dokumentationsfähigkeit des Mangels ein. 17
BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 - 4 C 57.80, BVerwGE 64, 33 (37) in Anlehnung an BVerfGE 2, 266 (281); 4, 144 (155); 42, 64 (73); 54, 1 (26 f.) zu den verfassungsrechtlich irrelevanten Vorstellungen und Motiven der an einem Gesetzesbeschluss teilnehmenden Abgeordneten. 18 BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 - 4 C 57.80, BVerwGE 64, 33 (38). 19 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 7.11.1997 - 4 NB 48.96 u.a., DVB1. 1998, 331 (333, 334). 20 Vgl. VGH Mannheim, Urt. vom 14.1.1994 - 8 S 2445 / 92. 21 BVerwG, Beschl. vom 7.11.1997 - 4 NB 48.96 u.a., DVB1. 1998, 331 (334). 22 Vgl. oben Fn. 16. 23 So F. Kirchhof, NJW 1981, 2382 (2386 f.).
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c) Darüber hinaus wurde dem Tatbestandsmerkmal der „Offensichtlichkeit" eine Beweisregel dahingehend entnommen, dass im konkreten Fall allein das Fehlen bestimmter Hinweise in der Planbegründung und den Aufstellungsunterlagen keine indizielle Bedeutung dafür besitzt, dass der Rat sich nicht mit den nicht genannten Umständen abwägend befasst hat. Lücken in der Dokumentation rechtfertigen demzufolge nicht den Schluss auf ein Unterlassen und damit einen Abwägungsausfall oder ein Abwägungsdefizit; vielmehr müssen konkrete Umstände positiv und klar auf einen derartigen Mangel hindeuten.24
2. Einfluss auf das Abwägungsergebnis Für die „Kausalität" des offensichtlichen Abwägungsfehlers auf das Abwägungsergebnis verlangt das Bundesverwaltungsgericht in Ansehung der Umstände des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit, dass ohne den Mangel im Abwägungsvorgang die Planung anders ausgefallen wäre. 25 Zwischen den Polen der nie auszuschließenden abstrakten Möglichkeit einer anderen Entscheidung und dem in der Praxis so gut wie ausgeschlossenen positiven Nachweis wurde dieser Maßstab der Rechtsprechung zur (Ir-)Relevanz von (un-)wesentlichen Verfahrensfehlern aus der Zeit vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes entnommen.26 Verlangt wird, dass nach den Umständen des Einzelfalles die konkrete Möglichkeit eines solchen Einflusses bestehen können muss, was
24 BVerwG, Beschl. vom 20.1.1992 - 4 Β 71.90, NVwZ 1992, 663 (664) im Falle der dem Stadtrat vorenthaltenen Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamtes, deren Nichtvorlage durch Aktenvermerk dokumentiert war (Offensichtlichkeit bejaht); Beschl. vom 29.1.1992 - 4 NB 22.90, NVwZ 1992, 662 (663) bei schlichtem Fehlen von abwägenden Ausführungen zu den Voraussetzungen der Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung (Offensichtlichkeit verneint); Urt. vom 6.5.1993 - 4 C 15.91, NVwZ 1994, 274 (275) anlässlich positiver Anhaltspunkte für die irrige Annahme des Rates, die in § 17 BauNVO festgesetzten Maße seien nicht überschreitbar (Offensichtlichkeit bejaht); Beschl. vom 20.1.1995 - 4 NB 43.93, ZfBR 1995, 145 (147) im Fall der Inanspruchnahme privaten Grundeigentums trotz Nichterwähnung der Eigentümerbelange in der Planbegründung (Offensichtlichkeit eines Abwägungsdefizits verneint; allerdings ergab sich die Berücksichtigung aus der Erwägung der Bereitstellung von Ersatzflächen und der Aufstellung eines Sozialplans). 25 BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 - 4 C 57.80, BVerwGE 64, 33 (39). 26 BVerwG, Urt. vom 29.3.1966 - I C 19.65, BVerwGE 24, 23 (32 f.) mit der Anbindung der Wesentlichkeit an der Unterscheidung zwischen voll justiziablem unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessensentscheidungen bzw. Beurteilungsspielräumen; Urt. vom 10.4.1968 - IV C 227.65, BVerwGE 29, 282 (283 f.): Abhängigkeit der Wesentlichkeit vom Beruhenkönnen der Sachentscheidung auf dem Verfahrensmangel mit Ausnahme „absoluter" Verfahrensvorschriften; Urt. vom 30.5.1984 - 4 C 58.81, BVerwGE 69, 256 (269 f.) mit der Herausarbeitung des Maßstabs der konkreten Möglichkeit; so auch Urt. vom 5.12.1986-4 C 13.85, BVerwGE 75, 214 (228).
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etwa dann der Fall sein kann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände ergibt, dass sich ohne den Fehler im Abwägungsvorgang ein anderes Abwägungsergebnis abgezeichnet hätte.27 Eine unzutreffende Erwägung sei auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, wenn sich der Planungsträger von einem unzutreffend angenommenen Belang habe leiten lassen und andere Belange, die das Abwägungsergebnis rechtfertigen könnten, weder im Bauleitplanverfahren angesprochen noch sonst ersichtlich seien.28 Prozessual wurde der Maßstab der „konkreten Möglichkeit" vom Bundesverwaltungsgericht angesichts dieser Vorgaben als Erkenntnisyrobiem verstanden, d.h. als eine - wenn auch nur auf ein hypothetisches Verhalten des Beklagten abstellende - Taärage. Methodisch verwandt mit der ebenfalls als Tatfrage angesehenen Prognose, bei der gegenwärtige Annahmen prospektiv fortgeschrieben werden und als Grundlage einer Projektion dienen, wird hier der konkrete Abwägungsvorgang bis zu dem konstatierten Fehler zurückgespult und unter Ausblendung des Mangels nach tatsächlichen Anhaltspunkten für eine alternative Sachentscheidung gesucht. Aus den für das Gericht allein relevanten „offensichtlichen" Quellen muss sich eine Planungsalternative konkret abzeichnen; andernfalls wird kein Einfluss auf das Abwägungsergebnis anerkannt. Damit wurde implizit die Last des non liquet dem Kläger zugeschoben. Mustert man die dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung durch, qualifiziert das Bundesverwaltungsgericht seine Maßstäbe selbst als streng; hypothetische Überlegungen der Normenkontrollgerichte wurden mangels konkreter fallbezogener Grundlagen verworfen. 29
I I I . Handhabung im Fachplanungsrecht Die in der gerichtlichen Kontrolle der Bauleitplanung entwickelten Maßstäbe der Offensichtlichkeit und Kausalität wurden von der Rechtsprechung unverändert in das Fachplanungsrecht übertragen: Das Bundesverwaltungsgericht sah keinen Anlass, diese Bestimmung anders auszulegen als den insoweit wortgleichen § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB, der dem § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG offensichtlich als Vorbild gedient habe.30 Fehlerhafte Erwägungen bei einer Pla-
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BVerwG, Beschl. vom 29.1.1992 - 4 NB 22.90, NVwZ 1992, 662 (663). BVerwG, Urt. vom 21.8.1981 - 4 C 57.80, BVerwGE 64, 33 (39 f.); Beschl. vom 29.1.1992 - 4 Β 71.90, NVwZ 1992, 663 (66). 29 BVerwG, Beschl. vom 20.1.1995 - 4 NB 43.93, ZfBR 1995, 145(147). 30 BVerwG, Beschl. vom 16.8.1995 - 4 Β 92.95, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 104 S. 47 (50) = NVwZ-RR 1996, 68 = BayVBl. 1996, 182; Urt. vom 21.3.1996 - 4 28
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nungsentscheidung führten nur dann zur Rechtswidrigkeit des Abwägungsvorganges, wenn sie sich in diesem Vorgang bei konkreter Beurteilung der Vorgehensweise der Planfeststellungsbehörde auch ausgewirkt haben könnten. Dazu werde vielfach die nähere Prüfung geeignet sein, ob der festgestellte Fehler auf die Entscheidung der von der Planfeststellungsbehörde behandelten und abgelehnten Planungsalternativen bei realistischer Betrachtungsweise von Einfluss hätte sein können.31 Auch im Planfeststellungsrecht führte der Versuch, das hypothetische Verhalten des Beklagten konkret zu rekonstruieren, hin und wieder zu fragwürdigen und inkonsistenten Begründungen: So wurde trotz einer nicht nachvollziehbaren Berechnung der zukünftigen Kapazität einer Ausbaustrecke mit Blick auf den Schallschutz ein gem. § 20 Abs. 7 Satz 1 AEG unschädlicher Abwägungsmangel angenommen: Die den Vorrang des aktiven vor dem passiven Lärmschutz negierende Auffassung der Bahn wurde dadurch entschärft, dass sich die Beklagte im Rahmen ihrer Verhältnismäßigkeitsprüfung das Schallschutz-Konzept nur im Ergebnis zu eigen gemacht habe; nicht nachweisbar sei dagegen, dass sie sich den Erwägungen der Bahn auch inhaltlich uneingeschränkt habe anschließen wollen. 32 Bei dem Einbau einer Weiche direkt auf der Höhe des klägerischen Anwesens ließ es das Bundesverwaltungsgericht dagegen mit Blick auf das Risiko eines Zugunglücks ausreichen, dass „die konkrete Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei Berücksichtigung der Einwendung eine Verlegung vorgenommen worden wäre". 33 Die ausschließlich als Tatfrage verstandene Kausalität lässt sich mangels vorhandenen Materials für alternative Planungen im Einzelfall so gut wie nie feststellen. Deshalb begnügt sich auch das Bundesverwaltungsgericht insbesondere in seiner Funktion als erste Instanz hin und wieder mit der lapidaren Feststellung, dass „nach den Umständen des vorliegenden Falles die konkrete Möglichkeit bestehe, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre" 34 bzw. anders herum, dass „anhand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände sich nicht ergebe, dass eine fehlerfreie Ermittlung und Abwägung möglicherweise zu einer der Klägerin günstigeren Einschätzung ... geführt hätte." 35 Bejaht wird die Kausalität dagegen leichter, wenn ein geC 19.94, DVB1. 1996, 907 (911). Vgl. auch Urt. vom 25.1.1996 - 4 C 5.95, DVB1. 1996, 677 (681) und Urt. vom 18.6.1997 - 4 C 3.95, NVwZ-RR 1998, 292 (295); offen gegenüber einer verfassungskonformen Auslegung mit Blick auf grundrechtliche Anforderungen noch Urt. vom 31.3.1995 - 4 A 1.93, BVerwGE 98, 126 (130). 31 BVerwG, Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 19.94, DVB1. 1996,907(911). 32 BVerwG, Urt. vom 21.4.1999 - 11 A 50.97, NVwZ-RR 1999, 725 (728). 33 BVerwG, Beschl. vom 26.8.1998 - 11 VR 4.98, UPR 1999, 145 (146). 34 BVerwG, Beschl. vom 15.5.1996 - 11 VR 3.96, DVB1. 1996, 925 (928); Urt. vom 28.10.1998 - 11 A 3.98, DVB1. 1999, 861 (862). 35 BVerwG, Urt. vom 1.10.1997 - 11 A 10.96, UPR 1998, 147(149).
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wichtiger Abwägungsmangel vorliegt, der schon fast die Grenze des indisproportionalen Abwägungsergebnisses erreicht. 36 In Zweifelsfallen wurde die Darlegungslast den Klägern aufgebürdet. 37
IV. Kritik 1. Verfassungsrechtlicher Rahmen a) Art. 19 Abs. 4 GG Prozessualer Ausgangspunkt der Beleuchtung der Fehlerfolgenregelungen ist Art. 19 Abs. 4 GG, dessen Gebot effektiven Rechtsschutzes nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben der Prüfungskompetenz des Richters auch dessen zureichende Entscheidungsmacht beinhaltet, um einer erfolgten oder drohenden Rechtsverletzung wirksam abzuhelfen. 38 Verletzt ist bei einem festgestellten Mangel im Abwägungsvorgang das subjektiv-öffentliche Recht auf gerechte Abwägung. 39 Diese Verletzung löst auch prinzipiell unmittelbar eine absolute Fehlerfolge aus. So hat das Bundesverwaltungsgericht für § 1 Abs. 6 BauGB entschieden, dass die Verletzung des Abwägungsgebots grundsätzlich zur Nichtigkeit des Plans führt. 40 Selbstverständlich vermag der Gesetzgeber den in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnden und in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO einfachgesetzlich ausgestalteten Kassationsanspruch des in seinem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung
36 BVerwG, Urt. vom 11.11.1999 - 11 A 4.98, NVwZ 2000, 567 (569); Urt. vom 12.4.2000 - 11 A 18.98, NVwZ 2001, 82 (88); vgl. auch Urt. vom 21.3.2002 - 4 CN 14.00, DVB1. 2002, 1469 (1473). 37 BVerwG, Urt. vom 18.6.1997 - 11 A 70.95, UA S. 12: „Eine solche Möglichkeit hat auch die Klägerin nicht aufgezeigt,..." 38 BVerfGE 61, 82 (111); Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 286; Schwerdtfeger, JuS 1983, 270 (272); Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern am Beispiel von kommunalen Satzungen, 1988, S. 69 f.; Käß, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der Planerhaltung, 2001, S. 129. 39 BVerwG, Urt. vom 14.2.1975 - IV C 21.74, BVerwGE 48, 56 (66); Urt. vom 7.7.1978 - 4 C 79.86 u.a., BVerwGE 56, 110 (123); Urt. vom 4.3.1983 - 4 C 74.80, Buchholz 406.19 Nr. 53 = NVwZ 1983, 672; Urt. vom 11.11.1983 - 4 C 82.80, Buchholz 407.4 Nr. 55 = DÖV 1984, 426 (427 f.); Urt. vom 27.4.1990 - 4 C 18.88, NVwZ 1990, 1165 ( 1166); Urt. vom 29.1.1991 - 4 C 51.89, BVerwGE 87, 336 (342); Urt. vom 14.5.1992 - 4 C 9.89, NVwZ 1993, 477 (479); vgl. auch BVerwG, Beschl. vom 11.11. 1996 - 11 Β 65.96, BayVBl. 1997, 215 (216); Urt. vom 27.11.1996 - 11 A 100.95, NVwZ 1997, 994 (995). Zum Bauplanungsrecht vgl. BVerwG, Urt. vom 24.9.1998 4 CN 2.98, DVB1. 1999, 100 mit Anmerkung von Schmidt-Preuß. 40 BVerwG, Beschl. vom 28.7.1994 - 4 Β 94.94, NVwZ 1995, 598.
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verletzten Klägers inhaltlich zu modifizieren. 41 Diese gesetzlichen Einschränkungen des gerichtlichen Sanktionsinstrumentariums müssen aber ihrerseits als Modifikation des prinzipiellen Beseitigungsanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG im Lichte der Rechtsschutzgarantie gesehen und mit dieser unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vereinbar sein. An dieser Stelle werden als gegenläufige Gründe wiederum das Verhältnismäßigkeitsprinzip (zur Begrenzung der gerichtlichen Fehlersanktion), 42 Rechtssicherheit und Vertrauensschutz als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sowie der an die Verwaltung gerichtete Auftrag zur Infrastruktursicherung z.B. durch den Ausbau von Verkehrsanlagen genannt.43 Zur Verhältnismäßigkeit als Begründung der Fehlerfolgenbegrenzung im Fachplanungsrecht sei angemerkt, dass diese sich hier - nota bene! - gegen das Individuum als klagendes Grundrechtssubjekt richtet. Im Hinblick auf den Fachplanungsträger als Begünstigten ist es, selbst wenn er (mittlerweile) im Gewände einer privaten juristischen Personen daherkommt, mit der Grundrechtsfähigkeit nicht so weit her, handelt es sich doch - wie z.B. bei der Bahn - zumeist um eine Eigengesellschaft mit jedenfalls überwiegenden Anteilen der öffentlichen Hand am Gesellschaftsvermögen. Den Aspekten von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz lässt sich bei der Fachplanung - anders als bei der (Inzident-)Kontrolle von Bebauungsplänen - entgegenhalten, dass während eines laufenden Verwaltungsprozesses kein schutzwürdiges Vertrauen auf Bestand des streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses besteht; diese Wertung ist § 50 VwVfG eindeutig zu entnehmen. Bleibt der Infrastrukturauftrag der Exekutive als tragendes öffentliches Interesse fur die gerichtliche Sanktionsbegrenzung. b) Art. 14 GG Materiell ist zumeist der Schutzbereich der Eigentumsgarantie betroffen. Das Grundgesetz hat dem Gesetzgeber den Auftrag zugewiesen, eine Eigentumsordnung zu schaffen, die sowohl den privaten Interessen des Einzelnen als auch denen der Allgemeinheit gerecht wird. Bei der Wahrnehmung des in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrages, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, hat der Gesetzgeber sowohl der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als auch dem Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen. Zwischen diesen Polen hat er die 41
Zur Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers Gaentzsch, Rechtsfolgen von Fehlern bei der Aufstellung von Bebauungsplänen, in: FS Weyreuther, 1993, S. 249 (257). 42 Sendler, Plan- und Normerhaltung vor Gericht, in: FS Hoppe, 2000, S. 1011 (1014 und 1016) m.w.N. 43 Gaentzsch, UPR 2001, 201; zu weiteren Aspekten Morlok (Fn. 38), S. 70 ff.; Käß (Fn. 38), S. 27 ff.
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schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. 44 Der Gesetzgeber muss aber nicht in jedem Fall das Eigentum abstraktgenerell in abschließender Weise inhaltlich ausformen, sondern er kann diesen Regelungsauftrag - jedenfalls hinsichtlich der situativen Ausgestaltung des Grundeigentums - an die Exekutive weitergeben. Diese normiert dann Regelungen i.S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Im Hinblick auf das die Rechtsetzung steuernde bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass dieses einen besonders flexiblen und dem Einzelfall gerecht werdenden Interessenausgleich unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erlaubt. 45 Mit dem Abwägungsgebot als zentraler Planungsdirektive hat der Gesetzgeber die Ausgestaltungsaufgabe und -Verantwortung hinsichtlich des konkreten Grundeigentums partiell an die administrativen Planungsträger delegiert. Als Kern eines Planfeststellungsbeschlusses bildet die Abwägung den wesentlichen Teil der fallbezogenen Inhaltsund Schrankenbestimmung des Grundeigentums der betroffenen Anliegereigentümer bzw. die Enteignungsgrundlage gegenüber einem Trasseneigentümer. Die eigentumsrelevante Abwägung, die zudem als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips gesehen wird, 46 ist hinsichtlich des Abwägungsvorga/igs und des Abwägungsergebnisses verfassungsrechtlich fundiert. Die Erstreckung der gerichtlichen Prüfung auf den Abwägungs Vorgang bildet dabei die Kompensation für die eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte des Abwägungsergebnisses als Ausfluss planerischer Gestaltungsfreiheit der Gemeinde.47 Wenn in der Literatur herausgestellt wird, dass eine materiell geringere Kontrolldichte durch entsprechende strikte Verfahrensregeln „erkauft" werden müsse,48 so gilt diese Wechselwirkung erst recht innerhalb des materiellen Rechts fur das Verhältnis von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. Damit genießt die gerichtliche Kontrolle auch des Abwägungsvorgawgs als Annäherung an das Modell der Verfahrensgerechtigkeit mit Blick auf Art. 14 GG erhebliches Gewicht, 49 und 44 Exemplarisch BVerfG, Beschl. vom 14.7.1981 - 1 BvL 24 / 78, BVerfGE 58, 137 (147 f., 150). 45 BVerfG, Beschl. vom 30.11.1988 - 1 BvR 1301 /84, BVerfGE 79, 174 (198 f.). Vgl. auch BVerwG, Urt. vom 26.8.1993 - 4 C 24.91, BVerwGE 94, 100 (106 f.). 46 Vgl. oben Fn. 13. 47 Grundlegend BVerwG, Urt. vom 12.12.1969 - IV C 105.66, BVerwGE 34, 301 (304). 48 So treffend Schulze-Fielitz, Verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Planung im Wandel - Eröffnung, Maßstäbe, Kontrolldichte - , in: FS Hoppe, 2000, S. 997 (1007); zum Austauschverhältnis von Verfahrenskontrolle und inhaltlicher Kontrolle Pietzcker, Verfahrensrechte und Verfahrensfehler, in: FS Maurer, 2001, S. 695 (706). 49 Gerhardt, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Vorb. § 47 Rdnr. 13; Käß (Fn. 38), S. 130, 177, 195 f.
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eine Beschränkung des Prüfungsgegenstands auf das Abwägungsergebnis würde eine „Verkürzung der Rechtskontrolle" bedeuten.50 Art. 14 GG gewährleistet Verfahrensgarantien für das Eigentum;51 insbesondere bildet der effektive Rechtsschutz - auch für den Nachbarn 52 - ein wesentliches Element der Eigentumsgarantie. 53 Die Einschränkung der gerichtlichen Sanktionierung von Fehlern im Abwägungsvorgang muss sich daran messen lassen. c) Rechtfertigungszwang
für Fehlerfolgenbegrenzungen
Dieser verfassungsrechtliche Befund schließt einschränkende Fehlerfolgenregelungen nicht aus, unterwirft sie jedoch einem Rechtfertigungszwang, soweit trotz gerichtlich konstatierter Mängel im Abwägungsvorgang und dadurch eingetretener Eigentumsverletzung eine Kassation des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses ausgeschlossen wird. Dazu erscheint der in den Fachgesetzen niedergelegte administrative Auftrag zur Infrastruktursicherung als Gemeinwohlaufgabe hinreichend gewichtig. Zur Klarstellung: Hier wird nicht der Verfassungswidrigkeit der Fehlerfolgenbestimmungen das Wort geredet. Zu Zweifeln gibt indes die teilweise großzügige Handhabung jener Bestimmungen in der Rechtsprechung Anlass. Diese wahrt nicht immer die durch verfassungskonforme und darüber hinaus grundrechtsorientierte Interpretation zu extrahierenden Grenzen der Sanktionsbeschränkungsregelungen. Die folgende Kritik fordert objektivierte Maßstäbe als Mindeststandards bei der Prüfung von Offensichtlichkeit und „Kausalität" und plädiert im Sinne einer handhabbaren Methodik bei der Anwendung des Kausalitätsfilters für die Zurückstellung der tatsächlichen Ermittlung (Tatfrage) zugunsten einer normativen Betrachtungsweise (Rechtsfrage).
2. Kritik und Konsequenzen a) Offensichtlichkeit Die absolut formulierte Beweisregel zur Offensichtlichkeit 54 lässt sich nicht in jedem Fall durchhalten. Lücken in der Dokumentation müssen hinsichtlich gewichtiger abwägungsrelevanter Belange sehr wohl den Schluss auf ein Unterlassen und damit einen Abwägungsausfall oder ein Abwägungsdefizit tragen 50 51 52 53 54
BVerwG, Urt. vom 5.12.1986-4 C 13.85, BVerwGE 75, 214 (246). Grundlegend BVerfGE 46, 325 (333 f.). BVerfGE 35, 263 (277). BVerfGE 45, 297 (322 m.w.N.); 46, 325 (334); 74, 264 (282 f.). Vgl. oben II 1. c) bei Fn. 24.
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können. Diese Obersätze des Bundesverwaltungsgerichts erscheinen indes apodiktischer formuliert, als sie bei Durchmusterung der einschlägigen Entscheidungen gehandhabt werden. 55 Das mildert, aber beseitigt nicht den „contraedukatorischen Effekt", 56 dass schlampige Dokumentation seitens einer Gemeinde nicht durch Irrelevanz möglicher Abwägungsmängel belohnt werden sollte. 57 Eine Maxime bei der Gesetzesinterpretation bildet die Vermeidung missbräuchlicher Inanspruchnahmemöglichkeiten einer Vorschrift. Folgt man jedoch der Rechtsprechung, werden - auf ein Diagramm übertragen - die Achsgrößen ordnungsgemäßer Aktenführung und der Fehlerrelevanz in didaktischer Hinsicht verkehrt (= reziprok) miteinander verkoppelt: Höherer Dokumentationsaufwand einer Gemeinde im Planungsprozess wird nicht honoriert, sondern bestraft. Deshalb darf sich eine Gemeinde hinsichtlich gewichtiger abwägungsrelevanter Belange im Falle der Unterschreitung angemessener Dokumentationsstandards nicht auf die fehlende Offensichtlichkeit des Mangels berufen können; hier gilt es einen Mindeststandard zu definieren und die Verwaltung insoweit nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. In der fachplanungsrechtlichen Praxis dürfte das angesichts umfangreicher und detaillierter Aktenführung sowieso kein Problem sein. b) Einfluss auf das Abwägungsergebnis aa) Kodifizierungszwang Das angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu konstatierende Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Kassationsanspruch des Klägers als Ausgangspunkt und der gesetzlichen Beschränkung durch Fehlerfolgenregelungen steht der Annahme entgegen, diese bildeten einen für das gesamte Fachplanungsrecht allgemein geltenden Grundsatz, dessen Anwendung nicht von einer ausdrücklichen Normierung abhänge.58 Diese Auffassung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts, der die heute gesetzlich geregelten Fehlerrelevanznormen als ohnehin gültige, auch ungeschrieben geltende fachplanungsrechtliche Rechtsgrundsätze ansieht, entspricht wohl kaum der Einschätzung des Gesetzgebers, sonst hätte jener sich nicht der Mühe der Kodifizierung in den speziellen Fachplanungsgesetzen unterzogen. 55
Vgl. dazu oben die in Fn. 24 zitierten Entscheidungen. So Schöbener, Die Verwaltung 2000, 447 (451) zu § 46 VwVfG mit Hinweis auf Erichsen, VVDStRL 41, S. 279 und Wahl ebd. S. 265. 57 Dürr, DÖV 1997, 845 (846); Käß (Fn. 38), S. 189 ff. 58 BVerwG, Beschl. vom 20.2.2002 - 9 Β 63.01, NVwZ 2002, 1235 (1237); dem folgend VGH Mannheim, Urt. vom 22.3.2002 - 8 S 1271 / 01, DVB1. 2002, 1129 (1135 f.) mit einem allerdings abgeschwächten Maßstab bei der Prüfung einer unerörtert gebliebenen Alternative. 56
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Wenn der 9. Senat sich darauf stützt, dass „ein Anspruch auf Planaufhebung nur dann bestehe, wenn bei verständiger Würdigung der tatsächlichen Umstände eine konkrete Möglichkeit dafür erkennbar sei, dass sich die entscheidende Behörde von dem abwägungserheblichen, jedoch nicht berücksichtigten oder nicht angemessen gewichteten Belang bei ihrer planerischen Abwägung so hätte beeindrucken lassen, dass dadurch die Planung insgesamt in Frage gestellt sei" 59 , so klingt diese Sentenz verblüffend präjudiziell. Das Zitat betrifft jedoch nur die Differenzierung zwischen gerichtlicher Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses und der Verweisung des Klägers auf eine Verpflichtung der Behörde zur Planergänzung z.B. wegen unzureichender Bewältigung von Immissionsproblemen. Mit jenem Filter wird also nur eine Weiche zwischen Kassation und Planergänzung gestellt und das erfolgreiche Rechtsschutzbegehren des in seinen subjektiven Rechten verletzten Klägers kanalisiert. Als Begründung für ein schon immer bestehendes Kausalitätserfordernis jedes Mangels im Abwägungsvorgang trägt sie jedoch nicht, da diese Sperre eine Begründetheitsvoraussetzung der Klage bildet und damit über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Zum anderen hat der 9. Senat auf den Kausalitätsfilter abgestellt, den sich ein durch eine Planfeststellung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung betroffener Kläger mit - angesichts des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG - vollumfänglichen Rügemöglichkeiten entgegenhalten lassen muss: Falls aus dessen Sicht gegen das Vorhaben streitende „fremde" (insbesondere öffentliche) Belange fehlerhaft abgewogen wurden, „könnte ein solcher Mangel jedenfalls dann unbeachtlich sein, wenn auch bei seiner Korrektur (z.B. durch eine teilweise Verlegung der Trasse) der Eingriff in das Eigentum des Klägers unverändert bestehen bliebe." 60 Diese Einschränkung der Berufungsmöglichkeit auf objektivrechtliche Belange wie z.B. den Natur- und Landschaftsschutz bezieht sich zum einen überhaupt nicht auf die eigenen Belange eines betroffenen Klägers. Zum anderen trägt sie nicht den Maßstab der konkreten Möglichkeit anderweitiger Entscheidung. Im Gegenteil: Das Bundesverwaltungsgericht lässt den Einwand fehlender Kausalität für den enteignungsbetroffenen Kläger bereits dann scheitern, wenn „nach den hier maßgeblichen örtlichen Umständen nicht auszuschließen ist, dass die Inanspruchnahme von Grundstücksflächen des Klägers entfällt, wenn die Be-
59
BVerwG, Beschl. vom 20.2.2002 - 9 Β 63.01, a.a.O. S. 1236 mit Hinweis auf BVerwG, Urt. vom 20.10.1989 - 4 C 12.87, BVerwGE 84, 31 (45 f., 48 f.); Beschl. vom 3.4.1990 - 4 Β 50.89, NVwZ-RR 1990, 454 und Urt. vom 16.12.1993 - 4 C 11.93, NVwZ 1994, 691. 60 BVerwG, Urt. vom 18.3.1983 - 4 C 80.79, BVerwGE 67, 74 (77). So auch Beschl. vom 10.7.1995 - 4 Β 94.95, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 103 S. 44 (47) (defizitäre Abarbeitung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung); Urt. vom 28.2.1996 - 4 A 27.95, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 110 S. 78 (82); Urt. vom 21.3.1996 - 4 C 19.94, DVB1. 1996, 907 (912).
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lange des Landschaftsschutzes und des Naturschutzes sich bei rechtmäßiger Abwägung... durchsetzen". 61 Präjudiziell tragfahig erweist sich nur der Verweis auf das Urteil zum Flughafen München II. Dort hat das Bundesverwaltungsgericht erstmalig einen richterrechtlichen Kausalitätsfilter fur Mängel des Abwägungsvorgangs installiert: „Das Abwägungsgebot ist in einem derartigen Falle vielmehr erst dann verletzt, wenn die abwägungserhebliche Bedeutung der tatsächlich betroffenen ... Belange verkannt worden ist und sich dies auf das Abwägungsergebnis auch ausgewirkt haben kann. Die Fehlerhaftigkeit einer von der Behörde gegebenen Begründung fuhrt mithin noch nicht ohne weiteres zu einer Verletzung des Abwägungsgebots, mag dem auch eine indizielle Bedeutung regelmäßig nicht abzusprechen sein." 62 Auffallend ist die vorsichtige Handhabung dieser Einschränkung, die der 4. Senat als Ausnahme zu einer indiziellen Gegenvermutung nur im Falle des positiven Nachweises fehlender Kausalität greifen lässt.63 Auch hier trägt, wie bei der zuvor behandelten Fallkonstellation, die Behörde die Last des non liquet. bb) Das Non-liquet Auf der Grundlage des Verständnisses der „Kausalität" als reine Tatfrage kommt dem non liquet, der Verteilung der Last der Nichterweislichkeit, besondere Bedeutung zu. Nur in den allerwenigsten Fällen werden sich zum Einfluss auf das Abwägungsergebnis auf der Grundlage offensichtlicher Quellen wirklich tatsächliche Feststellungen treffen lassen, denn kaum ein Planer wird prophylaktisch für den Fall der Fehlerhaftigkeit einzelner Abwägungselemente bereits in der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses konkrete hypothetische Erwägungen anstellen. Prophylaktischen salvatorischen Klauseln dieser Art in Planfeststellungsbeschlüssen kann kein Beweiswert zugemessen werden. Fehlt aber typischerweise das für die zu treffende Feststellung notwendige Faktenmaterial, bleibt dem Richter nichts übrig als mit Fiktionen und Unterstellungen zu arbeiten oder aber auf die Figur der objektiven Beweislast zurückzugreifen. Das erscheint aber dem Problem angesichts des oben herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Spannungsfelds, in das die Fehlerrelevanznormen eingebettet sind, unangemessen. Vielmehr sollte der Befund eines nahezu uneinlösbaren Aufklärungsauftrags zu der Prüfung veranlassen, ob die Kausalität als ausschließliche Tatfrage dogmatisch korrekt verortet ist (dazu sub cc). 61 BVerwG, Urt. vom 18.3.1983 - 4 C 80.79, BVerwGE 67, 74 (78) [Hervorhebung vom Verf.]; vgl. auch Urt. vom 21.3.1986 - 4 C 48.82, BVerwGE 74, 109 (113) zur Enteignung im Anschluss an eine Bezeichnung nach dem Landbeschaftungsgesetz. 62 BVerwG, Urt. vom 5.12.1986-4 C 13.85, BVerwGE 75, 214 (251). 63 A.a.O., S. 251 f.
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Verbleibt man noch für einen Moment in der Konstruktion des Bundesverwaltungsgerichts, erweist sich die Überbürdung der objektiven Beweislast für eine andere Sachentscheidung im Rahmen der konkreten Kausalitätsprüfung an den Kläger als untragbar. 64 Der allgemeine Gesichtspunkt gerechter Zuweisung von Substantiierungslasten im Verwaltungsprozess zwingt vielmehr zu der Annahme der behördlichen Darlegungspflicht für die Annahme, dass festgestellte Mängel im Abwägungsvorgang nicht auf das Abwägungsergebnis durchgeschlagen haben. Nachdem allenfalls die Verwaltung über das dafür erforderliche Wissen und Material verfügt, entspräche es geradezu einer probatio diabolica, dazu substantiierten Vortrag seitens des Klägers zu verlangen. Bei einer Abgrenzung nach Verantwortungs- und Herrschaftssphären kann es unmöglich Aufgabe des Klägers sein, den Einfluss eines Mangels im Abwägungsvorgang auf das Abwägungsergebnis zu belegen und dazu vorzutragen. Wenn überhaupt ist nur die Verwaltung unter Rückgriff auf alternative Planungen oder frühere, mittlerweile modifizierte Planungskonzepte in der Lage, Substanzielles zu der Frage des hypothetischen Abwägungsergebnisses zu liefern. 65 Lehrreich erscheint dabei ein Seitenblick in das Prüfungsrecht, denn dort hat das Bundesverwaltungsgericht die Zuweisung des non liquet an den Prüfling für die nichtaufklärbare Ursächlichkeit eines Fehlers bei der Entscheidungsfindung des Prüfers auf das Prüfungsergebnis harsch als Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und Art. 19 Abs. 4 GG gerügt: Die Fehlerfreiheit der Entscheidungsfindung solle die Fehlerfreiheit des sowieso nur eingeschränkt justiziablen - Entscheidungsergebnisses gewährleisten, so dass materielle Fehler im Entscheidungsvorgang regelmäßig zum Erfolg der Klage fuhren müssten. Zwar stehe das Rechtsstaatsprinzip einer ausnahmsweisen Regelung der NichtSanktionierung nicht entgegen, wenn sich der Fehler nicht ausgewirkt habe. „Das Regel-Ausnahme-Verhältnis würde aber in sein Gegenteil verkehrt, wenn der Betroffene die Beweislast dafür tragen müsste, dass Fehler, die im Behördenbereich passiert sind und deren Auswirkungen er in der Regel gar nicht abschätzen kann, das Entscheidungsergebnis beeinflusst haben." M.E. sollte die Neufassung des § 46 VwVfG durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz 67 als Zäsur Anlass zu einer Überprüfung der bisherigen Handhabung der bau- und fachplanungsrechtlichen Relevanzfilter fur Abwägungsmängel in den Fällen des non-liquet geben.68 64
Für eine Beweislastverteilung zulasten der Verwaltung auch Morlok (Fn. 38), S. 192; Käß (Fn. 38), S. 198; Bedenken gegenüber der Rspr. auch bei Erbguth, NuR 1997, 261 (266). 65 Vgl. die Parallele der den Kläger überfordernden Differenzierung zwischen Vollund Teilnichtigkeit eines Bebauungsplans: BVerwG, Beschl. vom 25.2.1997 - 4 NB 30.96, NVwZ 1997, 896 (898). 66 BVerwG, Urt. vom 20.9.1984 - 7 C 57.83, BVerwGE 70, 143 (148 f.). 67 Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren - GenBeschlG vom 12.9.1996, BGBl. I S. 1354. 68 Kritisch zu der minimierten Ordnungs- und Schutzfunktion zwingenden Verfahrensrechts durch die Neufassung des § 46 VwVfG auch Bonk, NVwZ 1997, 320 (330).
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Wortlaut: § 46 VwVfG Folgen von Verfahrens- oder Formfehlern
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, bisherige Fassung:
wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Neufassung:
wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Die These lautet, dass, wenn der Gesetzgeber durch die Neufassung der Anwendungsvoraussetzungen des § 46 VwVfG bei formellen und verfahrensrechtlichen Mängeln den (gerichtlichen) Kassationsanspruch nur im Falle des Nachweises der offensichtlichen Nichtinfizierung der Sachentscheidung ausschließt, dies erst recht für die materiellen Abwägungsfehler zu gelten hat. Nicht etwa ist § 46 VwVfG - entgegen seinem eindeutigen Wortlaut - der Judikatur zu den Abwägungsmängeln anzupassen. Das entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das im Rahmen dieser Vorschrift nicht etwa auf die konkrete Möglichkeiten abstellt, sondern das Gesetz ernst nimmt. 69 Die in der Neufassung des § 46 VwVfG enthaltene negative Kausalität als Tatbestandsvoraussetzung der Nichtaufhebung des Verwaltungsakts weist aber die Last des non liquet der Behörde zu und enthält implizit eine Kausalitätsvermutung. 70 Inkonsequent und nicht systemgerecht wäre es, den Relevanzfilter bei Verfahrensund Formfehlern strenger zu handhaben als bei materiellrechtlichen Abwägungsmängeln. Somit drängt sich ein Erst-Recht-Schluss beim Vergleich der Folgen formeller und materieller Fehler auf, der zu der Annahme zwingt, dass die Behörde auch hinsichtlich der fehlenden Kausalität der Mängel im Abwägungsvorgang substantiierungsbelastet ist und letztlich die Last des non liquet trägt.
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BVerwG, Urt. vom 31.1.2002 - 4 A 15.01, DVB1. 2002, 990 (991): Nichtzuleitung einer Stellungnahme der EU-Kommission an die klagenden Naturschutzverbände ist unbeachtlich, weil offensichtlich sei, dass die Verletzung des Mitwirkungsrechts die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben könne; vgl. auch Urt. vom 9.12.1999 - 2 C 4.99, NVwZ-RR 2000, 369 (371). 70 BayVGH, Urt. vom 31.3.2003 - 4 Β 00.2823 UA S. 11; Schöbener, Die Verwaltung 2000, 447 (465 f. m.w.N.).
Erheblichkeit von Abwägungsmängeln
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cc) Zusätzlicher objektivierter Maßstab als Korrektiv Selbst wenn man im Einzelfall konkrete Belege für die tatsächlich fehlende Ergebnisrelevanz eines Mangels findet, bedarf es jedenfalls eines zusätzlichen objektivierten Maßstabs als Korrektiv: Zeichnet sich ein Gemeinderat bei der Bauleitplanung, wie insbesondere anlässlich der Schaffung der planerischen Voraussetzungen für ansiedlungswillige Investoren vorstellbar, durch besondere Sturheit im Hinblick auf eine projektbezogene Planung aus, kann seine vergleichsweise geringe Abwägungsbereitschaft nicht das letzte Maß für die Wahrscheinlichkeit einer anderen Planung als hypothetisches Abwägungsergebnis bilden. An dieser Stelle ist zusätzlich ein objektivierter Maßstab eines aufgeschlossenen und für Planungsalternativen offenen Beschlussorgans zugrunde zu legen.71 Ansonsten wird das dem Leitbild des Gesetzes eines für alle Belange offenen Planungsträgers zuwiderlaufende Verhalten honoriert. Auch hier werden Verhaltensmaßstab und Fehlerfolgeneintritt reziprok miteinander verknüpft. Berücksichtigt man dieses Korrektiv einer Objektivierung, ergibt sich methodisch ein zweitaktiges Vorgehen: Die bei konkreter Betrachtung verneinte Kausalität muss sich zusätzlich am objektivierten Maßstab einer aufgeschlossenen und für Planungsalternativen offenen Behörde messen lassen. Angesichts in der Praxis zumeist fehlender Anhaltspunkte für die konkrete Prüfung, ob die Behörde bei Ausblendung des Mangels tatsächlich zu einem anderen Abwägungsergebnis gekommen wäre, sollte dieser objektivierte Maßstab bei der Frage nach der „Kausalität" in den Vordergrund gestellt werden. An die Stelle von Unterstellungen, Fiktionen oder einer non liquetEntscheidung zur Beantwortung einer typischerweise unaufklärbaren 7arfrage tritt damit eine normative Entscheidung. Nach der hier vertretenen Auffassung ist auf der Grundlage der konkreten Überlegungen und Gewichtungen der Behörde zu bewerten, ob bei objektiver Würdigung aus der Sicht eines abwägungsbereiten Planungsträgers das konkrete Abwägungsgerüst im Kern noch trägt oder ob der Mangel zu einer Neubewertung Anlass gibt. 72 Dafür spricht auch die dogmatische Funktion der „Kausalität" als Chiffre für die Prüfung eines bestehenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen Abwägungsfehler
71 So bereits zu § 46 VwVfG a.F. die Stellungnahme der Bundesregierung in BTDrs. 7 / 910 S. 110 (Nr. 17); ebenso zu § 46 VwVfG n.F. Hufen, JuS 1999, 313 (318 f.); Schmitz / Wessendorf, NVwZ 1996, 955 (958); Schöbener (Fn. 70), S. 447 (469 m.w.N.); Pietzcker, Verfahrensrechte und Verfahrensfehler, in: FS Maurer, 2001, S. 695 (710 f.). 72 So zutreffend Gerhardt, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 47 Rdnr. 101; vgl. auch BayVGH, Beschl. vom 4.2.1994 - 8 AS 94.40007 u.a., NVwZ 1994, 706 (708).
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und Abwägungsergebnis 73 als objektiver und normativer Fragestellung. Um langwierige Planungen nicht an Petitessen scheitern zu lassen, hat das Gericht demzufolge den festgestellten Mangel im Abwägungsvorgang zu gewichten. Mit diesem Verständnis des Tatbestandsmerkmals des „Einflusses auf das Abwägungsergebnis" (§214 BauGB bzw. § 75 Abs. la VwVfG etc.) bzw. der „mangelnden Beeinflussung in der Sache" (§ 46 VwVfG) nicht als Tat-, sondern als Rechtsfrage bricht das Gericht nicht in die planerische Gestaltungsfreiheit als genuin administrativem Kompetenzbereich ein. Die Gerichte sind zur Kontrolle der Planung und nicht zur Beantwortung der Frage berufen, ob und auf welche Weise rechtmäßig hätte geplant werden können.74 Gegen diese Trennung der Aufträge von Exekutive und Judikative verstößt die Objektivierung der „Kausalitätsprüfung" nicht. Sie bietet aber in praxi durch Vereinheitlichung der Maßstäbe fur die Ergebnisrelevanz die Chance zur Harmonisierung der Fehlerrelevanznormen im Bauleitplanungs- und Fachplanungsrecht sowie des § 46 VwVfG. Kurzum: Der objektivierte Maßstab erscheint praktikabel und entspricht dem auch die gerichtliche Kontrolle der Planung beherrschenden Gebot praktischer Vernunft. 75
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So bereits zur Entwurfsfassung des § 46 VwVfG a.F. Schenke, DÖV 1986, 305 (315); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 158; Schöbener (Fn. 70), S. 447 (458). 74 BVerwG, Urt. vom 25.2.1988 - 4 C 32.86 u.a., DVB1. 1988, 844 f. 75 Zur praktischen Vernunft bei der Handhabung von Fehlerfolgenregelungen Hien, NVwZ 1997, 422 (424).
Gestaltungsspielräume der Planfeststellungsbehörde im Verfahren und im Beschluss Von Michael Kromer
I. Einleitung Was kann ich mit einem solchen Vortrag vermitteln? Ein Praktiker könnte aus seinem Nähkästchen ein paar Fälle präsentieren, damit die Wissenschaftler Untersuchungsmaterial für ihre weitere Arbeit haben. Und die Praktiker wiederum hätten von der wissenschaftlichen Arbeit eine Art Qualitätskontrolle dessen, was sie tagtäglich tun. In Auseinandersetzung mit dem Thema wurde mir aber noch etwas anderes wichtig: Die Rolle und Verantwortung zu betonen, die demjenigen zukommt, der die Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens trifft, und die mittlerweile faktisch die abschließende endgültige Entscheidung ist.
I I . Rechtliche Ausgangslage Die Ausgangslage meiner Überlegungen ist schon so häufig schriftlich bearbeitet worden, dass ich sie als gegeben und bekannt voraussetze: Gesetzgeber und Gerichte haben im Laufe der letzten Jahre den Umfang der Überprüfung von Planfeststellungsbeschlüssen und die Aufhebungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Wegen der Möglichkeiten, formale Fehler als unbeachtlich zu behandeln und inhaltliche Fehler zu übergehen oder nachträglich zu heilen, ist es heute kaum noch möglich, einen Beschluss vor Gericht zu Fall zu bringen, auch wenn er formale oder inhaltliche Fehler aufweist. Vor allem das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz (GenBeschlG) vom 12.9.19961 hat nicht nur eine Änderung der Rechtslage, sondern auch einen Umbruch in der gerichtlichen Kontrolle von Planungsentscheidun-
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BGBl. I 1354.
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gen bewirkt. Der Grundsatz der Planerhaltung wird von den Instanzgerichten sehr viel stärker betont als früher. Nach meiner Erfahrung sind es vor allem folgende Vorschriften mit einschränkenden Regelungen, die nahezu alle Fehler unbeachtlich oder heilbar machen: § 46 VwVfG ermöglicht, einen Beschluss trotz formaler Fehler aufrecht zu erhalten, wenn eine Auswirkung auf das inhaltliche Ergebnis ausgeschlossen werden kann („wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat"). § 75 Abs. 1 a VwVfG, § 17 Abs. 6 c FStrG: Mängel bei der Abwägung gelten nur dann als erheblich mit der Folge der Rechtswidrigkeit, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Selbst offensichtliche erhebliche Mängel, die auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind, führen nur dann zur Aufhebung durch das Gericht, wenn der Fehler nicht durch ein Ergänzungsverfahren behoben werden kann. Die Wiederholung der Anhörung mit Einbeziehung der vernachlässigten Belange ist fast immer möglich. Wobei wohl nur unverbesserliche Träumer glauben können, dass die erneute Abwägung unbeeinflusst von der alten, rechtswidrigen Abwägung erfolgt. Innerhalb desselben Verfahrens auf der Grundlage derselben Pläne ein anderes Abwägungsergebnis für möglich zu halten, unterschätzt die Selbstrechtfertigungstendenzen der Menschen. § 45 Abs. 2 VwVfG ermöglicht schließlich, Fehler des § 45 Abs. 1 VwVfG bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu korrigieren, was im Planfeststellungsverfahren vor allem für die Anhörung von Beteiligten oder die Mitwirkung einer Behörde von Bedeutung ist.
I I I . Aufgabe der Planfeststellungsbehörde Wer die Rechtsweggewährleistung in Art. 19 IV GG und das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 GG nicht nur formal, sondern als Gebot effektiven Rechtsschutzes versteht, für den besteht eine Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde, nicht nur „gerichtsfeste" Beschlüsse zu produzieren, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass fachplanerisch richtige und rechtlich korrekte Planungen festgestellt werden. Dies mag verfassungsrechtlich zweifelhaft sein, weil die Normtexte etwas anderes gemeint haben. Eine solche formalistische Sicht muss sich aber folgende Praxis entgegen halten lassen, die nach meinen Beobachtungen in allen Regierungspräsidien Baden-Württembergs gleich ist. Von den rund 100 Beschlüssen des RP Karlsruhe, die in den letzten 8 Jahren produziert wurden, wurde ge-
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rade einer teilweise außer Vollzug gesetzt mit der Maßgabe, ein Ergänzungsverfahren durchzuführen. Aufgehoben wurde keiner. Selbst Asylverfahren sind vor Gericht erfolgreicher als die Klagen betroffener Grundstückseigentümer gegen einen Planfeststellungsbeschluss. Formal ist die Rechtsweggarantie gewährleistet, inhaltlich läuft sie ins Leere. Damit die Rechtsweggarantie nicht zu einer formalen Garantie verkürzt wird, ist es erforderlich, dass irgendeine Stelle Ob und Wie der Eingriffe in Rechte und rechtlich geschützte Interessen eingehend prüft und nach allen Wegen sucht, wie diese Eingriffe vermieden oder verringert werden könnten. Dies verlangt bei aller Professionalität der heutigen Planer angesichts der komplexen tatsächlichen und faktischen Situation in den meisten überplanten Bereichen einen Optimierungsprozess während des Verfahrens. Es kann also nicht mehr darum gehen, Fachplanungen durch Juristen rhetorisch „abzusichern", „gerichtsfest zu machen", wie es so schön heißt; d.h. die Planungen, die vorgelegt wurden, gegen die Einwände von Bürgern und anderen Betroffenen abzusichern, indem sie in die juristischen Begrifilichkeiten eingeordnet werden und dann eine Abwägungsentscheidung getroffen wird, die genau den Vorstellungen der Straßenplaner entspricht. Für die Arbeit ist das Selbstverständnis der Planfeststellungsbehörde von Wichtigkeit.
IV. Optimierung der Lösung Die Behörde, die die Einwendungen prüft und erörtert, kann dies in dreierlei Funktion tun: -
wie ein „Notar";
-
wie ein „Verbündeter" der Antragsteller;
-
wie ein „Schiedsrichter" in einem schiedsrichterlichen Verfahren mit eigener Entscheidungskompetenz.
Das Suchen und Finden von optimierten Lösungen für ein Verkehrsproblem setzt ein nicht-lineares Verfahren voraus, in dem alle Beteiligten miteinander Lösungsmöglichkeiten bewerten. Dort wo eine Behörde alle Beteiligten nur anhört, dies protokolliert und anschließend eine andere Behörde eine Abwägungsentscheidung nach Aktenlage trifft, kann keine Optimierung im hier gemeinten Sinne erfolgen. In Baden-Württemberg sind Anhörungsbehörde und Feststellungsbehörde identisch, was uns hier einen breiteren Gestaltungsspielraum einräumt, als wenn nach Aktenlage zu entscheiden wäre. Einen Planfeststeller, der wie ein Notar Planungen auf ihre Vollständigkeit und formale Korrektheit prüft und dann „besiegelt" und nur noch in Richtung
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Rechtskontrolle begründet, warum die Planungen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, nenne ich die Notarfunktion. Diese ist üblich, entspricht aber nicht dem Abwägungsermessen einer Planfeststellungsbehörde, die selbständig darüber zu entscheiden hat, welcher der sich entgegen stehenden Belange zurückzutreten hat. Ebenso kommt eine Haltung vor, die die Einwendungen zwar aufgreift und eine Abwägung simuliert, nicht aber dafür sorgt, dass die Einwendungen bestmöglich abgearbeitet werden. Schwächen der Planung bis hin zu nicht erforderlichen Eingriffen in private rechtliche Belange werden durch wortreiche Texte zu rechtfertigen gesucht. Diese Reparatur von Planungen zur gerichtlichen Absicherung ist natürlich angesichts der oben geschilderten Einschränkungen der gerichtlichen Kontrolle rechtsstaatlich unerträglich. Statt dessen stelle ich mir die Aufgabe wie die eines Schiedsrichters oder Schlichters vor. Dieser hat die Aufgabe einer bestmöglichen Verwirklichung des Vorhabens bei insgesamt geringst möglicher Beeinträchtigung von Belangen. Im Verfassungsrecht gibt es dazu die dogmatische Figur der praktischen Konkordanz, die gebietet, diejenige Lösung zu wählen, die den gegeneinander konkurrierenden Rechten zu größtmöglicher Wirkung verhilft. Im Fachplanungsrecht bietet sich dazu die Figur des Optimierungsgebotes an2. Herkömmlicher Weise wird darunter nur verstanden, dass Normen wie §§ 41 und 50 BImSchG oder § 8 BNatSchG, § 10 LNatSchG beachtet werden sollen, aber im Wege der Abwägung auch überwunden werden können. Das heißt: Die Literatur, die ich kenne, geht von vorhandenem Material an Texten aus und erwähnt Pläne und Gutachten übrigens nie! Das Optimierungsgebot verstehe ich hier so, dass im Kommunikationsprozess des Planfeststellungsverfahrens nach einer Lösung gesucht werden soll, die das Vorhaben ebenso wie die Ausgangsplanung verwirklicht, aber zu geringeren rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachteilen führt. Das heißt, die Anhörungs- und Feststellungsbehörde muss auch die vorgelegten Pläne daraufhin überprüfen und die anwesenden Fachleute befragen, ob es nicht Lösungen gibt, die die einander entgegenstehenden Belange besser zum Ausgleich bringen als die vorgelegte Lösung. Meist wird die Abwägung dargestellt als das Vorziehen eines Belanges vor einem anderen. Die Spieltheoretiker nennen das ein Nullsummenspiel: Das was der eine gewinnt, hat ein anderer gleichzeitig verloren. Es gibt aber auch die Form kooperativer Spiele, in der die Summe der Gewinne größer ist als die Summe der Verluste. Wenn ein Handwerksbetrieb zwar Gelände abgeben muss, aber zugleich die Zugänglichkeit verbessert wird und er mehr Kundenzulauf
2 Kodal /Krämer, Straßenrecht, Kap. 34, 28.2, Kühling / Herrmann, Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 2000, Rdn. 384 f.
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hat, kann ein solcher Fall vorliegen (die anderen Akteure an dem Spiel jetzt einmal unterschlagen). Oder die vorgeschlagene Ausgleichsfläche durch Umwandlung eines Ackers in Wald wird ersetzt durch eine Maßnahme, bei der eine Fichtenmonokultur renaturiert wird. Davon hat sowohl der Forst als auch der Landwirt etwas, ohne dass der eine für den anderen zahlen muss.
V. Fallbeispiele Für dieses Optimierungsdenken möchte ich einige Beispiele nennen.
1. Fall 24-Höfe Fall 24-Höfe oder: Wie die fachplanerische Ermittlung des Raumwiderstandes zu einer falschen Variantenwahl führen kann. Wie sich die „beste" Lösung im Erörterungstermin als schlechteste herausstellen kann. Auf der Stufe der Umweltverträglichkeitsuntersuchung zur Variantenwahl kommt es auf den Raumwiderstand an, den die verschiedenen Umweltmedien nach der Umweltverträglichkeitsstudie auslösen. Dazu werden die Raumwiderstandskarten jeweils für ein Umweltgut Wasser, Flora, Fauna, Böden usw. erstellt, dann werden die Karten übereinander gelegt und der relativ konfliktärmste Korridor gesucht. Die Planfeststellungsbehörde muss aber selbst überprüfen, ob diese Einschätzung stimmt und kann sie nicht allein den Fachgutachtern überlassen. Denn die hier getroffene Entscheidung ist fundamental für die Wahl der Variante; sie ist nachher, wenn eine konkrete Planung einer Maßnahme vorliegt, so gut wie nicht mehr veränderbar, und sie wird gerichtlich so gut wie nie kontrolliert. Was dabei falsch gemacht werden kann, soll an einem Beispiel aus einem siedlungsarmen Gebiet des Schwarzwaldes aufgezeigt werden. Während der U V U wurden eine Vielzahl von Varianten untersucht. Für alle gab es als den schwierigsten Punkt einen Weiler namens 24-Höfe. Die Landesstraße konnte theoretisch mitten durch, westlich oder östlich vorbeigeführt werden. Klar ist, dass für Flora, Fauna, Boden und Wasser die Strasse mitten durch den Weiler die wenigsten Konflikte birgt, während westlich und östlich wertvolle Wälder und Bäche betroffen waren. Der Siedlungsbereich war hier „vorbelasteter Bereich". Die Bereiche „Mensch", „Landschaftsbild" und „Kultur und Sachgüter" aus den Umweltverträglichkeitsgesetzen wurden aber nicht als gleichrangig angesehen. Tatsächlich hätte die Trasse mitten durch den Weiler, der auf einem Bergrücken liegt, durchgeführt werden können. Das hätte bedeu-
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tet, dass der Weiler durch eine Straße in einem bis zu 8 m tiefen Einschnitt und einem bis zu 10m hohen Damm vor und hinter dem Weiler zweigeteilt wird. Dies wäre ein Eingriff ins Landschaftsbild gewesen, den man sicher noch in zwanzig bis 30 km Entfernung über die Höhen des Schwarzwaldes hinweg gesehen hätte. Auch bezüglich Kultur- und Sachgüter wäre die Variante stark nachteilig gewesen. Wäre die beantragte Trasse festgestellt worden, hätte weder die betroffene Gemeinde noch die grundstücksbetroffenen Hauseigentümer und Bauern eine reale Chance gehabt, den inhaltlich schlechten Beschluss anzugreifen, wenn die Planfeststellungsbehörde nur genug Text über die Abwägung zwischen den einzelnen Belangen geschrieben hätte. Ein Abwägungsausfall oder -defizit (bei Ermittlung und Zusammenstellung des Abwägungsmaterials) kommt heute in der Praxis nicht mehr vor. Eine Abwägungsfehleinschätzung der Bedeutung privater oder öffentlicher Belange kann bei ausreichend langem Text der Abwägungsbegründung von den Gerichten nicht festgestellt werden. Die Fehlgewichtung in diesem Falle wäre mit hoher Sicherheit gerichtsfest gewesen. Sie hätte darin gelegen, dass die Güter Wald, Boden und Tiere schwerer gewogen hätten als das Landschaftsbild (das vorbelastet war durch die Häuser), das Schutzgut Mensch (weil infolge der niedrigen Verkehrszahlen die Lärmgrenzwerte noch eingehalten wurden) und weil Kulturdenkmäler und Sachgüter (hier der Mittelpunkt eines Streudorfes) überhaupt keine Rolle bei der UVS gespielt haben. Ergebnis der Erörterung im 1. Termin war, dass der Plan nicht festgestellt werden kann, da er keine optimale Planung sei. Bei der anschließenden Befragung der TÖB, welche der Lösungen für sie am Schlechtesten sei, sagten selbst Landwirtschaft und Forst, dass die beantragte Lösung die schlechteste sei. Die Mehrheit der TÖBs sprach sich dann für eine westliche Umfahrung als diejenige Lösung aus, die alle Belange am Besten berücksichtigt. Und zwar auch solche TÖBs, die von dieser Lösung stärker als von der beantragten betroffen waren. Das verstehe ich unter einer Optimierung im Sinne des vorhin eingeführten kooperativen Spieles.
2. Fall Seckenheim Fall Seckenheim oder: Die erdrückende Lärmschutzwand. Eine fachplanerisch schlechte Lösung wird verschlechtert, um sie rechtlich unangreifbar zu machen. Am Rande Mannheims sollte eine Entlastung der Ortsdurchfahrt Seckenheim gebaut werden als Umfahrung eines Neubaugebietes. Es gab aufgrund der vorhandenen Knotenpunkte zwei Zwangspunkte für die Planfeststellung, die es
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aufgrund der bestehenden Straßen erforderlich machten, das Vorhaben zwischen einem Friedhof und einer Streubebauung durchzulegen, wo von Mauerkante zu Mauerkante gerade 20 m Breite zur Verfugung standen. Dahinein sollte eine 7 m breite Straße und je ein 4 m und ein 3 m breiter Wirtschaftsweg gelegt werden. Als aktiver Lärmschutz war eine 2 m hohe Wand vorgesehen, mit der aber die Lärmwerte tags und nachts für Mischgebiete überschritten worden wären. Die nächst liegenden Hauseigentümer hatten schon einen Fachanwalt für Planungsrecht beauftragt, sie zu vertreten und notfalls Klage zu erheben. Daraufhin besserte die Stadt während des Verfahrens nach und erhöhte die Lärmschutzwand auf beidseits 4,80 m. Damit wäre die Lärmschutzwand bei 4,80 m Höhe nur 6 Meter von der Hauskante des nächst liegenden Hauses entfernt gewesen und hätte bis zur Dachunterkante gereicht Der heutige Anliegerverkehr, der hauptsächlich aus Fußgängern und Radfahrern zu Kindergarten Schule und Friedhof besteht, hätte sich zwischen den Lärmschutzwänden hindurch schlängeln müssen und ebenerdig beide Richtungsfahrbahnen überqueren müssen. Mit der vorgesehenen „Eingrünung" wäre dies ein hervorragender Ort für Handtaschenräuber und Sittlichkeitsverbrecher geworden, vor allem im Winter. Da dies die einzige fußläufige Verbindung für die Bevölkerung Seckenheims ins Umland war, das ansonsten von Autobahnen umgeben ist, wäre dies einer faktischen Ausgangssperre für Frauen und Kinder nach Einbruch der Dunkelheit gleichgekommen. Diese Argumente überzeugten die Stadt, in eine teurere Planung zu investieren, und die Stadt plante um in eine Troglage der Straße. Dort wo früher die alte Verbindung war, ist nun eine ebenerdige, kreuzungsfreie, frei einsehbare Überführung über die Straße vorhanden, die Trogwände sind mit hoch absorbierenden Elementen ausgeführt, so dass alle Lärmgrenzwerte eingehalten werden konnten, und die Straße ist durch ihre schmale Baubreite und die Eingrünung links und rechts der Brüstungen kaum sichtbar. Wäre die Planung mit dem Lärmschutzwänden gekommen, so hätten die Betroffenen kaum eine Chance gehabt, die Lösung zu kippen, da ja schließlich § 41 BImSchG als bindendes Recht die Lärmschutzwand fordert und deren Bau gerichtlich nicht zu beanstanden ist.
3. Fall Mühlhausen Fall Mühlhausen oder: Eingriff und Ausgleich als Rechtsbegriffe. Fachgutachter machen Fachplanungen, die Planfeststellungsbehörde ist für die rechtliche Bewertung zuständig und „korrigiert den LBP" in dem Sinne, dass sie entscheidet, wann ein erheblicher Eingriff in den Naturhaushalt oder das Landschaftsbild vorliegt und wann er als kompensiert gilt.
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Die Grüngutachter übernahmen von den Straßenplanern die Vorgaben, dass für den Neubau der Straße 3,3 ha Straßenfläche neu versiegelt werden musste und an Nebenflächen ca. 10 ha erforderlich sind. Dies werteten sie als sog. Totalfunktionsverlust für den Naturhaushalt und das Landschaftsbild, was ca. 14 ha Eingriff ausmacht. Weiter nahmen sie an, dass entlang eines Streifens links und rechts der Straßenränder von 50 m weitere Funktionsverluste von 50 % der vorhandenen Biotopverluste und darüber hinaus von weiteren 50 m weitere 25 % Biotopverluste entstünden. Begründung war vor allem, dass die Bruterfolge von Vögeln nach wissenschaftlichen Untersuchungen in diesem Maße abnehmen und dass bodengebundene Kleinlebewesen eine solche Straße nicht mehr überqueren können sowie Verinselungen der Populationen entstehen. Es gibt aber natürlich keine Berechnungen, wie viel Prozent der Biotopfunktionen auf Mühlhausener Gemarkung darauf entfallen und wie viel Prozent dadurch bereits durch die vorhandenen Fußballplätze, Tennisplätze und Grillhütten eingetreten sind. Daraus wurde ein gesamter Kompensationsbedarf von 44 ha errechnet. Das wäre in Bezug auf die Versiegelungsfläche für die Trasse selbst ein Verhältnis von 1:13. Dazu hätten aber ein Haupt- und viele Nebenerwerbslandwirte enteignet werden müssen, und zwar für Flächen, die zum Teil mehr als 1 Kilometer von dem Vorhaben entfernt lagen und nur als Ersatzflächen dienten, weil eine Ausgleichsfläche der geforderten Größe natürlich im Funktionsraum des Vorhabens nicht vorhanden war. Eine solche wissenschaftlich nicht abgesicherte, spekulative Größe an Kompensationsfläche erschien mir als Grundlage für spätere Enteignungen nicht tauglich und auch bei der Überprüfung des Beschlusses durch den VGH zu unsicher. Ich habe deshalb nach konkreten Beeinträchtigungen gefragt und wie die funktional abzugleichen seien, also nach dem Schicksal der Spechte, Dachse, Rehe, Schmetterlinge usw. Die Antworten führten dann dazu, dass ich 11 ha Ersatzmaßnahmen aus dem Kompensationskonzept herausnehmen konnte, weil funktional kein Nutzen nachweisbar war. Damit hatten sich die Einwendungen des Haupterwerbslandwirtes und einiger Nebenerwerbslandwirte erledigt. Der Beschluss wurde vom VGH Baden-Württemberg aufgrund einer Klage eines Naturschutzvereines überprüft und als rechtmäßig befunden. Wäre die Fläche nicht heraus genommen worden, so wäre die Chance für die enteigneten Landwirte, dass der VGH den Beschluss wegen Überkompensation kippt, wohl gering gewesen, wenn die Planfeststellungsbehörde nur dem Fachgutachten gefolgt wäre. Das Wohl und Wehe von Betrieben und Grundstückseigentümern liegt also tatsächlich fast ausschließlich in der Hand dessen, der den Beschluss fasst.
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4. Fall Schlossbergumgehung Fall Schlossbergumgehung oder: Beratung und Steuerung über scoping und UVU: Wie Einfluss auf die Variantenwahl genommen werden kann. Wenn nicht nur Anhörung und Planfeststellung in einer Hand sind, sondern auch die Beratung des Vorhabenträgers nach § 5 S. 1 UVPG und der scopingTermin, dann ist die optimale Gestaltungsfreiheit für die Planfeststellungsbehörde gegeben. So können im Vorfeld Fehlentwicklungen vermieden werden, die später aus finanziellen oder politischen Gründen kaum noch geändert würden. Der Kreis kommt mit einer Planung für „BÜ-Beseitigung" im Zuge einer Kreisstraße, die einvernehmlich mit der betroffenen Gemeinde besprochen ist. Gedacht ist daran, je 1 / 3 solle der Kreis, die Deutsche Bahn und der Staat über die sog. GVFG-Mittel finanzieren - eine feine Sache vor allem für die Gemeinde, die kostenlos den Bahnübergang in ihrem Herzen beseitigt bekommt. Nun werden zwei Varianten V 1 und 2 vorgelegt, die großräumige Umfahrungen der Gemeinde nördlich bzw. südlich planen und dabei noch die Erschließung neuer Baugebiete ermöglichen. So hat die Gemeinde drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen (BÜ-Beseitigung, Herausnahme von Durchgangsverkehr aus dem Schlossbereich und Randerschliessungsstraße für eine neues Baugebiet). Eine Nullvariante - Unterführung oder Überführung an Ort und Stelle - fehlt ebenso wie eine Variante innerorts. Denn dies will der Bürgermeister nicht. Dass die beiden einzigen vorgelegten Varianten schwere Nachteile für Natur und Landschaft, die Landwirtschaft und den Forst haben, die die anderen Varianten nicht haben, blieb dabei unberücksichtigt. In diesem Beratungstermin machte ich deutlich, dass eine UVU, die ohne die beiden anderen Varianten vorgelegt werden würde, als unvollständig zurückgewiesen werden müsste. Der Untersuchungsraum müsse sich über das ganze Gebiet aller möglichen Varianten erstrecken und zwar bezüglich aller Umweltmedien Luft, Wasser usw., aber natürlich auch Sach- und Kulturgüter und den Menschen selbst (was häufig von der Grünseite aus vernachlässigt wird und dann zu verfälschten Ergebnissen führt, siehe oben 24-Höfe). Das war hier wegen der Dorfkernstruktur und dem Schlossareal, das unter Denkmalschutz steht, sehr wichtig. Weder wäre eine Variantendiskussion noch eine UVP möglich. Das Verfahren müsste angehalten werden, bis dies nachgeholt worden ist, u.U. mit dem Ergebnis, dass die beantragte Variante nicht verwirklichbar ist und das Verfahren eingestellt werden müsste. Nachdem dies aktenkundig geworden war, hat der Kreis es vorgezogen, alle angedachten Varianten gleichermaßen zu untersuchen. Nachdem für die Voruntersuchung bis zum scoping-Termin mehr als ein Jahr ins Land ging, hat eine glückliche Fügung dafür gesorgt, dass eines der Gewer-
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begebiete bebaut werden sollte und die Gemeinde selbst fur die Erschließungsstraße gesorgt hat. Damit war Variante 1 vom Tisch. Nachdem die Wunschliste für neue Baugebiete auf ein regionalplanerisch vernünftiges Maß beschränkt wurde, entfiel auch Variante 2 als unvertretbar. Nun wird eine neue Variante Vx in das Verfahren gehen, und es stehen genügend gute Gründe dafür in der UVU. Jeder Praktiker kann sich ausrechnen, was für Widerstände es gegeben hätte, wenn der Kreis, unterstützt durch die Belegenheitsgemeinde, einen Antrag auf Planfeststellung mit V 1 oder V 2 gestellt hätte, ohne andere Varianten zu untersuchen, und diese Diskussion durch Einwender im Anhörungstermin erstmals aufgetaucht wäre.
VI. Gestaltungsmöglichkeiten im Planfeststellungsbeschluss Der Planfeststellungsbeschluss selbst bietet wenig Spielraum für Gestaltung. Auflagen, Bedingungen und Befristungen sind nur in engem Rahmen möglich (§ 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG). Aufschiebende oder auflösende Bedingungen der Hauptentscheidung verbieten sich bei einem Verwaltungsakt, der eine Vielzahl von begünstigenden und belastenden Wirkungen hat. Lediglich bei Nebenentscheidungen oder der Vollziehbarkeit sind sie denkbar. Eine häufig verwendete Form ist etwa die, dass naturschutzrechtliche Eingriffe dadurch so gering wie möglich gehalten werden, dass vorgeschrieben wird, mit der Baumaßnahme selbst dürfe erst begonnen werden, wenn die Ausgleichsmaßnahme bereits fertiggestellt worden ist. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn eine bestimmte Tier- oder Pflanzenart in ihrem Bestand bedroht wäre, wenn erst gebaut und dann ausgeglichen würde. Auch eine Befristung des Beschlusses selbst scheidet aus, wenn man von der gesetzlichen Befristung der Geltungsdauer in den Straßengesetzen absieht. Allerdings sind bei Nebenbestimmungen sehr wohl Fristen denkbar. Wenn Betriebe betroffen sind, kann verfügt werden, dass nur zu bestimmten Zeiten die Betriebszufahrten blockiert werden dürfen, oder die Baumaßnahmen bei einer Gaststätte mit Biergarten nur in den Monaten Oktober bis März durchgeführt werden dürfen. Auflagen werden in der Regel zahlreiche verfügt. Meistens sind dies Auflagen, die ansonsten in den erforderlichen naturschutzrechtlichen, wasserrechtlichen oder sonstigen Genehmigungen enthalten wären. Dies bewegt sich in dem
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Rahmen, der bei schriftlichen begünstigenden Verwaltungsakten üblich ist und bedarf daher hier keines Kommentars.
V I I . Fazit Verwaltungsakte sollen nicht nur rechtlich haltbar, sondern wenn möglich auch inhaltlich problemlösend und für den Bürger möglichst wenig belastend sein. Ein komplexer Vorgang wie die Straßenplanung verlangt die Optimierung aller zu berücksichtenden privaten und öffentlichen Belange. Derjenige, der einen abschließenden Planfeststellungsbeschluss zu treffen hat, kann nur dann eine optimale Entscheidung treffen, wenn sie nicht nach Aktenlage getroffen wird, sondern wenn der Abwägungsentscheidung ein Verfahren vorausging, in dem danach gesucht wird, ob statt der geplanten Lösung eine andere denkbar ist, die die Gesamtheit aller Eingriffe geringer macht oder bei gleichbleibenden Eingriffen insgesamt für die Beteiligten mehr Vorteile bringt. 3 Ich plädiere daher dafür, dass Anhörung und Feststellung bei einer Behörde liegen, und dafür, dass die Anhörung keine An-hör-ung ist, sondern ein Diskurs unter allen Beteiligten und Betroffenen zur Optimierung einer Planung. Dann ist die Planfeststellungsbehörde nicht Notar oder Verbündeter von Straßenbauern, sondern Spielleiter und Schiedsrichter in einem Verfahren zur Optimierung aller öffentlichen und privaten Belange.
3
So auch Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, Rdn. 386.
Die Bedeutung der Plangenehmigung nach der Novellierung des Rechts der UVP Von Bertram Walter
Im folgenden Referat zur aktuellen Bedeutung des Instituts der Plangenehmigung in der Verwaltungspraxis insbesondere des Eisenbahn-Bundesamtes1 möchte ich 2 die Gelegenheit nutzen, Sie auf zwei Hilfestellungen zur insbesondere eisenbahnrechtlichen Fachplanung aus unserem Haus hinzuweisen. Das ist zum einen unser Leitfaden zur Umweltverträglichkeitsprüfung 3 einschließlich der Screening-Verfügung, die uns nachher zentral beschäftigen wird. Zum anderen hat das Amt am 01.01.2002 die Planfeststellungsrichtlinien 4 in Kraft gesetzt. Die Plangenehmigung regelt Richtlinie 38, allerdings vorrangig unter Bezugnahme auf andere, die Planfeststellung betreffende Richtlinien dieser Richtliniensammlung. Beide Werke befinden sich übrigens in ständiger Überarbeitung und sind in ihrer aktuellen Fassung auf der Homepage5 des EisenbahnBundesamtes veröffentlicht. Anlass meines Referats ist die nach der Novellierung 6 des Rechts der UVP doch tendenziell verringerte Anwendbarkeit der Plangenehmigungsvorschriften aller Fachplanungen7 zugunsten der Planfeststellung und die damit verbundene,
1
Das Eisenbahn-Bundesamt ist nach § 3 Abs. 1 Satzl Nr. 1 BEVVG (Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes) zuständig für die Planfeststellung der Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes. 2 Der Verfasser ist Sachbereichsleiter Planfeststellung, Recht, Umwelt im Eisenbahn-Bundesamt, Außenstelle Erfurt. 3 Arbeitsgruppe „Leitfaden UVP und Eingriffsregelung" des Eisenbahn-Bundesamtes (Hrsg.): Umwelt-Leitfaden zur eisenbahnrechtlichen Planfeststellung und Plangenehmigung sowie für Magnetschwebebahnen, 3. Fassung, Stand Juli 2002. 4 Planfeststellungsrichtlinien (PF-RL); Richtlinien für den Erlass planungsrechtlicher Zulassungsentscheidungen für Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes nach § 18 AEG sowie für Betriebsanlagen von Magnetschwebebahnen nach § 1 und 2 MBP1G, Ausgabe 01 / 2003. 5 www.Eisenbahn-Bundesamt.de. 6 Neufassung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 27.7.2001 (BGBl. I S. 1950). 7 Plangenehmigungsvorschriften aus der Fachplanung der Verkehrswege sind § 17 Abs. la FstrG, § 18 Abs. 2 AEG, § 28 Abs. la PBefG, § 14 Abs. la WStrG.
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häufig zu hörende Klage über deren Verfahrensdauer. Das alles vor dem Hintergrund der mit der Einführung der Plangenehmigung im Recht der Verkehrswegeplanung seinerzeit verfolgten Beschleunigungsabsicht. Wir haben damit im Weiteren das Institut der Plangenehmigung abzugrenzen einerseits zur Planfeststellung, das wird der Schwerpunkt der Aufgabe sein, und andererseits hin zu dem, was wir im Jargon Verzicht nennen, also dem Entfallen von Planfeststellung und Plangenehmigung bei Änderung und Erweiterungen (einer Eisenbahn-Betriebsanlage) von unwesentlicher Bedeutung nach § 18 Abs. 3 AEG 8 . Da sich an der zuletzt genannten Grenze der Anwendbarkeit der Plangenehmigungsvorschriften weder durch die Novellierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung noch, soweit erkennbar, in aktueller Rechtsprechung und Literatur Änderungen ergeben haben, möchte ich dazu nur anmerken, dass die Praxis der Außenstellen des Eisenbahn-Bundesamtes zu § 18 Abs. 3 AEG dieser Konstanz zum Trotz in der Tat recht heterogen ist. Die Bedeutung, die dem Verzicht auf Planfeststellung und Plangenehmigung beigemessen wird, ist in den einzelnen Außenstellen sehr unterschiedlich. Und das bestimmt natürlich mittelbar auch die Bedeutung der Plangenehmigung. In den Außenstellen, in denen die Verzichte eine sehr geringe Rolle spielen, hat natürlich die Plangenehmigung einen ganz anderen zahlenmäßigen Stellenwert und erfasst auch ganz andere Vorhaben. Schwerpunkt der Aufgabe wird aber sein, die Plangenehmigung zur Planfeststellung hin abzugrenzen. In unserem Fachrecht heißt es in § 18 Abs. 2 AEG: „An Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses kann eine Plangenehmigung erteilt werden, wenn erstens es sich bei dem Vorhaben nicht um ein Vorhaben handelt, für das nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfüng eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, zweitens mit den Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich berührt wird, das Benehmen hergestellt worden ist und drittens, Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden oder die Betroffenen sich mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums oder eines anderen Rechts schriftlich einverstanden erklärt haben." Auf alle drei Tatbestandsmerkmale wird im Folgenden einzugehen sein. Der Schwerpunkt liegt auf Grund der Themenstellung beim Merkmal „keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVPG". Denjenigen, die mit der fernstraßenrechtlichen oder auch der personenbeförderungsrechtlichen Planfeststellung besonders vertraut sind, wird aufgefallen sein, dass die Formulierung „Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden" in der
8 Die entsprechenden Vorschriften der anderen Verkehrsträger sind: § 17 Abs. 2 FstrG, § 28 Abs. 2 PBefG, § 14 Abs. lb WStrG.
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eisenbahnrechtlichen Planfeststellung 9 enger ist als in § 17 Abs. la FStrG oder § 28 Abs. la PBefG, wo es heißt: „anderer nicht oder nicht wesentlich beeinträchtigt werden". Die Kommentarliteratur 10 stellt die Wasserstraßen- und eisenbahnrechtliche Plangenehmigung als sogenannte einfache oder kleine Plangenehmigung der fernstraßen- oder personenbeförderungsrechtlichen als große oder qualifizierte Plangenehmigung gegenüber. Diesen Unterschied gilt es hinsichtlich der Bedeutung der Plangenehmigung für die Praxis im Weiteren noch zu verfolgen. Bemerkenswert ist weiter, dass anders als in § 74 Abs. 6 VwVfG in den Normen zur verkehrswegerechtlichen Plangenehmigung die Einschränkung nicht enthalten ist, die Plangenehmigung habe die Rechtswirkung der Planfeststellung mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung. Man mag sich fragen, welche Fälle es denn sein können, bei denen die Plangenehmigung nach § 18 Abs. 2 AEG ihre enteignungsrechtliche Vorwirkung in der Praxis entfaltet, da ja bei der eisenbahnrechtlichen Plangenehmigung Rechte anderer nicht betroffen sein dürften. Die Regelung sollte ja eigentlich, sozusagen nach der reinen Lehre, gar keinen Anwendungsfall haben. Nun, es sind wahrscheinlich die Fälle, in denen ein Privater sich mit der Inanspruchnahme seines Eigentums schriftlich einverstanden erklärt hatte, man deshalb (das Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen insoweit unterstellt) zu Recht den Weg der Plangenehmigung beschritten hat und am Ende des Ganzen - die Plangenehmigung ist ergangen - er es sich anders überlegt. Dann wird der Vorhabenträger eben mit dieser uneingeschränkten Verweisung auf die Rechtswirkung der Planfeststellung bei der Enteignungsbehörde seine vorläufige Besitzeinweisung beantragen können. Eine besondere Bedeutung kommt der enteignungsrechtlichen Vorwirkung der sogenannten kleinen Plangenehmigung sicher nicht zu.
I. Die Vorzüge der Plangenehmigung Wenn gerade die Vorhabenträger die wohl vermeintliche Beschränkung des Instituts der Plangenehmigung durch die Novellierung des Rechts der UVP beklagen, bringt uns das auf die Frage nach den Vorteilen der Plangenehmigung für die Vorhabenträger gegenüber der Planfeststellung. Besondere Bedeutung kommt dabei sicher dem Moment der Beschleunigung zu, dem die Plangenehmigung in der Verkehrswegeplanung ja ihre weite praktische Verbreitung verdankt. Dahinter steckt ein ganzer Komplex von Einzelfaktoren.
9
gung. 10
Gleichlautend § 14 Abs. laWStrG für die wasserstraßenrechtliche PlangenehmiVgl. etwa Allesch /Häußler, in: Obermayer, VwVfG § 74 Rdnr. 151.
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Am wichtigsten jedoch ist nach meiner Einschätzung die Tatsache, dass bei der Plangenehmigung das Verfahren bei nur einer Behörde stattfindet, im Rahmen der Planfeststellung jedoch regelmäßig 11 eine weitere Behörde als Anhörungsbehörde mit eigenem Verfahren „zwischengeschaltet" ist. Das bedingt im Falle der Planfeststellung zum Teil zeitraubende Doppelarbeit bis hin zum Abschlussbericht der Anhörungsbehörde, der bisweilen dem Planfeststellungsbeschluss im Umfang sehr nahe kommt. Damit bringt allein schon die Tatsache, dass in der Plangenehmigung nur eine Behörde mit dem Vorhaben beschäftigt ist, bereits einen deutlichen Beschleunigungseffekt. Auch findet eben bei der Plangenehmigung kein zeitraubendes Anhörungsverfahren statt, vielmehr versucht die Planfeststellungsbehörde selbst, im Zuge des Plangenehmigungsverfahrens das Benehmen mit den Trägern öffentlicher Belange herzustellen. Nach eigenem Ermessen kann sie das nicht-förmliche Verfahren der Plangenehmigung damit optimieren. Kriterien dieser Verfahrensgestaltung sind Art und Umfang des Bauvorhabens, vor allem jedoch dessen Außenwirkung. Für den Vorhabenträger wiederum zahlen sich frühzeitige Beteiligung Betroffener und ein für Dritte durchschaubarer Planungsprozess durch die damit häufig verbundene Akzeptanz des Vorhabens in der Öffentlichkeit durch Zeitgewinn unmittelbar aus. Es kommt zu keiner Auslegung der Unterlagen, was auch von vielen Vorhabenträgern als sehr beschleunigend empfunden wird, zumal es bei der Veröffentlichung von Ort und Zeit der Auslegung in selten erscheinenden Amtsblättern kleiner Gemeinden und den ganzen dabei einzuhaltenden Fristen häufig zu einer Verzögerung kommt. Vom Vorhabenträger im Zuge des Planungsprozesses bereits eingeholte Zustimmungen, etwa von in ihrem Leitungsbestand betroffenen Versorgungsunternehmen oder anderen Verkehrsträgern, können häufig unmittelbar in das Plangenehmigungsverfahren eingebracht werden. Das alles zum Thema Beschleunigung. Im Übrigen wird von den Vorhabenträgern immer wieder als positiv an der Plangenehmigung hervorgehoben, dass keine Umweltverträglichkeitsstudie anzufertigen sei. Das spart vor allem Kosten und Zeit. Mein Eindruck aus der täglichen Praxis ist, dass es den Vorhabenträgern weniger um die Umweltverträglichkeitsprüfung selbst geht, die durch die Planfeststellungsbehörde zu erfolgen hat, als vielmehr um die Anfertigung der Umweltverträglichkeitsstudie. Man fürchtet also nicht etwa unser Verdikt in der Umweltverträglichkeitsprüfung, sondern man fürchtet schlicht die Kosten der Umweltverträglichkeitsstudie und die dafür benötigte Zeit. Auch die Tatsache, dass in jedenfalls der eisenbahnrechtlichen Plangenehmigung12 regelmäßig keine Vereinsbeteiligung nach 11 Anders bei der wasserstraßenrechtlichen Planfeststellung: Hier sind Planfeststellungs- und Anhörungsbehörde identisch. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 WStrG ist dies die Wasser- und Schifffahrtsdirektion. 12 So jedenfalls bei der unmittelbaren Anwendung des BNatSchG durch Bundesbehörden in der eisenbahnrechtlichen oder wasserstraßenrechtlichen Plangenehmigung.
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BNatSchG erforderlich ist, stellt für viele Vorhabenträger einen wichtigen Vorzug der Plangenehmigung dar. Ähnlich beurteilt man dort den Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Verfahren. Das ist nicht sonderlich rühmlich, aber das hört man schon immer wieder - insbesondere deshalb, weil viele Vorhabenträger, wie auch die Planfeststellungsbehörden, Jedermann-Einwendungen als ausgesprochen lästig empfinden. Und die finden in der Plangenehmigung, üblicherweise jedenfalls, mangels Kenntnis der Öffentlichkeit vom Vorhaben nicht statt.
I I . Die Nachteile der Plangenehmigung Wo liegen andererseits die Gefahren der Plangenehmigung? Sie liegen in der Praxis eindeutig in der fehlerhaften Ermittlung der Betroffenheit. Schließlich ist Voraussetzung der Plangenehmigung, dass kein Konflikt mit Planbetroffenen auftritt. Die Prüfung, ob Rechte anderer beeinträchtigt werden, beschränkt sich zwar auf die materiellen Rechtspositionen anderer, so dass reine Verfahrensrechte, wie etwa das Mitwirkungsrecht der anerkannten Naturschutzvereine, und bloße Belange Dritter nicht ausreichen. Diese materiellen Rechtspositionen aber nach Zahl und Art vollständig zu ermitteln, bereitet bisweilen Probleme. Das betrifft sogar die Grundstücksbetroffenheit, die vermeintlich ganz einfach zu ermitteln ist. Der Grunderwerbsplan und das zugehörige Grunderwerbsverzeichnis weisen zwar die Notwendigkeit dauernder oder zumindest bauzeitlicher Inanspruchnahme von Grundstücken privater Dritter aus. Jedoch kommt es immer wieder zu Lageungenauigkeiten in der Darstellung der Pläne. Die Pläne stimmen nicht zuletzt aus Maßstabsgründen damit nicht ganz bis zum letzten Meter. Man bekommt als Eisenbahn-Bundesamt einen Plan im Rahmen der Plangenehmigung vorgelegt, auf dem alle zu errichtenden Anlagen einschließlich der Baustelleneinrichtungsflächen und der Baustraßen ganz proper auf Bahngelände vorgesehen sind, auf Flächen also, die der DB Netz AG (oder einem anderen Unternehmen der Deutschen Bahn AG) gehören. Kommt es dann später zur Bauausführung, stellt man fest, dass Teile der neuen Anlage auf Fremdgelände liegen (sollen). Es sind einfach Darstellungsungenauigkeiten, insbesondere bei der Änderung alter Anlagen, die eine gewisse Gefahr begründen, dass man die Grundstücksbetroffenheit falsch beurteilt. In diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen ist die Immissionsbetroffenheit. Allzu leicht entsteht beim Planer der Eindruck, man habe aufgrund eines Anders wenn bei Plangenehmigungen durch Landesbehörden das Verfahren durch Landesnaturschutzgesetze geregelt wird und diese auch im Falle der Plangenehmigung die Beteiligung der anerkannten Naturschutzvereine vorsehen.
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überschlägigen Schallschutzgutachtens alle privaten Immissionsbetroffenheiten erfasst. Hier täuscht man sich leicht, und das lässt eigentlich die Forderung erheben, dass in Fällen nicht sicher auszuschließender Immissionsbetroffenheit der Weg zum Institut der Plangenehmigung ausscheidet. Bei den sonstigen privaten Rechten und Interessen, die es zu beachten gilt und die man leicht übersieht, wären in meinem Bereich private, neu entstandene Eisenbahnunternehmen zu nennen. Man läuft sehr leicht Gefahr zu übersehen, wer noch ein Interesse an der Nutzung einer Bahnanlage haben könnte außerhalb des noch einigermaßen sicher überschaubaren Kreises der Eisenbahnen des Bundes (insbesondere also - aber nicht ausschließlich - den Eisenbahninfrastrukturunternehmen DB Netz und DB Station und Service einerseits und den Eisenbahnverkehrsunternehmen DB-Regio, DB-Reise und Touristik und DB Cargo andererseits). Gleiches gilt fur die Betreiber von Anschlussgleisen. Damit kann die Plangenehmigung schnell rechtswidrig werden. Ich sage das alles, um diesem Institut etwas von dem Glanz zu nehmen, den es zur Zeit bei vielen Vorhabenträgern hat. Deren Wunsch, ihr Vorhaben auf jeden Fall plangenehmigt zu bekommen, ist häufig durchaus risikoreich. Insbesondere wirft es auch manches Verfahren zurück, wenn die Vorhabenträgerin ursprünglich davon ausgeht, sie könne die wenigen Zustimmungen, die doch notwendig sind, einholen, um das Erfordernis des 18 Abs. 2 AEG insoweit zu erfüllen, und sie dann nach allerlei schwierigen, langwierigen Bemühungen deren Scheitern eingestehen muss. Die Erbengemeinschaft als Grundstücksbetroffene spielt in diesem Zusammenhang durchaus eine Rolle. Es stellt sich dabei gelegentlich heraus, dass die Zustimmung des einen Miterben, der in Argentinien wohnt, einfach nicht beizubringen ist. Das nachträgliche Beschreiten des Planfeststellungsverfahrens zeigt, dass die Vorhabenträgerin bislang unnütz Zeit und Geld in die Plangenehmigung investiert hatte. Auch kann es zu Eigentümerwechseln kommen, wenn zum Beispiel die Ermittlung der Eigentümer schon länger zurückliegt und zum Zeitpunkt der Plangenehmigung nicht mehr aktuell ist. Damit kann sich ganz leicht ein Fehler in die Plangenehmigung einschleichen.
I I I . Die praktische Bedeutung der Plangenehmigung für Eisenbahn-Betriebsanlagen Es sind häufig punktuelle Vorhaben entlang einer bestehenden Strecke, wie zum Beispiel Straßenüberführungen, Eisenbahnüberführungen oder die Nachrüstung von Bahnübergängen mit neuer Bahnübergangssicherungstechnik, die in meinem Bereich für eine Plangenehmigung geeignet sind. Problematischer ist schon - ein Schritt weiter - die Beseitigung von höhengleichen Bahnübergän-
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gen und deren Ersatz durch Überfuhrungen. Die als Folgemaßnahme neu anzulegende Straße bewirkt innerorts regelmäßig eine neue Immissionsbetroffenheit Dritter. Auch fur die Einrichtung neuer Haltepunkte spielt die Plangenehmigung bei uns eine große Rolle. Entlang der Strecke finden Sie aus alter Zeit, häufig zwischen zwei Orten, ungefähr in der Mitte, einen Bahnhof oder einen Haltepunkt. Der hatte früher gegenüber zwei Haltepunkten in beiden betroffenen Orten den Vorteil, dass der Zug nur einmal halten und mit Dampfkraft wieder anfahren musste. Heute jedoch erweist sich diese Lage als erheblicher Nachteil in der Akzeptanz durch die Fahrgäste. Zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Nahverkehrs werden deshalb regelmäßig die alten Bahnhöfe aufgelassen und als Haltepunkte dort neu errichtet, wo die Kunden wohnen. Häufig findet sich dort noch bahneigenes Gelände oder ein verkaufswilliger Grundstückseigentümer. Weiter sind Maßnahmen in Empfangsgebäuden zu nennen. Auf die in diesem Zusammenhang auftretende Problematik der Zuständigkeit von Fachplanungsbehörde oder allgemeiner Baubehörde will ich hier nicht eingehen. Oder das Errichten neuer ESTW's, also dieser elektronischen Stellwerke. All dies sind klassische und weiterhin aktuelle Einsatzgebiete der Plangenehmigung im Eisenbahn-Bundesamt. Dies insbesondere deshalb, weil dort in der Regel keine Umweltbeeinträchtigungen mit dem Vorhaben verbunden sind. Schließlich möchte ich unter Hinweis auf den Vorhabentyp „Einbau einer PSS" auf Maßnahmen deuten, welche regelmäßig ein Schutzgut berühren, jedoch ebenso regelmäßig keine weiteren Auswirkungen haben. Die PSS ist eine Planumsschutzschicht, also eine Schicht über dem Erdplanum, die in spezieller Weise ausgebildet, das Eindringen von Niederschlagswasser in den Untergrund verhindert. Dabei wird häufig eine Tiefenentwässerung eingebaut. Und allein dieser Anknüpfungspunkt, Einbau einer Tiefenentwässerung und Neukonzeption der Entwässerung in Vorflut und Versickerungsgraben, bringt natürlich Wasserbelange zutage und erfordert, so jedenfalls unsere Ansicht, ein Verfahren nach § 18 AEG. Es ist dann zu fragen, ob die Betroffenheit nur eines Schutzguts die UVP-Pflicht auslöst und damit den Weg zur Plangenehmigung versperrt.
IV. Das sogenannte Screening An Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses kann nach Ziffer 1 aller einschlägigen Regelungen zur Plangenehmigung des Fachplanungsrechts der Verkehrswege eine Plangenehmigung (nur dann) erteilt werden, wenn „es sich bei dem Vorhaben nicht um ein Vorhaben handelt, für das nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen ist." Das Plangenehmigungsverfahren ist damit für den Bau und insbe-
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sondere auch die Änderung einer Betriebsanlage einer Eisenbahn des Bundes nur zulässig, wenn im Ergebnis der Prüfung nach § 3c UVPG, dem so genannten Screening, festgestellt wurde, dass keine UVP-Pflicht besteht. Obgleich in diesem Fall eine formalisierte, d.h. durch das UVPG geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung entfällt, sind dennoch, darauf ist an dieser Stelle besonders hinzuweisen, die Auswirkungen des Vorhabens auf die Belange der Umwelt in der Abwägung zu berücksichtigen. Im folgenden soll das Screening als eine von der Planfeststellungsbehörde zu leistende Aufgabe näher betrachtet werden. Screening (engl, to screen = überprüfen, sichten, sieben) bezeichnet die Vorprüfung eines Einzelfalls, ob zur Genehmigung eines Vorhabens eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss. Nach derzeitiger Rechtslage ist diese Einzelfallprüfung nach § 3c UVPG für alle nach § 18 AEG beim Eisenbahn-Bundesamt beantragten Verfahren durchzuführen, sofern die UVP-Pflicht nicht ohnehin feststeht. Dies ist nach (Nr. 14.7 der Anlage 1 zum UVPG) der Fall beim (Neu)Bau eines Schienenweges von Eisenbahnen mit den dazugehörigen Betriebsanlagen einschließlich Bahnstromleitungen. Diese Entscheidung über die UVP-Pflicht eines Vorhabens wird regelmäßig vor Beginn eines im positiven Fall erforderlichen Scopings, spätestens jedoch bei Antragstellung getroffen. Spätere Entscheidungen sind möglich bzw. notwendig, wenn sich im Verfahren neue Erkenntnisse über mögliche Umweltschäden ergeben. Sofern ein Vorhaben dem Screening unterzogen werden muss, ist eine „allgemeine Vorprüfung" durchzuführen. Diese erfolgt unter Zuhilfenahme der in Anlage 2 zum UVPG unter Punkt 1 und 2 aufgeführten Kriterien. Dabei ist meines Erachtens unbedingt zu beachten, dass der Begriff der „erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen" des UVPG nicht identisch ist mit dem Begriff der „erheblichen Beeinträchtigung" nach § 18 BNatSchG. Dies resultiert aus der Zielrichtung des UVPG, das eine medienübergreifende Gesamtbetrachtung aller Umweltauswirkungen als Entscheidungsgrundlage verfolgt. Nur entscheidungserhebliche Umweltauswirkungen rechtfertigen die Durchführung einer UVP. Bei Eingriffen in Naturhaushalt und Landschaftsbild ist andererseits die Erstellung eines Landschaftspflegerischen Begleitplans allerdings auch dann erforderlich, wenn auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden konnte. Mit den entsprechenden Teilen des Umweltleitfadens haben wir einfach einen Weg gesucht, abstrakt eine Grenze zu ziehen, wo für eine Anlage eine UVP-Pflicht besteht. Das Gesetz, § 3 UVPG, lässt uns da im Stich mit dem Verweis auf die in Anlage 1 aufgeführten Vorhaben. Und da zeigt ein Vergleich des Katalogs der Anlage 1 zwischen den Straßen und den Schienen, dass bei uns die Anforderungen längst nicht so diffizil ausgestaltet sind wie bei der Straße. Man vergleiche dazu „Bau einer neuen vier- oder mehrspurigen Bundesstra-
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ße, wenn diese neue Straße eine durchgehende Länge von 5 km oder mehr aufweist" und „Bau eines Schienenwegs von Eisenbahnen mit dazugehörigen Betriebsanlagen einschließlich Bahnstromfernleitung". Damit wird klar, wie notwendig es ist, im Hinblick auf die vielen genannten Kleinvorhaben zu konkretisieren, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfling notwendig ist oder nicht. Dem dienen der Umweltleitfaden und ein Formblatt für den Vorhabenträger, in dem dieser vorhabenbezogene und standortbezogene Angaben zu seiner Baumaßnahme machen soll. Entsprechende Bearbeitungshinweise erleichtern es dem Mitarbeiter im Eisenbahn-Bundesamt den gegebenenfalls möglichen Entfall einer Umweltverträglichkeitsprüfung sachgerecht zu beurteilen. Beide sollen hier auszugsweise vorgestellt werden: Das Screening endet mit einer entsprechenden Mitteilung an die Vorhabenträgerin, dass auf eine formalisierte Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet wird. Und weil wir auch ein bisschen an die kontrollierende Wirkung der Öffentlichkeit glauben, haben wir uns entschlossen, diese Mitteilung im Internet zu veröffentlichen. Dort wird also in der Homepage des Eisenbahnbundesamts www.eisenbahnbundesamt.de, unter den einzelnen Außenstellen regelmäßig bekannt gegeben, für welche Vorhaben auf die Durchführung einer formalisierten Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet wird, weil eine überschlägige Prüfung der Umweltauswirkungen ergeben hat, dass Schutzgüter des UVPG nicht oder nicht wesentlich betroffen sind. Abschließend nur kurz hinweisen möchte ich auf eine besondere Form von Plangenehmigung, diejenige mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Er ist ein spezielles Modell für die neuen Bundesländer. Dort ist es im Straßenbau bis 2006 weiterhin möglich, an Stelle einer Planfeststellung eine Plangenehmigung mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu erlassen. Auf diesen Fall kann ich jetzt nicht eingehen. Er bringt natürlich auch einganz anderes Verfahren, zum Beispiel bei der Beteilung der Vereine nach § 60 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG. Danach muss bei Plangenehmigungen, die von den Behörden der Länder erlassen werden, die anstelle einer Planfeststellung treten, soweit eine Öffentlichkeitsbeteilung nach 17 Abs. 1 Fernstraßengesetz vorgesehen ist, eine Beteiligung der Verbände stattfinden. Dieser Fall tritt bei uns im Eisenbahnrecht nie auf. Damit bleibt es für unseren Bereich beim Grundsatz: Keine Beteiligung von Naturschutzvereinen im Rahmen der eisenbahnrechtlichen Plangenehmigung. Zum Ende ist festzustellen, dass für das Institut der Plangenehmigung gerade auch im Bereich der Eisenbahnen zahlreiche Einsatzmöglichkeiten selbst nach der Novellierung des Rechts der UVP verbleiben. Der Umgang mit dem sog. Screening ist für manche noch ungewohnt, allgemeine Hinweise zur Betroffenheit von Schutzgütern des UVPG bei bestimmten Vorhabentypen können insoweit eine Hilfe sein.
Vereinbarungen in Ergänzung zum Planfeststellungsverfahren Von Holger Steenhoff
I. Einführung Gerade bei Planfeststellungsverfahren, die der Zulassung von vor Ort sehr umstrittenen Vorhaben dienen, seien es solche für die Schiene nach § 18 AEG 1 , für die Straße nach § 17 FStrG bzw. Landestraßengesetzen2 oder für den Hochwasserschutz nach § 31 WHG 3 , kommt es nicht nur auf die formal rechtlich korrekte Durchführung der Verfahren an. In hohem Maße ist hier auch ein Akzeptanz· und Verfahrensmanagement des Vorhabensträgers, ggf. auch der Planfeststellungs- bzw. Anhörungsbehörde, sinnvoll und geboten, gerade auch um die Verfahren zu entlasten. Ein Instrument dafür, das sich in der Praxis bereits gut bewährt hat, ist der Abschluss verfahrensbegleitender Vereinbarungen. Die nachstehenden Ausführungen geben einen Überblick über die Möglichkeiten zum Abschluss von Vereinbarungen in Ergänzung zum Planfeststellungsverfahren.
I I . Rechtlicher Rahmen fiir Vereinbarungen 1. Rechtsnatur Welche Rechtsnatur eine Vereinbarung hat, ob sie öffentlich- oder privatrechtlicher Natur ist, hängt maßgeblich von ihren Inhalten ab. Danach richtet sich, ob etwa die §§ 54 ff. VwVfG oder die Vorschriften des BGB Anwendung finden.
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s. u.a. Steenhoff, DVB1. 1996,1236 ff. s. u.a. Steinberg/Berg/ Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, § 1 Rdn. 59 ff. s. u.a. Steenhoff, UPR 2003, 50, 53 ff.
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Für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i.S.d. § 54 VwVfG (= Verwaltungsvertrag) ist grundsätzlich die Mitwirkung einer Behörde bzw. des Verwaltungsträgers, dem die Behörde zuzuordnen ist 4 , erforderlich. Dies wird zu Recht aus den Regelungen des § 1 Abs. 1 VwVfG (öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden) und des § 9 VwVfG (Begriff des Verwaltungsverfahrens) geschlossen5. Einem privatrechtlich organisierten Vorhabensträger wie etwa der Deutschen Bahn AG ist damit der Abschluss eines Verwaltungsvertrages verwehrt. Allerdings sind Verträge allgemein verwaltungsrechtlicher Natur zwischen Privaten möglich 6 . Eine exakte Zuordnung einer Vereinbarung zu einem bestimmten Rechtskreis ist bei den hier zu betrachtenden Verträgen im Hinblick auf die Bedürfnisse der Praxis i.d.R. nicht notwendig. Häufig werden Fragestellungen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Natur in einem Vertrag geregelt. So können z.B. Fragen des Lärmschutzes (= öffentliches Recht) zusammen mit Fragen des Grunderwerbs (= Zivilrecht) in einer Vereinbarung geregelt werden 7. Für den Abschluss einer Vereinbarung spielt es zunächst keine besondere Rolle, ob die enthaltenen Regelungen öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur sind. Wesentlich ist, dass die jeweiligen speziellen Rechtsvorschriften beachtet werden, insbesondere auch die einschlägigen Formvorschriften (z.B. notarielle Beurkundung beim Grunderwerb). Je nach Rechtsnatur des streitigen Vertragsteils und inwieweit dadurch der Charakter des gesamten Vertrages geprägt wird, können unterschiedliche Rechtswege eröffnet sein.
2. Mögliche Vertragspartner Denkbare Vertragspartner können sein der Vorhabensträger, die Planfeststellungsbehörde einerseits und andererseits vom Vorhaben betroffene Bürger, eine Gemeinde und ggf. auch Träger öffentlicher Belange bzw. nach § 61 BNatSchG anerkannte Vereine. Diese Aufzählung möglicher Vertragspartner ist nicht abschließend. Die Gestaltungsmöglichkeiten fiir die einzelnen denkbaren Vertragspartner sind unterschiedlich. Die Vorschriften der §§ 54 ff. VwVfG finden auch bei Planfeststellungsverfahren Anwendung8. Theoretisch denkbar wäre es also auch, dass eine Planfeststellungsbehörde anstelle des Planfeststellungsbeschlusses gem. § 54 S. 2 VwVfG einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem abschließt, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde. Dies wird aber schon an der Vielzahl 4 5 6 7 8
Kopp, VwVfG, 7. Aufl. 2000, § 54 Rdn. 7. Maurer, AllgVerwR, 13. Aufl. 2000, § 14 Rdn. 7. Kopp a.a.O.; BVerwG NJW 1992, 2908. Kopp, § 54 Rdn. 30. Knack, VwVfG, § 62 Rdn. 2.
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der Adressaten eines Planfeststellungsbeschlusses scheitern. Mit jedem einzelnen Betroffenen einen Vertrag abzuschließen, ist bei Großvorhaben nicht praktikabel. Gerade bei einer Vielzahl von Adressaten kommen die Vorteile einer Planfeststellung mit ihrer umfassenden Regelungs- und Gestaltungswirkung zum Tragen. Besondere Bedeutung kommt auch ihrer enteignenden Vorwirkung zu. Für eine Planfeststellungsbehörde kommt der Abschluss einer Vereinbarung nur bei klar abgegrenzten Einzelfragen in Betracht. Würde im Übrigen die Planfeststellungsbehörde in großem Umfang Vereinbarungen abschließen, liefe sie auch Gefahr, sich Zweifeln an ihrer neutralen Rolle als Zulassungsbehörde auszusetzen. Auch stellt sich das Problem der planerischen Vorwegbindung der Behörde, wenn sie vor einem Planfeststellungsbeschluss Vereinbarungen abschließt. Allerdings ist es der Behörde unbenommen, den Abschluss verfahrensbegleitender Vereinbarungen anzuregen, zu unterstützen und ggf. auch zu moderieren. Dies gilt gerade auch für die Anhörungsbehörde, sofern sie mit der Planfeststellungsbehörde wie etwa bei Verfahren nach § 18 AEG nicht identisch ist. Sinnvoller, da damit auch gleichzeitig derjenige gebunden wird, der die Gesamtverantwortung inkl. der Finanzverantwortung für das Vorhaben trägt, ist der Abschluss verfahrensbegleitender Vereinbarungen durch den Vorhabensträger. Dieser ist insbesondere auch verantwortlich für die Erfüllung von Schutzauflagen aus der Planfeststellung. Er kann in erheblichem Umfang alle mit einem Vorhaben verbundenen Fragestellungen mit den Betroffenen vertraglich regeln. Vertragspartner können insbesondere auf der anderen Seite vor allem durch das Vorhaben betroffene Private sein. Dies sind insbesondere Grundstückseigentümer, deren Flächen für das Vorhaben selbst bzw. für naturschutzrechtlich notwendige Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen benötigt werden. Partner einer Vereinbarung können auch Grundeigentümer sein, die durch Auswirkungen des Vorhabens, sei es durch Lärm bei einem Verkehrsprojekt oder durch Grundwasseranstiege bei einem Hochwasserschutzprojekt, negativ betroffen sein könnten. Bei großen Vorhaben mit einer Vielzahl von Betroffenen kann es allerdings oftmals faktisch Kapazitätsgrenzen beim Vorhabensträger geben, alle Fragen schon im Vorfeld bzw. parallel zur Planfeststellung vertraglich zu regeln; u.U. besteht auch die Gefahr der Verzögerung des nach wie vor notwendigen Planfeststellungsverfahrens. Wichtigster möglicher Vertragspartner sind die örtlichen Gemeinden, auf deren Gemarkung ein Projekt verwirklicht werden soll. Den Gemeinden kommt hier eine besonders wichtige Funktion auf verschiedenen Ebenen zu. Sie sind in großem Umfang Grundeigentümer. Für ein fachplanerisches Vorhaben sollen vorrangig Grundstücke der öffentlichen Hand in Anspruch genommen werden 9.
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s. Vallendar,
UPR 2003, 41; vgl. BVerwGE 66, 133, 137.
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Die Gemeinden sind wichtige Träger öffentlicher Belange, und sie repräsentieren ihre Gemeindebürger. Sie sind insoweit „Sachwalter" ihrer Bürger und können gerade in Vereinbarungen mit einem Vorhabensträger stellvertretend fur ihre Bürger kritische Fragen einer für alle Seiten befriedigenden Lösung zuführen. Partner einer Vereinbarung können auch die nach § 61 BNatSchG anerkannten Vereine sein, mit denen Fragen des Naturschutzes geregelt werden können, z.B. Fragen der Einbeziehung der Vereine bei der Auswahl und Pflege von für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorgesehenen Flächen.
3. Zu beachtende Rechtsvorschriften Bei der inhaltlichen Gestaltung der Vereinbarungen sind einige Rechtsvorschriften zwingend zu beachten. Soweit es sich um einen Verwaltungsvertrag i.S.d. § 54 VwVfG handelt, kommt besonders dem Verbot sachwidriger Koppelung nach § 56 VwVfG Bedeutung zu. Dies gilt gerade auch bei Vorhabensträgern der öffentlichen Hand. Diese Vorschrift kann auch nicht vertraglich abgedungen werden 10. Ferner sind bei öffentlich-rechtlichen Verträgen das Schriftformerfordernis nach § 57 VwVfG und die besonderen Kündigungsbestimmungen in § 60 VwVfG zu beachten. Soweit die Vereinbarung zivilrechtlich zu beurteilen ist, besteht grundsätzlich Vertragsfreiheit. Allerdings sollte auch hier bei öffentlichen Planungsträgern das Verbot der sachwidrigen Koppelung nach § 56 VwVfG zumindest analog zum Schutz gerade der betroffenen Bürger gelten. Des Weiteren sind auch die vertraglichen Nichtigkeitsgründe des § 134 BGB (Gesetzliches Verbot) und § 138 BGB (Sittenwidrigkeit) zu beachten. Gerade bei grundstücksbezogenen Vereinbarungen besteht die Verpflichtung zur notariellen Beurkundung nach § 31 l b BGB. Soweit etwa ein Vorhabensträger bei Vereinbarungen mit Privaten vorformulierte Standardverträge verwendet, sind u.U. auch die Regelungen über die Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingen (AGB) nach §§ 305 ff. BGB zu beachten. Auf Verträge mit Gemeinden finden diese Vorschriften nur eingeschränkt Anwendung, da sie juristische Personen des öffentlichen Rechts sind (§310 Abs. 1 BGB). Für einen öffentlichen Vorhabensträger sind als zwingendes Innenrecht auch die Vorschriften der Haushaltsordnungen relevant, wie z.B. die Verpflichtung zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 7 LHOBaWü). So kann dieser keine kostenträchtigen Zusagen gegenüber Dritten eingehen, ohne dass dafür ein sach-
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Kopp, § 56 Rdn. 1.
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licher Grund, z.B. eine gesetzliche Verpflichtung, vorliegt. So stellt etwa ein Grunderwerb zu völlig überzogenem Preis einen Verstoß gegen das Haushaltsrecht dar. Auch wenn ein Vorhabensträger privatrechtlich wie die Deutsche Bahn AG organisiert ist, so gelten die Verpflichtungen des Haushaltsrechts, soweit er Empfänger öffentlicher Zuwendungen ist (i.d.R. Nebenbestimmung im Zuwendungsbescheid). Allerdings macht ein Verstoß gegen haushaltsrechtliche Bestimmungen eine Vereinbarung im Außenverhältnis nicht unwirksam, da das Haushaltsrecht keine Außenwirkung gegenüber Dritten entfaltet.
4. Verhältnis zur Planfeststellung Der Inhalt von verfahrensbegleitenden Vereinbarungen darf nicht im Widerspruch zur Planfeststellung stehen. Wegen seiner umfassenden Gestaltungswirkung gehen die Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses widersprechenden vertraglichen Regelungen vor. Dies gilt aber nur insoweit, als im Planfeststellungsbeschluss auch eine Regelung getroffen werden kann. Zulässig ist es im Übrigen, vertragliche Regelungen, die über das gesetzlich geforderte Minimum hinausgehen, zugunsten von Betroffenen zu treffen. Allerdings wird dazu ein öffentlicher Vorhabensträger im Hinblick auf seine Bindung an das Haushaltsrecht nur eingeschränkt bereit sein. Sinnvoll ist es, Regelungen aus Vereinbarungen soweit wie möglich in den Planfeststellungsbeschluss zu übernehmen. Dadurch werden die Betroffenen auch besser abgesichert, da ihnen somit zwei Anspruchsgrundlagen gegen einen Vorhabensträger zur Verfugung stehen (Nebenbestimmung aus dem Planfeststellungsbeschluss und vertragliche Regelung). Zu welchem Zeitpunkt eine Vereinbarung abzuschließen ist, vor, während oder nach der Planfeststellung, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Zweckmäßig ist es, möglichst viel schon vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses zu regeln, um so das förmliche Verwaltungsverfahren zu entlasten. Um die enge Verbindung zur Planfeststellung sicherzustellen, kann es sinnvoll sein, Vereinbarungen in ihrer Wirksamkeit aufschiebend zu bedingen (Vorliegen eines bestandskräftigen bzw. sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses).
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I I I . Inhalte von Vereinbarungen Vereinbarungen können wie schon ausgeführt die vielfältigsten Fragestellungen regeln. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien die folgenden Regelungsinhalte genannt: •
Grunderwerb bzw. Bestellung von Dienstbarkeiten;
•
Entschädigungen;
•
Beweisfragen: Hier sind Vereinbarungen zur Beweiserleichterung bis hin zur Einrichtung einer Schiedsstelle denkbar; eine Umkehr der Beweislast in Bezug auf Vorhabensauswirkungen, wie dies häufig gefordert wird, ist a ber, soweit keine zwingende gesetzliche Regelung besteht, rechtlich unzulässig, da damit gegen beweisrechtliche Grundregeln verstoßen würde.
•
Einzelfragen der Maßnahmengestaltung insbesondere auch von ökologischen Maßnahmen;
•
Fragen des Baubetriebs: Dazu gehören z. B. Regelungen über die Verpflichtung zur Wiederherstellung vorübergehend während des Baus in Anspruch genommener Grundstücke.
•
Rechtsverzicht: Soweit ein Rechtsverzicht wegen weitergehender Entschädigungs-, Unterlassungs- und sonstiger Ansprüche gegen das Vorhaben entsprechend dem Regelungsumfang der Vereinbarung nicht schon ausdrücklich in der Vereinbarung geregelt wird, ergeben sich die Wirkungen eines Rechtsverzichts aus dem Rechtsgedanken des venire contra factum proprium (insoweit bestünden auch Schwierigkeiten, eine Klagebefugnis gegen den Planfeststellungsbeschluss zu begründen).
•
Weiteres.
IV. Vorteile und Grenzen von Vereinbarungen Vereinbarungen erhöhen die Akzeptanz eines Vorhabens. Bürger und Gemeinden sind gleichberechtigte Vertragspartner. Vereinbarungen werden „auf gleicher Augenhöhe" abgeschlossen. Bürger bzw. Gemeinden sind nicht nur Adressaten der hoheitlichen Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses. Gerade auch Fragestellungen, die Planfeststellungsverfahren stark belasten können wie z.B. Entschädigungsfragen, die aber meist nicht abschließend im Planfeststellungsbeschluss geregelt werden können, können so einvernehmlich geregelt werden. Vorteile eines solchen Vorgehens bestehen für beide Seiten. Der Vorhabensträger etwa erreicht höhere Akzeptanz, die andere Vertragspartei kann ihre persönlichen Belange besser einbringen und erhält eine zusätzliche Absi-
Vereinbarungen in Ergänzung zum Planfeststellungsverfahren
151
cherung ihrer Interessen. Die Möglichkeiten zu interessengerechten Detailregelungen sind größer als allein im Planfeststellungsverfahren. Die Chancen zur Optimierung der Lösung eines planerischen Konfliktes wachsen. Diesen Vorteilen stehen aber mögliche Nachteile gegenüber. Gerade bei einem öffentlichen Vorhabensträger droht die Gefahr der Monetarisierung von Verwaltungsleistungen bzw. umgekehrt die Gefahr des Ausverkaufs von Hoheitsrechten 11. Vertragliche Regelungen können sich zu Lasten Dritter oder der Allgemeinheit auswirken. Diesen Gefahren lässt sich aber durch strikte Bindung an das Haushaltsrecht, das einschlägige Fachrecht und an das Verbot der sachwidrigen Koppelung begegnen. Der Abschluss verfahrensbegleitender Vereinbarungen stellt oftmals einen erheblichen Aufwand dar. Allerdings ist gerade bei komplexen Großvorhaben sowieso eine umfassende Abstimmung mit den Betroffenen im Vorfeld einer Planfeststellung notwendig, damit das Vorhaben Erfolg haben kann. Zwingende Voraussetzung für den Abschluss einer Vereinbarung ist aber der entsprechende Wille zur vertraglichen Gestaltung und Bindung. Sind etwa bei einem Vorhaben die Fronten zwischen Betroffenen und Vorhabensträger völlig verhärtet, werden vertragliche Regelungen kaum möglich sein. In solchen Fällen sind die Fragen allein im förmlichen Planfeststellungsverfahren zu klären und zu regeln. Zu einer Vereinbarung kann niemand gezwungen werden, es besteht kein Kontrahierungszwang.
V. Schlussbemerkung Verfahrensbegleitende Vereinbarungen sind kein Allheilmittel, um die durch der Planfeststellung unterliegende Vorhaben ausgelösten Konflikte zu lösen. Sie können aber die Verfahren erheblich entlasten und zu für alle Seiten befriedigenden Regelungen beitragen. Es besteht ein erhebliches Potenzial für solche Vereinbarungen. Gerade Vorhabensträger sollten in großem Umfang von diesem zeitgemäßen Instrument Gebrauch machen.
11
Dazu Kopp, § 54 Rdn. 11.
Probleme der „landesplanerischen Letztentscheidung44 im System der Raumordnungsplanung Von Reinhard Hendler
I. Raumordnungsziele als landesplanerische Letztentscheidungen Den Ausdruck „landesplanerische Letztentscheidung" sucht man in den Gesetzestexten vergebens. Er gehört nicht der Gesetzessprache an, sondern wird in Rechtsprechung1 und Fachliteratur 2 verbreitet zur näheren Charakterisierung des Begriffs der Ziele der Raumordnung verwandt, wobei teilweise auch von „raumordnerischer Letztentscheidung" die Rede ist 3 . Nach der Begriffsbestimmung des § 3 Nr. 2 ROG sind unter Zielen der Raumordnung verbindliche, räumlich und sachlich bestimmte und bestimmbare Festlegungen in Raumordnungsplänen zu verstehen. Die Festlegungen können dabei textlicher oder zeichnerischer Art sein. Sie dienen der Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Ihr kennzeichnendes Merkmal besteht darin, dass sie auf einer abschließenden Abwägung des Trägers der Raumordnungsplanung für das Landesgebiet oder die Region beruhen. Das Merkmal der abschließenden Abwägung stellt ein wesentliches Kriterium für die Unterscheidung von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung dar.
1
Vgl. z.B. BVerwGE 90, 329 (334); BVerwG, NVwZ 2002, 476 (476); NdsOVG, BauR 1996, 348 (348); UPR 2000, 396 (397); HessVGH, NVwZ 2003, 229 (230, 231); BbgOVG, Urt. v. 24.8.2001 - 3 D 4 / 99. NE (n.v.), S. 14, 26. 2 Vgl. neben anderen Günter Halama, Durchsetzung und Abwehr von Zielen der Raumordnung und Landesplanung auf der Gemeindeebene, in: Berkemann et al. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle. Entwicklungen im Bau- und Fachplanungsrecht, Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S. 201 (202); Werner Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, 2. Aufl. 2002, § 3 Rn. 16; Wilfried Erbguth/ Jörg Wagner, Bauplanungsrecht, 3. Aufl. 1998, Rn. 188; Udo Steiner, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1999, S. 745 (750 f.); Hans-Georg Gierke , in: Brügelmann (Mitbegr.), Baugesetzbuch, Bd. 1, Loseblattkommentar (Stand: Sept. 2002), § 1 Rn. 309. 3 OVG Rh-Pf., ZNER 2002, 242 (244); Manfred Gubelt / Stefan Muckel, Fälle zum Bau- und Raumordnungsrecht, 5. Aufl. 2001, S. 177.
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Bei den Raumordnungsgrundsätzen handelt es sich nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 3 ROG um allgemeine Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen. Sie ergeben sich aus § 2 Abs. 2 ROG und - soweit die Länder von der Ermächtigung des § 2 Abs. 3 ROG Gebrauch machen - aus dem Landesrecht. Über das Verhältnis von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung trifft das Raumordnungsgesetz nähere Regelungen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 ROG sind die Grundsätze durch Raumordnungspläne zu konkretisieren und dabei untereinander und gegeneinander abzuwägen. Es ist davon auszugehen, dass für die Konkretisierung vor allem Ziele in Betracht kommen, zumal diese ausschließlich in Raumordnungsplänen enthalten sind und regelmäßig deren Hauptbestandteile bilden. Die Zielfestlegung erweist sich danach als Konkretisierung der allgemeinen Aussagen der Raumordnungsgrundsätze auf der Grundlage einer abschließenden Abwägung durch die Träger der hochstufigen und regionalen Raumordnungsplanung. Was den Ausdruck der landesplanerischen Letztentscheidung angeht, so knüpft dieser an das Merkmal der abschließenden Abwägung an, durch das sich die Ziele der Raumordnung auszeichnen und von den Raumordnungsgrundsätzen abheben. Der Ausdruck wird namentlich auch vom Bundesverwaltungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung zu Eigenart und Bedeutung der Raumordnungsziele verwandt. Das Gericht erklärt, dass die Ziele anders als die Grundsätze der Raumordnung nicht bloß Maßstab, sondern das Ergebnis landesplanerischer Abwägung seien. Und unmittelbar im Anschluss hieran ist hinsichtlich des herausgestellten Ergebnischarakters von landesplanerischer Letztentscheidung die Rede.4 Wie nach alledem festzuhalten bleibt, stellt ein Raumordnungsziel insofern eine landesplanerische Letztentscheidung dar, als es das Ergebnis einer abschließenden Abwägung auf der Ebene der Raumordnungsplanung ist.
I I . Landesplanerische Letztentscheidung und Zielberücksichtigungspflicht Da sich ein Raumordnungsziel als Letztentscheidung im Sinne eines Abwägungsergebnisses erweist, ist es nicht auf weitere Abwägung, sondern auf Befolgung, Einhaltung, Anpassung oder Beachtung angelegt. Dem tragen ver-
4
BVerwGE 90, 329 (333 f.).
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schiedene Beachtens- und Anpassungsvorschriften Rechnung,5 die eine strikte Zielbindung statuieren. Anders verhält es sich demgegenüber mit den Raumordnungsgrundsätzen. Angesichts ihrer Eigenschaft als Abwägungsmaßstäbe6 geht es bei ihnen nicht um Befolgung, Einhaltung, Anpassung oder Beachtung, sondern (lediglich) darum, dass sie in diskretionäre Verwaltungsentscheidungen einbezogen werden. Nach der Begriffsbestimmungsnorm des § 3 Nr. 3 ROG sind sie „Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- und Ermessensentscheidungen". Dies bedeutet, dass sie zwar bei der behördlichen Abwägung bzw. Ermessensausübung zu berücksichtigen sind, aber hier durchaus hinter andere (gewichtigere) Belange zurückgestellt werden können. Pflichten zur Berücksichtigung von Raumordnungsgrundsätzen sind in etlichen Vorschriften enthalten.7 Allerdings besteht auch im Hinblick auf Raumordnungsziele zum Teil bloß eine Berücksichtigungspflicht, wie aus § 4 Abs. 4 ROG hervorgeht. Die Vorschrift bezieht sich auf behördliche Zulassungsentscheidungen über raumbedeutsame Maßnahmen Privater und regelt insoweit die Bindungswirkung der Erfordernisse der Raumordnung, zu denen sowohl die Ziele als auch die Grundsätze der Raumordnung gehören (§ 3 Nr. 1 ROG). Im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 4 ROG sind die Ziele ebenso wie die Grundsätze lediglich in Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen. Sie können daher gegebenenfalls auch hinter andere Belange zurückgestellt werden, sofern diesen von der Behörde ein höheres Gewicht beigemessen wird. Eine Beachtens- oder Anpassungspflicht ist demnach nicht schon begrifflich mit den Raumordnungszielen verbunden. Sie stellt kein Merkmal, auch keine notwendige Folge der Begriffsbestimmungsnorm des § 3 Nr. 2 ROG dar, sondern ergibt sich erst aus besonderer gesetzgeberischer Anordnung. 8 Freilich entspricht eine derartige Anordnung in erhöhtem Maße dem Charakter der Raumordnungsziele als landesplanerische Letztentscheidungen im Sinne abschließender Abwägungsergebnisse auf der Ebene der Raumordnungsplanung. Vor dem dargelegten Hintergrund wird zugleich deutlich, dass die in der Begriffsbestimmungsnorm des § 3 Nr. 2 ROG ausdrücklich angesprochene Verbindlichkeit der Raumordnungsziele kein Unterscheidungsmerkmal zu den 5 Vgl. insbesondere § 4 Abs. 1 ROG und § 1 Abs. 4 BauGB sowie ferner z.B. § 4 Abs. 3 in Verb, mit Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 ROG, § 29 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 KrW- / AbfG, § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BNatSchG, § 36 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1, § 36 b Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 WHG. 6 BVerwGE 90, 329 (333). 7 Vgl. z.B. § 4 Abs. 2 sowie Abs. 3 in Verb, mit Abs. 2 ROG, § 29 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 KrW-/AbfG, § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BNatSchG, § 36 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, § 36 b Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 WHG. 8 Zu den diesbezüglichen Vorschriften vgl. die Nachweise oben in Fn. 5.
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Raumordnungsgrundsätzen darstellt. Denn die Grundsätze sind ebenfalls verbindlich, und zwar insofern, als sie von öffentlichen Stellen, gelegentlich auch von Personen des Privatrechts, zu berücksichtigen sind (§ 4 Abs. 2 bis 4 ROG).
I I I . Landesplanerische Letztentscheidung, Zieloffenheit und rechtsstaatliches Bestimmtheitsgebot Wenngleich Raumordnungsziele den Charakter landesplanerischer Letztentscheidungen tragen, so schließt dies keineswegs aus, dass sie konkretisierungsfähig sind. Im Gegenteil: Sie sind - wie es das Bundesverwaltungsgericht ausdrückt - tendenziell auf weitere Konkretisierung anlegt.9 Dies gilt namentlich im Hinblick auf die von den Gemeinden eigenverantwortlich wahrgenommene Bauleitplanung. Insoweit bestehen bereits verfassungsrechtliche Grenzen für die Detailfreudigkeit von Raumordnungsplänen. Die Grenzen ergeben sich aus der in Art. 28 Abs. 2 GG enthaltenen kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die auch die gemeindliche Planungshoheit umfasst. Aufgrund dieser Garantie sind die Träger der Raumordnungsplanung bei der Zielfestlegung grundsätzlich auf rahmenhafte Vorgaben beschränkt. Die in den Raumordnungszielen enthaltenen landesplanerischen Letztentscheidungen beruhen nach bundesverwaltungsgerichtlicher Charakterisierung 10 auf einem Ausgleich spezifisch landesplanerischer Konflikte und einer Abwägung landesplanerischer Gesichtspunkte. Sie bieten Lösungen, die auf der Ebene der Raumordnungsplanung keiner Ergänzung mehr bedürfen, auf nachgeordneten Planungsebenen jedoch grundsätzlich noch einer Verfeinerung und Ausdifferenzierung zugänglich sind. Wie groß der Verfeinerungs- und Ausdifferenzierungsspielraum ist, hängt vom jeweiligen Konkretisierungsgrad der Zielaussage ab. Je nachdem, ob ein Ziel eine eher geringe inhaltliche Dichte aufweist und damit für nachgeordnete Planungen mehrere Ausgestaltungsvarianten offenlässt, oder aber durch eine hohe Aussageschärfe gekennzeichnet ist, die keine oder nur marginale Ausgestaltungsmöglichkeiten eröffnet, entfaltet es für die anpassungs- oder beachtenspflichtigen Rechtssubjekte mehr oder weniger weitreichende rechtliche Bindungswirkungen. Die in den Anpassungs- und Beachtenspflichten zum Ausdruck kommende Rechtsbindung ist strikt in dem Sinne, dass Ziele nicht im Wege der Abwägung überwunden werden können. Sie bedeutet indessen nicht, dass zielinterne Konkretisierungen ausscheiden.
9 10
BVerwGE 90, 329 (334). BVerwGE 90, 329 (335 f.).
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Andererseits müssen Raumordnungsziele ungeachtet ihrer Konkretisierungsfähigkeit hinreichend bestimmt sein. Denn fur die anpassungs- oder beachtenspflichtigen Rechtssubjekte muss erkennbar sein, welche der von ihnen zu verantwortenden Maßnahmen in welchem territorialen Bereich zulässig bzw. unzulässig sind. Dies folgt aus dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Es verhält sich hier ähnlich wie bei den Rechtsvorschriften. Diese können generalklauselartig oder detailliert gefasst sein, doch müssen selbst die Generalklauseln den Bestimmtheitsanforderungen genügen, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben. In der Begriffsbestimmungsnorm des § 3 Nr. 2 ROG wird den betreffenden Anforderungen dadurch Rechnung getragen, dass die Raumordnungsziele als verbindliche Vorgaben in Form von „räumlich und sachlich bestimmten und bestimmbaren" Festlegungen definiert werden.
IV. Zu den Voraussetzungen landesplanerischer Letztentscheidung in ausgewählten Fällen Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen eine landesplanerische Letztentscheidung vorliegt. Wer hierüber Klarheit gewinnen möchte, darf sich nicht auf die Betrachtung des Ausdrucks „landesplanerische Letztentscheidung" beschränken. Denn der Ausdruck wird - wie eingangs dargelegt 11 - in der Gesetzessprache nicht verwandt. Vielmehr knüpft er an das zentrale, in § 3 Nr. 2 ROG ausdrücklich angesprochene Begriffsmerkmal des Raumordnungsziels, die abschließende Abwägung, an. Infolgedessen erweist es sich als unerlässlich, sich diesem gesetzlichen Begriffsmerkmal zuzuwenden. Klärungsbedürftig ist hier, ob die Abwägung in jeder Hinsicht abschließend sein muss oder ob es genügt, wenn sie teilweise, d.h. hinsichtlich bestimmter Belange oder Komponenten, abschließend ist. Die Klärung dieser Frage besitzt maßgebliche Bedeutung für die raumordnungsrechtliche Klassifizierung von Vorbehaltsgebieten (einschließlich ähnlicher raumordnungsplanerischer Festlegungen), Soll-Zielen, Inder-Regel-Zielen sowie besonderen raumordnerischen Aussagen zu Standortplanungen.
1. Vorbehaltsgebiete und ähnliche raumordnungsplanerische Festlegungen Unter Vorbehaltsgebieten sind nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ROG solche Gebiete zu verstehen, in denen bestimmten raumbedeutsamen
11
Vgl. oben Gliederungsabschnitt I.
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Funktionen und Nutzungen besonderes Gewicht beigemessen werden soll. Lebhaft erörtert und unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob es sich hierbei um Ziele 12 oder Grundsätze 13 der Raumordnung handelt. Praktische Bedeutung hat die Beantwortung der Frage vor allem für die Anwendung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Denn sofern Vorbehaltsgebiete als Raumordnungsgrundsätze zu qualifizieren wären, könnten mit ihnen die in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausschlusswirkungen nicht erreicht werden. Folgen ergäben sich daraus namentlich für die bayerische Regionalplanung, die bei der Ausweisung von Standortflächen (Konzentrationszonen) für Windkraftanlagen oder Bodenabbauvorhaben häufig lediglich mit Vorbehaltsgebieten arbeitet. Die Einordnung als Ziel und damit als landesplanerische Letztentscheidung setzt voraus, dass die Festlegung von Vorbehaltsgebieten auf einer abschließenden Abwägung im Sinne des § 3 Nr. 2 ROG beruht. Insoweit ist zunächst bedeutsam, dass derartige Festlegungen auf eine nachfolgende Abwägung zielen, in der hinsichtlich des konkreten Einzelfalls entschieden wird, ob sich die mit einem besonderen Gewicht ausgestatteten Belange im Ergebnis durchsetzen oder möglicherweise hinter andere, noch gewichtigere Belange zurückgestellt werden. Dies spricht vor dem Hintergrund der Begriffsbestimmung des § 3 Nr. 3 ROG dafür, die Vorbehaltsgebiete den Raumordnungsgrundsätzen zuzuordnen.
12
So Konrad Goppel, Ziele der Raumordnung, BayVBl. 1998, 289 (291); ders., Glaubenskrieg um die Soll-Ziele, BayVBl. 2002, 449 (450); Franz-Joseph Peine, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2003, Rn. 237; Gerrit Manssen., Differenzierung vertikaler Verwaltungsstrukturen durch Raum- und Regionalplanung, in: Wallerath (Hrsg.), Administrative Strukturen und Verwaltungseffizienz, 1998, S. 31 (39 f.); Reinhard Hendler, in: Koch / Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 3. Aufl. 2001, § 3 Rn. 35; BayVGH, BayVBl. 1998, 436 (437); NuR 1997, 291 (293); BayVBl. 1997, Ì 78 ff. 13 So Peter Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Loseblattausgabe (Stand: Juli 2002), Κ § 3 Rn. 185; Wilfried Erbguth, Eignungsgebiete als Ziele der Raumordnung?, DVB1. 1998, 209 (212); Willy Spannowsky, Gewichtsverschiebungen im Verhältnis zwischen der örtlichen Bauleitplanung und der überörtlichen Landes- und Regionalplanung, DÖV 1997, 757 (763); Steiner (Fn. 2), S. 764 f. (Rn. 57); Gierke (Fn. 2), § 1 Rn. 315, 368a; Margarete Spiecker, Raumordnung und Private, 1999, S. 237 ff.; Susan Grotefels, Vorrang·, Vorbehalts- und Eignungsgebiete in der Raumordnung (§ 7 Abs. 4 ROG), in: Erbguth et al. (Hrsg.), Planung, Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 369 (376 ff.); Heinrich Amadeus Woljf, Die raumordnungsrechtliche Qualifizierung der Vorbehaltsgebiete in bayerischen Raumordnungsplänen, BayVBl. 2001, 737 (740); Richard Bartlsperger, Raumordnungsgebiete mit besonderer Funktion (Vorrang-, Vorbehalts· und Eignungsgebiete), in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Zur Novellierung des Landesplanungsrechts aus Anlaß des Raumordnungsgesetzes 1998, Arbeitsmaterial Nr. 266, 2000, S. 119 (150 ff.); BayVGH, BayVBl. 1996, 81 (82).
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Andererseits weist ein Vorbehaltsgebiet insofern eine abschließend abgewogene Komponente auf, als der Umstand, dass einer bestimmten raumbedeutsamen Funktion oder Nutzung ein „besonderes Gewicht beigemessen werden soll", in nachfolgenden Abwägungs- und Ermessensentscheidungen nicht mehr zur Disposition steht. Zwar enthält § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ROG hinsichtlich der Beimessung eines „besonderen Gewichts" lediglich eine Soll-Verpflichtung. Doch erweist es sich in dem hier behandelten Zusammenhang als unerheblich, ob diese Verpflichtung im Sinne einer verwaltungsrechtlichen Soll-Vorschrift oder - entgegen dem Wortlaut - im strengeren Sinne einer Muss-Vorschrift zu verstehen ist. 14 Denn Soll-Vorschriften sind grundsätzlich ebenso verbindlich wie Muss-Vorschriften, sie erlauben lediglich Ausnahmen in atypischen Fällen. 15 Es ist demzufolge den Abwägenden nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ROG zumindest für den Regelfall verwehrt, die durch das Vorbehaltsgebiet herausgehobene raumbedeutsame Funktion oder Nutzung nur mit einem einfachen Gewicht zu berücksichtigen. Dies geht über die Rechtswirkung eines Raumordnungsgrundsatzes hinaus. Denn die Festlegung eines Grundsatzes zielt lediglich auf die Einstellung eines bestimmten Sachgesichtspunkts in die Abwägung. Dagegen bedeutet die Festlegung eines Vorbehaltsgebiets, dass ein bestimmter Sachgesichtspunkt (zumindest im Regelfall) zwingend mit einem erhöhten Gewicht in die Abwägung einzustellen ist. Hinsichtlich des erhöhten Gewichts trägt die Festlegung eines Vorbehaltsgebiets mithin landesplanerischen Letztentscheidungscharakter. Für die Klärung der Frage, ob die in Raumordnungsplänen festgelegten Vorbehaltsgebiete als Grundsätze oder Ziele der Raumordnung zu qualifizieren sind, ist von besonderer Bedeutung, dass diese Gebietsfestlegungen dem Wortlaut der Zieldefinition des § 3 Nr. 2 ROG genügen. Da sie bestimmten raumbedeutsamen Funktionen oder Nutzungen ein erhöhtes Gewicht vermitteln, das nicht mehr zur Disposition plangebundener Dritter steht, erfüllen sie namentlich das Merkmal der abschließenden Abwägung durch die Träger der Raumordnungsplanung. Der Wortlaut des § 3 Nr. 2 ROG lässt es zu, auch solche planerischen Festlegungen, die nicht insgesamt, sondern nur hinsichtlich eines Bestandteils abschließend abgewogen worden sind, den Zielen der Raumordnung zuzurechnen.
14
Werner Hoppe, Die rechtliche Wirkung von Zielen der Raumordnung und Landesplanung gegenüber Außenbereichsvorhaben (§35 Abs. 3 Satz 3 BauGB), DVB1. 1993, 1109 (1110), behandelt die Thematik der Soll-Vorschrift unter dem Gesichtspunkt, inwieweit die Gemeinden befugt sind, die Vorbehaltsgebietsbelange in der Abwägung hinter andere Belange zurückzustellen. Streng genommen geht es hier jedoch um die Frage, ob die Gemeinden die Vorbehaltsgebietsbelange ausnahmsweise auch einmal mit einem einfachen Gewicht in die Abwägung einstellen dürfen. 15 Vgl. dazu Reinhard Hendler, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2001, Rn. 177 m.w.N.
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Dagegen wird zwar geltend gemacht, die Unterscheidung zwischen Grundsätzen und Zielen der Raumordnung werde verwischt, wenn Vorbehaltsgebiete in die Zielkategorie eingeordnet würden. 16 Dieser Einwand vermag indes nicht zu überzeugen. Zwar stellen auch in Raumordnungsplänen festgelegte Grundsätze - wie bereits ausgeführt 17 - verbindliche Vorgaben in dem Sinne dar, dass sie in nachfolgenden Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen sind (§ 3 Nr. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 bis 4 ROG). 18 Doch selbst dann, wenn zusätzlich angenommen wird, dass die Festlegung eines Grundsatzes auf einer abschließenden landesplanerischen Abwägung beruht, weil der betreffende Träger der Raumordnungsplanung gerade den im festgelegten Grundsatz enthaltenen Sachgesichtspunkt bei nachfolgenden Abwägungs- und Ermessensentscheidungen plangebundener Dritter berücksichtigt wissen will, lassen sich Raumordnungsgrundsätze und Raumordnungsziele zuverlässig voneinander abgrenzen. Denn für die Einstufung einer raumordnungsplanerischen Festlegung als Ziel ist entscheidend, dass der in der Festlegung zum Ausdruck kommende Sachgesichtspunkt nicht nur auf einfache Berücksichtigung angelegt ist, sondern mindestens noch eine Komponente enthält, die nicht mehr zur Disposition plangebundener Dritter steht. Dass der Begriff des Raumordnungsziels nicht eine in jeder Hinsicht abschließende Abwägung verlangt, geht im Übrigen aus der Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB deutlich hervor. Danach stehen öffentliche Belange einem privilegierten Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB nicht entgegen, soweit die Belange bei der Darstellung dieser Vorhaben als Ziele der Raumordnung in hochstufigen oder regionalen Raumordnungsplänen abgewogen worden sind. Dem lässt sich entnehmen, dass es auch Ziele gibt, bei denen sich die in § 3 Nr. 2 ROG angesprochene abschließende Abwägung auf einen Teil der relevanten öffentlichen Belange beschränkt. Die in dem Soweit-Satz des § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB zum Ausdruck kommende Möglichkeit der Abwägungsbeschränkung bezieht sich nicht etwa auf Belange, deren Abwägung in der Raumordnungsplanung aus ebenenspezifischen Gründen von vornherein ausscheidet. Es geht vielmehr um Belange, die zum Abwägungsmaterial der Raumordnungsebene gehören 19, auf deren Abwägung der Träger der Raumordnungsplanung jedoch aus besonderen Gründen verzichtet hat, etwa weil noch nicht feststeht, ob das Vorhaben überhaupt verwirklicht wird, und es daher
16
Peter Runkel, Das neue Raumordnungsgesetz, WiVerw. 1997, 267 (289). Vgl. oben Gliederungsabschnitt II a.E. 18 Dies hebt Runkel (Fn. 13), WiVerw. 1997, 289, in dem hier behandelten Zusammenhang hervor. 19 Vgl. dazu auch Michael Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, Baugesetzbuch, 8. Aufl. 2002, § 35 Rn. 73: „In Betracht kommen nur Belange, die aus der Sicht der Raumordnung abzuwägen sind". 17
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ressourcenökonomisch unzweckmäßig wäre, bereits auf der Ebene der überörtlichen und überfachlichen Planung eine ebenso komplexe wie aufwendige Gesamtabwägung vorzunehmen. Ein Beispiel mag die dargelegten Zusammenhänge verdeutlichen: Ist in einem Regionalplan eine Standortfläche fur die Windenergienutzung zielformig festgelegt worden, so darf der Errichtung von Windenergieanlagen nicht die Verunstaltung des Landschaftsbilds (§35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) entgegengehalten werden, wenn Landschaftsbildbelange bereits bei der Standortausweisung in die planerische Abwägung einbezogen worden sind. Die Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB setzt voraus, dass die hier in Rede stehende Zielfestlegung auch ohne Abwägung der Landschaftsbildbelange getroffen werden kann, obwohl diese fur die Festlegung relevant sind. Der Träger der Regionalplanung kann demnach seine Abwägung auf bestimmte Gesichtspunkte beschränken, wie z.B. die WindhöfFigkeit, die Anbindung an das Stromnetz, die Abstände zur Wohnbebauung sowie den Vogelschutz. Durch die Beschränkung wird nicht etwa die Zielqualität der Standortausweisung oder die Rechtmäßigkeit des Ziels in Frage gestellt.20 Die Folge ist lediglich, dass die Genehmigung fur die Errichtung der Windenergieanlagen wegen entgegenstehender Landschaftsbildbelange versagt werden kann, da diese Belange auf der Ebene der Regionalplanung nicht abgewogen worden sind. Allerdings obliegt dem Regionalplanungsträger die rechtsstaatliche Pflicht, hinreichend zu verdeutlichen, auf welche Belange sich die von ihm vorgenommene Abwägung bezieht, damit der Umfang der Rechtswirkung des betreffenden Raumordnungsziels erkennbar ist. 21 Hervorgehoben sei zudem, dass die hier angestellten Erwägungen allein fur § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB gelten. Die für die Planungspraxis besonders bedeutsamen Ausschlusswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB lassen sich nur auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung erzielen. Werden aufgrund dieser Regelung Standortflächen (Konzentrationszonen) für Windenergieanlagen mit Ausschlussgebieten kombiniert, so müssen die für die Windenergienutzung in den Ausschlussgebieten sprechenden Belange grundsätzlich vollständig erhoben und abgewogen werden. Die Vorschriften des § 7 Abs. 7 Sätze 1, 2 ROG verlangen zwar, dass die Grundsätze der Raumordnung gegeneinander und untereinander abgewogen werden und dass sonstige öffentliche Belange sowie private Belange in der Ab-
20
Vgl. auch Runkel (Fn. 13), Κ § 3 Rn. 77, der daraufhinweist, dass die raumordnerische Abwägung regelmäßig nicht „erschöpfend" sein wird. Er unterscheidet insoweit zwischen einem abschließend abgewogenen, auf strikte Einhaltung angelegten Zielkem und einem konkretisierungsfähigen Zielrahmen, der keiner abschließenden Abwägung bedarf (a.a.O., Rn. 74). Zustimmend BayVerfGH, Entsch. v. 15.7.2002 - Vf. 10-VII-00 u.a., S. 33 (insoweit in DÖV 2003, 78, nicht abgedruckt). 21 Der Sache nach ebenso Krautzberger (Fn. 19), § 35 Rn. 73.
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wägung berücksichtigt werden, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Bei der Auslegung der Vorschriften darf indes nicht übersehen werden, dass es hier entscheidend auf die Abwägungskonzeption des Planungsträgers ankommt. Ist diese Konzeption beispielsweise darauf gerichtet, bei der zielförmigen Festlegung von Standorten für Windenergieanlagen auf bestimmten windhöffigen Flächen nur die Umweltschutzbelange, diese aber vollständig abzuwägen, so sind die nichtökologischen Belange ohne Bedeutung (sofern keine Ausschlusswirkung für die Anlagenerrichtung auf anderen Flächen herbeigeführt werden soll). Werden dagegen einzelne erkennbare ökologische Belange „vergessen" und deshalb nicht berücksichtigt, liegt ein Abwägungsmangel vor, der zur Fehlerhaftigkeit der Zielfestlegung führt. Das Gebot der planerischen Konfliktbewältigung, wonach eine Planung den Ausgleich unter widerstreitenden Belangen grundsätzlich selbst vorzunehmen hat und nicht auf andere Entscheidungsebenen abwälzen darf, gilt im Raumordnungsrecht nicht mit gleicher Strenge wie im Städtebaurecht.22 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Raumordnungsplanung tendenziell auf weitere (planerische) Konkretisierung angelegt ist. 23 Hätte die Raumordnungsplanung regelmäßig sämtliche Konflikte selbst zu lösen, die auf ihrer Ebene lösbar sind, so verlöre sie ihren Rahmencharakter und geriete in eine schwere Kollision mit der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Ein Raumordnungsziel setzt somit keine abschließende Vollabwägung voraus. Darüber darf auch die Charakterisierung als landesplanerische Letztentscheidung nicht hinwegtäuschen. Vor einem entsprechenden Missverständnis dieser Charakterisierung ist in der Fachliteratur bereits zu Recht gewarnt worden. 24 Da sich Vorbehaltsgebiete nach alledem als Raumordnungsziele erweisen, kann auch raumordnungsplanerischen Festlegungen des Inhalts, dass einem bestimmten Sachgesichtspunkt in nachfolgenden Abwägungen plangebundener Dritte besonderes Gewicht beizumessen ist, die Zielqualität nicht abgesprochen werden. Derartige Festlegungen unterscheiden sich vom Vorbehaltsgebiet typischerweise dadurch, dass sich ihre Geltung über den gesamten Planungsraum (Landesgebiet oder Region) erstreckt. Die Vorschrift des § 3 Nr. 2 ROG, der zufolge Ziele räumlich bestimmt oder bestimmbar sein müssen, bedeutet nicht, dass Zielaussagen stets auf einen Teilbereich des jeweiligen Planungsraums zu
22 23 24
Der Sache nach ebenso Runkel (Fn. 13), Κ § 3 Rn. 77. BVerwGE 90, 329 (334). Runkel (Fn. 13),K§3Rn. 78.
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beschränken sind. 25 Vielmehr wird hier lediglich verlangt, dass erkennbar sein muss, flir welche Fläche sie gelten sollen. Hervorgehoben sei, dass raumordnerische Aussagen in Landesplanungsgesetzen, wonach einem bestimmten Sachgesichtspunkt bei Abwägungen besonderes Gewicht beizumessen ist, keine Zielqualität zukommt. Denn in diesem Fall sind die begrifflichen Anforderungen, die § 3 Nr. 2 ROG an die Ziele stellt, nicht erfüllt. Es fehlt an der Festlegung in Raumordnungsplänen sowie - damit zusammenhängend - an der abschließenden Abwägung durch die Träger der Raumordnungsplanung. Die betreffenden landesplanungsgesetzlichen Aussagen stellen Raumordnungsgrundsätze mit relativem Vorrang dar.
2. Soll-Ziele Wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht, verlangt § 3 Nr. 2 ROG für ein Raumordnungsziel nicht, dass eine abschließende Vollabwägung stattgefunden hat. Vielmehr genügt es, wenn eine abschließende Teilabwägung vorliegt. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht in jeder Hinsicht, sondern nur hinsichtlich bestimmter Belange oder Komponenten abschließend ist. Das dargelegte Verständnis des in § 3 Nr. 2 ROG enthaltenen Zielbegriffs hat allerdings weitere Konsequenzen. Aus ihm folgt beispielsweise, dass es einer raumordnungsplanerischen Festlegung nicht allein deshalb am Zielcharakter fehlt, weil sie als Soll-Aussage gefasst ist. 26 Derartige Soll-Ziele sind in Anlehnung an die - bereits erwähnten 27 - verwaltungsrechtlichen Soll-Vorschriften so zu verstehen, dass sie im Regelfall eine strikte Einhaltung verlangen, aber im Ausnahmefall (d.h. bei atypischen oder exzeptionellen Sachverhalten) Abweichungen gestatten. Die abschließende Abwägung des jeweiligen Trägers der Raumordnungsplanung besteht hier darin, dass das mit der Festlegung verbun25
Abweichend Spiecker (Fn. 13), S. 75. BayVGH, BayVBl. 1992, 529 (529); Goppel (Fn. 12), BayVBl. 1998, 291 f.; ders. (Fn. 12), BayVBl. 2002, 450 f.; Spiecker (Fn. 13), S. 91; Hendler (Fn. 12), § 3 Rn. 54; Hans-Jürgen v.d. Heide, in: Cholewa et al., Raumordnung in Bund und Ländern. Kommentar zum Raumordnungsgesetz des Bundes und Vorschriftensammlung aus Bund und Ländern, Loseblattausgabe (Stand: Nov. 2001), § 3 Rn. 24 d; Uwe Folkerts, Raumordnungsziele im Ländervergleich, 1988, S. 63; Hermann Paßlick, Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, 1986, S. 111. Anders Werner Hoppe, „Ziele der Raumordnung" (§ 3 Nr. 2 ROG 1998) in Soll-Formulierungen als „durchgängiges Prinzip der Raumordnung in Bayern", BayVBl. 2002, 129 ff.; ders., Kritik an der textlichen Fassung und inhaltlichen Gestaltung von Zielen der Raumordnung in der Planungspraxis, DVB1. 2001, 81 (88 f.); Werner Sehr oeder, Die Wirkung von Raumordnungszielen, UPR 2000, 52 (53); Wilfried Erbguth, Das Gebot der materiellen Abgrenzung zwischen Grundsätzen und Zielen der Raumordnung, LKV 1994, 89 (92). 27 Vgl. oben Fn. 15. 26
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dene raumordnerische Anliegen grundsätzlich uneingeschränkt umzusetzen ist. Soweit ein Regelfall vorliegt, ist dieses Anliegen der nachfolgenden Abwägung durch plangebundene Dritte entzogen. Gegen die rechtliche Beurteilung, wonach Raumordnungsziele auch als SollAussage gefasst werden können, wird vor allem eingewandt, dass derartige Ziele Abweichungen ermöglichten, die mit § 11 ROG unvereinbar seien.28 Dieser Einwand hebt darauf ab, dass Soll-Ziele gleichsam mit einer integrierten Abweichungsmöglichkeit (für atypische Fälle) ausgestattet sind, während § 11 ROG für Zielabweichungen ein besonderes Verfahren und bestimmte materielle Anforderungen vorsieht. Doch lassen sich hieraus keine entscheidenden Schlussfolgerungen ziehen. Denn ein Verbot von „Zielen mit integrierter Abweichungsmöglichkeit" lässt sich der Vorschrift des § 11 ROG nicht entnehmen. Insoweit gilt es zunächst zu beachten, dass § 11 ROG auch für diese Ziele bedeutsam ist. Die Bedeutung zeigt sich dann, wenn ein Regelfall vorliegt und es um die Frage geht, ob vom Raumordnungsziel gleichwohl abgewichen werden darf. Zum anderen würde die hier in Rede stehende Auslegung des § 11 ROG zu einer spürbaren Einschränkung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums der Länder führen. Denn ihnen würde die Entscheidungsfreiheit darüber genommen, ob zwei Arten von Zielen vorgesehen werden sollen, und zwar einmal Ziele, von denen lediglich unter den erschwerten Bedingungen des § 11 ROG abgewichen werden darf („harte" Ziele), sowie zum anderen Ziele mit einer weniger eng gefassten Abweichungsmöglichkeit („weiche" Ziele). Beide Zielarten vorzusehen, erweist sich durchaus als sinnvoll, da sie je nach Bedeutung des in concreto verfolgten raumordnerischen Anliegens differenziert eingesetzt werden können. Dass den Ländern diese raumordnerische Flexibilität durch § 11 ROG vorenthalten wird, ist nicht anzunehmen. Dem steht namentlich die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung entgegen, der zufolge Vorschriften, die auf der Grundlage der Rahmengesetzgebungskompetenz (Art. 75 GG) ergangen sind, die Gesetzgebungsbefugnis der Länder nicht weiter einschränken sollen, als dies ihr Wortlaut zwingend erfordert. 29 Der Wortlaut des § 11 ROG verbietet den Ländern jedoch keineswegs die Verwendung von „Zielen mit integrierter Abweichungsmöglichkeit". 30
28 Hoppe (Fn. 26), BayVBl. 2002, 134; ders. (Fn. 26), DVB1. 2001, 88 f.; Schroeder (Fn. 26), UPR 2000, 53 f. 29 BVerfGE 93, 319 (341 m.w.N.). 30 Der gegen dieses Ergebnis von Hoppe (Fn. 26), BayVBl. 2002, 134, vorgebrachte Einwand, nach § 3 Nr. 2 ROG gebe es keine „Ziele mit integrierter Abweichungsmöglichkeit", verlässt die Argumentationsebene. Denn ob derartige Ziele die Begriffsmerkmale des § 3 Nr. 2 ROG erfüllen, ist gerade die Streitfrage. Von denjenigen, welche die Streitfrage verneinen, wird § 11 ROG zur Begründung herangezogen. Es zeigt sich
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Auch der von den Vertretern der Gegenansicht hervorgehobene Gesichtspunkt, dass der Adressat der Soll-Ziele über den Ausnahmefall befindet, während die Abweichungsentscheidung nach § 11 ROG durch den zielfestlegenden Träger der Raumordnungsplanung erfolgt, 31 besitzt für die hier geführte Kontroverse kein entscheidendes Gewicht. Denn der Träger der Raumordnungsplanung hat es selbst in der Hand, inwieweit er die rechtliche Prüfung und Entscheidung der Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, den Zieladressaten überlässt. Sofern er wegen der besonderen Bedeutung eines raumordnerischen Anliegens Wert darauf legt, die Zügel möglichst straff zu halten, wird er von der Festlegung eines Soll-Ziels absehen. Andererseits mag er für eine derartige Festlegung dann, wenn es nach seiner Einschätzung um weniger bedeutsame Raumordnungsangelegenheiten geht, gewichtige Gründe haben. Diese können beispielsweise darin bestehen, den Gemeinden zur Schonung ihres verfassungskräftig garantierten Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) verstärkte planerische Entscheidungsfreiräume zu gewähren, ohne bei der Verstärkung gleich so weit zu gehen, wie es bei der Festlegung eines bloßen Raumordnungsgrundsatzes der Fall wäre. Dass in der Gewährung planerischer Entscheidungsfreiräume mit Hilfe von Soll-Zielen - wie Hoppe meint 32 - ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung liegt, ist nicht erkennbar. Zu beachten ist hierbei, dass der jeweilige Zieladressat über die Rechtsfrage zu entscheiden hat, ob seine raumbedeutsame Maßnahme mit dem Ziel übereinstimmt oder nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob das Ziel eine Soll-Aussage oder eine Muss-Aussage enthält. In beiden Fällen ist die Zuständigkeitsordnung gewahrt, mag sich auch die rechtliche Prüfung und Entscheidung des Ausnahmefalles von der Zielkonkretisierung in den dogmatischen Einzelheiten unterscheiden. Dass der Entscheidungsfreiraum des Zieladressaten bei einem Soll-Ziel regelmäßig größer sein dürfte als bei einem Muss-Ziel, ändert am Ergebnis nichts. Denn die Wahrung der Zuständigkeitsordnung hängt nicht vom Umfang des Entscheidungsfreiraums ab. Anderenfalls wären generalklauselartig gefasste Muss-Ziele mit hoher Konkretisierungsfähigkeit, die im Einzelfall durchaus einen größeren Entscheidungsfreiraum gewähren können als ein eng ausgestaltetes Soll-Ziel, unter Zuständigkeitsgesichtspunkten unzulässig. Dies ist jedoch zu verneinen. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine Frage der Zuständigkeit, sondern des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots.
jedoch, dass dieses Begründungselement vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht zu überzeugen vermag. 31 Hoppe (Fn. 26), BayVBl. 2002, 132 ff.; Schroeder (Fn. 26), UPR 2000, 53 f. 32 Hoppe (Fn. 26), BayVBl. 2002, 133.
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3. In-der-Regel-Ziele Nicht anders als mit den Soll-Zielen verhält es sich mit den In-der-RegelZielen. Darunter sind raumordnungsplanerische Festlegungen zu verstehen, die ausdrücklich anordnen, dass ihr Inhalt lediglich „in der Regel" gilt oder aber für - möglicherweise näher bezeichnete - Ausnahmetatbestände nicht gilt. Auch diese Festlegungen erfüllen die Merkmale des in § 3 Nr. 2 ROG definierten Zielbegriffs. 33 Die abschließende Abwägung des jeweiligen Trägers der Raumordnungsplanung besteht hier - ebenso wie bei den Soll-Zielen - darin, dass der Festlegungsinhalt grundsätzlich uneingeschränkt umzusetzen ist. Soweit ein Regelfall vorliegt, ist dieser Inhalt der nachfolgenden Abwägung durch plangebundene Dritte entzogen. 4. Besondere raumordnerische Aussagen zu Standortplanungen Der als Rechtsverordnung ergangene Landesentwicklungsplan Hessen 2000 34 enthält im Gliederungsabschnitt 7.4 unter anderem die als Ziel gekennzeichnete Aussage: „Der Flughafen Frankfurt Main soll auch künftig den zu erwartenden Entwicklungen gerecht werden und seine Funktion als bedeutende Drehscheibe im internationalen Luftverkehr sowie als wesentliche Infrastruktureinrichtung für die Rhein / Main-Region erfüllen. Hierzu ist eine Erweiterung über das bestehende Start- und Landebahnsystem hinaus zu planen und zu realisieren". Nach Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs 35 stellt der erste Satz der zitierten Aussage (ungeachtet der planinternen Kennzeichnung als Ziel) eine „bloße Absichtserklärung" dar, sodass ihm keine Zielqualität zukommt. Anders hat das Gericht jedoch hinsichtlich des zweiten Satzes entschieden. Dieser erweist sich nach gerichtlicher Beurteilung als Raumordnungsziel, da eindeutig festgelegt sei, dass die nachfolgenden Planungsstufen nicht zu einer „Nullvariante" führen dürften und dass alle etwa entgegenstehenden Belange unter allen Umständen überwunden werden müssten. Damit sei bereits eine landesplanerische Letztentscheidung getroffen worden, die allen öffentlichen Stellen eine verbindliche Vorgabe im Sinne von § 3 Nr. 2 ROG gebe. Die betreffende Zielfestlegung sei jedoch in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Abwä-
33 Goppel (Fn. 12), BayVBl. 1998, 292; Spiecker (Fn. 13), S. 92; v. d Heide (Fn. 26), § 3 Rn. 24 d; Hendler (Fn. 12), § 3 Rn. 54. Ablehnend Runkel (Fn. 13), Κ § 3 Rn. 26 a.E., der In-der-Regel-Ziele nur dann einschränkungslos anerkennt, wenn die Ausnahmesachverhalte, die ein Abweichen von der Regel erlauben, ausdrücklich aufgeführt werden. Der Sache nach ebenso Schroeder (Fn. 24), UPR 2000, 53 f. 34 Verordnung vom 13.12.2000 (GVB1.1 2001, S. 2). 35 HessVGH, NVwZ 2003, 229 (231).
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gung ungültig, und zwar schon deshalb, weil die einem Flughafenausbau möglicherweise entgegenstehenden Belange (z.B. bezüglich der Anzahl der künftig möglichen Flugbewegungen, der Lärmsorten sämtlicher Verkehrsträger, der faktischen Vogelschutzgebiete und potentiellen FFH-Gebiete) gar nicht erhoben worden seien. Den Einwand, die Abwägung sei ebenenspezifisch erfolgt und die dabei unberücksichtigt gebliebenen Belange könnten im Planfeststellungsverfahren geprüft werden, lässt das Gericht nicht gelten. Vielmehr hält es diesen Einwand fur unzutreffend, wobei es zur Begründung darauf hinweist, dass die landesplanerische Letztentscheidung für eine Erweiterung des Start- und Landebahnsystems des Flughafens Frankfurt Main im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nicht mehr in Frage gestellt werden könne. Bei der Würdigung dieser Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist zunächst hervorzuheben, dass es mit der Charakterisierung von Raumordnungszielen als landesplanerische Letztentscheidungen durchaus vereinbar ist, wenn bei der Zielfestlegung keine abschließende Vollabwägung erfolgt. Dies ergibt sich - wie bereits dargelegt 36 - vor allem aus § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB („soweit"). Es ist demnach ohne weiteres zulässig, bei der Festlegung eines Raumordnungsziels zum Flughafenausbau beispielsweise lediglich die raumstrukturellen Belange abschließend abzuwägen und die Abwägung der Umweltschutzbelange nachfolgenden Planungsschritten zu überlassen. Die raumstrukturellen Belange betreffen unter anderem die Frage, ob der bestehende Flughafen erweitert oder ein neuer errichtet werden soll. Sofern die zweite Variante bevorzugt wird, ist abzuwägen, ob die Neuerrichtung im Ballungsraum oder in einer anderen Region, die möglicherweise zur Stärkung ihrer Wirtschaftskraft besonderer strukturpolitischer Impulse bedarf, erfolgen soll. Zu den raumstrukturellen Belangen gehören ferner auch städtebauliche Gesichtspunkte sowie die Anbindung des Flugverkehrs an den Schienen- und Straßenverkehr. Beschränken sich die Träger der Raumordnungsplanung bei der Zielfestlegung für die Errichtung oder Erweiterung einer planfeststellungsbedürftigen Anlage auf die abschließende Abwägung der raumstrukturellen Belange, so liegt eine bloße Standortsicherungsplanung vor. Ob das Projekt verwirklicht wird, entscheidet die zuständige Planfeststellungsbehörde unter Abwägung der auf der Raumordnungsebene nicht berücksichtigten Gesichtspunkte. Die anderen öffentlichen Planungsträger, insbesondere die Gemeinden, haben aufgrund ihrer Pflicht zur Zielbeachtung bzw. -anpassung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 ROG, § 1 Abs. 4 BauGB) alle raumbedeutsamen Maßnahmen zu unterlassen, die mit der Projektverwirklichung nicht vereinbar sind. Allerdings ist das im Landesentwicklungsplan Hessen 2000 enthaltene Ziel zur Erweiterung des Flughafens Frankfurt Main insofern auffallend rigide for36
Vgl. oben Gliederungsabschnitt IV 1.
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muliert, als es einen vorbehaltlosen Realisierungsauftrag enthält. Dieses Ziel lässt sich rechtlich nur halten, wenn ihm im Wege der Auslegung entnommen werden kann, dass fur die Realisierung des Erweiterungsprojekts der Vorbehalt gilt, wonach keine unüberwindbaren Belange entgegenstehen dürfen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat sich mit einer derartigen zielerhaltenden Auslegung nicht auseinandergesetzt. Ob er überhaupt erkannt hat, dass es bei der Festlegung von Raumordnungszielen keiner abschließenden Vollabwägung bedarf, lässt sich seiner Entscheidung nicht eindeutig entnehmen. Zweifel sind insofern angebracht, als sich der gerichtliche Umgang mit dem Merkmal der abschließenden Abwägung in § 3 Nr. 2 ROG sowie der Kategorie der landesplanerischen Letztentscheidung nicht durch differenzierte Betrachtungen auszeichnet. 37 Doch mag dies hier auf sich beruhen bleiben. Aus der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich jedenfalls, dass die Träger der Raumordnungsplanung gut beraten sind, bei der Formulierung von Raumordnungszielen besonders umsichtig vorzugehen und sich nicht auf eine zielerhaltende Auslegung zu verlassen. Angemerkt sei, dass sich die vorstehend geschilderte Rechtslage mit der Umsetzung der EG-Richtlinie zur strategischen Umweltprüfung (sog. Plan-UVPRichtlinie) 38 ändern wird. Es wird dann nicht mehr zulässig sein, bei Standortfestlegungen auf der Ebene der Raumordnungsplanung nur die raumstrukturellen Belange abzuwägen und die Abwägung der Umweltschutzbelange den nachfolgenden Planungen zu überlassen. Denn nach der neuen Richtlinie sind derartige Festlegungen grundsätzlich einer Umweltprüfung zu unterziehen (Art. 3 Abs. 2 lit. a, Abs. 3 SUP-RL). Dadurch soll sichergestellt werden, dass nicht erst dann jeweils nach einem anderen Standort gesucht wird, wenn sich das Projekt an dem ursprünglich vorgesehenen Standort aus Gründen des Umweltschutzes nicht realisieren lässt. Vielmehr sollen bereits bei der (ersten) Standortfestlegung ökologische Untersuchungen stattfinden, die sich nicht zuletzt auch auf die in Betracht kommenden Standortalternativen beziehen (Art. 5 Abs. 1 SUP-RL). Dies dient dem Ziel, die systematische Ermittlung der aus der Sicht des Umweltschutzes günstigsten Alternative zu gewährleisten, damit diese in die Entscheidung über die Standortfestlegung einbezogen werden kann.
37
HessVGH, NVwZ 2003, 229 (230 f.). Richtlinie 2001 /42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom 27.6.2001 (ABl. EGNr.L 197, S. 309). 38
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V. Fazit Der im Gesetzesrecht nicht enthaltene, von Rechtsprechung und Schrifttum zur Charakterisierung von Zielen der Raumordnung verwandte Ausdruck „landesplanerische Letztentscheidung" vermag zwar zu verdeutlichen, dass Raumordnungsziele nach der Begriffsbestimmungsnorm des § 3 Nr. 2 ROG auf einer abschließenden Abwägung durch die Träger der Raumordnungsplanung beruhen. Insofern bietet der Ausdruck auch eine nützliche Verständnishilfe. Doch dürfen hierbei vor allem zwei rechtliche Gesichtspunkte nicht übersehen werden: (1) Ein Raumordnungsziel setzt nicht eine abschließende Vollabwägung auf der Ebene der Raumordnung voraus. Dies zeigt namentlich § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB („soweit"). (2) Wenngleich im Hinblick auf Raumordnungsziele häufig eine auf strikte Befolgung gerichtete Beachtens- oder Anpassungspflicht besteht (z.B. § 4 Abs. 1 ROG, § 1 Abs. 4 BauGB), so stehen diese Ziele keineswegs jenseits jeglicher Abwägung oder Ermessensausübung, wie sich aus der Berücksichtigungspflicht des § 4 Abs. 4 ROG ergibt. Sie sind zwar - was in § 3 Nr. 2 ROG ausdrücklich angesprochen wird - verbindlich. Die Art der Verbindlichkeit ist jedoch kein Begriffsmerkmal, sondern Gegenstand besonderer Regelung (z.B. § 4 ROG, § 1 Abs. 4 BauGB). Der Ausdruck „landesplanerische Letztentscheidung" weist den Vorzug auf, dass er das zentrale Merkmal der Raumordnungsziele, die abschließende Abwägung, anschaulich hervorhebt. Allerdings enthält er eine beachtliche Suggestivkraft. Darin besteht sein Nachteil. Er verleitet zu der Annahme, dass auf der Ebene der Raumordnung eine Planungsentscheidung getroffen worden ist, die in jeder Hinsicht nur noch Anpassung, Beachtung, Einhaltung und Befolgung verlangt. Die Dinge sind jedoch differenzierter. Wer den Ausdruck „landesplanerische Letztentscheidung" verwendet, muss sich dessen bewusst sein.
Die Anwendung raumordnerischer Verträge Von Christian Specht
Für die Rechtsberatung eröffnet sich ein neues Geschäftsfeld, für die Planungsverwaltung ein neues Steuerungsinstrument, das in den nächsten Jahren einen immer größeren Stellenwert bei der Lösung von Raumnutzungskonflikten einnehmen wird: Der raumordnerische Vertrag. Der Beitrag zeigt aus der Praxis der Raumordnung die Chancen und Grenzen der Anwendung raumordnerischer Verträge. Dabei wird deutlich, dass es auf diesem Feld noch einen erheblichen Forschungsbedarf gibt. Für die Raumordnungspraxis gilt dabei: „Begrenzte Mittel bringen neue Formen hervor, sie fordern zum Schöpfen auf, sie bilden Stil".
I. Wachsende Bedeutung der kooperativen Raumordnung Die Notwendigkeit für einen Vertrag auf der Planungsebene oberhalb der kommunalen Bauleitplanung hängt mit der wachsenden Bedeutung einer kooperativen Raumordnungs- und Raumentwicklungspolitik zusammen. In den deutschen Verdichtungsräumen, insbesondere in den Stadtregionen, lässt sich eine erhebliche Maßstabsvergrößerung kommunaler Problemlagen feststellen. Der Umfang und der Stellenwert überlokaler, arbeitsteiliger Aufgabenwahrnehmung wächst und dadurch der Druck zur interkommunalen, zum Teil auch regionalen Kooperation. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Der Wettbewerb der Regionen in Europa zwingt zu ganzheitlichen Entwicklungsstrategien für eine nachhaltige Raumentwicklung. Im ökonomischen Teil dieses Wettbewerbs zwingt der Strukturwandel zur Generierung von qualifizierten Standortensembles für die Wirtschaft. Eine ähnliche Ausdifferenzierung gilt für die Angebote auf dem regionalen Wohnungsmarkt. Die Erarbeitung regionaler Wirtschaftsprofile und die Ausweisung von Kompetenzzentren 1 erfordern die Bündelung und Kooperation von ganzen Standortgemeinschaften. 1
Center of Excellences in der Terminologie der EU-Wirtschaftsförderungspolitik.
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Christian Specht
Ökologische Herausforderungen durch europäische und nationale Vorschriften der Umweltvorsorge verlangen die Ausweisung von zusammenhängenden Netzen von bestimmten Lebensraumtypen, ausgedehnte standortübergreifende Alternativenprüfungen, einzugsgebietsbezogene Vorsorge für Gewässer und Eingriffs- und Ausgleichsmechanismen, die sich nicht an bestehenden kleinräumlichen Verwaltungsgrenzen orientieren. Die soziale Dimension des Wettbewerbs zeigt sich insbesondere an dem demographischen Wandel. Die bereits in einigen Teilen Deutschlands wahrnehmbare Bevölkerungsabnahme und die zu erwartende Veränderung in der Altersstruktur werden dazu führen, dass räum verträgliche Rückbaukonzepte zur Nutzung vorhandener Infrastrukturen notwendig werden. Diesem wachsenden Bedarf an interkommunaler Kooperation steht nur ein begrenztes Spektrum an Kooperationsinstrumenten gegenüber. Im Planungsrecht ist das kommunale Abstimmungsgebot aus § 2 Abs. 2 BauGB, nach dem die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen sind, nicht ausreichend, um den genannten Nutzungskonflikten gerecht zu werden. Auch das organisationsrechtliche Instrumentarium wie z.B. Zweckverbände, Arbeitsgemeinschaften und Planungsverbände ist vielfach nicht effizient und effektiv genug, um komplexe und zugleich flexible Lösungen für die sich abzeichnenden Handlungsnotwendigkeiten zu liefern. Hinzu kommt die Durchsetzungsschwäche hierarchischer, staatlicher Ordnungsinstrumente, insbesondere im Bereich der Raumordnung 2. Die Suche nach einem geeigneten Steuerungsinstrument für den „kooperativen Staat" führt deshalb nahezu zwangsläufig zu dem Kooperationsinstrument schlechthin, dem „Vertrag".
I I . Der Vertrag als Instrument der Raumordnung Die moderne Stadtplanung ist ohne das Instrument des Vertrages heute nicht mehr vorstellbar 3. Trotz der langen Erfahrung im Umgang mit Verträgen im Bereich der kommunalen Bauleitplanung hat es bis zur Novellierung des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 gedauert, bis die positiven Erfahrungen aus dem Städtebaurecht auf die Bundesraumordnung in §13 Satz 5 ROG übertragen
2 R. Voigt, Der kooperative Staat: Krisenbewältigung durch Verhandlung?, in: ders., Hrsg., Der kooperative Staat: Krisenbewältigung durch Verhandlung?, Baden-Baden 1995, S. 13; E.-H. Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1990 ff., S. 50-88. 3 Bereits im Jahr 1875 wurde im § 15 des preußischen Fluchtliniengesetzes ein so genannter Unternehmervertrag zur Durchführung des Straßenbaus und anderer Erschließungsmaßnahmen vorgesehen. Weitere Nachweise bei: Ernst /Zinkahn / Βiehienberg/Krautzberger, § 124 BauGB, Rdn. 2.
Die Anwendung raumordnerischer Verträge
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wurden. Nach dieser Vorschrift sind vertragliche Vereinbarungen zur Vorbereitung und Verwirklichung von Raumordnungsplänen möglich. Die meisten Landesgesetzgeber haben bei der Novellierung ihrer Landesplanungsgesetze diese Rechtsvorschrift umgesetzt4. Für die Zulässigkeit von Verträgen in der Raumordnung hätte es der Vorschrift des § 13 Satz 5 ROG allerdings nicht bedurft, denn ein Handlungsformverbot für die öffentlichen Aufgabenträger besteht prinzipiell nicht. Nach dem Effizienzprinzip ist ausschlaggebendes Kriterium fur die Wahl der Handlungsform die Form, die fur die jeweilige Aufgabenwahrnehmung am besten geeignet ist. Insofern kommt § 13 Satz 5 ROG nur eine klarstellende bzw. deklaratorische Funktion zu. Im Unterschied zu § 11 BauGB macht § 13 Satz 5 ROG keine detaillierten Vorgaben für die Inhalte von raumordnerischen Verträgen. Im Kern sollen Vereinbarungen zur Vorbereitung und Verwirklichung von Raumordnungsplänen geschlossen werden. Denkbar sind z.B. Vereinbarungen, die eine Zielabweichungsentscheidung nach § 11 ROG ersetzen, Verträge, die der Sicherung von bereits vorhandenen verbindlichen Zielen oder in Aufstellung befindlicher Planinhalte dienen. Dies kann z.B. eine Vereinbarung zur Sicherung einer Rohstoffabbaufläche in der Phase der Planaufstellung bis zur endgültigen Plangenehmigung sein. Auch der Erlass einer landesplanerischen Untersagungsverfügung, wie im § 12 ROG vorgesehen, kann durch einen Vertrag ersetzt werden. Das Sonderproblem, ob Verträge auch planersetzend wirken können, soll an dieser Stelle nicht abschließend behandelt werden. M. E. sprechen überzeugende Argumente gegen die planersetzende Funktion von Verträgen. Die Legaldefinition der Ziele in § 3 Nr. 2 ROG spricht davon, dass Ziele der Raumordnung eindeutig als Festlegung in Raumordnungsplänen zu erfolgen haben. Auch der Zusammenhang mit § 13 Satz 5 ROG zeigt, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass raumordnerische Verträge selbst keine Raumordnungspläne sind. Nicht zuletzt das rechtsstaatliche Verbot der Normsetzung durch Vertrag spricht für diese Auffassung, denn die Ziele der Raumordnung sind materielle Rechtsnormen5. Die Abgrenzung, ob es sich bei einem raumordnerischen Vertrag um einen zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt, richtet sich nicht nach dem Willen der Parteien, sondern nach dem objektiven Regelungsgegenstand. Es gelten dabei die allgemeinen Grundsätze der Abgrenzung von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen 6. Schwerpunkt in der Raumordnungspraxis sind Verträge öffentlich-rechtlicher Natur. Privatrechtliche Verträge kommen überwiegend nur bei der Vorbereitung von Raumordnungsplänen 4
Vgl. z.B. Landesplanungsgesetz Baden-Württemberg § 12 a S. 5, Landesplanungsgesetz Rheinland-Pfalz § 11 Abs. 3, Landesplanungsgesetz Sachsen § 19 Abs. 2 S. 2. 5 BVerwG, DVB1. 1977, S. 529; NJW 1980, S. 826 und S. 2538. 6 BVerwGE 74, 368, 370; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 Rn 10 f.
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zum Einsatz, wie z.B. Werkverträge für die Aufbereitung und Zusammenstellung des Abwägungsmaterials aber auch zur Erstellung von verfahrensleitenden Gutachten7. Diese Verträge werden in der Regel von Dritten, die außerhalb der Planungsrechtsbeziehung stehen, gegen Entgelt durchgeführt. Gelegentlich kommt es zu einer Mischung beider Elemente. Dann ist prinzipiell jede Vertragspflicht dahingehend zu untersuchen, ob sie öffentlich-rechtlicher oder zivilrechtlicher Natur ist. Für die Vertragspraxis ist die Frage von Bedeutung, ob es sich um einen suboder koordinationsrechtlichen Vertrag handelt. Dabei sind die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung, insbesondere im Bereich der Vertragsaufhebungs- und Nichtigkeitsgründe, zu beachten. Die genannten Verträge, die eine Untersagungsverfügung oder eine Zielabweichungsentscheidung ersetzen, sind unstreitig subordinationsrechtlicher Natur, denn sie ersetzen eine einseitige hoheitliche Maßnahme. Dagegen handelt sich bei vielen in der Raumordnungspraxis eingesetzten Verträgen um so genannte zielkonkretisierende Vereinbarungen, die zumeist als koordinationsrechtlicher Vertrag einzustufen sind, da das Druckmittel einer alternativen, einseitigen Regelung fehlt. Im Aufgabenfeld der Siedlungssteuerung durch die Raumordnung ist bei vertraglichen Vereinbarungen das so genannte Verbot der Vorwegbindung aus § 2 Abs. 3 BauGB zu beachten. Danach kann z.B. eine vertragliche Verpflichtung zum Erlass eines Bebauungsplanes in einem Vertrag nicht festgelegt werden. Ein entsprechendes Verbot auf der Ebene der Raumordnungsplanung fehlt zwar, allerdings gilt § 2 Abs. 3 BauGB als Konkretisierung des rechtsstaatlichen Abwägungsgebotes auch im Raumordnungsrecht 8. Danach kann also durch einen Vertrag kein Anspruch eines Dritten auf Aufstellung oder Änderung eines formellen Plans gegenüber der Kommune oder gegenüber den Trägern der Landes- und Regionalplanung begründet werden. Das Verbot der Vorwegbindung führt aber nicht dazu, dass grundsätzlich Verträge zwischen Gemeinden und den Trägern der Regionalplanung unzulässig sind. Denn gem. § 1 Abs. 4 BauGB besteht für die Gemeinden eine Anpassungspflicht an die Ziele der Raumordnung. Die dadurch bekundete Beachtenspflicht ist grundsätzlich der Abwägung
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Gutachten der Verfahrensbeteiligten im Raumordnungsverfahren für das DesignerOutlet-Zentrum in Zweibrücken, Rheinland-Pfalz, siehe S. Grotefels, Umsetzung von regionalen Einzelhandelskonzepten durch landesplanerischen Vertrag, in: Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), S. 9. 8 Siehe hierzu W. Spannowsky, Verwirklichung von Raumordnungsplänen durch vertragliche Vereinbarung, in: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.), Forschung, Heft 93, S. 61; ebenso in: Abschlussbericht zum Expertengespräch der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) im Auftrag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) am 5.11.2001, S. 8.
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der Gemeinde entzogen, so dass insoweit vertragliche Vereinbarungen auch ohne Verstöße gegen das Verbot der Vorwegbindung möglich sind9.
I I I . Anwendungsbereiche des raumordnerischen Vertrages 1. Die Entwicklung interkommunaler Gewerbeparks Viele raumordnerische Verträge findet man in der Praxis bei der Planung, Entwicklung und Steuerung interkommunaler Gewerbeparks. Moderne interkommunale Gewerbeparks sind dabei keine herkömmlichen Gewerbegebiete mehr. Sie stellen vielfach hohe Ansprüche an die Umfeldgestaltung, an die Nutzung und Infrastruktur und erfordern deshalb einen vielschichtigen Planungsund Realisierungsprozess. Das klassische Instrumentarium des Städtebaus mit der Planung und Entwicklung von Gewerbeflächen auf den verschiedenen kommunalen Planungsebenen wird dieser Kategorie moderner Wirtschaftsförderung nicht mehr gerecht. Flächenengpässe, besondere Standortqualitäten und die mangelnde Finanzkraft überfordern vielfach die Leistungsfähigkeit einzelner Gemeinden. In diesem Kontext bietet der Vertrag die Möglichkeit, auf Planung und Realisierung Einfluss zu nehmen. Der Vertrag erlaubt die Verknüpfung kommunaler oder regionaler WirtschaffcsfÖrderungsstrategien mit dem finanziellen Engagement privater Investoren. Darüber hinaus lassen sich interkommunale Ausgleichsflächenkonzepte bereits frühzeitig integrieren. In der Planungspraxis zeigt sich allerdings ein erhebliches Defizit, was die Ausschöpfung der o.g. Möglichkeiten anbelangt. Gerade Investorengruppen oder relevante Wirtschaftsakteure werden in der Regel nur unzulänglich berücksichtigt. Die meisten Verträge in diesem Zusammenhang werden zwischen den Kommunen und Landkreisen geschlossen, wobei von Fall zu Fall der regionale Planungsträger auch Vertragspartner ist.
2. Regionalisierung der Eingriffs- und Ausgleichsproblematik Die Erwartungen an den Einsatz des Vertrages im Zusammenhang mit der Regionalisierung der Eingriffs- und Ausgleichsproblematik haben sich bislang nicht erfüllt. Es ist zwar nach § 7 Abs. 2 S. 2 ROG möglich, den Raumfunktio9
So auch W. Spannowsky, a.a.O., S. 60.
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nen und Raumnutzungen auch Ausgleichsfunktionen fur Eingriffe in Natur und Landschaft zuzuweisen. Die Möglichkeit einer räumlichen und zeitlichen Entkopplung von Eingriff und Ausgleich, die bislang nur auf der Ebene des Bebauungsplanes und des Flächennutzungsplanes möglich war, wird somit um eine regionale Dimension erweitert. Die Vorverlagerung des planerischen Ausgleichs naturschutzrechtlicher Eingriffe auf die Ebene der Regionalplanung stößt aber auf erheblichen Widerstand bei Kommunen und Naturschutzbehörden. Folglich sind Verträge in diesem Aufgabenfeld rar. Wichtiger erscheint es deshalb, auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen nach § 13 S. 5 ROG Lösungen für Ausgleichsmodelle zu finden. Denkbar sind hier regionale Ökokonten und auch regionale Vernetzungskonzepte in Form von Landschaftsparks, die auf der Grundlage eines raumordnerischen Vertrages Ausgleichsflächen mehrerer Gemeinden poolen.
3. Regionale Kooperation bei netzbasierten Infrastrukturen Mit der zum 1. Januar 1998 abgeschlossenen Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes wurde die bis dahin geltende Tarifeinheit im Raum sowohl für die Nutzung der Netzinfrastruktur als auch für die mit ihrer Hilfe erbrachten Dienstleistungen schrittweise abgebaut. Zur Umsetzung des raumordnerischen Zieles, im Planungsraum eine ausreichende und angemessene Ausstattung mit Telekommunikationsinfrastruktur zu gewährleisten, gibt es vertragliche Vereinbarungen, die eine Nachfragebündelung des kommunalen Telekommunikationsaufkommens der öffentlichen Hand vorsehen. Es geht hierbei im Wesentlichen um einen Ausgleich zwischen den Infrastrukturvoraussetzungen in verdichteten Räumen und ländlichen Räumen bei der Bereitstellung von Telekommunikationsdienstleistungen. Um den wettbewerbsrechtlichen Anforderungen Genüge zu tun, kann hier ein raumordnerischer Vertrag zu Gunsten Dritter zum Einsatz kommen 10 . Dabei schließt der Regionalplanungsträger mit einem Telekommunikationsdienstleistungsanbieter einen Rahmenvertrag ab, der aufgrund der Nachfragebündelung besondere Bedingungen sowohl bei den Leistungen aber auch bei dem Ausbau der Infrastruktur für die Planungsregion vorsieht. Die Kommunen als Zuwendungsempfänger haben das Recht, zu festgelegten Bedingungen auf freiwilliger Basis in diesen Rahmenvertrag einzusteigen und mit den Telekommunikationsunternehmen einen entsprechenden Einzelvertrag zu schließen. Diese Konstruk-
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Vertrag des Raumordnungsverbandes Rhein-Neckar mit mehreren Telekommunikationsanbietern, mit dem Ziel der Schaffung eines Ballungsraumtarifes und der Etablierung eines regionalen Nachfragemarktes in einer länderübergreifenden Planungsregion.
Die Anwendung raumordnerischer Verträge
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tion kann als echter Vertrag oder so genannter unechter Vertrag zu Gunsten Dritter ausgestaltet sein. Nach vier Jahren Vertragserfahrungen konnten zentrale raumordnerische Zielsetzungen mit diesem raumordnerischen Vertrag zu Gunsten Dritter erfüllt werden. Ein einheitlicher Ballungsraumtarif für die öffentlichen Verwaltungen in der Region ist entstanden. Größere Unterschiede zwischen verdichtetem Raum und ländlich strukturierten Räumen konnten dadurch vermieden werden. Ferner ist die relevante Planungsregion als einheitlicher Nachfragemarkt über Ländergrenzen hinweg im Telekommunikationsmarkt etabliert.
4. Infrastrukturrückbau Angesichts der demographischen Entwicklung wird der Infrastrukturrückbau ein zentrales Thema werden. Dabei ist es wichtig, dass sich ein eventueller Rückbau an den Zielen der Landes- und Regionalplanung orientiert. Dies gilt umso mehr bei Daseinsvorsorgeinfrastrukturen, die im Zuge der europäischen Liberalisierung zum Teil privatisiert sind oder in den nächsten Jahren privatisiert werden. Es kann z.B. ein Vertrag mit der Deutschen Post zur Sicherstellung der Postversorgung gemäß den Anforderungen der Postuniversaldienstleistungsverordnung sinnvoll sein. Nach der genannten Verordnung muss die Post 12.000 stationäre Poststellen nach bestimmten raumordnerischen Kriterien aufrecht erhalten. Die Träger der Regionalplanung können dabei mit der Deutschen Post zentrale Verflechtungsbereiche identifizieren, die auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten den Interessen des Unternehmens Post AG Rechnung tragen. Das Wissen der Regionalplanungsträger über zentralörtliche Verflechtungsbereiche kann somit mit betriebswirtschaftlichen Zielen in Einklang gebracht werden. Im konkreten Fall wurde ein Vertrag zwischen der Post und dem Regionalplanungsträger zur Konkretisierung der Postuniversaldienstleistungsverordnung in der Planungsregion Rhein-Neckar angestrebt 11.
5. Entwidmung, Planung und Entwicklung von Brachflächen Ein sehr praxisrelevantes Anwendungsfeld für raumordnerische Verträge ist die Reaktivierung von Brachflächen der Deutschen Bahn und der Deutschen Post. Verträge zwischen Kommunen und der Deutschen Bahn scheitern vielfach an den heterogenen Interessen der Beteiligten.
11
Der Vertrag ist letztlich gescheitert, da man seitens des Unternehmens befürchtete, einen Präzedenzfall zu schaffen, der weitere vertragliche Vereinbarungen mit weiteren Regionen zur Folge gehabt hätte.
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Bei einer näheren Analyse der Vertragshinderungsgründe zeigt sich, dass die unterschiedlichen Preisvorstellungen in der Regel nicht entscheidend sind. Es kommt vielmehr darauf an, die relevanten Probleme, wie z.B. Ermittlung von Altlasten, Fragen der Entwidmung, Planung und Entwicklung des Standortes in einem konsensualen Moderations- und Planungsprozess systematisch abzuarbeiten. Im Rahmen dieses planerischen Aufbereitungsprozesses bietet sich für den Regionalplanungsträger die Chance, regionalplanerische Zielvorstellungen in die Vertragsverhandlungen einzubringen. Ein solches Ziel ist z.B. die Ausrichtung der zukünftigen Siedlungsentwicklung an den Nahverkehrsachsen. Zur Regelung der o.g. Einzelprobleme bietet es sich an, eine Art Grundvertrag zwischen der Deutschen Bahn, dem Regionalplanungsträger und den Standortgemeinden abzuschließen12. Im Beispielsfall verpflichtet sich die Bahn, federführend für alle ihre Tochtergesellschaften die Verfügbarkeit der Grundstücke zu prüfen und die notwendige Entbehrlichkeitsprüfung mit den erforderlichen Verfahren beim Eisenbahnbundesamt zu beantragen. Die kommunalen Partner verpflichten sich, in Zusammenarbeit mit dem Regionalplanungsträger, städtebauliche Konzepte zur Entwicklung dieser Flächen aufzustellen und in konkrete Verhandlungen über den Kauf der entbehrlich geprüften Flächen mit der Bahn einzutreten. Der Regionalplanungsträger übernimmt dabei die Rolle des Moderators. Er organisiert den Verhandlungsprozess, er führt ein Vertragsmanagement durch und leitet die Verkaufsverhandlungen. Sein Vorteil besteht darin, dass er regionalplanerische Ziele in den Verhandlungs- und Planungsprozess einbringen kann 13 .
6. Sicherung von Rohstoffabbauvorhaben Nutzungskonflikte in verdichteten Räumen führen dazu, dass Vorhaben der Rohstoffwirtschaft schwer zu realisieren sind. Hier kann der raumordnerische Vertrag ein Instrument zur Gestaltung des Abwägungsprozesses sein. Beispielsweise können Rohstoffsicherungsvorhaben, die mit den Interessen der Gemeinden kollidieren, in Maßnahmen für den Hochwasserschutz integriert werden. Auf der Grundlage eines Vertrages können die relevanten Wasserbe-
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Vgl. Bahnhof-Standorte-Programm Rhein-Neckar des Raumordnungsverbandes Rhein-Neckar, in dem ländergrenzüberschreitend an 14 von 21 Programmstandorten Bahnflächen im oben beschriebenen Sinne entwickelt werden konnten (Stand Juni 2003). 13 Weitere regionalplanerische Ziele sind die Nutzung innerörtlicher Flächenpotenziale (Innenentwicklung vor Außenentwicklung) zur Reduzierung der Versiegelung im Außenbereich sowie die Attraktivierung innerstädtischer Quartiere.
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hörden, Landwirtschaftsverwaltungen und Rohstoffvvirtschaft sowie die betroffenen Gemeinden am Aushandlungsprozess beteiligt werden.
7. Vorbeugender Hochwasserschutz Die ökonomische und ökologische Notwendigkeit eines effektiven, vorbeugenden Hochwasserschutzes wurde durch die Flutkatastrophen in den letzten Jahren in Deutschland eindrücklich aufgezeigt. Der vorbeugende Hochwasserschutz besteht in der Flächensicherung für Retentionsmaßnahmen. Dabei sind ganze Flusseinzugsgebiete auf ihr Retentionsvolumen und dessen Gestaltbarkeit zur Minderung von Schadenspotenzialen zu betrachten. Diese Flusseinzugsgebietsbetrachtungen sind zwingend interkommunal, vielfach sogar regional. Interkommunale Vereinbarungen finden sich dort bei der Gründung von Hochwasserzweckverbänden, die z.B. Retentionsflächen und Rückhaltebecken planen, anlegen und bewirtschaften. Aber auch zur Verwirklichung von Hochwasserpartnerschaften zwischen Unternehmen, Gemeinden und Gewässerdirektionen können vertragliche Rahmenvereinbarungen einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung von raumordnerischen Zielen im Bereich der Flächenvorsorge bei Hochwasserereignissen bewirken.
8. Freizeitgroßeinrichtungen Freizeitgroßeinrichtungen, wie z.B. Urban-Entertainment-Center, Skihallen und Multifunktionsarenen verlangen komplexe Planungsprozesse, bei denen die interkommunalen / regionalen Auswirkungen des Vorhabens einer engen planerischen Abstimmung bedürfen. Raumordnerische Verträge können dazu beitragen, bereits frühzeitig die Problemlagen abzuschichten und damit nachgelagerte Planungsverfahren zu entlasten.
IV. Prozess des Vertragsmanagements Bei der Anwendung raumordnerischer Verträge kann man fünf Vertragsphasen unterscheiden.
1. Vertragsinitiierung Bei der Vertragsanbahnung kommt der Regionalplanungsträger seiner Initiativfunktion im Sinne des § 13 ROG nach. Es werden die umsetzungsrelevanten
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Ziele aus den Plänen identifiziert, Problemlagen aufbereitet und mögliche Vertragspartner identifiziert. Diese Phase verläuft fast ausschließlich in der Hoheit des initiierenden Planungsträgers. Die Initiierungsphase ähnelt einem „Matching-Prozess". Nach der Sondierung möglicher Themen nach Kriterien, wie Priorität für die Regionalentwicklung, politische Durchsetzbarkeit, Verwaltungskapazität, werden potenzielle Partner für die Zielverwirklichung gesucht. Dabei kommt es darauf an, kommunale Empfindlichkeiten rechtzeitig zu erkennen und bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Wichtige Fragen sind dabei z.B.: Kann der Verhandlungspartner das potenzielle Verhandlungsergebnis auch in seiner Vertretungskörperschaft durchsetzen bzw. wird eine höhere oder oberste Fachplanungsbehörde einem bestimmten Verhandlungsergebnis zustimmen? In der Initiierungsphase sind die relevanten Tatsachen und Rechtsfragen, soweit sie zu diesem Zeitpunkt erkennbar sind, bereits aufzubereiten. Alle verfügbaren Informationen sind zu berücksichtigen. Diese Vorgehensweise gilt entsprechend auch für den Fall, dass ein privater Investor die Initiative ergreift. Viele Verträge scheitern bereits in dieser Phase. Die Gründe liegen insbesondere in der mangelnden Vorbereitung im o.g. Sinne oder auch an den fehlenden Verwaltungskapazitäten bei den regionalen Planungsträgern. 2. Aushandlungsphase In der Vertragsaushandlungsphase fallt dem Planungsträger eine Moderatorenrolle zu. Es sind die Vertragspartner an einen Tisch zu bringen und das gesamte Repertoire einer Vertragsmoderation anzuwenden. Erfahrungsgemäß ist es vorteilhaft, wenn ein erster schriftlicher Vertragsentwurf vorbereitet und Gegenstand der Verhandlungen wird. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass dieser erste Entwurf am Ende kaum wiederzuerkennen ist. Er dient insbesondere zur Strukturierung der Verhandlungsgegenstände und der Feinabschichtung der jeweiligen Interessen. Im Verlauf dieser Phase kann es sinnvoll sein, dass sich der Planungsträger in seiner Rolle zurücknimmt und insbesondere den Fachbehörden, Gutachtern und Interessensvertretern der jeweiligen Parteien die inhaltliche Konkretisierung überlässt. Wichtig erscheint jedoch, dass der Planungsträger am Verhandlungstisch verbleibt, um ins Stocken geratende Verhandlungen wieder in Gang bringen zu können. Aufgrund fehlender Zwangsmittel zur Erreichung eines Vertragsabschlusses bleibt dem Planungsträger nur die Gesprächsmoderation und die Beeinflussung der Gesprächsatmosphäre. In Einzelfällen kann das Begleiten der Vertragsverhandlungen durch Sitzungen der politischen Gremien der Planungsträger erfolgreich sein. Über die regelmäßige interne Berichterstattung in den Gremien oder auch extern über die Medien kann in ausgewählten Einzelfällen ein erhöhter
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Verhandlungsdruck aufgebaut werden. Bei einem Zuviel an Öffentlichkeit besteht allerdings die Gefahr, dass der Planungsträger seine Akzeptanz als Moderator verliert und aus dem weiteren Verhandlungsprozess ausgeschlossen wird. Als Vorgabe für den Aushandlungsprozess dient das schriftlich fixierte Ziel der Raumordnung. In der Regel liegen diesem Ziel bereits im Begründungsteil des jeweiligen Planwerkes zahlreiche Informationen für den Verhandlungsgegenstand zugrunde. Denn zur Aufstellung des Ziels sind bereits alle abwägungsrelevanten Belange von der Verwaltung des Planungsträgers erhoben und zumindest im Zeitpunkt der Planverabschiedung auch auf einem aktuellen Stand. In vielen Fällen werden Ziele auch durch Plankonzepte fortgeschrieben, so dass sich aktuelle Daten auch aus diesen Konzepten entnehmen lassen14. Eine Fundgrube für die Vertragsaushandlungsphase sind auch die Protokolle der Sitzungen der Planungsträger zu den relevanten Plansätzen. Diese Protokolle beinhalten vielfach die jeweiligen Interessenlagen der späteren Vertragspartner - sei es, dass sie explizit von den späteren Vertragspartnern bereits geäußert wurden, sei es, dass sich die Interessenlagen in Äußerungen Dritter widerspiegeln. So ist z.B. ein Plansatz, der großflächige Einzelhandelsbetriebe nur in einem bestimmten Typ zentraler Orte vorsieht und das regionalplanerische Integrationsgebot ausformt, in der Regel nicht ohne einen langen und schwierigen Verhandlungsprozess in den jeweiligen Gremien zustande gekommen. Der Planungsträger hat deshalb einen großen Erfahrungs- und Wissensvorsprung in der Aushandlungsphase. Diesen gilt es gezielt und dosiert einzusetzen, um grundsätzliche Debatten, die bereits bei der Zielerstellung überwunden waren, nicht erneut führen zu müssen. 3. Abschlussphase In der Vertragsschlussphase kommt es darauf an, dass die wesentlichen Vertragspartner am Tisch bleiben. Hier ist eine gewisse Zurücknahme des Planungsträgers in der Regel sinnvoll. Die Verkündung der Erfolge sollte den politisch Beteiligten überlassen werden. In dieser Schlussphase ist es sinnvoll, sich durch Entscheidungen in den politischen Gremien Rückendeckung zu verschaffen, um letzte Hürden zu überwinden.
14 Vgl. die Vielzahl der Einzelhandelskonzepte für die Frage der raumordnerischen Steuerung des Einzelhandels.
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Christian Specht 4. Durchführungsphase
In der Vertragsdurchführungsphase ist es wichtig, das Vertragsgefüge am Leben zu erhalten. Gefordert ist dabei eine Art Vertragscontrolling, das sicherstellt, dass die Inhalte des Vertrages eingehalten werden. Dabei sind insbesondere die Fachbehörden gefordert, die Vertragsinhalte zu kontrollieren. Zur Übersicht über die in einem Planungsraum vorhandenen Verträge bietet es sich an, ein Vertragsregister beim Planungsträger zu führen.
5. Beendigungsphase Die Schlussphase eines Vertrages ist entweder gekennzeichnet durch eine Vertragsanpassung oder durch die Vertragsbeendigung. In einigen Fällen sind Vertragsbeendigungsgründe bereits im Vertrag selbst enthalten. Dann wird der Vertrag nach den entsprechenden Vereinbarungen im Vertrag selbst abgewickelt. Gerade eine Vertragsanpassung kann zu einem weiteren intensiven Beratungsbedarf führen.
V. Neue Vertragsanreize durch aktuelle Entwicklungen Auch der Bundesgesetzgeber sieht die aktuelle Notwendigkeit weiterer Kooperationslösungen durch Verträge. So sieht der Referentenentwurf zur Novellierung des Baugesetzbuches eine besondere Kooperationspflicht in § 1 Abs. 5 S. 2 BauGB vor. Darüber hinaus sollen die Ziele der Raumordnung auch bei Vorhaben nach § 34 BauGB zum Einsatz kommen. Danach sollen Vorhaben unzulässig sein, wenn sie den Zielen der Raumordnung widersprechen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche zu erwarten sind. Unter anderem heißt es in den Begründungen, dass Kooperationslösungen auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen Rechtsstreitigkeiten vorzuziehen sind. Auch in Form eines gerichtlichen Vergleichsvertrages zwischen den Trägern der Raumordnungsplanung und der Standortgemeinde können solche Verträge zustande kommen. Der Bundesgesetzgeber will insbesondere einen Impuls zur Fortentwicklung des raumordnerischen Vertrages durch die Schaffung von kooperationsfördernden Anreizsystemen und Kooperationsgeboten geben15.
15
Expertenbericht ist unter www.BVBW.de im Internet abrufbar.
Die Anwendung raumordnerischer Verträge
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VI. Fazit Die vertraglichen Vereinbarungen nach § 13 S. 5 ROG sind neben den Raumordnungsplänen, der Untersagung raumordnungswidriger Planungen, dem Zielabweichungsverfahren und der Raumverträglichkeitsprüfung ein wichtiges Instrument für die zunehmend komplexen Nutzungskonflikte. Entscheidend sind die Motivation und der Kooperationswille der Beteiligten, die aber durch eine aktive Regionalentwicklungspolitik des Planungsträgers erheblich gesteigert werden können.
Windkraftanlagen in der Regionalplanung Von Martin Maslaton
I. Einleitung Die Regionalplanung gewinnt fur den Bereich der Windenergienutzung fortwährend an Bedeutung. Durch die Privilegierung der Windenergienutzung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB ist die Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich unter erleichterten Voraussetzungen zulässig. Vielfach wird in der erleichterten Zulassungsfahigkeit die Gefahr eines „Wildwuchses" von Windenergieanlagen im Außenbereich bzw. die Gefahr einer „Verspargelung der Landschaft" gesehen. Die regionalen Planungsträger haben daher die Privilegierung der Windenergienutzung zum Anlass genommen, bereits auf überörtlicher Ebene nach Steuerungsmöglichkeiten für die Windenergienutzung zu suchen. Durch im Einzelnen unterschiedliche regionalplanerische Festsetzungen soll die Windenergienutzung auf bestimmten Flächen in der Planungsregion konzentriert werden. In diesem Zusammenhang sind u.a. die Raumordnungsklauseln des § 35 Abs. 3 S. 2 und 3 BauGB von zentraler Bedeutung. Danach können die im Regionalplan festgesetzten Ziele der Raumordnung die Zulassungsentscheidungen der Genehmigungsbehörden bei raumbedeutsamen Windenergieanlagenvorhaben beeinflussen. Auf diese Weise entfalten die regionalplanerischen Zielfestsetzungen bodenrechtliche Wirkung. So können sie gem. § 35 Abs. 3 S. 2 1. HS BauGB zur Unzulässigkeit eines Windenergieanlagenvorhabens führen, sofern es nicht im Einklang mit den Zielen der Raumordnung steht. Andererseits können Ziele der Raumordnung die Windenergienutzung gem. § 35 Abs. 3 S. 2 2. HS BauGB in bestimmten Gebieten fördern, wenn das jeweilige Vorhaben mit den Zielen der Raumordnung übereinstimmt. Schließlich kann die Windenergienutzung durch Ziele der Raumordnung gem. § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB auf bestimmte Flächen konzentriert und außerhalb der Konzentrationsbereiche im gesamten Planungsraum ausgeschlossen werden. Dementsprechend ist zu untersuchen, mit welchen Planinhalten die regionalen Planungsträger eine Konzentration von Windenergieanlagen auf bestimmte Gebiete der Planungsregion erreichen können. Vom Grundsatz her kommen hierfür (II.) \orhabenunterstützende und/oder (III.) vorhabenverhindernde
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Martin Maslaton
Festsetzungen als mittelbare Möglichkeiten sowie (IV.) vorhaben konzentrierende Festsetzungen als unmittelbare Möglichkeit in Betracht. Diese drei qualitativen verschiedenen Steuerungswirkungen können unter dem Oberbegriff der vorhabenvorbestimmenden regionalplanerischen Festsetzungen zusammengefasst werden.
I I . Vorhabenunterstützende Festsetzungen Für die Windenergienutzung können Festlegungen in Regionalplänen gebietsbezogen oder allgemeiner Art sein. Zur Unterstützung der Windenergienutzung werden üblicherweise gebietsbezogene Festlegungen getroffen, durch die konkrete Aussagen zur Windenergienutzung hinsichtlich eines bestimmten Gebietes gemacht werden. Als solche Gebietsfestlegungen kommen gem. § 7 Abs. 4 S. 1 ROG Vorranggebiete, Vorbehaltsgebiete sowie Eignungsgebiete in Betracht. Fraglich ist, in welchem Umfang von diesen Festlegungen eine die Windenergienutzung unterstützende Wirkung ausgeht. 1. Vorranggebiete a) Begriffsbestimmung
und Inhalt
Vorranggebiete sind gem. § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ROG Gebiete, die für bestimmte, raumbedeutsame Nutzungen vorgesehen sind und andere raumbedeutsame Nutzungen in diesem Gebiet ausschließen, soweit sie mit den vorrangigen Nutzungen unvereinbar sind. Bei der Ausweisung von Vorranggebieten ist mithin aufgrund einer abschließenden Abwägung eine regionalplanerische Letztentscheidung in dem Sinne getroffen worden, dass eine bestimmte Raumnutzung im Konfliktfall absoluten Vorrang vor anderen Nutzungen genießt.1 Alle raumbedeutsamen Funktionen oder Nutzungen müssen mit der vorrangigen Zweckbestimmung vereinbar sein.2 Entgegenstehende Nutzungen und Funktionen sind nicht zulässig.3 1
BVerwG, Beschl. vom 20.8.1992 (4 NB 20/91), NVwZ 1993, 167, 168; Geyer, Vorrangkonzepte für Freiraumfunktionen, 1987, S. 187. 2 Vgl. BVerfG, Beschl. vom 23.6.1987 (2 BvR 826/83), NVwZ 1988, 47, 49; Schink, in: Jarass, Raumordnungsgebiete, 1998, S. 56; Runkel, UPR 1997, 1, 6; Hoppe / Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und des Landes Niedersachsen, 1987, Rn. 94; Paßlick, Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, 1986, S. 124. 3 Goppel, BayVBl. 1984, 229, 232.
Windkraftanlagen in der Regionalplanung
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b) Rechtsnatur Die Ausweisung eines Vorranggebietes fiir die Windenergienutzung stellt daher ein Ziel der Raumordnung (§ 3 Nr. 2 ROG) dar. Denn die prinzipielle Ausschlusswirkung für entgegenstehende Raumnutzungen ist nur gerechtfertigt, sofern bei der Aufstellung des Regionalplans bereits eine abschließende Abwägung aller Raumansprüche stattgefunden hat.4 c) Umfang der unterstützenden
Wirkung
Die Vorranggebiete sind damit ein taugliches Instrument der Regionalplanung, die unterstützende Wirkung nach § 35 Abs. 3 S. 2 2. HS BauGB herbeizuführen, wonach die Genehmigungsbehörde einem Windenergieanlagenvorhaben solche öffentliche Belange nicht mehr entgegenhalten darf, die bereits bei der zielformigen Festlegung abgewogen worden sind. Zudem kommt den Vorranggebieten eine fördernde Wirkung insoweit zu, als Nutzungen und Funktionen, die mit der Windenergienutzung nicht vereinbar sind, in den Vorranggebieten für die Windenergienutzung gem. § 35 Abs. 3 S. 2 1. HS BauGB unzulässig sind.
2. Vorbehaltsgebiete a) Begriffsbestimmung
und Inhalt
Im Gegensatz zu Vorranggebieten sind Vorbehaltsgebiete gem. § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 ROG solche Gebiete, in denen bestimmten raumbedeutsamen Nutzungen - wie der Windenergienutzung - innerhalb des Gebietes bei der Abwägung mit konkurrierenden Nutzungsansprüchen ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Damit wird zwar auch durch die Festlegung von Vorbehaltsgebieten für die Windenergienutzung dieser Nutzung ein gewisser Vorrang eingeräumt; 5 die Entscheidung darüber, ob sich die vorbehaltene Windenergienutzung gegenüber anderen Nutzungen und Funktionen tatsächlich durchsetzt, wird jedoch erst auf der nachgeordneten Planungs- oder Zulassungsebene im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der verschiedenen Raumansprüche getroffen. 6 Der je4 Schmidt, Wirkung von Raumordnungszielen auf die Zulässigkeit privilegierter Außenbereichsvorhaben, 1997, S. 75; Lehners, Raumordnungsgebiete nach dem Raumordnungsgesetz 1998, 1998, S. 29. 5 Goppel, BayVBl. 1984, 229, 232; Geyer, a.a.O., S. 146. 6
Runkel, DVB1. 1997, 275, 276.
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weilige Verwaltungsträger kann sich bei der Abwägung der widerstreitenden Belange über den sog. relativen Vorrang der vorbehaltenen Windenergienutzung hinwegsetzen und anderen, im Einzelfall gewichtigeren Belangen, den Vorzug gewähren.7 In Anbetracht dessen stellen Vorbehaltsgebiete keine regionalplanerische Letztentscheidung für eine bestimmte Nutzung dar. Vielmehr sind in dem ausgewiesenen Gebiet mehrere Nutzungen nebeneinander zulässig.8 Erst auf der nachgeordneten Stufe werden diese gegen- und untereinander abgewogen. b) Rechtsnatur: Vorbehaltsgebiet,
Grundsatz oder Ziel der Raumordnung?
Demnach werden Vorbehaltsgebiete überwiegend nicht als Ziele der Raumordnung qualifiziert, sondern als Abwägungsdirektiven den Grundsätzen der Raumordnung (§ 3 Nr. 3 ROG) zugerechnet.9 Nach anderer Auffassung 10 sind Vorbehaltsgebiete indes ebenfalls als Ziele der Raumordnung einzustufen. Für den Zielcharakter einer Gebietsausweisung komme es nicht darauf an, dass die Festsetzung eine landesplanerische Letztentscheidung über die konkrete Nutzung einer Fläche enthält. Vielmehr sei der Begriff der abschließenden Abwägung bzw. landesplanerischen Letztentscheidung im mehrstufigen System der räumlichen Gesamtplanung ebenspezifisch zu verstehen. Hiervon ausgehend sei auch die Festlegung eines Vorbehaltsgebietes das Ergebnis einer abschließenden Abwägung im Sinne des § 3 Nr. 2 ROG. Denn mit der Festlegung eines Vorbehaltsgebietes entscheide der Träger der Regionalplanung nach vorausgegangener Abwägung auf landesplanerischer Ebene abschließend, dass der vorbehaltenen Nutzung ein besonderes Gewicht zukommt. In der nachfolgenden Abwägung auf der Ebene der Bauleitplanung sei dann der vorbehaltene Belang mit dem für ihn (abschließend) festgelegten Gewicht einzustellen, was denknotwendig auch mit einschließe, dass er bei noch gewichtigeren Belangen im Einzelfall auch einmal unterliegen könne. Damit werde aber auf der Ebene der Bauleitplanung nicht etwa das Ziel „Vorbehaltsgebiet" abgewogen. Vielmehr fände die Abwägung aufgrund des Ziels,
7
Goppel, BayVBl. 1984, 229, 232. Lehners, a.a.O., S. 41. 9 Runkel, DVB1. 1997, 275, 279; Schmidt, a.a.O., S. 78; Lehners, a.a.O., S. 52; Erbguth, DVB1. 1998, 209, 212; Schink, in: Jarass, a.a.O., S. 58; Geyer, a.a.O., S. 187; OVG Lüneburg, Urt. vom 19.8.1995 (1 L 894/94), NuR 1996, 360 f.; a. A. BayVGH, Urt. vom 14.10.1996 (14 Ν 94/4159), BayVBl. 1997, 178, 179; Goppel, BayVBl. 1984, 229, 232. 10 Goppel, BayVBl. 1998, 289, 291; Hendler, in: Jarass, a.a.O., S. 107 und 111; vgl. auch BayVGH, Urt. vom 21.1.1998 (26 Ν 95 / 1632), BayVBl. 1998, 436, 437. 8
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189
d. h. unter Einstellung des besonderen Gewichts, das mit dem Vorbehalt festgelegt wurde, statt. Im Ergebnis spricht gegen diese Argumentation, dass Ziele der Raumordnung als Rechtssätze im materiellen Sinne11 dem Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG genügen müssen. Da aus der Festsetzung eines Ziels der Raumordnung gem. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG eine Beachtenspflicht folgt, muss für die Zieladressaten aus der zeichnerischen Darstellung, der textlichen Beschreibung oder aus deren Kombination selbst erkennbar sein, was von ihnen bezogen auf eine bestimmte räumliche Situation verlangt wird und inwieweit ihre Planungsbefugnis beschränkt ist. 12 Daher mag es zwar zutreffend sein, dass bei der Festsetzung eines Vorbehaltsgebietes auf der Ebene der Regionalplanung abschließend festgelegt ist, dass einer bestimmten Nutzung ein besonderes Gewicht zukommt. Allerdings fehlt dieser Festsetzung die für ein Ziel der Raumordnung erforderliche sachliche Bestimmtheit.13 Durch die bloße Ausweisung eines Vorbehaltsgebietes wird das Maß des besonderen Gewichts der vorbehaltenen Nutzung nicht näher präzisiert. Dementsprechend ist für die örtlichen Planungsträger in keiner Weise erkennbar, mit welchem Gewicht sie die vorbehaltene Nutzung nunmehr in die Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB genau einstellen müssen und welches Gewicht andere Belange haben müssen, um sich gegenüber der vorbehaltenen Nutzung durchsetzen zu können. Ohne nähere Handlungsanweisung14 im Regionalplan können die örtlichen Planungsträger dies auch nicht durch Auslegung ermitteln. Mithin fehlt zumindest bei der bloßen Ausweisung eines Vorbehaltsgebietes, d. h. ohne nähere Vorgaben für die Gewichtung der vorbehaltenen Nutzung in der nachfolgenden Abwägung, aus Sicht des Zieladressaten die erforderliche Normenklarheit. Diese fehlende Bestimmtheit geht zu Lasten der Zielqualität, 15 so dass der Festsetzung eines Vorbehaltsgebietes auch insoweit keine Zielqualität zukommt, soweit sie einer bestimmten Nutzung ein besonderes Gewicht verleiht. c) Umfang der unterstützenden
Wirkung
Aufgrund der fehlenden Zielqualität vermag die Festlegung von Vorbehaltsgebieten, in denen der Windenergienutzung gegenüber anderen Nutzungen ein 11
Brügelmann, BauGB, Stand: Januar 2003, Band 1, § 1 Rn. 342. Brügelmann, BauGB, a.a.O., § 1 Rn. 390. 13 Paßlick, a.a.O., S. 125. 14 Bei Beifügung einer Handlungsanweisung für eine Zielqualität: Folkerts, Raumordnungsziele im Ländervergleich, 1988, S. 67. 15 Bielenberg / Runkel / Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Band 2, Κ § 3 Rn. 29; Brügelmann, BauGB, a.a.O., § 1 Rn. 390. 12
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besonderes Gewicht beigemessen wird, nur in erheblich eingeschränktem Maße positive Wirkungen für die Windenergienutzung auszulösen. Insbesondere kommt der Windenergienutzung in einem Vorbehaltsgebiet nicht die vorhabenunterstützende Wirkung des § 35 Abs. 3 S. 2 2. HS BauGB zugute. Das gilt selbst dann, wenn bei der Ausweisung bestimmte öffentliche Belange bereits abgewogen worden sind. Denn § 35 Abs. 3 S. 2 2. HS BauGB verlangt für seine Anwendbarkeit zwingend die Festlegung eines Ziels der Raumordnung. Hieran fehlt es bei der Ausweisung von Vorbehaltsgebieten gerade. Auch schließen Vorbehaltsgebiete für die Windenergienutzung wegen der fehlenden Zielqualität konkurrierende Nutzungen nicht gem. § 35 Abs. 3 S. 2 1. HS BauGB aus.
3. Eignungsgebiete a) Begriffsbestimmung
und Inhalt
Nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ROG handelt es sich bei Eignungsgebieten um solche Gebiete, die für bestimmte raumbedeutsame Maßnahmen geeignet sind, die städtebaulich nach § 35 BauGB des Baugesetzbuchs zu beurteilen sind und an anderer Stelle im Planungsraum ausgeschlossen werden. Die Kategorie des Eignungsgebietes enthält damit eine innergebietliche sowie eine außergebietliche Komponente. Außergebietlich bewirkt die Ausweisung von Eignungsgebieten, dass raumbedeutsame Maßnahmen im gesamten übrigen Planungsraum ausgeschlossen sind. Innergebietlich beschränkt sich die Festsetzung von Eignungsgebieten auf die Feststellung der Geeignetheit der Fläche für die Windenergienutzung. 16 Die innergebietliche Eignung konstatiert mithin eine räumliche Qualität der betreffenden Gebiete für eine bestimmte Nutzung. 17 Anders als Vorranggebiete begründet diese Kategorie indes keinen Durchsetzungsanspruch der Windenergienutzung gegenüber einer konkurrierenden Nutzung. Auch andere Nutzungen können auf der als geeignet festgestellten Fläche zugelassen werden; selbst dann, wenn sie der Nutzung, für die das Eignungsgebiet ausgewiesen ist, widerspricht. 18 Ansonsten bedürfte es nicht der ausdrücklichen Regelung des § 7 Abs. 4 S. 2 ROG, die die Möglichkeit einer Kombination von Vorrang- und Eignungsgebieten eröffnet. Vor diesem 16 Schmidt, a.a.O., S. 76; noch weitergehend: Goppel, in: Jarass, Raumordnungsgebiete, 1998, S. 33, der den Eignungsgebieten innergebietlich jegliche positive Regelungswirkung abspricht. 17 Lehners, a.a.O., S. 56. 18 Bielenberg / Runkel / Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 55; Schmidt, a.a.O., S. 76; Hendler, in: Jarass, a.a.O., S. 112 f.; a. A. für einen absoluten Vorrang: Lehners, a.a.O., S. 77.
Windkraftanlagen in der Regionalplanung
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Hintergrund können die Gemeinden bei Eignungsgebieten für die Windenergienutzung beispielsweise im Flächennutzungsplan in einzelnen Bereichen sog. Konzentrationsräume darstellen und in anderen Bereichen sich überlagernde Nutzungen vorsehen. Sie sind lediglich daran gehindert, durch positive Darstellungen die Eignung des Gebiets für die Windenergienutzung auszuschließen.19 b) Rechtsnatur Fraglich ist, ob Eignungsgebiete als Ziele der Raumordnung gem. § 3 Nr. 2 ROG zu qualifizieren sind. Nach allgemeiner Auffassung ist die außergebietliche Ausschlusswirkung der Eignungsgebiete als Ziel der Raumordnung einzustufen. 20 Denn die Ausschlusswirkung ist für die nachgeordneten Planungsträger bindend und kann nicht etwa durch Abwägung zugunsten einer Ausweisung von Windenergieanlagen außerhalb der festgelegten Eignungsgebiete überwunden werden. Problematisch ist hingegen, ob der Kategorie der Eignungsgebiete auch im Rahmen ihrer innergebietlichen Funktion Zielqualität beigemessen werden kann. Teilweise wird dies mit dem Argument abgelehnt, Eignungsgebiete enthielten innergebietlich keine landesplanerische Letztentscheidung, da sie keine abschließende Vorrangbestimmung für eine bestimmte Nutzung enthielten.21 Dieser Umstand ist indes nicht geeignet, den Eignungsgebieten jegliche Zielqualität im Rahmen ihrer innergebietlichen Komponente abzusprechen. Hier kommt nunmehr die im Zusammenhang mit den Vorbehaltsgebieten bereits dargestellte Argumentation zum Tragen: Der Begriff der abschließenden Abwägung in § 3 Nr. 2 ROG ist ebenspezifisch zu verstehen. 22 Im Hinblick auf die Charakterisierung der Raumordnung als übergeordnete Planung müssen landesplanerische Zielaussagen nicht sämtliche Konflikte, die die Bodennutzung betreffen, umfassend und abschließend abwägen.23 Sie geben der Abwägung auf der Ebene der Bauleitplanung lediglich einen verbindlichen Rahmen vor, der den verbleibenden Gestaltungsspielraum der örtlichen Planungsträger je nach Inhalt und Konkretisierungsgrad mehr oder weniger einschränkt. 24 Ausreichend für die Zielqualität ist daher, dass die landesplanerische Abwägung nur zu ei-
19
Bielenberg / Runkel / Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 55. Erbguth, DVB1. 1998, 209; Schink, in: Jarass, a.a.O., S. 59; Goppel, in: Jarass, a.a.O., S. 33; Hendler, in: Jarass, a.a.O., S. 112; Lehners, a.a.O., S. 63. 21 Erbguth, DVB1. 1998, 209, 213; vgl. auch Schink, in: Jarass, a.a.O, S. 59. 22 Goppel, BayVBl. 1998, 289, 291; Scheipers, Ziele der Raumordnung und Landesplanung aus Sicht der Gemeinden, 1995, S. 37. 23 Schmidt, a.a.O., S. 79; Scheipers, a.a.O., S. 37; Folkerts, a.a.O., S. 65. 24 Goppel, BayVBl. 1998, 289, 291; Folkerts, a.a.O., S. 65. 20
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nem bestimmten - räumlich und sachlich hinreichend konkretisierten - verbindlichen Entscheidungsgehalt fuhrt, der bei der weiteren Zielkonkretisierung nicht mehr zur Disposition steht.25 In Anbetracht dessen steht es der Zielqualität von Eignungsgebieten nicht entgegen, dass sich der regionale Planungsträger mit der Ausweisung solcher Gebiete noch nicht endgültig für eine konkrete Nutzung entschieden hat. Ausreichend ist vielmehr, dass durch die Ausweisung eines Eignungsgebietes abschließend und verbindlich festgestellt wird, dass die Fläche fur eine bestimmte Nutzung geeignet ist. Hierdurch wird der örtliche Planungsträger daran gehindert, im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB die Eignung eines Standortes fur eine bestimmte Nutzung wieder in Frage zu stellen sowie die Eignung des Gebietes durch Darstellung anderer positiver Nutzungen auszuschließen26. Die durch die Ausweisung von Eignungsgebieten zum Ausdruck kommende Feststellung der Eignung für eine bestimmte Nutzung stellt daher eine - räumlich und sachlich hinreichend konkretisierte 27 landesplanerische Letztentscheidung und damit ein Ziel der Raumordnung dar. 28 c) Umfang der unterstützenden
Wirkung
Trotz der Zielqualität von Eignungsgebieten ist deren vorhabenunterstützende Wirkung für die Windenergienutzung im unbeplanten Außenbereich relativ gering. Dies liegt darin begründet, dass die Eignungsgebiete zwar die Eignung einer Fläche für die Windenergienutzung verbindlich feststellen, ihnen darüber hinaus aber keine nutzungssichernde Funktion zukommt. Aus diesem Grund kommt § 35 Abs. 3 S. 2 2. HS BauGB einem in einem Eignungsgebiet gelegenen Windenergieanlagenvorhaben grundsätzlich nur derart zugute, dass die Genehmigungsbehörde dem Vorhaben solche Belange nicht entgegenhalten darf, die zur Feststellung der Eignung bereits abschließend auf der Regionalplanebene abgewogen worden sind. Andere Belange, wie etwa naturschutzrechtlich bedeutsame kleinere Denkmäler oder ortsbezogene Biotope, die für den regionalen Planungsträger entweder nicht erkennbar oder wegen der Grobmaschigkeit der Regionalplanung nicht abzuwägen waren, können der Verwirklichung eines Windenergieanlagenvorhabens durchaus entgegengehalten werden. 29 Der An-
25
Schmidt, a.a.O., S. 79; Scheipers, a.a.O., S. 37. Bielenberg /Runkel / Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 55. 27 Hieran fehlt es aber bei der Ausweisung von Vorbehaltsgebieten; aus diesèm Grund ist die durch die Ausweisung eines Vorbehaltsgebietes zum Ausdruck kommende landesplanerische Entscheidung, dass der vorbehaltenen Nutzung ein besonderes Gewicht zukommt, nicht als Ziel der Raumordnung zu qualifizieren. 28 Schmidt, a.a.O., S. 80; Bielenberg / Runkel / Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 55. 26
29
Schmidt, a.a.O., S. 136.
Windkraftanlagen in der Regionalplanung
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Wendungsbereich von § 35 Abs. 3 S. 2 1. HS BauGB ist ebenfalls sehr eingeschränkt. Da der Windenergienutzung durch die Ausweisung von Eignungsgebieten in diesen Gebieten kein absoluter Vorrang zukommt, sind konkurrierende Nutzungen in diesen Gebieten grundsätzlich nicht wegen Widerspruchs zu den Zielen der Raumordnung gem. § 35 Abs. 3 S. 2 1. HS BauGB ausgeschlossen. Etwas anderes gilt ausschließlich dann, sofern die konkurrierende Nutzung die Eignung der Fläche fiir die Windenergienutzung beeinträchtigt. 30
I I I . Vorhabenverhindernde Festsetzungen Im Rahmen der vorhabenverhindernden Festsetzungen kommen vor allem die Festsetzung anderer positiver Nutzungen und Funktionen sowie - von den regionalen Planungsträgern hinlänglich praktiziert - die Festsetzung von Ausschlussgebieten für die Windenergienutzung und die Festsetzung von Abstandsflächen zwischen den einzelnen Windenergieanlagenstandorten in Betracht. 1. Festsetzung anderer positiver Nutzungen und Funktionen Zunächst kann eine die Windenergienutzung verhindernde Wirkung durch positive anderweitige Nutzungs- und Funktionszuweisungen erreicht werden. In diesem Fall kann in den entsprechenden Gebieten einem Windenergieanlagenvorhaben gem. § 35 Abs. 3 S. 2 1. HS BauGB ein öffentlicher Belang 31 entgegengehalten werden, sofern die Windenergienutzung der positiven Nutzungsbzw. Funktionszuweisung widerspricht. Nicht erforderlich ist, dass das Raumordnungsziel selbst die auszuschließenden Nutzungen bezeichnet.32 Jedoch ist Voraussetzung, dass für das Gebiet eine räumlich und sachlich hinreichend konkrete Positivzuweisung für eine bestimmte Nutzung bzw. Funktion getroffen wurde. Nur wenn ein Bereich einem konkreten Zweck oder einer bestimmten Nutzung zugewiesen wird, ist eindeutig erkennbar, ob ein Windenergieanlagenvorhaben den Festlegungen widerspricht oder nicht.
30
Vgl. Bielenberg /Runkel /Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 55. Vgl. zur Einstufung der Raumordnungsklausel als öffentlicher Belang, zumindest sofern bei Aufstellung des Regionalplans keine privaten Belange abgewogen wurden: BVerwG, Urt. vom 19.7.2001 (4 C 4 / 00), NVwZ 2002, 476. 32 Bielenberg / Runkel / Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 54; Schmidt, a.a.O., S. 27; a. A. OVG Lüneburg, Urt. vom 23.9.1977 (I A 182 / 76), BRS 32 Nr. 80 für Wasserschongebiet. 31
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Die durch die Positivzuweisung indirekt veranlasste Negativwirkung ist eine grundsätzlich zulässige Wirkung von Zielen der Raumordnung. 33 Eine Grenze ergibt sich aber in den Fällen, wo die Negativwirkung der primär verfolgte Zweck ist und es entweder an einer räumlich und sachlich konkreten Positivzuweisung in diesem Bereich mangelt oder ihr keine praktische Bedeutung zukommt. Dann handelt es sich um eine reine - unzulässige - Negativplanung.34 Nicht ausreichend ist daher die bloße Ausweisung von Freiräumen. Denn hierdurch sollen lediglich abstrakt und landesplanerisch nicht greifbar andere Planungen und Vorhaben verhindert werden, ohne zugleich eine bestimmte Funktion oder Nutzung für diesen Raum festzulegen. 35 Damit würde die Regionalplanung zu einer reinen Freihalteplanung degenerieren.
2. Festsetzung von Ausschlussgebieten für die Windenergienutzung Unbedenklich ist die zielförmige Festsetzung von Ausschlussgebieten für die Windenergienutzung, soweit für den Bereich der Ausschlussgebiete eine konkrete positive Nutzungs- bzw. Funktionszuweisung erfolgt ist. Denn in diesem Fall hat der regionale Planungsträger die aus der Positivzuweisung ohnehin folgende Negativwirkung für die Windenergienutzung lediglich noch einmal ausdrücklich festgelegt. Zweifelhaft ist hingegen die Festlegung von Ausschlussgebieten für die Windenergienutzung ohne Positivzuweisung in diesem Bereich. Durch die Ausweisung solcher Gebiete wird die Windkraftnutzung in - eventuell sehr weiten - Bereichen des Plangebiets verboten, ohne dass der Regionalplan für diese Bereiche zugleich positiv eine andere Nutzung bzw. Funktion festsetzt. Eine derartige Negativplanung ist grundsätzlich unzulässig.36 Etwas anderes gilt dann - aber auch nur dann - , wenn neben der Festsetzung von Ausschlussgebieten für die Windenergienutzung im Regionalplan andererseits Vorranggebiete für die Windenergienutzung ausgewiesen werden. Hierfür spricht § 7 Abs. 4 S. 2 ROG. Wenn danach durch die Festsetzung von Vorranggebieten erreicht werden kann, dass die Windenergienutzung außerhalb dieser Gebiete im gesamten Planungsraum ausgeschlossen ist, muss es bei gleichzeitiger Ausweisung von
33
Bielenberg / Runkel / Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 54; vgl. für die Bebauungsplanung BVerwG, Urt. vom 28.4.1978 (4 C 59 / 75) Buchholz 406.12 zu § 10 BauNVO Nr. 1; vgl. für den Flächennutzungsplan BVerwG, Urt. vom 17.12.2002 (4. Senat); Entscheidungen vom 13.3.2003. 34 Bielenberg / Runkel / Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 54. 35 Paßlick, a.a.O., S. 258; BVerwG, 4 C 3.02 („Trier"). 36 Bielenberg /Runkel /Spannowsky, a.a.O., Κ § 3 Rn. 54 f.; Schmidt, a.a.O., S. 132.
Windkraftanlagen in der Regionalplanung
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Vorranggebieten erst recht möglich sein, die Windenergienutzung in bestimmen Bereichen des Planungsraums auszuschließen.37 Voraussetzung ist aber, dass die Festsetzung der Ausschlussbereiche sowie der Vorranggebiete aufgrund einer fehlerfreien Abwägung vorgenommen wird. Erfolgt demnach die Festsetzung eines Ausschlussgebietes für die Windenergienutzung beispielsweise zum Schutz eines bestimmten Landschaftstyps oder eines besonderen Naturvorkommens (ζ. B. Vogelrastgebiet), muss das gesamte Ausschlussgebiet insoweit auch schutzbedürftig sein. In Anbetracht dieser Grundsätze hat das SächsOVG die Festsetzung des „Sichtexponierten Elbtalbereiches" im Regionalplan Oberes Elbtal / Osterzgebirge, der sich nach dem Willen des Planungsverbandes zum Schutz landschaftsprägender Höhenrücken, Kuppen und Hanglagen auf mehreren Kilometern links und rechts der Elbe durch den gesamten Planungsraum ziehen sollte, für nichtig erklärt, da nicht im gesamten „Sichtexponierten Elbtalbereich" derartige Oberflächenformen vorkommen. 38 Andererseits ist die Festsetzung der Vorranggebiete für die Windenergienutzung etwa dann abwägungsfehlerhaft, wenn sich der regionale Planungsträger bei der Ausweisung dieser Gebiete vorrangig danach gerichtet hat, ob die betroffenen Gemeinden ihr Einvernehmen erteilen. 39 Die Festlegung von Vorranggebieten im Regionalplan ist aus übergeordneter Sicht der planenden Region vorzunehmen und darf sich nicht ausschlaggebend nach den „Singularinteressen" der einzelnen Gemeinden richten. Aus diesem Grund ist es ebenso abwägungsfehlerhaft, wenn der regionale Planungsträger - wie im Regionalplan Westsachsen - die Ausweisung von Vorranggebieten für die Windenergienutzung davon abhängig gemacht hat, ob für das betreffende Gebiet ein Antrag auf Ausweisung der Gemeinde vorliegt und die Fläche allein deshalb nicht mehr in Betracht gezogen hat, sobald der Antrag zurückgenommen oder die Ausweisung durch die Gemeinde auf sonstige Weise abgelehnt wurde.
3. Festsetzung von Abstandsflächen In vielen Fällen sind die regionalen Planungsträger dazu übergegangen, zwischen Windenergieanlagenstandorten eine pauschale Abstandsfläche als Ziel der Raumordnung festzulegen, innerhalb derer die Errichtung von Windenergieanlagen unzulässig sein soll. Begründet wird die Notwendigkeit solcher Abstandsflächen in der Regel damit, nur hierdurch könne eine übermäßige Dominanz der Windenergieanlagen im Landschaftsbild vermieden werden. Mithin
37 38 39
332.
Vgl. auch Schmidt, a.a.O., S. 89. SächsOVG, Urt. vom 26.11.2002 (1 D 36 / 01). OVG Lüneburg, Beschl. vom 20.12.2001 (1 MA 3579/01), NVwZ-RR 2002,
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knüpft die pauschale Abstandsflächenfestsetzung regelmäßig an die sog. Dominanzwirkung von Windenergieanlagen an. Vor diesem Hintergrund mag etwa die Festsetzung einer pauschalen Abstandsfläche von 5 km in den Küstenregionen mit ihren generell weiten Sichtverhältnissen gerechtfertigt sein. 40 In Planungsregionen mit unterschiedlichen topographischen Verhältnissen fragt sich hingegen, inwieweit eine solche pauschale Abstandsfläche abwägungsfehlerfrei festgelegt werden kann. 41 Sofern die Region durch unterschiedliche topographische Verhältnisse geprägt ist, sind die Sichtweiten in der Planungsregion ebenfalls überaus verschieden. Dementsprechend wird aber auch die von der Sichtweite abhängige Wirkung von Windenergieanlagen - je nach den konkreten topographischen Verhältnissen - sehr unterschiedlich ausfallen und kann keineswegs generell bemessen werden.
IV. Vorhabenkonzentrierende Festsetzungen Zur unmittelbaren Vorhabenkonzentration greifen die regionalen Planungsträger regelmäßig auf gebietsbezogene Festlegungen zurück. Daher ist zu untersuchen, inwieweit die in § 7 Abs. 4 ROG vorgesehenen Gebietsfestlegungen die Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB für raumbedeutsame Windenergieanlagenvorhaben im Außenbereich auszulösen vermögen. Nach dieser Vorschrift stehen einem raumbedeutsamen Windenergieanlagenvorhaben öffentliche Belange in der Regel entgegen, wenn als Ziel der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Hierdurch erlangen die im Regionalplan aufgestellten Ziele der Raumordnung bodenrechtliche Wirkung und schließen Windenergieanlagen im Außenbereich außerhalb der Gebietsausweisungen in der Regel aus. Fraglich ist daher, welche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal „Ausweisung an anderer Stelle" in § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt BauGB zu stellen sind.
1. Vorbehaltsgebiete Zunächst verlangt § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB, dass die Ausweisung an anderer Stelle als Ziel der Raumordnung erfolgt. Den Vorbehaltsgebieten gem.
40 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. vom 21.7.1999 (1 L 5203/96), NVwZ 1999, 1358, 1359; Urt. vom 14.9.2000 (1 Κ 5414/98), NVwZ 2001, 452, 453, wo es ausdrücklich offen lässt, ob die pauschale Abstandsfläche von 5 km in anderen Landschaftsbildern ebenfalls erforderlich ist. 41 Einen Abwägungsfehler auch insoweit verneinend: SächsOVG, Urt. vom 26.11.2002(1 D 36/Ol).
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§ 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 ROG kommt aber keine Zielqualität zu. Vielmehr sind sie als Abwägungsdirektive für die nachgeordneten Planungsträger den Grundsätzen der Raumordnung zuzurechnen, 42 so dass Vorbehaltsgebiete schon aus diesem Grund nicht unter den Ausweisungsbegriff des § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB subsumiert werden können. Vorbehaltsgebiete sind demnach nicht geeignet, raumbedeutsame Windenergieanlagenvorhaben im übrigen Außenbereich des Plangebietes auszuschließen.43
2. Eignungsgebiete Problematisch ist die Ausweisung von Eignungsgebieten. In Anbetracht der Begriffsbestimmung in § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ROG scheint die Ausweisung von Eignungsgebieten auf den ersten Blick das geeigneteste Mittel, um die Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB herbeizuführen. 44 Denn nach der Definition des § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ROG bewirkt die Ausweisung von Eignungsgebieten gleichzeitig den Ausschluss von raumbedeutsamen Maßnahmen an anderer Stelle. Jedoch lässt sich weder aus dieser Begriffsbestimmung noch aus sonstigen Vorschriften des ROG ableiten, welche Rechtsfolgen die Ausweisung von Eignungsgebieten für Zulassungsentscheidungen hinsichtlich privater Außenbereichsvorhaben hat. Diese Rechtsfolgen ergeben sich ausschließlich aus den für die Zulassungsentscheidung maßgebenden Vorschriften - was § 4 Abs. 4 S. 1 ROG ausdrücklich klarstellt. Mithin ist für die Frage, ob durch die Ausweisung von Eignungsgebieten raumbedeutsame Windenergieanlagenvorhaben außerhalb dieser Gebiete im Außenbereich ausgeschlossen sind, allein auf § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB abzustellen. Eine Ausschlusswirkung für Windenergieanlagen im Außenbereich können Eignungsgebiete demnach nur entfalten, sofern sie eine „Ausweisung an anderer Stelle als Ziel der Raumordnung" i.S.d. § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB darstellen. Bei dieser Beurteilung kommt es maßgeblich auf den Inhalt der innergebietlichen Komponente der Eignungsgebiete an. 45 Innergebietlich stellt die Ausweisung eines Eignungsgebietes die Eignung einer Fläche für eine bestimmte Nutzung - hier der Windenergienutzung - verbindlich fest. Zwar sind Eig42
Siehe zur Frage der Zielqualität von Vorbehaltsgebieten ausführlich unter II 2. Schmidt, DVB1. 1998, 669, 674; vgl. auch Erbguth, DVB1. 1998, 209, 213 f., der aber den Anwendungsbereich durch eine teleologische Reduktion auf Ausweisungen an anderer Stelle als Grundsätze der Raumordnung erweitern will; dem stehen indes die unter III 2 dargestellten Voraussetzungen entgegen. 44 Vgl. Ernst /Zinkahn /Bielenberg /Krautzberger, BauGB, Stand: August 2002, § 35 Rn. 127. 45 Siehe zur Unterscheidung von innergebietlicher und außergebietlicher Komponente bei Eignungsgebieten unter II 3. 43
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nungsgebiete damit (auch) hinsichtlich ihrer innergebietlichen Funktion als Ziele der Raumordnung zu qualifizieren. 46 Jedoch kommt den Eignungsgebieten keine nutzungssichernde Wirkung zu. D. h. im Unterschied zu Vorranggebieten (§ 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ROG) begründet die Festsetzung von Eignungsgebieten innerhalb dieser Gebiete für die Windenergienutzung keinen Durchsetzungsanspruch gegenüber konkurrierenden Nutzungen.47 Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob die Ausweisung von Eignungsgebieten eine „Ausweisung an anderer Stelle" i.S.d. § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB darstellt. Die Vorschrift selbst bezeichnet keine weiteren Anforderungen, die an die Zielausweisung zu stellen sind. Dennoch wird man für die „Ausweisung an anderer Stelle" gem. § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB eine nutzungssichernde Wirkung fordern müssen. Hierfür spricht maßgeblich die historische Entwicklung der gesetzlichen Regelung: Aus der Entstehungsgeschichte des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB geht hervor, dass der Gesetzgeber damit die Rechtsprechung des BVerwG zu den sog. „Abgrabungskonzentrationszonen" in Flächennutzungsplänen aufgreifen wollte. 48 Nach dieser Rechtsprechung können Planungsträger Maßnahmen durch räumliche Konzentration „kanalisieren", um auf diese Weise negative Auswirkungen bestimmter Maßnahmen zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Hierzu können sie durch positive Flächenausweisung an einer oder mehreren Stellen im Planungsraum ihr übriges Plangebiet von den auf den ausgewiesenen Flächen vorgesehenen Nutzungen freihalten. 49 Mithin knüpft die umfassende Ausschlusswirkung im übrigen Planungsraum an eine Positivausweisung an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das BVerwG in den Entscheidungen zu den Abgrabungskonzentrationszonen auf eine explizite Darstellung einer Abgrabungsfläche abgestellt hat, die den so dargestellten Standort für Abgrabungen vorhalten und gegen andere Nutzungszuweisungen sichern soll. In Anbetracht dessen spricht vieles dafür, dass nach Ansicht des BVerwG ausschließlich solche Darstellungen Ausschlusswirkung außerhalb der dargestellten Flächen herbeizuführen vermochten, die der zugewiesenen Nutzung einen Durchsetzungsanspruch gegenüber konkurrierenden Nutzungen verliehen. Die weitere Gesetzesentwicklung des § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB spricht ebenfalls dafür, den Begriff der „Ausweisung an anderer Stelle" im Sinne der Notwendigkeit einer Ausweisung mit striktem Durchsetzungsanspruch auszulegen. Im Wortlaut der Gesetzesentwürfe zur Regelung des Planvorbehalts wurde zunächst von „Vor-
46
Siehe zur Zielqualität von Eignungsgebieten ausführlich unter II 3. Siehe zum Inhalt der Eignungsgebiete ausführlich unter II 3. 48 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, BT-Drs. 13 / 4978, S. 7; vgl. BVerwG, Urt. vom 17.12.2002. 49 BVerwG, Urt. vom 22.5.1987 (4 C 57 / 84), NVwZ 1988, 54, 55 f.; Beschl. vom 3.6.1998 (4 Β 6 / 98), NVwZ 1998, 960. 47
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rangausweisungen" gesprochen. 50 Hierdurch wäre eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass den Nutzungen, die von der Konzentrationswirkung erfasst werden sollen, in den ausgewiesenen Gebieten ein absoluter Vorrang zukommen muss. Diese Formulierung konnte letztlich nur deshalb nicht in die endgültige Gesetzesfassung übernommen werden, da es zu diesem Zeitpunkt noch keine gesetzliche Regelung fur „Vorrangausweisungen" gab. 51 Allein aus diesem Grund wurde der Begriff der Vorrangausweisung im weiteren Gesetzgebungsverfahren durch den Begriff des Ziels der Raumordnung ersetzt. Die Notwendigkeit eines innergebietlichen Durchsetzungsanspruchs gegenüber konkurrierenden Nutzungen sollte hierdurch aber nicht tangiert werden. 52 Mithin entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, dass ausschließlich positive nutzungssichernde Zielaussagen das Zurücktreten der Privilegierung gem. § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB kompensieren. Dies setzt eine zielförmige Flächenausweisung in Form eines absoluten Vorrangs voraus. 53 Dieser Anforderung wird durch die Ausweisung von Eignungsgebieten nicht genüge getan.54 Vielmehr vermögen allein Vorranggebiete eine bestimmte Nutzung gegenüber konkurrierenden Nutzungen im Sinne eines absoluten Vorrangs zu sichern.
3. Vorranggebiete Mithin sind wegen ihrer nutzungssichernden Funktion allein Vorranggebiete geeignet, die Konzentrationswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB auszulösen und die Windenergienutzung im übrigen Planungsraum auszuschließen. Fraglich bleibt indes, ob es hierfür neben der positiven Vorrangausweisung noch weitergehender Aussagen über den außergebietlichen Ausschluss bedarf oder ob die in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB geregelte Rechtsfolge des Entgegenstehens öffentlicher Belange allein durch die Positivausweisung eintritt. Für letzteres könnte der Wortlaut des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB sprechen, der keine über die positive raumordnerische Ausweisung hinausgehenden Festsetzungen fordert. Hierdurch könnte der Gesetzgeber eine gesetzliche Vermutung
50 Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion, BT-Drs. 13 / 1736, S. 2 und Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 13 / 2208, S. 4. 51 BT-Drs. 2208, S. 6. 52 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, BT-Drs. 13/4978, S. 7, der von positiver Standortzuweisung spricht. 53 Lehners, a.a.O., S. 69 f.; Schmidt, a.a.O., S. 82; Wagner, UPR 1996, 370, 374 für die Darstellung im Flächennutzungsplan; a. A. OVG Magdeburg, Urt. vom 12.12.2002 (2 L 456 / 00). 54
Siehe hierzu ausführlich unter II 3.
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eingeführt haben, dass die Positivzuweisungen zugleich mit einem Ausschlussziel für andere Standorte verbunden sind, wobei die Vermutung aufgrund der Worte „in der Regel" allerdings widerlegbar wäre. 55 Gegen eine solche Vermutung ist jedoch einzuwenden, dass Vorranggebiete ihrer Begriffsbestimmung nach (§ 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ROG) zunächst ausschließlich eine innergebietliche Positivausweisung zum Ziel haben. Gem. § 7 Abs. 4 S. 2 ROG kann aber vorgesehen werden, dass Vorranggebiete für raumbedeutsame Nutzungen zugleich die Wirkung von Eignungsgebieten für raumbedeutsame Maßnahmen nach Satz 1 Nr. 3 haben. Damit ergibt sich bereits aus einem Umkehrschluss, dass die bloße Ausweisung von Vorranggebieten keine Ausschlusswirkung im übrigen Planungsraum begründen soll. 56 Besonders deutlich wird die Notwendigkeit einer zusätzlichen negativen Zielaussage aufgrund folgender Überlegung: Würde man über § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB eine Ausschlusswirkung kraft Gesetzes begründen, würde dies zu dem eigenartigen Ergebnis führen, dass durch die bloße Ausweisung von Vorranggebieten im Regionalplan, d. h. ohne weitergehende Festsetzungen, die Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich außerhalb der Vorranggebiete ausgeschlossen wäre, die nachgeordneten Planungsträger aber außerhalb der Vorranggebiete weitere Gebiete für die Windenergienutzung ausweisen könnten. Denn im Verhältnis zu den nachgeordneten Planungsträgern gibt es keine dem § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB entsprechende Regelung,57 so dass es hier bei der lediglich innergebietlichen Wirkung der Vorranggebiete gem. § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB bliebe. In Anbetracht dessen bedarf es für einen Ausschluss der Windenergienutzung außerhalb der Vorranggebiete zusätzlich einer negativen Zielaussage, die besagt, dass die Windenergienutzung nur in den ausgewiesenen Vorranggebieten zulässig und in anderen Bereichen des Plangebiets ausgeschlossen ist. 58 Des Weiteren ist zu beachten, dass die Vorranggebiete und die Festsetzungen über den außergebietlichen Ausschluss gem. § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB nur insoweit Ausschlusswirkung entfalten, soweit sie das Produkt einer abschließenden Abwägung 59 sind. Denn im Übrigen mangelt es ihnen an der erforderlichen Zielqualität (§ 3 Nr. 2 ROG). Eine abschließende Abwägung fehlt beispielsweise, sofern der regionale Planungsträger aus regionalplanerischer Sicht von vornherein nicht sämtliche Flä55
Lüers, ZfBR 1996, 297, 300. Lehners, a.a.O., S. 39. 57 Schmidt, a.a.O., S. 85. 58 Lehners, a.a.O., S. 39; Schmidt, a.a.O., S. 85; Brügelmann, a.a.O., § 1 Rn. 422. 59 Vgl. zu den Voraussetzungen der Abwägung: Schmidt, a.a.O., S. 86 f.; siehe zur Abwägung bei Vorranggebieten zudem unter II 1 und III 2. 56
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chen in der Region auf ihre Eignung und Verträglichkeit für die Ansiedlung von Windenergieanlagen untersucht, sondern etwa die Vorrangausweisungen von Anfang an nur auf Flächen mit einer bestimmten Größe beschränkt und es im Übrigen der Flächennutzungsplanung überlässt, - unter bestimmten Bedingungen - weitere Vorranggebiete auszuweisen. Ein solcher ausdrücklicher Vorbehalt für die Flächennutzungsplanung in Bezug auf kleinere, nicht regional bedeutsame Standortbereiche schließt es aus, in der Ausweisung der Vorranggebiete eine abschließende, die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 2. Alt. BauGB auslösende Entscheidung auch hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Windenergieanlagenvorhaben zu sehen, die keine größere Fläche in Anspruch nehmen.60
V. Zusammenfassung und rechtliche Wertung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Festlegungen in Regionalplänen, gleich ob sie als vorhabenunterstützend, vorhabenverhindernd oder vorhabenkonzentrierend einzuordnen sind, vorhabenvorbestimmende Wirkung haben. Vorhabenverhindernde regionalplanerische Festlegungen sind kritisch zu würdigen, da sie drohen, in einen zentralen Wertungswiderspruch zur Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB zu geraten; sie sind daher für Abwägungsfehler in hohem Maße anfällig.
60 Vgl. OVG Koblenz, Urt. vom 20.2.2002 (8 A 11089 / 01), ZNER 2002, 242, 244; Riihl, UPR 2001,413,414; a. A. OVG Magdeburg, Urt. vom 12.12.2002 (2 L 456 / 00).
Die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen Von Caspar David Hermanns
I. Einleitung Die örtliche Presse hat sich versammelt, die Stimmung ist gut. Vorsichtig wird am Rande des Vorhabens ein Glas Sekt gereicht. Ein Stück weiter weg muss eine Gruppe von Gegendemonstranten mit sanfter Gewalt auf Distanz zum Ort der Feierlichkeiten gehalten werden. Es dauert nur noch einen Augenblick, bis der Behördenleiter dem Verantwortlichen des Vorhabenträgers den frisch unterschriebenen Planfeststellungsbeschluss im „Blitzlichtgewitter" übergibt, damit dieser dann symbolisch auf Knopfdruck die erste Spundwand in den Boden rammen lässt oder aber demonstrativ in das Führerhaus einer Raupe steigt. Solche Bilder waren keine Seltenheit, wenn prestigeträchtige Planungsentscheidungen jedenfalls seitens der verantwortlichen Behörde ihr vorerst letztes „Placet" erhielten und dieser Anlass gebührend in der Öffentlichkeit gewürdigt werden sollte. Zwar ergeben sich immer noch genügend Anlässe für Festivitäten dieser Art, doch in Zeiten knapper werdender Haushaltsmittel lassen sich auch wichtige oder prestigeträchtige Planungsvorhaben nicht immer zeitnah verfolgen. Es ist keine Seltenheit, dass mit viel Aufwand und Mühe ausgearbeitete und schließlich auch planfestgestellte Projekte vorerst auf die lange Bank geschoben, Pläne und Projektunterlagen also in großen Schränken verstaut werden müssen. Gerade in solchen Fällen kommt der Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen, also dem Zeitraum, der zur Ausnutzung einer Planungsentscheidung zur Verfügung steht, eine große Bedeutung zu. Verfällt nämlich ein Planfeststellungsbeschluss, weil er nicht innerhalb seiner für ihn zur Verfügung stehenden Frist ausgenutzt worden ist, hat sich so nicht nur die Planung erledigt, sondern manchmal auch gleich das gesamte Vorhaben selbst, sei es, weil das notwendige Interesse an dem Projekt nun insgesamt fehlt oder sei es, weil neue rechtliche Anforderungen an die Projektverträglichkeit eine Verwirklichung faktisch unmöglich machen.
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Caspar David Hermanns
I I . Grundlagen Die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen kann jedoch nicht isoliert betrachtet werden, vielmehr ist es erforderlich, die mit ihr im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen im Gesamtgefüge der Wirksamkeit von Planungsentscheidungen einzuordnen, denn wenn eine Planungsentscheidung bereits nicht oder nicht mehr wirksam ist, stellt sich die Frage ihrer Geltungsdauer auch nicht mehr.
1. Die Wirksamkeit eines Planfeststellungsbeschlusses als Grundlage seiner Geltungsdauer Ein Planfeststellungsbeschluss ist ein Verwaltungsakt, für den - soweit die §§ 72 ff. VwVfG nichts anderes regeln - die allgemeinen Bestimmungen gelten1. Die Wirksamkeit eines Planfeststellungsbeschlusses setzt also vor allem gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG seine Bekanntgabe und überdies gemäß § § 7 4 Abs. 1 und 69 Abs. 2 VwVfG seine Schriftlichkeit voraus. Liegen diese Voraussetzungen vor, bedarf es eines besonderen Umstandes, der die Wirksamkeit entfallen lässt. Da der Regelungsgehalt eines Planfeststellungsbeschlusses jedoch grundsätzlich in die Zukunft gerichtet ist und ein zu verwirklichendes Planungsziel beschreibt, erledigt sich ein Planfeststellungsbeschluss nicht wie andere Verwaltungsakte dadurch, dass der Regelungsgegenstand entfällt. So kommt es auch bei der - allerdings von der Beurteilung der Frage der Wirksamkeit - zu trennenden Frage der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses an2. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass es nur sehr eingeschränkt möglich ist, in die Zukunft zu sehen. Deshalb ist auch nur zu prüfen, ob die Prognosen, auf denen die Planung basiert, in methodisch einwandfreier Weise zustande gekommen sind3. Zwar gilt auch bei einem Planfeststellungsbeschluss, dass er seine rechtliche Wirkung verliert, wenn er funktionslos wird 4 . Doch obwohl es sich bei Vorhaben des Fachplanungsrechts von wenigen Ausnahmen abgesehen um Objektplanung und nicht um Angebotsplanung handelt, ist es für einen prospektiven Plan-
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Kopp / Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., München 2000, § 74 Rn. 8. BVerwG, Urt. vom 14.2.1975 - IV C 21.74 - BVerwGE 48, 56; VGH Mannheim, Urt. vom 27.8.1987 - 5 S 2646 / 86 - UPR 1988, 77. 3 BVerwG, Urt. vom 6.12.1985 - 4 C 59.82 - NJW 1986, 1508; Urt. vom 7.7.1978 - IV C 79.76 - BVerwGE 56, 110. 4 BVerwG, Beschl. vom 23.12.1992 - 4 Β 188.92 - DÖV 1993, 433. 2
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feststellungsbeschluss angesichts seiner Zielorientiertheit unmaßgeblich, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse verändern, solange sich das geplante Vorhaben noch verwirklichen lässt. Dies gilt selbst dann, wenn die politische Akzeptanz geschwunden oder aufgrund der Veränderungen erhebliche Mehraufwendungen zu seiner Verwirklichung erforderlich wären 5. Eine Funktionslosigkeit tritt daher grundsätzlich nicht - allenfalls in besonderen Ausnahmefällen - ein 6 , die Wirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses bleibt, soweit sie nicht anderweitig beseitigt wird 7 , bestehen. Demgemäß kommt dem Problem der Geltungsdauer eine besondere Bedeutung zu, denn wenn ein Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich nicht aufgrund äußerer Umstände seine Wirksamkeit verliert, bedarf es eines anderen Korrektivs, seine Rechtswirkungen zu begrenzen. Verhielte es sich anders, könnte ein einmal erlassener Planfeststellungsbeschluss auf unbestimmte Zeit ausgenutzt werden, wobei hiermit eine große Unsicherheit für die Planbetroffenen verbunden wäre.
2. Auswirkungen von Planänderungen Anders stellt sich die Situation dar, wenn die Planung nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses und vor Fertigstellung des Vorhabens verändert wird. Gemäß § 76 VwVfG zieht dies nämlich das Erfordernis einer förmlichen Planänderung im Wege einer neuerlichen Planungsentscheidung nach sich. Ergeht eine solche neue Planungsentscheidung, lässt dies die Wirksamkeit des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses zwar entfallen, an seine Stelle tritt nun aber der Planfeststellungsbeschluss in der geänderten Fassung, dessen Wirksamkeit wiederum anhand der genannten Kriterien zu beurteilen ist.
5 VGH Kassel, Urt. vom 25.6.1991 - 2 UE 2665 / 84 - UPR 1992, 115; Kukk, NuR 2000, 492, 495; i. E. ebenso Βonk /Neumann, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl., München 2001, § 75 Rn. 77. 6 Α. A. Dürr, in: Knack, VwVfG, 7. Aufl., Köln 2000, § 75 Rn. 109 unter Berufung auf BVerwG, Beschl. vom 26.8.1996 - 11 VR 4.98 - NVwZ 1999, 535 und Urt. vom 31.8.1995 - 7 A 19.94 - BVerwGE 99, 166, obwohl aus den zitierten Entscheidungen ausdrücklich hervorgeht, dass „eine Bahnanlage ihre rechtliche Zweckbestimmung nur durch einen eindeutigen Hoheitsakt, der für jedermann klare Verhältnisse darüber schafft, ob und welche Flächen künftig wieder für andere Nutzungen offen stehen" verliert. Soweit es weiter heißt „möglich ist allerdings auch, dass die bestehende Fachplanung einer Fläche als Bahnanlage infolge der tatsächlichen Entwicklung funktionslos und damit rechtlich obsolet wird", ist hiermit - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt - festgestellt, dass eine Eisenbahnplanung aufgrund geänderter Verhältnisse unter Umständen keine tatsächliche Funktion mehr haben kann. 7 VGH Mannheim, Urt. vom 27.8.1987 - 5 S 2646 / 86 - UPR 1988, 77.
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3. Ziel der Beschränkung der Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen Der Gesetzgeber hat dem Problem der regelmäßig nicht von selbst eintretenden Erledigung von Planfeststellungsbeschlüssen durch § 75 Abs. 4 VwVfG oder vergleichbaren Bestimmungen des Fachrechts begegnen wollen und die Geltungsdauer dort geregelt. Ist eine § 75 Abs. 4 VwVfG entsprechende Regelung im Fachrecht nicht vorhanden, wie beispielsweise regelmäßig infolge des Zusammenspiels von Bundes- und Landesrecht bei wasserrechtlichen Planfeststellungen, gilt entsprechend der Auffangfunktion der §§ 72 ff. VwVfG 8 wiederum § 75 Abs. 4 VwVfG. Insofern erübrigt es sich bei sachgerechter Planfeststellung eine Nebenbestimmung in den Planfeststellungsbeschluss aufzunehmen, die der Regelung des § 75 Abs. 4 VwVfG entspricht, wonach ein Planfeststellungsbeschluss außer Kraft tritt, wenn mit der Durchführung des Planes nicht spätestens fünf Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen worden ist. Anders verhält es sich nur, wenn das Landesrecht den § 75 Abs. 4 VwVfG des Bundes nicht übernommen hat. Ansonsten haben solche Nebenbestimmungen nur deklaratorischen Charakter. Sie sind daher im Grunde überflüssig und zu vermeiden, führen doch Wiederholungen solcherart nur zu einem unnötigen Aufblähen der ohnehin schon nicht an Papier armen Planungsentscheidungen. Zweck der Regelung des § 75 Abs. 4 VwVfG oder aber derartiger Nebenbestimmungen ist es, die Verwirklichung eines planfestgestellten Vorhabens an Fristen zu koppeln, um Vorratsplanungen ohne erkennbaren Realisierungsgrad zu unterbinden 9. Denn zum einen führt ein bestandskräftig oder rechtskräftig festgestellter, aber nicht ausgeführter Plan nicht nur aufgrund der regelmäßig kraft Gesetzes im Plangebiet eintretenden Veränderungssperre 10 vor allem für die von ihm nicht begünstigten Planbetroffenen zu vielfältigen Rechtsunsicherheiten, schwebt doch die Planverwirklichung gleichsam wie ein Damoklesschwert über ihnen. Zum anderen aber soll auch die Verwirklichung von Planungen vermieden werden, deren tatsächliche und rechtliche Grundlagen sich im Laufe der Jahre so sehr verändert haben, dass zum Zeitpunkt der Verwirklichung der Planung einem neuen Planfeststellungsantrag nicht mehr entsprochen werden könnte 11 , also der rechtlichen und tatsächlichen Überalterung von Planungen vorgebeugt werden.
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BVerwG, Urt. vom 21.5.1997 - 11 C 1.96 - BVerwGE 105, 6. BVerwG, Beschl. vom23.12.1992-4 Β 188.92-DÖV 1993,433. 10 Z.B. § 19 Abs. 1 AEG; § 9 a Abs. 1 FStrG; § 15 Abs. 1 WaStrG. 11 BVerwG, Urt. vom 24.11.1989 - 4 C 41.88 - BVerwGE 84, 123; Beschl. vom 23.12.1992 - 4 Β 188.92 - DÖV 1993, 433; Kopp /Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., München 2000, § 75 Rn. 34; Steinberg /Berg/ Wickel, Fachplanungsrecht, 3. Aufl., BadenBaden 2000, § 5 Rn. 24. 9
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I I I . Bestimmung der Geltungsdauer Gerade aber bei Plänen, mit deren Durchführung noch nicht begonnen wurde, kommt es auf eine sichere Bestimmung der Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses an. Nicht selten stehen nämlich Vorhabenträger aus unterschiedlichen Gründen - beispielsweise weil die Finanzierung der Verwirklichung nicht gesichert ist oder sie noch nicht die notwendige Verfügungsbefügnis über das unmittelbare Plangebiet erlangt haben - vor dem Problem, keinerlei Arbeiten vornehmen und daher auch nicht deutlich machen zu können, dass sie weiterhin an der Durchführung des Planfeststellungsbeschlusses festhalten möchten. Daher kann es für Vorhabenträger ganz maßgeblich darauf ankommen, wann die Fünfjahresfrist zur Durchführung des Planfeststellungsbeschlusses zu laufen beginnt. § 75 Abs. 4 VwVfG stellt im Wesentlichen zwei Kriterien hierfür auf. Dies ist zum einen die Unanfechtbarkeit der Planung, zum anderen der Beginn mit der Durchführung des Planes.
1. Eintritt der Unanfechtbarkeit des Plans Erste maßgebliche Voraussetzung für das Anlaufen dieser Fünfjahresfrist ist gemäß § 75 Abs. 4 VwVfG der Eintritt der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Unanfechtbar bedeutet hierbei, dass der gesamte Planfeststellungsbeschluss von niemandem mehr durch ein Klageverfahren angegriffen werden kann 12 . Denn erst dann hat der Vorhabenträger die erforderliche Rechtssicherheit, die ihm eine Projektverwirklichung auch wirtschaftlich zumutbar macht. Wurde also gegen den Planfeststellungsbeschluss als Ganzes oder aber auch gegen Nebenbestimmungen Klage erhoben, kommt dieser gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu, mit der Folge, dass der Planfeststellungsbeschluss nicht vollziehbar ist, es sei denn, die sofortige Vollziehbarkeit wurde wie es regelmäßig der Fall ist - durch Gesetz oder durch eine Verwaltungsentscheidung angeordnet. Doch auch eine derartige Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit macht den Planfeststellungsbeschluss nicht unanfechtbar, hat sie doch nur zum Inhalt, dass der Vorhabenträger schon vor bestands- oder rechtskräftigem Abschluss des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens die Möglichkeit hat, den Regelungsgehalt des Planfeststellungsbeschlusses für sich auszuschöpfen, wobei immer die grundsätzliche Gefahr besteht, dass der Planfeststellungsbeschluss doch noch aufgehoben wird. Mithin ist der Planfeststel-
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Kopp / Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., München 2000, § 75 Rn. 34.
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lungsbeschluss in solchen Fällen auch nicht unanfechtbar, gleichwohl aber weiterhin wirksam. Hieran ändert sich auch nichts, wenn eine Klage erfolglos sein oder der Kläger die Klage zurücknehmen sollte, da sich die prozessualen Wirkungen von Klageerhebung, Klageabweisung oder Klageerledigung nur auf das Prozessrechtsverhältnis erstrecken. Ein nicht nichtiger Planfeststellungsbeschluss bleibt daher, wie ausgeführt, solange wirksam, bis er außer Kraft getreten oder aufgehoben worden ist, was jedoch nichts mit der Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses zu tun hat. Die Begriffe Wirksamkeit, Vollziehbarkeit und Unanfechtbarkeit sind strikt voneinander zu trennen, wenn sie auch in einem gestuften Verhältnis zueinander stehen. Die Vollziehbarkeit setzt die Wirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses voraus, die Unanfechtbarkeit wiederum sichert die Vollziehbarkeit. Erledigt sich daher eine Klage auf welche Art auch immer, ohne dass der Planfeststellungsbeschluss zuvor oder gleichzeitig aufgehoben worden ist, hat dies also zweierlei Konsequenzen: Zum einen wird der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar, da für alle übrigen potentiellen Kläger, die noch keine Klage erhoben haben, die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen ist. Wurden mehrere Klagen erhoben, kommt es dem gemäß auf die Erledigung aller Klagen an. Vor allem aber wird der Planfeststellungsbeschluss durch die Erledigung sämtlicher Klagen auch vollziehbar, da der Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO ebenfalls fortfällt. Da der Planfeststellungsbeschluss erst jetzt unanfechtbar im Sinne von § 75 Abs. 4 VwVfG geworden ist, beginnt die Fünfjahresfrist erst von diesem Zeitpunkt an zu laufen. Dieses Ergebnis entspricht auch der gleichgelagerten Problematik im Bauordnungsrecht, wenn Baugenehmigungen oder Bauordnungen Fristen bestimmen, in denen mit der Verwirklichung des beantragen Bauvorhabens begonnen werden muss. Auch hier ist davon auszugehen, dass Rechtsbehelfe Dritter, die die Verwirklichung des Bauvorhabens für den Bauherren solange (faktisch) unmöglich machen, wie noch nicht abschließend über diese Rechtsbehelfe entschieden worden ist, die Frist zur Verwirklichung der Baugenehmigung hem-
2. Beginn der Durchführung des Plans Weiter knüpft § 75 Abs. 4 VwVfG zur Berechnung der Geltungsdauer an den Beginn der Bauarbeiten nach Eintritt der Unanfechtbarkeit an. Insoweit kommt es also darauf an, wann von einem Beginn der Durchführung des Planfeststel13
Bauer, in: Simon, BayBauO, Loseblatt, Stand: August 2000, Art. 77 Rn. 5 a f.
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lungsbeschlusses gesprochen werden kann. Die Frage, wann mit der Durchführung des Planes begonnen wird, ist im Wesentlichen anhand der Zielsetzung der Norm zu beurteilen. Wie ausgeführt, soll § 75 Abs. 4 VwVfG Vorratsplanungen verhindern. Dies bedeutet, dass auch der Begriff der Durchführung der Planung so auszulegen ist, dass seine praktische Anwendung nicht zu Vorratsplanungen führt. Voraussetzung für den Erhalt des Planes ist es, dass reale Maßnahmen zur Umsetzung der Planung ergriffen werden, die nicht bloß auf den Erhalt der Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses gerichtet sind. Insofern reicht es nicht aus, wenn allein symbolische Arbeiten („erster Spatenstich") vorgenommen werden. Auch nicht jede bauliche Tätigkeit, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem genehmigten Vorhaben steht, stellt bereits den Beginn der Durchführung des Planes dar 14 . Die Arbeiten müssen vielmehr ein planmäßiges Vorgehen des Vorhabenträgers zur Projektverwirklichung nach außen hin erkennbar machen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es sich um besonders aufwändige oder umfangreiche Arbeiten handeln muss, erforderlich ist vielmehr, dass durch die Arbeiten der Wille des Vorhabenträgers zum Ausdruck kommt, dass er weiterhin an seiner Planung festhält 15. Dies ist dann der Fall, wenn die Arbeiten in einem objektiven Zusammenhang mit dem planfestgestellten Vorhaben stehen16 und es sich nicht nur um Vorbereitungshandlungen handelt. a) Landespflegerische
Begleitpläne als Durchführung des Planes
Kein Beginn mit der Durchführung des Planes liegt vor, wenn mit Maßnahmen nach dem landespflegerischen Begleitplan (LBP) vor dem Fachplan begonnen wird. Gemäß § 20 Abs. 4 S. 2 BNatSchG ist der LBP zwar Bestandteil des Fachplans. Maßnahmen nach dem LBP kommt bei den Kosten der Projektverwirklichung jedoch regelmäßig eine untergeordnete Bedeutung zu. Insofern könnte der Vorhabenträger unter Aufwendung verhältnismäßiger geringer Kosten die Frist des § 75 Abs. 4 VwVfG unterbrechen, obwohl er nicht mit Maßnahmen beginnt, die so aufwändig sind und damit deutlich erkennen lassen, dass er ernsthaft an der Projektverwirklichung festhalten möchte. Vor allem aber enthält der LBP die nach § 19 Abs. 2 BNatSchG angeordneten Ausgleichs- und
14
OVG Münster, Urt. vom 6.3.1979 - VII A 240 / 77 - BRS 35, Nr. 166 zur entsprechenden Bestimmung in der BauO NW. 15 Kopp / Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., München 2000, § 75 Rn. 36; Dürr, in: Knack, VwVfG, 7. Aufl., Köln 2000, § 75 Rn. 107; ders., in: Kodal / Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., München 1999, Kap. 35, Rn. 21.11; Stüer, Handbuch Bau- und Fachplanungsrecht, 2. Aufl., München 1998, Rn. 2219. 16 OVG Münster, Urt. vom 6.3.1979 - VII A 240 / 77 - BRS 35, Nr. 166 zur entsprechenden Bestimmung in der BauO NW.
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Ersatzmaßnahmen fur Eingriffe in Natur und Landschaft. Diese sollen das Vorhaben, nicht zuletzt auch für die Betroffenen, verträglich gestalten, sie dienen also der Abfederung von dessen Auswirkungen. Dementsprechend wird in § 20 Abs. 4 S. 1 BNatSchG auch nur die Verpflichtung des Vorhabenträgers statuiert, die LBP-Maßnahmen in Text und Karte darzustellen. Den Beginn mit derartigen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, die noch nicht einmal zwingend im näheren Umfeld des Vorhabens durchgeführt werden müssen, als Beginn der Durchführung des Planes einzuordnen, würde daher der Intention des Gesetzgebers, unter anderem die Planbetroffenen durch § 75 Abs. 4 VwVfG zu schützen, zuwiderlaufen. Schließlich ist weiter zu beachten, dass Maßnahmen nach dem LBP in der Praxis nicht selten in Angriff genommen werden, ohne dass gleichzeitig mit der Verwirklichung des Fachplans unmittelbar begonnen wird. Unterbleibt diese Verwirklichung dann geraume Zeit, schlägt der Vorhabenträger darauf vor, die durchgeführten LBP-Maßnahmen einem anderen Vorhaben „gutzuschreiben" und erreicht im Falle der Zustimmung der Behörde damit, dass er faktisch über ein vom Fachplanungsrecht im Gegensatz zum Bauplanungsrecht, § 135 a Abs. 2 S. 2 BauGB, nicht vorgesehenes sogenanntes „Öko-Konto" verfügte und gleichzeitig die Frist des § 75 Abs. 4 VwVfG unterbrach. Auch um dem Missbrauch vorzubeugen, ist es daher abzulehnen, in vor Beginn mit der Durchführung des Fachplans begonnenen Arbeiten am LBP die Frist des § 75 Abs. 4 VwVfG unterbrechende Maßnahmen zu sehen. b) Werkverträge
und Vergabeverfahren
als Durchführung des Planes
Ebenfalls zweifelhaft ist es, ob schon Vertragsschlüsse ausreichend sind, die die Durchführung des Vorhabens zu einem bestimmten Termin zum Gegenstand haben17, da Verträge weder als Arbeiten noch als Maßnahmen mit Außenwirkung zu qualifizieren sind. Dies gilt auch für die Durchführung eines Vergabeverfahrens, denn mit der Ausschreibung späterer Baumaßnahmen wird noch nicht das Vorhaben selbst ausgeführt 18. Dem kann nicht entgegengehalten werden, ein Vergabeverfahren werde öffentlich bekannt gemacht, weshalb schon deshalb die notwendige Außenwirkung gegeben sei und sich im Übrigen bei Anfechtung des Zuschlags das Verfahren samt gerichtlicher Nachprüfung ohne weiteres auf einen Zeitraum von eineinhalb Jahren erstrecken könne. Zweck der in § 75 Abs. 4 VwVfG verlangten Außenwirkung ist es, dass die Planbetroffenen einen hinreichenden Anhaltspunkt für die bevorstehende Vorhabenver-
17 So aber Dürr, in: Knack, VwVfG, 7. Aufl., Köln 2000, § 75 Rn. 107; Bonk/ Neumann, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 6. Aufl., München 2001, § 75 Rn. 76. 18 BVerwG, Beschl. vom 7.8.2002 - 4 VR 9.02 (4 A 16.02) - DÖV 2003, 86.
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wirklichung haben. Da der durchschnittliche Planbetroffene nicht Unternehmer ist, nimmt er dementsprechend auch nicht von einem Vergabeverfahren, das ihn selbst betrifft, Notiz. Das Schutzziel des § 75 Abs. 4 VwVfG wird durch ein Vergabeverfahren daher gewöhnlich nicht im Ansatz erreicht. Erkennt man dies an, kann auch das Argument der unter Umständen längeren Dauer von Vergabeverfahren nicht durchdringen. Denn hierauf kommt es zum einen mangels Außenwirkung nicht mehr an, zum anderen kann auch das Herbeischaffen von Arbeitsmitteln zur Durchführung von Arbeiten im Plangebiet, durch die die Frist des § 75 Abs. 4 VwVfG unterbrochen werden würde, länger dauern. Da es aber eben nicht auf Vorbereitungshandlungen, sondern auf tatsächliche Arbeiten zur Vorhabenverwirklichung ankommt, trägt der Vorhabenträger die Risiken von Verzögerungen im Vergabeverfahren und - gegebenenfalls unerwartete Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von Arbeitsmitteln gleichermaßen, weshalb er sich nicht damit entlasten kann, vor Fristablauf auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein. Dem ist schlicht entgegenzuhalten, dass er mit seinen Vorbereitungen eben früher hätte starten müssen. c) Grundstückserwerb
als Durchführung des Planes
Anders verhält es sich jedoch bei der Beurteilung des Erwerbs von zur Vorhabenverwirklichung erforderlichen Grundstücken. Zwar handelt es sich auch hierbei nicht um Arbeiten im Wortsinne, doch ist hier, insbesondere für die Planbetroffenen, eine entsprechende Außenwirkung gegeben19. Die Frage, ob auch ein schon vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vorgenommener freihändiger Grundstückserwerb als Beginn der Durchführung des Vorhabens gewertet werden könnte, 20 stellt sich dabei nicht, denn rechtlich betrachtet fehlte es zu diesem Zeitpunkt mangels vorhandenen Plans an der Planbezogenheit des Grundstückserwerbs, weshalb von diesem auch schon keine Außenwirkung ausgehen konnte.
IV. Das Verhältnis von § 75 Abs. 4 VwVfG zu § 77 S. 1 VwVfG Schwierigkeiten bereiten Fälle, in denen mit der Vorhabenverwirklichung begonnen wurde, das Vorhaben jedoch - zumindest augenscheinlich - nicht zu Ende geführt wird. Hier bedarf es der Abgrenzung zwischen § 75 Abs. 4 VwVfG und § 77 S. 1 VwVfG.
19 20
OVG Saarlouis, Urt. vom 24.10.1995 - 2 M 4 / 94 Schütz,, UPR 2002, 172, 173 f.
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1. § 77 S. 1 VwVfG als Spezialregelung zu § 75 Abs. 4 VwVfG Während § 75 Abs. 4 VwVfG die Frist zur Durchführung des Plans bestimmt, regelt § 77 S. 1 VwVfG, wonach die Planfeststellungsbehörde bei einem aufgegebenen Vorhaben verpflichtet ist, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben, die nach Aufgabe eines begonnenen Vorhabens eintretenden Rechtsfolgen. Folglich kommt es nach dem Wortlaut beider Normen dann nicht zu Überschneidungen, wenn mit der Durchführung eines Plans überhaupt nicht begonnen wurde, da in diesem Fall § 77 S. 1 VwVfG schon tatbestandsmäßig nicht vorliegt. Erkennt man also § 77 S. 1 VwVfG als Spezialregelung für die Geltungsdauer von mit der Durchführung begonnenen, aber nicht zu Ende geführten Plänen an, ist im Gegenzug § 75 Abs. 4 VwVfG die die Geltungsdauer von nicht ins Werk gesetzten Vorhaben regelnde Norm.
2. Anwendung des § 77 S. 1 VwVfG über seinen Wortlaut hinaus Das BVerwG möchte die Rechtsfolgen des § 77 S. 1 jedoch auch dann angewandt wissen, wenn die Verwirklichung eines Vorhabens aufgegeben wird, noch bevor mit der Durchführung des Planes begonnen wurde. Denn aufgrund nicht selten langwieriger gerichtlicher Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen bedürfe es eines Regulativs, wenn die FünQahresfrist erst nach Abschluss aller Verwaltungsstreitverfahren ende, in der Zwischenzeit der Vorhabenträger aber gleichwohl das Interesse an der Vorhabenverwirklichung verloren, das Vorhaben mithin aufgegeben habe. In diesen Fällen, so das BVerwG, müssten die Rechtsfolgen des § 77 S. 1 VwVfG auch über den Wortlaut der Norm hinaus angewendet werden 21 . Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass die Grenze zwischen § 75 Abs. 4 VwVfG und § 77 S. 1 VwVfG verwischt wird. Sie ist aber folgerichtig, denn die für die Planbetroffenen oben beschriebenen Unwägbarkeiten verlangen danach, dass der für ein aufgegebenes Vorhaben vorhandene Planfeststellungsbeschluss möglichst rasch außer Kraft gesetzt wird. Dementsprechend ist § 77 S. 1 VwVfG auch dann anzuwenden, wenn mit der Durchführung des Planes begonnen wurde, das Vorhaben dann aber jedenfalls zunächst nicht weitergeführt wird. Zwar ist in solchen Fällen die Frist des § 75 Abs. 4 VwVfG jedenfalls durch den Beginn der Durchführung des Planes unterbrochen worden. Doch sagt die Frist zum Beginn der Durchführung des Vorhabens nichts darüber aus, was nach Beginn, aber vor Vollendung der Durchführung des Planes und damit vor Fertigstellung des Vorhabens gilt. Bei einem 21 BVerwG, Urt. vom 11.4.1986 - 4 C 53.82 - DVB1. 1986, 1007 zu § 18 d FStrG a. F.; VG Darmstadt, Urt. vom 16.4.1997 - 2 E 353 / 96 (2) - NVwZ-RR 1998, 281.
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Plan, der nach seinem Beginn der Durchführung nicht vollendet wird, stellt sich nämlich nicht mehr die Frage, ob mit ihm begonnen worden ist, sondern nur noch, ob er verwirklicht werden wird. Hierbei ist § 77 S. 1 VwVfG die einschlägige Spezialregelung, bei deren Anwendung es allein darauf ankommt, ob das Vorhaben tatsächlich aufgegeben worden ist. Allerdings kann es gerade in den Fällen, in denen mit der Durchführung des Plans durch die Vornahme von Arbeiten begonnen worden ist, nur schwierig beurteilt werden, ob die Planung aufgegeben worden ist. Hier liegt es nahe und so schließt sich der Kreis wieder - , an die zu § 75 Abs. 4 VwVfG entwickelten Maßstäbe anzuknüpfen, sodass das Aufgeben eines Plans spätestens dann gegeben ist, wenn innerhalb von fünf Jahren keinerlei Arbeiten mehr zum Zwecke seiner Durchführung vorgenommen wurden, die in einem objektiven Zusammenhang mit dem planfestgestellten Vorhaben stehen22.
3. Das scheinbare Problem der längsgeteilten Ausbauplanung Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei einem längsgestuften Ausbau eines Verkehrswegs auch nicht um eine Frage der Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 75 Abs. 4 VwVfG. Zwar ist der gestufte Ausbau Bestandteil der Planverwirklichung, weshalb die Frist des § 75 Abs. 4 VwVfG gilt. Die Rechtsprechung steht dieser Betrachtung nicht entgegen. In dem bislang allein bekannt und auch vor dem BVerwG rechtshängig gewordenen Fall entschied dieses nämlich, dass eine Planung, die das Gesamtvorhaben planfeststelle, jedoch den längsgeteilten Ausbau des Verkehrswegs vorsehe, nicht schon aufgrund dieser Verfahrensweise rechtswidrig sei, solange mit der Verwirklichung des Gesamtvorhabens innerhalb der Geltungsdauer von fünf Jahren begonnen werde 23 . Hiermit wurde jedoch keine Aussage zum Verhältnis von § 75 Abs. 4 VwVfG zu § 77 S. 1 VwVfG getroffen, da das BVerwG sich nur dazu geäußert hat, in welchem Zeitraum mit der Durchführung des Planes auch bezüglich der zweiten Ausbaustufe begonnen werden muss, nicht aber was gilt, wenn die Vorhabenverwirklichung unterbrochen wurde.
22 23
Α. A. wohl OVG Saarlouis, Urt. vom 24.10.1995 - 2 M 4 / 94 - . BVerwG, Urt. vom 24.11.1989 - 4 C 41.88 - BVerwGE 84, 123.
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V. Verlängerungsmöglichkeit der Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschliissen Ist mit der Durchführung des Planes noch nicht begonnen worden und droht der Ablauf der Fünfjahresfrist, besteht im Gegensatz zum VwVfG in § 20 Abs. 4 S. 2 AEG und § 17 Abs. 7 S. 2 FStrG die Möglichkeit, die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen - nicht jedoch von Plangenehmigungen um höchstens fünf Jahre zu verlängern. Die Entscheidung über die Verlängerung des Planfeststellungsbeschlusses steht dabei im Ermessen der Planfeststellungsbehörde, eine neuerliche Abwägung ist nicht durchzuführen 24. Dies ergibt sich daraus, dass bei der Entscheidung über die Verlängerung des Planfeststellungsbeschlusses nach dem Gesetz allein zu prüfen ist, ob er weitere fünf Jahre wirksam sein soll. Die gesetzlichen Regelungen bieten auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass weitere Aspekte zu prüfen sind. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, innerhalb von fünf Jahren könnten sich die äußeren Bedingungen der Planung so weit verändert haben, dass eine neuerliche abwägungsdirigierte Entscheidung erforderlich sei 25 . Denn hiermit wird letztlich nur das aufgrund des prospektiven Ansatzes von Planungen, von ganz besonderen Ausnahmefallen abgesehen, nicht durchgreifende Argument der Möglichkeit ihres Funktionsloswerdens vorgebracht. Auch ein Entstehen eines bei Planern vielfach gefürchteten FFH-Gebiets innerhalb der Fünfjahresfrist führt zu keinem anderen Ergebnis, da es keinen Unterschied macht, ob sich Flächen im Plangebiet kurz vor dem Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung, also nach knapp fünf Jahren, oder nach möglicherweise einen Monat nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses eintretender Bestandskraft wandeln beziehungsweise anders bewertet werden. Das in die Zukunft gerichtete Planungsziel von Planungsentscheidungen und die ihnen aufgrund Gesetzes innewohnende Wirkungsdauer bedingen gerade, dass für eine gewisse Dauer Veränderungen in dem Gebiet, in dem sie sich auswirken, unberücksichtigt bleiben. Wird eine vom Gesetzgeber ausdrücklich zugelassene Verlängerungsentscheidung getroffen, verhält es sich daher nicht anders. Hiergegen spricht nicht, bereits aus der Statuierung der Öffentlichkeitsbeteiligung könne geschlossen werden, die Entscheidung über die Verlängerung sei abwägungsdirigiert, denn auch ermessengelenkte Entscheidungen können mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung verbunden sein. Da im Übrigen kein rechtlicher Anhaltspunkt ersichtlich ist, an dem sich das Erfordernis einer Abwägungsentscheidung festmachen lassen könnte, bleibt es bei einer Ermessensentscheidung. 24 Dürr, in: Kodal / Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., München 1999, Kap. 35, Rn. 21.2; a. A. VG Karlsruhe, Urt. vom 27.2.1980 - VII 127 / 79 - DÖV 1981, 232; Schütz, UPR 2002, 172, 175. 25
So aber Schütz, UPR 2002, 172, 176.
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1. Voraussetzungen der Verlängerung von Planfeststellungsbeschlüssen Voraussetzung für eine Verlängerung ist zunächst, dass das Vorhaben nicht aufgegeben worden ist und dass das Vorhaben innerhalb der neu zu bestimmenden Frist verwirklicht werden kann. Soweit als weitere Voraussetzungen einer Verlängerung keine Änderungen in der Sach- und Rechtslage und die Notwendigkeit der Verlängerung zur Durchführung der Baumaßnahmen genannt werden 26 , ist dem nicht zu folgen. Die jeweiligen Fachgesetze sehen nämlich als einzige Voraussetzung für eine Verlängerung vor, dass mit der Verwirklichung des Vorhabens noch nicht begonnen worden ist. Für die im Übrigen genannten Voraussetzungen fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Ziel der Verlängerung der Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses ist es allein, die - regelmäßig mühsam erarbeitete - Planung und das hierauf verliehene Recht zur Vorhabenverwirklichung über den Zeitraum von fünf Jahren hinaus zu sichern. Die Grundlagen und der Rechtsrahmen der Planung sollen jedoch in keiner Weise einer neuerlichen Prüfung zugeführt werden. Auch wird keine Regelungslücke dadurch begründet, dass der bisher unterbliebene Beginn der Durchführung des Planes die einzige Tatbestandsvoraussetzung für die Verlängerung eines Planfeststellungsbeschlusses ist. Denn bei Änderungen der Planung ist ohnehin § 76 VwVfG anzuwenden und Änderungen der Sach- und Rechtslage betreffen, wie ausgeführt, nicht die Wirksamkeit eines Planfeststellungsbeschlusses. Wird aber die Wirksamkeit durch Änderungen der Sach- und Rechtslage nicht berührt, bedarf es auch bei der Prüfung, ob der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss verlängert werden soll, nicht einer erweiterten Untersuchung dahingehend, ob der Planfeststellungsbeschluss derzeit in gleicher Form erlassen werden würde, zumal man ansonsten letztlich auch ein neuerliches Planfeststellungsverfahren durchführen könnte.
2. Verfahren der Verlängerung von Planfeststellungsbeschlüssen Das die Verlängerung von Planfeststellungsbeschlüssen betreffende Verfahren wird durch einen Antrag des Vorhabenträgers eingeleitet. Dieser Antrag ist vor Ablauf der fünfjährigen Geltungsdauer des Planfeststellungsbeschlusses zu stellen. Verstreicht diese Frist ungenutzt, besteht nur noch die Möglichkeit eines neuen Planfeststellungsverfahrens 27.
26 So Stoermer, NZV 2002, 303, 310 unter Berufung auf OVG Koblenz, Urt. vom 2.10.1984 - 7 A 22 / 84 - DÖV 1985, 367. 27 VG Karlsruhe, Urt. vom 27.2.1980 - VII 127 / 79 - DÖV 1981, 232.
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Caspar David Hermanns
Ist der Antrag gestellt worden, sind vor der Entscheidung über die Verlängerung die Planbetroffenen anzuhören 28. Die Beteiligung erfolgt dabei nach den Vorschriften über das jeweilige Planfeststellungsverfahren und beschränkt sich auf das Vorliegen der dargestellten Voraussetzungen. Am Ende dieser Beteiligung steht die als Verwaltungsakt ergehende Entscheidung, ob dem Antrag entsprochen wird.
VI. Möglichkeiten des Rechtsschutzes Erkennt man an, dass Planfeststellungsbeschlüsse grundsätzlich nicht funktionslos werden und ihre Wirksamkeit nur durch eine behördliche Entscheidung oder aber durch Zeitablauf nach Verstreichen der Fünljahresfrist des § 75 Abs. 4 VwVfG verlieren, reduzieren sich die Möglichkeiten der Planbetroffenen, um Rechtsschutz nachzusuchen, darauf, sich gegen die Entscheidung über die Verlängerung der Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses zu wenden. Eine isolierte Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses ist aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes des § 43 Abs. 2 VwGO unzulässig, da der Planbetroffene über kein selbständiges Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Unwirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses verfügt 29 . Dies gilt für Fälle der Enteignung genauso wie für Veränderungen im von einer Veränderungssperre betroffenen Plangebiet, denn sowohl im Enteignungsverfahren als auch in einem Verfahren über die Erteilung einer Baugenehmigung in einem Gebiet, das an sich von einer auf einem Planfeststellungsbeschluss basierenden Veränderungssperre umfasst ist, sind die Wirksamkeit und damit auch der Ablauf der Geltungsdauer von den Behörden und gegebenenfalls auch Gerichten zu prüfen. Bei der Klage gegen die Verlängerung der Geltungsdauer eines Planfeststellungsbeschlusses kann der Planbetroffene geltend machen, dass der Verlängerungsbescheid formell oder materiell rechtswidrig ist. Da eine Verlängerung um höchstens fünf Jahre zulässig ist, muss sich eine gerichtliche Prüfung materiell darauf beschränken, ob die Bestimmung des zeitlichen Umfangs der Verlängerung der Geltungsdauer, bei der die Behörde die Ermessenserwägungen anzustellen hat, ermessensfehlerfrei erfolgte. Einer Behörde diesbezüglich Ermessensfehler nachzuweisen, wird jedoch wohl nur selten gelingen.
28 Ebenso OVG Saarlouis, Urt. vom 24.10.1995 - 2 M 4 / 94 - ; OVG Koblenz, Urt. vom 2.10.1984 - 7 A 22 / 84 - DÖV 1985, 367; Stoermer, NZV 2002, 303, 310. 29 VGH Mannheim, Urt. vom 27.8.1987 - 5 S 2646 / 86 - UPR 1988, 77.
Datenschutz in der Raumplanung Von Wolfgang Durner
Datenschutzrecht und Raumplanungsrecht sind zwei jedenfalls prima facie kaum verknüpfte Rechtsgebiete, deren Wechselwirkungen man kaum wahrnimmt, wenn man nicht in der Praxis darauf gestoßen wird. 1 Symptomatisch für die scheinbar geringe gegenseitige Relevanz erscheint, dass beispielsweise die Darstellungen des Fachplanungsrechts von Kühling / Hermann oder Steinberg / Berg / Wickel jedenfalls in den Stichwortverzeichnissen das Wort „Datenschutz" ebenso wenig erwähnen wie der Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz von Gola / Schomerus die Worte „Bauleitplanung", „Planfeststellung" oder „Fachplanung". Bereits der Name dürfte allerdings bei Planern eher Misstrauen erwecken: „Naturschutz", „Denkmalschutz", „Immissionsschutz", „Vogelschutz" ... der Begriff „Datenschutz" fügt sich unschwer in eine Reihe von Komplexen ein, die zumindest für diejenigen Planer, die den Raum nicht nur bewahren, sondern in erster Linie gestalten möchten, vor allem mit rechtlichen Hindernissen verknüpft sind. In der Tat bestehen in der Praxis zwischen beiden Gebieten nicht nur Berührungspunkte, sondern echte Reibungsflächen.
I. Problemstellung 1. Datenverarbeitung in der Raumplanung Personenbezogene Daten2 werden in Raumplanungen erstmals bei der Erstellung der Planunterlagen erhoben und vor allem in das Grunderwerbsverzeichnis der Planfeststellungsunterlagen, aber auch in das Bauwerksverzeichnis und - im Rahmen verschiedenster Planungsarten - gelegentlich auch in schalltechnische Untersuchungen eingearbeitet und mit diesen bekannt gegeben. In einem späteren Stadium fallen solche Daten in großem Umfang in sämtlichen Anhörungsund Einwendungsverfahren an, wie sie vor allem für die Planfeststellung und 1
Hervorzuheben ist vor allem Berkemann, Bauleitplanung und Datenschutz, ZfBR 1986, 155 ff. 2 Vgl. zu diesem Begriff sogleich unter II.3.a).
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die Bauleitplanung, aber auch für manch andere Fachplanung vorgesehen sind. Die so erhobenen Daten werden mittlerweile fast durchweg in Form elektronischer Dateien gespeichert und aufbereitet. Obwohl für viele Planungsschritte noch immer Druckfassungen erstellt werden, sind auch hier moderne EDVVerfahren - etwa digitale Planungsordner, über Netzwerke verknüpfte Einwendungserfassungssysteme oder gar „web based planning" - auf dem Vormarsch. 3 Wenn solche Informationen von der (Anhörungs-)Behörde gesammelt, gespeichert und an Dritte - etwa an die Planfeststellungsbehörde, ein von der Gemeinde mit der Erstellung des Planentwurfs beauftragtes Architekturbüro, den Vorhabenträger der Planfeststellung oder des Bauplanungsprojekts und dessen Rechtsanwälte etc. - weitergegeben werden, so handelt es sich im Sinne der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder um ein Erheben und Verarbeiten von „personenbezogenen Daten", das einer gesetzlichen Grundlage bedarf.
2. Beispiele für Konflikte zwischen Datenschutzrecht und Raumplanungsrecht In einigen Planverfahren haben daher - oft zur unangenehmen Überraschung der Planungsbeteiligten - die zuständigen Datenschutzbeauftragten interveniert. Zahlreiche Darstellungen solcher Konflikte finden sich in den Datenschutzberichten der Länder 4, die meist sehr ähnliche Problemkonstellationen ansprechen, oft aber unterschiedliche rechtliche Akzente setzen. 3
Vgl. besonders Heckmann, Web based planning: Der Einfluss der Informationsund Kommunikationstechnologie auf Planungsverfahren der öffentlichen Verwaltung, in: Ziekow (Hrsg.), Schutz vor Fluglärm - Regionalplanung - Planfeststellungsverfahren, 2003, S. 287 ff.; Hersch, Elektronische Planfreigabe, in: Blümel/Kühlwetter/Schweinsberg (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts IV, Speyerer Forschungsberichte Bd. 200, 2000, S. 227 ff.; Lohrum /Heinrichs, EinwendungsErfassungssystem (EES), ebenda S. 217 ff.; Stüer/ Probstfeid, Digitaler Planungsordner - Fachplanung auf CD-ROM - , UPR 2001, 91 ff.; zum Vorgehen in Bayern Nürnberger, in: Zeitler (Hrsg.), Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Loseblatt-Kommentar, Art. 38 Rdnr. 40, Stand: April 2001; illustrativ ist auch die - z.T. allerdings äußerst unsachliche - Schilderung des Genehmigungsverfahrens für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich und die dabei eingesetzten Datenverarbeitungstechniken durch die Datenschutzkommission, in: Landtag Rheinland-Pfalz, Drucksache 11/11. Wahlperiode, Zwölfter Tätigkeitsbericht nach § 21 des Landesdatenschutzgesetzes - LDatG - für die Zeit vom 1. Oktober 1987 bis 30. September 1989, Punkt 8.5; zum allgemeinen Kontext der „Verwaltungsautomation" Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 18, und Rossnagel, Möglichkeiten für Transparenz und Öffentlichkeit im Verwaltungshandeln - unter besonderer Berücksichtigung des Internet als Instrument der Staatskommunikation, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 2000, S. 257, 326 ff. 4 Sämtliche in diesem Beitrag zitierten Tätigkeitsberichte sind im Internet über die weiterführenden Links des „virtuellen Datenschutzbüros" beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (http://www.datenschutz.de) verfügbar. Äl-
Datenschutz in der Raumplanung
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a) Personenbezogene Daten in Planunterlagen In Rheinland-Pfalz wurde der Landesbeauftragte für Datenschutz 1995 mit der Frage befasst, ob die bisherige Praxis zulässig sei, die Grunderwerbsverzeichnisse als Bestandteil der Planunterlagen öffentlich auszulegen, die u.a. die Lage, Größe und Nutzungsart des Grundstücks sowie die Eigentümer mit Namen, Vornamen sowie Anschrift aufführen. Der Landesbeauftragte hielt diese Praxis für rechtswidrig: Da die Betroffenen die Daten weder selbst preisgegeben noch in die Übermittlung an jedermann im Rahmen der Planauslegung eingewilligt hätten, liege ein Eingriff in ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht vor, der einer eindeutigen und verhältnismäßigen gesetzlichen Grundlage bedürfe. Für die Preisgabe personenbezogener Daten in dieser besonders intensiven Form stelle auch § 73 VwVfG keine hinreichende Grundlage dar. Der Zweck der öffentlichen Auslegung, potentiell Betroffene über das Vorhaben zu informieren, rechtfertige nicht die Angabe von Namen und Anschriften privater Grundstückseigentümer. Als Alternative käme die Zuordnung eines Grundstücks zu einem bestimmten Eigentümer durch Referenzlisten in Betracht. Auch die umfangreichen Einwände des Landesamtes für Straßen- und Verkehrswesen - etwa dass eine solche Auslegung auch in anderen Bundesländern von jeher praktiziert werde und eine Verschlüsselung einen Kostenmehraufwand in Millionenhöhe verursachen würde - wies der Landesbeauftragte zurück. 5 Auf diese Intervention hin hat Rheinland-Pfalz für den Bereich der Straßenplanung eine spezielle Ermächtigung für die öffentliche Auslegung geschaffen. 6 Weniger kategorisch ist die Sichtweise des Brandenburgischen Datenschutzbeauftragten, der im Jahr 2000 ebenfalls die öffentliche Auslegung der Eigentümerdaten im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens beanstandete. Bereits 1997 habe man sich mit dem zuständigen Ministerium verständigt, dass die Offenlegung solcher Daten stets der Ermessensausübung durch die Behörde bedürfe. Zumindest in Einzelfällen, in denen die Zuordnung der Grundstücke schwer
tere Fallbeispiele finden sich bei Berkemann (Fn. 1), 155 f. und 159 f., und bei Garstka, Bauleitplanung und Datenschutz aus Sicht einer Datenschutzbehörde. Materialienband des Instituts für Städtebau 1985. Herrn Prof. Dr. Dr. Garstka danke ich für die Überlassung dieses Materials. 5 Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Rheinland-Pfalz, Fünfzehnter Tätigkeitsbericht nach § 29 Abs. 2 Landesdatenschutzgesetz für die Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 30. September 1995, LT-Drs. 12 / 7589 v. 16.11.1995, Punkt 14.7. 6 Vgl. zu entsprechenden Regelungen des Landesstraßengesetzes nachfolgend unter II.2.b).
Wolfgang Durner
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möglich sei, könne die Angabe des Namens und der Anschrift der betroffenen Grundstückseigentümer jedoch zulässig sein.7 b) Einwendungen Ein Beispiel für die Problematik des Einwendungsverfahrens findet sich in dem aktuellen Tätigkeitsbericht des Thüringer Landesbeauftragten für den Datenschutz. Ein Bürger beschwerte sich bei dem Landesbeauftragten, dass seine im Rahmen der Bürgerbeteiligung in einem Bauleitplanverfahren nach § 3 Abs. 2 BauGB gegenüber der Stadt erhobene Einwendung an einen „privaten Vorhabenträger" weitergegeben worden sei, der von der Stadt mit der Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens beauftragt worden war. Von einer solchen Übermittlung sei er keinesfalls ausgegangen. Der Landesbeauftragte sah den eingeschalteten Vorhabenträger lediglich als „Verwaltungshelfer ohne hoheitliche Befugnisse" an, sodass die Gemeinde als Herrin des Verfahrens für die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften verantwortlich bleibe. Die Übertragung der Bauleitplanung auf andere Personen oder Stellen schließe es aus, diesen nicht erforderliche personenbezogene Informationen zu übermitteln. Bei einer Beauftragung Dritter müsse vertraglich die Beachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften vereinbart und durch entsprechende Sanktionen abgesichert werden. Der Landesbeauftragte teilte der Stadt daher mit, dass die in § 22 Abs. 1 ThürDSG genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Übermittlung an eine nicht öffentliche Stelle nicht gegeben waren und dies bei zukünftigen Bauleitplanungsverfahren zu berücksichtigen sei.8 Ähnlich sieht dies im Bereich der Planfeststellung auch der Brandenburgische Datenschutzbeauftragte. Zwar habe der Vorhabenträger nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 9 im Regelfall Anspruch auf vollständige Kenntnis der Einwendungen. Dennoch müsse im Einzelfall stets geprüft werden, ob besondere von den Einwendern vorgebrachte Einzelfallumstände eine Anonymisierung erforderlich machten. Dabei verwies der Datenschutzbeauftragte auf erhebliche Meinungsverschiedenheiten mit dem zuständigen Landesamt für Bauen, Verkehr und Straßenwesen, das eine Einzelfallprüfung unter Hinweis auf die praktischen Probleme eines Massenverfahrens generell ablehne. Es übermittele alle vorgebrachten Einwendungen ohne vorherige Prüfung in
7 Tätigkeitsbericht 2000 des Landesbeauftragten Brandenburg für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht zum 31. Dezember 2000, LT-Drs. 3/2481, S. 122 f. 8 4. Tätigkeitsbericht des Thüringer Landesbeauftragten für den Datenschutz für den Berichtzeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2001, Punkt 14.9, S. 190 f. 9
Dazu sogleich unter III.3.b).
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personenbezogener Form an die Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH als Tochtergesellschaft der Vorhabenträger. 10
3. Das verfassungsrechtliche Problem: Publizität contra Datenschutz Zusammenfassend lässt sich diesen Beispielen entnehmen, dass das Datenschutzrecht sowohl für die Erstellung der Planunterlagen als auch für deren Auslegung und für die Bearbeitung der Einwendungen potentiell erhebliche Einschränkungen vorgibt. Diese Einschränkungen gehen im Kern auf das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurück. 11 Es wäre jedoch eine verfassungsrechtlich verkürzte Perspektive, den Konflikt zwischen Raumplanung und Datenschutz auf einen bloßen durch staatliche Verwaltung motivierten GrundrechtseingrifF zu reduzieren. Vielmehr zeigt sich in den Konflikten zwischen Datenschutzrecht und Raumplanungsrecht ein bereits im Grundgesetz vorgezeichnetes Spannungsverhältnis verschiedener verfassungsrechtlicher Belange.12 a) Die Publizität der hoheitlichen Raumplanung In dem ersten Fallbeispiel der Veröffentlichung personenbezogener Daten in Planunterlagen stößt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf den Grundsatz der Publizität der hoheitlichen Raumplanung. Dieser in zahlreichen planungsrechtlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommende Grundsatz der Öffentlichkeit für die staatliche Planung lässt sich zumindest punktuell - u.a. über das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, die grundrechtliche Informationsfreiheit und über bestimmte Grundrechte - auf das Grundgesetz zurückführen. Dem Schutz der Privatsphäre und betrieblicher und geschäftlicher Daten stehen jedenfalls in diesen Fällen kollidierende Verfassungsbelange entgegen, sodass das Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Planung und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht einseitig zugunsten eines Belanges, sondern durch konkrete Güterabwägungen im Sinne praktischer Konkordanz zu bewältigen ist. 13 Der gebotene 10
Tätigkeitsbericht 2000 des Landesbeauftragten (Fn. 7), S. 119 ff; vgl. zu diesem Konfliktfeld auch nachfolgend unter III.4.d). 11 Vgl. dazu sogleich nachfolgend II.l. 12 Vgl. zu den beiden nachfolgenden Aspekten - dem „planerischen Entscheiden" und dem „Öffentlichkeitsanspruch" der Planung - bereits Berkemann (Fn. 1), 155, 156 f., 159 f. 13 Eingehend zu diesem Gesichtspunkt besonders Pieroth, Das Verfassungsrecht der Öffentlichkeit für die staatliche Planung, in: Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 195 ff.; vgl. weiter etwa Bora, KJ 1994, 306 ff. mit verfas-
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Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Publizität und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist im Übrigen keine auf den Bereich der Raumplanung beschränkte Problematik, sondern stellt sich in strukturell ganz ähnlicher Weise auch im Bereich des Prozessrechts. 14 b) Das rechtsstaatliche Abwägungsgebot als Auftrag zur Informationsermittlung Eine weitere verfassungsrechtliche Grundlage der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten bildet zudem das fur sämtliche Raumplanungen kennzeichnende Gebot der gerechten Abwägung aller betroffenen Belange, das sich nach fast einhelliger Auffassung unabhängig von seinen gesetzlichen Positivierungen etwa in § 1 Abs. 6 BauGB sowie in den meisten Fachplanungsgesetzen15 bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip und den betroffenen Grundrechten ergibt. 16 Das Abwägungsgebot verlangt, die von einem Plan berührten Belange vollständig zu ermitteln, objektiv zu gewichten, gegeneinander und untereinander abzuwägen und die ausgelösten Konflikte in einer Weise zu bewältigen, dass es nicht zu einer unverhältnismäßigen Hintanstellung einzelner Belange kommt. Für die gerichtliche Überprüfung gelten die Maßstäbe der sog. Abwägungsfehlerlehre 17, wobei die Stufen des Abwägungsvorgangs und des Abwägungsergebnisses zu unterscheiden sind 18 . Die somit verfassungsrechtlich gebotene Schaffung einer tragfähigen Datengrundlage dürfte oft kaum anders als durch eine angemessene Sammlung personenbezogener Daten möglich sein. sungsrechtlichen Einwänden gegen den Wegfall des Erörterungstermins bei Freisetzungen nach dem Gentechnikgesetz; W. Schrödter, in: Schrödter (Hrsg.), BauGB, 6. Aufl. 1998, § 2 Rdnr. 7 ff.; allgemeiner auch BVerfGE 53, 30, 64 ff., 80, wo das Gericht die These entwickelt, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht nur der Information der Behörden, sondern einem vorbeugenden Grundrechtsschutz diene. 14 Näher Klein, Die Grundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Zivilprozess im Spannungsfeld zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Diss. Jur. 1995, besonders S. 132 ff. zu dem ausgleichenden „kleinen Lösungsansatz". 15 Vgl. etwa § 17 Abs. 2 S. 2 FStrG, § 28 Abs. 1 S. 2 PBefG, § 18 Abs. 1 S. 2 AEG, § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG. 16 Vgl. etwa BVerfGE 70, 35, 50; BVerwGE 64, 270, 273; Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. 2002, § 13 Rdnr. 14; Ossenbühl, Gutachten Β für den 50. Deutschen Juristentag, 1974, S. B160, B183 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. IV Rdnr. 209, Stand: Jan. 1985. 17 Vgl. nur BVerwGE 48, 56, 63 f.; 55, 220, 225; 56, 110, 117; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, § 1 Rdnr. 87 ff.; Kühling/Hermann, Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 311 ff.; Steinberg /Berg/ Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, § 3 Rdnr. 57 ff.; Sendler, in: FS für Schlichter, 1995, S. 55, 72 ff. 18 Vgl. nur BVerwGE 34, 301, 309; Schröder, DÖV 1975, 308, 309; Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995, S. 57 ff.
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Begrenzt werden die Ermittlungspflichten allerdings durch das Erfordernis der Erkennbarkeit für den zur Abwägung berufenen Planungsträger. Rechtsprechung und Lehre haben den Planungsträger bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials stets nur zur Abwägung solcher Belange verpflichtet, die für ihn erkennbar sind oder sich nach Lage der Dinge aufdrängen. 19 Vor allem in den Verfahren zum Erlass von Bauleitplänen und Planfeststellungsbeschlüssen dienen hierzu die Vorschriften über die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange. Der grundsätzliche Konflikt zwischen den Erfordernissen der planerischen Publizität und der rechtsstaatlichen Abwägung auf der einen und den Erfordernissen des Datenschutzes auf der anderen Seite ist freilich nicht abstrakt auf der Ebene des Verfassungsrechts, sondern im Kontext der einschlägigen einfachgesetzlichen Bestimmungen zu lösen. Deshalb sind zunächst die planungsrelevanten Grundstrukturen des Datenschutzrechts vorzustellen.
I I . Grundstrukturen des Datenschutzrechts 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben Die Datenschutzgesetzgebung in Deutschland beginnt mit dem Hessischen Datenschutzgesetz aus dem Jahr 1970 sowie dem 1977 erlassenen ersten Bundesdatenschutzgesetz.20 Verfassungsrechtlich überhöht wurden diese einfachgesetzlichen Anfänge durch das bahnbrechende Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983, in dem das Bundesverfassungsgericht als besondere Ausprägung des in Art. 1 und 2 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und vor dem Hintergrund der „heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung" ein ,Jiecht auf informationelle Selbstbestimmung' erkannte. 21 Dieses Grundrecht gewährleistet „die Befugnis des Einzelnen, grundsätz19
BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118, 120 ff; OVG Greifswald, NVwZ 2001, 1063 ff.; Brohm (Fn. 16), § 13 Rdnr. 24 ff.; Hoppe, in: Hoppe / Bönker / Grotefels, Öffentliches Baurecht, 2. Aufl. 2002, § 7 Rdnr. 52; Steinberg / Berg / Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, §3 Rdnr. 105, jeweils m.w.N.; Zeitler, in: Sieder / Zeitler / Dahme / Knopp (Hrsg.), WHG, Loseblatt-Kommentar, § 31 Rdnr. 230, Stand: Juli 2000. 20 Kloepfer, Informationsrecht, 2002, § 8 Rdnr. 2 f.; Tinnefeid/Ehmann, Einführung in das Datenschutzrecht, 3. Aufl. 1998, S. 43 ff. 21 BVerfGE 65, 1 ff.; vgl. dazu im Rückblick Aulehner, 10 Jahre „VolkszählungsUrteil", CR 1993, 446 ff.; Donos, Datenschutz - Prinzipien und Ziele, 1998, S. 69 ff.; Höfelmann, Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, 1997, S. 49 ff; Kloepfer (Fn. 20), § 3 Rdnr. 48 ff.; Kunig, Der Grundsatz informationeller Selbstbestimmung, Jura 1993, 595 ff; Rudolf in: Isensee / Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX 1997, § 220 Rdnr. 8 ff.; ablehnend Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987, besonders S. 51 ff.; zu dogmatischen Aiternati-
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lieh selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen" und „selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden". Zudem müssen Betroffene „wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß". Das Gericht erkannte zwar die Legitimität von Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung an, entwickelte hierfür jedoch strenge Anforderungen: Solche Einschränkungen sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse aufgrund eines Gesetzes zulässig, das die Voraussetzungen für die Einschränkungen und deren Umfang eindeutig erkennbar regelt (Normenklarheit) und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten unterliegt einer strikten Zweckbindung und kann nicht zu anderen als den ursprünglichen Zwecken oder auf Vorrat erfolgen. Sie muss sich an einem bereichsspezifisch und präzise bestimmten Verwendungszweck orientieren und auf das hierfür erforderliche Mindestmaß beschränken. Damit unterliegen diese Daten einem amtshilfefesten Schutz gegen Zweckentfremdungen. 22 Stets ist zudem zu prüfen, ob das Ziel der Erhebung nicht auch durch anonymisierte Ermittlung erreicht werden kann. Schließlich entwickelte das Gericht ein tragendes „Transparenzgebot' und erkannte den Betroffenen als verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungsrechte sowie eine Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter zu. Dementsprechend muss der Gesetzgeber organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen treffen, um der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenzuwirken. 23
2. Rechtsgrundlagen a) Die Rechtsquellen des Datenschutzes Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird einfachgesetzlich vor allem durch das Bundesdatenschutzgesetz und die Datenschutzgesetze der Länder konkretisiert. Neben diesem allgemeinen Datenschutzrecht finden sich in zahlreichen Bundes- und Landesgesetzen - also in speziellen datenschutzrechtlichen Gesetzen wie dem Teledienstedatenschutzgesetz und dem Mediendienstestaatsvertrag, aber auch in den Landespolizeigesetzen und der Zivilprozessordnung - spezielle datenschutzrechtliche Regelungen. Um in solchen Einzelbereichen für sachgerechte abweichende Lösungen Raum zu lassen, ven Schmitt-Glaeser, in: Isensee / Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI 1989, § 129 Rdnr. 81 ff. 22 BVerfGE 65, 1, 46; vgl. dazu auch Höfelmann (Fn. 21), S. 198 ff.; Schlink, NVwZ 1986, 249 ff. 23 BVerfGE 65, 1 (Leitsatz 1 und 2), 41ff., 46 ff.
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gehen nach § 1 Abs. 4 BDSG und in Übereinstimmung mit den allgemeinen Auslegungs- und Kollisionsregeln die bereichsspezifischen datenschutzrechtlichen Vorschriften des Bundes dem Bundesdatenschutzgesetz vor. Die Landesdatenschutzgesetze enthalten vergleichbare Subsidiaritätsklauseln. 24 Daraus resultiert eine doppelte Unterscheidung einerseits zwischen allgemeinem und besonderem Datenschutzrecht, andererseits zwischen dem Datenschutzrecht des Bundes und dem der Länder. 25 b) Besonderes Datenschutzrecht für den Bereich der Raumplanung Die Zersplitterung des geltenden Datenschutzrechts ist auf das Fehlen spezieller Datenschutzkompetenzen im Grundgesetz zurückzuführen. Datenschutz ist ein typisches Beispiel einer Querschnittsaufgabe, die keiner einheitlichen Gesetzgebungskompetenz unterliegt. 26 So wird beispielsweise der Datenschutz im Zusammenhang mit dem Melde- und Ausweiswesen von dem entsprechenden Kompetenztitel in Art. 75 Abs. 1 Nr. 5 GG umfasst. 27 Für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren etwa hat der Bund in der Neunten Bundes-Immissionsschutzverordnung auch von seiner Annexkompetenz zur Regelung datenschutzrechtlicher Fragen Gebrauch gemacht und in § 12 Abs. 2 vorgesehen, dass die nach der Auslegung von Antrag und Unterlagen bei der Genehmigungsbehörde oder der auslegenden Stelle zu erhebenden Einwendungen dem Antragsteller und den in ihrem Aufgabenbereich berührten Behörden bekanntzugeben sind. Auf Verlangen des Einwenders sollen jedoch dessen Name und Anschrift vor der Bekanntgabe unkenntlich gemacht werden, wenn sie zur ordnungsgemäßen Durchführung des Genehmigungsverfahrens nicht erforderlich sind. Für Planungsverfahren findet sich eine entsprechende Bestimmung jedoch nicht. 28
24 Vgl. etwa § 2 Abs. 5 S. 1 LDSG BW; Art. 2 Abs. 7 BayDSG; § 2 Abs. 5 S. 2 BlnDSG; § 3 Abs. 3 HessDSG; § 3 Abs. 3 S. 1 DSG-LSA; § 2 Abs. 7 S. 1 RhPf. LDSG; § 2 Abs. 3 S. 1 ThürDSG, und zu der Funktion dieser Regelungen Walz, in: Simitis / Dammann / Geiger / Mallmann / Walz, BDSG, § 1 Rdnr. 268 ff, Stand: Mai 1993. 25 Kloepfer (Fn. 20), § 8 Rdnr. 6 ff. 26 Näher Höfelmann (Fn. 21), S. 120 ff.; Rengeling, in: Isensee / Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV 1990, § 100 Rdnr. 128 und 170; Tinnefeid / Ehmann (Fn. 20), S. 93 ff; z.T. kritisch zu den Grundannahmen der h.L. Wochner, Das Datenschutzdurcheinander, DVB1. 1982, 233 ff. 27 Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 2003, Art. 75 Rdnr. 37. 28 Allerdings ist fraglich, ob der Regelungsgehalt der Vorschrift den allgemeinen Spielraum der Verfahrensgestaltung nennenswert beschränkt. Verneinend insoweit BVerwG, NVwZ-RR 2000, 760. Die Gesetzesbegründung, abgedruckt in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 9. BImSchV § 12, stellt fest, mit der 1992 abgedruckten Fassung solle vor allem „klargestellt" werden, dass dem Antragsteller zur Vorbereitung
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Überhaupt hat der Planungsrechtsgesetzgeber anders als im Umweltrecht 29 nur ganz punktuell und fast ausschließlich auf der Ebene des Landesrechts ausdrückliche datenschutzrechtliche Bestimmungen geschaffen. Für die Gesamtplanung enthält das brandenburgische Landesplanungsgesetz in § 7 eine Regelung zur „Datenverarbeitung", die die Planungsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben ermächtigt, personenbezogene Daten zu erheben, zu speichern und zu übermitteln. Diese Daten sind grundsätzlich beim Betroffenen zu erheben, der zur Erteilung der erforderlichen Auskünfte verpflichtet ist. Eine Erhebung, Speicherung oder Übermittlung ist gegebenenfalls auch ohne Kenntnis des Betroffenen zulässig, wenn anderenfalls die Erfüllung der Aufgaben gefährdet wäre. Für die Einzelheiten ermächtigt das Gesetz den zuständigen Fachminister zum Erlass einer Verordnung und verweist im Übrigen auf das Brandenburgische Datenschutzgesetz30. Ähnliche Bestimmungen enthält auch das Saarländische Landesplanungsgesetz in den § 15 ff. Im Baugesetzbuch finden sich zwar in § 138 spezielle datenschutzrechtliche Regelungen über Auskunftspflichten zur Beurteilung der Sanierungsbedürftigkeit eines Gebiets und über den Schutz der entsprechenden personenbezogenen Daten 31 , der Datenschutz im Rahmen der Bauleitplanung ist jedoch im Gesetz nicht geregelt. In Berlin behandelt ein spezielles Stadtplanungsdatenverarbeitungsgesetz die Zulässigkeit der Datenverarbeitung u.a. für die Zwecke der Bauleitplanung, der Raumordnung und Regionalplanung sowie der Bereichsentwicklungs- und Standortplanung. 32 Auch im Fachplanungsrecht finden sich nur vereinzelt Regelungen zum Planungsdatenschutz. So sieht das Verwaltungsverfahrensgesetz für BadenWürttemberg in § 73 Abs. 1 S. 2 ausdrücklich vor, dass der für das Anhörungsverfahren einzureichende und auszulegende Plan aus den Zeichnungen und Erläuterungen besteht, „die das Vorhaben, seinen Anlass, die von dem Vorhaben des Erörterungstermins die Namen der Einwender mitgeteilt werden können. Einem Verlangen, Name und Anschrift vor der Bekanntgabe unkenntlich zu machen, habe die Behörde jedoch „regelmäßig zu entsprechen". Demgegenüber spricht Kutscheidt, in: Hansmann (Hrsg.), Landmann / Roemer, Umweltrecht, 9. BImSchV §12 Rdnr. 3, Stand: Okt. 1993, der Vorschrift die praktische Bedeutung weitgehend ab, da die Bekanntgabe wegen des legitimen Interesses des Antragstellers an einer Präklusion verspäteter Einwendungen „regelmäßig erforderlich" sei. Kritisch zu der insoweit fehlenden Aussagekraft der Regelung auch Rebentisch, NVwZ 1992, 926, 931. 29 Vgl. neben der vorgestellten Bestimmung ganz beispielhaft § 56 KrW-/AbfG, § 24 Berliner Bodenschutzgesetz oder § 20 Landesimmissionsschutzgesetz Brandenburg. 30 Vgl. auch den ähnlichen Verweis in Art. 21 des Landesplanungsvertrags über die Aufgaben und Trägerschaft sowie Grundlagen und Verfahren der gemeinsamen Landesplanung der Länder Berlin und Brandenburg. 31 Vgl. dazu etwa Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, § 138 Rdnr. 4, 6 ff. 32 Gesetz über die Datenverarbeitung für Zwecke der räumlichen Stadtentwicklung, Stadt- und Regionalplanung und bodenwirtschaftlicher Aufgaben (Stadtplanungsdatenverarbeitungsgesetz) vom 2.11.1994, GVB1. S. 444.
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betroffenen Grundstücke und Anlagen sowie Namen und gegenwärtige Anschriften der betroffenen Eigentümer erkennen lassen; Grundstückseigentümer dürfen dabei nach dem Grundbuch bezeichnet werden, soweit dem Vorhabenträger nicht dessen Unrichtigkeit bekannt ist." Nach § 69 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 2 dürfen im verfugenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses Namen und Anschriften der Beteiligten stets angegeben werden; erscheint es allerdings für eine ordnungsgemäße Begründung erforderlich, die persönlichen oder sachlichen Verhältnisse eines Beteiligten im Einzelnen darzustellen, so hat die Behörde gem. § 69 Abs. 2 S. 2 in der Begründung auf die Angabe seines Namens und, soweit möglich, auch seiner Anschrift oder des von dem Vorhaben betroffenen Grundstücks zu verzichten; in diesem Fall teilt sie dem Beteiligten zusammen mit dem Verwaltungsakt schriftlich mit, welcher Teil der Begründung sich auf sein Vorbringen bezieht.33 Ähnliche Regelungen enthält § 6 Abs. 2 des Landesstraßengesetzes für Rheinland-Pfalz. 34 Vereinzelt finden sich auch in den Datenschutzgesetzen selbst spezifische Vorgaben für die Raumplanung. 35 c) Die Anwendungsbereiche der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder Soweit kein derartiges besonderes Datenschutzrecht für den Bereich der Raumplanung vorliegt, kommen nach den erwähnten Subsidiaritätsklauseln die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder zum Tragen, deren Anwendungsbereiche somit voneinander abzugrenzen sind. Das Bundesdatenschutzgesetz gilt nach seinem § 1 Abs. 2 für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten durch Bundesbehörden sowie durch Private. 36 Während allerdings der Staat nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gebunden ist, beschränkt sich dessen Wirkung in den übrigen Bereichen des Rechts, also etwa im Bürgerlichen Recht, auf mittelbare Ausstrahlungen. Für beide Bereiche, den einer direkten 33
Zu diesen Regelungen Alexander, DAR 1993, 138, 142. Vgl. dazu Stüer /Probstfeid, DÖV 2000, 701,702; dies. (Fn. 3), 91, 93. 35 So soll die in anderen Gesetzen so nicht vorgesehene dritte Alternative der Regelung in Art. 17 Abs. 2 Nr. 1 des Bayerischen Datenschutzgesetzes, wonach eine Zweckänderung des Speicherns, Veränderns oder der Nutzung personenbezogener Daten zulässig ist, wenn eine Rechtsvorschrift die Beteiligung von Trägern öffentlicher Belange bestimmt, gerade einen Abgleich der Daten von beteiligten Behörden in Planfeststellungsverfahren ermöglichen. Vgl. dazu Bergmann / Möhr le / Herb, Datenschutzrecht, Loseblatt-Kommentar, BY Art. 17 BayDSG Erl. 3.3, Stand: März 1994; Wilde/Ehmann /Niese / Knoblauch, BayDSG, Loseblatt-Kommentar, Art. 17 Rdnr. 19, Stand: März 1994. 36 Gola /Schomerus, BDSG, 7. Aufl. 2002, § 1 Rdnr. 19 ff.; auch zu den kompetenzrechtlichen Grundlagen Höfelmann (Fn. 21), S. 121, 123 ff. 34
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Grundrechtsbindung unterliegenden öffentlichen und den nur mittelbar von dem Grundrecht betroffenen nicht-öffentlichen, trifft das Gesetz unterschiedliche Regelungen.37 Für öffentliche Stellen der Länder kommt das Bundesdatenschutzgesetz nicht mehr zur Anwendung, seit der Datenschutz flächendeckend durch Landesdatenschutzgesetze geregelt ist. Die Landesdatenschutzgesetze erfassen den Umgang von Landes- und Kommunalbehörden mit personenbezogenen Daten. Sie weisen im Grundsätzlichen ganz vergleichbare Strukturen auf. Aus diesen Vorgaben folgt für die Raumplanung: 1.
Für durch öffentliche Stellen des Bundes betriebene Bundesplanungen gilt das Bundesdatenschutzgesetz.
2.
Planungen von Landesbehörden, auch soweit sie etwa im Bereich der Fernstraßen im Auftrag des Bundes erfolgen, unterliegen den Datenschutzgesetzen der Länder.
3.
Planungen nicht-öffentlicher Planungsträger unterliegen zumindest in jenen Phasen der Datenverarbeitung, die der private Planungsträger selbst kontrolliert, den Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes über die Datenverarbeitung durch natürliche oder juristische Personen des Privatrechts. Soweit hingegen die Datenverarbeitung in den entsprechenden Planungsverfahren durch Landesbehörden erfolgt - etwa durch eine Anhörungsbehörde im Rahmen einer privatnützigen wasserrechtlichen Planfeststellung - , kommen erneut die Datenschutzgesetze der Länder zur Anwendung.
3. Grundstrukturen der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder Die weitreichenden verfassungsrechtlichen Aussagen des Volkszählungsurteils haben den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder ihren wesentlichen Inhalt bereits vorgegeben, namentlich im Hinblick auf den tragenden Grundsatz: Jede Beschränkung des Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung" bedarf einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, die aus Gründen überwiegenden Allgemeininteresses zulässig und erforderlich sein und dem Gebot der Normenklarheit sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss. Vor diesem Hintergrund weisen die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder sehr ähnliche Strukturen auf, sodass zumindest die Begriffe und Grundsätze sich in vergleichbarer Weise in den meisten Datenschutzgesetzen finden. 37
Vgl. Schmitt-Glaeser, in: Isensee / Kirchhoff (Fn. 21), § 129 Rdnr. 90 ff., der die Reglementierung der nur mittelbar an das Grundrecht gebundenen privaten Datenverarbeitung als zu weitgehend ansieht.
Datenschutz in der Raumplanung
a) Datenschutzrechtliche
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Grundbegriffe
Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. 38 Dabei ist erforderlich, dass aus diesen Angaben τ- etwa aus einem Namen oder einer Adresse - ein Bezug zu einer bestimmten Person hergestellt werden kann. 1st eine solche Identifizierung nicht möglich, liegen keine personenbezogenen Daten vor. 39 Keine personenbezogenen Daten sind also beispielsweise die isolierten Meldedaten eines FFH-Gebiets, weil aus diesen oder aus den kartographischen Angaben kein Rückschluss auf den einzelnen Eigentümer möglich ist. 40 Zudem können personenbezogene Daten durch solche Änderungen anonymisiert werden, nach denen die Einzelangaben nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können.41 Nach Abschluss dieses Verarbeitungsvorganges liegen für diejenigen Stellen, die sie nicht kraft Sonderwissens re-anonymisieren können, keine personenbezogenen Daten mehr vor, so dass die Angaben insoweit nicht mehr dem Datenschutzrecht unterfallen. 42 Dies gilt beispielsweise für anonymisiserte schalltechnische Untersuchungen. Die meisten Datenschutzgesetze definieren weiterhin den Begriff der ,£>atet als „Sammlung personenbezogener Daten", die entweder durch automatisierte Verfahren nach bestimmten Merkmalen ausgewertet werden kann (automatisierte Datei) oder gleichartig aufgebaut ist und nach bestimmten Merkmalen geordnet, umgeordnet und ausgewertet werden kann (nicht automatisierte Datei). 43 Dieser früher für die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts maßgebliche Begriff hat unter dem Einfluss der EG-Datenschutzrichtlinie an Bedeutung verloren und bildet nur noch im nicht-öffentlichen Bereich ein Tatbestandsmerkmal
38
§ 3 Abs. 1 BDSG; vgl. weiter die entsprechenden Definitionen u.a. in § 3 Abs. 1 LDSG BW; Art. 4 Abs. 1 BayDSG; § 4 Abs. 1 S. 1 BlnDSG; § 3 Abs. 1 BbgDSG; § 2 Abs. 1 HessDSG; § 4 Abs. 1 HmbDSG; § 3 Abs. 1 DSG M-V; § 3 Abs. 1 DSG NW; § 2 Abs. 1 S. 1 DSG LSA; § 3 Abs. 1 SächsDSG; § 3 Abs. 1 ThürDSG. 39 Auernhammer, BDSG, 3. Aufl. 1993, §3 Rdnr. 4; Klebe, in: Däubler/Klebe / Wedde, BDSG, 1996, § 3 Rdnr. 3 f.; Gola /Schomerus (Fn. 36), § 3 Rdnr. 3. 40 VG Freiburg, NuR 2000, 537. 41 § 3 Abs. 6 BDSG; ebenso etwa § 3 Abs. 6 LDSG BW; Art. 4 Abs. 8 BayDSG; § 4 Abs. 7 BlnDSG; § 3 Abs. 3 Nr. 1 BbgDSG; § 4 Abs. 9 HmbDSG; § 3 Abs. 4 Nr. 8 DSG M-V; § 3 Abs. 7 DSG NW; § 2 Abs. 7 DSG LSA; § 3 Abs. 2 Nr. 4 SächsDSG; § 3 Abs. 9 ThürDSG. 42 Vgl. etwa Ancôt, SächsDSG, 1993, § 3 Rdnr. 8; Auernhammer (Fn. 39), § 3 Rdnr. 47; Gola /Schomerus (Fn. 36), § 3 Rdnr. 43 f. 43 Art. 4 Abs. 3 BayDSG; § 3 Abs. 9 DSG BW; § 2 Abs. 3 Nr. 4 BremDSG; nur noch partiell definiert den Dateibegriff § 3 Abs. 2 S. 2 BDSG; nur noch als Übergangsvorschrift findet sich diese Definition in § 37 Abs. 2 SaarlDSG; keine entsprechende Definition enthält mittlerweile etwa das Datenschutzgesetz Schleswig-Holstein.
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für die Anwendung des Datenschutzrechts.44 Praktisch werden die meisten im Rahmen von Planverfahren erhobenen Daten ohnehin dem Dateibegriff unterfallen. § 2 BDSG trifft die bereits erwähnte wichtige Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen. Öffentliche Stellen des Bundes sind demnach u.a. die Behörden, die Organe der Rechtspflege und andere öffentlichrechtlich organisierte Einrichtungen des Bundes ungeachtet ihrer Rechtsform. Nicht-öffentliche Stellen sind hingegen natürliche und juristische Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen des privaten Rechts. Nimmt jedoch eine nicht-öffentliche Stelle hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr, gilt sie insoweit dennoch als öffentliche Stelle 45 . Damit werden Private dem für öffentliche Stellen geltenden Datenschutzrecht unterworfen, soweit sie hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Dies ist nur bei den sog. beliehenen Unternehmern der Fall 46 , auf die durch die Beleihung Hoheitsrechte übertragen werden. 47 Die Beleihung bedarf einer gesetzlichen Grundlage. 48 Demgegenüber führt der Verwaltungshelfer lediglich Hilfstätigkeiten nach Weisung und im Auftrag der Behörde aus, ohne nach außen eigenverantwortlich tätig zu werden. 49 Planungsbüros und Projektgesellschaften werden mangels einschlägiger Ermächtigungsnormen regelmäßig als reine Verwaltungshelfer anzusehen sein, die den datenschutzrechtlichen Vorgaben über nicht-öffentliche Stellen unterfallen. Dasselbe gilt im Regelfall auch für die Datenverarbeitung privatisierter Staatsunternehmen, etwa für die Deutsche Bahn
44 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 BDSG und dazu Gola / Schomerus (Fn. 36), §3 Rdnr. 15 ff.; Kloepfer (Fn. 20), § 8 Rdnr. 49, 59 ff.; Tinnefeid, NJW 2001, 3078, 3081; dies. /Ehmann (Fn. 20), S. 188 ff., 194. 45 § 2 Abs. 1 und 4 BDSG; ebenso im Hinblick auf die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch Private etwa § 2 Abs. 2 LDSG BW; Art. 4 Abs. 2 S. 3 und 4 BayDSG; § 2 Abs. 1 S. 2 BlnDSG; § 2 Abs. 1 S. 3 BbgDSG; § 2 Abs. 1 S. 3 RhPf. LDSG. 46 Auernhammer (Fn. 39), § 2 Rdnr. 22 f. m.w.N.; Dörr /Schmidt, Neues BDSG, 2. Aufl. 1992, § 2 Rdnr. 19; Kloepfer (Fn. 20), § 8 Rdnr. 56; Simitis, in: ders. (Fn. 24), § 2 Rdnr. 122 f., Stand: Mai 1993; weiter hingegen Klebe, in: Däubler / Klebe / Wedde (Fn. 39), § 2 Rdnr. 14, wonach die Regelung auch bei der Wahrnehmung nichthoheitlicher Aufgaben greifen soll. 47 Näher Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 248 ff.; v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 30 ff.; Stollmann, DÖV 1999, 183, 186 f. 48 BayVGH, NVwZ 1999, 1122, 1124; Ossenbühl, VVDStRL 29 (1970), 137, 169 f.; Peine, DÖV 1997, 353, 361. 49 BayVGH, NVwZ 1999, 1122, 1124; Büllesbach / Rieß, Outsourcing in der öffentlichen Verwaltung, NVwZ 1995, 444, 445; v. Heimburg (Fn. 47), S. 130 ff.; Osterloh, VVDStRL 54 (1995), 204, 217 ff.; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 233 ff.
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AG, da im Bahnbereich seit der Bahnreform sämtliche hoheitlichen Funktionen durch das Eisenbahn-Bundesamt wahrgenommen werden 50. Das Verarbeiten von Daten umfasst jedes Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen personenbezogener Daten, also u.a. ihre Erfassung und Aufbewahrung, ihr Verändern sowie ihre Bekanntgabe an Dritte. 51 Für das Vorliegen eines Übermittlungsvorganges entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Definition des „Dritten". Dritter" ist an sich jede Person oder Stelle außerhalb der speichernden Stelle. Nicht Dritte sind jedoch neben dem Betroffenen auch diejenigen Personen und Stellen, die personenbezogene Daten im Auftrag verarbeiten oder nutzen.52 Das damit angesprochene Instrument der Auftragsdatenverarbeitung eröffnet eine Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen dritte Stellen auch dann in die Datenverarbeitung einzubinden, wenn eine formale Übermittlung an sie unzulässig wäre. 53 b) Die Zulässigkeit der Datenerhebung und -Verarbeitung durch öffentliche Stellen Nach dem für das deutsche Datenschutzrecht prägenden Grundsatz in § 4 Abs. 1 BDSG ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn das Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene eingewilligt hat. 54 In diesem Fall sind die personenbezogenen Daten grundsätzlich beim Betroffenen zu erheben. Ohne seine Mitwirkung dürfen sie nur erhoben werden, wenn eine Rechtsvorschrift dies vorsieht oder zwingend voraussetzt, die zu erfüllende Verwaltungsaufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Personen oder Stellen erforderlich macht
50
Vgl. dazu Grupp, DVB1. 1996, 591, 593 m.w.N; Studenroth, VerwArch. 1996, 97, 102 ff.; ders., Kompetenzverteilung und -Wahrnehmung im Bereich der Eisenbahnen des Bundes, in: Blümel / Kühlwetter (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts II, Speyerer Forschungsberichte 175, 1997, S. 329, 342. 51 § 3 Abs. 4 BDSG; so oder ähnlich u.a. auch § 3 Abs. 2 LDSG BW; Art. 4 Abs. 6 BayDSG; § 4 Abs. 2 BlnDSG; § 3 Abs. 2 BbgDSG; § 2 Abs. 2 HessDSG; § 4 Abs. 2 HmbDSG; § 3 Abs. 4 DSG M-V; § 3 Abs. 2 DSG NW; § 2 Abs. 5 DSG LSA; § 3 Abs. 3 ThürDSG. 52 § 3 Abs. 8 S. 2 und 3 BDSG; ebenso etwa § 3 Abs. 5 LDSG BW; Art. 4 Abs. 10 BayDSG; § 4 Abs. 3 Nr. 2 BlnDSG; § 2 Abs. 5 HessDSG; § 3 Abs. 6 DSG M-V; § 2 Abs. 5 DSG-LSA; § 3 Abs. 3 DSG NW. Im Freistaat Sachsen, wo eine solche Bestimmung nicht existiert, ergibt sich Entsprechendes aus der Definition der öffentlichen Stelle in § 3 Abs. 2 S. 1 SächsDSG und der expliziten Regelung über die Auftragsdatenverarbeitung in § 7. Vgl. dazu Ancôt (Fn. 42), § 7 Rdnr. 1 ff. 53 Vgl. dazu sogleich unter II.3.d). 54 Dem entsprechen u.a. § 4 Abs. 6 LDSG BW; Art. 15 Abs. 1 BayDSG; § 6 Abs. 1 BlnDSG; § 4 Abs. 1 BbgDSG; § 5 Abs. 1 HmbDSG; § 7 Abs. 1 HessDSG; § 7 Abs. 1 DSG M-V; § 4 Abs. 1 DSG NW; § 4 Abs. 1 DSG LSA; § 4 Abs. 1 ThürDSG.
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oder die Erhebung beim Betroffenen einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden 55. Wird die Einwilligung beim Betroffenen eingeholt, so ist er insbesondere auf den Zweck der Speicherung und einer vorgesehenen Übermittlung hinzuweisen. Die Einwilligung bedarf grundsätzlich der Schriftform 56. Diese Vorgabe entspricht den Aussagen des Volkszählungsurteils, wonach jede Beschränkung des Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung" einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage bedarf. 57 Es ist daher irrelevant, ob einzelnen planungsrechtlichen Vorschriften ein implizites Verbot einer bestimmten Datenverarbeitung zu entnehmen ist. 58 Vielmehr gilt für alle Datenverarbeitungsvorgänge in jeder Phase der Planung ein grundsätzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. 59 Dabei sind drei verschiedene Gruppen von Erlaubnistatbeständen zu unterscheiden, nämlich 1. die Ermächtigung durch eine spezielle datenschutzrechtliche Vorschrift des Fachrechts - in Anlehnung an den sicherheitsrechtlichen Sprachgebrauch soll dafür im Folgenden der Begriff der fachrechtlichen Spezialbefugnis" Verwendung finden - , oder 2. die Ermächtigung durch die „