129 59 20MB
German Pages 293 Year 1995
VERÖFFENTLICHUNGEN DES FORSCHUNGSINSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSPOLITIK AN DER UNIVERSITÄT MAINZ
Herausgegeben von HARTWIG BARTLING WALTER HAMM
WERNER ZoHLNHÖFER HELMUT DIEDERICH
Schriftleiter PETER VEST
BAND
52
Das Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz hat ein doppeltes Ziel: Es möchte die Grundlagen der Ordnung der Wirtschaft - Geld, Eigentum und Wettbewerb - untersuchen und hofft, Verbesserungen der geltenden Ordnung vorschlagen zu können. Daneben will das Institut von dem gewonnenen Standpunkt aus zu aktuellen Spezialfragen der Wirtschaftspolitik Stellung nehmen. Es dient weder Interessenten noch Interessentenorganisationen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts einem breiteren Kreis zugänglich zu machen, ist der Sinn dieser Schriftenreihe.
Berufstätigkeit und Aufstiegschancen von Frauen Eine (nicht nur) ökonomische Analyse
Von
Dr. Heike Wiegand
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Wiegand, Heike: Berufstätigkeit und Aufstiegschancen von Frauen : eine (nicht) nur) ökonomische Analyse I von Heike Wiegand. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Veröffentlichungen des Forschungsinstituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz; Bd. 52) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08387-3 NE: Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik (Mainz): Veröffentlichungen des Forschungsinstituts ...
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: FfW Mainz Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0542-1497 ISBN 3-428-08387-3
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Vorwort Die vorliegende Arbeit über Berufstätigkeit und Aufstiegschancen von Frauen entstand auf der Grundlage des Gutachtens "Das wirtschaftliche Leistungsprinzip als spezifisches Anforderungsprofil der Wirtschaft und die sich daraus ergebende Konfliktsituation mit der Lebensplanung von Frauen", das dem Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz e.V. (FfW Mainz) vom Minister für Wirtschaft und Verkehr des Landes RheinlandPfalz in Auftrag gegeben wurde. Während der Erstellung der Dissertationsfassung wurde ich als Stipendiat der TEVES-Stiftung, Frankfurt am Main, großzügig unterstützt, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Die Arbeit wurde im Sommersemester 1994 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Im Rahmen dieses Vorworts möchte ich die Gelegenheit nutzen, einmal ganz offiziell all jenen zu danken, die mich während der Entstehung und der Vollendung dieser Studie am FfW Mainz begleiteten. Meine Kollegen am Institut unterstützten mich nicht nur durch fachlichen Gedankenaustausch, sondern auch und vor allem durch die freundschaftliche Verbindung innerhalb und außerhalb des Instituts. Im Sekretariat übernahm Frau Sirnon die Schreibarbeiten für das Gutachten; Frau Beyer wurde später mit den Satzarbeiten der Endfassung betraut und hat mich mit großem Engagement bei vielen redaktionellen Feinheiten unterstützt. Ihnen allen danke ich ebenso wie Frau Hetzius, die in vielerlei Weise eine große Hilfe war. Für wertvolle Anregungen und zahlreiche Verbesserungsvorschläge danke ich dem Zweitgutachter dieser Studie, Herrn Universitätsprofessor Dr. Hartwig Bartling. Mein ganz besonderer Dank aber gilt meinem Doktorvater, Herrn Universitätsprofessor Dr. Werner Zohlnhöfer. Mit ihm führte ich viele Gespräche und Diskussionen auch über die eigentliche Themenstellung hinaus, die meine ökonomische Denkweise geprägt und deren Ergebnisse sich in dieser Arbeit niedergeschlagen haben. Über die Institutsgrenzen hinaus möchte ich an dieser Stelle noch Herrn Dr. Ralf Schauschneider erwähnen, ohne dessen Un-
VI
Vorwort
terstützung die Studie vermutlich nie zu Ende geführt worden wäre und dem ich hier ausdrücklich danken möchte. Schließlich ist es mir noch ein Bedürfnis, darauf hinzuweisen, daß beim Schreiben des Textes bis auf wenige Ausnahmen ganz · bewußt vom Gebrauch weiblicher Wortendungen (Student/-innen) sowie anderer vermeintlich nichtdiskriminierender Sprachschöpfungen abgesehen wurde. Zum einen, weil derartige Wortgebilde nicht unbedingt die Lesbarkeit eines Textes erhöhen und häufig eine Verwechslung von Genus und Sexus zugrunde liegt. Zum anderen sind gesellschaftliche Ungleichheiten und traditionelle Rollenverteilungen nicht die Folge linguistischer Gegebenheiten, sondern umgekehrt.
Frankfurt am Main, im Dezember 1994
Heike Wiegand
Inhaltsverzeichnis Tabellenverzeichnis .
XV
Schaubilderverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
Problemstellung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . .
II.
Aufbau und Methodik der Untersuchung . . . . . . . .
3
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit. .
5
I.
Lebensplanung und Erwerbsbiographie . . . . . . . . .
5
l. Weibliche Lebensplanung . . . . . . . . . . . . . . 5
2. Normalbiographie und Drei-Phasen-Modell . . . . .
7
3. Berufsunterbrechung und Berufsausstieg . . . . . .
11
4. Wiedereinstieg in das Berufsleben . . . . . . . . .
16
5. Opportunitätskosten der Haushalts- und Familienarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 6. Familienpolitische Rahmenbedingungen . . . . . . . 21 II.
Frauen auf dem Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Erwerbstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.1 Entwicklung der Erwerbsbeteiligung . . . . .
23
1.2 Weibliches Arbeitsangebot .
29
2. Einkommensentwicklung .
32
3. Bildungsvoraussetzungen .
36
4. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung .
39
5. Geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt .
41
6. Erwerbsbeteiligung von Frauen im europäischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
VIII
III.
lnlwltsverzeichnis
Gesamtwirtschaftliche Konsequenzen . . . . . . . . . . 47 I. Der volkswirtschaftliche Wert unbezahlter Arbeit .
47
2. Haushaltsproduktion in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.2 Abgrenzung der Haushaltsproduktion .
51
2.3 Monetäre Bewertung . . . . . . . . .
52
2.4 Schätzungen zum Wert der Haushaltsproduktion . 55 3. Beurteilung der Bedeutung der Haushaltsproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV.
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Teil B: Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I.
Ökonomische Theorie der Familie .
60
I. Ökonomische Theorie der Ehe .
60
1.1 Theorie der Heirat .
60
1.2 Partnerwahl und Aufgabenverteilung .
61
1.3 Trennung als Korrektur von Fehlentscheidungen 63 2. Ökonomische Theorie des generativen Verhaltens .
65
2.1 Die optimale Kinderzahl .
65
2.2 Die optimale Kindererziehung .
67
2.3 Opportunitätskosten der Kindererziehung .
68
3. Ökonomische Theorie der familiären Arbeitsteilung . 3.1 Die Familie als Produktions-, Konsum- und Versicherungsgemeinschaft . 3.2 Zeitallokation . 3.3 Innerfamiliäre Rollenzuordnung .
69 69 . 70 71
lnhnltsverzeichnis
II.
Familiäre Entscheidungen aus verhandlungstheoretischer Sicht . I. Familiäre Entscheidungsfindung als Verhandlungs-
problern.
IX
72 .72
2. Machtverteilung in der Partnerschaft als Resultat der familiären Arbeitsteilung .
73
3. Verhandlungsstrategien .
76
4. Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede als Reflex diskriminierender familiärer Entscheidungen.
78
III.
Folgen einer schrumpfenden Bevölkerung aus volkswirtschaftlicher Sicht .
80
IV.
Resümee.
84
Teil C: Theoretische Erklärungsansätze zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt . . . . . . . . I.
86
Ökonomische Ansätze . . . . . . . . .
86
I. Neoklassische Arbeitsmarkttheorie .
86
2. Humankapitalansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II.
3. Segmentationstheorien .
96
Soziologische Ansätze . . .
101
I. Sozialisation von Geschlechtsrollen . . . . . . . . . 101
2. Das weibliche Arbeitsvermögen . . . . . . . . . . 105 III.
Psycho(bio)logische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Die Theorie der "Furcht vor Erfolg" . . . . . . . . 107
2. Die Mutter-Kind-Gesinnung . . . . . . . . . . . . 108 3. Das Konzept der Selbstwirksamkeit . . .
.110
4. Frau und Karriere in psychobiologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV.
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
X
lnhaltJverzeichniJ
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen . I.
120
Begriffsabgrenzung . . . . . .
120
I. Management und Führung .
120
2. Begriff der Führungskraft .
II.
0
Kriterien für den beruflichen Aufstieg .
123
I. Aufstiegsentscheidungen im Rahmen der betriebIichen Personalpolitik .
0
2. Wirtschaftliches Leistungsprinzip . 2.1 Der Leistungsbegriff . 2.2 Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft .
. 125 129
0
.129
2.4 Leistungsprinzip und weibliche Lebensplanung.
130
3. Senioritätsprinzip .
0
4. Zugehörigkeitsprinzip .
III.
131 133
. 134
6. Konformitäts-Beförderungs-Hypothese .
135
7. Zusammenfassung .
136
Anforderungen an Führungskräfte .
137
I. Eigenschaftsanforderungen .
2. Führungseigenschaften von Frauen .
137
0
. 139
3. Fachliche Qualifikation .
IV.
123
.125
2.3 Zur Anwendung des Leistungsprinzips im Unternehmen .
5. Netzwerke und Kooptationen .
122
0
Mitarbeiterbeurteilung im Unternehmen . I. Ziele und Gestaltungsprobleme der Mitarbeiterbeurteilung .
2. Leistungsbeurteilung . 3. Geschlechtsspezifische Beurteilung .
143 145
0
145 146
. 147
lnhaltsverzeicluris
V.
XI
Karriere und Karriereplanung .
149
I. Karriereorientierung . . . .
149
2. Karrieremotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Karriereentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Auswahlmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5. Karrierehindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 VI.
Frauen in Führungspositionen . . . . . . . . . . . .
156
I. Ausgewählte Daten zur Frau als Führungskraft .
156
1.1 Anzahl der weiblichen Führungskräfte .
156
1.2 Position . . . . . .
157
1.3 Funktionsbereiche .
159
1.4 Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1.5 Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1.6 Familiärer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 163 2. Berufliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 163 2.1 Leistungs- und Berufsmotivation . . . . . . . . 163 2.2 Einsatzbereitschaft und berufliche Prioritäten .. 166 3. Beruflicher Werdegang . . . . . . . . . . . .
. 167
4. Weiterbildung und Personalentwicklungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5. Parameter des beruflichen Aufstiegs . . . . . . . . 170 VII.
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
XII
lnhaltsverzeichniJ
Teil E: Determinanten der Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich . . . . . . . . . . . . 175 I.
Frauenspezifische Erklärungsansätze . . . . . . . . . . 175 1. Personale Barrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1.1 Bildungsvoraussetzungen . . . . . . . . . .
175
1.2 Mangelnde Karriereplanung und Aufstiegsorientierung . . . . . .
177
1.3 Erhöhtes Kostenrisiko . . . . . . . . . . .
179
1.4 Eingeschränkte Mobilität und internationale Einsatzmöglichkeiten . . .
. 184
2. Familienbedingte Hindernisse . . . . . . . . . .
187
2.1 Doppelbelastung durch Beruf und Familie . . . 187 2.2 Karriereknick durch Familiengründung . . . . . 188 2.3 Potentielle Mutterschaft .
189
2.4 Kinder und Karriere . . .
189
2.5 Teilzeitarbeit als Karrieresackgasse . . . . . . . 191 2.6 Mangelnde Weiterbildung . . . . . . . . . . . 192 II.
Organisationsinterne Barrieren . . . . . . . .
. 193
l. Stereotypisierung nach Geschlechtsrollen .
. 193
2. Personalauswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . 194 3. Konkurrenzangst der Männer . . . . . . . . . . . . 197 4. Machtverteilung in Organisationen . . . . . . . . . 198 5. Minderheitenstatus der Frau . . . . . . . . . . . . 200 6. Das "Bienenkönigin-Syndrom" . . . . . . . . . . . 201 III.
Externe Aufstiegshemmnisse .
.202
IV.
Resümee . . . . . . . . . . .
. 203
XIII
lnhalt.werzeichnis
Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen und ihre Bedeutung für die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen . . . . . . . . . I. II.
Hintergrund der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . 205 Wertewandel . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 206
1. Allgemeine Anmerkungen zur Wertewandeldiskussion .
206
2. Veränderungen in der Arbeitsorientierung .
209
3. Der Berufsaufstieg von Frauen vor dem Hintergrunddes Wertewandels.
211
Veränderte Anforderungen an Führungskräfte .
213
..
III.
I. Wandel im Führungsstil, Teamorientierung,
Sozialkompetenz .
..
2. Auswirkungen auf den beruflichen Aufstieg von Frauen. IV.
V.
205
Neue Organisationsstrukturen im Unternehmen .
. 213 214 .217
1. Lean Management .
217
2. Die Bedeutung schlanker Organisationsstrukturen für die Aufstiegschancen von Frauen .
219
Neue Arbeitszeitformen für Führungskräfte .
220
1. Ausgangslage .
220
..
2. Die "amorphe" Arbeitszeit .
221
3. Das Job Sharing .
221
4. Die selbstbestimmte Arbeitszeit bei Trennung von Betriebs- und Arbeitsstätte . . . . . . . . . . . 223 VI.
Zusätzliche Bestimmungsfaktoren . . . . . . . . . . . 225 I. Mangel an Führungskräften . . . . . . . . . . . . . 225
2. Ökonomischer Strukturwandel . . . . . . . .
226
3. (Ehe-)Paare mit zwei Karrieren (Dual Career Couples) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
XIV
lnlwll.lverzeichnis
4. Veränderte Einstellungen von Männern .
. 230
VII. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 233
Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. II.
Ergebnisse aus der vorangehenden Analyse . . . . . . 234 Diskriminierung versus Differenzierung . . . . . . .
235
III.
Verbleibender Forschungsbedarf: Die Notwendigkeit eines interdisziplinären Ansatzes . . . . . . . . . . 237
IV.
Haushalts- und Familienarbeit als Grundlage einer Erwerbsarbeit . . . . . . . . . . . . . .
242
Handlungsempfehlungen für die Politik .
245
Fazit
248
V. VI.
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Tabellenverzeichnis Tabelle I
Erwerbsbiographie von Müttern nach Geburtsjahrgangsgruppen und Alter . . . . . . . .
. 12
Tabelle 2
Länge der Nichterwerbsphasen von Berufsrückkehrefinnen (Mütter) bis zum Alter von 45 Jahren . . . . . . . . . . . . . . .
. 14
Tabelle 3
Anteil der Teilzeitbeschäftigung an den abhängig Erwerbstätigen nach Geschlecht und Alter- Stand: April 1990 . . . . . . . . . . .
28
Tabelle 4
Löhne und Gehälter 1950- 1991 . . . . . . . . . 33
Tabelle 5
Durchschnittliche Bruttomonatsverdienste der Angestellten im früheren Bundesgebiet 1990 (in Industrie, Handel, Kreditinstituten und im Versicherungsgewerbe) . . . . . . . . . .
35
Tabelle 6
Auszubildende 1990 in den acht am stärksten besetzten Ausbildungsberufen (im früheren Bundesgebiet) . . . . . . . . . . . . . . . .
. 38
Tabelle 7
Auffassungen der Bevölkerung über die ideale geschlechtliche Arbeitsteilung sowie Auffassungen der Männer über die von ihnen bevorzugte Rolle der Ehefrau in drei EG-Staaten 1987 . 45
Tabelle 8
Schätzungen zum Wert der Haushaltsproduktion in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . 55
Tabelle 9
Anteil der Frauen und Männer am Führungspersonal auf verschiedenen Führungsebenen nach Wirtschaftszweigen . . . . . . . . . . . . . . . 158
Tabelle 10
Anteil der Frauen und Männer an den Einkommensklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
Tabelle 11
Anteil der Frauen und Männer an den Einkommensklassen in Abhängigkeit von der Führungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
Tabelle 12
Einkommen und Alter . . . . . . . . .
. 161
Tabelle 13
Einkommen nach Wirtschaftszweigen .
. 162
Tabelle 14
Einflußfaktoren einer Karriere. . . . . . . . . 171
Tabelle 15
Förderliche Eigenschaften für eine Karriere . . . 172
Schaubilderverzeichnis
Schaubild I Altersspezifische Erwerbsquoten von Frauen und Männern (früheres Bundesgebiet) . . . . . . 24 Schaubild 2 Altersspezifische Erwerbsquoten verheirateter, mit ihrem Ehepartner zusammenlebender Frauen im Alter von 20 bis unter 60 Jahren mit und ohne Kinder . . . . . . . . . . . .
25
Schaubild 3 Erwerbsquoten nach Alter und beruflichem Ausbildungsabschluß . . . . . . . . . . . .
27
Schaubild 4 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und ökonomisches Grundmodell . . . . . . . . . . . 30 Schaubild 5 Teufelskreis ökonomischer Rationalität . .
. 79
Schaubild 6 Positionsabhängige Anteile von Leitungsund Ausführungsfunktionen . . . . . . . . . . 121 Schaubild 7 Synopse verschiedener Erklärungsansätze zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Einleitung I. Problemstellung und Zielsetzung
Sowohl die verstärkte Arbeitsteilung in der Wirtschaft als auch der abnehmende Konsens über die innerfamiliäre Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau haben in Verbindung mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen dazu beigetragen, daß heute Beruf und Familie bzw. Erwerbsarbeit und Familienarbeit in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen. Dabei erweist sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in erster Linie für Frauen (auch) als organisatorisches Problem, da die Zuständigkeit für die Familienarbeit vorrangig ihnen zugeschrieben wird. Probleme von Frauen im Erwerbsleben und insbesondere beim beruflichen Aufstieg werden demzufolge meist mit dem Konflikt zwischen weiblicher Lebensplanung und Berufstätigkeit begründet. Die im Vergleich zu Männern unterschiedliche Lebensplanung der Frauen führe dazu- so wird behauptet-, daß Frauen die an sie gestellten Anforderungen der Wirtschaft nicht oder nur unzureichend erfüllen könnten. Außerdem sei das Karrierebewußtsein der Frauen anders ausgeprägt als das der Männer, da sie ihre Karriere weniger bedingungslos als ihre männlichen Kollegen verfolgen würden. Zudem werde über berufliche Karrieren meist von männlichen Vorgesetzten entschieden, die Frauen nur selten eine Chance zum Aufstieg einräumten. Auch die Unternehmenskulturen seien durchweg männlich geprägt, und Führungseigenschaften würden als männliche Charaktereigenschaften definiert, die dem "weiblichen Wesen" widersprächen. Daher fänden Frauen in einem "männlich" strukturierten und definierten Wirtschaftsleben von vornherein keine Chancengleichheit vor. Die sogenannten Benachteiligungen von Frauen im Wirtschaftsleben sind schon seit geraumer Zeit Gegenstand zahlreicher Studien. Dabei dominieren verständlicherweise normativ ausgerichtete Arbeiten mehr oder weniger feministischer Prägung. Daneben steht freilich auch eine ganze Reihe fachwissenschaftlicher Ansätze, die darauf abzielen, verschiedene Aspekte der Gesamtproblematik zu klären. Was noch weitgehend fehlt, sind Untersuchungen, die als eine Art Synthese daraufhin angelegt sind, unter Nutzung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse zentrale Fragestellungen einer umgreifenden Sachanalyse zuzuführen. I Wiegand
2
Einleitung
Hier ist das Anliegen der Arbeit einzuordnen. Sie verfolgt den Zweck, mit einer Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen der Lebensplanung von Frauen und dem Leistungsprinzip in der Wirtschaft einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke zu leisten. Ziel der Untersuchung ist es mit anderen Worten zu prüfen, inwieweit die beobachtbaren Chancenungleichheiten zwischen Frauen und Männern im Erwerbsleben auf einen Konflikt zwischen Marktarbeit und Hausarbeit zurückgeführt werden können. Dabei bezieht sich die Analyse zunächst auf das Erwerbsverhalten von Frauen im allgemeinen, um anschließend die besonderen Probleme des Aufstiegs in Führungspositionen zu thematisieren, denen sich Frauen gegenübersehen. Grundsätzlich geht es um die Frage, ob Frauen auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Eine Diskriminierung im ökonomischen Sinne liegt dann vor, wenn ein Wirtschaftssubjekt bei seinen Transaktionen Gegenleistungen erhält und Positionen einnimmt, die sich an persönlichen Merkmalen bemessen, welche nicht in direktem Zusammenhang mit der Leistung stehen. In allen anderen Fällen wird eine (zulässige) Differenzierung nach leistungsbedeutsamen Merkmalen vorgenommen. Da Gleichheit der Chancen für Frauen und Männer zu gewährleisten ist, die jedem einzelnen ermöglicht, sein Leistungspotential zu entfalten - sei es im Beruf oder in Haushalt und Familie - gilt es zu untersuchen, wodurch ungleiche Startbedingungen entstehen. Zur Aufdeckung der Ursachen ungleicher Startchancen für Frauen und Männer ist die Bedeutung der Haushaltsarbeit (nichtmarktbestimmte Produktionstätigkeit im privaten Haushalt) sowie der Familienarbeit (Betreuung und Pflege von Kindern und pflegebedürftigen Haushaltsmitgliedern) offenzulegen und deren Beziehungen zur außerhäuslichen Erwerbsarbeit (marktbestimmte Produktionstätigkeit) zu untersuchen. Damit wird zur Frage übergeleitet, wer in der Gesellschaft und im einzelnen Haushalt welche Arbeiten übernimmt, warum dies so ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Neben den ökonomischen Erklärungsansätzen sind hierfür auch Befunde anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen heranzuziehen. Im Lichte der daraus resultierenden Ergebnisse lassen sich dann auch politische Handlungsempfehlungen ableiten.
II. Aufbau und Methodik der Untersuchung
3
II. Aufbau und Methodik der Untersuchung Ziel dieser Untersuchung ist es zu prüfen, inwiefern Chancenungleichheiten zwischen Frauen und Männern im Erwerbsleben bestehen und inwieweit diese auf ein Spannungsverhältnis zwischen Marktarbeit einerseits und Haushalts- und Familienarbeit andererseits zurückgeführt werden können. Daher ist der Blick zunächst auf die weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit zu richten. Dies gibt Aufschluß über diejenigen Abfolgen im Lebenslauf von Frauen, die als typisch gelten. Vor dem Hintergrund dieser Fakten wird die gegenwärtige Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt skizziert und auf Besonderheiten wie die Herausbildung geschlechtsspezifischer Arbeitsmärkte Bezug genommen. Aufbauend auf den so gewonnenen Erkenntnissen werden dann die Bereiche Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet, um einerseits die Bedeutung der Erwerbstätigkeil von Frauen für die Wirtschaft zu beleuchten, zugleich aber auch das Ausmaß der von ihnen geleisteten Haushaltsarbeit offenzulegen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die beschriebene Situation der Frauen im Erwerbs- und Haushaltssektor zu erklären ist. Mit Hilfe der Darstellung verschiedener theoretischer Ansätze aus der Wirtschaftswissenschaft, der Soziologie und der Psychologie werden die unterschiedlichen Erklärungsmuster verdeutlicht. Während sich die Analyse zunächst auf das Erwerbsverhalten von Frauen im allgemeinen bezieht, werden im anschließenden Schritt die besonderen Probleme des Aufstiegs in Führungspositionen herausgearbeitet. Ausgangspunkt dafür ist die Betrachtung der verschiedenen Aufstiegskriterien sowie die Suche nach einem spezifischen Anforderungsprofil für Führungskräfte. Mit Hilfe empirischer Daten wird sodann versucht, die gegenwärtige Situation von Frauen im Führungsbereich zu erfassen. Das sich hierbei abzeichnende Ergebnis einer Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich leitet über zur Frage nach den dafür verantwortlichen Ursachen. Zum Abschluß der Analyse sind kurz Entwicklungstendenzen, die vermutlich einen - positiven oder negativen Einfluß auf die künftigen Erwerbs- und Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen haben, erörtert.
I*
4
Einleitung
Methodisch ist in der Untersuchung die vorhandene Literatur, die sich mit der Situation der Frauen im Berufsleben befaßt, unter dem jeweiligen Blickwinkel der Verfasser kritisch gesichtet und für die Bearbeitung des Problemkomplexes fruchtbar gemacht. Dies gilt sowohl für empirische Studien als auch für theoretische Erklärungsansätze. Obwohl fachlich die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive dominiert, ist die Studie insofern interdisziplinär angelegt, als ganz bewußt der Versuch unternommen wird, auch Erkenntnisse anderer Sozialwissenschaften für eine Differenzierung und Erweiterung der Analyse heranzuziehen. Weiterführend erweist sich dieses Vorgehen vor allem, wenn es darum geht, Tatbestände zu thematisieren und zu problematisieren, die im Rahmen einer wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtung als Prämissen angesehen werden. Abschließend ist - vor dem Hintergrund der hier mit Hilfe einer integrierenden Betrachtungsweise gewonnenen Ergebnisse bzw. Einsichten - die Zweckmäßigkeit von heute praktizierten und diskutierten Möglichkeiten einer Förderung von Frauen im Erwerbssektor einer kritischen Beurteilung unterzogen.
TeilA Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit I. Lebensplanung und Erwerbsbiographie 1. Weibliche Lebensplanung Unter Lebensplanung wird der Versuch verstanden, die verschiedenen individuellen Lebensbereiche den angestrebten Zielen anzunähern. Es handelt sich somit um die langfristige Orientierung an einer biographischen Perspektive, wobei den Wechselwirkungen zwischen einzelnen Teilbereichen eine besondere Bedeutung zukommt. I Lebensläufe von Frauen und Männern zeigen deutliche Unterschiede. Die Gründe dafür lagen in der Vergangenheit weitgehend darin, daß Frauen kaum im außerhäuslichen Bereich tätig waren, sondern ihren Platz vornehmlich in der Familie hatten. Zahlreiche geschlechtsspezifische Vorschriften und Regelungen haben zur Aufrechterhaltung und Fortschreibung dieser Lage beigetragen. Diverse Gesetze "schützten" Frauen vor außerhäuslicher Erwerbstätigkeit sowie der Ausübung scheinbar zu gefahrlieber Berufe und schwerer körperlicher Tätigkeiten. Daher konnten Frauen in ihrer Lebensplanung davon ausgehen, daß sie einen Großteil ihres Lebens allein mit der Erziehung ihrer Kinder verbrachten. Einer Berufstätigkeit wurde lediglich bei einem vorhandenen finanziellen Bedarf und unter Beibehaltung der Familienpflichten nachgegangen. Frauen waren folglich nicht in erster Linie für sich selbst erwerbstätig, sondern für die Familie. Ihre Präsenz auf dem Arbeitsmarkt stand somit auch kaum in Konkurrenz zu den Männern.2 Obwohl heute der überwiegende Teil der diskriminierenden Vorschriften für Frauen in den Bereichen Beruf und Bildung nicht mehr in Kraft ist und Frauen auch nicht mehr die überwiegende Zeit mit der Kindererziehung verbringen, sondern im eigenen Interesse einer Erwerbstätigkeit nachgehen, bestehen noch immer I Vgl. MAYRHOFER (1992). Sp. 1246 f. 2 Vgl. SöRENSEN (1990), S. 307.
6
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
unterschiedliche Lebensläufe von Frauen und Männern. Diese Unterschiede resultieren im wesentlichen aus der weiterhin vorherrschenden Verrichtung der Haus- und Familienarbeit durch die Frau, insbesondere nach der Geburt von Kindern. Der Einstieg in das Berufsleben ist bei Männern dagegen in der Regel mit einer eindeutigen Ausrichtung auf den Beruf und einer möglichen Familienernährerfunktion verbunden, welche die männliche Biographie bestimmen. Demgegenüber spielt die Erwerbstätigkeit in der weiblichen Biographie zumeist keine beherrschende Rolle, sondern ist eher vorläufig und wird den familiären Gegebenheiten angepaßt.3 Während bei der beruflichen Entwicklung von Männern davon ausgegangen wird, daß die Berufstätigkeit vom Berufseintritt bis zur Pensionierung durchweg andauert und höchstens Krankheit oder Arbeitslosigkeit zu einer (erzwungenen) Unterbrechung bzw. Aufgabe der Erwerbsarbeit führen, ist der zeitweilige Austritt aus dem Berufsleben wegen Heirat, Geburt von Kindern oder der Pflege von Familienangehörigen ein Charakteristikum vieler weiblicher Erwerbsbiographien. 4 Kontinuierliche Erwerbsverläufe sind bei Müttern auch heute noch selten anzutreffen.5 Diese Tatsache läßt darauf schließen, daß die Hausarbeit und mit ihr die Familienarbeit nach wie vor überwiegend dem Zuständigkeitsbereich der Frau zugeschrieben wird. Die unterschiedlichen Lebensperspektiven von Frauen und Männern können folglich auch damit erklärt werden, daß Frauen eine gesellschaftlich anerkannte Alternative zur Erwerbstätigkeit haben, die bei Männern - zumindest was die Akzeptanz betrifft - nicht zur Disposition steht. Daher findet bei Männern von Anfang an eine Ausrichtung auf dauerhafte Berufstätigkeit statt. Zwar geht in die Lebensplanung junger Frauen heute die eigene Berufstätigkeit als Selbstverständlichkeit mit ein, vor allem in bezug auf die unmittelbare Phase nach dem Schulabschluß. Die späteren beruflichen Weichenstellungen erfolgen jedoch fast immer vor dem Hintergrund der eingeschränkten zeitlichen Verfügbarkeit, die durch Familienaufgaben bedingt ist. Sofern der Wunsch nach Familiengründung besteht und eine Orientierung an der tra3 Vgl.
BILDEN
(1980), S. 805.
4 Vgl.
LAUTERBACH
(1991), S. 47.
5 Vgl. DIW (1992), S. 250.
I. Leben.vplanung und Erwerbsbiographie
7
ditionellen Mutterrolle stattfindet, ist eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit oft die einzige Möglichkeit, die Kinderbetreuung zu gewährleisten. Die heutige Situation der Frauen ist demnach dadurch gekennzeichnet, daß sich ihre Lebensläufe denen der Männer zwar langsam annähern, die Familienarbeit aber weiterhin den Frauen zugeschrieben wird. Dies hat aber zur Folge, daß der Lebenslauf der meisten Frauen nach wie vor der sog. weiblichen Normalbiographie entspricht, die im nächsten Abschnitt näher beschrieben werden soll. 2. Normalbiographie und Drei-Phasen-Modell Bestimmte zeitliche Abfolgen im Lebenslauf, die für ein Geschlecht als die typische Konstellation gelten, werden als Normalbiographie6 bezeichnet. Diese "normalen" Abfolgen sind gesellschaftlich vororganisiert und werden auch beim Individuum als Norm bzw. Selbstverständlichkeit des weiblichen oder männlichen Lebenslaufs akzeptiert und zugleich antizipiert, indem sie subjektiv nachvollzogen werden.? Die (Normal-)Biographie kann somit als Produkt aus Sozialisations- und Selbstsozialisationsprozessen verstanden werden. 8 In der Biographieforschung wird daher unterschieden zwischen dem gesellschaftlich normierten Lebenslauf durch kulturell vorgegebene (institutionalisierte) biographische Schemata und der eigenständigen biographischen Entwicklung durch das Subjekt. 9 Hierzu zählen eigenständige Planungen, Relativierungen, Umorientierungen und Neuanfänge.IO Das Konzept der weiblichen und männlichen Normalbiographie unterliegt der sozialen Normativität. Das bedeutet, "daß in einzelnen Lebensbereichen das Eintreten spezifischer Lebensereignisse
6 Der in der Soziologie vorgenommenen scharfen Trennung von Biographie und Lebenslauf wird hier nicht gefolgt. Vgl. hierzu HAHN ( 1988), S. 91 ff. 7 Vgl. BILDEN (1980), S. 803. 8 Vgl. KRÜGER/BORN (1990), S. 63. · 9 Vgl. KOHLI (1988), S. 40. 10 V gl. ebenda.
8
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
gesellschaftlich erwünscht ist bzw. erwartet wird" 11. Die "typischen" Lebensläufe von Frauen und Männern sind die Ausgangsbedingungeiner lebenslangen Aneignung der Wirklichkeit.12 Die weibliche Normalbiographie als normatives Konzept weiblicher Lebensgestaltung wird als Sequenz von Berufsarbeit und Familienarbeit gesehen, und zwar als Nacheinander von Beruf, Familie und wieder Beruf.13 Diese Abfolge im weiblichen Lebenslauf wird auch als Drei-Phasen-Modell bezeichnet. Die erste Phase ist durch die Ausbildung und die Berufstätigkeit bestimmt. In der zweiten Phase findet dann die "aktive" Mutterschaft statt, in der sich die überwiegende Mehrheit der Frauen wegen der Familiengründung aus dem Erwerbsleben zurückzieht. Sind die Kinder herangewachsen und verlassen das Elternhaus, beginnt die dritte Phase mit dem Wiedereinstieg in das Berufsleben.14 Diese Typisierung ist auf der Grundlage statistischer Daten der 40er und 50er Jahre aus den USA, Frankreich, Großbritannien und Schweden entstanden und bezieht sich auf verheiratete Frauen, die nicht aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, einer. Erwerbstätigkeit nachzugehen.15 Die Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie ist jedoch auch bei diesen Frauen dadurch eingeschränkt, daß ihnen die besondere Verantwortung für die Kinder zugeschrieben wird.16 Die verschiedenen Phasen sind demnach durch den Wechsel der alternativen Rollen der Frau gekennzeichnet.l7 Damit ist die weibliche Normalbiographie durch die Biographie der Familie geprägt und ergibt sich weitgehend aus den Lebensphasen des Ehemannes und der Kinder. Die zunehmende Bedeutung der außerhäuslichen Erwerbsarbeit für Frauen, die sich insbesondere durch das steigende Interesse an beruflicher Ausbildung in den vergangenen Jahren belegen läßt, eröffnet ihnen nunmehr die Chance, eigenständige Lebensmuster II Vgl. TöLKE (1989). S. 27.
12 Vgl. BILDEN (1980), S. 802. 13 Vgl. KRüGER/BORN (1990), S. 63. 14 Vgl. MYRDALIKLEIN (1971), S. 68 ff. 15 Vgl. ebenda, S. 106 ff. 16 Vgl. ebenda, S. 42. 17 Vgl. KRÜGER/BORN (1990), S. 63.
I. Lebensplanung und Erwerb.~biographie
9
für die Zukunft zu entwerfen und sich damit von den für sie vorgesehenen Lebensformen und den traditionellen Lebensläufen zu distanzieren. Die gesellschaftlichen Werte und Normen in bezugauf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Machtverteilung werden folglich ebenso wie die Ehe als lebenslange Versorgungsinstitution zunehmend in Frage gestellt.l8 Frauen planen ihre Mutterschaft erst im Anschluß an eine qualifizierte Ausbildung und Berufstätigkeit Demzufolge ist das Durchschnittsalter bei der Geburt des ersten Kindes gestiegen. Zugleich steigt auch der Anteil derjenigen Frauen, die nur ein Kind oder kein Kind haben. 19 Dies deutet darauf hin, daß Familien- und Berufsrolle bei der weiblichen Lebensplanung zunehmend gleichrangig gewichtet werden. Im Gegensatz zum Drei-Phasen-Modell wird die Vorrangstellung der Mutterschaft aufgegeben.20 Trotz dieser Entwicklungstendenzen scheint das Drei-PhasenModell als Norm für die Lebensgestaltung der Frau, in der die Berufslaufbahn zugunsten einer Familienphase unterbrochen wird, weithin nach wie vor Gültigkeit zu besitzen. Nach einer repräsentativen Befragung des Deutschen Jugendinstituts von 1988/89 im alten Bundesgebiet gaben 63 % der Befragten ihre Zustimmung dafür, daß Mütter von Kindern unter drei Jahren ihre Berufstätigkeitunterbrechen sollten, um ganz zu Hause sein zu können. Weitere 12% sprachen sich für einen Verzicht auf Erwerbstätigkeit von Mutter oder Vater aus.21 Eine andere repräsentative Untersuchung des Instituts für praxisorientierte Sozialforschung (lpos), Mannheim, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Hier sind 30% der befragten Westdeutschen der Meinung, daß für die Betreuung von kleinen Kindern in erster Linie die Mutter zuständig sei. Die übrigen 70 % sprechen sich für eine gemeinsame Betreuung von Vater und Mutter aus.22 Gleichwohl vertritt rund die Hälfte der Befragten aus dem alten Bundesgebiet die Auffassung, daß die Frau nach der Geburt eines Kindes eine lange Berufspause einlegen (40 %) oder den Beruf ganz auf18 Vgl. GE!SSLER (1990),
s. 65.
.
19 Vgl. Bundesminister für Frauen und Jugend (1992a), S. 72 f. 20 Vgl. MILZ (1984), S. 166. 21 Vgl. BERTRAM ( 1990), S. 3. 22 Vgl. Bundesministerfür Frauen und Jugend (1992b), S. 57.
10
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
geben (9 %) sollte. Für den dreijährigen Erziehungsurlaub sprechen sich 41 % aus und lediglich 7 %23 sind dafür, nur den gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschaftsurlaub als Familienphase zu nehmen.24 Diese Umfrageergebnisse zeigen, daß auch heute noch eine Koppelung der Biographie der Frau mit der Familienbiographie (zumindest normativ) existiert. Noch immer wird von der Frau erwartet, daß sie es ist, die eine Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit gewährleistet. Die weibliche Familienrolle findet demnach weiterhin Akzeptanz. Einerseits gewinnt somit das Leitbild der erwerbstätigen, unabhängigen Frau an Bedeutung, andererseits besteht jedoch die gesellschaftliche Zuweisung der Familienaufgaben an Frauen ebenso wie die Übernahme der Verantwortung für diesen Bereich durch sie weiter fort. Diese doppelte Sozialisation in bezug auf Familienund Erwerbsarbeit verlangt, gegensätzlichen Rollenerwartungen und Anforderungen gleichermaßen gerecht zu werden. Daraus resultierende Ambivalenzen zeigen sich immer wieder an biographischen Umbrüchen, wie etwa Brüchen in der Erwerbsbiographie.25 Während bei Männern die Gründung einer Familie eher zur verstärkten Ausrichtung auf die Erwerbsarbeit führt (klassische Ernährerfunktion des Mannes), kommt es bei der Frau häufig zu einer Infragestellung der Erwerbstätigkeit Die Priorität der Familienarbeit erfordert von ihr meist eine Berufsunterbrechung oder Teilzeitarbeit 26 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß ein Drei-Phasen-Modell als normatives Lebenskonzept der Frau weiterhin existiert. Das Bestehen dieser weiblichen Normalbiographie führt dazu, daß Frauen am Arbeitsplatz und generell am Arbeitsmarkt mit der möglichen (vorübergehenden) Alternativrolle der Hausfrau konfrontiert werden, die zu einer Unterbrechung oder auch völligen Aufgabe der Berufstätigkeit führen kann, obwohl es für die Frauen 23 Im Osten sind 12 % der Befragten für den Mutterschaftsurlaub, 71 % für den Erziehungsurlaub, aber nur 14 % für eine lange Berufspause bzw. 2 %dafür, die Berufstätigkeit aufzugeben. 24 Vgl. Bundesminister für Frauen und Jugend (1992b ), S. 40 ff. 25 Vgl. SCHIERSMANN (1991),
S.
26 Vgl. GEISSLER (1990), S. 59.
66.
/. Leben.vplanunl( und Erwerb.vbiol(raphie
II
selbst keine einheitliche Normalbiographie mehr gibt, sondern eine Vielzahl von Lebensentwürfen, die zur Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche beitragen. 3. Berufsunterbrechung und Berufsausstieg
Im Gegensatz zur beruflichen Entwicklung der Männer, die überwiegend durch Kontinuität gekennzeichnet ist, wird die weibliche Erwerbsbiographie häufig durch die Merkmale Berufsunterbrechung, Teilzeitarbeit, Ausstieg und Rückkehr in das Berufsleben charakterisiert. Im April 1991 zählten 62,1 %der weiblichen Bevölkerung im Alter von 15 bis 65 Jahren zu den Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Arbeitslose).27 Den größten Teil der Nichterwerbstätigen stellen Mütter, die wegen der Betreuung ihrer Kinder die Berufstätigkeit unterbrochen oder ganz aufgegeben haben. Beeinflußt wird die Erwerbsquote der Frauen dabei vom Alter und der Zahl der Kinder. Im April 1991 lag die Erwerbstätigenquote (ohne Erwerbslose) von Frauen mit Kindem unter 6 Jahren bei 50,1 %. Bei den Frauen mit Kindern unter 18 Jahren betrug sie bereits 59,1 %. 28 Die Erwerbstätigenquote nimmt allerdings mit steigender Kinderzahl ab.29 Die Erwerbsbeteiligung im weiblichen Lebenslauf läßt sich durch das Hinzuziehen des Sozio-ökonomischen Panels (Soep)30, das repräsentative Informationen über den Erwerbsverlauf und die Familiengründung liefert, näher bestimmen. 31 Nahezu alle Frauen der jüngeren Jahrgänge (1940 und später) sind zwar zunächst berufstätig gewesen, aber der Anteil der konti27 Vgl. Statistisches Bundesamt (1993a), S. 110. 28 Vgl. Statistisches Bundesamt (1993b), S. 301. 29 Vgl. Statistisches Bundesani (1991 ), S. 795. 30 Das Sozio-ökonomische Panel ist eine Stichprobenerhebung im Rahmen der Bevölkerungs- und Erwerbsstatistik. Seit 1984 werden damit durch Wiederholungsbefragungen regelmäßig repräsentative Mikro-Längsschnittdaten über Personen und Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland bereitgestellt. Vgl. hierzu Projektgruppe "Das Sozio-ökonomische Panel" ( 1990), S. 141 ff. 31 Die hier zugrunde gelegte Auswenung bezieht sich auf die Ergebnisse der Befragungen von deutschen Frauen bis zum Gebunsjahrgang 1968, und zwar von Müttern, die an allen sechs Befragungswellen in den Jahren 1984 bis 1989 teilgenommen haben. Vgl. DIW (1992), S. 249 ff.
20
1940-49
8,7
4,9
-
0,0
10,9
8,5
12,7
7,1
-
-
0,0
~
~
E"" ;:s
1:::
~
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" if
:::
5.:
~
~ ::::.: ~
25 3J 31,3 38,9
54,1 31,8
Quelle: Sozio-ökonomisches Panel (West), zitiert nach DIW (1992), S. 251.
1950-59
19,6
6,4
-
0,0
~..
~:
~
14,3
29,4
27,1
22,4
-
0,0
in weiteren Erwerbs-/ Nichterwerbsphasen
Zeichenerklärung: - = keine Angaben, da Fallzahl unter 20. (I) Deutsche Frauen, die kontinuierlich an den ersten sechs Befragungswellen des Sozio-ökonomischen Panels ( 1984 bis 1989) teilgenommen haben. Betrachtet wurde die Biographie auch vor der Geburt des (ersten) Kindes. (2) Nach einer Erwerbsphase. (3) Nach zwei Erwerbsphasen. (4) Dieses Altersjahr wurde 1989 nur etwa von der Hälfte der Geburtsjahrgangsgruppe erreicht.
73,1
27,2
18,7
41,2 33,3
22,4
26,9
13,5
47,3
33,2
-
5,0
11,0 38,6
78,3 52,1
in der2. Nichterwerbsphase (3)
i~
-
-
-
-
10,3
Bis zum Alter i waren die Frauen der Geburtsjahr~ ang_e .... noch inder1. niemals in der2. kontinuierlich erwerbsim Beruf NichterErwerbs(1. Erwerbstatig werbsphase phase) phase (2)
N
0,0
20
45(4)
40
35
25 3J
Alter (i)
Erwerbsbiographie von Müttern (1) nach Geburtsjahrgangsgruppen und Alter (Anteile an der Geburtsjahrgangsgruppe in Prozent)
Geburtsjahrgange
Tabelle 1:
I. LebensplanunK und Erwerbsbiol(raphie
13
nuierlich Berufstätigen32 ist gering (siehe Tabelle 1). Von den Jahrgängen 1940 bis 1949 waren bis zu ihrem 40. Lebensjahr etwas mehr als ein Fünftel (22,4 %) der Frauen ohne Unterbrechung berufstätig. Bei den jüngeren Jahrgängen (1950-1959) sind bis zu ihrem 25. Lebensjahr etwa die Hälfte aller Befragten (54,1 %) und bis zum 30. Lebensjahr nur noch ein Drittel (30,8 %) kontinuierlich im Beruf gewesen. Damit hat ein Großteil der Mütter bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Berufstätigkeit (vorübergehend) aufgegeben. 33 Im Gegensatz zu früheren Generationen geben die Frauen heute allerdings zumeist erst dann ihren Beruf auf, wenn sie ein Kind zu betreuen haben und nicht bereits bei der Eheschließung. 34 Die erste Berufsunterbrechung dauerte bei über 37 % der befragten Mütter zwischen einem und drei Jahren. Werden Nichterwerbsphasen bis zu sechs Jahren betrachtet, so erhöht sich der Anteil auf 60 %. Eine Vielzahl der Berufsrückkehrerinnen hat somit eine relativ kurze Unterbrechung der Erwerbstätigkeit aufzuweisen. Dieses Ergebnis bleibt auch bei einer Hinzunahme der zweiten Nichterwerbsphase unverändert, die bei den meisten Frauen zwischen einem und sechs Jahren beträgt (siehe Tabelle 2). Nach der Rückkehr in den Beruf bleibt über die Hälfte der Frauen dann längerfristig (mehr als 10 Jahre) erwerbstätig. Dabei nehmen die Mütter zum größten Teil (im Durchschnitt mehr als 60 %) nach der Familienphase eine Teilzeitbeschäftigung an. Frauen mit nur einem Kind sind häufiger (zu über 40 %) vollzeitbeschäftigt als Frauen mit zwei oder mehr Kindern. 35 Die durchschnittliche Dauer der kumulierten Erwerbsphasen von Frauen nach der Geburt des ersten Kindes bis zum 45. Lebensjahr ist merklich angestiegen, von sechs Jahren bei den Jahrgängen 1900 bis 1919 auf rund 10 Jahre bei der jüngsten zu beobachtenden Gruppe. Am größten ist der Anstieg bei den Frauen mit einem 32 Als Erwerbsphasen werden alle Zeitspannen von mindestens einem Kalenderjahr angesehen, in denen die Befragte erwerbstätig (hierzu zählt auch die berufliche Ausbildung) oder arbeitslos war. Dementsprechend sind Erwerbsunterbrechungen Zeiten ohne Berufstätigkeit oder gemeldete Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr. 33 Vgl. DIW (1992), S. 250. 34 Vgl. LAUTERBACH (1991), S. 47.
35 Vgl.
SCHUL:ziKIRNER
(1992), S. 45.
14
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
oder zwei Kindern, was mit der starken Zunahme der Teilzeitbeschäftigung erklärt werden kann. 36 Tabelle 2:
Länge der Nichterwerbsphasen von Berufsrückkehrerinnen (Mütter) bis zum Alter von 45 Jahren I
Jahre I bis 3 4 bis6 7bis9 10 bis 12 13 bis 15 16 bis 20 21 und mehr
I. Phase
2. Phase
3. Phase
37 20 13 11 8 9 2
36 18 12 9 11 11
41 24
.u 1
10 Q
~
I Angaben in Prozent. Unterstrichene Werte: Fallzahlen unter 20. Quelle: Sozio-ökonomisches Panel (West), zitiert nach ScHuLZIKIRNER ( 1992), S. 43.
Es ist zu vermuten, daß Frauen, die eine längere Schul- oder Berufsausbildung haben, in größerem Maße versuchen werden, die Erwerbstätigkeit entweder gar nicht oder lediglich kurzfristig zu unterbrechen, da eine bessere Ausbildung zu höheren Verdienstmöglichkeiten führt, wodurch die Opportunitätskosten der Familienarbeit steigen. 37 Zudem ist eine Berufsrückkehr auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz häufig nicht mehr möglich, insbesondere nach einer langfristigen Unterbrechung, in der frühere Qualifikationen entwertet werden (Dequalifizierungsprozeß) und dies vielfach einen Verzicht auf berufliche Karriere bedeutet. 38 36 Vgl. DIW (1992), S. 255. 37 Unter Zugrundelegung der Daten des Soep ist die Schätzung gemacht worden, daß bei einer IOjährigen Familienphase etwa ein Drittel des potentiellen Lebenseinkommens als Einkommensverlust anzusetzen ist. Vgl. hierzu GALLER ( 1991 ), s. 144. 38 Vgl. SCHULziKIRNER (1992), S. 48.
/. Lebensplanung und Erwerbsbiographie
15
Die Ergebnisse des Sozio-ökonomischen Panels bestätigen diese Aussage. Frauen, die ihre Berufstätigkeit nicht unterbrechen, haben wesentlich häufiger einen Fach- oder Hochschulabschluß als Berufsrückkehrerinnen und Hausfrauen.39 Der Anteil der Frauen mit Realschulabschluß ist bei Rückkehrerinnen wiederum größer als bei Hausfrauen. Überdurchschnittlich häufig (46 %) besitzen Hausfrauen keine Berufsausbildung. Dieser Anteil ist jedoch bei der jüngeren Generation rückläufig.40 Stark angestiegen ist die Zahl der Berufsrückkehrerinnen, die nach einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit bis zum 45. Lebensjahr wieder berufstätig sind. Ihr Anteil hat sich von 32 % (Kohorten 1900 bis 1919) auf über 55 % (Kohorten 1940 bis 1949) erhöht. Die meisten dieser Rückkehrerinnen weisen in ihrer Erwerbsbiographie einen Wechsel von Berufstätigkeit zur Hausarbeit und wieder zur Berufstätigkeit im Sinne des Drei-Phasen-Modells auf. Ihr Anteil an allen Müttern beträgt bei den Geburtsjahrgängen 1940 bis 1949 über 42 %, bei den Berufsrückkehrerinnen beläuft er sich sogar auf etwa 80 %.41 Die Auswertung des Sozio-ökonomischen Panels zeigt, daß weibliche Lebensläufe mit zwei Erwerbsphasen und einer Unterbrechung keine Seltenheit sind. Zugleich ist davon auszugehen, daß zukünftig die Zahl der Mütter, die nach der Familienphase eine Rückkehr ins Erwerbsleben anstreben, noch größer wird. Dafür sprechen das höhere Ausbildungsniveau der Frauen einerseits und die zurückgehende Kinderzahl auf der anderen Seite. Hinzu kommt ein höheres Risiko von Ehescheidungen, wodurch der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit der Frau verstärkt wird. 42 Gleichwohl wird der Erwerbsverlauf von Müttern durch die Familienarbeit negativ beeinträchtigt.43 Zukünftige Karrierechancen sinken durch eine Berufsunterbrechung ganz erheblich. Die Be39 Frauen, die entweder niemals erwerbstätig gewesen sind oder ihre Berufstätigkeit nach einer Erwerbsphase aufgegeben haben.
40 v gl. ScHuLZIKIRNER (1992), S. 49 f. 41 Vgl. ebenda, S. 38 f. 42 Vgl. DIW (1992), S. 255 ff. 43 Zu diesem Ergebnis kommt eine Lebensverlaufsstudie des Max-Pianck-Instituts für Bildungsforschung. Vgl. hierzu HUININK (1989), S. 136 ff.
16
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
nachteiligung ist um so größer, je länger die Unterbrechung andauert und je größer die Zahl der Kinder ist.44 4. Wiedereinstieg in das Berufsleben Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (lAB) kehren jährlich über 300.000 Frauen nach einer Unterbrechung45 der Erwerbstätigkeit in den Beruf zurück. 46 Gleichwohl erweist sich die Berufsrückkehr, vor allem in Abhängigkeit von der jeweiligen Arbeitsmarktlage, in vielen Fällen als schwierig. Wiedereingegliederte Frauen arbeiten häufiger in befristeten Arbeitsverhältnissen bzw. in Teilzeit als kontinuierlich berufstätige Frauen und zudem häufiger als vor einer Unterbrechung unterhalb ihres Ausbildungsniveaus.47 Für die Probleme der Wiedereingliederung wird in erster Linie der partielle Qualifikationsverlust während der Unterbrechungsphase verantwortlich gemacht. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine umfassende Studie der Forschungsstelle für Betriebswirtschaft und Sozialpraxis e. V., in der die Wiedereingliederung von Frauen in qualifizierte Berufstätigkeil nach längerer Unterbrechung untersucht wurde. 48 Die Höhe des Qualifikationsverlustes ist insbesondere von der Dauer der Berufsunterbrechung, den Veränderungen im beruflichen Tätigkeitsfeld (z. B. durch organisatorischen und technischen Wandel) sowie der Persönlichkeit der Frau abhängig.49 Die Betätigung im Haushalt und in der Familie während der Unterbrechung fördert hauptsächlich solche Qualifikationskomponenten, die in der außerhäuslichen Erwerbsarbeit eher eine geringe Rolle spielen.SO
44 Vgl. ebenda, S. 155. 45 Neben familienbedingten Unterbrechungen zählen hierzu auch arbeitsmarktoder krankheitsbedingte sowie sonstige Unterbrechungen. 46 Vgl. ENGELSRECH (1989), S. 100. 47 Vgl. ebenda, S. 101. 48 Vgl. GAUGLER (1984). 49 Vgl. GAUGLER (1985), S. 312 f .. 50 V gl. ebenda.
/. Lebensplanung und Erwerbsbiographie
17
Von den Frauen selbst wurden vor allem die folgenden bestehenden Defizite genannt:51 - Verlust an organisationsrelevanten Verhaltensweisen (hierzu zählen geistige Flexibilität, Fähigkeiten im Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Ausdrucksvermögen, Beherrschung der beruflichen Fachsprache), -Verlust an Selbstbewußtsein, -Verlust an fachlichem Wissen, - Verlust an Durchsetzungsvermögen. Neben dem Verlust beruflicher Fähigkeiten werden als weitere Schwierigkeiten bei der Berufsrückkehr im wesentlichen folgende genannt:52 - Doppelbelastung durch Beruf und Hausarbeit, - andere Zeiteinteilung gegenüber der Hausarbeit, - Probleme infolge von Innovationen, -Veränderungen des Berufsbildes und der Arbeitsinhalte, - gestiegene Anforderungen, - mangelnde Unterstützung durch die Familie, - mangelnde Unterstützung durch Kollegen. Hinzu kommen fehlende Teilzeitarbeitsplätze, mangelnde Flexibilität der Arbeitszeiten sowie unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten.53 Im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Rückkehr in das Berufsleben stehen auch die dafür vorgebrachten Beweggründe. Bei etwa zwei Dritteln der Wiedereinsteigerinnen sind immaterielle Gründe, wie der Spaß an der Berufstätigkeit, mangelnde Auslastung durch Familienarbeit, neue Herausforderungen etc., vorherrschend. 54 Das Interesse am Beruf, das sich im Wunsch nach neuen 51 Vgl. GAUGLER (1984), S. 100 f. 52 Vgl. ebenda, S. 103 53 Vgl. ENGELSRECH (1989), S. 103 54 Vgl. GAUGLER (1985), S. 311. 2 Wiegand
18
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Aufgaben und sozialen Kontakten äußert, steht dabei im Vordergrund.55 Um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rückkehr zu verbessern, erscheint eine (möglichst berufsorientierte) Weiterbildung während der Unterbrechungszeit empfehlenswert. Dies ermöglicht eine relativ rasche Integration im Beruf sowie die Chance, die in den meisten Fällen niedrige Ausgangsposition beim Wiedereinstieg durch einen späteren Aufstieg verlassen zu können. 56 Eine zusätzliche Hilfe ist die Aufrechterhaltung des Kontaktes zum früheren Arbeitgeber, beispielsweise durch gelegentliche Aushilfen und Vertretungen.57 Die Unternehmen können ihrerseits den Wiedereinstieg durch gezielte Maßnahmen, wie Einführungsschriften, individuelle Betreuung durch den Vorgesetzten oder den Betriebsrat, Bildungsmaßnahmen und stufenweise Einarbeitung erleichtern.58 Auch die Bundesregierung, die in der Wiedereingliederung von Frauen in das Erwerbsleben nach der Kindererziehung einen Schwerpunkt ihrer Frauenpolitik sieht59, fördert Berufsruckkehrerinnen im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Nach der 7. Novelle des AFG kann eine Frau (oder ein Mann) für jedes von ihr (ihm) betreute Kind fünf Jahre die Erwerbstätigkeit unterbrechen, ohne die zuvor erworbenen Anrechte auf Leistungen nach dem AFG zu verlieren.60 In diesem Rahmen werden von der Bundesanstalt für Arbeit beim Wiedereintritt in das Berufsleben Umschulungen und berufliche Weiterbildungsmaßnahmen gefördert, Unterhaltsgeld bei Teilnahmen an entsprechenden Kursen gezahlt und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vermittelt. Außerdem kann der Arbeitgeber einen Einarbeitungszuschuß für die Dauer der Einarbeitung (maximal für ein Jahr) erhalten. 61 Im Jahr 1990 wurden im Jahresdurchschnitt über 32.000 Frauen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt (altes Bundesgebiet). Bei den beruf55 Vgl. GAUGLER (1984), S. 62. 56 Vgl. GAUGLER (1985), S. 314. 57 Vgl. ebenda. 58 Vgl. ebenda. 59 Vgl. Bundesminister für Frauen und Jugend (1992a), S. 69. 60 Vgl. ebenda, S. 56. 61 Vgl. ebenda, S. 31.
/. Lebensplanung und Erwerbsbiographie
19
liehen Förderungsmaßnahmen (Fortbildung, Umschulung, betriebliche Einarbeitung) betrug der Anteil der Frauen 42,9 %. 62 Diese Maßnahmen der Bundesregierung bleiben allerdings insofern einseitig, als die Probleme der Kinderbertreuung nicht gelöst werden. Die Berufsrückkehr wird insbesondere dadurch behindert, daß die Unterrichts- und Ferienzeiten der Schüler zumeist keine geregelte Halbtagstätigkeit erlauben. An einem ausreichenden Angebot von (schulergänzenden) Kinderbetreuungsmöglichkeiten mangelt es. Wird aus diesem Grunde die Berufstätigkeit von einem Elternteil (zeitweise) aufgegeben, so entstehen neben dem direkten Einkommensverlust zusätzliche indirekte Kosten für die Familie, welche das Aufziehen von Kindern in finanzieller Hinsicht noch erschweren. 5. Opportunitätskosten der Haushalts- und Familienarbeit Die Entscheidung zugunsten einer Tätigkeit in Haushalt und Familie bedeutet zugleich einen Verzicht auf andere (nutzenstiftende) Alternativen. Es entstehen somit Opportunitätskosten in Form von materiellen und immateriellen Einbußen aufgrund der getroffenen Entscheidung. So steht bei einer Tätigkeit in Haushalt und Familie die dafür verwandte Zeit nicht mehr für andere Verwendungsarten, wie etwa Erwerbstätigkeit oder Freizeit, zur Verfügung, die demzufolge eingeschränkt werden müssen. In den meisten Fällen ist es die Frau, die zur Übernahme der Haushaltsund Familienarbeit die Berufstätigkeit einschränkt oder (vorübergehend) ganz aufgibt. Eine solche Einschränkung oder Aufgabe der Erwerbstätigkeit führt kurzfristig zu einem Einkommensausfall, der den direkten materiellen Opportunitätskosten der Haushalts- und Familientätigkeit entspricht. Darüber hinaus entstehen jedoch noch weitere Kosten, die allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt anfallen. Hierbei handelt es sich in erster Linie um eine Verschlechterung der Erzielung zukünftiger Einkommen sowie um verminderte Sicherungsansprüche, vor allem in der Alterssicherung. 63
62 Vgl. ebenda, S. 56. 63 Vgl. GALLER (1991), S. 118 ff. 2*
20
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Ein Teil der Einkommensverluste wird durch das Steuersystem und durch Transferleistungen ausgeglichen. Der Progressionseffekt im deutschen Einkommensteuersystem und die Möglichkeit des Ehegattensplittings tragen bei sinkendem Familieneinkommen zu einer Verringerung der Steuerbelastung bei. Hinzu kommt noch die beitragsfreie Mitversicherung nichterwerbstätiger Familienangehöriger in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Sind zudem Kinder in der Familie vorhanden, werden weitere kindbezogene Transfers (Kindergeld, Kinderfreibeträge) gewährt, die jedoch quantitativ weniger ins Gewicht fallen als die ehebezogenen Transfers (z. B. beitragsfreie Mitversicherung nichterwerbstätiger Familienmitglieder in der Gesetzlichen Krankenversicherung) innerhalb des sog. Familienlastenausgleichs. 64 Diese Steuererleichterungen bzw. Transferzahlungen können die entstehenden Einkommensverluste zwar schmälern, nicht aber kompensieren. Empirische Schätzungen mit darauf aufbauenden Modellrechnungen für die Bundesrepublik Deutschland zeigen, daß die Einkommensverluste einer Frau - bezogen auf ihr potentielles Nettolebenseinkommen - zwischen 10% bei einer Unterbrechung von drei Jahren und 30 % bei einer zehnjährigen Unterbrechung liegen. Bei einer Teilzeitbeschäftigung anstelle einer Unterbrechung sinken die Einkommensverluste auf etwa 4% bzw. 14% des potentiellen Lebenseinkommens. 65 Dies bedeutet aber gerade für die höher qualifizierten Erwerbstätigen einen beachtlichen Einkommensverlust infolge einer Berufsunterbrechung. Die Opportunitätskosten der Arbeit in Haushalt und Familie nehmen demnach mit steigender Berufsqualifikation zu. Die geringere Bereitschaft gut ausgebildeter Frauen zu einer (längeren) Erwerbsunterbrechung läßt sich vor dem Hintergrund einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse plausibel erklären. Auch die gegenwärtigen familienpolitischen Rahmenbedingungen scheinen, wie nachfolgend gezeigt wird, wenig geeignet zu sein, diesen Tatbestand zu ändern.
64 Vgl. ebenda. 65 Vgl. ebenda, S. 143.
I. Lebensplanung und Erwerbsbiographie
21
6. Familienpolitische Rahmenbedingungen Obwohl staatliche Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie grundsätzlich von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden können, scheinen sie doch weiterhin am Leitbild der Mutter, die zugunsten der Kinderbetreuung die Erwerbstätigkeit aufgibt oder zumindest stark einschränkt, orientiert zu sein. Darauf deutet die Ausgestaltung der staatlichen Transferzahlungen und der anderen Unterstützungsmaßnahmen hin, die überwiegend im Hinblick darauf erfolgt, daß ein Elternteil die Berufstätigkeit (vorübergehend) ganz oder teilweise aufgibt. Dies zeigt sich insbesondere bei der Inanspruchnahe des Erziehungsurlaubs bzw. des Erziehungsgeldes. Hier ist die Aufgabe der Erwerbstätigkeit bzw. die Einschränkung auf eine sozialversicherungsfreie, geringfügige Beschäftigung eines Elternteils die notwendige Voraussetzung, um die entsprechenden Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Danach erhalten Frauen (und Männer), die vor der Geburt des Kindes nicht erwerbstätig waren, Erziehungsgeld und rentenrechtliche Erziehungszeiten66, wohingegen diejenigen, die nach der Geburt des Kindes weiterhin erwerbstätig bleiben (müssen), diese Leistungen nicht beanspruchen können. 67 Die bestehenden Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie richten sich somit in erster Linie auf eine bewußte Ausgliederung eines Elternteils aus dem Arbeitsmarkt sowie die spätere Wiedereingliederung, wobei die Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das Berufsleben68 sowohl vom Umfang als auch von der Wirkung ein geringeres Gewicht haben als die Anreize zur Berufsunterbrechung. Eine Strategie der gezielten Teilzeitförderung in Verbindung mit dem Ausbau außerhäuslicher Kinderbetreuungseinrichtungen wird in der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten nicht verfolgt. Dies legt den Schluß nahe, daß die Nichterwerbstätigkeit eines Elternteils sowie die damit verbundene Erziehung innerhalb
66 Diese Regelung ist, obgleich sie auch von Männem in Anspruch genommen werden kann, in den 80er Jahren explizit als Anerkennung der Erziehungsleistung der Frau eingeführt worden. 67 V gl. auch LANDENBERGER (1991 ), S. 269 . . 68 Zu diesen Maßnahmen zählen Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie Einarbeitungszuschüsse für den Arbeitgeber.
22
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
der Familie zumindest in der Kleinkindphase staatlich präferiert und daher entsprechend gefördert wird. Die Vermutung, die staatliche Familienpolitik definiere die Kindererziehung nach wie vor weitgehend als private Aufgabe der Familien, wird verstärkt durch die Tatsache, daß die meisten Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeil von Beruf und Familie weniger eine parallele Vereinbarkeil (z.B. Teilzeitarbeit und Familienarbeit), als vielmehr eine Vereinbarkeil im Zeitablauf (Berufsunterbrechung - Familie - Wiedereinstieg) ermöglichen (sollen). Neben dem unzureichenden öffentlichen Angebot an Einrichtungen zur Kinderbetreuung trägt auch die Organisation der Grundschule dazu bei, da diese keine Halbtagsschule ist und somit die Verfügbarkeil eines Elternteils unterstellt, wodurch häufig selbst eine Teilzeitbeschäftigung ausgeschlossen wird. 69 Die Folge ist, daß ein am Normalarbeitszeitverhältnis orientiertes Erwerbsmuster beider Elternteile nur denjenigen offensteht, die eine private Kinderbetreuung organisieren können. 70 Da jedoch nur sehr begrenzte Möglichkeiten gegeben sind, die dabei entstehenden Kosten als Werbungskosten steuerlich abzusetzen, ist eine Erwerbstätigkeit der Mutter unter finanziellen Gesichtspunkten häufig nicht lohnend. Zudem werden bei einer gemeinsamen Veranlagung von Ehepaaren dann die höchsten relativen Steuerersparnisse erzielt, wenn ein Ehepartner gar kein versteuerbares Einkommen hat.71 Da trotz der Steuerprogression die Erwerbsbeteiligung der Frauen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, ist zu fragen, worauf diese Entwicklung beruht und um welche Arbeitsverhältnisse es sich dabei handelt. Nur vor diesem Hintergrund können Rückschlüsse auf ein möglicherweise bestehendes Spannungsverhältnis zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit gezogen werden.
69 Vgl. PFAU-EFFINGERIGEISSLER (1992), S. 364. 70 Vgl. ebenda, S. 362. 71 Vgl. ebenda, S. 364.
II. Frauen auf dem Arbeitsmarkt
23
II. Frauen auf dem Arbeitsmarkt
I. Erwerbstätigkeit 1.1 Entwicklung der Erwerbsbeteiligung
Im alten Bundesgebiet waren im April 1990 von den rund 11,7 Millionen erwerbstätigen Frauen 58,2 % als Angestellte und 27,6% als Arbeiterinnen tätig. Weitere 4,7% der weiblichen Erwerbstätigen waren Beamtinnen und 5,3 % Selbständige. Die verbleibenden 4,2 % der erwerbstätigen Frauen waren mithelfende Familienangehörige. 72 Die Zahl der selbständigen Frauen lag im April 1990 bei 628 000. Dies war fast ein Viertel der insgesamt 2,6 Millionen Selbständigen.73 Die Erwerbsquote7 4 der Frauen im früheren Bundesgebiet75 hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten um 10 Prozentpunkte von 49 % im Jahr 196076 auf 59,5 %77 im Jahr 1992 erhöht, während sich die Erwerbsquote der Männer in diesem Zeitraum ziemlich konstant um 80 % bewegte. Diese Durchschnittswerte geben jedoch ein zu undifferenziertes Bild wieder, da sie nichts über die Veränderungen innerhalb bestimmter Altersgruppen aussagen. Das Erwerbsverhalten von Frauen und Männern unterscheidet sich auch durch die jeweiligen altersspezifischen Erwerbsquoten (siehe Schaubild I).
72 Vgl. Bundesministerfür Frauen und Jugend (1992a), S. 47. 73 Vgl. ebenda. 74 Die Erwerbsquote gibt den Anteil der im erwerbsfähigen Alter (15-65 Jahre) stehenden Personen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der Gesamtbevölkerung an.
15 Die Betrachtung bleibt auf die alten Bundesländer beschränkt, da sich die Erwerbstätigenstruktur in den neuen Bundesländern - obwohl Anpassungstendenzen erkennbar sind - völlig anders darstellt. Hier gingen im Jahr 1989 91 % der 15 60jährigen Frauen einer Erwerbstätigkeit oder einer Ausbildung nach. 76 Vgl. GEISSLER (1991), S. 14. 77 Vgl. Statistisches Bundesamt (1993b), S. 31.
24
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Schaubild I: Altersspezifische Erwerbsquoten von Frauen und Männern (früheres Bundesgebiet) % % 100 .-------------------------------------------~ 100
80
80
60
60
40
20
0
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
Alter von ... bis unter ... Jahren
Quelle: Erste Ergebnisse des Mikrozensus April 1991, in: Wirtschaft und Statistik, Heft 9/92.
Die Erwerbsquoten der Männer steigen typischerweise bis zum Alter von 35- 40 Jahren an, erreichen hier ihr Maximum (von über 90 % ), gehen dann langsam zurück und fallen ab dem Alter von 60 deutlich. Bei Frauen ist ein drastischer Rückgang der Erwerbsquote zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr zu beobachten und ein Wiederanstieg zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr, allerdings nicht mehr auf das ursprüngliche Niveau.78 Dagegen entsprechen
25
II. Frauen auf dem Arbeitsmarkt
die Erwerbsquoten der ledigen Frauen über alle Altersstufen hinweg weitgehend denen der Männer. Schaubild 2: Altersspezifische Erwerbsquoten verheirateter, mit . ihrem Ehepartner zusammenlebender Frauen im Alter von 20 bis unter 60 Jahren mit und ohne Kinder ~ 100
10
10
70
100
---- --- ----- . . . . .
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Ohne Kinder
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10
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Insgesamt
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30
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20
10
10
0
0 -r I I I ' ' 20-25 25-30 30-35 35-40 40-45 45-50 50-55 55-60 'T
I
Alter von ... bis unter ... Jahren
Quelle: Erste Ergebnisse des Mikrozensus April 1990, in: Wirtschaft und Statistik, Heft 12/91.
78 Vgl.
MAlER
(1993), S. 260.
26
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerb.1tätigkeit
Die Frauenerwerbsquote ist sowohl in jüngeren als auch in älteren Jahrgängen aufgrund von längeren Ausbildungszeiten und des frühen Renteneintrittsalters gesunken. Daraus resultiert eine überdurchschnittlich gestiegene Erwerbsquote bei den Frauen zwischen 30 und 50 Jahren79. Diese Entwicklung läßt sich vor allem auf eine zunehmende Berufstätigkeit von verheirateten Frauen und Müttern mit Kindem zurückführen. Während die Erwerbsquote der verheirateten bzw. mit dem Partner zusammenlebenden Frauen 1972 noch 40,7 % betrug, lag sie 1990 bereits bei 49 %80. Allerdings nimmt die Erwerbstätigkeit mit steigender Kinderzahl ab. 81 Der Einfluß der Geburt eines Kindes wird bei einem Vergleich der Erwerbsquoten von verheirateten Frauen mit Kindem deutlich (siehe Schaubild 2). Daneben sind die Erwerbsquoten auch vom jeweiligen Ausbildungsniveau abhängig. So ist bei Akademikerinnen die Erwerbsbeteiligung vom 25. Lebensjahr an mit 75 % bis 80% sehr hoch. 82 Bei den Frauen mit einem Berufsschul- oder Handelsschulabschluß ist die Erwerbsquote bis zum 24. Lebensjahr höher als bei den Akademikerinnen, schwankt danach aber um 60 % (siehe Schaubild 3). 83 Gleichwohl ist festzustellen, daß sich innerhalb der Gruppen mit gleicher Ausbildung kein eindeutiger Anstieg der Erwerbsbeteiligung jüngerer Generationen im Vergleich zu früher Geborenen nachweisen läßt. 84 Dies deutet darauf hin, daß die in den letzten Jahren zu beobachtende Zunahme der Erwerbsbeteiligung von Frauen wohl größtenteils auf das zunehmende Bildungsniveau zurückzuführen ist.
79 Vgl. ebenda. 80 Vgl. Statistisches Bundesamt (1992a) S. 118. 81 Vgl. ebenda. 82 Vgl. DIW (1987), S. 395. 83 Vgl. ebenda. 84 Vgl. ebenda.
II. Frauen a~(dem Arbeit.!markt
27
Schaubild 3: Erwerbsquoten nach Alter und beruflichem Ausbildungsabschluß ~
100
~
..__ ..-..._.c··-··-··
~------------------------~--------------~ 100 -
90
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_ ~ '·· Männer •• / Frauen MAn~\_ • • ... ... Hochschule ~e 1989 ~1989 ·... ...197& \ .,
-
-
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70
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801------
30
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10
0
0
I
15
20
25
30
20
25
30
35
35
40
45
so
55
60
40
45
SO
55
60
65
65
und
mehr
Alter von ... bis unter ... Jahren
Quelle: Erste Ergebnisse des Mikrozensus April 1978 und 1989, in: Wirtschaft und Statistik, Heft 12/91.
Der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit ist auch mit einer Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung verbunden. Seit 1972 hat sich die Zahl der 20-Stunden-Stellen nahezu verdoppelt.85 Im Jahr 1990 waren 33,8 % der abhängig beschäftigten Frauen teilzeitbe85 Vgl. Bundesministerfür Frauen und Jugend (1992a), S. 44.
28
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
schäftigt86, aber lediglich 2,2 % der Männer. 87 Dabei nimmt der Anteil der teilzeitbeschäftigten Frauen ab dem 25. Lebensjahr stark zu (siehe Tabelle 3). Tabelle 3:
Anteil der Teilzeitbeschäftigung an den abhängig Erwerbstätigen nach Geschlecht und Alter Stand: April 19901
Alter von ... bis
Frauen
Minner
unter ... Jahren
1S bis 20
4,2
2,7
20 bis 2S
8,4
2,4
2S bis30
22,7
3,S
30 bis 3S
40,7
2,6
3S bis40
4S,7
1,8
40 bis4S
46,0
1,2
4S bis so
47,0
1,1
47,8
1,0 4,8
6S undmehr
4S,S S1,3 63,1
38,6
zusammen
33,8
2,2
so bis ss ss bis 60
60 bis6S
1,4
I Angaben in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt ( 1990), S. 23.
Der Frauenanteil an allen teilzeitarbeitenden Arbeitnehmern lag in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1989 bei 89,6 %. Unter Berücksichtigung der Einkommenssituation der Frauen zeigt sich, daß niedrige Haushaltsnettoeinkommen die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, auch beim Vorhandensein von Kleinkindern bestimmen. Bei Frauen aus höheren Einkommensschichten mit Kindern im Vorschulalter kommt es häufiger zu einer vorüberge-
86 Die amtliche Statistik definiert heute alle Arbeitszeiten unter 36 Wochenstunden als Teilzeitbeschäftigung. 87 Vgl. Statistisches Bundesamt (1990), S. 23.
II. Frauen auf dem Arbeitsmarkt
29
benden Berufsunterbrechung, d. h. hier ist das Drei-Phasen-Modell noch von größerer Bedeutung. 88 Andererseits läßt sich feststellen, daß, unabhängig vom Haushaltsnettoeinkommen, beruflich höher qualifizierte Frauen auch dann überdurchschnittlich häufig erwerbstätig sind, wenn sie Kleinkinder haben.S9 Das steigende Qualifikationsniveau der Frauen führt wie bereits erwähnt dazu, daß die Tendenz zu kontinuierlicher Berufstätigkeit zunimmt.90 Die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit wurde zugleich vom beschäftigungsstrukturellen Wandel der letzten Jahre begünstigt. Dieser Wandel im Beschäftigungssystem zeichnet sich vor allem durch ein anhaltend starkes Wachstum des tertiären Sektors (Handel und Dienstleistungen) aus. Von Mai 1973 bis April 1989 kam es in den Bereichen "Handel, Verkehr und Nachrichtenübermittlung" sowie "Übrige Wirtschaftsbereiche" zu einem Anstieg der Erwerbstätigenzahl um fast 3,2 Millionen, was einem Zuwachs in diesen Bereichen von 26,1 % entspricht. An diesem Beschäftigungsanstieg waren Frauen maßgeblich beteiligt: 61,6% der in diesem Zeitraum hinzugekommenen Erwerbstätigen im tertiären Sektor waren Frauen.91 Besonders gute Beschäftigungschancen haben Frauen vor allem in Bereichen, in denen die neuen Techniken zum Einsatz kommen.92
1.2 Weibliches Arbeitsangebot Das weibliche Arbeitsangebot ist trotz der hohen Arbeitslosenzahlen in den vergangenen Jahren gestiegen. Für diese Beobachtung gibt es mehrere Erklärungen, da die Bestimmungsgründe für das weibliche Arbeitsangebot vielschichtig sind. Aus mikroökonomischer Sicht geht es für die Individuen bzw. die Haushalte darum, gemäß ihren Präferenzen und bestehenden Restriktionen 88 Vgl. BRINKMANNIENGELBRECHIHOFI!AUER (1988), S. 729. 89 Vgl. ebenda. 90 Vgl. ebenda, S. 733. 91 Vgl. Statistisches Bundesamt (1989), S. 17 f. 92 In diesem Zusammenhang ist auf ein früheres Gutachten des verweisen. Vgl. CANTZLER (1991 ), S. 136 ff.
FfW Mainz zu
30
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
eine Wahl zwischen Reproduktionsarbeit93, Erwerbsarbeit und Freizeit zu treffen. Determinanten dieses Entscheidungsprozesses sind u. a. die Lohnhöhe, die Besteuerung des Einkommens und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (siehe Schaubild 4). Schaubild 4: Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und ökonomisches Grundmodell
•
Sozialisationsprozeß
Präferenzen (Freizeit, Güter)
'
!Zeitentscheidungl
Erwerbsarbeit Quelle:
ZAMECK (
1992), S. 3.
'
Freizeit
'
Hausarbeit
93 Reproduktionsarbeit ist der Teil der Hausarbeit, der notwendige Voraussetzung für die beruflich organisierte Arbeit ist.
II. Frauen autdem Arbeitsrrlllrkt
31
Diesen Determinanten stehen jedoch gewisse Restriktionen gegenüber, z. B. in Form von Zeitbeschränkungen. Jedem Wirtschaftssubjekt stehen 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Wird rationales Handels unterstellt, so hängt die Verteilung der einzelnen Stunden auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten im wesentlichen vom dadurch erzielbaren Ertrag ab. Wird eine Stunde Zeit z. B. für die Erwerbstätigkeit eingesetzt, so kann sie nicht zugleich für Hausarbeit genutzt werden. Das bedeutet, daß die Entscheidung für eine bestimmte Zeitverwendungsart zugleich ein Verzicht auf eine andere Verwendungsart und deren Ertrag ist. Jede Zeitentscheidung verursacht somit Kosten in Form entgangener Erträge (Opportunitätskosten), die bei anderer Verwendung hätten erzielt werden können.94 Welche Erträge bei den einzelnen Zeitverwendungsmöglichkeiten von Frauen und Männern erzielt werden können, hängt in hohem Maße von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Unterliegen Frauen am Arbeitsmarkt einer Einkommensdiskriminierung, die sich durch einen geringeren Lohn gegenüber Männern trotz gleicher Produktivität auszeichnet, wird die Hausarbeit für sie relativ profitabler als für Männer. 95 Daher ist zu erwarten, daß Frauen weniger im Erwerbsleben und mehr im Haushalt tätig sind als Männer.96 Auch der Staat nimmt durch gesetzliche Regelungen (gewollt und ungewollt) Einfluß auf das Erwerbsangebot von Frauen, so z. B. durch die Besteuerung des Einkommens. Diese führt zu einer Reduktion des erzielbaren Ertrags der Zeitverwendung Erwerbsarbeit und übt damit unmittelbar einen Einfluß auf das Erwerbsangebot aus. Hier ist insbesondere das Splittingverfahren für Ehepaare zu nennen. Wie bereits erwähnt, wird bei gemeinsamer Veranlagung die höchste relative Steuerersparnis dann erreicht, wenn ein Ehepartner kein versteuerbares Einkommen erzielt. Zudem tragen die Instrumente der Familienpolitik zur Höhe des weiblichen Erwerbsangebots bei. Es handelt sich hierbei um allgemeine Einkommenstransfers an Familien mit Kindern (z. B. Kindergeld), Subventionierung von Kinderbetreuungseinrichtun94 Vgl. ZAMECK (1992), S. 4. 95 Vgl. ebenda. 96 Vgl. ebenda, S. 4 f.
32
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
gen und Kindertarife in öffentlichen Einrichtungen. Solche sozialund familienpolitischen Transfers wirken wie eine Einkommenserhöhung und können zu einer Senkung der Erwerbstätigkeit der Frauen97 führen.98 Hinzu kommt, daß zusätzliche Einkünfte der Frau eine Überschreitung der Bewilligungsschwelle dieser Transfers mit sich bringen.99 In diesem Zusammenhang ist auch die generelle familiäre Situation der Frauen zu nennen, die sich auf ihr Erwerbsangebot auswirkt. In Abhängigkeit vom gesamten verfügbaren Haushaltseinkommen kann das Erwerbsangebot aufgrund individueller Investitionsentscheidungen oder zur Sicherung des Lebensstandards variiert werden.IOO Daneben spielt die Kinderzahl eine entscheidende Rolle für die Höhe des weiblichen Arbeitsangebots. Es existiert somit eine Vielzahl von Bestimmungsfaktoren, die das weibliche Arbeitsangebot determinieren. Mit ihnen lassen sich zugleich zu beobachtende Abweichungen im Erwerbsverhalten von Frauen und Männern erklären. Solange Männern im Rahmen der Familie die klassische Ernährerfunktion zugeschrieben wird, sind ihre Entscheidungsmöglichkeiten bezüglich der Höhe ihres Erwerbsangebots stark eingeschränkt und reagieren folglich weniger flexibel auf Veränderungen der Rahmenbedingungen.
2. Einkommensentwicklung Die Bruttojahresverdienste der Arbeiterl-innen haben sich von
1971 bis 1990 um 189 %, die der Angestellten um 224% er-
höht.IOI Obwohl Frauen an diesen Zuwächsen in größerem Umfang teilhatten als Männer, bleiben ihre Bruttoeinkommen weiter hinter denen der Männer zurück.l 02 So lagen die Verdienste der
97 Auch empirische Untersuchungen (vgl. MERZ (1989)) belegen, daß staatliche und private Transfers das Arbeitsangebot von Frauen reduzieren. Allerdings kommt es dabei jeweils auf den Familienstand und die Art der Transfers an. 98 Vgl. ZAMECK (1992), S. 13 f. 99 Vgl. PFAU-EFFINGERIGEISSLER (1992), S. 363. 100 Vgl. HUININKfLAUTERBACH (1991), S. 69. 101 Vgl. Statistisches Bundesamt (1989), S. 17f. 102 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (1987), S. 13.
33
II. Frauen aufdem Arbeitsmarkt
Arbeiterinnen im Jahr 1990 im Durchschnitt um 31% unter denen ihrer männlichen Kollegen (1971 betrug der Abstand noch 36 %). Bei den Angestellten lagen die durchschnittlichen Verdienstunterschiede im selben Jahr bei 36% (gegenüber 40% im Jahr 1971).103
Auch anband der Stundenlöhne läßt sich zeigen, daß der Abstand zwischen Männern und Frauen geringer geworden ist, aber weiterhin besteht (siehe Tabelle 4). Tabelle 4: Jahr
Löhne und Gehälter 1950- 19911
Arbeitert-inDeo lnduolric B....-undcnlolm Vollzeit in DM
t9so2> 1952
1954
1960 1964 1968 1972 1976 1980 1982 1984 1986 1988 1989 1990 1991
MänDcr
Frauen
1,42 1,76 1,88 2,90 4,17
0,86 1,04 1,12 1,87 2,79
5,20
7,92 11,08 14,16 15,17
16,59
17,85 19,32 20,09 21,17 2246
3,S9 S,51
8,02 10,25 11,33 12,00 13,04 14,12 14,76
15,49 1652
Angcolellte IDduatric und
An1cil Frauenlohn in Prozent
Handct 1>
BruttolllOII8tslobn Vollzeit in DM
Männcr
60 59 59 64
67
'69 69
74 72
15
72 73 73 73 73 74
-
723 1063 1244 1857 2637 3421 3728 3996 4322
4654
4824 5037
5335
An1cil Fraueulobn in Prozent
Frauen
-
404
626
741 1137 1681 2202 2366 2544 2764 2989 3108 326S 3483
56 59 (1965) 59 61
64 64 63
64 64 64 64 6S 6S
I Angaben in Prozent.
I) Ohne Verkehrswesen und Dienstleistungen sowie ohne Angestellte mit voller
Aufsichts- und Dispositionsbefugnis. 2) 1959- 1959 ohne Saarland und Berlin; bis 1963 ohne Berlin.
Quelle: Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Arbeits- und Sozialstatistik, Hauptergebnisse 1976, 1982, 1992, sowie eigene Berechnungen.
103 Vgl. Statistisches Bundesamt (1992b), S. 368. 3 Wiegand
34
Teil A: Weibliche Leben.fplanung und Erwerbstätigkeit
Während Arbeiterinnen Anfang der fünfziger Jahre im Durchschnitt 60 % der Stundenlöhne von Arbeitern verdienten, waren es im Jahre 1990 immerhin 73 %. Die Entwicklung bei den Angestellten verlief nicht ganz so gut. Hier verbesserten sich die Gehaltsdifferenzen seit 1960 nur um 9 Prozentpunkte. Hierbei ist außerdem zu berücksichtigen, daß die Angaben der Angestelltengehälter die Gruppe der Angestellten mit voller Aufsichts- und Dispositionsbefugnis nicht enthält. Da aber in dieser Gruppe der Anteil der Frauen besonders niedrig ist, erhöhen sich die Gehaltsdifferenzen zwischen weiblichen und männlichen Angestellten noch. Im Gegensatz zu den Tarifverträgen in den 50er, 60er und zum Teil noch in den 70er Jahren existieren heute keine expliziten Frauenlohnabschläge mehr. Diese betrugen damals bis zu 30 % vom Tariflohn und wurden in dieser Form erst nach mehreren gerichtlichen Verfahren, in denen solche Lohnabschläge für verfassungswidrig erklärt wurden, abgeschafft. Dafür blieben bis in die 80er Jahre hinein vereinzelt Zuschläge für verheiratete Männer bestehen.104 In den 60er Jahren fand eine Neuregelung der Tarifentgelte statt, bei der ein Großteil der Arbeiterinnen und der weiblichen Angestellten solchen Lohngruppen zugeordnet wurden, die ihre Arbeitsplätze als "leichte körperliche Arbeit", "einfache Bürotätigkeit'', "unter Anweisung" oder "ohne Verantwortung" beschrieben. Die damit entstandenen "Leichtlohngruppen" sind auch heute noch kennzeichnend für die Frauenerwerbstätigkeit, obwohl sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert haben und es aufgrund der europäischen Rechtsprechung schwieriger geworden ist, gleiche Tätigkeiten ungleich zu entlohnen.I05 Von den weiblichen Angestellten befanden sich im Oktober 1991 42,7% in der Leistungsgruppe IV und 41,6% in Gruppe III, während die männlichen Angestellten überwiegend in den Leistungsgruppen III (45,6 %) und II (40,5 %), aber nur selten (12,4 %) in der Leistungsgruppe IV beschäftigt waren.106 Heute ist noch immer festzustellen, daß selbst innerhalb einer Lohngruppe
104 Vgl. PFARRIBERTELSMANN (1989), S. 63 und S. 125. 105 Vgl. ebenda, S. 307 ff. I06 Vgl. Bundesminister für Frauen und Jugend (1992a), S. 50.
35
II. Frauen auf dem Arbeitsmarkt
Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern bestehen (siehe Tabelle 5). Tabelle 5:
Durchschnittliche Bruttomonatsverdienste der Angestellten im früheren Bundesgebiet 1990 (in Industrie, Handel, Kreditinstituten und im Versicherungsgewerbe)
Gegenstand der Nachweisung
Durchschnittswert
Geschlecht
Kaufmännische Angestellte DM
Technische Angestellte DM
Männer
4720
5407
Frauen
3 229
3703
Höchster Wert in
Männer
6075
6 357
Leistungsgruppe II I
Frauen
4 899
5 553
Niedrigster Wert in
Männer
2 671
2 883
Leistungsgruppe y2
Frauen
2 352
2622
Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit. 2 Angestellte in einfacher Tätigkeit, die keine Berufsausbildung erfordert. Quelle: Statistisches Bundesamt ( l992b), S. 368.
Zum Lohnabstand zwischen Frauen und Männern tragen auch noch sektorale Lohndifferenzen bei. Zwischen den Wirtschaftszweigen bestehen erhebliche Lohnunterschiede. So erhalten gleich eingruppierte Angestellte in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie nur 73 % des Bruttolohns von Angestellten in der Mineralölverarbeitung. Angestellte in der Textilindustrie erhalten sogar nur 67 % und Angestellte im Einzelhandel lediglich 55 % dieses Lohns. Dabei ist grundsätzlich festzustellen, daß in Branchen mit hohem Frauenanteil vergleichsweise niedrige Löhne gezahlt werden.107
3*
36
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Die zu beobachtenden Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern werden üblicherweise wie folgt begründet: Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Berufspositionen, Lohngruppen und BrancheniOB bzw. leisten im Durchschnitt weniger Überstunden, haben kürzere Wochenarbeitszeiten und weniger übertarifliche Zulagen (z. B. für Schichtarbeit und andere Arbeitserschwernisse), und wegen der Kinderbetreuungszeiten kommt eine geringere Berufserfahrung sowie eine kürzere Betriebszugehörigkeit hinzu.109 Ohne an dieser Stelle auf eine ausführliche Diskussion über die ungleiche Einkommensverteilung zwischen Frauen und Männern eingehen zu wollen 110, ist anzumerken, daß insbesondere das Argument, Niedriglohnbranchen seien Frauenbranchen, weder einen bestimmten Einkommensunterschied zwischen weiblichen und männlichen Arbeitskräften rechtfertigt noch ein Beleg für Diskriminierung ist. III Die Frage ist vielmehr, warum der Anteil von Frauen in Niedriglohnbranchen besonders hoch ist. Dies kann einerseits auf freiwilligen Entscheidungen beruhen, andererseits aber auch auf ein diskriminierendes Abdrängen in diese Sektoren zurückzuführen sein.112 3. Bildungsvoraussetzungen Seit Beginn der 70er Jahre läßt sich eine deutliche Erhöhung des Qualifikationsniveaus der Frauen ausmachen. Dies zeigt sich einerseits in einem starken Rückgang weiblicher Erwerbstätiger ohne abgeschlossene Berufsausbildung und andererseits in einem steigenden Anteil weiblicher Berufstätiger mit Hochschulabschluß. Im alten Bundesgebiet ist der Anteil erwerbstätiger Frauen mit beruflicher Ausbildung von 1970 bis 1989 von 38% auf 70% 107 Vgl. SCHÖNMANN/HANNANIBLOSSFELD (1991 ), S. 175. 108 Vgl. GEISSLER (1992). S. 244. I09 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (1987), S. 13. Dieser Ansicht schließt
sich auch das Bundesministerium für Frauen und Jugend an.
110 Vgl. hierzu z. 8. LORENZ (1988). III Vgl. ebenda, S. 57. 112 Vgl. ebenda.
II. Frauen aufdem Arbeitsmarkt
37
gestiegen, bei den Männem von 65 % auf gut 80 %.113 Auch die Zahl der weiblichen Auszubildenden hat sich stärker als die der männlichen erhöht: von 35,8 % im Jahr 1972 auf 42,6 % 1990.114 Seit 1975 hat sich die Zahl der Abiturientinnen fast verdoppelt.115 Der Anteil der Studentinnen ist zugleich von 1972 bis 1990 um 8 Prozentpunkte von 30,2 % auf 38,2 % gestiegen.116 Damit hat sich die berufliche Qualifikationsstruktur der Frauen im Vergleich zu den Männern auf allen Ausbildungsebenen stark verbessert. Doch ist weiterhin eine geschlechtsspezifische Ausbildungswahl zu beobachten. Unter den acht von Frauen und Männern am häufigsten gewählten betrieblichen Berufsausbildungen sind lediglich zwei gemeinsame (Industrie- und Bankkaufmann bzw. -frau) zu finden (siehe Tabelle 6). Zudem erlernt über die Hälfte der Frauen einen Beruf als Kauffrau (Büro, Industrie, Einzelhandel, Banken, Groß- und Außenhandel), als Friseurin, als Verkäuferin, als Arzthelferin oder Zahnarzthelferin. Bei der schulischen Berufsausbildung sieht es ähnlich aus: 94 % der Schülerinnen in Berufsfachschulen erlernen Sozial- und Erziehungsberufe, darunter 80 % einen Beruf im Gesundheitsdienst.117 Die Gründe für die unterschiedliche Wahl der Ausbildungsberufe von weiblichen und männlichen Schulabgängern liegen vermutlich überwiegend in den gesellschaftlichen Erwartungen und den sozialisationsbedingten Verhaltensweisen, denen verschiedene Wertorientierungen zugrunde liegen. Eine weitere Ursache ist in den geschlechtsspezifisch geprägten Ausbildungsstellenmärkten zu sehen, die sich durch größere Schwierigkeiten der jungen Frauen bei der Lehrstellensuche zeigen. Dies hat eine stärkere Konzentration weiblicher Auszubildender auf Berufe mit geringeren Qualifikationsanforderungen zur Folge und führt häufig zu einer Diskrepanz zwischen Berufswunsch und Berufsrealität.118 113 Vgl. Bundesminister für Frauen und Jugend (1992a), S. 23. 114 Vgl. ebenda. 11 5 Vgl. ebenda, S. 19. 116 Vgl. ebenda, S. 33. 117 Vgl. ENGELSRECH (1992), S. 187.
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
38
Zudem läßt sich feststellen, daß ein Großteil der typischen Frauenberufe am unteren Ende der Einkommensskala aller Berufe angesiedelt ist. Des weiteren zeigt sich, daß die Einkommen um so niedriger sind, je höher der Frauenanteil in einem Beruf ist.ll9 Tabelle 6:
Auszubildende 1990 in den acht am stärksten besetzten Ausbildungsberufen (im früheren Bundesgebiet)
Ausbildungsberuf Frauen BOrokauffiau Friseurin Kauffrau im Einzelhandel
Anteil in o/o an allen weiblichen bzw. mAnnliehen Auszubildenden 8,9 7,3 7,1
Arzthelferin
6,7
Industriekauffrau
6,2
Zahnanthelferin
4,9
Fachverkluferin im Nahrungsmittelhandwerk
4,8
Bankkauffrau
4,7
Zusammen
50,6
Minner Kraftfahrzeugmechaniker Elektroinstallateur Industriemechaniker (Maschinen-/Systembau) Industriemechaniker (Betriebstechnik) Kaufinann im Groß.. und Außenhandel Tischler
3,8
Bankkaufinann
3,0
7,5
5,3 3,4
3,3 3,2
Industriekaufinann
2,8
Zusammen
32,2
Quelle: Statistisches Bundesamt ( 1992a), S. 419.
ll8 Vgl. eben da. 119 Vgl. ebenda, S. 188.
II. Frauen auf dem Arbeit.fmarkt
39
Geschlechtsspezifische Interessenpräferenzen zeigen sich auch im Hochschulbereich. Trotz eines Anstiegs des Frauenanteils an den Studierenden ist weiterhin eine geschlechtsspezifische Differenzierung in verschiedenen Zweigen und Fächern zu beobachten. Studentinnen sind in der Fächergruppe Ingenieurwissenschaften wie schon 1975 (7,1 %120) auch 1990 (12,3 %) noch unterrepräsentiert. Der Frauenanteil in der Mathematik und in den Naturwissenschaften (32 %) hat in diesen 15 Jahren ebenfalls nicht proportional zur steigenden Zahl weiblicher Studierender zugenommen. Statt dessen hat sich der Anteil der Medizinstudentinnen in diesem Zeitraum von 19,1 % auf 44,4 % erhöht. Dies ist einerseits auf das große Interesse der Frauen an Gesundheits- und Sozialberufen zurückzuführen, andererseits aber auch auf den höheren Anteil von Abiturientinnen, deren Notendurchschnitt dem Numerus clausus für das Medizinstudium entspricht. Überwiegend Frauen finden sich in den Fächergruppen Sprach- und Kulturwissenschaften, Sport, Kunstwissenschaft, Sozialwesen und in den Lehramtstudienfl:ichern.121 Trotz quantitativer Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit und einem höheren Bildungs- und Qualifikationsniveau kann somit zusammenfassend festgehalten werden, daß die späteren Aufstiegschancen für Frauen bereits durch ihre Ausbildungswahl eingeschränkt werden. 4. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung beruht auf einer Trennung von Erwerbs- und Haushaltsarbeit und ist zugleich die älteste Form gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Bis heute hat diese grundsätzliche Zuteilung der Hausarbeit an Frauen und der außerhäuslichen Erwerbsarbeit an Männer die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse nahezu unbeschadet überdauert. Die Erwerbstätigkeit der Frau wird häufig nur so lange als positiv angesehen, wie sie die Haushaltsarbeit nicht wesentlich beeinträchtigt.
120 Sämtliche Prozentangaben beziehen sich auf die Hochschulen in den alten Bundesländern. 121 Vgl. Bundesminister für Frauen und Jugend ( 1992a). S. 32.
40
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Beruf und Karriere werden in diesem Sinne als Konkurrenz zu den familiären Aufgaben und Pflichten betrachtet und damit nicht im Interesse der Betreuung der Familie liegend. Dem Beruf des Mannes kommt demgegenüber als Ernährer der Familie ein höherer Stellenwert zu. Folglich wird Frauenarbeit oftmals als Nebenverdienst abqualifiziert, obwohl es in vielen Fällen gerade wirtschaftliche Gründe sind, die Frauen dazu veranlassen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.122 Bis Ende der 70er Jahre hieß es im sogenannten Gleichberechtigungsgesetz: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist." 123 Erst durch das 1. Eherechtsreformgesetz von 1977 wurde mit der Neufassung des § 1356 BGBI24 das bis dahin geltende Leitbild der Hausfrauenehe aufgegeben. Seitdem heißt es: "Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen. ( ... ) Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein. Bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu ·nehmen."125 Dies provoziert die Frage, warum es auch heute noch in den meisten Fällen die Frau ist, die sich auf den Haushaltssektor ausgerichtet, während der Mann auf den Marktsektor spezialisiert ist. Die Antworten, die darauf zu finden sind, kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Sie lassen sich grob in vier Ansätzen wiedergeben. Erstens: Der Sozialisationsprozeß bedingt bereits frühzeitig eine Spezialisierung der Geschlechter. Zweitens: Frauen besitzen biologisch bedingte Vorteile bei den Haushaltsaktivitäten, insbesondere beim Aufziehen der Kinder. Drittens: Aufgrund ihres Wunsches nach Kindern antizipieren Frauen mögliche Erwerbsunterbrechungen, wodurch ihre Ausbildungsinvestitionen in marktspezifisches Humankapital relativ geringer ausfallen als diejenigen der Männer. Viertens: Marktlohndifferenzen zwischen den Geschlechtern, die gegebenenfalls auf Diskriminierungsprak122 Vgl. NERGEISTAHMANN (1991), S. 14. 123 § 1356 Abs. I S. 2 BGB aF. 124 Es erfolgte zugleich eine Neufassung des§ 1360 BGB. 125 § 1356 BGB nF.
II. Frauen auf dem Arbeitsmarkt
41
tiken zurückzuführen sind, können Grund für die Spezialisierung der Frauen auf den Haushaltssektor sein.126 Da auf diese Erklärungsmuster im Verlauf der Arbeit an verschiedenen Stellen noch näher eingegangen wird, sei hier lediglich darauf hingewiesen, daß aus der traditionellen Arbeitsteilung im Haushalt für Frauen vielfältige Benachteiligungen, nicht nur im Erwerbsbereich, entstehen können.127 Der steigende Anteil erwerbstätiger Frauen hat zwar in den vergangeneo Jahren zu einer Veränderung in der Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern geführt. Dies blieb jedoch insofern einseitig, als die alltägliche Arbeit im Haushalt weiterhin zum größten Teil von den Frauen übernommen wird.128 Hinzu kommt, daß, wie noch zu zeigen ist, Mechanismen bestehen, durch die sich eine einmal eingetretene Spezialisierung der Haushaltsmitglieder auf Marktarbeit und Hausarbeit aus sich selbst heraus verstärkt. 5. Geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt Der Arbeitsmarkt unterliegt einer geschlechtsspezifischen Differenzierung, die sich in der Herausbildung typischer Frauenberufe zeigt. Charakteristisch für diese Berufe ist, daß sie die den Frauen als typisch weiblich zugeschriebenen Eigenschaften in besonderem Maße erfordern, diese Tätigkeiten überwiegend niedrig bewertet werden und zudem häufig ein geringes Prestige besitzen. Die zu beobachtende ungleiche Verteilung von Frauen und Männern auf die einzelnen Branchen und Berufe kann theoretisch einerseits auf Präferenzen und rationale Wahlentscheidungen zurückgeführt werden, andererseits aber auch über die Geschlechter trennende Beschäftigungsstrukturen (Segregation) bewirkt werden.129 In der Realität sind wohl beide Faktoren Ursache für die Entstehung eines geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktes. Frauen konzentrieren sich auf nur wenige Fachrichtungen, die sich noch dazu erheblich von denen der jungen Männer unter126 Vgl. LORENZ (1988), S. 65. 127 Vgl. BERGER-SCHMITT (1986), S. 106. 128 Vgl. ebenda. 129 Vgl. LORENZ (1988), S. 41.
42
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
scheiden. Hinzu kommt, daß sich junge Frauen häufiger für solche Berufe bewerben, in denen traditionell eine größere Zahl von Ausbildungsstellen für Frauen angeboten wird.130 Eine Ursache ist darin zu sehen, daß Berufsanfängerinnen bei Bewerbungen um männliche Ausbildungsberufe häufig geringere Chancen als männliche Bewerber haben, was in einigen (wenigen) Fällen nur auf die physischen Arbeitsanforderungen zurückzuführen ist. Die geschlechtsspezifische Typisierung eines Berufs erweist sich somit auch als Zugangsbarriere für Minderheiten, wodurch eine freie Berufswahl gemäß den eigenen Interessen und Fähigkeiten auch heute noch, wenn auch in geringerem Umfang als früher, eingeschränkt wird.J31 Dies bestätigen die Ergebnisse von Betriebsbefragungen.132 Danach gibt nur jeder zweite Betrieb im kaufmännisch/verwaltenden Bereich und jeder vierte Betrieb im gewerblich/technischen Bereich an, daß er Ausbildungsberufe hat, in denen sowohl Mädchen als auch Jungen eine Lehre machen.133 Eine solche horizontale berufliche Segregation aufgrund unterschiedlicher Berufsausbildungen hat für Mädchen häufiger eine Ausbildung in geringer bezahlten und weniger flexibel einsetzbaren Berufen zur Folge als für Jungen.134 Doch selbst bei gleicher Berufsausbildung kommt es in den ersten Berufsjahren zu einer vertikalen Segregation, die sich u.a. in einem unterschiedlichen Statusniveau und in einem höheren Einkommen der Männer zeigt. Zudem wird ein Viertel der jungen Männer und Frauen bei gleicher Ausbildung im Betrieb anders oder zum Teil anders eingesetzt.135 Die wachsende Bedeutung des tertiären Sektors in der Wirtschaft hat zwar tendenziell zu einem Abbau der Segregation 136 beigetragen, zumal einige Berufe in Landwirtschaft und Industrie an Be130 Vgl. ENGELSRECH (1991), S. 533 131 Vgl. WILLMS-HERGET (1985), S. 39. 132 Es handelt sich hierbei um eine Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nümberg, aus dem Jahr 1991 in ca. 19.000 Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten. Vgl. ENGELSRECH/KRAFT (1992b). 133 Vgl. ENGELSRECH/KRAFT (1992b), S. 17. 134 Vgl. ENGELSRECH (1992), S. 188. 135 Vgl. ebenda. 136 Unter Segregation wird hier der Prozeß der Trennung von Personen nach dem Geschlecht verstanden.
II. Frauen aufdem Arbeitsmarkt
43
deutung verloren haben. Demgegenüber sind durch die Expansion des tertiären Sektors (Handel und Diestleistungen) typische Frauenberufe gewachsen und neu hinzugekommen, welche den integrativen ersten Effekt zum Teil kompensierten.137 Von den Betrieben werden als Ursachen für den Ausschluß von Frauen in bestimmten Segmenten neben der antizipierten kürzeren Berufstätigkeit sowie einem typisch weiblichen Arbeitsvermögen auch gesetzliche Bestimmungen und körperlich belastende Tätigkeiten genannt.138 Mit einer Aufhebung von arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen, wie berufsspezifischer Beschäftigungsverbote, könnten solche Begründungen der Betriebe nicht weiter aufrechterhalten werden.139 Hier zeigt sich die (frühere) Ambivalenz wohlgemeinter Rechtsvorschriften zum Arbeitsschutz von Frauen. Des weiteren besteht eine vertikale Differenzierung des Arbeitsmarktes darin, daß Männer in nahezu allen Bereichen die hierarchisch höheren, besser bezahlten und weisungsbefugten Positionen einnehmen, auch in den spezifischen Frauenberufen. Diese Differenzierung wird ebenfalls als Folge der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung gesehen, da die Übernahme des Baushaltsbereichs durch Frauen und die damit einhergehende Entlastung der Männer von diesen Arbeiten die vertikale Spaltung des Arbeitsmarktes vielfach erst möglich macht.140 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß eine geschlechtsspezifische Spaltung des Arbeitsmarktes in horizontaler und vertikaler Ebene besteht. Die unterschiedlichen Teilarbeitsmärkte für Frauen und Männer resultieren einerseits aus den geschlechtsspezifisch verschiedenen Ausbildungen (überwiegend als jedoch Folge individueller Wahlentscheidungen) und andererseits aus einem geschlechtsspezifisch anderen beruflichen Einsatz (zum Teil durch Segregation). Bei den zukünftigen Entwicklungstendenzen ist allerdings davon auszugehen, daß es durch weitere technische Fortschritte zu physischen Arbeitserleichterungen kommen wird und damit verstärkt bisherige Männertätigkeiten von Frauen über-
137 Vgl. WILLMS-HERGET (1990), S. 185. 138 Vgl. ENGELSRECH/KRAFT (1992a), S. 24. 139 Vgl. ebenda, S. 25. 140 Vgl. BROTHUN (1988), S. 320.
44
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
nommen werden (können). Hinzu kommt die Ausweitung des tertiären Sektors, der mit einer Zunahme der Angestelltentätigkeiten einhergeht und damit ebenfalls steigende Einsatzmöglichkeiten für Frauen bietet. Zudem wird durch das Nachrücken immer besser ausgebildeter Frauen mit steigender und kontinuierlicher Erwerbsbeteiligung in Zukunft eine stärkere Orientierung an einem qualifizierten Berufsverlauf zu erwarten sein, was gleichfalls zu einem Abbau der Segregation beiträgt. 6. Erwerbsbeteiligung von Frauen im europäischen Vergleich Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat seit den 60er Jahren in allen europäischen Staaten zugenommen. Gleichwohl sind zwischen den einzelnen Ländern große Unterschiede zu erkennen. Die höchsten Erwerbsquoten von Frauen sind in den skandinavischen Ländern zu finden.1 41 Im Jahr 1990 betrug die Frauenerwerbsquote (in Prozent der 15-64jährigen Frauen) in der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer) 56,6% gegenüber 71,2% in Norwegen und 81,1 % in Schweden. Ähnlich hohe Quoten hatten auch Dänemark (78,4 %) und Finnland (72,9 %). Besonders niedrig war die Frauenerwerbsquote in Italien (44,5 %) und Belgien (52,4 %).142 Der generelle Anstieg der Erwerbsquoten von Frauen ist jedoch zum Teil auch darauf zurückzuführen, daß die Erwerbsquoten der Männer aufgrund längerer Ausbildungszeiten und früherem Ruhestand in nahezu allen Ländern gesunken ist. Dies führte gleichfalls dazu, daß die allgemeine Erwerbsquote trotz steigender Erwerbsbeteiligung der Frauen nur wenig gestiegen oder sogar gefallen ist.l43 Eine Betrachtung der Teilzeitbeschäftigung von Frauen zeigt weitere Differenzen zwischen den europäischen Ländern. In Finnland und Italien beträgt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an den erwerbstätigen Frauen lediglich 10 %, während er beispielsweise in den Niederlanden über 60 % liegt. Ein hoher Anteil teilzeitbeschäftigter Frauen besteht auch in Schweden (40,5 %) und in
141 Vgl. BECKER (1993), S. 206 f. 142 vgl. ebenda. 143 Vgl. ebenda, S. 208.
45
II. Frauen auf dem Arbeitsmarkt
Norwegen (48,2 %). Im Vergleich dazu lag dieser Anteil in Deutschland im Jahre 1989 bei 30,6%.144 Aufschlußreich ist zudem der Blick auf die Erwerbsquoten von Frauen mit Kindern im betreuungspflichtigen Alter, da ihnen traditionellerweise die Hausfrauenrolle zugeschrieben wird. Nach einer Studie der EG-Kommission waren im Jahr 1988 38% der deutschen Frauen mit Kindern unter zehn Jahren erwerbstätig, von den dänischen Frauen hingegen 79 % und von den niederländischen Frauen lediglich 32% (EG-Durchschnitt 44 %).145 Die Teilzeitbeschäftigung in dieser Gruppe betrug in Deutschland 55 %, in Dänemark 40 % und in den Niederlanden 84 % (EGDurchschnitt 39 % ).146 Tabelle 7:
Auffassungen der Bevölkerung über die ideale geschlechtliche Arbeitsteilung sowie Auffassungen der Männer über die von ihnen bevorzugte Rolle der Ehefrau in drei EG-Staaten 1987' Ideale Arbeitsteilung
Präferenz der Männer
Gleichheit
Partielle Gleichheit
Traditionell
Berufstätige Ehefrau
EhefrauHausfrau
Bundesrepublik
26
34
32
31
58
Dänemark
53
26
12
58
23
Niederlande
43
28
23
42
40
EG der 12
41
29
25
47
43
I Angaben in Prozent. Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zitiert nach BECKER (1993), S. 222.
144 Vgl. ebenda, S. 209. 145 Vgl. ebenda. S. 211. 146 Vgl. ebenda.
46
Teil A: Weibliche LebensplanunK und Erwerbstätigkeit
Zur Erklärung dieses sehr differenzierten Bildes der Erwerbsbeteiligung von Frauen in den jeweiligen europäischen Ländern werden überwiegend kulturelle und politische Unterschiede herangezogen147, und hier in erster Linie die bestehenden Geschlechtsrollenzuweisungen. Eine Untersuchung der EG-Kommission zu den Auffassungen der Bevölkerung über die ideale geschlechtliche Arbeitsteilung sowie über die von ihr bevorzugte Rolle der Ehefrau zeigt deutlich, daß die Auffassungen in der Bundesrepublik Deutschland "konservativer" als im EG-Durchschnitt sind (siehe Tabelle 7). Von den hier befragten Männern sprachen sich 58 % für eine traditionelle Rollenteilung (Ehefrau gleich Hausfrau) aus.148 Des weiteren spielen die jeweiligen politischen Zielsetzungen eine große Rolle. Es bestehen zahlreiche Möglichkeiten politischer Aktivitäten zur Verbesserung der Chancen der Frauen im Erwerbsbereich (zum Teil gegen die Marktkräfte), die in den einzelnen Ländern unterschiedlich stark verfolgt werden. Eine aus dieser Sicht erfolgreiche Politik der Gleichstellung der Frauen, im Sinne erhöhter Erwerbschancen, hat Schweden betrieben. Sie beruhte im Rahmen des schwedischen Modells des Wohlfahrtsstaates im wesentlichen auf dem Ausbau der sozialen Infrastruktur mit großzügiger öffentlicher Kinderbetreuung, günstigen Mutterschafts- bzw. Erziehungsurlaubsregelungen sowie der 1971 eingeführten Individualbesteuerung.149 Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle jedoch, daß derartige wohlfartsstaatlichen "Segnungen" eine sog. Kolonialisierung des Individuums durch den Staat zur Folge haben. Der Vergleich der Erwerbsbeteiligung von Frauen in verschiedenen europäischen Ländern legt dennoch die Vermutung nahe, daß eines der größten Hemmnisse einer steigenden Berufstätigkeit von Frauen in der Bundesrepublik Deutschland ein Familienleitbild ist, das die Kinderbetreuung als private Angelegenheit der Familien interpretiert und zugleich die Betreuung innerhalb dieser Familie präferiert.
147 Vgl. ebenda, S. 221. 148 Vgl. ebenda, S. 222. 149 Vgl. hierzu GUSTAFSSON (1993).
111. Gesamtwirtscha,ftliche Konuquenzen
47
111. Gesamtwirtschaftliche Konsequenzen
l. Der volkswirtschaftliche Wert unbezahlter Arbeit Die vorangehenden Darstellungen haben u. a. gezeigt, daß in der Bundesrepublik Deutschland - mehr als die Hälfte aller Frauen im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig sind, - knapp 90 % aller teilzeitarbeitenden Erwerbstätigen Frauen sind, - der Anteil der erwerbstätigen Frauen mit betreuungspflichtigen Kindern unterhalb des EG-Durchschnitts liegt, - eine große, wenn auch abnehmende Zahl der Frauen die Erwerbstätigkeit mindestens einmal (familienbedingt) unterbricht, - in den letzten Jahrzehnten eine Verbesserung des Bildungs- und Ausbildungsstandes von Frauen stattfand, - Frauen nach wie vor auf vergleichsweise wenige Wirtschaftszweige und wenige Berufsfelder konzentriert sind. Der skizzierte Befund wird weithin als Manifestation einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Diskriminierung der Frauen, ja als volkswirtschaftliche Verschwendung bezeichnet.ISO Als Pauschalurteile sind Aussagen dieser Art jedoch nicht haltbar. Schon einige grundsätzliche Überlegungen verdeutlichen, daß eine sehr viel differenziertere Betrachtung nötig ist, um zu stichhaltigen Bewertungen zu kommen. So hängt die Antwort auf die Frage, inwieweit es sich beispielsweise bei der zu beobachtenden weit unterdurchschnittlichen Beteiligung von Frauen im Berufsleben um eine gesellschaftliche Diskriminierung handelt, in erster Linie davon ab, ob Erwerbsunterbrechungen bzw. die Nicht-Erwerbstätigkeit von Frauen als freiwillige Entscheidung betrachtet werden kann. Ist dies der Fall, so sind die dadurch bedingten geringeren Investitionen der Unternehmen in die Aus- und Weiterbildung von Frauen sowie weniger stabile Beschäftigungsverhältnisse als nicht diskriminierend anzusehen. Ähnlich verhält es sich auch bei der Berufswahl. Sofern von einer Freiheit der Berufswahl ausgegangen werden kann, hat jedes ISO Vgl. z. 8. WECK-HANNEMANN (1993), S. 76, SCHUBERT (1993), S. 56.
48
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Individuum die Verantwortung für seine Wahlentscheidung zu übernehmen. Sind Erwerbsunterbrechungen jedoch als unfreiwillig zu betrachten, weil sie von geschlechtsspezifischen Rollenstereotypen vorgegeben werden, die als gesellschaftliche Norm akzeptiert sind, so sind Schlechterstellungen von Frauen im Berufsleben als Diskriminierung im gesamtwirtschaftlichen Sinn zu bewerten. Nach dieser Auffassung übernehmen Frauen mit der Haushaltsarbeit einen Teil der gesellschaftlich notwendigen wirtschaftlichen Leistungen, werden dafür durch Nachteile bei der Berufsarbeit jedoch "bestraft". 151 Häufig wird auch konstatiert, die Nichtausschöpfung des weiblichen Arbeitskräftepotentials sei deshalb eine Verschwendung knapper Ressourcen, weil das Sozialprodukt nicht sein Maximalniveau erreiche.152 Hiermit wird auf den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften (Facharbeiter) und das geringere zukünftige Erwerbstätigenpotential durch die geburtenschwachen Jahrgänge angespielt. Zur Deckung des künftigen gesamtwirtschaflichen Bedarfs sei es notwendig, das Potential der Frauen stärker zu nutzen, sofern ein Ausgleich durch stärkere Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland nicht geschaffen werden kann bzw. soll. Zu bedenken ist jedoch, daß sich bei einer sehr hohen Erwerbsquote beider Geschlechter das Problem stellt, wer die volkswirtschatlich ebenfalls notwendige Reproduktionsarbeit leisten soll. Es ist zumindest umstritten, ob es wünschenswert ist, die Reproduktionsarbeit zum Beispiel im Fall der Kindererziehung weitgehend Dritten (z. B. der öffentlichen Hand) zu überlassen. Die weitere Möglichkeit, die Reproduktionsarbeit durch eine verstärkte Reduktion der Wochenarbeitszeit (beider Geschlechter) zu gewährleisten, erscheint derzeit nicht realisierbar. Es ist künftig bestenfalls mit einer größeren Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung zu rechnen.153 Die Frage nach einer möglichen Verschwendung von Ressourcen wegen der im Verhältnis zu männlichen Erwerbstätigen niedrigen 151 Vgl. SCHUBERT (1993), S. 54. 152 Vgl. ebenda, S. 69. 153 Siehe hierzu auch Kapitel IV. in Teil F.
/II. Gesamtwirtschaftliche Konsequenzen
49
Erwerbsquote der Frauen ist auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt zu betrachten. Gemeint ist die Problematik der Messung volkswirtschaftlicher Leistungen und gesellschafliehen Wohlstands. Als Maßstab dafür wird in der Regel der individuelle Beitrag zum Bruttosozialprodukt herangezogen. Doch gehen in diese Größe (vom öffentlichen Sektor abgesehen) nur vom Markt bewertete Güter und Dienstleistungen ein, während die gesamte in den privaten Haushalten erbrachte Wertschöpfung (Hausarbeit, Eigenfertigung der Heimwerker, Selbsthilfe, Kindererziehung) keine Berücksichtigung findet. Deshalb führt bekanntlich eine Substitution von nicht in das Sozialprodukt eingehender Hausarbeit durch Erwerbsarbeit zu einer Erhöhung des Sozialprodukts und damit ex definitione zu einer Erhöhung des so definierten Wohlstands der Gesellschaft. Daß die Leistungen im privaten Haushalt überwiegend nicht vom Markt bewertet werden, verhindert oft den Blick darauf, daß auch hier eine Wertschöpfung stattfindet, die zur Wohlfahrt einer Gesellschaft beiträgt. Dies bedeutet aber auch, daß die in Haushalten geleistete Reproduktionsarbeit höchstens insoweit als ökonomisch ineffizient bewertet werden kann, wie die hier erstellte Leistung - zu Marktpreisen bewertet - geringer zu veranschlagen ist als die Leistung, die von derselben Person - außerhalb des Haushalts hätte erbracht werden können. Damit ist jedoch die Frage nach einer bestehenden Diskriminierung der Frauen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht zuletzt eine Frage nach dem zugrundegelegten (volkswirtschaftlichen) Leistungsbegriff. Die besondere Problematik besteht darin, daß die (nicht von Dritten) erbrachte familienbezogene Reproduktionsarbeit nicht in die (heutige) Berechnung des Sozialprodukts eingeht und damit diese Arbeiten ökonomisch nicht bewertet werden. I 54 Im folgenden soll daher aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten zur Quantifizierung unbezahlter Haushaltsarbeit bestehen, um die Größenordnung der in privaten Haushalten geleisteten Arbeit zu verdeutlichen und damit zugleich das Argument der Verschwendung knapper Ressourcen bei Haushaltstätigkeiten auf seine Stichhaltigkeit zu prüfen. Dabei interessiert hier weniger die 154 Dieser Tatbestand führt auch zum sog. Hausfrauen-Paradoxon. Heiratet ein Junggeselle seine Haushälterin, so verkleinert er das Sozialprodukt, ohne daß damit die gesamtwirtschaftliche Leistung de facto zurückgeht. 4 Wiegand
50
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Diskussion über das Für und Wider einer Einbeziehung der Haushaltsproduktion in die Sozialproduktberechnung bzw. in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Es geht vielmehr darum, erste quantitative Wertansätze unbezahlter Hausarbeit zu ermitteln. 2. Haushaltsproduktion in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung 2.1 Problemstellung
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) stellt ein System gesamtwirtschaftlicher Ströme und Bestände dar. Sie bildet als umfassendes statistisches Instrument der Wirtschaftsbeobachtung die Grundlage für gesamtwirtschaftliche Analysen und Prognosen, indem sie eine quantitative Darstellung des wirtschaftlichen Geschehens einer Volkswirtschaft in einer abgelaufenen Periode liefert. Im Mittelpunkt dieses Systems stehen die Produktion und die daraus resultierenden Einkommen. Gemäß internationaler Konventionen ist die nichtmarktbestimmte Produktionstätigkeit privater Haushalte darin jedoch nicht eingeschlossen. Die privaten Haushalte werden im Rahmen der VGR vielmehr als überwiegend konsumierende Einheiten angesehen, deren nachgewiesener Produktionswert lediglich die Entgelte für die in diesen Haushalten beschäftigten Personen enthält. Der Hauptgrund für die Nichteinbeziehung der Haushaltsproduktion in die VGR liegt darin begründet, daß es sich hierbei um statistisch unzureichend abgesicherte Tatbestände handelt, da für Nichtmarktaktivitäten keine Marktwerte vorliegen und demzufolge meist vage Schätzungen erforderlich sind. I 55 Zudem widerspricht eine Einbeziehung der Haushaltsproduktion den traditionellen Verwendungszwecken der VGR (z. B. Analyse des Marktgeschehens). Hinzu kommt, daß der Haushalt und mit ihm die Haushaltsproduktion bis in die jüngste Zeit im Rahmen der Volkswirtschaftslehre als Privatsache angesehen wurde und damit nicht zum Wirtschaftsgeschehen hinzuzurechnen war. Gleichwohl werden seit vielen Jahren Überlegungen getätigt, wie die Haushaltsproduktion dennoch sinnvoll in die VGR einbezogen 155 Vgl.
BRÜMMERHOFF
(1990), S. 708.
111. Gesamtwirtschaftliche Konsequenzen
51
werden kann, da sie u.a. zur Beurteilung der gesellschaftlichen Wohlfahrt von großer Bedeutung ist. Zudem würden Verlagerungen der Produktionstätigkeit vom Haushalt in den Markt und umgekehrt besser erkannt und die Entwicklung der Versorgungssituation privater Haushalte könnte besser eingeschätzt werden.I56 Des weiteren könnte durch die Ermittlung des Wertes der Baushaltsproduktion ein Beitrag zur Aufhebung der Geringschätzung der im Haushalt getätigten Leistungen (insbesondere von Hausfrauen und externen Kräften) erbracht werden, indem eine neue wirtschaftliche Leistungsgröße gebildet wird. Hierzu wird vorgeschlagen, ein sog. Satellitensystem "Haushaltsproduktion" zur VGR aufzubauen, in dem weitergehende Berechnungen nach den Konzepten der VGR vorgenommen werden, ohne die traditionellen Teilbereiche z. B. der Sozialproduktsberechnung zu verändern. Die besonderen Schwierigkeiten einer solchen Berechnung liegen dabei in der sachgerechten Abgrenzung der Haushaltsproduktion sowie ihrer monetären Bewertung. 2.2 Abgrenzung der Haushaltsproduktion
Der Haushaltsproduktion kann im weitesten Sinne alles das zugerechnet werden, was nicht zur entlohnten Erwerbstätigkeit zählt. Dies sind alle Zeitverwendungen eines 24-Stunden-Tages oder menschlichen Lebens, die nicht der Geldeinkommenserzielung dienen, also die Wiederherstellung der Arbeitskraft durch Regeneration sowie versorgungs- und sozialbezogene Aktivitäten. Dazu gehören Leistungen im Haushalt, Hobby- und Bauarbeiten, Nachbarschaftshilfe und für die Allgemeinheit produzierte Waren und Dienstleistungen .157 Die Haushaltsproduktion umfaßt demzufolge ein weites Feld von verschiedenen Aktivitäten und Leistungen, mit zum großen Teil immateriellen Wohlfahrtserträgen. Für die statistische Erfassung im Rahmen der VGR ist folglich eine engere Begriffsfassung erforderlich.
4*
156 Vgl.
SCHÄFER
157 Ygl.
BRÜMMERHOFF
(1988),
S.
310.
(1990),
S.
709.
52
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Zur eindeutigen und operationalisierbaren Abgrenzung der Haushaltsproduktion aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive werden sämtliche Aktivitäten der privaten Haushalte außerhalb der Erwerbstätigkeit in solche, die als "produktiv", und solche, die als "unproduktiv" gelten sollen, unterteilt. Es wird also in erster Linie die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Haushalt betrachtet. Damit findet zwar von vornherein eine auf die ökonomische Seite des alltäglichen Lebens in privaten Haushalten beschränkte Erfassung statt. Eine solche Restriktion ist jedoch insofern notwendig, als viele Vorgänge in privaten Haushalten ökonomisch nicht sinnvoll bewertet werden können. Um die Haushaltsproduktion aus gesamtwirtschaftlicher Sicht abzugrenzen, wird (weltweit) üblicherweise auf das sog. Dritt-Personen-Kriterium zurückgegriffen, wonach nur diejenigen Aktivitäten bzw. Leistungen einbezogen werden, die auch von einer dritten Person gegen Entgelt hätten erbracht werden können. Diese Definition der Haushaltsproduktion stellt somit auf die grundsätzliche Möglichkeit ab, die unbezahlten Tätigkeiten im Haushalt durch Leistungen des Marktes ersetzen zu können. Doch selbst bei Anwendung dieses Kriteriums bleibt vieles nicht eindeutig zurechenbar (z. B. das tägliche Kämmen oder Rasieren, das auch durch die am Markt angebotene Friseurleistung ersetzt werden kann). Hierzu bedarf es letztlich der Einzelentscheidung, die zu einer Auflistung der als produktive Tätigkeit geltenden Tatbestände führt. 2.3 Monetäre Bewertung Für die Bewertung von Einzelleistungen im Haushalt gibt es zwei verschiedene Methoden: die Bewertung des Inputs, insbesondere der Arbeitszeit, und die Bewertung des Outputs, die an der Substitution von Haushaltsproduktion durch Marktgüter und -dienstleistungen orientiert ist. Die input-orientierte Methode setzt am Zeitaufwand für die Haushaltsproduktion an, der mit Lohnsätzen bewertet wird. Zur Bewertung kommen wiederum zwei Verfahren in Betracht. Zum einen kann nach dem Opportunitätskostenprinzip die Hausarbeit einer Arbeitskraft mit ihrem potentiellen Markteinkommen be-
II/. Gesamtwirtsclulftliche Konsequenzen
53
wertet werden und stellt damit den Verlust an Erwerbseinkommen dar, zum anderen kann zur Bewertung der Lohnsatz einer bezahlten Arbeitskraft im Haushalt angesetzt werden.158 Beide Ansätze weisen jedoch Probleme auf. So wird beim Opportunitätskostenansatz implizit unterstellt, daß die Haushaltsmitglieder ihre Entscheidung, primär im Haushalt tätig oder erwerbstätig zu sein, in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten treffen. Nach diesem Modell werden die Haushaltsmitglieder nur dann im eigenen Haushalt arbeiten, wenn der dort geschaffene Wert von ihnen gleich hoch oder höher eingestuft wird als der mögliche Verdienst bei einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit In der Realität spielen jedoch solche rein ökonomischen Überlegungen wohl eher eine untergeordnete Rolle. Hinzu kommt, daß bei einer Bewertung zu Opportunitätskosten größtenteils der Ausbildungsstand und das damit zu erzielende Markteinkommen der im Haushalt tätigen Personen den Wert der Haushaltsproduktion bestimmen.159 Nach dieser Methode geht folglich der Wert der Haushaltsproduktion über den (Markt-)Wert der physischen Leistung hinaus. Bei der Marktbewertung zum Lohnsatz von Hausangestellten stellt sich die Frage, ob dabei von dem Gehalt einer vollverantwortlichen, verschiedene Tätigkeiten ausführenden Haushaltshilfe ausgegangen werden soll oder der Arbeitslohn von Spezialisten wie Handwerkern, Köchen etc. heranzuziehen ist, also eine tätigkeitsspezifische Bewertung vorgenommen wird. Der Vorteil des tätigkeitsspezifischen Konzepts liegt in der guten statistischen Fundierung, während seine praktische Relevanz wohl eher begrenzt ist.160 Der output-orientierte Bewertungsansatz stellt auf das Produktionsergebnis der im Haushalt hergestellten Waren und Dienstleistungen ab. Danach wird der Wert der eingesparten Ausgaben durch die Eigenproduktion berechnet. Dies erfolgt durch die Erfassung der Menge der im Haushalt erzeugten Waren und Dienstleistungen und der anschließenden Bewertung mit Preisen am Markt
158 Vgl. ebenda, S. 315 f. 159 Vgl. ebenda, S. 316. 160 Vgl. ebenda, S. 317.
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Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
angebotener Waren und Dienstleistungen.161 Die Probleme dieses Ansatzes resultieren vor allem aus der Frage, was wirklich vergleichbare Waren und Dienstleistungen sind. Um den Bewertungsspielraum möglichst klein zu halten, ist daher eine sehr detaillierte qualitative Abstufung der einzelnen Haushaltstätigkeiten notwendig, wodurch statistische Erhebungen erheblich erschwert werden.162 Generelle Probleme einer monetären Bewertung der Haushaltsproduktion ergeben sich zudem bei der simultanen Durchführung unterschiedlicher Tätigkeiten (z. B. Beaufsichtigung von Kindern während des Kochens), da hier zu fragen ist, ob nur die Haustätigkeit einzubeziehen ist oder auch die sekundären Tätigkeiten. Des weiteren bestehen im Vergleich zur Produktion im Unternehmen bei der Haushaltsproduktion kaum Kontrollmechanismen im Hinblich auf die Qualität und Produktivität, was eine Bewertung mit entsprechenden Marktlohnsätzen erschwert. Dies bedingt auch die grundsätzliche Problematik der Bewertung der Haushaltsproduktion, daß hier lediglich fiktive Werte berechnet werden können und zudem Marktprodukte und Haushaltsproduktion nur begrenzt substituierbar sind.163 Die vorangehenden Überlegungen zeigen, daß der Wert der Haushaltsproduktion und damit auch seine Relation zum Sozialprodukt von der jeweiligen Bewertungsmethode abhängen. Während der output-orientierte Ansatz methodische Vorteile aufweist, ist der input-orientierte Ansatz aus statistischen Gründen vorzuziehen. Dafür ist allerdings zunächst eine Feststellung des Arbeitsvolumens im Haushalt notwendig. Dies geschieht mit Hilfe von Zeitbudgeterhebungen, die detaillierte Angaben über die Zeitverwendung aller Haushaltsmitglieder (ab einem bestimmten Alter) für die zur Haushaltsproduktion zählenden Arbeiten liefern.
161 Vgi.LüTZEL(1990),S.134. 162 Vgl. ebenda, S. 136 f. 163 Vgl. SCHÄFER (1988), S. 314.
55
lll. Gesamtwirtschaftliche Konsequenzen
2.4 Schätzungen zum Wert der Haushaltsproduktion
Für die Bundesrepublik Deutschland liegen noch keine verläßlichen Schätzungen des Wertes der Haushaltsproduktion vor.I64 Die Ergebnisse der von verschiedenen Autoren durchgeführten früheren Schätzungen werden in Tabelle 8 zusammengestellt. Tabelle 8:
Schätzungen zum Wert der Haushaltsproduktion in der Bundesrepublik Deutschland
Autor( in)
Jahr
Wert der Haushaltsproduktion inMrd.DM
in% des Bruttosozialprodukts
Marktbewertung Forsl.. ................... Sdunucker............ Langlcld/Adatia....
Langleld................ Schellkat... ............
Hilzenbecher.........
1953 1958 1961 1971 1977 1965 1%4 1970 1974 1980 1982
35- 42 9- 12 122 324 562 229 112- 158 168- 254 224- 370 325- 552 862-1090
23-28 33-45 37 43 47
50
27-38 25-38 23-38 22-37 54-68
Opportunitlltskosten Schcttkal ...............
1964 1970 1974 1980
156230296425-
220 347 490 722
37-53 34-51 30-50 29-49
Quelle: SCHÄFER (1988), S. 309.
164 Repräsentative Zeitbudgeterhebungen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sind zwar vom Statistischen Bundesamt im Jahre 1992 abgeschlossen worden. Erste Ergebnisse sind jedoch noch nicht publiziert worden. Dies soll voraussichtlich im Juni 1994 geschehen.
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Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
Die Angaben sind allerdings nur bedingt vergleichbar, da sowohl Unterschiede bei der Abgrenzung der Haushaltsproduktion als auch bei der Qualität der zugrundeliegenden Arbeitszeitangaben und der Bewertung vorliegen und demzufolge die jeweils einbezogenen Komponenten der Haushaltsproduktion variieren. Daher weichen die Ergebnisse in Abhängigkeit von der jeweiligen Bewertungsmethode zum Teil erheblich voneinander ab. Gleichwohl verdeutlichen diese Schätzungen die quantitative Bedeutung der im Haushalt geleisteten Arbeit, die in der Größenordnung von 30 bis 50 % des Bruttosozialprodukts liegt. Dabei führt die inputorientierte Bewertung zu Marktpreisen in der Regel zu dem niedrigsten Wert der Haushaltsproduktion. Die obigen Ergebnisse bestätigt auch eine jüngere Studie aus Österreich. Nach der dort gewählten Inputbewertung der Hausarbeit zum Lohnsatz der Haushaltshilfe erbrachte die Haushaltsproduktion in Österreich im Jahr 1981 einen Wert von 30 bis 38% des Bruttoinlandsprodukts. Dabei entfielen rund 80 % der Leistungen des Haushaltssektors auf Frauen.165 3. Beurteilung der Bedeutung der Haushaltsproduktion Obgleich die Schätzungen des Wertes der Haushaltsproduktion zum Teil stark differieren, machen sie deutlich, welchen quantitativen Beitrag die im Haushalt tätigen Personen zur gesamtwirtschaftlichen Leistung erbringen. Dieser Beitrag fällt sogar noch wesentlich höher aus, wenn auch die im ökonomischen Sinne als unproduktiv geltenden Tätigkeiten und Leistungen im Haushalt hinzugezählt werden. So besteht die gesamte Haushaltsproduktion aus - den Leistungen der privaten Haushalte für die nachwachsende Generation, -den Leistungen der privaten Haushalte für die Regeneration und Qualifikation des gesellschaftlichen Arbeitspotentials,
165 Vgl. BIFFL ( 1989), S. 575.
IV. Resümee
57
- den Leistungen der privaten Haushalte für die Gesundheitsvorsorge, Aktivierung, Rehabilitierung und Pflege der Kranken und Behinderten aller Altersgruppen.166 Sämtliche Leistungen der privaten Haushalte führen somit zur Reproduktion, Qualifizierung und Erhaltung des Humanvermögens einer Gesellschaft.167 Die meisten Tätigkeiten, die zu einer Erhöhung des Bruttosozialprodukts beitragen, können nur deshalb erbracht werden, weil zu Hause die hierfür notwendigen Regenerations- und Aufbauarbeiten unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.168 Des weiteren dient die Haushaltsproduktion traditionell der Befriedigung von Grundbedürfnissen. Die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen ist hingegen erst eine Folge zunehmender Arbeitsteilung und hängt damit u. a. vom Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft ab. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen erscheint es auch nicht angebracht, die geringere Erwerbstätigkeit der Frauen im Vergleich zu Männern als eine Verschwendung knapper Ressourcen zu betrachten. Die Aufnahme einer entlohnten Tätigkeit führt zwar rein statistisch gesehen immer zu einer Produktionssteigerung. Dennoch muß sich die gesamtwirtschaftliche Leistung nicht im selben Ausmaß erhöht haben, da die vermehrte Marktarbeit einer Person zugleich eine Verringerung der Haushaltsarbeit bedeutet.169 Zudem stellt sich die Frage, wer die (gesellschaftlich notwendigen) Leistungen der privaten Haushalte erbringen soll, wenn eine sehr hohe Erwerbsbeteiligung beider Geschlechter angestrebt wird. Sie kann sicherlich nur teilweise unterbleiben oder aber vom Staat organisiert werden.
IV. Resümee Die Erwerbsbiographie von Frauen mit Kindern ist weiterhin durch familienbedingte Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit gekennzeichnet, die in den meisten Fällen über den gesetzlich vorge166 Vgl. SCHWElTZER (1991), S. 110. 167 Vgl. ebenda. 168 Vgl. LüTZEL (1990), S. 131. 169 Vgl. BIFFL(l989), S. 567.
58
Teil A: Weibliche Lebensplanung und Erwerbstätigkeit
schriebenen Mutterschaftsurlaub hinausgehen. Gleichwohl ist die Dauer der Erwerbsunterbrechung sehr unterschiedlich. Eine generelle Tendenz zum frühen Beginn der zweiten Erwerbsphase zeichnet sich ab. Ledige bzw. verheiratete berufstätige Frauen ohne Kinder unterbrechen demgegenüber ihre Berufstätigkeit wesentlich seltener als Frauen mit Kindern. Von staatlicher Seite wird die Erwerbsunterbrechung der Mütter stärker gefördert als der Wiedereinstieg nach einer solchen Familienphase, obwohl die Unterbrechung zu verringerten Chancen auf dem Arbeitsmarkt führt. Insbesondere längerfristiges Ausscheiden aus dem Beruf kann zu einem Verlust der beruflichen Qualifikationen führen, der später oft nur schwer wieder auszugleichen ist. Daher gelingt die Berufsrückkehr vielen Frauen zunächst lediglich an einen unter ihrem ursprünglichen Ausbildungsniveau liegenden Arbeitsplatz mit entsprechend niedriger Entlohnung. Dies hat zur Folge, daß die Opportunitätskosten einer Familienpause erheblich höher sind als der Einkommensausfall in dieser Zeit. Gleichwohl hat die Erwerbstätigkeit der Frauen (im früheren Bundesgebiet) in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, insbesondere bei den Frauen zwischen 30 und 50 Jahren. Dabei ist zu beobachten, daß die Erwerbsbeteiligung der Frauen vor allem vom Ausbildungsniveau sowie von der Zahl der zu betreuenden Kinder determiniert wird. Somit wird bereits nach diesen ersten Darlegungen deutlich, daß es erstens keine homogene Gruppe "Frauen" am Arbeitsmarkt gibt, zweitens die Bedürfnisse der weiblichen Arbeitskräfte je nach ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Teilgruppen erheblich voneinander abweichen können und drittens die politischen und Unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten demzufolge nicht unter dem Schlagwort "Frauenförderung" über einen Kamm geschoren werden können, sondern der Differenzierung bedürfen. Auch die Notwendigkeit und Stärke der jeweiligen Eingriffe ist in Abhängigkeit von der als förderungswürdig und auch als förderungsbedürftig betrachteten Teilgruppe zu sehen. So scheint die Entwicklung der Berufs- und Aufstiegschancen von Frauen einer gewissen Dynamik zu unterliegen, welche die Möglichkeiten bestimmter Teilgruppen, etwa hochqualifizierter Frauen ohne Kinder, quasi per se verbessert.
IV. Resümee
59
Gleichwohl ist anzumerken, daß die bestehende innerfamiliäre Arbeitsteilung, insbesondere was die Betreuung von Kindern angeht, nach wie vor als Hauptursache für mögliche Benachteiligungen von Frauen im Erwerbsbereich anzusehen ist. Das (typische) Berufswahlverhalten von Frauen und betriebswirtschaftliche Effizienzüberlegungen tragen ihrerseits zu den angesprochenen Problemen bei. Der Wert der Haushaltsproduktion ist bislang eine weitgehend unbekannte Größe geblieben. Diese mangelnde Quantifizierung des Beitrags der Hausfrauen (und Hausmänner) zur gesamtwirtschaftlichen Leistung hat zur Folge, daß die Haushaltsarbeit eher eine Geringschätzung erfährt, da sie zumeist unentgeltlich erbracht wird. Gleichwohl deuten verschiedene Schätzungen darauf hin, daß die Haushaltsproduktion in der Bundesrepublik Deutschland in etwa ein wertmäßiges Volumen von 30- 50% des Bruttosozialproduktes hat. Wird zudem die Tatsache hinzugezogen, daß die Erbringung von bezahlter Erwerbsarbeit nur möglich ist, wenn zu Hause die notwendigen Vorleistungen zur Verfügung gestellt werden, so kann von einer Verschwendung knapper Ressourcen bei Haushaltsarbeit gegenüber Marktarbeit prinzipiell nicht gesprochen werden, wie es häufig170 der Fall ist. Die generelle Notwendigkeit einer Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen kann folglich aus einer solchen Argumentation nicht abgeleitet werden. Hierzu bedarf es einer differenzierten weitergehenden Analyse des Sektors Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht, die in den folgenden Kapiteln vorgenommen wird.
170 Vgl. z. B. ÜSSOLA-HARING (1988), S. 8.
TeilB Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht I. Ökonomische Theorie der Familie 1. Ökonomische Theorie der Ehe
1.1 Theorie der Heirat
Ausgangsbasis der ökonomischen Theorie der Heirat ist die Annahme, daß die Individuen die Frage, ob und wann sie heiraten, rational nach dem ökonomischen Kalkül beantworten. Die Ehe und Ehegründung entspricht demzufolge dem Kriterium der Entscheidungsfindung bei knappen Ressourcen. Sofern die beiden folgenden Prämissen erfüllt sind, kann das Heiratsverhalten einer ökonomischen Analyse unterzogen werden. Die erste Voraussetzung ist die, daß die potentiellen Ehepartner ihre Wahl frei bestimmen können. Die zweite Prämisse der ökonomischen Theorie der Ehe ist die Annahme eines funktionierenden Heiratsmarktes. Dies bedeutet, daß jeder Marktteilnehmer gemäß seinem "Angebot" einen geeigneten Partner zu finden versucht.l71 Das Kriterium der Eheschließung ist dann erfüllt, wenn für jeden Partner der erwartete Nutzen einer Ehe größer ist als die Situation des Alleinstehenden.172 Partnerschaften werden unter ökonomischen Gesichtspunkten folglich gebildet, um eine Erhöhung der individuellen Wohlfahrt zu erzielen. Dieser Wohlfahrtsgewinn entsteht durch das Zusammenwirken der Beteiligten bei der Produktion von materiellen und immateriellen nutzenstiftenden Gütern und den damit zu erzielenden Synergieeffekten. Partnerschaften lassen sich somit auch als Konsum- und Produktionsgemeinschaften bezeichnen, die eine Ausweitung der Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten erlauben und den daraus resultierenden Produktionsaufwand senken.173
171 Vgl. BECKER (1973), S. 814. 172 Vgl. ebenda. 173 Vgl. HARTWIG (1993), S. 35 f.
/. Ökonomische Theorie der Familie
61
Ein besonders großer Vorteil der Eheschließung besteht nun darin, Arbeitsteilung vorzunehmen, die sich insbesondere bei der Erziehung von Kindern anbietet. Indem derjenige Partner, der am Markt ein geringeres Arbeitseinkommen erzielt, die Kindererziehung übernimmt und der andere Partner seine Arbeitszeit entsprechend ausweiten kann, läßt sich eine effiziente Zeitallokation innerhalb der Familie erzielen.174 In eine Kosten-Nutzen-Analyse der Ehe sind jedoch auch die Nachteile einer partnerschaftliehen Bindung einzubeziehen, um daraufhin eine rationale Entscheidung treffen zu können. Als Nachteil einer Ehe wird oftmals die Aufgabe der Unabhängigkeit sowie die Einschränkung des individuellen Handlungsspielraums genannt. Durch die Heirat werden dem Ehepartner Mitspracherechte gewährt, die ihm zugleich die Verfügungsgewalt über Ressourcen einräumen, über die vor der Ehe von einem Partner autonom entschieden werden konnte. Damit hängt auch die Aufgabe der Anonymität von allen Handlungen zusammen, die nunmehr vom Partner beobachtet und beurteilt werden. Darüber hinaus entstehen emotionale Abhängigkeiten, die beide Partner verletzbar machen.175 Demzufolge sind auch die Reaktionen des Partners auf das eigene Verhalten mit den daraus resultierenden Konsequenzen zu bedenken. Das bedeutet, daß zu den Kosten des Autonomieverlustes noch die Kosten der Entscheidungstindung hinzukommen. Veränderungen in der Kosten-Nutzen-Relation werden folglich bei rational handelnden Individuen zu Reaktionen führen, indem sie Aktivitäten, deren Nutzen gestiegen ist bzw. deren Kosten gesunken sind, ausweiten und umgekehrt. Dies gilt zugleich bei der Partnersuche, beim Zustandekommen einer Partnerschaft sowie bei ihrer Auflösung.176 1.2 Partnerwahl und Aufgabenverteilung
Die Erträge einer Partnerschaft, die sich bei der Herstellung outzenstiftender Güter sowie bei der Einsparung der dabei entstehenden Kosten ergeben, sind um so größer, je besser sich die beiden 174 Vgl. RIBHEOOE (1993), S. 66. 175 Vgl. ebenda, S. 67. 176 Vgl. HARlWIO (1993), S. 38 f.
62
Teil 8: Haushalt und Familie aus volkswirtschf.!ftlicher Sicht
Partner gegenseitig ergänzen. Je größer die Übereinstimmungen sind, desto geringer sind die späteren Einigungskosten einerseits und desto größer ist die Nutzenstiftung andererseits. Wird rationales Handeln der Individuen unterstellt, so gilt dies auch für das Bildungsniveau, die Herkunft, die physische Attraktivität und Charaktereigenschaften sowie für Alter und Vermögen.177 Die daraus resultierenden Koalitionen wären optimal in dem Sinne, als sie niemand von außen aufbrechen könnte, da der Partnerschaftsertrag bei einem Partnerwechsel annahmegemäß nicht weiter steigen könnte.178 Allerdings sind obige Annahmen sehr restriktiv und daher eher unrealistisch. Die Informationen sind unvollständig, und einzelne Eigenschaften können nicht isoliert nachgefragt werden, so daß gewisse Kompromisse von den Partnern eingegangen werden müssen. Ökonomisch finden solche Kompromisse ihren Ausdruck in der Grenzrate der Substitution. Diese gibt an, inwiefern ein Partner bereit ist, auf eine Eigenschaft zugunsten einer anderen zu verzichten, ohne daß sich dadurch sein Nutzenniveau verringert.J79 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, führt die partnerschaftliehe Arbeitsteilung zu einem um so höheren Gesamtertrag, je stärker sich die Partner auf ihre spezifischen Fähigkeiten konzentrieren und damit ihre komparativen Kostenvorteile verwirklichen. Dabei hängen Art und Umfang der Spezialisierung von den Produktivitätsunterschieden, also den Löhnen und der Haushaltsproduktivität ab. Eine Spezialisierung auf Haushaltstätigkeiten kann für den höher verdienenden Partner zu Spezialisierungsgewinnen führen, wenn sein Einkommensvorteil geringer ist als sein Effizienzvorteil zu Hause. Sofern ein Partner das Dreifache an Zeit zur Bewältigung der Haushaltsarbeit im Vergleich zum in einer Stunde doppelt so viel verdienenden anderen Partner benötigt, ist es aus Kostengründen dennoch sinnvoll, wenn der höher verdienende Partner die Haushaltsarbeit übernimmt. ISO Daß dies in den meisten Fällen die Frauen sind, könnte demzufolge daran liegen, daß sie 177 Vgl. ebenda, S. 44. 178 Vgl. ebenda, S. 45. 179 Vgl. ebenda, S. 46. 180 Vgl. ebenda, S. 47.
I. Öhmornisehe Theorie der Familie
63
bei der Haushaltsproduktion im Durchschnitt effizienter sind als die Männer.181 Dies hat folgende Konsequenzen:182 - Sofern Frauen über geschlechtsspezifische Vorteile bei der Haushaltsproduktion verfügen oder in diese Rolle gedrängt werden, kommt es zur Spezialisierung und zu entsprechenden Investitionen in Fähigkeiten der Haushaltsführung, welche die bestehenden Rollenmuster stabilisieren. - Geringe Frauenlöhne in Verbindung mit einer hohen Heimproduktivität der Frauen erhöhen die Chancen für effiziente Ehen. Daher ist es für Eltern rational, ihre Töchter bei der Ausbildung dementsprechend zu spezialisieren. Dadurch werden auch die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern perpetuiert. - Eine relative Erhöhung der Löhne von Frauen im Vergleich zu Männern hat abnehmende partnerschaftliehe Investitionen vor allem in Kinder zur Folge und senkt die Bereitschaft, (weitere) Kinder zu bekommen. - Bei steigenden Frauenlöhnen werden für Frauen ceteris paribus Investitionen in am Markt verwertbares Humankapital rentabler. Damit nähern sich auch die heimischen Produktivitäten von Frauen und Männern an und führen zu einer sinkenden Ehebereitschaft Diese Tatbestände machen deutlich, daß die Auflösung traditioneller Rollenmuster vermutlich auch als Reaktion auf veränderte ökonomische Variablen zu sehen ist. 1.3 Trennung als Korrektur von Fehlentscheidungen
In Analogie zur Begründung einer Eheschließung, nach der sich für beide Ehepartner eine Wohlfahrtssteigerung erzielen läßt, bietet die Scheidung die Möglichkeit einer Korrektur von Fehlentscheidungen und ist dann effizient, wenn sich die Eheleute von der l8l Vgl. ebenda.
182 Vgl. ebenda.
64
Teil 8: Haushalt und Familie aus volkswirtscluiftlicher Sicht
Situation nach der Scheidung einen größeren Nutzen versprechen als durch eine weiterhin aufrechterhaltene Ehe. Nach der ökonomischen Theorie wird eine Scheidung nur realisiert, wenn sich damit der Nutzen beider Partner erhöht.183 Wird vom Idealfall der vollkommenen Voraussicht abstrahiert, so kann die Trennung als Reaktion auf gravierende Informationsmängel interpretiert werden.184 Allerdings kommt es nicht automatisch zur Scheidung, wenn nur ein Partner dadurch bessergestellt wird. Solange der gemeinsame Nutzen der Ehe größer ist als nach einer Scheidung, kann durch Kompensationszahlungen des Scheidungsunwilligen eine Nutzenverteilung ~zielt werden, in der beide Partner bessergestellt sind als im Scheidungsfall.185 Allerdings kann auch der Scheidungswillige versuchen, von seinem Partner die Zustimmung durch Ersetzen des erwarteten Trennungsverlustes zu erkaufen. 186 Dies kann dann erforderlich sein, wenn die gesetzlichen Scheidungsregelungen einen Konsens beider Ehepartner vorsehen. Folglich üben die gesetzlichen Regelungen einen Einfluß auf die Art der erforderlichen Kompensationszahlungen aus, indem sie entscheiden, ob der Scheidungswillige oder der Scheidungsunwillige Zahlungen zu leisten hat.187 Die in den vergangeneo Jahren zu beobachtenden sinkenden Ehequoten und steigenden Scheidungsziffern spiegeln somit auch die veränderten Restriktionen wider, denen sich potentiell Heiratswillige und Verheiratete gegenübersehen. Sinkende Vorteile der Arbeitsteilung in der Ehe sowie steigende Opportunitätskosten der Frauen in Verbindung mit sinkenden Geburtenzahlen tragen zu einem Bedeutungsverlust der Ehe bei. Zugleich erhöht ein geringerer zu erwartender Ehegewinn die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung. Eine solche erhöhte Scheidungswahrscheinlichkeit setzt jedoch Anreize für Frauen, verstärkt in ihr marktspezifisches Humankapital zu investieren. Durch vermehrte Marktarbeit in der Ehe sichern sie sich gleichermaßen gegen die negativen Konse183 VgJ. RIBHEGGE (1993 ), S. 82. 184 Vg1. HARTWIG (1993), S. 54. 185 Vgl. RIBHEGGE (1993), S. 82. 186 Vgl. HARTWIG (1993), S. 55. 187 Vgl. ZAMECK (1990), S.146.
I. Ökimomische Theorie der Familie
65
quenzen ihrer Haushaltstätigkeit (zukünftig niedrigerer Lohn) im Falle einer Scheidung ab. Die Tatsache, daß geschiedene Frauen mit Kindern am Arbeitsmarkt höheren Marktzutrittsschranken gegenüberstehen und ihre Wiederverheiratungschancen reduziert werden, läßt darauf schließen, daß eine höhere Scheidungswahrscheinlichkeit neben einer erhöhten Erwerbsbeteiligung von Frauen auch einen Rückgang der Geburten induziert. ISS 2. Ökonomische Theorie des generativen Verhaltens 2.1 Die optimale Kinderzahl In der ökonomischen Theorie der Familie wird davon ausgegangen, daß die Ehepartner unter Berücksichtigung der optimalen Zeitallokation versuchen, ihren gemeinsamen Nutzen zu maximieren. Im Vordergrund der Bestimmung der optimalen Allokation der Zeit steht neben der partnerschaftliehen Arbeitsteilung die Anzahl der gewünschten Kinder sowie ihre Erziehung. Angewandt auf die ökonomische Theorie des generativen Verhaltens bedeutet dies, daß unter ökonomischen Gesichtspunkten die angestrebte Familiengröße sowohl von den Präferenzen der Eltern für Kinder in Form von materiellen und immateriellen Nutzenerwartungen als auch von den zur Verfügung stehenden Ressourcen an Geld und Zeit abhängig ist.IS9 Damit stehen die familiären Präferenzen und Handlungspotentiale in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den ökonomischen, sozialen und moralischen Normen und Wertvorstellungen.I90 Auf der Kostenseite sind neben der Nahrung und Kleidung der Kinder auch die Zeitkosten, die für ihre Erziehung aufgebracht werden müssen, zu berücksichtigen. In der Bundesrepublik Deutschland ist dies meist mit der vorübergehenden Aufgabe der Berufstätigkeit eines Elternteils verbunden. Daher sind in die Berechnung der Gesamtkosten der Kinder die Einkommensverluste aufgrund der Arbeitsaufgabe sowie zukünftige Einkommenseinbu-
ISS Vgl. ebenda, S. 147 f. IS9 Vgl. SCHILP (19S4), S. 132. 190 V gl. ebenda. 5 Wiegand
66
Teil 8: HausluJ/t und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht
ßen infolge der Berufsunterbrechung einzubeziehen. Hinzu kommt noch die Verringerung zukünftiger Rentenansprüche.191 Diesen Kosten, die bei der Planung der Familiengröße zu berücksichtigen sind, steht der Nutzen, den Kinder stiften, gegenüber. Einerseits werden Kinder um ihrer selbst willen gewünscht, andererseits als Quelle häuslichen Einkommens betrachtet. Die Bedeutung dieser beiden Nutzenkategorien variiert mit der Art der jeweiligen Gesellschaftsstruktur.192 In der ökonomischen Theorie der Familie werden Kinder als langlebiges Konsumgut verstanden und nicht als Produktionsfaktoren betrachtet, wie dies in den meisten Entwicklungsländern heute noch der Fall ist. Zudem wird unterstellt, daß der Nutzen der Familie zugleich von der Anzahl und der Qualität der Kinder, d. h. im wesentlichen von ihrer Ausbildung abhängt. Für die Ermittlung der optimalen Kinderzahl sind im Rahmen der Familienplanung die Nutzeneffekte gegen die Kosten der Kindererziehung abzuwägen.193 Der langfristige Rückgang der Geburtenrate in Industriestaaten ist daher zum Teil darauf zurückzuführen, daß die Kinder von ihrem früheren Nutzen eingebüßt haben. Dies geschieht insbesondere durch Verlagerung der sozialen Absicherung der Familie von der familiären auf die gesellschaftliche Ebene. Die Folgen sind generative Reproduktionsentscheidungen, die zum Teil zu einem Widerspruch zwischen individueller und gesellschaftlicher Rationalität führen. Während die Kosten der Kindererziehung (in der Bundesrepublik Deutschland) weitgehend privatisiert werden, werden die daraus erzielten Erträge sozialisiert. Dies zeigt sich insbesondere an der Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung.194 Aus mikroökonomischer Sicht tragen Kinder damit heute weder entscheidend zur Erhöhung des Familieneinkommens noch zu ihrer Alterssicherung bei. Demgegenüber fallen die Kostengesichtspunkte des Aufziehens von Kindern immer stärker ins Gewicht. Auf der Nutzenseite treten hingegen qualitative Eigenschaften der Kinder in den Vordergrund.195 191 Vgl. RIBHEGGE ( 1993), S. 67. 192 Vgl. SCHILP(I984), S. 136. 193 Vgl. R!BHEGGE (1993), S. 68. 194 Siehe hierzu auch Kapitel 111 in diesem Teil. 195 Vgl. SCHILP (1984), S. 139 f.
/. Ökonomische Theorie der Familie
67
2.2 Die optimale Kindererziehung Wie bereits erwähnt, hängt die Nutzenstiftung von Kindern auch von ihrer Qualität 196 und damit im wesentlichen von ihrer Ausbildung ab. Eltern möchten in die Ausbildung ihrer Kinder investieren, um ihnen einen angemessenen Lebensstandard zu sichern und zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten beizutragen. Daraus resultiert der Zusammenhang, daß bei steigendem Einkommen der Eltern auch die Nachfrage nach der "Qualität" der Kinder steigt.l97 Dies bedeutet aber auch, daß mit einem Lohnanstieg nicht nur ein positiver Einkommenseffekt einhergeht, sondern auch ein negativer Substitutionseffekt Steigende Löhne, vor allem bei Frauen, erhöhen die Kosten der Kindererziehung im Sinne des Opportunitätskostenkonzepts und kompensieren somit teilweise den Einkommenseffekt.l98 Hinzu kommt, daß eine gewünschte hohe "Qualität" der Kinder besonders hohe Zeitinvestitionen erfordert, was zu einem größeren negativen Substitutionseffekt von Lohnsteigerungen führt. Ist davon auszugehen, daß eine substitutive Beziehung zwischen der Zahl der Kinder und ihrer Qualität besteht, so läßt sich der zu beobachtende Zusammenhang einer mit zunehmendem Einkommen sinkenden Nachfrage nach Kindem ökonomisch plausibel erklären.199 Einkommensteigerungen bringen folglich zwei negative Effekte in bezug auf den Wunsch nach Kindern mit sich: Zum einen steigen die Kosten der Kindererziehung bei gegebener Qualität, zum anderen erhöhen sich bei steigendem Einkommen die Anforderungen der Eltern und der Gesellschaft an eine gute Erziehung und Ausbildung der Kinder.200 Daher ist die Übertragung der Ansprüche eines hohen Lebensstandards auf die Kinder in die KostenNutzen-Überlegungen der Familienplanung einzubeziehen.201
196 Der Begriff der "Qualität der Kinder" wurde von Gary BECKER in die ökonomische Analyse eingeführt. 197 Vgl. RIBHEGGE (1993), S. 68. 198 Vgl. ebenda. 199 Vgl. ebenda. 200 Vgl. ebenda, S. 69. 201 Vgl. SCHILP (1984), S. 140. 5*
68
Teil B: Haushalt und Familie aus volkswirtschafilicher Sicht
2.3 Opportunitätskosten der Kindererziehung
Die ökonomische Theorie der Familie beschäftigt sich, wie bereits erwähnt wurde, vorrangig mit der optimalen Zeitallokation der Haushaltsmitglieder. Dabei steht der Zeitverbrauch im Haushalt, insbesondere für Kindererziehung, in einem Konkurrenzverhältnis zur Zeitverwendung im Erwerbsbereich, die sich aus der Zeitrestriktion (24-Stunden-Tag) ergeben. 202 Zur Realisierung der angestrebten Familiengröße sind zugleich finanzielle und zeitliche Ressourcen aufzuwenden. Die Berechnung dieser familiären Aufwendungen für Kinder ist im Rahmen des vorhandenen statistischen Materials (in erster Linie sind dies die Ergebnisse der laufenden Einkommens- und Verbrauchsstichproben) nur begrenzt möglich. Besonders schwierig ist dabei die Quantifizierung der Zeitaufwendungen für die Kindererziehung und deren anschließende monetäre Bewertung, also die Bestimmung der Opportunitätskosten.203 Einer der wichtigsten Einflußfaktoren bei der Opportunitätskostenberechnung ist jedoch das Bildungsniveau des erziehenden Elternteils. So steigen die Kosten der Kindererziehung mit dem Bildungsniveau an, da zugleich das entgangene Markteinkommen steigt. Dieser Effekt ist um so größer, je jünger die Kinder sind, weil hier die Erziehungsleistungen besonders zeitintensiv sind. Aus ökonomischer Sicht ist es dann sinnvoll, auf Kinderhilfen zurückzugreifen, wenn die dabei entstehenden Kosten unter denen liegen, die bei einer Kinderbetreuung durch die Eltern selbst resultieren. 204 Neben den Kosten einer Kinderbetreuung durch Dritte sind bei der eigenen Betreuung der Kinder die zukünftigen Verluste aus der Entwertung des Humankapitals während der Erziehungszeit zu berücksichtigen. In Verbindung damit sind auch verminderte zukünftige Ansprüche an die Gesetzliche Rentenversicherung einzukalkulieren, da sich diese nach den durch die Erwerbseinkommen determinierten Beiträgen bemessen. 205 Es existiert somit eine 202 Vgl. MERKLEiZIMMERMANN (1993), S. 353. 203 Vgl. SCHILP (1984), S. 141. 204 Vgl. MERKLEiZIMMERMANN ( 1993), S. 354. 205 Vgl. RIBHEGGE (1993), S. 67.
/. Ökonomische Theorie der Familie
69
Vielzahl von Faktoren, die als Kosten bei der Planung der Familiengröße einzubeziehen sind und dann dem Nutzen, den die Kinder ihren Eltern stiften, gegenübergestellt werden. 3. Ökonomische Theorie der familiären Arbeitsteilung 3.1 Die Familie als Produktions-, Konsumund Versicherungsgemeinschaft
Im Rahmen der ökonomischen Theorie wird die Familie als eine Gemeinschaft von Individuen betrachtet, die durch familiäre Arbeitsteilung gemeinsam eine höhere Wohlfahrt erzielen als das jeweilige Individuum. Diese Wohlfahrtsgewinne sind prinzipiell auf drei verschiedenen Ebenen zu realisieren: auf der Produktionsebene, der Konsumebene und der Versicherungsebene. Dabei fällt der erreichbare arbeitsteilige Nutzen um so höher aus, je besser sich die Fähigkeiten der Familienmitglieder ergänzen. 206 Auf der Produktionsebene stehen komparative Produktionsvorteile durch die Spezialisierung der Familienangehörigen auf Marktarbeit und Hausarbeit. Konsumbedingte Nutzensteigerungen lassen sich dadurch erzielen, daß eine Vielzahl der im Haushalt konsumierten Güter die Eigenschaft der Nicht-Rivalität im Konsum besitzen.207 Zudem bietet die Familie die Absicherung von Risikofällen (z. B. Krankheit, Arbeitslosigkeit) und übt damit die Funktion einer Versicherungsgemeinschaft aus. 208 Da sich jedoch der Austausch der innerfamiliären Leistungen, im Gegensatz zu den sonst üblichen Markttransaktionen, über einen längeren Zeitraum hinweg erstreckt, sind langfristige Vereinbarungen erforderlich, welche die Sicherstellung der individuellen Beiträge beinhalten. So verlangt die Nutzung der (haushaltsöffentlichen) Güter den Konsens über deren Beschaffung und Finanzierung einerseits sowie über die jeweiligen Nutzungsmöglichkeiten andererseits. Ebenso ist die Versicherungsgemeinschaft nur dann gewährleistet, wenn im Versicherungsfall die nicht betroffene Seite ihren Verpflichtungen tatsächlich nachkommt. Auch die Spezialisierung der 206 Vgl. SCHILP (1984), S. 157. 207 Vgl. ZAMECK (1990), S. 137. 208 Vgl. Orr (1991), S. 385.
70
Teil 8: Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht
Familienmitglieder auf Markt- und Hausarbeit stellt ein langfristig angelegtes Austauschverhältnis von Marktgütern gegen Haushaltsproduktion dar, das im Zeitablauf aufgrund unterschiedlicher Ressourcenausstattungen besonders schnell Anreize herbeiführen kann, die zum Vertragsbruch verleiten.209 Die Bereitschaft der einzelnen Familienangehörigen zur Einhaltung derartiger Vereinbarungen ist nun in erster Linie davon abhängig, in welchem Maße der Einzelne dadurch seine individuelle Wohlfahrt erhöhen kann. Demzufolge sind innerfamiliäre Vereinbarungen als Ergebnis innerfamiliärer Verhandlungen zu betrachten.210
3.2 Zeitallokation Die realisierte Zeitallokation auf Haushalts- und Marktarbeit innerhalb der Familie wird von den individuellen Präferenzen sowie den relativen Produktivitäten der Familienmitglieder determiniert.211 Durch das restriktive Zeitangebot der Familie, welches in erster Linie von der Zahl der arbeitsfähigen Personen abhängt, stehen die verschiedenen Zeitverwendungsarten in einem rivalisierenden Verhältnis zueinander. Die Knappheit der verfügbaren Zeit spiegelt sich in den Preisen der rivalisierenden Verwendungszwecke wider.212 Zwischen den beiden Extremen einer vollständigen Zeitverwendung für Haus- bzw. Marktarbeit bestehen Substitutionsmöglichkeiten, die gemäß der jeweiligen Humankapitalausstattung der Familienmitglieder zur optimalen Zeitallokation ausgenutzt werden.213 Sofern die familiäre Arbeitsteilung in Haus- und Marktbereich als Ergebnis rationaler Entscheidungen (und damit nicht als tradierte Rollenzuweisung) verstanden werden soll, müssen unterschiedliche Produktivitäten der Familienmitglieder vorliegen.214 Es ist dann ökonomisch sinnvoll, daß sich der Partner, der durch 209Vgi.Orr(I993),S.I20. 210 Vgl. OTI (1991), S. 386. 211 Vgl. ZAMECK (1990), S. 143. 212 Vgl. SCiliLP (1984), S. 158. 213Vgi.Orr(I993),S.II5. 21 4 Vgl. ebenda, S. 164.
I. Ökonomische Theorie der Familie
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eine höhere Produktivität im Haushaltsbereich einen komparativen Kostenvorteil bei der Haushaltsarbeit besitzt, sich auf diese spezialisiert. Steigt jedoch der Zeitpreis des bis dahin nicht erwerbstätigen Partners an, wird dieser eine außerhäusliche Tätigkeit präferieren und eine neue Allokationsentscheidung herbeiführen. Die Angleichung der Marktlöhne beider Partner führt demzufolge dazu, daß der durch Arbeitsteilung erzielte Nutzen der Partnerschaft (Ehe) abnimmt.215 3.3 Innerfamiliäre Rollenzuordnung
Zur Maximierung ihrer Gesamtwohlfahrt wird die Familie versuchen, ihre Präferenzen mit einem möglichst geringen Zeitaufwand zu realisieren.216 Für die Zuordnung der einzelnen Aktivitäten im Haushalt auf die Familienmitglieder ist die Zeitintensität zur Erstellung der Haushaltsgüter die entscheidende Komponente. Je höher der sog. Zeitpreis217 des die Tätigkeit ausführenden Familienmitglieds ist, desto höher sind auch die Kosten der häuslichen Dienstleistung. So nimmt beispielsweise mit steigender Kinderzahl der Zeitpreis des betreuenden Elternteils ab.218 Aus diesen Vorüberlegungen folgt, daß es unter ökonomischen Gesichtspunkten rational ist, wenn sich der Partner mit dem niedrigeren Zeitpreis den besonders zeitintensiven Betätigungen zuwendet. Spezialisiert sich jedes Haushaltsmitglied auf diejenigen Tätigkeiten, in denen es komparative Kostenvorteile erzielt, so kann die Gesamtwohlfahrt der Familie durch die vorgenommene Arbeitsteilung erhöht werden. Demzufolge ist die bestehende innerfamiliäre Arbeitsteilung immer dann revisionsbedürftig, wenn sich die spezifischen Fähigkeiten der Mitglieder geändert haben.219 Faktorpreisvariationen führen demnach zu einem veränderten Verhältnis von Hausarbeit und Lohnarbeit.220 Aufgrund der 215 Vgl. ebenda, S. 167. 216 Vgl. SCHILP (1984), S. 159. 217 Die Preise der konkurrierenden Verwendungszwecke spiegeln die Knappheit
der verfügbaren Zeit wider und bestimmen somit den Zeitpreis.
218 Vgl. SCHILP (1984), S. 159. 219 Vgl. ebenda, S. 160 f. 220 Vgl. ebenda.
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Teil B: Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht
spezifischen Geschlechtsrollensozialisation wird dabei meist davon ausgegangen, daß Frauen im häuslichen Bereich eine höhere Produktivität aufweisen als Männer und damit diesen gegenüber einen komparativen Vorteil besitzen. Eine Spezialisierung der Frau auf die häusliche Arbeit führt nach der ökonomischen Theorie zu einer Erhöhung des Nutzens der gesamten Familie.
II. Familiäre Entscheidungen aus verhandlungstheoretischer Sicht l. Familiäre Entscheidungsfindung als Verhandlungsproblem Familiäre Entscheidungen werden aufgrund individueller Interessen der Familienmitglieder getroffen. Partnerschaften werden eingegangen, wenn sich die Partner davon eine Erhöhung ihrer Wohlfahrt erhoffen. Demzufolge ist eine Auflösung der Partnerschaft dann zu erwarten, wenn außerhalb der Partnerschaft ein höheres Wohlfahrtsniveau zu erzielen ist.221 Wie bereits erwähnt, sind zur Verwirklichung von Nutzengewinnen der Familienbildung langfristige Austauschbeziehungen erforderlich. Die Bereitschaft der einzelnen Familienmitglieder zu kooperativem Verhalten hängt folglich auch von der erwarteten Beständigkeit dieser Austauschbeziehungen ab. Es sind somit entsprechende Vereinbarungen mit Verbildlichkeitscharakter zu treffen. 222 Das Verhalten der Familie kann als Ergebnis eines fortlaufenden Handlungsprozesses gesehen werden, in dem zwei verschiedene Verhandlungssituationen auftreten können. Dies sind auf der einen Seite Entscheidungsfindungen aufgrund marginaler Änderungen der externen Rahmenbedingungen (z. B. der Löhne) sowie andererseits Änderungen der internen Bedürfnisse (z. B. des Zeitbedarfs für Kinder), die eine veränderte Zeitallokation oder Konsumstruktur hervorrufen. Sind diese Änderungen nur geringfügig und der zusätzliche Nutzenzuwachs hinreichend groß, so können beide Partnertrotz veränderter Verhandlungsstärke ihre Wohlfahrt erhöhen.223 Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Entscheidungs221 Vgl. On (1991), S. 386. 222 Vgl. On (1993), S. 118 f. 223 Vgl. On ( 1989), S. I02.
II. Familiäre Entscheidungen aus verhandlungstheoretischer Sicht
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situationen, die einmalig oder irreversibel sind und dadurch weitreichende Auswirkungen auf die Verhandlungsposition der Familienmitglieder haben, da ein Partner infolge seiner individuellen Ressourcenausstattung gegenüber dem anderen im Vorteil ist. Es entsteht damit eine Asymmetrie der Vertragssituation. Die Aufrechterhaltung der getroffenen Vereinbarung bedeutet dann allerdings für den nunmehr bevorteilten Partner einen Verzicht auf einen Teil seiner Erträge, so daß ein Anreiz zur Aufgabe der Partnerschaft oder zur Forderung einer internen Umverteilung besteht.224 Bei der Partnerschaft als Produktionsgemeinschaft wird grundsätzlich eine symmetrische Ausgangsbasis angenommen, so daß zur Verwirklichung gemeinsamer Produktionsvorteile keine Verträge erforderlich sind. Dies wird damit begründet, daß bei einer Spezialisierung jeder Partner auf den Tausch gegen andere, von ihm benötigte Güter angewiesen ist, der auf externen Märkten außerhalb der Familie aufgrund höherer Transaktionskosten keinen größeren Gewinn erwarten läßt. Gleichwohl kann sich durch die besonderen Eigenschaften des Humankapitals eine Asymmetrie in den individuellen Ressourcenausstattungen entwickeln, die zum Vertragsbruch Anreize gibt.225 Für die familiäre Entscheidungstindung ist demzufolge die Verbindlichkeit innerfamiliärer Vereinbarungen von großer Bedeutung. Diese ist wiederum abhängig von der jeweiligen Verhandlungsstärke der einzelnen Familienmitglieder. Dabei kann die Machtverteilung in einer Partnerschaft allerdings auch als Ergebnis der innerfamiliären Arbeitsteilung interpretiert werden. 2. Machtverteilung in der Partnerschaft als Resultat der familiären Arbeitsteilung
Eine Spezialisierung auf Marktarbeit führt neben dem (simultanen) Einkommenserwerb auch zu einer Investition in Humankapital, da die Einkunftserzielungsmöglichkeiten u. a. von der Berufserfahrung und dem dabei erworbenen Wissen abhängen. Der auf Marktarbeit spezialisierte Partner erhöht durch die Er-
224 Vgl. ebenda. 225vgi.OTI(I993),S.II9f.
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Teil 8: Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht
werbstätigkeit seine individuelle Einkommenskapazität, die unabhängig vom familiären Umfeld am Markt genutzt werden kann. 226 Demgegenüber verzichtet der auf Haushaltsarbeit spezialisierte Partner (weitgehend) auf die Akkumulation von Humankapital und damit auch auf eine Erhöhung seiner künftigen Einkommenskapazität Zwar führt eine Spezialisierung auf Haushaltsarbeit im Zeitablauf zu verbesserten Fähigkeiten und damit zu einer steigenden Produktivität bei der Haushaltsproduktion, doch bleibt die Verwertbarkeit dieser Fähigkeiten meist auf den eigenen Haushalt beschränkt.227 Solange der gemeinsame Haushalt besteht, können die verbesserten Fähigkeiten effizient eingesetzt werden und damit das Wohlfahrtsniveau der Familie erhöhen. Eine Auflösung des Haushalts bewirkt jedoch für das auf Haushaltsproduktion spezialisierte Familienmitglied eine Beschränkung der Tauschmöglichkeiten gegen Marktgüter228 und damit einen Verlust an Einkommenskapazität 229 Daraus folgt, daß haushaltsspezifisches Humankapital im Gegensatz zu dem am Markt verwertbaren Rummankapital nur im Haushaltszusammenhang gesehen werden kann, da es sich hier amortisiert. 230 Das bedeutet aber zugleich auch, daß die Spezialisierung der Partner auf Markt- und Hausarbeit zu unterschiedlichen Risiken im Falle einer Auflösung der Partnerschaft führt. Während die Spezialisierungsgewinne der Gesamtfamilie zugute kommen, trägt das auf Haushaltsproduktion spezialisierte Familienmitglied das alleinige Risiko einer verminderten Einkommenskapazität im Konfliktfall (Trennung). Des weiteren verschlechtert es durch die Verminderung der Alternativen seine interne Verhandlungsposition in der Familie.231 Die Asymmetrie in der langfristigen Entwicklung des Humankapitals bewirkt bei erneuten Verhandlungen eine Umverteilung der 226 Vgl. Orr (1991), S. 388. 227 Vgl. ebenda. 228 Die gestiegene Produktivität bei der Haushaltsproduktion wirkt sich nur bei
der Eigenproduktion aus, was den Verlust an Einkommenskapazität nach einer Trennung (AIIeinleben) nicht kompensieren kann.
229 Vgl. Orr (1991), S. 388. 230 Vgl. ebenda, S. 389. 231 Vgl. Orr (1989), S. 101.
II. Familiäre Entscheidungen 11us verhandlungstheoretischer Sicht
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internen Wohlfahrtsgewinne zugunsten des Partners mit den besseren Alternativmöglichkeiten, da sich seine Verhandlungsposition verbessert hat. Solange der Spezialisierungsgewinn so hoch ist, daß nach der Umverteilung beide Partner individuelle Wohlfahrtszuwächse verzeichnen konnten, bleiben die Allokationsentscheidungen im Haushalt davon unberührt. Sind die Wohlfahrtszuwächse infolge der Spezialisierung jedoch geringer, so kommt es zu einer Situation, die aus der Spieltheorie als sog. "GefangenenDilemma" bekannt ist.232 Danach können sich zwar beide Partner durch kooperatives Verhalten gegenüber einer nicht-kooperativen Lösung verbessern, gleichwohl kann sich jeder Partner durch nicht-kooperatives Verhalten weiter verbessern, wenn sich der andere Partner kooperativ verhäJt.233 Trotz möglicher Wohlfahrtsgewinne wird dann auf die jeweilige Allokationsentscheidung verzichtet, was zu Ineffizienzen führt. Eine solche Ineffizienz familiärer Entscheidungsprozesse ist in erster Linie auf den unzureichenden Schutz vor einer Abschöpfung der Wohlfahrtssteigerung durch den verhandlungsstärkeren Partner zurückzuführen. Durch den Verzicht auf eine berufliche Laufbahn (z. B. zum Zwecke der Kindererziehung) begibt sich die Frau in ein Abhängigkeitsverhältnis dem Ehepartner gegenüber, indem sie nicht mehr ohne weiteres mit einer Trennung drohen kann, weil sie sich dann wesentlich schlechter stellt. 234 Das traditionelle Rollenverhalten in der Familie kann als (impliziter) Vertrag interpretiert werden, wonach die Frau die Haushaltsarbeit übernimmt und damit zugleich eine Verschlechterung ihrer Alternativmöglichkeiten hinzunehmen hat, ihr dafür aber im Gegenzug ein unveränderter Anteil an der Gesamtwohlfahrt des Haushalts zugestanden wird. Ist die Beständigkeit dieser Vereinbarung allerdings nicht gesichert, muß mit strategischem Verhalten bei Nachverhandlungen gerechnet werden. Daraus resultiert zugleich eine höhere Erwerbsneigung des auf Haushaltsproduktion spezialsierten Familienmitglieds, das seine Einkommenskapazität nicht zu sehr verringern möchte. Der Verhandlungsprozeß impliziert auch eine Beteiligung des anderen Partners an der Haushaltsarbeit, um eine weniger asymmetrische 232vgi.Orr(I993),S.I24f. 233 Vgl. hierzu GALLERIÜTI ( 1990), S. 117 ff. 234 Vgl. RIBHEGGE (1993), S. 80.
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Teil 8: Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht
Situation zu realisieren. 235 Aus verhandlungstheoretischer Sicht bedeutet dies auch, daß sich eine maximale Spezialisierung auf Haus- bzw. Marktarbeit unter den genannten Bedingungen nicht unbedingt als optimal erweist, sondern sich im Haushaltsoptimum u. U. eine Arbeitsteilung zwischen den Partnern herausbildet, bei dem beide Partner beide Tätigkeiten ausüben. 236 3. Verhandlungsstrategien Die Sicherstellung der Verbindlichkeit von langfristigen Absprachen kann grundsätzlich durch explizite Verträge oder implizite Vereinbarungen erfolgen. Die expliziten Verträge können private, bilaterale Vereinbarungen sein oder auch allgemein gültige Rechtsregelungen auf der Basis von Gesetzen (Ehe-, Familienund Unterhaltsrecht), die bei Vertragsbruch gerichtlich eingeklagt werden können. Allerdings stellt sich die Frage nach der Durchsetzharkeil solcher Verträge. Die existierenden Gesetzesregelungen (§§ 1569 - 1586 BOB) sehen bislang bei einer Auflösung der Ehe nur eine Mindestabsicherung vor, nicht jedoch den Ausgleich des Verlustes an Einkommenskapazität des auf Haushaltsarbeit spezialisierten Ehepartners. Damit kann die Verhandlungsposition dieses Partners jedoch nicht ausreichend abgesichert werden. 237 Darüber hinausgehende private Verträge sind vermutlich noch weniger durchsetzbar und u. U. auch nicht rechtsgültig. 238 Grundsätzlich wird beim Eheversprechen von einer lebenslangen Gemeinschaft ausgegangen, wodurch zugleich die Verwertbarkeit der aufgrund der Spezialisierung erzielten Produktivitätsunterschiede als gesichert angesehen wird. 239 Gleichwohl können interne Anreize bestehen, implizite Vereinbarungen in Form von stillschweigenden Übereinkünften und Verhaltensregelmäßigkeilen einzuhalten. Der größte Anreiz ist dabei
235 Vgl. Orr (1993), S. 125. 236 Der fonnale Nachweis anhand eines dynamischen Bargaining-Modells findet sich bei: Orr (1992), S. 80 ff. 237 Vgl. Orr (1989), S. 105 ff. 238 Vgl. ebenda. 239 Vgl. Orr (1991), S. 391.
/1. Familiäre Entscheidunf?en aus verhandlungstheoretischer Sicht
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wohl das Interesse der Partner an einem Fortbestand des gemeinsamen Haushalts. Daneben erhöhen Emotionen, altruistisches Verhalten, Loyalität und Fürsorge die Bereitschaft zur Einhaltung der Vereinbarungen.240 Allerdings ergibt sich hier das Problem, daß die Partner unterschiedliche Auffassungen bezüglich des (impliziten) Vertragsinhaltes haben können, so daß es zu einem späteren Zeitpunkt zum Konfliktfall aufgrund eines als subjektiv empfundenen Vertragsbruches kommen kann.241 Externe Anreize zur Einhaltung impliziter Verträge sind Sanktionsmechanismen aufgrund sozialer Normen. Eine Verletzung dieser Normen wird mit Mißbilligung durch das soziale Umfeld "bestraft". 242 Dieser Mechanismus versagt jedoch weitgehend in bezug auf die langfristig festgelegte Wohlfahrtsverteilung in der Familie infolge mangelnder Beobachtbarkeit durch Dritte (Privatsphäre gilt als unantastbar) und des Wertewandels in der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung. 243 Die obigen Ausführungen deuten darauf hin, daß bei Spezialisierung eines Partners auf Haushaltsarbeit nur geringe Anreize bestehen, eine implizite Vereinbarung unabhängig von der zukünftigen Verhandlungsposition einzuhalten, da der in seiner Verhandlungsposition begünstigte Partner nahezu ohne Risiko auf einer neuen internen Verteilung bestehen kann, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen.244 Die Tatsache, daß sich nur ein Partner nachträglich durch einen Vertragsbruch verbessern kann, führt zu einer asymmetrischen Situation, die eine einseitige Abhängigkeit vom Wohlverhalten des begünstigten Partners schafft. Eine solche Gefangenen-Dilemma-Situation stellt folglich ein besonderes Problem im Familienverband dar. Werden familiäre Entscheidungen in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten getroffen, so werden möglicherweise ineffiziente Lösungen verwirklicht (z. B. Entscheidung gegen ein Kind) mit dem Verzicht auf familiäre Wohlfahrtssteigerung. Stehen andererseits emotionale Aspekte im Vor-
240 Vgl. ebenda, S. 392. 241 Vgl. eben da. 242vgi.OTI(I993),S.I35f. 243 Vgl. ebenda, S. 136 f. 244 Vgl. OTI (1989), S. 108.
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Teil B: Hauslwlt und Familie aus volkswirtsclwftlicher Sicht
dergrund und werden die ökonomischen Risiken als gering angesehen, können Konflikte in der Partnerschaft mit weitreichenden (finanziellen) Folgen auftreten. 245 4. Geschlechtsspezifische Lohnunterschiede als Reflex diskriminierender familiärer Entscheidungen
Die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung von Mann und Frau wird aus ökonomischer Sicht überwiegend damit begründet, daß Frauen einen geringeren Marktlohn erzielen als Männer und es demzufolge ökonomisch effizient ist, daß sich die Frau auf die Haushaltsarbeit spezialisiert. Zur Begründung der Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männem werden verschiedene Diskriminierungstheorien vorgebracht, von denen einige an anderer Stelle dargestellt werden.246 Aus verhandlungstheoretischer Sicht können diese Lohnunterschiede jedoch auch als Ergebnis familiärer Entscheidungsprozesse interpretiert werden.247 Diskriminierende familiäre Entscheidungen zeigen sich darin, daß Männer nur in sehr wenigen Fällen nach der Geburt eines Kindes den Erziehungsurlaub beanspruchen und durch dieses Verhalten per se die Beschäftigungschancen von Frauen im gebärfähigen Alter sinken. Unabhängig davon, ob die weitgehend alleinige Zuständigkeit der Frau für die Kindererziehung als Diskriminierung in der Familie oder als Rückwirkung effizienter Entscheidungsprozesse (aufgrund einer geringeren Entlohnung der Frau) interpretiert wird, eröffnet ein Verzicht der Ehefrau auf die Fortsetzung ihrer beruflichen Laufbahn dem Ehepartner (weitere) Diskriminierungsmöglichkeiten, da die Abhängigkeit der Ehefrau zunimmt und zugleich ihr Drohpotential zurückgeht.248 Dem erhöhten Nutzen der Familie, den die Frau durch den Verzicht auf Erwerbstätigkeit erbringt, steht für sie das individuelle Risiko gegenüber,
245 Vgl. ebenda, S. 110. 246 Siehe hierzu Teil C, I. 247 Vgl. RIBHEGGE (1993), S. 81. 248 Vgl. ebenda, S. 78.
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II. Familiäre Ent.vcheidungen aus verhandlungstheoretischer Sicht
daß diese Wertsteigerung von ihrem Partner vollständig abgeschöpft wird. 249 Schaubild 5: Teufelskreis ökonomischer Rationalität
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Quelle: Orr (1993), S. 115. 249 Vgl. ebenda, S. 80.
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Teil 8: Haushalt und Familie aus volkswirtschaftlicher Sicht
Eine ungünstige Verhandlungsposition innerhalb der Familie hat jedoch wiederum sinkende berufliche Ein- und Aufstiegschancen der Frau zur Folge, da ein Arbeitgeber, der die typischen familiären Entscheidungsmuster kennt, die Möglichkeit der Ausnutzung einer besseren Verhandlungsposition durch den Ehemann mit ihren Folgen (Berufsaufgabe der Frau, Wohnortwechsel etc.) in seine Kosten-Nutzen-Analyse einbeziehen wird.250 Werden zudem produktivitätssteigernde Humankapitalinvestitionen in weibliche Mitarbeiter von seiten des Unternehmens unterlassen, nimmt die Verhandlungsstärke der Ehefrau weiter ab und führt zu dem bereits bekannten circulus vitiosus der Diskriminierung, der eine Perpetuierupg der Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern aufgrund von Produktivitätsunterschieden zur Folge hat (siehe Schaubild 5).251 Der Ansatzpunkt dieses Teufelskreises, der in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung liegt, kann daher auch als Folge der Ausnutzung einer besseren Verhandlungsposition des Ehemannes gesehen werden. 111. Folgen einer schrumpfenden Bevölkerung aus volkswirtschaftlicher Sicht
Die vorangegangene Darstellung hat gezeigt, daß veränderte ökonomische Rahmenbedingungen einen erheblichen Einfluß auf das generative Verhalten haben. Der zu beobachtende Geburtenrückgang kann daher auch als Folge gestiegener Opportunitätskosten der Kindererziehung sowie zunehmender individueller Risiken bei der traditionellen Arbeitsteilung interpretiert werden. Das Schrumpfen der Bevölkerung hat jedoch weitreichende Folgen, von denen im folgenden einige wesentliche Punkte genannt werden sollen, da zwischen der Bevölkerungsentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung zahlreiche Wechselwirkungen bestehen.
250 Vgl. ebenda, S. 81. 251 Vgl. ebenda.
/II. Beviilkerunguückgang au.v volkswirtsch~ftlicher Sicht
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Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wird nach allen bisherigen Projektionen langfristig schrumpfen.252 Dies impliziert Verschiebungen im Altersaufbau, da der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung zunimmt. Damit verändert sich aber zugleich auch die Relation zwischen der Bevölkerung im erwerbsfahigen Alter und der im Rentenalter, woraus ein intergenerationelles Lastenverteilungsproblem resultiert. Der meist als Indikator für die Belastung der aktiven Bevölkerung mit Abgaben für die nicht-aktive Bevölkerung herangezogene Altenquotient (Zahl der 60 Jahre alten und älteren bezogen auf die Zahl der 20- bis unter 60jährigen) wird nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin, von 35% im Jahr 1991 über 46% im Jahr 2010 auf knapp 70% im Jahr 2040 steigen, was eine Verdoppelung der Abgabenlast innerhalb der nächsten 50 Jahre bedeutet.253 Doch zunächst einmal hat der Bevölkerungsrückgang Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Produktion. Obwohl die Folgen der heute schon deutlichen Belastung der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) durch die "Überalterung" der Bevölkerung für das zukünftige Arbeitsangebot, die Sparneigung und die Sparformen weithin unbekannt sind, wird davon ausgegangen, daß ein Bevölkerungsrückgang von der Nachfrageseite nicht zwangsläufig zu einer wirtschaftlichen Stagnation führen muß.25 4 Einerseits bewirkt die Globalisierung der Märkte zunehmende Absatzmöglichkeiten international gehandelter Güter, andererseits hat selbst bei rein nationalen Gütern das vom technischen und organisatorischen Fortschritt abhängige Pro-Kopf-Einkommen einen größeren Einfluß auf das Absatzpotential als die Bevölkerungsgröße. 255 Gleichwohl verursachen Verschiebungen im Altersaufbau Änderungen der Nachfragestruktur, sowohl bei Marktgütern als auch bei öffentlichen Gütern und Dienstleistungen.256
252 Vgl. DIW (1993), S. 404. 253 Vgl. ebenda. 254 Vgl. SCHNEIDER (1990), S. 559. 255 Vgl. ebenda. 256 Vgl. ebenda, S. 560. 6 Wiegand
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Teil 8: Hauslullt und Familie aus volkswirtschf.!ftlicher Sicht
Wesentlich bedeutsamer sind hingegen die Auswirkungen einer schrumpfenden Bevölkerung auf die GRV im Rahmen der sozialen Alterssicherung. In der Bundesrepublik Deutschland ist, wie in den meisten anderen europäischen Ländern, das staatliche Alterssicherungssystem nach dem Umlageverfahren konstruiert. Danach stammen die den Rentnern zukommenden Leistungen nicht aus einem mit ihren eigenen Beiträgen aufgebauten Kapitalstock wie beim sog. Kapitaldeckungsverfahren, sondern werden direkt aus den in der gleichen Periode geleisteten Einzahlungen der Erwerbstätigen entnommen. Die "Verzinsung" der früher eingezahlten Beiträge hängt folglich zum einen von den Produktivitätssteigerungen der Volkswirtschaft ab sowie zum anderen vom Bevölkerungswachstum bzw. der Zahl der Erwerbstätigen. 257 Sofern eine Umlagefinanzierung258 des Alterssicherungssystems auch in Zukunft beibehalten werden soll, wird die Belastung der Erwerbstätigen durch die GRV in den nächsten Jahren steigen und sich dabei kontinuierlich vergrößern.259 Dadurch wird jedoch eine Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung unter den heutigen Bedingungen nahezu unmöglich, da die jungen Menschen auf Dauer kaum bereit sein werden, die aus diesem Generationenvertrag resultierenden wachsenden Lasten zu tragen. 260 Ähnliche Folgen lassen sich auch auf die Finanzierung der anderen staatlichen Umverteilungssysteme (z. B. Gesetzliche Krankenversicherung) übertragen, in denen sich aufgrund einer veränderten Altersstruktur das zahlenmäßige Verhältnis der Beitragszahler zu den Leistungsempfängern verschlechtert. So läßt eine Überalterung der Bevölkerung die Empfänger staatlicher Transfers überproportional steigen. 261 Verschiebungen im Altersaufbau der Bevölkerung werden folglich die öffentlichen Haushalte eher be- als entlasten, da Mehrausgaben für die Pensionen der öffentlichen Bediensteten, die Renten der GRV sowie die Pflegeleistungen für die Betreuung der älteren 257 Vgl. BREYER (1992), S. 106. 258 Zu den Überlegungen eines Überganges vom Umlageverfahren zum Kapitaldeckungsverfahren bei der GRV siehe BREYERISPREMANN ( 1990); RAFFELHÜSCHEN/KtTIERER ( 1990); MüLLER!ROPPEL ( 1990). 259 Vgl. SCHNEIDER (1990), S. 564. 260 V gl. ebenda. 261 Vgl. WEIZSÄCKER (1990), S. 339.
II/. Beviilkerunguückgang aus volkswirtschaftlicher Sicht
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Bevölkerung von den durch die schrumpfende Bevölkerung entstehenden Entlastungen nicht kompensiert werden.262 Zudem ist davon auszugehen, daß der Wegfall öffentlicher Aufgaben für junge Leute nicht zu einem schnellen Personalabbau in den entsprechenden Bereichen führt, so daß die neuen Aufgaben für die älteren Menschen nahezu vollständig als zusätzliche Ausgaben zu Buche schlagen.263 Aus ökonomischer Sicht sind die Folgen einer schrumpfenden Bevölkerung nicht notwendigerweise durch eine staatliche Geburtenförderung zu bewältigen. Gleichwohl könnten damit die Anpassungsaufgaben der GRV sowie anderer Bereiche vereinfacht werden.264 So könnte auch im Rahmen einer verstärkten Zuwanderung eine Verjüngung der Bevölkerung herbeigeführt werden, die eine stabilisierende Wirkung auf das System der Alterssicherung hätte, doch sind hierbei neben den wirtschaftlichen Effekten auch die daraus entstehenden "sozialen Kosten" (z. B. soziale Spannungen aufgrund kultureller und zivilisatorischer Unterschiede zwischen heimischer und zuziehender Bevölkerung) in die Betrachtung einzubeziehen. Daher kann eine als erwünscht angesehene Größenordnung der Zuwanderung das Geburtendefizit wohl nur zum Teil ausgleichen, und auch nur dann, wenn eine gezielte Einwanderungspolitik betrieben wird. 265 In einer Förderung der Frauenerwerbstätigkeit ist daher eine weitere Möglichkeit zu sehen, zumindest einige ökonomische Probleme, die aus der Bevölkerungsveränderung resultieren, zu lösen. Eine bessere Vereinbarkeil von Berufstätigkeit und Kindererziehung für Mütter und Väter könnte zugleich die Basis für wieder steigende Geburtenzahlen sein.266
262 Vgl. SCHNEIDER (1990), S. 563. 263 V gl. ebenda. 264 Vgl. ebenda, S. 569. 265 Vgl. ebenda, S. 570. 266 Vgl. WAGNER (1990), S. 469. 6*
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Teil B: Haushalt und Familie aus volkswirtschtiftlicher Sicht
IV. Resümee
Eine verstärkte Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen wird, insbesondere von feministischer Seite, häufig aus der Annahme abgeleitet, die Nicht-Erwerbstäigkeit von Frauen sei eine volkswirtschaftliche Verschwendung, da die Arbeit im eigenen Haushalt nicht zur Erhöhung des Sozialprodukts beitrage. Abgesehen von der Tatsache, daß eine solche Auffassung, wie oben bereits dargelegt wurde, so nicht haltbar ist, gibt es stichhaltigere Gründe, eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen zu unterstützen, die sich aus der ökonomischen Theorie der Familie ableiten lassen: Zum einen kann damit die beschriebene asymmetrische Verhandlungsposition in der Partnerschaft mit ihren Folgen eher vermieden werden und zum anderen kann das generative Verhalten hierdurch möglicherweise positiv beeinflußt werden. Die häufig angeführte Behauptung, verbesserte Erwerbschancen von Frauen seien der Grund für die sinkende Heiratsneigung und sinkende Geburtenziffern, greift im Hinblick auf die Erklärungsmuster des verhandlungstheoretischen Ansatzes zu kurz. Dafür spricht auch die Tatsache, daß in anderen europäischen Ländern im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland höhere Frauenerwerbsquoten bei gleichzeitig höheren Geburtenziffern vorzufinden sind. Vielmehr sind die komparativen Vorteile familiärer Lebensgemeinschaften, insbesondere im Bereich der materiellen Sicherung, zurückgegangen. Zudem bieten die bestehenden Normen der innerfamiliären Arbeitsteilung keinen Ausweg aus der bei einer Geburtsentscheidung möglicherweise eintretenden Gefangen-Dilemma-Situation. Politischer Handlungsbedarf läßt sich daraus insofern ableiten, als durch eine entsprechende Gestaltung der Rahmenbedingungen solche Gefangenen-Dilemma-Situationen als Folge familiärer Entscheidungen vermieden werden könnten und damit zugleich ineffiziente Allokationen ausgeschlossen würden. Dies kann beispielsweise durch die Förderung einer weitergehenden Vereinbarkeit von Beruf und Familie geschehen. Fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie mangelnde Zeitsouveränität verhindern heute symmetrische Organisationsformen in der Familie, bei denen das Risiko der Humankapitalentwertung von beiden Partnern getragen wird.
IV. Resümee
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Besteht die politische Zielsetzung in einer vorübergehenden Spezialisierung auf Familienarbeit während der Kindererziehung, kann die Verhandlungsposition des darauf spezialisierten Familienmitglieds durch die Garantie eines finanziellen Ausgleichs für den Verlust an Einkommenskapazität erhöht werden. Dies könnte durch einen Rechtsanspruch auf eine entsprechend hohe Ausgleichszahlung im Falle einer Trennung erfolgen. Eine solche Regelung hätte vermutlich auch zur Folge, daß die Ehemänner zunehmend Interesse an der Berufstätigkeit ihrer Frau zeigten. Die Gründe, warum sich in erster Linie Frauen auf den Haushaltssektor spezialisieren, sind zwar an verschiedenen Stellen dieser Untersuchung bereits angedeutet worden, umfassende (theoretische) Erklärungsversuche stehen allerdings noch aus. Im folgenden Teil sollen daher einige Theorien verschiedener Wissenschaftsdisziplinen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sowie zur Situation der Frauen im Erwerbsbereich vorgestellt werden.
Teil C Theoretische Erklärungsansätze zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt I. Ökonomische Ansätze
I. Neoklassische Arbeitsmarkttheorie Im neoklassischen Arbeitsmarktmodell existiert für alle Arbeitskräfte nur ein einziger Arbeitsmarkt, auf dem alle Arbeitskräfte gleich produktiv und damit substituierbar sind (Homogenitätsbedingung). Es besteht a priori keine Diskriminierung. Die Lohnstruktur und die Lohnhöhe werden ausschließlich ökonomisch bestimmt, unabhängig von sozialen Einflüssen. 267 Unter der Annahme vollständiger Konkurrenz und gewinnmaximierenden Verhaltens der Arbeitgeber ist die Arbeitskräftenachfrage in dieser Theorie abhängig von der Höhe des Reallohnsatzes und dem Verlauf der Produktionsfunktion. Durch jede zusätzlich eingestellte Arbeitskraft steigt bei gegebener Kapitalausstattung die Gesamtproduktion, unter Annahme eines homogenen Produktionsfaktors Arbeit allerdings mit abnehmenden Zuwachsraten. Die Nachfrage nach Arbeitskräften wird nun vom Verhältnis zwischen dem Erlös, den eine weitere Arbeitskraft erwirtschaftet, und den (Lohn-)Kosten bestimmt, die dadurch entstehen. Daraus folgt, daß solange Arbeitskräfte nachgefragt werden, bis der Grenzerlös (Erlös, der durch die Produktion einer weiteren Einheit entsteht) den Grenzkosten (Kosten, die durch eine weitere Produktionseinheit entstehen) entspricht. Die unterstellte Reallohnflexibilität führt zum Ausgleich von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Temporäre Ungleichgewichte (Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitskräftemangel) lösen einen Anpassungsmechanismus aus, bei dem der Reallohn dem Gleichgewichtslohnsatz angenähert wird und die Marktteilnehmer mit Mengenreaktionen folgen. Im Gleichgewicht wird jeder Produktionsfaktor entsprechend seiner Grenzproduktivität entgolten. Damit ist in diesem Modell eine anhaltende Diskriminierung bestimmter
267 V gl.
SESSELMEIERIBLAUERMEL ( 1990), S.
20.
I. Ökonomische Ansätze
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Gruppen von Arbeitskräften (z. B. Frauen) mit gleicher ökonomischer Leistungsfähigkeit nicht möglich. 268 Da der Lohnsatz immer dem Grenzprodukt der Arbeit entspricht (von kurzfristigen Ungleichgewichten abgesehen), wird die in der Realität zu beobachtende Einkommensdifferenz zwischen Männern und Frauen aus neoklassischer Sicht auf eine flacher verlaufende Arbeitsertragskurve bzw. eine geringere Produktivität der Frauen zurückgeführt269, während weiterentwickelte neoklassische Theorien diese geringere Produktivität mit der geringeren Humankapitalbildung von Frauen begründen. Zentraler Kritikpunkt an der neoklassischen Theorie ist die vollständige Vernachlässigung der Angebotsseite des Arbeitsmarktes. Daher wurde dieser Ansatz im Rahmen der Humankapitaltheorie unter Einbeziehung der Angebotsseite weiterentwickelt. 2. Humankapitalansatz Der Humankapitalansatz stellt eine Modifikation der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie dar. Mit ihm sollen in der Realität zu beobachtende Phänomene, wie geringe Einkommenszuwächse für ältere Arbeitnehmer, inverse Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und beruflichen Qualifikationen, häufigerer Arbeitsplatzwechsel bei jüngeren Arbeitnehmern und nicht zuletzt Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern erklärt werden, die mit der traditionellen neoklassischen Theorie nur unvollkommen begründbar sind. Ausgangspunkt ist die Aufgabe der Homogenitätsbedingung, so daß die vollkommene Substituierbarkeit des Produktionsfaktors Arbeit nicht mehr möglich ist. Die Verteilung des Arbeitseinkommens wird bestimmt durch ein Arbeitsangebot, das nach den Ausbildungsinvestitionen differenziert ist. 270 In der Humankapitaltheorie wird vom homo oeconomicus ausgegangen, der Einkommensmaximierung anstrebt und diesbezüglich seine arbeitsmarktrelevante Qualifikationsentscheidung
268 Vgl. PRIEWE (1984), S. 83. 269 Vgl. LAPPE (1981), S. 9. 270 Vgl. SESSELMEJER/BLAUERMEL (1990), S. 57.
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Teil C: Theoretüche Erkliirung.wn.vätze
trifft.271 Der private Haushalt bzw. die Familie wird als Einheit betrachtet, die ihren Nutzen maximieren möchte und damit Einfluß auf das Arbeitsangebot der Frau nimmt. Investitionen in Humankapital sind für das Individuum Optimierungsentscheidungen, die im Hinblick auf die erwarteten zukünftigen Einkommensrückflüsse getroffen werden. Diese Investitionen erhöhen die Produktivität der Arbeitskraft und zugleich die erzielbaren Lohnsätze. D. h., es wird analog zur Investitionstheorie die private interne Ertragsrate einer Investition in die Schul- und Hochschulausbildung bestimmt. Dabei fallen als Investitionskosten neben Ausbildungskosten noch indirekte Kosten durch entgangene Arbeitseinkommen an.272 Für einen nutzenmaximierenden Haushalt ist es rational, wenn die Ehefrau durch geringere berufliche Qualifikation weniger Humankapital akkumuliert, da sie durch die Produktion nicht marktfähiger Güter (Hausarbeit) den Nutzen der Familie stärker erhöhen kann.273 Nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt erfolgen häufig noch weitere (betriebsspezifische) Humankapitalinvestitionen in Form von Aus- und Weiterbildung (training-on-the-job). Diese Investitionen verursachen direkte Kosten und tragen später zu einer Ertrags- und damit Produktivitätssteigerung bei. Es werden nun drei Berufstypen unterschieden, je nachdem, ob eine fachspezifische, eine betriebsspezifische oder lediglich eine unspezifische Ausbildung Voraussetzung ist. Bei der fachspezifischen Ausbildung trägt der Auszubildende die Kosten. Der Ertrag schlägt sich in einem entsprechend höheren Lohn nieder. Bei einer betriebsspezifischen Ausbildung ist die Produktivitätssteigerung an den Betrieb gebunden und wird hauptsächlich vom Arbeitgeber finanziert. Das Arbeitseinkommen ist für den Ausgebildeten geringer als bei fachspezifischer Ausbildung. Eine unspezifische oder fehlende Ausbildung verursacht lediglich geringe Kosten, führt jedoch zu geringer Entlohnung. 274
271 Vgl. PFRIEM (1978), S. 51. 272 Vgl. BUT!l..ERIGERLACH (1982), S. 690. 273 In diesen Modellen wird die traditionelle Rollenverteilung, die den Frauen die
Reproduktionsarbeit zuweist, vorausgesetzt.
274 Vgl. LAPPE (198 I), S.
II.
I. Ökonomische Ansätze
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Nun wird davon ausgegangen, daß Frauen sich von Berufen, die eine fachspezifische Ausbildung erfordern, selbst ausschließen, da sie im Hinblick auf ihre zukünftige Familienrolle von einer solchen Ausbildung, bei der die Kosten vom Individuum getragen werden, absehen. Betriebsspezifische Humankapitalinvestitionen in Form von Aus- und Weiterbildung werden von den Unternehmen in geringerem Maße Frauen angeboten, da angenommen wird, daß sich aufgrund der zu erwartenden Berufsunterbrechung eine solche Investition nicht amortisiert. Daher neigten Frauen dazu, überwiegend Berufe auszuüben, die eine unspezifische Ausbildung voraussetzen. Damit können die Ausbildungskosten niedrig gehalten werden, führen aber wegen geringer Produktivität auch nur zu einer geringen Entlohnung. 275 Im Rahmen des Humankapitalansatzes wird die Lohnhöhe also sowohl von der allgemeinen als auch der spezifischen Humankapitalbildung bestimmt. Folglich sind Einkommensunterschiede als individuell verursacht, d. h. durch Unterschiede in Investitionen und Humankapital bedingt, zu interpretieren.276 Die Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern lassen sich damit erklären, daß Frauen weniger Humankapital ansammeln, weil sie zur Versorgung von Kindern zumindest vorübergehend aus dem Erwerbsleben ausscheiden und sich während dieser Unterbrechung ihre Ausbildung nicht in Form eines höheren Einkommens verzinst. Zudem muß während der Berufsunterbrechung ein Teil des Humankapitals "abgeschrieben" werden. Eine höhere (Zusatz-) Ausbildung lohnt sich für Frauen demnach weniger als für Männer.277 Erwarten Arbeitgeber von bestimmten Arbeitskräftegruppen (z. B. Frauen) eine kürzere Betriebszugehörigkeit, fallen auch ihre Ausbildungsinvestitionen entsprechend geringer aus. Letztlich werden im Rahmen der Humankapitaltheorie die Einkommensunterschiede zwischen den Arbeitskräften als individuell verursacht angesehen. Die Tatsache, daß in mehreren Studien278 geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede nachgewiesen werden konnten, welche 275 Vgl. ebenda. 276 Vgl. GERLACHfLORENZ (1992), S. 174. 277 Vgl. WECK-HANNEMANN (1989), S. 565 f. 278 Vgl. z. B. LORENzfWRIGHT ( 1990).
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Teil C: Theoretische Erkliirung.wnsiitze
nicht auf Produktivitätsunterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen waren, hat dem Humankapitalansatz Kritik eingebracht. Seine Anhänger haben darauf mit einem Modell der geschlechtsspezifischen Berufswahl geantwortet, wonach Frauen im Hinblick auf eine familiär bedingte Unterbrechung der Erwerbstätigkeit solche Berufe wählen, in denen das Humankapital bei einer Unterbrechung nur wenig abgeschrieben werden muß. Das ist in solchen Berufen der Fall, in denen die Qualifikationsanforderungen und Fähigkeiten im Zeitablauf nahezu unverändert bleiben und damit auch die Chance eines Wiedereinstiegs nach einer Unterbrechung besteht. Dieser Vorteil wird von ihnen in Form von geringeren Löhnen erkauft. Nach der Humankapitaltheorie liefert dieses Modell die Erklärung dafür, daß Frauen - ohne Rückgriff auf geschlechtsspezifische Präferenzen - eher Berufe mit sprachlich-literarischem, künstlerischem oder pflegerischem Bezug wählen und in technischen Berufen unterrepräsentiert sind.279 Konsequenz einer solchen Berufswahl sind geringere Löhne.280 Das Modell der geschlechtsspezifischen Berufswahl ist allerdings nur auf die Erklärung des Verhaltens verheirateter Frauen mit zukünftiger Mutterrolle ausgerichtet. Jüngere Untersuchungen belegen eine gleichwertige Humankapitalinvestition von jungen ledigen Frauen und Männern und eine zum Teil längere Betriebszugehörigkeit der Frauen nach der Ausbildung.281 Auch das in den letzten Jahren stark gestiegene Bildungs- und Lohnniveau der Frauen läßt darauf schließen, daß in der weiblichen Lebensplanung die Absicht einer längerfristigen Erwerbstätigkeit zunimmt. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch darauf hinzuweisen, daß die Humankapitaltheorie Einfluß auf die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ausgeübt hat. So war es u. a. Ziel der Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte, zur Verringerung der ökonomischen Ungleichheit der Arbeitskräfte durch die Förderung ihrer Qualifikationen beizutragen, wie dies z. B. im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes geschieht. 282
279 Vgl. WECK-HANNEMANN (1989), S. 566. 280 Vgl. GERLACHfLORENZ (1992), S. 173. 281 Vgl. ENGELSRECH/KRAFT (1992a), S. 19. 282 Vgl. 8UTTLER/GIERLACK ( 1982), S. 692.
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Somit ist abschließend festzuhalten, daß der Humankapitalansatz durchaus einen brauchbaren Beitrag zur Erklärung der bestehenden Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern unter ökonomischen Gesichtspunkten leistet, indem er die unterschiedliche Humankapitalbildung heranzieht. Er zeigt zugleich, daß mögliche Benachteiligungen der Frau auf dem Arbeitsmarkt (geringere Entlohnung aufgrund ihrer Berufswahl bzw. aufgrund von Unterbrechungszeiten) letztlich als eine Funktion der Rollenverteilung innerhalb der Familie angesehen werden können. Darüber hinaus ist es ihm allerdings nicht möglich, verbleibende Einkommensrückstände der Frauen zu begründen, wenn sie gleichwertige Humankapitalinvestitionen aufwenden. Die Humankapitaltheorie wurde aus diesem Grunde um verschiedene Theorien der Diskriminierung erweitert, die sich mit der pre-market-Diskriminierung, also der Diskriminierung vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt befassen. Nachfolgend werden vier dieser Ansätze kurz vorgestellt.
a) Das Präferenzmodell von G. Becker Das Präferenzmodell von Becker gilt als zentraler Ansatz der Diskriminierungstheorien. Hierin versucht Becker, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede durch Vorurteile der Unternehmer (tastes of discrimination) gegenüber Frauen zu begründen. Unter "tastes of discrimination" versteht Becker die Präferenz von Unternehmen für eine bestimmte Arbeitskräftegruppe und auch die Präferenz der Beschäftigten, lieber mit bestimmten Kollegen zusammenzuarbeiten. 283 Bei der Annahme vollständiger Konkurrenz auf Arbeits- und Gütermärkten führt die Beschäftigung diskriminierter Arbeitnehmer zwar nicht zu höheren Produktionskosten, der Arbeitgeber erleidet jedoch hierbei einen Nutzenentgang. Dieser Nutzenentgang kann zur Folge haben, daß der Arbeitgeber die von ihm nicht-präferierte Gruppe von Arbeitnehmern nicht einstellt oder aber diese Gruppe einen Lohnverzicht in Höhe des Nutzenentgangs hinnehmen muß.284 Becker veranschaulicht in seinem Modell diesen psychischen Nutzenverlust bei Beschäftigung diskriminierter Gruppen anhand der Rassendiskriminierung. Dabei 283 Vgl. BECKER (1971), S. 153. 284 Vgl. PRIEWE (1984), S. 85.
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geht er von einer Präferenz für die physische Distanz von Weißen und Schwarzen aus. 285 Gründe für bestimmte Vorlieben bzw. Abneigungen liefert er jedoch nicht. Wird diese Präferenz auf diskriminierendes Verhalten gegenüber Frauen übertragen, so läßt sich bei starrem Arbeitsangebot der Frauen für den Arbeitgeber ein Diskriminierungsgewinn in Höhe der Lohneinbußen der Frauen erzielen. Ist das Arbeitsangebot der Frauen hingegen unendlich elastisch, so werden weniger Frauen als im vorangehenden Fall beschäftigt, woraus ein Verlust an intramarginalen Unternehmensgewinnen entsteht.286 Liegen die Löhne der Diskriminierten unter den Grenzproduktivitätslöhnen, entstehen komparative Kostenvorteile für die diskriminierenden Unternehmen, wodurch sie einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber ihren Konkurrenten erlangen und diese vom Markt verdrängen können.287 Da eine hieraus resultierende zunehmende Arbeitskräftenachfrage nach Frauen eine Erhöhung der Löhne zur Folge hätte, schließt Becker nach seinen Modellannahmen (Ausschluß einer vollkommen monopsonistischen Arbeitskräftenachfrage) langfristig auf einen Rückgang der Frauendiskriminierung. Neben der vielfältigen Kritik, die an diesem Modell geäußert wurde, bleibt festzuhalten, daß hier der Tatbestand der Diskriminierung als "außerökonomisch" in Form bestimmter Präferenzmuster vorgegeben und nicht durch das Modell erklärt wird. 288 b) Monopolistische Modelle
Diese Modelle versuchen, Diskriminierungen gegenüber bestimmten Arbeitskräftegruppen aus monopolistischen bzw. monopsonistischen Marktstrukturen auf Güter- und Arbeitsmärkten zu erklären. Sind die Gütermärkte durch Angebotsmonopole gekennzeichnet, so besteht für das jeweilige Monopolunternehmen die Möglichkeit, den von ihm präferierten Arbeitskräften höhere Löhne zu 285 Vgl. SESSELMEIERIBLAUERMEL (1990), S. 63. 286 Vgl. PRIEWE (1984), S. 85. 287 Vgl. ebenda, S. 86. 288 Vgl. ebenda.
I. Ökonomische Ansätze
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zahlen. Dies widerspricht zwar dem Gewinnmaximierungsziel und verschlechtert die Kostenstruktur, aber die Weitergabe an den Kunden in Form von höheren Preisen kann von diesen nicht sanktioniert werden, wenn zugleich hohe Marktzutrittsschranken bestehen und damit auch potentielle Konkurrenz ausgeschlossen ist.289 Wegen der Annahme einer dauerhaften Monopolisierung auf den Gütermärkten ist das Modell jedoch realitätsfern und wird auch von neoklassischen Ökonomen abgelehnt. Eine spezielle Variante stellen die monopsonistischen Modellansätze dar, in denen auch explizit der Fall der Lohndiskriminierung von Frauen untersucht wird. 290 Es wird angenommen, das Arbeitsangebot von Frauen sei im Vergleich zu dem der Männer relativ unelastisch. Besteht auf dem Arbeitsmarkt ein Nachfragemonopol (durch einzelne oder kollektiv handelnde Unternehmen), kann diese Marktmacht ausgenutzt werden, indem Frauen geringere Löhne als Männern gezahlt werden. Die geringe Elastizität des weiblichen Arbeitsangebots wird durch mangelnde Mobilität der Frauen erklärt, die auf die räumliche Bindung des Ehemannes und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zurückgeführt wird.291 Anzumerken ist hier jedoch, daß die angenommene geringere Elastizität des Arbeitsangebots von Frauen empirisch nicht bestätigt werden konnte292 und er keine Erklärung für die (bei ihm vorausgesetzte) geschlechtsspezifische Arbeitsteilung liefern kann. c) Theorien unterschiedlicher Produktivität
Können Einkommensdifferenzen zwischen verschiedenen Arbeitskräftegruppen auf Produktivitätsunterschiede zurückgeführt werden, so liegt keine Diskriminierung im engen Sinne vor. Wird jedoch ein weiter Diskriminierungsbegriff angewandt, so sind auch
289 Vgl. ebenda, S. 69. 290 Vgl. MADDEN {1976). 291 Vgl. LAPPE (1981), S. 12. 292 Madden erkennt selbst "( ... ) that the empirical verification of Iabor market imperfections as assumed in the model, is still waiting". MADDEN (1976), S. 249.
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solche sozialökonomischen Sachverhalte zu berücksichtigen, welche die unterschiedlichen Produktivitäten determinieren. 293 Eine geringere Arbeitsproduktivität der Frauen und die daraus resultierende niedrigere Entlohnung wird aus neoklassischer Sicht auf ein geringeres Humankapital, eine geringere betriebsspezifische Ausbildung, höhere Abwesenheitszeiten und Krankheitszeiten, das höhere Risiko eines Arbeitsplatzwechsels und eines Rückzugs aus dem Berufsleben zurückgeführt. 294 Doch unabhängig davon ist zu fragen, welche Ursachen solche Produktivitätsunterschiede haben. Es liegt nahe zu vermuten, daß sie eine Folge der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sind. Das bedeutet aber, daß sich Frauen in einem "circulus vitiosus" befinden: Weil ihnen der Reproduktionsbereich und die Kinderbetreuung zugewiesen werden, besteht das Risiko einer Berufsunterbrechung und höherer Fehlzeiten. Dies schlägt sich in einer geringeren Entlohnung nieder. Daraus folgt wiederum, daß es geradezu ökonomisch geboten ist, wenn sich die Frau auf Arbeiten innerhalb der Familie "spezialisiert", da sie im Erwerbsleben (vermeintlich) weniger produktiv ist als der Mann, der über seine gesamte Lebensarbeitszeit ein höheres Einkommen erzielt. Gemäß dem Gesetz des komparativen Vorteils läßt sich damit leicht zeigen, daß bei dieser Arbeitsteilung die Wohlfahrt der Familie erhöht wird. Unter der Voraussetzung tatsächlich vorhandener Unterschiede bei den Arbeitsproduktivitäten von Frauen und Männem sind Einkommensunterschiede (aus ökonomischer Sicht) eine notwendige Folge und nicht auf Diskriminierung zurückzuführen. Ohne auf jeden der genannten Punkte einzeln einzugehen, läßt sich zudem feststellen, daß es sich häufig um Vorurteile von seiten der Betriebe handelt, welche die persönlichen Gegebenheiten der jeweiligen Frau nicht berücksichtigen. d) Theorie der statistischen Diskriminierung
Dieser Ansatz ist eine Weiterentwicklung des neoklassischen Modells, in dem die Annahme vollständiger Information aufgegeben wird. Statt dessen wird ein Bündel von Informationen und 293 Vgl.
PRIEWE
294 Vgl.
SOLTWEDELISPINANGER
(1984),
S.
90. (1976),
S.
96 ff.
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Vorurteilen über bestimmte Arbeitskräftegruppen zur Entscheidungstindung herangezogen. Diese Gruppen sind durch äußere Merkmale (z. B. Geschlecht, Rasse, Herkunft) gekennzeichnet. Statt einer Einzelprüfung von Arbeitskräften bei Einstellungs-, Weiterbildungs- und Aufstiegsentscheidungen werden die Informationen über die jeweilige soziale Gruppe herangezogen. Das kann dazu führen, daß die getroffene Einzelentscheidung unter Umständen falsch und damit diskriminierend, in bezug auf die gesamte Gruppe jedoch "wahrscheinlichkeitstheoretisch" richtig ist.295 Es geht dabei "um a priori-Bestimmungen für Arbeitsproduktivitäten, die auf eigener Erfahrung oder gesellschaftlich akzeptierten oder verbreiteten Einschätzungen beruhen"296. Eine solche Strategie ist so lange informationskostensparend, wie die Kosten einer verbesserten Informationsbeschaffung höher sind als das verbleibende Restrisiko einer Fehlbesetzung. Trotz einer gewissen Plausibilität dieser Theorie stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Gruppenbildung und die anschließende Zuordnung der Arbeitsproduktivitäten stattfindet. Dies scheint nach den in der Realität vorgefundenen V murteilen zu geschehen, so daß dieser Ansatz im Grunde nur eine Erklärung dafür liefert, wie sich diskriminierende Vorurteile von selbst fortschreiben. Die Diskriminierung ist eine exogene Variable und wird nicht durch das Modell erklärt. 297 Dennoch liefert die Theorie der statistischen Diskriminierung durchaus eine plausible Beschreibung der zu beobachtenden Rekrutierungsstrategien zahlreicher Unternehmen. Probleme im Hinblick auf die Gleichstellung von Frauen und Männern ergeben sich insbesondere dann, wenn die Informationskosten durch institutionelle Regeln, wie das Verbot der Frage nach einer geplanten oder gegenwärtigen Schwangerschaft der Frau, zum Nachteil einer Gruppe verzerrt werden und eine durchschnittliche Bewertung dieser Gruppe erforderlich machen. 298 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sowohl der Humankapitalansatz als auch das neoklassische Basismodell Erklärungsansätze für die zu beobachtenden Einkommensdifferenzen zwi295 Vgl. f>RIEWE (1984), S. 87. 296 FIEDLER/REGENHARDT ( 1987), S. 25. 297 Vgl. ebenda, S. 26. 298 Vgl. auch BELAND (1992), S. 463 f.
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sehen Frauen und Männern liefern, die aber nur einen Teil dieser Unterschiede begründen. In der Bundesrepublik Deutschland lassen sich nur etwa 23 % der Abstände in den Durchschnittslöhnen von Frauen und Männern auf die im Durchschnitt geringere Humankapitalausstattung der Frauen zurückführen.299 Damit beruht aber der größere Teil der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede auf anderen Ursachen, möglicherweise auch auf Diskriminierung. 3. Segmentationstheorien Die Segmentationstheorien sind aus der Kritik an der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie entstanden. Bereits in den 60er Jahren wurde die Theorie des dualen Arbeitsmarktes entwickelt und in der Folgezeit in verschiedenen Formen weitergeführt. Allerdings verfügen die verschiedenen Segmentationsansätze über keine einheitliche und in sich geschlossene Struktur, und es ergeben sich unterschiedliche Erklärungsmuster für die Entstehung von bestimmten Arbeitsmarktsegmenten. Die Segmentierungstheorien sind sozialwissenschaftliche Ansätze zur Erklärung von beobachteten Phänomenen auf dem Arbeitsmarkt, die andere (soziologische) Prinzipien als das des ökonomischen Rationalverhaltens heranziehen. 300 Gleichwohl werden sie üblicherweise im Rahmen ökonomischer Diskriminierungstheorien besprochen. Sie wurden ursprünglich entwickelt, um Gründe für die zu beobachtende Rassendiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt in den USA zu finden und wurden später auch zur Erklärung der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt herangezogen. Die Segmentierungstheorien gehen von einer Spaltung des Arbeitsmarktes in Teilmärkte aus und versuchen, die verschiedenen Funktionen dieser Teilmärkte zu begründen. Dies ist zum einen die horizontale Spaltung des Arbeitsmarktes in einen primären und einen sekundären Arbeitsmarkt und zum anderen die vertikale Segmentation in ein internes und ein externes Arbeitsmarktsegment Als Gründe für eine solche Spaltung werden unterschiedliche Ursachen genannt, etwa Gütermarktspaltungen und instabile 299 Vgl. LORENziWRIGHT (1990), S. 576. 300 Vgl. SESSELMEIERIBLAUERMEL (1990), S. 149.
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Absatzverhältnisse, betriebsspezifische Kenntnisse und Ausbildungsinvestitionen sowie Einflüsse der Organisationen beider Arbeitsmarktparteien. 30 I Grundlage der Theorie des dualen Arbeitsmarktes ist die Zweiteilung des Arbeitsmarktes in einen primären und einen sekundären Sektor, zwischen denen die Mobilität stark beschränkt ist. Der primäre Sektor ist u.a. gekennzeichnet durch relativ stabile Arbeitsplätze, gute Arbeitsbedingungen, geringe Fluktuation, gute Aufstiegschancen und hohe Einkommen.302 Das sekundäre Segment hingegen zeichnet sich durch instabile Arbeitsverhältnisse, schlechte Arbeitsbedingungen mit geringen Qualifikationsanforderungen, häufige Arbeitslosigkeit, hohe Fluktuation und geringe bzw. keine Aufstiegschancen aus.303 Im Gegensatz zur Humankapitaltheorie unterscheiden die Segmentierungstheorien nicht zwischen ausgebildeten und nicht-ausgebildeten Arbeitskräften, sondern zwischen guten und schlechten Arbeitsplätzen. Begründet wird die Spaltung des Arbeitsmarktes in einen primären und einen sekundären Sektor zum einen durch den güterwirtschaftlichen Dualismus (danach besteht die Wirtschaft aus einem monopolisierten, stabilen Kernbereich und einem peripheren Wettbewerbsbereich) und wird zum anderen durch die sogenannte soziologische Schichtungstheorie304 erklärt. 305 Im Konzept der internen und externen Arbeitsmärkte wird eine weitere Differenzierung vorgenommen. Auf dem internen Arbeitsmarkt wird die Lohnpreisbildung und die Allokation von Arbeitskräften durch formalisierte Regeln und Verfahren (z. B. Tarifvereinbarungen, Gewohnheitsrecht) festgelegt, während auf dem externen Teilmarkt weiterhin Marktpreisbildung stattfindet. 306 Der externe Arbeitsmarkt kann als "Jedermannsarbeitsmarkt" bezeichnet werden, da hier nur unspezifische Qualifikationen erforderlich sind. Auf dem internen Arbeitsmarkt werden betriebliche und be301 Vgl. 8UT11..ERIGERLACH (1982), S. 626. 302 Vgl. SESSELMEIERIBLAUERMEL (1990), S. 149. 303 V gl. ebenda. 304 Nach dieser Theorie ist das Milieu, aus dem die Arbeitskräfte stammen, ent-
scheidend für ihr (berufliches) Verhalten.
305 V gl. SESSELMEIER/BLAUERMEL ( 1990), S. 160 f. 306 V gl. SENGENBERGER (1978), S. 21. 7 Wiegand
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rufsfachliche Teilmärkte unterschieden. Für den berufsfachlichen Markt sind Qualifikationen notwendig, die für bestimmte Berufe und Branchen spezifisch sind und durch überbetriebliche Ausbildungsgänge erworben werden. Der betriebliche Teilmarkt umfaßt Qualifikationen, die an einen bestimmten Betrieb gebunden sind.307 Daraus folgt zugleich eine Zweiteilung der Arbeitskräftestruktur in eine Stamm- und eine Randbelegschaft Die Stammbelegschaft besteht aus Beschäftigten, die aufgrund ihrer spezifischen Ausbildung für das Unternehmen wichtig sind und denen daher höhere Löhne und Aufstiegschancen eingeräumt werden. In Krisenzeiten werden sie zuletzt entlassen. Die Randbelegschaft setzt sich dagegen aus Arbeitskräften zusammen, die in Zeiten der Rezession entlassen werden. Um eine gewisse Flexibilität bei der Beschäftigungsanpassung zu gewährleisten, werden die Qualifikationsanforderungen an die Randbelegschaft so stark gesenkt, daß diese lediglich sog. Jedermann-Qualifikationen besitzen müssen.308 Es stellt sich nun die Frage, welche Gründe es dafür gibt. daß der sekundäre bzw. externe Arbeitsmarkt aus ganz bestimmten Arbeitskräftegruppen (z. B. Frauen, Jugendliche, ältere Arbeitnehmer) besteht, deren Arbeitssituation durch geringe Aufstiegschancen, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und hohe Fluktuation gekennzeichnet ist. Der "alternativrollentheoretische Ansatz"309 im Rahmen der Segmentierungstheorie begründet die Diskriminierung solcher "Problemgruppen" am Arbeitsmarkt durch die Unternehmen mit der gesellschaftlich anerkannten Alternativrolle (z. B. Familienrolle), die diese Arbeitnehmer zur Erwerbstätigkeit besitzen. Das bedeutet zwar nicht, daß die Alternativrolleninhaber dem Arbeitsmarkt fernbleiben, dennoch wird bei einer Nichterwerbstätigkeit, sozusagen als "zweitbeste" Lösung, der Rückgriff auf die Alternativrolle auch als dauerhaft zurnutbar und sogar verpflichtend angesehen.310
307 Vgl. LAPPE ( 1981 ), S. 17. 308 Vgl. SESSELMEIERIBLAUERMEL (1990). S. 193 f. 309 Dieser Ansatz stammt von ÜFFE ( 1977). 310 Vgl. SESSELMEIERIBLAUERMEL (1975), S. 175.
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Wird den Frauen der Reproduktionsbereich zugeschrieben und daraus ein mangelndes Interesse an langfristigen Beschäftigungsverhältnissen sowie geringe Aufstiegsbereitschaft und Weiterbildungsbereitschaft abgeleitet, so erweisen sie sich nach der Segmentationstheorie "als geradezu 'ideales Rekrutierungspotential' für den sekundären Arbeitsmarkt mit seinen instabilen, niedrig qualifizierten und mit geringen Aufstiegschancen verbundenen Beschäftigungsverhältnissen" 311. Für einen rational handelnden und gewinnmaximierenden Unternehmer folgt daraus zweierlei: Erstens wird er versuchen, seine Beschäftigten durch arbeitsvertragliche Abmachungen und betriebsspezifische Humankapitalinvestitionen an sein Unternehmen zu binden, um die Kosten für Anwerbung, Ausbildung und Einarbeitung neuer Arbeitskräfte zu minimieren. Dabei ist er zweitens bemüht, vor allem solche Arbeitskräfte anzuwerben, bei denen das potentielle Abwanderungsrisiko durch eine Alternativrolle gering ist. Beschäftigtengruppen mit Alternativrollen erhalten lediglich Arbeitsplätze mit geringen Einstellungs- und Ausbildungskosten. Diese Schaffung von Jedermann-Arbeitsplätzen hat zugleich den Vorteil, bei schwankendem Produktionsvolumen flexibel Beschäftigungsanpassungen vornehmen zu können und dabei die Fluktuationskosten niedrig zu halten.312 Das heißt, es besteht ein betrieblicher Bedarf nach einer möglichst disponiblen Randbelegschaft und einer möglichst loyalen Stammbelegschaft Die Ursache der starken Besetzung von Frauen in den minderwertigen Segmenten wird aus der Sicht der Segmentationstheorie in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der damit einhergehenden Alternativrolle gesehen.313 Des weiteren wird das Konzept der statistischen Diskriminierung herangezogen, um eine Erklärung für die jeweilige Besetzung der Arbeitsplätze zu liefern. Damit werden den einzelnen Gruppen von Arbeitskräften bereits im voraus Arbeitsproduktivitäten beigemessen, welche dann zu der Zuweisung in ein bestimmtes Segment führen. An dieser Stelle ist allerdings auch darauf hinzuweisen, daß zahlreiche institutionelle Regelungen, wie etwa formelle Zugangskriterien oder Mindest311 JOCHMANN-DÖLL ( 1990), S. 28. 312 V gl. SESSELMEIERIBLAUERMEL ( 1990), S. 176. 313 Vgl. FJEDLERIREGENHARDT (1987). S. 31. 7*
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löhne, eine restriktive Wirkung haben und damit ebenfalls zu einer Segmentierung des Arbeitsmarktes beitragen. Gleichwohl ist es ein Verdienst der Vertreter der Segmentationstheorien, die Funktionsweise des Arbeitsmarktes nicht allein durch ökonomische Interdependenzen zu erklären, sondern auch Faktoren einzubeziehen, die das Verhalten von Menschen beeinflussen.J14 Dies hat zur Folge, daß nun die Beziehung zwischen Arbeitsanbietern und Arbeitsnachfragern im Unternehmen diskutiert wird und daraus die Zusammenhänge zum betriebsinternen Arbeitsmarkt abgeleitet werden. Durch die Berücksichtigung soziologischer und psychologischer Determinanten werden im Rahmen der Entstehung interner Arbeitsmärkte zudem Formen nichtmarktvermittelnder Allokation aufgedeckt. 315 Kritisch anzumerken ist, daß auch die Segmentalionstheorien a priori von der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ausgehen und damit der eigentliche Ursprung der Teilung der Arbeitnehmer ungeklärt bleibt. Des weiteren ist zu fragen, ob die Alternativrolle, mit der das Abdrängen in den sekundären Sektor begründet wird, schon immer existiert oder erst eine Folge der unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnisse und damit Resultat der Diskriminierungsstrategien sein könnte. Demzufolge ließen sich ein mangelndes Interesse von Frauen an langfristigen Beschäftigungsverhältnissen und die damit verbundene hohe Fluktuationsbereitschaft aus dem Diskriminierungsverhalten der Arbeitgeber ableiten.316 Wie schon in der Humankapitaltheorie werden im Rahmen der Segmentalionstheorien in der Realität vorzufindende Tatbestände erklärt, ohne die Prämissen weiter zu hinterfragen. An dieser Stelle setzen daher die soziologischen Erklärungsansätze an. Sie versuchen, die Herausbildung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu erklären und Gründe für ihre Perpetuierung zu finden.
314 Vgl. SESSELMEIERfßLAUERMEL (1990), S. 182. 315 Vgl. PRIEWE (1984), S. 113. 316 Vgl. SESSELMEIERfBLAUERMEL (1990), S. 177.
II. Soziologische An.vätze
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II. Soziologische Ansätze I. Sozialisation von Geschlechtsrollen Unter Sozialisation wird die Gesamtheit der Phasen verstanden, durch die der Mensch zur sozialen, d.h. gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeit wird, indem er in gesellschaftliche Handlungszusammenhänge (z. B. in Familien, Klassen, Schichten) hineinwächst. Die Geschlechtsrollensozialisation ist ein Teil des Prozesses der Persönlichkeitsbildung durch soziales Lernen in Kindheit und Jugend.317 In der soziologischen Literatur wird (häufig unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Psychoanalyse) davon ausgegangen, daß die geschlechtsspezifischen Eigenschaften und Verhaltensweisen den Jungen und Mädchen bereits im Kindesalter ansozialisiert werden. Die Geschlechtsrollenerwartungen dienen als Richtlinie der Sozialisation. Durch die geschlechtsspezifische Behandlung erhält bereits im Kindesalter jeder eine bestimmte Vorstellung von sich selbst, die das zukünftige Selbstverständnis prägt. Sie wird bestimmt von den Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitskonzepten der Bezugspersonen.318 Dieser bei der Geburt beginnende Sozialisationsprozeß erstreckt sich dann über das gesamte Leben.319 Die so definierten Geschlechtsrollen bestimmen auch die Erwartungshaltung an Männer und Frauen durch andere, wobei Abweichungen davon besondere Aufmerksamkeit erwecken. 320 Stereotype bergen, da sie als Vorurteile den Wahrnehmungsprozeß beeinflussen, die Gefahr in sich, passende Informationen selektiv zu registrieren, während nicht zutreffende Informationen leicht übersehen und schneller vergessen werden. Damit läßt sich zum Teil auch erklären, warum Stereotype im Zeitablauf relativ resistent gegenüber (gesellschaftlichen) Wandlungsprozessen sind. Daß solche geschlechtsspezifischen Stereotype existieren, ist nicht zu bestreiten. Die Frage ist jedoch, inwieweit derartige weitverbreitete Vorurteile der Realität entsprechen. Die zahlreichen 317 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1989), S. 33. 318 Vgl. BILDEN (1989), S. 794. 319 Vgl. ebenda, S. 802. 320 Vgl. ZAUNER (1990), S. 28.
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Untersuchungen von Psychologen und Soziologen kommen jedenfalls zu widersprüchlichen Ergebnissen. Tatsache ist auch, daß geschlechtstypische Eigenschaftsmuster dazu dienen, die bestehende Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zu begründen und unter Umständen zu rechtfertigen. Die (ältere) arbeitswissenschaftliche Literatur geht davon aus, daß es geradezu die "natürliche" Aufgabe der Frau sei, "nur" Hausfrau und Mutter zu sein. Begründet wird diese Auffassung mit der physischen Konstitution der Frau und damit, daß sie es ist, die die Kinder zur Welt bringt.321 Mit der Fähigkeit, Kinder zu bekommen, werden zudem bestimmte "typisch weibliche" Eigenschaften verbunden und Konsequenzen für die Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung gezogen. Neueren soziologischen Untersuchungen322 zufolge sind biologische Unterschiede der Geschlechter keine hinreichende Begründung für die ungleiche Stellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft, da sie nicht unabhängig vom Einfluß der Gesellschaft gesehen werden können. Die Weichen für eine geschlechtsspezifische Sozialisation .werden bereits in der Kindheit gestellt. In der Erziehung werden erwünschte Eigenschaften eher gefördert und verstärkt, unerwünschte hingegen eher unterdrückt. Dementsprechend werden Mädchen und Jungen gemäß den geschlechtsspezifischen Erwartungen bewußt oder unbewußt unterschiedlich behandelt. Selbst Eltern, die dies verhindern möchten, können ihre Kinder nicht dem Einfluß ihrer Umgebung (Freunde, Schule, Medien) entziehen.323 Die gesellschaftlichen Vorstellungen über die geschlechtsspezifischen Verteilungen von Eigenschaften prägen zugleich das Selbstbild und setzen damit Maßstäbe, an denen vermeintliche Defizite erkennbar sind. Aus diesen Leitbildern entstehen auch Vorurteile darüber, was Frauen können und was nicht.324 Des weiteren lassen sich bestimmte Orientierungen aus dem spezifisch weiblichen und männlichen Lebenszusammenhang nachweisen. Frauen sind tendenziell in größerem Maße auf Personen und persönliche Beziehungen ausgerichtet, während Männer eher auf Dinge ausge321 Vgl. KRELL (1984), S. 9 ff. 322 Vgl. z. 8. MEULENBELT ( 1985). 323 Vgl. SCHMIDT ( 1989), S. 31. 324 Vgl. ßROTHUN (1988), S. 322.
II.
Soziolo~:ische
An.fätze
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richtet sind. Frauen nehmen daher die Personen in ihrer Umwelt stärker wahr als Männer und ihr Leben ist vorwiegend um Personen und Beziehungen zu Personen herum geordnet. 325 Dies bringt ein größeres Harmoniebedürfnis in sozialen Beziehungen mit sich und ein Vermeiden von Konkurrenzsituationen. Belohnungen werden eher aus Beziehungen erreicht als aus Erfolg, insbesondere wenn dieser zu Lasten anderer geht. 326 Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Durch die Zuweisung der Reproduktionsarbeit an die Frauen führt eine Berufstätigkeit für sie in der Regel zu einer Doppelbelastung. Diese beeinflußt jedoch die Lebensplanung von Frauen. Eine Berufskarriere bedeutet für sie entweder den Verzicht auf Familie und Kinder oder die Inkaufnahme der Doppelbelastung. Eine solche Entscheidungssituation stellt sich beim Mann hingegen nicht. Andererseits bedeutet dies aber auch, daß die alleinige Übernahme der Hausarbeit ohne Berufstätigkeit soziale Anerkennung erfährt und somit eine echte Alternative für die Frau bietet, die sich so für Männer (noch) nicht stellt. Diese unterschiedliche Perspektive führt zu unterschiedlicher Sozialisation, bzw. die Individuen sozialisieren sich selbst antizipatorisch daraufhin.327 Das bedeutet, Frauen können, müssen aber nicht berufstätig sein bzw. Karriere machen. Die daraus resultierende größere Wahlfreiheit für Frauen hat Konsequenzen in mehrfacher Weise. Frauen haben für sich selbst eine andere Karriereorientierung als Männer und beziehen Belohnungen eher aus dem persönlichen Bereich und weniger aus Aufstieg und beruflichem Erfolg. Im Gegensatz zu Männern hängt von ihrem Berufserfolg üblicherweise nicht der Lebensstandard und Sozialstatus der Familie ab. Das heißt aber andererseits auch, daß Frauen ihre berufliche Laufbahn nicht mit derselben Zielstrebigkeit in Angriff nehmen wie Männer. Zudem kann eine berufliche Karriere meist nicht unabhängig vom oder sogar gegen den Ehemann durchgesetzt werden. 328 Die genannten Aspekte bestimmen das Erwerbsangebot der Frauen in seinen individuellen Stärken und Defiziten
325 Vgl. GJLLIGAN (1984). 326 Vgl. ßROTHUN (1988), S. 322. 327 Vgl. BILDEN (1980). S. 805. 328 Vgl. ßROTHUN (1988), S. 323.
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Teil C: Theoretische Erklärungsansätze
bezüglich Arbeitsvermögen, Karrieremotivation, Familienorientierung, Planungsverhalten und Mobilitätsbereitschaft.329 Die Besonderheiten der weiblichen Arbeitskraft resultieren aus der geschlechtsspezifischen Rollensozialisation, die zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung der Geschlechter mit der Zuweisung der Hausarbeit an die Frauen führt. Dies bedeutet nicht, daß Frauen heutzutage mehrheitlich zu Hausfrauen und gegen eine anspruchsvolle Berufsorientierung erzogen werden. Es bedeutet vielmehr, daß eine gleichzeitige und widersprüchliche Orientierung auf Hausarbeit und Erwerbsarbeit erfolgt. Widersprüchlich ist die Orientierung deshalb, weil Frauen meist nur unter Verzicht auf eine eigene Familie eine ausschließliche Berufsorientierung verfolgen können.330 Die weibliche Sozialisation ist durch Gegensätze geprägt, "weil Hausarbeit in vieler Hinsicht Verhaltensweisen und Motivationen fordert und fördert, die den für erfolgreiche berufliche Arbeit notwendigen Verhaltensweisen und Motivationen zum Teil diametral entgegengesetzt sind. Die Belohnung für Hausarbeit - und damit auch die dafür notwendige Motivation liegt in der Befriedigung ganz konkreter Bedürfnisse · von (meistens anderen) Personen. "331 Erwerbsarbeit dient hingegen der materiellen Existenzsicherung des Arbeitenden, der dabei sein Eigeninteresse zu wahren sucht und die Arbeitszufriedenheit und -motivation aus abstrakten Erfolgskriterien (Geld, Status) ableiten muß. Für den beruflichen Erfolg ist die Fähigkeit und Bereitschaft zu Abgrenzung, zu Autonomie und Wettbewerbsverhalten Voraussetzung. Hausarbeit findet nach Ansicht der Soziologen in wettbewerbsfreiem Raum statt und erfordert Fähigkeiten wie Emphatie, Solidarität und das Denken in Beziehungen.332 Der soziologischen These, Unterschiede zwischen den Geschlechtern seien in erster Linie auf die Sozialisation von Geschlechtsrollen zurückzuführen, wird vorgeworfen, daß der Beweis hierfür noch ausstehe. 333 Insbesondere wird darauf hingewiesen, daß Versuche der Angleichung beider Geschlechter durch eine ge329 Ygl. ebenda, S. 324. 330 Vgl. KLEBER ( 1992), S. 97331 Ebenda. 332 Ygl. ebenda, S. 98. 333 Vgl. BISCHOF-KÖHLER (1992), S. 275.
II. Soziologische Ansätze
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schlechtsneutrale Erziehung dazu geführt haben, Unterschiede noch stärker hervortreten zu lassen. Daraus wird gefolgert, daß beim Menschen bereits bestimmte Dispositionen und Verhaltensmuster bestehen, die nicht ausdrücklich anerzogen werden müssen.334 Zudem ist zu fragen, warum überhaupt eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter stattfindet. Von den Soziologen wird dies meist auf bestimmte Vorstellungen über die jeweiligen Geschlechtsrollen von seiten der Sozialisationsinstanzen zurückgeführt. Kritikern zufolge wird damit jedoch von vornherein ausgeschlossen, Kinder könnten ihrerseits geschlechtstypische Besonderheiten in ihrem Verhalten mitbringen, welche eine unterschiedliche Behandlung provozieren. 335 2. Das weibliche Arbeitsvermögen Rückgreifend auf die These eines geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktes wird in der Soziologie die ungleiche Verteilung von Frauen und Männern auf die jeweiligen Berufe erklärt. In ihrer Untersuchung geht Beck-Gernsheim dabei von einem spezifisch "weiblichen Arbeitsvermögen" aus, das zur Folge hat, daß Frauen überwiegend in "hausarbeitsnahen" Berufen arbeiten.336 Das weibliche Arbeitsvermögen wird definiert als Summe der Sozialisationsfolgen und der Auswirkungen der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Der Grundgedanke ist der, daß berufliche Arbeit und private Hausarbeit zwei sich wechselseitig ergänzende gesellschaftlich notwendige Formen von Arbeit sind, denen charakteristische Anforderungen und subjektive Dispositionen entsprechen, die inhaltlich unterschiedlich, zum Teil gegensätzlich sind. 337 Hausarbeit ist durch vielfältige inhaltliche Aufgaben in einem überschaubaren Sozialkontext gekennzeichnet, während berufliche Arbeit auf Einzelaufgaben spezialisiert ist, die über den Markt vermittelt werden und durch Konkurrenzbeziehungen geprägt sind.338 lnfolge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der Zu334 Vgl. ebenda. 335 Vgl. ebenda, S. 253. 336 Vgl. BECK-GERNSHEIM (1976), S. 77 f. 337 Vgl. ebenda, S. 8. 338 Vgl. ebenda.
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Teil C: Theoretische Erklärungsansätze
ordnung zum familiären Bereich und seinen Aufgaben entfalten Frauen Bedürfnisse, Eigenschaften und Fähigkeiten, die sie mehr für die Familie und weniger für die Erwerbskonkurrenz qualifizieren. Diese auf die Anforderungen der Hausarbeit orientierten Fähigkeiten, die Frauen im Sozialisationsprozeß erwerben, können im Berufsleben nicht einfach abgelegt werden. Dementsprechend werden die Besonderheiten der beruflichen Motivationen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen von Frauen in der Theorie des weiblichen Arbeitsvermögens so dargestellt, daß Frauen vor allem an solchen Berufen interessiert sind, die den Umgang mit Menschen, den Aspekt des Pflegens und Reifens, des sozialen Engagements umfassen bzw. den Bezug zu Mode, Dekoration und Schönheit haben. Das Interesse an sozialen Aspekten des Berufs führt außerdem dazu, daß Frauen eine große Bereitschaft zu persönlichem Dienst, zur Unterordnung und zur Akzeptanz von Sackgassenpositionen besitzen. Frauen sind zugleich weniger fähig und bereit, Konkurrenzkämpfe durchzustehen. Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg ist zwar oftmals vorhanden, wird aber dann aufgegeben, wenn er gegen die Interessen anderer durchgesetzt werden müßte. Im Gegensatz zu Männem wählen Frauen eher einen inhaltlich befriedigenden Arbeitsplatz und nicht einen hierarchisch höheren, selbst wenn dieser unter ihrem Qualifikationsniveau liegt. 339 Als Kritikpunkte am Konzept vom "weiblichen Arbeitsvermögen" werden u. a. genannt, daß es den Anschein erwecke, das Arbeitsvermögen von Frauen sei durchgängig geschlechtsspezifisch bestimmt und impliziere, daß dies durch eine subjektive Prioritätensetzung zugunsten der Hausarbeit bewirkt würde. 340 Außerdem wird eingeräumt, daß bestimmte Qualitäten des Arbeitsvermögens eines Menschen im Laufe seines Lebens erschöpft sind, modifiziert oder auch erst neu hervorgebracht werden, so daß von dem weiblichen Arbeitsvermögen eigentlich nicht gesprochen werden könne.341 Die soziologischen Erklärungsansätze sehen die Ursachen für die bestehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung grundsätzlich in 339 Vgl. KLEBER (1992}, S. 98. 340 Vgl. KNAPP (1989}, S. 287. 341 Vgl. ebenda, S. 285 f.
111. Psycho(bio)/ogische Ansätze
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der geschlechtssspezifischen Sozialisation, in der Frauen und Männer auf ihre zukünftigen Rollen vorbereitet werden. Die psychologischen Ansätze gehen nun noch einen Schritt weiter: Sie suchen Gründe für die berufliche Benachteiligung bei den Frauen selbst. 111. Psycho(bio)logische Ansätze I. Die Theorie der "Furcht vor Erfolg" Zu den populärsten psychologischen Argumentationsmustern gehört die Theorie der "Furcht vor Erfolg" (fear of success), die auf die Amerikanerin Horner342 zurückgeht. Die Autorin versucht mit dieser Theorie, den Konflikt zwischen Weiblichkeit und Leistungsstreben zu erklären.343 Die meisten Frauen haben danach in ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation gelernt, daß die als typisch männlich definierten Eigenschaften nicht mit Weiblichkeit zu vereinbaren sind. 344 Daher bewerten Frauen den Erfolg ihrer Geschlechtsgenossinnen gemäß den traditionellen Rollenstereotypen als negativ. Frauen besitzen damit zugleich ein Motiv, Erfolg zu vermeiden, da sie negative Konsequenzen im Zusammenhang mit ihrem Erfolg, vor allem in Konkurrenzsituationen mit Männern, erwarten. Sie befürchten, sozial abgelehnt, als unattraktiv oder unfeminin angesehen zu werden. 345 Nach Horner wird diese Furcht vor Erfolg bereits in früher Kindheit erworben und verhindert als psychologische Barriere Leistung.346 Allerdings darf die Furcht vor Erfolg nicht mit dem Wunsch nach Mißerfolg verwechselt werden. Horner konnte 342 Vgl. HORNER (1972). 343 Homer ließ in ihrer Untersuchung männliche und weibliche Studenten
Geschichten zu dem Satz erzählen: "Nach den Abschlußprüfungen des ersten Semesters liegt Anne (John) in ihrem (seinem) Medizinstudium an der Spitze der Kommilitonen." Der überwiegende Teil der Studentinnen beschrieb in ihrer Geschichte über Anne negative Konsequenzen des Erfolgs. Die männlichen Geschichten über John enthielten hingegen kaum Hinweise auf negative Folgen.
(1972). 344 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 67. 345 Vgl. GILLIGAN (1984), S. 25. 346 Vgl. HORNER (1972), S.
HORNER
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Teil C: Theoretische Erklärungwnsiitze
nachweisen, daß die Furcht vor Erfolg gerade bei hoch leistungsmotivierten Frauen besonders groß ist.347 Es fehlt Frauen somit nicht an Ehrgeiz, aber der Preis, den sie dafür zahlen sollen, hindert sie am Erfolgsstreben. Die Theorie der Furcht vor Erfolg ist von zahlreichen Autoren kritisch diskutiert worden und bis heute noch umstritten, insbesondere hinsichtlich des von Horner angewandten Meßverfahrens. Zahlreiche Nachfolgeuntersuchungen führen zu sich widersprechenden Ergebnissen.348 So wird beispielsweise argumentiert349, die Furcht vor Erfolg sei keine tief verwurzelte psychologische Barriere bei Frauen, sondern spiegele Bestrafungserwartungen für ein von der Geschlechtsrolle abweichendes Verhalten wider.350 Neuere Untersuchungen konnten keine so großen Unterschiede zwischen Frauen und Männern wie Horner nachweisen. Auch Männer sehen inzwischen vermutlich stärker die negativen Seiten des Erfolgs. 351 Gleichwohl bleibt in der Literatur die Meinung vorherrschend, daß mögliche Rollenkonflikte das Streben nach beruflichem Erfolg bei Frauen bremsen.352 2. Die Mutter-Kind-Gesinnung Früher wurde die Mutter- und Hausfrauenrolle als die "natürliche" Rolle oder als "der" Beruf der Frau definiert. Dies erfolgte rückgreifend auf Naturgesetze bzw. auf das unterschiedliche "Wesen" von Mann und Frau.353 Heute ist eine solche Argumentation jedoch nicht mehr haltbar. Gleichwohl ist die Mutter-KindGesinnung geblieben, die den Frauen ihren Platz zuweist. "Die Frauenfrage zur Kinderfrage zu machen, das ist die stabilste Bastion gegen die Gleichstellung der Frau ( ... ). Die von Männern be347 Vgl. ebenda, S. 348 Vgl. hierzu ÜLSEN/WJLLEMSEN (1978); HECKHAUSEN ( 1980). 349 Vgl. LOCKHEED (1975). 350 Vgl. NJEV AIGUTEK ( 1982), S. 95 f. 351 Vgl. HECKHAUSEN (1980), S. 630. 352 Vgl. FRJEDEL-HOWE (1986), S. 531. 353 Vgl. z. B. DEUTSCH (1948).
/11. Psycho(bio)logische Ansätze
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hauptete Unersetzbarkeil der Mutter für die Kinderbetreuung erweist sich von großem strategischem Wert für die Rechtfertigung der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau."354 Zu diesem Ergebnis kommen Metz-Göckel und Müller in ihrer Untersuchung über Ansichten und Einstellungen von Männern. 355 Die Mutter-Kind-Beziehung wird auch auf gesellschaftlicher Ebene nicht in Frage gestellt. Frauen, die es dennoch tun, werden daher leicht als "Rabenmütter" angesehen. In der öffentlichen Diskussion wird die Mutter-Kind-Gesinnung von zwei Seiten gestützt: von der These der Unersetzbarkeil der Mutter auf der einen Seite und den möglicherweise negativen Auswirkungen der Erwerbstätigkeit von Müttern auf ihre Kinder auf der anderen Seite. 356 Mit der Entstehung der Kleinfamilie und der Rollenteilung zwischen den Geschlechtern im Zuge der Industrialisierung begann die Zuweisung der Erziehungsaufgaben an die Frau. Erziehungsgeschichtlich betrachtet ist dagegen die Mehrfachbetreuung des Kindes durch mehrere Bezugspersonen am weitesten verbreitet. 357 Allerdings ist auch hier die Erziehung durch eine langfristig stabile Primärgruppe gewährleistet. Heute wird meist auf Forschungsarbeiten von Spitz358 und Bowlby359 verwiesen, die im Rahmen der Deprivationstheorie auf Schäden hinweisen, die ein Kind davonträgt, wenn es in den ersten Lebensjahren von seiner Mutter getrennt wird. Die Deprivation von der Mutter im frühen Kindesalter wird als Ursache zahlreicher psychischer und somatischer Störungen (z. B. intellektuelle Schädigung, erhöhte Aggressivität und Delinquenz) angesehen. Allerdings sind diese Ergebnisse inzwischen auch in Frage gestellt worden. 360 Es gibt lediglich Hinweise darauf, daß das Kind eine (oder mehrere) feste Bezugsperson(en) haben sollte. Dies kann, muß aber nicht die Mutter sein. Erste Ergebnisse der 354 METZ-GöCKELIMüLLER (1986), S. 28. 355 V gl. ebenda. 356 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 36. 357 V gl. z. B. LIEGLE (1980). 358 Vgl. SPITZ ( 1976). 359 Vgl. BOWLBY (1969). 360 Vgl. ERNST/LUCKNER (1985).
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Teil C: Theoretische Erkliirullf.ISlltiSätze
"Vaterforschung"361 zeigen, daß auch der Vater eine enge Bindung zu seinen Kindern herstellen, sie versorgen und aufziehen kann. 362 Die These von dem schädlichen Einfluß der mütterlichen Berufstätigkeit auf die Kinder363 ist ebenfalls in Frage gestellt worden. Die Berufstätigkeit von Müttern stellt nur eine von vielen Variablen dar, welche die Entwicklung des Kindes beeinflussen. Als weitere kommen die Einstellung der Mutter zu ihren Kindern, die Zufriedenheit mit ihrer beruflichen Tätigkeit, die Einstellung des Ehemannes zur Berufstätigkeit seiner Frau sowie die Erziehungsstile der Eltern hinzu.364 Unabhängig von diesen (meist ausländischen) Forschungsergebnissen zeigen Meinungsumfragen, daß in der Bundesrepublik Deutschland eine besonders traditionelle, konservative Einstellung zur RoHenaufteilung in der Familie vorherrscht.365 Nach einer repräsentativen Stichprobe aus dem Jahr 1982 stimmten etwa Zwei Drittel aller Befragten der Aussage "Ein Kind, das noch nicht zur Schule geht, wird wahrscheinlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist" voll und ganz zu. 366 Dies bedeutet andererseits auch, daß Frauen zwar berufstätig sein und auch eine berufliche Karriere anstreben können. Aber sobald sie Mütter sind, soll die MutterroHe Vorrang vor der BerufsroHe haben.367
3. Das Konzept der Selbstwirksamkeit Personen treffen nach ihrem Selbstbild die Berufswahl und bauen darauf ihre Karriereplanung auf. Diese ist demzufolge davon abhängig, welche RoHe sich die Person selbst zuschreibt, wieviel Selbstvertrauen sie hat und wie sie ihre eigene Erfolgswahr-
361 Vgl. FTHENAKIS (1985). 362 Vgl. SIEVERDING ( 1990), S. 39. 363 Vgl. SPECK (1956). 364 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 39. 365 Siehe auch Kapitel 11.6. in Teil A. 366 Vgl. KRAUTH (1982), zitiert nach SIEVERDING (1990), S. 43. 367 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 46.
II/. Psycho(bio)/ogische Ansiitze
III
scheinlichkeit einschätzt.368 Das Konzept der Selbstwirksamkeit369 (self-efficacy) bezieht sich nun auf die Erwartungen einer Person, bestimmte Aufgaben erfolgreich zu bewältigen bzw. ein erwartetes Verhalten zu zeigen. Es handelt sich dabei um ein subjektives Urteil über die eigenen Fähigkeiten, die nicht mit den objektiven Fähigkeiten übereinzustimmen brauchen. Die Fähigkeit, eine bestimmte Aufgabe zu bewältigen, kann von einer Person sowohl über- als auch unterschätzt werden.370 Die subjektiven Erfolgserwartungen beziehen sich in diesem Modell allerdings nicht auf das Ergebnis einer Handlung, sondern auf deren Ausführung, also auf die Frage: "Kann ich das tun?" Die Erwartung im Hinblick auf die eigene Wirksamkeit legt dann fest. ob ein bestimmtes Verhalten begonnen wird, wieviel Anstrengung aufgebracht wird und wie lange ein Verhalten beim Auftauchen von Hindernissen beibehalten wird. 371 Die Theorie der Selbstwirksamkeit ist von Hackett und Betz372 auf die berufliche Entwicklung von Frauen angewandt worden. Sie stellen die Hypothese auf, daß schwache Erwartungen bezüglich der Selbstwirksamkeit als interne Barriere bezüglich karriererelevanten Verhaltens wirken können. Danach hätten Frauen wegen ihrer Sozialisationserfahrungen kaum positive Erwartungen in bezug auf ein erfolgreiches Karriereverhalten. und dies habe negative Rückwirkungen auf die Entfaltung ihrer Fähigkeiten und damit auch auf die Karrierechancen. 373 Als Beispiel für das Entstehen einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung führen Hackett und Betz folgende Faktoren an: fehlende nichttraditionelle weibliche Rollenmuster. größeres Engagement in typisch weiblichen Aktivitäten in Kindheit und Jugend als in traditionell männlichen Aktivitäten, höhere Maße an Ängstlichkeit bei Individuen mit femininer Geschlechtsrollenorientierung sowie die fehlende Ermutigung durch andere Personen, nichttraditionelle Aktivitäten aus-
368 V gl. LEE ( 1987). S. 8. 369 Vgl. hierzu BANDURA (1977). 370 Vgl. SIEVERDING (1990). S. 75. 371 Vgl. ebenda. 372 V gl. HACKETTIBETZ (1981 ). 373 Vgl. ebenda, S. 326 ff.
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Teil C: Theoretüche Erkliirungsansätze
zuüben.374 Dabei ist die geringere Erfolgserwartung bei Frauen vermutlich dann besonders ausgeprägt, wenn es um Aufgaben geht, die als männlich stereotypisiert sind.375 Empirische Untersuchungen376 zur Überprüfung der Theorie der Selbstwirksamkeit zeigen, daß Selbstwirksamkeitserwartungen Vorhersagen über die weitere berufliche Entwicklung erlauben.377 Außerdem lassen sich signifikante Geschlechtsunterschiede bei der Selbstwirksamkeit in bezug auf traditionelle und nichttraditionelle Berufe feststellen. So ist die Erwartungshaltung der Frauen bei typischen Frauenberufen höher als bei den von Männern dominierten Berufen. Demgegenüber zeigen Männer ähnlich hohe Werte der Selbsteinschätzung sowohl bei traditionellen als auch bei nichttraditionellen Berufen, da es vermutlich einen positiven Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitserwartungen und maskuliner Geschlechtsrollenorientierung gibt. 378 In einigen jüngeren Untersuchungen379 konnten Geschlechtsunterschiede bei der beruflichen Selbstwirksamkeit jedoch nicht mehr ermittelt werden. Von daher scheint es notwendig zu sein, nicht die globalen Geschlechtsunterschiede zu analysieren, sondern verstärkt die Geschlechtsrollenorientierung zu berücksichtigen, weil es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitserwartungen und maskuliner Geschlechtsrollenorientierung gibt. 380 4. Frau und Karriere in psychobiologischer Sicht Neben sozialisationsbedingten Verhaltensunterschieden werden auch biologische Ursachen für Verhaltensunterschiede von Frauen und Männern diskutiert. In einer Untersuchung von Bischof-Köh-
374 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 76. 375 Vgl. ebenda, S. 74. 376 Vgl. hierzu HACKETI/LENT ( 1987). 377 Vgl. SIEVERDING ( 1990), S. 76. 378 Vgl. ebenda, S. 77. 379 Vg1. z. 8. ROTBERG u. a. (1987). 380 Vgl. SIEVERDING ( 1990), S. 78.
/11. Psycho(bio)logische Ansätze
113
ler381, in der nach einer psychobiologischen Basis für die Unterschiede in den Karrierechancen zwischen Frau und Mann gesucht wird, stellt die Autorin die Frage, ob die Erfüllung der Rollenerwartungen der Gesellschaft möglicherweise den Neigungen der Frauen besonders entgegenkommen und diese Neigungen ihnen nicht erst ansozialisiert werden mußten, sondern "als angeborene Verhaltensdispositionen zu ihrer Natur gehören"382. Dies würde bedeuten, daß die Ängste der Frauen in bezug auf eine berufliche Karriere nicht ausschließlich mit der erwarteten negativen Reaktion der Gesellschaft zu erklären sind. Sie hängen vielmehr mit bestimmten Faktoren der beruflichen Karriere zusammen (z. B. Durchsetzungsfähigkeit und Risikobereitschaft), die den Frauen aufgrundihrer Natur nicht so leichtfallen wie Männern.383 Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, daß die Schwierigkeiten der Frauen bezüglich ihrer Berufskarriere in erster Linie auf geschlechtsspezifische Anlagen zurückzuführen und nur in zweiter Linie gesellschaftlich bedingt sind. 384 Diese Schwierigkeiten resultieren "aus der anlagebedingt besseren Disponiertheil des Mannes zum Konkurrenzverhalten, die sich aus der unterschiedlichen parentalen Investition der Geschlechter herleiten läßt"385. Der parentalen Investition, d. h. dem Ausmaß an Anstrengung, Zeit und Risiko, das ein Individuum pro Einzelnachkomme aufwenden muß, kommt bei der biologischen Sichtweise der Geschlechtsunterschiede eine Schlüsselrolle zu. Sie wird als zentrale Voraussetzung für die Entstehung unterschiedlicher Motivationsstrukturen angesehen. Am Beispiel tierischen Verhaltens wird dargelegt, warum beim männlichen Geschlecht eine besondere, ritualisierte Wettkampfmotivation besteht und die Bereitschaft, stabile Rangordnungen zu bilden, größer ist als beim weiblichen Geschlecht. Als Ursache werden die unterschiedlichen Fortpflanzungsstrategien der Geschlechter genannt. Aufgrund einer Knappheit von fortpflanzungsfähigen Weibchen müssen die Männchen untereinander um die 381 Vgl. BISCHOF·KÖHLER (1990). 382 Ebenda, S. 18. 383 Vgl. ebenda. 384 Vgl. ebenda, S. 17. 385 Ebenda. 8 Wiegand
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Teil C: Theoretische Erklärungsansätze
Weibchen konkurrieren. Damit kommt es zur Ausbildung einer spezifisch männlichen Kampfmotivation und zu einem geschlechtsspezifischen Druck hinsichtlich Stärke und Ausdauer. 386 Demgegenüber kämpfen Weibchen in der Regel nicht mit anderen Weibchen um Männchen. Ihr Aggressionsverhalten ist daher kaum ritualisiert, und es besteht keine Bereitschaft, sich kooperativ unterzuordnen. Ein Wettkampf zwischen Weibchen und Männchen ist biologisch überhaupt nicht vorgesehen. 387 Anhand von Daten aus der Entwicklungspsychologie wird schließlich gezeigt, daß geschlechtstypisches Verhalten beim Menschen in die gleiche Richtung geht, wie es tierische Befunde belegen. Sie bestätigen die stereotypen Annahmen, wonach Männer durchsetzungsfahiger, risikobereiter, aggressiver und sachorientierter seien, während Frauen mehr personenorientiert und an familiären, pflegerischen Dingen interessiert seien. 388 Rückblikkend in die Entstehungsgeschichte der Menschheit wird gezeigt, daß Frauen immer einen wesentlichen Teil zum Lebensunterhalt beigetragen haben und dadurch auch Anerkennung erzielten. Da aufgrund der für die Geschlechter typischen Arbeitsteilung Frau und Mann für ihren eigenen Bereich verantwortlich waren, kam es zu keiner Konkurrenzsituation zwischen ihnen.389 Warum die Konkurrenz mit dem anderen Geschlecht besonders bei Frauen zu Problemen führt, wird damit begründet, daß die typisch männliche Rangstruktur eine Dominanzhierarchie mit größerem Beharrungsvermögen und besserer Mißerfolgstoleranz darstellt als die Geltungshierarchie, die für das weibliche Gruppenverhalten charakteristisch ist. Zudem wird die Geltungshierarchie als labil angesehen, da sie von der Anerkennung anderer abhängig ist und auch nicht durch Kampf erzwungen werden kann. 390 Aus diesen Erkenntnissen wird nun der Schluß gezogen, daß Frauen bei wettbewerbliehen Aktionen zwangsläufig eine Außenseiterrolle einnehmen und demnach die Herstellung von Chancengleichheit allein nicht ausreicht, bestehende Diskriminierungen 386 Vgl. ebenda, S. 20. 387 Vgl. ebenda, S. 21. 388 Vgl. BISCHOF-KÖHLER (1990). S. 24. 389 Vgl. BISCHOF-KÖHLER (1993), S. 180. 390 Vgl. ebenda, S. 188.
111. Psycho(bio)logische Ansätze
115
abzubauen. 391 Sofern beide Geschlechter gleich veranlagt wären, ließen sich die bestehenden Unterschiede zwischen ihnen auf die Sozialisation zurückführen und würden bei konsequenter Gleichbehandlung auf Dauer von selbst aufgelöst. Wird jedoch wie bei Bischof-Köhler von einer anlagebedingten Verschiedenheit der Geschlechter ausgegangen, so ist eine geschlechtstypisch unterschiedliche Behandlung notwendig, um das Erscheinungsbild anzugleichen. Diese sollte so aussehen, daß nicht nur gesellschaftliche Barrieren abgebaut werden, sondern den weiblichen Stärken und Schwächen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, etwa im Rahmen einer geschlechtsspezifischen Sozialisation, die das weibliche Selbstbewußtsein steigert. Hiermit würde die Frau besser darauf vorbereitet, mit beruflichen Aspekten wie Wettbewerb und Mißerfolg umzugehen.J92 Werden hingegen anlagebedingte Unterschiede nicht zur Kenntnis genommen, führt eine Gleichbehandlung zu einer Polarisierung der Geschlechter und zur Benachteilung der Frau.393 Die Autorin kommt daher zu dem Fazit, daß er erstrebenswert wäre, den typisch weiblichen Stil aufzuwerten, da es "um Gleichberechtigung zu verwirklichen, nicht auf die Gleichheit der Geschlechter ankommt, sondern auf ihre Gleichbewertung"394. Dieser Ansatz ist nicht ohne Kritik geblieben, da zahlreiche gegenläufige Befunde existieren.395 Dem Ansatz von Bischof-Köhler wird entgegengehalten, biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern seien nur dann relevant, wenn sie entsprechend kulturell "inszeniert" würden, ihre Ausprägung also durch Sozialisation erhielten. 396 Zudem wird angeführt, daß anlagebedingte geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhalten bereits bei der Geburt vorliegen müßten, was jedoch nicht der Fall sei. Daher könnten später feststellbare Unterschiede nicht biologisch bedingt sein. 397 Des weiteren wird der Vorwurf erhoben, der ermittelte ge391 Vgl. BISCHOF-KÖHLER (1990), S. 26 f. 392 Vgl. ebenda, S. 27. 393 Vgl. ebenda, S. 19 und S. 26. 394 Ebenda, S. 27. 395 Vgl. z. B. BLICKLFiSCHRÖDER (1990). 396 Vgl. BISCHOF-KÖHLER ( 1992), S. 253. 397 Vgl. ebenda. 8*
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Teil C: Theoretische Erklärungsansätze
schlechtsspezifische Trend läge nur bei statistischer Betrachtung vor, während der Einzelfall davon erheblich abweichen könne.398 Auch bei Frauen gäbe es aggressive, kompetitive und ausdauernde Individuen, denen die weniger aggressiven, weniger kompetitiven und weniger ausdauernden weiblichen Individuen unterlegen seien.399 Dieser Einwand ist jedoch insofern trivial, als es beim Aufzeigen eines Trends um die Frage der Häufigkeitsverteilung geht und nicht um einzelne Ausreißer. Statt dessen ist dem Ansatz von Bischof-Köhler zugutezuhalten, daß mit ihm eine neue Option gegeben wird, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit ihren Folgen für das Berufsleben zu erklären, und zwar auf biologischer Basis, nicht sozialisationsbedingt. Danach können geschlechtsspezifische Verhaltensbesonderheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter hervorrufen. Dies führt zu dem Ergebnis, daß ein Abbau der Geschlechtsunterschiede im Rahmen der Sozialisation nur dann zur Beseitigung von Diskriminierungen beiträgt, wenn von einer Gleichheit der Veranlagung ausgegangen werden kann. Die Ausführungen von Bischof-Köhler führen gleichwohl nicht zu dem Schluß, Frauen müßten weiterhin ihrer traditionellen Rolle folgen. Es geht vielmehr darum, daß Frauen, die ihren Schwerpunkt hier setzen möchten, ebenso angemessene Unterstützung finden, wie Frauen, die in erster Linie an einer beruflichen Laufbahn interessiert sind. Und allein diese Erkenntnis, die der psychobiologische Ansatz liefert, ist bei der Diskussion um die Diskriminierung von Frauen von nicht unerheblicher Bedeutung.
IV. Resümee Die Darstellung der am häufigsten herangezogenen ökonomischen Erklärungsansätze zur Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat gezeigt, daß sowohl die neoklassische Arbeitsmarkttheorie als auch die Humankapitaltheorie ökonomisch überzeugend begründen, warum die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der Familie aufrechterhalten wird. Offen bleibt hingegen die
398 Vgl. BLICKLEISCHRÖDER (1990), S. 202. 399 V gl. ebenda.
IV. Resümee
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Frage, warum sich Frauen tendenziell stärker auf die Reproduktionsarbeit spezialisieren als Männer. An dieser Stelle knüpfen die soziologischen Ansätze an. Hier steht der Sozialisationsprozeß im Mittelpunkt der Betrachtung, da ihm die frühzeitige Spezialisierung der Frauen auf den Reproduktionsbereich und der Männer auf den Marktsektor zugeschrieben wird. In den psycho(bio )logischen Ansätzen wird nunmehr gefragt, warum es überhaupt zu einer geschlechtsspezifischen Erziehung kommt und ob es möglicherweise differierende Verhaltensdispositionen bei Kindern gibt, die eine unterschiedliche Behandlung quasi erfordern. Es wird zudem eine in früher Kindheit erworbene Furcht vor Erfolg bei Frauen angenommen, die sich später als psychologische Barriere bei der Leistungserbringung erweist. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sind auch die Segmentationstheorien mit ihren verschiedenen Ausprägungen zu sehen. Unter der Annahme einer bestehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung werden Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern durch die Zuordnung der Frauen in bestimmte Segmente des Arbeitsmarktes erklärt. Allerdings bleibt die Aussagekraft der Segmentationstheorien (und auch der Humankapitaltheorie) auf das typisch weibliche Rollenmuster beschränkt. Sobald Frauen entgegen den Annahmen der Rollentheoretiker männlich orientierte Berufsverläufe planen und verwirklichen, können verbleibende Benachteiligungen der Frauen im Erwerbsleben mit diesen Ansätzen nicht mehr erklärt werden. Dennoch zeigen die theoretischen Erklärungsansätze zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt sehr deutlich, daß eine der Hauptursachen für die bestehenden Benachteiligungen in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mit der Zuschreibung der Haus- und Familienarbeit an die Frau besteht. Die Zuschreibung des Reproduktionsbereichs an die Frau wird für Frauen daher auch zur Rationalitätenfalle. Sie erwerben mit Blick auf ihre Familienrolle weniger berufliche Bildung und können aufgrund von Erwerbsunterbrechungen weniger Berufsjahre aufweisen. Damit sind sie im Vergleich zu den Männern weniger produktiv und erhalten ein geringeres Einkommen. Durch das geringere Lebenseinkom-
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Teil C: Theoreti.vche Erklärungsansätze
men der Frau ist es nunmehr rational, wenn sich die Frau auf den Reproduktionsbereich und die Kindererziehung "spezialisiert" und der Mann der Erwerbstätigkeit nachgeht. Demnach kann die Humankapitaltheorie auch als Grundlage für politische Maßnahmen dienen. Nach diesem Ansatz ist die Diskriminierung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine Frage der Ausbildung der Frauen und ausreichender Betreuungseinrichtungen für Kinder, wodurch die Frauen vor einem Verlust ihrer Qualifikationen während der Unterbrechungszeit geschützt werden.400 Folglich müßten hier staatliche Maßnahmen ansetzen. So sind beispielsweise in Schweden 85 %401 aller verheirateten Frauen erwerbstätig. Schwedische Frauen arbeiten bis zur Geburt des ersten Kindes in der Regel als Vollzeitbeschäftigte, und solange sie kleine Kinder haben, arbeiten sie dreivierteltags.402 Die hohe Erwerbsquote der Schwedinnen liegt an dem schwedischen Steuersystem (getrennte Veranlagung der Ehepartner), den hohen staatlichen Förderungen für Kinderhorte und Kindergärten und bezahltem Elternschaftsurlaub. 403 Trotz umfangreicher staatlicher .Fördermaßnahmen sind allerdings auch in Schweden wesentlich mehr Männer als Frauen in führenden Positionen sowie überproportional viele Frauen in untergeordneten Positionen tätig. 404 Die besondere Problematik für qualifizierte Frauen, in höhere Positionen aufzusteigen, besteht deshalb unter anderem darin, daß für solche Stellen die Haushaltstätigkeiten bereits vorausgesetzt werden, um damit eine nahezu unbeschränkte berufliche Verfügbarkeit zu gewährleisten. Nun ist das männliche Arbeitsvermögen aber zumeist gerade deshalb ohne Einschränkung verfügbar, weil es das weibliche nicht ist. Unter diesem Aspekt läßt sich vermutlich auch erklären, warum aufstiegsorientierte Frauen heute häufig ganz bewußt auf Familie und/oder Kinder verzichten und somit der üblichen Rollenverteilung entgehen.
400 Vgl. GusTAFSSON (1991). S. 418. 401 Diese Angaben beziehen sich auf das Jahr 1989. 402 Vgl. GUSTAFSSON (1991). S. 418. 403 Vgl. ebenda. 404 Vgl. ebenda.
IV. Re.vümee
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Für diese Gruppe der erwerbstätigen Frauen versagen, wie bereits angedeutet wurde, die besprochenen theoretischen Erklärungsansätze weitgehend zur Begründung der (noch) bestehenden Benachteiligungen für Frauen beim beruflichen Aufstieg. Lediglich im Rahmen des psychobiologischen Ansatzes werden mit Hilfe der Aufdeckung geschlechtstypischer Verhaltensdispositionen Erklärungen für eine mögliche Diskriminierung der Frauen geliefert. In diesem Zusammenhang stehen auch einige derjenigen Barrieren für den beruflichen Aufstieg von Frauen, die im folgenden noch herausgearbeitet und analysiert werden sollen.
Teil D Der Aufstieg in Führungspositionen I. BegritTsabgrenzung
1. Management und Führung In diesem Teil der Arbeit geht es darum, den Weg in die Führungsebene aufzuzeigen, um im Anschluß daran mögliche Ursachen für die spezifischen Probleme von Frauen auf diesem Weg herauszufiltern. Dies ist aber nur dann möglich, wenn zudem die Mechanismen bekannt sind, nach denen üblicherweise der berufliche Aufstieg erfolgt. Daher werden zunächst diejenigen Kriterien gesucht, welche die Karriereentscheidungen im Unternehmen bedingen. Die sich daran anschließende Darstellung des Anforderungsprofils an Führungskräfte in Verbindung mit den Problemen, die wünschenswerten Eigenschaften im Rahmen der Mitarbeiterbeurteilung auch zu erkennen, bildet die Grundlage für die weitergehende Analyse. Doch zunächst einmal erscheint es notwendig, eine Begriffsabgrenzung von Management, Führung und Führungskraft vorzunehmen, um klarzustellen, wovon nachfolgend die Rede ist. Der Managementbegriff ist in der deutschsprachigen Literatur weit verbreitet, wird jedoch nicht in einheitlicher Terminologie verwendet. Zum Teil wird er ganz allgemein mit Führung übersetzt405 oder mit Unternehmens- bzw. Betriebsführung(-leitung) identifiziert.406 Im folgenden soll unter Management die Leitung von Unternehmen in personen- und sachbezogener Hinsicht verstanden werden.407 Die sachbezogenen Aufgaben des Managements leiten sich aus den Unternehmenszielen ab, während die personenbezogenen Aufgaben im Umgang mit den Menschen liegen, auf deren Mitwirkung das Management angewiesen ist. 408 Management und Unternehmensleitung werden im folgenden als
405 Dieser Begriffsdefinition wird hier jedoch nicht gefolgt. 406 Vgl. STAEHLE (1991), S. 66. 407 Vgl. ULRICHIFLURI (1988), S. 36. 408 Vgl. ebenda.
I. Begriff.vabgrenzung
121
Synonyme verwendet, während Führung hier im engeren Sinne als Menschenführung (leadership) verstanden werden so]].409 Führung ist stets ein Teil des Managements, nicht jedoch umgekehrt. Manager üben Führungsfunktionen aus. Ein Führer braucht hingegen nicht Managementfunktionen auszuüben. Demzufolge sind die Begriffe Führung und Management nicht gleichbedeutend und auch nicht synonym zu verwenden.410 Zu den Managementfunktionen zählen die Aufgaben, deren Wahrnehmung zur Verwirklichung der Unternehmensziele notwendig, aber nicht ausführender Art sind. Ein Großteil der Stelleninhaber in einem Unternehmen übt sowohl leitende als auch ausführende Funktionen aus. In Abhängigkeit von der hierarchischen Ebene der jeweiligen Stelle überwiegt die eine oder andere Funktion (siehe Schaubild 6).411 Schaubild 6:
hierarchische Ebene.
Positionsabhängige Anteile von Leitungs- und Ausführungsfunktionen
......... Leitung (Management) ··• Ausführung
Quelle: ULRICH/FLURI ( 1988), S. 37.
409 And~re Auto~n u~tersche!den
wiederum zwischen Management und Unter-
nehmen~leJtung, . d1e steh ledJghch a~f einen be.stimmtel_l Organisationstyp
(pnvatwtrtschafthche Unternehmen) bezteht. Daher 1st die Ubertragbarkeit der Methoden der Unternehmensleitung auf andere Systeme beschränkt. Vgl. hierzu ULRICH/FLURI ( 1988), S. 36.
410 Vgl. WUNDERERIGRUNWALD ( 1980), S. 65. 411 Vgl. ebenda.
122
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
Der Führung im Sinne von Menschenführung als Teilbereich des Managements kommt die Aufgabe zu, durch den Einsatz eines geeigneten Führungsstils und durch wirkungsvolle Führungstechniken den Bedürfnissen der Mitarbeiter zu entsprechen und zugleich die Erfüllung der gesetzten Aufgaben sicherzustellen. 412 Führen bedeutet also, "etwas durch andere Menschen bewirken" 4 13. Dabei vollzieht sich Führung in Form einer wechselseitigen Einflußausübung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern.414 2. Begriff der Führungskraft Die Abgrenzung des Begriffs Führungskraft erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien. Dies kann beispielsweise die hierarchische Position in einer Organisation, der Vorgesetztenstatus, die Berechtigung, Anweisungen zu erteilen, die Übernahme von Personal- oder Sachverantwortung, die Entscheidungsbefugnis oder der Einfluß auf das Unternehmensgeschehen sein.415 Die verschiedenen Definitionen in der Literatur unterscheiden sich dadurch, daß jeweils andere Kriterien bei der Begriffsabgrenzung im Vordergrund stehen, bzw. sind davon abhängig, wie Führung generell definiert wird. Sofern eine Gleichsetzung von Führung und Management abgelehnt wird, folgt daraus, daß auch nicht jede Führungskraft zugleich Manager ist (wohl aber umgekehrt). Wird Führung verstanden als zielorientierte soziale Einflußnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben 416, können Führungskräfte ganz allgemein als diejenigen Personen bezeichnet werden, "die das formale Recht besitzen, anderen Personen Weisungen zu erteilen, denen diese Personen zu folgen verpflichtet sind"417. Dies ist eine sehr weite Fassung des Führungskräftebegriffs, da hierunter alle Mitarbeiter subsumiert werden können, die
412 Vgl. ebenda, S. 40. 413 ULRICH (1984), S. 302. 414 Vgl. SCHERTLER (1991), S. 46. 415 Vgl. WEBERIMARTIN (1987), Sp. 1682. 416 Vgl. WUNDERER/GRUNDWALD ( 19.89), S. 62. 417 ULRICHIFLURI (1988), S. 37.
II. Kriterienfür den beruflichen A~fstieg
123
Personalführungsverantwortung übernehmen, also auch Meister, Gruppenleiter etc. Demgegenüber bestehen auch sehr enge Auslegungen, die lediglich die Mitglieder der Leitungsgremien (hier Manager) als Führungskräfte betrachten. Die große Spannweite der Begriffsfassungen hat dazu geführt, daß die Gesamtheit aller Führungskräfte nach der jeweiligen hierarchischen Führungsebene in obere, mittlere und untere Führungskräfte differenziert wird. Im folgenden werden als Führungspositionen die Stellen der mittleren und oberen Führungsebene und als Führungskräfte die Mitarbeiter der mittleren und oberen Führungsebene bezeichnet, bei denen das Verhältnis von Leitungsund Ausführungsfunktionen zumindest ausgewogen ist oder die Leitungsfunktionen überwiegen. II. Kriterien für den beruflichen Aufstieg
I. Aufstiegsentscheidungen im Rahmen der betrieblichen Personalpolitik Zu den Aufgaben der betrieblichen Personalpolitik zählen neben der Personalbedarfsplanung, der (externen und internen) Personalbeschaffung und der Personaleinsatzplanung auch die Personalentwicklung. Ziel der Personalentwicklung ist die Optimierung des Personaleinsatzes, indem versucht wird, die Stellenanforderungen und die jeweiligen Qualifikationen der Mitarbeiter in Übereinstimmung miteinander zu bringen. Dies ermöglicht einerseits eine bessere Nutzung des Leistungspotentials der Mitarbeiter und trägt andererseits zur besseren Erfüllung der Betriebsziele bei. Gleichzeitig kann eine gezielte Personalentwicklung dazu dienen, die Arbeitszufriedenheit der Belegschaft zu steigern und ihre Motivation zu erhöhen. Für das Personalmanagement entsteht daraus eine dualistische Zielsetzung418, da sowohl betriebliche als auch
4 18 In der Literatur wird die Zieldualität der Personalentwicklung nicht durchweg anerkannt, da die hierbei vorgenommene Berücksichtigung individueller Mitarbeiterziele nicht als autonome Zielsetzung der Unternehmung, sondern als notwendige Voraussetzung eines ökonomisch effizienten Personaleinsatzes betrachtet wird (vgl. z. B. LASKE (1987), Sp. 1661).
124
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
individuelle Ziele und Entwicklungen in den Optimierungsvorgang einzubeziehen sind.419 Gerade wegen der heute zu beobachtenden zunehmenden Dynamik der Wirtschaftsprozesse, verbunden mit der wachsenden Globalisierung der Märkte und dem daraus resultierenden beschleunigten Strukturwandel, besteht die Notwendigkeit, Mitarbeiter flexibel auf Stellen mit neuen und eventuell höheren Anforderungen zu versetzen, auch ohne vorausgehende Beförderungen im Sinne eines Aufstiegs in der Unternehmenshierarchie.420 Gleichwohl ist es Aufgabe der Karriereplanung, die betrieblichen Karrieregelegenheiten mit den individuellen Karrierepotentialen und Karrierewünschen der Mitarbeiter kurz-, mittel- und langfristig in Übereinstimmung zu bringen.421 Ein wichtiger Teilbereich der Karriereplanung ist daher auch die Führungskräfteentwicklung. Hierzu gehört neben der Entwicklung von Führungskräften auch die Entwicklung zu Führungskräften, d. h. die Nachwuchssicherung für Führungspositionen. Ebenso wie bei der Personalentwicklung im allgemeinen soll auch hier ein Ausgleich zwischen der Stellenanforderung und der Qualifikation des (zukünftigen) Stelleninhabers erreicht werden. Die erfolgreiche Erfüllung dieser Aufgabe setzt voraus, daß eine Auswahl derjenigen (Nachwuchs-)Kräfte vorgenommen wird, die für eine Führungstätigkeit in Frage kommen.422 Da Führungskräfte gemäß ihrer Aufgabendefinition in einem besonders hohen Maße für den Erfolg eines Unternehmens verantwortlich sind, kommt dem Auswahlprozeß in diesem Bereich eine besonders große Bedeutung zu. Voraussetzung für eine sinnvolle Zuordnung von Mitarbeitern auf bestimmte Stellen ist, unabhängig von der jeweiligen Hierarchieebene, die Ermittlung der Arbeitsanforderungen und die mit ihr verbundenen notwendigen Qualifikationen. Liegen spezifische Qualifikations-/Anforderungsprofile vor, so stellt sich die Frage nach den Entscheidungskriterien, die bei Karriereentscheidungen zum Tragen kommen. Diese können in der Unternehmung entweder formale Geltung besitzen, de facto ak419 Vgl. BERTHEL (1987b), Sp. I 183f. 420 Vgl. BERTHEL (1992), Sp. 1203 f. 421 Vgl. BERTHEL (1987b), Sp. I 184. 422 Vgl. auch BERTHEL (1987a), Sp. 591
ff.
II. Kriterienfür den berllflichen Allfstieg
125
zeptiert werden oder lediglich für den Einzelfall herangezogen werden.423 In der betrieblichen Praxis spielen zwei Kriterien eine große Rolle: das Leistungsprinzip und das Senioritätsprinzip. Daneben können weitere Kriterien, wie die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, eine Rolle spielen, denen betriebsindividuell eine unterschiedliche Gewichtung beigemessen wird. Im folgenden werden die wichtigsten Anforderungskriterien dargestellt und ihre Bedeutung für den beruflichen Aufstieg von Frauen aufgezeigt. 2. Wirtschaftliches Leistungsprinzip
2.1 Der Leistungsbegriff
Der Leistungsbegriff ist zentraler Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung und unseres Gesellschaftssystems, das auch als Leistungsgesellschaft bezeichnet wird. Der Ausdruck Leistungsgesellschaft ist zum Terminus für moderne, hochentwickelte Industriegesellschaften geworden, in denen die materiellen und sozialen Chancen, die Produktionsergebnisse und die gegenseitigen gesellschaftlichen Anerkennungen nach Leistung vergeben werden und nicht wie in den früheren ständischen Gesellschaften nach Stand bzw. Herkunft. Die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Leistungsprinzips als Verteilungs- und Bewertungsmechanismus ist jedoch darin zu sehen, daß sowohl individuelles als auch soziales Handeln durch Leistungsmotivation stimuliert werden und Konsens darüber besteht, was als Leistung zu betrachten ist und wie sie gemessen wird. Die zahlreich geführten Diskussionen über das Für und Wider des Leistungsprinzips setzen für gewöhnlich bereits im Vorfeld bei der Klärung des Begriffsinhalts von Leistung an, da hierüber sehr unterschiedliche Auffassungen bestehen. Während der Leistungsbegriff im allgemeinen Sprachgebrauch zum Selbstverständnis geworden ist, ohne weiter hinterfragt zu werden, hat er zugleich in vielen Fachdisziplinen Eingang gefunden, wird dort aber mit eigenen Definitionen belegt. Dabei werden zum Teil innerhalb ein und derselben Disziplin mehrere Begriffsdefinitionen angewandt (so 423 Vgl. BERTHEL (1987b), Sp. 1186.
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Teil D: Der Aufftie~ in
Führun~spositionen
z. B. in der Betriebswirtschaftslehre). Die eigentliche Problematik einer Auseinandersetzung mit dem Leistungsprinzip besteht nun darin, daß die meisten Autoren die ihrem Beitrag zugrundeliegende (explizite) Definition der Leistung vermissen lassen. Im folgenden soll daher der im Rahmen dieser Arbeit zugrunde gelegte Leistungsbegriff erörtert werden. Das Leistungsprinzip ist ein Hauptcharakteristikum des ordnungspolitischen Leitbildes der Sozialen Marktwirtschaft, deren Ziel es ist, "auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden"424. Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß die zur Verfügung stehenden knappen Ressourcen erst durch menschliche Leistung nutzbar gemacht werden und diese von Anreizen abhängig ist. Ein solcher Anreiz ist beispielsweise die Höhe der materiellen Gegenleistung, die der Einzelne für die von ihm erbrachte Leistung erhält und die ihm die Befriedigung seiner Bedürfnisse erlaubt. Das Selbstinteresse des Menschen entscheidet somit über die jeweilige Reaktion auf bestimmte Leistungsanreize. Zugleich gilt, daß Leistung und Gegenleistung einander bedingen.425 Daher wird Leistung in der Ökonomie als (Tausch-)Wert eines ökonomischen Gutes gemessen, d. h. nach der relativen Knappheit der erbrachten Leistung und der Menge der Produktionsfaktoren sowie der Produktionstechnik, die zur Leistungserstellung eingesetzt wurden. Das individuelle Bemühen wird demzufolge dahingehend gelenkt, daß die Ergebnisse der Produktion auch für andere einen Wert besitzen und gleichzeitig der Faktoreinsatz gewählt wird, der am besten entlohnt wird. Damit trägt die Leistung eines jeden Einzelnen dazu bei, die Knappheit an Gütern zu vermindern. Ist zudem funktionsfähiger Wettbewerb gewährleistet, so wird zumindest tendenziell - gleiche Leistung auch gleich bewertet. 426 Auf die Unternehmensebene bezogen und damit aus einzelwirtschaftlicher Sicht ist das wirtschaftliche Leistungsprinzip jedoch insofern von zentraler Bedeutung, als dauerhafter wirtschaftlicher 424 MüLLER-ARMACK (1966), S. 245. 425 Vgl. auch STREIT (1991), S. 38 f. 426 Vgl. ebenda, S. 217.
II. Kriterien für den beruflichen Aufvtieg
127
Erfolg, der die Existenz der Unternehmung gewährleistet, grundsätzlich nicht ohne Leistungserbringung (im ökonomischen Sinne) erzielt werden kann. Dementsprechend werden auch die Mitarbeiter nach ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft sowohl materiell als auch immateriell entlohnt, vorausgesetzt, beides kann mit ausreichender Sicherheit ermittelt werden. Leistung kann ganz allgemein als Erfüllung von spezifischen Anforderungen definiert werden. Dabei geht es in den meisten Fällen um "die Erfüllung vorgegebener Normen im Hinblick auf ein aus der organisatorischen Zielsetzung abgeleitetes Arbeitsresultat"427. Im ökonomischen Sinne ist die (Arbeits-)Leistung daher das bewertete Ergebnis, das aus menschlicher Arbeit resultiert. 428 Die auf Grundlage dieser Leistungsdefinition zu treffenden Personalplanungs-, Beförderungs- und Entgeltentscheidungen erfordern jedoch eine konsensfähige und nachprüfbare Methode zur Feststellung dieser individuellen Arbeitsleistung429. Als Ausgangsbasis eignet sich die in der Arbeitswissenschaft angewandte und an der physikalischen Formel angelehnte Definition der Leistung als Arbeit pro Zeit, wobei Arbeit das Produkt aus Kraft und Weg ist. Diese auf die Maschinenleistung bezogene Begriffsdefinition läßt sich auf die menschliche Arbeitsleistung übertragen als Arbeitsquantum pro Zeiteinheit. 430 Arbeit als Produkt aus Kraft und Weg wird dabei durch ein nach Art und Menge bestimmtes Arbeitsergebnis ersetzt, das aus psycho-physischen Anstrengungen resultiert. 431 Die Leistung wird als Ergebnis eines bestimmten Leistungsverhaltens betrachtet, das sowohl von der individuellen Leistungsfahigkeit als auch von der Leistungsbereitschaft bestimmt wird. An dieser Stelle ist festzuhalten, daß eine solche, am Arbeitsergebnis orientierte Begriffsfassung auf das objektiv feststellbare Arbeitsergebnis beschränkt bleibt und damit die unterschiedliche 427 BAMBERG ( 1979), S. 26. 428 Vgl. ÜLFERTISTEINBUCH (1993), S. 263. 429 Die Leistung von Menschen wird häufig als Arbeitsleistung bezeichnet, um
eine bessere Unterscheidung von der Maschinenleistung zu gewährleisten.
430 Vgl. KUHN (1974), S. 164. 431 Vgl. ENGELHARD (1992), Sp. 1255.
128
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
physisch-psychische Ausstattung der einzelnen Mitarbeiter keine Berücksichtigung finden. Denn die Grundidee des Leistungsprinzips fußt gerade darauf, daß Statuszuweisungen nach der Leistung und damit weder nach naturgegebenen Merkmalen. zu denen neben der physisch-psychischen Ausstattung auch Geschlecht, Alter und Rasse gehören, noch nach den jeweiligen Bedürfnissen vergeben werden. Dies unterscheidet das Leistungsprinzip von anderen Prinzipien wie etwa dem Sozialprinzip, was jedoch nicht ausschließt, daß neben dem Leistungsprinzip weitere Prinzipien Anwendung finden können und dabei unterschiedliche Gewichtungen zugrundegelegt werden. Wird die menschliche Arbeitsleistung demzufolge als Arbeitsergebnis pro Zeiteinheit definiert, so ergeben sich Probleme bei der Messung der Leistung. Zahlreiche Leistungsmerkmale wie beispielsweise kreative oder dispositive Tätigkeiten tragen zum Endprodukt bei, ohne daß sich dieser Anteil quantitativ bestimmen läßt. Daher sind ersatzweise Bewertungs- und Beurteilungsverfahren zu entwickeln, bei denen auch die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade der Arbeitsanforderungen einbezogen werden. 432 Die Qualität solcher Verfahren bestimmt somit letztendlich, ob eine als "gerecht" empfundene Leistungsbemessung und eine sich daran anschließende Statuszuteilung zustandekommt Sie beeinflußt außerdem die Akzeptanz des Leistungsprinzips als Allokations- und Verteilungsmechanismus. Trotz der bestehenden Probleme bei seiner Anwendung steht das Leistungsprinzip in wirtschaftlichen Organisationen bei der Definition von Organisations- und Mitarbeiterzielen im Vordergrund. Denn der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmerischen Tätigkeit wird von der betrieblichen Umwelt an der erbrachten Zielerreichung gemessen und damit, ex definitione, an der erbrachten Leistung. Die Orientierung am Leistungsprinzip zeigt sich in der Unternehmenspraxis zugleich in dem Bestreben um Leistungssteigerung im Sinne einer Erhöhung der Zielerfüllung. Auf die Mitarbeiter übertragen kann Leistung demzufolge als der Beitrag eines jeden Einzelnen definiert werden, den dieser zur Erreichung der Betriebsziele leistet.
432 Vgl. ebenda, Sp. 1256.
II. Kriterienfür den beruflichen Aufstieg
129
2.2 Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft
Wie oben bereits erwähnt, werden zwei Gruppen von Bestimmungsfaktoren der Arbeitsleistung unterschieden: die Leistungsfähigkeit auf der einen und die Leistungsbereitschaft auf der anderen Seite. Die grundsätzliche Voraussetzung für die Erbringung einer Arbeitsleistung besteht für den Mitarbeiter demzufolge darin, einerseits eine Tätigkeit ausüben zu können und dies andererseits auch zu wollen. Leistungsfähigkeit bedeutet zugleich, den Tätigkeitsanforderungen durch die Anwendung von fachlichem Können zu genügen, was bestimmte Fertigkeiten sowie Fachwissen voraussetzt. Fähigkeiten können veranlagt sein (Begabungen), aber auch erworben werden (Fertigkeiten). Folglich variieren sie nach dem Grad ihrer Ausprägung von Person zu Person. 433 Für das Unternehmen besteht bei Einstellungs- und Aufstiegsentscheidungen die Schwierigkeit der Ermittlung der individuellen Leistungsfähigkeit der Bewerber. Während sich einzelne Komponenten der Leistungsfähigkeit messen lassen, gibt es andere Merkmale, die lediglich geschätzt werden können. Solche Schätzungen basieren im allgemeinen auf den vorliegenden Ausbildungs- und Tätigkeitsnachweisen.434 2.3 Zur Anwendung des Leistungsprinzips im Unternehmen
Der Prozeß der Leistungserstellung im Unternehmen ist als Kombinationsprozeß von produktiven Faktoren zu verstehen. Der Mensch wird durch den Beitrag des Produktionsfaktors Arbeit ebenfalls in diesen Transformationsprozeß einbezogen. Um die monetären Rückflüsse an das Unternehmen auf die einzelnen Faktoren verteilen zu können, bedarf es eines Kriteriums zur Bewertung des individuellen Beitrags der einzelnen Mitarbeiter. Aus Gründen der Widerspruchsfreiheit liegt es nahe, ebenso wie bei
433 Vgl. ebenda. 434 Vgl. KUHN (1974), Sp. 9 Wiegand
165.
130
Teil D: Der A~fstieg in Führungspositionen
den Austauschbeziehungen zur Umwelt auch bei der innerbetrieblichen Verteilung das Kriterium Leistung anzuwenden.435 Bei Anwendung des Leistungsprinzips werden Mitarbeiter denjenigen Positionen zugeordnet, die ihrer Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft entsprechen. Voraussetzung dafür ist, daß beides mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden kann. 436 Die mangelnde Operationalisierung der Teilleistungsbeiträge einzelner Positionen bringt demzufolge Bewertungsprobleme mit sich. In der Praxis werden daher zum Teil sehr aufwendige Verfahren zur Leistungsbeurteilung sowie Anforderungsanalysen eingesetzt. Das Leistungsprinzip wird als formales Kriterium für Karriereentscheidungen zwar offiziell postuliert und auch allgemein anerkannt, seine tatsächliche Anwendung437 ist allerdings nicht immer eindeutig nachweisbar.438 Gemessen am hierarchischen Rang, der Unterschriftsberechtigung und am Einkommen korreliert Karriereerfolg am stärksten mit motivationalen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. der Leistungsbereitschaft) und dem Bildungsniveau.439 So ist für den Zugang zu bestimmten Hierarchieebenen der formale Nachweis bestimmter Bildungsabschlüsse notwendig (insbesondere im öffentlichen Dienst). Dies kann (muß aber nicht) im Widerspruch zum Leistungsprinzip stehen. Gleichwohl zeigt sich das Bemühen der Unternehmen um die Einhaltung des Leistungsprinzips in der weiten Verbreitung von Leistungsbeurteilungssystemen.440 2.4 Leistungsprinzip und weibliche Lebensplanung
Die vorangegangene Darstellung des Leistungsprinzips hat gezeigt, daß es sich hierbei um einen vielfältigen Begriff handelt, da 435 Vgl. ebenda. 436 Vgl. BERTHEL ( 1989), S. 240. 437 Bei Abwärtsbewegungen gilt in der Regel das Leistungsprinzip, da diese
meist durch Fehlleistungen hervorgerufen werden.
438 Vgl. BERTHELJKOCH (1985), S. 40. 439 Vgl. POENSGEN (1982), S. 10 f. 440 Vgl. BERTHEllKocH (1985), S. 40.
II. Kriterienfür den bert-!flichen A!!f"stieg
131
Leistung unter zum Teil sehr verschiedenen Aspekten bewertet werden kann. Dazu zählen neben Ertrags-. Aufwands- und Wettbewerbsaspeklen auch Anstrengungs-, Fähigkeits- oder Talentaspekte. Demzufolge kann Leistungserfüllung als Markterfolg, Produktivität, Outputerhöhung, Inputminimierung, Pflicht- und Aufgabenerfüllung, individuelle Anstrengung, Überbietung anderer oder als Ausschöpfung von Fähigkeiten begriffen werden. Erfolgt der berufliche Aufstieg (in erster Linie) nach der erbrachten Leistung, so wirft dies die Frage auf, ob Frauen aufgrund ihrer spezifischen Lebensplanung den Leistungsanforderungen prinzipiell genügen können. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben (z. B. bei einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit oder generell bei Arbeitsunfähigkeit), kann (vorübergehend) keine betriebliche Leistung erbracht bzw. honoriert werden. Dies gilt für weibliche und männliche Mitarbeiter gleichermaßen. Eine Benachteiligung von Frauen bei Anwendung des Leistungsprinzips ist allerdings insofern gegeben, als Frauen häufiger als Männer ihre Berufstätigkeil unterbrechen. Von einer Diskriminierung kann in diesem Zusammenhang hingegen nicht gesprochen werden. weil in dieser Zeit üblicherweise auch keine betriebliche Leistung erbracht wird. Besteht aus gesellschaftspolitischen Gründen ein Interesse daran, Frauen (und Männer) während einer familienbedingten Berufsunterbrechung für die fehlende Möglichkeit der betrieblichen Leistungserbringung zu entschädigen, so sind dafür auf überbetrieblicher Ebene geeignete Mittel (z. B. Erziehungsgeld) zu suchen. 3. Senioritätsprinzip Ein anderes Kriterium. das bei Versetzungsentscheidungen eine Rolle spielen kann, ist das Senioritätsprinzip. Bei Anwendung dieses Entscheidungskriteriums werden Mitarbeiter entsprechend ihres Lebensalters und/oder der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit bzw. ihrer Dienstjahre versetzt, was zur Benachteiligung von Frauen führen kann, wenn diese aufgrund von Berufsunterbrechungen weniger Dienstjahre vorzuweisen haben als gleichaltrige männliche Kollegen. Die Anwendung dieses Prinzips beruht auf der Vermutung, daß ein steigendes Lebens- bzw. Dienstalter mit gleichzeitig steigender Qualifikation verbunden ist. Besteht ein solcher Zusammenhang 9*
132
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
nicht, so wird eine Maximierung des Zielerreichungsgrades der Betriebsziele verfehlt, und leistungsorientierte Mitarbeiter werden aufgrund mangelnder Aufstiegsaussichten eher zu einer Abwanderung bereit sein. Sicherheitsorientierte Mitarbeiter werden demgegenüber begünstigt. 441 Das Senioritätsprinzip findet hauptsächlich in der öffentlichen Verwaltung sowie in bürokratischen Organisationen der Wirtschaft Anwendung. Im öffentlichen Dienst wird durch Aufstiegsregelungen nach Seniorität und der damit verbundenen Entlohnung das Treueverhältnis der Bediensteten zum Staat anerkannt. Auch in privatwirtschaftliehen Unternehmen kann das Senioritätsprinzip als Zuteilungskriterium dazu dienen, die Betriebstreue zu vergüten und damit gleichzeitig die Bindung an das Unternehmen zu erhöhen, wodurch die Fluktuationsrate gesenkt werden kann. Im Gegensatz zum Leistungsprinzip treten beim Senioritätsprinzip kaum Meßprobleme auf, da Objektivität und Nachprüfbarkeit ersichtlich sind. Bei der Anwendung des Senioritätsprinzips wird in der Regel von einer kontinuierlichen Berufstätigkeit ausgegangen, wie sie für Berufsverläufe von Männern typisch ist. Wird die Berufstätigkeit hingegen unterbrochen, was nach wie vor bei vielen Frauen der Fall ist, so bedeutet dies eine Verschlechterung der Anspruchsvoraussetzungen für Zuteilungen nach Seniorität. Ausgehend von der Vermutung eines Zusammenhangs zwischen der Anzahl der Tätigkeitsjahre und den erworbenen Qualifikationen, ist eine derartige Schlechterstellung die zwangsläufige Konsequenz dieses Zuteilungskriteriums. Denn es ist anzunehmen, daß während einer (familienbedingten) Unterbrechung der Erwerbstätigkeit die betrieblichen Qualifikationen eher ab- als zunehmen. Darauf deuten auch die Ergebnisse einer schriftlichen Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei knapp 12.000 Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland hin. Nur jeder siebte befragte Betrieb vertritt die Auffassung, daß Berufsrückkehrerinnen Fähigkeiten aus ihrer Hausfrauentätigkeit in den Beruf einbringen können. Weitere 20% der befragten Betriebe halten dies
441 Vgl.
BERTHEL ( 1987b).
Sp. 1186 f.
II. Kriterien für den beruflichen Au:f.'rtieg
133
teilweise für möglich. Jedoch verspricht sich fast ein Drittel der Betriebe keinen eigenen Nutzen aus der Hausfrauentätigkeit 442 Ist die Heranziehung der Betriebszugehörigkeit bzw. der Tätigkeitsjahre als Ersatzkriterium für eine durch Berufserfahrung erworbene Qualifikation verursachte Schlechterstellung derjenigen Frauen, die familienbedingt ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, gesellschaftspolitisch unerwünscht, so müßte das Senioritätsprinzip durch eine Anrechnung der Unterbrechungszeiten ergänzt werden.443 Die Folge einer solchen Ergänzung besteht allerdings darin, daß bei einer Anwendung des Senioritätsprinzips als Zuteilungskriterium lediglich die Betriebstreue belohnt wird und nicht mehr die betrieblichen Qualifikationen des einzelnen Mitarbeiters. Da die Unterbrechungszeiten der Erwerbstätigkeit für die Kinderbetreuung im allgemeinen nicht auf die Zahl der Tätigkeitsjahre angerechnet werden, vermindern sich die Beförderungschancen von Frauen mit Berufsunterbrechung. Dies wird noch verstärkt durch die geringere Lebensarbeitszeit der Frauen aufgrund des niedrigeren (gesetzlich festgelegten) Renteneintrittsalters. 4. Zugehörigkeitsprinzip
Das Zugehörigkeitsprinzip als Einstiegs- und Aufstiegskriterium knüpft bei den Aufstiegsmöglichkeiten an der Zugehörigkeit zu bestimmten Merkmalsgruppen an. Dazu zählen neben der Mitgliedschaft in bestimmten Religionen, Parteien oder Vereinigungen auch soziale Herkunft, Rasse, Staatsbürgerschaft und u. U. auch das Geschlecht. Von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe wird auf die Eignung des jeweiligen Kandidaten geschlossen und zugleich das Zusammengehörigkeitsgefühl der Organisation bestärkt. Sofern bei der Anwendung des Zugehörigkeitsprinzips eine bestimmte Geschlechtszugehörigkeit gefordert wird, bedeutet dies eine Benachteiligung des jeweils anderen Geschlechts. Abgesehen von diesem besonderen Fall ist das Kriterium der Zugehörigkeit 442 Vgl. ENGELBRECH!KRAFf (1992b), S. 8. 443 Vgl. KURZ-SCHERF (1986), S. 542.
134
Teil D: Der Auf:ftie!l in Führun11spmitionen
nur dann geschlechtsneutraL wenn die Zugehörigkeit zu der gewünschten Merkmalsgruppe sowohl von Frauen als auch von Männern vorgewiesen werden kann. Diese Bedingung ist beispielsweise dann nicht erfüllt, wenn die Zugehörigkeit zu bestimmten Vereinigungen (z. B. Männerbünde) als Aufstiegsvoraussetzung gegeben ist, denen Frauen nicht angehören (können). An dieser Stelle ist jedoch festzuhalten, daß die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen zwar häufig eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für den beruflichen Aufstieg ist. Neben gewissen Zugehörigkeitsmerkmalen wird zusätzlich auch ein bestimmtes Leistungsverhalten erwartet.
5. Netzwerke und Kooptationen Kooptation ist die Selbstergänzung einer Gruppe, Körperschaft oder eines Gremiums. Die Entscheidung darüber treffen die kooptierenden Mitglieder. Der Kooptierte erlangt dann denselben Status wie die Kooptierenden. Ziel der Kooptation ist die Selostrekrutierung, die neben der Aufnahme und Pflege von Beziehungen zur Umwelt, vor allem durch die Bildung von Netzwerken geschieht.444 Netzwerke sind wiederum eine Organisationsform, in der sich bestimmte Gruppen von Menschen zusammenschließen, um gemeinsame Interessen wahrzunehmen und gemeinsame Ziele zu verwirklichen, die von den Mitgliedern allein nicht erreicht werden können. Die bewußte Förderung der Mitglieder kann so weit gehen, daß möglicherweise besser qualifizierten Außenstehenden (z. B. Frauen) geringere Entwicklungschancen geboten werden.445 Die Kooptation als Strategie der Selbstrekrutierung dient auch dazu, implizite bzw. informelle Auswahlkriterien durchzusetzen und die Homogenität der kooptierenden Gruppe zu bewahren und zu festigen, wodurch insbesondere die Stellung gegenüber Außenstehenden verbessert wird.
444 Vgl. ZIEGLER (1987), Sp. 1557. 445 Vgl. STÖDTER ( 1988), S.
44 ff.
II. Kriterien für den beruflichen Aufstieg
135
Eine große Bedeutung kommt der Kooptation bei der Besetzung von Führungspositionen zu. Der Vorteil dieser Art von Personalrekrutierung wird darin gesehen, daß die Such- und Auswahlkosten bei diesem Verfahren niedrig sind. Zudem besteht die Annahme, daß hiermit zuverlässige, prognostische Informationen über die Eignung der Kandidaten vorliegen. Des weiteren wird davon ausgegangen, daß ein Anreiz für die kooptierenden Mitarbeiter besteht zu gewährleisten, daß der von ihnen rekrutierte Kollege den an ihn gestellten Anforderungen und Erwartungen genügt. 446 Für weibliche Mitarbeiter ist die Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs durch Kooptation jedoch geringer einzuschätzen als bei Männern, da Frauen von vielen Netzwerken und anderen informellen Kreisen per se ausgeschlossen sind. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich für weibliche Aufstiegskandidaten bei der Rekrutierung des Führungsnachwuchses aus den eigenen Reihen des Unternehmens. Hierfür ist häufig eine Förderung durch einen (hierarchisch höherstehenden) Mentor erforderlich. Die Pflege von Mentorbeziehungen ist für Frauen insofern problematischer als für ihre männlichen Kollegen, als mögliche Mentoren in der Regel ebenfalls Männer sind und einer Mentorbeziehung zwischen Frau und Mann vielfach der Ruf vorausgeht, die gegenseitige Zusammenarbeit reiche über den beruflichen Rahmen hinaus. Ein solches Vorurteil kann zugleich auch die generelle Bereitschaft der Männer, Frauen zu fördern, vermindern. 6. Konformitäts-Beförderungs-Hypothese Eng verbunden mit dem Phänomen der Kooptation und der Netzwerkbildung ist die Konformitäts-Beförderungs-Hypothese. Sie besagt, daß am ehesten derjenige befördert wird, der sich den bestehenden betrieblichen Normen am besten anpaßt.447 Die betrieblichen Normen entsprechen dabei den Wertvorstellungen der für die Versetzung Verantwortlichen. Dazu zählen Merkmale wie Pflichterfüllung, Loyalität, Pünktlichkeit. Gemäß der Beförderungs-Konformitäts-Hypothese wird ein gewisser Sozialisations-
446 Vgl. ZIEGLER (1987), Sp. 1558. 447 Vgl. KocH (1981 ), S. 130.
136
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
druck auf die Beförderten dahingehend ausgeübt, daß sie die erwünschten Eigenschaften aufweisen bzw. sich aneignen.448 Das Auswahlkriterium "Konformität" kann die Stabilität des Unternehmens fördern sowie zur Durchsetzung bestimmter Zielvorstellungen "von oben" dienen.449 Andererseits besteht die Gefahr, die Anpassung an veränderte Umweltbedingungen zu verzögern oder sogar zu verhindern. Für Frauen können nach der Konformitäts-Beförderungs-Hypothese getroffene Aufstiegsentscheidungen dann eine Benachteiligung darstellen, wenn die erwünschten betrieblichen Wertvorstellungen wiederum an den bisherigen Stelleninhabern, also in den meisten Fällen an Männern, orientiert sind. Frauen stehen dann vor der (schwierigen) Aufgabe, ihre "Konformität" mit dem anderen Geschlecht zu dokumentieren. Dies kann jedoch dazu führen, daß Frauen erst gar nicht versuchen, diesen Beweis zu liefern und daher von vornherein ihre Aufstiegsambitionen reduzieren. 7. Zusammenfassung Der Leistungsbegriff wird in der wissenschaftlichen Literatur je nach Verfasser mit unterschiedlichen Definitionen belegt. Im Rahmen dieser Abhandlung wird darunter das bewertete Ergebnis menschlicher Arbeit verstanden. Nach dem Leistungsprinzip als Mechanismus der Statuszuweisung auf betrieblicher Ebene erfolgt die Zuteilung von Positionen, Einkommen und anderen Gratifikationen nach der erbrachten Leistung des jeweiligen Individuums. Der in früheren Gesellschaftsformen zugeschriebene Status nach Herkunft, Geschlecht und Alter wird ersetzt durch das Merkmal Leistung, was auf die Betriebsebene bezogen die Erfüllung spezifischer Arbeitsanforderungen bedeutet. Voraussetzung für die Erbringung einer Leistung ist die über längere Zeit kontinuierliche Ausübung einer Tätigkeit. Hieraus kann für Frauen insofern ein Nachteil resultieren, als sie häufiger 448 Vgl. BERTilELlKOCH (1985). S. 41 449 Vgl. KocH (1981). S. 130.
111. Af!f(Jrderungen an Führungskriifte
137
die Erwerbstätigkeit familienbedingt unterbrechen als ihre männlichen Kollegen und in dieser Zeit keine betriebliche Leistung erbringen. Hier manifestiert sich ein wichtiges Spannungsverhältnis zwischen dem wirtschaftlichen Leistungsprinzip und der weiblichen Lebensplanung. Grundsätzliche Probleme bei einer Anwendung des Leistungsprinzips bestehen zudem bei der Messung und Beurteilung der individuellen Leistungsbeiträge. Daher werden bei Aufstiegsentscheidungen weitere Kriterien herangezogen, wie die Seniorität oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen. Derartige Anforderungskriterien können für Frauen ein weiteres Hindernis beim beruflichen Werdegang darstellen. Frauen haben in der Regel eine geringere Lebensarbeitszeit als Männer, was zu einer Benachteiligung bei der Anwendung des Senioritätsprinzips führt, und außerdem geringere Chancen, bestimmten Gruppen (z. B. Netzwerken) anzugehören oder ihre "Konformität" mit dem anderen Geschlecht nachzuweisen. 111. Anforderungen an Führungskräfte I. Eigenschaftsanforderungen
In diesem Kapitel wird versucht, einen Katalog von denjenigen Eigenschaften aufzustellen, die Führungskräften im allgemeinen abverlangt werden. Im Anschluß daran ist zu prüfen, inwiefern Frauen den genannten Anforderungen entsprechen (können). Im Rahmen der Führungsforschung sind zahlreiche Führungstheorien entwickelt worden, die "Bedingungen, Strukturen, Prozesse, Ursachen und Konsequenzen von Führung beschreiben, erklären und prognostizieren"450. Eine der ältesten, aber in der heutigen Praxis weiterhin vorherrschende Führungstheorie ist die Eigenschaftstheorie der Führung. 451 Der Begriff Eigenschaftstheorie umfaßt alle Ansätze, die den Eigenschaften der Führungspersön450 WUNDERER (1993a), S. 640. 451 Zu den zentralen Führungstheorien zählen neben der Eigenschaftstheorie die
Rollentheorie, der Interaktionsansatz sowie ökonomische Theorien. Daneben existieren jedoch noch zahlreiche weitere Ansätze. Vgl. hierzu KIESERIREBERI WUNDERER ( 1987).
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Teil D: Der Al!f.vtie~: in Führungspositionen
lichkeit eine ausschlaggebende Bedeutung beimessen.452 Es wird versucht, diejenigen Persönlichkeitseigenschaften zu ermitteln, die erfolgreiche von erfolglosen Führern sowie Führer von Nicht-Führern unterscheiden. 453 Nach der Eigenschaftstheorie sind Führungspersönlichkeiten Personen mit herausragenden Eigenschaften. Diese Eigenschaften erlauben ihnen, auf andere einzuwirken und Erfolge zu erzielen. 454 Die eigenschaftstheoretischen Ansätze gehen davon aus, daß die Persönlichkeitseigenschaften die ausschlaggebenden Einflußgrößen für den Erfolg oder Mißerfolg der Führung darstellen. 455 Dabei konzentriert sich die Forschung in erster Linie auf angeborene und sozialisierte Eigenschaften. 456 In der Personalpraxis besitzt die Eigenschaftstheorie weiterhin große Bedeutung, vor allem bei der Mitarbeiterbeurteilung. Zahlreiche Beurteilungsverfahren (z. B. Assessment Center, Persönlichkeitstests) werden auf der Grundlage eigenschaftstheoretischer Ansätze konzipiert. Auf die darin genannten Führungseigenschaften soll nun eingegangen werden, obwohl die Erstellung eines allgemeingültigen Anforderungsprofils kaum praktikabel erscheint, da die Einflußgrößen Hierarchiestufe, Organisationsstruktur, Unternehmensgröße und Tätigkeitsbereich darin nicht ausreichend Berücksichtigung finden könnten.457 Selbst die Auflistung allgemeiner Anforderungen an den Persönlichkeitsbereich ist schwierig. Die zahlreichen empirischen Untersuchungen über Führungseigenschaften458 kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. 459 Dies liegt überwiegend an den jeweils eingesetzten Methoden und Meßinstrumenten sowie an der uneinheitlichen Definition der Kriterien "Führer" und "Führungserfolg". Dadurch wird die Ver-
452 Vgl. NEUBERGER (1985), S. 185. 453 Vgl DELHEES (1987), Sp. 748. 454 Vgl. NEUBERGER (1985), S. 185. 455 Vgl. WUNDERER (1993b), S. 72. 456 Vgl. ebenda, S. 28. 457 Vgl. ebenda, S. 30. 458 Vgl. auch BASS (1981), STOODILL (1990). 459 Vgl. DELHEES (1987), Sp. 752.
111. Af!forderungen an Führungskriifte
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gleichbarkeit von Untersuchungsergebnissen ebenfalls in Frage gestellt. 460 Trotz bestehender Bedenken beim Vergleich der Untersuchungen lassen sich grundsätzliche Übereinstimmungen dahingehend finden, daß Führungskräfte in der Regel eine höhere Intelligenz, Anpassungsfähigkeit, Extraversion, höheres Dominanzstreben, Sensitivität und geringeren Konservativismus als die zu führenden Mitarbeiter aufweisen. 461 Die gewünschten Führungseigenschaften, die genannt werden, sind weitgehend übereinstimmend mit denjenigen, die in stereotyper Weise dem Mann zugeschrieben werden: Energie, Selbstbeherrschung, Durchsetzungsfähigkeit, Ausdauer, Willensstärke, Charakterfestigkeit, Dynamik, Sicherheit, Entscheidungsfähigkeit, Risikobereitschaft, Initiative, Kontaktfähigkeit, Zuverlässigkeit. 462 Es bleibt daher festzuhalten, daß die Auswertungen eigenschaftstheoretischer Untersuchungen zwar einen Zusammenhang zwischen Führungseigenschaften und Erfolg nachweisen, dieser Zusammenhang aber wenig ausgeprägt ist und zwischen den einzelnen Studien erhebliche Streuungen vorzufinden sind.463 Gleichwohl werden in der Praxis weiterhin Merkmale genannt, die eine erfolgreiche Führungspersönlichkeit auszeichnen. Auch jüngere empirische Studien464 belegen, daß überwiegend als maskulin geltende Eigenschaftskombinationen als erwünschte Eigenschaften für eine gute Führungskraft angesehen werden.
2. Führungseigenschaften von Frauen Der Begriff Führung impliziert in Theorie und Praxis traditionell Männlichkeit. Daher sind auch die Eigenschaftsanforderungen an Führungspersonen vom Bild der Männlichkeit geprägt. Hinter diesen Anforderungen steht das Stereotyp einer souveränen Füh460 Vgl. ebenda, Sp.753. 461 Vgl. ebenda, Sp. 752. 462 Vgl. NEUHERGER (1985), S. 186. 463 Vgl. ebenda, S. 186 f. 464 Vgl. ARKKELIN/SIMMONS (1985); POWELiißUTIERFIELD (1984); RUSTEMEYER/ THRIEN (1987).
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Teil D: Der Auf~tieK in FührunKspositionen
rungskraft, das weitgehend dem traditionellen männlichen Geschlechtsrollenstereotyp entspricht. 465 Die Tatsache, daß das Anforderungsprofil an Führungskräfte überwiegend als männlich angesehene Züge aufweist, kann aber auch dadurch erklärt werden, daß es sich an den bisherigen Stelleninhabern orientiert und diese vorwiegend männlich sind. Das heißt, den zahlreichen Untersuchungen über die erfolgreichen Führrungsqualitäten liegen fast ausschließlich männliche Grundgesamtheiten zugrunde, da weibliche Führungskräfte noch unterrepräsentiert sind. Empirische Untersuchungen über Führungseigenschaften von Frauen gibt es erst seit knapp zwei Jahrzehnten. Diese Beiträge zur geschlechtsvergleichenden Führungsforschung stammen fast ausschließlich aus den USA.466 In ihnen wird untersucht, ob Frauen charakteristische Eigenschaften besitzen, die zu einem anderen Führungsverhalten führen, als Männer es zeigen. Auch hier sind die Ergebnisse widersprüchlich. Allerdings konnte kein konsistenter Geschlechtsunterschied festgestellt werden. Sofern Unterschiede erkennbar waren, ließen sie sich auf die methodischen Bedingungen der Untersuchung zurückführen, die oftmals so vorgegeben waren, daß sie lediglich die stereotypen Vorstellungen über Führungsverhalten abbilden konnten. Eine jüngere empirische Untersuchung über die Persönlichkeit von Führungskräften aus der Bundesrepublik Deutschland467 bestätigt ebenfalls eine große Ähnlichkeit zwischen den Profilen von weiblichen und männlichen Führungspersonen. Signifikante Unterschiede bei einzelnen Komponenten werden auf Überkompensationseffekte zurückgeführt aufgrund der Annahme, "daß die Frauen das Handicap ihrer Geschlechtszugehörigkeit durch besser sein kompensieren müssen"468. Die Tatsache, daß bei Frauen und Männern keine signifikanten Unterschiede im Führungsverhalten nachgewiesen werden konnten, deuten darauf hin, daß eine Klassifizierung der Führungseigenschaften in männliche und weibliche Eigenschaften nicht halt465 Vgl. VEITil (1988), S. 82. 466 Vgl. hierzu auch BASIL (1972); (1978); BROWN (1979). 467 Vgl. GOLD (1988). 468 Ebenda, S. 106.
JACKLIN/MACCOBY
(1975);
HENNIG/JARDIM
lll. Af!forderunKen an FührunKskr{ifte
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bar ist, weil es wohl keinen geschlechtstypischen Führungsstil gibt. Es scheint vielmehr so zu sein, daß die Ausübung einer Führungsposition spezifische Eigenschaften des Stelleninhabers erfordert, unabhängig von dessen Geschlechtszugehörigkeit Diese Anforderungen an Führungskräfte haben sich im Zeitablauf gewandelt, je nach den wirtschaftlichen Notwendigkeiten sowie dem kulturellen Grundverständnis der Gesellschaft, aber wiederum unabhängig vom Geschlecht der handelnden Personen. Daher scheinen auch Frauen, die eine nicht-traditionelle Berufslaufbahn im Führungsbereich anstreben, viele der als typisch weiblich geltenden Geschlechtsrollenstereotype nicht aufzuweisen. Zwischen weiblichen Führungskräften und ihren männlichen Kollegen zeigen sich größere Übereinstimmungen bei den Eigenschaften und Werthaltungen als zwischen weiblichen Führungskräften und Frauen im allgemeinen.469 Der Blick in die Literatur zeigt ebenfalls, daß eine Differenzierung in angeblich weibliche und männliche Führungseigenschaften erst vor einigen Jahren mit der aufkommenden Diskussion über Frauen in Führungspositionen vorgenommen wurde. Dies legt jedoch die Vermutung nahe, daß hiermit die Unterrepräsentierung der Frauen im Führungsbereich plausibel begründet werden sollte, indem Frauen die "falschen" Eigenschaften (sog. Defizitthese) zugeschrieben wurden. Die Suche nach Geschlechtsunterschieden im Führungsverhalten hat nun zur Folge, daß bestehende Geschlechtsstereotype aufrechterhalten und verstärkt werden. Daraus entsteht für Frauen jedoch ein Konflikt: Sofern sie die ihnen zugeschriebenen weiblichen Eigenschaften aufweisen, gelten sie als ungeeignet für eine Führungsposition; entsprechen sie hingegen den männlichen Eigenschaftsanforderungen, werden sie als unweiblich angesehen. 470 Die Konsequenz eines solchen Rollenkonflikts kann darin bestehen, daß Frauen von vornherein freiwillig auf den Aufstieg in Führungspositionen verzichten und damit zugleich die indirekte Bestätigung liefern, Frauen seien als Führungskräfte eben nicht geeignet.471 469 Vgl. REGNETISTENGEL (1993). S. 166. 470 Vgl. ebenda. 471 Vgl. RUSTEMEYERITHRIEN (1987}, S. 30.
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Teil D: Der Au,f.vtieg in Führungspositionen
Zu widersprüchlichen Untersuchungsergebnissen kommt es auch deshalb, weil bei der Beurteilung von Verhaltensweisen weiblicher und männlicher Führungskräfte häufig unterschiedliche Maßstäbe angesetzt werden. Zeigen Frauen Führungseigenschaften wie Aggressivität, Behauptungs- und Durchsetzungswillen, so werden diese oftmals uminterpretiert, indem Aggressivität als Dominanzstreben und Behauptungswille als ein Sich-Aufspielen gedeutet werden.472 Ein ähnliches Vorgehen ist auch bei den Bewertungen anderer Befunde zu beobachten. Die meisten Führungsmodelle gehen bei den erforderlichen bzw. erwünschten Führungseigenschaften von maskulinen· Merkmalen aus. Diese Betrachtungsweise verkennt allerdings (bewußt), daß eine erfolgreiche Führungskraft auch Eigenschaften besitzen sollte, die als typisch weiblich gelten, wie etwa die Erhaltung und Pflege sozialer Beziehungen zur Umwelt. Die Analyse der Eigenschaftsanforderungen an Führungskräfte zeigt dann, daß diese sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsrollenstereotypen entsprechen. Danach werden Eigenschaften wie Dominanz, Selbstbewußtsein und Intelligenz dem männlichen Stereotyp zugeordnet, während Flexibilität, Kontaktfahigkeit und Kreativität als typisch weibliche Eigenschaften gelten.473 Damit aber stellt sich die Frage, warum dennoch das gesamte Anforderungsprofil als maskulin bezeichnet wird. Dies kann einerseits darin begründet sein, daß Führung generell als männlich begriffen wird, weil in Führungspositionen hauptsächlich Männer anzutreffen sind.474 Zum anderen sind Geschlechtsrollenstereotype stets in ihrem sozialen Kontext zu betrachten. Weiblichkeit und Männlichkeit sind sozial und kulturell erzeugt und unterliegen gesellschaftlichen Wandlungen.475 Da Frauen trotzsteigender Berufstätigkeit auch weiterhin der Bereich der Familie zugeschrieben wird und Männer mit außerhäuslicher Erwerbsarbeit assoziiert werden, wird möglicherweise den Frauen die Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften auch nur im Haushalts- und Familienbereich zugetraut.476 Eine dritte Erklärung liegt vermutlich 472 Vgl. PARKIN/HEARN (1987), Sp. 329. 473 Vgl. GoLD (1988), S. 26. 474 Vgl. VEmt (1988), S. 84. 475 Vgl. PARKINIHEARN ( 1987), Sp. 327. 476 Vgl. VElrn (1988), S. 84.
/11. AnfiJrderun[?en an Führunf?skr{ifte
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darin, daß in allen Organisationen ein Interesse vorhanden ist, die bestehenden (Macht-)Strukturen durch das Festhalten an traditionellen stereotypen Erwartungen und Vorurteilen zu stabilisieren.477 Es bleibt deshalb bereits hier festzuhalten, daß die Probleme von Frauen, in Führungspositionen zu gelangen, zum Teil darin liegen, unter Beweis stellen zu müssen, entgegen der üblichen Vorstellung, dem männlichen Führungsmodell entsprechend, "maskuline" Führungseigenschaften zu besitzen. Für die Frau ergibt sich daraus der Konflikt, in der Führungsrolle Frau zu bleiben und gleichzeitig den Männern nachzueifern.478 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, den häufig widersprüchlichen Ratschlägen, wie sie sich als Führungskraft zu verhalten habe, zu genügen.479 Führung ist allerdings auch ein soziales Phänomen und damit abhängig von der Anerkennung der Geführten (Mitarbeiter). Häufig ist es von größerer Bedeutung, als kompetent, führungsstark, effektiv wahrgenommen und beurteilt zu werden, als dies de facto auch zu sein.480 Doch genau das scheint Frauen weniger zu gelingen als Männern. 3. Fachliche Qualifikation Zu den Eignungsvoraussetzungen für einen Aufstieg in Führungspositionen gehören neben den Persönlichkeitseigenschaften, welche u. a. die erfolgreiche Führung von Mitarbeitern gewährleisten sollen, auch fachliche Qualifikationen. Allerdings kommt der fachlichen Qualifikation in der Einstiegsphase der beruflichen Laufbahn eine größere Bedeutung zu als in der Aufstiegsphase, da mit steigender hierarchischer Position die analytischen Fähigkeiten (analytisches, abstraktes Denken, ganzheitliches, strategisches Denken) sowie die Entscheidungsfähigkeit zunehmend in den Vordergrund treten. Demgegenüber sind soziale Fähigkeiten (Motivation und Führung von Mitarbeitern) auf allen Ebenen be477 Vgl. ebenda.
478 Vgl. DELHEES (1987), Sp. 754. 479 Vgl. ebenda. 480 Vgl. KRUSE (1987), S. 255.
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Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
deutsam.481 Generellläßt sich feststellen, daß auf höheren Hierarchieebenen zunehmende "Generalistenfunktionen" des Stelleninhabers erforderlich sind.482 Dies hängt damit zusammen, daß die Verantwortung für den Unternehmenserfolg ebenfalls mit jeder Führungsebene steigt. An Führungskräfte wird folglich, insbesondere ab der mittleren Führungsebene, eine breite Palette von Anforderungen gestellt, die zum Teil im Persönlichkeitsbereich und zum Teil im Fähigkeitsbereich liegen. Dieses hohe Anforderungsprofil ergibt sich aus den Aufgaben einer Führungsperson, die sich in erster Linie auf die aktive Gestaltung der Unternehmensabläufe zur Erreichung der Unternehmensziele beziehen. Die fachlichen Qualifikationsanforderungen, die sich im wesentlichen aus Bildungs- und Berufsqualifikationen zusammensetzen, stellen für die heutigen weiblichen (Nachwuchs-) Führungskräfte für den beruflichen Aufstieg kein Hindernis mehr dar, da sowohl der Anteil als auch die absolute Zahl der Frauen mit qualifizierten Schul- und Ausbildungsabschlüssen steigt.483 Gerade in den für die Wirtschaft relevanten Studienfächern der Rechts-, Wirtschaftsund Ingenieurwissenschaften schließen inzwischen nahezu eben so viele Frauen wie Männer ein Hochschulstudium ab. 4 84 Daher kann heute von der uneingeschränkten fachlichen Befähigung von Frauen für Führungspositionen weitgehend ausgegangen werden. Bei den persönlichkeitsbedingten Führungseigenschaften kann ein solcher Schluß nicht ohne weiteres gezogen werden, da hier keine Pauschalurteile möglich sind. Sind sind es jedoch weder bei den Frauen noch bei den Männern. Es kommt vielmehr auf die Persönlichkeit jedes Einzelnen an. Gleichwohl werden den Frauen als Gesamtheit häufig jegliche Führungsqualitäten abgesprochen, während bei Männern die Führungseignung nicht von vornherein angezweifelt wird.
481 Vgl. STAEHLE (1991), S. 85. 482 Vgl. ebenda, S. 87. 483 Vgl. HILLE (1993), S. 220 ff. 484 Vgl. ebenda, S. 224.
IV. Mitarbeiterbeurteilung im Unternehmen
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IV. Mitarbeiterbeurteilung im Unternehmen 1. Ziele und Gestaltungsprobleme der Mitarbeiterbeurteilung Mitglieder von Organisationen werden kontinuierlich formell (und informell) bezüglich ihres Leistungsverhaltens, ihrer Potentiale und ihrer Eignung für bestimmte Positionen beurteilt. Sie sollen Informationen liefern, die Planungen und Entscheidungen beim Personaleinsatz, der Personalentwicklung und der Entgeltdifferenzierung ermöglichen.485 Zugleich dient die Mitarbeiterbeurteilung als Erfolgskontrolle der durchgeführten personalwirtschaftlichen Maßnahmen. Ziel ist auch die Verbesserung der Leistung des Beurteilten, indem dieser eine Rückkopplung erfährt, zukünftige Verhaltens- und Ergebniserwartungen geklärt werden und die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Beurteilten und den Beurteilern gefestigt wird. 486 Zu den Gestaltungsproblemen von Mitarbeiterbeurteilungssystemen gehört die Frage nach dem geeigneten Beurteiler. In der Praxis ist die Rollenverteilung üblicherweise so festgelegt, daß der Vorgesetzte die ihm direkt unterstellten Mitarbeiter beurteilt. 487 In der Literatur wird dagegen angezweifelt, daß Personalbeurteilungen allein durch den direkten Vorgesetzten den Anforderungen an eine Mitarbeiterbeurteilung immer entsprechen. 488 Der Beurteiler sollte nicht nur die Arbeitsziele und Arbeitsanforderungen des Beurteilten kennen, sondern auch die Gelegenheit zur Leistungsbeobachtung haben und über die erforderliche Fachkompetenz zur Interpretation der Beobachtungen verfügen.489 Daher werden in der Literatur auch Mitarbeiterbeurteilungen durch Untergebene, durch Gleichgestellte und durch den zu Beurteilenden selbst diskutiert.490
485 Vgl. DoMscH!GERPOTI (1992), Sp. 1633. 486 Vgl. ebenda. 487 Vgl. ebenda. 488 Vgl. ebenda, Sp. 1634 f. 489 Vgl. ebenda. 490 Vgl. hierzu PULLIG (1992), GERPOTI (1992), DoMSCH (1992). 10 Wiegand
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Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
2. Leistungsbeurteilung In der Literatur wird der Begriff Leistungsbeurteilung oftmals synonym zur Mitarbeiterbeurteilung benutzt, obwohl diese die Persönlichkeitsbeurteilung wie auch die Potentialbeurteilung als Determinanten der "Leistung" erfaßt. Die Leistung eines Mitarbeiters wird dabei üblicherweise als sein individueller Beitrag zur Erreichung der Organisationsziele definiert.491 Die Beurteilung dieser Leistung ist erforderlich, um durch einen solchen (anerkannten) Mechanismus die Verteilung von Systemgratifikationen zu legitimieren.492 Daneben erfüllt die Leistungsbeurteilung noch andere Funktionen, wie die Überprüfung von Personalauswahlverfahren und Trainingsmaßnahmen. Sie liefern die Grundlagen für betriebliche Entscheidungen, die individuelle Beratung und Förderung von Mitarbeitern sowie die Leistungsverbesserung durch Verhaltenssteuerung. 493 An die Art und Weise, wie Leistungsbeurteilungen zustande kommen, wird eine Reihe von Anforderungen gestellt, mit denen dem formalen Leistungsprinzip auf betrieblicher Ebene entsprochen werden soll. Dazu gehört, daß die Leistungen der Mitarbeiter zum Zweck der Vergleichbarkeit zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen und dabei nur solche Indikatoren herangezogen werden, die Leistung anzeigen. Damit soll verhindert werden, daß nach anderen, dem Leistungsprinzip widersprechenden Kriterien (z. B. Geschlecht) eine Verteilung der Gratifikationen erfolgt. Bemühungen um Objektivität, Chancengleichheit, Mitsprache und Kontrolle sollten daher bei der Ausgestaltung erkennbar sein. Spezielle Beurteilungsverfahren zur Leistungsbeurteilung sind nicht zwingend erforderlich, doch bieten sie sich aufgrund einer möglichen Vergleichbarkeit und Belegbarkeit dann an, wenn Personalentscheidungen in größerem Umfang leistungsabhängig getroffen werden.494 Mögliche Verfahren sind Einstufungsverfahren, Kennzeichnungs- und Auswahlverfahren, Rangordnungsverfahren
491 Vgl. ebenda, S. 69. 492 Vgl. ebenda, S. 71. 493 Vgl. SCHULER (1991), S. 13 f. 494 Vgl. ebenda, S. 20.
IV. Mitarbeiterbeurteilung im Unternehmen
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und freie Eindrucksschilderung. Sie sollen hier jedoch nicht näher beschrieben werden.495 Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß die Leistungsbeurteilung bei angemessener Durchführung leistungsfördernd wirkt.496 Sie ist aber zugleich auch der Kritik ausgesetzt und wird als Ursache von Bewertungsangst angesehen, weil Tendenzen zu fehlerhaften (im Sinne von subjektiven) Beurteilungen bestehen, die nicht nur auf unbeabsichtigte Einflüsse, wie beispielsweise uneinheitliche Begriffsverständnisse, zurückzuführen sind, sondern auch am Unwillen zur realistischen Beurteilung, um hiermit möglicherweise die bisherige Zusammenarbeit nicht zu gefährden. 497
3. Geschlechtsspezifische Beurteilung Die obige Beschreibung der Mitarbeiterbeurteilung und der Leistungsbeurteilung hat verdeutlicht, daß bei der Entwicklung entsprechender Beurteilungsverfahren grundsätzlich versucht wird, die Möglichkeit von Fehlbeurteilungen weitgehend auszuschließen. Zugleich wurde aber auch gezeigt, daß dies aus verschiedenen Gründen in der Regel nicht völlig gelingt. Für eine erfolgreiche Karriere ist daher nicht nur von Bedeutung, eine gute Leistung zu erbringen, sondern es kommt auch darauf an, wie diese Leistung von Dritten beurteilt wird bzw. welche Beurteilungskriterien herangezogen werden.498 Die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen legt die Vermutung nahe, daß die Leistungsbeurteilung auch geschlechtsspezifisch erfolgt. Empirische Untersuchungen zur geschlechtsspezifischen Leistungsbeurteilung kommen jedoch zu widersprüchlichen Ergebnissen. In einigen Studien wird bestätigt, daß Frauen im Durchschnitt eher eine positive Einstellung gegenüber Frauen in Führungspositionen haben als Männer und daß die Zuschreibung des Erfolgs bzw. Mißerfolgs dieser Frauen in Abhängigkeit von der grundsätzlichen Einstellung gegenüber Frauen in Führungspositionen 495 Vgl. hierzu LUEGER (1992); BECKER (1992). 496 Vgl. SCHULER (1991 ), S. 32. 497 Vgl. ebenda. 498 Vgl. AUTENRIETHICHEMNITZERIDOMSCH (1993), S. 45. 10*
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Teil D: Der A~fstieg in Führungspositionen
auf verschiedene Ursachen (z. B. Glück oder harte Arbeit) zurückgeführt wird.499 Andere Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß die besondere Hervorhebung des Geschlechts und der Geschlechtsrollenstereotype im Zeitablauf nachläßt, wenn die Beurteiler gezwungen sind, über einen längeren Zeitraum mit weiblichen Personen zusammenzuarbeiten.500 Ein möglicher Grund für die unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse ist im Zusammenhang von traditionellen Geschlechtsrollenerwartungen und der Wahrnehmung der Eignung eines Geschlechts für bestimmte Positionen zu sehen. Amerikanische Forschungsarbeiten zeigen, daß eine fehlende Übereinstimmung zwischen dem Geschlecht des Bewerbers und der angestrebten Stelle nur dann toleriert wird, wenn der Bewerber überdurchschnittliche Qualifikationen vorweisen kann.501 Wird davon ausgegangen, daß eine erfolgreiche Führungskraft überwiegend "männliche" Eigenschaften besitzen sollte, so folgt daraus für Frauen, daß sie besser sein müssen als Männer, um auf dieser Ebene akzeptiert zu werden.502 Sozialpsychologische Einflußmechanismen, die durch die nahezu alleinige Verantwortung von Männern für die Behandlung und Förderung weiblicher Mitarbeiter bedingt sind, bewirken, daß aufgrund von Geschlechtsstereotypisierung und Geschlechtsrollentraditionalismus eine Mitarbeiterin in erster Linie nur als Frau (mit allen stereotypen beruflichen Defiziten) wahrgenomen wird, obwohl sie vielleicht davon abweichende Voraussetzungen mitbringt.503 Die individuelle Wahrnehmung spielt demzufolge bei der Mitarbeiterbeurteilung, unabhängig vom Geschlecht des Beurteilten, eine große Rolle. So wirkt eine Vielzahl von Verzerrungsmechanismen auf die Wahrnehmung eines Beurteilers ein504, dietrotzaufwendiger Beurteilungssysteme eine "objektive" 499 Vgl. z. B. STEVENS/DENISI (1980). 500 Vgl. z. B. ADAMS/RicE/INSTONE (1984). 501 Vgl. RIGERIGALLIGAN (1980), S. 907. 502 Vgl. ebenda. 503 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1987}, Sp. 236. 504 Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß auch der Beurteilte selbst über zahlrei-
che Möglichkeiten verfügt, die Wahrnehmung des Beurteilers zu beeinflussen. Dieser Aspekt wird bei der Diskussion um die Mitarbeiterbeurteilung bislang jedoch kaum berücksichtigt.
V. Karriere und Karriereplanung
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Beurteilung nicht möglich erscheinen lassen.505 Wahrnehmungsverzerrungen als Teil sozialer Vorurteile können selbst mit aufwendigen Bewertungsverfahren nicht ganz eliminiert werden. 506 Ein weiterer Gesichtspunkt kommt noch hinzu. Frauen und Männer werden aufgrund normativer Vorstellungen und Kompetenzhypothesen beim Zugang zu bestimmten Positionen bevorzugt für jene Positionen zugelassen, die zu ihrem Geschlecht "passen". 507 Implizite Kompetenzüberlegungen verstärken diese Zuweisung, indem von der Erwartung ausgegangen wird, daß Frauen für die ihnen vorgegebenen Tätigkeitsbereiche (z. B. Bürotätigkeiten) a priori geeigneter sind als das andere Geschlecht. 508 Dies führt dazu, daß Verhaltensweisen, die den Geschlechtsrollenerwartungen entsprechen, positiver bewertet werden als diejenigen, die diesen Erwartungen widersprechen. 509 Es bleibt festzuhalten, daß Probleme bei der Mitarbeiterbeurteilung durch unterschiedliche Wahrnehmungsprozesse bestehen, die zu Fehlbeurteilungen führen können, und zwar geschlechtsunabhängig. Von einer gewissen Benachteiligung der Frauen bei Beurteilungen ist dennoch auszugehen, da mit steigender Hierarchieebene die Beurteiler überwiegend männlich sind und hierbei andere Wahrnehmungsprozesse ablaufen als bei der Beurteilung von Mitarbeitern desselben Geschlechts. V. Karriere und Karriereplanung 1. Karriereorientierung
Üblicherweise wird unter Karriere jede beliebige Stellenfolge einer Person im betrieblichen Stellengefüge verstanden.510 Diese weite Begriffsfassung soll in diesem Kapitel dahingehend eingeschränkt werden, daß in erster Linie Aufwärtsbewegungen bei 505 Vgl. LUEGER (1992), S 214. 506 Vgl. ebenda, S. 243. 507 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1992), Sp. 234. 5°8 Vgl. ebenda.
509 Vgl. MAI-DALTON (1979), S. 221 510 Vgl. BERTHEL (1989), S. 235.
f.
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Teil D: Der Au.f.ftieK in FührunKspositionen
Stellenwechseln gemeint sind, wenn von Karriere die Rede ist. Eine solche eingeschränkte Begriffsdefinition erscheint an dieser Stelle sinnvoll, weil es um den Aufstieg in Führungspositionen geht. Für den einzelnen Mitarbeiter ist Karriere der auf wirtschaftliche Tätigkeiten bezogene Ausschnitt des gesamten Lebenslaufs. 511 Damit bringt er zugleich persönliche Motive, Ziele, Fähigkeiten und Erwartungen in die Karriere ein, die im Karriereverlauf einem Wandel unterliegen können. Karriere und persönliche Entwicklung verlaufen folglich paralleJ.512 Die Karriereziele des einzelnen Mitarbeiters sind Teil der individuellen Lebensziele, deren Erfüllung mit Hilfe einer Karriere versucht wird. Diese Ziele können Autonomie, Verantwortung, Entscheidungs- und Handlungsspielraum, aber auch Einfluß, Macht, Prestige und nicht zuletzt Einkommenserzielung sein.513 Für das Unternehmen sind Kenntnisse über die jeweiligen Karriereorientierungen insofern von großer Bedeutung, als damit eine auf die individuellen Ziele zugeschnittene Karriereplanung betrieben werden kann. Dies gilt insbesondere für die berufliche Entwicklung von aufstiegsambitionierten Frauen. Auf die Unterschiede in der Karriereorientierung von Frauen und Männern wird daher an anderer Stelle51 4 nochmals zurückzukommen sein. 2. Karrieremotivation
Die Karrieremotivation ist ein wichtiger Aspekt bei der individuellen Karriereplanung. Nur wenn bekannt ist, welche betrieblichen Maßnahmen beim Mitarbeiter Motivationsanreize auslösen, kann sein Karriereverhalten richtig eingeschätzt werden. 515 Die Diskus-
511 Vgl. ebenda. 512 Vgl. ebenda. 513 Vgl. BERTHELiKocH (1985). S. 23 f. 514 Siehe Kapitell in TeilE. 515Vgi.KOCH(I98l),S.I54.
V. Karriere und Karriereplanung
151
sion um den Wertewandel bei Führungskräften516 hat die Bedeutung der Motivation zusätzlich hervorgehoben. In einer jüngeren empirischen Untersuchung517 konnten drei verschiedene "Grundtypen" der Karrieremotivation identifiziert werden:518 -Typ I einer (traditionellen) Karriereorientierung (von Bedeutung sind hier eine verantwortungsvolle Position in Wirtschaft oder Verwaltung, Gehalt und Einfluß mit Verzicht auf Freizeit); - Typ II einer freizeitorientierten Schonhaltung (d.h. eine gesicherte Position mit geregelter Arbeitszeit und netten Kollegen reicht aus, die "wahren" Werte liegen in der Freizeit, auch bei Verzicht auf Geld); - Typ III eines alternativen Engagements (Bereitschaft zur Leistung, aber in einer anderen, menschenwürdigeren Arbeitswelt, dafür Verzicht aufhohe Bezahlung und Status). Etwa drei Viertel der befragten Führungskräfte neigen zu einer (traditionellen) Karriereorientierung. Lediglich 7,6% zeigten eine freizeitorientierte Schonhaltung. Da sich keine bemerkenswerten Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Führungskräften ergaben, ist zu vermuten, daß die Einstellungen zur beruflichen Karriere geschlechtsunabhängig sind.519 Demgegenüber neigt die stärkste Gruppe der Führungsnachwuchskräfte zu einem alternativen Engagement. Eine traditionelle Karriereorientierung wird von dieser Gruppe eher selten verfolgt. 520 Allerdings zeigen Längsschnittuntersuchungen, daß die Karriereorientierung im Zeitablauf stabil bleibt, während das alternative Engagement, möglicherweise als Reaktion auf Erfordernisse der Arbeitswelt, beim Wechsel vom Studium zum Beruf nur von jedem zweiten Befragten beibehalten wird.521
516 Vgl. z. 8. WIDMAIER (1991). 517 Vgl. EINSIEDLERIRAu/ROSENSTIEL ( 1993 ). 518 Vgl. ebenda. S. 177. 519 Vgl. REGNETISTENGEL (1993), S. 161 f. 520 Vgl. RosENSTIEL (1993}, S. 75. 521 Vgl. ebenda, S. 76.
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Teil D: Der Auf.ftieg in Führungspositionen
Die Karrieremotivation stellt nach den Untersuchungergebnissen einen Indikator dar, der aktuelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen reflektiert und Folgewirkungen auslöst, die in der Personalpolitik Beachtung finden sollten.522 3. Karriereentscheidungen An der Entscheidungsfindung bei Karriereentscheidungen wirkt üblicherweise eine Vielzahl von Personen mit, die unterschiedliche Einflüsse geltend machen und unterschiedliche Interessen vertreten. Zu diesem Personenkreis zählen - die für die Versetzung vorgesehene Führungskraft, - der Vorgesetzte der zu besetzenden Vakanz, - die Personalabteilung, - die oberste Geschäftsleitung (bei Besetzung von Positionen m den oberen Hierarchieebenen), - Kontrollorgane wie z. B. der Aufsichtsrat (bei Besetzung von Spitzenführungspositionen), - der Betriebsrat (gemäß Betriebsverfassungsgesetz), - Personen, die durch informelle Machtbeziehungen Einfluß ausüben, - Personen, die als Gegner auftreten, um eine bestimmte Positionsbesetzung zu verzögern oder zu verhindern.523 Die Vielzahl der am Entscheidungsprozeß beteiligten Personen wirkt sich für Frauen insofern nachteilig aus, als die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung mit der Zahl der Beteiligten zunimmt, da sich die zu leistende Überzeugungsarbeit zugunsten der Frau multiplikativ erhöht. Neben den beteiligten Personen sind für das Zustandekommen von Karriereentscheidungen auch noch die angewandten Entscheidungskriterien (z. B. Leistungsprinzip, Senioritätsprinzip) relevant, 522 Vgl. ebenda, S. 183. 523 Vgl. BERTHEL (1987b). Sp. 1186.
V. Karriere und Karriereplanung
153
die bereits oben524 besprochen wurden. An dieser Stelle ist zu ergänzen, daß bei der Anwendung des Leistungsprinzips die Problematik der Meßbarkeit Interpretations- und Bewertungsmöglichkeiten mit sich bringt, die den am Entscheidungsprozeß Beteiligten einen großen Ermessensspielraum eröffnen.525 Das größte Problem bei Karriereentscheidungen besteht jedoch stets darin, daß zwar die betrieblichen Personalbedarfe geplant werden können, nicht aber Motivation und Zielorientierung der einzelnen Mitarbeiter.526 Bei weiblichen Mitarbeitern kommt hinzu, daß die Zielorientierung auch nicht ohne weiteres ermittelt werden kann, weil Fragen, die weit in die Privatsphäre hineinreichen (Familienplanung) in der Regel unzulässig sind. 4. Auswahlmethoden
Die Bestimmung der jeweiligen Auswahlmethode hängt davon ab, welche Tätigkeitsanforderungen überprüft werden sollen. Zu den klassischen Verfahren gehören Interviews und psychologische Testverfahren, zu den neueren Verfahren biographische Fragebögen und das Assessment Center-Verfahren. Das persönliche Gespräch ist eines der am häufigsten angewandten Auswahlinstrumente und erfüllt mehrere Funktionen zugleich. Zunächst bietet es bei externen Bewerbern die Möglichkeit, einstellungstechnische Fragen zu klären und das Unternehmen vorzustellen. Im Gespräch werden zudem Aufgaben, Anforderungen und Möglichkeiten der zu besetzenden Stelle sowie Ziele, Hoffnungen und Ansprüche des Bewerbers festgestellt. Dem Gespräch kommt somit eine beiderseitige Informationsvermittlungsfunktion zu.527 Daneben dient das Gespräch zur Feststellung eines persönlichen Gesamteindrucks. Damit wird ein Gegengewicht zu den analytisch gewonnenen Teilurteilen geschaffen. 528
524 Siehe Kapitel II in Teil D. 525 Vgl. KOCH (1981 ), S. 132. 526 Vgl. BüRKLE ( 1989). S. 642. 527 Vgl. NIEDERFEICHTNER (1987), Sp. 86. 528 Vgl. ebenda.
154
Teil D: Der Aut:vtieg in Führungspositionen
Psychologische Testverfahren dienen vor allem zur Ermittlung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale. Es handelt sich dabei überwiegend um Intelligenztests, Leistungstests und Persönlichkeitstests.529 Die Güte der Testergebnisse hängt jedoch davon ab, inwieweit die wichtigsten Fähigkeiten und Eigenschaften zur Aufgabenerledigung identifiziert und quantifiziert werden können. 530 Das Assessment-Center-Verfahren zeichnet sich dadurch aus. daß es mehrere Auswahlmethoden in sich vereinigt und daß der Ablauf und die Ergebnisse dieses Verfahrens von mehreren unabhängigen Beobachtern beurteilt werden.531 Dabei wird versucht, typische Arbeitsaufgaben und Verhaltensanforderungen in Form von Einzel- und Gruppenaufgaben darzustellen. Dies ermöglicht eine direkte Feststellung der gewünschten Verhaltensweisen.532 Ein wesentlicher Vorteil des Assessment-Center-Verfahrens ist seine hohe Akzeptanz, die es durch die Transparenz, Fairneß und Objektivität erlangt, sowie seine Validität.533 Es erscheint außerdem für die Auswahl von Führungskräften besonders geeignet zu sein, weil die Gruppensituation Berücksichtigung findet und durch Rollenspiele der hierarchische Bezug (simultativ) einbezogen werden kann. Nach einer Untersuchung von Neubauer534 scheint das Assessment-Center-Verfahren als Personalauswahlverfahren für weibliche Bewerber von Vorteil zu sein. Neubauer kommt zu dem Ergebnis, daß Bewerberinnen im Schnitt besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen und dies auch bei den Übungen, die gerne als männliche Domäne angesehen werden.535 Assessment-Center bieten Frauen gute Chancen, "weibliche" Führungsqualitäten zur Geltung zu bringen. Von den Beobachtern und Beobachterinnen werden diese Qualitäten im Laufe der Zeit immer höher eingeschätzt, wodurch die Chancen von Frauen 529 Vgl. LIEBEL (1989), S. 284 ff. 530 Vgl. NIEDERFEICHTNER (1987), Sp. 87. 531 Vgl. ebenda, S. 293. 532 Vgl. NIEDERFEICHTNER ( 1987), Sp. 88. 533 Vgl. ULLRICH (1989), S. 313. 534 Vgl. NEUBAUER (1990). 535 Bei diesen Übungen handelt es sich um einen Postkorb sowie um einen Fall,
der dem Bereich "Überblick, Entscheiden, konzeptionelles Denken" zuzuordnen ist.
V. Karriere und Karriereplanung
155
wachsen, in Führungspositionen aufzusteigen. Neubauer konnte beobachten, daß männliche und weibliche Beobachter ihre Beurteilungsmaßstäbe über die Zeit betrachtet zugunsten der Bewerberinnen verschieben. Er erklärt diesen Effekt damit, daß alle Beobachter erst mit zunehmender Erfahrung eigenständige Qualitäten von Bewerberinnen einzuschätzen lemen.536 5. Karrierehindernisse Die Übereinstimmung der betrieblichen und individuellen Karriereziele stellt den Idealfall dar. In der Realität stehen einer Karriere oftmals Hindernisse im Wege, die zum Teil auch auf einer fehlenden Planung von Karriereentscheidungen beruhen.537 Solche Hindernisse ergeben sich, wenn - weniger Aufstiegspositionen vorhanden sind als Personen, die nach Aufstieg streben, - Betriebe ihre Mitarbeiter für Positionen vorsehen, die diese gar nicht anstreben, - Betriebe das Karrierepotential von Mitarbeitern nicht erkennen bzw. falsch einschätzen, - der Aufstieg nach Kriterien erfolgt, die die Mitarbeiter nicht durchschauen und/oder nicht akzeptieren, - Mitarbeiter ihr eigenes Karrierepotential falsch einschätzen, so daß sie unrealistische Karriereziele und Erwartungen hegen, - Mitarbeiter verschiedene Ziele haben, die sich auch noch im Zeitablauf ändern. 538 Wie noch zu zeigen sein wird, sind einige der genannten Hindernisse gerade beim beruflichen Aufstieg von Frauen von besonderer Bedeutung. 539
536 Vgl. NEUBAUER ( 1990), S. 35. 537 Vgl. BERTHEL (1989), S. 238. 538 Vgl. ebenda. 539 Siehe hierzu Teil E.
156
Teil D: Der AU,(ftieg in Führungspositionen
VI. Frauen in Führungspositionen 1. Ausgewählte Daten zur Frau als Führungskraft
1.1 Anzahl der weiblichen Führungskräfte Frauen sind in Führungspositionen noch unterrepräsentiert. Über den genauen Anteil lassen sich jedoch nur Schätzungen abgeben. Dies liegt vor allem darin begründet, daß der Begriff der Führungskraft mit zum Teil voneinander abweichenden Definitionen belegt wird. Überwiegend wird der Anteil weiblicher Führungskräfte mit 5% angegeben.540 Dieser Wert ergibt sich auch in etwa bei der Auswertung des Personen-Lexikons "Leitende Männerund Frauen der Wirtschaft" des Hoppenstedt Verlags.541 In diesem Lexikon sind 60.100 Führungskräfte in deutschen Unternehmen, Verbänden und Organisationen erfaßt, darunter 2.700 Frauen, was einem Anteil von 4,5 % entspricht. 542 Eine Befragung der Zeitschrift "Management Wissen", die gemeinsam mit der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung durchgeführt wurde und an der 781 Unternehmen aller Branchen, Größen und Regionen der privaten Wirtschaft der alten Bundesländer teilnahmen, ergab einen Anteil weiblicher Führungskräfte von 5,6 %. Davon arbeiten 7 % als Abteilungsleiterinnen, 3,3 % als Bereichsoder Hauptabteilungsleiterinnen und 2,6 % als Geschäftsführerinnen oder Vorstände. Es bestehen jedoch Unterschiede zwischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. In der Industrie besetzen Frauen nur 4,2 % der Führungspositionen. Demgegenüber sind bei den Dienstleistern wie Handel, Banken und Versicherungen 2,2 % der Führungskräfte der ersten Ebene, 4,3 % der zweiten und 9,5 % der dritten weiblichen Geschlechts. Dies ergibt einen Durchschnitt von 7,7 %. Bei Vorständen und Aufsichtsräten ist der Frauenanteil verschwindend gering, obwohl innerhalb der letzten fünf Jahre eine
540 Vgl. FISCHER (1993), S. 101. 541 Vgl. Hoppenstedt Verlag (1992). 542 Die Zahl der Führungskräfte insgesamt dürfte jedoch ein Vielfaches der
hierin angegebenen Zahl betragen, da in diesem Lexikon lediglich die Führungskräfte der höchsten Ebenen enthalten sind.
VI. Frauen in Führung.fpositionen
157
Verfünffachung stattfand: von 0,11 % auf 0,52%.543 Eine Untersuchung des Manager Magazins544, in der die Geschäftsberichte für das Jahr 1991 der 626 umsatzstärksten Aktiengesellschaften und GmbH in der Bundesrepublik Deutschland ausgewertet wurden, ergab, daß unter den 2.286 Vorstandsmitgliedern dieser Unternehmen nur 12 Frauen und unter den 5.652 Mitgliedern der Aufsichtsräte 282 Frauen anzutreffen sind. Außerdem konnte darunter nur eine einzige weibliche Vorstandsvorsitzende ausfindig gemacht werden.545 Die nachfolgenden Daten zur Situation der Frauen in Führungspositionen stammen ausschließlich aus einer Befragung von Bischoff546 aus dem Jahr 1991, die im Jahr 1986 schon einmal durchgeführt wurde. 547 Dazu wurden 1.100 weibliche und männliche Führungskräfte aus der bereits erwähnten Hoppenstedt-Datei per Zufallsprinzip ausgewählt. Davon sendeten 368 Männer und 247 Frauen einen ausgefüllten Fragebogen zurück. Die Untersuchung blieb auf das Gebiet der alten Bundesländer beschränkt. 1.2 Position
Im Vergleich zur Untersuchung von 1986 sind 1991 insgesamt deutlich mehr Führungskräfte auf der zweiten Hierarchieebene (Hauptabteilungsleiter) zu finden. Zwei Drittel der befragten Frauen geben an, bereits die zweite Führungsebene erreicht zu haben. Waren 1986 noch 44% der Frauen auf der dritten Führungsebene und darunter angesiedelt, so sind es 1991 nur noch 28 %. Auf der zweiten Ebene finden sich 1991 bereits 62% der weiblichen Führungskräfte im Gegensatz zu 25 % im Jahr 1986. Ein Blick auf die verschiedenen Wirtschaftszweige zeigt, daß vor allem im Dienstleistungsbereich die untere Ebene von Frauen vergleichsweise stark besetzt ist. Die wenigsten weiblichen Führungskräfte in der oberen Führungsebene sind im Handel anzutref543 Vgl. FISCHER (1993), S. 544 V gl. ebenda. 545 V gl. ebenda. 546 Vgl. BISCHOFF (1991). 547 Vgl. 8ISCHOFF(i986).
110.
158
Teil D: Der A~fstieg in Führungspositionen
fen (siehe Tabelle 9). Gleichwohl hat sich in allen Wirtschaftszweigen der Anteil der Frauen auf der zweiten Ebene im Vergleich zu 1986 mehr als verdoppelt. In den Handelsbetrieben übertrifft dieser Anteil sogar den der Männer. Dafür sind Männer jedoch kaum noch in der untersten Ebene zu finden. Tabelle 9: Anteil der Frauen und Männer am Führungspersonal auf verschiedenen Führungsebenen nach Wirtschaftszweigen I Frauen
Männer
1991
1986
1991
1986
Abteilungsleiter und darunter (3. Ebene)
6
18
23
38
Hauptabteilungsleiter (2. Ebene)
70
46
73
27
GeschiftsfilhrerNorstand ( 1. Ebene)
24
32
4
27
Abteilungsleiter und darunter (3. Ebene)
9
23
28
37
Hauptabteilungsleiter (2. Ebene)
75
58
59
24
GeschiftsfilhrerNorstand ( 1. Ebene)
16
16
13
19
Abteilungsleiter und darunter (3. Ebene)
18
36
33
67
Hauptabteilungsleiter (2. Ebene)
72
46
57
21
GeschlftsftlhrcrNorstand ( 1. Ebene)
10
16
10
5
Im Handel
In der Industrie
In Diensdelstuncsbetrleben
I Angaben in Prozent. Sie ergänzen sich nach der Originalquelle nicht immer zu I 00 Prozent. Quelle: BISCHOFF (1991), S. 19.
VI. Frauen in Führungspositionen
159
1.3 Funktionsbereiche
Im Vergleich zu 1986 weist die Verteilung derMännerauf die Funktionsbereiche keine großen Veränderungen auf. Lediglich der Anteil der Männer im Personalbereich hat sich etwas erhöht. Bei den Frauen hingegen zeigen sich deutliche Unterschiede. So konnte der Bereich Finanzen/Rechnungswesen/Controlling im Jahr 1986 mit einer Besetzung von 44% noch als "Frauendomäne" bezeichnet werden. Im Jahr 1991 ist dieser Anteil auf 30% zurückgegangen. Deutlich zugenommen hat die Zahl der Frauen in den Bereichen Marketing (16 %) und VertriebNerkauf (24 %). Ein weiterer Bereich, in dem zunehmend Frauen Führungspositionen einnehmen, ist die Werbung/PR/Kommunikation (21 %). Weiterhin stark mit Frauen besetzt ist der Personalbereich (29 % ). Im Bereich Forschung und Entwicklung sind dagegen nur 3 % der Frauen in Führungspositionen tätig. 1.4 Ausbildung
Der Anteil der Führungskräfte mit Studium ist im Vergleich zu 1986 deutlich angestiegen. Dies gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. 1986 hatten 27 % der Frauen und 47 % der Männer studiert, 1991 sind es bereits 39% der Frauen und 60% der Männer. Damit ist der Ausbildungsunterschied zwischen Frauen und Männern weiter bestehen geblieben, und es können wesentlich mehr Männer als Frauen ihre Karriere auf ein Studium aufbauen. 1.5 Einkommen
Frauen in Führungspositionen haben bislang noch nicht das Einkommensniveau ihrer männlichen Kollegen erreicht. Etwa die Hälfte der Frauen verdient weniger als 100 TDM im Jahr (1991 ). Bei den Männern sind 1991 lediglich 15% in dieser Gehaltsklasse zu finden (siehe Tabelle 10).
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
160
Tabelle 10:
Anteil der Frauen und Männer an den Einkommensklassen I Frauen
Miuner I99I
I986
bis IOOTOM
IS
23
SI
63
IOI bis ISO TOM
43
S1
38
3I
tlber ISO TOM
42
I9
11
I99I
I986
Einkommen
s
I Angaben in Prozent. Quelle:
BISCHOFF (1991),
Tabelle 11:
S. 7.
Anteil der Frauen und Männer an den Einkommensklassen in Abhängigkeit von der Führungsebene I HauptabteillliiP"
Hauptabteilungs-
Geschiftsfilhrer/
leiterund
Ieiter (2. Ebene)
(1. Ebene)
darunter
Vorstand
(3. Ebene) I99I
I986
I99I
I986
I99I
I986
bis IOO TOM
33
39
I3
I9
9
IO
tlber IOO TOM
67
60
87
79
9I
90
bis IOOTOM
72
72
46
43
I8
47
tlber IOO TOM
28
28
S4
S1
82
S3
MinDer
Frauen
I Angaben in Prozent. Quelle: Bischoff(l991), S. 12.
VI. Frauen in Führungspositionen
161
Obwohl die Frauen im Vergleich zu 1986 häufiger Positionen der zweiten Hierarchieebene erreichen konnten, ist es ihnen nicht gelungen, die Einkommensdifferenz zu den Männern zu verringern (siehe Tabelle 11). Beim Vergleich der Anteilswerte der Frauen in den Einkommensklassen der zweiten und dritten Führungsebene sind zwischen 1991 und 1986 kaum Veränderungen festzustellen. Lediglich Frauen der ersten Ebene konnten ihre Einkommenssituation gegenüber 1986 deutlich verbessern. Demgegenüber haben sich die Einkommensverhältnisse der Frauen der dritten Führungsebene nicht geändert. Sie haben 1991 noch nicht einmal die Einkommen erreicht, welche die Männer bereits 1986 hatten. Die bestehenden Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen lassen sich nicht altersbedingt erklären. Aus Tabelle 12 geht hervor, daß von den Frauen unter 39 Jahren 62% unter 100 TDM verdienen, aber nur 35% der gleichaltrigen Männer dieser Einkommensklasse angehören. Die Frauen unter 39 Jahren sind 1991 noch weit von der Einkommenssituation derMännerunter 39 Jahren im Jahr 1986 entfernt.
Tabelle 12:
Einkommen und Alter! bis 39 Jahre 1991 1986
40 bis 49 Jahre 1991 1986
Ober 50 Jahre 1991 1986
Männer
bislOOIDM 101 bis 150 IDM Obcrl50IDM
35
29
44
59
9 48 43
19 64 16
12 39 49
21
12
62 29 9
75 20
45
43
56
45
39
5
11
60 33 6
12
5
25 51 22
Frauen
bis lOOIDM 101 bis 150 IDM Obcrl50IDM I Angaben in Prozent.
Quelle: Bischoff(1991), S. 14.
11 Wiegand
44
Teil D: Der Aufvtieg in Führungspositionen
162
Ein Blick auf die verschiedenen Wirtschaftszweige ergibt folgendes Bild (siehe Tabelle 13): Tabelle 13:
Einkommen nach Wirtschaftszweigen I Minner 1991
Frauen
1986
Handel
1991
1986
bis 100TDM
26
29
S1
62
101 bis200TDM
6S
71
43
38
Ober200TDM
9
2S 1S
ss
66
43
34
Industrie bis 100TDM
16
101 bis 200 TOM
62
Ober200TDM
22
2
DienstleJstun&sbetriebe bis 100TDM
8
20
44
S1
101 bis200TDM
82
80
S4
41
Ober200TDM
10
2
I Angaben in Prozent. Quelle: Bischoff(l991), S. 18.
Während fast ein Viertel der Männer in der Industrie über 200 TDM verdient, sind mehr als die Hälfte der Frauen in der Einkommensklasse unter I 00 TDM zu finden. Auch im Handel ist der Anteil der Frauen, die unter I 00 TDM verdienen, noch mehr als doppelt so hoch wie der Anteil der Männer. Der Zuwachs von Frauen in Führungspositonen im Dienstleistungsbereich hat ihre stagnierende Einkommensentwicklung in diesem Sektor im Vergleich zu 1986 nicht wesentlich verbessern können. Während 1986 knapp dreimal so viel Frauen wie Männer unter 100 TDM verdienten, sind es 1991 mehr als fünfmal so viel. Fast alle Männer (92 %) verdienen im Dienstleistungsbereich inzwischen über I00 TDM, aber nur etwas mehr als die Hälfte der Frauen (56 % ).
VI. Frauen in Führungspositionen
163
Zusammengefaßt zeigt sich, daß Frauen einen deutlichen Gehaltsnachteil gegenüber Männern haben, der zwischen 1986 und 1991 nicht ausgeglichen werden konnte. Frauen konnten 1991 gehaltlich noch nicht das realisieren, was die Männer bereits 1986 erreicht hatten. Dies gilt auch bei gleicher hierarchischer Ebene, in derselben Branche, in Unternehmen gleicher Größenordnung, bei Ausübung gleicher Funktionen, bei gleichem Alter und bei gleicher Ausbildung. 1.6 Familiärer Hintergrund
Im Jahr 1991 sind die meisten Männer in Führungspositionen (94 %) an eine feste Partnerin gebunden oder verheiratet. Dies gilt inzwischen auch für 68 % der weiblichen Führungskräfte, gegenüber 58 % im Jahr 1986. Dagegen leben 32 % der Frauen in Führungspositionen ohne festen Partner, aber nur 6 % der Männer. Nach wie vor haben 62 % der weiblichen Führungskräfte keine Kinder, aber nur 13 % ihrer männlichen Kollegen. Zugleich können sich 52 % der Männer auf eine Hausfrau als Ehefrau/Partnerin stützen. Je höher die hierarchische Position ist und je mehr die Männer verdienen, desto höher ist der Anteil der Hausfrauen unter den Ehefrauen/Partnerinnen. Dem steht lediglich 1 % der Frauen gegenüber, die angaben, einen Hausmann als Ehemann/Partner zu haben. 2. Berufliche Entwicklung 2.1 Leistungs- und Berufsmotivation
Es wird häufig angenommen, Frauen hätten eine spezifisch weibliche Leistungs- und damit auch Berufsmotivation. Für Frauen hätte der Beruf einen geringeren Stellenwert als für Männer, weil ihnen Partnerbeziehungen, Familie und Kinder mindestens genauso wichtig seien. Hinzu kommt die Annahme, Frauen setzten andere berufliche Prioritäten. Männer seien eher durch äußere Antriebe (extrinsisch) motiviert und strebten Ziele wie hohes Einkommen, Macht und Ansehen an. Demgegenüber seien Frauen durch die von einer Aufgabe ausgehenden Anreize motiviert (intrinsische Motivation) und legten mehr Wert auf die BefriediII*
164
Teil D: Der Aufstieg in Führungspo.vitionen
gung sozialer Bedürfnisse, Kontakte und auf soziale Harmonie. 548 Diese Hypothesen werden oftmals zur Begründung der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen herangezogen, und damit wird den Frauen die Schuld dafür selbst zugeschrieben. Abgesehen von der Frage, warum Frauen dieselben Motive wie Männer haben und sich auch in demselben Maße und auf dieselbe Art beruflich engagieren sollten (denn jede Abweichung stellt aus der Sicht des Mannes ein Defizit dar), ist zu prüfen, ob eine spezifisch weibliche Leistungs- und Berufsmotivation nachgewiesen werden kann. Die zahlreichen amerikanischen Untersuchungen zur Leistungsmotivation von Frauen kommen auch hier zu widersprüchlichen Ergebnissen.549 Gleichwohl ziehen viele Autoren den Schluß, daß die Leistungsorientierung von Frauen "anders" sei als bei Männern. Einige weisen auf eine sinkende Leistungsmotivation der Frau unter Wettbewerbsbedingungen hin, andere bescheinigen der Frau Leistungsmotivation nur in als feminin definierten Gebieten. Wieder andere Studien wollen herausgefunden haben, daß Frauen ihre Leistungsmotive stellvertretend durch den Ehemann und die Kinder befriedigen. 550 Eine jüngere Untersuchung aus der Bundesrepublik Deutschland551 kommt zu dem Ergebnis, daß keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der beruflichen Motivation bestehen. Dabei war die Ausgangsfragestellung die folgende:552 - Trifft es zu, daß Frauen, das heißt einer Mehrheit von Frauen, der Beruf insgesamt weniger wichtig ist als Männern, daß sie sich, anders ausgedrückt, beruflich weniger engagieren? - Trifft es zu, daß Frauen, das heißt eine Mehrheit von Frauen, eine andere Rangordnung beruflicher Ziele haben, daß für sie Karriereziele wie beruflicher Aufstieg, berufliches Ansehen, hohes Einkommen geringere Bedeutung haben? Und daß sie statt des548 Vgl. KRAAKINORD-RÜDIGER (1984), S. 2. 549 Vgl. hierzu ALPER (1974). 550 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 22. 551 Vgl. KRAAKfNORD-RüDIGER (1984). 552 Vgl. ebenda, S. II.
VI. Frauen in Führungspositionen
165
sen Ziele wie die Befriedigung sozialer Bedürfnisse und Selbstverwirklichung im Beruf höher bewerten? Die empirische Prüfung dieser Thesen ergab, daß sich Frauen und Männer in ihrer beruflichen Motivation nicht unterscheiden und auch die Rangfolge ihrer beruflichen Ziele in hohem Maße übereinstimmt. 553 Beiden Geschlechtern sind berufliche Ziele gleich wichtig. Bei den Frauen haben berufliche Ziele keinen niedrigeren Stellenwert als beiMännemim Vergleich zu partner- bzw. farnBenbezogenen und privaten Zielen.554 Diese Ergebnisse überraschen insofern, als es sich bei der befragten Gruppe um überwiegend niedrig qualifizierte Personen handelt und in dieser Gruppe größere Unterschiede bezüglich der Motivation erwartet werden als bei (karriereorientierten) Führungskräften. Allerdings liegt das Durchschnittsalter der Befragten mit 24 Jahren verhältnismäßig niedrig.555 Unterschiede zeigten sich jedoch bei den Annahmen über die beruflichen Chancen. Über ein Drittel der Frauen nimmt an, daß sich berufliche Weiterbildung für sie weniger auszahlt als für Männer. Frauen rechnen auch weniger damit, daß neue berufliche Positionen größere Selbständigkeit und die Möglichkeit, eigene Ideen und Vorschläge durchzusetzen, bedeuten. 556 Dieses Ergebnis verdeutlicht, daß aus dem beruflichen Verhalten der Frauen nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf die berufliche Motivation gezogen werden können.557 Die in dieser Untersuchung befragten Frauen hatten größtenteils (84 %) noch keine Kinder. Daher vermuten die Autoren, daß ihre Ergebnisse anders ausgefallen wären, wenn der Anteil der Mütter größer gewesen wäre. Sie weisen aber auch darauf hin, daß der Schluß, Müttern seien berufliche Ziele weniger wichtig, voreilig wäre. Für sie liegt die Vermutung näher, "daß sich Frauen notgedrungen den Verhältnissen anpassen, vor allem der Auffassung, daß es ihre Aufgabe sei, die Kinder zu betreuen"558. 553 Vgl. ebenda, S. 39 ff. 554 Vgl. ebenda, S. 67. 555 Vgl. ebenda, S. 22 f.
556 Vgl. ebenda, S. 67 f. 557 Vgl. DOMSCHIREGNET (1990), S. II I. 558 KRAAKINORD-RÜDIGER (1984), S. 71.
166
Teil D: Der Au(.ftieg in Führungspositionen
2.2 Einsatzbereitschaft und berufliche Prioritäten
Eine vergleichende Analyse der Einstellungen von berufstätigen Männern und Frauen des Allensbacher Instituts für Demoskopie559 bestätigt zunächst nicht die These, Frauen seien weniger als Männer bereit, dem Beruf ein derart starkes Gewicht einzuräumen, wie es eine Führungsposition verlange. Die durchschnittliche Einsatzbereitschaft für den Beruf ist bei Frauen und Männern etwa gleich ausgeprägt. Für 51 % der Frauen und 57 % der Männer ist der Beruf so wichtig, daß sie oft mehr tun. als von ihnen verlangt wird und auch manches Opfer dafür erbringen. Bei Frauen und Männern in mittleren und oberen Führungsebenen ist diese Einstellung noch weiter verbreitet (85% bzw. 82 %).560 Allerdings weichen bestimmte Einstellungen und Verhaltensweisen der weiblichen Führungskräfte von den männlichen ab. Grundsätzlich lassen sich Frauen und Männer in Führungspositionen kennzeichnen durch ausgeprägtes Selbstbewußtsein, Entschlußfreude, Durchsetzungsfähigkeit, Meinungsführerqualitäten und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Doch ist die Freude an einer Führungsrolle bei Frauen weniger ausgeprägt. Sie schätzen eher "einsame" Tätigkeiten und nicht den ständigen Kontakt zu anderen, der ihre Führungsrolle hervorhebt. 561 Auch die berufliche Prioritätensetzung zeigt, daß Frauen Führungspositionen weniger um der Führungsrolle willen anstreben als Männer. Die Aufstiegsmöglichkeiten sowie die Möglichkeit, andere Mitarbeiter zu führen, sind für Frauen weniger von Bedeutung als für männliche Kollegen auf der mittleren und oberen Führungsebene. In dieser Beziehung unterscheiden sich Frauen auf mittleren und oberen Führungsebenen auch von den Frauen auf der unteren Führungsebene, die der Möglichkeit zur Führung von Menschen ebenfalls größeres Gewicht beimessen. 562 Die Berufszufriedenheit und die Identifikation mit dem Beruf ist bei Fauen in mittleren und oberen Führungsebenen größer als bei ihren männlichen Kollegen in gleicher Position. 77 % dieser 559 Vgl. KöcHER (1989). 560 Vgl. ebenda, S. 19. 561 Vgl. ebenda, S. 20. 562 V gl. ebenda.
VI. Frauen in Führungspositionen
167
Frauen sind mit ihrem Beruf "voll und ganz zufrieden" gegenüber 63 % ihrer männlichen Kollegen. Gleichwohl geben Frauen in Führungspositionen überdurchschnittlich oft an, von Selbstzweifeln und gelegentlichen Gefühlen der Sinnlosigkeit eingenommen zu werden. Dies kann möglicherweise mit den Schwerpunkten ihrer Lebensinhalte in Verbindung stehen. Die Fürsorge für die Familie und für Kinder ist für Frauen in Führungspositionen weniger von Bedeutung als für Männer in vergleichbaren Positionen.563 Bei ihnen ist der Wunsch größer, sich selbst zu beweisen, positive Resonanz zu finden und das Leben zu genießen. 564 3. Beruflicher Werdegang Dem beruflichen Werdegang wird in einer Untersuchung von Domsch565 nachgegangen. In dieser Untersuchung wurden 337 weibliche und 427 männliche Führungs( nachwuchs- )kräfte aus 22 Unternehmen, die vier verschiedenen Branchen angehören, schriftlich befragt. Für den beruflichen Werdegang ist es von großer Bedeutung, ob Positionen in Linien- oder Stabsfunktionen eingenommen werden, weil Linienfunktionen in der Regel eine bessere Ausgangsbasis für den beruflichen Aufstieg darstellen. 566 Schon hier zeigen sich signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede. In der genannten Untersuchung sind 80 % der männlichen Direktoren in einer Linienfunktion tätig, aber nur 60 % der Direktorinnen. Bei den Hauptabteilungsleitern hatten 56 % der weiblichen und 22 % der männlichen eine Stabsposition inne. Auch bei den Abteilungsleitern ist der Anteil der weiblichen Stabskräfte (50 %) signifikant höher als bei den Männern (36 % ). Diese geschlechtsspezifischen Ergebnisse zeigen sich nur für die höheren Positionen, nicht jedoch für die Einstiegspositionen. Daraus wird geschlossen, daß weibliche Führungs(nachwuchs-)kräfte ihren beruflichen Weg eher über eine Fachlautbahn gehen als über eine Führungslaufbahn.
563 Vgl. ebenda, S. 20 f. 564 Vgl. ebenda.
565 Vgl. AUTENRIETH/CHEMNITZERIDOMSCH (1993). 566 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1992), Sp. 240.
168
Teil D: Der Aujvtieg in Führungspositionen
Die durchschnittliche Verweildauer in einer Position ist ein Zeichen für einen kontinuierlichen Karriereverlauf. Bleibt ein Mitarbeiter ungewöhnlich lange auf einem Posten, so kann dies bedeuten, daß er keine Möglichkeit zur Verbesserung der beruflichen Situation hatte. Die Analyse der durchschnittlichen Verweildauer ergab bei Domsch keine signifikanten geschlechtsspezifischen Ergebnisse. Die Verweildauer liegt je nach Position zwischen drei und sechs Jahren und steht zudem in starkem Zusammenhang zum Alter der Führungskraft Unternehmenswechsel werden überwiegend von solchen Mitarbeitern vorgenommen, die ihre Karriere konsequent verfolgen und mit dem Wechsel einen weiteren Karriereschritt gehen wollen. Von den bei Domsch befragten weiblichen Führungs(nachwuchs-) kräften hatten 38% das Unternehmen schon einmal gewechselt, bei den männlichen Kollegen waren es 45 %. Je älter die Befragten waren, desto eher hatten sie bereits einen Wechsel hinter sich. Ein Drittel der weiblichen Führungs( nachwuchs-)kräfte in der Altersklasse von 31 bis 35 Jahren hatte einen Wechsel hinter sich. In der Altersklasse von 36 bis 40 Jahren waren es 22 %. Bei· den männlichen Befragten waren es 23% bzw. 21 %. Dies deutet darauf hin, daß weibliche Führungs( nachwuchs-)kräfte ebenso wie ihre männlichen Kollegen Unternehmenswechsel zur Förderung der eigenen Karriere vornehmen. 4. Weiterbildung und Personalentwicklungsmaßnahmen Die Zugangsmöglichkeiten zu den angebotenen Weiterbildungsveranstaltungen in einem Unternehmen geben Aufschluß über die Förderung der Nachwuchskräfte in diesem Unternehmen. Ein erschwerter Zugang läßt mangelndes Interesse eines bestimmten Mitarbeiters an seiner Weiterbildung oder des Unternehmens an der Entwicklung seiner Mitarbeiter vermuten. Die nachfolgend beschriebenen Ergebnisse stützen sich wieder auf die Studie von Domsch. Als eine Zugangsart zu ihrer Weiterbildung gab die Mehrzahl der weiblichen (81 %) und männlichen (82 %) Befragten die Absprache mit dem Vorgesetzten an. Zugleich konnten aber auch knapp zwei Drittel von ihnen (Frauen: 60 %, Männer: 62 %) eine eigenständige Wahl treffen. Demgegenüber erfolgten direkte Wei-
VI. Frauen in Führungspositionen
169
sungen durch den Vorgesetzten nur bei wenigen Befragten (Frauen: 15 %, Männer: 17 %). Signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede konnten bei keiner Zugangsregelung ermittelt werden. Es ist folglich davon auszugehen, daß die weiblichen Führungs( nachwuchs-)kräfte denselben eigen- und mitbestimmten Zugang zu den Weiterbildungsveranstaltungen haben. Zu diesem Ergebnis kommen auch die Interviews, die Domsch für seine Studie durchführte. 567 Der Umfang der Weiterbildung ist bei den männlichen und weiblichen Führungs( nachwuchs-)kräften auf gleich hohem Niveau. Sie waren im Durchschnitt etwa drei Wochen in 1,5 Jahren auf Weiterbildungsveranstaltungen (Frauen: 16,4 Tage, Männer 15,9 Tage). Bei der Art der Weiterbildungsveranstaltungen erfolgt eine prozentuale Abstufung der Häufigkeit der Besuche von Fachseminaren über Führungsseminare zu Fachtagungen und Persönlichkeitsseminaren. Dies ist damit zu erklären, daß Mitarbeiter zunächst in Fachseminaren weitergebildet werden, bevor sie andere Veranstaltungen besuchen. Dem liegt die Annahme zugrunde, daß Fachund Führungskräfte zuerst fachlich kompetent sein sollten. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Weiterbildungsveranstaltungen zeigen sich vor allem in bezug auf die Führungsseminare, die von bedeutend mehr befragten Männern als Frauen besucht wurden. Dieser Unterschied korreliert allerdings mit der bei Domsch festgestellten geringeren bisherigen Führungsverantwortung der befragten Frauen. Da sich jedoch alle Befragten zumindest als Führungsnachwuchskraft betrachten, ist zu vermuten, daß Frauen in nächster Zukunft eben auch signifikant weniger für die Übernahme von Führungsverantwortung vorgesehen sind. Dieser Vermutung steht jedoch die obige Aussage eines identischen Zugangs zu Weiterbildungsveranstaltungen von Frauen und Männern gegenüber, wonach der geringere Besuch der Frauen von Führungsseminaren auf ihre eigene Entscheidung zurückzuführen sein müßte. Bei den übrigen genannten Kategorien Fachseminare, Fachtagungen und Persönlichkeitsseminare gab es keine signifi-
567 Vgl.
AUTENRIETH/CHEMNITZERIDoMSCH
(1993).
170
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
kanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern über alle Branchen hinweg.568 Bei der Frage nach der Notwendigkeit von Weiterbildungsmaßnahmen, die ausschließlich für Frauen angeboten werden, tendiert die Meinung aller Befragten zu einer Ablehnung solcher Veranstaltungen. Lediglich das Argument, damit ein Forum für einen frauenspezifischen Erfahrungsaustausch zu schaffen, wurde nicht entschieden abgelehnt. Nur etwa die Hälfte aller weiblichen und männlichen Führungs(nachwuchs-)kräfte gab an, daß über Weiterbildungsaktivitäten hinaus für sie Personalentwicklungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Vorgesetzten und/oder der Personalabteilung erarbeitet werden.569 Dies zeigt einen nicht besonders hohen Stellenwert der betrieblichen Personalentwicklung. Allerdings ergeben sich im Branchenvergleich deutliche Unterschiede. So werden bei den Unternehmen des Banken- und Versicherungsbereichs erheblich mehr Personalentwicklungsmaßnahmen für die Führungs(nachwuchs-)kräfte ausgearbeitet als in den lndustrieunternehmen. Zudem zeigen sich Unterschiede bei den angewandten Maßnahmen zur Personalentwicklung (z. B. mehrjährige Laufbahnplanung, planmäßiger Arbeitsplatzwechsel, Trainee-Programm), die sich aber nicht auf das jeweilige Geschlecht zurückführen lassen.
5. Parameter des beruflichen Aufstiegs Zu den wesentlichen Parametern einer beruflichen Laufbahn zählen die an die Mitarbeiter gestellten Anforderungen sowie die generellen Einflußfaktoren und die Hindernisse in den jeweiligen Unternehmen. Bei der Befragung nach den wichtigen Faktoren einer Karriere in ihrem Unternehmen differierten die Antworten der bei Domsch befragten Frauen und Männer kaum in der Rangfolge dieser Faktoren (siehe Tabelle 14). 568 Innerhalb mancher Branchen waren Unterschiede erkennbar. Vgl. ebenda, S.
150.
569 Dieses Ergebnis ist insofern zu relativieren, als davon auszugehen ist, daß ein großer Teil der Befragten die Weiterbildung zwar als Teil der Personalentwicklung, nicht aber als Personalentwicklungsprogramm betrachtet.
VI. Frauen in Führun!fspositionen
171
Tabelle 14: Einflußfaktoren einer Karriere I Rang Einfluß in'Ye F F Einflußfaktoren
Einfluß Rang ino/e M M
I
93
Leistung
94
I
2 3
84 84
Qualifikation Bekanntheitsgrad bei höheren FOhrungslcrlften
87 8S
2 3
4
83
"zur rechten Zeit arn rechten Ort"
77
s
s
82
persönlicher Erfolg
82
4
6
73
Karrierestreben
6I
7
7
67
Mobilitltsbercitschaft
71
6
8
60
GlOck
S6
9
9
57
Tätigkeit in einer bestimmten Abteilung
56
8
IO
44
Auslandseinsatz
43
IO
ll
40
soziale Kompetenz (Beliebtheit)
42
ll
I2
29
Erfolgslage des Unternehmens
30
l3
l3
26
Rückhalt bei Familie/Partner/Freunden
37
I2
1 Prozentangaben für alle Befragten, die den Einfluß als normal bis groß bewenet hatten. Quelle:
AUTENRIETHICHEMNITZERIDOMSCH ( 1993),
S. 160.
An erster Stelle der Einflußfaktoren steht sowohl bei den weiblichen als auch den männlichen Führungs( nachwuchs-)kräften die Leistung. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, daß die Leistung in normalem Ausmaß eine Karriere im Unternehmen beeinflußt. Allerdings betrachten 43 % der. männlichen, aber nur 33 % der weiblichen Befragten den Einfluß der Leistung auf die Karriere in einem mehr als normalen Maß für bedeutend. Ebenso rechnen die Männer der Qualifikation eine höhere Bedeutung zu als die befragten Frauen.
Teil D: Der Auf:vtieg in Führungspositionen
172
Als weiterer wichtiger Einflußfaktor wird der persönliche Erfolg gesehen. Dies verdeutlicht nochmals die Bedeutung, die der individuellen Leistung beigemessen wird. Erfolg, der keine Beachtung findet und nicht der richtigen Person zugeordnet wird, übt keinen Einfluß auf die berufliche Laufbahn aus. Nach den klassischen personenbezogenen Kriterien Leistung und Qualifikation wird den Einflußfaktoren "Bekanntheitsgrad bei höheren Führungkräften" und "zur rechten Zeit am rechten Ort" große Geltung beigemessen. Frauen betrachten beide Faktoren für bedeutsamer als ihre männlichen Kollegen. Dies könnte darauf hinweisen, daß Frauen die Bedeutung informeller Netze innerhalb des Unternehmens kennen und höher bewerten als die Männer. Tabelle 15:
Förderliche Eigenschaften für eine Karriere
Rang Relevanz 1)
Relevanz 1) Rang
F
F
Ei2enschaften
M
M
1 2 3 4
73 62 61 56 53 52 51 48 47 45
Engagement, Einsatzbereitschaft
Durcbsetzungsvennögen
65 54 58 54 45
Fachkompetenz, Qualifikation
40
Streßßhigkeit
s
6 7 8 9
10
36
Teamfthigkeit
so
1 3 2 4 7 8 10
Ftlhrungskompetenz
46
6
Entscheidungsflhigkeit,
36
11
36 35 31
12 14
32 27
13 15
16
16
Selbstvertrauen, Selbstdarstellung Konununikationsfthigkeit geistige FlexibiliW
s
Risikobereitschaft
11
12 13
35 32 31
Kreativitlt, lnnovationsfthigkeit analytisches Denken Sensibilitlt, soziale Kompetenz,
9
emotionale Ausdrucksßhigkeit
14 15
30 28
strategisches Denken
16
20
Karriereorientierung
Behammgsvennögen, Geduld, Ausdauer
I) Prozentangaben für diejenigen Befragten, die bei der Bewertung "sehr relevant" angaben. Quelle:
AUTENRIETHICHEMNITZERIDOMSCH
(1993), S. 165.
VII. Resümee
173
Bei der Frage nach den besonders wichtigen persönlichen Eigenschaften, die für eine berufliche Laufbahn erforderlich sind, stuften die befragten Frauen und Männer die genannten Charakteristika im wesentlichen ähnlich ein (siehe Tabelle 15). Lediglich in sechs von sechzehn Fällen zeigen die Antworten deutliche Geschlechtsunterschiede. Für etwa drei Viertel aller befragten Frauen und fast ebenso viele Männer sind Engagement und Einsatzbereitschaft des einzelnen als sehr wichtig für die Berufslaufbahn anzusehen. Des weiteren werden von beiden Seiten Selbstvertrauen und Selbstdarstellung, Kommunikationsfähigkeit und geistige Flexibilität als relevante Karrierefaktoren gesehen. Als Karrierehindernisse werden sowohl von Frauen als auch· von Männern an erster Stelle inkompetente Vorgesetzte genannt, gefolgt von "Seilschaften", Vorbehalten gegenüber Frauen, Vorbehalten gegenüber neuen Mitarbeitern und Neid der Kollegen. Über die Hälfte der (weiblichen und männlichen) Befragten sieht die größte Behinderung in inkompetenten Vorgesetzten. Die weiblichen Führungs( nachwuchs-)kräfte empfinden dieses Hemmnis deutlich höher als ihre männlichen Kollegen. An zweiter Stelle der Karrierehindernisse stehen die Seilschaften in den Unternehmen, die zwar sowohl von den befragten Frauen als auch den Männern genannt werden, denen aber von den Frauen ein größerer Einfluß beigemessen wird.
VII. Resümee Das wirtschaftliche Leistungsprinzip ist trotz bestehender Probleme der Leistungsmessung und -bewertung vermutlich das bedeutendste Kriterium bei beruflichen Aufstiegsentscheidungen, obgleich neben ihm weitere Kriterien Anwendung finden. Die (übliche) weibliche Lebensplanung steht nun aber in einem Spannungsverhältnis zum wirtschaftlichen Leistungsprinzip. Die Arbeitsanforderungen sind gegeben, stellen also für die Marktteilnehmer (Arbeitskräfte) ein Datum dar, können jedoch von Frauen in der Regel nicht im gleichen Maße erfüllt werden wie von Männern, da ihnen meist die Haushalts- und Familienarbeit zugeschrieben wird, die eine "doppelte" Arbeitsbelastung erzeugt.
174
Teil D: Der Aufstieg in Führungspositionen
Neben der prinzipiellen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft kommen als weitere Anforderungen an Führungskräfte bestimmte, als erwünscht geltende Führungseigenschaften hinzu. Die hier genannten Eigenschaftskombinationen werden allerdings in traditioneller stereotyper Weise dem Mann zugeschrieben, so daß Frauen den (vergleichsweise) schweren Beweis anzutreten haben, ebenfalls Führungsqualitäten zu besitzen. Dies sind jedoch lediglich erste Hinweise zur Erklärung des Minderheitenstatus von Frauen im Führungsbereich. Darüber hinausgehende Determinanten sollen nachfolgend gefunden werden.
TeilE Determinanten der Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich I. Frauenspezifische Erklärungsansätze I. Personale Barrieren
1.1 Bildungsvoraussetzungen Eine mangelnde schulische Ausbildung kann den Frauen heute nicht mehr nachgesagt werden. Während ihr Anteil an den Abiturienten 1973 noch bei 36% lag, ist er bis zum Jahr 1990 auf 45% angestiegen. Ebenso stieg der Anteil der Studentinnen in diesem Zeitraum von 32 % (Sommersemester 1972) auf 38 % (Wintersemester 1990/91 )570. Da dieser Anstieg jedoch erst Ende der 70er Jahre in Gang gekommen ist, kann ein Teil der heutigen Unterrepräsentierung von Frauen in Führungspositionen, insbesondere auf den höchsten Ebenen, mit einer mangelnden Qualifikation erklärt werden. Dies läßt sich beispielhaft wie folgt erklären: Führungskräfte rekrutieren sich in der Bundesrepublik Deutschland - mit steigender Tendenz - überwiegend aus Absolventen wirtschafts-, rechts- und ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge. Zugleich liegt das Durchschnittsalter bei der Berufung in den Vorstand in Deutschland bei 46 Jahren.57 1 Das bedeutet, daß die Akademiker unter den heutigen (jüngeren) Vorstandsmitgliedern vor etwa 20 Jahren ihr Studium abgeschlossen haben. Im Sommersemester 1972 haben jedoch nur 64 (deutsche) Studentinnen im Fach Volkswirtschaftslehre und 74 im Fach Betriebswirtschaftslehre ihre Diplomprüfung abgelegt (im Vergleich zu 1.665 männlichen Studenten).572 In den Technischen WissenschaftenS73 waren es sogar nur 51 Frauen, 570 Eigene Berechungen für das alte Bundesgebiet nach dem Statistischen Jahrbuch 1975 und 1991. 571 Vgl. POENSGEN (1982}, S. S. S72 Vgl. Statistisches Bundesamt ( 1974}, S. 94. 573 Hierzu zählen Architektur, Vermessungswesen, Bauwesen, Maschinenbau,
Schiffbau, Augzeugbau, Elektrotechnik, Berg- und Hüttenwesen.
176
TeilE: Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich
aber 1.617 Männer, die einen Abschluß gemacht haben.574 Zudem ist davon auszugehen, daß ein Teil dieser wenigen Frauen aus Familiengründen aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, da die Geschlechtsrollenzuweisung vor 20 Jahren noch stärker ausgeprägt war als heute. Obwohl dieses Beispiel im Hinblick auf die Vorstandsebene konstruiert wurde, läßt es sich auch auf die HauptabteilungsleiteTebene und teilweise wohl auch auf die Abteilungsleiterebene übertragen, weil der Aufstieg in diese Hierarchieebenen einige Jahre Berufspraxis voraussetzt. Auch Personalberater berichten heute von großen Schwierigkeiten, ihren Mandanten qualifizierte Frauen für ·Führungspositionen zu vermitteln, denn oftmals steht ihnen überhaupt keine Frau zur Vermittlung zur Verfügung.575 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Befragung von knapp 12.000 Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ergab, daß auf die Frage nach den Gründen für die Besetzung der letzten Führungsposition mit einem Mann von 62 % der befragten Betriebe und damit am häufigsten - genannt wurde, daß keine geeignete BewerbeTin zur Verfügung stand.576 Hier wird in Zukunft eine Besserung eintreten, da der Frauenanteil in den Wirtschaftswissenschaften in den vergangeneo Jahren stark angestiegen ist (auf 33 %577) und somit ein weibliches Führungsnachwuchskräftepotential besteht. Andererseits hat sich trotz zahlreicher Initiativen der Anteil der Studentinnen in den technischen Fächern kaum erhöht und erreicht in den meisten Fächern noch keine zweistellige Zahl (Ingenieurwissenschaften insgesamt: 12,5 %, Elektrotechnik: 3,5 %, MaschinenbauNerfahrenstechnik: 9 %). Dagegen ist der Frauenanteil in den Sprach- und Kulturwissenschaften mit knapp 63 % weiterhin sehr hoch. Demzufolge studieren Frauen heute noch stärker als Männer am führungsrelevanten Arbeitsmarkt vorbei.
574 Vgl. Statistisches Bundesamt (1974), S. 94. 575 Vgl. z. B. MüLLER (1988), S. 117. 576 Vgl. ENGELSRECH/KRAFT (1992), S. 23. 577 Alle folgenden Prozentangaben sind eigene Berechnungen nach dem Statistischen Jahrbuch 1992 und beziehen sich auf das Wintersemester 1990/91.
I. Frauenspezifische ErklärunKsansätze
177
Gleichwohl zeichnet sich eine Entwicklung ab, welche die Personalexperten als "Pipeline-Effekt" bezeichnen: Während die Unternehmen in der Vergangenheit kaum Frauen in Führungspositionen eingesetzt haben, weil oftmals keine geeigneten Bewerberinnen zur Verfügung standen, haben sich in den letzten Jahren immer mehr hochqualifizierte Frauen zumindest bis zur mittleren Führungsebene hocharbeiten können. Bis diese jedoch die oberen Führungspositionen einnehmen, wird es noch einige Jahre dauern. 1.2 Mangelnde Karriereplanung und Aufstiegsorientierung
Frauen wird im Gegensatz zu Männern häufig eine mangelnde Karriereplanung angelastet. Während Männer in der Regel ihre Karriere systematisch vorausplanten, hätten Frauen meist keine eindeutige Lebensplanung und somit auch keine damit verbundene Karriereplanung. Sie würden vielmehr ihren beruflichen Werdegang von äußeren Faktoren (Beruf des Partners, Kinder) abhängig machen. Zahlreiche Forschungsergebnisse stützen diese Aussagen. Frauen sind bei der Suche nach einem Arbeitgeber zwar aktiver als Männer578, sie führen aber einen beruflichen Aufstieg öfter als Männer auf glückliche Umstände zurück und weniger auf ihren Ehrgeiz und ihre überdurchschnittlichen Fähigkeiten, wie Männer es tun. Dies sind Anzeichen für ein "Selbstunterschätzungssyndrom" bei Frauen.579 Die Auswirkungen einer Zuschreibung von Erfolg auf Glück zeigen sich darin, daß das eigene Geschick als nicht kontrollierbar angesehen wird, mit der Folge, daß Engagement und Einsatz eher zurückgehen.580 Ist hingegen die Selbsteinschätzung, berufsbezogene Ziele erreichen zu können, sehr groß, so steigen das selbstgesetzte Anspruchsniveau, die Durchhaltebereitschaft und die Ausdauer. Außerdem ist die Risikobereitschaft bei der Übernahme neuer Aufgaben und Verantwortlichkeiten größer.5 81 578 Vgl. STENGEL (1990), S. 83. 579 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1991), S. 387. 580 Vgl. AUTENRIEmiCHEMNITZERIDOMSCH (1993), S. 35. 581 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1991), S. 387 f. 12 Wiegand
178
TeilE: Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich
Untersuchungen zeigen. daß Mädchen bereits im Kindesalter deutlich ängstlicher, zögerlicher und mit weniger Selbstvertrauen an Leistungsanforderungen herangehen als Jungen, indem sie tendenziell ihre persönlichen Erfolgschancen zu niedrig bewerten. 582 Die Selbstunterschätzung von Frauen führt dazu, daß sie zu wenig Forderungen stellen und darauf warten, daß ihr Vorgesetzter die Leistung bemerkt.583 Dieses Verhalten wird dann häufig mit fehlendem Durchsetzungswillen und fehlender Durchsetzungsfähigkeit gleichgesetzt. 584 Eine Ausnahme stellen jedoch Akademikerinnen dar. Frauen mit Studium (als wichtigste Quelle weiblichen Führungsnachwuchses) sind überwiegend von ihren Leistungsmöglichkeiten ebenso überzeugt wie männliche Absolventen585 und zeigen ebenfalls eine identische Aufstiegsorientierung. 586 Dies weist darauf hin. daß Frauen nach einer Investition in eine karriereorientierte Ausbildung auch entsprechend aufstiegsambitioniert sind.587 Für die Gesamtgruppe der Führungskräfte ergibt sich hingegen kein einheitliches Bild bezüglich der Aufstiegsorientierung. Doch scheint bei Männern ein größerer Aufstiegswille vorhanden zu sein. In der empirischen Untersuchung von Bischoff588 streben 41 % der befragten Männer, aber lediglich 31 % der befragten Frauen einen weiteren beruflichen Aufstieg an. 589 Das geringere Aufstiegsinteresse der Frauen ist jedoch nicht nur durch ihre Geschlechtszugehörigkeit bedingt, sondern wird vermutlich auch durch die geringeren Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen verursacht.590
582 Vgl. ebenda. 583 Vgl. AUTENRIETHICHEMNITZERIDOMSCH (1993), S. 35. 584 Vgl. DOMSCHIREGNET (1990), S. 110. 585 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1991), S. 388. 586 Vgl. BISCHOFF ( 1990), S. 46. 587 Vgl. ebenda, S. 47. 588 Vgl. BISCHOFF (1991 ). 589 Vgl. ebenda, S. 46. 590 Vgl. PREUSS (1987), S. 235 ff.
I. Frauenspezifische Erklärungsan.fätze
179
Interviewstudien591 mit Frauen, die es geschafft haben, in Führungspositionen aufzusteigen, belegen, daß eine Vielzahl dieser Frauen ihren Aufstieg nicht zielstrebig geplant hat, sondern auf sich hat zukommen lassen. Die Einstellung vieler Frauen zur Karriere läßt sich mit "es hat sich so ergeben" beschreiben.592 Die Frauen sprachen eher vom Zufall und glücklichen Umständen als von ihrer eigenen Initiative. Frauen neigen zur Bescheidenheit und stellen die eigenen Fähigkeiten und das eigene Können in den Hintergrund. 593 In verschiedenen neueren Untersuchungen594 wurde allerdings auch herausgefunden, daß aufstiegsambitionierte Frauen in ihren allgemeinen Karriereorientierungen zwar zunehmend mit den Männern mithalten können, dabei aber die informellen Karriereaktivitäten unterschätzen, zu denen gehört die richtige Leistung zum richtigen Zeitpunkt bei den richtigen Leuten ins rechte Licht zu rücken.595 Männer beherrschen diese "Spielregeln" grundsätzlich besser bzw. sind eher bereit, sie zu befolgen.596 Zudem durchlaufen Frauen in Organisationen auch häufig einen demotivierenden Lernprozeß. Durch Besser-Sein-Müssen, um Gleiches wie die männlichen Kollegen zu erreichen, stehen sie zum einen überhöhten Leistungsansprüchen gegenüber. Zum anderen haben es weibliche Führungsnachwuchskräfte schwerer, den Zugang zum informellen Förderungsnetz zu erlangen.597 Derartige Schwierigkeiten erweisen sich jedoch nicht selten als bremsend für die Aufstiegsorientierung. 1.3 Erhöhtes Kostenrisiko Als Fluktuation wird jedes auf Dauer angelegte Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus der Unternehmung bezeichnet, das nicht 591 Vgl. z. B. BERNARDONIIWERNER (1986), S. 21 ff.: PREUSS (1987), S. 370. 592 Vgl. HENNIGIJARDIM (1978), S. 78. 593 Vgl. HENES-KARNAHL (1987), S. 18. 594 Vgl. z. B. PAZY ( 1987). 595 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1991). S. 388. 596 Vgl. ebenda. 597 Vgl. ebenda, S. 388 f. 12*
ISO
TeilE: Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich
einseitig betrieblich verfügt wurde. 598 Es zählen folglich weder eine befristete Beurlaubung (Erziehungsurlaub), noch krankheitsbedingte Fehlzeiten (Mutterschutz) zur Fluktuation, da es nicht auf die tatsächliche Dauer einer Abwesenheit ankommt, sondern darauf, daß sie nicht vorübergehend ist. 599 Häufig wird nun die Auffassung vertreten, die Einstellung und/oder Beförderung von Frauen in Führungspositionen, in denen bei einem Ausscheiden des Mitarbeiters hohe Fluktuationskosten (Kosten der Vakanz, Kosten des Personalersatzes, Verlust des Humankapitals) entstehen, stelle ein großes Investitionsrisiko dar, weil Frauen aus familiären Gründen das Unternehmen eher wieder verließen als gleich qualifizierte Männer. 600 Diese Auffassung beruht auf der sozialen Normierung der Primärverantwortlichkeiten der Geschlechter für die Familie. Dem Mann wird dabei die Verantwortung für die Ernährerrolle zugeschrieben, die nur im Notfall wieder aufgegeben werden darf, während sich die Frau im (Rollen-) Konfliktfall gegen die Berufsrolle zugunsten einer Tätigkeit als Mutter und Hausfrau zu entscheiden hat. 601 Demzufolge wird Frauen von vornherein ein höheres Fluktuationsrisiko unterstellt. Die Forschungsergebnisse zu den Fluktuationsraten von Frauen und Männern liefern jedoch ein inkonsistentes Bild. Einige Untersuchungen weisen eine höhere Fluktuation bei Frauen nach602, während andere keine Unterschiede bei männlichen und weiblichen Fluktuationsraten fanden. 603 Dies deutet darauf hin, daß das Geschlecht lediglich eine von vielen Bestimmungsgrößen der Fluktuation ist und anderen Einflußfaktoren ein größeres Gewicht beizumessen ist. Zu diesen Faktoren zählen beispielsweise die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Ausbildungsniveau und die berufliche Stellung.604 Dies zeigt auch eine interne Untersuchung der Firma Messerschmidt-Bölkow-Biohm. Sie ergab, daß die Fluktuationsrate bei qualifizierten Frauen nicht größer ist als bei 598 Vgl. DINCHER (1992), Sp. 875. 599 Vgl. eben da. 600 Vgl. HEFFTNER (1990), S. 148. 601 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1991), S. 389. 602 Vgl. z. B. SABAllliL (1976), S. 78. 603 Vgl. z. B. KIECHL (1989), S. 46. 604 Vgl. DINCHER (1992), Sp. 878.
I. Frauenspezifische Erklärungsan.~ätze
181
den gleichaltrigen (männlichen) Kollegen. Zurückgeführt wurde dieses Ergebnis auf das wesentlich größere Abwerbungsrisiko bei Männern. 605 Beispiele aus der Praxis deuten somit darauf hin, daß die Fluktuation der weiblichen Führungskräfte vermutlich nicht höher ist als die der männlichen. 606 Damit besitzt die Geschlechtsvariable jedoch lediglich einen sehr begrenzten Vorhersagewert für die Fluktuation. 607 Gleichwohl unterscheiden sich die Gründe, die den Austritt aus dem Unternehmen herbeiführen. Während bei Männern in erster Linie die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit oder der Einkommens- bzw. Karrieresprung ("Job-hopping") zu einem anderen Arbeitgeber den Ausschlag zum Unternehmenswechsel geben, ist es bei Frauen überwiegend die Geburt eines Kindes oder die sonstige Unvereinbarkeit des Berufs mit den Familienpflichten. 608 Wird Frauen der berufliche Aufstieg in Führungspositionen nicht ermöglicht aufgrund der Befürchtung, sie könnten nicht lange genug die erforderliche Leistung für das Unternehmen erbringen, so verzichtet das Unternehmen auf die Nutzung eines Mitarbeiterpotentials aus Angst, dieses Potential in Zukunft wieder zu verlieren.609 Ähnliche Überlegungen müßten dann auch bei männlichen Nachwuchskräften stattfinden, da hier die begründete Befürchtung besteht, daß der Mitarbeiter zur Forcierung seines beruflichen Aufstiegs den Arbeitgeber wechselt. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen "Job-hopping" ist bei Frauen wiederum geringer als bei Männern, da sie - wie noch zu zeigen ist - eine geringere Mobilität aufweisen und auch seltener als Männer abgeworben werden. Es bleibt festzuhalten, daß die Fluktuation von Frauen mit hoher beruflicher Qualifikation von den Unternehmen tendenziell überschätzt wird. Diese Fehleinschätzung wird jedoch dadurch perpetuiert, daß sich die Unternehmen durch ihre betriebene Personalpraxis kaum vom Gegenteil überzeugen können. Sobald eine vom Unternehmen geförderte Frau tatsächlich aus familiären Gründen ausscheidet, tritt ein Mechanismus in Kraft, der dazu 605 Vgl. LEYENDECKER (1992), S. 209. 606 Vgl. HEFFTNER (1990), S. 148. 607 Vgl. KIECHL (1989), S. 88. 608 Vgl. SCHNEEVOIGT (1990), S. 172. 609 Vgl. PREUSS (1986), S. 252.
182
TeilE: Unterrepriisentierunl! von Frauen im Führun1fsbereich
führt, daß die nunmehr vakante Stelle "sicherheitshalber" wieder mit einem Mann besetzt wird. Die ausgeschiedene Frau, die als Hoffnungsträger galt und in die investiert wurde, wird als für ihre Geschlechtsgruppe "typisch" bewertet. Damit wird das frühere Vorurteil gegenüber Frauen als bestätigt angesehen, so daß andere aufstiegsfahige Frauen keine Chance mehr erhalten, die bestehenden Vorbehalte zu widerlegen.610. Des weiteren können mangelnde Aufstiegschancen für Frauen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung werden. Sofern sie keine Verantwortung erhalten und ihre Kenntnisse nicht anwenden können, "werden gerade jene Unternehmungen ihnen am meisten Grund für eine Kündigung liefern, welche sie aus Angst vor einer möglichen Kündigung nicht befördern"611. Eine möglicherweise relevante Kostenkomponente bilden allerdings noch die Fehlzeiten. Hierzu zählen u.a. die Kosten für betriebliche Umsetzungen und Einarbeitungen zusätzlich beschäftigter Arbeitskräfte sowie die Kosten der Lohn- und Gehaltsfortzahlung im KrankheitsfalJ.612 Aber auch hier gilt: Je höheJ: die Ausbildung und Qualifikation, je interessanter und verantwortungsvoller die Arbeit, je höher die hierarchische Position, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit von Fehlzeiten - auch bei Frauen.613 Die berufliche Einsatzbereitschaft steigt demzufolge mit der Qualifikation der Tätigkeit. Dies gilt sowohl für Männer als auch für Frauen.614 Frauen haben im Durchschnitt einen geringeren offiziell registrierten Krankenstand als Männer.615 Allerdings hängt der Krankenstand im Einzelfall u.a. vom jeweiligen beruflichen Status und den Arbeitsbedingungen ab. So weisen Arbeiterinnen und Arbeiter grundsätzlich einen höheren Krankenstand auf als Angestellte.616 Des weiteren nimmt die durchschnittliche Dauer je Krankheitsfall 61 0 V gl. FR I EDEL- HOWE ( 1991 ), S. 392. 611 PREUSS (1986), S. 251. 612 Vgl. SALOWSKY (1991a), S. 157. 613 V gl. FOGARTYIRAPOPORT/RAPOPORT ( 1971 ), S. 114. 614 Vgl. SALOWSKY (1991a), S. 158. 615 Vgl. SCHNABELISTEPHAN (1993), S. 134. 616 Vgl. ebenda.
I. Frauenspezifische Erklärun!(.mn.fätze
183
mit zunehmendem Alter kontinuierlich zu, sowohl bei Frauen als auch bei Männern.617 Es wäre aber falsch, von den verhältnismäßig hohen Krankheitszeiten weiblicher Arbeiter auf die der weiblichen Führungs( nachwuchs-)kräfte schließen zu wollen. Bei den Männern werden solche Schlußfolgerungen auch nicht gezogen. Zudem korrespondiert ein hoher Ausbildungsstand wiederum mit einem niedrigen Krankenstand.618 Im Gegensatz dazu sind bei Frauen jedoch höhere Fehlzeiten als bei Männern nachweisbar. Die Fehlzeitenquoten619 weiblicher Arbeiter sind je nach Industriebereich um 0, I Prozentpunkte (Mineralölverarbeitung) bis 5,7 Prozentpunkte (Straßenfahrzeugbau und Zubehör) höher als die der männlichen Arbeiter. Bei den Angestellten sieht es ähnlich aus. Hier liegen die Fehlzeitenquoten der weiblichen Angestellten zwischen 0,6 Prozentpunkten (Textil/Bekleidung) und 3,9 Prozentpunkten (Straßenfahrzeugbau) über denen der männlichen Angestellten.620 Zur Erklärung der höheren Fehlzeiten von Frauen wird häufig die Doppelbelastung der Frau durch Beruf und Familie herangezogen. Verheiratete Frauen mit Kindern fehlen dementsprechend auch häufiger als ledige Frauen.621 Gleichwohl sind auch die Fehlzeiten der Ledigen überdurchschnittlich hoch.622 Die Behauptung, Frauen seien aufgrundihrer Konstitution krankheitsanfälliger, läßt sich jedoch aufgrund der Tatsache, daß sie im Durchschnitt aller Branchen einen geringeren Krankenstand aufweisen, nicht halten. Als wichtigste Ursache für die höheren Fehlzeiten wird daher der im Durchschnitt niedrigere Ausbildungsstand der weiblichen Arbeitskräfte im Vergleich zu den männlichen Kollegen angesehen.623 Daneben dürfte allerdings auch der Mutterschutz624 eine
617 Vgl. SALOWSKY (1991b), S. 53. 618 Vgl. SALOWSKY (1991a), S. 158. 619 Die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf das Jahr 1988. 620 Vgl. SALOWSKY (1991b), S. 52. 621 Vgl. ebenda. 622 Vgl. ebenda. 623 Vgl. ebenda, S. 53. 624 Während der Mutterschutzfristen hat der Arbeitgeber den Differenzbetrag zwischen Mutterschaftsgeld und Nettoverdienst zu zahlen.
184
TeilE: Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich
Rolle spielen, der beispielsweise im Kreditgewerbe knapp 10 % der Gesamtfehlzeit625 aller Arbeitnehmer ausmacht. 626 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch der Erziehungsurlaub, der ex definitione kein Fluktuationsfall ist. Hier entstehen dem Unternehmen Kosten durch die vorübergehende (maximal drei Jahre) Neubesetzung der vakanten Stelle. Insbesondere im Führungsbereich ist es problematisch, zum einen eine geeignete Vertretung zu finden und zum anderen diese nach Ablauf des Erziehungsurlaubs möglicherweise wieder freizusetzen. Ebenso schwierig ist es, einer Rückkehrerin nach einer (dreijährigen) Berufsunterbrechung wieder einen anderen, aber gleichwertigen Arbeitsplatz zu bieten. Neben der Voraussetzung, daß zu diesem Zeitpunkt eine gleichwertige Stelle vakant sein muß, kommt auch die bereits erwähnte Entwertung der beruflichen Qualifikation während der Abwesenheit zum Tragen. Es läßt sich somit zusammenfassend festhalten, daß die Gefahr einer Fehlinvestion aufgrund von Fluktuation aus Familiengründen bei höherqualifizierten Frauen wohl nicht höher einzuschätzen ist als die übliche Fluktuation bei höherqualifizierten Männem. Ein zusätzliches Kostenrisiko besteht demgegenüber bei Frauen nur durch die Inanspruchnahme eines (längeren) Erziehungsurlaubs, was von seiten der Unternehmen in die Kosten-Nutzen-Analyse der weiblichen Mitarbeiter einbezogen wird. 1.4 Eingeschränkte Mobilität und internationale Einsatzmöglichkeiten
Frauen wird häufig unterstellt, sie seien weniger (regional) mobil als ihre männlichen Kollegen. Hintergrund dieser These ist die Vermutung, daß Frauen, sofern sie eine Familie haben, lediglich eine begrenzte Einsatzbereitschaft zeigen und außerdem ihre berufliche Entwicklung an die ihrer Ehe- oder Lebenspartner koppeln.627 Empirische Untersuchungen zeigen, daß solche Vermutungen durchaus eine Berechtigung haben. Männer sind nach wie 625 Der durch Kuren verursachte Anteil an der Gesamtfehlzeit ist mit doch ähnlich zu gewichten. 626 Vgl. SALOWSKY (199lb), S. 53. 627 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1991), S. 391.
7,4% je-
/.
Frauen.~pezifische Erklärungsan.~ätze
185
vor mobiler im Interesse ihrer Karriere als Frauen. So haben 58 % der von Bisehoff befragten männlichen Führungskräfte bereits ein oder mehrmals den Wohnort im Interesse des beruflichen Fortkommens gewechselt. Bei den befragten weiblichen Führungskräften waren es hingegen nur 29 %. 628 Zudem gaben doppelt so viele Frauen wie Männer an, daß ein Wohnortwechsel im Interesse der Karriere in der Vergangenheit nicht erforderlich war.629 Dies legt die Vermutung nahe, daß Frauen häufiger als Männer aus Mobilitätsgründen auf eine an sich mögliche weitere Karriere verzichten.630 Demgegenüber zeigen sich bei der Mobilitätsbereitschaft keine so großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Vielmehr sind 61 % der Männer und 50 % der Frauen bereit, in Zukunft den Wohnort aus beruflichen Gründen zu wechseln.631 Sowohl bei Männern als auch bei Frauen nimmt die Mobilitätsbereitschaft mit steigendem Einkommen zu. Die größte Bereitschaft ist bei Männern auf der ersten Hierarchieebene vorhanden. 632 Entgegen den empirischen Ergebnissen von Bisehoff melden Personalberater ein mit Mobilitätsproblemen begründetes verstärktes Desinteresse männlicher Kandidaten für einen beruflichen Aufstieg. Und dies selbst bei Umzügen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Ortswechsel werden häufig nur dann vorgenommen, wenn die berufliche Situation eine Neuorientierung zwingend erforderlich macht. 633 Sollte es sich hierbei tatsächlich um eine erkennbare Einstellungsveränderung bei männlichen Führungskräften zur Karriere handeln, so würden sich damit die Karrierechancen von mobilen Frauen tendenziell verbessern. Eine besondere Problematik sehen Unternehmen allerdings in der beschränkten Einsatzfähigkeit von weiblichen Führungskräften im Ausland. Vorbehalte bei einem internationalen Einsatz weiblicher Mitarbeiter bestehen in Ländern, in denen gesellschaftliche 628 Vgl. BISCHOFF (1991), S. 81. 629 Vgl. ebenda. 630 Vgl. DOMSCHIKRÜGER-BASENER ( 1989). S. 339. 631 Vgl. BISCHOFF (1991), S. 82. 632 Vgl. ebenda. 633 Vgl. MüLLER (1988), S. 116.
186
TeilE: Unterreprä.ventierung von Frauen im Führungsbereich
oder religiöse Einschränkungen gegenüber Frauen existieren (z. B. Südamerika, arabische Länder, Teile Afrikas), was zur Ablehnung der Frau als Geschäftspartnerin führen kann.634 Entsprechend gering ist auch die Zahl weiblicher Führungskräfte. die für einen Auftrag ins Ausland entsandt werden. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie des Instituts für Personalwesen und Arbeitswissenschaft (I.P.A.), Hamburg.635 In den befragten Unternehmen636 betreffen im Durchschnitt nur knapp 3 % der Entsendungen weibliche Führungskräfte.637 Neben den Vorbehalten der Unternehmen kommen weitere Ablehnungsgründe für einen Auslandseinsatz von seiten der Frauen hinzu. Dies sind in erster Linie schulpflichtige Kinder sowie generelle Immobilität. 638 Für eine Frau, die ins Ausland gehen möchte, spitzt sich demzufolge die Entscheidung für Familie oder Karriere zu. Doch auch für Männer bestehen - wie bereits angedeutet - Grenzen der Mobilitätsbereitschaft In der I.P.A.-Studie werden von männlichen Führungskräften am häufigsten schulpflichtige Kinder und die Weigerung der Partner als Ablehnungsgrund genannt.639 Gleichwohl sehen die vom I.P.A. befragten Unternehmen zukünftig steigende Chancen für Frauen, eine Position im Ausland zu besetzen, und begründen dies mit der steigenden Zahl von Frauen in internationalen Führungspositionen sowie einem steigenden Gesamtbedarf an internationalen Führungskräften. 640 Verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten (z. B. Video-Konferenzen) werden vermutlich die Reisetätigkeiten verringern können. Die Versetzung von Mitarbeitern ins Ausland wird durch die Globalisierung der Märkte jedoch weiterhin notwendig bleiben bzw. noch zunehmen.
634 Vgl. DoMscHIREGNET ( 1990), S. II I. 635 Vgl. DoMscHIGuRTowsKIILicHTENBERGER ( 1991 ). 636 Bei dieser Untersuchung wurden die Personalverantwortlichen von dreizehn
international tätigen Großunternehmen verschiedener Branchen in Deutschland befragt.
637 Vgl. DoMscHIGuRrowsKIILICHTENBERGER ( 1991 ). 638 Vgl. ebenda. 639 Vgl. ebenda. 640 Vgl. ebenda.
I. Frauenspezifische Erkliirun/(sansätze
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2. Familienbedingte Hindernisse
2.1 Doppelbelastung durch Berufund Familie Die Doppelbelastung von Frauen durch Erwerbsarbeit und Hausarbeit stellt ein großes Hemmnis für den beruflichen Aufstieg dar. Die traditionelle Rolle der Frau, dafür zu sorgen, daß dem Mann "der Rücken freigehalten" wird und er sich voll auf seine Berufstätigkeit konzentrieren kann, ist nur sehr schwer mit eigenen Karriereabsichten der Frau zu vereinbaren. Gerade Führungspositionen auf höheren Ebenen erfordern eine große zeitliche Verfügbarkeil der Führungspersonen, die üblicherweise nur dann gewährleistet ist, wenn ein Partner die alltäglichen Arbeiten im Privatbereich (Einkaufen, Kinderversorgung etc.) erledigt. Doch kaum eine Frau hat einen Partner, der sie bei diesen Arbeiten im notwendigen Umfang entlastet. Männer, die einer erfolgreichen Frau den Rücken frei halten, statt selbst Karriere zu machen, sind bislang noch eine Seltenheit.MI Es läßt sich jedoch feststellen, daß mit zunehmendem beruflichen Erfolg einer Frau immer weniger von ihr erwartet wird, daß sie die alleinige Verantwortung für die Haushaltspflichten übernimmt.642 Gleichwohl hängt die Unterstützung des Partners bei der Hausarbeit weiterhin von seinem eigenen Rollenkonzept ab. Zudem kann sich ein ebenfalls beruflich stark engagierter Mann weniger an Haushaltstätigkeiten beteiligen. Gut verdienende Karrierepaare haben hier aber die Möglichkeit, einen größeren Teil der Hausarbeit durch Dritte erledigen zu lassen.643 Die Doppelbelastung von Frauen durch Beruf und Familie wird in der Bundesrepublik Deutschland durch ungünstige Rahmenbedingungen, wie Halbtagsschule und restriktive Ladenöffnungszeiten, zusätzlich erhöht. Außerdem bestehen nur unzureichende Möglichkeiten, die Kosten von Haushaltshilfen steuerlich abzusetzen, obwohl deren Einsatz häufig die Voraussetzung für die Berufstätigkeit der Frauen ist.644 641 Vgi.JusT(I991), S. 13. 642 Vgl. ßLUMSTEIN/SCHWARTZ ( 1983), S. 153. 643 Vgl. SCHMJDT ( 1989). S. 120 f. 644 Vgl. FUNKE (1993), S. 49.
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TeilE: Unterrepräsentlerung von Frauen im Führungsbereich
2.2 Karriereknick durch Familiengründung
Es wurde bereits erwähnt, daß Frauen in Führungspositionen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen wesentlich seltener verheiratet sind und wesentlich seltener Kinder haben. Diese Tatsache läßt vermuten, daß die Unvereinbarung von Familie und Karriere zu den größten Aufstiegshindernissen von Frauen zählt. Bereits zum Zeitpunkt der Familiengründung ist der Karriereknick in den meisten Fällen quasi vorprogrammiert. In den Unternehmen herrscht die Ansicht vor, daß mit der Familiengründung und der Geburt von Kindern das berufliche Engagement der Frauen nachläßt. Die Erfüllung der (traditionellen) Rolle in der Familie wird häufig als unvereinbar mit einer erfolgreichen beruflichen Karriere angesehen. Wird dennoch weiterhin beruflicher Aufstieg angestrebt, so ist dies meist nur möglich, wenn eine sehr kurze Berufsunterbrechung (nur Mutterschutz) vorgenommen wird. Aber selbst ein kurzfristiger Berufsausstieg birgt die Gefahr in sich, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr auf der gleichen Ebene einsteigen zu können. Die Befürchtung einer nachlassenden beruflichen Motivation der Frauen nach einer Familiengründung von seiten der Unternehmen ist durchaus berechtigt; denn de facto versuchen viele Frauen, die sowohl ihrer Familienrolle als auch ihrer Berufsrolle gerecht werden wollen, unter den heute gegebenen Voraussetzungen, einen möglichen Rollenkonflikt dadurch zu vermeiden, daß sie auf einen weiteren beruflichen Aufstieg verzichten und damit die Berufsrolle den Familienaufgaben unterordnen. Solange die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen für die Frau nicht verändert werden, wird sich an diesem Verhalten auch zukünftig wenig ändern. Die Familiengründung führt häufig zu einer langjährigen Familienphase, wodurch sowohl der berufliche Aufstieg, der eine gewisse Stetigkeit in der beruflichen Entwicklung voraussetzt, als auch die Berufsrückkehr im allgemeinen erschwert werden. Die Entscheidung, den Beruf vorübergehend aufzugeben, ist in den meisten Fällen auch eine Entscheidung gegen die berufliche Karriere im Sinne von langfristigem Weiterkommen im Beruf.
I. Frauenspezifische Erklärungsansätze
189
2.3 Potentielle Mutterschaft
Unter ökonomischen Gesichtspunkten stellen Frauen im gebärfähigen Alter für das Unternehmen somit ein permanentes Investitionsrisiko dar. Mögliche Ausfallzeiten durch eine Mutterschaft werden daher in die Kosten-Nutzen-Analyse von Mitarbeiterinnen einbezogen. 645 Dabei ist allein die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, der entscheidende Faktor, unabhängig davon, ob die Frau von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Dies ist aus der Sicht des Unternehmens ein ökonomisch rationales Verhalten, da es keinen Einfluß darauf hat, ob und wann die Frau Kinder haben möchte. Das Risiko einer Fehlinvestition ist aber gerade bei Führungs( nachwuchs-)kräften hoch, da hier üblicherweise eine Förderung über viele Jahre hinweg erfolgt. Da bei Einstellungen die Frage nach einer (geplanten) Schwangerschaft unzulässig ist, gehen die Unternehmen wohl meist von statistischen Mittelwerten oder eigenen Erfahrungswerten bezüglich des Alters bei der Geburt des ersten Kindes aus. Sie stellen damit eine gruppenspezifische Hypothese auf, nach der jede Frau, unabhängig von der eigenen Lebensplanung, als (typisches) "Gruppenmitglied" betrachtet wird, mit den entsprechenden Konsequenzen. 2.4 Kinder und Karriere
Die Vereinbarung von Kindern und Beruf ist für berufstätige Frauen meist nur so lange möglich, wie sich ihr berufliches Engagement in gewissen Grenzen hält. Diese Grenzen sind zwar individuell verschieden, doch bringt eine Beförderung generell auch eine größere zeitliche Belastung mit sich. Dadurch wird die Kombination von Berufsleben und Familie in Frage gestellt. 646 Dabei erreichen Frauen früher oder später einen Punkt, an dem es nicht mehr möglich ist, zusätzliche Zeit in den Beruf zu investieren, ohne Abstriche im privaten Bereich hinnehmen zu müssen. An diesem Punkt müssen sie sich zwar nicht zwischen Familie und Beruf,
645 Siehe Kapitel 1.3 in diesem Teil. 646 Vgl.
PREUSS
(1987), S. 240.
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TeilE: Unterrepriisentierung von Frauen im Führungsbereich
wohl aber zwischen Familie und Karriere entscheiden. 647 Ein solcher Rollenkonflikt, der durch einen Verzicht auf berufliches Weiterkommen gelöst wird, führt meist zu einer Unterordnung der Berufstätigkeit unter die Familienaufgaben. 648 In einer Befragung von Liebrecht, in der 400 weibliche Führungskräfte nach ihren Prioritätensetzungen im Leben gefragt wurden, gaben 49 % der Frauen als langfristige Priorität ihre Karriere an, 32 % legten den Schwerpunkt auf die Familie. Nur 14,7% der befragten Frauen streben Karriere und Familienleben gleichzeitig an, obwohl 44 % der Befragten der Meinung sind, Karrierestreben und Familienleben (mit Kindern) meistern zu können.649 Ein Zwiespalt zwischen Karriere und Familienengagement besteht auch für den Mann. denn auch für ihn bedeutet Beförderung zumeist einen Verzicht auf Zeit, die er mit der Familie verbringt. Doch ihm wird die Entscheidung leichter gemacht als der Frau. Sein berufliches Engagement wird erwartet, und sein Erfolg findet soziale Anerkennung und wird mit einem höheren Status belohnt. Demgegenüber erfährt eine Frau oft Mißbilligung, weil ihre "Vernachlässigung" der Familie nicht so selbstverständlich wie beim Mann akzeptiert wird. Gesellschaftlich wird vielmehr erwartet, daß eine Berufstätigkeit der Frau nicht auf Kosten der Familie geht.650 Will eine Frau trotz Mutterschaft weiterhin eine berufliche Karriere anstreben, so muß sie versuchen, die Vorteile des Mannes, der einen durchlaufenden Lernprozeß erfährt und ein mittlerweile gut ausgebautes Beziehungsgeflecht hat, das ihn fördert, aufzuholen. Das bedeutet, sie muß parallel zur Kindererziehung ihre Berufsidee weiterverfolgen, indem sie die entsprechende Fachliteratur liest, regelmäßig berufsbezogene Veranstaltungen besucht und an Fortbildungsseminaren teilnimmt. Die Frau hat dafür zu sorgen,
647 Vgl. ebenda, S. 240. 648 Vgl. SCHWARTZ ( 1989), S. 67. 649 Vgl. LIEBRECHT ( 1988). 650 Vgl. PREUSS (1987), S. 241.
I.
Frauen.~pez!fi.~che ErklärunJi.Wn.~ätze
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daß sie in der Karriereszene präsent bleibt.651 In der Kindererziehungsphase sollte ein Teil der Freizeit auch Lernzeit sein. 652
2.5 Teilzeitarbeit als Karrieresackgasse Eine Reduktion der Wochenarbeitszeit erweist sich für die meisten Frauen als Karrieresackgasse. Dies liegt einerseits daran, daß aus einer Verminderung der Arbeitszeit von den Unternehmen der Schluß gezogen wird, damit seien zugleich ein verringertes berufliches Engagement und eine geringere Motivation verbunden. Gleichzeitig wird die Auffassung vertreten, Führungsnachwuchsund Führungspositionen seien zeitlich nicht flexibilisierbar und schon gar nicht mit Teilzeitarbeit vereinbar. Zudem wird erwartet, daß die Mitarbeiter ihre Aufstiegsfähigkeit und -Willigkeit durch das Überschreiten der regulären Arbeitszeit dokumentieren. 653 Dementsprechend wird bei Führungskräften wenigstens von einer 50-Stunden-Woche ausgegangen.654 Die Praxis der Unternehmen bestätigt die obigen Annahmen. So werden in vielen Unternehmen Arbeitszeitflexibilisierungen lediglich für Tarifangestellte angeboten, jedoch nicht im für Führungskräfte relevanten AT-Bereich. 655 Wegen der großen Nachfrage nach Teilzeitarbeitsplätzen müssen Frauen häufig ausbildungsinadäquate Tätigkeiten übernehmen. wodurch ein weiterer beruflicher Aufstieg ebenfalls erschwert wird. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren im Jahre 1986 Frauen in Teilzeitarbeit mit 26 % doppelt so häufig als Hilfs- oder angelernte Arbeiterinnen tätig wie die vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Frauen. 656 Da Arbeitsplätze im Führungsbereich kaum als Teilzeitarbeitsplätze bestehen, ist zu vermuten, daß auch zahlreiche hochqualifizierte Frauen aufgrund ihres Teilzeitwunsches unter ihrem Qualifikati651 Vgl. BORKLE (1989), S. 640. 652 Vgl. DOMSCHIREGNET (1990), S. 113. 653 Vgl. FRJEDEL-HOWE (1989), S. 34. 654 V gl. SCHMIDT ( 1991 ), S. 420. 655 Vgl. NEUJAHR-SCHWACHULLAIBAUER (1993), S. 61. 656 V gl. ENGELBRECHIW ARNHAGEN ( 1987). S. 6.
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TeilE: Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich
onsniveau beschäftigt sind und diese Situation mögliche Aufstiegsambitionen behindert. 2.6 Mangelnde Weiterbildung
Sowohl technische als auch organisatorische Neuerungen erfordern eine kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeiter, die ebenfalls eine große Bedeutung für die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen im Unternehmen hat. Für berufstätige Mütter ergeben sich nun aber häufig große Probleme bei der Vereinbarkeit yon Familie und Weiterbildungsmaßnahmen, da sich die Kinderbetreuung während der Teilnahme an den oft mehrtägigen Seminaren in vielen Fällen nur schwer organisieren läßt. Damit ist zum Teil wohl auch die im Vergleich zu Männern deutlich geringere Zahl weiblicher Teilnehmer bei Weiterbildungsaktivitäten zu erklären. Nach einer Umfrage der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände liegt der Frauenanteil bei den Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung von Fachund Führungskräften im Dienstleistungsbereich bei 29 % und in der Industrie bei 7 %.657 Neben dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Weiterbildung liegt eine mangelnde Fortbildung der Frauen jedoch auch an den Unternehmen selbst, da sie im Rahmen ihrer Personalpolitik oftmals zu wenig auf die Weiterbildungswünsche ihrer Mitarbeiterinnen eingehen. Dies geschieht wohl in vielen Fällen auch in der Absicht, Fehlinvestitionen durch Berufsunterbrechungen oder -aufgabe zu vermeiden. Von daher ist es sinnvoll, bereits frühzeitig die jeweiligen beruflichen Entwicklungswünsche der Frauen mit den gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten seitens der Unternehmen abzustimmen.
657 Vgl.
PüCKLERIDIERGARTEN
(1992), S. 995.
II. Organisationsinterne Barrieren
193
II. Organisationsinterne Barrieren 1. Stereotypisierung nach Geschlechtsrollen Soziale Vorstellungsbilder (Stereotype) von den für Frauen "typischen" Eigenschaften und Kompetenzen stimmen kaum mit den stereotypen Vorstellungen über die "typische" Führungsperson überein. Weitgehend entsprechen sie jedoch dem Bild vom "typischen" Mann. Diese Stereotypisierung nach Geschlechtsrollen wirkt erwartungsbildend und damit auch verhaltenssteuernd, was sich als Aufstiegshemmnis für Frauen erweisen kann. Sofern ein Vorgesetzter in einer potentiell aufstiegsfähigen Mitarbeiterin in erster Linie "eine Frau" sieht, wird er von ihr aufgrund der Stereotypisierung kaum Führungsqualitäten erwarten und sie infolgedessen auch nicht diesbezüglich fördern. 658 Eine Studie aus den USA aus dem Jahr 1985 zeigt, daß im Vergleich zu einer Befragung aus dem Jahr 1965, bei der 54 % der Männer und 50 % der Frauen die Ansicht vertraten, daß Frauen Positionen mit Leitungsfunktionen weder wünschen noch erwarten, jetzt nur noch 9 % der Männer und 4 % der Frauen dieser Meinung sind. 659 Während 1965 noch 41 % der befragten Männer eine negative Grundhaltung gegenüber weiblichen Führungskräften hatten, sind es 1985 nur noch 5 %.660 Gleichwohl bleiben die Haltungen gegenüber Frauen im Berufsleben ambivalent. Laut derselben Studie sind weiterhin 20 % der Männer und 40 % der Frauen der Meinung, daß die Geschäftswelt weibliche Führungskräfte nie ganz akzeptieren wird. 661 Obwohl fast 65 % der Befragten angaben, persönlich einverstanden zu sein, für eine Frau zu arbeiten (1965 waren es 51 %), würde sich über ein Drittel von ihnen dabei nicht wohlfühlen. Über die Hälfte der befragten männlichen Führungskräfte will nicht in eine solche Situation kommen.662
658 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1989), S. 33. 659 Vgl. SurroN/MooRE (1985), S. 42. 660 Vgl. ebenda, S. 43. 661 Vgl. ebenda, S. 52. 662 Vgl. ebenda, S. 66. 13 Wiegand
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Nach den Ergebnissen einer anderen amerikanischen Untersuchung halten sogar 28 % der befragten Männer und 18 % der befragten Frauen die geringe Zahl weiblicher Führungskräfte für biologisch bedingt.663 Gegen solche Vorurteile haben auch die deutschen Frauen in leitenden Positionen zu kämpfen. In der Untersuchung von Bischoff664 gaben im Jahre 1990 30 % der befragten Frauen an, in der Aufstiegs- und Durchsetzungsphase durch Vorurteile gegenüber Frauen behindert worden zu sein (1986 waren es nur 19 % ). In der Einstiegsphase waren es 32 % der Befragten. 2. Personalauswahlverfahren Auch bei der Prüfung der Verfahren zur Beurteilung und Auswahl von Führungsnachwuchskräften stellt sich die Frage, ob Frauen hierbei einen Selektionsnachteil hinnehmen müssen. Frauen konkurrieren um solche Positionen, die bislang Männem vorbehalten waren und deren Normen für Geschlechtsgleiche formuliert sind. Die sonst in diesem Bereich gültigen, rein funktionalen Auswahlkriterien werden dadurch in Frage gestellt und zugleich eindeutig nicht-funktionale, geschlechtsspezifische Aspekte hinzugezogen. 665 Außerdem besteht die Gefahr, daß bei steigender Hierarchiestufe nach einer Führungskraft gesucht wird, die "dazu paßt".666 Daraus resultiert das Problem der Persönlichkeit des Auswählenden, der die Bewerber nach eigenen Mustern und Vorstellungen aussucht. Dies kann sich insbesondere für Frauen negativ auswirken, weil aufgrundder Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen nur wenige Vergleichsmodelle herangezogen werden können.667 Personalentscheidungen im Unternehmen werden in erster Linie aus der individuellen Sicht des Beurteilenden auf der Grundlage bestehender Übereinstimmungen von erwartetem und gezeigtem 663 Vgl. WERNERILARUSSA (1985). 664 Vgl. BISCHOFF (1991), S. 56. 665 Vgl. 8ROTHUN (1988), S. 320. 666 Vgl. DOMSCHIREGNET (1990), S. 105. 667 Vgl. ebenda.
II. Organisationsinterne Barrieren
195
Verhalten getroffen. Diese individuelle Sichtweise kann als "implizite Eignungstheorie" bezeichnet werden, die sich aus Erfahrungen, Annahmen, Veränderungssehnsüchten und aus Ängsten vor Veränderungen zusammensetzt. Aus dieser Theorie ergeben sich Eignungskriterien, die nicht unbedingt ausformuliert und getestet sein müssen. Es entstehen vielmehr Wahrnehmungsschemata und Schlüsselbeobachtungen, die dem Entscheidungsträger signalisieren, ob ein Kandidat für das Unternehmen oder eine bestimmte Position geeignet ist. 668 Die Praxis der Führungskräfteauswahl wird von "männlichen" Theorien bestimmt. Die Ursache ist darin zu sehen, daß einerseits die Kriterien für erfolgreiche Führung überwiegend in männlich besetzten Gremien festgelegt werden und andererseits (bislang) fast nur Männer als Leitbilder für die erfolgreiche Führungskraft zur Verfügung stehen. Das Ergebnis einer solchen Kriterienfestlegung ist üblicherweise eine Mischung aus persönlichen Eigenschaften und kognitiven Fähigkeiten (z. B. Durchsetzungsvermögen, Belastbarkeit, Selbstvertrauen). Quasi "nebenbei" werden gerne noch zwischenmenschliche Fähigkeiten (z. B. Toleranz, Offenheit, Mitarbeiterförderung) genannt, die als weibliche Domäne gelten.669 Solche Merkmale werden jedoch nur dann geprüft, wenn die Befragungsmethode ihr Aufkommen zuläßt. 670 Häufig werden diese Merkmale eher als "irgendwie nicht zur eigentlichen Führung gehörig"671 betrachtet. Die Dominanz männlicher Theorien über die Eignungskriterien der Führung672 bedeutet aber für Frauen zwangsläufig, daß sie als weibliche Nachwuchskräfte an eben diesen Kriterien gemessen werden. Solange Frauen in Führungspositionen noch unterrepräsentiert sind, werden die meist männlichen Personalchefs ihre von männlichen Beispielen geleitete Theorie bei Auswahlentscheidungen anwenden. Die Beurteilung von "guten" und "schlechten" Führungs-
668 Vgl. NEUBAUER (1990), S. 29. 669 Vgl. ebenda, S. 30. 670 Vgl. ebenda. 67l Ebenda.
672 Vgl. ebenda. 13*
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kräften erfolgt demnach ebenfalls mit Blick auf die bisher erlebten Männer, d. h. Frauen müssen sich an diesen messen lassen .673 Sind Frauen zur Erhöhung ihrer Erfolgsaussichten bereit, "männliches" Führungsverhalten zu adaptieren, so bleiben sie dennoch mit einem weiteren Problem konfrontiert. Sie müssen auch als Frau weiterhin der impliziten Eigenschaftstheorie genügen. Je nach persönlichen Erfahrungen und Erklärungsansätzen stellen Personalverantwortliche ihre persönliche Hypothese über "gute" und "schlechte" Frauen auf und treffen damit gleichfalls eine Entscheidung über die "gute" oder "schlechte" Frau als Führungskraft Letztlich möchte der Auswähler eine gute Führungskraft, die zugleich eine gute Frau ist. Ein solcher zweiseitiger Blickwinkel (Frau und Führungskraft) kann jedoch beim Auswähler zu Wahrnehmungskonflikten führen. Zwei Beispiele von Neubauer sollen dies verdeutlichen: - "Frau" argumentiert faktisch, spricht eigene und fremde Ziele als diskrepant an, vertritt deutlich eigene Standpunkte. Für manche Männer erfüllt dies Teile des Führungsbildes; gleichzeitig vermissen sie Teile des Frauenbildes. Zu hören ist dann "ein bißeben arg energisch, da haben die Leute wenig zu lachen". - "Frau" äußert Angst und Spannung vor der Auswahlsituation, lächelt viel und bemüht sich, durch freundliches und aufmerksames Eingehen auf die Mitbewerber ein erträgliches Klima herzustellen. Für viele Männer erfüllt das Teile der Frau-Kriterien, verstößt aber gegen Teile des Führungsbildes. Zu hören ist dann: "nettes, harmloses Mädchen; wenn es rauh wird, fehlt es ihr natürlich an Belastbarkeit"; "die könnte ich mir gut als Mitarbeiterin vorstellen, zur Führungskraft fehlt ihr sicher der Biß". 674 Frauen sind dadurch einem Balanceakt zwischen Führungs- und Frauenbild ausgesetzt.675 Sie haben in dieser Situation meist dann bessere Chancen, wenn sie zeigen können, daß sie keine Frau im Sinne der impliziten Theorie sind. Die Mehrzahl der Frauen ist jedoch weder bereit noch in der Lage, diesen Beweis zu liefern. Hinzu kommt, daß der Beobachter und nicht die Wahrgenommene 673 Vgl. ebenda. 67 4 Ebenda, S. 31. 675 Vgl. ebenda.
II. Organi.vationsinterne Barrieren
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selbst darüber zu entscheiden hat, ob der Beweis geglückt ist. 676 Die Probleme von Frauen bei der Personalauswahl entstehen demzufolge in erster Linie dann, wenn beide Blickwinkel (Führungskraft und Frau) zum Tragen kommen und daraus Wahrnehmungskonflikte beim Auswähler resultieren. 677 3. Konkurrenzangst der Männer Ein Karrierehindernis beim Berufsaufstieg von Frauen, das jedoch - insbesondere von männlicher Seite - kaum genannt wird, ist die Konkurrenzangst der Männer. Wie bei marktwirtschaftliehen Prozessen generell üblich, kann davon ausgegangen werden, daß ein solcher Konkurrenzdruck das Marktergebnis (hier: die berufliche Leistung) verbessert. Sind die "betroffenen" Marktteilnehmer dem daraus resultierenden Ausleseprozeß nicht gewachsen, ist folglich die erbrachte Leistung nicht konkurrenzfähig, so werden sie versuchen, mit anderen Mitteln (unlauterem Wettbewerb) die Konkurrenten vom Markt fernzuhalten oder zu verdrängen. Diese Überlegung läßt sich auch auf die Situation der Männer in (vor allem höheren) Führungspositionen übertragen, da eine Erhöhung des Frauenanteils im Führungsbereich ceteris paribus eine Verringerung des Männeranteils zur Folge hat und somit ein Ausleseprozeß stattfindet. Nun ist aber davon auszugehen, daß kaum jemand freiwillig seine Privilegien aufgibt, ohne daß er davon etwas hat. Demzufolge kann bei Männern durchaus ein Interesse daran bestehen, dafür zu sorgen, daß Frauen bereits im Vorfeld, z. B. durch die Aufrechterhaltung von Vorurteilen, aus dem Wettbewerb ausscheiden und somit erst gar nicht zur Konkurrentin werden. Insbesondere "zweitklassige" Männer werden eine solche Strategie befürworten und verfolgen, da sie die Nutznießer des bestehenden Systems sind und befürchten müssen, von einer (besseren) Frau verdrängt zu werden. 678 Die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen hat neben zunehmender Konkurrenz noch weitere Konsequenzen für die 676 Vgl. ebenda. 677 Vgl. ebenda, S. 30. 678 Vgl. auch F'RIEDEL-HOWE (1991 ), S. 393.
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Männer. Sie müssen nunmehr auch ihre Macht teilen. Der bisher existierende Vormachtanspruch auf Führung, legitimiert durch die Geschlechtszugehörigkeit, entfällt. 679 Auch dies erzeugt Widerstände und verstärkt die Angst vor dem eigenen Statusverlust Des weiteren besteht bei vielen Männem die Angst vor den häuslichen Konsequenzen. Verstärkte Karriereambitionen und -ansprüche der (Ehe-)Partnerin bringen das traditionelle Familienbild ins Wanken und stellen oftmals eine Belastungsprobe für die Partnerschaft dar. Hieraus kann sich die Befürchtung männlicher Führungskräfte entwickeln, eine Förderung von Frauen beim Berufsaufstieg könne sich auf die Karriereabsichten der eigenen Partnerin übertragen.680 Die Ängste der Männer vor weiblicher Konkurrenz können eine bewußte und systematische Benachteiligung der Gruppe aufstiegsambitionierter Frauen bewirken mit dem Ziel, diese von Führungspositionen fernzuhalten. 4. Machtverteilung in Organisationen Die Aufstiegsmöglichkeiten in einer Unternehmung hängen wie bereits gezeigt wurde - u. a. von der Erbringung einer guten Leistung ab. Mit steigender Hierarchieebene hängt jedoch die Leistung einer Führungskraft zunehmend von den Leistungen der ihr unterstellten Mitarbeiter ab. Aufgabe der Führungskraft ist es daher, dafür zu sorgen, daß die für das Unternehmen erforderliche Leistung durch andere erbracht wird. Sie muß andere führen. Es stellt sich deshalb die Frage, welche strukturellen Faktoren die für einen beruflichen Aufstieg notwendige Leistungserbringung begünstigen. In der englischsprachigen Literatur werden diese Faktoren unter dem Begriff "Power" subsumiert.681 Macht ist die Fähigkeit, Einfluß zu nehmen und damit das Verhalten anderer in einer gewünschten Weise zu beeinflussen und zu verändern. Sie ist die Möglichkeit, das Geschehen in Organisationen zu
679 Vgl. NEUJAHR-SCHWACHULLAIBAUER (1993). S. 22. 680 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1991 ), S. 394. 681 Vgl. KANTER (1977), S. 164 ff.
II. Organisationsinterne Barrieren
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beeinflussen.682 Im Rahmen der Organisationssoziologie bemerkt Kanter: "Power begets power. People who are thought to have power already and to be weil placed in hierarchies of prestige and status may also be more influential and more effective in getting the people around them to do things and feel satisfied about it. "683 Die Möglichkeiten, die erforderliche Macht zu erhalten, sind verschiedener Art. In der Literatur werden vier Kategorien bzw. Quellen der Macht unterschieden: Macht kann sich auf die Verfügungsgewalt über Belohnung oder Strafe stützen, auf formelle Legitimation, auf Sympathie für die oder Indentifikation mit der Machtperson und auf Kompetenz. 684 Diesen Komponenten können noch die Kontrolle über Ressourcen, der Zugang zu Informationen und die Unterstützung durch andere hinzugefügt werden. 685 Eine gewisse Machtzuteilung erfolgt durch die organisatorischen Strukturen innerhalb des Unternehmens. Darüber hinausgehende Macht im Sinne von Autorität muß von der Führungskraft selbst erworben werden. Hieraus resultiert die besondere Problematik von Frauen. Sie haben trotz fachlicher Kompetenz meist weniger Autorität als ihre männlichen Kollegen, da bei ihnen die potentiellen Machtressourcen durch den Einfluß der Geschlechtsrollentypisierung auf die Erwartungen der Geführten beschränkt sind. Eine Führungsfunktion mit "männlicher" Autorität steht im Widerspruch zur traditionellen Frauenrolle. 686 Die Auswirkungen zeigen sich darin, daß Frauen üblicherweise niedrigere hierarchische Positionen innehaben alsMännerund vor allem in einzelnen, mit wenig Macht ausgestatteten "frauentypischen" Abteilungen arbeiten. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß das Ansehen einer Abteilung von der betrieblichen Wertschätzung der Tätigkeit abhängt und dieses Ansehen zumeist sinkt, wenn Frauen die Tätigkeiten ausüben. Von daher ist es auch kaum vorstellbar, daß eine Frau auf eine Stelle befördert wird, die zuvor ein Mann eingenommen hatte, um damit das Ansehen dieser Stelle oder der entsprechenden Abteilung zu erhö682 Vgl. PREUSS (1987), S. 334 f. 683 Vgl. KANTER (1977), S. 168. 684 Vgl. FRENCHIRAVEN (1959). 685 Vgl. KANTER (1979), S. 66. 686 Vgl. STACH (1987), S. 86.
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hen. 687 Des weiteren haben Frauen im Vergleich zu Männern geringere Zugangsmöglichkeiten zu informellen Machtquellen wie Netzwerken oder Mentoren.688 Stereotype Machtzuweisungen zugunsten des Mannes behindern den beruflichen Aufstieg von Frauen. Das männliche Interesse, bestehende Machtstrukturen aufrecht zu erhalten, dient nicht nur zur Verteidigung ihrer Privilegien, sondern wohl auch zur Bewahrung der eigenen Identität. 689
5. Minderheitenstatus der Frau Frauen sind in Führungspositionen generell unterrepräsentiert, in höheren Führungsebenen stellen sie eine kleine Minderheit dar. Dieser Minderheitenstatus führt nicht nur zu einem Mangel an Rollenleitbildern und fehlender Vorbildfunktion für aufstiegsambitionierte Nachwuchskräfte, sondern noch zu weiteren Barrieren und Problemen, die sich aus dieser Außenseiterposition ergeben. Frauen in höheren Führungspositionen fallen als Minderheit auf und werden daher mit größerer Aufmerksamkeit beobachtet als ihre männlichen Kollegen. Die Auffälligkeit von Minderheiten erhöht die Aufmerksamkeit von anderen Organisationsmitgliedern. Für die Frau in der jeweiligen Position bedeutet dies einerseits, daß sie sich um die notwendige Sichtbarkeit guter Leistungen nicht zu bemühen braucht, andererseits aber auch kein Fehler übersehen wird und sichtbare Fehlleistungen leicht als Zeichen für die grundsätzliche weibliche Unfähigkeit pauschaliert werden. Frauen in Führungspositionen werden wegen fehlender Vergleichsmöglichkeiten als (typische) Vertreterinnen ihres Geschlechts angesehen und ihr Verhalten wird als repräsentativ für die Gesamtheit der Frauen betrachtet. 690 Frauen als Minderheit stehen somit im Rampenlicht, und es werden nicht nur ihre fachlichen Kompetenzen und ihre Leistungen
687 Vgl. EDDING (1983), S. 94 f. 688 Vgl. AUTHENRIETHICHEMNITZERIDOMSCH (1993). S. 45. 689 Vgl. EDDING (1983), S. 99. 690 Vgl. PREUSS (1987), S. 289.
II.
Or~:anisationsinterne
Barrieren
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beurteilt, sondern auch das persönliche Erscheinungsbild. 691 Zugleich entsteht eine Tendenz zur Überbewertung der bestehenden Unterschiede zwischen Minorität und Majorität, da die wenigen Mitglieder der Minderheit die Versuche der Generalisierung ihres Verhaltens kaum widerlegen können.692
6. Das "Bienenkönigin-Syndrom" Der Minderheitenstatus von Frauen und ihre Außenseiterposition in höheren Führungsebenen können bewirken, daß Frauen den beruflichen Aufstieg anderer Frauen wenn nicht verhindern, so zumindest nicht vorantreiben. Für dieses Verhalten wurde der Begriff des "Bienenkönigin-Syndroms" geschaffen. Dabei wird als Bienenkönigin die Frau in einer Führungsposition bezeichnet, die durch ihren Erfolg in einer Männerwelt andere Frauen als Konkurrentinnen ansieht und dementsprechend zu behindern versucht. 693 Eine weitere Begriffsfassung bezieht sich auf Frauen, die beruflich erfolgreich sind und die Meinung vertreten, da sie den Aufstieg ohne besondere Fördermaßnahmen geschafft hätten, dies auch allen anderen aufstiegsambitionierten Frauen gelingen müsse. Beruflicher Mißerfolg wird somit den jeweiligen Frauen selbst zugeschrieben. Das "Bienenkönigin-Syndrom" impliziert. daß Frauen beginnen, die Vorurteile ihrer männlichen Kollegen gegenüber Frauen in Führungspositionen zu übernehmen, um sich damit mehr Anerkennung zu verschaffen. Zugleich betrachten sie sich selbst als Ausnahme von der Regel. Da empirische Untersuchungsergebnisse dazu bislang nicht vorliegen, kann über die Häufigkeit sowie über das Ausmaß des "Bienenkönigin-Syndroms" keine Aussage gemacht werden. Gleichwohl kann unter Plausibilitätsgesichtspunkten diesem Phänomen eine gewisse Bedeutung nicht abgesprochen werden, da diese Frauen ihren errungenen Status nicht so schnell teilen möchten. Zudem betrachten Frauen. die beruflichen Erfolg in tra691 Vgl. KANTER (1977), S. 212 f. 692 Vgl. ebenda, S. 211. 693 Vgl. TERBORG (1977), S. 656.
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TeilE: UnterrepriisentierunK von Frauen im Führunj?sbereich
ditionell männlich dominierten Bereichen haben, meist ihre männlichen Kollegen als Referenzgruppe und Maßstab. 694 111. Externe Aufstiegshemmnisse Für hochqualifizierte, aufstiegsambitionierte Frauen können sich die gesetzlichen Frauenfördermaßnahmen als Karrierebremse erweisen und damit einen "Bumerang-Effekt" auslösen. Der Schwangerschaftsurlaub und der Mutterschutz, die im Normalfall dreieinhalb Monate betragen, sind nicht das eigentliche Problem. Aktuelles Beispiel ist vielmehr der auf drei Jahre ausgeweitete Erziehungsurlaub. Da sich ein qualifizierter Arbeitsplatz kaum drei Jahre freihalten läßt, werden sich die Unternehmen genau überlegen, ob sie qualifizierte Frauen für solche Stellen einstellen bzw. auf diese befördern. Damit kann der angestrebte Schutz der Frauen für die gut ausgebildeten unter ihnen, insbesondere in Zeiten sinkender Arbeitskräftenachfrage, zum Einstellungshindernis werden. Solange die Erziehungsjahre eine reine Frauenangelegenheit bleiben (eine nennenswerte Trendänderung ist derzeit nicht auszumachen), erweisen sie sich als Hemmnis beim beruflichen Aufstieg von Frauen. Darauf weist auch die schon zitierte Untersuchung der Firma Messerschmidt-Bölkow-Biohm im eigenen Hause hin, wonach Frauen mit qualifizierter Ausbildung im Durchschnitt nach eineinhalb Jahren an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, obwohl ein firmenseitig angebotener dreijähriger Erziehungsurlaub möglich ist.695 Frauenfördermaßnahmen von Wirtschaft und Politik haben noch eine weitere Konsequenz: Sie sind in erster Linie auf die Bedürfnisse der Frauen bei der Vereinbarung von Beruf und Familie zugeschnitten und tragen damit zu einer Fortschreibung der traditionellen Rollenteilung bei. Zugleich werden Männer von der Verantwortlichkeit für die Kinderbetreuung weitgehend befreit. Dies gilt allerdings auch für die Qualifizierungsprogramme, Wiedereißstiegsprogramme und sonstigen Mutter-Kind-Programme der Wirtschaft. Da die staatliche Familienpolitik die Kindererziehung bis heute weitgehend als private Aufgabe der Familien ansieht und 694 Vgl. PREUSS (1987), S. 404. 695 Vgl. LEYENDECKER (1992), S. 209.
IV. Re.1ümee
203
dies u. a. durch das unzureichende Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen dokumentiert, fehlen auch hier wichtige Impulse für aufstiegsfähige und aufstiegsambitionierte Frauen, Kind und Karriere miteinander zu vereinbaren. IV. Resümee Die Ursachen für die Unterrepräsentierung der Frauen in Führungspositionen sind zahlreich und vielfältig und bedingen sich zum Teil gegenseitig. Die Verantwortung kann weder den Frauen noch den Unternehmen einseitig angelastet werden. Es ist lediglich festzustellen, daß der überwiegende Teil der Aufstiegshemmnisse auf die traditionelle geschlechtsspezifische Rollenzuweisung im weitesten Sinne zurückgeführt werden kann. Die daraus resultierenden Stereotype mit den sich anschließenden sozialen Normen, Erwartungen und Verhaltensweisen tragen maßgeblich zur bestehenden Situation bei. Die Probleme der Frauen beim beruflichen Aufstieg liegen weniger darin begründet, daß sie Kinder bekommen, sondern vielmehr darin, daß in erster Linie ihnen die Aufgabe zugeschrieben wird, diese Kinder auch zu betreuen. Eng mit diesem Aspekt verknüpft ist auch die bei einem verstärkten beruflichen Aufstieg von Frauen notwendige Änderung der bisherigen Machtverhältnisse zu Lasten der Männer. Die zunehmende Konkurrenz der Frauen im Berufsleben hat nicht nur Auswirkungen auf die Verteilung von Status, Prestige und Gratifikationen, sondern auch auf den privaten Lebensbereich der Männer. Eine berufliche Gleichstellung der Frauen stellt bisherige männliche Werte im Hinblick auf ihre Rolle in der Familie, im Beruf und in der Gesellschaft in Frage und verändert die männlichen Lebensstrukturen. Vor allem das Berufsbild der Top-Führungskraft ist ohne die Unterstützung einer Partnerin kaum aufrechtzuerhalten, da die beruflichen Anforderungen solcher Positionen weitgehend auf Menschen zugeschnitten sind, die neben der beruflichen Tätigkeit keine weiteren Verpflichtungen haben. 696
696 Vgl.
NERGEiSTAHMANN (
1991 ),
S.
82 f.
204
TeilE: Unterrepriisentierung von Frauen im Führungsbereich
Da auch die Gesellschaft ein bekundetes Interesse an der bestehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hat, weil ansonsten zumindest unter den heute bestehenden Rahmenbedingungen die Sicherung zukünftiger Generationen gefährdet ist, haben beruflich engagierte, aufstiegsambitionierte Frauen gegen vielfältige Barrieren anzukämpfen. Zum jetzigen Zeitpunkt gelingt ihnen das am ehesten, wenn sie der weiblichen Normalbiographie entgehen. Ob dies auch zukünftig so bleiben wird, darum geht es im letzten Analyseteil der Arbeit.
Teil F Künftige Entwicklungstendenzen und ihre Bedeutung für die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen I. Hintergrund der Fragestellung
In diesem letzten Kapitel werden abschließend einige für die dieser Arbeit zugrundeliegende Fragestellung relevant erscheinende künftige Entwicklungstendenzen skizziert und ihre Folgen für die beruflichen Chancen von Frauen diskutiert. Dies erfolgt insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob es möglicherweise Entwicklungen in bestimmten Bereichen gibt, welche quasi per se zu verbesserten beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen führen. Sollte sich ein solcher Automatismus für die Zukunft abzeichnen, so wären jegliche lntervertionen sowohl von seiten der öffentlichen Hand als auch von seiten der Unternehmen hinfällig, es sei denn, sie würden zur Beschleunigung des sich abzeichnenden Prozesses beitragen. Deuten die Zukunftsaussichten hingegen auf eine Beibehaltung des Status quo oder sogar auf eine Verschlechterung der beruflichen Perspektiven von Frauen hin, so wäre zu fragen, durch welche (untemehmens-)politischen Eingriffe ein solcher als unerwünscht betrachteter Zustand beseitigt werden kann. Bei der Auswahl der entsprechenden Maßnahmen sollte jedoch gewährleistet sein, daß es sich um (arbeits-)marktkonforme Eingriffe handelt, die zur Herstellung von Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern beitragen, auf deren Basis dann die bereits angesprochenen ökonomischen Kriterien, wie das Leistungsprinzip, zum Tragen kommen. Demgegenüber sind Maßnahmen, die eine alleinige Bevorzugung von Frauen mit sich bringen (z. B. Quotierung), unter ökonomischen Gesichtspunkten abzulehnen, da sie die Arbeitskräfteallokation verzerren und damit Ineffizienzen hervorrufen.
206
Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
11. Wertewandel I. Allgemeine Anmerkungen zur Wertewandeldiskussion Werte einer Gesellschaft können nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern müssen aus dem menschlichen Verhalten abgeleitet werden.697 In den Sozialwissenschaften werden Wertorientierungen als normative, handlungsrelevante Steuerungsgrößen betrachtet, die während des Sozialisationsprozesses erworben werden. 698 Nach der weit verbreiteten und auch weitgehend akzeptierten Begriffsfassung von Kluckhohn ist ein Wert "eine Auffassung von Wünschenswerten, die explizit oder implizit für einen einzelnen oder eine Gruppe kennzeichnend ist und welche die Auswahl der zugänglichen Weisen, Mittel und Ziele des Handeins beeinflußt"699. In den letzten Jahren ist häufig von einem Wertewandel in unserer Gesellschaft gesprochen worden, dessen Auswirkungen in allen Lebensbereichen spürbar seien. Als Beispiele werden die abnehmende Bedeutung der Familie, die zunehmende Freizeitorientierung, die Betonung der individuellen Selbstverwirklichung, ein neues Rollenverständnis der Frau sowie eine zurückgehende Verantwortungsbereitschaft genannt. 700 Obwohl viele solcher Aussagen spekulativ sind und nicht verallgemeinert werden können, finden bestimmte Wandlungstendenzen durch die empirische Sozialforschung Bestätigung. Ob es sich dabei jedoch um einen generellen Wertewandel handelt oder lediglich um immer wieder aufkommende Wandlungsschübe, darüber besteht unter den Sozialwissenschaftlern keine Einigkeit. Da bereits die Beschreibung des Phänomens "Wertewandel" nicht einheitlich erfolgt, liegt auch keine in sich geschlossene theoretische Erklärung dazu vor.701 Im folgenden sollen drei verschiedene Thesen kurz skizziert werden.
697 Vgl. ROSENSTIEL (1983), S. 214. 698 Vgl. MATIASKE (1992), S. 14. 699 KLUCKHOHN, zitiert nach ROSENSTIEL (1983), S. 214. 700 Vgl. ROSENSTIEL (1983), S. 216. 701 Vgl. MATIASKE (1992), S. 14.
II. Wertewandel
207
Die These eines generellen Wertewandels in den Industrieländern seit Beginn der 70er Jahre vertritt der Amerikaner R. Inglehart aufgrund seiner empirischen Untersuchungen. Durch die Auswertung von Zeitreihen zum Kultur- und Wertewandel in zahlreichen Industrienationen kommt Inglehart zu dem Ergebnis, daß ein Wandel von materialistischen Werten, die an der Versorgung und Sicherheit orientiert sind, zu sogenannten post-materialistischen, d. h. nicht mehr materialistischen Werten, die sich am Kommunikativen und an der Selbstverwirklichung ausrichten, stattgefunden hat, den er als "silent revolution" bezeichnet. 702 Seine Kernaussage lautet: "Die Wertprioritäten der westlichen Gesellschaften haben sich signifikant verschoben. Während früher materielles Wohlergehen und Sicherheit ganz im Vordergrund standen, wird heute mehr Gewicht auf die Lebensqualität gelegt. "703 Inglehart führt dies u. a. auf die immer umfassendere Befriedigung existientieller Bedürfnisse der Bevölkerung zurück sowie auf die außergewöhnliche ökonomische Sicherheit, in der die heutige Generation aufgewachsen ist. 704 Die Thesen von Inglehart sind schon sehr früh auf Kritik gestoßen. So wird beispielsweise argumentiert, daß die lange Phase materieller und physischer Sicherheit in den Industriegesellschaften zwar zu einer Verlagerung der Wertprioritäten von materiellen zu post-materiellen geführt habe, daraus jedoch kein grundlegender Wertewandel abgeleitet werden könne. Die festgestellten Änderungen der Einstellungen seien vielmehr "als eine situative Anpassung von Einstellungen an Erfahrungen von anhaltender Prosperität und von innerer und äußerer Sicherheit" zu charakterisieren 70S. Eine andere Theorie zum Wertewandel ist die Verfallshypothese, die insbesondere von Noelle-Neumann vertreten wird.706 Nach ihrer Auffassung vollzieht sich ein Wandel in Form eines dramatischen Verfalls der bürgerlichen Werte und Tugenden, die sich vor 702 Vgl. INGLEHART (1977), S. 3 f. 7031NGLEHART, zitiert nach WIDMAIER (1991), S. 21. 704 Vgl. WIDMAIER (1991), S. 21. 705 LEHNER ( 1979), S. 321. 706 Vgl. NOELLE-NEUMANN ( 1978), S. 59 ff.
208
Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
allem in einer gesunkenen Arbeitsmoral und in einer geringeren Arbeitszufriedenheit dokumentieren. Zu den "bürgerlichen Tugenden" zählt Noelle-Neumann den hohen Wert von Arbeit und Leistung, die Überzeugung, daß sich Anstrengung lohne, den Glauben an Aufstieg und die Gerechtigkeit des Aufstiegs, die Bejahung von Unterschieden zwischen den Menschen und ihrer Lage, die Bejahung des Wettbewerbs, Sparsamkeit als Fähigkeit, kurzfristige Befriedigung zugunsten langfristiger zurückzustellen, Respekt vor Besitz und Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung der geltenden Normen von Sitte und Anstand. Noelle-Neumann bezeichnet den Verfall dieser bürgerlichen Werte als Wertewandel, dem kein Aufbau vergleichbarer Werte gegenübersteht. 707 Sie stützt ihre These durch eigene Langzeitstudien, in denen sie das Antwortverhalten auf Fragen zu Themen wie "Wert der Arbeit" oder "Belohnung für Leistung, Bejahung des Wettbewerbs" untersucht. Während nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1962 noch 71 %der Angestellten, 61 %der Facharbeiter, 57 % der angelernten und 32 % der Hilfsarbeiter eine positive Einstellung zu Arbeit und Leistung bekunden, hat sich zehn Jahre später die Haltung der Angestellten und Arbeiter zu der eher negativen Position der angelernten Arbeiter und Hilfsarbeiter verschoben.708 Insgesamt kommt Noelle-Neumann zu dem Ergebnis, daß eine deutliche Orientierung der jungen Generation an Muße und Freizeit stattfindet, wobei der Wert Freizeit im Verhältnis zum Wert Arbeit zunehmend an Bedeutung gewinnt_709 Der Verfall der bürgerlichen Werte wird von ihr daher insbesondere auf eine gesunkene Arbeitsmoral, eine verringerte Arbeitszufriedenheit sowie auf den schädlichen Einfluß der Medien zurückgeführt. Auch dieser Erklärungsansatz eines Wertewandels blieb nicht ohne Kritik. Es wird argumentiert, daß sich zwar das Verhältnis von Arbeit und Freizeit seit den 60er Jahren geändert habe, dies aber auf Veränderungen in der Freizeit zurückzuführen sei, die
707 Vgl. ebenda, S. 14 ff. 708 Vgl. WIOMAIER (1991 ), S. 31 709 Vgl. ebenda.
f.
II. Wertewandel
209
nunmehr als Quelle positiver Erfahrungen höher bewertet werde als in der Vergangenheit.710 Eine dritte Variante ist die Differenzierungsthese von Klages, der auch von einem Wandel individueller Werthaltungen ausgeht. Die Hauptrichtung des Wandels kennzeichnet er durch einen Wandel von den Pflicht- und Akzeptanzwerten zu den Selbstentfaltungswerten. Dabei haben individuelle Werte wie Disziplin, Gehorsam, Pflichterfüllung, Treue, Unterordnung, Fleiß, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung, Anpassungsbereitschaft und Enthaltsamkeit an Bedeutung verloren, während Werten wie Emanzipation von Autoritäten, Gleichbehandlung, Demokratie und Autonomie des einzelnen, Genuß, Abwechslung, Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit und Eigenständigkeit an Bedeutung gewonnen haben.711 Träger dieses Wertewandels sind vor allem junge Menschen mit gehobener Bildung, also jene Gruppe, aus der sich zunehmend Führungskräfte der Wirtschaft und Verwaltung rekrutieren. Aufgrund empirischer Analysen datiert Klages einen Weftewandlungsschub in der Zeitspanne zwischen Anfang der 60er Jahre und Mitte der 70er Jahre, dessen Nachwirkungen in weiteren Modifikationen von Wertorientierungen auch heute noch sichtbar werden. Für die 90er Jahre geht er von einer Fortsetzung des Wertewandels aus, die durch eine Zunahme der Selbstentfaltungswefte und eine "begrenzte Wiederentdeckung" der Bedeutung der Pflicht- und Akzeptanzwerte gekennzeichnet sein wird.712 Von Kritikern der Differenzierungsthese wird bemängelt, daß die Wandlungstendenzen zwar im einzelnen beschrieben werden, aber keine hinreichende theoretische Begründung geliefert wird.713 2. Veränderungen in der Arbeitsorientierung
Wie in der Diskussion über einen allgemeinen Wertewandel bereits angedeutet wurde, haben sich auch die Wertorientierungen 710 Vgl. MATIASKE (1992), S. 17. 711 Vgl. KLAGES (1987), S. 2. 712 Vgl. KLAGES (1993), S. 7. 713 Vgl. MATIASKE (1992), S. 19. 14 Wiegand
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Teil F: Künftige Entwicklung.vtendenzen
bezüglich der Arbeit geändert. Demoskopische Zeitreihendaten deuten nach StrümpeJ714 auf eine innere Distanzierung der deutschen Arbeitnehmer von der Berufsarbeit hin, die sich mit sinkender Arbeitszufriedenheit, stärkerer Freizeitpräferenz und geringerer Arbeitsmotivation beschreiben läßt und besonders ausgeprägt bei Arbeitern und unteren Angestellten, bei jüngeren Erwerbstätigen und bei Arbeitnehmern in der Industrie vorzufinden ist. Die Erklärung für die zu beobachtende Distanzierung sieht Strümpel nicht in veränderten Arbeitsbedingungen. sondern in veränderten Maßstäben der privaten Lebenswelt und in gestiegenen Ansprüchen.715 Dies kann mitKlagesauf den Rückgang von Pflicht- und Akzeptanzwerten und den Bedeutungsgewinn von Selbstentfaltungswerten zurückgeführt werden. Um die Einstellung und Wertorientierungen der Führungskräfte und des Führungsnachwuchses zur Arbeit an dieser Stelle einzubeziehen, kann auf eine empirische Untersuchung von RosenstieJ716 zurückgegriffen werden. Zwischen 1982 und 1989 wurden dabei über 3.000 Studierende höherer Semester (überwiegend aus den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften) bezüglich ihrer Einstellung zur Arbeit, zur Berufsorientierung, zur Beziehung zwischen Arbeit und Freizeit und zu ihrem Verständnis von Karriere befragt. Die gleichen Fragen wurden zwischen 1982 und 1991 Führungskräften der Wirtschaft gestellt. Die Längsschnittstudie, innerhalb derer Studenten bis zu viermal befragt wurden (erstmals zur Zeit des Examens, letztmalig vier Jahre später), brachte folgendes Ergebnis: - Personen mit einer "alternativen" Einstellung haben lediglich reduzierte Chancen, in den Unternehmen ein- und aufzusteigen. - Die Personen, die in ein Unternehmen eintreten und dort bleiben, ändern ihre Einstellung teilweise nachhaltig, was zumindest zum Teil als Anpassung interpretiert werden kann. - Die Führungsnachwuchskräfte behalten bestimmte Grundüberzeugungen bei, die sich zudem von denen ihrer Vorgänger bzw. ihrer älteren Kollegen deutlich unterscheiden. 714 Vgl. STRÜMPELiKLIPSTEIN (1984 und 1985) und STRÜMPELiNOELLE-NEUMANN (1984). 715 Vgl. STRÜMPEL (1987), S. 24 ff. 716 V gl. ROSENSTIEL (1993 ), S. 56 f.
II. Wertewandel
211
Zugleich zeigte sich, daß die Arbeitsmoral der Nachwuchskräfte zwar weniger deutlich als die der Führungskräfte ausgeprägt ist, bei diesen jedoch die Arbeitsmoral im Untersuchungszeitraum gleich hoch geblieben ist. Das Bemühen um einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Lebensbereichen wird von den Führungsnachwuchskräften besonders intensiv angestrebt. Arbeit wird grundsätzlich bejaht und hat weiterhin einen hohen Stellenwert, aber die Forderung wird immer lauter, daß andere Lebensbereiche, wie z. B. Familie und Freizeit, dafür nicht geopfert werden dürfen.717 Die Hauptbestrebung des Führungsnachwuchses läßt sich somit durch die Herstellung eines Gleichgewichts von Arbeit und Freizeit kennzeichnen. Karriere wird ebenfalls weiterhin angestrebt, aber nicht um jeden Preis. 3. Der Berufsaufstieg von Frauen vor dem Hintergrund des Wertewandels Die Wertewandeldiskussion hat gezeigt, daß sich die Einstellung der Deutschen zur Arbeit in den vergangenen Jahren geändert hat. Die Freizeit erfährt eine Höherbewertung, und die Anforderungen an den Sinngehalt der Arbeit nehmen zu. Zugleich treten Werte wie Kreativität, Selbstverwirklichung und Eigenständigkeil in den Vordergrund.718 Dennoch hat die berufliche Karriere weiterhin einen hohen Stellenwert, obwohl traditionelle Klischees vom Karrieristen ausgedient haben und durch neue Inhalte, Ideen und Ideale ersetzt worden sind.719 Von Leistungsverweigerung kann dabei nicht gesprochen werden. Gefordert werden allerdings mehr Entscheidungsspielräume, ein besseres Betriebsklima, hohe Eigenverantwortlichkeit, Identifikation mit den Arbeitsinhalten, Freude und Spaß an der Arbeit sowie Weiterbildungschancen.720 Die frühere Polarisierung zwischen Arbeit auf der einen, Freizeit und Lebensgenuß auf der anderen Seite ist heute kaum noch vor717 Vgl. ebenda, S. 71. 718 Vgl. WJDMAIER (1991). S. 55. 719 Zu diesem Ergebnis kommt das Hamburger BAT-Freizeit-Forschungsinstitut in einer Umfrage unter 1.000 berufstätigen Frauen und Männem, Vgl. PFALLER!SINN (1991), S. 18. 720 Vgl. eben da. t4•
212
Teil F: Küf!ftige Entwicklungstendenzen
zufinden. Private Aspekte werden zunehmend in die Karriereplanung mit einbezogen.721 Für die Unternehmen ergeben sich aus dem neuen Bewußtsein der Führungs( nachwuchs-)kräfte weitreichende Konsequenzen. Die Suche nach einem bestimmten Typ von Führungskraft, den Alleskönner mit traditioneller Partnerschaft und "heiler" Familie, bei dem das Privatleben so geregelt ist, daß er ungehindert seinen Karriereambitionen nachgehen kann, wird schwieriger. Vor diesem Hintergrund könnten die beruflichen Aufstiegschancen derjenigen Frauen steigen, die eine hohe Karriereorientierung besitzen und ihre beruflichen Ziele auch zu Lasten des Privatbereichs verfolgen. Ob sich aus dem veränderten Karriereverständnis (der Männer) im Rahmen des Wertewandels eine generelle Verbesserung der beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen ableiten läßt, bleibt fraglich. Die Untersuchungen hinsichtlich Veränderungen in der Einschätzung von Arbeit, Leistung und beruflicher Karriere geben keine Hinweise darauf, daß hierbei geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen. Demzufolge ist nicht davon auszugehen, daß Frauen ein nachlassendes berufliches Engagement der Männer durch einen höheren Einsatz ihrerseits ausnutzen und ihre eigenen Aufstiegschancen somit verbessern. Durch die stärkere Einbindung der Privatsphäre in die berufliche Laufbahnplanung von seiten der männlichen Mitarbeiter werden die Unternehmen künftig wohl vermehrt mit Unwägbarkeiten bei der beruflichen Entwicklung zu rechnen haben, wie sie bislang lediglich den Frauen unterstellt wurden. Damit stiege aber auch das Risiko von Fehlinvestitionen bei männlichen Arbeitskräften, wodurch zumindest eine Annäherung der Kosten-Nutzen-Profile weiblicher und männlicher Mitarbeiter stattfände. Inwieweit dies zu verbesserten Berufschancen von Frauen beitragen kann, bleibt allerdings abzuwarten.
721 Vgl. ebenda.
lll. Veränderte Anforderungen an Führungskräfte
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ßl. Veränderte Anforderungen an Führungskräfte I. Wandel im Führungsstil, Teamorientierung, Sozialkompetenz
In der Führungsliteratur werden drei Grundstile der Führung mit je zwei Varianten unterschieden. Dies sind:722 - Der autoritäre Führungsstil, der durch geringe Entscheidungsbeteiligung und Mitarbeiterorientierung charakterisiert ist. Neben den autoritären wird der patriarchalische Führungsstil gestellt, der eine höhere prosoziale Ausprägung besitzt, aber kaum erhöhte Partizipation. - Der kooperative Führungsstil ist gekennzeichnet durch eine höhere tendenziell symmetrische Partizipation und soziale Interaktion zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitern. Der benachbarte konsultative Führungsstil zeichnet sich durch die Beschränkung der Partizipation auf die Entscheidungsfindung aus. - Bei der delegativen Führung wird dem Mitarbeiter auf der Grundlage vorher vereinbarter oder vorgegebener Ziele und Handlungsspielräume ein hoher selbständiger Entscheidungsund Handlungsfreiraum gewährt. Bei sehr weitgehender Delegation wird von autonomer Führung gesprochen. Im Rahmen des bereits diskutierten Wertewandels läßt sich aus der Sicht der Mitarbeiter aller Führungsstufen eine Ablehnung von autoritären und patriarchalischen Führungsformen feststellen. Kooperative und delegative Führungsbeziehungen gelten hingegen als erwünscht.723 Die Partizipationswünsche der Mitarbeiter am Unternehmensgeschehen haben sich verstärkt. Die Einbeziehung der Mitarbeiter, insbesondere hochqualifizierter Spezialisten, erweist sich auch für die Unternehmen als Notwendigkeit, weil das Fachwissen zunehmend spezieller wird und die Führungskraft nicht mehr der "beste Fachmann der Gruppe" sein kann. 724 Die Führungskraft wird damit zum Koordinator. Ein kooperativer Führungsstil erfordert zugleich verstärkte Teamorientierung. Die steigende Interdependenz und die Komple722 Vgl. WUNDERER (1993b), S. 117. 723 Vgl. ebenda, S. 119. 724 V gl. REGNET/SCHACKMANN (1991 ), S. 46.
214
Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
xität der Aufgaben machen interdisziplinäres Denken und Arbeiten erforderlich. Ebenso erfordern neue Prozeßtechniken sowie immer kürzere Produktlebenszyklen eng zusammenarbeitende Teams. 725 Damit wird zugleich die Entscheidungsfindung verbessert und mit ihr die Kreativität und Innovationsfahigkeit des Unternehmens erhöht. Gruppendiskussionen fördern die Entstehung neuer Ideen und Konzepte und erleichtern deren Durchsetzung. 726 Als weitere Qualifikationsanforderung, die in Zukunft mehr Gewicht erhält, wird die Sozialkompetenz genannt. "Sozialkompetenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft, sich mit anderen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung etc. rational und verantwortungsbewußt auseinanderzusetzen und sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten. "727 Bezogen auf Führungskräfte umfaßt die soziale Kompetenz Fähigkeiten wie Eigeninitiative, Selbstsicherheit, Teamfähigkeit, Sensibilität und Konfliktfähigkeit.728 Durch technologische Veränderungen und veränderte Arbeitsformen (z. B. Teamarbeit) gewinnen solche außerfachlichen und sozialen Qualifikationen an Bedeutung, da der Erfolg des Unternehmens mehr als bisher von der Zufriedenheit der Mitaröeiter abhängt sowie von ihrer Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren, sich über unterschiedliche Auffassungen zu verständigen, Konflikte zu artikulieren und zu lösen. Die Förderung der sozialen Kompetenz wird daher auch als zentrale Aufgabe einer erfolgreichen Personalentwicklung betrachtet. 729 2. Auswirkungen auf den beruflichen Aufstieg von Frauen Die veränderten Anforderungen an Führungskräfte im Hinblick auf Merkmale wie Sozialkompetenz, Kreativität, Intuition und Flexibilität werden bislang eher als Bestandteil des weiblichen als des männlichen Sozialisationsprozesses betrachtet. Entsprechend werden die daraus resultierenden erforderlichen Fähigkeiten wie Sensibilität, Kontaktfähigkeit, Einfühlungsvermögen eher als 725 Vgl. ebenda, S. 47. 726 Vgl. JusT (1991), S. 33. 727 WILSDORF, zitiert nach HOETS (1993), S. 118. 728 Vgl. ebenda, S. 119. 729 Vgl. KöNIG, (1992), Sp. 2046.
11/. Veränderte An,fi1rderungen an Führungskräfte
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"typisch" weibliche Fähigkeiten angesehen. Damit treten bei den neueren Ansätzen eines partizipativen Führungsstils Eigenschaften als Führungsqualitäten in den Vordergrund, die im Rahmen tradierter Geschlechtsrollenstereotype als feminin gelten. 730 Die stärkere Einbeziehung kommunikativer und sozialer Kompetenzen in die Unternehmenskultur und damit auch in die Führungsebenen hat insbesondere von feministischer Seite zu der Interpretation geführt, Frauen hätten nunmehr einen Qualifikationsvorteil gegenüber Männem. Weil die spezifisch weiblichen Qualitäten nun nicht länger als Abweichung (Defizit) vom männlichen "ldealmodell" betrachtet würden, müßten Frauen sich nicht mehr den männlichen Verhaltensweisen anpassen und hätten demzufolge zukünftig wesentlich bessere Aufstiegsmöglichkeiten. 731 Bei näherer Betrachtung scheint es sich hierbei jedoch eher um einen literarischen Trend zu handeln, dessen praktische Bedeutung gering ist.732 In der Literatur wird seit einigen Jahren mit dem Verweis auf die Geschlechterdifferenz und einem spezifisch weiblichen Führungsstil die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen unterstützt. So heißt es bei Loden: "Ebenso wie geschlechtsspezifische Unterschiede in praktisch allen Aspekten des Lebens bestehen, ist es höchstwahrscheinlich, daß auch ein ausgesprochen weiblicher Managementstil Bestand haben wird. Und das wird für alle von Nutzen sein, da der neue weibliche Führungsstil kein Ersatz für den traditionellen männlichen sein soll. Beide haben ihre eigenen Stärken, die zum Gesamterfolg der jeweiligen Organisation beitragen können. "733 Und Demmer schreibt: " ... Die 'Managerin' muß her. Und gerade sie hat das zu bieten, was in Zukunft von jeder erfolgreichen Führungskraft erwartet wird. Es sind eben jene "soft qualities", die den meisten Männern schon in ihrer Kindheit abhanden gekommen sind."734 Während noch in den 70er Jahren propagiert wurde, aufstiegsambitionierte Frauen müßten sich an männliche Verhaltensweisen anpassen, wurde vor einigen Jahren in der geschlechtsver730 Vgl. SCHIERSMANN (1991), S. 350. 731 Vgl. z. B. F'RIEDEL-HOWE (1989), S. 34; JUST (1991), s. 38. 732 Vgl. KRELL ( 1992); S. 56. 733 LODEN ( 1988), S. II f. 734 DEMMER (1988), S. 299.
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Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
gleichenden Führungsforschung eine unterschiedliche, aber ohne weiteres vergleichbare Führungsleistung beider Geschlechter konstatiert. 735 Darauf folgten Studien, die dem androgynen Typus, der sowohl maskuline als auch feminine Wesenszüge in einer Person vereinigt, die besten Führungsqualitäten bescheinigen. Danach haben Frauen und Männer so viele "typische" Merkmale des anderen Geschlechts, daß biologische Geschlechtsunterschiede irrelevant werden. Auch der Führungsstil hat demzufolge manchmal einen eher männlichen, manchmal einen eher weiblichen Einschlag. 736 Der jüngste Trend, vor allem in der Ratgeberliteratur, ist nun die Hervorhebung "weiblicher" Führungseigenschaften. Dies geht zum Teil so weit, daß die 90er Jahre als das Jahrzehnt der Frauen in der Wirtschaft bezeichnet werden, in denen sie vermehrt Spitzenpositionen einnehmen, die ihnen in der Vergangenheit verwehrt wurden.737 Der Aufwertung der "Weiblichkeit" in der Führungsliteratur entspricht jedoch kein Automatismus zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen. Wäre dies der Fall, so würden weitere spezifische Fördermaßnahmen per se hinfällig_738 Eine (wiederholte) Diskussion über einen angeblich typisch weiblichen Führungsstil sowie eine erneute Hervorhebung geschlechtstypischer Eigenschaften erhöhen demgegenüber die Gefahr einer weiteren Festschreibung von Frauen auf die ihnen traditionell zugedachte Rolle und wirken sich wohl eher schädlich für aufstiegsambitionierte Frauen aus. Die Aufwertung der als typisch weiblich geltenden Eigenschaften mit der daran anknüpfenden Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen, weil sie nunmehr die "besseren" Führungskräfte seien, führen vielmehr zu einer neuen Form des Besser-sein-müssens von Frauen. Außerdem ist festzuhalten, daß die bisherigen Barrieren beim beruflichen Aufstieg von Frauen in erster Linie nicht auf "falsche" Eigenschaften der Frauen zurückzuführen sind, sondern auf die bestehende gesellschaftliche Arbeitsteilung mit den daraus resul-
735 Vgl. FRIEDEL-HOWE (1990), S. 3. 736 Vgl. DEGEN (1992), S. I. 737 Vgl. NAISBITI/ABDURDENE ( 1990), S. 277 ff. 738 Vgl. KRELL ( 1992), S. 56.
IV. Neue
Organisatitms.~trukturen
im Unternehmen
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tierenden geschlechtsspezifischen Hierarchien. 739 Solange sich an diesen Bedingungen nichts ändert, werden sich familiäre Aufgaben für Frauen beim Berufsaufstieg weiterhin hemmend auswirken, unabhängig davon, ob vermeintlich weibliche Eigenschaften und Fähigkeiten in Führungspositionen erwünscht sind oder nicht. Die Entwicklung und Anwendung neuer Führungsstile hin zu mehr sozialer Kompetenz scheint demnach auch eher zur Folge zu haben, daß bei männlichen Führungskräften ein Prozeß des Umdenkens stattfindet und die nunmehr als besonders erwünscht geltenden Eigenschaften verstärkt gefördert und trainiert werden. Erhöhte Aufstiegschancen für Frauen aufgrund veränderter Führungsstile ergeben sich bestenfalls insoweit, als infolge neuer Eigenschaftsanforderungen an Führungskräfte Frauen nicht mehr mit dem (vorurteilsbehafteten) Argument abgewiesen werden können, sie besäßen nicht die richtigen Eigenschaften. Gleichwohl können von seiten der Unternehmen die Aufstiegschancen von Frauen dadurch verbessert werden, daß ihnen vermehrt die Möglichkeit geboten wird, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, sie also nicht von vornherein als typische Frau zu klassifizieren und damit im Rahmen der stereotypen Wahrnehmung der statistischen Diskriminierung zu verfallen.
IV. Neue Organisationsstrukturen im Unternehmen l. Lean Management In der Managementwissenschaft wird seit einiger Zeit zunehmend von "Lean Production", "Lean Management", "Lean Enterprise" bzw. "Lean Company" als branchenübergreifendem Managementkonzept gesprochen. Der frühere Begriff "Lean Production" ist dabei inzwischen von dem weiter gefaßten Oberbegriff "Lean Management" abgelöst worden, der sich auf die Gestaltung des ganzen Unternehmens nach Lean-Prinzipien bezieht. Unter Lean Management werden sämtliche Bemühungen um schlankere Leistungsprogramme und Organisationsstrukturen über die ge-
739 Vgl. ebenda, S. 57.
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Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
samte Wertschöpfungskette hinweg verstanden_740 Es geht hierbei in erster Linie nicht um Einsparungen, sondern um eine Verbesserung der Flexibilität und Schlagkraft des Unternehmens. Sogenannte Blindleistungen, die durch Verschwendung von Arbeit, Zeit und Material entstehen, sollen durch kurze Entscheidungswege, flache Hierarchien sowie Kompetenzen für die Mitarbeiter an der Basis künftig vermieden werden.741 Ein die Effizienz steigerndes Lean Management ist demnach auch ein Instrument der Rationalisierung. Dazu zählt insbesondere das Beseitigen von versteckter Arbeitslosigkeit im Unternehmen durch personelles Ausdünnen, Abspecken sowie Hierarchieabbau. Mit schlanken Personalstrukturen soll verschwendungsfrei gearbeitet werden, indem Einsparungen am Reservepersonal (Ausgleich von Fehlzeiten und Fluktuation), Status-Personal (Assistenzkräfte als Status-Symbole), Führungspersonal (Hierarchieabbau) und auch am Service-Personal vorgenommen werden. Das bedeutet, daß stille Reserven an Arbeitskräften in schlanken Unternehmen konsequent abgebaut werden. 742 Der Abbau von Führungspositionen beschleunigt Entscheidungsprozesse, vereinfacht die Kommunikation, baut Bürokratie ab und erhöht das Verantwortungsbewußtsein auf den niedrigeren Ebenen. 743 Die Rolle der Führungskräfte wird im schlanken Unternehmen neu definiert. Führung durch Partizipation lautet das Schlagwort. Die Kompetenz der Führungskraft liegt nunmehr verstärkt bei den überfachlichen Qualifikationen, d. h. bei den Handhabungskompetenzen im Umgang mit Informationen und Menschen. 744 Das Konzept des Lean Management ist somit eng verbunden mit dem Aufkommen neuer Führungsstile und der Betonung sozialer Kompetenzen von Führungskräften.
740 Vgl. REISS (1993), S. 172. 741 Vgl. F'RIEDRICH (1992), S. 575 f. 742 Vgl. REISS (1993), S. 177 ff. 743 Vgl. BUHRFEIND ( 1993), S. 12. 744 Vgl. REISS (1993), S. 183 ff.
IV. Neue Orl(anisation.wrukturen im Unternehmen
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2. Die Bedeutung schlanker Organisationsstrukturen für die Aufstiegschancen von Frauen Schlanke Organisationsstrukturen sind durch eine schlanke Personalführung gekennzeichnet, die sich u. a. durch eine Verkürzung der Informations- und Kommunikationswege als Folge einer Abflachung der Hierarchien auszeichnet. Dies bedeutet aber zwangsläufig, daß der Aufstieg innerhalb der bestehenden Hierarchien wegen flacherer Strukturen seltener und damit für die Führungs(nachwuchs-)kräfte zugleich schwieriger wird, wenn künftig verschiedene Aufgaben in der Hand einer Führungskraft gebündelt werden. Hinzu kommt, daß die Schaffung flacher Hierarchien häufig eine Umschreibung dafür ist, sich als überflüssig erweisende Stellen abzubauen. Ein Personalabbau im Führungsbereich sowie eine BündeJung der Führungsaufgaben auf weniger Führungskräfte führen zunächst einmal nicht zu einer unmittelbaren Verbesserung der Aufstiegschancen von Frauen. Es ist im Gegenteil vielmehr davon auszugehen, daß der Wettbewerb um die verbleibenden Führungspositionen härter wird. Dennoch besteht eine Chance für Frauen darin, daß mit der Abflachung von Hierarchien und der damit einhergehenden verstärkten Gruppenarbeit die Verantwortungsbereiche des einzelnen Gruppenmitglieds größer werden. Dies eröffnet den Frauen die Möglichkeit, als gleichgestelltes Mitglied eines Teams, ihre spezifischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die Verminderung der Hierarchieebenen im Unternehmen läßt bisherige Hindernisse für Frauen, insbesondere die Überwindung vieler Hierarchiestufen mit der mehrfachen Möglichkeit der negativen Selektion für Frauen, per se wegfallen, so daß der Weg in mittlere und obere Führungsebenen kürzer und zugleich einfacher werden könnte. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist jedoch, daß im Zuge der Straffung der Unternehmenshierarchie ein damit verbundener Personalabbau in diesen Ebenen nicht zu Lasten der Frauen, möglicherweise mit dem Verweis auf ihre Alternativrolle oder einer Degradierung als Zweitverdiener, stattfindet.
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Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
V. Neue Arbeitszeitformen für Führungskräfte
I. Ausgangslage Obwohl die Bedeutung der Arbeitszeitflexibilisierung in den vergangenen Jahren zugenommen hat, sind Führungskräfte davon weitgehend ausgeschlossen worden. Als Ursache wird zum Teil die fehlende Nachfrage von seiten der Führungskräfte selbst genannt, zum Teil aber auch das mangelnde Angebot der Unternehmen.745 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt wurde, wird außerdem häufig davon ausgegangen, daß Führungspositionen nicht teilbar seien und eine kontinuierliche Anwesenheit die notwendige Voraussetzung für Kommunikation, Information und Kooperation sei.146 Die Folge ist, daß auch in der Literatur nur in sehr wenigen Fällen auf die spezifischen Probleme der Arbeitszeit von Führungskräften eingegangen wird. Zahlreiche Umfragen in Unternehmen zeigen zwar, daß flexiblere Arbeitszeitmodelle in fast allen Branchen und Sektoren auf Interesse gestoßen sind, aber überwiegend auf die unteren Hierarchiestufen beschränkt bleiben.747 Die Überlegungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit im Führungsbereich sind auch deshalb bedeutsam, weil sie zu einer Verbesserung der beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen beitragen könnten. Starre Arbeitszeitstrukturen im heutigen Arbeitsleben ermöglichen den Frauen, die Beruf und Familie in Einklang bringen möchten, oftmals nur, einer Teilzeit- bzw. Halbtagsbeschäftigung nachzugehen. Damit verringert sich aber üblicherweise zugleich die Möglichkeit eines weiteren beruflichen Aufstiegs. Flexiblere Arbeitszeiten auch im Führungsbereich könnten daher für Frauen eine Hilfestellung beim beruflichen Weiterkommen leisten. Gleichwohl ist zu bedenken, daß bei einer weiterhin bestehenden Doppelbelastung der Frau durch die Übernahme der Hausund Familienarbeit sie auch bei flexibleren Arbeitszeiten nicht in demselben Maße beruflich aktiv sein kann wie die Männer, die allein auf die Erwerbsarbeit ausgerichtet sind. 745 Vgl. ERGENZINGER ( 1992), S. 397. 746 Vgl. SCHMIDT (1991 ), S. 420. 747 Vgl. ERGENZINGER {1992), S. 398.
V. Neue Arbeitszeitformenfür Führungskr{ifte
221
2. Die "amorphe" Arbeitszeit
Die "amorphe", d. h. gestaltlose Arbeitszeit zeichnet sich dadurch aus, daß ausschließlich das zu leistende Arbeitsvolumen z. B. durch einen Tarifvertrag festgelegt wird. Über die genaue Lage und die Dauer der Arbeitszeit wird hingegen nichts vereinbart. Allerdings muß zusätzlich zum Arbeitskontingent noch der Zeitraum bestimmt werden, innerhalb dessen der Arbeitnehmer die Arbeitsleitung zu erbringen hat. Dies können Wochen, Monate oder auch Jahre sein.748 In den Rahmen der amorphen Arbeitszeit fallen auch Betriebsvereinbarungen, die den Mitarbeitern erlauben, ihre Berufstätigkeil für mehrere Jahre aufgrund einer Familienphase zu unterbrechen bei gleichzeitiger Wiedereinstellungszusage sowie die Gewährung von Langzeiturlaub. Das Flexibilisierungspotential ist bei der amorphen Arbeitszeit generell um so größer, je länger der Bemessungszeitraum gewählt wird. Für den Arbeitnehmer wird dadurch eine größere Zeitsouveränität geschaffen. Die Möglichkeit des Ansparens von Zeitguthaben schafft zudem die Möglichkeit, längere Urlaubsphasen einzulegen.749 Amorphe Arbeitszeitmodelle sind zur Vereinbarung von Beruf und Familie zwar gut geeignet, doch bleibt für Frauen die Gefahr bestehen, durch vorübergehendes Ausscheiden aus dem Beruf den Anschluß zu verlieren und damit zugleich die Aufstiegschancen zu reduzieren. Daher sind in Führungspositionen, die eine gewisse Kontinuität voraussetzen, solche Arbeitszeitmodelle auch in Zukunft wohl eher die Ausnahme.
3. Das Job Sharing Job Sharing bedeutet Arbeitsplatzteilung. Im Unterschied zur Teilzeitarbeit wird beim Job Sharing eine bestimmte Stelle im Unternehmen nicht nur vorübergehend, sondern während der vollen Arbeitszeit besetzt. Dabei teilen sich zwei oder sogar drei Personen die Aufgaben und den Arbeitsplatz. Die jeweiligen Ar748 Vgl. LINNENKOHL (1992), S. 135. 749 Vgl. ebenda, S. 142 f.
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Teil F: Kün}iige EntwicklungJtendenzen
beitszeiten werden vom Modell nicht zwingend vorgeschrieben. Sie können von den Beteiligten selbst festgelegt werden. Die Teilung des Arbeitsplatzes kann sich zudem auf den Zeitumfang (Job Splitting) oder auf die Arbeitsinhalte (Job Pairing) beziehen. 750 Mögliche Vorteile dieser Form der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsaufteilung sind eine höhere Arbeitszufriedenheit und Motivation der Job Sharer durch größere Freizeiten, geringere Fehlzeiten, eine höhere Produktivität als bei Vollzeitarbeitnehmern sowie die Nutzung von mehr Fähigkeiten und Erfahrungen bei zwei (oder drei) Job Sharing-Partnern. Nachteilig wirken sich für das Unternehmen die höheren Kosten aus, die durch eine aufwendigere Personalverwaltung, vermehrte Büroausstattung, höhere Sozialleistungen und erhöhte Kosten für Weiterbildung entstehen können.75 1 Das Ausmaß von Job Sharing in der Bundesrepublik Deutschland ist nur schwer zu ermitteln. Es wird aber davon ausgegangen, daß seine Verbreitung eher gering ist.752 Dies liegt wohl einerseits am Widerstand der Gewerkschaften und andererseits wirkt auf Unternehmerseite das Beschäftigungsförderungsgesetz (§ 5) restriktiv, da es eine automatische Vertretungspflicht der Job Sharer ausschließt. Damit können Arbeitnehmer, die sich einen Arbeitsplatz teilen, nicht im vorhinein generell verpflichtet werden, bei einem Ausfall des Partners diesen zu vertreten. Außerdem streben viele der in Frage kommenden Arbeitnehmer eine Arbeitszeit von 30 Stunden in der Woche an, was die Suche nach einem ergänzenden Partner erschwert. 753 In der überwiegenden Zahl der Job Sharing-Arbeitsverhältnisse stehen Frauen.754 Dies deutet darauf hin, daß eine Arbeitsplatzteilung den Bedürfnissen der Frauen entgegenkommt und die Vereinbarung von Beruf und Familie fördert. Kontrovers diskutiert wird jedoch die Frage, ob sich Job Sharing auch für die Führungsebene eignet. Häufig wird angeführt, daß die 750 Vgl. KNIPP (1991), S. 9. 751 Vgl. HAUPT/HaLTERS (1991), S. 449. 752 Vgl. ebenda, S. 447. 753 Vgl. KNJPP (1991), S. 10. 754 Vgl. HAUPT/HaLTERS (1991 ), S. 446.
V. Neue Arbeit.vzeitformen.für Führungskr4fte
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ständige Besetzung einer Stelle Job Sharing auch in qualifizierten Tätigkeitsbereichen ermögliche.755 In einigen Unternehmen (z. B. Deutsche Bank, Frankfurt) wird inzwischen Job Sharing für Führungskräfte angeboten.756 Doch bleiben dies bislang Einzelfälle. Die Einführung von Job Sharing auf Führungsebene auf breiter Front wird nicht diskutiert. Als Einwände werden genannt, daß Mitarbeiter mit mehreren Vorgesetzten Schwierigkeiten haben werden, Mitarbeiter die Vorgesetzten gegeneinander ausspielen können und möglicherweise die Stetigkeit der Führung gefährdet ist. 757 Eine besondere Problematik wird auch beim Kontakt zu Drittparteien gesehen und deren Akzeptanz gegenüber dem Job Sharing-Modell. Nicht geeignet zu sein scheinen auch Auslandseinsätze sowie Arbeitsplätze, die lange Reisen und Übernachtungsaufenthalte erfordern. 758 Job Sharing bietet karriereambitionierten Frauen zwar grundsätzlich eine Möglichkeit, nicht Vollzeit arbeiten zu müssen, ohne die Nachteile einer Teilzeitstelle (z. B. kaum Aufstiegsmöglichkeiten) auf sich zu nehmen. Dem stehen jedoch die Bedenken der Unternehmen, vor allem im Hinblick auf Job Sharing im Führungsbereich, gegenüber. Zwar wird das zukünftige Entwicklungspotential für JobSharing-Arbeitsplätze als erheblich betrachtet759, doch gilt dies für Führungskräfte sicherlich nur in viel geringerem Maße. 4. Die selbstbestimmte Arbeitszeit bei Trennung von Betriebs- und Arbeitsstätte Unter selbstbestimmter Arbeitszeit bei Trennung von Betriebsund Arbeitsstätte werden solche Arbeitsformen verstanden, bei denen Beschäftigte ihre Tätigkeit aus dem Betrieb verlagern und dadurch die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeitszeit weitgehend au-
755 Vgl. ebenda, S. 448. 756 Vgl. hierzu LINNENKOHL (1992), S. 129. 757 Vgl. VUCILOVSKI (1991), S. 503. 758 Vgl. ebenda, S. 504. 759 Vgl. LINNENKOHL (1992), S. 134.
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Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
tonom zu bestimmen.760 Solche Arbeitszeitmodelle sind vor allem die Heimarbeit, Telearbeit und der Heimarbeitsplatz. Nach § 2 Abs. I Heimarbeitsgesetz erbringt der Heimarbeiter seine Arbeit an einer von ihm selbst gewählten Betriebsstätte. Eine persönliche Abhängigkeit zum Auftraggeber besteht nicht. Damit kann der Heimarbeiter auch nicht als Arbeitnehmer angesehen werden.761 Telearbeit zeichnet sich dadurch aus, "daß der 'Telearbeiter' seine Arbeitsleistung in räumlicher Abspaltung vom Betrieb durch die Benutzung informationstechnischer Endgeräte erbringt, wobei zwischen ihm und seinem Arbeit- bzw. Auftraggeber eine telekommunikative Verbindung besteht"762. Von einem Heimarbeitsplatz wird dann gesprochen, wenn ein Arbeitnehmer bestimmte Arbeitsleitungen außerhalb des Betriebs tätigen kann, ohne daß damit seine Arbeitnehmereigenschaft tangiert wird.763 Der Vorteil für Heimarbeiter, Telearbeiter und für Arbeitnehmer mit Heimarbeitsplatz besteht in der hohen Zeitsouveränität Dies schafft auch die Möglichkeit einer besseren Abstimmung der Arbeit mit den familiären Verpflichtungen. Im Rahmen der weiteren Entwicklung moderner IuK-Techniken wird in Zukunft von einer zunehmenden Verlagerung der Arbeitsplätze aus dem Betrieb in den Privatbereich ausgegangen. Amerikanische Studien prognostizieren sogar, daß im Jahr 2000 bis zu 40 % der amerikanischen Beschäftigten dies in Form von Tele-Heimarbeit tun werden. 764 Das Berliner Institut für Zukunftsstudien (IZT) sieht in der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls erhebliche Potentiale für Telearbeitsmodelle. 765 Für Frauen besteht durch zunehmende Tele(Heim-)arbeitsplätze zwar die Möglichkeit einer besseren Vereinbarung von Berufs760 Vgl. ebenda, S. 144. 761 Vgl. ebenda. 762 Ebenda. 763 Ygl. ebenda. 764 Ygl. Blick durch die Wirtschaft (1993). S. I. 765 Vgl. ebenda.
VI. Zusätzliche Bestimmungsfaktoren
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und Familienarbeit Diesem Vorteil steht allerdings der Nachteil einer sozialen Isolierung gegenüber, weil kein unmittelbarer Kontakt mit Kollegen mehr stattfindet. Doch gerade die vermehrten sozialen Kontakte werden von Frauen häufig als Beweggründe für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit genannt. Außerdem ist fraglich, ob vermehrte Heimarbeit auch für Führungskräfte relevant werden wird. Verbesserte Aufstiegschancen für Frauen schafft die selbstbestimmte Arbeitszeit vermutlich nicht. Dennoch ist festzuhalten, daß eine erhöhte Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung einen entscheidenden Beitrag zur verbesserten Vereinbarung von Beruf und Familie leisten könnte und dies sowohl für Frauen als auch für Männer. Hierdurch wäre einerseits eine bessere Abstimmung mit der (öffentlichen) Kinderbetreuung außerhalb der Familie möglich. Andererseits könnte zugleich die Betreuung der Kinder innerhalb der Familie gleichmäßiger auf beide Elternteile verteilt werden. Eine Einschränkung besteht allerdings dahingehend, daß sich flexiblere Arbeitszeiten, insbesondere in höheren Führungsebenen, bislang kaum abzeichnen und in größerem Ausmaß wohl auch in Zukunft nicht zu erwarten sind.
VI. Zusätzliche Bestimmungsfaktoren 1. Mangel an Führungskräften Aufgrund der derzeitigen demographischen Entwicklung, die durch Geburtenrückgang und Überalterung der deutschen Gesellschaft gekennzeichnet ist, wird von einem zukünftigen Mangel an Führungskräften ausgegangen.766 Auch die Prognos AG sagt bis zum Jahr 2010 einen zusätzlichen Bedarf bei Organisations- und Managementtätigkeiten von 568.000 Beschäftigten voraus. 767 Vor dem Hintergrund solcher Prognosen wird angenommen, daß es sich die Unternehmen zukünftig nicht mehr werden leisten können, auf das Führungspotential der Frauen zu verzichten. Nach dieser Argumentation führt ein Mangel an Nachwuchsführungs766 Vgl. z. B. DEMMER (1988), S. 299. 767 Vgl. Prognos AG (1989), S. 227. 15 Wiegand
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Teil F: Kü'!ftige Entwicklungstendenzen
kräften zwangsläufig zu einem verstärkten beruflichen Aufstieg der Frauen.768 · Allerdings ist es fraglich, ob diese Prognose tragfähig ist. Die gegenwärtige Situation deutet jedenfalls nicht auf einen Mangel an Führungskräften hin. Die bereits besprochene Entwicklung hin zu schlanken Unternehmen mit einem ebenfalls reduzierten Führungsapparat läßt keinen steigenden Bedarf an Führungskräften erkennen, sondern lediglich Ersatzbedarf für ausscheidende Mitarbeiter. Auch die gesamtwirtschaftliche Lage vermittelt keine Anzeichen eines Mangels an qualifizierten Arbeitskräften großen Umfangs in nächster Zukunft. Hinzu kommt, daß trotz des Geburtenrückgangs die Studentenzahlen steigen und damit auch die potentiellen Führungsnachwuchskräfte zahlreicher werden. Während im Jahr 1991 noch 33% eines Jahrgangs studierten, sollen es nach Schätzungen der Kultusministerkonferenz im Jahr 2010 rund 44% sein.769 Des weiteren ist zu bedenken, daß ein Führungskräftemangel allenfalls eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen ist.770 Frauen stellen nur dann ein Nachwuchspotential für Führungspositionen, wenn sie die richtigen (sprich: führungsrelevanten) Fächer studiert haben. Die derzeitigen Entwicklungen zeigen aber, daß dies noch nicht im notwendigen Umfang geschieht. 2. Ökonomischer Strukturwandel Wie bereits an anderer Stelle erwähnt wurde, ist der sich in der Wirtschaft vollziehende Strukturwandel, d.h. der Prozeß der Beschäftigungsumschichtung vom Produktions- zum Dienstleistungssektor, ein wesentlicher Faktor, der in den letzten Jahren zur erhöhten Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben beigetragen hat. Die Ausweitung des Dienstleistungssektors hat neben verbesserten Beschäftigungschancen für Frauen auch eine Verbesserung ihrer Qualifikations- und Tätigkeitsstruktur mit sich gebracht. Dies be768 Vgl. z. B. ENGELSRECH (1993), S. 80. 769 Vgl. Handelsblatt (1993), S. K 7. 770 Vgl. PETZHOLD (1988), S. 39.
VI. Zusätzliche Bestimmung.ffaktoren
227
legen die hohen Zuwachsraten der Frauen in anspruchsvollen Dienstleistungsberufen, insbesondere in den Bereichen Gesundheitswesen, Rechts- und Wirtschaftsberatung, Banken und Versicherungen, Wissenschaft, Kunst und Publizistik. 771 Es zeigt sich ebenfalls, daß weibliche Führungskräfte am häufigsten in Dienstleistungsbetrieben tätig sind. Der Frauenanteil an den Führungskräften liegt hier mit 15 % deutlich höher als beispielsweise in der Industrie mit etwa 5 %.772 Obwohl es sich hierbei meist um die untere oder mittlere Führungsebene sowie um Vorgesetztenfunktionen über gering qualifizierte Arbeitskräfte handelt, scheint den Frauen der berufliche Aufstieg in diesem (tertiären) Wirtschaftssektor generell eher zu gelingen. 773 Diese Vermutung wird auch gestützt durch eine Unternehmensbefragung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bei 350 Unternehmen aller Größenordnungen aus dem Jahr 1992. Die Umfrage ergab, daß bei 57 % aller befragten Dienstleistungsunternehmen der Anteil der weiblichen Fach- und Führungskräfte774 in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hatte. In den Industrieunternehmen betrug dieser Anteil hingegen nur 39 %. 775 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen lassen sich vermutlich auch zunehmende Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen in der Zukunft ableiten. Zum einen wird im Rahmen des ökonomischen Strukturwandels die Bedeutung des Dienstleistungssektors in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter ansteigen. Im Zuge dieser Entwicklungen wird auch die Zahl der Arbeitnehmer und der Selbständigen in diesem Sektor zunehmen. 776 Zum anderen nimmt auch weiterhin die Mehrzahl der Frauen und jungen Mädchen vorzugsweise in diesem Wirtschaftsbereich eine Tätigkeit auf. Dieses typische Berufswahlverhalten ist trotz umfangreicher Werbemaß771 Vgl. CHABERNYIZELLER (1989), S. 4 ff. 772 Vgl. PüCKLERIDIERGARTEN (1992), S. 994. 773 Vgl. ENGELBRECHIKRAFr (1992b). S. 8. 774 Fach- und Führungskräfte sind nach dieser Untersuchung alle Personen, die
entweder in der höchsten Tarifgruppe eingruppiert sind oder außertariflich vergütet werden.
775 Vgl. PüCKLERIDIERGARTEN (1992), S. 994. 776 Vgl. hierzu FUCHS (1992). 15*
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Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
nahmen von seiten der Industrie bestehen geblieben. Doch scheint es nunmehr positive Auswirkungen auf die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen zu haben. Lediglich eine Einschränkung ist dahingehend zu machen, als durch den mit dem Strukturwandel einhergehenden technischen Wandel auf der Führungsebene eventuell technisch ausgebildete Personen begünstigt werden. Doch gerade in den technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen sind Frauen nach wie vor ganz erheblich unterrepräsentiert. 777 Sofern eine (durchaus wünschenswerte) freie Studien- und Berufswahl gewährleistet sein soll, kann dieser Tendenz kaum entgegengewirkt werden. Es bestünde lediglich die Möglichkeit, verstärkt darauf hinzuweisen, daß im Hinblick auf die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten jeder die Konsequenzen seiner (freien) Studienwahl auch selbst zu tragen hat. Wenn durch die Wahl des Studiengangs bereits der "falsche" Grundstein einer beruflichen Karriere gelegt wird, kann es nicht Aufgabe der Personalpolitik sein, dieses Manko im nachhinein zu korrigieren. 3. (Ehe-)Paare mit zwei Karrieren (Dual Career Couples) Eine zunehmend an Bedeutung gewinnende Gruppe im Arbeitskräftepotential von Unternehmen sind (Ehe-)Paare, bei denen beide Partner eine berufliche Karriere verfolgen. In der englischsprachigen Literatur werden diese Paare als Dual Career Couples (DCC) bezeichnet. Die Bedeutung der DCC nimmt zu, weil zum einen die Zahl der hochqualifizierten Frauen, die nicht auf eine Partnerschaft (und Familie) verzichten wollen, steigt und zum anderen zunehmend Männer hochqualifizierte Frauen heiraten. 778 Für die Unternehmen scheint es von daher notwendig und sinnvoll zu sein, sich auf die späteren Bedingungen dieser besonderen Mitarbeitergruppe und auf die daraus resultierenden zeitlichen Abstimmungsprobleme, insbesondere bei der Laufbahnplanung, einzustellen. 779
777 Vgl. ebenda, S. 66. 778 Vgl.
DoMscHIKRüGER-BASENER
779 Vgl.
DOMSCH
(1988), S. 334.
(1990), S. 125.
VI. Zusätzliche Bestimmung~faktoren
229
Der jeweilige Mitarbeiter ist nunmehr als Teil eines DCC zu sehen, bei dem die berufliche Entwicklung in größerem Maße als bei Nicht-DCC von der Situation des Partners beeinflußt wird. Überlegungen zur Karriereentwicklung des einen Partners haben zwangsläufig Auswirkungen auf die Karriereentwicklung des anderen zu berücksichtigen. Hieraus ergeben sich in erster Linie Mobilitäts- und StandortproblemeJ80 Weitere Belastungen und Nachteile von DCC können darin bestehen, in der betrieblichen Laufbahnentwicklung langsamer voranzukommen, Rückschritte zugunsten der Karriere des Partners hinzunehmen oder ganz auszusteigen. Andererseits bringt das berufliche Konkurrenzdenken von DCC oftmals eine hohe Leistungsmotivation mit sich und kann damit den beiderseitigen beruflichen Aufstieg sowie das Verständnis für die beruflichen Belange des anderen fördern. 781 Die personalpolitische Bedeutung der DCC für die Unternehmen resultiert daraus, daß im Rahmen der Personalbedarfsdeckung zunehmend Mitarbeiter herangezogen werden, die Partner eines DCC sein können bzw. sein werdenJ82 Damit entstehen für das betriebliche Personalwesen neue Probleme. Beispielhaft sei hier die Personalentwicklung und die Gestaltung des Anreizsystems genannt. Bei der Personalentwicklung ergeben sich vor allem Probleme der Laufbahnplanung, wenn Beförderungen mit einem Ortswechsel verbunden sind. Solche Veränderungen werden aufgrund der verminderten räumlichen Flexibilität von den betreffenden Mitarbeitern eher abgelehnt werden. Dies erfordert, innerbetriebliche Karrierepfade neu zu überdenken und Wege zu finden, die weniger stark in die Paarbeziehung von DCC eingreifen.783 Da sich DCC überwiegend durch ein hohes gemeinsames Einkommen kennzeichnen lassen, gewinnen zudem nicht-materielle Anreize an Bedeutung. Derartige betriebliche Sozialleistungsangebote können nach dem Prinzip des "CafeteriaSystems" gestaltet werden, wonach jeder Mitarbeiter aus dem vorhandenen Angebot von Sozialleistungen nach den persönlichen Bedürfnissen und Präferenzen eine Auswahl treffen kann. 784 780 Vgl. DOMSCHIKRÜGER-BASENER (1990), S. 125 und 131. 781 Vgl. DOMSCH (1988), S. 337. 782 Vgl. DOMSCHIKRÜGER-BASENER (1990), S. 127. · 783 Vgl. MAYRHOFER (1989), S. 420. 784 Vgl. ebenda, S. 421.
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Teil F: Kün,ftil(e Entwicklunl(stendenzen
Zudem kann eine stärkere Berücksichtigung der Belange des eigenen Partners dazu führen, daß die Verfügbarkeit der männlichen Mitarbeiter für ihr Unternehmen Einschränkungen erfährt, welche bislang überwiegend den Frauen nachgesagt wurden. Diese Entwicklung könnte die Aufstiegschancen von Frauen verbessern. 4. Veränderte Einstellungen von Männern Die Einstellungen zur Ausübung der Rollen von Mann und Frau in einer Ehe oder Partnerschaft haben sich in der Gesellschaft in vielen Bereichen gewandelt. Dies belegen auch Umfrageergebnisse des Instituts für Demoskopie Allensbach 785 oder des Instituts für praxisorientierte Sozialforschung (IPOS), Mannheim. 786 Insbesondere bei der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung haben sich viele Männer und Frauen von einer starren Rollenzuweisung gelöst. Allerdings überwiegen noch immer die Vorbehalte, wenn der Mann bei seiner eigenen Karriere zugunsten verbesserter beruflicher Entwicklungschancen der Partnerin zurücksteckt. Die Rolle des Hausmannes zu übernehmen, finden auch heute nur 15% derMännerund 21 % der Frauen gut.787 Junge Leute sowie Personen mit höherer Schulbildung akzeptieren partnerschaftliches Verhalten des Mannes jedoch in höherem Anteil. Dies gilt sowohl für die Betreuung von Kindern als auch für die Bereitschaft, bei der eigenen Karriere zugunsten der Frau zurückzustecken. Dennoch stößt auch in der jüngsten Männergruppe (16- 29 Jahre) eine häufige berufliche Abwesenheit der Partnerin und die Übernahme der Rolle als Hausmann mehrheitlich auf Vorbehalte. 788 Das Image des partnerschaftliehen Mannes wird bei Frauen und Männern insgesamt positiv beurteilt. Trotzdem gibt es eine Reihe von partnerschaftliehen Verhaltensweisen, die von vielen Befrag785 Vgl. hierzu Bundesminister für Frauen und Jugend (1993). 786 Vgl. hierzu Bundesminister für Frauen und Jugend ( 1992b). 787 Dies geht aus einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Mai 1993 hervor. Vgl. Bundesminister für Frauen und Jugend ( 1993), S. 13. 788 Vgl. ebenda, S. 26.
VI. Zusätzliche Bestimmung~faktoren
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ten mit deutlicher Zurückhaltung gesehen werden, wie etwa die Rolle des Hausmannes oder der Erziehungsurlaub von Männern.789 Obwohl nach einer Untersuchung von Bielenski/Strümpel jeder zehnte deutsche vollzeiterwerbstätige Mann auch ohne Lohnausgleich teilzeitarbeiten würde, bemühen sich nur wenige Männer um die Realisierung dieses Wunsches. 790 Eine daran anschließende Untersuchung der Autoren über teilzeitarbeitende Männer und Hausmänner zeigt, daß zwei Fünftel der befragten Teilzeitbeschäftigten erhebliche Widerstände bei der Umsetzung ihres Teilzeitwunsches zu überwinden hatten. Geschäftsleitungen und Vorgesetzte brachten dabei nicht nur betriebswirtschaftliche Gegenargumente vor, sondern oft auch emotionale Vorbehalte gegenüber diesen Männern, die dem Beruf nicht weiter den Vorrang geben wollten. Der Teilzeitwunsch wurde von ihnen als Zeichen der Arbeitsunzufriedenheit bzw. mangelnder Einsatzfreude interpretiert. Häufig reagierten auch die Betriebsräte und die Kollegen zurückhaltend. Zudem nahm jeder vierte befragte teilzeitbeschäftigte Mann eine Verschlechterung seiner beruflichen Stellung wahr, und über 40 % der Befragten beklagten eingeschränkte Aufstiegschancen.791 Damit stehen teilzeitbeschäftigte Männer ähnlichen Problemen gegenüber wie teilzeitbeschäftigte Frauen. Während die teilzeitbeschäftigten Männer im Freundeskreis allerdings überwiegend Zustimmung erfahren, genießt das Hausmann-Dasein in der Öffentlichkeit nur ein geringes Ansehen. In vielen Fällen sind sogar die Partnerinnen der Hausmänner reserviert.792 Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, in welchem Umfang Männer in Zukunft die Aufgabe der Hausarbeit und der Kinderbetreuung übernehmen werden und damit ihren Partnerinnen den beruflichen Aufstieg (eher) ermöglichen. Empirische Untersuchungen 793 über Veränderungen in der Verteilung der Aufgaben im Verlauf einer Partnerschaft zeigen, daß sich die Männer jüngerer Generationen und aus gehobenen Schichten inzwischen zwar verstärkt an Hausarbeiten beteiligen, 789 Vgl. ebenda, S. 62. 790 Vgl. BIELENSKIISTRÜMPEL ( 1988), S. 40 f. 791 Vgl. STRÜMPEL (1989), S. 7. 792 Vgl. ebenda, S. 148 ff. 793 Vgl. ERLER (1988); KRÜGER (1984); NAUCK (1987).
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Teil F: Künftige Entwicklungstendenzen
dies jedoch meist nur in der Anfangszeit der Partnerschaft bzw. der Ehe. Eine steigende Kinderzahl sowie zunehmende innerfamiliäre Aufgaben verringern die Teilnahme der Männer ebenfalls. Bei den Paaren, die zwischen 1970 und 1980 geheiratet haben, konnte im Verlauf der Partnerschaft eine zunehmende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit festgestellt werden. Trotz einer ausdrücklichen Betonung der gemeinsamen Aufgabenbewältigung übernehmen die Frauen in der Realität fast die gesamten häuslichen Aufgaben. 794 Die familiäre Arbeitsteilung bei den Paaren der jüngeren Generation scheint sich demzufolge von einer anflinglichen Gleichberechtigung hin zu einer immer traditionelleren Rollenteilung zu bewegen.795 Spätestens bei der Geburt des ersten Kindes tritt bei den meisten Paaren das traditionelle Rollenmodell der "Versorgerehe" wieder in Kraft. Lediglich eine Minderheit häufig hochqualifizierter Frauen geht von egalitären Vorstellungen auch in der Phase der Kindererziehung aus. 796 In einer Umfrage der Frauenzeitschrift "Brigitte" aus dem Jahre 1988797 sagten 88 % der befragten Väter, sie hätten beruflich nicht zurückgesteckt, um sich ihren Kindern zu widmen. Des weiteren erwarten 70% der Männer abends ein "geordnetes Familienleben", ob ihre Frauen berufstätig sind oder nicht. 798 Diese Ergebnisse deuten darauf hin, daß nach wie vor die Vereinbarkeit der verschiedenen inner- und außerfamiliären Aufgaben in den meisten Fällen dadurch erreicht wird, indem die Frau flexibel auf die jeweiligen Erfordernisse reagiert. Die Rückkehr zur traditionellen Rollenteilung bei der Geburt eines Kindes wird dann zumeist mit der These der Unersetzbarkeit der Mutter erklärt. 799 Vor dem Hintergrund dieser Einstellungen bleibt jedoch eine zunehmende Teilnahme der Männer an der Familienarbeit zumindest in der Kleinkindphase auch in Zukunft fraglich.
794 Vgl. KRüGER (1984), S. 199. 795 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 34. 796 Vgl. ERLER (1988), S. 36. 797 Vgl. ebenda, S. 39 ff. 798 Vgl. ebenda. 799 Vgl. SIEVERDING (1990), S. 35.
VII. Resümee
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VII. Resümee Die Prüfung einiger für die Zukunft erwarteter Entwicklungstendenzen hat gezeigt, daß sich die Beschäftigungs- ebenso wie die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen zwar grundsätzlich verbessern werden, dies jedoch keinesfalls einen Automatismus mit sich bringt. Frauen werden weiterhin sowohl ihre Leistungsfähigkeit als auch ihre Leistungsbereitschaft zur Übernahme von Führungsfunktionen unter Beweis stellen müssen. Doch wird ihnen dies vor dem Hintergrund genereller gesellschaftlicher Wandlungsprozesse eher gelingen als noch vor etwa zwanzig Jahren. Ein möglicher Mangel an Führungskräften sowie eine Ausweitung des Dienstleistungssektors könnten sich ebenfalls als aufstiegsfördernd erweisen. Eine besonders gute Voraussetzung zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Karriere wäre auch eine höhere Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung. Doch hier zeigen sich bislang kaum Ansätze im Führungsbereich und noch weniger in Verbindung mit Teilzeitarbeit Der anhaltende Trend zur Teilzeitbeschäftigung von Frauen schließt folglich die Übernahme von Führungsverantwortung in den meisten Fällen per se aus. Daher werden wohl auch in nächster Zukunft nur diejenigen Frauen beruflich Karriere machen, die entweder von vornherein auf Kinder verzichten oder aber die Versorgung der Kinder weitgehend Dritten überlassen (können).
Schlußfolgerungen I. Ergebnisse aus der vorangehenden Analyse Die Analyse der Restriktionen für den beruflichen Aufstieg von Frauen zeigt, daß die Ursachen zu einem großen Teil in einer von den männlichen Kollegen abweichenden Lebensplanung liegen. Frauen sind aufgrund ihrer spezifischen Lebenssituation zwar grundsätzlich in der Lage, den Anforderungen der Wirtschaft und damit implizit auch den Anforderungen des Leistungsprinzips zu genügen. Berufsunterbrechungen sowie ein späterer Wiedereinstieg stellen aber im Vergleich zum meist kontinuierlichen Berufsverlauf von Männern ungünstigere Ausgangspositionen für einen (weiteren) beruflichen Aufstieg dar. Diese Erkenntnis ist im Prinzip nicht neu. Fraglich bleibt, ob daraus in der Vergangenheit immer die richtigen Schlußfolgerungen gezogen wurden. Die sich mit dieser Thematik befassenden Wissenschaftsdisziplinen leisten jeweils nur einen spezifischen Teil zur Erklärung der bestehenden Situation von Frauen im Haushalts- und Erwerbssektor. Für sich allein genommen kann deshalb kein Erklärungsversuch das Gesamtphänomen zufriedenstellend deuten. Demzufolge können einseitige, also aus einer (wissenschaftlichen oder normativen) Perspektive abgeleitete Lösungsvorschläge auch kaum zu einem (für die Mehrzahl der Betroffenen) befriedigenden Resultat führen. Hierzu bedarf es vielmehr eines interdisziplinären Denkansatzes, der bislang nicht vorliegt und somit einen verbleibenden Forschungsbedarf darstellt. Denkansätze mit interdisziplinärer Betrachtungsweise sollten dabei grundsätzlich das Verhältnis von Haushalts- und Familienarbeit zur Erwerbstätigkeit berücksichtigen, da diese sich gegenseitig bedingen. Die quantitative sowie qualitative Bedeutung beider Tätigkeitsfelder für eine Volkswirtschaft ist in diesem Zusammenhang nicht zu überschätzen. Erst vor dem Hintergrund dieser Tatbestände lassen sich politische Handlungsempfehlungen formulieren, die sich vermutlich als zielwirksam erweisen.
II. Diskriminierung versus Differenzierung
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II. Diskriminierung versus Differenzierung Unter Bezugnahme auf den dieser Arbeit zugrundeliegenden Diskriminierungsbegriff, wonach eine Diskriminierung im ökonomischen Sinne dann vorliegt, wenn die Bemessung von Gegenleistungen und Positionen nach persönlichen Merkmalen erfolgt, die nicht in direktem Zusammenhang mit der erbrachten Leistung stehen, handelt es sich auf dem Arbeitsmarkt in erster Linie nicht um eine Diskriminierung der Frauen an sich, sondern vielmehr um eine Differenzierung der Arbeitskräfte nach bestimmten Merkmalen. Daß bestimmte arbeitsmarktrelevante Merkmalsausprägungen vermehrt bei Männern oder vermehrt bei Frauen vorzufinden sind, ist noch kein Hinweis auf eine Diskriminierung, sondern aus rein statistischer Sicht eine "normale" Erscheinung; denn im allgemeinen zeigt jedes spezielle Segment der Gesamtbevölkerung Strukturmerkmale, die vom Bevölkerungsdurchschnitt abweichen. Allerdings ist zu fragen, ob bereits im Vorfeld Diskriminierungsmechanismen wirksam werden, die zu ungleichen Startbedingungen von Frauen und Männem im Erwerbsbereich führen. Anhand ökonomischer Verhandlungsmodelle konnte in dieser Arbeit gezeigt werden, daß asymmetrische Verhandlungspositionen innerhalb der Familie entstehen können, die eine Gefangenen-Dilemma-Situation hervorrufen. Demzufolge hat die (noch immer vorherrschende) innerfamiliäre Arbeitsteilung Konsequenzen für das sich auf Haushaltsarbeit spezialisierende Familienmitglied (meist also die Frau), die als eine Folge der Machtverteilung in der Familie zu interpretieren sind. Wird dieser Zusammenhang berücksichtigt, so sind auch geschlechtsspezifische Lohnunterschiede als Reflex diskriminierender familiärer Entscheidungen zu betrachten. Eng verbunden mit der (traditionellen) innerfamiliären Arbeitsteilung sind mögliche Vorbehalte des Arbeitgebers bei der Einstellung gegenüber weiblichen Arbeitskräften, die de facto als (statistische) Diskriminierung einzuordnen sind. Danach werden Frauen im gebärfähigen Alter bei Einstellungs- und Aufstiegsentscheidungen in der Regel als "potentielle Mütter" angesehen. Die zu beobachtenden Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und Männern können, soweit sie nicht auf unterschiedlichen Produktivitäten beruhen, entsprechend auch als Risikoabschlag für das potentielle familienbedingte Ausfallrisiko der Frau gedeutet werden.
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Schlußfolgerungen
Eine solche geschlechtsstereotype Wahrnehmnung der Frau bei der Personalauswahl ist damit als eines der größten Hindernisse für den beruflichen Ein- und Aufstieg insbesondere derjenigen Frauen anzusehen, die diesem "Schema" nicht folgen wollen. Zur Erreichung von Spitzenpositionen im Führungsbereich ist als entscheidende Voraussetzung neben dem Einstieg im richtigen Alter die Kontinuität der Verfolgung des Karriereziels zu nennen. Der Grundstein für eine spätere erfolgreiche Karriere wird aber in der Regel gerade in jenen Lebensphasen gelegt, in denen Frauen durch die Betreuung von Kindem besonders beansprucht sind. Startet eine Frau aus diesem Grund ihren beruflichen Aufstieg erst zu einem späteren Zeitpunkt, werden Spitzenpositionen meist nicht mehr erreicht. Der Aufstieg in höhere Führungspositionen ist somit kein Privileg von Männern, sondern gelingt (bei entsprechender Eignung) in erster Linie denjenigen Mitarbeitern, deren zeitliche Verfügbarkeit über die gesamte Laufbahn hinweg nicht wesentlich eingeschränkt wird, was beispielsweise bei Übernahme von Haushalts- und Familienarbeit durch Dritte der Fall ist. Die meisten Ursachen der Unterrepräsentierung von Frauen im Führungsbereich dürften daher nicht auf direkte Diskriminierung zurückzuführen sein. Es handelt sich vielmehr wieder um eine Differenzierung der Mitarbeitgruppen, die von den Unternehmen unter betriebswirtschaftliehen Gesichtspunkten vorgenommen wird. Eine umfassende Änderung der Beschäftigungssituation von Frauen wird demnach vermutlich nur dann erfolgen (können), wenn auch Männer künftig nicht mehr uneingeschränkt beruflich verfügbar sind. Hierzu ist jedoch ein grundlegendes Umdenken von Frauen und Männern in Richtung einer neuen Organisation von Berufs- und Familienwelt notwendig. Dies könnte so aussehen, daß sich Frauen zusätzlich zu ihrer Mutterrolle verstärkt beruflich engagieren und Männer ihre Funktion als Familienernährer zugunsten einer verstärkten Vaterrolle einschränken. Das bedeutet allerdings, daß letztlich beide Partner Abstriche bei ihrer Karriereplanung machen müssen. Eine berufliche Karriere im klassischen Sinne wird dann überwiegend jenen Männern und Frauen vorbehalten bleiben, die sich unter diesen Bedingungen für ein anderes Lebenskonzept entscheiden. Damit sind weitreichende gesellschaftliche Wandlungsprozesse angesprochen, die sich unmittelbar auf die betriebliche Personal-
l/1. Verbleibender Forschungsbedwj"
237
politik auswirken. Gleichwohl kann der Anstoß zu solchen gesellschaftlichen Veränderungen nicht von den Unternehmen allein ausgehen; doch muß er von diesen mitgetragen werden. Vieles wird aber davon abhängen, in welchem Maße Frauen und Männer zum Umdenken bereit sind. So müssen Männer nicht nur den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen wollen; sie müssen auch verstärkt dazu bereit sein, Familienarbeit zu übernehmen. Doch gerade hier scheint es große Vorbehalte zu geben. Trotz bereits sich wandelnder Einstellungen von Männern zur Arbeitsteilung von Mann und Frau in einer Ehe oder Partnerschaft wird sowohl die Rolle des Mannes als Hausmann als auch die Beanspruchung des Erziehungsurlaubs von Männern mit deutlicher Zurückhaltung gesehen. Zwar sind insbesondere Männer der jüngeren Generation verstärkt an der Haushaltsarbeit beteiligt, doch nimmt ihre Teilnahme im Verlauf der Partnerschaft ebenso wie mit steigender Kinderzahl ab, was auf eine deutliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der familiären Arbeitsteilung hinweist. Nach diesen, dem allgemeinen Wertewandel entgegenlaufenden Tendenzen bleibt es weiterhin eine offene Frage, wie viele Appelle erforderlich sind, um Männer verstärkt in die Haushaltsarbeit einzubinden. 111. Verbleibender Forschungsbedarf: Die Notwendigkeit eines interdisziplinären Ansatzes Im Rahmen der vorangehenden Analyse wurden mehrere Ansätze unterschiedlicher Wissenschaftsrichtungen angesprochen, die versuchen, die spezifischen Erwerbsmuster von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu erklären. So läßt sich mit Hilfe ökonomischer Ansätze zeigen, warum es unter den gegebenen Bedingungen durchaus rational und auch ökonomisch effizient ist, daß sich die Frau überwiegend auf die Haushaltsarbeit spezialisiert und der Mann die außerhäusliche Erwerbsarbeit übernimmt. Bei den hier angesprochenen Modellen ist jedoch die bestehende geschlechstsspezifische Arbeitsteilung eine exogt';ne Variable und damit nicht aus dem Modell heraus erklärbar, sondern ein Datum. Folglich werden auch keine Gründe dafür geliefert, warum sich gerade Frauen auf die Haushaltsarbeit spezialisieren (sollten).
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Schlußfolgerungen
Dieser Frage gehen wiederum die soziologischen Ansätze nach. Unter Zugrundelegung einer geschlechtsspezifischen Sozialisation vom Kindesalter an werden Erklärungsmuster für die typisch weibliche Berufs- und Ausbildungswahl mit dem Verweis auf ein spezifisch weibliches Arbeitsvermögen geliefert. Offen bleibt bei diesen Ansätzen die Frage, warum es bei der Erziehung gemeinhin zu einer unterschiedlichen Behandlung der Geschlechter kommt. Die knappe Skizzierung der verschiedenen Ansätze deutet bereits darauf hin, daß diese sich ergänzenden wissenschaftlichen Erklärungsmuster bislang weitgehend unverbunden nebeneinanderstehen. Demgegenüber wäre ein integrierender Erklärungsversuch, der die Interdependenzen der einzelnen Theorien herausarbeitet und miteinander verknüpft, durchaus wünschenswert und möglicherweise hilfreich für die Entwicklung wirkungsvoller Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Daher soll zum Abschluß dieser Arbeit ein (erster) Versuch unternommen werden, die verschiedenen Erklärungsansätze zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt - wenngleich stark abstrahiert - miteinander zu verbinden (siehe hierzu Schaubild 7). Ausgangspunkt einer jeden Analyse ist die Existenz zweier verschiedener Geschlechter: Frau und Mann. Zwischen den Geschlechtern hat sich eine (bis in die heutige Zeit hineinreichende) geschlechtsspezifische Arbeitsteilung etabliert, wonach sich der Mann typischerweise auf dem Marktsektor, also die außerhäusliche Erwerbsarbeit, spezialisiert, während die Frau typischerweise im Haushaltssektor tätig ist. Die Ursachen für die Hausbildung dieser Form der Arbeitsteilung werden in den biologischen Ansätzen als biologisch bedingt angesehen, während sie in soziologischen Ansätzen als sozialisationsbedingt gelten. Unabhängig davon, welche Determinanten (Biologie oder Sozialisation) dafür ausschlaggebend sind, ist eine Folge der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zwischen Haus- und Erwerbsarbeit eine ebenfalls geschlechtsspezifische Berufswahl. Hier setzen die ökonomischen Erklärungsversuche an. Sie liefern eine Begründung dafür, warum es für Frauen ökonomisch rational ist, ganz bestimmte Berufe zu wählen, in denen beispielsweise der Verlust an Qualifikationen während einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gering ist.
Ansätze
:
/
Quelle: Eigene Darstellung.
Segmentalion des Arbeitsmarktes
differenzen
Einkommens-
~--· ······-················;
Studienwahl _
.,lgesc~chtstypischj
iökonoßiiscliC Aii"SäiiC: ;--·---..·--·········..:
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biologisch bedingt
Frau
Synopse verschiedener Erklärungsansätze zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt
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Schaubild 7:
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240
Schlußfrllgerungen
Die geschlechtsspezifische Berufswahl ist wiederum eine Ursache der zu beobachtenden Einkommensdifferenzen zwischen weiblichen und männlichen Arbeitskräften sowie der Segmentation des Arbeitsmarktes. Eng verbunden mit der geschlechtsspezifischen Berufswahl ist auch eine geschlechtsspezifische StudienwahL In diesem Zusammenhang wird üblicherweise auf die unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten von Frauen und Männern hingewiesen, die dazu führen, daß Frauen eher künstlerisch-literarische Fächer bevorzugen und Männer stärker mathematisch-naturwissenschaftliche Studiengänge wählen. Sowohl die geschlechtsspezifische Berufswahl als auch die geschlechtsspezifische Studienwahl tragen zu den Problemen von Frauen beim beruflichen Aufstieg bei. Selbst wenn Frauen in ihrer Wahl ein "untypisches" Verhalten zeigen, bleiben Barrieren bestehen, die insbesondere den Aufstieg in die Führungsebene verhindern oder zumindest erschweren. Zur Begründung werden dann meist psychologische Erklärungsmuster herangezogen, welche die Ursachen der Aufstiegsprobleme in erster Linie bei den Frauen selbst bzw. in der Art, wie sie von Männern wahrgenommen werden, sehen. Wie sich zeigt, lassen sich die unterschiedlichen theoretischen Ansätze zur Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt gut miteinander verknüpfen, da sie sich zu großen Teilen ergänzen. Zugleich zeigt sich aber auch deutlich, daß eine sich (warum auch immer) herausbildende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern das zentrale Moment aller nachfolgenden lmplikationen ist. Hier werden zahlreiche ineinandergreifende Mechanismen in Gang gesetzt, die bewirken, daß Frauen Benachteiligungen am Arbeitsmarkt erfahren. Gerade mit Hilfe der verschiedenen ökonomischen Ansätze lassen sich nahezu alle diese Erscheinungen auf dem Arbeitsmarkt und darüber hinausgehende Strukturen innerhalb einer Familie bzw. eines Haushalts (ökonomisch) plausibel erklären. Zudem werden die Gründe für die Rationalität einer Perpetuierung dieser Strukturen manifest. Gleichwohl ist auch hier nochmals darauf hinzuweisen, daß den ökonomischen Erklärungsansätzen restriktive Modellannahmen zugrunde liegen, wie etwa die Annahme bestimmter Formen der Spezialisierung zwischen Frau und Mann in bezug auf Haushalts-
II/. Verbleibender Forschungsbedaif
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und Erwerbsarbeit Daher stößt hier die ökonomische Betrachtungsweise an die Grenze dessen, was sie zum Forschungsgegenstand erhoben hat. Das heißt, an dieser Stelle müssen die Erkenntnisse anderer Wissenschaftsdisziplinen weiterführen. Dabei sollte zunächst die Entstehung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung den Mittelpunkt der Betrachtung bilden, da hier noch erhebliche Erkenntnislücken bestehen. Dies beruht in erster Linie darauf, daß die bisherigen Erklärungsversuche der Soziologen auf der einen Seite und der Biologen auf der anderen (scheinbar) unvereinbar nebeneinanderstehen. Kernpunkt der Kontroverse ist die Frage, ob Frauen bestimmte Neigungen erst ansozialisiert werden oder ob gewisse Verhaltensdispositionen schon angeboren sind. Sofern sich die typisch weiblichen Rollenmuster als sozialisationsbedingt erweisen, könnten Maßnahmen im Erziehungsbereich unter Umständen zu einem neuen Rollenverständnis beider Geschlechter beitragen und damit die Startchancen angleichen. Ließe sich demgegenüber zeigen, daß biologische Differenzen zwischen den Geschlechtern ein bestimmtes Rollenverhalten geradezu bedingen, wären Versuche, dieses Verhalten zwanghaft zu ändern, als "wider die Natur" einzustufen. Bislang aber fehlen (gesicherte) Erkenntnisse dahingehend, ob es biologische "Zwänge" gibt, welche beispielsweise die Kinderbetreuung zunächst der Mutter auferlegen und die dann eine natürliche Einschränkung der Frau im außerhäuslichen Erwerbssektor bedingen. Die Folgen einer solchen eingeschränkten Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt können durch politische Maßnahmen etwa Kompensationszahlungen (Erziehungsgeld) - bestenfalls gemildert, nicht aber vollständig vermieden werden. Ansonsten müßten Eingriffe in biologische Abläufe bzw. Vorgaben erfolgen, deren Sinngebung und Akzeptanz eher fraglich wären. Schon diese wenigen Überlegungen zeigen, daß es grundsätzlich sinnvoll erscheint, stärker als bisher auch biologische Aspekte in die Diskussion einzubringen. Darüber hinaus besteht zusätzlicher Forschungsbedarf im Hinblick auf die psychologische Komponente beim beruflichen Aufstieg in Führungspositionen. So konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden, inwiefern Frauen tatsächlich eine Furcht vor Erfolg und/oder ein Selbstunterschätzungssyndrom eigen ist, die als psychologische Barrieren den Berufsaufstieg bremsen. In diesem 16 Wiegand
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Schlußfolgerungen
Zusammenhang sind sicherlich (bis dato fehlende) Langzeitstudien über Berufsverläufe von Frauen hilfreich. Eine vergleichende Analyse solcher Daten könnte Aufschluß darüber geben, inwieweit persönliche Entscheidungen, das Unternehmerische Umfeld oder andere Faktoren den jeweiligen Verlauf geprägt haben. Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, daß eine Klärung der bestehenden Problematik nur durch interdisziplinäre Forschung möglich erscheint, wie sie beispielsweise bei der - ebenfalls vor diesem Hintergrund - geschaffenen Max-Planck-Gesellschaft für Bildungsökonomie schon praktiziert wird. Die Empfehlung kann daher nur lauten, in dieser Richtung verstärkte Anstrengungen einer Zusammenarbeit aller beteiligten Disziplinen voranzutreiben.
IV. Haushalts- und Familienarbeit als Grundlage einer Erwerbsarbeit Die Haushalts- und Familienarbeit erweist sich im Rahmen der Analyse immer wieder als Dreh- und Angelpunkt aller weiteren Überlegungen. Damit ist zugleich die Frage, wer diese Arbeit übernimmt, für die Problemstellung von zentraler Bedeutung. Zunächst ist festzuhalten, daß der Wert der Haushaltsproduktion, obgleich er mit den heute üblichen Rechenverfahren der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfaßt wird und auch nicht exakt quantifiziert werden kann, eine beträchtliche ökonomische Größe darstellt und im Haushalt erbrachte Vorleistungen die notwendige Voraussetzung für eine außerhäusliche Erwerbsarbeit sind. Ihr Wert wird in einer Größenordnung von 30% bis 50% des Bruttosozialprodukts veranschlagt. Dabei dient die Haushaltsarbeit neben der Befriedigung von Grundbedürfnissen auch zur Reproduktion, Qualifizierung und Erhaltung des Humankapitals einer Gesellschaft. Die Frage nach der Übernahme der Haushalts- und Familienarbeit durch die Haushaltsmitglieder bedarf deshalb einer differenzierten Betrachtungsweise. Bei weiblichen Erwerbstätigen, die in einem "Normalarbeitsverhältnis" stehen, scheint die Erledigung der Haushaltsarbeit kaum in einem konkurrierenden Verhältnis zur Erwerbstätigkeit zu stehen. Eine Berufstätigkeit der hier angespro-
IV. Haushalts- und Familienarbeit a/.1 Grundlage einer Erwerbsarbeit
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chenen Erwerbstätigengruppe ist demnach grundsätzlich mit Haushaltsarbeit und - allerdings in Abhängigkeit von der Zahl der zu betreuenden Haushaltsmitglieder - auch mit Familienarbeit zu vereinbaren, zumal anzunehmen ist, daß die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten in diesem Arbeitskräftesegment im Normalfall ohnehin begrenzt sind. Insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, daß hier eine Tendenz zur 35-Stunden-Woche besteht, kann die Haushaltsarbeit auch partnerschaftlieh aufgeteilt werden. Problematisch wird es allerdings dann, wenn zusätzliche Familienarbeit, also Kinder- und Altenbetreuung, zu leisten ist. Restriktive Schul- und Kindergartenöffnungszeiten sowie fehlende außerhäusliche Betreuungsmöglichkeiten erschweren allerdings eine Vollzeiterwerbstätigkeit beider Partner bzw. eines alleinerziehenden Elternteils. An dieser Stelle könnten demnach entsprechende Maßnahmen ansetzen, die eine längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit oder Teilzeitbeschäftigung eines Elternteils entbehrlich machen. Wie hingegen die Betreuung einer wachsenden Zahl pflegebedürftiger älterer Familienangehöriger in Zukunft zu gewährleisten ist, wird sich vor allem in Verbindung mit der neuen Pflegeversicherung noch zeigen müssen. Doch ist davon auszugehen, daß bei Übernahme der Pflegeleistungen im Familienverband eine Vollzeiterwerbstätigkeit sämtlicher (nicht-pflegebedürftiger) Familienmitglieder nur bei einer größeren Zeitsouveränität infolge einer Arbeitszeitflexibilisierung möglich sein wird. Allerdings werden die Chancen einer beruflichen Karriere damit zugleich stark eingeschränkt. Die Betrachtung der Erwerbstätigengruppe, die in einem außertariflichen Arbeitsverhältnis steht (z. B. Akademikerinnen), bringt weiterreichende Probleme mit sich. Da in diesen Fällen eine (möglicherweise erheblich) über 35 Stunden hinausgehende Wochenarbeitszeit anzunehmen ist, kann selbst die Haushaltsarbeit oftmals nur mit Hilfe von (externen) Dritten erbracht werden. Auch im Hinblick auf die Familienarbeit ist eine Unterstützung von außen meist unentbehrlich. Sofern die finanziellen Aufwendungen für entsprechende externe Dienstleistungen von den Haushalten getragen werden können - indem sie beispielsweise steuerliche Anerkennung finden -, besteht aber auch hier die Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Beruf und Familienarbeit
16*
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Schlußfolgerungen
Im Gegensatz zu den beiden letztgenannten Gruppen von Arbeitskräften sieht das Berufsbild der Top-Führungskraft im Grunde die Unterstützung eines im Haushalts- und Familienbereich tätigen Partners vor, da die hier gestellten beruflichen Anforderungen weitgehend auf Menschen ausgerichtet sind, die keine über die Berufstätigkeit hinausgehenden Verpflichtungen wahrnehmen (können). Zwar ist es auch in diesem Falle möglich, die Haushaltsarbeit durch Dritte verrichten zu lassen, doch müßte zusätzlich ebenso die Familienarbeit nahezu ausschließlich durch externe Hilfen geleistet werden. Daher ist die Vereinbarkeit von Familie und Karriere in dieser Führungsebene nur mit großem finanziellem Aufwand und organisatorischem Geschick zu bewältigen. Dennoch bedarf es in dieser Situation keiner Eingriffe, die über die bereits genannten Maßnahmen zur Verbesserung der Kinderbetreuung hinausgehen. Jedes Individuum hat in seiner Lebensplanung miteinander konkurrierende Zielsetzungen, die gemäß den persönlichen Prioritäten in eine Zielhierarchie zu bringen sind. Sofern die berufliche Karriere in diesem Sinne höchste Priorität besitzt, sind damit verbundene Einschränkungen im privaten Bereich hinzunehmen. Die vorgenommene Differenzierung verdeutlicht, daß es sich bei den Frauen keineswegs um eine homogene Gruppe von Erwerbstätigen handelt, die es gleichermaßen zu fördern gilt, wie häufig der Anschein erweckt wird. Es gibt vielmehr gut und weniger gut ausgebildete Frauen, Familienmütter, Alleinerziehende, Junggesellinnen und Doppelverdienerinnen mit und ohne Kinder sowie weitere Teilgruppen mit jeweils anderen, spezifischen Interessen und Bedürfnissen. Deshalb wäre es auch sinnvoller, von Familienförderung anstelle von Frauenförderung zu sprechen, weil sich die darunter fallenden Maßnahmen in erster Linie an Frauen mit Kindern und damit nicht an alle Frauen richten und außerdem die Bezeichnung "frauenförderlich" erneut die Zuständigkeit der Frauen für ihre Kinder festschreibt. Eine generelle Familienförderung ist unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten schon deshalb sinnvoll, weil langfristig durch die Kindererziehung Humankapital gebildet wird, das für die Volkswirtschaft von ganz erheblicher Bedeutung ist. Gerade in der Bundesrepublik Deutschland ist die Sicherung der Nachkommenschaft die Voraussetzung für die Funktionsfahigkeit des gesamten Sozialversicherungssystems. Die heute vorzufindende Situation, die
V. Handlungsempfehlungenfür die Politik
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dadurch gekennzeichnet ist, daß die Kosten des Aufziehens von Kindern privatisiert, die Erlöse hingegen langfristig sozialisiert werden, muß aus dieser Sicht als ökonomische Diskriminierung von im Haushalt erbrachter Erziehungsarbeit gewertet werden. Demzufolge werden von der Gesellschaft die Leistungen der Familie "ausgebeutet", und damit werden soziale Ressourcen beansprucht, die sich nicht von selbst erneuern. Heute sind Kinder aus ökonomischer Sicht weniger eine Vorsorge für das Alter als eine finanzielle Belastung der Eltern in der Gegenwart. Das Aufziehen von Kindern stellt unter dynamischer Betrachtung eine volkswirtschaftliche Leistung dar, die (bislang) ökonomisch nicht angemessen entlohnt wird. V. Handlungsempfehlungen für die Politik
Ausgangspunkt aller Überlegungen hinsichtlich politischer Handlungsempfehlungen sollte der bereits erwähnte Tatbestand sein, daß Frauen in ihrer Gesamtheit keine homogene Menge von Erwerbstätigen bilden und daher in der Regel auch keine einheitliche Zielgruppe für politische Maßnahmen darstellen. Folglich ist eine differenzierte Betrachtungsweise von Teilsegmenten vorzunehmen. Wird der Blick zunächst auf die Merkmalsgruppe "Frauen ohne Kinder" gerichtet, so deutet die vorausgegangene Analyse darauf hin, daß für diese Erwerbstätigengruppe keine spezifischen Maßnahmen erforderlich sind, da in diesem Fall auch keine Notwendigkeit zur Berufsunterbrechung mit späterer Rückkehr besteht. Zudem kann davon ausgegangen werden, daß die Vereinbarkeit von Beruf und Haushaltsarbeit gleichermaßen gewährleistet ist und demzufolge ein beruflicher Aufstieg ebenfalls generell möglich erscheint. Diese Vermutung stützt sich in erster Linie auf die in der Arbeit vorgenommene dynamische Betrachtung der beruflichen Entwicklung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Laufe der vergangeneo Jahrzehnte. Insbesondere die Verbesserung ihrer beruflichen Qualifikationen eröffnet den Frauen die Chance zum beruflichen Aufstieg. Beschleunigt werden könnten diese Entwicklungstendenzen allerdings noch durch eine Forcierung bewußtseinsbildender Maßnahmen im Sinne eines Abbaus der Vorbehalte gegenüber
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Schlußfolgerungen
Frauen im Erwerbsbereich. Doch ist bereits an dieser Stelle einschränkend anzumerken, daß grundsätzlich jeder einzelne die Konsequenzen seiner eigenen (möglicherweise geschlechtstypischen) Studien- und Berufswahl selbst zu tragen hat. Spezifische Maßnahmen für die eben genannte Erwerbstätigengruppe sind folglich nicht notwendig. Es stellt sich vielmehr die Frage, warum zahlreiche sogenannte familienpolitische Maßnahmen, vor allem im Rahmen des Familienlastenausgleichs, heute lediglich am Tatbestand der Ehe anknüpfen. Abgesehen von einer damit verbundenen Benachteiligung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften werden hiermit kinderlose Ehepaare finanziell begünstigt, ohne eine entsprechende Gegenleistung (Aufziehen von Kindern) zu erbringen. Politischer Handlungsbedarf besteht insofern im Hinblick auf die Beseitigung von Nachteilen für Familien mit Kindern, um damit die Opportunitätskosten der Familienbildung zu senken und Anreize zum Aufziehen von Kindern zu setzen. Im folgenden soll anhand einiger Beispiele exemplarisch gezeigt werden, in welchen Bereichen spezifische Maßnahmen ansetzen könnten. Die konkrete Ausgestaltung solcher Maßnahmen hängt jedoch letztlich von der (normativen) Vorstellung über die Rolle der Familie ab. An verschiedenen Stellen der Arbeit wurde bereits herausgearbeitet, daß sich eine Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen durch verbesserte Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie als erfolgversprechender Ansatz zur gleichzeitigen Lösung mehrerer inner- und außerfamiliärer Probleme von Frauen anbietet. So hat sich im internationalen Vergleich gezeigt, daß eine hohe Zahl von Hausfrauen nicht zwangsläufig mit einer hohen Kinderzahl eines Landes korreliert. Diese Beobachtung läßt sich plausibel mit den hohen Opportunitätskosten einer Familienbildung erklären, die weit über temporäre Einkommensverluste hinausreichen. Die Schaffung von Voraussetzungen, die es beiden Elternteilen ermöglichen, während der Kindererziehung erwerbstätig zu sein, vermindert nicht nur längerfristige Einkommenseinbußen, sondern reduziert zugleich die Risiken, die sich aus dem Scheitern einer Ehe ergeben, da die Einkommenskapazität beider Partner erhalten bleibt. Daneben sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Zustandekoromens asymmetrischer Verhandlungspositionen in der Familie mit ihren Folgen. Ferner ist zu vermuten, daß die finanziellen Bela-
V. Handlungsempf"ehlungen.für die Politik
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stungen der Kindererziehung für die Familie durch eine kontinuierliche Berufstätigkeit beider Partner geringer sind als etwa durch direkte Einkommenstransfers. Eine kontinuierliche bzw. nur kurz unterbrochene Berufstätigkeit erhöht ebenfalls die Chancen für einen (weiteren) beruflichen Aufstieg. Es stellt sich daher die Frage, wie ein kontinuierlicher Berufsverlauf beider Elternteile ermöglicht werden kann. Grundvoraussetzung dafür ist die Betreuung der Kinder während der Abwesenheit ihrer Eltern. Diese ließe sich durch flexible öffentliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten einerseits und durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit andererseits schaffen, wobei auch Kombinationen beider Alternativen denkbar sind. Zugleich sollte allerdings die private Kinderbetreuung durch (externe) Dritte verstärkt gefördert werden. Da die Ausübung einer Berufstätigkeit der Eltern erst durch eine geregelte Kinderbetreuung möglich wird, sind finanzielle Aufwendungen für Haushaltshilfen (Pflegemütter) als Einkunftserzielungskosten (Werbungskosten) zu betrachten und sollten dementsprechend steuerlich abzugsfähig sein. Demgegenüber wäre zu prüfen, inwiefern sich die heute bestehenden Anreize, welche die Ehe als solche und darüber hinaus die Nichterwerbstätigkeit eines Ehepartners fördern, überhaupt noch als zielkonform (Familienförderung) erweisen. Sofern Transferleistungen an eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gekoppelt sind (z. B. Erziehungsgeld) bzw. die höchste (steuerliche) Begünstigung bei Nichterwerbstätigkeit eines Partners erzielt werden kann, erhöht eine Spezialisierung der Partner den Gesamtgewinn und führt - wie sich modelltheoretisch zeigen läßt - zugleich zu erheblichen Risiken für das sich auf Haushaltsarbeit spezialisierende Familienmitglied. Ist dennoch eine vollständige Spezialisierung eines Elternteils auf Familienarbeit während der Kindererziehung (normativ) erwünscht, erscheint es notwendig, die Verhandlungsposition dieses Familienmitglieds (z. B. im Scheidungsrecht) durch einen garantierten Ausgleich für den Verlust an Einkommenskapazität zu verbessern und damit seine individuellen Risiken zu senken. Möglichkeiten hierzu bestehen z. B. im Rahmen der Schaffung eines Rechtsanspruchs auf nacheheliche Unterhaltszahlungen, welche die sogenannten ehebedingten Nachteile ausgleichen, unabhängig vom (heute geltenden) Grundprinzip der Bedürftigkeit als An-
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Schlußfolgerungen
spruchsvoraussetzung. Gleichwohl ist ein solcher Ansatz lediglich als Second-best-Lösung anzusehen, da hier die Probleme einer späteren Rückkehr in das Berufsleben nach wie vor bestehen bleiben. Alles in allem läßt sich festhalten, daß die Förderung einer kontinuierlichen Berufstätigkeit beider Elternteile in doppelter Hinsicht als ursachenadäquat einzustufen ist: Zum einen treten die meisten Probleme, denen sich Frauen am Arbeitsmarkt gegenübersehen, erst gar nicht auf. Zum anderen tragen sie zur Vermeidung asymmetrischer Verhandlungspositionen in der Familie - mit den daraus resultierenden ineffizienten Allokationsentscheidungen bei. Werden hingegen Anreize zur Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gesetzt, so sind Maßnahmen zur späteren Wiedereingliederung in das Berufsleben lediglich als neutralisierende Eingriffe zu beurteilen, da sie die Probleme nicht vermeiden, sondern nur deren Folgen bekämpfen. Abschließend ist nochmals zu betonen, daß der Staat lediglich Rahmenbedingungen zur besseren Vereinbarkeil von Beruf. und Familie schaffen sollte, ohne jedoch damit zugleich die Organisationsform der Familie zu fixieren. Das heißt, es sollte dem einzelnen Familienverbund überlassen bleiben, wer welchen Teil der Haushalts-, Familien- und Erwerbsarbeit übernimmt. Die familiäre Entscheidungstindung erfolgt somit auf privater Ebene und wird nicht wie etwa in Schweden dadurch vorweggenommen, daß beide Elternteile den Erziehungsurlaub abwechselnd nehmen müssen, da er ansonsten verfällt. Es sollte vielmehr darum gehen, im Einzelfall partnerschaftliehe Lösungen im Rahmen der vorhandenen (staatlichen) Möglichkeiten zu finden und frei zu vereinbaren. VI. Fazit
Im Lichte der Befunde dieser Studie ist statt von einer (passiv erlebten) Diskriminierung der Frauen im Erwerbsbereich in weiten Teilen eher von einer (aktiv gestalteten) Differenzierung der Mitarbeitergruppen zu sprechen, die von den Unternehmen unter ökonomischen Gesichtspunkten vorgenommen wird. Ebensowenig ist der Aufstieg in Führungspositionen aus dieser Sicht als ein Privileg für Männer zu betrachten, sondern gelingt in erster Linie denjenigen unter den befähigten Mitarbeitern, deren zeitliche Verfüg-
VI. Fazit
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barkeit über die gesamte berufliche Lautbahn hinweg nicht wesentlich eingeschränkt wird. Die Tatsache, daß es sich bei diesen Mitarbeitern überwiegend um Männer handelt, wird zwar gern als Hinweis auf eine Diskriminierung von Frauen benutzt. Die vorangehenden Ausführungen haben jedoch gezeigt, daß die meisten Ursachen der Unterrepräsentierung von Frauen auf ganz anderer Ebene liegen. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist zwar gesetzlich verankert, aber eine Gleichstellung läßt sich nicht verordnen, sondern bestenfalls fördern. Eine solche Gleichstellung kann auf Dauer allerdings nicht durch Frauenfördermaßnahmen erreicht werden, welche die Folgen gesellschaftlicher Wertvorstellungen und sozialisationsbedingter Ro11enleitbilder auf das Erwerbsverhalten von Frauen nur im nachhinein auszugleichen versuchen; denn es handelt sich hierbei nicht um ursachenadäquate Maßnahmen, sondern lediglich um nachträgliche, kompensierende Eingriffe. Da die Benachteiligungen von Frauen im Erwerbsbereich bereits im Vorfeld ansetzen, so11ten hier auch entsprechende Maßnahmen greifen. In diesem Sinne ist eine genereUe Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen anzustreben, da sich gerade in der Bundesrepublik Deutschland gezeigt hat, daß eine große Zahl von Hausfrauen nicht auf eine hohe Kinderzahl schließen läßt. Eine Politik, die Anreize für das traditioneHe Ro11enleitbild der Familie setzt, konterkariert demgegenüber Gleichste11ungsversuche am Arbeitsmarkt, da sie eine Angleichung der Erwartungen der Arbeitgeber über das Erwerbsverhalten von Frauen und Männern eher behindert als fördert. Statt dessen sind Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß künftig eine (weitgehend) geschlechtsunabhängige Personalpolitik verwirklicht werden kann, die für die Angehörigen beider Geschlechter Chancengleichheit auf der Grundlage des Leistungsprinzips gewährleistet.
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