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German Pages 247 Year 2023
Jutta Talley
Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos So gelingt der verbale Auftritt von CEOs, Fach- und Führungskräften
Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos
Jutta Talley
Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos So gelingt der verbale Auftritt von CEOs, Fach- und Führungskräften
Jutta Talley Hannover, Deutschland
ISBN 978-3-658-41996-7 ISBN 978-3-658-41997-4 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Imke Sander Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Geleitwort
Warum sind Podcasts eigentlich so erfolgreich? Und warum bleibt Wissen so gut hängen, wenn es erzählt und in gesprochener Sprache vermittelt wird? Der menschliche Geist ist seit jeher ein großartiger Geschichtenerzähler und -zuhörer. Unsere Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und zuzuhören, hat uns im Laufe der Geschichte ermöglicht, Wissen, Kultur und Emotionen über Generationen hinweg weiterzugeben. Podcasts sind quasi das perfekte Format für diese menschliche Neigung. Anders als Radio sind sie frei von zeitlichen Grenzen und standardisierten Strukturen. Sie bieten Raum fürs Erzählen, bisweilen stundenlang – so lange, wie eine Geschichte eben braucht. Hinzu kommt, dass in einer Zeit, in der visuelle Medien enorm präsent sind und täglich um unsere Aufmerksamkeit buhlen, Podcasts einen Ort der Ruhe und des Verweilens bieten – ganz ohne Ablenkung. Gutes Sprechen ist für Podcasts von entscheidender Bedeutung, weil die Zuhörenden in der Regel keine visuellen Reize haben, auf die sie sich konzentrieren können. Die Stimme des Sprechenden und die Art, wie er oder sie spricht, sind die einzigen Faktoren, die das Publikum bei der Stange halten. Eine klare, ausdrucksstarke und engagierte Stimme V
VI Geleitwort
kann den Unterschied zwischen einem fesselnden Podcast, der die Zuhörenden in den Bann zieht, und einem langweiligen, schnell vergessenen Vortrag ausmachen. Das ist umso wichtiger, weil der Podcastmarkt mittlerweile extrem gewachsen ist. In der Frühzeit des Podcasting, 2005, als Apple das Abonnieren von Podcasts radikal vereinfachte und so die ersten Formate entstanden, waren Podcasts noch eine Nische – die Zeit der sogenannten Laber-Podcasts. Ausdrucksstarke Stimmen waren zu dieser Zeit eher nebensächlich. Heute gibt es so viele und unterschiedliche Formate, dass Podcastmacher und -macherinnen schon genau überlegen müssen, was sie ihrem Publikum bieten können. Eine angemessene Audioqualität sowie professionelle Sprecherinnen und Sprecher sind Grundvoraussetzung eines jeden Formats. Doch was macht gutes Sprechen in Podcasts aus? Klarheit der Aussprache, Betonung, Modulation: die Klaviatur der menschlichen Stimme gut zu beherrschen, um die Geschichten und Gespräche in den Podcasts gut zu transportieren, ist entscheidend. Wie ich spreche und etwas sage, macht einen entscheidenden Unterschied für das Gesagte aus: Meine ich etwas ironisch? Mache ich einen Witz? Hebe ich die Stimme, um zu übertreiben oder meine ich das Gesagte wirklich ernst? Oder auch Pausen zu machen, Pausen zuzulassen, richtig atmen – all das hat Einfluss auf den Inhalt. Dieses und vieles mehr habe ich im Laufe meiner eigenen Podcastkarriere erst lernen müssen. Dabei war viel Learning-by-Doing im Spiel, was sich heute aber niemand mehr leisten kann – die Konkurrenz ist mittlerweile einfach zu groß. All diese Techniken des Sprechens sind aber wichtig, um den Geschichten den richtigen Rahmen zu geben. Wenn ich mir heute meine ersten Podcasts aus dem Jahr 2009 anhöre, dann verstehe ich das viel besser als damals. Jutta Talley schafft es, in diesem Buch alle wichtigen Aspekte dazu sehr gut auf den Punkt zu bringen. Ihr gelingt es, sowohl die so wichtigen Themen Stimme und Sprechen, Atmung, Konzeption, aber auch Interaktion und schlussendlich mentale Strategien unter
Geleitwort VII
einen Hut zu bringen. Dafür: Hut ab! Zudem ist es wunderbar lesbar und praxisnah geschrieben und ich möchte dieses Buch daher uneingeschränkt empfehlen. Hannover im April 2023
Luca Caracciolo Chefredakteur der deutschen Ausgabe der Technology Review sowie von Mac & i und c't Fotografie.
Vorwort
April 2023. Die Sicht ist schlecht, die Luft ist voller vom Boden aufwirbelnder Wassernebel. Ich sehe gerade mal die Rücklichter des Autos vor mir. Dicke Tropfen prasseln vom Himmel auf die Scheibe. Den Scheibenwischer meines Autos lässt das kalt, in perfekt angepasstem Tempo wischt er seit zwei Stunden unermüdlich. Das Auto tänzelt über die Kasseler Berge und ich sitze angestrengt hinter dem Steuer. Es liegen drei weitere Autostunden vor mir – mindestens. Ich seufze. Auch mit Pausen ist das keine schöne Aussicht. Jemand sagte mal, sie liebe es im Regen Auto zu fahren, ich glaube, sie meinte einen milden Sommerregen. Meine beiden Begleiter sind meine Teenager-Söhne. Der eine sitzt auf der Rückbank und hört „Die drei ???“, der andere Musik auf dem Beifahrersitz. Er reagiert prompt und bietet mir an, mir einen Podcast anzumachen. Ich stimme erleichtert zu und schon erklingt auf einem Ohr ein Interview, es startet langatmig. Ich bitte meinen Sohn, mir einen anderen Podcast anzumachen: Zwei Leute reden miteinander, es geht um ein Nischenthema, die Sprecherin lispelt. Ich höre so etwas sofort, wie Profis aus der Kieferorthopädie, die egal mit wem sie sprechen, mit einem Blick das Gebiss der anderen beurteilen können, IX
X Vorwort
aber mich stört das Lispeln nicht, denn die beiden – die Frau und der Mann im Podcast – die interessieren mich, sie werfen sich die Bälle zu, spontan und echt. Und das Thema fängt an, mich mehr und mehr zu fesseln. Ich höre ein paar Folgen. Mit Pausen. Und komme erstaunlich entspannt an. Dem Regen trotzen mit Podcasts? Ja, so fahre ich auch gern im Regen. Ein Buch schreiben, das ist auch ein bisschen, wie eine längere Reise anzutreten. Ich mache das zum ersten Mal und habe die Etappen von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung sehr unterschiedlich – als schön und anstrengend – erlebt. Eins kann ich sagen: Ich bin sehr dankbar! Dankbar für meine Klientinnen und Klienten, ohne die ich nicht so intensiv mit dem Thema „Sprechen im Podcast und Video“ zu tun gehabt hätte und ohne die ich vieles nicht hätte lernen können. Dankbar für die Hochschule Hannover, die mich mit der Lehre „Sprechen am Mikrofon“ beauftragt hat. Und dankbar für meine wunderbaren Unterstützerinnen und Unterstützer: ganz besonders mein Lebenspartner Dr. Ingo Bergner. Er ist für mich Sparringspartner vom Konzept bis zum kritischen Gegenlesen des Ergebnisses gewesen. Ich danke dir! Zwei, die indirekt mit dem Buch zu tun haben, gehören dazu: meine beiden Söhne. Ihr seid toll! Auch bei meinem Verlag Springer Gabler, der von Anfang an die Idee unterstützt hat, und meiner Lektorin Imke Sander möchte ich mich bedanken. Und dann gab es eine Reihe von Menschen, darunter auch meine Freundinnen und Freunde, die mich ermutigt haben, ein solches Projekt anzugehen und zu bewältigen. Marcus Erberich hat nicht nur einen inhaltlichen Beitrag geleistet, sondern mich mit seiner Leidenschaft für das Schreiben inspiriert. Ich danke dir für unseren Austausch. Dr. Andreas Kohne hat mir als erfahrener Autor Lifehacks zum Fachbuchschreiben mit auf den Weg gegeben, die mir das Leben leichter gemacht haben. Ich danke dir! Ich danke Nike Andersen, Anna Fuchs und Dagmar Karrasch für unseren Austausch und das kritische und wohlwollende Gegenlesen. Philipp Eins und Markus Tirok haben jeder einen inhaltlichen Beitrag geleistet, dafür bedanke ich mich. Achim
Vorwort XI
Barczok, Anne Deny, Anna Fuchs, Mona Leitmeier und Christian Riedel danke ich für die wertvollen Einblicke, die ihr in den Interviews zu euren Erfahrungen mit Audio- und Videoformaten gewährt. Gregor Duda, dir danke ich für deine Ideen und deinen technischen Support. Und herzlichen Dank, Luca Caracciolo, für dein Geleitwort. Ihnen als Lesende wünsche ich eine spannende und inspirierende Reise durch das Buch und wünsche Ihnen für Ihre nächste Situation am Mikrofon gutes Gelingen und Leichtigkeit! Hannover im Juni 2023
Jutta Talley
PS: In dem Buch finden sich immer wieder Hörbeispiele, die Sie unter dem jeweils angegebenen Link oder dem QR-Code abrufen können.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1 1.1 Alle machen Podcasts und Videos 2 1.2 Podcast und Video in der Unternehmenskommunikation 4 1.3 Professionalisierung – da, wo sie Sinn macht 6 1.4 Struktur und Ziel des Buches 9 2 Stimme und Sprechen 11 2.1 Sprechsituation 12 2.2 Innere Sprecheinstellung 15 2.3 Subtext 17 2.4 Entspannte Stimme 19 2.5 Stimmfarbe 25 2.6 Stand und Aufrichtung 28 2.7 Die eigene Stimme verstehen 30 2.8 Lautstärke 33 2.9 Deutliche Aussprache 36 2.10 Sprechtempo 45 2.11 Atemtechnik 49 XIII
XIV Inhaltsverzeichnis
2.12 Auf den Punkt sprechen 56 2.13 Sprechmelodie 58 2.14 Akzentuierung 63 2.15 Die wichtigsten Regeln für das Sprechen 64 2.16 Aufwärmprogramm für die Sprechstimme 67 2.17 Frauenstimme – Männerstimme 69 2.18 Stimmgesundheit 72 3 Technik und Präsenz 77 3.1 Sprechen am Mikrofon 77 3.2 Sprechen in der Aufnahme 80 3.3 Audio versus Video 82 3.4 Präsenz 86 3.5 Mimik und Gestik 89 4 Gliederung und Qualität 93 4.1 Struktur und Aufbau 93 4.2 Konzeption 98 4.3 Qualität sichern durch Feedback 101 5 Zusammen podcasten 105 5.1 CEO-Perspektive 105 5.2 Perspektive des Unternehmens 108 5.3 Als Team podcasten 111 6 Sprache und Text 115 6.1 Hörverstehen 115 6.2 Sprechdenken 116 6.3 Schreiben fürs Sprechen 119 6.4 Immer fürs Sprechen schreiben 122 6.5 Visualisierung von Text 125 6.6 Flattersatz 128 6.7 Treppentext 130
Inhaltsverzeichnis XV
6.8 6.9 6.10 6.11 6.12 6.13 6.14
Stichwortkonzept 134 Mindmap 136 Prompter 139 Einen guten Einstieg finden 140 Sprache und Erzählstil 144 Sprachmuster verändern 150 Gendern 153
7 Im Interview 159 7.1 Gesprächswirkung 160 7.2 An das Publikum denken 163 7.3 Gäste beruhigen 167 7.4 Atmosphäre im Interview 169 7.5 Zuhören und paraphrasieren 171 7.6 Gute Fragen stellen 173 7.7 Vorgespräch 180 7.8 Zu Gast im Interview 182 7.9 Aktiv als Gast 187 8 Mentale Strategien 189 8.1 Aufregung und Lampenfieber 189 8.2 Identität: Warum ich? 203 8.3 Rollenwelten 205 8.4 Ambivalenzen 209 8.5 Inneres Team 213 8.6 Systeme 217 8.7 Mentale Vorbereitung 221 8.8 Authentizität 223 Zum Schluss 229 Literatur 231
Über die Autorin
©Angelika Zwick
Jutta Talley ist staatl. gepr. Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin und systemische Supervisorin (zertifiziert durch die Systemische Gesellschaft). Ihr Spezialgebiet ist die verbale Kommunikation. Geboren und aufgewachsen ist sie in Berlin und kam für ihren Beruf nach Hannover. Dort sammelte sie zunächst Erfahrungen als Stimmtherapeutin und widmete sich dann ganz der Erwachsenenbildung mit Coachings für berufliche Kommunikation und Sprechtrainings für XVII
XVIII Über die Autorin
Leute aus dem Radio und Fernsehbereich, beispielsweise für „mediacampus" im Auftrag der Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM). Dabei faszinierte sie, unter welchen inneren und äußeren Bedingungen Menschen sicher und präsent auftreten können, ohne ihre Authentizität zu verlieren. Durch langjährige systemische Weiterbildungen vertiefte sie ihr Wissen über Kommunikation und gab dieses weiter – als Lehrbeauftragte für systemische Beratung an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst. Inspiriert durch Ihre vielfältigen Erfahrungen im Einzelcoaching entwickelte Jutta Talley 2018 das Podcast-Training „Finde deine Frequenz“. Mit ihrer gleichnamigen Podcast-Analyse bietet sie seit 2019 ein strukturiertes Feedback-Tool an. Als Trainerin und Coach unterstützt sie Menschen in Unternehmen und gemeinnützige Organisationen aller Hierarchieebenen dabei, ihre stimmliche und sprachliche Ausdruckskraft authentisch und überzeugend zu entwickeln. Seit 2020 ist sie als Lehrbeauftragte für das Sprechen am Mikrofon an der Hochschule Hannover tätig und vermittelt dort im Studiengang für Journalismus Handwerkzeug für die Berufspraxis.
1 Einleitung
In Zeiten von Podcasts und „Lives“ sind Organisationen auf unterschiedliche Art und Weise sicht- und hörbar. In Formaten mit und ohne Video, Panels und Pressekonferenzen, live und remote. Eins haben diese Formate gemein. Es wird gesprochen, und zwar am Mikrofon. Was ausgebildete Sprecherinnen und Sprecher können, das wird zunehmend auch von allen anderen erwartet: von CEOs, Fach- und Führungskräften. Sie müssen die verschiedenen Stakeholder ansprechen und das passend im jeweiligen Format, im reinen Audio-Angebot oder im Video. Dabei sollten sie nicht nur verständlich auftreten, sondern überzeugen! Das ist gar nicht so einfach, auch wenn es auf den ersten Blick so leicht aussieht. Denn dass man reden kann, haben die meisten auf zahlreichen beruflichen Bühnen bereits bewiesen. Doch das Sprechen im Podcast und Video verlangt einem mehr ab. Was Fach- und Führungskräfte und deren Teams beachten können, damit die verbalen Auftritte gelingen, darum geht es in diesem Buch. Das Ziel ist, nicht Tagesschausprecherin oder -sprecher zu werden, sondern zu erfahren, worauf es beim Sprechen im Podcast und Video © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_1
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wirklich ankommt, und worauf nicht. Sie bekommen Hintergrundwissen und Tipps, um Ihr Sprechen zu verbessern. Und das, ohne sich dabei zu verzetteln. Dabei richtet sich der Blick einerseits auf das Individuum und andererseits auch auf Teams, die beispielsweise ihre Führungskräfte unterstützen oder gemeinsam ein Video- oder Audioangebot betreiben.
1.1 Alle machen Podcasts und Videos Wie kam es dazu, dass alle Welt podcastet? Das Audiobloggen und damit das Abrufen von Audiodateien „on demand“ gibt es länger, als viele zunächst vermuten würden. Laut Wikipedia (2023) wurde das Konzept 2000 erstmals von Tristan Louis vorgeschlagen und dann von David Winer angepasst und umgesetzt. Auch die Begriffsfindung hat sich entwickelt. „Bei dem Begriff Podcast handelt es sich um ein Kunstwort, welches sich aus Pod für „play on demand“ (spielen auf Abruf) und cast, abgekürzt vom Begriff Broadcast (Rundfunk), zusammensetzt.“ Wikipedia (2023)
Seit der Erfindung der jederzeit abrufbaren Audioformate hat sich die Technologie weiterentwickelt, also die Aufnahmetechnik, das Streaming und die Apps, und die Beliebtheit auch. Und dieser Trend hält an: Laut Online-Audio-Monitor der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien (2022) haben im Jahr 2018 bereits 32,8 Mio. Personen über 14 Jahren in Deutschland mindestens einmal monatlich Online-Audio-Inhalte genutzt. 2022 waren es schon 45,3 Mio. Beim Kochen, Fensterputzen oder Autofahren anderen beim Erzählen zuhören, das vertreibt die Zeit. Und so überrascht es nicht, dass die beliebteste Nutzungssituation zum Podcasthören das Autofahren ist. Dicht gefolgt vom Hören bei der Hausarbeit. Dabei ist unerheblich, ob für den Job oder aus privatem Interesse gehört wird. Diese geteilte Aufmerksamkeit funktioniert mit Hörformaten und
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macht sie sowohl für Nutzende als auch für Anbietende interessant. Auch im Vergleich zu Videos. Die zunehmende Beliebtheit führt dazu, dass die Monetarisierung mehr in den Blick rückt. Werbung in Podcasts, das entwickelt sich: Immer mehr Marketingagenturen bedienen die Podcastwelt. In einigen Unternehmenspodcasts wird hauseigene Werbung geschaltet, um auf eigene Produkte hinzuweisen, zum Beispiel im Podcast „c’t uplink“ der Heise Gruppe, auf den ich später noch zurückkommen werde. Die Monetarisierung durch Werbung kennt man von Plattformen wie YouTube in Videos schon lange. Doch YouTube ist nicht nur bei Videos angesagt, laut Online-Audio-Monitor ist es die beliebteste Plattform, um Online-Audio-Angebote zu konsumieren, dicht gefolgt von Spotify. Nach seiner Gründung 2006 ist Spotify zunächst als Musikplattform gestartet, aber der Podcastmarkt entwickelt sich rasant: Spotify (2023) gibt an, im Jahr 2022 über 3,6 Mio. Podcasts im Angebot gehabt zu haben, davon über 70.000 deutschsprachige Formate, und erwarte in 2023 eine Vervielfachung. Alles ist dabei: vom Ministerium bis zum Tech-Nerd, von Unterhaltung bis zum Nischenthema. Zu beobachten ist, dass viele Formate als reines Audio- oder Videoangebot produziert und angeboten werden, es gibt aber auch Formate, die beides abbilden. Beispielsweise wird ein Interview-Podcast, der in Präsenz stattfindet, per Video aufgezeichnet oder im digitalen Format eine Bildschirmaufzeichnung gemacht. Die Motivation dahinter ist häufig, zusätzlich andere Zielgruppen zu erreichen, und zwar dort, wo sie sich sowieso aufhalten zum Videos konsumieren- auf Videoplattformen wie YouTube. Das hat Vorteile, denn YouTube ist eine der größten Suchmaschinen. Dort gut platziert zu sein bringt Reichweite und gleichzeitig Herausforderungen, denn es müssen die Erwartungen beider Formate – also dem reinen Audio und dem Video – konzeptionell und im Sprechen bedacht werden. Welche Erwartungen an das Sprechen gestellt werden, darauf gehe ich in den einzelnen Kapiteln ein.
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1.2 Podcast und Video in der Unternehmenskommunikation Wieso sind Podcasts und Videos für die Unternehmenskommunikation so interessant? Audio- und Videoformate können seit längerem viel einfacher selbst produziert werden – mit wenig technischem Aufwand, ohne Radiolizenz und ohne Sprechprofis, die bezahlt werden wollen. Das gilt für Corporate Podcast und Videocast genauso wie für alle anderen und führte dazu, dass eine Vielzahl von Angeboten auf dem Markt ist. Und das hat einen guten Grund: Die Unternehmenskommunikation kann selbst in die Hand genommen werden. Podcastexperte Stephan Schreyer (2019, S. 10) schreibt dazu: (…) „,Owned Media‘, eigene Medien, sind das Stichwort der Zukunft. Dies ist ein Weg, die Digitalisierung für die Unternehmenskommunikation bestmöglich zu nutzen. Unternehmen müssen eigene Kanäle mit eigenem Content bespielen, anstatt ihre Kraft ausschließlich dafür zu verschwenden, dass über sie berichtet wird.“ Jede und jeder kann produzieren. Aber nicht alle werden gern gehört. Die Qualität der Angebote ist zum Teil sehr unterschiedlich und daher geht mit der Beliebtheit der Formate auch eine Professionalisierung einher: Professionalisierung der Aufnahmetechnik, des Storytellings, der Stimm- und Sprechtechnik. Auch wenn es keine Vorgabe gibt, zu sprechen wie die Profis, die Erwartungen an die Sprecherinnen und Sprecher steigen. Und wer sich in exponierten Positionen befindet, wird ganz besonders gemessen. Das wird auch deutlich an den Ergebnissen des CEO DIGITAL VIDEO INDEX’22 vom Bundesverband für Medientraining (BMTD) in Deutschland. Anhand von 16 Kriterien wurde die Leistung von Top-Managerinnen und Managern vor der Kamera bewertet. Dabei wurden CEO-Ansprachen der Dax-40-CEOs ausgewertet, die öffentlich zugänglich sind, also auf YouTube, LinkedIn, Xing usw. Die Jury des BMTD (2023) beurteilte „die drei Ebenen der Kommunikation – visuell, akustisch und inhaltlich.“ Es ging zum Beispiel um den stimmlichen und sprecherischen Ausdruck, die Klarheit und Verständlichkeit der Botschaften und die
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Wirkung vor der Kamera – also um die Körpersprache und den Blickkontakt. Timotheus Höttges (Deutsche Telekom) schnitt mit Abstand am besten ab, dicht gefolgt von Martin Daum (Daimler Truck), auf dessen Podcast ich später im Buch eingehe. Was von der Jury bemängelt wurde? Viele CEOs könnten freier und präsenter sprechen und dadurch natürlicher wirken. Es fehlte eine spannende Gestaltung. Denn obwohl Elemente wie Storytelling, sprachliche Bilder und persönliche Geschichten bekannt sein dürften, wurden diese wenig eingesetzt. Und die Kernbotschaft ist meistens nicht klar transportiert worden. Sicherlich werden CEOs von Dax-Konzernen ganz besonders beobachtet und bewertet. Mein Eindruck ist jedoch: Der Anspruch steigt an alle. Denn die Konsumentinnen und Konsumenten entwickeln ihre Hör- und Sehgewohnheiten weiter. Sie wollen sich nicht langweilen, sind ungeduldig und sie haben die Wahl. Das gilt für Unternehmensformate, die extern angeboten werden genauso wie für Formate, die sich unternehmensintern an die eigene Belegschaft wenden. Auch wenn keine Radio- oder Fernsehqualität nötig ist, es gibt Forderungen: • Das Sprechen soll kein Absprungbeschleuniger sein, sondern es soll verständlich und überzeugend sein. • Das Sprechen sollte qualitativ so gut sein, dass keine ungewöhnlich hohen Aufwände in den Produktionen und Postproduktionen entstehen. Zum Beispiel, wenn aufgrund schlechten Sprechens im Nachgang sehr viel geschnitten werden muss. Das wäre sonst ein Grund über eine Profi-Stimme nachzudenken, anstatt selbst zu sprechen. • Die Sprechenden sollen die Sprechsituation gut bewältigen können und sich idealerweise so wohl fühlen, dass sie alles gut in ihren Arbeitsalltag integrieren können, denn egal, ob CEO, Fach- oder Führungskraft: Sie haben noch andere Dinge zu tun. Manche wundern sich jetzt, dass Sprechen so anspruchsvoll sein kann. Diejenigen, die bereits ein Sprechtraining genossen haben, können sich aus diesem Buch einige Rosinen herauspicken. Naturtalente können ihre Kenntnisse erweitern. Neugierig Lernenden soll mein Buch mit viel
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Praxiswissen unterstützen und mehr Leichtigkeit ermöglichen – für das Sprechen im Podcast und Video. Dieses Buch ist kein wissenschaftliches Theoriewerk, sondern ein Praxisleitfaden. Primäres Ziel ist nicht Vollständigkeit, sondern Anwendbarkeit.
1.3 Professionalisierung – da, wo sie Sinn macht Um sich gegenseitig zu verstehen, um Ideen zu vermitteln und andere mitzunehmen, braucht es Kommunikation. Das Werben um Aufmerksamkeit reicht allein nicht, wenn es darum geht, wirklich gehört und verstanden zu werden. Zuhörende brauchen inhaltliche, sowie sprecherische und technische Qualität. Wenn es um die Erstellung von Podcasts und Videos geht, dann, so schreiben Frühbrodt und Auerbacher in ihrer Podcaststudie 2021 „verdrängen die Profis zunehmend die Amateure“ (Frühbrodt & Auerbacher, 2021). Sichtbar wird das unter anderem am stetig wachsenden Angebot der Full Service Agenturen. Sie bieten auf Basis der Kundenidee die gesamte Konzeption und Produktion der Audio- und Videoprodukte sowie deren Vermarktung an. Auch Profisprecherinnen und -sprecher werden eingesetzt. Sie sprechen dann einzelne Teile wie die Intro oder das gesamte Produkt. Die Full Service Agentur hat Vorteile: ausgebildete Profis werden komponentenmäßig eingesetzt und ein hochwertiges Produkt entsteht, das auf dem anspruchsvollen Markt Gehör finden kann. Das Fachwissen aus Tontechnik, Sprechkunst und Marketing muss nicht erworben werden und so bleibt den Beauftragenden mehr Zeit für ihr Kerngeschäft. Ein Nachteil könnte sein, dass der Charakter des Unternehmens zu wenig durchklingt. Dann entsteht ein glattes, professionelles Hochglanzprodukt, das eine Spur zu distanziert wirkt. Gerade der Podcast ist ein Medium, das Nähe herstellen kann. Und interne Unternehmensvideos können Verbundenheit fördern. Je nachdem, was das Ziel ist,
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kann es deshalb sinnvoll sein, die eigenen Leute sprechen zu lassen und sich nötiges (sprech-)technisches Wissen anzueignen. Wie viel Nähe ist möglich? Wieviel Perfektion ist nötig? Die Mischform ist eine Alternative: Hier werden Studios – reine Audiostudios oder Videostudios – genutzt, die von Profis geführt werden. Der Vorteil ist, dass einzelne Komponenten wie die Nachproduktion oder Vermarktung in Auftrag gegeben werden können. Das schafft Entlastung und vermeidet Anschaffungskosten für eigenes Equipment. Tiefes technisches Wissen muss sich nicht angeeignet werden und so ist der Kopf frei. Gleichzeitig bleibt immer noch genug zu tun, denn die Zielgruppe soll etwas mit dem Audio- oder Videoprodukt anfangen können: Die Idee braucht eine Dramaturgie, die Gestaltung muss passen und das Sprechen auch. Das eigene Studio: Viele Unternehmen oder auch Einzelpersonen entscheiden sich dafür, eigenes Equipment anzuschaffen und sich das technische Wissen anzueignen. Mit etwas Glück gibt es ehemalige Radiomenschen im Unternehmen oder jemanden, dessen Traum wahr wird: ein „eigenes“ Studio einrichten. Der Vorteil ist die Unabhängigkeit von externen Dienstleistern. Das Equipment kann von mehreren Leuten genutzt werden. Unterschiedliche Teams oder Abteilungen können hier produzieren und so rechnen sich Anschaffungskosten im Vergleich zum Einmieten in ein externes Studio. In dieser Unabhängigkeit liegt jedoch die Herausforderung: Fehlt Fachwissen oder Routine kann die Produktion aufwendig sein, lang dauern und die Qualität leiden. Auch hier gibt es wieder Mischformen. Die Vorbereitung und Durchführung kann durch externe Coaches begleitet werden, Fachleute für Kamera und Ton können für die Produktion geholt und die Nachbearbeitung kann ausgelagert werden. Die Vorteile sind, dass die Qualität des Produkts gesichert ist und die Komponenten bedarfsgerecht einsetzt werden können. Zudem werden Teams oder Einzelpersonen unterstützt und entlastet.
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Zusammenfassung • Auch wenn alle produzieren können, oder gerade, weil alle produzieren, professionalisiert sich die Podcast- und Videowelt. • Die Erwartungen der Zuhörenden und Zuschauenden sollen erfüllt und bestenfalls übertroffen werden. • Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, eigene Formate zu erarbeiten. • Wenn CEOs, Fach- und Führungskräfte selbst sprechen, dann wird ihnen etwas abverlangt, denn sie werben wie viele andere auch, um die Aufmerksamkeit anderer.
Wer überzeugend und präsent sprechen will, vertraut entweder darauf, dass das intuitiv von allein klappt oder befasst sich damit grundlegend. Einfach lossprechen tun viele. Die Masse der Podcasts, Videocasts und von anderen Formaten, die jeden Tag produziert und bereitgestellt werden, zeigt: Es wird mehr produziert, als je gehört werden kann. Wer hier Qualität liefert, also verständlich auftritt und ansprechend redet, macht einen Unterschied. Dinge werden verstanden, nachvollzogen und Menschen werden eher überzeugt. Das führt zu Ideen, Entscheidungen, Weiterempfehlungen, Verbundensein und Wiederkommen. Ein gelungener Auftritt im Podcast oder Video ist mehr als gute Stimm- und Sprechtechnik. Es ist ein lebendiges Gesamtkunstwerk, wie ein Baum. Der hörbare und sichtbare Teil, das ist die Krone des Baumes: das sind Frage- und Erzähltechniken, der Stimmklang und die Sprechweise. Die Krone wird getragen vom Stamm, also der inneren Sprecheinstellung und der Tagesform. Und ein Baum wäre nichts ohne sein verzweigtes Wurzelwerk. Von der Vorbereitung über den Umgang mit Lampenfieber über das Darstellen und Schreiben von Sprechtexten liegt dort einiges vor den Blicken anderer verborgen. Ein Baum wächst und entwickelt sich, dafür braucht er Wasser und Nährstoffe. Das ist Feedback, der Austausch mit anderen, das Lesen eines Buches, das selbstständige Üben oder ein Training. Um all diese Themen soll es in diesem Buch gehen. Es ist in acht Kapitel gegliedert, über die ich Ihnen im Folgenden eine Übersicht gebe. Das Buch ist so gedacht, dass es von vorn nach hinten oder auch in einer anderen Reihenfolge gelesen werden kann. Und dafür, dass es wie ein Praxisleitfaden immer mal wieder in die Hand genommen wird.
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Dafür verweise ich innerhalb einzelner Kapitel auf jeweils andere, sodass Sie sich beim Lesen orientieren können.
1.4 Struktur und Ziel des Buches 1. Die Einleitung beschreibt die Logik des Buches. 2. Im Kap. 2 werden Atem-, Sprech- und Stimmtechniken erklärt. Sie finden Praxishinweise, Übungen und Hörproben. Die Hörbeispiele dienen der Hörschulung und sollen ein besseres Verständnis der Übungen ermöglichen. Sie finden an jeder dafür vorgesehenen Stelle einen QR-Code und Link mit Code, der Sie auf meine Webseite führt und Ihnen den Zugang zu den MP3-Dateien ermöglichst. Die Seite wird mit dem Code freigegeben. Die Hörproben sind nur im Zusammenhang mit den schriftlichen Übungen verständlich. 3. Im Kap. 3 geht es um das Sprechen am Mikrofon, um die persönliche Präsenz sowie um die Körpersprache und Mimik. 4. Anregungen dazu, wie man die Qualität sichern kann und wie sich der Aufbau der Formate auf die Anforderungen an die Sprechenden auswirkt, erfahren Sie in Kap. 4. 5. Das Kap. 5 führt uns zum Arbeiten im Team beim Erstellen von Podcasts und Videos. Im fünften Kapitel bekommen die unterschiedlichen Konstellationen Aufmerksamkeit. Denn hier gibt es verschiedene Bedürfnisse und Herausforderungen. 6. Anschließend werfen wir in Kap. 6 einen Blick auf die Sprache, das Schreiben und die Visualisierung von Skripten. Hier gibt es Praxistipps und Übungen. 7. Im Kap. 7 finden Sie Experteninterviews und die unterschiedlichen Perspektiven als Hosts und als Gäste werden betrachtet. 8. Abschließend in Kap. 8 stelle ich mentale Strategien vor, beispielsweise für den Umgang mit Lampenfieber. Es folgen hilfreiche systemische, kommunikationspsychologische Impulse mit dem Fokus auf das Sprechen im Video und Audio.
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An wen richtet sich das Buch? Dieses Buch richtet sich an Einzelpersonen, Gruppen und ganze Teams. Dabei ist es egal, ob diese Erfahrungen mit Sprechtraining mitbringen oder sich ganz neu mit dem Thema Sprechen in Audio- und Videoformaten beschäftigen. Selbst Sprechprofis können hier Anregungen finden und sich weiterentwickeln, denn die eigene Sprechtechnik befindet sich in einem lebenslangen Wandel und entwickelt sich weiter. In diesem Buch werden ganz besonders diejenigen angesprochen, die ihre verbalen Auftritte, die ihre Kommunikation weiterentwickeln wollen und dabei ist es egal, ob jemand CEO oder Fachkraft ist. Des Weiteren gehe ich auf die Unterschiede ein, die sich durch die verschiedenen Rollen in einem Unternehmen oder aus einer Teamkonstellation ergeben können. Ich werde auch immer wieder einladen, auf das große Ganze zu schauen, auf das, was Ihr Audio- und Videoangebot für Ihre Rezipientinnen und Rezipienten bedeutet. Ausblick Wie Podcasts und Videos sich im Unternehmenskontext und ganz allgemein weiterentwickeln, das ist offen. Sicher ist: Es steckt ein großes Potenzial in diesen Formaten. Die rasanten Entwicklungen im Bereich KI sowie die zunehmende Monetarisierung treiben Veränderungen voran. Wie und in welchem Ausmaß in Zukunft die künstliche Intelligenz eine Rolle spielt und KI-basierte Anwendungen im Podcast eingesetzt werden, bleibt abzuwarten. Dass sie eine Rolle spielen, ist schon jetzt in einzelnen Beiträgen oder ganzen Formaten sichtbar. Meine Prognose ist: Schlüsselspielerinnen und -spieler, Fachexpertinnen und -experten werden auch weiterhin persönlich gefragt sein. Ihnen wird zukünftig gerade in Abgrenzung zu KI-Anwendungen noch stärker abverlangt, persönlich überzeugend und authentisch zu kommunizieren. Legen wir los!
2 Stimme und Sprechen
Was früher Profis aus der Medienwelt vorbehalten war, ist schon lange in allen Branchen und sämtlichen Berufsgruppen angekommen. Alle können Videos und Audios produzieren. Die Flut an Produkten zeigt, dass tausende Menschen mitmischen. Manchmal wird erst beim Tun festgestellt: Es ist gar nicht so einfach, wie gedacht. Hinter einem guten Audio- oder Videoprodukt kann viel Arbeit stecken, es braucht Expertise aus unterschiedlichen Bereichen: Technik, Redaktion, Sprechen, Nachbearbeitung, Vermarktung. Den Unterschied macht am Ende, wer mit guten Inhalten und mit guter Qualität das Ohr des Publikums erreicht. Denn das Publikum hat die Wahl, aber keine Geduld. Wer sich mit schlechtem Sound dem Ohr zumutet, wird abgeschaltet. Das gleiche gilt für Inhalte und Sprechweise: Wer langweilt oder nuschelt, hat schlechte Karten. Deshalb lohnt es sich, am deutlichen und lebendigen Sprechen zu arbeiten. Und es ist gar nicht so schwer. Ich lade Sie ein, auf den nächsten Seiten zu erfahren, worauf Sie achten können.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_2
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2.1 Sprechsituation Es macht einen großen Unterschied, ob zwischen Tür und Angel geplaudert, oder im angemieteten Studio eine Podcastfolge aufgenommen wird. Exponierte Situationen wie das Sprechen im Podcast oder Video beeindrucken. Sie wirken sich auf den Menschen und sein Sprechen aus. Es sind eine Reihe von Aspekten, die auftreten können. Und wenn man sie versteht, überraschen sie weniger. Man kann bei Problemen schneller Lösungswege einschlagen. Denn es gibt sie, die typischen Probleme im Audio- und Videoformat. Einige haben es im Ohr: Die abgelesen klingenden CEOs im Unternehmenspodcast. Oder das Interview, bei dem man anfängt, die „Ähmms“ des Fachmenschen zu zählen. Es ist auch nicht angenehm, wenn einem beim Zuhören der gehetzten Führungskraft selbst die Luft wegbleibt. Man wünscht allen eine Atempause, den Sprechenden und den Zuhörenden. Dabei können CEOs, Fach- und Führungskräfte normalerweise gut reden, und sie wollen hier zusätzlich gut auftreten, um das Unternehmen zu repräsentieren, die Sache voranzubringen und Menschen mitzunehmen. Manche lieben die Bühne, andere gelten als still, aber sie alle könnten mit dem entsprechenden Know-how richtig gute Podcasts und Videos erstellen. Überzeugendes Sprechen kennt Pausen und entspannte Töne. Denkt man an die Reden von Barak Obama, wird deutlich, was gemeint ist. Was viele Menschen ahnen: Dahinter steckt Übung. Denn was auf der Bühne so natürlich und leicht wirkt, ist es keineswegs von Anfang an. Ob das Kameras sind, die einen anstarren oder ein teures Mikro, was auf ein Signal wartet: Die Bühne fordert. Jede und jeden. Wer sich mit dem eigenen Sprechen und der eigenen Stimme beschäftigt, nimmt etwas unter die Lupe, was normalerweise intuitiv abläuft. Wer sich selbst beim Sprechen beobachtet, wagt sich vor ins Ungewisse und bebt vor Stolz oder Unzufriedenheit. Ein Ziel ist: Verstehen, wie das Sprechen natürlicherweise funktioniert, auch in ganz unscheinbaren Situationen, und dies bewusst in exponierten Sprechsituationen reproduzieren zu können. Denn in exponierten
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Sprechsituationen sollen meist vorbereitete Inhalte authentisch und natürlich erzählt werden. Ein Paradox, denn die Situation ist meistens alles andere als natürlich und entspannt. Merksatz: In exponierten Sprechsituationen sind Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit gefragt. Das wird durch das WIE des Sprechens transportiert.
In der Abb. 2.1 sehen Sie, was alles in exponierten Sprechsituationen auf Sprechende einwirken kann. Es wird deutlich: Natürlich zu sprechen ist hier gar nicht so leicht. Wissen, Stimm- und Sprechtechniken und Übung können helfen. Und genau darum wird es im Folgenden gehen.
Abb. 2.1 Wirkung exponierter Redesituationen auf Sprechende. (Bild: Eigene Darstellung)
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• Eine Aufnahmesituation ist immer künstlich: Im Unterschied zu einem spontanen Gespräch ist sie geplant, vorbereitet, wird nachbearbeitet und reflektiert. • Leistung und Qualität der Sprechenden sind messbar. Bei einem gemeinsamen Auftritt im Unternehmenspodcast kann die eine mit der anderen Fachkraft problemlos verglichen werden. Jede Person reagiert darauf individuell: Manche verspüren Ehrgeiz und den Wunsch die Sache besonders gut zu machen, andere wiederum sorgen sich vor der Bewertung anderer. • Ganz unterschiedliche und individuelle Erwartungen treten auf: Das können eigene oder fremde Erwartungen sein, die, je nachdem, positiv beschwingen, oder auch Druck und gar Sorge vor Bewertungen erzeugen. • Die Inhalte, die besprochen werden, sind (meist) vorbereitet. Oft werden sie schriftlich skizziert. Manchmal mehrfach vorher besprochen und überarbeitet. • Auch die Gesprächsatmosphäre kann eine Sprecherin oder einen Sprecher beeinflussen: Eine gut organisierte und ruhig moderierte Gesprächssituation wirkt anders auf Sprechende als eine mit Zeitdruck oder gar Desinteresse. • Die Beteiligten treten in überwiegend positiven Rollen auf – und in anderen Rollen nicht. Am Beispiel: Eine Podcasterin zeigt ihre Fachund Führungsexpertise aber nicht unbedingt anhand von „negativen“ Seiten ihrer Führungsrolle, wie zum Beispiel ihre Kontrollaufgaben. Bezogen auf ihre Persönlichkeit zeigt sie verständlicherweise lieber ihre selbstbewusste als ihre nervöse und unsichere Seite. Ich werde im Verlauf des Buches die unterschiedlichen Aspekte aufgreifen. Im Folgenden möchte ich Ihnen zeigen, welche Stimm- und Sprechtechniken für das Sprechen im Podcast und Video wichtig sind und wie Sie sich selbst trainieren können. Übrigens: Eine gute Sprechtechnik nützt auch an der Bar und beim Familienbesuch.
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2.2 Innere Sprecheinstellung Bewusst oder unbewusst – wir klingen nicht immer gleich, vieles beeinflusst das WIE des Sprechens. Beispielsweise die Rolle, aus der gesprochen wird (als Fachmensch oder Privatperson), und natürlich die Tagesform: wach, müde, angespannt oder ausgeglichen. Außerdem verändert die innere Sprecheinstellung, also Intention, Haltung und Emotion, den Sprechausdruck. Der Sprechwirkungsforscher Walter Sendlmeier (2019, S. 219) sagt: „…ein Sprecher kann gar nicht verhindern, dass mit jeder Äußerung auch Informationen über ihn selbst preisgegeben werden. Neben den Informationen über das Geschlecht, das Alter und Anzeichen für den gesundheitlichen Zustand (z. B. Heiserkeit, Erkältung) werden dem Hörer auch vielfältige Hinweise auf die persönlichen Sprechereinstellungen, Haltungen und Emotionen angeboten.“ Um die Qualität des Sprechens im Podcast und Video nicht dem Zufall zu überlassen, hilft es, die eigene Sprecheinstellung zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern. Denn eine innere Sprecheinstellung oder -haltung kann bewusst für eine Aufnahmesituation eingenommen werden. Das soll nichts Mechanisches sein und auch keine wesensfremde „Maske“, sondern soll Ihnen einen lebendigen Ausdruck ermöglichen, der zur eigenen Persönlichkeit passt und zum Kontext. Die eigene innere Sprecheinstellung können Sie sich vorstellen wie einen Gewürzkasten. Die Gewürze im Kasten sind Ihr Material: Körper, Atmung, Töne, Sprechspannung und Wortwahl. Ihre Gedanken, Intentionen und Gefühle bestimmen die Dosierung. Bestimmen Sie selber die Mischung! Wie das genau geht, schauen wir uns an. Jedem Sprechanlass liegt eine Intention zugrunde. Siegrun Lemke (2012, S. 168) unterscheidet zwei Grundrichtungen der kommunikativen Absicht: 1. „Der Sachvortrag hat das Ziel, Wissen zu vermitteln, Hörer über einen bestimmten Gegenstand sachbezogen und sachlich zu informieren. Beispiele sind der Lehrvortrag, die Präsentation von Arbeitsergebnissen und Projekten, Berichte u. v. m.
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2. Die Meinungs-/Überzeugungsrede hat das Ziel, beim Hörer Einstellungen, Überzeugungen, Denkweisen zu entwickeln bzw. ihn zu bewegen, vorhandene zu überdenken und ggf. zu ändern; der Hörer soll zum Handeln angeregt werden. Beispiel sind argumentative Reden im sozialen und politischen Kontext, Werbereden, Gedenkreden usw.“ Sie können sich also fragen, um welche Art von Redesituation es sich bei Ihrem Projekt handelt. Geht es um einen Sachvortrag oder eine Überzeugungsrede, beziehungsweise eine Mischform? Ein Beispiel: Ein Podcast richtet sich an Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Er soll sie rechtzeitig vor ihrem Studienabschluss über Möglichkeiten informieren, sich an der Universität weiterzuentwickeln. Und er soll motivieren, genau das zu tun. Die Hosts laden Gäste aus verschiedenen Instituten ein und geben eigene Impulse. Ich erlebe es in meinen Coachings und Workshops immer wieder, dass Leute auf eine unterhaltsame, motivierende Weise Inhalte vermitteln wollen, aber im Stil eines Sachvortrages sprechen und damit ihr (Ausdrucks-)Ziel verfehlen. Meist geschieht das unbewusst, weil Überlegungen zur Sprecheinstellung in der Vorbereitung schlicht keine Rolle gespielt haben. Deshalb fragen Sie sich, welche Art und Weise des Sprechens zu unserem Projekt und zu unserer Zielgruppe passt. Sachlich, überzeugend oder eine Mischung? Welche stimmliche Sprecheinstellung ist dafür hilfreich? Welches Vokabular? Bei dem Podcast in unserem Beispiel liegt eine Mischform vor. Er wird sicher Elemente eines Sachvortrags enthalten, allerdings nur kurz, denn die reinen Informationen könnte man auch nachlesen und muss sie nicht vortragen. Die überwiegende Zeit wird es darum gehen, zum Denken anzuregen, vorhandene Zukunftsvisionen zu verändern, gegebenenfalls mit persönlichen Erfahrungsberichten der Gäste angereichert. Außerdem sollen die Zuhörenden dazu motiviert werden, sich aktiv mit einer Karriere an der Uni auseinanderzusetzen und zum Handeln angeregt werden. Eine rein kognitive Auseinandersetzung mit dem Thema reicht hier nicht aus. Mit einem überwiegend sachlichen, neutralen Erzählstil werden weniger Herzen bewegt, deshalb ist die Mischform mit Elementen der Überzeugungsrede sinnvoll.
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2.3 Subtext Wie wirkt sich die innere Sprecheinstellung auf das Sprechen aus? Selbst Stimmprofis überlegen sich vor einer Äußerung nicht haargenau, wie viel Atemdruck sie verwenden, um eine bestimmte Stimmwirkung zu erzielen, oder wo sie die Zunge platzieren, um ein Wort zu sagen. Sie verlassen sich auf ihre Stimme. Und auf die faszinierende Wechselwirkung zwischen innerer Haltung und Stimme. Zugrunde liegt dem Sprechen einer Äußerung ein Sprechimpuls, also ein Bedürfnis oder eine Notwendigkeit, sich mitzuteilen. Die individuelle (und meist intuitive) Atem-, Sprech- und Stimmtechnik bestimmt dann den Ton, die Lautstärke und die emotionale Intensität, mit der man spricht: also den persönlichen Sprechausdruck. Beschimpfungen und Liebeserklärungen werden so mit einfachen Worten vermittelt und häufig auch richtig verstanden. Denn Menschen haben ein Gespür für Botschaften zwischen den Zeilen: den Subtext. Sie wissen, wie jemand es meint. Sie hören, was das Gegenüber sagt. Sie verstehen und sie missverstehen hin und wieder. Der Subtext verkörpert die innere Haltung, die eigenen Motive und Erwartungen. Er lässt eine Äußerung distanziert, emotional oder mal eher funktional erscheinen. Er ist auch abhängig vom Zustand eines Menschen: entspannt, krank, müde, überdreht. Die Abb. 2.2 zeigt ein Eisbergmodell. Unter der Oberfläche verbirgt sich der Subtext mit Kognitionen (also mentale Prozesse), mit Motiven (also Intentionen, Antriebe oder Bedürfnisse), mit Motivationen (also Gründe und Ziele, die zu bestimmten Handlungen motivieren), mit Emotionen (das können auch komplexe Gefühle sein) und mit physischen Ursachen (bezogen auf das Sprechen sind das Körperzustände wie wach, müde, angeregt, erschöpft, erholt). Die Spitze des Eisberges bildet das, was gesagt wird und wie es gesagt wird. Der Subtext bestimmt den Sprechton einer Äußerung. Sie kennen vermutlich die Redensarten: Der Ton macht die Musik. Den Ton angeben. Der gute Ton. Den richtigen Ton treffen. Einen anderen Ton anschlagen. Sich im Ton vergreifen. Den richtigen Ton finden.
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Abb. 2.2 Subtext. (Bild: Eigene Darstellung)
Der Zugang zur Stimme über den Subtext ist sinnvoll. Denn ihn kann man reflektieren und gegebenenfalls verändern. Die gesunde, durchlässige Stimme findet dann von allein den „richtigen Ton“. Praxistipps Reflektieren Sie Ihre innere Sprecheinstellung und Ihren Subtext in einer Äußerung. Was ist Ihre Intention? Welche innere Haltung möchten Sie einnehmen? Welche Emotion möchten Sie ausdrücken, welche eher nicht? Sprechen Sie aktiv aus Ihrer inneren Sprechhaltung. Übertreiben Sie sogar ein wenig. Dies wird sich in aller Regel auf Ihren stimmlichen und sprecherischen Ausdruck auswirken. Ihre Körpersprache, Mimik und Ihr Stimmklang werden ausdrücken, was Sie im Sinn haben.
Die innere Sprecheinstellung und der Subtext sind Teil der Stimmund Sprechtechnik, die Sie für das Sprechen im Video oder Podcast brauchen. Im Vergleich zu Live-Vorträgen und Gesprächen sind Sie diese sogar ganz besonders relevant, da die Technik, also Mikrofone und Kameras, einiges an Ausdruckskraft schlucken. Weil dieses Thema so wichtig ist, wird es an verschiedenen Stellen wieder auftauchen. Im letzten Kapitel dieses Buches (Kap. 8) gehe ich intensiv auf mentale Strategien ein sowie auf die innere Haltung.
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Jetzt schauen wir auf die Stimm-, Sprech- und Atemtechniken für das Sprechen am Mikrofon und darauf, wie Sie Ihre Botschaften deutlich transportieren können.
2.4 Entspannte Stimme Wenige Stimmen klingen immer klangvoll und sicher. Dabei wünschen sich das die meisten Menschen. Gerade bei Aufregung kann in einer Aufnahme die Stimme angespannt klingen. Für das Sprechen im Podcast, Video und auf der Bühne ist es jedoch wichtig, die eigene Stimme positiv beeinflussen zu können. Bevor wir zu den praktischen Übungen kommen, erkläre ich Ihnen, wieso. Die Stimme reagiert bei fast allen Menschen darauf, wie es der Person gerade geht. Ob man will oder nicht: Die Stimme ist Stimmungsbarometer. Aus kommunikationspsychologischer Sicht macht dieser Effekt das Leben leichter, denn die Stimme macht hörbar, wie sich jemand fühlt und wie etwas gemeint ist. Denn ein Unterton kann absolute Zuneigung oder rigorose Ablehnung bedeuten. Das ist ein großer Vorteil: Die Verständigung funktioniert schnell und intuitiv. Zugleich ziehen Beobachtende intuitiv Rückschlüsse vom Stimmklang auf die Persönlichkeit eines Menschen. Diese Bewertungen müssen natürlich nichts mit dem tatsächlichen Eigenschaften eines Menschen zu tun haben. In professionellen Redesituationen wie im Podcast, Video oder auf der Bühne ist es jedoch sinnvoll, diesen Effekt zu beachten, denn je nachdem wie eine Stimme klingt, kann das zu eher positiven oder zu negativen Zuschreibungen führen – also zu Bewertungen. Worauf basieren diese? Der Stimmklang und die individuelle Sprechspannung spielen dabei eine Rolle. Klingt eine Stimme hell und gespannt, wird eher Motivation, hohes Energieniveau und Engagiertheit zugeschrieben. Spricht jemand jedoch aufgrund von ausgeprägtem Lampenfieber – einer Form von Angst – angespannt, so können Zuhörende das aufgrund der klanglichen Eigenschaften als „negative“ Emotion Angst deuten (vgl. Sendlmeier, 2019). Wie Beobachtende darauf reagieren und die Sprecherin oder den Sprecher einschätzen,
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kann sehr unterschiedlich sein: Sie bleiben selbst entspannt oder sind alarmiert und skeptisch; sie halten die sprechende Person trotzdem für glaubwürdig oder auch nicht; sie öffnen sich oder schalten ab. Der Ton macht die Musik und bestimmt das Bauchgefühl der Zuhörenden. In der Regel hört man Sprechenden ihre Stimmung an. Das Gespür für die andere Person formt sich während des Zuhörens. Sprechende liefern, ohne es zu merken, stimmliche Referenzpunkte, an denen sich Zuhörende intuitiv orientieren. Wenn es jemandem schlecht geht, hört der gute Freund oder die gute Freundin das bereits bei der Begrüßung am Telefon. Man hat verinnerlicht, wie die andere Person klingt, wenn alles in Ordnung ist. Ein Stück weit kann man Personen, die man nicht gut kennt, schlechter einschätzen, da diese Referenzpunkte fehlen. Und damit die Vertrautheit. Außerdem fehlt meist eine Reihe weiterer Informationen zur Situation. Zuhörende können sich zumindest weniger sicher sein, dass ihre Einschätzung stimmt, denn die schnelle Attribution, also Zuschreibung, orientiert sich an Schemata, an kognitiven Faustregeln, die fehlerhaft sein können. Ein sehr weit verbreitetes Schema ist die Annahme: Menschen handeln (sprechen) so, wie sie es tun, weil sie die Menschen sind, die sie sind, nicht weil sie sich in einer bestimmten Situation befinden. (Aronson et al., 2014, S. 119). Es erfordert von Beobachtenden Selbstreflexion und Aufmerksamkeit, den hinterlassenen (Stimm-)Eindruck nicht vorschnell zu deuten und der Person eine Eigenschaft zuzuschreiben – positiv wie negativ. So wird eine angespannt klingende Stimme meist nicht auf die aufregende Aufnahmesituation und den vollen Terminkalender zurückgeführt, sondern auf die Persönlichkeit der Fach- oder Führungskraft. Leider kann es zu negativen Einschätzungen kommen, wenn der Stimmeindruck ungünstig ist. In der Praxis erlebe ich es immer wieder, dass Menschen mit zu hohen Stimmen, auffälligem Stimmklang, zu lauter oder leiser Stimme negativ bewertet und/oder behandelt werden oder sich selbst negativ bewerten. Hier sollte nicht allein an der Stimme gearbeitet werden. Es ist auch nötig, die Situation zu beleuchten, die das Stimmverhalten begünstigt sowie fremde und eigene Bewertungsmuster zu hinterfragen, um diese zu reflektieren und gegebenenfalls
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zu verändern. (Siehe Kap. 8 „Mentale Strategien“ und Abschn. 2.17 „Frauenstimme – Männerstimme“). Wie kann Stimmtechnik helfen, nicht nur in entspannten, sondern auch in stressigen Momenten souverän zu wirken und klangvoll zu sprechen? Die Sprechspannung kann bewusst beeinflusst werden, um einen entspannten oder gespannten Stimmklang zu realisieren. Dafür gibt es zwei Ansatzpunkte: mentale Strategien und Atem-, Stimm- und Sprechtechnik. Atem-, Stimm- und Sprechtechnik für eine entspannte Stimme Wer schon einmal mit einem Weinglas angestoßen hat, kennt ihn: diesen Klang, wenn das Glas schwingen kann. Ein zu fester Griff führt zu einem stumpfem Geräusch. Auch wenn die Stimme etwas anders funktioniert als ein in Schwingung gebrachtes Glas gibt es Parallelen. Stimme ist in Schwingung gebrachte Luft, sie bekommt ihren Klang durch Resonanzräume im Körper. Vereinfacht gesagt: Je durchlässiger die Muskulatur ist, also je ausgeglichener, desto mehr Klangfülle ist möglich. Ähnlich wie das Weinglas, das nicht schwingen kann, wenn es zu fest gegriffen wird, kann auch die Stimme nicht frei klingen, wenn die Muskulatur zu fest und angespannt ist. Hier ist übrigens nicht nur die Kehlkopfmuskulatur gemeint, sondern alle an der Stimmgebung beteiligten Muskeln. Und das ist eine Vielzahl. Denn die Stimme wird zwar im Kehlkopf gebildet, aber beteiligt ist der ganze Körper: Haltung, Atmung, Kehlkopfmuskulatur und der Vokaltrakt, also der Bereich zwischen Stimmbändern und Lippen mit Rachen-, Mund- und Nasenraum, in dem die Töne durch die Artikulationsbewegung geformt werden. Um eine entspannte, sonore Stimme zu bekommen, lohnt es sich, den eigenen Körper in optimale Spannung zu bringen. Im Folgenden stelle ich einige Übungen dazu vor. Wenn Sie üben, empfehle ich eine Haltung liebevoller Neugier; also die Absicht, sich etwas Gutes zu tun. Das bedeutet, wenn etwas schmerzt, unangenehm ist oder keine Freude macht, dann ist es vielleicht zu viel, zu lang oder nicht das Richtige für Sie. Beginnen wir mit dem Kiefer.
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Kieferlockerheit für eine entspannte Stimme Wer beim Sprechen die Zähne zusammenbeißt, wirkt eher angespannt als entspannt, manchmal gar defensiv oder angriffslustig. Alle, die regelmäßig in exponierten Redesituationen unterwegs sind, sollten ihre Kieferlockerheit im Blick behalten. Der Grund ist: Wer spricht, füllt Räume mit der eigenen Stimme. Dazu muss die Stimme durch den geöffneten Mund hinaus in die Welt – oder ins Mikrofon. Bei den allermeisten Menschen ist die Kaumuskulatur verspannt oder zumindest angespannt, dann ist die Kieferöffnung während des Sprechens eingeschränkt. Die Stimme braucht für gute Verständlichkeit und einen vollen Stimmklang einen möglichst lockeren Kiefer. Und es gibt einen positiven Nebeneffekt: Menschen, die mit lockerem Kiefer sprechen, wird eher Souveränität zugeschrieben, auch bei ernsten Themen. Übungen für einen lockeren Kiefer Das Kiefergelenk öffnet zunächst durch ein Kippen des Unterkiefers in Richtung Brustbein. Dabei sollte der Unterkiefer nicht vorgeschoben werden. In einem zweiten Schritt kann das Kiefergelenk wie beim Gähnen durch eine Gleitbewegung die maximale Kieferöffnung erreichen. Diese zusätzliche Weitung des Kiefers ist während des Sprechens nicht nötig, hier reicht die Kieferöffnung durch Kippen (ohne ein Vorschieben des Unterkiefers). • Gähnen Sie – streichen Sie dabei den Kiefer mit den Handflächen aus. Sagen Sie: „Ja, ja, ja“ • Massieren Sie mit den Daumen entlang des Unterkiefers sanft den Mundboden. • Legen Sie eine Faust sanft an den Unterkiefer. Öffnen Sie den Unterkiefer langsam gegen den ganz leichten Druck der Faust, lösen Sie die Faust langsam, wenn der Mund weit geöffnet ist: Der Mund öffnet sich weiter in Richtung Brustbein. Atmen Sie währenddessen.
Darauf können Sie achten: Beim Sprechen ist das Ziel die lockere, vertikale Öffnung des Mundes! Das kann man beim Sprechen vor dem Spiegel üben!
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Die Wohlfühlstimmlage: Sie befindet sich im unteren Drittel des individuellen Stimmumfangs. In dieser Wohlfühlstimmlage kann mühelos über einen längeren Zeitraum gesprochen werden. Sie spielt eine besondere Rolle beim Sprechen und im Stimm- und Sprechtraining schenken wir ihr viel Aufmerksamkeit. Wie kann man die eigene Wohlfühlstimmlage finden? Über die Wahrnehmung der Stimmvibration am eigenen Körper und die Arbeit mit Vorstellungsbildern. Auch wenn Ihnen manche der folgenden Übungen verspielt vorkommt: Vorstellungsbilder helfen meiner Erfahrung nach erstaunlich oft. Die Stimme reagiert häufig positiv darauf, auch bei Menschen, die sich als „verkopft“ und mit wenig Vorliebe für intuitive Ansätze beschreiben würden. Wir alle können Situationen imaginieren, man könnte auch sagen: mentalisieren. Wenn Sie gern Schokolade essen, so wie ich, könnten Sie sich Folgendes vorstellen: Ein Schokoladenstückchen zergeht Ihnen auf der Zunge. Stellen Sie sich vor, wie der Geschmack im Mund schmilzt. Fangen Sie an zu schmecken und geben Sie ein genüssliches, klares „Mmmmm“ von sich. Der Klang soll leicht, rund und voll sein. Er bewegt sich im unteren Drittel Ihres Stimmumfangs. Wenn er mit großer Leichtigkeit gebildet wird, befinden Sie sich in Ihrer „Schokoladenstimme“, in Ihrer Wohlfühlstimmlage. Legen Sie nun eine Hand flach auf Ihr Brustbein. Sie müssten während des Summens eine Vibration spüren, diese Knochenresonanz macht die Sonorität einer Stimme aus (Abb. 2.3).
Abb. 2.3 QR-Code für Hörbeispiel. ((Bild: Eigene Darstellung) 1_Wohlfühl stimmlage https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050)
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Übungen: Wohlfühlstimmlage (Audiobeispiel s. Abb. 2.3) Die Stimme sollte sich nie angestrengt anfühlen. Achten Sie beim Üben darauf, dass Sie sich wohlfühlen. Wichtig ist: Sprechen Sie die Übung mit einer kräftigen Stimme. Wer flüstert, wird keine Stimmvibration zustande bringen. • Marmorkuchen, Oliven oder lieber eine warme Badewanne? Stellen Sie sich etwas Köstliches/Wohliges vor und sagen Sie „Mmmmm“, kauen Sie dabei genüsslich schmeckend. Probieren Sie aus, wann Ihre Stimme am wohligsten klingt. • Bleiben Sie bei der genüsslichen Vorstellung und sagen Sie: „Mjom, mjom, mjom“ Währenddessen mit der flachen Hand nacheinander am Brustbein, am Scheitel und am Nacken die Stimmvibration spüren. • Diese Vibration sollte spürbar bleiben, wenn jetzt Worte gesprochen werden: „Mmmm – Marmorkuchen“ „Mmmmm – Guten Morgen“ usw. • Sprechen Sie eine Reihe von Sätzen. Achten Sie darauf, dass bis zum Satzende die Stimme vibriert. Am Beispiel: „Bei mir gibt es morgen Marmorkuchen! Wie lecker!“
Tipps für die Vertiefung 1. Wer einen stark verspannten Kiefer hat, kann sich osteopathisch behandeln lassen. Fachleute aus dem Bereich sind meist langjährig weitergebildete Physiotherapeutinnen oder -therapeuten. Sie können sehr effektiv Strukturen behandeln, die für das Sprechen wichtig sind: die Hals- und Schultermuskulatur, die Strukturen rund um den Kehlkopf. 2. Um die Sonorität der Stimme zu trainieren, kann man die oben beschriebenen Übungen 2–3-mal pro Woche durchführen. Jede Stimme ist einzigartig, achten Sie beim Üben darauf, sich wohlzufühlen. 3. Eine gute Übung ist das laute Vorlesen oder freie Sprechen. Für das Selbstcoaching macht man einfach eine Videoaufnahme davon – das Smartphone reicht dafür. Sie können dafür alle Vokale und Sprachlaute m, n, l, und ng etwas ausgeprägter sprechen. Sie sind starke Klangträger in der Sprache. Damit trainieren Sie die Klangfülle in Ihrer Sprache.
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2.5 Stimmfarbe Die Stimme kann nicht nur locker oder gespannt klingen. Denken wir an unser Weinglas von oben zurück. Darin können unterschiedliche Getränke serviert werden. Sie haben unterschiedliche Farben. Ihre Stimme kann das auch (und übrigens ganz ohne den Einfluss von Getränken jeglicher Art)! Ihre Stimme kann verschiedene Stimmfarben bilden. Wir arbeiten hier mit zwei Stimmfarben: mit der hellen und der dunklen Stimme. Übrigens ist damit nicht die Tonhöhe gemeint. Ein und derselbe Ton kann je hell oder dunkel gebildet werden, entspannt oder gespannt. Die helle Stimme zeigt Zähne. Sie geht mit dem sogenannten „Biss“ einher, also dem Zähne zeigen, wie bei einem Lächeln oder einem Zähnefletschen. Durch die muskuläre Einstellung des Vokaltrakts (auch Ansatzrohr) verändert sich der Stimmklang – also seine Farbe. Das Ansatzrohr ist der Bereich oberhalb des Kehlkopfes (Hals-, Rachen- und Mundraum), in dem die Töne geformt werden. Probieren Sie es einmal aus mit folgenden Übungssätzen: „Hey, wie schön dich zu sehen!“ „Jetzt geht es los!“ „Interessant!“ • Lächeln Sie und sprechen Sie freudig überrascht, hell und locker. • Sprechen Sie dieselben Sätze – abweisend, skeptisch, hell und schrill. • Und als weiterer gradueller Unterschied distanziert, kraftvoll, hell und gespannt. Jedes Mal sollten Sie dabei Zähne zeigen. Mal ist es ein echtes Lächeln, erkennbar an dem Mitlachen der Augen. Ein anderes Mal zeigen Sie „Biss“. Für Menschen, die die Emotionen anderer schlecht lesen können, ist das eine vom anderen schwer zu unterscheiden und es können Missverständnisse entstehen. Mir ist es an einer Supermarktkasse einmal passiert, dass ich mit genervtem Unterton (hell und gespannt) den drängelnden Hintermann fragte, ob er es eilig hätte und vorbei wolle. Er freute sich über die vermeintliche Zuvorkommenheit, meinen Sarkasmus hörte er nicht.
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Der Stimmklang ist, ähnlich wie Mimik, oft Auslöser für Zuschreibungen. Damit ist gemeint, dass andere jemandem auf Basis seines oder ihres Stimmklangs Eigenschaften, Emotionen oder Intentionen zuschreiben. Das sind Eindrücke, die in Resonanz auf den Stimmklang entstehen und nicht dem entsprechen müssen, wie die Person tatsächlich ist oder was sie wirklich fühlt. In der Kommunikation können diese Zuschreibungen erwünscht oder unerwünscht sein, je nachdem, ob sie als positiv oder negativ wahrgenommen werden, zutreffen oder nicht. Mögliche Zuschreibungen bei einem hellen Stimmklang • freundlich, freudig überrascht, liebenswürdig, zuvorkommend, lustig, ermunternd, leicht oder • abgrenzend, aggressiv, ängstlich, abwehrend, abweisend, unentschlossen.
Den pauschalen Rat, mit einem Lächeln zu sprechen, werden Sie von mir nicht bekommen. Gerade weil die Stimmfarbe in der Kommunikation das Beziehungsangebot mitgestaltet, darf und sollte sie situationsangemessen und authentisch eingesetzt werden. Gerade in exponierten Redesituationen wie im Podcast und Video sollten Sie Ihre Stimme unterschiedlich einsetzen können, um sich differenziert ausdrücken zu können. Ein stimmliches Universalrezept hilft da nicht weiter. Die dunkle Stimme kennt entspannte Mundwinkel. Sie wirkt tiefer als die helle Stimme, selbst wenn dieselbe Tonhöhe verwendet wird. Sie wird häufig eingesetzt, wenn Sprecherinnen und Sprecher seriös, ernst oder sachlich sprechen wollen. Die dunkle Stimme kommt zustande durch eine Rundung des Ansatzrohres mit entspannten Mundwinkeln. Wie bei einem anerkennenden: „Ohh ja!“ „Wow, wunderbar!“ oder fragend: „Wo nur?“ „Warum?“ „Das sehe ich genauso.“ Wichtig ist, dass Sie beim Sprechen wirklich die Gesichtsmuskulatur entspannen. Sie können dies überprüfen, indem Sie die Zeigefinger an die Mundwinkel legen und während des Sprechens die Mundwinkel lockern. Achten
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Abb. 2.4 QR-Code für Hörbeispiel. ((Bild: Eigene Darstellung) 2_Dunkle und helle Stimme https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050)
Sie auf einen lockeren Kiefer, der Mund soll sich locker vertikal öffnen (QR-Code zum Hörbeispiel s. Abb. 2.4). Mögliche Zuschreibungen bei einem dunklen Stimmklang • sachlich, offen, seriös, überzeugend, aufmerksam, vertrauenswürdig, gelassen, selbstsicher, in sich ruhend, ruhig, tief, unerschütterlich, entspannt oder • ernst, entschlossen, desinteressiert, müde, unengagiert, emotionslos, traurig
Übung: dunkle und helle Stimme (Audiobeispiel s. Abb. 2.4) • Sprechen Sie folgende Sätze hell – mit „Biss“ oder Lächeln: – „Hey, wie ist es weitergegangen mit dem Team?“ – „Hier gibt es einen weiteren Gast.“ – „Wenn ich das höre, fällt mir ein…“ – „Das Öffnen der Tür geht automatisch. • Sprechen Sie folgende Sätze dunkel – mit entspannten Mundwinkeln: – „Das Offenlassen ist eine Option.“ – „Ohne O-Ton wäre das Video auch in Ordnung.“ – „Wer fährt morgen zum Standort?“ – „Wie soll die nächste Folge aufgebaut sein? • Sprechen Sie folgenden Text einmal durchgängig hell, danach durchgängig dunkel und wechseln Sie in der dritten Version beide Stimmfarben intuitiv ab. – „Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich muss einmal sagen, wie sehr ich mich freue, heute hier mit Marie zu sprechen. Denn Sie ist nicht nur eine Expertin auf dem Gebiet, sondern auch eine alte Bekannte: Wir haben eine Zeit lang zusammen studiert und haben nicht nur die Uni, sondern auch den Sport geteilt: Volleyball … Jetzt zu unserem Thema – du bist DIE Fachfrau für…“
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Mit der Wirkung der Stimmfarben kann bewusst gearbeitet werden, um Menschen mitzunehmen. Die helle Stimme kann brenzliche Situationen entschärfen, beispielsweise wenn eine kritische Nachfrage gestellt wird: „Den letzten Punkt sehen wir als Unternehmen anders, kannst du deinen Standpunkt erläutern?!“ Die dunkle Stimme kann Ernst in eine Situation bringen, beispielsweise um den Übergang vom Smalltalk in das eigentliche Thema zu signalisieren: „…Ok, heute sind wir ja verabredet, um über… zu sprechen…“ Wer zu hoch, zu tief, zu monoton spricht, kann die eigene stimmliche Farbpalette erweitern und damit die eigene Außenwirkung positiv beeinflussen. Meine Empfehlung ist: Lernen Sie Ihre eigene Stimme kennen, gibt es eine Tendenz in Richtung hell oder dunkel? Gibt es einen stimmlichen Autopiloten, der Sie immer eher hell oder dunkel sprechen lässt, oder variiert Ihre Stimme intuitiv? Passt dieser Ausdruck zu dem, was Sie vermitteln wollen oder sollen? Wenn ja, dann ist alles gut. Wenn nein, dann können Sie an der „Farbe“ arbeiten und ihre stimmliche Ausdruckskraft erweitern. Der „stimmliche Autopilot“ kann besonders im Hinblick auf die Stimmfarbe recht veränderungsresistent sein: „harzig“, wie manche sagen. Es braucht Geduld. Wer hier allein nicht weiterkommt, kann mithilfe eines Stimmtrainings weiterkommen. Egal wie gut man die eigene Stimmfarbe mischen kann, es ist fast unmöglich, eine exakte Wirkung beim Publikum hervorzurufen. Letztlich entscheiden die Zuhörenden, wie eine Stimme auf sie wirkt und ob sie jemandem gern zuhören. Für das Sprechen im Podcast und Video bedeutet das: Man gibt das Beste und weiß, dass man es nicht allen recht machen kann.
2.6 Stand und Aufrichtung Was haben die Füße mit der Stimme zu tun? In meinen Coachings und Seminaren habe ich es unzählige Male gesehen und gehört. Es passiert fast allen, ob erfahrene CEOs oder Fachleute, sobald in ein Mikrofon gesprochen wird oder die Kameras einen angucken, erhöht sich die Körperspannung. Der gute Kontakt zum Boden geht verloren und
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die Stimme klingt nicht mehr so sicher. Das ist schade, denn gerade in dieser Situation soll die Stimme ihren vollen Klang entfalten. Mein Tipp: Wandeln Sie wie erfahrene Bühnenprofis ihre Auftrittsspannung in eine gute Aufrichtung und einen sicheren Stand um. Denn das wirkt sich positiv auf die Stimme aus. So kann das gelingen: Übungen für ein sicheren Stand und guten Bodenkontakt • Auf der Stelle gehen – dann einen Moment auf den Fersen, Zehenspitzen, Außenseiten und Innenseiten der Füße gehen – dabei weiter atmen. Anschließend ganz natürlich mit dem ganzen Fuß auf der Stelle gehen und die Füße bewusst wahrnehmen. Sie sollten sich weich und beweglich anfühlen. Diesen Bodenkontakt beibehalten. • Den ganzen Körper strecken, sich räkeln. Anschließend sich mit einem guten Stand (Bodenkontakt) aufrichten und weiter atmen. Die Aufrichtung sollte aufrecht und durchlässig sein – nicht gerade und fixiert. Das bedeutet: „Bauch rein, Brust raus“ war gestern. Jetzt ist jederzeit Bewegung und Gestik möglich. Diese Durchlässigkeit wirkt sich positiv auf den Stimmklang aus. • Am Mikrofon und vor der Kamera können Sie bewusst darauf achten, den guten Bodenkontakt immer wieder herzustellen und sich immer wieder zu entsinnen, dass Aufrichtung durchlässig sein darf.
Die Schuhauswahl: Gutes Stehen geht am besten, wenn sich die Füße wohlfühlen. Wer bei dem Gedanken an Gesundheitsschuhe Schnappatmung bekommt, kann sich wieder entspannen. Es geht nicht darum, High Heels und schicke Lederschuhe zu verbannen, sondern sich darüber bewusst zu sein, dass die Schuhauswahl sich sekundär positiv oder negativ auf die Stimme auswirken kann. Sie entscheiden selbst, wann Sie welche Schuhe tragen und wie lange. Sie können sich überlegen: Gibt es die Möglichkeit die Schuhe zu wechseln? Können Sie für einen Videocall oder für eine Podcast- oder Videoaufnahme bequeme Schuhe einplanen? Muss es für den großen Bühnenauftritt das engste Teil sein, in dem Sie kaum Luft bekommen und die schönen, aber unbequemen Schuhe, oder gibt es einen guten Kompromiss? Im Sitzen ist Aufrichtung gefragt. Wer im Sessel hängt, oder wem die Lehne in den Rücken bohrt, wird nur unter Anstrengung einen guten
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Stimmklang hinbekommen. Ausgebildete Bühnenprofis beherrschen es, auf dem Tisch liegend, kopfüber sprechend den ganzen Saal zu verzaubern. Dahinter steht jahrelanges Training und extrem gute Körperbeherrschung. Wer keine Sprechausbildung hat, kann im Sitzen wie im Stehen eine gute Haltung ausprobieren. Meine Empfehlung ist: Achten Sie auf Ihre Aufrichtung vor und während des Sprechens, um die beste Ausgangslage für die eigene Stimme zu schaffen. Tipps für die Vertiefung Das Ziel ist, in jeder dieser Positionen durchlässig atmen zu können und sich aufzurichten. Überflüssige Anspannung können Sie lockerlassen. Probieren Sie verschiedene Sitzpositionen aus: • Sitzen Sie angelehnt oder frei. • Sitzen Sie auf der Stuhlkante oder auf der gesamten Sitzfläche. • Überschlagen Sie die Beine oder stellen Sie sie parallel, mehr oder weniger weit geöffnet. • Stützen Sie nach vorne gebeugt die Ellenbogen auf oder sitzen Sie lässig hinten angelehnt. Tipps für die Praxis: Wer im Team arbeitet, kann eine Kollegin oder einen Kollegen bitten, während einer Aufnahme oder eines Bühnenauftritts einmal gezielt auf den Stand und die Aufrichtung zu achten. Es kann sehr hilfreich sein, ungünstige Haltungsmuster zu verändern und positives Verhalten zu stärken. Feedback-Beispiele bei Fehlhaltungen: • Bei Aufregung vermehrt ins Hohlkreuz gehen. Mögliches Feedback: „Ich beobachte, dass du beim Sprechen vermehrt ins Hohlkreuz gehst. Erinnere dich doch noch einmal an den Bodenkontakt und richte dich auf.“ • Eine überspannte, hektische oder starre Haltung einnehmen. Mögliches Feedback: „Ich habe den Eindruck, dass du angespannt bist. Lass die Atmung wieder frei fließen und lass überflüssige Spannung los, bewege dich etwas.“
2.7 Die eigene Stimme verstehen Haben Sie sich schon einmal selbst aufgenommen und beim Anhören über den eigenen Stimmklang gewundert? Selbst Stimmprofis müssen sich mit ihrer Stimme auf Aufnahmen anfreunden. Mir sagte einmal
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eine Radiofrau mit jahrelanger Hörfunkerfahrung, sie habe sich erst mit der Zeit an ihre Stimme gewöhnt. Viele Fach- und Führungskräfte, die nicht täglich mit eigenen Audioaufnahmen konfrontiert sind, sind überrascht über ihren Stimmklang. Manche erzählen, wie schwer sie es finden, sich selbst anzuhören. Da kommt Selbstkritik auf und wenn keine Lösung in Sicht ist, kann das zu Unzufriedenheit führen. Im schlimmsten Fall werden Aufnahmesituationen vermieden. Deshalb möchte ich hier erklären, was hinter diesem Fremdheitsgefühl steckt, wenn wir uns selbst auf Aufnahmen hören und Lösungen anbieten. Ein Rat gleich zu Beginn: Nehmen Sie sich Zeit, sich an die eigene Stimme zu gewöhnen. Auch Kolleginnen und Kollegen können zu Beginn neuer Audio- oder Video-Projekte unterstützen: durch wohlwollendes Feedback und Gelegenheiten, sich auszuprobieren. Jede Stimme, ob weiblich oder männlich, ist einzigartig. Das schafft Wiedererkennungswert. Die Stimme ist das Markenzeichen, das Erkennungsmerkmal eines Menschen. Es spielt nicht nur in Aufnahmen oder für Speaker auf der Bühne eine Rolle. Dieser individuelle Stimmklang dient auch in anderen Bereichen des Lebens als Schlüssel: Mit Stimmbiometrie kann Banking betrieben oder das Smart Home bedient werden. Das bedeutet für die meisten Menschen jedoch nicht, dass sie ihre einzigartige Stimme mögen. Darum hören wir uns selbst nicht gern auf Aufnahmen: 1. Das Ohr ist verwöhnt. Die Hörgewohnheiten orientieren sich an Profis, die jahrelanges Training hinter sich haben, an göttlichen Naturstimmen und begnadeten Sprechtalenten. Sich mit ihnen zu vergleichen ist hart. Die „Inflation der angenehmen Stimme“ nennt Spittler (2012) dieses Phänomen. Es beeinflusst Zuhörende und Sprechende und deren Erwartungen an ein Audioprodukt. Es könnte hilfreich sein, die Erwartungen an die eigene Stimme zu überprüfen und ggf. anzupassen. 2. Menschen hören ihre eigene Stimme anders als andere. Andere bekommen von uns nur unseren Luftschall zu hören. Das ist die Stimme, also in Schwingung gebrachte Luft. Sie kann auch von Mikrofonen aufgenommen werden und sie erreicht die eigenen
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Ohren beim Sprechen. Wenn wir reden, hören wir uns selbst aber nicht nur über die Ohren, sondern auch über einen weiteren Kanal: über den Knochenschall. Der Knochenschall ist eine durch die eigene Stimme bewirkte Vibration, die am eigenen Leib spürbar ist, z. B. am Brustbein oder am Scheitel. Sie wird vom Gehör verarbeitet und so entsteht der einzigartige Höreindruck der eigenen Stimme, aus Luftund Knochenschall. Was das Mikrofon kalt lässt, weil es nur den Luftschall verarbeiten kann, ist für diejenigen, die am Mikrofon sprechen, wichtig. Die eigene Stimmvibration gibt körperliche Rückmeldung, sie kann selbstberuhigend wirken. Und ist sie ausgeprägt, so spricht man von Sonorität: Sie macht Stimmen attraktiv. Wer nicht nur am Mikrofon spricht, sondern auch auf Bühnen mit Live-Publikum zu tun hat oder im Meeting überzeugen möchte, kann damit bewusst arbeiten. Stimmübung: Knochenschall – Luftschall • Den Knochenschall spüren: Legen Sie Ihre Hand flach auf das Brustbein. Summen Sie mit locker aufeinander liegenden Lippen: „Hmmmm“. Achten Sie darauf, nicht zu hoch oder zu tief zu tönen, sondern sich in Ihrer Wohlfühlstimmlage zu bewegen. Spüren Sie die Vibration am Brustbein? Tipp: Sie können den Ton etwas „schleifen“ lassen, also die Tonhöhe variieren (Glissando). Sprechen Sie das „Hmmm“ kräftig genug, ohne zu pressen und ohne Druck im Hals. So sollten Sie Ihre Stimmvibration gut spüren können. • Den Luftschall ausschalten, den Knochenschall entdecken: Sie kennen den Effekt vielleicht vom Noise-Cancelling-Kopfhörer, die eigene Stimme ist zwar noch hörbar, aber anders. Halten Sie sich die Ohren mit den Händen zu und sprechen Sie raumfüllend die Wochentage. Sie sollten sich selbst – etwas dumpf – hören können, auch wenn Sie sich nur über Ihren Knochenschall wahrnehmen. • Den Luftschall bewusst hören. Schirmen Sie die Ohren mit Ihren Händen ab: Halten Sie Ihre Hände wie in der Abb. 2.5 vor den Ohren. Sprechen Sie raumfüllend die Wochentage oder eine Begrüßung. Nehmen Sie jetzt die Hände weg, während Sie weitersprechen. Lauschen Sie: Sie hören sich nun wieder direkter. Zuvor wurde die in Schwingung gebrachte Luft abgeschirmt – der Schall konnte nicht direkt auf Ihre Ohren treffen. Diese Übung macht den Raumklang deutlich.
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Abb. 2.5 Übung Raumklang wahrnehmen. (Bild: Eigene Darstellung)
Übrigens: Manche Mikrofone brauchen eine direkte Beschallung. Wenn der Luftschall das Mikrofon nicht gut erreicht, weil z. B. seitlich auf das Mikrofon gesprochen wird, kann das zu Problemen führen. Im Abschn. 3.1 „Sprechen am Mikrofon“ erfahren Sie, wie Sie mit den unterschiedlichen Mikrofonen umgehen können.
2.8 Lautstärke Wer in ein Mikrofon spricht, muss nicht besonders laut sein. Tatsächlich ist für das Sprechen im Podcast und Video die Sprechlautstärke nicht so relevant für Meetings oder Bühnensituationen, wo auch ohne technische Verstärkung alle etwas verstehen sollen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Flüstern ausreicht. Sprechen Sie stattdessen raumfüllend: nicht zu laut, nicht zu leise und nicht mit extremen Lautstärkeunterschieden. Lautstärke pegeln: Vor einer Aufnahme muss der Pegel des Mikrofons eingestellt werden. Das bedeutet: Die Stärke der Verstärkung wird an Ihre Sprechlautstärke angepasst. Laute Stimmen werden niedriger ein-
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gestellt, leise Stimmen können verstärkt werden. So klingt bei mehreren Sprecherinnen oder Sprechern mit unterschiedlich lauten Stimmen die Aufnahme am Ende ausgewogen, wenn jede Stimme ein eigenes Mikrofon bespricht. Für das Pegeln ist es wichtig, in der Lautstärke zu sprechen, in der Sie auch in der Aufnahme sprechen werden. Je nachdem, welche technischen Voraussetzungen Sie haben, pegelt Ihr Aufnahmeprogramm gegebenenfalls automatisch. Behalten Sie trotzdem im Auge, dass es weder zu einer Übersteuerung noch zu einer zu leisen Aufnahme kommt. Lautes Sprechen: Absichtsvolles lautes Sprechen ist für eine Aufnahme nicht nötig. Gerade wenn Sie in einer Gesprächssituation sind, wie in einem Interview, geht es darum, einen guten Draht zum Gegenüber aufzubauen. Das gelingt nicht so gut, wenn die andere Person sich angeschrien fühlt. Stattdessen können Sie raumfüllend sprechen – mit gutem Bodenkontakt (Stand und Aufrichtung). Wenn Sie sich unsicher sind, ob Sie laut genug reden, fragen Sie beim Host oder der Technik einfach nach. Am Pegelausschlag kann man erkennen, ob das Stimmsignal ausreicht und gegebenenfalls die Verstärkung optimieren. Leises Sprechen: Aufnahmesituationen sind für leise Stimmen kein Problem. Die Verstärkung sorgt dafür, dass sie gut gehört werden. In meiner langjährigen Praxis habe ich manch eine zurückhaltende Stimme im Besprechungsraum kaum hören können und in der Aufnahme glänzten genau diese. Wie laute Stimmen sollten auch leise Stimmen unbedingt auf den Umgang mit dem Mikrofon (mehr dazu im Abschn. 3.1 „Sprechen am Mikrofon“) und auf das raumfüllende Sprechen mit gutem Bodenkontakt achten. Lautstärkeschwankungen vermeiden: Was sowohl leise als auch laute Stimmen vermeiden sollten, sind extreme Lautstärkeschwankungen. Ich meine nicht ein lautes Lachen oder einen spontanen Ausruf, sondern das leise Sprechen beim anfänglichen Einpegeln und spätere „Schreien“ in der Aufnahme. Oder das normal laute Sprechen am Anfang einer
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Äußerung und das stetige Schwächerwerden zum Ende, bis nur noch ein Flüstern zu hören ist. Versuchen Sie eine einigermaßen konstante Grundlautstärke beizubehalten. Dabei sollten Sie Ihre Stimme weder künstlich schonen, noch überanstrengen. Wählen Sie Ihre normale Sprechlautstärke, die zu der Aufnahmesituation passt und halten Sie eine angemessene Bühnenspannung. Ebenso wie andere Aspekte des Sprechens – die Klangfarbe oder die Sprechgeschwindigkeit – hat auch die Sprechlautstärke eine kommunikative Wirkung. So kann jemand, der oder die kräftig spricht als energiegeladen und engagiert beurteilt werden, oder gar unkontrolliert und sich selbst verausgabend. Leise Stimmen können Neugier wecken durch eine geheimnisvolle und aufmerksamkeitsfordernde Wirkung oder aber wenig beteiligt und schwach klingen. Wer das kräftigere, raumfüllende Sprechen üben möchte, kann das mit folgender Übung. Übung für raumfüllendes Sprechen Sie benötigen einen (möglichst großen) Raum, in dem Sie sich ungestört ausprobieren können, und etwas Spielfreude: • Stellen Sie sich mit ca. einem halben Meter Abstand vor eine Wand oder ein Fenster und sprechen Sie exakt bis zur Wand eine Begrüßung, z. B. „Herzlich willkommen zur heutigen Podcastfolge!“ Sprechen Sie diesen Satz mit der Intention, dass jedes Wort die Wand erreichen soll. Beachten Sie dabei Ihre Aufrichtung und den guten Kontakt zum Boden, gestikulieren Sie. • Treten Sie einen Meter zurück. Machen Sie sich klar, wie weit der Abstand zur Wand jetzt ist. Sprechen Sie Ihren Satz erneut, wieder mit der Absicht: Ihre Stimme soll exakt die Wand erreichen. • Wiederholen Sie diese Prozedur, bis Sie am Ende des Raumes angekommen sind. Nehmen Sie Ihre Stimmfülle nun wahr. Hat sich etwas verändert? Ist es leicht, den Raum mit Ihrer Stimme zu füllen? Wenn ja, herzlichen Glückwunsch zum raumfüllenden Sprechen! Wenn nein… Wenn es Ihnen noch schwer fällt mit Leichtigkeit den Raum zu füllen, dann gehen Sie jetzt wieder Meter für Meter vor und überprüfen Sie, welcher Abstand zur Wand für Sie im Moment stimmlich gut erreichbar
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ist. Merken Sie sich diesen Punkt. Sie können diese Übung als Training mehrmals wöchentlich durchführen und werden bald eine Steigerung beobachten können. Wichtig ist: Das Üben sollte sich nie unangenehm anfühlen oder Ihnen Schmerzen bereiten. Im Zweifel ziehen Sie bitte Fachleute zu Rate.
2.9 Deutliche Aussprache Nuscheln, verhaspeln oder gestelzt überbetonen? Wie findet man das richtige Maß, um einerseits deutlich zu sprechen, und andererseits nicht überbetont und gekünstelt zu klingen? Worauf sollte man achten? Richten wir einmal den Blick auf die Zuhörenden. Sie können eine Äußerung verstehen, wenn sie die Konsonanten eindeutig hören – also die Sprachlaute, die keine Selbstlaute/Vokale sind. An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr die Konsonanten helfen, Sprache zu entschlüsseln: • Nur Vokale: ÖE IE I OEE, A I AI AE I? • Nur Konsonanten: KNNN S SCH VRSTLLN, WS CH DMT SGN WLL? • Auflösung: KÖNNEN SIE SICH VORSTELLEN, WAS ICH DAMIT SAGEN WILL? Durch deutliches Sprechen kann Sprache erfasst werden. Im Werk „Das Coronavirus“ der deutschen Akademie der Sprache (2021) wird humorvoll mit der Unmöglichkeit der Spracherfassung gespielt: Dazu wurden Konstanten ausgetauscht, die vermeintlich viele Aerosole produzieren. Das Video ist beispielsweise auf YouTube abrufbar: https://youtu.be/ pSGav4y2Oio. Zurück zum Sprechen am Mikrofon. Beim Versuch deutlich zu sprechen, können zwei Arten von Fehlern passieren: das überartikulierte, also überdeutliche Sprechen und das Nuscheln, also das extreme „Schleifen“ der Sprache. Für beide Probleme gibt es Lösungen. Schauen wir uns zunächst einmal an, was hinter den Phänomenen stecken kann.
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Das überartikulierte Sprechen: Tritt meist auf, wenn jemand es besonders gut machen will und infolge jeden Buchstaben ausspricht, also „realisiert“. In der deutschen Sprache ist das jedoch keineswegs nötig. Manche Buchstaben werden, selbst beim sehr deutlichen Sprechen, getilgt oder verändert ausgesprochen. Und das entspricht den Regeln der Standardaussprache. Die gesprochene Sprache weicht von dem ab, was das Schriftbild zeigt. Deshalb ist die Vorstellung falsch, für eine deutliche Aussprache einfach jeden Buchstaben zu artikulieren. Abgesehen davon wirkt das überartikulierte Sprechen oft angestrengt, abgelesen und wenig authentisch. Das undeutliche Sprechen oder Nuscheln: Ich behaupte, jede und jeder kann nuscheln. Es gibt so etwas wie ein situatives Nuscheln, bei sonst deutlichem Sprechen: Wenn ein Gedanke noch nicht ausgereift ist, dann „brummt man etwas in den Bart“. Vielleicht kennen Sie diese Strategie noch aus Ihrer Schulzeit: Absichtlich undeutlich schreiben, wenn man sich nicht sicher ist, ob es stimmt? Das geht mündlich durch Nuscheln und hat bestimmt schon viele Liebesbeziehungen gerettet. Das undeutliche Sprechen ist in diesem Fall ein kleiner Selbstschutz. Im Podcast oder Video ist undeutliches Sprechen jedoch eher ungünstig, denn es wirkt unklar, unsicher oder vermeidend und erschwert das Zuhören. Auch guten Sprecherinnen und Sprechern kann es bei schnellem Sprechen passieren, dass die Artikulation leidet. Der Hintergrund ist, dass die Sprechwerkzeuge, also die Zunge, die Lippen, das Gaumensegel und der Kiefer für eine deutliche Artikulation sehr schnell und präzise die Positionen wechseln müssen. Je schneller jemand spricht, desto schwieriger wird es, das auf Dauer zu schaffen. Die Sprache wird dann „geschliffen“, um das Tempo beibehalten zu können. Wer als Schnellsprecherin und Schnellsprecher grundsätzlich deutlich sprechen kann, sollte das Sprechtempo etwas verlangsamen. Und wieder mehr gestikulieren: Das rhythmisiert die Sprache von ganz allein. Es gibt Menschen, denen es grundsätzlich schwer fällt, deutlich zu sprechen. Hier ist Training gefragt. Man sollte sich im Training an den möglichen Ursachen orientieren. Es kann sein, dass bestimmte Ausspracheregeln nicht bekannt sind, oder die Muskulatur gezielt gestärkt werden muss. Das alles kann im Sprechtraining gelernt werden.
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Es gibt aber auch andere Hintergründe: Ein „Poltern“ kann vorliegen – ein ungewollt überhastetes Sprechen mit Silbenauslassungen; oder eine Artikulationsstörung – vielleicht ein Überbleibsel aus jungen Jahren. Eine Sprechtherapie oder Logopädie können hier weiterhelfen. Für alle, die am Mikrofon sprechen, ist die deutliche Aussprache wichtig. Deshalb gehört das Aufwärmen der „Sprechwerkzeuge“, die an der Artikulation beteiligten Muskeln, dazu. Diese Übungen können vor einer Aufnahme angewendet werden und auch grundsätzlich zum Üben genutzt werden. Eine übersichtliche Kopiervorlage finden Sie in Abschn. 2.16 „Aufwärmprogramm für die Sprechstimme“. Übungen: Artikulation • Lassen Sie die Lippen flattern. • Streichen Sie die Kaumuskeln sanft aus. Lassen sie den Unterkiefer dabei locker und entspannen Sie die Gesichtsmuskulatur. • Bewegen Sie die Zunge in jeden Winkel des Mundes. • Formen Sie im Wechsel eine Schnute und einen Grinsemund. • Verstecken Sie Ihre Zähne mit den Lippen, sprechen Sie nun sehr deutlich die Wochentage. Lassen Sie nun die Lippen „frei“ und wiederholen Sie zügig die Wochentage. • Sprechen Sie ein paar Sätze, beispielsweise eine Begrüßung. Achten Sie darauf den Kiefer locker zu lassen, die Lippen zu bewegen und raumfüllend zu sprechen.
Wir steigen jetzt etwas tiefer in die Sprechtechnik ein. Wem das zu viel ist, der oder die kann einfach zum nächsten Kapitel springen. Sie können auch zu einem späteren Zeitpunkt diese Themen in Ruhe durcharbeiten, wenn Sie mögen. Das Lippenlesen: Die Sprache wird nicht allein über das Ohr verarbeitet. Wir verstehen Sprache zum Großteil über das Lippenlesen. Dabei werden bekannte und häufig verwendete Worte einfacher verstanden. Und Sprache von Menschen, die uns bekannt sind, wird insgesamt leichter verstanden (Vgl. Depireux, J., 2019).
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Für das Sprechen im Video oder auf der Bühne ist das ein beachtenswertes Phänomen. Worauf Sie achten können: Sind Sie gut sichtbar für das Publikum? Ist Ihr Gesicht im Video gut erkennbar? Tipp für die Praxis: Entspannen Sie Ihre Kaumuskulatur und aktivieren Sie Ihre Lippenaktivität vor einem Auftritt mit den Artikulationsübungen von oben. Der Stimmsitz: Für eine gute sprachliche Verständlichkeit wird mit mittlerem bis vorderem Stimmsitz gesprochen. Das bedeutet, dass möglichst resonanzreich vorn im Gesicht – in der sogenannten „Maske“ – gesprochen wird: also mit lockerem Kiefer, beweglichen Lippen und aktiver Zunge. Die Klangfarbe: Geräusche und Klänge können hell oder dunkel klingen. Wenn die Sprachlaute hell und prägnant gebildet werden, trägt das zur Verständlichkeit bei, ohne dass eine große Lautstärke nötig ist (Abb. 2.6).
Abb. 2.6 QR-Code für Hörbeispiel. ((Bild: Eigene Darstellung) 3_Konsonanten hell und prägnant sprechen https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050)
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Übung: Konsonanten hell und prägnant sprechen (Audiobeispiel s. Abb. 2.6) • Sprechen Sie die Zischlaute in einer Endlosschleife mit einem gedachten Lächeln kurz und prägnant, deutlich und hell: „f“, „s“ (wie in aus), „sch“ und „ch“ (wie in ich), „z“ (wie in zu) • Sprechen Sie die stimmlosen Explosive ebenso hell und deutlich: „p“, „t“, „k“ • Sprechen Sie folgende Sätze übertrieben deutlich. Lassen Sie es zischen! Weniger machen kann man jederzeit: „Frisch ist es.“ „Ich lächle.“ „Es freut mich, euch heute zu begrüßen.“ • Sprechen Sie folgende Sätze – gern übertrieben! „Paperlapap!“ „Ich schreite zur Tat.“ „Das heutige Meeting ist unter Umständen entscheidend.“
In diesem Buch ziehe ich sonst alltagsnahe Beispiele heran. Aber an dieser Stelle möchte ich Ihnen ausnahmsweise ein Gedicht anbieten, das die Kraft der Konsonanten wie kaum ein anderes verkörpert. Im Hörbeispiel (QR-Code zum Hörbeispiel s. Abb. 2.7) hören Sie drei Versionen der ersten beiden Strophen. Die erste Version ist neutral gesprochen, in der zweiten werden die Zischlaute hervorgehoben und in der dritten Version die Laute m, n, l, ng. Die Wirkung ist je eine andere, allein durch die Kraft der Konsonanten. Hören Sie einmal, wenn Sie mögen.
Abb. 2.7 QR-Code für Hörbeispiel. ((Bild: Eigene Darstellung) 4_Kraft der Konsonanten https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050)
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James Krüss „Das Feuer“ Hörst du, wie die Flammen flüstern, knicken, knacken, krachen, knistern, wie das Feuer rauscht und saust, brodelt, brutzelt, brennt und braust? Siehst du, wie die Flammen lecken, züngeln und die Zunge blecken, wie das Feuer tanzt und zuckt, trockne Hölzer schlingt und schluckt? Riechst du, wie die Flammen rauchen, brenzlig, brutzlig, brandig schmauchen, wie das Feuer, rot und schwarz, duftet, schmeckt nach Pech und Harz? Fühlst du, wie die Flammen schwärmen, Glut aushauchen, wohlig wärmen, wie das Feuer, flackrig-wild, Dich in warme Wellen hüllt? Hörst Du, wie es leiser knackt? Siehst du, wie es matter flackt? Riechst du, wie der Rauch verzieht? Fühlst du, wie die Wärme flieht? Kleiner wird der Feuerbraus: Ein letztes Knistern, Ein feines Flüstern, Ein schwaches Züngeln, Ein dünnes Ringeln – Aus.
Ich werde im Folgenden einige wichtige Ausspracheregeln zusammenfassen. Wer noch detaillierter Bescheid wissen will, wird im Aussprachewörterbuch des Duden (Band 6) fündig. Hier sind alle die Ausspracheregeln der Standardaussprache genau beschrieben und mit vielen Beispielen versehen. Der Duden orientiert sich an der tatsächlich gesprochenen Sprache, und nicht an etwaigen Sprechidealen für Theater und Sprechkunst, daher bietet er für das Sprechen im Podcast oder Video die passende Orientierung.
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Abb. 2.8 QR-Code für Hörbeispiel. ((Bild: Eigene Darstellung) Hörbeispiel 5_ Auslautverhärtung https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050)
Die Auslautverhärtung: Im Deutschen gibt es stimmhafte und stimmlose Sprachlaute. Die Laute „b“, „d“ und „g“ werden mit Stimme und Geräusch gebildet – also stimmhaft. Treten die Buchstaben „b“, „d“ und „g“ final auf – also am Ende eines Wortes, auch bei zusammengesetzten Worten – werden sie „verhärtet“. Sie werden also zu den stimmlosen Lauten „p“, „t“, „k“. Beispiel Auslautverhärtung: „Bleib“ „und“ „weg“ „Und bleib weg!“ „weglaufen“ „Auftrag – Auftragsnummer“. Jedoch nicht im Wort: „bleiben“ „Wege“ „Aufträge“. Oder am Anfang eines Wortes: „bitte“ „doch“ „gehen“. Im freien Sprechen wird die Auslautverhärtung (Audiobeispiel s. Abb. 2.8) meist intuitiv angewendet (mit Abweichungen in manchen Dialekten). Warum erwähne ich das Thema hier? Meine Erfahrung ist, sobald Menschen nach Skript sprechen, wird, mit der Absicht es besonders gut zu machen, jeder Buchstabe ausgesprochen und dabei können Fehler entstehen. Wer die Regel der Auslautverhärtung nicht kennt, spricht dann gegebenenfalls zu weich. Alle, die davon wissen, können deutlich artikulieren. Übung Auslautverhärtung Sprechen Sie die folgenden Worte und hören Sie genau auf den finalen Laut: „Bleib“ „und“ „weg“ „Und bleib weg!“ Vergleichen Sie Ihr Sprechen mit dem Hörbeispiel, so können Sie Ihr eigenes analytisches Hören schulen.
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Abb. 2.9 QR-Code für Hörbeispiel. (Bild: Eigene Darstellung) Hörbeispiel 6_ Endungen -en -em -el https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050
Die Endungen -en, -em, -el: Sie sollen deutlich, aber nicht überartikuliert realisiert werden. Als Faustregel gilt: Die Silbenanzahl soll erhalten bleiben. Beispiel Endungen -en, -em, -el: „Wir können gern kommen.“ → „Wir könn’n gern komm’n.“ statt „Wir könn’ gern komm’.“ Dabei wird unterschieden, ob umgangssprachlich, deutlich oder sehr deutlich gesprochen wird. Je nach Situation und Rolle, aus der heraus Sie sprechen, oder nach Phase im Podcast, z. B. Themenankündigung oder lockere Zwischenfrage, wird natürlicherweise mal deutlicher und mal umgangssprachlicher gesprochen. Deshalb lohnt es sich, die Unterschiede zu beherrschen und gezielt anwenden zu können (Abb. 2.9). Übung Endungen -en, -em, -el (Audiobeispiel s. Abb. 2.9) Sprechen Sie sie Worte und Sätze zunächst umgangssprachlich, danach deutlich und sehr deutlich. Finden Sie danach einen Mittelweg, dabei können Sie die Endungen mal mehr, mal weniger „schleifen“.
„Guten Morgen“ „Heute möchte ich euch allen einen guten Morgen wünschen.“ „Bevor wir starten: In deinem Kaffee ist Milch. Brauchst du einen Löffel für Zucker?“ „Meinem Team geht es mit den geplanten Veränderungen gut. Die Vorbereitungen haben geholfen.“ Versuchen Sie nun eine passende Balance zu finden. Wer jede dieser Endungen sehr deutlich artikuliert, wirkt gestelzt. Versuchen Sie eine für Sie passende Mischung aus deutlich und dabei nicht überartikuliert zu finden. Für das Sprechen im Podcast und Video gilt: Verständlichkeit ist das Ziel – nicht das „Nachrichtensprechen“!
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Tipps zur Vertiefung • Schulen Sie Ihre Selbstwahrnehmung: Achten Sie einmal darauf, wie Sie in manchen Situationen bei manchen Äußerungen sehr deutlich und in anderen Situationen etwas umgangssprachlicher sprechen. • Beobachten Sie andere: Lauschen Sie einmal gezielt Ihren Vorbildern. Wie realisieren sie die Endungen? Wie viele Endungen schleifen sie? Welche Worte werden besonders deutlich gesprochen?
Endung -ung und -ig: Häufig herrscht Unklarheit darüber, wie die Endung -ung und -ig im Hochdeutschen gesprochen werden. Beispiel Endung -ung und -ig (Audiobeispiel s. Abb. 2.10):
Der Konsonant R: Es gibt verschiedene Arten, das R zu sprechen, Reibe-R, Zäpfchen-/Zungenrücken-R oder Zungenspitzen-R. Egal, wie Sie es artikulieren, wichtig ist, dass Sie es manchmal nicht als „R“ sprechen, sondern ein vokalisiertes „a“: Auch wenn im Schriftbild ein „R“ geschrieben wird, wird „a“ gesprochen mit höchstens einer leichten Andeutung eines „R“. Wen das ganz genauer interessiert, der oder die kann im Duden Band 6 „Das Aussprachewörterbuch“ (2015), S. 52, alle Regeln dazu finden. Ein häufiger Sprechfehler, der mir in der Praxis begegnet, ist das überartikulierte „R“. Dahinter steckt meist die Absicht – beim Sprechen nach Skript – deutlich zu sprechen. Das
Abb. 2.10 QR-Code für Hörbeispiel. (Bild: Eigene Darstellung) 7_Endung -ung -ig https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050
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Abb. 2.11 QR-Code für Hörbeispiel. (Bild: Eigene Darstellung) 8_Konsonant R https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050
berartikulierte „R“ ist neben der gleichbleibenden Satzmelodie einer ü der Gründe dafür, dass Sprecherinnen und Sprecher „abgelesen“ klingen (Abb. 2.11). Die Ausspracheregeln für R im Überblick mit Beispielen (Audiobeispiel s. Abb. 2.11):
2.10 Sprechtempo „Wenn nichts passiert, erzählen Sie schnell und fassen etwas mehr zusammen. Wenn etwas Spannendes passiert, dann verlangsamen Sie das Erzähltempo. Genießen Sie den Augenblick.“ (Sven Preger, 2019, S. 152). Was Preger in seinem Buch „Geschichten erzählen – Storytelling für Radio und Podcast“ auf das Storytelling bezieht, gilt auch für das Sprechtempo: Nebeninformationen werden schneller und leichter gesprochen. Das Relevante, Neue, das wird langsamer und akzentuiert gesprochen. Es ist also ganz natürlich, dass sich das Sprechtempo innerhalb einer Rede verändert. Den Anspruch, ein bestimmtes Tempo konstant zu halten, können Sie ruhig über Bord werfen.
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Was ist mit den extrem Schnellen, also denjenigen, die permanent zu schnell reden und alle abhängen? Die sich selbst überholen und deren Zunge nicht mitkommt? Schnellsprecherinnen und Schnellsprecher denken schnell. Und die Gefahr beim schnellen Sprechen ist, dass die klare Aussprache im Eiltempo auf Dauer nicht bewerkstelligt werden kann. Es kommt zum Nuscheln oder Eliminieren ganzer Silben. Was im persönlichen Gespräch als kleine Marotte durchgehen kann, kann im Podcast oder Video zu Schwierigkeiten führen. Denn die Verständlichkeit ist in Gefahr. Übrigens: Es gibt Sprechsportler, die das Schnellsprechen auf die Spitze treiben. Georg Winter ist wohl der bekannteste Schnellsprecher im deutschsprachigen Raum und hat diese Fähigkeit zur Sportart weiterentwickelt.
Wichtig ist: Sie können so schnell sprechen, wie Sie möchten, solange Sie deutlich sprechen und Sprechpausen einlegen. Vor ein paar Jahren gab es unter meinen Coachees einen Trend: Viele kamen mit dem Wunsch, schneller sprechen zu lernen. Denn das gelte als intelligent, so erzählten sie. In den letzten Jahren begegnete mir gehäuft das Gegenteil: „Ich spreche zu schnell. Ich habe gehört, man solle langsam und strukturiert sprechen, um zu überzeugen.“ Was ist richtig? Wahr ist, es kommt darauf an: Sprechen und Sprache sind permanent in Entwicklung. Das Sprechen kennt Modeerscheinungen, wie das Ideal besonders schnell sprechen zu können. Manche dieser Strömungen erscheinen kurz und verschwinden bald wieder von der Bildfläche. Andere verfestigen sich, vermischen sich mit anderen Unterströmungen, z. B. die Art und Weise des Sprechens im Poetry-Slam. Das sind literarische Wettbewerbe, in denen Dichterinnen und Dichter ihre Werke auf die Bühne bringen. Dieser Sprechstil ist zuweilen in Podcasts aufgetaucht. Derzeit ist ein Trend in Richtung „charismatisches Sprechen“ zu beobachten, dieser Sprechstil geht in die Richtung einer Überzeugungsrede. All diese Strömungen können sich auf die individuelle Vorstellung eines Sprechideals auswirken: Das macht eine lebendige Sprach- und Sprechkultur aus.
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• Tipps für ein passendes Sprechtempo: – Das eigene Sprechideal kennen und ggf. verändern. Sie können sich fragen: Welchem sprecherischen Ideal eifere ich bewusst oder unbewusst nach? Macht es mich und meine Zielgruppe glücklich? Entspricht es mir und möchte ich es beibehalten oder verändern? – Eine innere Sprechhaltung wählen. Sie könnte lauten: Ich möchte mich ausdrücken und verstanden werden, dafür nehme ich mir Zeit – und mute mich damit ein Stück weit den anderen zu. – Das Sprechen rhythmisieren: Schnellsprecherinnen und Schnellsprecher sprechen oftmals nicht nur ein paar Sätze schnell, sondern alles. Ihr Ziel kann sein, Unterschiede einzuführen, um Ihren Zuhörenden eine Verschnaufpause zu bescheren. Stellen Sie sich vor, Ihr Sprechen wäre ein Song. Ein Musikstück hat einen Rhythmus mit langen und kurzen Noten, mit Pausen und dramatischen Steigerungen: Ihre Sprache kann rhythmischer werden! Und Sie entscheiden, welches Genre Sie wählen. Dabei kann es helfen zu gestikulieren, also das eigene Sprechen durch Bewegungen der Hände oder zumindest der Fingerspitzen zu begleiten. – Die Wechselwirkung zwischen Außenbewegung und Innenbewegung nutzen: Wer gestikuliert, kann damit das eigene Sprechtempo beeinflussen. Wer zu schnell unterwegs ist, profitiert von großen, geschwungenen Gesten und von Sprechpausen, in denen man atmet. Wer langsam unterwegs ist, kann kleine, schnelle und feine Gesten ausprobieren. Wenn Sie mit Gestik arbeiten und diese verändern, dann kann sich das zunächst ungewohnt und fremd anfühlen. Versuchen Sie, möglichst nicht zu mechanisch an die Sache heranzugehen, sondern mit einer gewissen Spielfreude. – Deutlich artikulieren: Im Abschn. 2.9 „Deutliche Aussprache“ habe ich beschrieben, worauf es ankommt. Gerade Schnellsprechende können Wert auf ihre Artikulation legen. – Atempausen setzen: Zum Sprechtempo gehört die Sprechpause und ihre Qualität. Manche Schnellsprecherinnen und Schnell-
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Abb. 2.12 QR-Code für Hörbeispiel. (Bild: Eigene Darstellung) 9_Sprechtempo https://www.jutta-talley.de/buch/ressourcen/ Code: 3050
sprecher neigen dazu, kurz und oberflächlich Pausen zu setzen. Das kann einen gehetzten, nervösen und angespannten Eindruck machen. Wer trotz hohem Sprechtempo eine gewisse Ruhe und Souveränität ausstrahlen möchte, kann die Qualität der Atempausen verbessern. Wie das genau geht, dazu komme ich im nächsten Abschn. 2.11 „Atemtechnik“. Merksatz: Nebeninformationen werden schneller und leichter gesprochen. Das Relevante, Neue – das wird langsamer und akzentuiert gesprochen.
Übung: die Wechselwirkung zwischen Außenbewegung und Innenbewegung für das Sprechtempo nutzen (Audiobeispiel s. Abb. 2.12) 1. Sprechen Sie getragen und langsam mit großen, geschwungenen Gesten und mit Sprechpausen, in denen Sie atmen. 2. Sprechen Sie nun schnell und akzentuiert mit kleinen, schnellen und feinen Gesten. Achten Sie dabei auf Ihre Artikulation und werden Sie nicht lauter, sondern nur zügiger. Gehen Sie mit einer gewissen Spielfreude an die Übung.
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Aus Johann Wolfgang von Goethe „Der Zauberlehrling“ (Goethe, 2012) Walle! walle Manche Strecke, Daß, zum Zwecke, Wasser fließe Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße.
Egal ob langsam und pastoral, oder superschnell mit „Jump Cuts“ – bisher haben wir auf die Sprecherinnen und Sprecher geschaut. Aber was braucht das Publikum? „Der Köder muss dem Fisch schmecken“: Welches Sprechtempo angemessen ist, entscheiden letztlich die Empfängerinnen und Empfänger. Deshalb ist es in der Podcast- oder Videokonzeption und -produktion so wichtig, die Zielgruppe mitzudenken.
2.11 Atemtechnik „Die Atmung steht an der Spitze aller biologischen Grundfunktionen. Atmen ist eine lebenstragende Funktion. Atemkraft bedeutet Lebenskraft. Atmen ist nicht nur ein funktionaler Austausch lebensnotwendiger Stoffe, sondern eröffnet dem Menschen eine Beziehung zur Umwelt, eine Verbindung zwischen seinem Innen und Außen.“ (Saatweber, 2001, S. 176). Diese fast schon spirituelle Äußerung Saatwebers zeigt, wie groß das Thema Atmung ist. Es findet sich in allen Lebensbereichen, vom Anfang bis zum Ende. Als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin nach dem Konzept Schlaffhorst-Andersen, habe ich mich intensiv und lange mit der Atmung beschäftigt und tue es immer noch tagtäglich. Das Thema ist wichtig. Dennoch empfehle ich im Stimm- und Sprechtraining, zügig am Sprechen zu arbeiten und nicht zunächst viele Stunden ausschließlich zu atmen. Schauen wir auf die Bereiche, die für das Sprechen am Mikrofon entscheidend sind!
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Abb. 2.13 Das Respirationssystem. (Bild: Schweizer Paraplegiker-Stiftung)
Warum fasziniert das Atmen im Yoga, im Kampfsport oder in der Arztpraxis? Die Atmung ist sowohl für das Überleben eines Menschen entscheidend als auch für seine Kommunikationsfähigkeit. Ohne das Atmen wären Stimme und Sprache nicht möglich. Daher kann die Atmung bewusst gesteuert werden, obwohl sie eigenständig funktioniert, wenn der Mensch nicht an sie denkt, sondern z. B. schläft (Abb. 2.13). Für das Sprechen im Podcast und Video kann die Atmung einen selbst und andere beruhigen. Sie kann der Stimme einen satten Klang verleihen, die Sprache rhythmisieren und ein angenehmes Zuhören ermöglichen. Die Atmung kann beruhigen. Wer seinen eigenen Atemrhythmus steuern kann – beispielsweise über langsames Atmen – beeinflusst das eigene vegetative Nervensystem (vgl. Lang, Saatweber, 2010, S. 51). Das bedeutet, die Atmung hat einen direkten Einfluss auf das körperliche Wohlbefinden und kann sich auf das Gegenüber auswirken, denn Anspannung oder Entspannung wird wahrgenommen und oftmals körperlich übernommen.
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Das vegetative Nervensystem funktioniert autonom, z. B. reagiert es bei Stress mit Hormonausschüttung, auch wenn wir uns das nicht herbeiwünschen. Wir haben nur wenig Einfluss auf dieses autonome Nervensystem – die Atmung ist eine Möglichkeit, mentale Strategien sind weitere.
Übung: Atmung Steuern Sie die Atmung über die Ausatmung! Diese können Sie verlangsamen. Atmen Sie geführt auf „fffff“ aus, nur so lange, bis die Luft von allein weniger wird. Pressen Sie nicht, sondern lassen Sie die Luft ausschwingen. Die neue Einatmung fällt von ganz allein ein – durch die leicht geöffneten Lippen. Wiederholen Sie dies einige Male. Achten Sie darauf, die Atmung nicht zu „überziehen“, also nicht zu pressen. Bewerten Sie die Dauer Ihrer Ausatmung nicht. Es kommt nicht auf die Länge an. Vertiefung der Übung: Heben Sie die gestreckten Arme seitlich hoch, während die Luft von allein durch die leicht geöffneten Lippen einfällt. Führen Sie, während Sie auf „ffffff“ ausatmen, die gestreckten Arme genüsslich und im Tempo Ihrer Ausatmung seitlich abwärts. Lassen Sie locker. Lassen Sie eine Atmung durchgehen und wiederholen Sie das Ganze. Vielleicht haben Sie ihn gespürt, diesen kleinen Moment der Entspannung nach der Ausatmung? Das ist die „Atempause“. Sie ist sehr wichtig für die Regeneration des Körpers. Wenn Sie mögen, achten Sie einmal darauf, wenn Sie abends kurz vor dem Einschlafen sind. Die Atempause kann sich anfühlen wie eine Ewigkeit, bis nach der Ausatmung ein neuer Einatemimpuls von ganz allein für neue Luft sorgt.
Ist die Stimme gesund, wird beim Sprechen wenig Luft verbraucht. Deshalb ist das Atmen beim intuitiven Sprechen in der Regel auch kein Problem. Sobald bewusst gesprochen wird oder Aufregung dazukommt, ist es hilfreich, sich mit der Atmung etwas auszukennen. Es gibt ein paar Irrtümer, die umhergeistern: Zum Beispiel die Idee, man müsse vor dem Sprechen tief einatmen. Geht das überhaupt – bewusst tief einatmen? Denken Sie einmal daran, was passiert, wenn Ihnen in einer Arztpraxis die Lunge abgehört wird. Ihnen wird gesagt, Sie sollen tief einatmen. Das machen Sie, doch was passiert mit Ihren
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Schultern in diesem Moment? Meistens ziehen diese hoch, denn die Atemhilfsmuskeln reagieren auf die Aufforderung, einzuatmen. Oft geht eine hörbare Einatmung damit einher, ein Zeichen dafür, dass die Stimmritze nicht ganz geöffnet ist. Was beim Arzt oder der Ärztin in Ordnung ist, ist für das Sprechen am Mikrofon unbrauchbar. Denn laute Einatemgeräusche wollen die meisten Sprecherinnen und Sprecher vermeiden. Es gibt keinen Grund, vor dem Sprechen bewusst einzuatmen: Es ist genug Luft da. Wenn Sie einen inneren Impuls zum Reden haben, dann versorgt sich der Körper in aller Regel automatisch mit genug Luft. Während des Sprechens kann es zu einer hörbaren Einatmung kommen, wenn viel und ausdauernd gesprochen wird. Bis zu einem bestimmten Grad ist das physiologisch und kein Grund zur Sorge. Und auch kein Grund, diese kleinen Zeichen Ihrer Lebendigkeit in der Nachbereitung herauszuschneiden! Sobald die Einatemgeräusche recht laut werden, sich wie ein Zischen, Schmatzen oder schweres Atmen anhören, dann könnte und sollte man gegensteuern. Diese Empfehlung gilt für alle, bei denen keine Erkrankung diese Atemgeräusche auslöst, sondern ihre eigene Atemtechnik der Grund dafür ist. Für das Sprechen am Mikrofon sind zwei Arten der Atempause relevant: 1. Die Staupause, die eine Akzentuierung und Strukturierung ermöglicht. 2. Die abfedernde Pause, die zusätzlich die Luftversorgung sicherstellt. Die abfedernde Pause: Egal ob frei gesprochen oder nach Skript, während des Sprechens im Podcast und Video sollte man in der Lage sein, schnell und mit Leichtigkeit zu atmen, denn es sollen auch längere Redeanteile problemlos und unangestrengt bewältigt werden. „Das Abfedern in die Pause führt zur reflexartigen Luftergänzung (…) und wird somit genutzt, um beim Sprechen und Singen die Atembögen angemessen gestalten zu können, d. h. längere Phrasen sprechen oder singen zu können, ohne den Atembogen zu überziehen und für den Inhalt unangemessen lange Pausen zu machen. (…) Die Pause nach dem Abfedern kann (…) verschwindend kurz sein. Wichtig ist jedoch, dass dennoch die Qualität des Lösens der Atemmuskulatur stattfindet,
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Abb. 2.14 QR-Code für Hörbeispiel. (Bild: Eigene Darstellung) 10_abfedernde Pause https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050
um die regenerative Komponente beim Sprechen und Singen zu erhalten.“ (Lang, Saatweber, 2010, S. 119). Je besser die Qualität des Lösen in der Atempause, also das Lockerlassen der Atemmuskulatur und der Sprechwerkzeuge (Zunge, Lippen, Kiefer), desto weniger Atemgeräusche sind hörbar. Diese Atemtechnik kann man wunderbar trainieren (Abb. 2.14). Übung: Die abfedernde Pause (Audiobeispiel s. Abb. 2.14) Die abfedernde Pause ermöglicht das Atmen während des Sprechens. Lassen Sie in der Sprechpause die Lippen leicht geöffnet und den Kiefer locker. Üben Sie am besten stehend mit einem guten Kontakt zum Boden. Sprechen Sie folgenden Konsonanten hell und prägnant in Endlosschleife. Lösen Sie nach jedem Laut die Artikulationsspannung (Zunge, Lippen, Kiefer) – man spricht quasi jeden Laut für sich allein: pˇ – p ˇ- pˇ“ tˇ – t ˇ- tˇ“ kˇ – kˇ – kˇ“ pˇ – tˇ – kˇ“ • Sprechen Sie: „paperlapap – paperlapap – paperlapaperlapaperlapap“ Achten Sie darauf, nach dem letzten „p“ die Lippen geöffnet zu lassen, die neue Luft fällt hier von ganz allein ein: paperlapapˇ – paperlapapˇ – paperlapaperlapaperlapapˇ. • Sprechen Sie nun folgende Sätze mit demselben Prinzip: Willkommen zum Podcastˇ. Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung mit unserem Podcastˇ. In der heutigen Folge ist Hans Meyer unser Gastˇ. In der heutigen Folge ist unser Gastˇ – Hans Meyer. Hans Meyer ist unser heutiger Gastˇ. Er ist aus gutem Grund dabei, denn es geht um Partnerschaftˇ – um die Frage, wie kann man Unternehmensnachfolge gestalten?
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Abb. 2.15 QR-Code für Hörbeispiel. (Bild: Eigene Darstellung) 11_Staupause Blume blüht https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050
Die Staupause ist eine stilistische Sprechpause. Sie ermöglicht es, Akzente zu setzen und die Sprechspannung zu halten. Wie wird sie körperlich umgesetzt? Es wird keine Luft geholt, sondern die Atemspannung wird gehalten. Sie kennen diese Spannungspause vielleicht vom Anzählen: „1–2 — — —3!“ Die Staupause eignet sich wunderbar, um komplexe Inhalte oder lange Phrasen für Zuhörende in hörverständliche Einheiten zu bringen. Dabei bleibt es für Zuhörende spannend, wenn ein Gedankengang nicht andauernd durch Atmer unterbrochen wird. Die Staupause zeigt an, dass inhaltlich noch etwas Wichtiges kommt – also, dass der Sinnbogen noch nicht abgeschlossen ist. So entsteht ein Rhythmus durch Pausen. Die Staupause ist für Schnellsprecherinnen und Schnellsprecher eine wirksame Sprechtechnik, um das Tempo zu drosseln. Und um andere mitzunehmen, ohne dabei insgesamt langsamer sprechen zu müssen (Abb. 2.15). Übung: Die Staupause (Audiobeispiel s. Abb. 2.15) Zur Erinnerung: In der Staupause wird nicht geatmet, sondern kurz innegehalten mit der Intention die Spannung zu halten. Sprechen Sie folgende Sätze mit Staupause —: Weil die Blume blüht jetzt nicht. Weil – die Blume blüht jetzt nicht. Weil die Blume – blüht jetzt nicht. Weil die Blume blüht – jetzt nicht. Weil die Blume blüht jetzt – nicht. Weil – die Blume – blüht jetzt – nicht.
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Sprechen Sie folgende Sätze mit Staupause – und wenn Sie hin und wieder Luft benötigen mit abfedernder Pauseˇ:
Die Staupause eignet sich wunderbar – um komplexe Inhalteˇ oder lange Phrasen für Zuhörende – in hörverständliche Einheiten zu bringen.ˇ Wenn das Wie – des Sprechens zeigtˇ dass noch etwas Wichtiges kommtˇ dann – bleibt es für Zuhörende spannend.ˇ
Die von mir verwendeten Pausenzeichen können, aber müssen Sie nicht übernehmen. Es gibt keine einheitlichen Zeichen für Pausen. Nutzen Sie in Ihrem Skript oder beim Üben einfach das, was Sie möchten. Für mich persönlich zeichne ich handschriftlich und unübersehbar oft ein großes V als Atemzeichen in den Text und einen Gedankenstrich oder | als Zeichen für eine Staupause. Kurze und längere Sprechpausen haben eine kommunikative Wirkung. Gute Rednerinnen und Redner können den Kontakt zum Live-Publikum halten und intensivieren – durch Schweigen. Ich möchte hier nicht empfehlen, im Podcast oder Video lange Phasen der Stille einzubauen, aber ich ermuntere Sie, mit dem Wissen um die Wirkung von Pausen bewusst zu arbeiten. Sie geben Ihren Zuhörenden die Chance, sich ein Bild zu machen oder einen Gedanken nachwirken zu lassen. Eine kurze Sprechpause kann im Gespräch und im Vortrag das Gegenüber auch ermuntern, eine Reaktion zu zeigen. Das kann ein Nicken, Lachen, Atmen sein – eine emotionale Reaktion also, die belebt. Ein angemessenes Maß an Stille kann Neugier wecken. Auch wenn Sie in der Aufnahmesituation keine direkte Rückmeldung bekommen, können Sie mit der Absicht sprechen, Ihrer Zielgruppe Reaktionen zu entlocken. Das erfordert eine gewisse Selbstdisziplin beim Sprechen, denn Sie sind vorbereitet und Ihren Zuhörenden immer drei Schritte voraus: Zügeln Sie sich, um ihnen ein tolles Hörerlebnis zu bescheren. Um mit einer S prechpause das Publikum wirkungsvoll zu erreichen, eignet sich die Technik „inneres Nicken“. Wer diese Übung mit echtem Gegenüber durchführt, wird feststellen, dass dieses spontan reagiert: Sich zu Wort meldet, nickt, lacht, etwas fragt. Wer die Reden von Steve Jobs kennt, findet dieses Element wieder, zum Beispiel in seiner berühmten Einführung des iPhone 2007.
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Übung: Inneres Nicken • Ihr Übungsmaterial sollte eine freie Rede sein oder eine Begrüßung, ein fachlicher Beitrag, oder etwas aus dem Alltag, z. B. das morgendliche Frühstück. • Und so läuft das genau ab: Sie sprechen zu einem imaginärem Publikum, am Ende einer Äußerung sprechen Sie „auf den Punkt“ – also lassen die Stimme fallen, und nicken dabei Ihrem imaginären Publikum zu. Sagen Sie dazu: „Ne?“ „Seid ihr bei mir?“ Im Übungsverlauf soll das Kommentieren des Nickens verschwinden und das Nicken selbst immer kleiner, unmerklicher werden, bis es nur noch gedacht wird. Die Sprechpause bleibt und währenddessen wird geatmet!
2.12 Auf den Punkt sprechen Das absichtsvolle Entspannen der eigenen Stimme in die sogenannte „Lösungstiefe“ am Ende eines Gedankens wird auch „finaler Fall“ oder „Tiefschluss“ genannt. Es passiert im natürlichen, freien Sprechen idealerweise von ganz allein. Das „Auf den Punkt sprechen“ hat viele Vorteile: • Es strukturiert das gesprochene Wort für die Zuhörenden (und einen selbst). Es erlaubt Zuhörenden das Mitdenken und Mitkommen. Denn oft folgt eine kleine Sprechpause nach dem finalen Fall. • Den Sprechenden wird eher positive Strukturiertheit zugeschrieben, sie werden eher als gute Sprecherin oder guter Sprecher wahrgenommen. • Die kleinen Stimmmuskeln im Kehlkopf lassen locker, wenn die Tonhöhe fällt, und haben einen kurzen Moment zur Regeneration. Die Stimme entspannt sich. Das erlaubt müheloses Sprechen über eine längere Zeit. Und bezogen auf den Stimmklang: müheloses Zuhören. Wie funktioniert das „Auf den Punkt sprechen“? Man lässt dazu am Ende einer Phrase die Stimme tief in die individuelle Wohlfühlstimmlage fallen. Das ist der Stimmbereich, in dem die Stimme sonor, voll und rund klingt. Wenn die Stimme final fällt, tritt meist eine Atempause ein, dabei werden der Kiefer und Bauchmuskulatur locker lassen. Idealerweise
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Abb. 2.16 QR-Code für Hörbeispiel. ((Bild: Eigene Darstellung)12_Intro Auf den Punkt sprechen https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050)
sind die Lippen entspannt und ganz leicht geöffnet, dann kann von allein und ungehindert neue Luft einfallen – eine geräuschlose Einatmung. Mit dieser Luft kann bequem weitergesprochen werden. Fehlendes „Auf den Punkt sprechen“ und seine Nachteile: • Die Stimme bleibt permanent gespannt. Das kann auf Dauer zu Ermüdung der Stimme und zur allgemeinen Ermüdung führen. Eine Sprechpause kann nötig werden. • Sprechende wirken eher getrieben, gestresst, unstrukturiert, wenn sie die Stimme nicht oder zu selten fallen lassen. • Man muss sich beim Zuhören stärker konzentrieren, um folgen zu können, denn das „Wie des Sprechens“ bietet wenig Orientierung. Alles, was anstrengt, wird weniger gern konsumiert (Abb. 2.16). Übung: Eine Intro „Auf den Punkt sprechen“ (Audiobeispiel s. Abb. 2.16) Sprechen Sie die folgende Intro in zwei Variationen. Der nach unten zeigende Pfeil, soll Ihnen anzeigen, wo Sie auf den Punkt sprechen können. Zur Erinnerung: Orientieren Sie sich beim Sprechen nicht an den Satzzeichen. So gelingt der finale Fall: Lassen Sie die Stimme fallen. Die Kiefer- und Bauchmuskulatur sollen „abspannen“, also locker gelassen werden. Lassen Sie in der Atempause die Lippen ganz leicht geöffnet, durch die die neue Luft von allein einfällt.
(Siehe Abb. 2.17).
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Abb. 2.17 Übung: Auf den Punkt sprechen. (Bild: Eigene Darstellung)
2.13 Sprechmelodie Jeder Mensch klingt einzigartig, jeder hat einen persönlichen Stimmklang und Hauptsprechtonbereich. Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich hier um ein Sprechen auf einem einzigen Ton, also monotones Sprechen, handelt. Die Tonhöhe variiert beim Sprechen abhängig davon, was wir sagen, und wie wir es meinen. Sie ist natürlicherweise in Bewegung. Diese natürliche Sprechmelodie, die Prosodie, bringt Leben und Farbe in das gesprochene Wort. Im „Hauptsprechtonbereich“ kann die Stimme lange, mühelos und modulationsfähig gebraucht werden. (Vgl. Rittich et al., 2018, S. 32).
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Ganz besonders in Podcasts und Videos ist es ratsam, sich nicht zu verstellen oder gar jemanden stimmlich zu kopieren. Menschen haben ein Gespür dafür, wenn ihnen etwas vorgespielt wird! Für das Sprechen im Audio oder Video ist Authentizität gefragt, sie macht die persönliche Glaubwürdigkeit aus. Dafür ist es nützlich, den eigenen Hauptsprechtonbereich zu kennen und auszukosten. Das heißt: Nicht immer gleich klingen, denn eine lebendige Stimme ist attraktiv. Wer die eigene Stimme gut kennt, kann ihr vertrauen und traut sich eher, ausdrucksstark zu sprechen. Das Ziel ist: selbst unter Stress und Anspannung den eigenen stimmlichen Wohlfühlbereich zu finden. Das „auf den Punkt“ sprechen haben Sie bereits kennen gelernt. Bei längeren Redebeiträgen sollte man hin und wieder die Stimme absenken, allerdings nicht nach jedem Satz. Denn damit produziert man eine gleichbleibende Satzmelodie: sogenanntes „Häufchensprechen“. Das klingt abgelesen und sollte man vermeiden. Stattdessen wirkt eine variable Sprechmelodie lebendiger. In der folgenden Übung können Sie die Tonhöhe mal schweben lassen oder mal anheben. Welche Sprechtechnik dahinter steckt, darauf gehe ich nach dieser Übung ein. Achten Sie einmal darauf: Schlüssige, kurze Sätze sind leichter zu überblicken und können in der Regel einfacher sprechdenkend vorgetragen werden. Lange, verschachtelte Sätze fordern Sprechenden einiges ab. Die Sprechspannung muss gehalten werden, damit der Sinn nicht entfremdet wird. Übung 1: Mit der Tonhöhe spielen Sprechen Sie den Redeausschnitt von Steve Jobs Rede vor Absolventen der Stanford-Universität (2005) laut für ein imaginäres Publikum und bewegen Sie während des Sprechens die Hände gestikulierend, als wenn Sie sich selbst dirigierend begleiten würden. Lassen Sie Ihrer Stimme dabei melodisch freien Lauf. Sie dürfen gern übertreiben. Sie können Nebeninformationen schneller und leichter sprechen (Dernbach, 2021):
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Tipp: Nehmen Sie Ihr Sprechen auf und überprüfen Sie das Ergebnis. „Die Arbeit wird einen großen Teil eures Lebens ausfüllen. Und der einzige Weg, wirklich zufrieden zu sein, ist das Bewusstsein, dass man großartige Arbeit macht. Und der einzige Weg, großartige Arbeit zu machen, ist, dass man liebt, was man tut. Wenn ihr es noch nicht gefunden habt – sucht weiter. Gebt euch nicht zufrieden. Wie mit allen Herzensangelegenheiten werdet ihr es wissen, wenn Ihr es gefunden habt. Und wie jede großartige Beziehung, wird es mit den Jahren nur besser und besser. Also sucht weiter, bis ihr es findet. Gebt nicht auf.“
Übung 2: Dirigierende Handbewegung und analytisches Hören Sprechen Sie diesen oder einen anderen Text mit Gestik. Wenn Sie nicht gern gestikulieren, bewegen Sie wenigstens die Fingerspitzen ein wenig. Wer will, macht große Gesten und lässt der Stimme freien Lauf. Je freier die Sprechmelodie, desto besser für unsere Übung. Auch die Sprechpausen dürfen sich in Ihrer Gestik widerspiegeln. Dabei soll die Bewegung Ihrem Sprechen folgen, nicht andersherum. Hören Sie beim Sprechen genau hin: Wann hebt sich Ihre Stimme, wann schwebt sie, wann senkt sie sich? Beobachten Sie, ohne zu bewerten. Und probieren Sie mehrere Varianten aus. Wenn Sie sprechdenkend reden, klingt jede Version einzigartig!
Die Sprechmelodie steuern Ich habe oben beschrieben, wie die Stimme am Ende einer Sinneinheit fallen gelassen wird: „Auf den Punkt sprechen“ wird das genannt. Zur Erinnerung: Hierdurch wird den Zuhörenden angezeigt, dass ein Gedanke abgeschlossen ist. Siegrun Lemke (2012, S. 130) sagt: „Von besonderer Bedeutung für die Strukturierung und das Verstehen einer Äußerung ist neben der Melodiebewegung in den Akzentsilben die Endphase einer Gliederungseinheit. Sie beginnt beim letzten Akzent und reicht bis zu ihrem Ende. Die Melodieführung in der Endphase … kann fallend, schwebend oder steigend sein. Sie übermittelt dem Hörer Informationen über die Beziehung der Teile einer Äußerung zueinander (…)“ Dabei steigt, schwebt oder fällt die Sprechmelodie der letzten Silbe in der Äußerung.
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• Fallende Endmelodie/„auf den Punkt sprechen“/Tiefschluss: Sie zeigt an, dass eine Sinneinheit abgeschlossen ist (Abb. 2.18). Sie kann im Gespräch signalisieren, dass dem Gegenüber das Wort erteilt wird. Am Beispiel: „Was denken Sie dazu?!“ „Erzählen Sie doch mal!“ Sie tritt bei Doppelfragen auf: „Starten wir morgen oder übermorgen?“ „Sind alle Fragen geklärt oder ist noch etwas offen?“ • Schwebende Melodie/Halbschluss: Sie zeigt an, dass der Gedanke noch weitergeht. Die Stimme wird nicht abgesenkt und entspannt, sondern verharrt schwebend, sie hält die Spannung. Dabei kann es eine leichte Tendenz in richtig rauf oder runter geben. Die schwebende Melodie verbindet Inhalte miteinander. Am Beispiel: „Der erste Punkt ist wichtig. ➔ Der zweite jedoch auch.“ „Wir setzen diese Technik ein ➔ und viele andere auch.“ Die schwebende Melodie wirkt ankündigend. Am Beispiel: „Unsere Kollegin aus der Kommunikationsabteilung sagt: ➔ …“ • Steigende Melodie/Hochschluss: Sie zeigt wie die fallende Endmelodie die Abgeschlossenheit eines Gedanken an, allerdings fragend oder bestimmend. Die Stimmmelodie steigt deutlich an, die Stimmspannung ist erhört. Die Lautstärke nimmt final ab. Die steigende Endmelodie ist üblich bei Nachfragen. Am Beispiel: „Sie sagen, dass der erste Punkt wichtiger ist als der zweite?“ Die Wirkung kann von freundlich, offen bis bestimmend, verhörend sein. Am Beispiel: „Wie haben Sie das gemeint?“ (Abb. 2.18)
Abb. 2.18 QR-Code für Hörbeispiel. (Bild: Eigene Darstellung) 13_Sprechmelodie steuern https://www.jutta-talley.de/buch-ressourcen/ Code: 3050
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Übung: Sprechmelodie steuern (Audiobeispiel s. Abb. 2.18) 1. Sprechen Sie folgende Sätze mit fallender Endmelodie, also „auf den Punkt‟: Erzählen Sie doch mal, wie Sie das in der Gründungszeit der Firma erlebt haben. ൻ Erzählen Sie doch mal, wie Sie das erlebt haben. ൻ Erzählen Sie doch mal genauer. ൻ Erzählen Sie doch mal. ൻ Wenn Sie sagen, Sie fangen gerade erst an, wie meinen Sie das? ൻ Ich frage mich gerade: Wie meinen Sie das? ൻ Jetzt verstehe ich, wie Sie das meinen.ൻ Das kann ich verstehen. ൻ 2. Sprechen Sie folgende Sätze mit schwebender Melodie: Die Kollegin aus dem Team von Bernd sagt in dieser Frage wahrscheinlich: ൺ ja. Die Kollegin aus dem Team von Bernd sagt: ൺ ja. Die Kollegin sagt: ൺ ja. Die Kollegin sagt: ൺ Strukturiertes Sprechen ൺ und ein lebendiger Ausdruck gehört im Podcast oder Video dazu. Dazu gehört ൺ strukturiertes Sprechen ൺ und ein lebendiger Ausdruck. Strukturiertes Sprechen und ein lebendiger Ausdruck ൺ sind wichtig. Struktur ist wichtig ൺ Lebendigkeit auch. 3. Sprechen Sie folgende Sätze mit steigender Endmelodie. Sie können variieren zwischen freundlicher, offener Haltung oder hinterfragender, kritischer Haltung: Das ist richtig? ൹ Das ist aus Ihrer Sicht richtig? ൹ Das ist aus Ihrer Sicht als Ingenieur richtig? ൹ Das ist aus Ihrer Sicht als Ingenieur das richtige Vorgehen in diesem Fall? ൹ Gestern? ൹ War das gestern? ൹ Kam die Nachricht gestern schon an? ൹ Kam diese Nachricht wirklich gestern schon an? ൹
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2.14 Akzentuierung Sprache kann nur dann gut hörverstanden werden, wenn sie gegliedert wird. Wenn also wichtige Inhaltspunkte, zusammenhängende Sprecheinheiten oder Nebeninformationen angemessen formuliert und durch die sprecherische Gestaltung erkannt und verstanden werden. Zur Gliederung tragen wesentlich die Sprechpausen, die Sprechmelodie und die Akzentuierung bei. Auf die Sprechpausen und die Sprechmelodie bin ich zuvor eingegangen, zur Akzentuierung sagt Siegrun Lemke (2012, S. 127): „Mithilfe des Akzents markiert der Sprecher kommunikativ Wichtiges (was bedeutsam, neu oder auch widersprüchlich ist). Der Hörer erhält das Signal: Achtung, merken! Sparsame bedeutungsrelevante Akzentuierung erleichtert den Hörverstehensprozess, Akzenthäufungen wirken eher kontraproduktiv. Wird zu vieles akzentuiert und damit als wichtig hervorgehoben, erschwert dies das Verstehen.“ Was macht eine Akzentuierung aus? Der Akzent ist, vereinfacht gesagt, die Betonung einer Silbe im Wort. • Dafür wird die Tonhöhe verändert. Sie steigt oder fällt. • Das Sprechtempo wird verlangsamt. • Die Lautstärke wird erhöht oder vermindert • Die Sprechspannung steigt. • Es wird sehr präzise artikuliert. Manchmal werden Sprachlaute sogar besonders gedehnt oder mit besonderer Sprechspannung artikuliert. „Ich frage mich, — wann ist es so weit?“ Merksatz: Akzentuiert wird das relevante Neue, oder das Gegensätzliche. Akzenthäufungen erschweren das Hörverstehen.
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Übung Akzentuierung Wir greifen noch einmal auf den Redeausschnitt von Steve Jobs aus 2005 zurück (Dernbach, 2021). Sprechen Sie die markierten Silben akzentuiert und zwar auf zwei verschiedene Arten – sachlich und emotional. Mit sachlichem Akzent: Verändern Sie dafür die Sprechmelodie und Lautstärke. Mit emotionalem Akzent: Setzen Sie sogenannte emphatische Akzente. Dafür können Sie deutlich die Sprechmelodie verändern, Laute dehnen, vor dem Wort eine Staupause setzen und die Lautstärke verändern.
Die Arbeit wird einen großen Teil eures Lebens ausfüllen. Und der einzige Weg, wirklich zufrieden zu sein, ist das Bewusstsein, dass man großartige Arbeit macht. Und der einzige Weg, großartige Arbeit zu machen, ist, dass man liebt, was man tut. Wenn ihr es noch nicht gefunden habt – sucht weiter. Gebt euch nicht zufrieden. Wie mit allen Herzensangelegenheiten werdet ihr es wissen, wenn Ihr es gefunden habt. Und wie jede großartige Beziehung, wird es mit den Jahren nur besser und besser. Also sucht weiter, bis ihr es findet. Gebt nicht auf.
2.15 Die wichtigsten Regeln für das Sprechen Gute Rednerinnen und Redner beherrschen die Abwechslung: Dazu gehört eine lebendige Sprechmelodie, das absichtsvolle Entspannen der Stimme, das kluge Setzen von Pausen und das Akzentuieren. Diese Art zu sprechen, kann man lernen. Und dafür brauchen Sprecherinnen und Sprecher Hintergrundwissen. Denn gerade in der Arbeit mit Skripten, können sich sonst ungewollte Effekte einschleichen, wie das überbetonte Sprechen oder Abgelesenklingen.
Begriffsklärung: Wenn Gedanken mündlich zur Sprache gebracht werden, geschieht das in Etappen – vergleichbar mit Absätzen in der Schriftsprache. Diese werden Sinnschritte genannt. Sinnschritte können unterschiedlich lang sein. Sie können aus einem oder vielen Sätzen bestehen, manchmal aus mehreren Absätzen, wie ein langer Gedankengang. Innerhalb eines Sinnschritts gibt es einen Kerngedanken, einen Sinnkern.
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Das ist meist das relevante Neue. Dieser Sinnkern wird im spontanen Sprechen intuitiv besonders hervorgehoben, also akzentuiert. So können Zuhörende erkennen, was wichtig ist.
Die wichtigsten Regeln: 1. Wenn ein Sinnschritt abgeschlossen ist, spricht man „auf den Punkt“. Funktional bedeutet das „auf den Punkt sprechen“: Die Stimme senkt sich in die individuelle Wohlfühlstimmlage, und neue Luft fällt in der Atempause von allein ein. Hier entsteht eine Sprechpause. Sie wird idealerweise weder durch schnelles Weitersprechen noch durch Fülllaute (Ähm etc.) vorschnell unterbrochen. Wie man die individuelle Wohlfühlstimmlage findet, beschreibe ich im Abschn. 2.4 „Die entspannte Stimme“. 2. Nebeninformationen werden schneller und leichter gesprochen. Innerhalb eines Sinnschritts werden Sinnkerne betont, dabei verändern sich das Tempo, die Lautstärke und die Tonhöhe. Nach Stefan Wachtel (2003, S. 59) gibt es nur eine Hauptbetonung pro Sinnschritt, alle weiteren Akzentuierungen sind Nebenbetonungen und werden schwächer gesprochen. Innerhalb eines Sinnschritts müssen keine langen Pausen gemacht werden, aber nach einem Sinnschritt kann eine Pause wirkungsvoll sein – für das Hörverstehen! 3. Braucht man Luft, atmet man kurz und abfedernd. Es wird während des Redens immer sinnentsprechend geatmet, mit leicht geöffneten Lippen durch den Mund. Wenn man den Sprechrhythmus verlangsamen möchte und dabei die Spannung halten will, kann man mit Staupausen arbeiten. 4. Die Sprechmelodie ist innerhalb eines Sinnschritts lebendig. Die Tonhöhe darf sich während des Sprechens bewegen – sinken, schweben oder aufsteigen – je nach dem, was die Sprecherin oder der Sprecher als stimmig erlebt. Innerhalb eines Sinnschritts darf und sollte, je nach Kontext, mit voller Energie, kraftvoll und ausdrucksstark gesprochen werden. Am Ende aber, wenn ein Sinnschritt abgeschlossen wird, geht man in die Lösungstiefe. Man macht eine
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Atempause, bevor es weitergeht, und lässt den Zuhörenden Gelegenheit, das Gehörte nachwirken zu lassen. 5. Man betont immer sinnentsprechend. Wer ein Skript nutzt oder nach Stichwortkonzepten redet, kann Satzzeichen ignorieren. Denn Satzzeichen wie Kommas und Punkte sind grammatikalische Strukturen. Sie sind nicht an den natürlichen Betonungen des freien Sprechens orientiert, sondern sie unterstützen das Leseverstehen. Es kann vorkommen, dass Satzzeichen auf realisierte Pausen und Betonungen des spontanen Sprechens fallen. Oft wäre es jedoch ein Fehler, jedes Satzzeichen zu lesen. Dazu kommt: Viele Texte sind nicht so geschrieben, dass sie für das Sprechen gut funktionieren. Gerade deshalb ist es wichtig, vorbereitete Redebeiträge gut zu kennen, vorausschauend und sinnerfassend zu lesen und sprechdenkend zu reden. 6. Gutes Sprechen braucht guten Text. Texte, die gesprochen werden, schreibt man am besten sprechend. Man übt sie sprechend und passt sie ggf. noch einmal an. Wer mit Texten arbeitet, die von anderen verfasst wurden, sollte immer einen eigenen letzten Feinschliff vornehmen – und dafür Zeit einplanen. Mehr dazu gibt es im Abschn. 6.3 „Schreiben fürs Sprechen“. Lösungen für Sprechprobleme Wer sehr stark nach Satzzeichen spricht und z. B. ins „Häufchensprechen“ verfällt, also jeden Satz auf den Punkt spricht, kann sich dies abtrainieren: Löschen Sie dafür einfach alle Satzzeichen aus Ihrem Text. Das zwingt Sie, ohne die Hilfe der Satzzeichen sprechdenkend zu reden, also den Text zu erfassen, zu denken und dabei zu sprechen. Ihr Ziel ist, das eigene Sprechen zu optimieren? Dann lohnt es sich, das analytische Hören zu trainieren. Lauschen Sie dazu guten Sprecherinnen und Sprechern unter dem Aspekt der Sprechtechniken, und fragen Sie sich: Wann wird „auf den Punkt“ gesprochen? Wie gestalten gute Sprecherinnen und Sprecher die Sprechpausen? Wann sprechen sie schneller und leichter? Wann langsamer und betonter? Wer viel übt und dennoch abgelesen klingt, sollte die Qualität des Textes überprüfen und gegebenenfalls die Visualisierungsmethode ändern, also die Darstellungsform des Textes. Alternativen zur klassischen Textdarstellung sind der Treppentext oder Stichwortkonzepte und Mindmaps. Darauf gehe ich im Verlauf des Buchs ein.
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Oder frei sprechen. Viele Probleme lösen sich dann von selbst. Ich habe in dieser Frage noch keine hoffnungslosen Fälle erlebt. Es finden sich oft Wege, natürlicher und überzeugender zu sprechen, auch mit Skript. Wer allein nicht weiterkommt, findet in einem individuellen Sprechtraining Unterstützung.
2.16 Aufwärmprogramm für die Sprechstimme Dieses kurze Aufwärmprogramm können Sie vor einer Aufnahme durchführen. Es dauert ca. fünf bis sieben Minuten. Sie können die Übungen auch regelmäßig anwenden, um sich zu trainieren. Alle Hintergründe zu den Übungen finden Sie in den vorigen Kapiteln. Bodenkontakt • Auf der Stelle gehen, dann einen Moment auf den Fersen, Zehenspitzen, Außenseiten und Innenseiten der Füße gehen, dabei weiter atmen. Anschließend mit dem ganzen Fuß stehen und die Füße wahrnehmen. Sie sollten sich weich und beweglich anfühlen. Diesen Bodenkontakt beibehalten. • Den ganzen Körper strecken, sich räkeln. Anschließend sich mit einem guten Stand (Bodenkontakt) aufrichten und weiter atmen. Die Aufrichtung sollte aufrecht und durchlässig sein. Jederzeit ist Bewegung und Gestik möglich. Atmung • Sprechen Sie folgenden Konsonanten in Endlosschleife. Lösen Sie nach jedem Laut die Artikulationsspannung (Zunge, Lippen, Kiefer): pˇ – tˇ – kˇ • Achten Sie darauf, nach dem letzten „p“ die Lippen geöffnet zu lassen, die neue Luft fällt hier von ganz allein ein. Sprechen Sie: paperlapapˇ – paperlapapˇ – paperlapaperlapaperlapapˇ
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Kiefer • Gähnen Sie und streichen Sie dabei den Kiefer mit den Handflächen aus. Sagen Sie: „Ja, ja, ja.“ • Massieren Sie mit den Daumen entlang des Unterkiefers sanft den Mundboden. Artikulation • Lassen Sie die Lippen flattern. • Bewegen Sie die Zunge in jeden Winkel des Mundes. • Formen Sie im Wechsel Schnute und Grinsemund. • Verstecken Sie Ihre Zähne mit den Lippen, sprechen Sie nun sehr deutlich die Wochentage. Lassen Sie nun die Lippen „frei“ und wiederholen Sie zügig die Wochentage. • Sprechen Sie ein paar Sätze frei. Achten Sie darauf, den Kiefer locker zu lassen, die Lippen zu bewegen und raumfüllend zu sprechen. Stimme • Marmorkuchen, Oliven oder lieber eine warme Badewanne? Sich etwas Köstliches/Wohliges imaginieren und „Mmmmm“ sagen und genüsslich schmecken/kauen. Probieren Sie aus, wann Ihre Stimme am wohligsten klingt. • Bei der genüsslichen Vorstellung bleiben und „Mjom, mjom, mjom“ sagen. Währenddessen mit der flachen Hand nacheinander am Brustbein, am Scheitel und am Nacken die Stimmvibration spüren. • Diese Vibration sollte spürbar bleiben, wenn jetzt Worte gesprochen werden: „Mmmm – Marmorkuchen“ „Mmmmm – Guten Morgen“ usw. • Sprechen Sie Sätze. Achten Sie darauf, dass bis zum Satzende die Stimme vibriert: „Bei mir gibt es morgen Marmorkuchen!“
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2.17 Frauenstimme – Männerstimme Woher kommen die unterschiedlichen Stimmlagen bei Männern und Frauen? Es gibt große stimmliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Das ist anatomisch bedingt und liegt an der Größe und Dicke der Stimmlippen: Frauen sprechen eine Quinte bis eine Oktave höher als Männer, deren Kehlkopf sich in der Pubertät durch den Einfluss des Hormons Testosteron absenkt. Die längeren Stimmlippen der Männer sorgen für den tieferen Grundton. Der Körperbau von Männern sorgt ebenfalls dafür, dass die Stimme als tiefer wahrgenommen wird, denn der Vokaltrakt, in dem die Stimme ihre Resonanz entfaltet, ist größer als bei Frauen. Innerhalb eines Geschlechtes werden wiederum unterschiedliche Gruppen beschrieben, eine hohe, mittlere und eine tiefe Stimme. Diese große Bandbreite sorgt innerhalb der Menschheit für viel Klangvielfalt. Als Stimm- und Sprechtrainerin beobachte ich, dass es kaum ein spannenderes Thema für Menschen gibt, als die Frage nach der tiefen Stimme. Eine tiefe, sonore – also klangvolle – Stimme zu haben, scheint das Stimmideal schlechthin zu sein, für Frauen wie Männer. Wenn ich die Suchmaschine mit dem Begriff füttere, spuckt mir Google in 0,36 Sekunden 13.100.000 Ergebnisse aus. Woran liegt das und ist es eigentlich sinnvoll, sich nach einer tieferen Stimme zu sehnen? Stimme ist ein sekundäres Geschlechtsmerkmal. Lange, Bägemann und Zaretsky beschreiben (2017, S. 233): „Dass die sexualdimorphe Entwicklung des Stimmapparats maßgeblich von Geschlechtshormonen gesteuert wird, bestätigt die Annahme, dass sich die menschliche Stimme als Gegenstand für eine biologische Betrachtung eignet und im Kontext von Partnerwahl eine entscheidende Rolle spielen könnte. So könnte eine Stimme genau dann attraktiv sein, wenn sie die gewünschten physischen Merkmale des potenziellen Partners signalisiert.“ Und weiter: „Die menschliche Stimme erscheint (…) ebenso wie die körperliche Erscheinung als ein wichtiger Indikator für die Attraktivität einer Person. Dabei existieren kulturübergreifende Vorstellungen darüber, was als schön und damit auch attraktiv wahrgenommen wird.“
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Die tiefe Stimme wird besonders bei Männern als attraktiv gewertet. Bei Frauen ist es nicht ganz so einfach. Im beruflichen Kontext werden Frauen mit tieferen Stimmen als durchsetzungsstark wahrgenommen. Wenn es jedoch um die erotische Anziehungskraft geht, bevorzugen Männer Frauen mit hohen Stimmlagen (Vgl. Lange et al., 2017). In der täglichen Kommunikation mit anderen, haben wir ständig mit dem Thema Stimme zu tun. Ganz besonders wenn der visuelle Eindruck fehlt und wir andere nur hören. Dazu eine kleine Anekdote aus meinem Alltag: Bevor ich meine Coaching-Klienten live treffe, telefoniere ich meist mit ihnen. Ich war zum Vorgespräch verabredet und hörte eine sehr tiefe, kräftige Männerstimme. Es formte sich intuitiv ein Bild meines neuen Klienten: groß, breit gebaut, selbstbewusst. Das passierte ganz nebenbei. Ich merkte erst, welche Annahmen ich getroffen hatte, als es beim Treffen eine Abweichung gab. In diesem Fall wurde ich überrascht, die tatsächliche Körpergröße meines Klienten war ganz anders: klein, gar nicht breit. Die akustische Körpergröße war nicht in Übereinstimmung mit der tatsächlichen Körpergröße. Die akustische Körpergröße beeinflusst, wie wir andere einschätzen und das hat wie oben beschrieben evolutionäre Gründe im Hinblick auf die Fortpflanzung aber auch das Überleben. Denn tiefe Stimmen wurden mit der Körpergröße eines Lebewesens assoziiert. Wer den Bären hörte, hat aus gutem Grund die Flucht ergriffen. Das Brummen einer Biene löste bei den meisten Menschen jedoch keinen Fluchtimpuls aus. Dieser Mechanismus schützte vor möglichen Angreifern und ließ starke Verbündete ausmachen. Wer sich einem körperlich überlegenen Menschen anschließen konnte oder selbst einer war, hatte gute Überlebenschancen. Heute im Zeitalter einer Wissensgesellschaft ist es schwer vorstellbar, dass diese archaischen Muster noch wirken. Sie tun es – als Stereotype und meist unbewusst. Die hohe Stimme verändern – ja oder nein? Wer im Podcast, im Video oder auf der Bühne spricht, wird unweigerlich mit stereotypen Bewertungsmustern in Berührung kommen. Je nach dem auf welcher Hierarchiestufe Sie sich befinden, erfahren Sie davon oder auch nicht. Junge Fachkräfte bekommen teils auf sehr direktem Weg zu ihrer Stimme negative Bewertungen ihrer fachlichen
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Kompetenz, Persönlichkeit und Reife zu hören und zu spüren. Vorstandsfrauen haben mir schon davon berichtet, dass aufgrund ihrer Stimme die Kompetenzfrage gestellt wurde. Auch Männer sind davon betroffen. Die Versuchung ist hier groß, am Symptom zu arbeiten und die hohen Stimmen zu verändern. Und leider wird das manchmal übereifrig praktiziert. Ich beobachte nicht nur positive Tipps und Ratschläge zum Thema Frauen- und Männerstimme. Diese reichen von der einfachen Forderung tiefer zu sprechen zu konkreten Tipps, wie man Frauen- oder Männerstimmen absenken kann. Aus meiner Sicht ist das ein sensibles Thema mit mehreren Ebenen: • gesundheitlich, • persönlich, • organisational und • gesellschaftlich. Gesundheitlich: In der Regel wird nur in besonderen Fällen an einer Veränderung der Stimmlage gearbeitet, zum Beispiel mit TransgenderMenschen, die sich nicht mit ihrem Zuweisungsgeschlecht (also dem biologischen Geschlecht) identifizieren, können mit medizinischer Begleitung, psychotherapeutischer und logopädischer Hilfe gezielt an einer Stimme arbeiten, die ihrem Wunschgeschlecht entspricht. Aus der Perspektive der Stimmtherapeutin warne ich davor, eigenständig eine nicht dem eigenen Körperbau entsprechende Stimmlage anzutrainieren. Muskuläre Verspannungen können die Folge sein, die die Stimme in ihrer Funktion stören können. Im schlimmsten Fall schleicht sich eine chronische Stimmstörung ein. Persönliche Entwicklung: Liegt eine hohe Männer- oder Frauenstimme vor, kann es einfach sein, dass diese dem Körperbau entspricht. Hier sollte eher an der Akzeptanz der eigenen Stimme gearbeitet werden. Wenn die Stimme außerdem angespannt klingt, dann kann gezielt an einem entspannten Stimmklang gearbeitet werden, dazu finden Sie im Abschn. 2.4 „Entspannte Stimme“ praktische Hinweise und Übungen. Der Vorteil ist, dass eine entspannte Stimme auch tiefer wirkt. Häufig
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ist das bei sehr hohen, hellen Stimmen eine wirksame Stellschraube. Sich eine dunkle Stimmfarbe anzugewöhnen, kann eine weitere gesunde Stimmtechnik sein, die eine tiefe Stimmwirkung erzielt, ohne dass die Tonhöhe wesentlich herabgesenkt werden muss. Die Organisation und ihre Werte: Wenn Organisationen Diversität fördern und leben wollen, könnten sie reflektieren, inwiefern stimmliche Diversität ohne Diskriminierung bereits gelebt wird. Wenn Menschen mit hohen Stimmen innerhalb einer Organisation offen oder verdeckt die Kompetenz abgesprochen wird, ihnen nicht zugehört wird etc., könnte die Organisation sich fragen: Wer hat eigentlich das Problem – der Mensch mit der hohen Stimme, oder die Organisation, die Personen mit bestimmten Kommunikationsmerkmalen abwertet und gegebenenfalls überhört? Gesellschaftlich: Psychologische Studien beschreiben, wie attraktiven Menschen eher Kompetenz und Erfolg zugeschrieben wird. Dazu gehören auch Eigenschaften wie die Körpergröße und Attraktivität der Stimme (Vgl. Jonas et al., 2014). Gesellschaftlich ist es möglicherweise ein fortlaufender Prozess, sich über Stereotype bewusst zu werden und sie ggf. langfristig zu verändern. An dieser Stelle das Thema zu beenden, ist schwer. Denn die Frage nach der tiefen Stimme öffnet viele weitere Fragen. Was ist das Fazit? Stimme berührt nicht nur das Individuum, sondern hat eine Bedeutung für den Menschen in den unterschiedlichen Lebenswelten. Sollte man also an einer tieferen Stimme arbeiten? Ich schlage vor, die Frage umzuformulieren: Kann man an Stimmentspannung und Stimmfarbe arbeiten? Und meine eindeutige Antwort ist: Ja, das ist möglich. Sogar ohne sich zu zuz verstellen oder die Stimmgesundheit zu gefährden.
2.18 Stimmgesundheit Die Stimme begleitet uns durch unser ganzes Leben, sie ist einfach da und funktioniert von allein – wenn alles gut ist. Wie mit anderen Körperfunktionen ist es mit der Stimme auch: Man merkt erst wie
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großartig sie ist, wenn sie einmal nicht rund läuft. Wenn sie kratzt, schmerzt, man sich räuspert und ohne Grund nach durchfeierter Nacht klingt. Dann macht auch das Podcasten keinen Spaß. In der Regel sind Stimmprobleme von kurzer Dauer. Die Stimme kann sich selbst regenerieren, wenn sie eine Ruhepause bekommt und genug Flüssigkeit getrunken wird, am besten Wasser. Es kommt aber auch vor, dass Stimmprobleme bleiben. Ich möchte hier darauf hinweisen, woran Sie erkennen können, dass Sie etwas für Ihre Stimme tun müssen. Als Stimmtherapeutin weiß ich, wie wichtig Stimmgesundheit ist, deshalb machen wir hier einen kurzen Ausflug. Wenn man weiß, was der Stimme nicht gut tut, kann man daraus Lösungen ableiteten • Stimme reagiert auf Stimmung: Dauerstress oder extreme Anspannung mögen die wenigsten Stimmen. Sorgen Sie für Ausgleich. • Wer zu lang, zu laut und zu hoch (zu angespannt) spricht, kann die Stimme überbeanspruchen. Sie braucht dann eine Pause: Sprechen Sie mindestens 30 Minuten gar nicht, auch nicht flüstern. • Starke Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich und in der Halsund Kaumuskulatur können die Stimme beeinträchtigen. Versuchen Sie, diesen Verspannungen entgegenzuwirken, durch ausreichend Bewegung, Wärme, gute Haltung. • Trockene Luft belastet die Schleimhäute. Lüften Sie im Winter regelmäßig und trinken Sie genug: Gleich morgens zwei Gläser stilles Wasser sind für Menschen, die sprechen, eine gute Basis. • Infekte können sich auf die Stimme legen und sie beeinträchtigen, sie müssen auskuriert werden. Darüber hinaus gibt es noch viele andere Auslöser für Stimmprobleme wie Allergien, Rauch etc.
Stimmprobleme erkennen Sie daran, dass sich der Klang der Stimme verändert: Die Stimme kann in Abstufungen heiser, behaucht und rau klingen. Außerdem kann es sein, dass die Stimme ihr übliches Pensum nicht schafft und schneller ermüdet. Dann hat sie eine eingeschränkte stimmliche Belastbarkeit. Starke Stimmbeschwerden können so unangenehm sein, dass man Sprechsituationen am liebsten vermeiden würde. Was aber, wenn ein wichtiger Termin ansteht, wie eine Aufnahme mit lang geplantem Interview?
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Umgang mit akuten Stimmproblemen vor einer Aufnahme Angenommen Sie sind unverletzt und fieberfrei und haben akute Stimmprobleme. Sie wollen eine wichtige Aufnahme machen und Ihrer belasteten Stimme vorher bestmöglich helfen. • Ist die Stimme akut belastet, braucht sie akut Schonung. Sagen Sie deshalb alle Termine ab, die nicht unbedingt nötig sind, damit Sie Ihre Stimme vor und nach der Aufnahmesituation regenerieren kann. Achtung: Dies ist kein Moment, um längst überfällige Telefonate nachzuholen, tun Sie Ihrer Stimme etwas Gutes und genießen Sie die Stille. • Trinken Sie viel klare Flüssigkeit: Wasser, Tee (z. B. Thymian) • Sie können Bonbons lutschen. Sie befeuchten die Schleimhäute und das häufige Schlucken kann wohltuend sein. • Lax Vox: Wer sie noch nicht kennt, kann sie einfach lernen die Methode „Lax Vox“. Es wird dabei mit einem medizinischen Silikonschlauch auf „u“ in ein Wasserglas geblubbert, sehr viel komplizierter ist es nicht. Dieses Vorgehen ist einfach und wirksam, und es entspannt die Stimme. Die Logopädin und Lax-Vox-Expertin Stefanie Kruse bietet dazu kostenlose Lehrvideos auf YouTube an.
Bisher haben wir auf äußere Faktoren oder akute Probleme geschaut. Jedoch auch eine falsche Stimm- und Sprechtechnik und schwache Muskulatur können Gründe für Stimmprobleme sein. Hier ist die Funktion der Stimme betroffen. Manchmal ist es die neue Tätigkeit im Beruf, die die Stimme zunächst überfordert. Das ist dann der Fall, wenn die Muskulatur für die neuen Anforderungen nicht ausreichend trainiert ist, z. B. eine Rechtsanwältin, die von der Kanzlei in Vollzeit in die Hochschullehre wechselt, oder ein Ingenieur, der neuerdings vor großen Gruppen interne Unternehmensschulungen hält. Wer die eigene Stimme intensiver nutzt, kann einiges für die Stimmgesundheit tun. Dazu gehört, den eigenen stimmlichen und sprachlichen Ausdruck zu schulen und Wissen zum physiologischen Stimmgebrauch erlangen. Außerdem ist es wichtig, die Rahmenbedingungen in den Sprechsituationen zu überprüfen. Oft gibt es hier Verbesserungspotenziale, die angepackt werden können. Beispiele: • Hilfsmittel, z. B. technische Verstärkung in großen Räumen, gute Kopfhörer für die Podcastaufnahme • Ergonomisches Sitzen, z. B. in der Online-Lehre, beim Podcasten • Didaktisches Vorgehen, um den eigenen Sprechanteil zu reduzieren etc.
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Was ist, wenn Sie sich Sorgen machen, wenn die Stimmprobleme andauern und mit den akuten Hilfen nicht behoben werden können? Bei akuten, starken Beschwerden kann eine Entzündung vorliegen, das sollte man in einer Hals-, Nasen- und Ohren- oder phoniatrischen Praxis abklären und behandeln lassen. Meist ist dann Stimmruhe wichtig. Dauern Stimmprobleme länger als 2–4 Wochen an, sollten Sie ebenfalls ärztlichen Rat einholen. Stimmprobleme kann man behandeln, medizinisch, stimmtherapeutisch und osteopathisch, und so wieder zu einer gesunden, belastbaren Stimme kommen.
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3.1 Sprechen am Mikrofon In einem Unternehmen in Hannover läuft Max aus seinem Büro über den Flur, sein Laptop in der Hand, dabei ein paar Zettel. Er geht ein paar Türen weiter in das hauseigene Studio. Es ist geräumig, der Raumklang ist trocken. Die eigene Stimme klingt hier anders als draußen. Er legt seine Sachen auf ein großes Pult und spürt die leichte Anspannung. „Konzentration“, denkt er. Jetzt richtet er das Mikro aus, er steht davor. Die kleine rote Leuchte am Recorder blinkt. Gleich drückt er ein zweites Mal darauf und die Aufnahme läuft. Er spricht. Er spürt seinen Körper. Seine Lippen halten exakten Abstand zum Mikrofon. Diese Szene könnte zu einer guten Aufnahme führen, denn hier läuft alles richtig. Unser Sprecher ist vorbereitet, nimmt eine mentale und körperliche Sprechhaltung ein und kennt sich mit der Technik aus. Diese Kenntnisse sind wichtig für das Sprechen im Podcast und Video, damit eine gute Aufnahme entstehen kann. Denn ein Mikrofon kann leider nicht alles. Es ist abhängig von der Person, die es bespricht und kann nur aufnehmen, was als Signal ankommt. Das entstandene Material kann zwar später tontechnisch ausgeglichen, geschnitten und © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_3
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angepasst werden, wichtig ist aber, dass die Qualität des Rohmaterials brauchbar ist. Das heißt, die Rohaufnahme muss noch nicht perfekt klingen, sie sollte jedoch frei von Aufnahmefehlern sein, z. B.: starker Hall, zu geringes Eingangssignal, Übersteuerung oder Störgeräusche wie HandySignale oder Renovierungslärm. Auch schlechtes Sprechen kann dazu führen, dass die Postproduktion aufwendig wird oder das Ergebnis nicht überzeugt. Wenn Sie vor oder während einer Aufnahme solche Störungen bemerken, dann können Sie die Aufnahmesituation unterbrechen und das Problem lösen, bevor Sie weitermachen. Holen Sie sich zur Not Hilfe. Sie ersparen sich eine Menge Zeit und Arbeit in der Postproduktion, wenn Sie Störungen ernst nehmen. Denn häufig machen Versuche, eine schlechte Aufnahme zu „retten“, nicht glücklich. Damit man optimal mit dem Mikrofon arbeiten kann, muss man die Eigenschaften des Mikrofons kennen. Vielleicht arbeiten Sie immer mit demselben Mikrofon und sind routiniert im Umgang damit, sobald Sie aber in einen Podcast eingeladen werden, sehen Sie sich vielleicht mit ganz ungewohnter Technik konfrontiert. Auch wenn Mikrofone alle die Aufgabe haben Schall aufzunehmen, haben sie je nach Richtcharakteristik unterschiedliche Stärken und Schwächen. Mache nehmen den Raumklang auf: Diese Mikrofone bespricht man nicht direkt, sondern man spricht wie mit einer im Raum anwesenden Person. Der würde man auch nicht direkt ins Ohr sprechen. Bei Mikrofonen mit Nierencharakteristik ist das anders. Sie brauchen das direkte Stimmsignal – im richtigen Abstand, mit dem richtigen Winkel. Dreht man sich hier beim Sprechen versehentlich weg oder verändert die Distanz zum Mikrofon kann sich das dramatisch auf die Aufnahme auswirken. Diese unterschiedlichen Eigenschaften nennt man Richtcharakteristika. Je nachdem, was ansteht, z. B. mobile Aufnahmen oder ein Interview im Studio, können unterschiedliche Mikrofone sinnvoll sein. Übrigens: Zu technischen Ausstattungen in Podcasts und Videos gibt es zahlreiche Blogs, oder Tipps und Beratung im Musikfachhandel.
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Um sich als Sprecherin oder Sprecher optimal verhalten zu können, sollten Sie die Charakteristik des Mikrofons kennen. Angenommen Sie sind zu Gast in einen Podcast oder sprechen auf einer Bühne und sollen mit fremdem Equipment arbeiten. Wie können Sie vorgehen? Wer technikaffin ist, erkennt vielleicht mit einem Blick, um was für ein Mikrofon es sich handelt und stellt sich sprecherisch darauf ein. Aber nicht jede Person möchte sich tiefergehend mit Tontechnik beschäftigen und kennt sich aus. Sie können einfach bei den Hosts oder dem Technik-Team nachfragen. Jede Sprecherin und jeder Sprecher sollte sich bewusst darüber sein, dass es je nach verwendeter Aufnahmetechnik unterschiedliche Anforderungen gibt. Für ein gutes Ergebnis gehört es dazu, sich auf die Technik einzustellen. Praxistipps für den Umgang mit fremder Technik und remote Interviews • Fragen an die Tontechnik oder die Veranstaltenden: – Welche Eigenschaften hat das verwendete Mikrofon? – Worauf soll ich beim Sprechen achten? – Welchen Abstand sollte ich einhalten? • Wenn Sie als Fachperson, Autorin oder Autor häufiger als Gast von Zuhause aus in Podcasts auftreten, dann lohnt sich die Anschaffung eines geeigneten eigenen Mikrofons. So können Sie sich in den remote Situationen wohlfühlen und für gute Qualität sorgen.
Pop und Zisch Beim Sprechen geben bestimme Laute, die Explosivlaute, ruckartig Luft ab. Sie entstehen, wenn ein Verschluss im Mundraum „gesprengt“ wird, wie bei: /p/ /t/ /k/. Dieses plötzliche Sprengen kann in einer Aufnahme zu einem unschönen „Pop-Geräusch“ führen. Nicht bei jeder Person und nicht mit jedem Mikrofon kommt es hier zu Problemen, dennoch empfiehlt es sich, eine kleine Probeaufnahme zu machen und ggf. den Abstand zum Mikrofon etwas zu vergrößern. Alternativ oder zusätzlich kann man einen „Pop-Schutz“ verwenden. Das ist ein biegsamer Arm, der vor dem Mikrofon positioniert wird oder ein Schaumstoffüberzug, der direkt am Mikrofon angebracht wird.
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„Pop“ testen – Text für Probeaufnahme: In unserer heutigen Podcastfolge tritt Petra auf. Im Aktien-Report berichtet Sie über aktuelle sparplanfähige Wertpapiere. Zischende Frikative können das Ohr ebenfalls belästigen. Das sind die stimmlosen Zischlaute /f/ /s/ /sch/ /ch/ (wie in „ich“) oder /ch/ (wie in „auch“). Auch hier gilt: nicht immer müssen Zischlaute zu Problemen führen. Ein kurzer Test vor einer Aufnahme gibt Sicherheit. „Zisch“ testen – Beispiel für Probeaufnahme: Herzlich willkommen, liebe Betsy! Schön, dass du da bist! Du berichtest in Kürze darüber, was du auf der Messe alles erlebt hast. Vorher… Wer mit Profis aus der Tontechnik aufnimmt, kann deren geschulten Ohren vertrauen. Sie hören schon beim Einpegeln mögliche Probleme und sorgen für einen guten Klang auch ohne Testsätze. Tipp für das Einpegeln: Nehmen Sie Ihre äußere und innere Sprechhaltung ein und sprechen Sie genau so, wie Sie es in der Aufnahme auch tun werden.
3.2 Sprechen in der Aufnahme Zurück zu Max, unserem Podcaster im Unternehmen: Er ist nach dem ersten Take nicht zufrieden und startet eine zweite Aufnahme. „Sprich deutlich.“ „Denk an die Atemtechnik.“, geht ihm durch den Kopf. Während er spricht, ist er ganz bei sich. Wenn er sich verspricht, hält er kurz inne. Er wartet einen Atemzug ab und spricht dieselbe Stelle nochmal. Dabei setzt er etwas früher an und spricht einen ganzen Sinnbogen – also einen Gedanken. Über die Versprecher ärgert er sich nicht. Er weiß, sie gehören ein Stück weit dazu. Eine Aufnahme machen ist leicht. Eine Aufnahme machen und in der Nachbearbeitung nicht zu viel Aufwand haben, das ist das Ziel.
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Es erfordert Vorbereitung und Sprechdisziplin. Denken Sie an die Outtakes in Spielfilmen oder Serien: Das sind lustige, peinliche Versprecher oder Lachanfälle der Schauspielerinnen und Schauspieler. Sie können einfach herausgeschnitten werden, weil zusammenhängendes, brauchbares Material gedreht wurde. Das also diese „Fehler“ passieren, ist normal. Und nicht schlimm, wenn nebenbei Aufnahmen entstehen, die im Endprodukt hochwertig genutzt werden können. Das macht Professionalität aus. Rechnen Sie damit, dass Sie sich versprechen, Sie den Faden verlieren, sich bekringeln vor Lachen, oder einen Satz nicht aussprechen können und ändern müssen. Ärgern Sie sich nicht darüber. Akzeptieren Sie es als die Natur der Aufnahmesituation: bis zu 10 Takes sind im Rahmen des Normalen. Meine Beobachtung ist: Die meisten bekommen mit 2–5 Takes eine gute Aufnahme hin. Wenn auf einer Aufnahme leichte Atemgeräusche, oder hin und wieder ein „ähm“ zu hören ist, dann ist das für viele Podcast- und Videoformate vollkommen in Ordnung und kein Zeichen für schlechte Qualität. Diese Fülllaute müssen nicht herausgeschnitten werden und Ärger darüber ist überflüssig. Praxistipps: Sprechen in der Aufnahme Um gutes Rohmaterial aufzunehmen, gehen Sie wie folgt vor: • Wenn Sie mit Skript arbeiten, beachten Sie die Regeln in Abschn. 6.3 „Schreiben fürs Sprechen“. Dann haben Sie die Voraussetzungen dafür, flüssig und authentisch zu sprechen. • Übergehen Sie kleine Versprecher. Bleiben Sie konzentriert und sprechen Sie weiter. • Bei größeren Versprechern oder Fehlern, die Sie nicht übergehen können oder wollen, halten Sie im Sprechen inne. Bleiben Sie in Ihrer Sprechhaltung – schimpfen Sie nicht mit sich selbst, kommentieren Sie nicht, sondern atmen Sie einmal durch und beginnen Sie den letzten Gedanken erneut zu sprechen. Sprechen Sie anschließend einfach weiter.
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Fehler, die Sie vermeiden können • Vermeiden Sie Geräusche, die nicht oder nur mühselig herausgeschnitten werden können: Damit sind alle Störgeräusche gemeint, z. B. Signaltöne des Handys, Baustellenlärm, raschelndes Papier etc. • Wenn Sie dazu neigen, ständig sehr laut zu atmen, arbeiten Sie an Ihrer Atemtechnik. Das konsequente Herausschneiden der Atempause ist nicht empfehlenswert. Denn gerade die Atempausen zeigen das Menschliche, sie ermöglichen den Zuhörenden sich einzufühlen und mitzudenken. Wer laute Atemgeräusche mühsam in der Nachbereitung herunterfadet, hat oft eine Menge Arbeit. • Füllwörter oder Lieblingsworte sind bis zu einem bestimmten Grad normal und sollten je nach Kontext des Podcasts nicht herausgeschnitten werden. Wenn sie gehäuft auftreten, erschweren sie das das Zuhören. Mittelfristig könnten Sie sich das abtrainieren. • Etwas, was Zuhörende sehr stören kann, ist das „zustimmende Grunzen“ im Interview. Was im persönlichen Gespräch die empathische Kommunikation ausmacht, ist im Podcast oder auf der Bühne keine gute Idee. In der Nachbearbeitung kann das „Hmm“ meist nur herausgeschnitten werden, wenn unterschiedliche Tonspuren verwendet wurden. Die Arbeit kann man sich sparen, wenn man als zuhörende Person still zuhört.
3.3 Audio versus Video Gibt es große Unterschiede, ob man im Video oder einem Audioformat spricht? Was die reine sprechtechnische Ergebnis angeht, gibt es diese Unterschiede zwar nicht. Allerdings können im Video natürlich nicht alle Hilfsmittel wie Skripte oder lustige Bewegungen, die das eigene Sprechen akzentuieren, eins zu eins so eingesetzt werden wie in einem reinen Audioformat. Das macht das Sprechen im Video anders. Es muss einem klar sein, wie man im Bild zu sehen ist. Dabei gibt es eine Bandbreite von Bildausschnitten, Perspektiven, Arbeit mit oder ohne Schnitt, Einblendungen von Inhalten oder Bildern usw.
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Für Formate, die mit einer Aufnahme beides liefern, einen reinen Audio-Podcast und ein Videocast, der z. B. auf Social Media ausgespielt wird, ist es besonders wichtig, darauf zu achten, dass jedes Format für sich allein funktioniert. Jemand, der damit viel praktische Erfahrungen gesammelt hat, ist Achim Barczok. Er leitet den Bereich Leser und Qualität c’t bei der Heise Medien GmbH & Co. KG. Er kümmert sich unter anderem um die Textredaktion der c’t, man kann ihm aber auch regelmäßig auf YouTube im c’t uplink und auf X (ehemals Twitter) als @achim begegnen. Ich habe ihn gefragt, wie es zum Podcast c’t uplink kam. Interview mit Achim Barczok, Co-Host des Podcasts c’t uplink Wie kam die Idee zum Podcast c’t uplink auf? Achim: c’t uplink war kein strategisch geplantes Projekt im Verlag, sondern entstand als Idee aus der Redaktion. Schon länger hatten einige Redakteure Interesse, mit neuen Video- und Audioformaten wie Podcasts oder YouTube-Sendungen zu experimentieren. Nachdem ein neues Videostudio im Verlag gebaut wurde, nahmen vier Redakteure vom c’t Magazin und heise online zwei Podcastfolgen auf und stellten sie als Video auf die Webseite c’t. Die Idee: Ein wöchentliches Format, in dem die Moderatoren zum einen über aktuelle News-Themen, zum anderen über Tests und Wissensbeiträge aus dem c’t-Magazin sprechen. Der Podcast sollte vor allem neue Zielgruppen erreichen und ihnen das Magazin näherbringen. Er sollte aber auch ein Instrument zur Kundenbindung sein: Leser der c’t lernen die Redaktion näher kennen und erhalten Hintergrundinformationen zu den Artikeln. Das Konzept stellten sie mit den beiden ersten, als „Podcastexperiment“ markierten Online-Sendungen der Chefredaktion vor, die grünes Licht für das Projekt gab. Ihr betreibt den Podcast im Team und interviewt Kolleginnen und Kollegen aus dem Verlag. Erzählt doch mal: Was hat von Anfang an gut geklappt und an welchen Stellen musstet ihr euch intensiver auseinandersetzen – bezüglich Planung und Durchführung? Achim: Gut geklappt hat es von Beginn an, die Kollegen aus der Redaktion für das Projekt zu begeistern und in die Sendung zu bekommen. Auch die Atmosphäre im Podcast hat von Anfang an gepasst: Weil wir uns alle gut kennen, kam sofort eine gute Gesprächsatmosphäre auf. Allerdings haben wir schnell gemerkt, dass es nicht reicht, einfach nur auf den richtigen Themenmix zu schauen, auch der „Personenmix“ muss stimmen. Und obwohl die meisten Kollegen bereits Erfahrung mit Inter-
84 J. Talley viewsituationen haben, sprechen einige in der Sendung zu schnell, andere antworten zu lang oder reden am Thema vorbei. Wir haben uns dann darauf eingestellt und darauf geachtet, uns im Briefing mit den Kollegen vorher genug Zeit zu nehmen, um solche Dinge zu besprechen und im Anschluss konstruktives Feedback zu geben. Wir haben außerdem Sprechtrainings angeboten. Und nicht zuletzt mussten wir auch an unserer Moderation arbeiten. Als Magazinredakteure hatten wir nur wenig Erfahrung mit Audioformaten. Eine lockere Gesprächsatmosphäre bekommt man zwar schnell hin, aber für eine richtig tolle Sendung mit guter Gesprächsführung war noch viel Luft nach oben. Wir haben uns aber auch dazu entschieden, dass es okay ist, dass wir in unserem Podcast nicht perfekt ausgebildete Radiomoderatoren sind. Hat sich sonst noch etwas geändert seit dem Start? Achim: Wir habe viel mit dem Format experimentiert. Zu Beginn haben wir Newsthemen mit Magazinthemen gemixt, später pro Folge drei Themen aus dem Heft besprochen. Inzwischen machen wir fast ausschließlich monothematische Sendungen. Außerdem hatten wir nach einiger Zeit eine so große Reichweite, dass sich Unternehmen bei unserer Sales-Abteilung erkundigten, ob sie Anzeigen in c’t uplink schalten können. Wir haben uns dann dazu entschieden, Werbeslots einzubauen und ein Konzept dafür erarbeitet. Ihr produziert euren Podcast zusätzlich als Videocast für YouTube, worauf muss man dabei achten? Achim: In unserem Fall hat das Videoformat einiges erleichtert. Wir hatten im Verlag professionelle Videoproducer mit einem toll ausgestatteten Studio, die uns das Produzieren der Sendung komplett abnehmen konnten. Der größte Vorteil liegt in der größeren Zielgruppe: Wir konnten mehr Kanäle bespielen, zum Beispiel auch YouTube und Smart-TV-Apps. Der Aufwand beim Produzieren steigt dadurch aber natürlich, vor allem beim Schneiden: Mal eben „Ähhs“ oder einen verunglückten Beitrag rauszunehmen ist schwierig. Damit das im Rahmen bleibt, haben wir uns mit unseren Producern darauf geeinigt, die Sendung „live on tape“ aufzuzeichnen. Sie wird also wie eine Livesendung gefahren: Versprecher bleiben drin und der Moderator kann nicht zwischendurch unterbrechen und neu anfangen. Es gibt nur eine Videospur, der Producer wechselt die Ansichten live in der Sendung. Es wird kaum etwas nachbearbeitet. Für den Moderator ist die größte Herausforderung, darauf zu achten, dass die Sendung auch ohne Bild funktioniert. Zeigt ein Kollege beispielsweise
3 Technik und Präsenz 85 in der Sendung das Innenleben eines Computers, muss auch für den Podcastzuhörer klar sein, was da gerade zu sehen ist. Kniffelig ist auch das Einbinden von Werbung: Viele Unternehmen erwarten ein reines Audioformat und sind gar nicht darauf vorbereitet, gleichzeitig ein Video- und ein Audioformat zu bespielen. Angenommen, ein Team eines Unternehmens plant ein ähnliches Projekt wie eures, was würdest du sagen, wie viel Aufwand bedeutet die Produktion einer Folge für euch? Achim: Redaktionell erfordert ein Gesprächspodcast wie c’t uplink deutlich weniger Zeit als ein Feature-Beitrag, wie man ihn etwa von TrueCrime-Podcasts kennt und der viel Zeit für Schnitt und Nachbearbeitung erfordert. Für eine Folge c’t uplink rechnen wir mit maximal zwei Stunden Vorbereitung: Redaktionstreffen, Organisation, Sendungsvorbereitung und Briefing. Dank „live on tape“ sind wir für eine Stunde Sendung maximal eineinhalb Stunden im Studio. Für die Postproduktion benötigt unserer Videoproducer in der Regel nicht mehr als eine Stunde. Dazu kommt aber noch die redaktionelle Nachbereitung: Wir machen für jede Sendung ein Extra-Thumbnail mit Foto vom Moderator, das unser Producer noch mit Text und Effekten aufhübscht. Wir schreiben einen kurzen Text mit Sendungshinhalt für die Podcast-Apps, Spotify, YouTube und heise online. Und um die Folgen zu bewerben, nehmen wir außerdem kleine Insta-Videos auf. Nicht unterschätzen darf man den technischen Aufwand, vor allem, wenn man mit einem neuen Podcastprojekt startet. Einen reinen Audiopodcast bekommt man mit mehreren guten Mikrofonen und passender Software auch ohne Profi-Erfahrung hin und kann sich dann von Folge zu Folge in puncto Qualität und Sendungsausgestaltung steigern. Ein Videoformat hätten wir aber ohne einen professionellen Videoproducer und das sehr gut ausgestattete Videostudio im Verlag nur schwer hinbekommen. Vielen Dank, lieber Achim Barczok, für die Einblicke!
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3.4 Präsenz Am Beispiel des Gesprächspodcast c’t uplink wird deutlich, wie viel Moderierende und Gäste in der Aufnahmesituation gleichzeitig beachten müssen, damit alles rund läuft. Achim Barczok erzählte, wie die Moderierenden, ihre Gäste gut begleiten müssen und gleichzeitig ihre eigene Art des Sprechens und Formulierens beachten und Inhalte transportieren (Abb. 3.1). Diese geteilte Aufmerksamkeit zu halten, braucht Konzentration und Leidenschaft. Ohne diese ist es schwierig, präsent aufzutreten. Präsenz ist die beharrliche Aufmerksamkeit und Verbundenheit mit dem Publikum, dem Thema und mir selbst. Sie ist von anderen spürbar. Damit meine ich nicht die Strahlkraft oder das Charisma einer Person, sondern die Fähigkeit, sorgsam und mit der passenden Ausstrahlung für eine bestimmte Dauer den Bezugsrahmen einer Situation zu halten – beim Sprechen im Podcast, Videocast oder auf der Bühne. Dabei stehen drei Bereiche im Fokus: das Thema, die Menschen und man selbst, siehe Abb. 3.1. • Ganz beim Thema sein Wenn es sich nicht gerade um einen „Laber-Podcast“ handelt, ist die inhaltliche Vorbereitung wichtig, das ist den meisten (oder allen)
Abb. 3.1 Präsenz. (Bild: Eigene Darstellung)
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klar, die ein Audio- oder Videoformat planen. Ob es sich um ein Gesprächsformat oder einen fachlichen Beitrag handelt, in der Aufnahmesituation müssen die vorbereiteten Inhalte abgerufen und ansprechend transportiert werden. Ein Teil der eigenen Aufmerksamkeit richtet sich also fortlaufend darauf, den dramaturgischen roten Faden im Blick zu behalten und das Thema zu vermitteln. Ganz bei den anderen sein Wie geht es meinen Gästen? Und was brauchen die Zuhörenden, um gut folgen zu können? Geleitet von diesen Fragen werden Hosts sich den anderen aufmerksam zuwenden – für die gesamte Dauer der Aufnahme. Natürlich wird niemand einen Live-Gast nach einer Aufnahme direkt fallen lassen, das ist sicher eine Selbstverständlichkeit. Dennoch könnte man die Idee haben, mit guter Vorbereitung sei die Aufnahmesituation ein Selbstläufer. Das kann sein, ist aber nicht sicher, und deshalb braucht es eine positive Sorge um die anderen. Auch um die nicht-anwesenden anderen wie das Publikum. Ganz bei sich sein Ob zu Gast oder als Host – als Sprecherin oder Sprecher soll es mir in einer exponierten Sprechsituation körperlich und geistig so gut gehen, dass ich eine gute Leistung abliefern kann. Folgende Fragen können weiterhelfen: Wie sitze oder stehe ich? Was brauche ich, damit ich mich gut konzentrieren kann und meine Sprecheinstellung authentisch aufrechterhalten kann? Wie kann ich mich beruhigen, wenn mich Aufregung kalt erwischt. Auf was freue ich mich, wenn alles gut gelungen ist? Ein Teil der eigenen Aufmerksamkeit richtet sich in einer Aufnahmesituation auf einen selbst. So kann man nachsteuern, wenn es nötig ist, z. B. bewusst auf Sprechpausen achten, wenn man vor Aufregung davon galoppiert. Merksatz: Präsenz ist beharrliche Aufmerksamkeit und Verbundenheit, die von anderen spürbar ist.
Eine hohe Präsenz erfordert besondere Konzentration und ist auch der Grund, weshalb exponierte Redesituationen für die meisten Menschen eine gewisse Anstrengung bedeuten. In der Psychologie wird
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beschrieben, wie geteilte Aufmerksamkeit zu einer erhöhten Erregung führt, da ein Ablenkungskonflikt herrscht: Konzentriere ich mich voll auf das Thema, meine Gäste oder meine Atemtechnik? Wer gut vorbereitet ist, kann in dieser Situation mit einer Leistungssteigerung rechnen (Vgl. Aronson, 2014, S. 320). Dieser Ablenkungskonflikt ist natürlich nicht ausnahmslos lösbar, ich habe bisher kaum jemanden kennengelernt, der oder die über eine längere Zeit perfekt die eigene Präsenz aufrecht erhalten konnte. Einem Bühnenprofi passierte es, dass sich sein Akzent einschmuggelte, obwohl er exzellentes Hochdeutsch beherrschte. Ihm ist in diesen Momenten die Konzentration auf sich ein Stück weit verloren gegangen. Eine CEO verfiel in eine sehr sachliche Sprechweise, die keinerlei Kontakt zu ihrem Interviewpartner im Podcast vermuten ließ. Sie war zwar ganz beim Thema und gab dies korrekt wieder, aber konnte sich nicht einlassen auf eine echte Begegnung mit ihrem Gegenüber. Sie sehen schon, wo das hinführt. Beim inneren Ausloten der Aufmerksamkeit kann einem einer der drei Bereiche verloren gehen. Das ist menschlich. Die eigene Konzentrationsfähigkeit kann man jedoch wie einen Muskel verstehen. Er kann trainiert werden. Ob im Podcast oder Video – manchmal unterschätzen Fach- und Führungskräfte, wie körperlich und mental anstrengend exponiertes Reden ist. Es ist zu erwarten, dass man nach einer Podcastaufnahme eine Pause braucht. Und auch nach einer Rede oder Podiumsdiskussion sollte Regenerationszeit eingeplant werden. Auch ausgebildete Bühnenprofis brauchen Erholung. Zur Vertiefung: Präsenz – Was ist damit gemeint, und was nicht? „Persönliche Präsenz ist kein Synonym für Charisma. Sollten Sie eine charismatische Ausstrahlung haben – wunderbar! Das schadet sicher nicht, weder beim Vortragen oder sonst. Allerdings: Ich glaube nicht, dass die schwer fass- und definierbare Eigenschaft Charisma notwendige Bedingung für das Halten guter Vorträge ist.“ (Winkler, M., & Commichau, A., 2005, S. 71). Charisma wird häufig der Persönlichkeit zugeschrieben. Einige Dienstleister bieten spezielle Coachings an und feilen am charismatischen Auftreten. Wie in jedem Trainingsansatz ist Vorsicht geboten, wenn ausschließlich oberflächlich ein „perfekter“ Auftritt erarbeitet wird und Sprecherinnen und Sprecher dafür einen schematischen Ausdruck ein-
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studieren. Eine negative Folge kann sein, dass Betroffene „maskiert“ auftreten. Sie bauen eine Fassade auf, die vordergründig überzeugend und motivierend wirkt. Erhascht man einen Blick dahinter, kann dort Unsicherheit und Vereinzelung liegen. Wenn Sie im Podcast oder Video präsent auftreten, dann geht es nicht darum, sich hinter einer „Maske“ zu verstecken. Sie müssen auch nicht auf eine Verwandlung in eine charismatische Superheldin oder einen Superhelden warten. Es geht um Stimmigkeit – also situativ passend zu sprechen und authentisch zu sein. (Vgl. Schulz von Thun, 2016, S. 18).
3.5 Mimik und Gestik • Szene 1: Marie steht aufrecht. Die Hände stecken tief in den Hosentaschen, direkt vor ihrem Mund hängt das Mikrofon. Die Aufnahme läuft, und beim Sprechen merkt sie, es könnte lebendiger klingen. Auf meine Frage, weshalb sie nicht gestikuliere, antwortet sie, in anderen Situationen mache sie das. Allein der Gedanke, die Hände herauszuziehen bereitet ihr Unbehagen: Wohin mit ihnen? • Szene 2: Überall Kameras. Zwei Leute sprechen am Tresen. Die Handflächen der CEO Kathy berühren fest die Oberfläche, sie bleiben exakt dort, die ganze Zeit. Sie spricht gut. Das Bild wirkt jedoch statisch. Sie sagt über sich selbst, sie gestikuliere nie. • Szene 3: Für das Insta-Reel hält Nemo das Gesicht direkt in der Kamera. Die Hände sind im Bild. Sie bewegen sich rhythmisch vor und zurück, vor und zurück, immer im selben Tempo. Das Sprechen wirkt dynamisch und angestrengt, die zuckenden Hände lenken ab. Ich frage ihn, weshalb er die Bewegung nicht variiert. Er sagt, er hätte sich endlich so weit, zu gestikulieren, könne sich aber ausschließlich so bewegen. • Szene 4: Jörg ist Host, er sitzt am Tisch. Direkt vor ihm steht ein Mikro. Er schaut seine Gesprächspartnerin frontal an und begrüßt sie. Sie spricht leicht vorgebeugt, ihn anschauend in das vor ihr stehende Mikrofon. Er senkt den Kopf, schaut während sie spricht auf seinen Zettel. Das Interview wird als reines Audioformat ausgespielt und als Video auf YouTube hochgeladen. Ich frage ihn, warum er sein Gegenüber nicht anschaue. Er schweigt. Ich schaue auf Mimik und Gestik durch die Brille einer Atem-, Sprechund Stimmlehrerin. Dabei schätze ich Wechselwirkung zwischen
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Außenbewegung und Innenbewegung, die man sich für das Sprechen zunutze machen kann. Mimik und Gestik sind untrennbar mit dem stimmlichen und sprecherischen Ausdruck verbunden und sie sind deshalb ein kleiner Schatz, den man für sich heben kann. Gestik kann sich direkt positiv auswirken auf die Atmung, auf den Stimmklang, die Sprechmelodie und Akzentuierung u. v. m. Sie hilft Gedanken zu strukturieren und „auf den Punkt“ zu sprechen. Sie kann entschleunigen oder beschleunigen. Gestik ist individuell und kann beim Gegenüber Vertrautheit schaffen. Sie hat persönlichen Wiedererkennungswert. Es müssen keine bestimmten Gesten einstudiert werden. Gestik, die das Sprechen unterstützt, braucht Bewegungsqualität. Sie passt zum Gesagten und zu der inneren Sprechhaltung, also den Emotionen und Motiven. Das Grundprinzip ist: Körperbewegungen, die den Sprechausdruck unterstützen, sollen zugelassen werden. Sie können für die Steigerung der persönlichen Präsenz sogar verstärkt werden, ohne sich dabei zu verstellen. Vergrößern Sie dazu einfach Ihre vorhandene Gestik. Denken und sprechen Sie etwas weiter nach vorn. Ich rate Menschen, die so gar nicht gestikulieren wollen, manchmal dazu, wenigstens die Fingerspitzen zu bewegen. Selbst diese kleine Minibewegung, kann sich schon positiv auf den eigenen Ausdruck auswirken. Minimale Gestik mit großer Wirkung – probieren Sie es doch einmal aus! Die Hände Die veränderte Situation in einem Studio oder auf einer Bühne kann dazu führen, dass man plötzlich nicht mehr weiß: Wohin mit den eigenen Händen? Eine einfache Lösung ist: Die Hände weder hinter dem Rücken halten, noch in die Taschen stecken, sie können stattdessen auf Bauch-BrustHöhe gestikulieren. So lange Sie grundsätzlich in ihrer Gestik flexibel sind, ist nichts gegen kurzes Ablegen auf einem Tisch, kurzes Armehängenlassen etc. zu sagen. Wo Sie in jedem Fall gegensteuern können, ist eine starre, fixierte Haltung wie in den Beispielszenen eins und zwei. Die Beine Manche Menschen verknoten sich regelrecht. Im Stehen oder im Sitzen werden die Füße umeinander geschlungen, sodass das Publikum
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sich fragen muss, ob die Person sich je wieder befreien kann. Die verknoteten Beine werden häufig als ein Zeichen von Unsicherheit gedeutet. Für einen guten Bodenkontakt, der für die Stimme wichtig ist: Entknoten Sie sich! Einmal überschlagene Beine dürften reichen. Achten Sie im Sitzen und Stehen auf Ihren Bodenkontakt. Der Blickkontakt Was im Podcast nur im Kontakt mit Gästen eine Rolle spielt, ist in Videoformaten ein großes Thema. Ich zeige hier einige Möglichkeiten, ohne dabei eine Präferenz zu haben oder Ihnen einen Weg vorschlagen zu wollen. Wie Sie in Ihrem Format mit dem Thema Blickkontakt umgehen, bleibt allein Ihnen überlassen. Je nachdem wie Sie sich entscheiden, gibt es jedoch ein paar technische Spielregeln: Wird direkt in die Kamera gesprochen, dann muss der Blick direkt in die Linse gehen. Wird die Kamera pseudodirekt angesprochen, liest man also gegebenenfalls vom Teleprompter oder Zettel ab, dann geht der Blick neben, über oder unter die Linse. Zum Blickkontakt ist wichtig zu wissen, dass im natürlichen zwischenmenschlichen Gespräch ein andauernder Blickkontakt unnatürlich wäre. Dieses Anstarren des Gegenübers kann übergriffig, angriffslustig, aggressiv oder psychotisch wirken. In vielen Videoformaten ist der direkte Blick in die Linse etabliert. Manche YouTuberinnen und YouTuber orientieren sich aber auch am natürlichen Blickkontakt und inszenieren diesen durch eine Mischung aus direktem Blick in die Kamera und nachdenklichem zur Seite oder nach oben schauen und Blick auf ihre (vermeintlichen) Notizen. Je nachdem, wie Sie es handhaben wollen, können Sie die Wirkung überprüfen und sich möglichst ehrliches Feedback einholen. Auch im remote Video-Interview ist oft der direkte Blick in die Kamera gefragt. Orientiert man sich hier an einem natürlichen Gespräch, könnte auch hier der Blick wandern, allerdings ist die Sehgewohnheit eine andere: Aus Live-Schalten kennen wir den direkten Blick in die Linse. In einer klassischen Live-Interview-Situation wird meist nicht direkt in die Kamera geschaut. Ist die Interviewerin oder der Interviewer mit im Bild, schaut man sich gegenseitig an. Ist die interviewende Person nicht im Bild, wird sie trotzdem angeschaut und nicht in die Kamera
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geblickt, die Ihnen möglicherweise räumlich viel näher ist. In der Beispielszene vier mit Jörg wird deutlich: Wer als Host mit im Bild ist, sollte sich über die Wirkung der eigenen Körpersprache bewusst sein. Gäste sind eher nachsichtig, wenn das Gegenüber längere Zeit in die Notizen blickt, aber die Zuschauenden sind möglicherweise irritiert. Sie nehmen die Situation aus sehr viel größerer Distanz wahr und ihnen fehlen Nebeninformationen, die den anderen bekannt sind. Der Gesichtsausdruck Mimik sollte durchlässig sein für das, was wir sagen und wie wir es meinen. Manche raten pauschal zum Lächeln. Da das Zähne zeigen nicht immer ein Ausdruck von Freundlichkeit ist, sondern auch bei negativen Emotionen auftreten kann, ist dieser Tipp pauschal nicht hilfreich. Wenn wir wieder durch die Brille der Sprechtrainerin schauen, dann empfiehlt diese einen lockeren Kiefer – für einen guten Sprechton und das nonverbale Signal der Friedfertigkeit. Sie empfiehlt eine ausdrucksstarke Mimik, da diese die Sprachverständlichkeit fördert und wach macht. Und sie rät zu einer wesensgemäßen Mimik: Sich verstellen oder sich maskieren ist unnötig. Wer sich selbst ein Stück weit offen zeigt, ist glaubwürdig. Und den Grad der Offenheit, den können Sie je nach Situation und Rolle selbst steuern. Mir begegneten in einem transkulturellen Online-Seminar voller weiblicher Wissenschaftlerinnen lauter ernste Gesichter. Da es in meinen Workshops üblicherweise locker zugeht und mal gelacht wird, war ich zunehmend irritiert von der ausgeprägten Ernsthaftigkeit meiner Teilnehmerinnen. Ich fragte sie, was der Hintergrund sei. Sie erzählten, ihnen wurde in einem Seminar beigebracht, dass Lachen und Lächeln in der beruflichen Kommunikation unprofessionell sei. Sie wollten mir Respekt zeigen, so erzählten sie weiter, und schauten deshalb so ernst. Wir konnten gemeinsam darüber schmunzeln. Mimik, Gestik und die paraverbale Kommunikation, also das Wie des Sprechens, sind stark kulturabhängig. Und damit ist nicht nur die Landeskultur gemeint, sondern auch die Unternehmens-, Fachbereichs-, Team-, Familien- und Freundeskreiskultur.
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4.1 Struktur und Aufbau In diesem Buch dreht sich alles um das Sprechen in Audio- und Videoformaten. Deswegen geht es jetzt darum, was die verschiedenen Teile eines Formats, wie die Begrüßung oder der Interviewteil, brauchen. Denn wer die Begrüßung oder einen Call-to-Action wie einen Sachvortrag spricht, tut sich selbst keinen Gefallen. Besser wäre es, den roten Faden genau zu kennen und je nach Gliederungsteil sprecherisch passend zu gestalten, beispielsweise im Informationsteil sachlich und sonst freundlich und motivierend. Für einen lebendigen Ausdruck ist es wichtig, Unterschiede zu machen. An der Struktur eines Podcasts oder Videos kann man sich dafür gut orientieren. Deshalb möchte ich hier gemeinsam mit Ihnen einen Blick darauf werfen. Manche von Ihnen werden bereits ein Audio- oder Videoformat auf die Beine gestellt haben, andere sind gerade dabei, eins zu planen. Wir schauen hier auf wesentlichen Punkte einer Gliederung am Beispiel eines Info-Podcasts. Legen wir los. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_4
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Abb. 4.1 Struktur eines Audio- oder Video-Formats am Beispiel: Info-Podcast. (Bild: Eigene Darstellung)
Abb. 4.1 zeigt: Jedes Format fängt irgendwo an, hat einen Hauptoder Mittelteil und einen Schluss. Diese einzelnen Teile können von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich gestaltet sein. Hier, am Beispiel eines Info-Podcasts, werden die Zuhörenden nach einer kurze Intro begrüßt. Es folgt eine für die jeweilige Episode exakt passende Anmoderation. Danach kommt der Hauptteil mit einem aktuellen Bezug, das Thema und ein paar Praxistipps. Am Ende werden kurz die wichtigsten Inhalte zusammengefasst. Es wird eingeladen, den Podcast zu abonnieren, das ist der sogenannte Call-to-Action, und danach folgt ein Ausblick auf die nächste Folge. Zum Schluss kommt die Outro. Je nach Format und Besetzung können Strukturelemente weggelassen oder dazu genommen werden. Beispielsweise werden in einem Storytelling-Podcast im Gegensatz zu einem Lern-Podcast meist keine Tipps gegeben, dafür gibt es einen Rückblick auf die vorige Episode. Die Struktur kann insgesamt den Workflow rund um die Podcastproduktion erleichtern. So kann sie Orientierungshilfe sein für die schriftlichen Teile des Podcasts oder Videos: also Episodeninformationen, Benennung der Kapitelmarken und Vorschautexte.
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Verschiedene Besetzungen: • Solo-Host • Team-Host • Interview • Mischformen, z. B. im Storytelling-Format Verschiedene Formate in der externen und internen Unternehmenskommunikation: • Storytelling • Unterhaltung • Nachrichten/Update • Information • Interview/Experten-Talk • Porträt (einer Person/Gruppe) • Schulung/Weiterbildung • Event/Veranstaltungsbericht • CEO-Podcast – externe Kommunikation Formate in der interne Kommunikation (eine Auswahl): • CEO-Ansprache intern • Onboarding • Insight – Abteilungseinblicke Diese Formate sind nicht festgeschrieben. Es gibt viele Möglichkeiten, Mischformen und vor allem keine Vorgaben. Die Wahl des geeigneten Formats hängt von den Bedürfnissen, der Zielsetzung und den Ressourcen ab. Kommen wir zurück zur Struktur eines Formates. Angenommen, das Format steht, dann kann es Sinn machen, die einzelnen Episoden identisch oder aber unterschiedlich aufzubauen.
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Beispiel: Info-Podcast über Lebensmittelsicherheit Er besteht aus einzelnen Folgen – mal mit und mal ohne Gast. Die Folgen ohne Gäste bieten reinen Input, der von den Moderierenden erzählt wird. In anderen Folgen sind verschiedene Expertinnen und Experten zu hören, die interviewt werden und aus ihrem Fachgebiet etwas beitragen. Die Struktur der beiden Varianten ist etwas unterschiedlich. In der Info-Folge gibt es, anders als im Interview, jedes Mal Praxistipps und auch eine knackige Zusammenfassung. Im Interview gibt es dafür einen fest installierten Teil, in dem die Gäste vorgestellt werden. Wer gerade dabei ist, ein Konzept zu erstellen, wird die drei Teile – Anfang, Hauptteil und Schluss – genau unter die Lupe nehmen müssen: Wie soll das Format aussehen und gestaltet werden? Und welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es eigentlich? Wenn Ihr Audiound Videoprojekt bereits besteht, dann geht es jetzt vielleicht darum, es weiterzuentwickeln und zu optimieren. Auch hier lohnt sich der Blick auf die Struktur. Ich werde hier einmal auf die einzelnen Elemente eingehen. • Die Intro und Begrüßung: Um die kommt wohl kein Audio- und Videoprodukt drum herum. Wie lang sie ausfällt, wie sie genau gestaltet wird – ob mit oder ohne Musikbett oder Profi-Stimme – das hängt sehr stark vom Format und der Zielgruppe ab. Und natürlich von den eigenen Vorlieben oder Vorgaben, z. B. des Unternehmens. • Die Anmoderation: Die ist wichtig! Sie muss an die Zielgruppe „angebunden“ werden, für sie relevant sein und Neugier wecken. Sie enthält oft eine „Situierung“, also einen Bezugspunkt zu den Zuhörenden oder Zuschauenden, an den diese möglichst leicht anknüpfen können. Die Situierung soll auf dem eigentlichen Thema „landen“ und das Publikum einladen, Aufmerksamkeit zu schenken. Wie Sie eine passende Situierung entwickeln, beschreibe ich in Abschn. 6.11. „Einen guten Einstieg finden“. • Der aktuelle Bezug macht deutlich, welchen Mehrwert die Folge für die Zielgruppe hat. Viele Podcasts oder Videos sind auf YouTube oder Spotify lange für die Zielgruppe verfügbar und sollen auch später, Wochen, Monate, zum Teil Jahre später, noch für sie relevant
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sein. Das sind zum Beispiel Themen-Podcasts über Rhetorik oder Oldtimer oder Videos mit hoher Beliebtheit, z. B. von Bosch #LikeABosch. Hier ist der aktuelle Bezug also meist kein aktuelles Ereignis, sondern der Bezug zum Thema einer Folge, z. B. in einem Bosch-Video das Thema Nachhaltigkeit. Im Interview sollten an der Stelle die Gäste vorgestellt werden. Zu empfehlen ist es, dies nicht aus der Hand zu geben, sondern als Hosts zu übernehmen. Ich gehe darauf etwas näher ein im Kap. 7 „Im Interview“. Das Thema: Es gibt im Podcast oder Videocast unglaublich viel Freiheit darin, wie ein Thema gestaltet werden kann. Der Hintergrund ist: Anders als im Fernsehen oder im Radio ist man unabhängig von Sendezeiten und unbegrenzt in der Sendedauer. Eine vorgegebene Sendedauer, die eingehalten werden muss, beeinflusst, wie tief man in ein Thema einsteigen kann. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb Rundfunk- und Fernsehanstalten eigene Podcasts entwickeln. Dort können Themen in einer ganz anderen Tiefe und mit Zeit beleuchtet werden. Wie intensiv ein Thema in einer Folge aufbereitet und dargestellt wird, kann also selbst bestimmt werden. Auch welcher Erzählstil verwendet wird, also beispielsweise eher berichtend oder emotionalisierend. Und welche Atmosphäre kreiert wird – mit dem zugrunde liegenden „Subtext“, also der Botschaft zwischen den Zeilen. Am Beispiel: In ihrem Podcast „handfussmund“ klären die Düsseldorfer Kinderärzte Florian Babor und Nibras Naami Eltern über Kinderkrankheiten auf und motivieren sie dazu, sich für die Gesundheit der eigenen Kinder und Gesundheit im Allgemeinen zu engagieren. Die Hosts sprechen informierend und erzählend und schaffen damit eine offene Lernatmosphäre. Das alles kann von Format zu Format sehr unterschiedlich sein: Ein Storytelling-Podcast über mehrere Episoden wird anders aufgebaut als ein Talk zwischen mehreren Personen zu einem bestimmten Thema. In einem Nachrichten-Format wird in einem anderen Stil analysiert und diskutiert als in einem Interview, in dem Fachleute
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von ihren Erfahrungen erzählen und ihr Wissen teilen. Und ein SoloFormat kann wiederum ganz individuell aufgebaut sein. Sicherlich kann man sich aus dem klassischen Journalismus einiges für den Unternehmenspodcast abgucken. Ganz besonders Podcasts, die aus Medienhäusern stammen, können als Vorbilder dienen. Ich denke dabei beispielsweise an den Storytelling-Podcast „The Great Firewall“ der Süddeutschen Zeitung, der über die Zensur und Propaganda im chinesischen Internet berichtet. Hier wird ein schwieriges und komplexes Thema verständlich und spannend erzählt. Die Zusammenfassung ist sicher nicht in jedem Format nötig. In Wissenspodcasts können Zuhörende von einer kurzen Zusammenfassung jedoch profitieren. Sie strukturiert, erinnert und schafft Mehrwert. Der Ausblick ist, ähnlich wie die Anmoderation, sehr wichtig. Er soll die nächste Folge schmackhaft machen: am besten, indem er die Zielgruppe treffend anspricht. Mein Tipp ist: Planen Sie die Inhalte der Folgen vorausschauend, sodass Sie rechtzeitig einen passenden Ausblick entwickeln können. Der Call-to-Action kann und darf zum Ende platziert werden. Hier kann aufgefordert werden, den Kanal zu abonnieren, oder eine andere konkrete Handlungsaufforderung ausgesprochen werden. Im „Der Madame Moneypenny Podcast“ bittet Host Natascha Wegelin Fragen rund um das Thema Finanzen per WhatsAppSprachnachricht an sie zu schicken oder ihr über Instagram zu schreiben. Diese Interaktionen mit ihren Followern spielt sie in ihren Q&A-Sessions ein und beantwortet sie direkt. Das Outro ist wie die Intro ein festes Element, was einmal erstellt wird und in jeder Folge eingespielt wird.
4.2 Konzeption Nachdem wir verschiedene strukturelle Elemente beleuchtet haben, könnten Fragen bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, aufkommen. Fragen danach, wie am besten ein Konzept erstellt wird, was man dafür beachten kann und wie man dafür weiter vorgehen könnte. Um darauf
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an dieser Stelle auch ein paar Antworten zu geben, habe ich Philipp Eins gebeten, am Beispiel einer Podcastentwicklung dazu etwas zu erzählen. Er arbeitet seit 15 Jahren als Journalist und Trainer in Berlin. Er entwickelt Podcasts und digitale Formate, gibt Workshops und Medientrainings. Davor hat er in den Redaktionen von Deutschlandfunk Kultur und Tagesspiegel gearbeitet und war Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Er ist Absolvent der Reportageschule Reutlingen und des Masterstudiums Online Radio an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. An der Freien Universität Berlin wurde er zum Business Trainer ausgebildet. Sein aktuelles Buch „Podcasts im Journalismus“ erschien 2022 bei Springer VS Wiesbaden. Interview mit Philipp Eins, Journalist und Trainer Angenommen, ein Unternehmen möchte mit einem eigenen Podcast komplexe fachliche Themen näherbringen – durch eigene Beiträge und Interviews mit Fachleuten. Es will damit die eigene fachliche Expertise untermauern und die eigene Marke stärken. Wie kann es eine gute Dramaturgie entwickeln? Philipp: Am Anfang steht eine Zielanalyse. Wen möchte ich mit meinem Podcast erreichen? Welche Bedürfnisse kann ich bei meiner Zielgruppe befriedigen? Was möchte ich bei ihnen bewegen? Das muss ich wissen, bevor ich mich mit der Umsetzung meiner Story befasse. Ein Beispiel: Als Unternehmen in der pharmazeutischen Industrie kann ich mich mit meinem Audioprodukt an Forscherinnen und Forscher richten, um mich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Oder ich nutze den Podcast zur internen Kommunikation, um Mitarbeitende stärker an das Unternehmen zu binden. Ich kann aber auch Verbraucherinnen und Verbrauchern mit starken Storys die pharmazeutische Forschung nahebringen. Je nach Zielgruppe wird der Podcast anders klingen. Wenn Kommunikationsziel und Kernzielgruppe klar sind, kann ich meine Storys besser identifizieren. Hier muss ich zunächst einmal zwischen Thema und Story unterscheiden. Ein Thema ist, um im Beispiel zu bleiben, eine neue Therapie gegen Krebs. Eine Story wäre es, mit Betroffenen über ihre Geschichte zu sprechen, von der ersten Diagnose über die neue Therapie bis zur Heilung. Für Geschichten brauchen wir drei Zutaten: Held, Ort und Handlung. Wenn die fehlen, haben wir keine Story. Welche Rolle spielt die User-Interaktion? Wie kann man diese fördern? Philipp: Podcasts schaffen Nähe zwischen den Hosts im Studio und den Hörerinnen und Hörern an den Smartphones. Eine enge Interaktion mit den Usern hilft, diese Bindung zu festigen. Die einfachste Variante ist ein
100 J. Talley Call-to-Action in der Abmoderation, den viele vielleicht kennen. In der Abmoderation am Ende des Podcasts kann ich die Hörerinnen und Hörer auffordern, das Format weiterzuempfehlen, den Podcast auf den Portalen zu bewerten oder auch eigene Ideen für Storys einzuschicken. Ein Tipp: Am besten eine eigene Mailadresse für den Podcast einrichten und darauf verweisen. Auch zielgruppenrelevante Social-Media-Plattformen bieten eine unkomplizierte Möglichkeit zum Austausch. Auch hier gilt: Je persönlicher, desto besser. Etwas fortgeschrittener ist, die User am Podcast teilhaben zu lassen, zum Beispiel über Voice-Messages. Das geht technisch ganz einfach: Sie stellen im Podcast und auf Social Media eine Frage an die User, die Antworten werden per WhatsApp eingesprochen und in die kommende Episode geschnitten. Der Podcast sollte dafür aber über eine gewisse Reichweite verfügen – sonst lassen sich kaum genug Hörerinnen und Hörer zur Teilnahme mobilisieren. Worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie erstmals einen Podcast starten? Mit Leuten, die nicht aus dem Radiojournalismus kommen? Philipp: Unterschätzen Sie nicht, dass Podcasten viel Arbeit macht. Im Vergleich zum Video sind Aufwand und Kosten pro Produktionsminute zwar deutlich geringer. Dennoch braucht es ein tragendes Konzept und eine gute Vorbereitung. Der Anspruch an die inhaltliche und akustische Qualität steigt. Ein Studio ist nicht zwingend erforderlich, auch in Büroräumen können gute Podcasts entstehen. Die Raumakustik sollte aber geeignet sein. Hier helfen schalloptimierte Konferenzräume mit abgehängten Decken oder Bibliotheken – Bücher schlucken viel Raumhall. Achten Sie auf technische Mindeststandards. Pro Sprecherin oder Sprecher braucht es ein separates Mikrofon, möglichst nahe am Mund. Ein Mikrofon auf der Mitte des Tischs reicht nicht aus. Mit professioneller Postproduktion lässt sich die Audioqualität noch einmal verbessern. Ob eine externe Moderation nötig ist, hängt vom Projekt ab. Wenn das Unternehmen im Mittelpunkt des Podcasts steht, eignen sich CEOs oder andere bekannte Gesichter aus den eigenen Reihen als Hosts. Mangelnde Erfahrung lässt sich mit Trainings ausgleichen. Gibt es gute Unternehmenspodcast, die man sich als Beispiel nehmen kann? Und warum? Philipp: Allein auf Spotify gibt es mittlerweile mehr als 3,6 Mio. Podcasts, davon sind 70.000 deutschsprachige Formate. Das gab das schwedische Unternehmen kürzlich bekannt. Die Auswahl ist groß, das Angebot unübersichtlich. Nur wenige Branded Podcasts setzen sich von der Masse ab. Einer davon ist der Podcast von FDP-Chef Christian Linder. Er trifft als Host auf prominente Gäste aus Politik und Wirtschaft, führt Diskurse, setzt eigene Themen. Strategisch macht der Podcast vieles richtig. Neben unzähligen Talkformaten gibt es auch Unternehmen, die aufwendige
4 Gliederung und Qualität 101 Storytelling-Formate ausprobieren. Im Podcast „Backup – Sag mir, wer ich bin“ hat die Lufthansa gemeinsam mit dem Label Viertausendhertz ein Hörspielformat in 3D-Audio auf die Beine gestellt. Bei dem zunehmenden Erfolg von Storytelling-Shows dürfte das nicht das letzte Beispiel bleiben. Vielen Dank, lieber Phillip Eins, für diese Einblicke! Allen, die das Thema Konzeption, Storytelling und Produktion vertiefen möchten, sei sein Buch „Podcasts im Journalismus“ ans Herz gelegt.
4.3 Qualität sichern durch Feedback Angenommen, Ihr Audio- oder Videoformat steht, die ersten Folgen sind draußen in der Welt und das Projekt soll weitergehen. Dann ist es gut, einmal innezuhalten und zu überprüfen, was Sie gegebenenfalls verändern und optimieren wollen. Das können der Sound, die Struktur des Podcasts allgemein oder das Sprechen sein. Wenn es sich nicht gerade um ein durchgeplantes Storytelling-Produkt mit eigenem Sounddesign und großem Redaktionsteam handelt, dann ist das Schöne am Podcast oder Videocast: Man kann starten und sich fortlaufend weiterentwickeln. Ich möchte Ihnen hier Tipps geben, wie Sie das Sprechen strukturiert reflektieren können und auf dieser Basis die verbalen Auftritte verbessern können. Vielleicht sind Sie eher ein intuitiver Typ, dann schreckt Sie die Vorstellung, das eigene Sprechen zu analysieren, möglicherweise ab. Vielleicht ist es aber auch genau das Richtige für Sie und hilft Ihnen zu verstehen, wo Sie ansetzen können. Ich nehme Sie einmal mit, wie ich an Podcastanalysen rangehe. Legen wir los: Wenn ich das Sprechen in Podcasts oder Videos analysiere, dann gehe ich verschiedene Kategorien durch, um das Produkt genau unter die Lupe zu nehmen. Zum einen schaue ich auf die Struktur des Podcasts. Mich interessiert, ob die Zuhörenden sich orientieren können und die angekündigten Inhalte auch alle präsentiert werden. Zur Struktur des Podcasts gehören auch Aufbau und Länge von Intro und Autro. Sind diese angemessen?
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Die Anbindung der Rede an die Zuhörenden ist ein weiterer Punkt. Wird angemessen mit Bildern/Metaphern und Geschichten gearbeitet oder nur berichtend erzählt? Welche Erzählstile werden verwendet? Werden sinnvolle oder ablenkende Redundanzen – also Wiederholungen – verwendet? Gibt es lose Fäden, die Aufmerksamkeit erzeugen, und werden sie irgendwann aufgelöst? Wie präsent wirken die Sprechenden und gibt es da Schwankungen? Die Stimm- und Sprechtechnik: Hier geht es um eine Beurteilung der Stimmwirkung, des Sprechtempos, der Atmung und der Artikulation. Wird das Sprechtempo angemessen variiert? Werden passende Pausen gesetzt? Welchen Eindruck macht die Atmung – gehetzt oder ruhig? Wie deutlich wird gesprochen, ohne dabei überzubetonen? Dann höre ich außerdem auf die allgemeine stimmliche Qualität. Am Beispiel: Die Stimme der Hauptmoderatorin klingt hell und klar, die Stimme der zweiten Moderatorin klingt dunkel und klar. Sie ergänzen sich dadurch gut. Würden sie beide eine sehr ähnliche Stimmqualität haben, hat das Konsequenzen für die Moderation des Podcasts. Denn wenn Stimmen sich sehr ähneln, sind die Moderatorinnen für Zuhörende kaum zu unterscheiden. Hier sollten dann viel häufiger die Namen genannt werden. Nachdem die allgemeine Stimmqualität beurteilt ist, kann genauer auf die Sprechtechnik gehört werden. Es geht um die Frage, ob die Stimme sich in ihrer individuellen Wohlfühlstimmlage befindet oder eher zu hoch, zu tief, zu angespannt klingt. Ist die Sprechmelodie variabel? Wird am Ende eines Gedankens „auf den Punkt“ gesprochen? Wird angemessen betont? Wirken die Sprechenden so, als würden sie das denken, was sie sagen? Das Skript schaue ich mir auch an, um zu sehen, ob die Visualisierung den Sprechenden beim Sprechdenken hilft oder verbessert werden kann. Zum Beispiel vom Blocksatz in einen Treppentext oder sogar in ein Stichwortkonzept. Im Kap. 6 „Sprache und Text“ beschreibe ich, worauf es hier ankommt.
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Wenn Sie eine solche Analyse durchgeführt haben, empfehle ich Ihnen, diese sicher abzulegen und nach einem Zeitraum von beispielsweise sechs Monaten zu wiederholen und zu vergleichen. In der Zwischenzeit haben Sie die Gelegenheit, einzelne Bereiche des Sprechens zu trainieren, an Ihrem Skript zu feilen und in jeder Aufnahmesituation in den Transfer zu gehen. Gerade für Team-Projekte kann es sinnvoll sein, in kürzeren Abständen oder gar zu jeder Folge ein kurzes Feedback einzuholen. Im Kap. 5 „Zusammen podcasten“ beschreibe ich, wie man dabei vorgehen kann. Der Vorteil ist: Rückmeldungen kommen schnell und direkt und die Optimierung kann kontinuierlich stattfinden.
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5.1 CEO-Perspektive Mit dem professionalisierten Auftreten, Sprechen und Kommunizieren setzten sich die meisten CEOs bereits als Fach- oder Führungskräfte auseinander, bevor sie Chefin oder Chef werden. Wenn sie neue Formate bedienen, zum Beispiel Videos oder Podcasts, kann das Sprechen und Auftreten wieder zum Thema werden. Viele Fragen lassen sich allein lösen, unternehmensintern klären oder mithilfe von Coaches. Jedes Format hat seine eigenen Spielregeln und Anforderungen. Für CEOs wie für alle anderen habe ich in diesem Buch zu den unterschiedlichen Bereichen schon einiges geschrieben. Es gibt ein paar Themen, die jedoch besonders Chefinnen und Chefs betreffen und auf die möchte ich hier eingehen. Während man zu Beginn der beruflichen Laufbahn vielleicht von allen Seiten Feedback bekommt, auch ungebetenes, nimmt das mit jeder Stufe auf der Karriereleiter ab. Viele CEOs aus sehr großen Organisationen erzählen, ehrliches Feedback erhielten sie eigentlich nur noch zu Hause oder im Coaching. Gerade für das Sprechen in neuen Formaten ist es aber sehr wichtig, diese ehrliche Rückmeldung © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_5
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zu bekommen, um gegebenenfalls etwas verändern zu können. Deswegen empfehle ich CEOs und ihren Teams Formen zu entwickeln, die dieses wichtige Feedback ermöglichen. Die Bitte um Rückmeldung allein reicht oft nicht. Da es sich um ein Feedback zu sehr persönlichen Themen handelt, kann es für Mitarbeitende eine heikle Situation sein, diesem Wunsch ihrer Führungskraft nachzukommen. Je nach Grad der erlebten psychologischen Sicherheit, können sie Druck empfinden und einen inneren Konflikt erleben – zwischen Höflichkeit und Ehrlichkeit. Eine Lösung ist die soziale Lüge: also das unehrliche Feedback an die Chefin oder den Chef. Nachvollziehbar. Sie bringt CEOs allerdings nicht weiter. Bevor ich Ihnen am Ende des Kapitels einen Vorschlag für einen Feedback-Prozess mache, erzähle ich Ihnen, worauf Sie als CEO noch achten können. CEOs brauchen Übungsräume und Training. Vor einer wichtigen Aufnahme kann und sollte geprobt werden, das Rehearsal, die Generalprobe, die Sie von anderen wichtigen Bühnenauftritten oder Präsentationen kennen, kann auch für Videos und Audios Sinn machen. Da geht es einerseits darum, die Technik zu kennen, aber auch darum, ein Gefühl für den Raum und die Leute zu bekommen. Das Ziel ist, dass Sie sich in der Aufnahmesituation wohlfühlen und präsent auftreten können. Sprechen Sie frei oder mit Skript? Nicht immer muss im Rehearsal der gesamte Text durchgesprochen werden. Das kann auch im stillen Kämmerlein passieren, vor dem Spiegel oder mit einem wohlwollenden Gegenüber, welches aber auch in der Lage ist, ehrliches Feedback zu geben. Die Arbeit am Text ist nötig. CEOs müssen genau wissen, was sie sagen. Sie sollen sprechdenkend vortragen können und ihren Subtext kennen, also die Botschaft zwischen den Zeilen. Dafür braucht es Textarbeit. Oft arbeite ich erst im nächsten Schritt am Ausdruck. Wer die eigenen Texte von anderen schreiben lässt, sollte unbedingt darauf achten, dass die Texte für das Reden und Hörverstehen formuliert sind. Es gibt gewaltige Unterschiede zwischen typisch schriftsprachlich formulierten Texten und für das Sprechen geschriebenen
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Texten. Wenn Sie einmal das Gefühl haben, den Text schwer vortragen zu können, überprüfen Sie ihn auf Basis der Regeln „Schreiben fürs Sprechen“ (Abschn. 6.3). Für Schreibprofis, die Sie unterstützen, kann es sehr wichtig sein – gerade in der Konzeptionsphase –, eng mit Ihnen zusammenzuarbeiten und ein Gefühl für Ihren Sprach- und Sprechstil zu bekommen. Jeder Mensch denkt und spricht einzigartig, es ist nicht zu erwarten, dass Schreibprofis die perfekt auf sie zugeschnittene Rede formulieren, ohne Sie zu kennen. Der letzte Schliff gehört ganz Ihnen selbst. Wer einen fremden Text sprechen will, muss ihn sich zu eigen machen. Das bedeutet: • Nehmen Sie letzte individuelle Änderungen am Text selbst vor. • Passen Sie die Visualisierung Ihres Textes selbst so an, dass Sie ihn optimal lesen können. Wie viel Text soll auf eine Karteikarte? Wie groß wünschen Sie sich den Zeilenabstand? Wollen Sie handschriftliche Anmerkungen machen? • Wählen Sie das Darstellungsmedium, das für Sie am besten ist. (Papier, Tablet, Prompter?) Sich selbst „stimmen“. Wenn Sie einmal an Profisängerinnen und -sänger denken, dann wissen Sie vielleicht, dass diese regelmäßig ihr Instrument „stimmen“, sie nehmen Meisterstunden. Auch für Berufssprecherinnen und -sprecher wie Leute aus dem Schauspiel oder Radio ist es üblich, hin und wieder Sprecherziehung zu nehmen, um Feedback zu bekommen, Marotten loszuwerden oder Neues zu lernen. CEOs und Führungskräfte sind zwar keine Berufssprecherinnen, sie üben jedoch einen Sprechberuf aus. Das allein ist Grund genug, sich hin und wieder mit dem eigenen Sprechen und der Stimme zu befassen, denn Sprechen und Stimme sind eins ihrer Hauptkommunikationsmittel. Wenn neue Formate bedient werden, kann das ein Anlass sein für Feedback, um sich weiterzuentwickeln, eingeschliffene Muster zu verändern und Kenntnisse zu erweitern.
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5.2 Perspektive des Unternehmens Wenn Unternehmen ihre CEOs und Führungskräfte vor die Kameras bitten und an die Mikros holen, dann ist das eine andere Situation als eine Gruppe Fachleute, die ein neues Format ausprobiert, oder? Vielleicht unterscheiden sich die beiden Szenarien auch nicht so sehr voneinander. Wir schauen gemeinsam einmal auf die Zusammenarbeit im Unternehmen im Kontext von Audio- und Videoformaten – mit dem Fokus auf das Sprechen in eben diesen Formaten. Dazu habe ich Christian Riedel, Director Communications EMEA (dem Wirtschaftsraum Europa-Arabien-Afrika) bei Clarios nach seinen Erfahrungen gefragt. Die Firma Clarios ist bekannt für seine Autobatterien und agiert weltweit. Interview mit Christian Riedel, Director Communications EMEA bei Clarios Wie kam es dazu, dass Ihr ein eigenes Studio für die Videoproduktion eingerichtet habt? Christian: Die Coronakrise hat uns einen kräftigen Schub gegeben. Von einem Tag auf den anderen haben wir den Großteil unserer Mitarbeiter:innen vom Büro ins Homeoffice geschickt. Trotzdem wollten wir in einem engen Kontakt bleiben. Normalerweise haben wir einmal im Monat alle in unser Atrium in Hannover eingeladen und darüber informiert, wie wir als Unternehmen dastehen, welche Themen uns bewegen, was es Neues gibt. Plötzlich konnten wir das nicht mehr. Außerdem konnten wir keine Pressekonferenzen mehr veranstalten. Für die Presseabteilung undenkbar. Wir haben umgehend eine technikaffine Mini-Task-Force gegründet, die Geschäftsführung überzeugt, dass wir ab sofort Events in Europa streamen müssen und sofort das Go bekommen. Wir haben einen Raum bekommen, der geeignet war, wenige Wochen später waren wir startklar und haben aus einem Green-Screen-Studio unsere ersten Events übertragen. Wir hatten komplett freie Hand. Für welche Anlässe nutzt ihr das Studio in der Praxis? Christian: Mehrmals im Jahr laden wir Journalisten in Europa zu einer virtuellen Pressekonferenz ein. Das ist in der Branche mittlerweile fest etabliert. Einmal im Monat streamen wir live in Europa eine Veranstaltung an Mitarbeiter, in der wir Neuigkeiten aus dem Unternehmen mitteilen. Dann nutzt unser VARTA-Vertriebsteam das Studio, um live Trainings
5 Zusammen podcasten 109 über unsere Batterien anzubieten. Die Kollegen machen vom Studio aus Technik-Trainings. Und da wir einen Green Screen haben, produzieren wir auch mal schnell ein Video zu Spezialthemen, wenn wir eins brauchen. In einem Studio vor Kameras im Scheinwerferlicht zu stehen ist anders, als vor der Belegschaft live zu sprechen. Kannst du zwei bis drei Hürden nennen und erzählen, wie ihr sie überwunden habt? Christian: Das Licht ist grell, die Atmosphäre ungewohnt, der Blickkontakt fehlt. Bevor irgendjemand bei uns vor die Kamera gestellt wird, machen wir immer ein Medientraining im Studio. Wir reduzieren die Aufregung, indem wir in Ruhe alles erklären, uns Zeit für diesen ersten Moment nehmen. Wir sind eng an den Menschen dran. Dann nehmen wir auf, schauen uns zusammen das Videomaterial an. Oft machen wir Lockerungsübungen, wir üben Artikulation, finden die passende Standpositionen. Manchmal bieten wir eine Moderation, ein Interview an, wenn es sein muss. Wir gehen flexibel auf die jeweilige Person ein. Mittlerweile haben wir einige Profis, die locker vom Teleprompter ablesen. Andere meiden das Studio. Ihr nutzt das Studio regelmäßig. Worauf können Teams achten, die ähnliches vorhaben? Hast du Tipps? Christian: Keep it simple – die Audio- und Video-Technik sollte einfach zu bedienen sein, sonst verzettelt man sich schnell. Auf den Green Screen würde ich nicht verzichten wollen, da er ein hohes Maß an Flexibilität ermöglicht. So ein Studio läuft aber nur gut, wenn Technikbegeisterung im Team da ist oder wenn Support von Experten eingekauft wird, was wir beispielsweise zu Beginn gemacht haben, obwohl wir im Core Team ein hohes Maß an Technikbegeisterung haben. Herzlichen Dank, Christian Riedel, für die Einblicke!
Die Online-Pressekonferenz, eine Live-Schalte für ein Interview oder ein Audio- und Videoprodukt – für all diese Situationen ist Zusammenarbeit gefragt. Immer wieder beschreiben erfolgreiche Teams, dass sie Ressourcen aus dem Unternehmen haben, „Technikbegeisterte“, wie Christian Riedel von Clarios schreibt, mit deren Hilfe viel möglich ist. Nicht jedes Unternehmen ist damit gesegnet. „Keep it simple“ – es einfach halten, gilt gerade dann und das ist beispielsweise mit einem reinen Audioformat möglich. Hier braucht es deutlich weniger Technik und Know-how.
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Abb. 5.1 Feedback zum Audio/Video. (Bild: Eigene Darstellung)
Im Gespräch mit den Teams aus Unternehmen begegnet mir nach anfänglicher Euphorie manchmal die Erkenntnis, was für ein Haufen Arbeit mit dem neuen Projekt einhergeht. Wenn ein fertiges Produkt locker und leicht wirkt, ist es oft sehr gut vorbereitet und durchgeführt worden. Wenn Kommunikationsteams zu Video- oder Audioproduktionsteams werden und alle anderen Aufgaben auch noch bewältigen müssen, kann das viel sein. Deswegen ist ein enger Austausch hilfreich. So kann der Prozess reflektiert und gegebenenfalls verändert werden. Optimalerweise werden die Möglichkeiten und Grenzen schon in der Konzeptionsphase mit einbezogen. Ich habe oben schon beschrieben, wie knifflig es für CEOs sein kann, Feedback zu erhalten. Natürlich profitieren auch alle anderen von Feedback. Mein Tipp an Unternehmen: Überlegen Sie sich für Ihre Audio- und Videoformate Feedback-Kriterien und einen realistischen Prozess dazu. Ich habe im Abschn. „Podcastanalyse“ beschrieben, welche Kriterien mir hier wichtig sind. Zur Inspiration finden Sie in Abb. 5.1 ein Beispiel für eine einfache Feedbackvorlage.
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5.3 Als Team podcasten Die letzten Jahre haben der Podcastwelt einen regelrechten Boom beschert – von privaten Nischen-Podcasts bis CEO-Podcasts. Im Moment wird nicht erwartet, dass dieser Trend abflacht. Eine Entwicklung, die sich aber sehr deutlich zeigt, ist die Professionalisierung der Podcastwelt. Die Arbeit im Team erleichtert genau das. Sie ermöglicht den Austausch, das direkte Feedback, einen effektiven Umgang mit den Ressourcen, z. B. durch Arbeitsteilung. Wenn Fachleute entweder auf eigenen Wunsch oder auf Wunsch der Organisation ein Audio- oder Videoprodukt zum Leben erwecken, dann könnten sehr unterschiedliche Kenntnisstände bei den einzelnen vorliegen. Manche Teams profitieren von einem Ex-Radio- oder Fernsehmenschen im Team, die haben natürlich Vorteile. Andere haben noch nie selbst vor der Kamera gestanden oder am Mikro gesprochen. Auch die eigenen Erwartungen können sehr unterschiedlich sein. Manche gehen locker und neugierig an ein neues Audio- oder Videoprojekt ran und planen ein Learning-by-Doing, für andere ist es kaum vorstellbar zu starten, bevor man alles richtig beherrscht. Sie empfinden möglicherweise eher Druck. Wie in anderen Bereichen der Teamarbeit ist es natürlich auch hier wichtig, über diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu sprechen, sie zu kennen und gegebenenfalls zu verändern. Ich denke an der Stelle an drei Themen. 1. Vernetzt denken und Ressourcen nutzen: Wenn Podcastteams innerhalb einer Organisation tätig sind oder in Verbänden vernetzt, dann können vorhandene Ressourcen gegebenenfalls gemeinsam genutzt werden – also Equipment, Know-how, eine tolle Sprechstimme. Dafür müssen diejenigen, die etwas brauchen und diejenigen, die darauf Zugriff haben, voneinander wissen. In meinen Unternehmensworkshops begegnet mir hin und wieder, dass Projekte nur deshalb nicht vorangetrieben werden oder deren Qualität nicht verbessert wird, weil einzelne Teile der Organisation nicht voneinander wissen und sich nicht unterstützen (können). Falls Sie sich
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fragen, ob es bei Ihnen Ressourcen gibt, von denen Sie nicht wissen: Wer könnte innerhalb der Organisation helfen und vermitteln? Welcher Ort wäre für einen solchen Austausch geeignet? 2. Auf Komponenten zurückgreifen: Wenn man sich vor Augen führt, dass es ganze Ausbildungszweige gibt, die das Know-how rund um die Produktion von Audio- und Videoformaten im Rundfunk und Fernsehen vermitteln, dann ist es nicht verwunderlich, wenn man das meiste nicht beherrscht, was Fachleute aus diesen Bereichen können. Rund um die Audio- und Videoproduktion gibt es mittlerweile viele professionelle Angebote. Diese Komponenten können einen TeamPodcast ohne großen Aufwand unterstützen. Beispiele sind: ein fremdes Studio nutzen, eine Sprecherin oder einen Sprecher für die Intro oder Autro beauftragen, die Postproduktion extern beauftragen usw. 3. Sich Wissen aneignen: Meine Erfahrung ist, dass viele, die neu mit einem Audio- oder Videoprojekt starten, unterschätzen, was alles dranhängt: rund um die Anschaffung des Equipments, den Umgang mit einem Aufnahme- und Schnittprogramm, der inhaltlichen Planung, der Recherche und Aufbereitung der Inhalte über die Umsetzung – also das Sprechen. Achim Barczok hat im c’t uplink Interview auf die Grenzen hingewiesen, alles selbst beherrschen zu können. Auch wenn man vernetzt arbeitet und Komponenten nutzt, vermeiden kann man es nicht, sich Wissen anzueignen. Je nach Fragestellung gibt es auf den unterschiedlichen Kanälen Hilfe: YouTube, Podcasts über das Podcasten, Literatur, Kurse und individuelle Beratung. Im Gegensatz zum Single-Podcast – eine Person, ein Mikro, ein Thema –, braucht ein Podcast oder Videocast mit mehreren zwar mehr Absprachen, aber hat auch viele Vorteile. Ich habe Anne Deny und Mona Leitmeier dazu interviewt. Sie arbeiten beim Deutschen Volkshochschul-Verband: Anne Deny achtet darauf, dass das Netzwerk zwischen Volkshochschulen und Jugendmigrationsdiensten deutschlandweit immer größer wird und führt mit ihren Kolleginnen gemeinsam Schulungen zu Materialien durch. Und Mona Leitmeier kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit und ist an der Erstellung von Materialien beteiligt.
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Interview mit Anne Deny und Mona Leitmeier vom Deutschen Volkshochschul-Verband Worum geht es in eurem Podcast? Anne/Mona: In unserem Podcast „RADIKAL querdurchdacht“ dreht sich alles rund das Thema Radikalisierungsprävention. Im Projekt entwickeln wir Materialien für pädagogische Fachkräfte, u. a. zu den Themen Resilienz gegenüber menschenfeindlichen Ideologien, der Auseinandersetzung mit eigenen und gesellschaftlichen Geschlechterrollen und dem Umgang mit Fake News und Hate Speech. Im Podcast widmen wir jedem Thema drei Folgen: In der ersten Folge ordnen wir das Thema ein, klären Definitionen, stellen die neuesten Studien vor und geben den Zuhörer*innen Materialien für ihre eigene Praxis an die Hand. In den beiden weiteren Folgen sprechen wir mit Wissenschaftler*innen und mit Praktiker*innen. So bieten wir wissenschaftliche bzw. theoretische und praktische Perspektiven. Was war euer Motiv, einen Podcast zu starten? Anne/Mona: Unseren Podcast kann man als Corona-Baby bezeichnen. Im März 2020 standen wir vor der Frage, wie wir unsere Themen und Materialien weiterhin an unsere Zielgruppe vermitteln können und dann kam recht schnell die Idee, Gespräche aufzuzeichnen. Seitdem laden wir verschiedene Personen zu uns „ins digitale Studio“ ein. Die meisten Interviews können wir mit Online-Aufnahmeprogrammen machen, sodass z. B. Fahrtwege und Reisekosten wegfallen und wir zeitlich flexibler sind. Unsere Motivation, auf diese Weise Projektinhalte und auch -strukturen zur Verfügung zu stellen, hat den Podcast über den Beginn der Pandemie hinaus verfestigt. Ihr betreibt den Podcast zu zweit, erzählt doch mal, wieso und was euch daran gefällt. Anne/Mona: Die Produktion des Podcast übernehmen wir, Anne und Mona, gemeinsam. D. h. vom Skript über die Aufnahme bis hin zum Schnitt liegt alles auf unserem Schreibtisch. Wir tauschen uns intensiv zu den Themenfeldern aus und helfen uns immer wieder mit Tipps oder Korrekturvorschlägen aus. Zu zweit am Podcast zu arbeiten ist total bereichernd, um sich als Team weiterzuentwickeln, aber eben auch, um nicht im Perfektionismus zu versinken. Denn ein Podcast lebt laut unserer Ansicht nach auch davon, dass situationsbezogene Gesprächsverläufe Platz haben und der eine oder andere Sprechfehler dazugehört. Was bedeutet es für jede persönlich, an diesem Projekt mitzuwirken? Anne: Die Arbeit der Praktiker*innen an Volkshochschulen oder Regelschulen abzubilden, finde ich total interessant und wichtig, so können Erfahrungswerte auch außerhalb von Veranstaltungen vermittelt werden.
114 J. Talley Mona: Politische Bildungsarbeit ist wichtig, weil die Themen immer alltagsrelevant sind. Mit dem Podcast können wir eben diese Themen flexibel vertiefen und dabei von Expert*innen aus verschiedenen Arbeitsfeldern lernen. Auch die Vernetzung macht mir großen Spaß. Vielen Dank für Eure Einblicke!
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6.1 Hörverstehen „Der Zuhörer hat es grundsätzlich schwerer als der Leser“, sagt Wolf Schneider (2022, S. 139). Wer einen Podcast hört, oder ein Video schaut, schenkt Aufmerksamkeit und will im Gegenzug verstehen, was gesagt wird. Und das hat Tradition. Lange bevor es Schriftsprache gab, saß man am Lagerfeuer und hat erzählt. Anders als in modernen Podcast-Apps gab es hier keine Möglichkeit die letzten 15 Sekunden zu wiederholen oder die Sprache schneller abzuspielen. Wer hier klar und verständlich sprechen konnte, war im Vorteil – denn da wurde zugehört. Diese alte Regel ist tief in uns verankert, und von modernen Zuhörenden kann keine Geduld erwartet werden. Sie mögen weder Schachtelsätze noch Genuschel. Im Zweifel verlassen sie Podcasts oder Videos: still, heimlich und leise. Man könnte meinen, ein gutes Skript und deutliches Sprechen seien die Lösung. Leider stimmt das nicht ganz: Zuhörende brauchen kein Schönsprechen – sondern sie wollen Hörverstehen. Hörverstehen ist das Verstehen, Mitdenken und Miterleben dessen, was gehört wird. Wenn Zuhörende gut folgen können, wenn sie sich ein inneres Bild machen © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_6
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und das Gefühl haben, direkt etwas mitzunehmen und zu behalten, wird eher abonniert und – eher weiterempfohlen. Sprecherinnen und Sprecher können einiges dafür tun, damit ihre Zielgruppe ihnen gut folgen kann. Hörverstehen ermöglichen: • Achten Sie auf ein angemessenes, variables Sprechtempo. Das Ziel ist: Andere sollen mitkommen können, ohne dabei gelangweilt zu werden. • Sprechen Sie deutlich und nicht überbetont. Damit ermöglichen Sie ein müheloses Entschlüsseln der Sprache. • Setzen Sie Sprechpausen. Sie ermöglichen das Mitdenken. Beachten sie dabei, dass je nach Zielgruppe die Hörgewohnheiten sehr unterschiedlich sein können. Manche YouTuber arbeiten mit „Jumpcuts“ – also häufige Schnitte – um das Video kurz und schell zu halten. Alle Sprechpausen werden dafür eliminiert. • Sprechen Sie akzentuiert und formulieren Sie verständlich.
Der professionelle Audio- und Videojournalismus achtet sehr darauf, die Zielgruppe passend zu erreichen. Die Erfolge werden an verschiedenen Kennzahlen gemessen: den Klickzahlen, Downloads, Streams, Followern, Verweildauer, Chart-Position, Interaktionen. Ein Unternehmenspodcast oder Hochschulvideoprojekt hat möglicherweise eine viel kleinere Zielgruppe – darin liegen auch Vorteile. Wer seine Zielgruppe kennt, kennt eher ihre Hörgewohnheiten und kann in der eigenen Vorbereitung und Durchführung das Hörverstehen der anderen besser mitdenken. Mit Hintergrundwissen und ein bisschen Routine kann ein Audio- oder Videoprodukt entstehen, das das Ohr der Zielgruppe beglückt.
6.2 Sprechdenken Wie gelingt es, im Podcast und Video hörverständlich zu sprechen? Also deutlich, mit sinngemäßen Pausen, im passenden Tempo, einer lebendigen Sprechmelodie und Betonungen und mit angenehmer Stimme… Wie schafft man es, dabei auch noch authentisch zu klingen?
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Die gute Nachricht ist: Mit „Sprechdenken“ ist das möglich – auch ohne professionelles Sprechtraining. Dabei wird das, was gesagt wird, im Moment des Sprechens gedacht. Man löst sich vom Auswendiglernen, verabschiedet sich vom schönen Vorlesen und man kopiert keine bestimmte Spreche. Wer das denkt, was er oder sie sagt, spricht meist von ganz allein hörverständlich. Die Betonungen und Pausen werden von selbst sinngemäß gesetzt, der gesamte Ausdruck passt zu den Inhalten. Natürlich spielt die Rhetorik eine Rolle, im Sinne der Wortwahl. Egal, ob Sie mit einem ausformulierten Skript oder einem Stichwortkonzept arbeiten, im Podcast oder Video orientiert man sich am besten am Mündlichen. Mehr dazu können Sie im Abschn. 6.3 „Schreiben fürs Sprechen“ erfahren. Wer frei spricht, formuliert im Moment – man denkt, was man sagt. Wenn ein Skript vorliegt, ist das schon schwieriger. Im Idealfall ist es selbst geschrieben. Im besten Fall sogar für das Sprechen und Hören formuliert, dann fällt es nicht schwer, den Text zu erfassen und neu zu denken. Wenn jedoch ein fremder Text vorliegt, dann muss ich mir fremde Gedanken zu eigen machen. Und falls das zu sprechende Skript ungünstig formuliert ist, dann können selbst Sprechprofis allenfalls korrekt vorlesen. Sprechdenken ist oft nicht möglich, Hörverstehen unmöglich. Was steckt hinter dem Sprechdenken? Und kann man es trainieren? Voraussetzung zum Sprechen ist ein innerer Impuls, emotional oder gedanklich. Das kann eine Idee sein, ein lang durchdachtes Argument oder ein spontanes Gefühl. Der Sprechimpuls wird mithilfe motorischer Muster in gesprochene Sprache umgesetzt, unter Beteiligung der Körperspannung, Atmung, Stimme, Artikulation und Körpersprache. Je nach Intensität und emotionaler Richtung reagiert der sprachliche Ausdruck ganz automatisch, die Stimme klingt entsprechend schärfer oder milder, das Sprechtempo galoppiert oder pausiert. Menschen denken und empfinden unterschiedlich. Das Sprechdenkmuster wirkt sich auf die Wortwahl, Satzstruktur, den Erzählstil und die Art und Weise des Sprechens aus. Sprechen und denken zu koordinieren – das kann man üben.
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Merksatz: Sprechdenken – also sprechen und denken zu koordinieren – das kann man üben.
Übungen für das Sprechdenken • Einen fremden Text lesen: Das kann ein kurzer Beitrag aus der Zeitung oder aus Social Media sein, oder eine kurze Geschichte. • Den Text in eigenen Worten nacherzählen, mit dem Ziel, in einen Sprechfluss zu kommen. In dieser Übung müssen die Formulierungen nicht perfekt sein. Der Sprachfluss entwickelt sich mit der Zeit. • Den Text in Stichworten aufschreiben oder ausformulieren in eigenen Worten. Nun mithilfe des eigenen Skriptes laut erzählen. • Beim Sprechen grundsätzlich eine Hand frei lassen und mindestens mit den Fingerspitzen gestikulieren, lieber mit dem ganzen Arm. • Wer mag, kann sich selbst dabei aufnehmen. Ich empfehle eine Audioaufnahme, damit Sie sich beim Anhören besser auf die Sprache konzentrieren können. Sobald das Auge ein Video vorgesetzt bekommt, fällt es den meisten Menschen sehr schwer, sich auf das Gehörte zu konzentrieren.
Damit sich das Sprechdenken auf den eigenen Ausdruck auswirken kann, brauchen Sprecherinnen und Sprecher eine gewisse Durchlässigkeit: also die Bereitschaft und die Fähigkeit, innere Impulse nach außen durchzulassen. Der Körper ist das Instrument, was diese Impulse zum Klingen bringt – durch die Atmung, die Stimme und den gesamte körpersprachlichen Ausdruck. Und das geschieht von ganz allein. Die Folge ist: Das Sprechen ist einzigartig. Und das ist gut so. Beim Üben oder während der Aufnahmesituation muss es Sie nicht ärgern, wenn jeder Take etwas anders klingt, sondern Sie können es als sicheren Beweis für Ihr Sprechdenken verstehen. Zur Vertiefung: • Schauspielerinnen und Schauspieler, professionelle Sprecherinnen und Sprecher trainieren ihre stimmliche und sprecherische Geschmeidigkeit, um flexibel im Ausdruck zu sein. Ihr Körper lässt Veränderungen mühelos zu. Er ist das Musikinstrument, was gepflegt und gestimmt wird, damit es im Konzert nicht nur einen Ton gibt, sondern mit Musik berührt.
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• Je nachdem, aus welcher Rolle jemand gerade spricht, kann es sinnvoll sein, mehr oder weniger Distanz durch die Art und Weise des Sprechens zu vermitteln, also mehr oder weniger Gefühle zu zeigen. In der Weihnachtsansprache können sich CEOs emotionaler zeigen als in der Präsentation der Finanzzahlen gegenüber dem Investor. Im Videocast über Filmkunst kann das persönliche Beispiel privater klingen und der technische Teil distanzierter. Diese Feinabstimmung im Ausdruck wird als Authentizität wahrgenommen.
6.3 Schreiben fürs Sprechen Wenn Sie Texte schreiben, die gesprochen werden sollen, dann orientieren Sie sich idealerweise am Mündlichen. Widerstehen Sie der Versuchung, besonders geschmeidig und hochgestochen zu formulieren. Schreiben Sie stattdessen einfach und übersichtlich. So, dass man die Worte beim Lesen auch erfassen und sprechdenken kann. Ob ein Text fürs Sprechen geeignet ist, zeigt sich im Moment der Aufnahme, wenn alles flutscht und ein gutes Ergebnis dabei rauskommt. Ist der Text allerdings schwer sprechbar, dann führt es mitunter zu Frust und Zeitverlust. Deshalb lohnt es sich, sich mit dem Schreiben fürs Sprechen zu befassen und den eigenen Text schon beim Schreiben auf die Sprechbarkeit zu überprüfen. Am besten laut sprechend. Ich möchte Ihnen hier einige Schreibtipps mit auf den Weg geben. 1. Schreiben Sie verbal. Alles, was bereits beim Lesen anstrengt, ist für das Sprechen ein echter Nachteil: der Nominalstil. Die Anhäufung von Nomen und das Verwenden von Substantivierungen sind typisch schriftsprachlich. Der Nominalstil verschleiert, wer handelt. Die Sprache wirkt passiv. Der Vorteil ist zwar, dass man sehr präzise formulieren kann, der Nachteil ist, dass die Sätze kaum sprechbar und noch weniger hörverständlich sind. Auch wer sich mit dem guten Schreiben von Texten für Print beschäftigt, wird diesen Stil vermeiden und lieber verständlich formulieren. Immerhin: Geduldige und Wissbegierige können schwierige Sätze mehrfach
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lesen, das ist beim Zuhören nicht möglich. Deshalb: Lassen Sie Menschen agieren. Und lösen Sie feste Verbindungen auf. Beispiele Nominalstil
Beispiele Verbalstil
Im Mündlichen gibt es Handlung. Wer spricht, nimmt andere mit. Es wird über die Ausweitung und Vertiefung der bestehenden Beziehungen unter Einbezug der Ziele für das Friedensabkommen gesprochen.
Die bestehenden Beziehungen sollen ausgeweitet und vertieft werden. Dabei werden die Ziele aus dem Friedensabkommen einbezogen.
2. Machen Sie halblang. Im Mündlichen werden häufig kleine Sinneinheiten verwendet. Es werden auch eher kurze als längere Worte verwendet. Manche verlangen: nur Hauptsätze. Das entspricht aber nicht dem Sprechen. Wer beim Reden denkt, beendet manchen Satz nicht, schiebt spontan einen Gedanken ein und macht einen Schlenker. Solang die Zuhörenden mitkommen und solang die Sprecherin oder der Sprecher den Spannungsbogen hält, ist das alles erlaubt. Dennoch sollten Sie den Bogen nicht überspannen. Auch wenn Sie lange und komplizierte Sätze sprechen können, beim Skripten sollte man nicht an die Grenze des Sprechbaren gehen, sondern Luft nach oben lassen. Machen Sie es sich leicht – und den anderen auch.
Praxistipps • Überprüfen Sie bereits schreibend, ob ihr Text gut sprechbar ist, indem Sie ihn laut vorlesen. • Denken Sie Atempausen mit. Lange Sinnbögen verlangen einen langen Atem, planen Sie kleine Sinnschritte. Sehr leicht verständliche Satzlängen sind laut Markus Erberich (vergl. 2022, S. 18) bis zu 13 Wörter. • Nebensätze sind erlaubt, sollten aber logisch aufeinander folgen.
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3. Das Wichtige kommt ans Satzende! Beim Sprechen entstehen Spannungsbögen. Das Wesentliche, das Neue wird intuitiv am Ende eines Satzes platziert. Das hat Gründe: Die auditive Merkspanne ist bei Menschen mit ca. 6–8 Sekunden recht begrenzt. Was zuletzt gehört wird, bleibt also mit höherer Wahrscheinlichkeit im Kopf. Manchmal sind Äußerungen jedoch genau umgekehrt aufgebaut, beispielsweise wenn man Gefühle zeigt. „Enttäuscht bin ich!“ Hier liegt der Sinnkern „enttäuscht“ am Anfang und wird betont. Was man in Podcasts und Videos unbedingt vermeiden sollte, ist ein Sprachstil mit Überschriften. Headlines funktionieren schriftlich, mündlich klingen sie abgehackt und können zu Verwirrung führen. Am Negativbeispiel: „Hallo herzlich willkommen! Webdesign: mit 4 Tipps weiterkommen. Im heutigen Video: SEO-Optimierung. So kann es gelingen. Ich habe eine Expertin eingeladen, die uns zeigen wird, wie es geht. Liebe Maria, schön, dass du da bist… Wortfolge | schriftlich
Wortfolge | hör- und sprechbar
Du hast mich belogen.
Belogen hast du mich.
Wie wir mit Hassrede im Internet In unserer heutigen Episode umgehen, darum geht es in geht es um Hassrede im Internet, unserer heutigen Podcastfolge. und wie wir damit umgehen. Die folgenden Informationen sind Hilfen, um den passenden Studiengang in drei Schritten zu finden.
Du bist auf der Suche nach dem passenden Studiengang? Wir zeigen dir, wie du vorgehen kannst – in drei Schritten.
4. Verständlich sprechen: • Kurze Worte sind leichter hörverständlich als lange: statt „Eiscremezubereitung“ – „Eis“ • Wenn möglich runden Sie Zahlen oder machen Sie sie anschaulich: 19.878 – knapp 20.000 – das ist vergleichbar mit…
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• Sprachliche Varianten erschweren das Verstehen: „der Fachexperte“ ist später „unser Kollege“ und danach „der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler“. 5. Wiederholungen Wer gelernt hat, dass Wiederholungen schlecht sind, kann diese Regel beim Schreiben fürs Hören über Bord werfen. Denn wenn wir mit anderen kommunizieren, markieren wir durch Wiederholungen, was wichtig ist. Diese sinnvollen Redundanzen verdeutlichen den Zuhörenden, dass ein bestimmter Punkt Aufmerksamkeit verdient. 6. Schreiben für ein Video Grundsätzlich gilt: In Videos müssen Bild und Sprache aufeinander abgestimmt sein. Die Basis dafür ist das „Drehbuch“, oder das Konzept mit dem roten Faden für das Format. Beim Schreiben des Skriptes sollte bereits klar sein, wie die Bildsprache und Dramaturgie aufgebaut sind oder andersherum. Hat ein Team beispielsweise für ein Video die Dramaturgie der Bilder festgelegt, wird nun das Skript dazu entwickelt. In manchen Szenen muss viel mehr erklärt werden als in anderen, hier muss die Szenendauer angepasst werden. Beim Sprechen zum Bild wird mit Pausen und Tempo so gearbeitet, dass das Timing stimmt. Bildsprache und gesprochene Sprache soll im Einklang miteinander sein.
6.4 Immer fürs Sprechen schreiben Wer mit Skripten arbeitet, muss sich zwangsläufig mit dem Schreiben befassen. Eben habe ich dafür konkrete Techniken gezeigt, jetzt geht es um die Frage, warum die gesamte berufliche Kommunikation davon profitiert. Dazu hat Marcus Erberich etwas zu sagen. Er ist freier Journalist und Redakteur sowie Autor des Springer Essentials „Einfach und verständlich schreiben – Techniken von Profis für Beruf und Studium“. Er berichtet aus England für deutschsprachige Tageszeitungen und Magazine – hauptsächlich über Fußball. Mit professionellem Schreiben beschäftigt er sich seitdem GermanistikStudium in Bonn.
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Kurzbeitrag von Marcus Erberich, freier Journalist, Redakteur und Autor, zum Thema „Schreiben fürs Sprechen“ Journalistinnen und Journalisten lernen in der Ausbildung, dass es beim Schreiben einen entscheidenden Unterschied gibt: ob man für Leser oder für Hörer schreibt. Für das Hören zu schreiben, erfordert demnach, sich besonders um einen klaren Ausdruck und eine einfache Textstruktur zu bemühen. Warum? Weil Leser eines Artikels einen Satz mit etwas Engagement noch einmal lesen können, wenn sie ihn nicht verstanden haben; Hörer eines Radiobeitrags können dagegen nicht zurückhören. Bei einem Podcast ist das zwar technisch machbar, aber nicht guten Gewissens zumutbar. Allerdings gibt es gute Argumente, warum man immer für das Sprechen schreiben sollte, auch wenn die eigenen Texte für das stumme Lesen bestimmt sind. Erstens hat gegen Klarheit und Einfachheit nur etwas einzuwenden, wer seine Leser gezielt hinters Licht führen möchte. Und zweitens hören die meisten Leser eine Stimme im Ohr, auch wenn sie stumm lesen. Schreiben fürs Sprechen sollte deshalb nicht die Ausnahme sein, sondern die Regel. Das fängt bei der Wortwahl an. Am verständlichsten sind Wörter, wenn sie kurz, konkret und knackig sind. Kürze ist wichtig, weil sich sowohl beim Lesen als auch beim Hören der Sinn kurzer Wörter leichter erschließt. Wenn Sie ein langes Wort schreiben, fragen Sie sich, ob es ein kürzeres mit derselben Bedeutung gibt. Dabei können Synonym-Datenbanken im Internet behilflich sein. Konkrete Wörter sind besser als abstrakte. Wenn ein Hörer eines Radiobeitrags zum Beispiel über einen Fachbegriff stolpert, weil er dessen Bedeutung nicht kennt, verliert er den Anschluss – und die Lust am Weiterhören. Unter knackigen Wörtern versteht man vor allem Verben wie hüpfen, flattern oder plumpsen, die Schwung und Klang in den Text bringen. Und was man gerne liest oder hört, das prägt man sich leichter ein. Schreiben fürs Sprechen bedeutet auch, transparente, also durchsichtige Sätze zu schreiben. Leser und Hörer müssen früh erkennen, was ein Satz soll und wohin er will. Wer die Hauptsachen in Hauptsätze schreibt, statt in Nebensätzen und Einschüben zu verbuddeln, hat schon viel erreicht. Sie sollten außerdem die sinngebenden Teile des Satzes (z. B. Subjekt und Prädikat) so nah wie möglich zusammen schreiben, um zu verhindern, dass ein möglicherweise falscher Zwischensinn entsteht. Mehr als drei Sekunden – zirka sechs Wörter – sollten wir deshalb nicht zwischen diese Satzteile quetschen. Auch haben unnütze Bauteile in einem Satz so wenig verloren wie in einer Maschine: „aus dem Grunde“ sagt nicht mehr aus
124 J. Talley als das einfache „weil“; und „wer den neuen Rasenmäher seiner Nutzung zuführen möchte“, sollte ihn besser „benutzen“. Kurze und konkrete Wörter in durchsichtigen Sätzen, ein folgerichtiger Textaufbau, also die Orientierung näher an der gesprochenen als der rein schriftlichen Sprache: Dabei geht es auch um Fairness. Denn je einfacher ein Text geschrieben ist, desto mehr Menschen können ihn lesen und verstehen. Zu viele Schreiber von Texten, die vor allem für das stumme Lesen bestimmt sind, neigen dagegen zu unnötig komplizierten Formulierungen, achtlos hingeschrieben, ohne dabei einmal an das Publikum zu denken. Die deutsche Grammatik ist geduldig, sie lässt auf dem Papier und dem Monitor die scheußlichsten Ungetüme zu. Aber würden die Autoren solcher Texte sie nur einmal laut aussprechen, Zeile für Zeile, würden sie zutiefst bereuen, was sie da verbrochen haben. Ist all das eine Frage des Stils? Jein. Mindestens genauso sehr ist es eine Frage der Haltung und der Bereitschaft, im Dienst der Leser und Hörer an den eigenen Texten zu feilen. Es ist natürlich auch eine Frage der Zeit, denn verständlich und auf den Punkt zu schreiben, ist mühseliger, als alles einfach so hinzuschreiben. Viele Schreiber verschanzen sich außerdem hinter dem sogenannten Beamtenjargon, weil sie fürchten, sonst nicht als professionell wahrgenommen zu werden. Dabei ist keine Ausprägung des Deutschen weiter entfernt von der gesprochenen Realität als das, was wir in Behördenbriefen, Verträgen und leider auch in vielen Zeitungen und Online-Artikeln lesen müssen. Würden mehr Texte des täglichen Gebrauchs für das Sprechen geschrieben, wäre allen geholfen. Vielen Dank, lieber Marcus Erberich, für Deinen Beitrag!
Die drei wichtigsten Punkte zusammengefasst: • Je einfacher, desto verständlicher. • Sätze sollten transparent sein, Worte kurz. • Wie man schreibt, ist auch eine Frage der Haltung: Habe ich die Bereitschaft, mich verständlich auszudrücken?
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6.5 Visualisierung von Text Frei sprechen – oder mit Skript? Manche Formate sind von vorne bis hinten durchgeskriptet, z. B. der Teil der Video-Pressestunde eines Unternehmens, wenn Sachinhalte exakt präsentiert werden. Auch eine wichtige CEO-Ansprache im internen Unternehmenspodcast wird inhaltlich vorbereitet. Andere Formate wiederum vertragen vollkommen freies Sprechen. Hier wird nur ein kleiner Teil eines Podcasts oder Videos schriftlich vorbereitet – die Intro oder der Rückblick. Im Podcast ist die Folge Null besonders wichtig: Sie bildet den Aufmacher, soll Zuhörende binden und wird von den meisten Podcastenden deshalb genau geplant. Dafür wird ein Text entwickelt und meist niedergeschrieben. Dieser Text muss jetzt an den Mann oder die Frau gebracht werden – auswendig gelernt oder abgelesen. Und der beste Text nutzt wenig, wenn man ihn nicht gut vortragen kann: die passende Visualisierung hilft dabei. Ich stelle Ihnen hier vier Methoden vor, mit denen Sie Ihre Texte visualisieren, also darstellen können. Dabei ist es egal, ob dieser auf dem Tablet und oder auf Moderationskarten landet. Viermal Visualisierung: • Flattersatz (klassische Textdarstellung) • Treppentext • Stichwortkonzept • Mindmap Warum ist die Textvisualisierung so wichtig? Wer den Sprechtext schnell erfassen kann, hat Vorteile: Das Sprechdenken ist möglich. Dadurch wird wie von selbst richtig betont, geatmet und in der Folge auch von den Zuhörenden besser verstanden. Es passieren weniger Fehler. Weniger Versprecher, keine seltsamen Betonungen. Das bedeutet auch: Ein effizientes Arbeiten ist möglich,
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da die Anzahl der nötigen Takes sinkt. Je seltener ich eine Aufnahme (Take) wiederholen muss, um brauchbares Material zu bekommen, desto besser. Die Postproduktion ist einfacher. Je besser die Qualität des Sprechens im Audio- und Videomaterial, desto weniger muss hinterher geschnitten werden. Wer Erfahrung mit der Nachbereitung von Sprachaufnahmen hat, weiß, es kann sehr mühselig sein mit dem Schnitt: einzelne brauchbare Schnipsel finden und wieder neu zusammensetzen, ggf. aus verschiedenen Takes – das kostet Zeit. Ich stelle Ihnen in diesem Kapitel die Methoden anhand eines Beispiels vor, und ich gebe Empfehlungen, die sich aus meiner jahrelangen Erfahrungen mit vielen unterschiedlichen Menschen speisen. Sie können sich das heraussuchen, was Sie neugierig macht. Am Ende sollten Sie eine Visualisierungsmethode für sich finden, die gut in Ihren Alltag integrierbar ist und Ihnen das Leben leichter macht. Alles, was erheblichen Mehraufwand bedeutet, oder beim Sprechen nicht für Sie funktioniert, können Sie über Bord werfen. Auf die Konzeption selbst gehe ich hier nicht ein: Hinweise dazu finden Sie in Abschn. 4.1 „Struktur und Aufbau“, Abschn. 4.2 „Konzeption“ sowie Abschn. 8.7 „Mentale Vorbereitung“. Die Arbeit mit und am Text ist aus dem Stimm- und Sprechtraining nicht wegzudenken. Der Text ist die Basis für einen guten Auftritt. Diese gute Basis trägt nicht nur zu einem gelungenen Auftritt bei, sondern führt auch zu mehr Wohlbefinden beim Sprechen, weil es leicht geht. Die meisten von Ihnen haben es schon einmal selbst erlebt – oder miterlebt –, die Quälerei, wenn ein schlecht geschriebener Text ansprechend vorgetragen werden soll. Es kostet Kraft und gelingt oft nicht. Deshalb zeige ich Ihnen in Abb. 6.1 zwei Wege zum Sprechskript.
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Abb. 6.1 Von der Idee zum Skript. (Bild: Eigene Darstellung)
1. Sie formulieren den Text aus. Dabei sollten Sie nach den zuvor genannten Schreibtipps vorgehen – am besten sprechend. Schreiben Sie den Text auf, Wort für Wort, oder diktieren Sie ihn. Eine weitere Möglichkeit: Sprechen Sie die „Rede“ frei, nehmen Sie sich dabei auf und transkribieren Sie im Anschluss die Aufnahme. So formulieren Sie ohne Umwege mündlich. Sie haben jetzt einen ausformulierten Text und damit die Wahl: Lassen Sie ihn so wie er ist und visualisieren Sie ihn klassisch – beispielsweise als linksbündigen Flattersatz –, Treppe oder Mindmap? Oder reduzieren Sie ihn auf ein Stichwortkonzept? 2. Sie erstellen ein Stichwortkonzept. Wenn Sie ohnehin möglichst frei sprechen möchten und sich dafür Stichworte wünschen, dann können Sie nach der Konzeption direkt ein Stichwortkonzept erstellen. Dafür schreiben Sie sich die wichtigen Eckpunkte auf. Finden Sie Ihre Kernaussage und formulieren Sie Stichworte oder
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ganze Wendungen. Entwickeln Sie Ihr Stichwortkonzept sprechend weiter. Achten Sie dabei ganz besonders auf abwechslungsreiche Verben, die Sie entweder in der Grundform oder gebeugt notieren, je nachdem, was für Ihren Sprechfluss besser ist. Schreiben Sie sich auch Übergänge auf. Ihr Stichwortkonzept können Sie klassisch darstellen oder als lesend viel einfacher zu erfassende Treppe. Auch eine Mindmap bietet sich für ein Stichwortkonzept an. Wie das genau aussieht, folgt jetzt Schritt für Schritt.
6.6 Flattersatz Der Klassiker unter den Visualisierungsmethoden ist der linksbündige Flattersatz. Wir kennen diese Darstellungsform aus dem Schriftlichen: Linksbündig ausgerichtete Texte mit Absätzen, die einzelne Sinnabschnitte voneinander abgrenzen. Der linksbündige Flattersatz – darauf kann man achten • Eine gut lesbare Schrift und Schriftgröße verwenden. • Platz auf der Seite frei lassen – links oder rechts vom Text. • Den Zeilenabstand deutlich vergrößern (meine Empfehlung: 2.0). So ist Platz für Notizen, Änderungen, Pausenzeichen oder die Markierung eines Sinnkerns (das ist vereinfacht gesagt die Hauptbetonung innerhalb eines Sinnabschritts). • Absätze mit einer Leerzeile voneinander trennen.
Ich zeige am Beispiel eines Podcastausschnitts, was damit gemeint ist. Der Ausschnitt stammt aus dem Podcast „Listen & Grow“ von HubSpot. Folge 195: „Websites für Mobilgeräte optimieren“ https:// www.hubspot.de/podcasts/listen-and-grow (Zugegriffen: 03.01.2023):
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6.7 Treppentext Meine absolute Empfehlung für alle, die mit ausformulierten Texten arbeiten, ist der Treppentext. Falls die treppenförmige Darstellung eines Textes Sie befremdet, rate ich, laut sprechend eine Leseprobe zu machen. Der Treppentext hat einige wichtige Vorteile: Die Dramaturgie eines Textes wird visuell erfassbar. Die Treppe erlaubt dem Auge eine extrem schnelle Texterfassung. Vorausschauendes Lesen ist leichter und das Sprechdenken ist einfacher. So bleibt Aufmerksamkeit für anderes – wie die Ausrichtung auf die Zuhörenden, den Sprechausdruck etc. Auch der Treppentext bietet Platz für Notizen und Markierungen. Der Treppentext folgt zwei Grundregeln: 1. Die Dramaturgie soll sichtbar sein. 2. Sinnerfassen steht vor Platzsparen.
Der Treppentext – darauf kann man achten • Eine gut lesbare Schrift und Schriftgröße verwenden. • Großen Zeilenabstand wählen: 2.0 • Eine Treppe pro Sinnabschnitt anlegen. Zusammengehörende Einheiten (Sätze) gehören in eine Treppe. Treppenstufen beginnen innerhalb einer Treppe eingerückt. • Dramaturgischer Zeilenwechsel: Betonungen, Einschübe oder Pausen werden durch Zeilenwechsel angezeigt. Sie werden so platziert, dass die Dramaturgie sichtbar ist. • Lesefreundlicher Zeilenwechsel: Passt eine Sinneinheit nicht auf eine Zeile, wird der Zeilenwechsel so gewählt, dass es das Auge so leicht wie möglich hat. Also: nicht zwischen Artikel und Nomen, sondern früher – vor dem Artikel. So wie es für Sie am besten lesbar ist. Man geht hier verschwenderisch mit dem Platz um. Der Satzrest soll schnell erfassbar sein, deshalb wird der Weg, den das Auge zurücklegen muss, so kurz wie möglich gestaltet.
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Wie baut man den Treppentext richtig? Was gibt Orientierung? Wenn ich in meinen Seminaren ein und denselben Text von mehreren Menschen in jeweils individuelle Treppentexte umwandeln lasse, dann entstehen ein paar universelle Versionen, die von allen sehr gut gesprochen werden können. Daneben tauchen Unikate auf. Sie ergeben für die Treppentextschreibenden Sinn und sind für diese sehr gut sprechbar – für alle anderen funktionieren sie nicht optimal. Es gibt hier also mehrere Wege. Wenn Ihre Treppe für Sie gut sprechbar ist, dann gibt Ihnen das Ergebnis recht. Jede Sprecherin und jeder Sprecher kann bei der Visualisierung einen eigenen Stil finden und im Laufe der Zeit für sich weiterentwickeln. Für eine Aufnahme gilt: Passen Sie unbedingt selbst den Text an, in Ihrem Visualisierungsstil. Auch Teams können die Treppentext-Methode gut nutzen. Stellen Sie sich vor, die Redaktion hat eine bestimmte Dramaturgie erarbeitet, welche die Sprechenden umsetzen sollen. Darüber müssen sich Teams verständigen können und erfassen, was gemeint ist. Der Treppentext kann die Kommunikation im Team vereinfachen. Legen Redakteurinnen und Redakteure das Skript von vornherein als Treppentext an, können sie damit die geplante Dramaturgie vermitteln. Es wird schnell deutlich, worauf ein Text abzielt, wo die Sinnkerne liegen und was besonders hervorgehoben werden soll. Ein einfacher Blocktext kann das nicht. Wichtig ist, dass man dem Sprecher oder der Sprecherin am Ende noch die Möglichkeit lässt, eigene Änderungen zu vorzunehmen. Merksatz: Sprecherinnen und Sprecher passen für eine Aufnahme selbst den Text an – in ihrem persönlichen Visualisierungsstil.
Die folgende Abbildung zeigt unser Beispiel im Treppentext (Treppentext mit Zeilenwechsel). Rechts finden Sie Erläuterungen zu den gewählten Zeilenwechseln.
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In der nun folgenden Abbildung habe ich den Beispieltext leicht verändert – nach den Schreibregeln fürs Sprechen. Wenn Sie mögen, sprechen Sie beide Versionen einmal laut.
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6.8 Stichwortkonzept Wer lieber frei spricht (oder frei sprechen muss) und dabei trotzdem einem roten Faden folgen möchte, kann mit Stichwortkonzepten arbeiten. Wer das eigene Stichwortkonzept in Treppenform aufschreibt, bietet dem Auge zusätzlich eine schnelle Orientierung. Diese Methode hat viele Vorteile: Man kann fast frei sprechen und automatisch sprechdenken. Wichtige Inhalte sind notiert und können so nicht vergessen werden. Ausuferndes, unkonzentriertes Erzählen ist kaum möglich, wenn man sich am Konzept entlanghangelt. Ein Nachteil könnte sein: Ein Stichwortkonzept schreibt sich nicht von selbst und meistens kann man es nur unter bestimmten Bedingungen delegieren. Egal ob Sie im Team und mit einem fremden Text arbeiten, oder das Stichwortkonzept selbst konzipieren, Sie sollten sich als Sprecherin oder Sprecher rechtzeitig vor dem Auftritt die Zeit nehmen, um das Konzept so anzupassen, dass es für Sie richtig gut sprechbar ist. Das Stichwortkonzept – darauf kann man achten • Es gibt zwei gängige Wege zu einem guten Stichwortkonzept: Der eine Weg macht einen Schlenker über einen ausformulierten Text und der andere konzipiert von vornherein in Stichworten, siehe Abb. 6.1. • Das Stichwortkonzept kann als Treppe angelegt werden: ein Sinnschritt pro Treppe. • Verben gehören ins Stichwortkonzept! Sie beleben die Sprache. Wer sich hier abseits der Verben „sein“ und „haben“ tummelt, kann Bilder im Kopf der Zuhörenden zeichnen. Außerdem suchen wir beim freien Sprechen oft nach Verben. Probieren Sie aus, welche Verbform für Sie funktional ist. Die Grundform lässt mehr Flexibilität zu, was ein Voroder Nachteil sein kann. • Die Sinnkerne sollten aufgeschrieben und markiert werden. Das sind meist einzelne Worte, seltener ganze Wendungen. Im folgenden Beispiel (Stichwortkonzept als Treppe) ist die „mobile Nutzung des Internets“ das Hauptthema und damit auch ein Sinnkern. • Außerdem können wichtige Übergänge (oder je nach Vorliebe allgemein Übergangsworte) notiert werden. • Zitate oder sehr relevante Inhalte werden ausformuliert. • Wenn Sie Karteikarten nutzen, dann bedrucken Sie diese einseitig und nummerieren Sie unbedingt. Falls einmal ein alles durcheinander gerät, können Sie gelassen bleiben.
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Sind das schon alle Visiualisierungsmethoden? Wahrscheinlich gibt es so viele Varianten wie es Menschen gibt, die mit Skript arbeiten. Viel ist Geschmackssache. Egal wofür Sie sich entscheiden, mein Rat ist: Probieren Sie verschiedene Möglichkeiten aus und testen Sie sie sprechend. Verwerfen Sie eine Methode nicht sofort, wenn sie
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ungewohnt ist. Wenn man eigene Routinen ändert, braucht das Zeit. Geben Sie sich 2–4 Wochen. Tipps für Teams Angenommen ein Kommunikationsteam soll eine Rede für die CEO vorbereiten und diese möchte am Ende mithilfe eines Stichwortkonzepts sprechen, um möglichst authentisch zu klingen. Das Team könnte rückwärts vorgehen: Alle Vorabinformationen zum Auftritt und für die Inhalte sammeln; die Rede konzipieren, abstimmen, ausformulieren – und als Treppentext darstellen. Ich empfehle einen Probedurchgang mit der CEO zu machen: Die Rede wird hier idealerweise laut vorgetragen und gegebenenfalls mit einfachen Hilfsmitteln aufgenommen, eine Handy-Aufnahme reicht. Im Anschluss kann das Team ein erstes Stichwortkonzept auf Basis der schriftlichen Rede und der Aufnahme erstellen. Die Aufnahme hilft dabei, wichtige Übergangsworte, Verben und Sinnkerne herauszuhören. Diese sollten unbedingt ins Stichwortkonzept aufgenommen werden. Am Ende sollte die CEO das Stichwortkonzept noch so anpassen, dass es für sie stimmig ist. Es ist übrigens vollkommen normal, wenn ein Text im Laufe dieses Prozesses weiterentwickelt wird. Das muss kein Zeichen für schlechtes Ausgangsmaterial sein, sondern zeigt, dass der Auftritt ernsthaft vorbereitet wird und Zeit für Entwicklung bekommt.
6.9 Mindmap Besonders unter Podcasterinnen und Podcastern, die gern frei sprechen, ist sie beliebt: die Mindmap. Ob auf dem Tablet oder dem Papier – sie ist schnell gezeichnet und wer mit Mindmap-Programmen vertraut ist, zaubert im Nu damit die eigene Mindmap. Der Vorteil ist, je nach Programm kann man die Darstellungsform mit einem Klick ändern, oder die Daten in ein Textdokument exportieren.
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Die Gestaltung der Mindmaps richten sich nach den Vorlieben der Sprecherin oder des Sprechers. Manche Mindmaps enthalten nur wenige Stichworte, andere ein komplexes Stichwortkonzept. Sie können sich nach den Empfehlungen für ein Stichwortkonzept richten. Die Mindmap hat viele Vorteile: Im Gegensatz zu den anderen Visualisierungsmethoden bietet die Mindmap eine nicht-lineare Darstellung. Das Auge liest die Inhalte also nicht von oben nach unten durch, Seite für Seite, sondern bekommt das gesamte Konstrukt übersichtlich angeboten. Wenn eine Mindmap gut aufgebaut ist, ermöglicht sie Sinneinheiten schnell zu erfassen und sie erlaubt es, die Reihenfolge dieser Sinneinheiten situativ neu anzuordnen. Das erleichtert das Sprechdenken und kann den Sprechenden Leichtigkeit und Präsenz im Auftritt bescheren. Das ist nicht nur für Interviews interessant, sondern auch für andere Audio- und Video-Formate, in denen mit rotem Faden frei gesprochen werden soll. Hat die Mindmap Nachteile? Sie baut sich nicht von selbst und lässt sich – ähnlich wie ein klassisches Stichwortkonzept nicht so leicht delegieren. Sie kann jedoch gut im Team erstellt werden, beispielsweise wenn die Sprecherin oder der Sprecher den eigenen Gedanken freien Lauf lässt und das Gegenüber die Mindmap baut. Wer sich Zeit für die Vorbereitung nimmt, hat meistens hinterher ein besseres Ergebnis und weniger Aufwand in der Postproduktion. Gerade während man eine Mindmap erstellt, werden die Inhalte meist wie von selbst verinnerlicht Während des Sprechens gibt das Sicherheit. Oft beschreiben Leute, die mit Mindmaps arbeiten, dass der Blick darauf selten nötig ist. Mein Tipp: Wenn Sie in Ihrem Format frei sprechen wollen, probieren Sie die Methode Mindmap aus (Abb. 6.2).
Abb. 6.2 Mindmap. (Bild: Eigene Darstellung)
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6.10 Prompter Wann ist ein Prompter nützlich? Der Prompter, auch Teleprompter (lat. promptus „entschlossen, bereit“) ist ein zusätzlicher Bildschirm, der den Sprechtext anzeigen kann. Dabei ist das Bild in Bewegung. Die Geschwindigkeit kann programmiert oder manuell gesteuert werden, z. B. durch Assistierende. Wer allein arbeitet, kann die eigene Sprechgeschwindigkeit vorab einstellen. Das Ziel ist: Sprechfluss bei gleichzeitigem "Blick in die Kamera". Was im zwischenmenschlichen Gespräch eher untypisch ist, denn wer nachdenkt, lässt den Blick wandern, ist in Videos ein gewohntes Bild. Für Videos gibt es, was den Blickkontakt angeht, keine feste Regel. Ob und wie viel Blick in die Kamera erwünscht ist, ist format- und stilabhängig. Es muss letztlich den Zuschauerinnen und Zuschauern gefallen. Der Vorteil vom Prompter: Wer gut mit einem Teleprompter zurechtkommt und dabei eine ansprechende Außenwirkung hat, hat einen nützlichen Helfer. Der konstante Blick in die Kamera ist möglich. Der Prompter und seine Nachteile: Der Teleprompter ist für die textliche Darstellung im Fließtext gedacht. Damit sind Sprechende recht eingeschränkt, was die Form der Visualisierung angeht. Ablesen ist nötig. Häufig erkennen Zuschauende schnell, ob mit einem Teleprompter gearbeitet wird oder nicht. Es sind kleine Augenbewegungen sichtbar, die das Ablesen verraten. Für Sprechende ist es manchmal eine Herausforderung, den sich bewegenden Text zu erfassen und zu lesen. Das Sprechdenken ist hier nur schwer möglich. Meist ist das höchste der Gefühle: korrektes Sprechen. Fragt man die Sprecherin oder den Sprecher nach einem Take, was da eigentlich erzählt wurde, wissen es die wenigsten. Daraus können sich eine Reihe anderer Probleme ergeben, die durch das fehlende Sprechdenken ausgelöst werden: unpassende Betonungen, gehetzte Atmer, angespannte Gesichtsmuskeln. Natürlich kann man das Sprechen mit Telepromter üben und verbessern. Meine Empfehlung ist, verzichten Sie wenn möglichauf dieses Hilfsmittel. Denn nur weil etwas technisch geht, ist es nicht automatisch gut. Abraten würde ich davon, ein Stichwortkonzept in einen Teleprompter einzupflegen. Das führt eher zu Chaos als zu überzeugendem Sprechen.
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6.11 Einen guten Einstieg finden Podcasts werden meist nebenbei gehört – im Auto oder bei der Hausarbeit. Wer sich vorstellt, sie würden von Anfang bis Ende aufmerksam verfolgt, wer hundertprozentige Aufmerksamkeit erwartet, wird enttäuscht. Die Hörerinnen und Hörer bestimmen selbst darüber, auf was sie sich konzentrieren – bewusst oder unbewusst. • Hörgewohnheiten wie das Nebenbeihören spielt dabei eine Rolle: tiejenigen, die traditionell um 20:00 Uhr die Nachrichten schauen, nehmen in der Zeit weder Anrufe an, noch checken sie Mails. Sie sind ganz bei der Sache. Beim Podcast oder Video ist das anders: Diese Produkte werden nebenbei gehört, unterbrochen, abgebrochen, abonniert, entabonniert, geliked und geteilt. • Der Grad der Konzentration und Neugier ist unterschiedlich, je nach Situation, Tagesform, Thema. • Rahmenbedingungen wie die Tonqualität der Aufnahme, die Qualität des Sprechens und der Sprache lenken ab oder machen "süchtig". Wer eine Podcastfolge oder ein Video plant, sollte deshalb immer um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe werben – jedes Mal neu. Das erfordert Vorbereitung und Nachdenken. Allein oder im Team (siehe auch Kap. 5 „Zusammen podcasten“). Gerade weil Podcasts oft nebenbei gehört werden, ist die Aufmerksamkeit nicht sicher, avon müssen sich Podcastende aber nicht abschrecken lassen: Sie planen einen passenden Einstieg. Der Einstieg sollte knackig sein, er soll abholen und sich nach vorn richten beispielsweise durch eine kurze Anmoderation. Die wichtigen Inhalte sollten erst gebracht werden, wenn Aufnahmebereitschaft da ist. Und das ist in den ersten Sekunden selten der Fall.
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An zwei Beispielsituationen: • Lutz startet kurz vor dem Losfahren im Auto die aktuelle Podcastepisode. Während nebenbei die Navi-Ansagen unterbrechen, perlen die ersten Sätze an ihm ab, die Straße braucht ihn jetzt. Nach ein paar Kilometern fragt er sich, ob Musik nicht schöner wäre. • Paula hat gerade die Mail abgesendet, da erinnert der Kalender penetrant an den anstehenden Online-Kurs „Arbeitssicherheit“. Der ist für die Einarbeitung Pflicht. Die Zeit ist eingeplant, sie holt sich noch einen Kaffee und klickt „Starten“, während sie das Headset zurechtrückt. Das Video läuft. Nach 35 Sekunden kommt eine Mail. Sie denkt: „Ein kurzer Blick…, ob es die erwartete Antwort ist?“ Sie glaubt, sie verpasst nicht viel. Diese beiden Szenen zeigen: Es gibt keine Kommunikation ohne Situation. Wenn es im Podcast oder Video gleich zu Beginn gelingt, die Rede an die Empfängerinnen und Empfänger anzubinden, dann sind sie eher aufnahmebereit und bleiben eher konzentriert. Im Video „Wie entsteht Geld? – Bargeld“ (2022) der Deutsche Bundesbank klappt der Einstieg hervorragend. Dort wird im Lernvideo passend an die Zuschauenden situiert – in drei Sätzen: „Für viele Zahlungen werden tagtäglich Eurobanknoten und Münzen verwendet. Dieses Bargeld heben Privatleute und Unternehmen üblicherweise von ihrem Konto bei ihrer Bank ab. Doch woher bekommen die Banken dieses Bargeld?“ Die Zuschauenden werden abgeholt: kurz und passend. In drei Schritten zur Situierung Der Einstieg in Podcasts oder Videos soll die Zielgruppe abholen, bevor die eigentlichen Inhalte vermittelt werden. So klappt es: 1. Für die Situierung wird beachtet, an wen sich die Rede richtet, wo und wann sie abgerufen wird. Mögliche Aspekte: Alter der Zielgruppe, Sozialisation, räumliche und technische Begebenheiten, Tageszeit, Einbettung in andere Ereignisse (z. B. Events, wirtschaftliche Entwicklungen, soziale Themen)
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2. Außerdem braucht man Klarheit über das Thema, auf dem man „landen“ möchte. 3. Es wird eine schlüssige Hinleitung entwickelt – am besten über Gemeinplätze, z. B. allen bekannte Vorkommnisse, Bilder, das Wetter etc. Oft liefert das Thema (aus Punkt 2) hierfür Material zur Inspiration. Das Vorgehen am Beispiel: Ich zeige Ihnen nun, wie man bei einer Veranstaltungsankündigung per Videobotschaft vorgehen kann: • Die Zielgruppe sind Fachleute, Journalisten und andere Interessenvertreter. Aktuell ist allen bekannt, dass eine Hitzewelle über Deutschland rollt. • Das Thema ist die Ankündigung einer digitalen Pressekonferenz. Ich sammle meine ersten Assoziationen. Hitze, klimatisierte Räume, Büroräume, Homeoffice. Digitale Formate bieten den Vorteil, den Ort der Teilnahme selbst zu bestimmen. Ich führe mir das Ziel vor Augen: Die „Landung“ auf einer konkreten Terminankündigung mit Link zur Veranstaltung (der ist wichtig). • Ich entwickle jetzt die Situierung: „Bei der aktuellen Hitze füllen sich in vielen Unternehmen die klimatisierten Büros, die sind wohltemperiert. Wer sich lieber Zuhause abkühlt, kann aus dem Homeoffice teilnehmen – an unserer digitalen Pressekonferenz am 10. Juli. Um 12:00 Uhr geht es los und wir freuen uns, wenn Sie dabei sind: Den Link finden Sie auf unserer Webseite – im Bereich „Presse“ – und unter diesem Video…“ Kommen wir zurück zum Beispiel der Deutschen Bundesbank. Hier ist die Landung auf dem Thema durch eine rhetorische Frage gelöst worden („Doch woher bekommen die Banken dieses Bargeld?“). Der Gemeinplatz sind die Zahlungen, die täglich getätigt werden. Jede Person aus der Zielgruppe wird sich darunter etwas vorstellen können – mehr noch, wahrscheinlich jede Person, die mit Bargeld einkaufen geht. Eine rhetorische Frage ist ein einfacher Weg, auf einem Thema zu landen; eine schnelle und funktionale Lösung. Man kann jedoch auch elegant ohne Fragen auskommen.
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Eine mögliche Alternative: „Für viele Zahlungen werden tagtäglich Eurobanknoten und Münzen verwendet. Dieses Bargeld heben P rivatleute und Unternehmen üblicherweise von ihrem Konto bei ihrer Bank ab. (Landung auf dem Thema) Und dieses Bargeld müssen die Banken von irgendwoher bekommen.“ Auch sprachliche Bilder eignen sich für den Einstieg. Rolf Hermann nutzt eine Metapher, um seinen Gast im OMR Education Podcast „LinkedIn Updates und Hacks 2022 mit Britta Behrens“ (2022) anzukündigen: „…Heute zu Gast LinkedIn Expertin Britta Behrens. Das hat einen Grund. Ich kenne niemand, der so schnell das Gras wachsen hört auf LinkedIn, wenn’s da neue Trends, neue Features oder neue Funktionen gibt. Davon gibt’s ne ganze Menge, denn LinkedIn hat viele neue Funktionen und Features in der Plattform implementiert.“ Die Landung auf dem Thema gelingt wunderbar im vorletzten Satz. Was beim Einstieg zu Problemen führen kann • Wer nicht nach vorne spricht, schreckt ab: „Bevor ich anfange, möchte ich noch sagen…“. Fangen Sie lieber direkt an mit dem, was Sie sagen wollen, ohne dies zu kommentieren. • Wenn Sie keine Einfälle für einen guten Einstieg haben, sprechen Sie mit anderen über das Thema, lassen Sie alle Gedanken zu, assoziieren Sie – spontane Ideen sind hilfreich. Die finale Situierung sollte immer zu Ihnen als sprechende Person passen. Deshalb gilt: Egal wie gut fremde Ideen sind, passen Sie unbedingt den Wortlaut an. • Machen Sie im Podcast oder Video keine unrealistischen Vorschläge: „Bevor Sie weiterhören, kochen Sie sich doch einen Tee und machen Sie es sich gemütlich.“ Die meisten Menschen lassen sich nicht gern „vorschreiben“, wie Sie sich verhalten sollen. So etwas können Sie einfach weglassen. • Wenn Sie eine Metapher verwenden, überprüfen Sie, ob sie sich für die Landung auf dem Thema eignet und in sich schlüssig ist. • Viel hilft nicht viel: Man kann den Einstieg überfrachten. Achten Sie darauf, nur ein schlüssiges Bild zu verwenden und zügig auf dem Thema zu landen. Ihr Ziel sollte sein, die durch ein Gemeinplatz erzeugte Aufmerksamkeit auf das eigentliche Thema zu lenken.
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• Wer „trockene“ Themen ausdrucksschwach vorträgt , macht sie nicht attraktiver. Gerade die brauchen eine Anbindung an die Empfänger und Empfängerinnen, damit etwas in Erinnerung bleibt, siehe dazu das Abschn. 3.4 „Präsenz“. Zusammenfassung • Im Kontext von Lernvideos, Podcasts und Co geht es um die Aufmerksamkeit der Empfängerinnen und Empfänger. Deshalb sollten Sie den Einstieg planen. Die Situierung hilft dabei – übrigens auch in anderen Redesituationen. • In drei Schritten zur Situierung: – An wen richtet sich die Rede, wo und wann wird sie abgerufen? – Klarheit über das Thema auf dem Sie „landen“ wollen. – Schlüssige Hinleitung entwickeln. • Seien Sie sparsam mit rhetorischen Fragen und vermeiden Sie Metaphern, die nicht funktionieren. Machen Sie keine unrealistischen Vorschläge, überfrachten Sie nicht: Sprechen sie nach vorn.
6.12 Sprache und Erzählstil Wer spricht, denkt. Und wer denkt und dabei spricht, verwendet Worte, die andere in die eigene Gedankenwelt eintauchen lassen. Mir geht es hier nicht um das Storytelling und die Dramaturgie eines Podcasts, sondern um die Wortwahl und den Sprachstil. Denn abhängig davon wirkt ein Podcast eher sachlich, dramatisierend oder harmonisierend. Dabei denke ich auch an den sprachlichen Autopiloten. Dieser Autopilot beruht auf dem persönlichen Vokabular, sowie Schemata und Rollenverständnissen. Sie werden automatisch abgerufen und zeigen sich im sprachlichen Ausdruck. Am Beispiel einer Wissenschaftlerin: Sie hat über Jahre das wissenschaftliche Schreiben (und Sprechen) trainiert und innerlich das Schema „wissenschaftliche Sprache“ erlernt. Dieses folgt eigenen Regeln (anderen als denen des „Schreiben fürs Sprechen“). In der wissenschaftlichen Sprache sind komplexe Satzstrukturen normal, Fachvokabular ist
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gefragt, Genauigkeit ist wichtiger als Dramaturgie. Im Kontext wissenschaftlichen Arbeitens ist es nötig, dieses Schema zu beherrschen und anzuwenden. Im Kontext von Podcasts ist es nötig, sich davon ein Stückweit zu lösen, wenn man gehört werden will. Hier braucht es die Orientierung an den Zuhörenden: Ein für sie passender Sprachstil ist gefragt. Ein Sprachstil, der dem Ohr gefällt. Das kann für jemanden aus der Wissenschaft bedeuten, das eigene Rollenverständnis zu erweitern. Statt, „Ich bin Wissenschaftlerin, die podcastet.“ könnte es lauten: „Ich bin Wissenschaftlerin und daneben bin ich Podcasterin (mit wissenschaftlichem Hintergrund).“ Zugegeben, das scheint auf den ersten Blick kaum ein Unterschied zu sein. Der Nutzen kann aber groß sein: Diese mentale Strategie ermöglicht eine stimmige Sprecheinstellung durch Rollendifferenzierung. Man spricht natürlicher und authentischer, orientiert an den Zuhörerinnen und Zuhörern. Dahinter steckt das Modell „Inneres Team“ nach Friedemann Schulz von Thun, was ich im gleichnamigen Abschn. 8.5 näher beschreibe. Bleiben wir jetzt beim Erzählstil. Wie findet man eine Sprache, die zum Publikum passt? Nun: Es kommt darauf an. Manche gehen hier intuitiv vor, andere eher analytisch. Allen empfehle ich, einige Erzählstile zu kennen, die in Audio- und Videoprodukten auftauchen. Welcher Stil bewusst oder unbewusst bereits verwendet wird, und, ob dieser passend ist, kann dann differenzierter reflektiert werden. Wer sich noch in der Planungsphase befindet, kann auf eigene bereits bestehende andere Formate zurückgreifen und hier den Erzählstil reflektieren: Vorträge, Präsentationen, Texte. In welchem Stil habe ich diesen Absatz wohl verfasst? Die verschiedenen Erzählstile im Podcast und Video • Berichtend, informierend – Dieser Erzählstil ist gekennzeichnet durch einen meist linearen Aufbau, der sich an Fakten oder Beobachtungen (auch von Gefühlen) orientiert. Die Inhalte bauen aufeinander auf (zeitlich, räumlich).
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Typische Signalworte sind: „und dann“, „danach“, Bewertungen oder Meinungen tauchen selten auf. – Die positive Wirkung: strukturiert, sachlich – Die negative Überzeichnung: langweilig – Beispiel: „Als ich im März auf dem Fachkongress in Hamburg war, traf ich Dr. Jan von Nebenan. Er ist Fachbuchautor und erfolgreicher Gründer des Start-up-Unternehmens XY. Seit dem Gespräch hatte ich das Gefühl, es sei eine gute Idee, ihn in unseren Podcast „Gründen heute, morgen und übermorgen“ einzuladen. Ich freue mich, dass er heute hier ist und von seiner Gründungserfahrung berichtet.“ • Dramatisierend – Ein schönes Beispiel liefert die Deutsche Telekom AG mit ihrem Podcast „Telekom Netz“ in der Episode 99 – „Handy geklaut oder gehackt?!“ (Deutsche Telekom AG, 2022). Hier wird passendes Vokabular zur Dramatisierung genutzt: plötzlich, Moment, jetzt, geklaut, gehackt. Und es werden starke Sprachbilder verwendet: „kühler Kopf“, „Puls schießt hoch“. – Die positive Wirkung: emotionalisierend, Aufmerksamkeit erregend – Die negative Überzeichnung: nervig, übertrieben – Beispiel: „Mittlerweile gibt es ja fast nichts mehr, was nicht mit dem Handy funktioniert und umso dramatischer, wenn plötzlich das Handy selbst nicht mehr funktioniert, zum Beispiel weil es geklaut ist – oder gehackt. Und das ist ja dann der Moment, wo der Puls mal so richtig hochschießt. Aber in dieser Situation ist jetzt ein kühler Kopf gefragt und deswegen wollen wir euch hier an die Hand geben…“ • Harmonisierend – Es werden sprachliche Umdeutungen verwendet, die die positive Seite betonen und damit negative, dramatische Wirkungen abmildern oder nicht entstehen lassen. Signalworte: „bisher“, „noch“, „Herausforderung“, „Lösung“, „Chance“. Oft wird ein konjunktivistischer Stil verwendet.
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– Die positive Wirkung: beruhigend, lösungsorientiert – Die negative Überzeichnung: schöngeredet. Selbst ein geklautes Handy aus unserem Beispiel der Telekom, kann so in einem ganz anderen Licht erscheinen. Ich habe den Text leicht angepasst. – Beispiel: „Mittlerweile gibt es ja fast nichts mehr, was nicht mit dem Handy funktioniert und umso…“ Eine mögliche Variante: „… herausfordernder ist es, wenn das Handy einmal nicht funktioniert, zum Beispiel weil es verschwunden ist – oder einfach nicht mehr angeht. Dann könnte man durchatmen und sich klarmachen, dass man bisher im Leben schon viel gemeistert hat und es auch für diese Situation eine Lösung gibt. Wir geben Ihnen Tipps, die Ihnen helfen könnten…“ • Verkaufend – Hier wird aktiv formuliert. Es werden aktive Verben verwendet und es gibt handelnde Subjekte: Das kann die Zielgruppe selbst sein, das Unternehmen oder ein Produkt. Fast immer taucht eine Handlungsaufforderung auf, die sich an die Zuhörenden oder Zusehenden richtet – einen „Call to Action“ (CTA). Signalworte: „Jetzt“, „neu“ „hin zu“, „nur“ „Wir für Sie!“ Häufig wird eine direkte Ansprache verwendet. – Die positive Wirkung: direkt, klar – Die negative Überzeichnung: manipulativ, aufdringlich Im Beispiel von Materna Information & Communications SE (2022) „Customer Service Management: Die optimierte Service Strategie“ wird zusätzlich eine aktivierende Metapher verwendet. – Beispiel: „Wagen Sie den Schritt aus der Comfort-Zone heraus – hin zu mehr Comfort. Ihre Kunden finden bereits auf neuen digitalen Wegen zu Ihnen… Sie möchten den Kontakt zu Ihren Endkunden behalten. Wir navigieren Sie sicher – wie ein Copilot – durch das Abenteuer des digitalen Customer-Service und damit wieder zurück zu Ihren Kunden…“ • Bildungssprachlich – würde dieses Beispiel von Materna ganz anders lauten: Im Bemühen, komplexe Themen sachlich zu formulieren zeigt sich eine Tendenz zum Nominalstil. Handelnde
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rücken in den Hintergrund und die Sätze werden länger – Nebensatzkonstruktionen sind keine Seltenheit. Das Hörverstehen ist erschwert. Strukur: Häufung von Substantiven, zusammengesetzte Nomen, Adjektive statt Verben („der verhandelnde Kollege“ statt „der Kollege führte die Verhandlung“) – Die positive Wirkung: exakt, kompetent, gebildet – Die negative Überzeichnung: unpersönlich, kompliziert, konturlos. Das von mir veränderte Beispiel von Materna Information & Communications SE ist bildungssprachlich kaum wiederzuerkennen. – Beispiel: „Der digitale Customer-Service ist ein notwendiger Schritt für dauerhafte Kundenbindung – besonders zu Bestandskunden. Unsere Kommunikationskonzepte unterstützen bei der Digitalisierung Ihrer Kundenkommunikation. Das ermöglicht am Ende mehr Comfort für alle Stakeholder.“ • Emotionalisierend – Dieser Stil kann in sehr unterschiedliche Richtungen gehen: Er kann alarmieren, entspannen, anrühren, motivieren, erschrecken, verstören oder euphorisieren. Die Sprachbilder knüpfen an Situationen an, die die Zielgruppe tatsächlich erlebt hat, oder die sie empathisch nachvollziehen kann. Es werden Fragen gestellt. Signalworte: gefühlsstarke Verben („alarmiert“ statt „bemerkt“), Adjektive („mulmig“ statt „ungut“) und kurze Nomen („Angst“ – statt „Angstzustand“). – Die positive Wirkung: überzeugend, motivierend, Aufmerksamkeit erzeugend – Die negative Überzeichnung: übertrieben, emotional, manipulativ Franca Cerutti (2022) liefert dafür ein Paradebeispiel in ihrem Podcast „Psychologie to go!“ in der Episode „Intuition und Bauchgefühl: Sollten wir drauf hören?“. – Beispiel: „Dieses mulmige Bauchgefühl, soll ich darauf hören? Ist das gerade meine Intuition, die mich (…) aus guten Gründen alarmiert? Oder – ist das vielleicht Angst, die möglicherweise irrational ist und
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mich ausbremst in meinen Entscheidungen? Und wie kann ich eigentlich Intuition und Bauchgefühl von Angst unterscheiden?“ Den passenden Erzählstil finden und anwenden Wir nutzen immer einen Erzählstil, auch wenn wir uns darüber nicht bewusst sind. Für das Sprechen im Podcast oder im Video kann es sinnvoll sein, bewusst einen oder mehrere Erzählstile zu wählen und den eigenen Sprachstil anzupassen. Er soll zur Zielgruppe und zum Thema passen. Diese drei Schritte können dabei helfen: 1. Welche Erzählstile könnten für Ihre Zielgruppe mit Ihrem Thema passen? Notieren Sie sich zwei bis drei Möglichkeiten. 2. Üben Sie aktiv in diesen zu formulieren - am besten mündlich. Das ist gar nicht so leicht. Achten Sie dabei darauf, wirklich die Wortwahl zu verändern nicht nur den Satzbau oder die Art zu sprechen. Zur Vertiefung finden Sie im nächsten Abschnitt Tipps und Übungen. 3. Reflektieren Sie, welchen Erzählstil Sie im Alltag bevorzugen, um herausfinden, wie Ihr sprachlicher Autopilot tickt und was Sie ggf. für Ihr Audio- oder Videoprodukt verändern wollen.
Hilfreiche Fragen zur Reflexion des Erzählstils bestehenden Audio- und Videoprodukten
in
bereits
• Welchen Erzählstil verwende ich üblicherweise im Podcast/Video? • Wirkt dieser Erzählstil authentisch und passend zur eigenen Rolle im Podcast? • Wer soll erreicht werden? • Angenommen Sie wüssten, was Ihre Zielgruppe dazu sagt, empfindet diese die Sprache als glaubwürdig und ansprechend? • Welche Wirkung soll erzielt werden? Was ist die Botschaft zwischen den Zeilen – der sogenannte Subtext, z. B. „Ich möchte meine Zielgruppe informieren/sie unterhalten/ihr etwas verkaufen“? • Gibt es hier einen Konflikt? Treffen vermeintlich widersprüchliche Ziele aufeinander: Fachkompetenz demonstrieren – und unterhalten wollen? Im Abschn. 8.4 Ambivalenzen erzähle ich mehr darüber. • Welcher Erzählstil oder welche Erzählstile eignen sich wann am besten? Können sie abgewechselt oder kombiniert werden?
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6.13 Sprachmuster verändern Den passenden Erzählstil zu verwenden ist häufig kniffeliger als man denkt, wenn dieser von der persönlichen, natürlichen Sprechweise abweicht. Ein harmonisierender Erzählstil ist für eine Person aus dem Vertrieb vielleicht eine Fremdsprache. Und wer üblicherweise berichtend erzählt, muss das Drama erst erfinden. Sprachmuster zu verändern, das spielt sich auf zwei Ebenen ab: auf der emotionalen und der technischen Ebene. In meinen Seminaren und Coachings beobachte ich Folgendes: Beim Versuch, den eigenen sprachlichen Ausdruck zu verändern, variieren manche Teilnehmenden ausschließlich ihren Sprechausdruck – also die Körpersprache und Stimme. Die Wortwahl selbst zu verändern, fällt ihnen spontan schwer, weil das entsprechende Vokabular nicht abrufbar ist. Die gute Nachricht ist: Das kann man trainieren. Ich empfehle Ihnen, die Erzählstile sprechend zu üben. Sie finden am Ende des Kapitels dazu eine Übung, die Sie einfach ausprobieren können. Manche fragen sich vielleicht, ob man den Erzählstil einfach ins Skript aufnehmen kann, um sich damit das Üben mit spontanem Sprechen zu ersparen. Natürlich ist das eine Option. Zu bedenken gebe ich, das sich das „Schreiben fürs Sprechen“ am Mündlichen orientiert und idealerweise ein Skript sprechend geschrieben wird. Meine Empfehlung ist deshalb: Wer langfristig die eigenen verbalen Auftritte verbessern möchte, sollte sprechend trainieren. Sie schulen damit Ihre Fähigkeit, situativ „umzuschalten“ und zielgruppengerecht zu sprechen – und das ist auch an der Bar und am Familientisch hilfreich. Merksatz: Wer langfristig die eigenen verbalen Auftritte verbessern möchte, sollte sprechend trainieren.
Hintergrundwissen Der Erzählstil wird über die Wortwahl gestaltet – also das Vokabular. Sprach- und Erzählmuster sind tief in jeder und jedem verankert. Sprache ist komplex und wird über Jahre erlernt, wie E. Kruse (2005, S. 247)
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beschreibt: „Mit dem 4. Geburtstag endet die primäre Phase der Sprachentwicklung. In der sekundären Phase bis zum Alter von 12–14 Jahren entfalten sich die individuelle Sprachbegabung und Gestaltungsdifferenzierung.“ Der Spracherwerb endet hier nicht, Menschen können, je nach individueller Sprachbegabung, ihren Wortschatz ein Leben lang vergrößern und ihre Ausdrucksweise differenzieren.
Wir können also an unserem Erzählstil arbeiten und unser Repertoire erweitern! Und dennoch kann es passieren, dass das Neue unter Stress nicht abrufbar ist. Und zwar wenn die neuen Erzählweisen noch nicht tief verankert sind und der sprachliche Autopilot das Steuer übernimmt, also die Instanz, die uns hilft, wenn wir gestresst, aufgeregt oder spontan unter (innerem oder äußerem) Druck sprechen. Der Autopilot ruft Sprachmuster ab, die gewohnt sind – im Zweifel: die alten. Wie Sie in exponierten Redesituationen gelassener bleiben, um Ihr sprachliches Geschick abrufen zu können, dazu erfahren Sie mehr im Kap. 8 „Mentale Strategien“. Praxistipps • Vorbereitung und Übung hilft. Das Ziel ist nicht: Skripte auswendig lernen, sondern das Repertoire zu erweitern, auch das des Autopiloten. • Wer frei spricht, profitiert von Stichwortkonzepten oder einer Mindmap als Formulierungshilfe. Wer liest, kann den Text entsprechend formulieren (siehe Abschn. 4.5 „Visualisierung von Text“). • Erzählstile dürfen wechseln. Ein berichtender Stil kann wunderbar aufgelockert werden durch emotionalisierende oder verkaufende Elemente. Wichtig ist Authentizität. Wenn berichtende Sprecherinnen und Sprecher mit einem inneren Augenzwinkern hin und wieder dramatisieren, können Sie bei sonst hoher Sachlichkeit ihre Glaubwürdigkeit bewahren. • Ich empfehle Ihnen: Mutig sein im Sprachgebrauch, ohne dabei übermütig zu werden. Was Sie vermeiden sollten, ist aus Übervorsicht ausschließlich berichtend oder bildungssprachlich zu formulieren. • Reduzieren Sie in einer Aufnahmesituation Stress und Druck. Das geht über äußere Strukturen und mit mentalen Strategien. Mehr dazu im Abschn. 8.1 „Aufregung und Lampenfieber“.
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Übung Erzählstile Wir nutzen immer einen Erzählstil, auch wenn wir glauben, es nicht zu tun. Deshalb könnte man sich auch bewusst für den einen oder den anderen entscheiden – je nachdem, wen und was wir erreichen wollen. Die Aufgabe: Formulieren Sie mündlich das Übungsbeispiel um – in den unten genannten Erzählstilen. Nehmen Sie Ihre Rede auf, eine einfache Audioaufnahme über das Smartphone reicht. Notieren Sie anschließend eine Version. Die Versuchung könnte groß sein, die Übung rein schriftlich durchzuführen – widerstehen Sie ihr! Wiederholen Sie den Prozess mit einem eigenen Beispiel. Berichtend, informierend: Bsp. „Als ich im März auf dem Fachkongress in Hamburg war, traf ich Dr. Jan von Nebenan. Er ist Fachbuchautor und erfolgreicher Gründer des Start-up-Unternehmens XY. Seit dem Gespräch hatte ich das Gefühl, es sei eine gute Idee, ihn in unseren Podcast „Gründen heute, morgen und übermorgen“ einzuladen. Ich freue mich, dass er heute hier ist und von seiner Gründungserfahrung berichtet.“ • • • • •
Dramatisierend: … Harmonisierend: … Verkaufend: … Bildungssprachlich: … Emotionalisierend: … Reflektieren Sie Ihren Autopiloten
• Welchem Stil entspricht dieser am ehesten? Was glauben Sie? Was sagen andere? • Welcher Erzählstil oder welche Erzählstile eignen sich wann am besten? Wie können Sie gut kombiniert werden?
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6.14 Gendern Vor einiger Zeit fragte mich eine Gruppe junger Medienleute, die einen Wissenspodcast aufgebaut haben, wie sie mit dem Thema Gendern am besten umgehen könnten. Damals war ich überrascht, denn ich hatte angenommen, diese Gruppe sei darin viel sicherer als ich. In der gemeinsamen Diskussion waren sich alle darüber einig: Die Inhalte sollten im Vordergrund stehen und dabei wird geschlechtergerecht gesprochen. So sei ein Hörfluss möglich, die Zuhörenden könnten mitdenken. Ein Ziel, was auch der Rat für deutsche Rechtschreibung (2021) in seiner Pressemitteilung zur „geschlechtergerechten Schreibung“ empfiehlt: „Geschlechtergerechte Texte sollen • sachlich korrekt sein, • verständlich und lesbar sein, • vorlesbar sein (…) • Rechtssicherheit und Eindeutigkeit gewährleisten (…) • für die Lesenden bzw. Hörenden die Möglichkeit zur Konzentration auf die wesentlichen Sachverhalte und Kerninformationen sicherstellen.“ Anders als in der Schriftsprache bleibt im freien Reden, also im Spontanen, kaum Zeit, nach Formulierungen zu suchen. Das Sprechen braucht aber genau diesen Sprechfluss, damit die anderen gut zuhören können. Sprechfluss erfordert einen entsprechenden Wortschatz, in diesem Fall den geschlechtergerechten Wortschatz. Und es braucht Sprechdenken, dazu erfahren Sie mehr in Abschn. 6.2 „Sprechdenken“ und Abschn. 6.1 „Hörverstehen“. Für manche ist das Gendern wie eine Fremdsprache, die an der einen oder anderen Stelle noch holpert. Sie können flüssiger werden durch aufmerksames Zuhören und selbst Sprechen. Viele gendern flüssig, auch unter Druck und Lampenfieber. Andere sprechen nicht geschlechtergerecht, im reinen generischen Maskulinum oder Femininum. Vor dem Hintergrund des Sprechens im Podcast und Video empfehle ich: Setzen Sie sich mit den verschiedenen
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öglichkeiten der geschlechtergerechten Sprache auseinander. Und M entscheiden Sie sich (vorerst) für eine Art, die Sie dann verfolgen. Der Vorteil ist, Sie können in Ihren eigenen Vorbereitungen die passenden Formulierungen mitdenken und ggf. schriftlich festhalten, im Stichwortkonzept oder Skript. Wer sich fragt, was der richtige Weg ist: Christine Olderdissen, Projektleiterin genderleicht.de (2022) sagt dazu: „Es gibt kein „korrektes“ Gendern. Einfach weil es kein festes Regelwerk gibt. Und das ist auch gut so.“ Für das Sprechen im Podcast und im Video eröffnet das Räume. Sie können sich überlegen, wie sie gendern wollen (plan); dann loslegen (do); hinterher überprüfen, wie gut es funktioniert hat und wie das Feedback ausgefallen ist (check) und ggf. anpassen (act). Der Demingkreis (Abb. 6.7) bietet sich hier an. Wir richten den Blick jetzt darauf, was die unterschiedlichen Arten des Genderns für die Sprechtechnik bedeuten. Paarformel/Doppelnennung – Im Mündlichen hat die Doppelnennung einige Vorteile: Sie ist immer möglich, lässt sich flüssig sprechen und erlaubt grammatikalische Klarheit. Der Nachteil ist, dass Aufzählungen lang werden können: „Liebe Kundinnen und Kunden,
Abb. 6.3 Demingkreis. (Bild: Eigene Darstellung)
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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Lieferantinnen und Lieferanten, wir – die Vorständinnen und Vorstände – zeigen Ihnen heute…“ Damit es kürzer wird, bieten sich Ersatzformen an. Ersatzformen – fügen sich wie die Doppelnennung in den Sprachfluss ein. Sie haben den Vorteil, dass sie zum Teil alle Geschlechter einbeziehen, also auch Menschen mit nichtbinären Geschlechtsidentitäten. Ersatzformen ermöglichen geschlechtergerechtes Formulieren ohne Endlossätze: „Liebe Kundinnen und Kunden, liebe Mitarbeitende und Zuliefernde, wir – die Mitglieder des Vorstandes – zeigen Ihnen heute…“ Es gibt viele weitere Möglichkeiten Ersatzformen zu finden, z. B. kann man mit Relativsätzen arbeiten: „Alle, die dabei sind…“, statt: „Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ Oder Adjektive einfügen: „die kritische Stimmen“ statt „der Kritiker/Kritikerin“. Kurzformen: Sternchenlösung, Schrägstriche, Binnen-I, Gendergap, Klammern – Wie der Name sagt, ermöglicht diese Schreibweise geschlechtergerechte Sprache in kurzen Sätzen: Die doppelte Nennung entfällt; auch Ersatzformen sind nicht nötig: „Liebe Kund*innen, Mitarbeiter*innen, Lieferant*innen, wir – die Vorständ*innen – zeigen Ihnen heute…“ Ein Kritikpunkt, den manche äußern, ist, sie nähmen beim Zuhören nur die weibliche Form wahr. Der Genderstern symbolisiert jedoch, wie auch der Doppelpunkt, alle Geschlechter. Wie andere Kurzformen sind sie jedoch nicht barrierefrei. Der Deutsche Blinden- und Sehbehintertenverband (2022) bittet darum, dass „Personenbezeichnungen ausformuliert werden“ – und „Textlösungen zu finden, die kein Geschlecht ausschließen („Team“ statt „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“)“. Wer im Text die Kurzform nutzt, kann Schwierigkeiten bekommen, wenn es komplexer wird: „ein*e erfahren*er Ingenieur*in“. Hier ist das Vorlesen oder Freisprechen kaum möglich. Abhilfe kann der Plural schaffen: „erfahrene Ingenieur*innen“. Wie wird der Genderstern artikuliert? Die Lücke macht den Unterschied. Der Genderstern oder Doppelpunkt gibt den Takt für eine kleine Pause und einen Vokaleinsatz mit weichem Glottisschlag beim folgenden Vokal an: Mitarbeiter:innen.
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Vokale werden an den Stimmlippen gebildet. Es gibt dabei gehauchte, weiche und harte Stimmeinsätze. Der Glottisschlag ist ein Phänomen des harten Stimmeinsatzes bei Vokalen. Er ist im Deutschen üblich am Anfang eines Wortes, eines Wortstammes oder einer Vorsilbe. Bei Endungen wird er nur in Zusammenhang mit Genderzeichen verwendet. Nach Wendler et al. (2005) wird der harte Stimmeinsatz auf eine gesunde Art und Weise gebildet, wenn sich die Stimmlippen vollständig aneinanderlegen und durch den entstehenden Luftstau die Stimmlichen plötzlich beginnen zu schwingen. Der Vokal erklingt mit einem weichen Glottisschlag. Der harte Glottisschlag wird als Knack hörbar, er sollte nur ausnahmsweise gebraucht werden, da er zu einer starken mechanischen Belastung der Stimmlippen führen kann. Damit also das Gendersternchen hörbar wird, muss ein weicher Glottisschlag deutlich artikuliert werden (Partner*innen, Expert*innen). So vermeiden Sie, dass nur die weibliche Form gehört wird. Den Glottischlag kennen Sie also bereits aus anderen Worten: am Anfang eines Wortes (ist, Information, isoliert), im Wortstamm (einigeln, abisolieren) oder nach Vorsilben (beinhaltet, verirren). Hintergrundwissen Die Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. (2022) schreibt: „Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes verankert. Ein wichtiger Aspekt, um die Gleichbehandlung sicherzustellen, ist eine geschlechtergerechte Sprache.“ Sie geht auch auf die Frage nach einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch nach Anerkennung eines dritten Geschlechts ein: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung bekräftigt in seiner Sitzung am 26.03.2021 seine Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen. Dies ist allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann. Das Amtliche Regelwerk gilt für Schulen sowie für Verwaltung und Rechtspflege. Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen.“
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Praxistipps • Paul Watzlawicks berühmtes Axiom „Man kann nicht nicht kom munizieren“ lässt sich wunderbar aufs Gendern übertragen: Man kann nicht nicht gendern. Egal wie Sie sprechen, es ist immer eine Selbstauskunft darüber, wie Sie sich (bewusst oder unbewusst) entscheiden zu gendern. • Wer geschlechtergerecht spricht, kann sich zum Ziel setzen, die Inhalte in den Vordergrund zu stellen und nebenbei geschlechtergerecht zu sprechen. Das bedarf Wissen, Übung und Vorbilder. • Gendergerechte Hörvorbilder ohne Kurzformen: NDR-Info, Tagesschau, Deutschlandfunk. In den Podcasts der jeweiligen Medienhäuser wird z. T. mit Sternchenlösung gesprochen, z. B. in der Podcastmoderation „Das Coronavirus-Update von NDR Info“. • Wer an einer deutlichen Aussprache mit Gendersternchen arbeiten möchte, übt den weichen Glottisschlag – deutlich artikuliert. Der Glottisschlag ist ein leises Knackgeräusch, was bei der Bildung eines Vokals zu hören ist, siehe oben. So kann vermieden werden, dass nur die weibliche Form gehört wird. • Für Interview-Formate können Sie sich überlegen, das Thema Gendern mit in das Briefing aufzunehmen. Natürlich nicht mit der Absicht, den anderen vorzuschreiben, wie sie sprechen sollen, aber vielleicht, um ein Gefühl für die Sprache des Gegenübers zu bekommen.
Geschlechtergerechte Sprache ist bei einigen ein sensibles Thema. Vielleicht kennen manche die heißen Diskussionen auf Business-Plattformen oder haben erlebt, wie es in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen emotional wurde. Ich sehe das Thema als Chance, miteinander zu sprechen. Wer noch mehr erfahren möchte: • Die Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. (2022) beurteilt auf ihrer Webseite (https://gfds.de/standpunkt-der-gfds-zu-einer-gesch lechtergerechten-sprache/) die Eignung der unterschiedlichen Möglichkeiten des Genderns auf Basis der Kriterien des Rats für deutsche Rechtschreibung.
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• Die Webseite www.genderleicht.de bietet Antworten bei Fragen zum Gendern, wie: Gibt es das Wort „Gästin“? Außerdem gibt es dort „Genderleicht-Schreibtipps“ zum kostenlosen Download. • In gedruckter Form als Buch „Genderleicht: Wie Sprache für alle elegant gelingt“ von Christine Olderdissen. Es ist im Duden Verlag erschienen.
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Am Ende muss viel zusammenpassen: die Inhalte, das Sprechen und der Sound. Worauf kann man in Talk-Formaten also achten, damit Leute gern zuhören? Welche Vorbereitungen könnten nützlich sein? Wie können Interviewende ihre Gäste positiv beeinflussen, wenn sie aufgeregt sind? Was können Gäste tun, um passend zu sprechen? Im Folgenden werde ich auf die unterschiedlichen Perspektiven eingehen, auf die • der Gastgeberinnen und Gastgeber, • der Gäste und • der Zuhörenden/Zuschauenden.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_7
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7.1 Gesprächswirkung Beispiel Der CEO soll zur ganzen Belegschaft sprechen. Das Team Unternehmenskommunikation hatte das Ganze gut vorbereitet. Der unternehmensinterne Podcast sollte alle 5000 Mitarbeitenden erreichen. Und zwar da, wo sie gerade waren – im Büro, Homeoffice oder in der Workation am Sandstrand. Dem Interviewer der Unternehmenskommunikationwar klar: das Gespräch darf nicht nach „Berichtan den Vorstand“ klingen, sondern soll eine gewisse Lockerheit undNahbarkeit ausstrahlen. Nur so kann für die anstehenden Veränderungengeworben werden und nur so kommt die Wertschätzung für dieMitarbeitenden an. Und genau die ist gefragt, denn alle sind durch dieaktuelle Lage mit dem Krankenstand und Fachkräftemangel belastet. Das Interview beginnt. Zu hören ist ein dynamisch sprechender Interviewer, der zunächst die aktuelle Situation erläutert und wohlüberlegte Fragen stellt. Der CEO antwortet korrekt, vollständig und gibt auch etwas Persönliches preis: Er erzählt von einem Ausflug mit seiner Tochter. Sein Sprechen drückt monotone Sachlichkeit aus und steht im Kontrast zum Interviewer. Dieser will Schwung in das Gespräch bringen und redet motivierend weiter. Am Ende ist das Resultat: Das 20-minütige Interview ist inhaltlich korrekt – jede Fachabteilung kann es nach Prüfung durchwinken. Die Atmosphäre jedoch kommt nicht gut bei den Zuhörenden an. Das Gespräch wirkt künstlich: Es entsteht kein kommunikativer Tanz zwischen den beiden, sondern jeder verharrt in seiner Sprechhaltung. Wie kam es dazu? Es ist viel Aufwand für die inhaltliche Vorbereitung betrieben worden, die technische Ausstattung stimmte und trotzdem kam das Format nicht wie erhofft bei den Rezipienten an. Das „Wie“ des Sprechens war unstimmig und so konnte der Podcast nicht überzeugen.
Paul Watzlawick sagte: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Man kann genauso wenig nicht wirken. Und in einer Gesprächssituation wie in einem Interview wirken gleich mehrere zur selben Zeit, nämlich diejenigen, die anwesend sind. Im Idealfall interagieren sie so miteinander, dass ein kommunikativer Tanz entsteht – ähnlich wie in einem Paartanz. Dann beziehen sie sich aufeinander. Da entsteht ein gemeinsamer Rhythmus, in dem etwas Neues entsteht und nicht ein Frage-Antwort-Spiel abgespult wird. Dieses Miteinander verträgt durchaus Ausbrüche und spontane
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Impulse, natürlich nur, wenn die „Tanzenden“ flexibel aufeinander reagieren können und dadurch nicht aus der Bahn geworfen werden. Einem solchen „Tanz“ beobachtet man als außenstehende Person gern – ein solches Gespräch macht neugierig. Hier stehen Personen in Beziehung zueinander und das ist interessant. Das Ziel in Podcasts und Videos mit Interviews ist, miteinander in Beziehung zu treten und andere daran teilhaben zu lassen. Dafür ist es nötig, wirklich mit der anderen Person Kontakt aufzunehmen: Mit ihr zu sprechen, ihr zuzuhören und auf sie zu reagieren. In unserem Beispiel wäre es hilfreich gewesen, wenn der Mitarbeiter aus der Kommunikationsabteilung im Interview merkt, dass sein dynamisches, charismatisches Sprechen für den CEO in der Situation nicht anschlussfähig ist. Zugunsten des gemeinsamen Gespräches hätte er sich auf die ruhigere Art des CEO eingelassen und den eigenen Ausdruck ein wenig angepasst. Zugleich hätte er darauf geachtet, authentisch – also wesensgemäß – zu sprechen und sich nicht zu verstellen. Der CEO wiederum hätte an der Art und Weise des Sprechens merken können, dass er vom Interviewer eingeladen wird, lebendiger zu erzählen und er hätte diesem Impuls folgen können. Der Hamburger Kommunikationspsychologie Friedemann Schulz von Thun spricht von einem „inneren Team“, das uns ausmacht, also von verschiedenen inneren Anteilen oder Rollen, die sich in einer Situation gleichzeitig zu Wort melden können. Auf dieses Modell gehe ich im Kap. 8. „Mentale Strategien“ näher ein. In unserem Beispiel haben beide mehrere (zum Teil widersprüchliche) beruflichen Rollen inne (Abb. 7.1): Der CEO ist Chef und zugleich „Gast im eigenen Haus“ – im internen Podcast. Dass Menschen mit mehreren (beruflichen) Rollen in einer Kommunikationssituation auftreten, ist nicht ungewöhnlich. Diese unterschiedlichen Rollen werden oft intuitiv stimmlich markiert: Das „Wie“ des Sprechens macht zwischen den Zeilen deutlich, wer sich gerade zu Wort meldet – Chef oder Fachmensch. Die Art des Auftretens aus einer bestimmten Rolle ist bei vielen Menschen stark eingeschliffen: Das ist der sprecherische Autopilot. So ist es nicht zu erwarten, dass der CEO aus unserem Beispiel sich allein durch die dynamische Ansprache
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Abb. 7.1 Verschiedene Rollen im Interview. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an das „innere Team“ nach Friedemann Schulz von Thun)
des Interviewers von einer ganz anderen Seite zeigt. Man könnte sich deshalb fragen, wer sich im Interview eigentlich an wen anpassen muss. Damit ein Gesprächsformat zu einem guten Miteinander werden kann, wo andere gern zuhören, hilft Rollenklarheit. In unserem Beispiel hätte der CEO zunächst als „Gast“ auftreten können. Aus dieser Rolle hätte er etwas dynamischer und persönlicher die ersten Fragen beantwortet. Wenn er sich anschließend als „Chef“ an die Mitarbeitenden wendet, um über die anstehenden Veränderungen zu sprechen, hätte er mit einem ernsteren Ausdruck Sachlichkeit und Wertschätzung vermitteln können. Der Mitarbeiter aus der Kommunikationsabteilung hätte als „Interviewer“ das Gespräch dynamisch starten können, aus seiner zweiten Rolle „Mitarbeiter Team Kommunikation“ hätte er sich freundlich und respektvoll dem Sprechausdruck des Chefs annähern können.
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Im Abschn. 8.3 „Rollenwelten“ gehe ich näher auf das Arbeiten mit Rollen ein. Merksatz: Wer passt sich an wen an? In Gesprächen hilft Rollenklarheit.
Praxistipps Für Interviewende und Interviewte können in der Vorbereitung folgende Fragen hilfreich sein: • • • •
In welchen verschiedenen Rollen werde ich selbst auftreten? In welchen Rollen, erwarte ich, wird das Gegenüber auftreten? Welche Rollen erwartet das Publikum von uns? Gibt es Besonderheiten – beispielsweise konkurrierende Rollen? Was sollte ich bedenken?
Interviewer können mit dramaturgischen Elementen und guten Fragen arbeiten. Je nach Kontext des Podcasts oder Videos können sie einen Spannungsbogen mithilfe von Erzähltechniken und einem Erzählstil, siehe Abschn. 6.12 „Sprache und Erzählstil“ aufbauen. Sie können mit Paraphrasierungen und offenen Fragen arbeiten, die zum Erzählen ermuntern, oder mit geschlossenen Fragen für präzise Antworten, siehe Abschn. 7.6 „Gute Fragen stellen“.
7.2 An das Publikum denken Sie ist nicht anwesend und doch soll sie im Fokus stehen: die Zielgruppe, also das Publikum. Damit Gesprächsformate wie Interviews für Zuhörende überhaupt attraktiv sind, müssen mehrere Aspekte überzeugen: • die Inhalte, • die Darbietung (Sound und Bildqualität) und • die Art und Weise des Sprechens und die Stimme. Hier in diesem Buch geht es ganz besonders um das Sprechen. Und es geht um die „Küchentischproblematik“. Am Beispiel:
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• Szene 1. Zwei Leute sitzen am Tisch, vertieft in ein Gespräch über Nachhaltigkeit. Jemand kommt in den Raum, sie sprechen intim weiter. Darf die dazugekommende Person zuhören oder nicht? Es ist nicht eindeutig. Im Zweifel verlässt die dritte Person aus Höflichkeit oder Langeweile den Raum. • Szene 2. Zwei Leute sitzen am Tisch, sie sprechen raumfüllend miteinander, konzentriert. Eine Person kommt dazu und spürt eindeutig an der Atmosphäre, dass sie bleiben und zuhören kann, wenn sie möchte. Das Thema interessiert sie, sie bleibt. Damit ein Gespräch für andere, die ausschließlich zuhören oder zuschauen, attraktiv ist, brauchen die Sprechenden Bühnenpräsenz! Diese erreichen Sprecherinnen oder Sprecher am einfachsten, wenn sie sich klarmachen, dass andere an ihrem Gespräch teilhaben (werden) und dies permanent mitdenkt. Wenn das gelingt, geht damit meist wie von selbst eine erhöhte Bühnenpräsenz einher. Stellen Sie sich einmal einen Dialog zwischen mehreren Figuren im Theater vor. Sprächen die Schauspielerinnen und Schauspieler ohne jegliche Bühnenpräsenz miteinander, würden die Stimmen den Raum nicht füllen. Die Darbietung wäre für das Publikum kaum hör- und nachvollziehbar. Stattdessen lernen Schauspielende durch eine erhöhte Präsenz und passende Bühnenspannung einen ganzen Saal am Dialog teilhaben zu lassen, ohne das Publikum dabei direkt anzusprechen. Diese Bühnenpräsenz ist spürbar, sie macht aufmerksam und regt an. Wer schon einmal selbst auf einer Bühne gestanden hat, weiß: Dieses Mitschwingen des Publikums ist wichtig. Im Idealfall halten die Zuhörenden inne; schnaufen, lachen, atmen! Im Podcast und Video ist die Bühne scheinbar kleiner, die Übertragung der Stimmen in die Büros, Küchen und Autos der Zuhörenden wird von der Technik übernommen. Aber Bühnenpräsenz ist genauso nötig, damit auch hier Aufmerksamkeit bei den Zuhörenden erzeugt wird. Wenn die Suppe anbrennt – kann das wohl als Erfolg gefeiert werden.
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Abb. 7.2 Wer wirkt auf wen? (Bild: Eigene Darstellung)
Die Abb. 7.2 soll zeigen: Die Nicht-Anwesenden sollten nicht vergessen werden. Sie vor dem inneren Auge zu haben, das kann sich positiv auf die gemeinsame Präsenz im Gespräch auswirken. Doch was kann man konkret machen, um in Interviewsituationen die „Küchentischproblematik“ zu vermeiden? Wie kann man stattdessen das nicht anwesende Publikum einbeziehen und gemeinsam präsent auftreten? Bevor ich darauf eingehe, kommt noch ein Hinweis: Hier geht es explizit um die Präsenz im Gespräch, im Abschn. 3.4 „Präsenz“ erfahren Sie mehr darüber, wie Sie Ihre persönliche Präsenz steigern können. Tipps für die Steigerung der Präsenz im Interview • Stellen Sie sich Ihre Zielgruppe(n) genau vor. Wer sind sie? Was machen sie, während sie zuhören? Wie werden sie reagieren? • Für manche Menschen ist es leichter, „echtes“ Publikum zu haben. Gibt es Leute im Team, die das Publikum verkörpern könnten? Gibt
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es großformatige Fotos, Papp-Aufsteller, die das Publikum darstellen können? • Die Zuhörenden ansprechen. Wenn das Format es erlaubt, kann verbal Bezug aufgenommen werden zu den Rezipienten. Am Beispiel: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, interessiert bestimmt noch, wann der Startschuss für den Neubau fällt…“
Was im Interview sonst noch wichtig ist: • Die Vorbereitung: Besonders Interviews, die spontan und locker wirken sollen, sind meist sehr gut vorbereitet. Spontaneität in der Aufnahmesituation ist nur möglich, wenn man genau weiß, welche "Abzweigung" man nehmen könnte: Die Reihenfolge der Fragen situativ ändern, einzelne Punkte weglassen, andere hinzunehmen. . Eine Gesprächs- oder Interviewsituation ist und bleibt „künstlich“, sie kann mit guter Vorbereitung jedoch authentisch wirken. • Professionelle Distanz finden: Mit wenigen Ausnahmen, wie im Podcast „Alles gesagt“ der „Zeit“, in dem die Gastgeber Jochen Wegner und Christoph Amend mit ihren Gästen so lange sprechen, bis diese nach fünf bis sieben Zeitstunden „fertig“ sind, und unweigerlich im Gespräch miteinander offen und persönlich werden, darf und sollte in Podcast und Videos eine professionelle Distanz gewahrt bleiben. Diese ermöglicht, für sich selbst zu bestimmen wieviel und was ich von mir und der Firma preisgebe. Und das ist für einen professionellen Auftritt in vielen Audio- und Video-Kontexten schlicht nötig. • Den Sprach- und Sprechausdruck des Gegenübers nicht ungefiltert übernehmen. Wer sich selbst als empathisch kennt, hat es vielleicht schon erlebt: Jemand ist sympathisch und man übernimmt wie von selbst bestimmte Gesten des Gegenübers, verfällt ins Alltagssprachliche, oder lacht außergewöhnlich oft. Wenn dies ein positives Angleichen ist, ist nichts dagegen zu sagen. Sich an Vulgäres, Abwertendes, gar Diskriminierendes, Ausdrucksloses, Aggressives, extrem Angespanntes anzugleichen, kann jedoch extrem negativ auf Sie zurückfallen. Egal ob Sie interviewen oder interviewt werden, wenn Ihr Gegenüber einen negativen Sprach- und Sprechausdruck an den Tag legt, können Sie ganz besonders auf Ihre
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professionelle Distanz achten. Bleiben Sie bei sich und Ihrem (guten) Ausdruck, und distanzieren Sie sich durch die fehlende Anpassung an Ihr Gegenüber von dessen Wirkung. Ihr Publikum wird es bemerken. Im schlimmsten Fall können Sie eine Situation auch unterbrechen oder abbrechen. Merksatz: Eine Interviewsituation ist ein stückweit „künstlich“. Sie kann mit guter Vorbereitung jedoch authentisch wirken.
7.3 Gäste beruhigen Ob Video oder Audio, sobald Sie Gäste einladen, können Sie damit rechnen, dass diese mehr oder weniger mit Aufregung und Lampenfieber zu tun haben. Wenn das eine leichte Nervosität ist, würde ich diese als angemessene Bühnenspannung bewerten. Wenn Gäste aber unter starkem Lampenfieber leiden, fühlen sich nicht freudig aufgeregt, sondern unwohl und gestresst und das sollten Gastgebende ernst nehmen. Aus drei Gründen: 1. Das Wohlbefinden der Gäste steht im Vordergrund. 2. Die Atmosphäre im Interview soll angemessen sein – für alle: Gäste, Gastgebende und das Publikum. 3. Qualität des Produktes soll sichergestellt werden. Im Abschn. 8.1 „Aufregung und Lampenfieber“ gehe ich näher darauf ein, was die Hintergründe sind und wie sich jede und jeder selbst helfen kann. Hier können Gastgeberinnen und Gastgeber erfahren, was sie tun können, damit sich ihre Gäste sich sicher und wohlfühlen. Lassen Sie Gäste nicht unnötig lang warten. Der Mensch ist nicht zum Warten gemacht. Der Satz, der garantiert viele unruhig macht,
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ist: „Warten Sie hier.“ Fordert man jemanden zum Warten auf, gehen die meisten schlagartig auf die Suche nach einer Beschäftigung. Wenn Ihr Gast nun anfängt, die Korrespondenzen des Tages nachzuholen, kann das zu unerwünschten Nebenwirkungen führen: Abgelenkt im Interview durch den Löscheinsatz in der Mailbox. Um das zu vermeiden, können Sie als Gastgeberin oder Gastgeber nötige Wartezeiten angenehm gestalten und nicht als solche deklarieren. „Wir starten in 5 Minuten“ ist besser als „Warten Sie bitte kurz.“ Traubenzucker – ein kleines Wundermittel. Manche Gäste bereiten sich bis zur letzten Minute vor, andere hüpfen von einem Meeting zum anderen und dann zu Ihnen, ohne etwas im Magen zu haben. Wer kurz vor der Aufnahme den eigenen Magen knurren hört, hat einen weiteren Grund nervös zu werden und sich schlechter konzentrieren zu können. Gastgebende müssen hier kein Menü zaubern – wer ein Traubenzucker reichen kann, beruhigt. Glückstee und Schokolade können für remote Interviews auch per Post geliefert werden. Etwas gegen den trockenen Mund machen. Am besten eignet sich stilles Wasser. Wenn Gäste nervös sind, können Sie ihnen den peinlichen Moment der zitternden Hand ersparen und ihnen das Wasser einschenken. Wasser trinken, heißt schlucken. Und dieses banale Wasserschlucken kann positive Auswirkungen auf den Körper und die Stimme haben, sie bekommen das Signal, sich zu entspannen. Denn das vegetative Nervensystem wird angeregt, in seinen Entspannungs- und Verdauungsmodus zu wechseln. Informieren. Wer weiß, was kommt, muss es weniger fürchten. Nicht alle Gäste fühlen sich durch ein ausführliches Briefing beruhigt, aber viele. Deshalb können Sie als Gastgeberin oder Gastgeber den Rahmen, also den genauen Ablauf, die involvierten Personen, die Technik etc. vorab beschreiben. Am besten im Vorgespräch. Begleiten. Begrüßen Sie Ihre Gäste persönlich. Wenn Sie am Interviewtag vor Interviewbeginn zu tun haben, dann können Sie eine Betreuungsperson einbinden.
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Die eigene Anspannung für sich behalten. Vermeiden Sie es, Ihre Gäste Ihre eigene Anspannung allzu sehr spüren zu lassen. Ihre Gäste haben ihre ganz eigenen Gedanken und Gefühle und sind mit sich selbst beschäftigt. Sie werden Ihre Anspannung wahrscheinlich gar nicht bemerken, es sei denn Sie stoßen sie darauf. Machen Sie Pausen. Wenn Gäste während des Interviews sehr angespannt sind, oder gar ein Blackout haben, dann können Sie eine Pause ansetzen und auch hier wieder für eine entspannte Atmosphäre sorgen. Beruhigen Sie sich und Ihre Gäste! Anspannung ist in exponierten Redesituationen ganz normal, sie legt sich in der Regel wieder. Lüften, trinken, sich bewegen – das hilft. Abbrechen ist eine Option. Bevor jemand aufgrund starker Aufregung eine extrem schlechte Erfahrung macht und sich infolge belastet fühlt, können Sie ein Interview abbrechen und vertagen. Manchmal ist die Tagesform der Grund, manchmal gibt es andere Gründe, die man nicht kennt, beispielsweise private Belastungen. Wer mit Menschen arbeitet, kann menschlich reagieren, auch unter Zeitdruck, Abgabedruck oder bei persönlichem Ehrgeiz.
7.4 Atmosphäre im Interview Gespräche werden getragen von Atmosphäre. Sie kann dafür sorgen, dass die Zeit wie im Fluge vergeht oder sich das Gespräch nach harter Arbeit anfühlt. Gerade in Audio- und Videoformaten mit Gästen sollte die Atmosphäre fortlaufend aktiv gestaltet werden. Denn die Stimmung im Gespräch wird nicht nur einmal zu Beginn hergestellt und ist dann ein Selbstläufer, sondern sie kann schnell wechseln und braucht Aufmerksamkeit. Ein präsentes und aktives Auftreten der Moderatorinnen oder Moderatoren hilft dabei. Worauf kann man achten? Eine Mischung aus guter Vorbereitung und Spontaneität ist gefragt, denn Menschen haben ein Gespür dafür, ob eine Stimmung aufgesetzt oder echt und glaubwürdig ist. Deshalb
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ist Moderatorinnen und Moderatoren davon abzuraten, eine bestimmte Rolle zu spielen, die nicht zum Kontext oder zu Ihrer Persönlichkeit passt. Sie sollten sich stattdessen situativ authentisch zeigen. Ein positives Beispiel: Martin Daum, CEO von Daimler Truck AG, schafft es, im „Transportation Matters – The CEO Podcast of Daimler Truck“ mit seinen Gästen eine angenehme Gesprächsatmosphäre aufzubauen und zu halten. Dabei zeigt er verschiedene Seiten von sich: Wertschätzung für die Gesprächspartnerinnen und Partner, eigene fachliche Expertise, Gesprächsführungskompetenz und unaufgeregte Selbstsicherheit. Atmosphäre im Gespräch – darauf können Sie achten • Gestalten Sie die Intro Ihres Podcasts oder Videos in derselben Gesprächsatmosphäre wie das Gespräch selbst. Stimmungsbrüche zwischen Intro und Gespräch sind unschöne kleine Störenfriede, die man vermeiden kann: Wenn möglich nehmen Sie die Intro im Beisein Ihrer Gäste auf. Sie ersparen sich dadurch Zeit. Denn im Nachgang dieselbe Stimmung reproduzieren zu müssen, gelingt möglicherweise nicht auf Anhieb. • Bleiben Sie als Gastgeberin oder Gastgeber während des Gesprächs in gutem Kontakt mit Ihren Gästen. Sie müssen nicht permanent Blickkontakt halten oder in remote Aufnahmen in die Kamera schauen. Aber: Hören Sie aufmerksam zu, „schwingen Sie sich ein“ auf Ihr Gegenüber, schenken Sie Ihre Zeit. So können Sie schnell reagieren und die Atmosphäre aktiv gestalten. • Verlassen Sie sich auf Ihre Vorbereitungen und passen Sie den Wortlaut Ihrer Fragen oder eigenen Beiträge flexibel an. Es soll ein interessanter „kommunikativer Tanz“ entstehen, dafür braucht es die Bereitschaft, sich auf die Gesprächspartnerinnen und -partner einzulassen. • Es ist sicher extrem selten, dass Gäste eine unpassende Atmosphäre aufkommen lassen. Umso mehr kann es überraschen und sprachlos machen. Als Gastgeberin oder Gastgeber können Sie in einem solchen Fall freundlich und bestimmt gegensteuern. Unterbrechen Sie notfalls das Gespräch und sprechen Sie darüber. Abwertungen, Arroganz und „vergiftete Kekse“ – also fiese Botschaften verpackt in nette Worte – müssen nicht toleriert werden. Als Host können Sie notfalls entscheiden, ein Gespräch abzubrechen oder nicht zu verwerten.
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7.5 Zuhören und paraphrasieren Aktiv die Atmosphäre gestalten, das geht auch mit Gesprächsführung. Dazu gehören gute Fragen, aber auch das Aufgreifen dessen, was das Gegenüber sagt. Dazu muss man als Host gut und aufmerksam zuhören sowie diese Aufmerksamkeit bestenfalls auch ausstrahlen. Allerdings gibt es einen kleinen Fehler, der sich dabei einschleichen kann und der eine Aufnahme stören kann. Denn wenn Hosts zuhören, dann machen sie manchmal – wie in einem Gespräch üblich, um das Zuhören auszudrücken – zustimmende Geräusche. Das nenne ich liebevoll „therapeutisches Grunzen“: „hmm“, „ah“, „ok“. Das, was in anderen Gesprächen funktioniert, muss im Podcast und Video nicht zwingend gut sein. Was das Gegenüber bestätigen soll, stört die Zuhörenden. Deshalb sollte man auf diese Zwischentöne möglichst verzichten und still zuhören. Man kann stattdessen über die Körpersprache und Mimik zeigen, dass man aufmerksam zuhört. Wer den Podcast remote aufnimmt, kann gleichzeitig einen Videocall laufen lassen, damit sich alle visuell wahrnehmen können. Außerdem sollten Moderatorinnen und Moderatoren beim Zuhören weiteratmen. Dieses Weiteratmen beim Zuhören ist etwas sehr Wertvolles, denn es drückt aus: „Ich bin ganz bei dir“ und nicht: „Ich halte die Luft an, bis ich endlich weitersprechen kann.“ Es entspannt den eigenen Körper und fördert das Denkvermögen. Es kann sich positiv auf das Gegenüber auswirken, denn Sie strahlen innere Ruhe aus. Weiteratmen in Gesprächen ist übrigens nicht nur in Podcasts und Videos hilfreich, sondern auch in allen anderen Kommunikationssituationen. Für Podcasts und Videos gilt: Zuhörende sollen mühelos folgen können - ohne störende Geräusche und Zwischentöne. Kommen wir nun vom Zuhören zum Sprechen. Hosts können drauf achten, ihre Fragen gut in das Gespräch einzubetten. Dafür wird das paraphrasiert, was das Gegenüber anbietet. Das kann eine Metapher sein, oder erwähnte Personen, Orte, Gegebenheiten. Wenn man jetzt eine Frage stellt oder das Gegenüber bittet, bestimmte Inhalte zu vertiefen, dann kann man in eigenen Worten kurz aufgreifen, was vorher erzählt wurde. Gegebenenfalls mit einer Verdichtung oder Ergänzung.
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Im Wirtschaftswoche Podcast Chefgespräch setzt Beat Balzli (Balzli 2021) diese Gesprächsführungstechnik mit Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender von Porsche und Volkswagen, ein. Im Gegensatz zu einem langweiligen Frage-Antwort-Spiel entsteht hier in der Episode 116 „In der Familie habe ich nicht so viel zu sagen“ ein lebendiger Austausch. Lesen Sie hier einen kurzen Ausschritt ab Minute 5:16. „Oliver Blume: Meine Töchter sind 16 und 19 und da bekomme ich natürlich auch viel mit, wie die Jugend tickt. Was für Werte es in diesen Altersgruppen sind. Und für mich ist das auch ganz wichtig, wenn wir dann beim Frühstück, beim Abendessen zusammensitzen, dann auch den eigenen Kompass noch mal einzustellen, mir auch Inspiration zu holen. Beat Balzli: Gibt’s da auch Kritik an ihrer Branche – direkt am Frühstückstisch? Oliver Blume: Ach ja klar, also das ist natürlich ganz ungefärbt und das ist auch das Schöne an einer Familie, dass da kein Blatt vor den Mund genommen wird. Und natürlich wurde dort diskutiert, als damals der Dieselskandal hochkam – dann: Für welche Werte steht die Automobilindustrie? Wie muss ich die Automobilindustrie aufstellen, dass sie in Zukunft überhaupt noch eine Berechtigung hat? Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit? Welchen Stellenwert haben Werte im Unternehmen, soziales Engagement. Und deshalb sind diese Diskussionen, die ich dort mit meiner Frau und meinen Töchtern habe, sehr bereichernd für mich. Beat Balzli: Also ihre Kinder challengen Sie auch richtig, so im Stil: „Hey Papi, warum hast du da nicht früher mal was gemacht?“ Oliver Blume: Ja, also die kommen einfach mit ganz anderen Sichtweisen. Auch beispielsweise: Ist das Auto nun das Fundamentale, was man im Leben unbedingt haben muss? In unserer Generation war es so, dass alle auf den Führerschein hingefiebert haben, um dann irgendwann ein eigenes Auto zu haben und das ist in den Generationen jetzt nicht mehr das unbedingte Zentrum des Lebens. Mobilität ist wichtig, aber es geht es nicht mehr unbedingt um den Besitz oder ein Fahrzeug als ein Statussymbol. Und solche Aspekte sind dann schon für mich auch wichtig, um mal zu schauen, wie tickt denn diese Generation, die da heranwächst? Wie kann man denn solche Menschen eben auch in der Zukunft für das Automobil begeistern? Beat Balzli: Also, es wird deutlich schwieriger, Ihre Töchter von Porsche zu begeistern als die Generation davor…“ (Im Interview wird hier mit der nächsten Frage ein neues Thema eingeführt.)
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Das Aufgreifen und Paraphrasieren der sprachlichen Bilder durch Beat Balzli, dazu führt, dass ein echtes Gespräch mit Oliver Blume entsteht. Die beiden drücken inhaltlich und durch das „Wie“ des Sprechens Interesse, Engagement und Glaubwürdigkeit aus. Praxistipps • Wer diese Technik vertiefen möchte, kann journalistische Talk-Podcasts und Videocasts im Hinblick auf die Interviewführung und die Dramaturgie anhören. • In Unternehmenspodcasts und Videoprodukten kann das Paraphrasieren eine charmante und wirksame Technik sein. Sie ist oft aus anderen Kommunikationskontexten bekannt und kann gut trainiert werden. • Ob paraphrasieren oder Fragen stellen – achten Sie in der Aufnahme auf eine zugewandte innere Haltung. Dann wird es nicht zu technisch.
7.6 Gute Fragen stellen Wer fragt, führt? Nicht immer: Es kommt auf gute Fragen, Zuhören und innere Haltung an. Alles soll ineinandergreifen, damit kein roboterhaftes Frage-Antwort-Ping-Pong entsteht. Die verschiedenen Arten, Fragen zu formulieren, haben unterschiedliche Wirkungen: Sie können öffnen und weiten oder verdichten und zuspitzen. Man kann das Formulieren von Fragen sehr gut trainieren. Der Vorteil ist, dass man in Interviews und Gesprächen flexibler ist und spontan reagieren kann! Je sicherer Sie formulieren, desto eher können Sie sich erlauben, ein Stück weit die Kontrolle aufzugeben, zugunsten des Kontakts zwischen Ihnen und Ihrem Gegenüber. Wenn Sie Fragen stellen, sollte Ihre innere Haltung offen sein – bereit die Antwort zu hören. Dann kann ein echtes Gespräch entstehen. Dazu gehört sich selbst zu disziplinieren, auf die Antworten zu warten und wirklich zuzuhören. Hier entstehen natürliche Pausen und eine authentische Gesprächswirkung.
Gibt es Kritik?
Welche Kritik gibt es?
Geschlossene Fragen erlauben Ja oder Nein-Antworten
Offene Fragen W-Fragen (Wie, welche, worauf, wann, wieso) laden zu längeren Antworten ein.
Direkte Fragen
Offen versus geschlossen – direkt versus indirekt
Welche Kritik könnte es geben? Könnten Sie mir sagen, welche Kritik es gibt?
Könnte es Kritik geben?
Indirekte Fragen
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Spezialfragen – eine Auswahl Art der Frage
Wirkung
Beispiel direkt
Rahmende Frage
Kontext einbeziehen Denken Sie an unser Projekt, welche Idee haben Sie für…
Alternativfrage
Entscheidung
Beispiel indirekt Angenommen, Sie haben eine Idee für… im Rahmen unseres Projekts, welche wäre das?
Ist A oder B die beste Lösung?
Ich wüsste gern, ob Sie A oder B für die beste Lösung halten?
Konkretisierungsfrage Verdichtung
Können Sie drei Beispiele nennen?
Mich würden Beispiele interessieren, können Sie drei nennen?
Kontraktierungsfrage
Aktivierung
Ich habe noch eine Nachfrage dazu, ist das in Ordnung? Ist es richtig, dass…?
Ich wüsste gern noch etwas, ist das in Ordnung? Könnten Sie mir sagen, ob ich sie richtig verstanden habe, dass…
Zirkuläre Frage
Situative Kontexterweiterung
Was glauben Sie, sagt Ihr Team dazu?
Angenommen Sie wüssten, was Ihr Team darüber denkt, was wäre es?
Lösungsfrage
Was schlagen Sie Öffnung, Lösungsorientierung stattdessen vor? Sondern?
Hypothetische Frage
Suggestion
Angenommen die Nachfrage steigt kontinuierlich. Was sind Ihre nächste Ziele?
Nähmen wir einmal an, die Nachfrage steigt kontinuierlich, was sind Ihre nächsten Schritte?
Zusammenfassende Frage
Abschluss finden
Was bedeutet das im Ergebnis?
Mich würde interessieren, wie Sie das zusammenfassen?
Was würden Sie stattdessen vorschlagen?
Gibt es Fragen, die man vermeiden sollte? Es kommt darauf an, mit wem man spricht, aus welcher Rolle und in welcher Situation, ob eine Frage passend oder unpassend ist. Und für wen sie stimmig ist: die gefragte, die fragende oder die zuhörende Person. Jemanden zu fragen, ob er oder sie in der neuen Position gut angekommen ist, kann im Teeküchengespräch passen – im offiziellen CEO-Interview der Firma möglicherweise weniger. Sollte man Gäste bitten, sich selbst vorzustellen? Im Podcast oder Video-Interview kann man die Bitte: „Stellen Sie sich einmal kurz vor?“
176 J. Talley
aus dem Fragenkatalog streichen. Wer jemanden zu Gast hat, sollte die Vorstellung übernehmen. Das hat mehrere Gründe: 1. Die Frage nach der Vorstellung ist sehr global und Gäste wissen alles von sich. Wo sollen sie anfangen? Und wieviel oder wie wenig sollen sie erzählen? Ob die Antwort für die Zuhörenden interessant ist, ausreichend informiert, Neugier weckt – oder langweilt, ist ein bisschen Glücksache. Und davon sollte man sich als Host nicht abhängig machen. 2. Angenommen die Selbstvorstellung ist positiv gelungen, dann ist alles gut. Wenn sie nicht enden will oder missglückt ist, haben Gastgebende ein Problem: Sie befinden sich mitten im Gespräch und müssen sich nun entscheiden, zu unterbrechen, um den Anfang nochmal aufzunehmen, oder im Nachgang zu schneiden. Je nachdem, wie gut die Gäste gesprochen haben, kann der Versuch im Nachgang aus der Selbstvorstellung, sinnvolle Satzschnipsel zu schneiden, mehr oder weniger zeitintensiv und erfolgreich sein. 3. Wenn Gastgebende ihre Gäste vorstellen, zeigt das Wertschätzung. Denn sie haben sich mit den Personen beschäftigt und sich die Mühe gemacht, wichtige Eckpunkte darzustellen. Der Vorteil ist: Nach einer solchen Vorstellung können Gäste selbst ergänzen, was ihnen noch wichtig ist. Und da der Gesprächsrahmen durch die Interviewenden gesteckt ist, sind diese Ergänzungen in das gemeinsame Gespräch gut eingebettet. Deshalb: Zur Vorbereitung eines Interviews oder Gespräches gehört die Vorstellung der Gäste.
Merksatz: Zur Interviewvorbereitung gehört die Vorbereitung der Vorstellung der Gäste.
Übung: fragen & paraphrasieren Für die folgenden Übungen braucht man eine Partnerin oder einen Partner und eine ruhige Übungsumgebung. Wer mag, kann mit Audiooder Videoaufnahmen arbeiten, und diese zur Reflexion nutzen. Üben
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Sie gemeinsam die unten folgenden vier Fragetypen. Als Anregung finden Sie jeweils Beispiele vor. Ablauf: Führen Sie jeweils ein Gespräch in verteilten Rollen. • Person A paraphrasiert und stellt Fragen. • Person B antwortet. Entscheiden Sie sich für ein Gesprächsthema. Achten Sie darauf, dass das Thema leicht zu besprechen ist. Das kann etwas Fachliches sein – oder etwas Privates (der Arbeitsweg; die Umstellung von Plastiktüten auf Papiertüten, die Weihnachtsfeier im letzten Jahr etc.) Reflektieren Sie anschließend Ihre Erfahrungen: Was fiel Ihnen leicht? Was war noch schwer? Wo erkennen Sie Ihren persönlichen Autopiloten? Die Rollen können nach Abschluss einer Übung getauscht werden. 1. Geschlossene Fragen Stellen Sie ausschließlich geschlossene Fragen und paraphrasieren Sie die Antworten – also greifen Sie Inhalte auf, ergänzen diese oder formulieren Sie sie leicht um. Beispiel • A: Kannst du dich daran erinnern, was vor den Papiertüten im Supermarkt los war? • B: Ja, es gab Plastiktüten zu kaufen. • A: Genau, diese Plastiktüten hatten Vor- und Nachteile. Glaubst du, die Umstellung war eine gute Entscheidung? • B: In jedem Fall. Die Papiertüten sind eindeutig umweltfreundlicher und ehrlicherweise nehme ich persönlich sowieso immer eigene Tragetaschen mit zum Einkauf. • A: Eigene Tragetaschen dabei zu haben erfordert Selbstdisziplin. Denkst du immer daran, welche mitzunehmen? • B: Manchmal passiert es mir natürlich auch, dass ich welche vergesse. Eben für den Moment sind die Papiertüten gut. Ich muss sagen, ich habe mich ziemlich daran gewöhnt, daran zu denken.
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2. Offene Fragen Bleiben Sie bei demselben Gesprächsthema und stellen Sie nun ausschließlich offene Fragen. Paraphrasieren Sie die Antworten – also greifen Sie Inhalte auf, ergänzen diese oder formulieren Sie sie leicht um. Beispiel • A: Welche Erinnerungen hast du an die Zeit vor den Papiertüten im Supermarkt? • B: Es gab Plastiktüten zu kaufen, aber ich muss sagen, ich habe schon lange eigene Tragetaschen im Einsatz und greife selten auf die Tüten zurück, die man an der Kasse kaufen kann. • A: Wie spannend, du bist also ziemlich selbstdiszipliniert und denkst an eigene Taschen. Was denkst du denn über die Umstellung von Plastik auf Papiertüten? • B: Naja, die Papiertüten sind eindeutig umweltfreundlicher, haben aber auch ein paar Nachteile, z. B sind sie nicht so stabil… Ich glaube, der Schritt ging in die richtige Richtung und ermuntert dazu, eigene Tragetaschen mitzunehmen. • A: Das ist sicher das Beste, wenn so wenig Einwegtaschen gebraucht werden, wie möglich. Wie schaffst du es, immer daran zu denken, eine Tasche mitzunehmen? • B: Ich bin daran inzwischen so gewöhnt. Im Grunde haben sich Routinen entwickelt, z. B…. 3. Indirekte Sprache In der dritten Runde sprechen Sie vorsichtig, sich herantastend, konjunktivistisch und paraphrasieren Sie die Antworten im selben Stil.
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Beispiel • A: Ich frage mich, welche Erinnerungen du an die Zeit vor den Papiertüten im Supermarkt hast? • B: Es gab Plastiktüten zu kaufen, aber ich muss sagen, ich habe schon lange eigene Tragetaschen im Einsatz und greife selten auf die Tüten zurück, die man an der Kasse kaufen kann. • A: Man könnte also sagen, du hast die Gabe der Selbstdisziplin, du denkst an eigene Taschen. Mich würde noch interessieren, was du über die Umstellung von Plastik auf Papiertüten denkst. • B: Naja, die Papiertüten sind eindeutig umweltfreundlicher, haben aber auch ein paar Nachteile, z. B. sind sie nicht so stabil… Ich glaube, der Schritt ging in die richtige Richtung und ermuntert dazu, eigene Tragetaschen mitzunehmen. • A: Das wäre sicher das Beste, wenn so wenig Einwegtaschen gebraucht werden, wie möglich. Die anderen fänden es bestimmt auch spannend zu erfahren, wie du es schaffst, immer daran zu denken, eine Tasche mitzunehmen? • B: Ich bin daran inzwischen so gewöhnt. Im Grunde haben sich Routinen entwickelt, z. B…. 4. Spezialfragen Formulieren Sie Spezialfragen zum gewählten Thema. Beispiel • Kontraktierungsfrage: Ist es ok, wenn ich dir zum Thema Tragetaschen ein paar Fragen stelle? • Rahmende Frage: Wenn du an die Zeit vor den Papiertüten im Supermarkt denkst, was fällt dir als erstes ein? • Alternativfragen: Wenn du die Wahl hättest, würdest du eine Papiertüte oder Plastiktüte kaufen? • Konkretisierungsfragen: Erzähl doch mal genau, warum? Welche drei Punkte sind dir wichtig?
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• Zirkuläre Frage: Angenommen wir könnten deine Partnerin/deinen Partner fragen, wie du über die Umstellung denkst, was würde sie/er sagen? • Lösungsfrage: Im Moment gibt es Papiertüten, was könnte in Zukunft stattdessen im Supermarkt angeboten werden? • Hypothetische Frage: Angenommen jeder und jede denkt an eine eigene Tragetasche, was wäre anders? • Zusammenfassende Frage: Was ist dir am wichtigsten, wenn du an Tragetaschen denkst? Auch wenn ich beim Schreiben dieses Beispiels darüber schmunzeln muss, wie viele Fragen mir zu Papiertragetaschen einfallen, die verschiedenen Fragetechniken sind ein echter Schatz in der Gesprächsführung und ich möchte Sie ermuntern, diese anzuwenden oder wieder zu aktiveren, wenn Sie sich bereits damit auskennen. Übrigens können Sie an der Reaktion Ihres Gegenübers ganz genau erkennen, ob Sie eine sehr gute Frage gestellt haben: Die Person hält inne, überlegt einen Moment. Manchmal kommentiert sie sogar, das eigene Nachdenken: „Das ist eine gute Frage…“ Sie können dann zufrieden atmend der Antwort lauschen.
7.7 Vorgespräch Angenommen Sie haben Gäste in Ihr Format eingeladen, die Sie noch nicht persönlich kennen. Dann macht es Sinn, vor der Aufnahme einige Eckdaten zu klären. Dazu dient das Vorgespräch oder Briefing. Im Vorgespräch kann man sich kennenlernen, das Format vorstellen und den Ablauf des anstehenden Gesprächs klären. Wer regelmäßig Gäste in den Podcast einlädt, kann Routinen entwickeln, die für einen guten Fluss in der Podcast- oder Videoproduktion sorgen: Überlegen Sie sich dafür einen passenden Prozess und wenden Sie diesen an. Das gilt für interne Unternehmenspodcasts oder Video-Formate genauso wie für Formate, die sich an die breite Masse wenden.
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• Gäste recherchieren. • Kontaktieren und Vorgespräch vereinbaren. • Infos zum Vorgespräch und zum Ablauf des Podcasts schriftlich bereitstellen. Dazu können Sie eine ansprechende Datei mit allen wichtigen Infos zum Download gestalten. • Vorgespräch durchführen und Aufnahmetermin vereinbaren. • Nach der Veröffentlichung Feedback geben: Dank aussprechen und Rückmeldungen weitergeben, die eingegangen sind. Was sollte im Vorgespräch besprochen werden? Besprechen Sie den Rahmen: wann, mit wem, wo, mit welcher Technik, wie lange, zu welchem Thema? Erzählen Sie, wie Ihr Format gedacht ist: Was wünscht sich die Zielgruppe? Was ist Ihre eigene Motivation, das Format zu machen? Lernen Sie Ihr Gegenüber kennen: Kommen Sie ins Gespräch, aber vermeiden Sie es, in die Themen des Podcasts inhaltlich einzusteigen! Das können Sie sich für das eigentliche Gespräch in der Aufnahmesituation vorbehalten. Beim Kennenlernen können Sie ein Gespür für Ihr Gegenüber entwickeln, was wiederum für die Aufnahme hilfreich ist. Wie spricht die Person? Eher lebendig oder ruhig? Gibt es lange verschachtelte Sätze oder verwendet sie eine strukturierte Sprache? Gibt es Marotten? Also lautes Atmen; viele Ähms; besonders nuscheliges, lautes oder leises, schnelles oder langsames Sprechen? Erzählen Sie, wie Sie moderieren werden: Sie gestalten das Spielfeld in der Rolle der Moderatorin oder des Moderators. Werden Sie Fragen stellen? Werden die Fragen herausgeschnitten oder nicht? Wünschen Sie sich eher kurze präzise Antworten, weil das Format das erfordert, oder freuen Sie sich über einen tiefen Einstieg ins Thema? Sind persönliche Erfahrungen interessant oder soll es eher sachlich zugehen? Freuen Sie sich über konkrete Tipps und Lifehacks oder nicht?
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Fragen entwickeln auf Basis des Vorgesprächs: Ihr Gast spricht beim Kennenlernen gelöst und kann viel erzählen? Dann planen Sie für das Interview ein paar geschlossene Fragen einfür den Fall, dass Sie das Gespräch mehr strukturieren wollen oder müssen. Wenn Ihr Gast im Gegensatz eher zurückhaltend wirkt, dann stellen Sie im Interview eher offene Fragen oder vertiefende Fragen, damit die Person ins Erzählen kommt. Sollte man Fragen vorab schicken? Es kommt darauf an. Manche Formate erfordern, dass mehrere Fachabteilungen in die inhaltliche Vorbereitung involviert sind. Dann gibt es keine andere Möglichkeit, als alle Fragen vorher preiszugeben. Freiere Talk-Formate leben davon, dass im Aufnahmemoment etwas lebendiges Neues entsteht und festgehalten wird. Dafür wäre es hinderlich, wenn das Gegenüber die Fragen genau kennt. Und es wäre schade, wenn Gäste Ihre Antworten vorformulieren.
7.8 Zu Gast im Interview Sollte man sich vorbereiten? Und wenn ja, wie? Wie spricht man am besten, wenn man zu Gast ist – im Podcast oder Video? Das Herangehen an einen Gastauftritt kann individuell sehr unterschiedlich sein. Manche wollen am liebsten spontan loslegen, andere brauchen Vorbereitungszeit und Informationen. Pauschal gesagt: ein bisschen Vorbereitung vor einer Aufnahmesituation tut allen gut! Wir konzentrieren uns hier ganz auf das Sprechen. Die folgende Checkliste soll Sie anregen und unterstützen und kann nach Belieben um weitere Informationen, die Ihnen wichtig sind, ergänzt werden.
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Checkliste – als Gast im Interview Ja / Nein Handelt es sich um eine Live-Schalte oder eine Aufzeichnung? Findet das Gespräch gemeinsam vor Ort statt oder remote? Wenn remote: Bekomme ich Technik gestellt, oder soll ich eigene nutzen? Wenn ja, welche? Ist es sinnvoll einen Technik-Check anzusetzen? Gibt es ein Vorgespräch? Wie viel Zeit muss ich insgesamt einplanen? Ggf. Technik-Check, Maske, Pausen etc. Wie lang wird das Interview dauern? Wie lang soll das Endprodukt werden? Welchen Anteil hat mein Redebeitrag? Ungefähr? Also auf wie viele Minuten wird hinterher gekürzt? Wenn geschnitten wird: Soll ich eher kurze Sätze sprechen, die man gut nachbearbeiten kann? Oder kann ich tiefer in ein Thema eintauchen? Hier kann man ggf. schlechter schneiden. Werden die Interview-Fragen herausgeschnitten oder nicht? Wenn die Fragen drin bleiben, kann man direkt antworten. Werden sie herausgeschnitten, sollten Sie die Frage einmal aufgreifen, um dann eine Antwort zu formulieren.
Ja / Nein Technik:
Wann? Termin: Dauer:
Dauer: Ca. in Min.:
Kurze Sätze Ja / Nein
Fragen selbst aufgreifen Ja / Nein
Viele Gastgebende informieren Ihre Gäste schriftlich, wie der Talk ablaufen wird und woran zu denken ist. Speichern Sie sich dieses Briefing sicher ab und schauen Sie rechtzeitig vor dem Termin noch einmal rein. Falls noch offene Fragen zu klären sind, beginnen Sie spätestens eine Woche vor dem Termin mit der Interview-Vorbereitung. So haben Sie genug Zeit, sich auf das Gespräch einzustellen. Damit Ihr Auftritt rund wird, ist nicht nur die inhaltliche, sondern auch die mentale Vorbereitung wichtig. Das Ziel ist, dass Sie sich wohlfühlen und mit einer positiven „Bühnenspannung“ in die Situation
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gehen können. Sie sollten inhaltlich vorbereitet sein, ohne jedoch Ihre Rede auswendig gelernt zu haben. In Gesprächsformaten ist Glaubwürdigkeit und Authentizität wichtig: Sprechen Sie deshalb frei oder nach Stichworten. Oft gibt es bei Talk-Formaten ein Vorgespräch. Was man auf jeden Fall vermeiden sollte: In die Inhalte des eigentlichen Interviews einsteigen. Denn es kann Ihnen passieren, dass etwas Interessantes, Echtes, Glaubwürdiges entsteht und die Magie dieses Moments nicht aufgezeichnet wird. Heben Sie sich diesen Teil unbedingt für das eigentliche Interview auf. Auch wenn es vielleicht schwer fällt – es lohnt sich. Für die Aufnahmesituation sollten Sie sowohl körperlich als auch mental für sich sorgen: Was brauchen Sie, damit es Ihnen gut geht? Vielleicht ist es ein bestimmtes Kleidungsstück oder das Bild eines lieben Menschen? Falls Sie warten müssen, bevor der Talk startet, suchen Sie sich etwas zu tun. Bleiben Sie aktiv in einer positiven Konzentration, selbst wenn es etwas Unsinniges, Kreatives, Abwegiges ist, was Sie unternehmen: auf einem Bein stehen, herumlaufen, jemanden in ein Gespräch verwickeln, eine Atemübung machen, bewusst die Atemzüge zählen. Es sollte Ihnen gut tun, egal, was es ist. Denken und Sprechen erfordert eine hohe Konzentration und einen entspannten Gesamtzustand, damit es fehlerfrei läuft. Das ist in einer Aufnahmesituation gar nicht so leicht, wenn die Aufmerksamkeit auf noch viel mehr Dinge als sonst gerichtet ist: der Abstand zum Mikro, die interviewende Person, die eigene Wirkung… Dann können Fehler passieren. Und das ist menschlich und gehört dazu. Praxistipps • Sie haben sich versprochen und der Versprecher ist geringfügig? Sprechen Sie einfach konzentriert weiter. • Ihr Versprecher ist größer und muss korrigiert werden? Hier gilt, bleiben Sie konzentriert: Machen sie eine kurze Sprechpause; atmen sie aus; kommentieren Sie nicht, sondern sprechen Sie den letzten Gedanken noch einmal. Sprechen sie dann einfach weiter. Sie können sich notieren, wann der Versprecher war. Es wäre schade, wenn am Ende ein nötiger Schnitt übersehen wird.
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• Je nach Format wird geschnitten, z. B. wenn die Fragen herausgeschnitten werden. Hier ist es nicht schlimm, wenn Sie etwas Zeit brauchen, um zu antworten: Es wird so oder so geschnitten. • Vermeiden Sie es, bei Antworten ein Füllwort wie „jaaa“ vor Ihre Antwort setzen. Atmen Sie stattdessen lieber ruhig aus; lassen Sie eine Atempause zu und sprechen Sie dann direkt ihre Antwort. • Fehler, die Sie vermeiden können: Eigene Versprecher kommentieren, mit sich oder anderen schimpfen, schnaufen, grummeln. Mit Ärger (auf sich selbst) in der Stimme weitersprechen. Am Fehler gedanklich hängenbleiben und die Konzentration verlieren.
Die meisten Gäste in Podcasts und Videos haben keine Schauspielausbildung oder professionelle Sprechschulung, das ist auch gar nicht nötig. Denn diese Formate sind keine Hochglanzprodukte. Wer perfekt gesprochene Beiträge sucht, engagiert Profisprecherinnen und -sprecher. Deshalb seien Sie gnädig mit sich selbst, wenn sie „normal“ klingen. Geben Sie in der Aufnahmesituation ihr Bestes und lieben Sie sich mit allen Marotten, die ans Tageslicht kommen. Wenn möglich, genießen Sie den Moment und machen Sie sich bewusst: Nicht jede und jeder wird eingeladen. Sie wollen Ihren verbalen Auftritt weiterentwickeln? In der Reflexion können Sie sich die Aufnahme anhören und ganz in Ruhe überlegen, ob und welche einzelnen Bereiche Sie trainieren wollen oder sollten. Dabei hilft Feedback z. B. aus dem Team oder im Sprechtraining. Ich habe Anna Fuchs gefragt, wie sie ihre Gastauftritte in Podcasts erlebt. Sie ist Trainerin und Coach am Schulz von Thun Institut für Kommunikation. Als freiberufliche Weiterbildungsanbieterin arbeitet sie außerdem rund um die Themen Führungskräfteentwicklung, Kommunikationspsychologie, Diversity und kultursensible Kommunikation. Nachdem ihr Buch „Transkulturelle Herausforderungen meistern“ 2022 erschienen ist, spricht sie regelmäßig in Podcasts und anderen audiovisuellen Formaten.
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Interview mit Anna Fuchs, Trainerin und Coach am Schulz von Thun Institut für Kommunikation Du bist als Fachfrau häufiger zu Gast in verschiedenen Podcasts. Wenn du dich in einem Interview wohlfühlst, was tragen die Hosts dazu bei? Was hat bei dir schon zu Irritationen geführt. Anna: Ich fühle mich wohl, wenn ein Host zugewandt und interessiert ist. Außerdem spreche ich einfach gerne mit Menschen, die für ihr Thema brennen und – etwas überspitzt gesagt – die Welt verbessern wollen. Wichtig ist mir, vorher zu wissen, ob das Format eher einem Gespräch oder einem Interview entspricht. Schwierigkeiten habe ich mit Fragebatterien, wenn das Selbstmarketing überhandnimmt und ganz besonders wenn Hosts mir mein eigenes Expertengebiet erklären wollen, obwohl sie weniger davon verstehen als ich. Du bist auch im Videokurs auf LinkedIn zu sehen, bezogen auf das Sprechen im Video versus Audio, was sind für dich die größten Unterschiede? Auch in der Vorbereitung? Anna: Für LinkedIn Learning habe ich zum ersten Mal mit einem Teleprompter gearbeitet und fand es in der Vorbereitung schon ungewohnt ein Skript zu schreiben, das möglichst umgangssprachlich klingen sollte. Bei den Aufnahmen galt es dann, einen abgelesen Text selbst nach der dritten Wiederholung so lebendig klingen zu lassen, als ob er freigesprochen wäre und dabei auch noch ein gutes Bild abzugeben. Ich sollte ja nicht nur gute Inhalte rüberbringen, sondern dabei auch noch entspannt und aufrecht stehen; offen, freundlich und kompetent in die Kamera blicken und irgendwas Sinnvolles mit meinen Händen anfangen. Als wäre das nicht genug, gilt es dann auch noch Mimik, Gestik und Betonung zu überzeichnen, um die Aufmerksamkeit der Zuschauenden zu halten. Worauf achtest du, wenn du in einer deiner anderen Sprachen erzählst und wenn du in unterschiedlichen kulturellen Kontexten unterwegs bist? Anna: Ganz banal: darauf, dass die Zuhörenden mich verstehen. Da hapert es bei mir vor allem am langsamen Sprechen. In der Schweiz, wo oftmals eine geruhsamere Sprachgeschwindigkeit vorherrscht, teile ich auch schon mal gelbe Moderationskarten aus, die die Teilnehmenden mir im Training dann hochhalten dürfen, wenn ich zu schnell spreche. In Podcasts bitte ich die Hosts, mich zu bremsen, wenn die Begeisterung für meine Themen dafür sorgt, dass ich sprachlich davongaloppiere. Manchmal spreche ich auch an, dass ich auf Spanisch bzw. auf Englisch mit Akzent spreche. Nicht, dass die Zuhörenden das nicht auch von selbst merken würden, aber damit gebe ich ihnen die Gelegenheit sich auf meine Sprache einzustellen, und dem Host die implizite Erlaubnis, auch mal einen Satz zu wiederholen. Vielen Dank, Anna Fuchs, für diesen Einblick!
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7.9 Aktiv als Gast Interview-Erlebnisse können grundsätzlich sehr unterschiedlich sein, denn viel hängt davon ab, wie sehr sich Gastgebende auf ihre Gäste vorbereiten und ob sie gute Fragen stellen. Mathematiker, Juristin oder Florist – viele Hosts sind keine erfahrenen Journalistinnen oder Journalisten, sondern haben aus ihrer Branche heraus ein Audio- oder Videoformat gestartet. Sie haben nur begrenzt Ressourcen und das nötige Wissen, um sich optimal auf ihre Gäste vorzubereiten und die Gesprächsführung zu gestalten. Und das kann sich negativ auswirken. Der eigene Gastauftritt soll aber überzeugen. Was kann man also selbst tun, wenn man eingeladen wird? Egal wie die Einladung zustandekommen ist, durch eine persönlichen Kontakt, aufgrund Ihres Bekanntheitsgrades oder die eigene aktive Suche – beispielsweise über Plattformen, die sich zum Ziel setzen, beide Seiten zusammenzubringen: Sobald Sie eingeladen sind, können Sie selbst aktiv werden, damit am Ende ein gutes Interview daraus wird. Wie man konkret vorgehen kann, dazu habe ich Markus Tirok gebeten, etwas zu erzählen. Er ist Moderator, Interviewer und Gründer der Interviewhelden, einem Trainingsprogramm für gute Fragen und gute Antworten. Mit seinem Podcast „Interviewhelden“ zeigt er, wie Interviews gemeistert werden: www.tirok-training.de. Kurzbeitrag von Markus Tirok, Moderator, Interviewer und Gründer von Interviewhelden Was für ein doofes Gefühl. Die Fragen waren oberflächlich. Einige vollkommen überflüssig. Andere sogar falsch. Ein Wald-und-Wiesen-Interview, das mich als Gast sogar langweilte. Diese Unzufriedenheit spüren auch die Zuhörenden. Vom Hocker fallen nur die, die eingeschlafen sind. Die Fragen bestimmen die Qualität eines Interviews. Wie gelingt es mir also, dass mir im Interview die richtigen Fragen gestellt werden? Wie kann ich meine Expertise unter Beweis stellen? Wie findet sich mein Hosts in meinem Expertenthema zurecht? Habe ich als Gast die Möglichkeit, das Interview mitzubestimmen?
188 J. Talley Ja. Mehr als vielen bewusst ist. Es hat nur etwas mit Arbeit zu tun. Das ist gleichzeitig das Problem und die Lösung. Oberflächliche Fragen, keine Tiefe, falsche Themen sind häufig die Folge der Recherche. Der mangelhaften Recherche. Die Zeit hat nicht gereicht, Onlinesuchanfragen liefern zu viele oder zu wenige Ergebnisse, Recherchewege und -mittel sind nicht bekannt. Kein Wunder – welche Hosts beherrschen das journalistische Handwerk? Die wenigsten. Als Gäste können wir dieses inhaltliche Defizit bei unseren Gastgeberinnen und Gastgebern effektiv und einfach ausgleichen. Ich nehme meinem Gastgeber die Recherche ab. Ich trage alle relevanten Informationen zu meiner Expertise und zu mir zusammen. Ich fasse meine wichtigsten Arbeitsthesen zusammen. Ich biete Vorschläge für eine kurze Anmoderation. Ich entwerfe einen Fragenkatalog mit Beispielfragen. Ich stelle weiterführende Links zur Verfügung. All diese Recherchebausteine ergeben ein pdf-Dokument. Ansehnlich gestaltet – als One-Pager oder als buntes Magazin. Mein persönliches Infosheet. Werde ich als Gast in ein Interview geladen, versende ich als erstes dieses Infosheet. Mit erstaunlichen Folgen: Die Fragestellenden können sich an den Inhalten orientieren. Sie wissen, welche Themen relevant sind. Sie können sich sogar von den Fragen inspirieren lassen. Das Infosheet ist natürlich nur ein Angebot von mir. Ein Service. Das formuliere ich auch so. Ich erwarte nicht, dass es genutzt wird. Das ist wichtig für die journalistische Freiheit der Hosts. Es ist ein Geschenk für alle drei. Für die Gastgeberinnen und Gastgeber, die Zuhörenden und für mich als Gast. Vielen Dank, Markus Tirok, für diese hilfreichen Tipps!
8 Mentale Strategien
8.1 Aufregung und Lampenfieber Frau Meyer läuft nach einer längeren Besprechung über den Flur zurück in ihr Büro. „Nachbereiten und dann ist Feierabend“, denkt sie, während sie in ihren Bürostuhl sinkt. Beim Blick in den Computer sieht sie 18 neue Mails. Eine Nachricht springt ihr sofort ins Auge. Sie seufzt: „Liebe Frau Meyer, wir fragen einmal neugierig und hoffnungsvoll nach: Wie haben Sie sich entschieden? Wir würden uns sehr freuen, Sie für ein Gespräch in unserem Videocast zu gewinnen…“ Sie weiß, dass es eigentlich eine gute Möglichkeit wäre, das Unternehmen zu repräsentieren und um andere Zielgruppen zu erreichen – ohne großen Aufwand. Die Unternehmenskommunikation würde das befürworten. Außerdem machen das im Moment alle: im Podcast oder Videointerview auftreten. Das gehört als Geschäftsführung einfach dazu. Es passiert wie von selbst, ihre Hand bewegt sich unwillkürlich Richtung Bauch. Ihr Magen drückt, sie atmet einmal durch. „Woher kommt diese Anspannung?“, fragt sie sich – und erinnert sich, warum sie die Anfrage noch nicht bestätigt hatte. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4_8
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Aufregung und Lampenfieber führen ein kleines Eigenleben, sie kommen und gehen, und zwar von Person zu Person sehr unterschiedlich. Bei Frau Meyer in unserem Beispiel reicht der Gedanke an die Gesprächsanfrage, um es auszulösen. Bei anderen tritt Lampenfieber erst in der Aufnahmesituation selbst auf. Wieder andere können Tage und Wochen vor einem wichtigen Termin nicht schlafen, und performen dann im Scheinwerferlicht relativ entspannt. Auch die Symptome, die mit Aufregung und Lampenfieber einhergehen, können sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein und mehr oder weniger Facetten zeigen. Worin sich die meisten einig sind: Zu viel Lampenfieber und Aufregung stört! Umso wichtiger ist es, dass wir uns hier dem Thema widmen. Das Ziel ist, dass Sie Ihre Aufregung etwas besser verstehen und für sich hilfreiche Ansatzpunkte finden, um Ihr Lampenfieber reduzieren zu können. „Sprechangst oder Lampenfieber ist ein als unangenehm und störend empfundenes Phänomen, dass das Denken, Fühlen und Verhalten der betroffenen Person vor, während oder in Gedanken an eine für sie bedeutsame Redesituation beeinflusst. In Abgrenzung zur Sprechangst steht die Bühnenspannung, die als positive Aufregung und Kraftquelle wahrgenommen wird.“ (Talley, 2021). Die Unterscheidung zwischen positiver Bühnenspannung und Lampenfieber, die ist wichtig. Denn es macht einen Unterschied, ob ich mir zum Ziel setze, vollkommen entspannt in einen Auftritt zu starten, oder mit genau der Kraft und Energie, die mir erlaubt, richtig gut zu performen. Wenn ich für mich bejahe, dass ich eine gewisse Bühnenpräsenz am Mikrofon oder vor der Kamera brauche, dann kann ich besser mit den unterschiedlichen Spannungszuständen in mir umgehen. Vielleicht fragen Sie sich, was physiologisch dahinter steckt, wenn sich der körperliche Spannungszustand so blitzschnell ändert. Ohne dass man es bewusst steuern muss, regelt das vegetative Nervensystem lebenswichtige Funktionen im Körper, zum Beispiel den Herzschlag, die Atmung, den Muskeltonus und die Magen-Darm-Aktivität. Hier sind zwei Gegenspieler aktiv: • der Parasympathikus (Ausruhen und Verdauen) sorgt u. a. dafür, dass wir entspannt atmen, das Herz ruhig schlägt, wir gut verdauen, Details wahrnehmen und klar denken können.
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• der Sympathikus (Angriff oder Flucht) sorgt vor allem dafür, dass die Muskeln aktiviert werden, das Herz schneller pumpt, die Atemfrequenz steigt und die Verdauung gehemmt wird. Schwitzen und erröten können damit einhergehen. Aus evolutionärer Sicht ist der schnelle Wechsel zwischen diesen beiden Zuständen für den Menschen überlebenswichtig. Sobald psychisch oder physisch eine Bedrohung wahrgenommen wird, reagiert der Körper: Er schüttet blitzschnell Hormone aus und befähigt ihn so, aus einer kritischen Situation flüchten oder sich mit aller Kraft verteidigen zu können. Was hilft, wenn ein Wolf Interesse an einem zeigt, kann allerdings beim Sprechen am Mikrofon stören. Denn der Sympathikus kann sich negativ auf das Sprechen und Denken auswirken.
Verhaltenssymptome bei Lampenfieber nach Ulla Beushausen (2014, S. 25) • „Stimme: – Stimmlage: zu hoch – Lautstärke (Dynamik): zu leise – Sprechmelodie: monoton, ausdruckslos, nicht sinngemäß – Stimmklang: zitterig, gepresst • Flüssigkeit: – Wortfindung verzögert, – Sprechblockaden, – Sprechunflüssigkeiten (Versprecher, Stammeln, Stocken, Blackout) – Pause: unpassend – Sprechtempo: schnell • Atmung: – gesteigerte Atemfrequenz, – Luftschnappen, – bevorzugter Atemraum: Schulter- und oberer Brustbereich • Mund und Kehle: – häufiges Räuspern, – häufiges Schlucken
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• Gesichtsausdruck: – kein Blickkontakt, – Augenrollen, – gespannte Gesichtsmuskulatur, – Grimassieren, – Zuckungen, – starrer Gesichtsausdruck – stereotype Gesten (z. B. Händereiben) • Arme und Hände: – angespannt und rigide, – Zappeln, – bewegungslos, steif, – Zittern • Körperbewegung – Füße scharren, – Schwanken, – Zittern, – von einem Fuß auf den anderen treten, – stereotype Kopfbewegungen“
Diese Symptome müssen nicht allesamt bei jeder Person auftreten. Wer einige von ihnen erlebt, möchte sie vielleicht loswerden oder zumindest reduzieren. Zitternd zum Wasserglas greifen und angespannt am Mikrofon sprechen, ist nicht unbedingt die Traumvorstellung eines schönen Podcastauftritts. Und das muss auch nicht so bleiben, es gibt eine Reihe von Lösungsansätzen – das können praktische Übungen sein, oder mentale Strategien. Wer sofort die praktischen Ansätze erfahren will, kann den folgenden Teil überspringen. Denn ich möchte zunächst einen Blick auf verschiedene Erklärungsansätze für Lampenfieber bei öffentlichen Auftritten werfen. Zu verstehen, woher Ihr Lampenfieber möglicherweise kommt, ist oft hilfreich. Weiten wir einmal den Blick und schauen durch verschiedene Brillen auf das Thema Lampenfieber und seine Ursachen. Die evolutionäre Perspektive zeigt: Angst ist überlebensnotwendig. Sie beschert uns in Windeseile jede Menge Energie, wenn der Sympathikus
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aktiviert wird. Aber warum wird diese Reaktion ausgelöst, wenn wir vor anderen sprechen – auf der Bühne, am Mikrofon oder vor der Kamera? Die evolutionäre Perspektive sagt: Menschen sind Herdentiere. Sie fühlten sich im Schutz der Gruppe sicher und geborgen. Von der Gruppe separiert zu sein, bedeutete Gefahr, da man sich nun allein seinen Angreifern stellen musste. Die Hypothese lautet: In exponierten Sprechsituationen erleben sich Menschen als separiert von den anderen. Das führt nicht gleich zu Angst um das eigene Leben, aber kann Verunsicherung und Stress auslösen. Das wiederum aktiviert den Sympathikus. Eine Lösung kann die mentale Strategie sein, sich – ob auf der Bühne oder am Mikrofon – als Teil des Ganzen zu sehen. Sich also auf die Verbundenheit mit den anderen zu konzentrieren. Sie haben bereits im Abschn. 3.4 „Präsenz“ erfahren: Die eigene Präsenz zu steigern, bedeutet immer auch innerlich „ganz bei den anderen“ zu sein. Das wiederum kann Aufregung reduzieren. Positive selbstsuggestive Sätze könnten lauten: „Auch wenn ich mich separiert fühle: Ich bin sicher und geschützt.“ „Wir sind gemeinsam im Gespräch.“ „Ich kenne meine Zuhörenden (im positiven Sinne) und spüre die Verbundenheit.“ „Ich spreche jetzt in der Rolle des Fachmanns/der Fachfrau für diese Gruppe und diene damit der Gruppe.“ Die biologisch-psychologische Perspektive erklärt, wieso Menschen so unterschiedlich reagieren. Manche brauchen eindrückliche Reize von außen, um überhaupt Aufregung zu verspüren und anderen reicht allein der Gedanke an eine Sprechsituation. Der Hintergrund ist: Menschen werden vegetativ unterschiedlich schnell in Erregung gebracht. So erleben manche Menschen soziale Ängstlichkeit gegenüber Fremden, in großen Gruppen, insbesondere wenn man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, und gegenüber Autoritäten, deren Urteil für wichtig gehalten wird (Vgl. Asendorpf, 2015, S. 72). Das geht oft mit dem Persönlichkeitsmerkmal Introversion einher. Introvertierte Menschen gelten beispielsweise als eher „leise“. Sie haben eher das Bedürfnis, sich nach intensiven sozialen Situationen zur Erholung zurückzuziehen – im Gegensatz zu Extrovertierten, die daraus ihre Energie ziehen. „Introvertierte brauchen deshalb das Gefühl von Sicherheit und Stetigkeit.“
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sagt Sylvia Löhken (2014, S. 35) Das bedeutet jedoch nicht, dass introvertierte Menschen nicht für die Bühne geeignet sind, sondern sie profitieren davon, sich zu kennen und ihre vegetative Erregbarkeit positiv zu beeinflussen. Nicht jede introvertierte Person muss mit übermäßigem Lampenfieber oder gar Sprechangst zu tun haben. Wenn Sie sich hier wiederfinden, haben Sie vielleicht bereits eigene Wege, wie Meditation, Achtsamkeitsübungen oder progressive Muskelrelaxation, gefunden, die Ihnen helfen. Sie können diese Ansätze für aufregende Sprechsituationen aktivieren. Ich werde unten ein paar mentale Strategien und Körperübungen vorstellen, die ebenfalls wunderbar beruhigen können. Die behavioristische Perspektive: Angenommen, starke Aufregung vor einem Auftritt, ob im Podcast oder Video oder anderen beruflichen Bühnen, wäre ein Verhalten, das man positiv verlernen könnte, also sich ein anderes Verhalten antrainieren könnte, wie: Positiv gespannt zu sein vor einem Auftritt und sich diesen eher zuzutrauen. Damit dieses Umlernen gelingen kann, sind unterstützende Rahmenbedingung nötig. Hilfreich ist es beispielsweise, wenn man sich in kleinen Schritten an größere Auftritte herantasten kann, wenn man ermutigende Worte erfährt und die Vorgesetzten oder Teams gegebenenfalls praktische Unterstützung leisten. Manchmal sind es scheinbar kleine Dinge, die helfen können: • Den Auftritt einmal durchspielen. • Sich Zeit nehmen und erfahrenen Kolleginnen und Kollegen Fragen stellen. Es gibt aber auch Bedingungen, die Lampenfieber chronifizieren oder verstärken können. Am Beispiel: Ein extrovertierter Manager, schimpft: „Unsichere gehören nicht auf die Bühne!“ Was man als Ausrutscher abtun könnte, ist jedoch eine Haltung, die manche nicht nur ausstrahlen, sondern lauthals verkünden und damit Schaden anrichten können. Denn wer diese Botschaft abbekommt und immer wieder negative Reaktionen erfährt, lernt mit der Zeit: Die Bühne gehört den Lauten, den Sicheren und Forschen. Diese Person wird sich eher zurückziehen. Und das positive Lernen durch ein Sich-der-Situation-stellen,
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aus Fehlern und Pannen lernen, Hilfe bekommen, sich überwinden, es wieder zu tun – das findet nicht statt. Organisationen verlieren unter Umständen wichtige Stimmen, wenn stille Expertinnen und Experten gelernt haben, die Bühnen der Firma nicht mehr zu betreten. Mein Rat an Führungskräfte und Teams ist: Achten Sie darauf, dass Sie nicht (versehentlich) Menschen, die es Überwindung kostet, exponiert zu sprechen, „bestrafen“, oder (versehentlich) „belohnen“, wenn diese Menschen das Feld lieber anderen überlassen. Sondern schauen Sie genau hin: Wie können Sie Betroffene ermuntern und unterstützen, damit sie über sich hinauswachsen können? In meinen Stimm- und Sprechtrainings durfte ich schon viele Menschen begleiten, die unter Lampenfieber leiden. Alle hatten etwas zu sagen, sind fundierte Fachleute und konnten sich weiterentwickeln. Deshalb möchte ich dazu ermuntern, das Thema anzugehen. Nicht immer ist ein Coach nötig: Literatur kann helfen, oder auch geschulte firmeninterne Mentorinnen oder Mentoren können unterstützen, denn Menschen lernen auch am Modell. Die humanistische Perspektive: Im Laufe des Lebens erleben wir unterschiedliche Vorbilder – ob beruflich oder privat. Je nachdem, wie diese mit exponierten Redesituationen umgegangen sind – eher ängstlich oder gelassen, hatte man mehr oder weniger gute Modelle, anhand derer man einen Umgang mit aufregenden Situationen entwickeln konnte. Überlegen Sie einmal: • Wie sind Ihre Vorbilder mit aufregenden Auftritten umgegangen? • Haben sie Zuversicht vermittelt oder stark verunsichert reagiert? Haben Sie bereits positive Rollenmodelle? Dann können Sie diese bewusster als persönliche Ressource verstehen. Wer noch keine hat, kann welche finden. Manchmal ist es vielleicht jemand aus dem Team, oder eine Führungskraft, oder es ist jemand aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis. Man kann das Gespräch mit ihnen suchen, sie interviewen. Oder wenn dies nicht möglich ist, weil es Urahnen sind oder Vorbilder, zu denen persönlich kein Kontakt besteht, wie berühmte Persönlichkeiten, dann kann man ein Gespräch mit ihnen imaginieren.
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Für mich persönlich ist eins meiner Vorbilder mein Großvater mütterlicherseits. Er kam mit jedem Menschen in Kontakt und konnte immer eine passende Geschichte erzählen. Er hat viel gelacht, auch wenn sein Leben nicht immer leicht war. An ihn und seine positive innere Haltung erinnere ich mich gern, wenn ich mich einmal in einer Situation unsicher fühle und mir mehr Leichtigkeit wünsche. Die sozial-kognitive Perspektive: Viele Menschen neigen dazu, Ihr Lampenfieber stark auf sich, auf Ihre Persönlichkeit oder Ihre Fähigkeiten zu beziehen, die Wirkung der Situation lassen sie manchmal zu sehr außer Acht. Es ist sinnvoll, für sich selbst einmal zu überprüfen: Was nehme ich da wahr? Ist es wirklich Lampenfieber? Oder ist es eine positive, erhöhte Aufmerksamkeit, die situationsangemessen ist und die ich vielleicht brauche, um gut performen zu können? Schauen wir uns drei Formern erhöhter Aufmerksamkeit näher an (vgl. Aronson et al., 2014, S. 319ff.). 1. Die Bewertungsangst: Einen eigenen Podcast oder Videocast erstellen, erhöht die Sichtbarkeit. Viele Menschen machen sich darüber Sorgen, wie andere sie einschätzen und bewerten. Es ist ihnen unangenehm und peinlich, wenn der Auftritt nicht ganz rund läuft. Und das ist auch nachvollziehbar, denn es steht einiges auf dem Spiel: Die Fachexpertise kann bewertet werden, der persönliche Auftritt, die Fähigkeit, das Unternehmen zu repräsentieren usw. Diese Sorge vor der Bewertung anderer kann eine Erregung zur Folge haben, also Lampenfieber auslösen. Besonders schlimm finden es viele Betroffene, vor einem Fachkollegium zu sprechen, schlimmer als vor Laien, die ihre Aussagen nicht beurteilen können. Letztlich bedeutet das: Wenn Sie Bewertungsangst spüren, ist (Ihnen) die Situation besonders wichtig. 2. Geteilte Aufmerksamkeit ist anstrengend: Wer zugleich auf sich, die anderen und die Inhalte achtet, muss sich stark konzentrieren, um nicht abgelenkt zu werden. Wer kleine Kinder betreut und gleichzeitig im Homeoffice versucht zu arbeiten, weiß, wie schwer das ist. Die Ablenkung (je nachdem – Arbeit oder Kinder) kann zu einer erhöhten Erregung führen. Auch in einer exponierten Redesituation muss auf vieles gleichzeitig geachtet werden. Es tritt Erregung durch geteilte Aufmerksamkeit auf und diese kann leicht mit Lampenfieber verwechselt werden.
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3. Die Anwesenheit anderer macht uns aufmerksamer: Warum können wir entspannt über ein fachliches Thema ein Selbstgespräch führen, während die Anspannung steigt, wenn ein Mikrofon an der Kleidung klemmt, man zum selben Thema von jemandem interviewt wird und dabei zwei Kameras auf einen gerichtet sind? Befinden wir uns in einer bekannten, sicheren Situation, dann wissen wir innerlich, was auf uns zukommt. In Situationen, in denen andere Personen anwesend sind, deren Verhalten wir nicht voraussagen können, brauchen wir erhöhte Aufmerksamkeit, denn es könnte etwas Unerwartetes passieren, auf das wir reagieren müssen. Situationen wirken sich stärker auf den Menschen aus, als uns häufig bewusst ist. Die systemische Perspektive: „Häufig liegen die Gründe für unser Lampenfieber und unsere Auftrittsängste nicht so sehr in uns selbst als vielmehr in dem System, in dem wir auftreten. Wenn in einem System, sei es nun eine Firma, ein Orchester oder eine professionelle Fußballmannschaft, eine enorme Erwartungshaltung vorhanden ist bzw. primär strafend mit Fehlern umgegangen wird, dann liegen die Gründe für den erhöhten Auftrittsstress eben vor allem in genau diesem System. Hierbei ist es sinnvoll und hilfreich, sein eigenes emotionales Immunsystem gegen diesen systemischen „Angriff“ abzuschirmen, also sein Selbstwertgefühl zu stärken.“ (Dr. Michael Bohne, 2013, S. 35). Wenn wir über die Sprecherin oder den Sprecher hinaus den Kontext betrachten, dann kann man oft Auslöser für Lampenfieber finden, die man ggf. verändern kann. Allein oder gemeinsam mit anderen. Es müssen auch gar nicht immer die überhöhten Erwartungen sein, oder große und kleine Gemeinheiten, sondern es können unglückliche Muster im System auftreten. Muster, die keiner beabsichtigt, und die dennoch Aufregung und Lampenfieber begünstigen. Ein Muster ist wie eine unausgesprochene Regel, nach der ein Mensch oder mehre Menschen denken und handeln. Zum Handeln gehört übrigens auch das Unterlassen einer Handlung. Am Beispiel: Im Hauptgebäude der Bank sind zwei Finanzfachleute im zweiten Stock gerade dabei, eine Podcastfolge aufzunehmen. Sie sitzen im lichtdurchfluteten Besprechungsraum, der eine gute Akustik hat. Vor jeder
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Person steht ein Mikro. Ein großer Timer zeigt die verbleibende Zeit an: 56 min. Dann ist der Besprechungsraum von anderen gebucht. Alles ist vorbereitet, sie starten die Aufnahme und nach 3 Minuten geht unten am Fenster der Laubbläser an. Die beiden reden weiter, sie sprechen etwas lauter und sind nicht ganz bei der Sache – zwischendrin werfen sie sich fragende Blicke zu. Sie lösen das Problem, in dem Sie im Podcast erklären, um was für ein Geräusch es sich dort handelt. Etwas unglücklich ist die Situation, denken sie beide. Vermutlich steckt ein Glaubenssatz – eine Regel – dahinter: „Es muss gehen.“ Aus diesem „Wir-kämpfen-gegen-den-Laubbläser-an“ folgt eine Kraftanstrengung, die ehrenwert ist, aber leider zu einer schlechten Aufnahme führt. Die Möglichkeiten des Individuums in der Situation sind begrenzt, die gewählte Strategie – weitermachen wie bisher – hilft nicht. Die systemische Perspektive erlaubt es, den Blick zu weiten: Hätten die beiden pausieren und warten können, bis der Hausmeister mit seiner Arbeit fertig wäre, um dann die Aufnahme fortzusetzen? Die beiden haben sich gegebenenfalls unter Druck gefühlt, weil sie den Konferenzraum freigeben müssen. Hätten Sie prüfen können, ob der Raum später noch einmal zu buchen wäre und die Aufnahme verschieben können? Hätte eine Person nicht die Treppen nehmen und mit dem Hausmeister verhandeln können, ob er den Laubbläser ruhen lassen kann – für die Aufnahmezeit? Sie kennen den Kalenderspruch: Verändern Sie, was Sie verändern können und akzeptieren Sie, was sie nicht verändern können. Meine Ergänzung: Kämpfen Sie nicht gegen einen Laubbläser an! In meinen Seminaren und Coachings begegnet mir regelmäßig ein weiteres Muster bei Lampenfieber. Ein Glaubenssatz, der das Unterlassen einer Veränderung begründet: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Manche Leserin und mancher Leser glauben sicher, das beträfe sie nicht. Ich erlebe es erstaunlich oft und deshalb erzähle ich hier von einem Fall. Am Beispiel: Eine Fachfrau stellt sich wegen starkem Lampenfieber bei mir vor. Sie erzählt, es gehe um eine anstehende Online-Präsentation, die aufgezeichnet würde. Am meisten würde sie beunruhigen, dass sie alles in einem Rutsch sprechen müsse. Auf den Vorschlag, didaktisch anders vorzugehen und früh eine Interaktion mit den Live-Teilnehmenden einzuplanen, sagte sie, das sei nicht möglich. Denn das
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Konzept sehe vor, dass Sie 60 Minuten vortrage und erst zum Schluss Fragen gestellt würden. Dieses Unterstellen der Unveränderbarkeit ist bezogen auf Lamp enfieber wichtig, denn dahinter steckt die Annahme, die Rahmenbedingungen seien fix und man selbst müsse damit eben zurechtkommen. Die unbewusste Regel „Es muss gehen.“ Wenn ich mich nur genug anstrenge, funktioniert es. Wer hier Handlungsmöglichkeiten übersieht oder ignoriert, setzt sich möglicherweise unerreichbare Ziele. Die Folge kann sein, dass man sich das Hirn darüber zermartert, warum es nicht besser wird. Man bucht Coachings, trainiert sich, erschöpft sich gar. Wenn Coaches wirklich helfen, dann unterstützen sie ihre Klienten auch dabei, Systemkompetenz zu entwickeln und hinderliche Muster zu verändern. Menschen sind unterschiedlich. Nicht jede und jeder kann unter denselben Bedingung gleich gut performen, sondern braucht passenden Rahmenbedingungen. Und die gute Nachricht ist: Die lassen sich oftmals gestalten. Das bedeutet manchmal, sich Gedanken machen, das Gespräch suchen und ggf. ein Konzept verändern. Es kann nötig werden, unbequem zu sein und für die eigenen Bedürfnisse konstruktiv einzustehen. Erinnern wir uns an das Beispiel mit unserer Fachfrau und ihrer 60minütigen Präsentation. Sie hatte sich dafür entschieden, mit Ihrem Team zu sprechen und gemeinsam das Konzept anzupassen. Eine kurze Gruppeninteraktion gleich zu Beginn half ihr, ein Gefühl für die anderen zu bekommen. Zu wissen, dass Sie die Gelegenheit haben wird, kurz durchzuatmen und den anderen zuzuhören, bevor sie weiter referiert: Das hat ihr Sicherheit gegeben. In diesen verschiedenen Perspektiven liegen schon viele Ansatzpunkte, um mit Lampenfieber umzugehen. Lampenfieber verstehen und beeinflussen • Sehen Sie Lampenfieber: – als Verbeugung vor Ihren Zuhörenden, – als Eingeständnis, wie wichtig Ihnen die Sache ist, – als Energiequelle, die Sie nutzen können. • Sie wollen es besonders gut machen? Sie bangen um die Bewertung anderer? Ihre Bewertungsangst zeigt Ihnen, wie wichtig Ihnen die Situation ist.
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• „So haben wir das schon immer gemacht“ ist kein Argument dafür, Rahmenbedingungen nicht zu verändern. Sie können diese überprüfen und ggf. anpassen: Unter welchen Bedingungen, mit welcher didaktischen Gestaltung, mit welchen Personen könnte der Auftritt gut gemeistert werden? • Sie können sich Rollenvorbilder suchen und sich mit Menschen austauschen, die gut mit exponierten Redesituationen zurechtkommen.
Bevor wir zum praktischen Teil kommen, noch ein Hinweis: Bei Lampenfieber werden Stresshormone ausgeschüttet, die den Körper aktivieren. Das vegetative Nervensystem ist dafür zuständig, wie ich oben beschrieben habe. Gleichzeitig braucht man für einen guten Auftritt ein Mehr an Energie, eine gute Bühnenspannung. Es geht also darum, mit Körperübungen und mentalen Strategien das Energielevel auf ein gutes, gesundes Maß zu bringen. Komplett zu entspannen, gar zu „unterspannen“, das ist ein Alptraum für jede Künstlerin und jeden Künstler, jede Schauspielerin und jeden Schauspieler. Sie wenden in einem solchen Fall, bevor sie die Bühne betreten, Techniken an, die sie wieder in Fahrt bringen. Deshalb ist das mein sehr ernst gemeinter Rat an Sie: Ob im Podcast oder im Videoauftritt – achten Sie immer auf eine gute Bühnenspannung! Wenden Sie die folgenden Strategien und Übungen nur an, um ein Zuviel an Anspannung loszuwerden. Ich möchte Ihnen nun einige mentale Strategien und praktische Körperübungen an die Hand geben. Legen wir los. Eine innere Haltung einnehmen und nach außen zeigen Entscheiden Sie sich vor einer Aufnahmesituation für eine innere Haltung, die Sie nach außen durch Gestik und Mimik sichtbar machen, z. B. zuversichtlich mit Lust darauf, den Auftritt zu meistern. Denken Sie innerlich „Au ja!“, statt „Au nein!“ Verbindung zum Publikum schaffen Versuchen Sie beim Sprechen, jede einzelne zuhörende oder zuschauende Person zu erreichen. Stellen Sie sich eine Person vor, wenn kein Publikum
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anwesend ist. Stellen Sie sich vor, mit dieser imaginären Zuhörerin oder dem Zuhörer zu sprechen. Innere Ressourcen nutzen Erinnern Sie sich an eine Person, die Ihnen wohlgesonnen ist. Stellen Sie sich vor, sie stünde Ihnen stärkend zur Seite. Äußere Ressourcen nutzen Überlegen Sie einmal, wie die Sprechsituation gestaltet ist. Gibt es etwas, was Ihnen gut tun würde? Zum Beispiel: ein leckeres Getränk, ein tolles Kleidungsstück? Denken Sie auch daran, was Sie nach der Aufnahme oder dem Auftritt vorhaben. Ist etwas Schönes dabei? Falls nicht, können Sie sich noch etwas vornehmen? Zum Beispiel: eine Pause an einem schönen Ort mit einem lieben Menschen? Übung zum Selbstcoaching bei Lampenfieber 1. Lassen Sie Ihre Gefühle zu. 2. Reflektieren Sie, welches Gefühl dominiert. Leitende Frage: Was wäre das Schlimmste, was passieren könnte? 3. Realitätscheck: Was wäre die Folge? Wie würde es weiter gehen? Was machen Sie als nächstes? 4. Formulieren Sie eine Antwort. Am Beispiel: „Ich schaue in mein Skript.“ „Ich wiederhole nach dem Versprecher den letzten Gedanken und mache dann weiter.“ „Ich bereite mich gut vor und kläre die Fragen, die mich gerade umtreiben.“
Selbstberuhigung durch Bodenkontakt und Atmung • Erinnern Sie sich vor der Aufnahme an einen guten Bodenkontakt – im Stehen wie im Sitzen. • Beruhigen Sie Ihre Atmung durch eine geführte Ausatmung, die Einatmung können Sie von ganz allein einfallen lassen. Bei Aufregung atmen wir meist oberflächlich, meist eher im Schulter-BrustkorbBereich. Das Ausatmen hilft, gestaute Luft loszuwerden. • Machen sie Atempausen beim Sprechen. Wenn man aufgeregt ist, ist das Zeitempfinden verändert. Die Atempausen können einem ewig
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lang vorkommen. Vertrauen Sie darauf, dass andere Ihre Pausen ganz anders wahrnehmen, meist positiv. • Etwas in der Hand zu halten, kann beruhigen. Achten Sie aber darauf, sich nicht festzukrallen, bis die Knöchel weiß sind, sondern bleiben Sie beweglich. Atemübung bei Lampenfieber • Falls Sie vor einer Aufnahme sehr angespannt sind, eignet sich diese Übung auch für kurz davor: Richten Sie sich auf. Seufzen Sie positiv und deutlich hörbar: „Puh“, „Wow“, „Oh ja“. Lassen Sie zu viel Spannung los. Lassen Sie den Bauch locker und bleiben Sie dabei aufrecht und beweglich. Ich empfehle dazu zu gestikulieren. Ich bin mir bewusst darüber, dass diese Übung im geteilten Büro für Belustigung anderer sorgen kann. Schieben Sie die Schuld gern auf die Autorin! • Die folgende Übung ist sehr wirksam. Sie wird mehrfach wiederholt, bis man eine deutliche Beruhigung merkt. Bitte achten Sie darauf, die Übung sofort zu beenden, wenn Sie eine gute Bühnenspannung erreicht haben, damit Sie diese nicht versehentlich wegatmen: – Atmen Sie hörbar auf „fff“ aus, – halten Sie die Atmung an, – atmen Sie weiter auf „fff“ aus, ohne vorher nachzuatmen. – Entspannen Sie nun die Bauchmuskulatur und den Kiefer: die Einatmung soll von allein durch den geöffneten Mund einfallen. – Lassen Sie einen Atemzug durchgehen – also ohne ihn zu beeinflussen. Genießen Sie die tiefe Atmung, die sich meist sehr bald von selbst einstellt. Wiederholen Sie dann den Ablauf. Diese Übung ist auch heimlich anwendbar, wenn Sie schon im Rampenlicht stehen, aber noch nicht sprechen. Dafür können Sie mit freundlichem Gesicht still und geführt nach dem Schema atmen. Der Ernstfall ist keine Übung In der Aufnahmesituation verlassen Sie sich ganz auf Ihre Vorbereitungen. Jetzt müssen Sie sich nicht mehr auf Stimmtechniken
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oder mentale Strategien konzentrieren, sondern seien Sie präsent im Moment: ganz bei sich, den anderen und dem Thema. Wenn jetzt unwichtige Fehler passieren, dann können Sie diese ignorieren. Wenn Störungen auftauchen, haben diese Vorrang. Vielleicht erinnern Sie sich an Frau Meyer vom Anfang, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie die Einladung in das Video-Interview annimmt. Allen, denen es so geht wie ihr, wünsche ich, dass sie mit mehr Wissen über Lampenfieber ihre eigenen Gefühle und Gedanken besser verstehen, annehmen und gegebenenfalls verändern können und das damit etwas mehr Leichtigkeit spürbar ist.
8.2 Identität: Warum ich? Vielleicht fragen Sie sich, ob es auch mentale Strategien für Leute gibt, die nicht unter Lampenfieber leiden? Die folgenden Seiten sind für alle bestimmt, mit und ohne Lampenfieber. Sie sollen Ihnen Strategien vermitteln, wie Sie sich positiv selbst führen können – in der Vorbereitung auf Auftritte und während der Durchführung. Das Ziel ist, das Sie (selbst-)bewusster auftreten und sich Ihr Wohlbefinden steigert. Dazu gehört manchmal, eigene Grenzen zu erkennen, zu erweitern oder zu akzeptieren. Als erstes möchte ich mit Ihnen erkunden, warum Sie eigentlich auf der Bühne, im Podcast oder Video sprechen. Und auch wenn die Frage nach dem Warum zunächst rückwärtsgewandt ist: Sie kann uns nach vorne bringen. Am Beispiel: Eine Fachexpertin einer Beratungsstelle erzählte mir im Workshop, dass sie einen wichtigen Kurzvortrag halten würde. Es ging um ein Online-Event, in dem sie vor Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und Pädagogik das Projekt vorstellen sollte. Das Ganze würde per Video aufgezeichnet. Ich fragte sie: „Warum sprichst du eigentlich in diesem Rahmen über euer Projekt?“ Sie zuckte mit den Schultern: „Es ist Teil meines Jobs. Ich selbst stelle unsere Arbeit ja nur vor.“ Ich fragte weiter: „Ok, und warum redest du noch?“ „Weil die anderen keine Zeit haben und ich Erfahrung mit diesen Events habe“, entgegnete sie prompt. Ich wollte es noch besser verstehen und
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fragte: „Welchen weiteren Grund gibt es, warum du dort sprichst?“ Nach einem Moment des Nachdenkens erzählt sie: „Es ist wichtig, dass das Projekt sichtbar gemacht wird. Das Thema ist wichtig, ist mir wichtig und ich kann und will dazu etwas sagen.“ Als ich nach dem tieferliegenden Grund dafür frage, schildert die Teilnehmerin: „Je mehr Menschen für das Thema sensibilisiert werden, desto eher kann man Betroffenen helfen und präventiv ansetzen. Mir ist es wichtig, dass Schlüsselspieler – also Leute aus Politik und Pädagogik – unsere Arbeit kennen.“ Es macht einen Unterschied, ob man aus der Haltung „Es ist mein Job“ eine Bühne bespielt oder für den eigenen tieferliegenden Grund. In unserem Beispiel bedeutete es, dass die Fachfrau für Ihren tieferliegenden Grund bereit war, ihren Beitrag optimal vorzubereiten. Sie möchte ihre Zuhörenden wirklich erreichen und dafür setzte sie sich das Ziel, präsent aufzutreten und aufmerksam zu sein. Wir sind also über die Fragen nach dem Warum zum nach vorne gerichteten „Wozu?“ gekommen: zu den tieferliegenden Gründen. Diese spiegeln die innere Haltung wieder, aus der heraus wir Kommunikationssituationen gestalten. Es ist diese Absicht hinter dem, was wir tun, in der Kraft steckt. Die innere Haltung ist oft spürbar für andere, denn sie spiegelt sich im paraverbalen Ausdruck – also im Wie des Sprechens und in der Körpersprache, beispielsweise der Muskelspannung und dem Gesichtsausdruck. Darauf bin ich in Abschn. 2.2 „Sprecheinstellung“ und in Abschn. 2.3 „Subtext“ näher eingegangen. Merksatz: Für die eigene Ausdruckskraft und innere Motivation ist es nützlich, die eigenen tieferliegenden Gründe zu kennen. Also den Sinn, der dem eigenen Sprechen zugrunde liegt.
Wenn eine Aufgabe als sinnstiftend erlebt wird, hat das positive Auswirkungen: Energie und Lust kommen auf und oft steigt die Leistungsbereitschaft. Dahinter steckt intrinsische Motivation. Also Motivation, die aus einem selbst kommt, und nicht von außen auferlegt wird. Das hat für das Sprechen in exponierten Redesituationen mehrere positive Nebenwirkungen: Sprecherinnen und Sprecher bringen die passende
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Energie auf, sie sprechen sprechdenkend und treffen meist intuitiv den richtigen Ton. Für bestimmte Redesituationen kann das besonders hilfreich sein. Denn hier ist eine positive Sprechhaltung wichtig - und herausfordernd zugleich: • für neue oder aufregende Aufgaben und • für Sprechsituationen mit viel Routine, die zum „Runtersprechen“, zum Abarbeiten-und-nebenbei-etwas-anderes-Denken einladen. Ich empfehle Ihnen folgende vier Fragen. Übung: Mit vier Fragen zum Sinn Überlegen Sie sich für die Übung eine konkrete Situation, beispielsweise den anstehenden Gastauftritt im Podcast. (Die Übung kann auch gemeinsam im Team durchgeführt und reflektiert werden.) Konkrete Situation: ______________________________. 1. 2. 3. 4.
Warum spreche ich? Was ist der Hintergrund? Warum rede ich außerdem? Welchen weiteren Grund gibt es, warum ich spreche? Was ist der tieferliegende Grund?
8.3 Rollenwelten Wir haben eben darauf geschaut, warum wir sprechen. Jetzt frage ich, wer spricht? Beziehungsweise, aus welcher Rolle heraus spricht jemand? Manche behaupten jetzt, sie seien immer der oder die Gleiche und fragen sich, was die Frage soll. Andere erleben jeden Tag persönliche Rollenvielfalt. Am Beispiel: Karl ist im Job Fach- und Führungskraft im Unternehmen, im Ehrenamt unterstützt er als Mentor einen jungen Geflüchteten und in der Familie wird er als Papa von seinen Kindern am Wochenende zum Toben herausgefordert und verbringt mit ihnen Zeit auf dem Fußballplatz. Sein neues Projekt im Unternehmen: Erklärvideos für die sozialen Netzwerke erstellen.
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Abb. 8.1 Rollenbereich der Persönlichkeit. (Bild: cc-by-Lizenz, Autor: Bernd Schmid für isb GmbH (www.isb-w.eu))
Karl tritt in unterschiedlichen Rollen auf: Fachkraft, Führungskraft, ehrenamtlicher Mentor, Papa. Jede dieser Rollen schenkt ihm etwas – und verlangt ihm etwas ab. Warum das alles für das Sprechen im Video wichtig sein kann, darauf schauen wir jetzt: auf die verschiedenen Rollenwelten eines Menschen. Und was das für Karl bedeutet, das erzähle ich danach. Die Abb. 8.1 zeigt die „Persönlichkeit als Portfolio von Rollen in diesen drei Welten und unterscheidet das Rollenrepertoire in Organisationsrollen, Professionsrollen und Privatrollen. Das daraus abgeleitete Leiter-Modell eignet sich (…) für die Analyse von RollenBeziehungen.“ Bernd Schmid (2019, S. 3). Wenn Sie in Podcasts und Videos (oder auf anderen beruflichen oder privaten Bühnen) auftreten, sprechen Sie rollenintuitiv. Und meist gelingen die Auftritte und Kommunikationssituationen. Sind Kommunikationssituationen jedoch komplex, unüberschaubar, widersprüchlich, emotional aufgeladen oder gibt es persönliche Schwierigkeiten (wie fehlende Motivation, innerer Druck, Anspannung, negative Gefühle wie Angst und Sorge), dann hilft es, sich die eigenen Rollenbereiche bewusst zu machen. Und das ist anfangs manchmal ungewohnt. Manche Leserinnen und Leser haben Rollenarbeit möglicherweise schon positiv kennengelernt, andere sind, so hoffe ich, neugierig darauf.
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Ich möchte anhand unseres Beispiels von oben verdeutlichen, was mit den Rollenbereichen gemeint ist. Es ging da um die Fachexpertin aus der Beratungsstelle, die einen Vortrag halten soll und die zunächst die Haltung hatte: Ich mache einfach den Job. Wir können alle drei Rollenbereiche in diesem Beispiel finden. Wenn man sich die einzelnen Bereiche genau ansieht, können Arbeitshypothesen abgeleitet werden. Vermutungen und Ideen also, die unserer Fachexpertin helfen könnten. Steigen wir ein. Die Organisationsrollen: Unsere Fachexpertin hat die Aufgabe, das Projekt in der Öffentlichkeit darzustellen und die Organisation zu repräsentieren: Sie ist Fachexpertin und Repräsentantin. Sie hat außerdem die Rolle der erfahrenen Frontfrau, denn innerhalb der Organisation hat sie schon häufiger solche Aufgaben übernommen. Als Kollegin und Teammitglied ist sie anderen Teammitgliedern gegenüber loyal: Sie übernimmt die Aufgabe, weil die anderen entweder keine Zeit oder nicht die nötige Erfahrung haben. (Oder, weil sie nicht wollen. Oder, weil sie anderen lieber den Vortritt lassen.) Wenn ein Team auf Augenhöhe arbeitet, gehört dazu, nach innen eine angemessene Teamplayer-Haltung auszudrücken. So können die Beziehungen untereinander positiv gestaltet werden. Möglicherweise hat unsere Fachexpertin – gerade als „Frontfrau“ – daher die Bedeutung des Vortrags geringer dargestellt, als sie ist. Für die Performance der Repräsentantin ist eine Differenzierung der verschiedenen Organisationsrollen hilfreich: Nach innen das loyale Teammitglied, das auf Augenhöhe kommuniziert und sich, je nachdem, angemessen einbringt oder zurücknimmt. Nach außen die vom Projekt überzeugte Fachexpertin, die mit passender Energie und Leidenschaft davon erzählt. Ohne angezogene Handbremse. Falls ein Team es nicht aushält, dass ein Mitglied so heraussticht (weil es möglicherweise Werte bedroht sieht), kann das zu einem Loyalitätskonflikt auf der Rollenebene der Fachfrau führen. Wie wird sie ihn lösen? Sie wird entweder das Team enttäuschen oder zugunsten des Teams unter ihren Möglichkeiten bleiben, wenn sie das Projekt repräsentiert. Ist das Team in der Lage, Unterschiede auszuhalten und gar zu feiern, dann hat sie Rückenwind für gute Auftritte und persönliche Weiterentwicklung!
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Die Professionsrollen: Als Sozialwissenschaftlerin hat unsere Fachexpertin schon für mehrere Organisationen gearbeitet. Auf ihrer letzten Stelle war sie auch Teamleitung und hat so mehrere Jahre Erfahrung als Führungskraft gesammelt. Im neuen Job, den Sie seit einem Dreivierteljahr hat, hat sie keine Führungsrolle. Diese Entscheidung hat sie bewusst getroffen, denn sie will ihre Fachexpertise vertiefen. Für die eigene Professionalität ist die neue Tätigkeit mit öffentlichen Auftritten eine interessante Chance: Sie kann hier Kompetenzen entwickeln, die gefragt sind – privat wie beruflich – auch bei anderen Arbeitgebern, in anderen Organisationen und branchenübergreifend. Das stärkt die berufliche Identität: Fachfrau mit Kompetenz im öffentlichen Auftreten und Repräsentieren. Die Privatrollen: Auf der privaten Ebene ist unsere Fachfrau Tochter, Schwester (sie hat zwei Brüder), Ehefrau und Abenteurerin. Von allen Geschwistern ist sie das umtriebigste, sie probiert Neues und liebt den Nervenkitzel. Sie ist Ehefrau eines Wissenschaftlers, der seine eigenen Vorträge gut meistert. Als Eheleute sind sie beide voll berufstätig – und auf Augenhöhe: Sie teilen sich die Hausarbeit und andere Aufgaben. Als Berufstätige investiert sie Kraft und Zeit in ihre Arbeit, aber auch in die Freizeit mit Freunden. Arbeiten mit Rollenwelten An diesem Beispiel kann man sehen: • Es gibt verschiedene Rollenwelten, die nebeneinander stehen. • Es kann zu Rollenkonflikten kommen. • Rollenwelten können sich ergänzen und (positiv) aufeinander auswirken.
Wenn Sie Ihre verbalen Auftritte weiterentwickeln wollen, lohnt sich der Blick auf die Rollenbereiche. Vielleicht finden Sie Inspirationen und Kraftquellen. Und vielleicht haben Sie Erfahrungswissen im Repertoire, das auch in einer Ihrer anderen Rollenwelten eingesetzt werden kann. Möglicherweise finden sich hier Konflikte oder Widersprüchlichkeiten, die Sie – allein oder mit anderen – lösen oder verändern können; oder welche, die Sie aushalten müssen.
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Oft ist es für die Vorbereitung einer konkreten Redesituation nützlich, über die eine – scheinbar dominierende Rollenwelt hinauszuschauen und die anderen Rollen in den Blick zu nehmen. Und damit kommen wir zurück zu Karl, dem Familienvater von vorhin. Er gestaltet ein Erklärvideo der Firma. Für die Situierung (also den Aufhänger für das Video mit der Anbindung an die Zuhörenden) greift er ein Zuspiel auf dem Fußballplatz auf – aus seiner Privatrolle. Das ist eine Situation, die er tatsächlich erlebt hat. Er spürt die Lebendigkeit und Freude, wenn er an den Moment denkt, und das spiegelt sich in seinem Ausdruck. Gleichzeitig können viele aus der Zielgruppe damit etwas anfangen. Er lässt sich aber nicht dazu verleiten in einen privaten Plauderton zu rutschen, sondern wechselt fließend in seine professionelle Rolle im Video. Sein Ziel ist es, bestimmte Inhalte zu erklären, hier spricht er als Fachmann. Ganz zum Schluss erzählt er klar aus der Organisationsrolle, was das Unternehmen ausmacht und was der Mehrwert ist, hier zu arbeiten. Er repräsentiert in diesem Moment die Firma. In diesem Beispiel können sich die verschieden Rollenwelten wunderbar ergänzen und bereichern. Wir haben oben gesehen, dass eine Rolle der anderen auch in die Quere kommen kann, dann kann daraus ein innerer oder äußerer Konflikt entstehen. Das kann unangenehm sein und belasten. Deshalb geht es als nächstes darum, Ideen zu bekommen, wie man innere Konflikte lösen kann.
8.4 Ambivalenzen Ambivalenz ist zunächst ein Zeichen von Lebendigkeit. Eine Ambivalenz ist nichts anderes als gleichzeitig vorhandene, gegensätzliche Pole (wie Gefühle, Handlungsmöglichkeiten), die scheinbar im Widerspruch zueinander stehen und doch ohneeinander nicht auskommen. Menschen haben beispielsweise einerseits den Wunsch nach Zugehörigkeit, also dem Anschluss an eine Gemeinschaft (das können die Familie, die Partnerschaft, die Freunde, das Team etc. sein), und sie
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haben gleichzeitig den Wunsch nach Autonomie, also Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit. Beide stehen scheinbar im Widerspruch zueinander. So sind für die Zugehörigkeit Kompromisse nötig. Ja, manchmal wird die eigene Autonomie sogar vorübergehend aufgegeben, um Zugehörigkeit zu ermöglichen. Beispielsweise wird beim Einhalten sozialer Regeln die Zugehörigkeit gepflegt und gleichzeitig die Autonomie eingeschränkt. Gegensätzliche Pole sind also etwas ganz Normales, etwas, was überall zu beobachten ist. Werden widersprüchliche Gefühle als stressig oder belastend erlebt, weil sie schwer auszuhalten oder nicht auflösbar sind, wird die Ambivalenz negativ erlebt. Am Beispiel aus dem Straßenverkehr: Obwohl man es eilig hat und schnell mit dem Auto von A nach B will (Autonomie), hält man und lässt eine betagte Person über die Straße (Zugehörigkeit zu Gesellschaft und ihren Werten). Gleichzeitig spürt man eine Ungeduld gegenüber der Person, die sehr langsam die Straße überquert und die man doch aus eigenem Antrieb über die Straße gelassen hat. Beides ist zugleich da, der Wunsch danach, zur Gemeinschaft der Höflichen und Zuvorkommenden zu gehören, und das Bestreben, schnell mit dem Auto ans Ziel zu kommen. Wenn Ambivalenz ein Zeichen von Lebendigkeit ist, dann möchte man sich manchmal lieber weniger lebendig fühlen, weniger hin- und hergerissen zwischen zwei gegensätzlichen Polen, die scheinbar beide ihre Berechtigung haben. Auf Sprechsituationen im Video und Audio bezogen können Ambivalenzen nicht nur anstrengen, sondern auch kleine Saboteure sein. Und zwar dann, wenn sie unreflektiert bleiben, wie im folgenden Beispiel: Ben wirkte früher etwas langweilig und steif vor der Kamera, aber jetzt macht er einen lockeren, selbstbewussten Eindruck, ohne dabei verstellt zu wirken. Man hört den leichten hessischen Akzent – und hier und da ein leichtes Zögern im Sprechen. Aber die Auftritte sind so gut und authentisch, dass ihn alle im Unternehmen mit Vorliebe fragen, ob er etwas präsentiert. Die Anfragen häufen sich und nach anfänglicher Freude, merkt er das Problem: Wenn er alles annimmt, kann er seine vielfältigen anderen Aufgaben im Unternehmen kaum bewältigen. Um das alles gut zu schaffen, müsste er auf Kosten der Privatwelt agieren und mehr Freizeit für den Job aufgeben, oder manche Anfragen ablehnen, was ihm schwerfällt. Schließlich
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wird er innerhalb der Professionswelt mit den häufigen Auftritten als Gast in Panels und Podcasts zunehmend wahrgenommen und steigert seine Sichtbarkeit. Und so kann er seine Chancen auf eine attraktive berufliche Weiterentwicklung verbessern. Bessere Rahmenbedingungen in einem neuen Job: das wiederum wäre auch für die Privatwelt spannend, denn das Umfeld beschwert sich schon länger über die mangelnde Freizeit aufgrund des Jobs. Aber im Moment fühlt er sich nicht bereit für Ungewissheit mit einem Jobwechsel. Er hält sich in den Videos wieder etwas zurück, lehnt schweren Herzens ein paar Anfragen ab und macht ansonsten weiter wie bisher. In diesem Beispiel zeigt sich das Thema Ambivalenz sehr deutlich. Überdeutlich. Scheinbar unlösbar. Vielleicht haben manche von Ihnen – wenn nicht alle – Ambivalenzen schon einmal erlebt. Natürlich ganz eigene, individuelle Themen.Wie kann man mit diesen widersprüchlichen inneren Tendenzen gut umgehen, Stress vermeiden und wieder mehr handlungsfähig werden? Ich möchte das gern an einem weiteren, etwas einfacherem zweiten Beispiel veranschaulichen: Ruth, Vorstandsvorsitzende eines Unternehmensverbandes, hat eine Einladung in den Podcast eines Unternehmens bekommen, das einem anderen Verband zugehört. Dieser war durch eine Abspaltung aus Ihrem Verband ins Leben gerufen worden. Die Vorstandsvorsitzende ist eine extrovertierte Frau, sie kann reden und hat Lust darauf, der Einladung zu folgen und sich in dem Audioformat auszuprobieren (Autonomie-Anteil). Sie weiß, dass authentisches, freies Reden gefragt ist und auch von ihrem Gastgeber, dem Geschäftsführer, erwartet wird. Aber Sie spürt ein inneres Zögern. Da ist ein Bewusstsein dafür, dass sie sich loyal ihrer Organisation gegenüber verhalten will und sie optimal repräsentieren möchte (Zugehörigkeit). In der Podcastsituation könnte es jedoch dazu kommen, dass das authentische, freie Sprechen zum Problem wird. Ein Problem könnte sein, zu offen und zu persönlich zu sprechen und versehentlich zu tiefe Einblicke in die politische Strategie des Verbandes zu geben. Sie macht sich eine Weile Gedanken dazu. Etwas zu lang. Und es stört Sie, dass sie keine Lösung findet. Sie sagt den Termin vorsichtshalber ab. In diesem Beispiel ist eine Absage in jedem Fall eine Option. Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, die Ambivalenzen ernst zu nehmen, sie zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern.
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Abb. 8.2 Fünf Lösungsfragen bei Ambivalenzen. (Bild: Eigene Darstellung)
Dabei helfen die fünf Lösungsfragen in Abb. 8.2 bei Ambivalenzen weiter. Das Ziel ist, herauszufinden, ob es einen Weg gibt, mit den scheinbaren Widersprüchen zu arbeiten. Für die Reflexion von Ambivalenzen kann man jedem Pol eine positive Absicht unterstellen. Zur Veranschaulichung schauen wir uns diese Fragen an der Geschichte von Ruth an. Fünf Lösungsfragen am Beispiel: Mit welchen inneren Anteilen hat Ruth zu tun?
Autonomie
Zugehörigkeit
Welche positive Absicht könnte dahinter stecken?
• Das Unternehmen voranbringen • Das Unternehmen schützen. und die Sichtbarkeit erhöhen. • Vor einer ungünstigen Situation • Moderne Formate bespielen, bewahren, in der zu viel eine Einladung annehmen, sich preisgegeben werden könnte. persönliche weiterentwickeln.
Welches übergeordnete Interesse verbindet?
Positives Repräsentieren des Unternehmens
Wie kann eine Win-WinSituation hergestellt werden?
Das Thema der Folge wird selbst vorgeschlagen oder die Themen werden gemeinsam mit dem Gastgeber vorab erarbeitet. Eine Freigabe vor Veröffentlichung verhandeln.
Was sind die nächsten konkreten Schritte?
Möglichkeiten und Grenzen definieren. Ein Vorgespräch vereinbaren, in dem alle Interessen besprochen werden. Danach entschieden, ob das Interview stattfindet oder nicht.
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Autonomie und Zugehörigkeit sind nur ein Beispiel für eine Ambivalenz, es können rund um exponierte Redesituationen viele weitere auftauchen: • Mut – Unsicherheit: Man verspürt mutige Bereitschaft aus der eigenen Komfortzone herauszutreten – und ist gleichzeitig unsicher, ob der Schritt eine gute Idee ist. • Freude – Angst: Man möchte etwas in die Welt geben – und gleichzeitig hat man Sorge davor, als Hochstaplerin oder Hochstapler entlarvt zu werden. • Zufriedenheit – Sehnsucht: Man ist glücklich und dankbar für die Erfolge und alles, was man bisher erreicht hat – und zugleich fragt man sich, ob man es nicht hätte noch besser machen können. • Vertrauen – Misstrauen: Man vertraut den anderen, dass sie einem wohlgesonnen gegenüber sind – und zugleich misstraut man ihnen, besonders wenn man schlechte Erfahrungen gemacht hat oder jemanden noch nicht gut kennt.
8.5 Inneres Team Die eigene Innenwelt verstehen, das gelingt auch mithilfe des Modells „Inneres Team“ nach der Kommunikationspsychologie von Friedemann Schulz von Thun. Während wir uns bei Ambivalenzen „nur“ mit zwei inneren Gegenspielern beschäftigen, wird es hier bunter. Die Grundannahme ist: Menschen sind nicht einstimmige Wesen, sondern tragen verschiedene Anteile in sich, die sich situativ unterschiedlich bemerkbar machen können. Und die, wie Emotionen (vergl. Sendlmeier, 2019, S. 237ff.), oft stimmlich markiert werden – durch eine leichte bis deutliche Stimmklangveränderung.
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Am Beispiel: Lissy ist Fachfrau, Lehrbeauftragte und Mutter. Sie hat einen ruhigen, besonnenen inneren Anteil: der erklärt, ist geduldig, verhandelt (die Geduldige). Zugleich lässt sich ein anderer Anteil blitzschnell anpiksen und inspirieren, die Ideen sprudeln dann unbändig aus ihr heraus (die Inspirierte). Sie hat auch eine starke innere Kritikerin in sich, die sie klar und deutlich daran erinnert, sich zurückzunehmen und zuzuhören. Und die auch im Nachgang eine Situation durchdenkt (die Kritikerin). Ein weiterer Anteil kann klar Nein sagen. Dieses Teammitglied weiß, wie viel Lissy schafft und hat durch schmerzliche Erfahrung gelernt, aufzupassen, damit Lissy nicht nur im Beruf, sondern auch privat noch leistungsfähig ist (die Ressourcenwächterin). Diese Anteile kann man wie innere Teammitglieder verstehen, die eine Person ausmachen, die man selbst als „Oberhaupt“ aber auch ein stückweit regulieren kann. Reguliert werden sie, indem man die verschiedenen inneren Teammitglieder anhört und sie als Ressourcen versteht, die sich gegenseitig ergänzen können. Diese Teammitglieder können sich im Laufe des Lebens weiterentwickeln (Abb. 8.3). Bezogen auf unser Beispiel mit Lissy heißt das: Die Mischung macht’s. Nur zuhören und geduldig sein, wären recht einseitige Stärken. Erst ihr individuelles inneres Team mit seinen Dynamiken macht sie einzigartig und als Gesprächspartnerin interessant.
Abb. 8.3 „Inneres Team“ von Lissy. (Bild: Eigene Darstellung)
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In der Logik des Modells können auch neue Teammitglieder dazukommen, wenn sich eine Person weiterentwickelt. So können beispielsweise selbstkritische Menschen von einem dickhäutigen inneren Teammitglied profitieren, an dem Schwierigkeiten einfach abperlen. In der US-amerikanischen Sitcom „Big Bang Theory“ von Chuck Lorre und Bill Prady, produziert von Warner Bros. Television und Chuck Lorre Productions, ergänzt die zwanghafte Figur Sheldon ihr inneres Team um den „laid back Sheldon“ – den entspannten Sheldon also. In Season 11, Folge 3 hält die Figur eine innere Teambesprechung ab, in der die Aufnahme des Neuen besprochen wird. Ich komme bei dieser Szene ins Schmunzeln, denn die einzelnen inneren Anteile sind herrlich überzeichnet dargestellt. Sie zanken, beschwichtigen, empören sich und vermitteln. Auch andere Erzählungen greifen auf die Idee der inneren Vielstimmigkeit zurück. So arbeitet der US-amerikanische Film „Alles steht Kopf“ (Originaltitel: Inside Out ) von Pixar mit einem ähnlichen Bild. In der Geschichte wird ein leiser, zunächst unbeliebter Anteil zur wichtigen Figur: der Kummer. Wer das Modell „inneres Team“ im Coaching kennengelernt hat, weiß: Es kann sehr hilfreich sein. Und wenn man damit vertraut ist, kann sich damit sogar selbst coachen. Denn das Motto lautete: „Willst du ein guter Kommunikator sein, dann schau‘ auch in dich selbst hinein!“ (Schulz von Thun Institut für Kommunikation, 2023). Anna Fuchs ist bereits zuvor im Interview zu Wort gekommen. Sie ist Psychologin, Autorin und Trainerin am Schulz von Thun Institut für Kommunikation. Seit ihr Buch erschienen ist, wurde sie in diverse Podcasts eingeladen und erzählt hier, wie sie ihre innere Mannschaft für Interviewsituationen aufstellt: Kurzbeitrag von Anna Fuchs, Trainerin und Coach am Schulz von Thun Institut für Kommunikation Ich versuche mir vor Podcast und Interviews immer etwas Zeit zu nehmen, um mit der passenden inneren Mannschaftsaufstellung in den Kontakt zu gehen. Dazu gehört natürlich meine innere Fachexpertin. Ganz bewusst aktiviere ich aber auch meine innere Miss Sunshine, die dafür Sorge trägt, dass ich mit guter Laune in das Gespräch gehe und somit auch sympathisch rüberkomme. Die altruistische Vermittlerin stellt ihre Arbeit
216 J. Talley ganz in den Dienst der anderen und möchte ihnen wertvolle Impulse und wichtige Ideen mitgeben. Die enthusiastische Missionarin gibt alles, um als Brandstifterin für neue Ideen Menschen wirklich mitzureißen und für ihre Themen zu begeistern. Unbedingt dabei sein sollten auch noch eine zugewandte Zuhörerin, die sich für das direkte Gegenüber interessiert und eine neugierige lebenslang Lernende, die sich immer über neuen Input freut. In Interviews kommen die beiden weniger zum Zug als in einem dialogischen Format, sind aber immer wichtig. Schlussendlich braucht es für die Psychohygiene noch eine innere Wächterin, die unterstützt wird von einer inneren Diplomatin, die das Gegenüber notfalls freundlich-bestimmt in die Schranken weisen kann und unbedingt eine souveräne Lückenerlauberin, die weiß, dass es völlig in Ordnung ist, nicht alles zu wissen, sich mal zu verhaspeln oder auch zu irren. Gerade bei Podcasts können Fehler ja sogar nachträglich oft noch ausgebügelt werden. Vielen Dank, Anna Fuchs, für diesen Einblick!
Wer die eigenen Auftritte mithilfe mentaler Strategien vorbereiten, verbessern und weiterentwickeln will, hat mit diesem Modell ein hilfreiches Werkzeug. Für unser Thema „Sprechen im Podcast und Video“ verblüfft mich immer wieder, wie sehr Psyche und Stimme in Beziehung zueinander stehen. Stimme ist Stimmung – so lautet ein Leitsatz unter Stimmfachleuten und mit dem „inneren Team“ bekommt dieser mehr Tiefe. Denn die einzelnen Teammitglieder haben oft stimmlichen Wiedererkennungswert. Deshalb lade ich Sie ein: Überprüfen Sie doch einmal, ob ein Mitglied Ihres inneren Teams das Steuer übernommen hat, wann immer Sie bei sich wundersame Stimmklangveränderungen in einer scheinbar gleich gebliebenen Situation erleben. Übrigens beeinflussen diese Stimmklangveränderungen auch die Kommunikation mit anderen. Erfahrene Kommunikatorinnen und Kommunikatoren markieren ihre verschiedenen Rollen oder inneren Anteile stimmlich. Sie lassen durchklingen, wer da aus dem inneren Team spricht. Das funktioniert meist intuitiv und schafft Verständigung auf einer persönlichen Ebene. Man versteht sich einfach. Man weiß, wie die andere Person es meint, besonders, wenn man das Gegenüber kennt. Wie sich diese Phänomene auf die Sprechpraxis auswirken können, darauf bin ich im Kap. 7 „Im Interview“ und im Kap. 5 „Zusammen Podcasten“ bereits näher eingegangen.
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8.6 Systeme Wir haben bisher in diesem Kapitel auf die Person, ihre Rollen und auf ambivalente Gefühle geschaut, sowie auf das innere Team. Da gibt es aber noch mehr. Es gibt einen Kontext, in dem wir die Welt und uns selbst erleben. An verschiedenen Stellen in diesem Buch ist bereits deutlich geworden, wie sehr Situationen oder Beziehungen auf Menschen wirken. Da ging es um Interviews, um Lampenfieber oder die Aufnahmesituation. Es geht aber auch um Kommunikation. Denn Audiound Videoformate sollen etwas bewirken. Andere sollen mitgenommen und überzeugt werden. Sie sollen verstehen, nachvollziehen, mitmachen und gegebenenfalls sogar kaufen und weiterempfehlen. Deshalb möchte ich jetzt einmal mit Ihnen die „systemische Brille“ aufsetzen und die Kommunikation im Podcast und Video beleuchten. Doch was bedeutet „systemisch“ eigentlich? Wir brauchen eine Definition und diese liefern Arist von Schlippe und Jochen Schweizer (2012, S. 31): „Als System bezeichnen wir eine beliebige Gruppe von Elementen, die durch Beziehungen miteinander verbunden und durch eine Grenze von ihren Umwelten abgrenzbar sind. Solche Systeme finden wir quasi überall in (…) den Kommunikationen zwischen Eltern und Kindern in einer Familie bis zu den Verschaltungen in einem Computer. Erst ein systemischer Blick einer Beobachterin lässt ein System entstehen. Denn erst diese entscheidet, welche Elemente, welche Beziehungen und welche Grenzen sie diesem System zuordnen will. Deshalb ist „systemisch“ ein erkenntnistheoretischer Begriff („Was kann ich erkennen?“), kein ontologischer („Was ist dort wirklich?“)." Wer ist denn Teil des Systems, wenn es um Audio- und Videoformate geht? Als erstes fallen einem die Hosts und die Gäste ein, also die Menschen, die man als aktive Teilnehmende direkt sehen und hören kann. Aber es gibt auch noch die Zuhörenden oder Zuschauenden, die man als Teil des Systems verstehen kann – und dann wird es schon recht komplex. Noch vielschichtiger wird es, wenn auch die Vorgesetzten, die anderen Stakeholder im Unternehmen (oder auf der Kundenseite) dazu gezählt werden sowie die involvierten Komponenten, zum Beispiel die Betreibenden des Tonstudios.
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Wenn man den Blick weitet, dann gehören all diese Menschen, Orte und Situationen zum Kontext eines Audio- oder Videoformats dazu. Wieso spielen auch Orte und Situationen eine Rolle? Das schauen wir uns am Beispiel der Zuhörenden oder Zuschauenden an: • Bei einem online jederzeit verfügbaren Audio- oder Video-Format ist offen, wann es konsumiert wird (manche schauen oder hören tagsüber, privat oder während der Arbeitszeit, andere abends vor dem Einschlafen). • Das Format kann an verschiedenen Orten abgespielt werden. (Die Aufmerksamkeit ist sicher eine andere, je nachdem, ob man den Unternehmenspodcast im Großraumbüro hört, oder in der Badewanne.) • Und es macht einen Unterschied, welche Quellen verwendet werden. (Die persönlichen Kopfhörer bedeuten einer Person etwas anderes, als die Lautsprecher im Besprechungsraum.) Bleiben wir gedanklich bei den Zuhörenden oder Zuschauenden, die ein Format konsumieren. Man weiß also nicht genau, wen man erreicht, wann und über welche Quelle. Und man kann nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass eine Botschaft auch ankommt, nur weil ein gutes Produkt produziert und von jemandem angehört wurde. Denn zwischenmenschliche Kommunikation ist recht komplex. Beispielsweise funktioniert sie ganz anders als eine Signalübertragung einer SMS von einem Handy auf ein anderes. Man kann von Gerät zu Gerät Signale übertragen und die erfolgreiche Übertragung überprüfen. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass eine Nachricht gelesen und verstanden wurde, geschweige denn, dass die Rezipienten die Meinung über den Inhalt teilen. Es bedeutet nur, dass die Nachricht auf dem Gerät angekommen ist. Wie funktioniert Verständigung? Wenn Menschen miteinander sprechen, dann können Sie nicht direkt in das Gegenüber hineinsprechen, da das Gegenüber nach ihnen nicht zugänglichen Kriterien filtert (Abb. 8.4). Arist von Schlippe und Jochen Schweizer (2012, S. 119) sagen dazu: „Das heißt, dass Menschen jeweils aus der Komplexität des Geschehens gezielt das herausnehmen, also erinnern, was zu ihren bevorzugten Sinn-
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Abb. 8.4 Kommunikation zwischen Menschen. (Bild: Eigene Darstellung)
konstruktionsmustern (ihrer Persönlichkeit, ihrem Glaubenssystem, ihrem Lebensskript, ihrem Lebensstil, ihren Familienregelsystem usw.) passt.“ Das führt im Glücksfall zu Verständigung und gegenseitigem Verstehen, was erstaunlich oft klappt. Manchmal kommt es jedoch zu den klassischen Missverständnissen und Schwierigkeiten: • Teilinformationen werden getilgt. • Äußerungen werden (fehl-)gedeutet und interpretiert. • Gefühle kommen von ganz allein auf, die eigentlich gar nicht vom Adressaten provoziert werden wollten. • Kränkungen und Enttäuschung machen sich breit usw. Arist von Schlippe und Jochen Schweizer schreiben (2012, S. 119 f.): „Menschen verstehen einander prinzipiell nicht: Zwei Menschen können sich nicht direkt gegenseitig in ihre Gefühle oder Gedanken hineinsehen. In der Kommunikation wird „nur“ ihr eigenes psychisches System und das des anderen angeregt.“
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Ob die gut gemeinte Botschaft im Podcast oder Video vom Adressaten gehört, verarbeitet und verstanden wird, ist also keineswegs sicher. Die Empfängerinnen oder Empfänger entscheiden selbst, wie sie die Botschaft aufnehmen. Deshalb ist eine demütige Einstellung gegenüber der hohen Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen eine Chance dafür, dass Verständigung besser gelingt. Im direkten Kontakt, im Gespräch, ist das einfacher: Man könnte zunächst davon ausgehen, dass man sich nicht versteht, um sich klarer darüber zu verständigen, dass man sich richtig versteht. Diese Rückkopplung ist in Audio- oder Video-Formaten schwerer oder nur im Nachgang möglich, durch persönliches Feedback oder öffentliche Kommentare. Der „systemische Blick“ in der Vorbereitung: Um in Podcast und Videos möglichst verständlich und anschlussfähig zu sprechen, können Sie beachten, an wen sich Ihr Format richtet, wann und wo es möglicherweise konsumiert wird, welche Voreinstellungen und Erwartungen zu erwarten sind und aus welcher Rolle Sie sprechen. In diesem Zusammenhang wird von Systemkompetenz gesprochen. Im nächsten Abschnitt zeige ich Ihnen, wie das in der Praxis aussieht. Tipps für die direkte Zusammenarbeit in der Praxis • Als Host : Wenn Sie mit einer Kollegin oder einem Kollegen gemeinsam ein neues Audio- oder Video-Projekt starten, können Sie davon ausgehen, dass Sie sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber haben. Darüber, wie Sie das Ganze angehen, was Sie für selbstverständlich halten, und welche Regeln gelten. Oft ist es sinnvoll, eine gemeinsame Sprache dafür zu finden, um sicher zu sein, dass man über dasselbe spricht. Dabei können die Konzepte und Fachbegriffe aus diesem Buch helfen. • Als Gast: Wenn Sie selbst eingeladen sind, oder als Host Gäste einladen, gehen Sie davon aus, dass die anderen ganz eigene Ideen und Vorstellungen von dem haben, was im Podcast passieren wird. Andere als Sie! Und dass es allen gut tut, wenn Sie gemeinsam darüber reden. Sie können den Rahmen festlegen, Fragen klären und so für eine gute Verständigung sorgen. Auch die Tipps aus Kap. 7 „Im Interview“ und Kap. 5 „Zusammen podcasten“, können Sie unterstützen.
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8.7 Mentale Vorbereitung Wir sind fast am Ende des Buches und ich beschreibe nun, wie Sie das Wissen aus diesem Kapitel ganz praktisch für Ihre Vorbereitungen nutzen können. Ich empfehle Ihnen, für die Vorbereitung eines Audio- oder Videoformats das Modell „Drei Ebenen der Vorbereitung“ aus Abb. 8.5 und zeige Ihnen, wie Sie damit arbeiten können. Zur Erinnerung: Alle Tipps zur Vorbereitung des Körpers, der Atmung, der Stimme und Sprechwerkzeuge finden Sie im Kap. 2 „Stimme und Sprechen“. Der Kontext: Hier geht es darum, schon während der Vorbereitung den Kontext zu verstehen und Besonderheiten rechtzeitig mitzubekommen, also sie zu beachten oder gegebenenfalls zu verändern. Auch wenn es Ihnen vielleicht lästig erscheint, sich den Kontext genau anzusehen, weil Sie das Gefühl haben, Sie wüssten bereits, wo, wann und mit wem Sie auftreten. Ich empfehle es grundsätzlich allen, diese Fragen routinemäßig in der Vorbereitung zu bearbeiten.
Abb. 8.5 Drei Ebenen in der Vorbereitung. (Bild: Eigene Darstellung)
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• Wo findet die Aufnahme statt? Ist mir der Ort vertraut oder unbekannt? Wenn er unbekannt ist, was muss ich noch wissen? Wann kümmere ich mich darum? Wer kann mich dabei unterstützen? Was kann ich selbst tun, damit ich mich dort wohlfühle? • Wann findet die Aufnahme statt? Warum jetzt? Wie lange wird es dauern? Was ist vorher, was nachher los? Was bedeutet das für mich? Zum Beispiel für die Anreise, für den Magen, ausreichend Schlaf etc. • Mit wem? Kenne ich die Person bereits? Wie ist die Beziehung: vertrauensvoll oder distanziert? Wer ist nicht anwesend, spielt aber dennoch eine wichtige Rolle? Die Rolle(n): Hier ist es hilfreich, die eigenen Rollenbereiche zu kennen und zu benennen. Oder das innere Team aufzustellen, so wie Anna Fuchs oben ihre Vorbereitung auf einen Gastauftritt im Podcast beschrieben hat. Ich möchte Sie einladen, auszuprobieren, was für Sie am hilfreichsten ist. Das, was Ihnen hilft, das rate ich Ihnen, beherzt beizubehalten und zu vertiefen. Eigene und fremde Erwartungen: Für die gute Vorbereitung einer Aufnahmesituation gehört es meiner Meinung nach immer dazu, die eigenen und die fremden Erwartungen zu kennen. Manche werden sich vielleicht fragen, wie man die fremden Erwartungen in Erfahrung bringen soll. Ich glaube: Ganz viel wissen Sie bereits und vieles lässt sich recherchieren, erahnen oder vermuten. Das sind dann Hypothesen, mit denen gearbeitet werden kann. Ein Podcast oder Video wird produziert, um andere zu erreichen. Und deshalb ist es so wichtig, deren Erwartungen – und seien es vermutete Erwartungen – einzubeziehen. Folgende Fragen können Ihnen weiterhelfen. • Eigene Erwartungen: Was will ich erreichen? Was ist meine Kernbotschaft? Was ist (sprecherisch) nötig, damit andere meine Intention erkennen können? • Fremde Erwartungen: Was wünschen sich meine Zuhörenden oder Zuschauenden? Welchen Mehrwert wollen sie mitnehmen? Was
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könnte sie positiv überraschen? Was könnte Ihre Erwartungen noch übertreffen? Wenn Sie diese Fragen für sich geklärt haben, haben Sie eine gute Basis für Ihre Konzeption, für den Auftritt selbst und für die Qualitätssicherung im Nachgang. Denn Sie können die „drei Ebenen in der Vorbereitung“ fortlaufend ergänzen oder verändern. Dieses Modell kann man übrigens für jede exponierte Redesituation nutzen, ob das ein Workshop oder ein Vortrag ist, ein Auftritt im Podcast oder Video. Ich selbst nutze das Modell auch: Die drei Ebenen habe ich im Kopf und gehe die einzelnen Punkte für mich durch. Oft schreibe ich mir alles auf, ein wichtiger Teil meiner Auftragsklärung. Erst wenn ich verstehe, was ich selbst und was andere von mir erwarten, wenn ich eine Ahnung vom Kontext habe und meine Rolle(n) kenne, dann kann ich meine Bestleistung bringen.
8.8 Authentizität Am Ende geht es um das Echte, das Authentische und um Souveränität. In diesem Buch haben Sie einerseits konkrete Atem-, Sprech- und Stimmübungen kennengelernt, Anregungen für Sprache und Text bekommen und es gab jede Menge Tipps für den verbalen Auftritt – von der passenden Visualisierung bis zur mentalen Vorbereitung. Den folgenden Satz schreibe ich mit einem deutlichen Augenzwinkern: Müssten Sie jetzt nicht in der Lage sein, immer souverän aufzutreten und perfekt zu sprechen und von allen immer gern gehört werden? Oder geht es doch um etwas anderes? Friedmann Schulz von Thun (2016) unterscheidet zwischen „Souveränität 1. und 2. Ordnung“. Maud Winkler und Anka Commichau (2012, S. 75) beschreiben das so: „Souveränität 1. Ordnung meint die totale Kontrolle jeder Unsicherheit. Diese Art von Souveränität ist mit echtem Selbst- und Fremdkontakt unvereinbar. Die Souveränität 2. Ordnung hingegen verkörpert der „Profi mit menschliche Antlitz.“
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Die Souveränität 1. Ordnung ist auch die Souveränität der Blenderinnen und Blender, der Selbstoptimierten, der Methoden- und Technikanwendenden und der oft innerlich Einsamen und Unsicheren. Denn für die Souveränität 2. Ordnung braucht es Mut. Mut, sich so zu zeigen, wie man ist. Zu sich und den individuellen Eigenheiten zu stehen und sich anderen damit positiv zuzumuten. Bei aller persönlicher Weiterentwicklung, Kenntnisvertiefung und Professionalisierung fordert die Souveränität 2. Ordnung: Sei wesensgemäß. Sei authentisch. Dazu ergänzt Friedemann Schulz von Thun (2021): „Nicht jede Situation im Leben fordert dazu heraus, sich unverfälscht zum Ausdruck zu bringen – schon gar nicht, den eigenen Seelenzustand zu offenbaren. Deine Kommunikation sei nicht nur in Übereinstimmung mit dir selbst, sondern soll auch dem gerecht werden, was die Situation dir abverlangt (…), einschließlich deiner Rolle darin. Hinzu kommt, dass Authentizität ohne Taktgefühl und ohne Sensibilität für das, was ich mit meiner Ehrlichkeit anrichte, gewiss nicht als Kommunikationsideal taugt – wie auch umgekehrt Takt und Sensibilität ohne Authentizität zu einer Diplomatenfassade verkommt (…)! Dieses Gleichgewichtigkeit von Ausdruck und Wirkung, diese zweifache Übereinstimmung mit dir selbst und mit der Wahrheit der Situation nenne ich Stimmigkeit.“ Ich empfinde das als wertvolle Haltung auch, oder gerade für den Kontext „Sprechen im Podcast und Video“. Für mich war auf meinem Weg zur systemischen Beraterin und Supervisorin eine wichtige Erkenntnis: Die innere Haltung ist etwas, wofür ich mich entscheiden kann, jetzt und in jedem Moment meines beruflichen und privaten Denkens, Fühlens und Handelns. Und als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin habe ich unzählige Male in meiner täglichen Arbeit die positive Wechselwirkung erfahren – zwischen innerer Haltung und der Art und Weise des Sprechens. Diese Mischung ist mir so wichtig für das Thema dieses Buches; eine Mischung aus einerseits körperlichen und sprachlichen Übungen und Techniken und andererseits systemischen und kommunikationspsychologischen Erkenntnissen. Ich möchte Sie ermuntern, sich mit Ihrer Sprechtechnik und Ihren Empfindungen und Gedanken zu befassen. Ich glaube, darin liegt die Chance, sich nachhaltig weiterzuentwickeln – im persönlichen Auf-
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tritt und in den Beziehungen zu anderen, als Individuum und als Organisation. Manchmal reicht die Lektüre oder ein vertrauensvolles Gespräch. Manchmal reicht das auch nicht. Es kann Sinn machen, sich Unterstützung zu holen. Ich möchte im Dschungel der Möglichkeiten etwas Orientierung bieten. Denn es gibt Unterschiede, wann und welche Form der Unterstützung sinnvoll ist und durch wen. Sich selbst weiterentwickeln: Neben den Möglichkeiten zum Thema „Sprechen im Podcast und Video“ ein Buch zu lesen oder ein Training zu besuchen, können Sie sich selbst trainieren. Dafür können Sie sich Übungsräume suchen und sich an neue Formate herantasten. • Räume zum Üben suchen: Seien Sie zu Gast in Podcasts mit geringer Reichweite, treten Sie im Bürgerfernsehen auf, auf kleinen YouTube-Kanälen und nehmen Sie sich Zeit, in die neue Sprechrolle reinzuwachsen. • Übungsaufnahmen: Machen Sie eigenständig Video- oder Audioaufnahmen, die nur für Sie selbst bestimmt sind, und die Sie jederzeit löschen können. Probieren Sie sich aus: Lassen Sie schräge Töne zu und nicht perfekte Formulierungen. Übertreiben Sie manchmal maßlos im Ausdruck mit 100 % Sprechdenken und Präsenz! Zurücknehmen kann man sich immer! Das Ziel ist: Machen Sie sich mit Ihrer Stimme und Ihrem Ausdruck vertraut. • Genießen Sie Ihre Auftritte: Ob im eigenen Audio- oder Videoformat oder zu Gast – freuen Sie sich mit einer angemessenen Prise Demut auf die exponierten Sprechsituationen. Geben Sie Ihr Bestes für Ihre Zuhörenden. • Erfolge würdigen: Es geht nicht um Selbstbeweihräucherung, sondern um das Innehalten, um Dankbarkeit und Freude. Wie Sie das machen – mit Konfetti oder Blick auf den See – das ist ganz Ihre Sache. Eine wichtige, konkrete Redesituation vorbereiten: Um in exponierten Redesituationen authentisch zu wirken und möglichst die oben genannte Stimmigkeit zu erleben, braucht es Vorbereitung. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten: allein, mit dem Team, mit oder ohne Unterstützung anderer.
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• Sparring: Hier kann man einen Auftritt schleifen, bis alles rund ist. Sprechen Sie mit einer vertrauten, Ihnen wohlgesinnten Person Ihre Inhalte durch, die genug innere Distanz zu Ihnen hat. Bitten Sie um ehrliche Kritik. Es eignen sich gegebenenfalls Leute aus dem privaten oder beruflichen Umfeld oder erfahrene Coaches. Wichtig ist, dass man gegenüber Coaches das Ziel klar formuliert. Ein SparringTermin ist kein Training, in dem allgemeine Wissensvermittlung stattfindet (Körpersprache im Video), sondern die ganze Aufmerksamkeit soll der anstehenden Sprechsituation gelten. Allgemeine Themen kann man sich für ein reguläres Coaching oder Training merken. Das Sparring sollten Sie rechtzeitig vor einem wichtigen Termin ansetzen. • Rehearsal: Eine Generalprobe vor einer wichtigen Podcastaufnahme oder einen Talk im Video gibt nicht nur innere Sicherheit, sondern ist auch manchmal nötig, um die Abläufe zu kennen, also zu wissen, in welche Kamera man wann schauen soll und so weiter. Hier werden manchmal Trainer oder Coaches hinzugezogen, meist, um allen Auftretenden letzte Tipps und Hinweise zu geben (auch das ist kein Training). Ein Rehearsal findet meist im Kreis aller Beteiligten statt. Persönliche Weiterentwicklung als Sprecherin und Sprecher und Weiterentwicklung des Formats: Begleitende Beratung und Training bietet sich an, wenn ein Format entwickelt wird oder bereits besteht und weiterentwickelt oder verbessert werden soll. Hier gibt es mittlerweile auf dem Coaching-Markt Spezialisierungen: Coaches für den Umgang mit der Technik, für die Konzeption, für Interviews, für Stimm- und Sprechtraining. Für die Wahl der geeigneten Unterstützerin oder des geeigneten Unterstützers empfehle ich, nach Menschen Ausschau zu halten, die nicht nur auf einen persönlichen Erfahrungsschatz aufbauen, sondern auch pädagogisch aus- oder weitergebildet sind. Auch sollten sie individuell auf Sie eingehen. Ich persönlich halte etwas von einer Lernatmosphäre, die offen und lösungsorientiert ist und von Profis, die in der Lage sind, verschiedene Lösungswege aufzuzeigen. Meiner Ansicht nach sollten Trainings- und Coaching-Formate Flexibilität ermöglichen. Denn seriöse Coaches
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versuchen, sich so schnell wie möglich überflüssig zu machen. Sie kennen ihre Grenzen und erkennen, wann sie gegebenenfalls an andere Fachleute überweisen sollten. Und sie sprechen mit ihren Kundinnen und Kunden darüber. Probleme ernst nehmen: Auch Probleme sind Realität, und nicht alles kann einfach gelöst werden. Was meine ich damit? Wenn Sie an all die Themen rund um das Sprechen im Podcast und Video denken, dann kann theoretisch auf jeder Ebene ein Problem vorliegen, das einen genaueren Blick und gegebenenfalls Hilfe von ganz anderen Profis braucht. Das Problem wird (hoffentlich) nicht durch das Coaching ausgelöst, es kann aber durch ein Coaching an die Oberfläche kommen. Und dann sollte es richtig versorgt werden. Ein paar Beispiele: eine Stimmstörung beispielsweise mit starkem Räusperzwang (braucht fundierte Diagnostik durch eine Hals-, Nasenund Ohren-Praxis oder phoniatrische Praxis), eine Blockade der Wirbelsäule, die das Atmen erschwert (braucht orthopädische Unterstützung), starke Sprechängste (brauchen eine spezialisierte Fachkraft aus der Psychologie oder Logopädie), Unruhe durch einen zu hohen Blutdruck (Diagnostik in einer Kardiologie-Praxis), belastende innere Konflikte (psychologische Unterstützung im Rahmen einer Therapie oder eines fundierten Coachings), schwerwiegende Teamkonflikte (Teamcoaching oder Supervision durch eine Fachkraft). Probleme ernst nehmen, das tut manchmal weh. Es bietet aber auch die Chance, Unterstützung und Hilfe zu bekommen und deshalb ist es mir hier wichtig, darauf hinzuweisen. Sie haben mit mir in diesem Buch eine kleine Reise gemacht. Wir sind gestartet bei der Stimme und dem Sprechen mit jeder Menge Praxishinweisen, Übungen und Hörproben. Dann ging es um das Sprechen am Mikrofon in einer Aufnahmesituation. Wie man die Qualität sichern kann und wie Formate gegliedert sind, führte uns zum Arbeiten im Team in den unterschiedlichen Konstellationen. Anschließend haben wir einen Blick auf die Sprache, das Schreiben und die Visualisierung von Skripten geworfen und uns schließlich mit dem Interview befasst. Dabei ging es um die unterschiedlichen Perspektiven
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als Hosts und als Gäste. Abschließend habe ich mentale Strategien vorgestellt, beispielsweise für den Umgang mit Lampenfieber und systemische, kommunikationspsychologische Impulse mit dem Fokus auf das Sprechen im Video und Audio. Das Buch ist dabei so gedacht, dass es von vorn nach hinten oder auch in anderer Reihenfolge gelesen werden kann. Und dafür, dass es wie ein Praxisleitfaden immer mal wieder in die Hand genommen werden kann.
Zum Schluss
Liebe Leserin, lieber Leser, Sie machen Podcasts und Videos, oder haben dies in Zukunft vor, und zwar mit dem Ziel, andere zu erreichen – mit Ihren Themen. Ich finde das großartig. Großartig, dass das Audio-und-Videoformate-machen nicht einigen wenigen Profis vorbehalten, sondern allen zugänglich ist! Ich wünsche Ihnen für Ihre Projekte gutes Gelingen, Freude und Energie. Ich wünsche Ihnen die passende Mischung aus Ausdrucksorientierung – mit der Erlaubnis, sich menschlich zu zeigen – und Wirkungsorientierung, damit andere gern folgen und gut zuhören können. Wie sich die Video- und Podcastwelt weiterentwickeln wird, bleibt spannend. Ich hoffe, Ihnen hier hilfreiche Anregungen gegeben zu haben und bin neugierig, was Sie daraus machen. Jetzt sind Sie dran! Aufnahme läuft!
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 J. Talley, Überzeugend sprechen in Podcasts und Videos, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41997-4
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