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German Pages 152 [160] Year 1941
SCHRIFTEN ZUR S I N G - U N D SPRECHKULTUR Herausgegeben vom Internationalen Rat für Sing- und Sprechkultur Deutscher Fachbeirat B A N D II
ÜBER GRUNDLAGEN AUSBAU UND GRENZEN DER
STIMMKUNST VON ALFRED JULIUS BORUTTAU
M Ü N C H E N U N D BERLIN 1941
VERLAG V O N R. O L D E N B O U R G
Copyright 1941 by R.Oldenbourg, München und Berlin Druck von R. Oldenbourg, München Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS Seite
Vorwort Stimme und Stimmkunst i Die Entwicklung der Gesangskunst 8 Das Stimmwerk. Allgemeines und Beziehungen der Stimmwerkzeuge untereinander 16 Die Atmung 26 Der Kehlkopf 36 Das Ansatzrohr 45 Die Stimmwerkzeuge. Zusammenfassendes und Weiterfuhrendes. . . . 53 Die Verwandtschaft der Laute 58 Die Aussprache 61 Das Alphabet 68 Die Vereinigung der Laute in Wort und Ton IOJ Der Stimmunterricht 133 Liebhaber oder Berufskünstler 134 Der Stimmbildner 136 Der Stimmschüler 139 Ratschläge an einen jungen Berufskameraden 141 Namenverzeichnis 148 Sachverzeichnis 149 Anhang: Verzeichnis der Werke des Verfassers 152
1 rofessor Alfred Julius Boruttau ist vor Drucklegung seines vorliegenden Werkes verstorben. Die Schrift über Grundlagen, Ausbau und Grenzen der Stimmkunst stellt das Ergebnis einer reichen künstlerischen und pädagogischen Lebenserfahrung dar. Der Verfasser gibt in ihm die Erkenntnisse seiner Tätigkeit als Bühnensänger und Stimmbildner an die junge Generation weiter. Er hinterläßt so ein lebendig fortwirkendes Erbe, das gleichzeitig seine verdienstvolle Arbeit als Vorsitzender unseres Fachbeirates abschließt. Ein Abglanz der menschenführenden Kraft, die von dieser strahlenden Persönlichkeit lebenslang ausging und in den letzten Jahren unsere Gemeinschaft segensvoll durchdrang, möge aus diesen Blättern auch auf die suchende Nachwelt wirken ! Der Deutsche Fachbeirat des Internationalen Rates für Sing- und Sprechkultur
STIMME UND STIMMKUNST Die alten Griechen verstanden unter Musik zunächst die vortragenden Künste im Gegensatz zu den bildenden, also: Gesang, Instrumentenspiel, Mimik und Tanz. Erst allmählich schränkten sie die Bedeutung des Wortes auf den Begriff „Tonkunst" ein. Das Gefühl dafür, daß der Gesang der Grundstock aller Musik ist, blieb lange Zeit lebendig: Piaton und Aristoteles erklärten alle rein-instrumentale Musik für verboten und ihr Gesetz wurde geachtet bis in die Zeit Palestrinas hinein; auch heute noch lebt es fort im Gottesdienste der griechisch-orthodoxen Kirche, deren liturgische Musik sogar auf die Mitwirkung der Orgel verzichtet und einzig den A-capella-Gesang pflegt. Um das Jahr 100 n. Chr. war Musik gleichbedeutend mit Gesang, der griechische Schriftsteller Aristides Quintiiianus definiert Musik geradezu als „Wissenschaft des Gesanges". Im 12. Jahrhundert hieß Kantare (wörtlich = singen) überhaupt musizieren. Späterhin hat sich das — gewissermaßen geschichtliche — Bewußtsein von der besonderen Bedeutung, die dem Gesang für die Musik innewohnt, einigermaßen verwischt und allenfalls nur noch darin erhalten, daß man den vierstimmigen Satz in der Kompositionslehre besonders pflegt; in der Wirkung aber tritt der Gesang nach wie vor in seine besonderen Rechte. Für den musikalisch Empfindenden gibt es nichts Zarteres und nichts Gewaltigeres, nichts Traurigeres und nichts Fröhlicheres, nichts Ergreifenderes und nichts Befreienderes als den Klang der menschlichen Stimme. Warum drängt es den Menschen zu singen ? Gehen wir von den Lauten aus, welche die Tiere von sich geben! So verschieden sie klingen, sind sie doch unmittelbar verständlich. Es gibt unzählige Schreie des Schreckens, aber jeder ist so bezeichnend, daß man sofort gefühlsmäßig weiß: hier hat ein Tier Todesangst — und das oft eher, als man weiß, um welches Tier es sich handelt. Diese Unmittelbarkeit der Wirkung wiederholt B o r u t t a u , Stimmkunst.
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sich bei den Lauten des Hungers, des Wohlbehagens, der Warnung usw. Wenn im Frühjahr die Vögel singen, zur Brunftzeit die Hirsche röhren, wenn das Pferd wiehert und selbst wenn die Frösche orgeln und die Katzen auf den Dächern fauchen und kreischen, so künden diese grundverschiedenen Äußerungen ganz unmittelbar verständlich, wie in der Natur das ewige Gesetz der Erneuerung waltet. Ebenso ist es mit dem Menschen: er mag eine andere Sprache reden und sich darum nicht verständlich machen können, er mag einer ganz fremden Rasse angehören und darum mit Gebärde und Gesichtsausdruck auch nichts ausrichten können — im Ton der Stimme wird er sofort deutlich zu machen vermögen, ob er fröhlich, ob er verliebt, traurig, hungrig, ängstlich oder mutig ist, kurz, welche Gefühlsspannungen in seinem Innern walten. Es drängt also den Menschen zu gesangähnlichem Ausdruck oder zum Singen selbst, weil er gefühlsmäßig weiß, daß er mit der Stimme besser als durch jedes andere Mittel sein Inneres mitzuteilen vermag. In den Paralipomenen zu Goethes „Farbenlehre" stehen drei merkwürdige Sätze: „Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub, aber das Auge vernimmt und spricht. In ihm spiegelt sich von außen die Welt, von innen der Mensch. Die Totalität des Innern und Äußern wird durchs Auge vollendet." Für Goethe scheint also dem Gesichtssinne gegenüber dem Gehörsinne der Vorrang zu gebühren. Wie kommt es dann aber zu der anerkannten Tatsache, daß der Mensch, auch wenn er erblindet, noch ganz glücklich sein kann, daß erworbene Taubheit dagegen stets mit schweren Störungen des seelischen Gleichgewichtes einhergeht ? Die Untersuchung hat zunächst zu klären, zu welchen Organgruppen beide Sinne gehören, welche Eigenheiten sie aufweisen und wie sich daraus jene Verschiedenheiten, die der Verlust nach sich zieht, deuten lassen. Das Auge ist ein fortgebildeter Teil des Gehirns, das Ohr ist aus dem Rachen weiterentwickelt und somit dem Kehlkopfsystem zugehörig. Ist nun das Auge als ein Vorposten des Gehirns, das natürliche Aufnahmewerkzeug für das Erkenntnisvermögen, den Intellekt, so läßt sich vermuten, daß das Ohr das Aufnahmewerkzeug für alles Gefühlsmäßige bilde. 2
Doch weiter 1 Vier Sinne erscheinen gepaart; den Geschmacksinn unterstützt der Geruchsinn, dem Gesichtssinn hilft der Tastsinn: „Sehen mit fühlendem Aug, fühlen mit sehender Hand", nennt das Goethe, wobei er das Wort „fühlen" im Sinne von „tasten" gebraucht. Der Gehörsinn dagegen ist ganz auf sich selbst gestellt und bedarf offenbar keines Hilfssinnes. Die Annahme, daß dem Gehörsinn auch ein Hilfssinn beigeordnet sei, ist durch Max Nadolec^nys „Untersuchungen über den Kunstgesang" widerlegt. In der Tat aber fällt im Gegensatz zu den anderen Sinnen auf, daß der Gehörsinn durchaus nicht geneigt ist, sich an den Reiz — in diesem Falle also an den Ton — zu gewöhnen. Während nämlich bei anhaltendem und gleichbleibendem Reiz sich der Geschmack- und Geruch-, der Gesicht- und Tastsinn bald an den Reiz derart gewöhnen, daß die Empfindung nicht nur abnimmt, sondern schließlich auch ganz erlischt, vernimmt man durch das Ohr einen Ton beliebig lange mit der gleichen Empfindlichkeit. Hört der Ton aber auf, so ist auch schon mit fast beliebiger Raschheit Platz da für einen neuen. Auf diese Zuverlässigkeit und Beweglichkeit des Gehörs ist die Tonkunst gegründet, während die Schwerfälligkeit wechselnden Gesichtseindrücken gegenüber eine Eigenschaft des Auges ist, die sich die Filmkunst zunutze gemacht hat. Merkwürdig ist ferner, daß nur sehr wenige Menschen sich einer absoluten Tonhöhe so genau erinnern können wie beispielsweise einer Farbe (orange im Gegensatz zum Ziegelrot) oder eines Geruches (Akazien- im Gegensatz zum Lindenblütenduft). Und die es können, sind noch seltener eigentlich musikalisch. Das Gedächtnis hat eben seinen Sitz im Gehirn, und das Erinnerungsvermögen ist eine Angelegenheit des Intellekts, woraus sich der Rückschluß ergibt, daß der Gehörsinn jedenfalls dem Bereich des Intellekts n i c h t eigentlich angehört. Hingegen ist dem Gehörsinn ein äußerst feines Gefühl für die Qualität eines Tones eigen; ein musikbegabter Mensch wird sich jederzeit einen Ton vorstellen können, der als voll oder dünn, zart oder scharf, weich oder hart, rund, flach, licht, dunkel, kalt, warm bezeichnet wird. Dabei sind diese Bezeichnungen keineswegs etwa verschiedene Worte, die innerhalb zweier gegensätzlicher Gruppen im Grunde dasselbe ausdrücken, sondern sie entsprechen wirklich Gefühltem und 1*
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die ihnen zugrunde liegenden Begriffe kehren wenigstens bei den arischen Kulturvölkern in jedem Zeitalter wieder. Dieses feine und sichere Eigenschaftsgefühl ist es, welches die Gewißheit darüber verschafft, daß der Gehörsinn vornehmlich der Empfangssinn des Gefühlsmäßigen ist. Für die einzigartige Wirkung der Stimme und besonders der Singstimme auf den Gefühlsbereich des Menschen ergeben sich folgende Gründe: 1. Der Kehlkopf ist der Sitz der Stimme; 2. die Stimme ist vornehmlich das Sendewerkzeug des Gefühlsmäßigen und dient zur Mitteilung von Gefühlsspannungen; 3. das Ohr ist der Sitz des Gehörsinnes; 4. der Gehörsinn ist als der vollkommenste Sinn anzusehen, da ihm als einzigem Sinn kein Hilfssinn zugeordnet ist; 5. der Gehörsinn scheint nicht eigentlich dem Bereich des Intellekts anzugehören; 6. der Gehörsinn erweist sich dagegen vornehmlich vermöge seiner Fähigkeit zur Eigenschaftsunterscheidung als der Empfangs-Sinn des Gefühlsmäßigen; 7. das Ohr bildet hiefür ein Werkzeug von einer Zuverlässigkeit und Beweglichkeit, die von keinem andern Sinneswerkzeuge erreicht wird. Auf diese Eigenschaft ist die Tonkunst gegründet; 8. das Ohr gehört als weiter entwickelter Teil des Rachens dem Kehlkopfsystem an; 9. beim instrumentalen Musizieren wird der Vorgang des Überströmens aus der Gefühlswelt des Künstlers in die des Hörers behindert durch den zwischengeschalteten Widerstand, den das Instrument bildet oder den die Instrumente sowie die ausführenden Musiker bilden; 10. beim Singen allein ist jeder Zwischenwiderstand in Gestalt äußerer Hilfsmittel ausgeschaltet; 1 1 . beim Gesang allein gehören das Sendewerkzeug (Stimme) und das Empfangswerkzeug (Ohr) dem gleichen System an: dem Kehlkopfsystem;
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12. die Wirkung der Singstimme und des Gesanges beruht darauf, daß vermöge dieser einzigartigen Vorbedingungen die Verbindung zwischen menschlichen Gefühlskreisen untereinander unmittelbar herzustellen ist. Was bisher von der einzigartigen Wirkung der Singstimme gesagt wurde, muß dahin eingeschränkt werden, daß es in der Regel für den Einzelgesang gilt. Im mehrstimmigen, im Ensemble- und Chorgesange liegen die Verhältnisse ähnlich wie bei der Instrumentalmusik, indem hier die Ausführenden ja nicht ihr Gefühltes mitteilen, sondern zunächst das ihres Leiters; dadurch werden sie selbst zu Zwischenwiderständen, welche die Unmittelbarkeit der Wirkung behindern. Die einzige Ausnahme hievon bildet der seltene Fall, in dem die Hochstimmung einer Menschenmenge sich ohne Vorbereitung in einem gemeinsamen Gesänge Luft macht; ein solcher echter Ausbruch läßt dann allerdings jede Einzelleistung an mitreißender Kraft und Wucht weit hinter sich. Es versteht sich von selbst, daß in der Unmittelbarkeit ihrer Wirkung von Zwischenwiderständen noch bedeutend stärker die an das Auge sich wendenden Künste beeinträchtigt werden: Baukunst, Bildhauerei und Malerei. Das liegt in der Natur ihres ans Stoffliche gebundenen Wesens. Von der Einordnung der Tanzkunst wird in diesem Zusammenhang abgesehen, da sie sich selbständig nicht betätigen kann. Aber selbst die Dichtkunst, die — nach Kant — den obersten Rang unter den Künsten einnimmt, weil sie das Gemüt stärke und erweitere, entbehrt der Verbindungsfreiheit von Gefühl zu Gefühl, denn sie ist auf das Wort gestellt, und dieses ist durch den täglichen Gebrauch ein verhärtetes, abgegriffenes Symbol geworden, das selten mehr als ein ziemlich rohes äußeres Zeichen innerer Regungen sein kann. Gott „straft, indem er sich aus seinem Namen zurückzieht, als aus einem erniedrigten Heiligtum. . . wie viele solche Gottesnamen sind entseelt in tausendfacher Gedankenlosigkeit!" (Ewald Geißler, Großer Duden 1934.) Wie kommt nun das gefühlfremde, ja fast gefühlfeindliche Wort dazu, allgemein und seit alters die Unterlage des Gesanges zu bilden ? Klaus Groth beklagt es bekanntlich, daß das, was dem Dichter wie Melodien
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leise durch den Sinn ziehe, wie Nebel grau erblasse und wie ein Hauch dahinschwinde, sobald es vom Wort erfaßt werde. Man braucht durchaus nicht zu meinen, es habe sich just an diesem entsagenden Gedichte das Wunder vollzogen, daß ihm durch Brahrns Vertonung jene entschwebte Melodie wiedergegeben wurde. Wesentlich ist, den Sinn der Vertonung überhaupt darin zu sehen, daß die Unvollkommenheit des Wortes durch die „Weise", die Melodie, überwunden wird und daß so die Unmittelbarkeit der Mitteilung durch den Gesang nicht nur wieder hergestellt, sondern daß gerade durch die Überwindung dieser Unvollkommenheit der künstlerische Reiz der Mitteilung gesteigert wird. Ich möchte noch weitergehen und den Wert dessen, daß Sprechbares überhaupt gesungen wird, in der Möglichkeit erblicken, das Wort von seiner Unvollkommenheit zu erlösen. In diesem Zusammenhang gewinnt die Tatsache an Bedeutung, daß manche Gedichte der Vertonung fortgesetzt Widerstand leisten. Gemeint sind hier nicht sowohl jene zahlreichen Spracherzeugnisse, die nur die F o r m von Gedichten haben, womit ihren sonstigen Werten kein Abbruch geschehen soll — nein, es gibt vielmehr e c h t e Gedichte (Goethes, auch manches von Lenau u. a. m.), die voll von Musik sind. Jede Vertonung aber enttäuscht; jeder, auch der größte Meister wird daran zuschanden. Wie kommt das ? Diese Gedichte sind ausnahmsweise im sprachlichen Ausdrucke so vollendet, daß ihnen aller Duft des ursprünglichen Gefühls erhalten geblieben ist. Die Vertonung ist daher überflüssig, ja unangebracht. Als erster fühlt dies natürlicherweise der Komponist bei der Arbeit, doch sein Verstand findet nicht das rechte Maß, er hält nicht inne, sondern glaubt sich dem Dichter ebenbürtig zeigen zu müssen — und das Ergebnis ist nichts als Peinlichkeit. Andererseits gibt es musikalische Meisterwerke, und deren Zahl ist weit größer, die höchst fragwürdige Dichtungen zur Unterlage haben. Die Mehrzahl der sog. Repertoire-Operntexte gehört dazu. Hier ist das Entscheidende für das Ergebnis, daß doch ein Gefühlsmäßiges darinnen steckte, das der Erlösung durch die Tonkunst würdig war. Der Einzelgesang, der sich der rechten Verbindung von Ton und Wort bedient, vermag also zu bewirken, daß sich da6
bei ein Mensch so nahe wie sonst kaum je dem Gefühlsleben des anderen fühlt. Der gelegentlich Singende, dessen Stimme natürlichen Wohllaut hat, kann dies Ziel das eine Mal überraschend gut treffen, wenn gerade die Gelegenheit zum Singen zusammenfällt mit seinem inneren Bedürfnisse, sich singend mitzuteilen; ein andermal wird nichts von der rechten Wirkung zu spüren sein, weil Gelegenheit und Bedürfnis eben nicht zusammentreffen. Wer berufsmäßig seine Stimme gebrauchen will, kann sich natürlich mit solchen Zufallstreffern nicht begnügen; er muß alles daran wenden, seine Mittel möglichst jederzeit in voller Bereitschaft zu haben. Sobald daher der Einzelgesang über den Rahmen des Volkstümlichen hinausgegangen ist und in Kompositionen für eine Singstimme mit Instrumentalbegleitung Anspruch auf Geltung als selbstsändiger Kunstzweig erhoben hat, seitdem es also Kunstgesang gibt, ist das Bedürfnis nach Gesangskunst entstanden und aus ihm hat sich wiederum die Gesangspädagogik entwickelt. Das ist seit etwa 1300 n. Chr. der Fall, als aus den Weisen der Minnesinger und Troubadours das Kunstlied der florentinischen und französischen „ars nova" (Neukunst) hervorging, das den Gehalt von — schon an sich wertvollen — Dichtungen durch die Vermählung mit der Gesangsmusik zu vorher ungeahnter Bedeutung steigern lernte. Das Ziel der Gesangskunst und damit der Stimmausbildung ist ein doppeltes: 1. die Stimmwerkzeuge und deren Gebrauch durch Beseitigung der vorhandenen Schlacken so zu vervollkommnen, daß der Stimmkünstler — auch bei nicht völliger „Disposition" — zu virtuosen Höchstleistungen befähigt ist, und 2. den Stimmkünstler jederzeit gleichsam künstlich und ohne inneren Antrieb, manchmal sogar gegen diesen, zur Mitteilung von Gefühlswerten in Stand zu setzen, wie sie (nach Wilhelm v. Humboldt) als „Energeia" in der schriftlichen Aufzeichnung schlummern, bis sie jeweils durch Ausoder Aufführung zum „Ergon" erweckt werden. Zu 1 : Das Erste allein vermag vielleicht zu unterhalten, gibt aber dem Hörer nichts Bleibendes mit und macht die Kunstleistung zum Kunststück, stellt den Künstler also auf 7
die Stufe des Artisten, von dem der Stimmkünstler übrigens in bezug auf ehrlich erarbeitetes K ö n n e n viel lernen mag. Zu z: Das Zweite allein hinterläßt im Hörer den quälenden Eindruck des Mißverhältnisses von Wollen und Können, wird also seiner Absicht gar nicht gerecht und nützt außerdem die Stimmittel unverhältnismäßig ab. Das eine gehört unverbrüchlich zum andern, muß mit ihm allezeit verbunden bleiben, denn die eigentliche Kunstleistung hebt erst dort an, wo das Können Selbstverständlichkeit, wo es zweite Natur geworden ist und durch den zuverlässigen Ablauf der zweckmäßigsten Stimmtätigkeiten der Geist für künstlerische Gestaltung frei wird. Solange der Kunstbemühte seine Bewegungen falsch bündelt und festlegt, vermag er seinen Wirkungswillen nicht in der höchsten Darstellungsform zu verwirklichen. Mit der Entwicklung des Könnens aber erweitert sich der Gesichtskreis; das Ziel wird höher gesteckt, weil der Stimmkünstler der einengenden Zwangsvorstellungen, die sein unzureichendes Können ihm auferlegte, sich entledigt hat. In der Stimmausbildung werden so manche Vorteile der Naturstimme zwangsläufig aufgegeben. Jede Errungenschaft hat ihren Preis, der bezahlt werden muß (vgl. beim Menschen die Nachteile des aufrechten Ganges gegenüber den Tieren und die Nachteile, die sich zugunsten des Sprechvermögens für die Atmungs-, Schluck- und Kauwerkzeuge herausgebildet haben). Daß da nichts überzahlt werde, ist das weitere Ziel der Stimmschulung und fast ebenso wichtig wie die Stimmschulung selbst.
DIE ENTWICKLUNG DER GESANGSKUNST ist von dem Augenblick an, da sie den Rahmen der einzelnen Sängerpersönlichkeit überschreitet, gleichbedeutend mit der Entwicklung der Gesangspädagogik. Beide stehen in regster Wechselwirkung zur allgemeinen musikalischen Entwicklung und beeinflussen diese oft genug entscheidend*). Wir dürfen *) Erinnert sei nur an den Einfluß des Sänger-Virtuosentums auf die Entwicklung der Oper in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, von Mozarts Schwägerin Aloysia auf die Besonderheit seines Gesangschaffens, von Roger und Duprez
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uns vorstellen, daß es zunächst die Unvollkommenheit der Neumenschrift (der Vorläuferin unserer heutigen Notenschrift) war, die denjenigen, der etwas Gesangmusikalisches der Nachwelt überliefern wollte, zusammenführte mit dem, der gesangkünstlerisch auf der Höhe seiner Zeit zu stehen wünschte. So mag ein Gesangunterricht zustande gekommen sein, der in erster Linie wohl das war, was wir heutzutage „Korrepetition" nennen, der aber — als vom Komponisten erteilt — auch der gestaltenden Ausführung volle Aufmerksamkeit widmete und schon die Anfänge der Stimmbildung in sich barg. Mit der Entwicklung der Mensuralnotenschrift im i x.—13. Jahrhundert trat das zweite, das Geschmackselement mehr und mehr in den Vordergrund und als nach 1300 plötzlich in Bologna, Florenz und Padua wertvolle ernste Dichtungen für eine Singstimme mit einleitenden und abschließenden Instrumentalfiguren und einer stützenden Baßstimme komponiert wurden, da ward der künstlerische Sologesang, der Kunstgesang, geboren und mit ihm trat die Gesangskunst, die eigentliche tonliche und technische Stimmbildung, auf den Plan. Doch noch auf lange Zeit blieb die Tätigkeit des Gesanglehrers in der Regel verbunden mit der Person eines namhaften Sänger-Komponisten — auch dies ein Beweis für die überragende Bedeutung, die ältere Zeiten dem Gesänge innerhalb der Tonkunst beimaßen 1 Genannt seien Caccini, Donatio Rognone, Ludovico Zaccont und Porpora, der nicht nur den berühmtesten aller Kastraten, Farinelli, ausbildete, sondern auch der Kompositionslehrer Josef Haydns war. Die Italiener hatten damals den gleichen Vorsprung, wie in allem Musikalischen sonst, auch in der Gesangskunst und -pädagogik und behielten ihn ziemlich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die Meister dieser Frühzeit waren nicht nur unerbittlich streng in der Auswahl des Stimmenmaterials und in ihren musikalischen Anforderungen, sondern sie rangen auch um die befriedigendste Verbindung von Wort- und Tonfolge und waren erfolgreich bestrebt, der Natur Schritt für Schritt das Geheimnis des schönen Stimmklanges abzulauschen, auf die Entwicklung der französischen „Großen Oper", von der SehröderDevrient, Tichatschek und Niemann auf den musikdramatischen Stil Wagners u. a. m.
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um mit Hilfe der gewonnenen Erfahrung jeweils Schlacken der Tongebung zu beseitigen. Mit Stetigkeit und Folgerichtigkeit wird eine Gesangskunst und -pädagogik aufgebaut, die, aus praktischer Erfahrung und intuitivem Erfassen gewonnen, zu erstaunlichen Erkenntnissen vordringt und deren Leitsätze vielfach die mit exakten Methoden gewonnenen Ergebnisse der modernen Forschung vorwegnehmen. Der Gesangunterricht geht hierbei allmählich in die Hände der Sänger selbst über, die das Überlieferte aus ihrem eigenen Erfahrungsschatze fortlaufend berichtigen und ergänzen. Die Hochblüte dieser stolzen Tradition, der richtigen altitalienischen Meisterschule, die nichts mit Aprile, geb. 1738, und Concone, geb. 1810, usw. zu schaffen hat, fällt in die x. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die normale Vortragsart war damals das Battuto (nicht wie heute das Legato), also der hämmernde, pochende Ton. Die Folge davon war zwar große Genauigkeit des Toneinsatzes, aber verhältnismäßig geringe Ergiebigkeit der Stimmen nach der Höhe zu. Auch unterschied man zwischen Stimmen für die Kirche und für die Camera, hatte also noch nicht das Geheimnis des weithin tragenden Tones ergründet, der jedes Orchester meistert, ohne in der Nähe überstark oder gellend zu klingen. Die damalige Einteilung der Stimmen ist wohl zu trennen von der heutigen in dramatische und lyrische; es ist möglich, daß diese aus jener entstanden ist, doch darf nicht eine mit der andern verwechselt werden, da jede etwas anderes charakterisiert. Allmählich tritt eine Wandlung ein; hatten die „trilli, groppi e giri" schon bei Caccini, Durante u. a. m. eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, so wird die Kehlfertigkeit, bisher der Verschmelzung von Wort und Ton zu einer höheren Einheit dienend, nunmehr zum Selbstzweck, die Reinheit der Vokalisation, die Deutlichkeit der Aussprache wird dem virtuosen Effekt geopfert, an die Stelle der Tonschönheit tritt die Geläufigkeit, verblüffende Atemkunststücke verzerren den melodischen Aufbau und die eigentliche italienische Gesangskultur geht teilweise unter in der Widernatürlichkeit des Kastratenunwesens. Schon Tosis „Opinioni de'cantori antichi e moderni (1723) ist lediglich als Studienwerk für Gesang10
Verzierungen zu werten. Die italienische Gesangskunst erstarrte in Beweglichkeit, ist man versucht zu sagen. Damals kam das Wort Bel-canto auf und hat keineswegs den schönen d. h. getragenen und melodischen Gesang bezeichnet, sondern den zierlichen; es bedeutet recht eigentlich Z i e r g e s a n g , und wer es heute im wörtlichen Sinne anwendet, ist einem argen Irrtum verfallen: wer sich als Meister des altitalienischen Bel-canto anpreist, verrät damit nur, daß er selbst dieses Wortes Bedeutung nicht kennt. Während die italienische Gesangspädagogik mehr und mehr abirrte von dem rechten Wege, auf den die Meister des 17. Jahrhunderts sie gewiesen hatten, begann man in Frankreich mit der analytischen Erforschung der Vorgänge bei der Lautbildung. Hier ist zu nennen die Schrift des Physiologen Antoine Ferrein; De la formation de la voix de l'homme (1741) und die Gesangstheorie Berards (1755). Damit ging die Führung in der Entwicklung der Gesangskunst und -pädagogik von den Italienern auf die Franzosen über. Dieser Zeitabschnitt gipfelt in der Erfindung des Kehlkopfspiegels (1855) durch Manuel Garcia (sprich spanisch garj-jv'a). Die französische Gesangspraxis hat jedoch mit der Theorie nicht Schritt halten können. Das liegt vor allem an dem allzu nasischen Gepräge der französischen Sprache, deren Nichteignung für den Gesang, ja Stimmfeindlichkeit schon Rousseau betont hatte. Der Versuch, mit nasaler Tongebung, d. h. mit schlaffem Gaumensegel, raumfüllend zu singen, führte zur Erfindung der voix sombr£e oder couverte, voix en dedans, die 1837 von Gilbert Dupre^ auf die Bühne der Pariser Großen Oper gebracht wurde. Diese Singart, bei der die Kehle nach unten ausweichen muß, um die oben durch das hängende Gaumensegel gestörte natürliche Länge des Ansatzrohres zu ersetzen, hat sich an ihrem Erfinder und an seinen ungezählten Nachahmern — auch in Deutschland — als verhängnisvoller Irrtum erwiesen. Sie spukt ebenso wie die mißverstandene Bel-cantomanier auch heute noch in unklaren Köpfen, und zwar unter dem von den ventillosen Hörern kommenden Namen „Deckung". Eine eigentlich deutsche Gesangskunst gab es bis dahin noch nicht. Die Schrift des Superintendenten Christian Lehmann „Primae lineae musicae vocalis" vom Jahre 1730 gibt 11
in ihrem Cap. III ein gutes Bild von dem Stande des damaligen deutschen Singens; es handelt: Von den Vitiis (Fehlern), welche einem Sänger nicht wohl anstehen und einen üblen Laut in der Music machen. Welche sind sie ? Antwort: 1 . Daß er nicht den Kopff zur Erden hange und den Hals dadurch zudrücke; sondern wohl auffgericht stehe. 2. Soll er nicht unförmliche Leibes-Geberden unter währenden Singen und auch Spielen machen, nach allen Passaggien und Trillo den Kopf schütteln und drehen, das Maul nicht allzuweit aufreissen, nach allen Intcrvallis dasselbe krümmen, nicht lachen oder sauer sehen. 3. Daß er nicht überlaut pausiere und die neben stehenden im pausieren nicht perturbire. 4. Soll er die Vocales, als: a, e, i, o, u, rein pronuncieren, und nicht vor (für) a—e, vor a—o, vor o—u, vor u—o & c . (u. s. w.) singen; Weiln es einen hässlichen Laut von sich giebet, 2. E . (z. B.) vor (für) und—ond, vor unser—onser, vor nicht—nöcht, vor laben—loben, vor loben—laben, auch folgende Consonantes, als: Sc, Sp, S t & c . im Singen nicht zu hart aussprechen. j . Muss er nicht die Zähne zusammen beissen, und wenn in der Mitten des Worts nur ein Vocalis vorkommt, nicht noch einen dazu setzen, als an statt Deus meus, Deius meius, beywahre vor bewahre, & c . singe, und w o ja 6. Zwey Vocales vorhanden, soll er weder auf den letztern Passaggiren noch halten, sondern auf dem ersten Vocali die Passaggio machen, jedoch, daß man den andern Vocalem ein wenig ut diphtongum vernehme, auf der letzten Nota aber da die Passaggio aufhöret, der letzte Vocalis deutlich angebracht werde, z. E . glauben, trauen, meine, seine, Freude, Leide. Kommen auch zwey Consonantes in einer Passaggio vor, muß man doch nur auf den vorstehenden Vocali passaggiren und zuletzt beyde Cons. mit nehmen, als Scha-llen, Wa-llen. 7. Soll er nicht zu offt Athem holen, besonders in der Cadenz, Final-Nota, oder Ende, weiln dadurch gemeiniglich der Text zerrissen wird, also, daß hernach kein rechter Sensus (Sinn) herauskommt. 8. Muss er nicht dem Wort, welches sich von einem Vocali anfänget, einen Consonanten vorsetzen, den Mund und die Zähne nicht erst zusammen beissen und zu thun, z. E . vor Amen, Namen oder Jamen, vor Alleluja—Nallejuja & c . 9. Auch nicht durch die Nase singen. 10. Daß er wo etliche schwere Intervalla vorkommen, nicht allzubald einplumpc, sondern das Gehör hier wohl gebrauche, und das Fundament erst anschlagen lasse, wofern er nicht gantz gewiss, n . Wenn er einen Trillo schlaget, muss das Maul nicht zittern und sich bewegen.
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12. Wenn eine Passaggio auf einem Vocali vorkommt, so soll er das Maul in keine andere Form bringen, als derselbe erfordert, und also das Maul, es mag die Passaggio währen so lange sie will, steiff und fest halten, und im geringsten nicht ändern. 13. Soll er den Passaggirenden Vocalem nicht wiederholen und von neuen anstossen; Weiln solches den Text verstümpelt.
2. E.
Lau da Lau da
da
da-te Do te Do
do
mi-num ist unrecht, minum ist recht.
Man sieht, nur unter Punkt 9 ist eine Anweisung für die Tonbildung gegeben; aber man könnte einwenden, daß der Verfasser kein Fachmann war. Wie es anderswo auch noch ein Jahrhundert später stand, dafür sind bezeichnend die „Anleitung zur Singkunst" des Wiener Domkapellmeisters Josef Preindl, die das offizielle Lehrbuch der Konversatoriums-Singschule war, welche die „Gesellschaft der Musikfreunde in Wien" am 1. August 1817 unter der Leitung des Italieners Salieri ins Leben treten ließ, und des Komponisten und Münchner Hofkapellmeisters Peter v. Winter, „Vollständige Singschule" (1824). Das bereits zur höchsten Blüte entwickelte Lied war der häuslichen Pflege überlassen, die Aufführung geistlicher Musik in den widerhallenden Bogenräumen der Kirchen rechtfertigte jede Nachsicht gegenüber der Qualität, die ganz großen Meisterwerke schienen fast vergessen und die deutschen Opernsänger waren entweder eigentlich Schauspieler mit Stimmbegabung oder sie waren von italienischen oder französischen Meistern ausgebildet und übertrugen deren Lehren, so gut es eben ging, auf ihre, d. h. unsere Muttersprache. Als aber die von Zelter vorbereitete Wiederaufführung der Bachischen „Matthäuspassion" 1829 das konzertante Aufführen auch von geistlichen Oratorien üblich machte, als der Garcia-Schüler Julius Stockhausen dem deutschen Liede den Konzertsaal eroberte, als Wagners Riesengestirn aufging, als jede kleine Hofhaltung, dann jede mittlere Provinzstadt schon ihre Oper und ihr Konzerthaus haben wollte, da brauchte das in der Öffentlichkeit fast übermäßig rege deutsche Musikleben Sänger und konnte mit der Anlehnung an die italienische Gesangskunst nicht mehr das Auslangen finden. Friedrich Schmitt, der Lehrer Julius Heys, der wiederum mein Hauptlehrer war, trat mit großer Heftigkeit der Lehre vom „dunkeln Ansatz" entgegen 13
und widmete als Erster in seiner „Großen Gesangschule für Deutsche" (München 1854) der Tonbildung die ihr gebührende Aufmerksamkeit, wofür Wagner 1864 seine Berufung nach München durchsetzte, und betrat mit seiner Schrift, „Die Auffindung der voix mixte" (München 1868) den Weg, der ausschlaggebend geworden ist für die Weltgeltung der deutschen Gesangspädagogik: den Weg der ihres Zieles bewußten, aber in der Wahl des Pfades zum Ziel jeweils streng individualisierenden Stimmausbildung und -Veredlung durch eigentliche Stimmtonbildung. Und die Klagen über den Niedergang der Gesangskunst ? Sie sind ziemlich so alt wie die Gesangskunst selbst, und das ist ganz erklärlich. Es steht heutzutage biologisch fest, daß, während Füße, Verdauungsapparat, Zähne, Geschmacks-, Geruchs- und Gesichtssinn beim Menschen sich rückbilden, gleichzeitig umgekehrt Gehirn, Gehör, Stimm- und Sprechwerkzeuge, Lunge und Hände (Tastsinn) in rascher Höherentwicklung begriffen sind. Nun ist es ein biogenetisches Gesetz, daß der Wunsch, das Bedürfnis früher da ist als die Fähigkeit, mit anderen Worten, daß der Gedanke es ist, der sich das Werkzeug erst eigentlich schafft und dann verfeinert. So erklärt sich's, daß gerade unser Gehör beinahe nie voll befriedigt ist, daß jede augenblickliche Befriedigung nur dazu da zu sein scheint, die Wünsche nach weiterer Verfeinerung zu steigern: es eilt stets der Entwicklung voraus. Und daß man alternd glaubt, früher Besseres und Schöneres gehört zu haben, kommt von der so menschlichen Neigung, alles, was man mit den lebhafteren Sinnen der Jugend aufgenommen hat, zu idealisieren — einfach weil man die Höhe der Darbietung mißt an der eigenen Aufnahmefähigkeit, die mit den Jahren gewißlich nicht wächst, d. h. man mißt mit zweierlei Maß. Nein —• mit dem Niedergang der Gesangskunst ist es wenigstens in deutschen Landen nichts, obgleich das Klima den Atmungs- und Stimmwerkzeugen nicht eben günstig ist und die deutsche Sprache weniger wegen ihres Konsonantenreichtums, der meist klingend ist, als wegen ihrer für gewöhnlich klanglosen Endsilben fürs Singen erst gleichsam „aufbereitet" werden muß. Doch es scheint im deutschen Geist begründet zu sein, daß von Schwierigkeiten seine Kräfte nicht gelähmt 14
werden, sondern mit ihnen wachsen. Heute werden bereits für die großen Verdi-Partien deutsche Sänger in die romanischen Länder geholt; die deutsche Gesangskunst ist über sich selbst hinausgewachsen, umfaßt die fremden Stilarten ebenso wie die eigenen, die alten Ausdrucksformen beherrscht sie gleich den modernen und bewährt sich auffallend an dem Stimmaterial, das aus dem so gut wie unerschöpflichen Lebensquell unseres Volkstums dauernd hervorgeht. Die Führung haben dabei die Praktiker, das sind die Sänger und die ehemaligen, bewährten Sänger, die Gesanglehrer wurden, als die eigentlich Schöpferischen, Wirkenden, Werktätigen und die entscheidenden Fragen Aufwerfenden; die Mediziner, Physiker und Phonetiker haben dabei die Rolle der Nachprüfenden und danach allenfalls Einschränkenden und schließlich die Musikwissenschaftler haben das Gewonnene in Beziehung zu setzen zum ererbten Kulturgut. Die Dauerhaftigkeit der Stimmen ist dank dem deutschen Verfahren gegen früher durchschnittlich erstaunlich gewachsen; wer Näheres über die uns kaum noch vorstellbare Kurzlebigkeit der kostbarsten Stimmen in der immer als Muster gepriesenen Belcantoperiode erfahren will, der lese z. B. im ersten Bande von Herbert Biehles „Stimmkunst" (1932) nach. Die Stimmen bleiben heute nicht nur absolut viel länger brauchbar, sondern auch relativ, d. h. im Verhältnis zur durchschnittlichen Lebensdauer, obgleich auch diese außerordentlich gewachsen ist. Betrug die sog. „Lebenserwartung" um 1880 beim Manne 32 Jahre, bei der Frau 38, so beträgt sie heute beim Manne 52, bei der Frau 59, ist also um 2/0 verlängert. Die Verlängerung der Stimmbrauchbarkeit hingegen nimmt man, wenn man sie verdoppelt, eher zu gering als zu groß an. Die deutsche Gesangspädagogik ist und bleibt dabei Erfahrungswissen; aber während der alte Gesangsunterricht der Italiener sein Ziel vom Musikalischen aus zu erreichen trachtete, geht der heutige deutsche zwar den gleichen Weg, jedoch umgekehrt — aus der richtigen Erkenntnis heraus, daß nicht das Stimmliche aus dem Musikalischen, sondern daß alle musikalische Symbolik (einschließlich aller Regel, Konvention und Tradition) aus dem Stimmlichen hervorgegangen ist. 15
Im folgenden werden unter Beziehung auf bisherige Errungenschaften die eigenen Erwerbungen vorgelegt. Das im Titel dieses Buches und in seinem Fortgange von jetzt ab überall dort, wo Gesang- und Sprechkunst gleichlaufen, gebrauchte Wort „Stimmkunst" ist von Herbert Bteble zuerst eingeführt worden.
DAS STIMMWERK Allgemeines und Beziehungen der Stimmwerkzeuge untereinander Stimme ist physiologisch der Inbegriff der Töne, die beim Durchgang des Atems durch die Kehle willkürlich hervorbringbar sind, beim Menschen fast nur bei der Ausatmung. Pferde, Esel, Katzen u. a. bringen ihre hohen Töne einatmend zustande. Vögel haben zwei Kehlköpfe; der obere, anatomisch dem der Säugetiere entsprechende, wird nicht zum Singen benutzt; der untere, einfach oder doppelt, Syrinx genannt, liegt in der Brust, dort, wo sich die Luftröhre zum erstenmal gabelt (Ausnahmen: Strauße, Störche, einige Geierarten). Unter den Säugetieren scheint die Giraffe stimmlos zu sein. Reptilien sind meist stimmlos, Krokodile und Froschlurche erzeugen die Stimme im Kehlkopf selbst. Die Redensart vom „stummen Fisch" gilt nur in dem Sinn, daß die Fische keine Stimme wie etwa der Mensch und die höheren Wirbeltiere haben. Auch die Fische können Lautäußerungen hervorbringen, und da sie (nach den Untersuchungen von Prof. Frisch im Münchener Zoologischen Institut) vielfach ein recht gutes Hörvermögen besitzen, ist es wahrscheinlich, daß diese Lautäußerungen Lockrufe sind; ihr Lautwerkzeug ist manchmal eine Membran in der Schwimmblase, manchmal ein federnder Knochen, der brummeisenartig von einem Muskel angezupft wird, doch gibt es auch „Muskeltöne" an sich. Doch kehren wir zum Menschen als Stimmgeber zurück! Daß bei der Vermittlung eines inneren Klangbildes nach außen der nervus vagus es ist, der die 3 Gruppen der Stimmwerkzeuge : [a) Atmung als Luftquelle, b) Kehlkopf als Tonquelle,
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c) Ansatzrohr als Klangfarben- und Lautquelle] betätigt, ist bekannt; ebenso, daß infolgedessen deren Tätigkeit ineinandergreift. Doch habe ich es nirgends klar genug ausgedrückt gefunden, daß dies Ineinandergreifen sich ebenso rückwirkend von b auf a oder von c auf b oder auf a sowie von a auf c unmittelbar vollziehen kann. Vielmehr erscheint der Vorgang zumeist so vorgestellt, als ob er nur in der Zeitfolge und von unten nach oben ablaufen könnte, also derart, daß die Atmung Einfluß hat auf die Tätigkeit der Kehle und nur diese wiederum auf die Funktion des Ansatzrohres. (Auf diese Annahme gründen die Atementhusiasten ihre Lehre: Atme richtig und du singst recht und schön !) Demgegenüber sei darauf hingewiesen, daß ebenso wie der gesamte Organismus auch die Stimmwerkzeuge zielstrebig arbeiten (Zielstreben oder -kraft im Vitaldienste, nach Aristoteles „Entelechie"), d. h. sie versuchen die geistige Klangvorstellung des Singenden oder Sprechenden nicht nur abzubilden, sondern auch, wenn die ganz getreue Wiedergabe verhindert ist, sich ihr wenigstens soweit als irgend möglich zu nähern, und zwar unter Einsatz anderer Muskelgruppen; diese haben dabei die Aufgabe, ohne Rücksicht auf ihre eigene und eigentliche Bestimmung das Hindernis, das ist den Fehler, soweit auszugleichen, daß die Wiedergabe unter den obwaltenden Umständen möglichst dem innerlich vorgestellten Klangbilde entspreche. Das rücksichtslose Einsetzen zum Zweck der Kompensation, des Ausgleiches geht gelegentlich so weit, daß die unmittelbar lebenswichtigen Funktionen, welchen die Organe meist außerdem dienen, vorübergehend beeinträchtigt werden. Kompensation wird Fehlkompensation! Für die Praxis ergibt sich hieraus, daß auch die Stimmschulung im Sinne der Zielstrebigkeit vorzugehen hat, d. h. es muß unterschieden werden zwischen Grundfehlern und den daraus folgenden Ausgleichs fehlem. Das Behandeln eines Ausgleichsfehlers für sich allein kann bestenfalls vorübergehende Erleichterung schaffen, doch zeigt sich das nicht an der Wurzel gefaßte Übel bald wieder oder, was schlimmer ist, es erscheint als zusammengesetzter Ausgleichsfehler z. Grades an andern Stellen. Mit der erfolgreichen Behandlung des Grundfehlers verschwinden dagegen ohne weiteres auch die ihm entsprechenden AusgleichsB o r u t t a u , Stimmkunst.
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fehler. Den Grundfehler zu finden, ihn vom Ausgleichsfehler zu unterscheiden, darauf muß das erste und wesentlichste Bemühen gerichtet sein. Dies wird dadurch erschwert, daß der Grundfehler ja oft zunächst gar nicht an der Stelle aufscheint, an der er sitzt, sondern durch die Kompensation, den Ausgleich an einer anderen Stelle und in anderer Gestalt. Ist man zu der Erkenntnis gelangt, daß es nicht genügt, irgendwo einen Fehler zu finden und ohne weitere Umschau an dessen Beseitigung zu arbeiten, so Hegt es nahe, sog. „Typen" festzustellen, um für die Diagnose Anhaltspunkte zu gewinnen. Vorläufig läßt sich aber für die Stimmkunst kaum ein greifbarer Nutzen gewinnen aus den bisherigen Typenlehren (die Vorstellungs- oder Sinnestypen und den Barthischen Fragebogen mit inbegriffen). Jedenfalls wird es nötig sein, außer den Merkmalen des Körperbaues, der Haltung, Bewegung und Sinneswahrnehmung auch die Phrenologie und die Graphologie heranzuziehen. Liegen da einmal sichere Ergebnisse exakter Forschung vor, so muß es schließlich doch gelingen, die erlösende, d. h. keine Zweifel mehr lassende Typenformel für die Grund- und Folgeeinstellung der menschlichen Stimmwerkzeuge zu finden. Bis dahin aber gilt es, Erfahrung und Instinkt für das Richtige der bewährten Praktiker walten zu lassen und sie nicht auf Grund trügerischer Durchgangsbeobachtungen und der daraus sich ergebenden Fehlschlüsse einengen zu wollen. Die Physiologie unterscheidet bekanntlich 3 Arten von Muskeln, die g l a t t e n , welche auch bei niederen Tieren vorkommen, beim Wirbeltier aber hauptsächlich der unwillkürlichen Bewegung von röhrenförmigen Hohlorganen, wie überhaupt allen vegetativen Bewegungen dienen, die q u e r g e s t r e i f ten, welche sich nur bei Anthropoden und Wirbeltieren finden, und den vielfältig zusammengesetzten Herzmuskel. (Ob und inwieweit auch die Stimmlippen sich von allen anderen Muskelsubstanzen unterscheiden, ist strittig und spielt wohl für die Erkenntnis eine Rolle, nicht aber unmittelbar für die Praxis.) Für die Bedienung der menschlichen Stimmwerkzeuge kommen im wesentlichen die quergestreiften Muskeln in Betracht, die willkürlich betätigt werden. Hier muß man aber unterscheiden 18
zwischen zwei verschiedenen Arten der willkürlichen Betätigung. Man kann z. B. seine Zunge ausstrecken oder einziehen, sie breit, schjmal, dick oder dünn machen, entweder mit der bloßen Bewegungsabsicht oder, was häufiger ist, um zu schlukken, die Zwischenräume der Zähne zu reinigen, einen Mundlaut zu bilden u. dgl., also um eines Zieles willen. Während die erste Art der Betätigung vollbewußt ist, gibt man sich über die zweite in der Regel keine Rechenschaft, weil man nur an das Arbeitsziel denkt und so läuft sie unterhalb der Bewußtseinsschwelle ab. Sie ist zwar willkürlich und nicht unwillkürlich, aber dennoch unbewußt oder unterbewußt. Damit ist aber auch schon die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit aller jener Fehler gegeben, wie sie sich in Anpassung an vorübergehende Verhältnisse (Wachstum, Katarrhe, Nachahmung anderer) entwickeln, und auch erklärt, warum diese Fehler nach Verschwinden der Ursache als Angewohnheit fortbestehen bleiben. Die angewöhnten Fehler treten als Schlacken im Stimmklange zutage. Auf dem Wege vom verschlackten Naturton zum gereinigten Normalton und ebenso vom gereinigten Ton zum veredelten Idealton, wo durch Timbrekorrektur die im Bau der Stimmwerkzeuge begründeten Mängel des Stimmklanges auch möglichst ausgeglichen werden, gilt es, fehlerhafte Ablauffunktionen der Stimmuskulatur teilweise aus dem Unterbewußtsein über die Bewußtseinsschwelle zu heben, richtig zu stellen und nach Sicherung der Korrektur wieder allmählich versinken, d. h. zur zweiten Natur werden zu lassen. Die Willigkeit der einzelnen Stimmuskeln und Muskelgruppen hiefür ist sehr verschieden; ebenso die Befähigung der einzelnen Stimmschüler hiezu. Meistens ist die vollbewußte Bewegung, deren zunächst grobe Richtigstellung und Wiederverfeinerung nur auf einer mehr oder minder langen Brücke von zwischengeschalteten, mitunter nur der Phantasie angehörigen Zweckvorstellungen nebst Einhilfsübungen zu erreichen. Ein Geschenk der Natur ist hiebei, daß jede gelungene Grundfehlerverbesserung auf alle andern Stimmtätigkeiten günstig einwirkt; daß das vom nervus vagus kommt, ist für den Stimmschüler weniger interessant, als daß dadurch die Arbeit allmählich leichter, lohnender und beglückender wird. 2*
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Sind Singen und Sprechen etwas nicht nur den Maßen sondern auch dem Wesen nach Verschiedenes ? Die Frage ist nicht müßig, denn wird sie bejaht, so haben alle jene recht, die der Aussprache keinen Wert beimessen, sie vielmehr als notwendiges Übel ansehen und im Grunde wohl gar als stimmfeindlich betrachten. Daß alle exakten Untersuchungen bisher keinen grundlegenden Unterschied zwischen Sing- und Sprechton ergeben haben, begründen die Gegner einer guten Textaussprache mit ungenügender Feinheit der Untersuchungsmethoden und stützen ihre Ansicht darauf, daß i. nicht jeder gute Sprecher auch ein guter Sänger ist und umgekehrt, und daß 2. viele Sänger beim Sprechen rasch müde werden. Das erste Argument ist abwegig, denn es verwechselt eine Frage der organischen Funktion mit einer Frage der individuellen Begabung; das zweite Argument ist als Beobachtung richtig, aber dennoch nicht schlüssig, weil es die zugegebenen Ausnahmen (daß es nämlich Sänger gibt, die im Gesang mustergültig aussprechen und deren Stimme unterm Sprechen nicht leidet) nicht begründen kann. Trotzdem hätte ich geglaubt, irgendeine Wesensverschiedenheit zwischen Singen und Sprechen annehmen zu sollen, wenn es gelänge, beim Übergang vom immer langsameren Sprechen zum Singen eine, wenn auch noch so feine Grenze wahrzunehmen, etwa wie vom Laufen zum Gehen. Aber ich fand nichts, als daß Einstellungen, die beim Singen bewußt aufgesucht und festgehalten wurden, beim Sprechen nur unabsichtlich und vorübergehend durchschritten werden. Mir scheint in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise die Wesenseinheit von Sprech- und Sington erwiesen und es ergeben sich von selbst für die Praxis die Folgerungen: 1. Eine gute Singaussprache ist nicht stimmfeindlich, 2. der Sprecher hat Stimmbildung nach genau den gleichen Grundsätzen zu betreiben, wie der Sänger, und 3. ungepflegtes Sprechen macht nicht nur das gesungene Wort undeutlich, sondern schwemmt das durch Üben mühselig Erworbene ganz oder teilweise täglich wieder weg, arbeitet dem Fortschritt entgegen, verlängert das Studium und macht es langweiliger, gefährdet die Erhaltung der Singstimme und ist oft an ihrem vorzeitigen Verfall mitschuld. Gepflegtes Sprechen hingegen beschleunigt dadurch, daß jedes im gewöhnlichen Leben gesprochene Wort 20
gleichsam zur Gesangübung wird, die stimmliche Entwicklung außerordentlich und wirkt dazu mit, der Singstimme den Zauber der Jugend zu erhalten. Als Gegenprobe ist die bekannte Beobachtung von Wert, daß belegt sprechende Sängerinnen und Sänger um ihre Mittellage, hart und hackend sprechende um ihre Höhe bangen, daß dagegen solche mit leicht schwebender und doch fest und sicher verankerter Sprechstimme jederzeit singbereit sind und nicht eines allzulangen sog. „Ansingens" dieser oder jener Stimmlage bedürfen. Dem Sprechen gebührt im Interesse des Singens die eingehendste Pflege und es ist kein Umweg, sondern eine „Abkürzung", wenn mit der Singstimme zugleich die Sprechstimme geschult wird; hingegen ist es nicht nötig, Sprechschüler mit Singübungen zu quälen, wovon später noch die Rede sein wird.
Die Betätigung der Stimmwerkzeuge im einzelnen wird in den ihnen gewidmeten Stücken besprochen werden; wie aber wirken sie zusammen und aufeinander ? Die Versuche von Jobannes Müller am Leichenkehlkopf und die Feststellungen HelmholtS. Hermanns, Stumpfs und Ritiis über die Zusammensetzung jedes menschlichen Sprachlautes aus überaus zahlreichen Tönen haben zu der allgemein verbreiteten Ansicht geführt, daß die Töne der Kehle, bevor sie ins Ansatzrohr gelangen, recht dürftig seien und erst in diesem Stärke und Klangfarbe mit Hilfe der Obertöne empfangen. Wie aber reimt es sich damit zusammen, daß Stimmbegabte, die von einem sog. Lungenspitzenkatarrh befallen werden, so sprechen und singen als wäre in ihrer Kopfresonanz etwas nicht in Ordnung ? Und warum trotzt diese „Dämpfung" jeder Stimmschulung und verschwindet erst mit ihrer Ursache, dem Katarrh ? Wie reimt es sich ferner damit zusammen, daß der gute Sänger beim Verstärken eines Tones wohl vermehrten Atemdruck, nicht aber beschleunigten Atemverbrauch wahrnimmt und daß jede Stimme auf jedem Vokal und ebenso auf jedem klingenden Konsonanten die nur ihr eigentümliche Klangfarbe beibehält ? Das gibt zu denken, noch mehr aber eine Beobachtung von Fröscheis (mitgeteilt in „Singen und Sprechen" 1920, S. 92 und 93), deren Besonderheit und Wichtigkeit bisher zu wenig 21
ausgewertet worden ist und die darum hier wörtlich wiedergegeben sei: „Ich hatte Gelegenheit, einen Selbstmörder, welcher sich den Hals bis an die Wirbelsäule durchgeschnitten hatte, und zwar so, daß die Stimmbänder frei lagen (es waren also die Taschenbänder abgeschnitten), in seinen letzten Minuten zu beobachten. Er seufzte bei jedem Atemzuge (wobei das Wandern der Stimmbänder von der Einatmungs- in die Stimmstellung sehr deutlich zu sehen war), und zwar mit sehr kräftiger Stimme, welche sich an Stärke von seiner gewöhnlichen Stimme — ich kannte den Mann seit längerer Zeit — nicht merklich unterschied. Auch sonst waren die Laute die, welche man bei Stöhnen zu hören gewöhnt ist. Nun hatte der Mann sein Ansatzrohr durch den Schnitt völlig ausgeschaltet, als Resonanzraum kam höchstens das sehr flache Stück in Betracht, das zwischen der Wirbelsäule und den kaum 1/2 cm breiten Resten der seidichen Halsmuskeln lag. Doch dürfte dieser Raum eben wegen seiner Flachheit keine nennenswerte Rolle gespielt haben, weshalb die in der Literatur einzig dastehende Beobachtung lehrt, daß der reine Stimmton keineswegs schwach und armselig, sondern kräftig sein und so klingen kann, als ob er im Ansatzrohr resonieren würde. (Anm.: Die Sperrdruckstellen sind in der Urschrift gesperrt gedruckt.) Eine ähnliche Beobachtung hat Brunnings gemacht.
Hier liegen scheinbar einander widersprechende Ergebnisse vor; ich betone das „scheinbar", denn ich bin zu einer Überzeugung gekommen, für deren Richtigkeit vorläufig allerdings nur der mittelbare Beweis ins Treffen geführt werden kann, daß jene scheinbaren Widersprüche sich mit ihr lösen und ihr zwanglos einordnen. Ich lege sie hier zur Nachprüfung vor: Die Tonhöhe wird einzig von der Kehle bestimmt. Die T o n s t ä r k e mag zwar im allgemeinen auch auf dem Resonanzraum mitberuhen, ist aber im wesentlichen eine Angelegenheit des Atemdruckes gegen die Stimmlippen einerseits und deren genau dazu passenden Widerstandes andererseits. Ist der Atemdruck zu schwach für den Stimmlippenwiderstand, so hat der Sänger das Gefühl, die Kehle sei ihm wie zugeschnürt; ist der Stimmlippenwiderstand zu schwach für den Atemdruck, so fühlt der Sänger, daß ihm der Atem rasch ausgeht. Im ersten Falle wird die Stimme versagen und beim ängstlichen Verbesserungsversuch umschlagen, im zweiten Falle wird sie erst höher zu werden drohen und dann, vom Ohr korrigiert, hauchig oder heiser klingen. Das Ergebnis des Versuches am Leichenkehlkopf — an sich vollkommen richtig — hat hier in die Irre geführt, weil außer acht gelassen wurde, daß das tote Stimm22
band sich zwar auf verschiedene Tonhöhen spannen läßt, daß es aber keine willkürlich zu wechselnde innere Widerstandsfähigkeit gegen Luftdruck besitzt; diese aber besitzt das lebendige Stimmband in hervorragendem Maße. Übrigens kennt jeder Blechbläser genau die Bedeutung des Verhältnisses vom Druck des Atems und vom Widerstand (allerdings nicht der Stimmlippen, sondern der Mundlippen) für die Tonverstärkung. Diese Analogie hat man sich bisher nicht zunutze gemacht; dagegen scheint bei der Vorstellung, daß der gesungene Ton seine entscheidenden Werteigenschaften erst im Ansatzrohr empfange, das Bild des angeblasenen Blechinstruments, vielleicht auch das der Orgelpfeife, mitgewirkt zu haben. Das ist aber irrig, denn hier hebt gerade der wesentlichste Unterschied an, der die menschliche Stimme vor all den Musikinstrumenten auszeichnet, die Teileigenschaften von ihr wiedergeben: Die Klangfarbe der menschlichen Stimme wird nicht nur vom Ansatzrohr bestimmt, sondern empfangt ihre Besonderheit mindestens ebensosehr von der Bauart der Räume der Atmungsorgane unterhalb der Stimmlippen (vgl. den Stimmbegabten mit Lungenspitzenkatarrh). Möglich, daß die dafür erforderliche Rückstrahlung des primären Stimmlippentones der stark geneigte Kehldeckel besorgt; soviel oder sowenig dieser sich hebt nimmt jedenfalls das Ansatzrohr mehr oder weniger an der Bestimmung der Klangfarbe teil. Diese Klangfarbe kommt selbstverständlich durch Obertöne zustande. Die Vokale haben (ganz davon unabhängig) wiederum die ihnen eigentümlichen Obertöne, von S. Hermann „Formanten" genannt. Man hat es also mit einer aus Rohumriß (Vokal) und eigentlicher Feingestalt (individueller Stimmklang) zusammengesetzten Welle zu tun. (Ich gehe mit dieser Behauptung zwar bedeutend weiter als Rutfinde es aber einzig auf diese Weise erklärlich, daß jede helle Stimme dunkle Vokale ebenso haben kann wie helle und umgekehrt, daß also hellerer oder dunklerer Stimmklang nicht vom helleren oder dunkleren Vokalklang abhängig ist.) Die vorzitierte Beobachtung von Fröscheis zeigt, daß die von Veränderungen durch das Ansatzrohr abgesonderte Klangfarbe der menschlichen Stimme aähnlich ist, und es läßt sich vermuten, daß die helle Stimme einen a-ähnlichen Laut mit e-Beimischung, die dunkle Stimme 23
einen a-ähnlichen Laut mit o-Beimischung unter gleichen Verhältnissen geben werde. Nun wird es mit einem Male klar, warum der Säugling als ersten Laut sein a e plärrt und warum die ungebildete Stimme auf a ihre größte Schallkraft hat. (Hierauf gründete sich bekanntlich die überholte, einseitige a-Ausbildung der Stimme). Beim Vokal a decken die Obertöne von Stimme und Vokal sich leidlich, haben ähnliche Klangfarbe und wirken auf diese Weise schallverstärkend. Wie liegen die Dinge aber bei den anderen Vokalen ? Hier besteht zweifellos durch Überlagerung und Entgegengesetztheit der Obertöne die Gefahr teilweiser Auslöschung (Interferenz), und zwar in steigendem Maße, je weiter sich der Vokalklang vom a entfernt; also in geringerem Grade bei den Vokalen e, ö und o, in höherem bei i, ü und u. In der Tat hört man — oft in höchst störender, die Melodie zerstörender Deutlichkeit — die Verschiedenheit der Leuchtkraft ein und derselben Stimme bei den verschiedenen Vokalen, aber andererseits gibt es Sänger von höchster Durchbildung, deren stimmliche Leuchtkraft sich immer gleich bleibt und es gilt mit Recht als Gradmesser für das Können eines Sängers, inwieweit er sich dem Ziele der völligen Gleichwertigkeit seiner Vokale genähert hat. Wie aber wird das erreicht ? Die Vokale werden im Ansatzrohr gebildet — zweifellos; aber entsinnen wir uns, daß dieses sich gabelt ins Mundrohr und ins Nasenrohr. Wird das Mundrohr allein abgesperrt, so ist kein Vokalklang möglich, es entsteht ein m; wird das Nasenrohr allein abgesperrt (sei es mit der Hand durch Zuhalten der Nase, sei es durchs Gaumensegel, die „Nasenklappe"), läßt sich dennoch jeder Vokal bilden, aber nicht jeder Vokal auf jeder Tonhöhe mit gleicher Leuchtkraft. Hieraus schließe ich, daß das Nasenrohr für die Stimmgebung im wesentlichen als eine Art Anti-Interferenzröhre dient, und folgere: Die Gleichmäßigkeit der Leuchtkraft oder Schlagkraft der menschlichen Stimme auf jedem Vokal und sonstigen Klinger hängt davon ab, daß es zu keinen Interferenzerscheinungen kommt, daß also die zwei Bestandteile (Vokal- und IndividualKlang) jedes Schwingungswellenzuges einander nicht nur nicht behindern oder gar auslöschen, sondern sich gegenseitig verstärken. Die notwendige Ausgleichung oder Ableitung besorgt 24
in diesem Sinne das Nasenrohr mit Hilfe von Gaumensegel, Zäpfchen und Passavant'schem Wulst, die ihre Haltung fortwährend je nach Tonhöhe und Vokal ändern. Wie weit das im Dienste der Verhütung von Interferenzerscheinungen, also im Dienste der Leuchtkraft der Stimme vollständig gelingt, das hängt von der Geschicklichkeit der Ausführung ab. Was hier ausgesprochen wurde, ist — es sei ausdrücklich wiederholt — vorläufig in mehreren Punkten Annahme. Sie auf ihre Stichhaltigkeit hin einwandfrei zu prüfen, wird (auf dem Wege der elektrischen Nachbildung des menschlichen Sprechapparates) dem Charlottenburger „Institut für Schwingungsforschung" möglich sein*). Bis dahin erklärt meine Annahme jedenfalls ohne Gewaltsamkeiten: i. wie es kommt, daß die eine Stimme hell klingt auch auf dunkeln Vokalen und die andere Stimme dunkel auch auf hellen Vokalen, 2. warum eine hervorragend „sitzende" Stimme in allen Lagen ihre volle Leuchtkraft auf den dumpfesten Lauten ebenso behält wie auf dem strahlendsten a-Vokal und }. wie es möglich ist, daß eine arme, förmlich herauspräparierte Kehle ohne Mund darüber a-Laute zu bilden vermocht hat. Vorhin wurde gesagt: Die Tonhöhe wird von der Kehle bestimmt, d. h. erzeugt. Kontrolliert wird die Tonhöhe vom Gehör, das über sie endgültig entscheidet. Über den Wert, die Qualität des Tones aber entscheidet das Ohr des Singenden nicht, sondern die örtliche Empfindung, die bei der Tonbildung willkürlich, wenn auch unterbewußt, möglichst getreu sich wieder einstellt auf die Erinnerung an das, was vom Lehrer regelmäßig als richtig und was als falsch bezeichnet wurde. Warum ? Man hört sich als Sänger falsch und ebenso als Sprecher, denn man hört sich selbst nicht nur von außen durch Ohrmuschel und äußeren Gehörgang, sondern auch von innen durch die Eustachische Röhre (Ohrtrompete), also ganz anders, als man von anderen Leuten gehört wird und als man selbst andere Stimmen hört. A u f dem Verkennen oder Nichtbeachten dieser Tatsache beruhen die sonderbaren, oft geradezu lächerlichen Selbsttäuschungen der Unbelehrbaren, beruht die E r *) Inzwischen erfolgt und bestätigt.
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folglosigkeit alles stimmlichen Autodidaktentums und beruht schließlich das bekannte Staunen beim ersten Hören der eigenen Schallplatte. Könnte man sich hören wie andere, so könnte es nie zu den argen Stimmverbildungen kommen, die mit Recht der Schrecken der Stimmstudierenden und die Geißel der Stimmbildner sind. Hieran ändert nichts die Tatsache, daß es stets Stimmkünstler gegeben hat und hoffentlich immer geben wird, die ihr Leben lang, mitunter sogar vorbildlich, singen konnten, ohne je eigentlichen Gesangunterricht genossen zu haben. Sie waren so glücklich, keine Fehler zu haben, oder zumindest so vernünftig, wenigstens an ihren geringfügigen nicht selbst herumzudoktern. Es geht um die Gestaltung der Schallverhältnisse im Stimmwerk. Diese mehr oder weniger günstige Gestaltung unterteilt sich in eine naturgegebene, unbeeinflußbare, starre, die das ausmacht, was dem Organ als Eigenklang im guten oder schlechten Sinne anhaftet und was der Stimmbildungsarbeit ihre unverrückbare Grenze setzt, und in eine bewegliche, biegsame und daher beeinflußbare; sie ist es, mit der sich im wesentlichen die folgenden Stücke befassen.
DIE ATMUNG Dieses Stück und die beiden folgenden (der Kehlkopf und das Ansatzrohr) wollen sich nicht sowohl mit Anatomie, Physiologie und Pathologie des Stimmwerks beschäftigen, als vielmehr die praktischen Grundlagen der Stimmgebung erörtern, d. h. insbesondere sichere innere Tastmarken für die subjektive Tonempfindung zu gewinnen suchen, wodurch, unter tunlicher Ausschaltung von Gehörtäuschungen und den aus ihnen sich ergebenden „fehlerhaften Sicherungen", eine verhältnismäßig befriedigende Zuverlässigkeit der stimmlichen Betätigung überhaupt erst ermöglicht wird. Die Zuverlässigkeit kann stets nur verhältnismäßig sein, weil der Sänger — als Spielender und Instrument in einem — von den alle Augenblicke wechselnden Bedingungen seines psycho-physischen Lebensgefüges doppelt abhängig ist. 26
Atmung im weiteren Sinne ist auch körperlicher Gasaustausch (Hautatmung). Hier ist natürlicherweise nur von der Atmung im engeren Sinne, von der Lungenatmung die Rede. Im Atemholen sind zweierlei Gnaden, Die Luft einziehen, sich ihrer entladen (Goethe). Eingeatmet wird am günstigsten — wegen der Filtrierung und Vorwärmung der eingesaugten Luft, sowie im Interesse der Geschmeidigkeit des dann fleißig bewegten Gaumensegels — bei geschlossenem Munde oder bei offenem Munde mit Zungenabschluß durch die Nase. Die Nasenatmung sei deshalb die Regel, wie in der Ruhe, so auch während des ruhig bewegten Singens und Sprechens. Die Grenze, bis zu welcher die Nasenatmung statthaft ist, wird als „Lufthunger" empfunden. Diesem nicht nachzugeben, führt zu Herzklopfen, Schwindelgefühl, später zur Erweiterung der großen Aorta (Hauptschlagader) usw., also anfangs zu vorübergehender Gesundheitsstörung, in der Folge zur dauernden Schädigung. Sobald sich Lufthunger meldet infolge langer Phrasen, raschen Singens, stärkerer Gemüts- oder Körperbewegung, hat folglich ohne Säumen an Stelle der Nasenatmung die Atmung durch den geöffneten Mund zu treten. Gut\manns Ansicht, es sei beim Stimmgeben überwiegend durch den Mund zu atmen, ist ebenso einseitig wie die entgegengesetzte Anweisung, nur durch die Nase zu atmen. Die Naseneinatmung geschieht beim Gesunden ohne Geräusch mit leicht geblähten Nasenflügeln, nötigenfalls unter der Hilfsvorstellung, an einer Blume zu riechen. (Das Gegenteil davon ist das geräuschvolle Aufschnupfen, im Volksmunde „Lichterziehen" genannt.) Bleibt dennoch ein Geräusch hörbar, so kann es sich entweder nur um einen Schnupfen oder bei längerer Dauer um eine andere Krankhaftigkeit des Nasenweges handeln. Verschwindet das Reibegeräusch auch beim Atmen durch den Mund nicht, so ist das erst recht ein pathologisches Symptom; in beiden Fällen ist der Arzt zu Rate zu ziehen. Voraussetzung für gutes Atmen ist es, die günstigste, d. h. die auf die Dauer am wenigsten ermüdende Körperhaltung insbesondere der Wirbelsäule aufzufinden und dauernd fest27
halten zu können. Es ist ferner günstig, folgende Atmungsarten genau auseinanderhalten zu lernen: zum Bewußtsein der Brustatmung kommt man, indem man die ausgestreckten Arme hinterrücks oder nach vorne unten vereinigend atmet; zum Bewußtsein des Flankenatmens gelangt man bei über den Kopf gehobenen Armen; zu dem des Zwerchfellatmens, indem man beim Einatmen die Magengrube füllt und hinauswölbt und beim Ausatmen einzieht: dabei kann man dann beobachten, wie Brust und Flanken der hebenden und senkenden Bewegung folgen. Der Streit um Schulter-, Brust-, Flanken-, Zwerchfell- oder Bauchatmung ist, voraussichtlich endgültig, dahin entschieden, daß vom gesundheitlichen Standpunkt aus die ZwerchfellRippenatmung zu empfehlen ist, weil sie unter physiologischen Bedingungen vor sich geht, und zwar für beide Geschlechter, und daß ein Überwiegen der Brustatmung sicher nicht als Zeichen guter technischer Sing- oder Sprechleistung angesehen werden kann. Da die Tätigkeit des Zwerchfells aber nur mittelbar beeinflußt werden kann, ist es notwendig, geeignete Merkpunkte zu finden, von denen aus die Sing- und Sprechatmung beherrscht werden, d. h. die äußerste Atemgröße gesichert und zugleich jede Überspannung vermieden werden kann, welche zufolge des innigen Zusammenhanges aller Stimmfunktionen sofort sich auf alle übrigen Teile des Stimmwerkes zu übertragen drohen würde. Unter Atemgröße wird häufig fälschlich die einseitig gesteigerte Fähigkeit zur Luftaufnahme verstanden. Damit aber ist nichts gewonnen, wenn nicht die Fähigkeit zur Luftabgabe gleichfalls stärker wird oder zumindest gleich bleibt. Der Unterschied zwischen äußerster Luftaufnahme- und äußerster Luftabgabefähigkeit ist die richtige „Atemgröße". Wenn die Einatmungs-,.Größe" zunimmt und zugleich die Ausatmungsfähigkeit geringer wird, so ist damit nicht nur nichts gewonnen, sondern viel verloren: Das Emphysem beginnt 1 Einer der Grundpfeiler der Gesundheit ist damit ins Wanken gekommen.
Merkpunkte, auf die sich die Aufmerksamkeit zu richten hat, sind hier wie überall Merkflächen vorzuziehen, denn verteilte Aufmerksamkeit ist schon zerstreute und nähert sich nicht bloß dem Worte nach bedenklich der „Zerstreutheit". Aber selbst bei Merkpunkten und selbst, wenn deren nur zwei sind, gibt es keine Gleichzeitigkeit der Beobachtung, sondern immer nur ein Nacheinander. Beispiel: niemand kann dem 28
andern in d i e A u g e n sehen, sondern immer erst in das eine und danach ins andere. Es gilt also die Zahl der Merkpunkte aufs äußerste einzuschränken. Aber wie ? Wir sprachen schon vorhin v o n der Magengrube; wer kennt sie nicht als einen Körperpunkt, dessen Betäubung durch einen kleinen Stoß unmittelbar quälende Atemnot verursacht ? Sie muß also wohl in besonderer Weise mit der Atmung verbunden sein. Dieselbe Stelle wird unbewußt eingezogen beim Aufhusten und beim Niesen, hebt und senkt sich regelmäßig beim Säugling und beim schlafenden Erwachsenen und pumpt energischer Luft als Brust, Flanken, Schultern und Bauch bei körperlichen Anstrengungen (was deutlich wahrzunehmen ist an arbeitenden Akrobaten, die im Trikot stecken). Genug: am zuverlässigsten zu kontrollieren sind A r t und Richtung der Atemeinnahme und -ausgabe von der Magengrube aus, die halbwegs zwischen dem Schwertfortsatz des unteren Brustbeines und dem Nabel in der Senkrechten und zwischen den 9. Rippen rechts und links in der Waagrechten gelegen ist. „Chi sa ben espirare, sa ben cantare" lautet ein altes italienisches Sprichwort. Das ist keinesfalls in dem Sinne wörtlich zu nehmen, als ob gutes Atmen allein den guten Sänger mache; aber es verweist mit vollem Recht auf die Wichtigkeit voll beherrschten Atmens als eine der Vorbedingungen einwandfreien Singens. Die „Untersuchungen über den Kunstgesang" Nadolec^nys an einer großen Sängerzahl haben festgestellt, daß eine der Grundlagen des Kunstgesanges, also der zuverlässigen Stimmgebung überhaupt, die Unabhängigkeit der Atemführung v o n der Stimmgebung beim Lagen- wie beim Stärkewechsel ist. Wer die überlegene Ruhe des Atmens anstrebt, wird gut tun, den Atem von der Magengrube aus zu lenken. Beim Einatmen wölbt sich die Magengrube vor, der gesamte Thorax (Brustkorb) folgt selbsttätig und die äußerste Atemgröße ist erreicht, wenn der Einatmende die Empfindung hat, als gingen die Schultern nach der Breite hin aus den Gelenken. Ein sicheres Mittel gegen etwaiges Schulterheben ist es dabei, mit ausgestreckten Zeigefingern auf die Erde zu weisen. Während der junge Stimmkünstler sich mit Atem vollnehmen darf und soll, tut der ältere, reichlich durchgearbeitete gut, seine Lunge kaum mehr als zu 3/4 zu füllen und dafür um so vollständiger auszuatmen.
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Beim Ausatmen, d. i. beim Stimmegeben, zieht sich die Magengrube wieder allgemach ein, es ist, als würde die Stimme dort angeknüpft und jeder neue Ton wird von einem leisen „Pochen" in der Magengrube eingeleitet; auch hier folgt nach und nach der gesamte Brustkorb, zuletzt gehen die Schultern vermeintlich in ihre gewöhnliche Breite zurück, der Singende oder Sprechende glaubt die Magengrube gegen das Rückgrat zu bis zur Papierdünne und -durchsichtigkeit eingezogen zu haben; nur das Brustbein muß stets ein wenig gehoben bleiben, denn Eindrücken des Brustbeins verursacht Hustenreiz, der sich bis zum Brechreiz steigern kann. Meldet sich das Bedürfnis, das Brustbein einzudrücken, so ist die Atemgröße erschöpft und ein neuer Atemzug ungesäumt notwendig geworden. Ein häufiger Fehler beim Anknüpfen der Stimme in der Magengrube ist das Gegenteil des Pochens, nämlich das Abschließen des Tones mit einem Nachstoß aus der Magengrube. Dieser Fehler wird häufig gerade den sonst richtig geführten Stimmen verhängnisvoll.
Bei der Ein- wie bei der Ausatmung ist darauf zu achten, daß der Bauch unterhalb des Nabels sowenig als irgend möglich in Mitleidenschaft gezogen wird. Man singt nicht „aus vollem Bauch", sondern „aus voller Brust". Wo bewußtes Einziehen der eigentlichen Bauchdecke beim Stimmgeben gelehrt wird, beruht dies auf einem verhängnisvollen Mißverständnis und gerade der gelehrige Schüler wird die Folgen nicht nur in Schwerfälligkeit der Stimme, sondern unter Umständen geradezu in Verdauungsstörungen zu tragen haben. Die Sing- und Sprechatmung hat folgenden Rhythmus: i. raschestes Einatmen; 2. Bereitschaftspause, die beim raschen Singen selbstverständlich nur gedankenkurz ist, unter gleichzeitigem Stimmritzenschluß (Glottisschluß); 3. sehr verlängerte Ausatmung, während die musikalische Phrase (oder der Satz) gesungen (oder gesprochen) und der zuliebe sogar der natürliche Reiz zum Atemschöpfen gelegentlich bewußt unterdrückt wird. Diese Atmungsweise verfolgt einseitig das Stimmziel und vernachlässigt den lebenswichtigen Zweck des Atmens, indem dabei überwiegend die Einatmung vertieft wird. Bei seltenen Gelegenheiten geübt, wird sich diese Ausschreitung rasch ausgleichen und keine weiteren Folgen zeitigen. Anders
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beim Berafssänger (und -redner) 1 Schon beim fleißigen Stimmschüler äußern sich nach verhältnismäßig kurzer Zeit die ersten Wirkungen: Die ursprüngliche Singelust schwindet, das Üben kostet einen gewissen Entschluß und der arme Adept bekommt das Gefühl, als hätte das Stimmstudium ihm alle Freude an seiner Stimme überhaupt verdorben. Schon um der Stetigkeit der Arbeit willen ist unbedingt auf dem täglich wiederholten Betätigen der entgegengesetzten, ausgleichenden Atmungsweise zu bestehen, die ich deshalb A u s g l e i c h s a t m u n g genannt habe. Diese hat folgenden Rhythmus: i. Ganz langsames Einatmen unter von innen pochendem Rucken in der Magengrube; z. ohne die geringste Pause und ohne Glottisschluß möglichst rasches, gegen Schluß auspressendes Ausatmen, wobei sowohl darauf zu achten ist, daß der Beginn nicht reißend ist, als auch darauf, daß das Brustbein nicht eingedrückt wird; 3. nach vollkommener Atementleerung Pause mit geschlossener Stimmritze. Diese Übung, eben die Ausgleichsatmung, muß von angehenden und berufsmäßigen Vielbrauchern der Stimme täglich, und zwar am besten morgens und abends und vor und nach jedem andauernden Stimmgebrauch je dreimal ausgeführt werden. Das kann nach einiger Praxis völlig unbemerkt von der Umgebung geschehen und genügt, das Gleichgewicht im Atemhaushalt stets wieder herzustellen und dauernd aufrecht zu erhalten. Geschieht das aber nicht, so folgen weiterhin, fallweise verschieden, doch früher oder später fast unfehlbar die bekannten Berufskrankheiten: Fettleibigkeit, Lungenerweiterung, Herzfehler, Krampfadern, katarrhähnliche nervöse Beschwerden, Zerstreutheit, Gedächtnisschwund, Kurzatmigkeit und schließlich Venenentzündung und Embolie oder Lungenentzündung. Wie kann es soweit kommen ? Infolge der einseitig vertieften Einatmung ist die Ausatmung derart zu kurz gekommen, daß stets ein großer Rest der eingeatmeten Luft in den Lungen zurückbleibt. Hieraus entsteht eine Dehnung der Lungenbläschen; diese geht zwar zunächst zurück, bei öfterer oder gar regelmäßiger Wiederholung aber entwickelt sich eine Lungenblähung. Nun wird jedoch die Rückbeförderung des Blutes zum Herzen nicht durch die Herzkraft besorgt, sondern durch die Ansaugung, die vermöge der Ausdehnung des Brustkorbes 31
während der Einatmung erfolgt. Bleiben die Lungenbläschen, die sich oft genug bei fortschreitender Erkrankung zu großen Höhlungen vereinigen, zu einem Teile gedehnt, so leidet schon die Hinaufbeförderung des Blutes aus den besonders abhängigen Teilen des Körpers, insbesondere den Beinen. Die Krampfadern sind da, es kommt zu immer schwereren Stauungen in den Beinen, der Leibesumfang schwillt sowohl hierdurch als auch infolge ungenügender Verbrennung der Stoffe, die das Blut belasten, Herz und Nerven leiden darunter, der gesamte Körperhaushalt ist gestört und schließlich vorzeitigem Verfall ausgesetzt. Weiter hat die Singatmung für das körperliche Befinden die Eigenschaft, kühlend zu wirken, was die im übrigen stark erhitzende Stimmbetätigung erträglicher macht; hingegen wirkt die Ausgleichsatmung ausgesprochen erwärmend, was sich je nach den besonderen Verhältnissen ausnützen läßt. Geistigen Einfluß üben die beiden einander ergänzenden Atmungsarten folgendermaßen: die Sing- und Sprechatmung dient ihrer Natur nach der Mitteilung von Gedanken und Gefühlen; wer sie gewohnheitsmäßig anwendet, macht sich dadurch wenig geeignet zur Aufnahme und Verarbeitung von Gehörtem. Daher die Klage über die innere Verödung älterer Stimmkünstler, darum heißt es so oft von ihnen und von allen Vielrednern, sie könnten nur sich selber hören, hätten das Zuhören verlernt usw. Wer bei einem Vortrage, einer Lektüre sich zerstreut fühlt, mache nur einen Versuch mit der Ausgleichsatmung, verharre insbesondere öfters nach der völligen Atementleerung mit geschlossener Stimmritze, und er wird erstaunt sein, wie rasch seine Gedanken sich sammeln und wie gut er sich imstande fühlt, fremden Gedanken zu folgen. Daß Redner, ehe sie sich gesammelt haben, im Anfang ihrer Rede so oft wie bewußtlos unzusammenhängendes Zeug stammeln, hat mehr noch als in der ersten Aufgeregtheit seinen Grund darin, daß sie gleich „sich in die Brust werfen" und damit verfrüht die Mitteilungsstellung mit atemgefüllter Lunge und geschlossener Stimmritze unbewußt einnehmen. Natürlich hat es immer gegeben und gibt es jederzeit Vielbraucher ihrer Stimme, die von den ganzen vorgenannten Berufskrankheiten frei bleiben, aber ihre Zahl ist verhältnismäßig 32
so klein, daß sich vermuten läßt, sie schafften sich, einer förmlichen Eingebung ihrer glücklichen Natur folgend, immer wieder von selbst den notwendigen Ausgleich. Warum aber soll Ausnahme bleiben, was Regel werden kann ? Ebensowenig wie andere Einseitigkeiten hat sich für Sänger und Sprecher die eine Zeitlang modische Praxis bewährt, allerhand Atemübungen ohne Stimme zu betreiben. Offenbar ist es für den Gesunden weder gut, die Atemtätigkeit wesentlich von der „Willenshandlung" der Stimmbetätigung abzutrennen, noch auch hier das Gleichgewicht zwischen Atemdruck und Stimmlippenwiderstand zu stören. Dies um so weniger, als zumeist nicht sowohl atem- als vielmehr stimmlippenschwache Stimmbraucher darüber zu klagen haben, daß ihnen immer „der Atem ausgeht", diese also von vornherein erfahrungsgemäß den Kampf nach der falschen Front zu führen geneigt sind. Atemübungen „ohne Stimme" haben ihren Zweck und Sinn nur in bestimmten pathologischen Fällen. Um die beste Atemführung, Körperhaltung und Stimmeinstellung gleichzeitig zu erarbeiten, lasse ich außer sonstiger Gymnastik folgendes üben: 1. An der Kante des Türrahmens stehend Fersenheben mit geschlossenen sowie im Winkel von 900 stehenden Füßen (je 20 mal), später ebenso, aber nicht am Türstock, Kniebeugen; 2. Kopfkreisen im Sinne des Uhrzeigers und umgekehrt (je 10mal), danach langsam ausatmen; 3. Armkreisen rechts und links (je 20mal), mit angehaltenem Atem, danach langsam ausatmen; 4. Schwimmbewegung: Arme seitlich ausbreiten und langsam einatmen, dann mit geschlossenen Händen nach vorne stoßen und rasch ausatmen (10mal); 5. Rumpfkreisen im Sinne des Uhrzeigers und umgekehrt (je iomal). Einatmen beim Zurück-, Ausatmen beim Vorbeugen; 6. Rumpfaufrichten aus liegender Stellung, erst mit gestützten Füßen, dann frei (iomal). Einatmen beim Legen, Ausatmen beim Aufrichten. B o r u t t a u * Stimmkunst.
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Beim langsamen Ausatmen auf den Übungen 2, 3, 4 und 6 ein „m" erst in gleichbleibendet Stärke, dann an- und abschwellend erklingen lassen ! Später nach der bewährten Erfahrung Karl Hermanns („Die Technik des Sprechens", Leipzig 1898) ebenso das Wort „Wahn". Was hat es nun mit dem sog. „Appoggio", auf deutsch der „Stütze" (ital.: appoggiare — stützen) auf sich ? Es soll Fachleute geben, die darüber die Nase rümpfen. Eigentlich mit Unrecht, denn es war eine der stolzesten Errungenschaften der frühitalienischen Gesangskunst und besteht auch heute zu Recht, wenn es richtig gemacht wird. Vor allen Dingen ist darunter beileibe nicht ein Stützen des Atems auf den Leib, gewissermaßen empfunden als ein festes Stehen des Tones auf dem Bauch, zu verstehen 1 Dazu verleitet leider die wörtliche Übersetzung, das ist aber der gewollten Wirkung schnurstracks entgegen. Wir können nämlich die unter Stimmritzenverschluß gehaltene Atemluft, die Atemsäule nach zwei verschiedenen Richtungen zu zwei verschiedenen Zwecken in Bewegung setzen: nach unten gerichtet ist sie dazu bestimmt, als sog. „Bauchpresse" auf die Entleerung des Darmes und bei Schwangerschaft auf den Geburtsakt unterstützend einzuwirken; dabei bildet die Stimmritze die Gegenstütze und es entringt sich ihr fallweise als Nebenerscheinung ein dumpfes Stöhnen. Dem Singen jedoch dient die Atemsäule einzig, wenn ihr Streben nach oben gerichtet ist, wenn die Dichte der Luft mit Annäherung an die Stimmritze wächst. Verhängnisvoller Weise tritt aber die Empfindung des „den-Atem-auf-den-Leib-Stützens" just bei dem Betätigen der sog. „Bauchpresse" ein, wobei doch von Natur aus jede Tonerzeugung nur stöhnendes Nebenerzeugnis ist. Was dabei herauskommt, wenn man dies Nebenerzeugnis zu Gesang gestalten möchte, läßt sich keineswegs nur denken, sondern überall hören, denn die Opfer eines falschen Stützgebriffes sind zahllos, deren Singen und Sprechen, namentlich an gespannten Stellen, immer irgendwie an ächzend kundgegebene Verdauungsschwierigkeiten erinnert. Ein Fall aus meiner Tätigkeit beleuchtet die Zusammenhänge so schlaglichtdeutlich, daß er hier mitgeteilt sei: eine junge Frau, sehr bekannte Opernsängerin, seit Anbeginn meine 34
Schülerin, hat ein Kind bekommen und sich soweit gut erholt; wenige Tage vor Ablauf ihres Urlaubs aber erscheint sie unvermutet bei mir mit der Schreckensnachricht, sie habe die Stimme verloren. Ich bitte sie zu singen — in der Tat: aller Glanz, alle Sicherheit sind weg. Ihr Appoggio war bis dahin stets tadellos gewesen; jetzt auf einmal höre ich sie deutlich nach unten auf den Leib drücken. Unwillkürlich denke ich an die Niederkunft, an eine Art Schockwirkung, mache ein paar tonlose Übungen mit ihr, um die Richtung nach oben wieder herzustellen, lasse sie, sich dabei selbst beobachtend, wieder singen und siehe da: alles ist in schönster Ordnung. Das Ganze hat keine Viertelstunde gedauert. (Hätte der Fehler sich festgesetzt, wäre er vielleicht nur sehr mühsam, vielleicht aber auch gar nicht mehr zu beseitigen gewesen.) Mit strahlender Stimme verläßt mich eine Glückliche. Wie also wird das Appoggio richtig ausgeführt ? Wir wissen bereits, daß die Richtung der Atemsäule von der Magengrube nach oben gehen muß, aber — und das ist das Wesentliche — nicht geradeswegs gegen die geschlossene Kehle, sondern in die Gegend des 4. Brustwirbels, da, wo sich die Luftröhre zum erstenmal gegen die Bronchien gabelt, also dorthin, wo bei den Singvögeln der zweite, der Singkehlkopf, sitzt. Bei jenem kleinen Stoß von der Magengrube her, bei dem „Pochen" hebt sich das Brustbein dort ein wenig, es schlägt aus, es „wippt". Da das Wort „Stütze" so mißdeutbar ist, und das Wort Bruststütze nicht viel weniger, das Wort „appoggio" aber immer in Gefahr schwebt, ein interessant klingendes Wort ohne dahinter stehenden Begriff zu bleiben, schlage ich vor „appoggio" mit „Atemwippe" zu übersetzen. Warum dieser Kunstgriff für den Kunstgesang notwendig ist, läßt sich vermuten : seelisch scheint er auf künstliche Weise etwas von der gesteigerten Stimmung auszulösen, die den ungeschulten Sänger zum Gelegenheitssingen treibt; körperlich scheint er ähnlich stoß- und druckausgleichend zu wirken wie der Reservebalg im Gebläse der Orgel. Tatsache ist: wird bei abgestellter (fixierter) Atemwippe mit gefühlvollem Vortrag gesungen, so kommt die Kehle ins Schlagen, die Stimme tremuliert (dies ist die eine Ursache des Tremulierens, die zweite kann rasches Hin- und Herwechseln zwischen zwei Anschlagspunkten im 3*
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Ansatzrohr als Rückstoßwirkung sein;) ist hingegen die Atemwippe in Tätigkeit, so bleibt (Ursache 2 ausgenommen) die Kehle selbst bei schwierigen Intervallen in Ruhe und der Gesang und ebenso der Sprechton strömt in schönem Gleichmaß dahin. Der Atemwippe, dem richtigen, echten appoggio, kommt noch eine weitere Bedeutung zu. Sie entscheidet über ein besonders wichtiges Merkmal des äußeren Eindrucks, nämlich ob die Erscheinung steif wirkt oder biegsam: wer falsch „stützt" sieht stets aus, als hätte er einen Ladestock verschluckt; wer die echte Atemwippe hat, wirkt, auch wenn er beleibt ist, immer beweglich und gewandt. Es ist gerade so, als schüfe die rechte Atemwippe ein Mittelgelenk im Körper.
DER KEHLKOPF ursprünglich nur der richtigen Zuführung der Luft in die Luftröhre und der Nahrung in die Speiseröhre dienend, hat dafür, daß er beim höheren Wirbeltier zum Verständigungswerkzeug außerdem aufrückte, einige vorher schon vorhandene Zweckmäßigkeiten wieder aufgeben müssen — am meisten beim Menschen, bei dem er vom bloßen Verständigungs- zum vollendetsten Sprech- und Singwerkzeug geworden ist. Soll eine Klangvorstellung verwirklicht, soll ein Stimm-Ton gesungen werden, so wird die Atemsäule strömend gegen den Bruststützpunkt, den Sitz der Atemwippe in Bewegung gesetzt, in der geschlossenen Stimmritze geht eine deutliche Veränderung vor sich, indem sie sich um eine Spur öffnet, ohne jedoch in der Sicherheit ihres Widerstandes zu erlahmen (der Schleuse eines Stausees vergleichbar). Was eben noch strömende Luft schien, ist in Klang verwandelt, die Kehle hat als Transformator der Luft in den Ton gewirkt, blitzschnell gleitend haben die Stimmlippen die gewünschte Tonhöhe ergriffen; noch ein deutlich in der Kehle wahrnehmbares feines Ausbessern der Tonhöhe unter Aufsicht des Gehörs, ein Gleichgewichtfinden des ganzen Stimmwerks: der Stimm-Ton steht fertig da I Was hier in einem langen Satz geschrieben ist, vollzieht sich in Wirklich-
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keit im winzigen Bruchteil einer Sekunde. Hierbei müssen folgende Tastmarken deutlich empfunden werden: x. In dem Stück zwischen dem Sitz der Atemwippe und dem Stimmlippenschluß darf keinerlei Stauung gefühlt werden. Stellt sie sich ein, so muß sie durch die Vorstellung des Rückleitens der Luft nach der ersten Bronchiengabelung hin, d. h. zum Sitz der Atemwippe zum Verschwinden gebracht werden. Ihr Vorhanden- oder Nichtvorhandensein ist bei sonst getreuer Beachtung alles bisher Gesagten ein für den Ausführenden sicheres Zeichen dafür, ob die Tongebung noch Gewaltsamkeiten birgt oder nicht. 2. Die Stimmlippen sollen den Ton ansetzen, gleichsam wie die Mundlippen ein b aussprechen. Dieser Ansatz soll stets deutlich empfunden werden, um jeden hauchigen Ansatz zu vermeiden, denn er ist nicht nur eine Singatemverschwendung, die sich rächt, sondern er wirkt auch durch seine Ungenauigkeit wenig befriedigend und nützt die Stimmlippen ab, weil sie erst gegen den schon fließenden Luftstrom ihre Schließarbeit durchzusetzen haben. Die Anstrengung hierbei ist den Stimmlippen mindestens ebenso gefährlich wie beim gefürchteten „Glottisschlag". Dieser verliert übrigens sofort seine Schrecken, sobald die Atemwippe richtig wirksam ist; man erkennt dann, daß zwischen ihm und dem b-haften Ansatz, den ich den „weich-bestimmten" nennen möchte, allenfalls ein gradweiser, aber kein grundsätzlicher Unterschied besteht. Es gibt nicht drei Ansätze, den gehauchten, den weichen und den harten, sondern nur zwei, den hauchigen und den bestimmten. Nicht um größere oder geringere Vorsicht beim Ansetzen handelt es sich, einzig wesentlich ist die Richtung der Atemsäule nach oben; was bisher vom Glottisschlag gesagt wird, verkennt dies Wesentlichste. Was als harter, Stimmbandknoten hervorrufender Ansatz, eben als Glottisschlag gefürchtet wird, ist nichts anderes als der bestimmte Ansatz, verbunden mit nach unten gerichteter Atemsäule, der Bauchpresse; mit ihr aber weich zu singen versuchen, macht den gestöhnten Ton naturnotwendig auch noch hauchig und bedeutet einfach, einen Fehler mit dem zweiten zuzudecken. 3. Das Aufsuchen der Tonhöhe geschieht unter Aufsicht des Gehörs, das auch die Aussprache und die musikalische
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Phrasierung zu überwachen hat, nichts aber von dem, was mit Klangschönheit und Resonanz zusammenhängt. Das Ergreifen der Tonhöhe geschehe nicht ungeschickt heulend wie so oft bei Ungeübten, sondern blitzschnell, unhörbar gleitend, wobei ein Über- oder Unterdehnen einer Lage in die andere sorgfältig zu vermeiden ist. 4. Der Kunstsänger spürt außer dem Ergreifen noch ein Ausbessern der Tonhöhe, und zwar als einen spitzenfeinen, aber ganz deutlichen Muskelzug in der Kehle, nicht der Kehle selbst. Es scheinen da, nachdem die verhältnismäßig mächtigeren Muskeln die grobe Arbeit verrichtet haben, nun zartere Muskeln die Feinarbeit zu besorgen. Wie dem auch sei, dieser Muskelzug muß, wenn nicht von vornherein vorhanden, unter äußerst sparsamer Atemgebung, und zwar am besten in Verbindung mit sirenenartig sich hinauf- und herabschraubenden Tongebilden ohne Trennung der Halbtonstufen so lange gesucht werden, bis er gefunden ist; denn wird auf ihn verzichtet, so entspringt daraus ein folgenschwerer Fehler: das Forcieren. Ist also „forcieren" doch mehr als ein fachmännisch klingendes Sammelwort, das alles und nichts sagt ? Zur Erläuterung muß etwas weiter ausgegriffen werden. Die Stimmlippen wirken beim Tongeben als sog. Lippenpfeifen, bei denen der Ton nach vorbereitendem, unregelmäßigem Wirbeln durch regelmäßiges Auseinander- und wieder Zusammenschwingen bzw. -flattern entsteht. Soweit sie polsterpfeifenartig tätig sind, verändern sie ihre Tonhöhe bei gleichbleibendem Luftdruck durch vermehrte oder verminderte Spannung (Muskelzug). Wird zwecks Tonverstärkung der Atemdruck vermehrt, so wird diesem ein vermehrter Widerstand der Stimmlippen entgegengesetzt. Unterbleibt der vermehrte Widerstand der Stimmlippen und wird dennoch der Atemdruck gesteigert, so tritt eine, je nach der Stärke des Atemdrucks, abgestufte Tonerhöhung ein. Auf diese Weise kann, wie die Untersuchungen Johannes Müllers am Leichenkehlkopf gezeigt haben, der Ton sehr beträchtlich, bis zur Quinte, in die Höhe getrieben werden. Dies Tontreiben durch vermehrten Atemdruck — das ist „Forcieren" I Die Annahme, daß wir, um bei Tonverstärkung nicht höher zu werden, unter Aufsicht des Gehörs die Spannung der Stimmlippen verringern müssen, halte ich für abwegig, weil sie,
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durch die Versuche an toten und künstlichen Stimmlippen verleitet, nicht gehörig berücksichtigt, daß die Stimmlippen lebendige, selbstarbeitende Substanz sind, also außer dem, daß sie Objekt der Spannung sind, auch als Subjekt einem Druck Widerstand zu leisten vermögen. Nach dieser Richtigstellung deckt sich das wissenschaftliche Forschungsergebnis sofort mühelos und ohne inneren Widerspruch mit der seit alters gültigen Regel der Sängererfahrung: ob hoch oder tief, ob stark oder schwach gesungen wird, der Atemverbrauch soll stets der gleiche, d. h. möglichst gering sein. Geht beim Singen an einer Stelle, einem Tage oder einer Person überhaupt „rasch die Luft aus", so liegt das so gut wie niemals am Atem, sondern an augenblicklich irriger oder gewohnheitsmäßig falscher Stimmlippeneinstellung. Hierbei eignet den Frauenstimmen die Widerstandsschwäche in gewissen Lagen (der ungenügende Stimmbandschluß), den Männerstimmen das Forcieren als besonderes Übel. Nur wenn man neben der äußeren Spannung zugleich mit der inneren Widerstandskraft der Stimmlippen rechnet, ist es überhaupt verständlich, woher es kommt, daß die richtig gebrauchte menschliche Stimme mit den Jahren so sehr wächst; an der „Resonanz" kann das doch nur solange liegen, als die Geschicklichkeit in deren Ausnützung noch zunimmt, später aber ändert sich im Grunde nichts mehr gegenüber der ursprünglichen Veranlagung. Es kann sich also nur mehr um fortgesetzte Muskelkräftigung durch Training handeln; was aber sollte da noch trainiert werden können, wenn nicht die muskulösen Stimmlippen selbst? Der Atemdruck darf ja, wenn nicht „forciert" werden soll, stets nur um ein Geringstes stärker sein als der Widerstand der Stimmlippen, gerade noch groß genug, um diese in Schwingung zu versetzen. Wächst deren innere Widerstandskraft, so muß auch der Atemdruck zur Überwindung des Widerstandes wachsen, eines steigert sich am andern und die Stimme wächst stetig mit bis zur äußersten individuellen Möglichkeit, sie klingt dabei größer und immer raumfüllender, nicht etwa nur im Forte, sondern genau so auch im Piano. j. Das Gleichgewichtnehmen von Kraft und Gegenkraft im Stimmwerk geschieht so, daß der Ton als frei beweglich, nicht aber als „locker" empfunden wird. Kein unklarer Be39
griff außer dem „Stützen" hat so viele Stimmen gekostet wie dies Gerede von lockerer Halsmuskulatur, lockerem Ansatz u. dgl., wobei man außerdem versucht hat, sich um die Frage des Stimmbandschlusses herumzudrücken mit der Ausrede, die Kehle „funktioniere automatisch", es sei daher am besten, gar nicht daran zu denken, dort nichts zu spüren und nur auf Atem und Resonanz zu achten. Nein: nicht die Resonanz singt, sondern die Kehle singt! Das Ansatzrohr hat nur den günstigsten Weg für den Ton freizugeben. Auch der äußere Hals hat seine Marken, welche die Tongebung fördern: nie sei das Kinn hochgereckt, nie ruhe der Kopf im Genick. Der Nacken werde vielmehr gestreckt derart, daß der Kopf nach vorne fiele, würde er nicht vom Nacken gehalten I Ob der Kopf dabei mehr gesenkt oder gehoben erscheint, ist individuell verschieden und hängt jeweils von der Bauart des Organs ab. Ob es vielleicht gar mit der sehr verschiedenen Hubfähigkeit des Kehldeckels zusammenhängt ? Und die „Register" ? Wir unterscheiden das entwickelte Geschlecht auch mit dem Gehör. Der Brustklang gilt uns als typisch männlich, der Kopfklang als typisch weiblich. Wieviel der Mann zugleich weibliches in sich trägt und wieviel das Weib Bruchteile männlichen Wesens birgt, soviel ist der männlichen Stimme Kopf klang und der weiblichen Brustklang eigen. Hierauf beruht im groben der Unterschied der Stimmgattungen und im Feinen die Verschiedenheit des individuellen Stimmklanges in unendlicher Abstufung. Soweit dies Mischungsverhältnis auf der gesamten Körperbeschaffenheit begründet ist, kommt es zum Ausdruck in jedweder stimmlichen Betätigung, ist es naturgegeben und im wesentlichen unveränderlich. Hiervon ist zu unterscheiden die Stimmbandfunktion, die bis zu einem gewissen Grade dem Willen unterworfen und veränderlich ist. Auch hier gibt es, wenn man von den ganz tiefen Kehlbaß- und den ganz hohen Flageolettönen absieht, zwei Grundformen der Betätigung: die Vollfunktion und die Randfunktion, die ebenfalls in unendlichen Abstufungen sich mischen. Ungemischt, rein befriedigt das Ohr die Vollfunktion nur in der Tiefe der Männerstimme und die Randfunktion in der Höhe der Frauenstimme. Die Vollfunktion wird gewöhn40
lieh Bruststimme, die Randfunktion Kopfstimme genannt. Bringt der Mann die reine Kopfstimme hervor, so klingt das verzerrt weibisch, bringt die Frau die reine Bruststimme hervor, so klingt das verzerrt männlich. Unentwickelt (rudimentär) enthält die Männerstimme die Grundbestandteile (Elemente) der Frauenstimme und die Frauenstimme, die der Männerstimme; die Männerstimme ist die Fortsetzung der Frauenstimme nach unten und die Frauenstimme die der Männerstimme nach oben, wobei sie einander auf mehr als i 1 / a Oktaven überdecken. Je weiter ein Ton der Männerstimme von der reinen Vollstimme, der Brustregion entfernt ist, um so höher erscheint er; je weiter ein Ton der Frauenstimme von der reinen Randstimme, der Kopfregion der Frauenstimme entfernt ist, um so tiefer erscheint er. Hierauf beruht es, daß ein und derselbe Ton je nach der Stimmgattung bald hoch, bald mittel, bald tief empfunden (vom Sänger) und aufgenommen (vom Hörer) wird. Die genannten zwei Grundfunktionen werden nun vielfach als Register bezeichnet und die Verwirrung ist vollkommen, wenn man Brust- und Kopfklang, also eine Resonanzangelegenheit, mit Voll- und Randfunktion der Stimmbänder als Brust- und Kopfstimme oder als Brust- und Kopfregister durcheinander wirft. Wohl um dieser Wirrnis zu entrinnen, versucht man unter dem Namen des „Einregisters" oder auf der Brücke über das „Vielregister" die Registereinteilung überhaupt loszuwerden. Läßt es sich aber leugnen, daß jede Stimmgattung ihre ganz bestimmten Übergangsstellen hat ? Wohl gibt es bevorzugte Naturstimmen, bei denen sich diese Übergänge nicht nur für den Hörer, sondern für den Sänger selbst unmerklich vollziehen (um früher oder später bei mangelnder Sicherung und Kenntnis derselben doch, und dann meist um so klaffender, sich zu zeigen), doch sind sie so vereinzelt, daß sie unmöglich als Norm gelten können und daß jede damit nicht ausgestattete Stimme als „krank" hingestellt werden kann, denn das hieße vom Ziel behaupten, es sei der Ausgangspunkt. Unmittelbar wahrzunehmen ist meist der untere Übergang der Frauenstimme; der obere Übergang der Frauenstimme und der Männerstimme erscheinen häufig verdeckt durch Überdehnung der Mittellagenart, wenn die Stimme keine Höhe hat, und durch Unterdehnung der 41
Höhenatt, wenn sie Höhe hat. Das Überdehnen ist das typische Forcieren mit seiner die Stimmbänder buchstäblich zerdehnenden Wirkung, das Unterdehnen ist eine womöglich noch gefahrlichere Abart des Forcierens, gleichsam sein Spiegelbild, und untergräbt die gesunde Kraft der Stimme durch Erschlaffen, Verweichlichen. Darum kann nicht genug vor dem Versuch gewarnt werden, durch Hinunterfuhren der Mittellagensingempfindung in die Tiefe, durch Hinunterfuhren der Höhenlagensingempfindung in die Mittellage oder durch fortgesetztes lockeres Pianosingen das ideale Einregister herstellen zu wollen. Wer locker singt, vergeht sich genau so gegen das Grundgesetz des Singens, nämlich gegen das Streben nach Spannungsgleichgewicht, wie der, der die innere Spannung durch äußeren Druck auf die Kehle ersetzen zu können meint. (Locker könnte man allenfalls die richtige Haltung der Zungen- und gesamten Mundschleimhaut nennen, aber auch da sagt man besser „weich".) Das Ergebnis ist der Reihe nach: Tonflackern, Verlust des ursprünglichen Timbres, Atemausgehen, Verlust des Stimmumfanges, schließlich Zusammenbruch der Stimme und des Selbstvertrauens; der jedem geborenen Sänger und Sprecher von Natur ursprünglich gegebene StimmbegrifF ist verlorengegangen ! Das Überdehnen ist gekennzeichnet durch zu geringen, das Unterdehnen durch zu großen Atemverbrauch. Beide Arten des Forcierens können nur langsam abgebaut werden, indem man die zu stark beanspruchte Singart auf ihr eigentliches Maß zurückführt, die vernachlässigte nicht an der Grenze, sondern in ihrer Mitte, in ihrer Kernregion sucht, mit Hilfe des im vorangehenden Abschnitt erörterten feinen Muskelzuges kräftigt und so mit ihr die als Loch empfundene Stimmstelle ausfüllt. Der Ausgleich zwischen beiden Singarten, die Sicherheit im Gewinnen des Überganges wird dann förmlich empfunden wie ein freies Balancieren auf einem messerscharfen Grat. Der balancierende Ausgleich muß auch den vorgenannten begnadeten Sängernaturen, die nichts davon merken, bewußt gemacht und mit ihnen geübt werden, denn sonst stürzt sie der erste, früher oder später unvermeidliche Schwächeanfall aus all ihrer Sicherheit im Singen in nervöse Verängstigung. Was für Mezzoforte und Forte gilt, ist auch fürs Piano gültig. Das Piano muß in der normalen Singart der jeweiligen Lage 42
ergriffen werden und nicht etwa in der Singart der nächsthöheren, denn sonst gibt es Brüche im Crescendo und Decrescendo; man könnte sagen, jeder Ton ist in jeder Stärke „registereigen" zu ergreifen. Ob dabei die Tiefe der Frauenstimme Bruststimme genannt wird, was sie ja nur relativ ist, und die Höhe der Männerstimme Kopfstimme, was sie ebensowenig oder -soviel ist, ob ferner die Singarten der einzelnen Lagen als Register, Klangfunktionen oder sonstwie bezeichnet werden, das ist im Grunde gleichgültig; freilich wäre es aber wichtig, die Namengebung zu vereinheitlichen. Noch wichtiger aber ist es, daß in jedem Forte des Sängers deutlich ein mitschwingendes Piano zu spüren ist und in jedem Piano ein ebenso deutlich mitschwingendes Forte. Die Stimmgattung zu erkennen ist bekanntlich keineswegs leicht, es kommt da oft zu Überraschungen und mancher hat sich schon ein halbes oder ganzes Sängerleben lang in der falschen Stimmgattung herumgetrieben. Die Länge der Stimmlippen, Form und Größe des Kehlkopfes, Beschaffenheit des harten Gaumens, Bau des Brustkorbes, alle bisherigen wissenschaftlichen Feststellungsmethoden (einschließlich der sehr komplizierten sog. „Vokalexpertise" des Leningrader Phoniatrischen Instituts) sind ebensowenig zuverlässig wie die Höhe des gewöhnlichen natürlichen Sprechtons (des sog. Diapasons), wie das subjektive Stimmgattungsgefühl des Sängers oder wie die Klangfarbe der Stimme. Die bisher einzig zuverlässige Handhabe bieten die Übergangs-, die Umsatzstellen. Ist bisher die Rede von dem gewesen, was im Kehlkopf geschieht und wahrnehmbar wird, so soll kurz vor dem Übergang zum folgenden Stück erörtert werden, was mit dem Kehlkopf während des Stimmegebens geschieht. Bekanntlich ist er auf einer leicht sichelförmig nach vorne geöffneten Bogenlinie von 20—30 mm Gesamtlänge auf- und abwärts verschiebebar; sein höchster Stand wird erreicht beim Schlucken, sein tiefster beim Gähnen. Während darüber, daß sein höchster Stand beim Stimmegeben nicht erstrebt werden darf, wohl Einigkeit herrscht, scheint die Irrlehre vom möglichst tiefen
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Stand — eine geschichtliche Folge der Duprezschen Singmanier — noch nicht völlig überwunden. Sie ist genau so zu verwerfen wie jenes. Hingegen ist der durchschnittliche „Stand" des Kehlkopfes beim Stimmegeben von mitentscheidender Bedeutung für die Veredlung des Stimmklanges. Das Suchen, Finden und „Einbauen" des klanggünstigsten Kehlkopfstandes, der je nach dem Bau des ganzen Organs immerhin wechselt und ja auch mehr eine Standlinie als ein Standpunkt ist, gehört zu den wichtigsten und dankbarsten Aufgabendes Stimmbildners im Interesse der Timbrekorrektur. Hierbei gilt es sehr häufig, zugleich eine bevorzugte, aber falsche Klangvorstellung zu überwinden, an der der Stimmschüler hängt, oft ohne mehr zu wissen, welches Vorbild er damit nachahmt. Der T r i l l e r beruht auf einem Schütteln des Kehlkopfes, und zwar nicht nur auf- und abwärts, sondern auch vor- und rückwärts auf oben beschriebener sichelförmig nach vorn geöffneter Bogenlinie. Er wird am besten zunächst an einer mäßig hohen Umsatzstelle und als Ganztontriller geübt, so, daß der konsonierende, der geschriebene Trillerton unter, der dissonierende über dem Umsatz liegt. Hier stellt sich bald und leicht die gesuchte Schüttelbewegung, an der die Zungenwurzel teilnimmt, ein und es ist nunmehr einfach, sie auf andere Lagen zu übertragen. Für Sänger mit „gestelltem" Kehlkopf ist der Triller völlig unausführbar. Bei regelrechter Stimmtätigkeit ist er durchaus nicht das Wunder, als das er vom Laien angestaunt wird; auffallend ist nur der überaus geringe Atemverbrauch, der erstaunliche Verlängerungen gestattet. Das hat zu Versuchen geführt, den Triller in den Dienst der Stimmbildung und der Atemverlängerung zu stellen; man sagte: gut trillern zu können sei ein Zeichen richtiger Tonbildung, folglich werde sich durch Trillerüben eine gute Tonbildung „automatisch" ergeben. Die typische Irrlehre auf Grund falschen Rückschlusses I
Die Alten verwendeten neben diesem heute allein gültigen Triller und vertauschten auch willkürlich mit ihm den B e b e triller auf dem geschriebenen Ton, den wir aber heute als meckernd empfinden und darum spöttisch „Bockstriller" nennen. 44
Im folgenden wird das Ansatzrohr für sich behandelt aus Gründen der Übersichtlichkeit. In Wirklichkeit aber bilden Ansatzrohr und Kehle ein gekoppeltes Tätigkeitssystem, das sich in fortwährender Wechselbeziehung und gegenseitiger Beeinflussung ausdrückt.
DAS ANSATZROHR hat seinen Namen der Orgelpfeife entlehnt; es besteht aus dem Teil des Kehlkopfes, der über den Stimmlippen liegt, sowie aus den Rachen-, Mund- und Nasenhöhlen. Hier ist der Sing- und Sprechvorgang etwas weniger „geheimnisvoll" als in der Kehle; es läßt sich vielerlei leichter beobachten, sehen, hören und fühlen, und dadurch erklärt es sich vielleicht, daß das Ansatzrohr der beliebteste Tummelplatz für gewagte Theoreme geworden und ihm fälschlich eine Überbedeutung für Tonstärke, Tonreinheit, Tonverbindung, sogar für die Klangfarbe der Stimme beigemessen worden ist. Das einseitige Stimmebilden „mit" und „an" der Resonanz hat aber nicht weniger Opfer gekostet als andere Einseitigkeiten ! Irrlehre ist es, wenn die Vibrationen, die beim Stimmegeben an den Kopf- und Brustknochen leicht zu ertasten sind, für „Resonanz" erklärt und darauf Tonbildungsversuche gegründet werden. Diese Vibrationen haben mit Resonanz nichts zu schaffen; sie kommen dadurch zustande, daß die Stimmlippen beim Schwingen an ihren Stützpunkten zerren, sind fortgepflanzte Zerrungen und dergestalt Nebenerscheinungen, die auf nichts bestimmend wirken, also sog. „parasitäre Phänomene". Fingertasten darf mit Hören nicht gleichgesetzt werden; der Satz von Gut^mann, „Die Sinnesqualitäten gehen nicht ineinander über", besteht zu Recht. Ob meine auf S. 16 u. f. niedergelegte Ansicht über die Bedeutung der Gabelung des Ansatzrohres in Mund- und Nasenrohr der Nachprüfung standhält, ist von verhältnismäßig untergeordneter Bedeutung. Auch hier soll die Praxis dem Singenden und Sprechenden vor allem deutlich spürbare Tastmarken darbieten, an die er sich halten kann. 45
Fürs erste ist jeder Gedanke an sog. „Ansatzrohrverlängerung" durch Tiefstellen des Kehlkopfes und rüsselförmiges Vorstülpen der Lippen, obgleich von falschen Propheten als Mittel zur Tonverstärkung angepriesen, grundsätzlich zu verwerfen, denn erfahrungsgemäß sind die meisten Stimmverluste, die durch Einbüßen des Gefühls für den natürlichen Singegriff Zustandekommen, auf dies Konto zu buchen. Merkpunkte findet der Stimmbraucher an den weichen Gaumenbögen, am Zäpfchen, auf der Zunge, für die Kieferstellung und in der äußeren Mundhaltung. Die weichen Gaumenbögen seien weder gewaltsam aufgerissen noch zugeschnürt. Das für gewöhnlich richtig zu treffen, ist leicht — weniger leicht ist es an unbequemer Stelle, und es ist erstaunlich, wie häufig ein Nachkontrollieren des weichen Gaumens zum Überwinden einer gefährlichen Klippe verhilft. Das Zäpfchen schlaff herabhängen zu lassen, ergibt näselnden Klang, der die Laute verfälscht und die Schallkraft erstickt. Wer durch Näseln an Stimmstärke zu gewinnen glaubt, ist der Selbsttäuschung des „Hörens von innen" zum Opfer gefallen und wird beim Auftreten mit Schrecken gewahr werden, daß ein großer Raum und andere Klänge sein bißchen Stimme einfach verschlingen. Nicht weniger verkehrt ist das Gegenteil, das stockschnupfenartige Absperren der Nasenhöhlungen durch die „Nasenklappe", die gebildet wird vom nach hinten gehobenen Zäpfchen und von dem ihm entgegenkommenden Passavant'schen Wulst; der Stimmklang wird dabei hart und trocken. Beim richtigen Stimmgeben soll ein, allerdings nur enger, Kanal zwischen Mund- und Nasenrachen offen bleiben. Die richtige Stellung kann in allen drei Artikulationsgebieten verhältnismäßig leicht gefunden werden; sie ist erreicht, unmittelbar bevor man im vorderen, ersten aus einem m ein b formt, im mittleren, zweiten aus einem n ein d formt, im hinteren, dritten aus einem ng ein g formt. Die Zunge ist nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt so manchen Wahnes. 46
Daz wirste lit, daz iemen treit, daz ist din Zange, sö man seit. S w i din Zunge rehte tuot deist kein ander lit s6 guot. (Aus Freidanks „Bescheidenheit", c. 1230.)
Drei Irrtümer sind es besonders, denen baldige Beseitigung im Interesse des Stimmegebens zu wünschen ist: 1. Das sog. „ L e g e n " der Zunge. Ganz abgesehen davon, daß e, i, ö und ü von niemand mit gelegter Zunge ausgesprochen werden können, ist das Wölben oder Nichtwölben der Mittelzunge auch bei a, o und u nichts Freigestelltes, sondern hat sich zur Erzielung des Bestklanges der individuell beträchtlich verschieden hohen Wölbung des harten Gaumens, auch „Himmel" genannt, streng anzupassen. Das a mit gewölbter Zunge bei niedrigem Himmel klingt nach e verfälscht, geplärrt-unedel; das a bei hohem Himmel mit tiefgelegter Zunge gebracht klingt nach o verfälscht, hohl-unedel. Bei schwachgewölbtem Hartgaumen klingt die Naturstimme auf dunklen, bei starkgewölbtem Hartgaumen auf hellen Vokalen schöner. Der Besitz eines schwachgewölbten Himmels erleichtert die Tonbildung, gleichsam als ob das Ansatzrohr besonders gut zur Beschaffenheit der Stimmlippen paßte; der Besitz eines hochgewölbten Himmels erhöht die Eigenart der Stimme (Timbre!). Bei Romanen findet sich überwiegend der niedrige Himmel, bei Deutschen und Slawen mehr der hochgewölbte. Aus den Feststellungen der beiden vorstehenden Sätze erklärt sich ohne weiteres, warum z. B. die italienischen Stimmen an Schlackenlosigkeit, die deutschen an individuellem Timbre den Vorrang behaupten; es erklärt sich auch, wie der Irrglaube ans „Legen der Zunge" entstehen konnte, indem man nämlich bei schlackenlosen, spielend beherrschten Stimmen das Zungeliegen richtig beobachtete, dann aber Ursache und Wirkung verwechselte. Systematische Messungen des harten Gaumens an Personen verschiedenster Abkunft und Stimmwertigkeit versprechen wissenschaftlich ergiebig zu sein. 2. Das Stützen der Zungenspitze an die Unterzähne. Zweifellos ist es richtig, wenn gelehrt wird, jeden Laut, der sich auch oder vielmehr irgend noch mit dem Zungenrücken formen läßt (wie 1, n, i und ü), grundsätzlich nicht von der Zungen-
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spitze bilden zu lassen — richtig deshalb, weil dadurch nicht nur die Zungenspitze für ihre vielfachen anderweitigen Lautbildungsaufgaben freier wird, sondern auch deshalb, weil das Lautieren der Mittelzunge im Vordermunde ein wirksames Schutzmittel ist gegen die gefürchtete (weil klangerstickende !) Zungenballung im Hintermunde. Wenn dann aber die Zungenspitze an die Unterzähne gestützt wird, geht gut die Hälfte des oft mühsam gewonnenen Vorteils wieder verloren. Bekannt ist die unerhörte (weil weit und breit gehörte) Schallkraft der Kleinkinderstimme — das schreiende Kindchen rückt stets den vorderen Zungenrand ziemlich breit an die Unterlippe, auch dann, wenn es die Unterzähnchen schon hat. Warum in aller Welt also die Zungenspitze an die Unterzähne ? Und warum nicht vielmehr an die Unterlippe ? Das Ziel für die Aussprache ist doch ein in Wechselbeziehung zu den Mundlippen möglichst frei spielender vorderer Zungenrand und das Halten der Zungenspitze auf der Höhe der Unterlippe (an Stelle des unbegründeten Stützens gegen die Unterzähne) ist zu fordern: a) für die „Artikulationsbasis" genannte, nicht mit der Ruhelage zu verwechselnde Stimmbereitschaftsstellung (wenn ich nicht irre, von Martin Sejdel sehr schön „ A n h u b " geheißen) und b) für die Aussprache aller Laute, ausgenommen Zungen-r, sch und s stimmhaft oder stimmlos. Unmittelbar auffallend ist, wie sehr die Tragfähigkeit jeder Stimme durch die hier geforderte Zungenhaltung sich steigert. 3. Das Hart- und Steifmachen der Zungenoberfläche. Daß so viele Stimmen in der Ausbildung zugleich mit den Schlacken auch Wesentliches von der ihnen eigentümlichen Schönheit einbüßen, ist die Folge der fehlenden Anweisung, die Zungenoberfläche, ihre Schleimhaut nicht zu spannen, damit der Ton sich daran nicht reibe. „Was sich schabt, wird schäbig", möchte ich sagen. „ E i n weicher Resonator ist für das Resonanzoptimum günstiger und birgt weniger die Gefahr ungünstiger Rückwirkung auf die Tätigkeit der Stimmlippen als ein starrer", heißt das fachlich. Und es gilt wie für die Zungenoberfläche auch für die übrige Mundschleimhaut! Daß es erst hier erwähnt wird, hat seinen Grund darin, daß erfahrungsgemäß die Zungenoberfläche am leichtesten der Willenskontrolle sich fügt und ausstrahlend auf die übrige Mundschleimhaut rückwirkt. 48
Die Bedeutung der beiden Morgagnischen Taschen, die von den Stimmlippen und den Taschenbändern begrenzt werden, für die Tonstärke ist bisher nur bei den Brüllaffen einwandfrei festgestellt. „Schabende" Stimmen klingen schwächer als solche, die mit weich gehaltener Schleimoberfläche arbeiten. Es scheint möglich, daß die den Schabeklang verursachende Spannung der Schleimhaut die Morgagnischen Taschen schließt und daß dadurch die Schallkraft sich vermindert. Die Kieferhaltung, an sich so selbstverständlich, bedarf vielleicht gerade um ihrer scheinbaren Einfachheit willen besonders der Beobachtung, denn im Selbstverständlichen verbergen sich mit Vorliebe die Mängel. Schon daß so viele beim Stimmegeben, ja beim bloßen Mundaufmachen unbewußt den Kopf heben, zeigt, wie wenig sie sich dessen bewußt sind, daß doch nur ihr Unterkiefer beweglich ist. Den Unterkiefer „zwanglos fallen zu lassen" bei jedem Stimmgebrauch, gilt als Binsenwahrheit. In der Praxis hört und sieht man's anders; deshalb sei folgendes unablässiger Überwachung empfohlen: I. Die Zähne seien nicht entfernter voneinander, als daß knapp das aufgestellte Mittelglied des kleinen Fingers zwischen den Schneiden Platz hat (auch beim Vokal a, in hoher Lage und im Fortissimo nicht 1) und nicht näher beisammen, als das Vorderglied des kleinen Fingers hoch ist (auch auf i, u, ö und m und im Pianissimo nicht!). Übertriebenes Mundaufreißen raubt der Stimme Glanz und Farbe; verengt sich hingegen bei Englauten die Zahnentfernung bis nahe zur Bißstellung, so verrichtet der Kiefer ersatzweise die Arbeit der Zunge auf Kosten des Stimmklanges und zu Lasten der Stimmmuskulatur. Ein derart hervorgebrachtes Piano aber ist untragfähig und ermüdend zugleich durch Schallrückschlag. (Nachprüfung am sichersten an der messa di voce und deren Umkehrung, der esclamazione.) II. Der Unterkiefer werde beim Mundöffnen zum Zweck des Tongebens nicht verschoben, weder nach vorne noch nach hinten. Dieses, an sich seltener vorkommend, ist vielleicht die einzige Gefahr, die sich aus dem früher geforderten Vorbringen der sog. Zungenspitze an die Unterlippe (und nicht an die Unterzähne !) entwickeln könnte. Dies könnte nämlich mißverständlich so ausgeführt werden, daß der Unterkiefer, den? B o r u t t a u , Stimmkunst.
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ja mit Vorliebe, wenn auch mit Unrecht die Arbeit der Zunge zugemutet wird, sich zurückzieht, um der Zunge das Finden zur Unterlippe zu erleichtern. Da das Zurückziehen des Unterkiefers den Stimmklang scharf und halsig, wie „abgeknickt" macht, muß ausdrücklich davor gewarnt werden, diesen Fehler, gar noch getarnt als Fortschritt, sich einschleichen zu lassen. Jenes wieder, nämlich das Vorschieben des Unterkiefers kommt sehr häufig vor, vollzieht sich zumeist unter der Zwangsvorstellung, dem Tone „Luft schaffen" zu müssen, und es ist ein sicheres Anzeichen dafür, daß der für die Klangentwicklung naturgemäß gebotene Abstand zwischen Kehle und weichem Gaumen verkürzt wurde. Der verringerte Abstand zwischen Kehle und weichem Gaumen wird bekämpft durch Stimmeüben unter Gähnvorstellung, der vergrößerte durch Stimmeüben unter Schluckvorstellung. III. Das Schieben des Unterkiefers nach einer Seite beim Intonieren ist eine Abart des Vorschiebens, deren gewohnheitsmäßiges Auftreten außerdem — ebenso wie das Neigen des Kopfes auf eine Seite, wie das Singen gegen eine Schulter und wie das Schiefziehen der geöffneten Lippen — ein Zeichen ist für die verhältnismäßige Schwäche der einen Seite des Stimmwerks gegenüber der in der anderer Körperhälfte gelegenen. Zur Beseitigung dieser, den gesamten Erfolg der Stimmbildung dauernd gefährdenden Schwäche genügt es—das sei nachdrücklich betont! — nicht, einfach die Symmetrie herzustellen, sondern es gilt, vorerst den entgegengesetzten Fehler so lange zu üben, bis man ihn jederzeit anzuwenden vermag. Die äußere Mundhaltung erstrebe, ziemlich gleichmäßig für alle Vokale, ein weichgespanntes Oval der Lippen derart, daß die Mundwinkel einander nach vorne leicht genähert (Karpfenmäulchen) und die beiden mittleren Oberzähne zur Hälfte sichtbar werden. Unbedingt zu verwerfen ist a) das als Ansatzrohrverlängerung fälschlich angepriesene rüsselartige Vorstülpen der Lippen, weil aller im sog. Vorhof, d. i. dem Raum zwischen Zähnen und Lippen abgefangene Klang für den Saal verlorengeht; b) das Zeigen der Unterzähne, nicht nur, weil es bei richtiger Zungenhaltung ohnehin unmöglich ist, sondern auch deshalb, weil es erfahrungsgemäß der Stimme einen unedeln Beiklang gibt; 50
c) die sog. „lächelnde Mundstellung", weil sie zum Flachsingen verleitet und aus dem sonst so ausdrucksschönen Sängergesicht ein Ballerinengesicht alten Schlages macht. Lediglich beim Ergreifen überhoher Töne wirkt ein nicht übertriebenes Auseinanderziehen der Mundwinkel als erleichternder Kunstgriff; d) das „Blecken" des Gebisses durch gewaltsames Zurückziehen der Mundlippen, weil neben anderen Gründen dadurch jede Klangkonzentration vereitelt wird. Aus dem soeben Gesagten wird unmittelbar deutlich folgendes Gesetz: was an äußerer Form den Klang begünstigt, wird auch vom Auge als schön angesehen und umgekehrt. Die Umkehrung darf aber nur lauten: was den Klang schädigt, erscheint häßlich, nicht etwa: was schön aussieht, klingt schön. Es ist nicht wahr, was neuestens verbreitet wird, daß „Ästhetik und Hygiene im Singen identisch seien". Es ist das nichts als eine typisch falsche Umkehrung, wie sie so häufig gemacht werden und zu deren Kennzeichnung darum hier ein anderes Beispiel angeführt sei, das auch stimmbildnerisch von Wert ist. Bekanntlich spielten die Meister der sog. Belcantoperiode gerne mit dem Versuch, ihren Schülern während eines ausgehaltenen Tones eine brennende Kerze vor den Mund zu halten; diese Kerze sollte ohne jedes Flackern ruhig weiterbrennen und dies Nichtflackern zum Beweise dienen für die restlose Umwandlung des Atemstromes in Tonstrom durch den Transformator „Kehle". Keinesfalls darf nun diese Beobachtung umgekehrt so ausgedeutet werden, als ob es irgendeine Stimmlage gäbe, in der ein Ton „richtig" sein muß, einfach deshalb, weil die Kerzenflamme ruhig brennt 1
Und was ist das sog. „Vornesitzen" des Tones ? Eine halbe Wahrheit! Vorne sitzen soll die Aussprache; je mehr der Text am dünnst ausgezogenen Lippen- und Zungenrand geformt wird, desto klarer, desto plastischer sind Wort, Satz, die ganze Sprachmelodie. Hingegen den Ton „vorne bilden" oder „nach vorn bringen" wollen führt unvermeidlich zum Flachsingen. Der Singende und nicht minder der Sprechende tut am besten, von Anfang an in seiner Vorstellung Aussprache und Ton streng voneinander zu trennen derart, daß die Aussprache den geraden, also den kürzesten Weg nimmt, der Ton hingegen den längsten, den weitest möglichen Bogen macht; Lippen und 4*
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Vorderzunge gehören der Bildung der Konsonanten (im groben gesagt), die Mittelzunge der Bildung der Vokale, die Hinterzunge samt Mundrachen und Nasenrachen der Bildung der Töne. Einfacher ausgedrückt: Vom gegabelten Ansatzrohr gehört das Mundrohr der Aussprache, das Nasenrohr der Stimmgebung.
Alle Stimmbetätigungsanweisungen verlieren ihren Sinn in dem Augenblick, da ihre Ausführung nicht aus entspannter Körperhaltung erfolgt. Ideal entspannte Körperhaltung wäre es, wenn alle Körperbestandteile einzig dem Zug der Schwerkraft folgend übereinandergeschichtet ruhen würden. Das ist uneingeschränkt nur im Liegen möglich; die Regelhaltung des Stimmgebers aber ist die stehende. Auch im Stehen gibt es eine verhältnismäßig muskelzugfreie, der Schwerkraft folgende Körperhaltung, die sich aufbaut auf dem günstigsten Übereinanderlagern der Rückenwirbel von unten nach oben. Nimmt man sie ein, so bekommt man erst richtig die Muskulatur für den Stimmgebrauch frei. Um das Bestmaß an Muskelleistung für die Stimmbetätigung zu erreichen, muß diese entspannte Körperhaltung vor dem Stimmgebrauch aufgesucht und während desselben festgehalten werden; sonst gibt es Verspannungen, die auch auf die Stimmwerkzeuge übergreifen, und schließlich Verkrampfungen, die alles gefährden. Ohne sich verpflichtet zu fühlen, jedem Unsinn, der verbreitet worden ist, auf das etwaige „Körnchen Wahrheit" nachzuspüren, kann man zur Erklärung, nicht zur Entschuldigung annehmen, daß die Irrlehre vom lockeren oder entspannten Ton aus dem Mißverstehen einer an sich so richtigen Beobachtung, wie der oben geschilderten, sich herleitet.
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DIE STIMMWERKZEUGE Zusammenfassendes und Weiterführendes. Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, wie außerordentlich viel es schon für die Beherrschung der Stimmwerkzeuge unter dauernder Beobachtung zu halten gilt. Hinzu kommt aber noch die Beherrschung der eigentlichen Sprechwerkzeuge. Selbstverständlich wäre nichts verkehrter, als nun all die Griffe und Tastmarken einzeln suchen zu wollen. Es ist Sache des Unterrichts und der Überlegenheit des Stimmbildners, in jedem Sonderfall so besonders zu führen, daß die Griffe und Tastmarken sich förmlich bündelweise einstellen: gefühlt, beobachtet, festgestellt und festgelegt müssen sie sein, nicht aber alle einzeln gesucht werden. Welche jeweils besonders zu suchen sind, das ist das Wesentliche, das zu wissen macht erst den Unterricht hervorragend. Mag aber der Lehrgang noch so sehr um Vereinfachung bemüht sein — es wäre schwerlich möglich, all das als notwendig Erkannte wirklich zu befolgen, wenn wir alle nicht auch hierin teilhätten an der Summe der vor uns gemachten Erfahrungen. Wie verzahnt greifen die einzelnen Tätigkeiten ineinander derart, daß jede Verbesserung an grundlegender Stelle auch an allen andern Stellen bessere Vorbedingungen für die Betätigung schafft. (Freilich Verschlechterung auch schlechtere 1 So erklärt sich der geradezu „galoppierende" Verfall mancher Stimmen.) Das Bewußtwerden, daß der Fehlerquellen unzählige sind, verleitet immer wieder zu dem „verzweifelt" zu nennenden Auskunftsmittel, sie lieber gar nicht ernstlich zu suchen, sondern unter Vorspann von ein paar vermeintlich begünstigenden, höchst oberflächlichen Anweisungen im Vertrauen auf die Gnade der Natur drauflos singen oder sprechen zu lassen. Unter immer neuen verlockenden Verkleidungen taucht diese Einstellung von Zeit zu Zeit auf und wird zunächst als Ei des Kolumbus gepriesen. Es sind noch die günstigen Fälle, in denen dabei jene Fassaden-Glätte herauskommt, der der Laie gerade nichts nachweisen kann, deren Nichtigkeit aber sein Gefühl erkennt; so ziemlich jede Aufführung gibt Gelegenheit, dieses oder jenes Opfer der Spekulation auf allzu große Bequemlich53
keit zu beobachten und sich von ihm langweilen zu lassen. Wer die Anwartschaft darauf sucht, mehr zu sein als ein Nachahmer, wer Eigenart will, der wird den Hang zur Oberflächlichkeit in sich überwinden müssen, um den Weg zu finden, wie er seine Fehler Stück um Stück zu verstehen, auszubessern und das Erworbene gleichsam wieder ins Unterbewußtsein zu versenken hat. Ist er einmal so weit, daß er das Organ beherrscht (und nicht das Organ ihn durch „Dispositionen"), dann hat er erst volles Anrecht auf künstlerische Betätigung. Dann mag es für die Ausübung genügen, unter Betätigung von ein paar inneren Griffen, wie sie jeder Künstler als nützliche Auslöser (als Produkt seiner Organerfahrung) erprobt, im übrigen frei dem Kunstwerk zu leben — aber die Arbeit an der Weiterbildung der Stimme ist damit nicht zu Ende. Es genügt weder, unbewußt das Richtige zu machen, noch zu verstehen, wie man den eigenen Fehlern zu begegnen hat, denn die eigene Entwicklung ist dauernd im Fluß. Es gilt vielmehr, auch der Fehler Herr zu sein, die etwa einmal sich einstellen könnten, sei es durch Krankheit, sei es durch Abnützung und zunehmende Jahre. Und es geschieht im vollen Bewußtsein der Lehrverantwortung, wenn hier die Forderung aufgestellt wird, daß jeder Stimmkünstler über die Fehler, die er nie gehabt hat, ähnlich gut Bescheid wissen muß wie über die, mit denen er ursprünglich behaftet gewesen ist. Nur so wird es gelingen, mehr und mehr Künstler heranzubilden, deren Können dauerhaft genug ist, daß sie nicht gerade dann an der Unzulänglichkeit der Materie scheitern, wenn ihr GeistigKünstlerisches zur Erlangung der letzten Reife sich rüsten möchte. Es ist vorhin gesagt worden, daß die Ausbildungsarbeit nur im Hinblick auf die künstlerische Leistung gerechtfertigt erscheint. Die Ausbildung darf also in keinem Augenblick Selbstzweck sein oder auch nur als solcher sich geben. Sie wird aber zum Selbstzweck in dem Augenblick, da man die lebendige Materie erniedrigt, indem man an ihr arbeitet wie an totem Material. Es gibt kaum ein beleidigenderes Lob als das des „schönen Materials". Und darum hat Stimmbildungsarbeit nur dann vollen Wert, wenn sie unter vollem seelischem Ein54
satz vor sich geht. Nur so wird sie einem stillen, aber darum nicht minder wertvollen Nebenzweck gerecht: der Charakterbildung des Künstlers ! In allem Künstlerischen aber spielt der Charakter eine viel größere Rolle als man gemeinhin wahrhaben möchte. Die Summe der Erfahrungen unserer Vorfahren tritt als wechselndes Erbe im Einzelwesen zutage in sehr ungleich verteilten „Veranlagungen"; es ist angesichts der oben besprochenen Anforderungen ohne weiteres klar, daß die Ausbildung für Sologesang nur Aussicht auf Erfolg bieten kann bei übernormaler Begabtheit, und daß es falsche Propheten sind, die verkünden, die Sologesangausbildung lohne bei jedem Organ. Die Eignungsbasis verbreitert sich um ein geringes für Sprechsolisten, dann fortschreitend für Chorsänger, für Pultredner, Lehrkräfte, Befehlgeber, Ausrufer und Chorsprecher. Hingegen läge ein wirklicher kultureller Fortschritt darin, wenn es allgemeine Übung würde, das Sprechorgan zu nicht verkrampftem, also auch hygienischem Gebrauch zu erziehen. Hierfür ist es allerdings unerläßlich, daß davon abgegangen wird, die Sprechstimme mit allerhand Singübungen bilden zu wollen. Es war schon früher die Rede davon, daß solchem Treiben etwas peinlich Dilettantisches anhaftet; außerdem aber wäre dadurch das Heer der Unmusikalischen, die doch so gern in der lyrischen Dichtung einen gewissen Musikersatz suchen, von jeder Stimmverschönerung ungerechterweise ausgeschlossen. Ich selbst verzichte beim Unterrichten der Personen, denen ihr Sprechorgan im Beruf Sorgen verursacht, auch dann, wenn sie musikalisch sind, auf Singübungen. Die Frage der verschiedenartigen Veranlagung und ungleich verteilten Eignungen führt zur Frage der Grenzen. Was ihr OfFenbarwerden im Gradweisen betrifft, so ist schon im vorigen Abschnitt vor Schönfärberei gewarnt worden. Zu wenig beachtet ist bisher eine weitere unüberwindliche, bei Unkenntnis rätselhafte Grenze, die oft genug Hochbegabten gesetzt ist. Zum Glück sind nicht allzuviel Begabte neuropathisch veranlagt, aber sehr häufig sind Neuropathen auffallend begabt. Deren zeitweise auftretende Phonasthenie (Stimmver55
sagen) ist eine örtliche Erscheinung der Gesamtstimmung ihres Organismus. Der örtlichen Behandlung durch Stimmübungen spottet sie ebenso, wie die sehr mannigfaltigen sonstigen Krankheitserscheinungen der Neuropathen jedweder örtlichen Behandlung spotten. Der Gesamtumfang dieser Erscheinungen, einschließlich des Stimmversagens, ist nur von der Behandlung des Gesamtkörpers aus lösbar und wird nicht eher gelöst werden, als bis die Zusammenhänge zwischen der Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion einerseits und der Magen- und Darmfunktion andererseits nach Ursache und Wirkung zumindest erfahrungswissentlich (empirisch) geklärt sind. Zu den fraglichen Grenzen gehören auch die Altersgrenzen für den Anfang und das Ende; für beide können sehr große Spielräume angenommen werden. Während Caccini noch den Beginn der Stimmausbildung nach vollendeter Mutation grundsätzlich ablehnte, weil dann die Stimme nur selten befähigt sei, den notwendigen Grad an Biegsamkeit zu erwerben, ist es seit mehr als 100 Jahren gebräuchlich gewesen, eine Stimmbildung vor Vollendung der Mutation überhaupt nicht einmal in Betracht zu ziehen. Daß der menschliche Kehlkopf schon mit dem 19. Lebensjahr zu verknöchern beginnt, sei als Tatsache verzeichnet, jedoch ohne daraus Folgerungen zu ziehen. Ich habe gerade mit dem vorsichtigen Beginn der Stimmausbildung kurz vor vollendetem Stimmwechsel bei hohen und auf Beweglichkeit gestellten Stimmgattungen gute Erfahrungen gemacht, ebenso, wie insbesondere bei den aufs Großartige hinweisenden Stimmen selbst ein Beginn um Mitte 30 sich als durchaus nicht hinderlich erwiesen hat. Was das Aufhören angeht, so ist zu unterscheiden zwischen dem Aufhörenmüssen infolge der vorzeitigen Abnützung des Organs durch fehlerhaften Gebrauch und zwischen dem Aufhörenmögen aus innerer Gleichgültigkeit. Zu diesem Punkt ist folgendes zu bemerken: Angenommen, der Behauptung, alles Künstlerische, also auch das Stimmkünstlerische, beruhe auf der Spannung zwischen Eros und Sexus, liege ein richtiger Kern zugrunde, so kann die künstlerische Stimmbetätigung doch noch lange nach dem Erlöschen des Arterhaltungstriebes voll befriedigend fortgesetzt werden, zumindest solange, als noch ein Gefühl der Sehnsucht nach Lösung jener Spannung fortbesteht.
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Überall wirkt im Stimmlichen das Gesetz der S p a n n u n g . Nie bestimmt eine Kraft allein die Stimmbetätigung; immer sind es zwei Kräfte, die, sich wechselseitig beobachtend, die Stimmtätigkeit bewirken und regeln. Auch wo es scheint, als wäre nur eine Kraft am Werke, wirkt diese eine Kraft bewußt, ihre Gegenspielerin unterbewußt: das hat seine Gefahren und deshalb ist es besser, auch die zweite Kraft über die Bewußtseinsschwelle zu heben. Keine wirklich gut gebildete Stimme wird allzu gleichmäßig in allen Lagen sein. Stimmausgleich darf nicht in Stimmnivellierung (das ist Verlust an Stimmcharakter) ausarten. Dem Verlust der Klangfarbe beim Singen entspricht der Verlust des Tonfalles beim Sprechen. Es gab eine Zeit, da wurde die „zylindrische" Stimme von den „Internationalen" der Metropolitan-Oper usw. gepflegt mit dem trostlosen Ergebnis, daß schließlich alle Stimmen gleichmäßig und, mochten sie noch so schön sein, gleichmäßig langweilig klangen. Das deutsche Ideal ist die lagenmäßig gegliederte Stimme, die genau so berückend spricht als singt. Und nun scheide ich den Sprecher im Augenblick aus, weil er zugunsten der Sprachmelodie auf die Gesangsmelodie verzichtet; er kommt später zu seinem Recht. Hier wende ich mich an den Sänger und stelle fest: sogenannte „gute Aussprache" allein ist unkünstlerisch und verdächtig auf Atemdruck nach unten; sogenannte „schöne Cantilene" allein unter Vernachlässigung der Aussprache und Verfälschung der Vokale ist genau so unkünstlerisch und verdächtig auf ungenügenden Stimmlippenschluß. Nur vermittels des unendlich veränderlichen, ewig wechselnden Reigens der beiden gleichberechtigten Geschwister Gesangmelodie und Sprachmelodie erlebt der Hörer den vom Sänger gewollten Ausdruck als Eindruck. Männerstimmen wie Frauenstimmen haben in der Höhe verschiedene Empfindlichkeiten, auf die Bedacht zu nehmen ist: wie die Männerstimme in der oberen Lage ein Stakkato kaum bringen kann und darf, so ist scharfes Lautieren in der Höhenlage für die Frauenstimme naturwidrig; insbesondere die Aussprache der Klingerkonsonanten, für Männerstimmen 57
in der Höhe nichts Schwieriges, darf in der Höhe der Frauenstimmen nur ganz sparsam angedeutet werden. Ein Erübenwollen wäre in beiden Fällen nicht Überwinden von Ungeschicklichkeit, sondern Zwang wider die Natur und nicht nur von vornherein nutzlos, sondern mit das Schädlichste, was einer Stimme überhaupt angetan werden kann. Im folgenden soll von den Sprechwerkzeugen die Rede sein. Zum Unterschied von den eigentlichen Stimmwerkzeugen seien unter Sprechwerkzeugen jene verstanden, die sich auch unter Ausschluß der Stimme, also flüsternd, betätigen lassen.
DIE VERWANDSCHAFT DER LAUTE Die gebräuchliche, aus dem Alphabet gezogene Vokalfolge a — e — i — o — u ist unzusammenhängend. Die beiden Gruppen a—e—i und a — o — u enthalten Verwandtes —zwischen i und o ist eine unüberbrückbare Kluft. Die Abfolge u — o — a — e — i oder umgekehrt i — e — a — o — u ist besser. F. Hellwag gibt 1783 folgendes Schema: Man mag es—moderner!—auch auf den Kopf stellen, ebenso wie alle weiteten Figuren also:
£00
/ 0I \u J
\J / 0.0
Beides läßt sich begründen.
\
£
| / vQ'
u. s. w.
Es ist gut, läßt aber noch Wünsche offen, denn e und o sind nicht als vollwertige Vokale, sondern nur als Zwischenstufen der Grundvokale i — a — u betrachtet. Ich dachte an das in Thaustngs „natürlichem Lautsystem" dargestellte Dreieck, an Julius Heys Vokalreihen: i e ä a—i e ö o — i ü u o—a o u ü ; doch, ich suchte nicht Vokalreihen, sondern eine Vokalreihe, d i e zusammenhängende Vokalreihe. Ich fand die Folge a — e — ö — o — u — ü — i , zog in Hellwags Schema danach von Vokal zu
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Vokal die Verbindungslinie und erhielt folgende Winkelreihe, die ein Dreieck mit seitlichen Aussparungen und zwiefacher Grundlinie darstellt:
Zieht man hierzu (punktiert) die Verbindungslinien und fällt die Senkrechte, so ergibt sich ein Gebilde, dem Schema Hellwags nicht unähnlich; doch stellt es ein vollständiges Dreieck mit doppelter Grundlinie dar: A
u
Ich nenne es V o k a l d r e i e c k ; sein Gerüst bildet die Figur \. Das Vokaldreieck zeigt die Verwandtschaft der Vokale in ihrer geschlossen-langen und offen-kurzen Doppelform auf. Es lag nahe zu untersuchen, ob sich nicht von den Vokalen zusammenhängende Verbindungen zu den Konsonanten herstellen ließen und ob es nicht möglich wäre, diese ähnlich in Reihen zu ordnen. Es ergab sich: vom i zum j ist nur ein Schritt; spricht man dieses tonlos, so hat man ch; vom u zum w ist nur ein Schritt; spricht man dieses tonlos, so hat man f; vom ü zum s 1 ) ist nur ein Schritt; spricht man dieses tonlos, so hat man s 2 ); 1
) Gesummt. — 3 ) Gezischt.
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vom e zum n ist nur ein Schritt; schließt man die Nase ab, so hat man d; vom o zum m ist nur ein Schritt; schließt man die Nase ab, so hat man b. Man erhält folgendes Bild:
A A
UIIMW/KW
/onm/Mnamu
/
j/ J Vorderes CA (id) ^
,
\
Xy
ü tf ;
au bVatuates W
«S (¡esummt) S (gezischt)
W¿labiodental) ' F
stimmlost Reibet
Vom a aus ist die Ableitung schwerer, doch scheint ein Analogieschluß möglich: Auf der Verlängerung des lichten Schenkels i—a liege das lichte 1; des dunkeln Schenkels u—a liege das dunkle r; der Senkrechten ü—a liege das halbdunkle ng; aus welchem, wenn man die Nase abschließt, g wird; Sprenglaut k. Betrachten wir die Grundfigur
, um die das ganze
System des Alphabets sich ordnet und gliedert, so sehen wir: sie ist die Urform unserer arabischen j, auch wenn man sie auf den Kopf stellt:
Die weitere Deutung der
auch in ältesten Keilschriften vorkommenden Figur soll noch unsicher sein. Jedenfalls: Der Mittelpunkt des Systems ist das ö. Das Schriftbild des o bildet nicht nur die gerundete Mundstellung nach, es ist auch das Oval, die Eiform. Und das ö, früher geschrieben 0, ist das Ei mit Augen, der befruchtete, sprießbereite Keim.
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Es ist für Künstler immer anregend, solchen Beziehungen und Zusammenhängen am Wege zu begegnen. Gesamtbild. Räuspern
t
Gutturaler \I Knacklaut Vetares Ch (ach)
I (/,la/s-R)
DIE AUSSPRACHE Unser Schriftbild wimmelt von Eigenheiten. Manche Laute haben mehrere Schriftzeichen, wie k (ck, c, q — Knacks, Cottbus, bequem); f (v, ph — Fahne, Vater, Phantasie), x (chs, gs, cks — Max, Ochs, flugs, stracks), chs muß aber auch für zwei verschiedene Lautfolgen herhalten (z. B. der Dachs — des Dachs [2. Fall von „das Dach"]), ebenso ch in ach und ich, ie in Biene und Asien, Barbier und Spanier, st in Stein und Last, c in Cottbus und Cicero, für welch letzteren Laut aber 61
fallweise auch z (Zorn), ts (Einheitsform), tz (Hitze, Protz) und ti (Nation) geschrieben werden. Die geschlossen-lange und die offen-kurze Form der Vokale durch Dehnungs- und Verkürzungszeichen (zielen, ziehen, zittern) kenntlich zu machen, wird wohl versucht, aber so wenig folgerichtig durchgeführt, daß unsere Schreibung auch von Fußangeln für die Aussprache wimmelt. Die übliche Scheidung in Vokale und Konsonanten (besser: Freiklinger und Sperrlaute) hilft dem Sänger nicht; gibt sie dem Sprecher viel ? Sie stammt aus philologischem Bezirk und ist zu anderen Zwecken getroffen worden; der Vortragende braucht eine andere Einteilung der Laute, denn für ihn gibt es Laute, die klingen, und Laute, die nicht klingen, also Ellinger und Nichtklinger. Was dazwischen ist, sind für ihn Anklinger (b, d, g). Die Vokale sind für ihn Freiklinger und zerfallen in kurz-offene, lang-geschlossene und (in Fremdwörtern) nasalierte: a kurz: Mann (im Singen heller auszusprechen), a lang: Tat, Saat, kahl (im Singen dunkler auszusprechen), a nasaliert: Chambre, Jean, Entree, ä kurz: Mächte, mit ganz schwachem Anklang an ö (im Singen heller auszusprechen), ä lang: Mädchen, mit ganz schwachem Anklang an ö (im Singen dunkler auszusprechen), ä nasaliert: Maintenon, Teint, e offen: recht, weg, e geschlossen: hegen, Erde, Weg, Benefiz, Semele Endsilben-e, wechselnd der Hauptsilbe angeähnelt: Tennen, Tannen, Tonnen, Turnen, Tinten, Vorsilben-e, zwischen der eigenen und der vorhergehenden Hauptsilbe vermittelnd, i offen: Fisch, i geschlossen: wir, definitiv, Satyr, Satire, o offen: Spott, Horn, o geschlossen: vor, Moor, Moos, Lokomotive, o nasaliert: Garcon, Chalons, Schaunard, ö offen: Mörder, Löcher, Götter, ö geschlossen: Löhne, löten, schön, 62
ö nasaliert: Verdun, Parfüm, Dejeuner, u offen: Hund, Schuppe, durch, u geschlossen: Gut, Huhn, suchen, Akkumulator, ü offen: Mütter, Schützen, flüchtig, ü geschlossen: kühn, für, Mühe, Polygon. Zusammen 20 Freiklinger, zu denen das schillernde Endsilben- und Vorsilben-e kommt, sowie folgende 3 Zwiefireiklinger (Diphtonge): ei — ai: Maid, meiden, eu, äu, oi, oy, uy: Leute, Häuser, Goisern, Boyen, Ruysdael, au: Haus, Mauer. 7 vollklingende Sperrklinger (weil dabei die Mundhöhle gesperrt wird): r: Rede, Haare, aber, 1: Leib, alle, 1 mouilliert: Bataillon, Sevilla, m: mein, Hammer, n: nein, Kanne, n mouilliert: Bologna, Maranon, ng: Ring, rings (ohne k), desgl. bang, hingegen mit k als nk: Bank. 5 halbklingende Sperrklinger: w labiodental: Welt, zwei, Villa, Nerven, w bilabial: Qual, bequem, s gesummt: singen, säuseln, langsam, una cosa, sch gesummt: Genie, Gage, Jockey, Angelo (hier mit d), j : ja, Jesus, ew'ge. 3 Anklinger: b: beide, d: Diebe, g: gegen, geben, gedenken. 6 Rauscher (Ausdruck kommt schon bei Hey vor): f: Feind, Affe, Vesper, Nerv (dagegen Nerven mit w), s scharf: Roß, essen, Ast, Sir(e), Sirmione, Zahn, Achse, Axt, Nation, Sanssouci, sch scharf: schön, Asche, Barsch, Spiel, Strafe, Chile, dolce und Manchester (hier mit t),
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ch vorne: ich, Eiche, Chemie, ewig, verewigt, seligste, ch hinten: ach, Buch, Buche, h: halt, Ahorn, Höhe (aber nur das erste h, das zweite wird nicht gesprochen); 4 Sprenger: p: Pate, Lappen, lab, ob, Leib, t: Tücke, Tritt, wild, Wind, k: Kork, Stock, Weg, weg, Balg, Charakter, Chor, Qual, bequem,
4-J
•8 2
• = stakkatoartiger Knacklaut: Erde, beerdigen, Obacht, außerordentlich (S. 103). Insgesamt 45 Ein2ellaute, zu denen das schillernde Vorund Endsilben-e tritt und 3 Zwiefreiklinger 1 Die Annahme stimmloser, schwach eingesetzter und stark abgesetzter Verschlußlaute (Leib, Wind, Weg) ist für die Praxis nicht zu halten, ebensowenig die eines konsonantischen i in ew'ge usw. In der Musik gibt es ohnehin nicht lange und kurze, sondern nur offene und geschlossene Freiklinger (Vokale), da dort über Länge und Kürze einzig der Notenwert bestimmt. Auch im Sprechen ist die Annahme besonderer geschlossenkurzer Freiklinger nicht mehr zu halten; einen Unterschied zwischen dem o in „vor" und in „voraussichtlich" anzunehmen, scheint dort unangebracht, wo kaum die Unterscheidung zwischen offen, nasaliert und geschlossen Selbstverständlichkeit ist. Hingegen scheint die Erhaltung des bilabialen w in qu möglich und bereichernd und die eindeutige, Durchführung des Knacklautes unerläßlich. (Uber ä siehe S. 69 u. 70.) Der deutsche Sänger stellt befriedigt fest, daß von den 48 Lauten, die er auszusprechen hat, nur 10 nicht klingend sind. Die Nachprüfung in der Art der Entzifferungstafeln (Dechiffrierungstabellen) ergibt auf je 1000 Laute durchschnittlich 803 Klinger und nur 197 Nichtklinger, von denen wiederum 23 „ h " und 50 Knacklaute sind. Kann da noch jemand die deutsche Sprache unsanglich nennen ? Unsanglich erscheint sie höchstens im Munde und unter den Händen schlechtberatener Sänger und — Komponisten. 64
„Sowie in der Musik das lichtige, genaue und reine Treffen eines Tones der Grund alles weiteren künstlerischen Vortrages ist, so Ist auch in der Schauspielkunst der Grund aller höheren Rezitation und Deklamation die reine und vollstindige Aussprache jedes einzelnen Wortes." Goethe.
Durch die nachstehende Behandlung der einzelnen Laute in der Reihenfolge des Alphabets soll das für jeden Berufssprecher und -sänger unentbehrliche Buch von Theodor Siebs: „Deutsche Bühnenaussprache" (Verlag Albert Ahn, Bonn) nicht ersetzt, sondern ergänzt und insbesondere den Gesangnotwendigkeiten gelegentlich angepaßt werden. Die Deutsche Einheitssprache, als welche die „Deutsche Bühnenaussprache" anzusehen ist, beruht ihrer geschichtlichen Entwicklung nach nicht nur auf einem Ausgleich der beiden, in sich wieder vielfaltig gegliederten oberund niederdeutschen Gruppen, sondern außerdem, wie Ewald Geißler in „Erziehung zur Hochsprache" (Halle 1925) überzeugend nachweist, auf dem Schriftbilde. Es ist nun einmal so, daß es nicht nur eine vom Innern ins Äußere wirkende Kraft gibt, sondern daß auch das Äußere rückwirkend eine gewaltige Macht über das Innere ausübt; Mephisto sagt im „Faust": Am Ende hängen wir doch ab Von Kreaturen, die wir machten. Die Lautung ist beeinflußt vom Schriftbilde einschließlich seiner Unvollkommenheiten, Irrtümer und Willkürlichkeiten. Es ist Kraftvergeudung, dagegen sich zu sträuben. Das sei der offiziellen Phonetik besonders ans Herz gelegt 1. fürs ä, dem man keine eigene Lautschattierung bisher zubilligen will, z. ferner fürs o, bei dem man außer der geschlossenen und der offenen, noch eine dritte halboffene Form unterscheiden will, und 3. schließlich fürs qu, das als k mit bilabialem w gesprochen zu werden verdient zum Unterschied vom gewöhnlichen labiodentalen w (s. S. 88 u. 89). Sämtliche Laute (mit Ausnahme des Zungen-r, der beiden s und der s-verwandten Laute sch, st, sp, z und c als Doppelheit von z, bei denen dies jeweils eigens erwähnt wird), sind B o r a t t a u , Stimmkunst.
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n i c h t mit gehobener Zungenspitze, aber auch nicht mit an die Unterzähne gelegter Zunge zu bilden. Die Zungenspitze soll vielmehr zur Erzielung äußerster Tragfähigkeit der Stimme (sowohl im geschlossenen Raum als auch im Freien) vom Anhub an weich die Unterlippe berühren. Die vielgeübten Anweisungen über Lippenbewegungen beim Lautieren sind Schlimmeres als bloß überflüssig; sie verleiten nicht nur zu Übertreibung, sondern erschweren auch den Fluß der Aussprache und verringern Dauer und Wert der Klänge. Die Aussprache sei ja nicht groß, mit den ganzen Lippen, ganzer Zunge und vollem Munde — im Gegenteil: man arbeite mit den äußersten Rändern, ganz dünn und scharf, mit kleinstem Hebel oder so winzig wie der Lichtkern des Scheinwerfers im Verhältnis zum gewaltigen Lichtkegel, auch in der Luftbewegung, die für tonlose Laute nie unmittelbar aus der Lunge zu beziehen, sondern stets als Z u n g e n d r u c k l u f t zu erzeugen ist. Hierüber siehe Näheres beim Buchstaben F (s. S. 76) und im Absatz über die äußere Mundhaltung (S. 50). Davon, wie die Laute zu bilden sind, wird nur ausnahmsweise, d. h. bei besonderer Veranlassung, die Rede sein. Hingegen wird im einzelnen die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Fehlermöglichkeiten gelenkt; gelegentliche Wiederholungen sind hier zum Vorteil der Eindringlichkeit absichtlich nicht gescheut. Ferner wird auf die Verwandtschaft der Laute regelmäßig deshalb Bezug genommen, weil die Kenntnis ihrer Zusammenhänge das Überwinden auftauchender Schwierigkeiten erleichtert. Bei jedem einzelnen Laut ist das ihm eigentümliche, geistigseelische Gepräge kurz erörtert, damit der Laut vom Ausführenden in voller innerer Rundung erlebt werde, was mehr wert ist als übertriebene äußere Artikulation, und außerdem sich neu der Sinn dafür belebe, wie die Lippen- und Zungenlautsprache aus der Zeichen- und Gebärdensprache als verkleinerte Gestik erwachsen ist. Lehrreich hierfür ist das Verhalten des Kleinkindes: nach der Schreizeit tritt es bekanntlich in die Lallzeit; deren zunächst reflexartige Urlaute verbindet es allmählich mit immer ausdrucksvolleren Gesten, die sich mehr und mehr auf Lippen und Zunge erstrecken und sich dort verdichten. Nach und nach gewinnen die Mundbewegungen das Übergewicht, und von dem Augenblick an, da sich das erste Wort den Lippen entringt, haben die Körperbewegungen beim Sprechen überwiegend die Bedeutung von Begleitgebärden.
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Daß aber durchs ganze Leben der mimische und pantomimische Ausdruck sich selbst gegen den Willen des Sprechenden oder Singenden immer wieder aufdrängt, zeigt, wie sehr die Lautsprache nicht nur ausdrückende, sondern auch darstellende Bedeutung hat und behält. Durch das Wissen um die Bedeutung des Ausgesprochenen als verkleinerte Zeichensprache kann das Gebaren auf Bühne und Podium, die Gestik, die das Wort unterstützt, nur gewinnen und manche überflüssige, gewohnheitsmäßige, ständig wiederkehrende Gebärde wird unterbleiben, manche der beabsichtigten Wirkung entgegengesetzte, sie aufhebende, ja verkehrende Geste wird sich richtigstellen lassen. Für den Gesang galt es im einzelnen besonders herauszuarbeiten, wie jeweils die Aussprachedeutlichkeit zu wahren ist, obgleich Länge und Kürze hier einzig von der Musik bestimmt werden und nicht einmal alle Freiklinger (Vokale) über die Doppelheit der offenen, kürzeersetzenden und geschlossenen, längeersetzenden Formen verfügen (a und ä); daß Konsonantenanhäufungen den Fluß der Melodie nicht zu stören brauchen und doch vollkommen deutlich sein können; wie die Vor- und Endsilben für vollwertige Töne brauchbar zu gestalten sind; wie der lagenmäßigen Verfärbung der Freiklinger zu begegnen ist; wie die (eigentlich nur durch Unkenntnis der Bedingungen der deutschen Sprache hineingetragene und durch Mißverstehen des wirklich Schädlichen beim sog. Glottisschlag aufgebauschte) Frage des gehauchten oder bestimmten Stimmlippenverschlusses z. B. in „er" und „her", zu lösen ist; wie überhaupt die Plastik des Wortes mit der Plastik der Melodie in mehr als befriedigende, in immer von neuem reizvolle Übereinstimmung zu bringen ist. Mit dem Hinweis darauf, daß das Flüstersprechen ein wertvolles Hilfsmittel ist, die Aussprache zu läutern, da hierbei die Aufmerksamkeit durch nichts Tonbildnerisches abgelenkt ist, gehen wir nunmehr an
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DAS ALPHABET A, der neutralste Freiklinger (Vokal), eignet sich gleichermaßen für die Wiedergabe des Erhabenen (Allmacht, Waldnacht, Andacht) wie des Kindlich-Naiven (Papa, Mama). Gebräuchliche Fehler bei seiner Darstellung sind: 1. Übertriebene Neigung zum o, besonders zu beachten in der Verbindung mit 1 und r; sowie im Singen an Umsatzstellen; 2. übertriebene Neigung zum ä; 3. das e-hafte Aussprechen des ersten Bestandteiles des Zwielautes ei. Nicht nur in „Maiwein", sondern stets sind ai und ei vollkommen gleich als ai auszusprechen; 4. jedwedes Verweilen auf dem i bei ai und ei und dem u bei au. Über die Ausspracheregeln hier wie bei allen folgenden Lauten des Alphabets s. Siebs, auf dessen wertvolles AusspracheLexikon, das die „Deutsche Bühnenaussprache" zur Hälfte ausfüllt, hingewiesen wird. Beachte als lang: kurz: Gemach, gemach ungemach Magd Magdeburg Walfisch, Walnuß, Walroß der Wal, die Walstatt barsch der Barsch klatschen, patschen latschen, watscheln. Das a kann wohl lang oder kurz sein, hat aber, ebenso wie das ä, keine geschlossene und offene Form im Gegensatz zu allen übrigen Freiklingern, bei denen regelmäßig lang gleich geschlossen, kurz gleich offen erscheint. Für das Sprechen ist dies ohne Bedeutung; anders fürs Singen! Allzuoft erscheinen in der Komposition kurze Vokale gedehnt, lange verhältnismäßig verkürzt. Das ist in der Gesangsaussprache solange nicht übermäßig störend, als offene und geschlossene Freiklingerformen zur Verfügung stehen. Zum schweren Kompositionsfehler — mag er noch so oft geübt und dadurch gewohnt sein — wird dies bei a und ä. (Beispiel: „Es rasten 68
die Rosse.") Dem Sänger bleibt als letztes Hilfsmittel zum Ausgleich des Fehlers nur übrig, das sprachlich kurze, aber in der Komposition zerdehnte a oder ä entsprechend der offenen Form etwas überhell, und das sprachlich lange, aber in der Komposition verkürzte a oder ä entsprechend der geschlossenen Form etwas überdunkel zu bilden. AI = EI. Das a ist außerdem der erste und im Singen der Hauptbestandteil des Zwiefreiklingers ai, der meist ei geschrieben wird. Es ist schon gesagt worden, daß keinerlei Klangunterschied zwischen „Weise" und „Waise" oder „sie meiden die Maiden" besteht. Fehler: 1. Das Aussprechen des i bei ai und ei (und ebenso das u bei au) in geschlossener Form, wodurch der Zwiefreiklinger einen unedlen Beiklang erhält; 2. das Verlängern des i bei ai und ei auf Kosten des a, was besonders bei abgesungenen Sängern zur vermeintlichen Erzielung eines glanzvolleren Tones beliebt ist. Im Ausdruck wechselt das ai und ei von kräftiger Anspannung zu rascher Entspannung, daher drückt es Spielerisches und Heiteres, auch Leichtfertigeres aus. AU wird gesprochen als längeres a mit nachfolgendem sehr kurzem und offenem u; besonders im Singen ist das a durchaus vorherrschend. Das au hat einesteils „landschaftlichen" Charakter (Baum, Strauch, Laub, Kraut, blau, Haus, Rauch, die Au), andernteils ist es Schmerzlaut. Fehler: Das Zusammenziehen von a und u in o- (Ho—s statt Haus). Ä (nächste Verwandte: a und ö, nicht e) dient bei Wortstämmen mit a der Mehrzahlbildung (Band — Bänder, Schwärm — Schwärme, Saal — Säle), ferner der Bildung von Verkleinerungsformen (Land — Ländchen, Dame — Dämchen, Mann
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— Männlein, Magd — Mädchen), schließlich Beiwörtbildungen eigentümlich verengernden Charakters (Acht — verächtlich, Lappen — läppisch, anfachen — fächelnd, Klage — kläglich). Über die Singaussprache des langen (Mädchen) und des kurzen (mächtig) ä siehe bei A. Das ä in Wörtern, die von au-Stämmen abgeleitet sind, wie Haus — Häuser, Maus — Mäuse, Laut — Geläute, Taufe — Täufling, Saus — säuseln, ist lediglich eine Angelegenheit der Schreibung und nicht der Aussprache. Klanglich ist äu und eu = offenem o—ü und wird beim Freiklinger o nochmals besprochen. Fehler: x. Die Verwechslung mit dem e; man spreche nicht: „nehmlich, Majestet, Medchen, Gewender"; 2. das salbungsvolle oder weinerliche Plärren: „was wääre der Äärmste", „wäär nicht so gnäädig" usw. Zweifellos ist das ä ein Laut, der an den Geschmack der Ausführung besondere Anforderungen stellt. Wie schon früher erwähnt, empfiehlt sich, da das ä von Stimmkünstlern erfahrungsgemäß als eigener Laut gewertet wird (den dem offenen e gleichzusetzen ihnen, unter dem Einfluß des Schriftbildes, widerstrebt), eine kleine Hinneigung zum ö-haften, doch muß die Prise so gering sein, daß sie das Gericht nicht versalzt. Langes ä in: „Städte (dagegen kurz: Stätte), nämlich, Bärte, zärtlich, verzärteln, Kartätsche, hätscheln, tätscheln, Rätsel, Mädchen. B (nächste Verwandte: m und p bildet mit d und g die Gruppe der A n k l i n g e r und entsteht, indem der Mund ein m formt, während gleichzeitig (nicht nachträglich) die „Nasenklappe" den Nasenrachen gegen den Mundrachen fest abschließt. Dabei wird intoniert wie beim m. Infolge des Nasenverschlusses wird die Klangluft im Ansatzrohr aufgestaut und verdichtet sich bis zur weichen, freiwilligen und rückstoßlosen Öffnung des Mundverschlusses. Da die Aufstauungsgrenze sehr rasch erreicht wird, ist die Stimmhaftigkeit äußerst kurz und entgeht vielleicht infolge ihrer Kürze manchem Beobachter. Daraufhin aber die Stimmhaftigkeit des b verneinen zu wollen, heißt so70
viel, als es seiner Sonderart zu entkleiden und nichts als ein schlecht ausgesprochenes, minderwertiges p aus ihm zu machen. Gleichlaufend verhält es sich mit d und g in ihrer Beziehung zu t und k. Dem b eignet psychisch etwas Pochendes, Bebendes, innerlich Erregtes. Im Auslaut wird das b als b nur dann gesprochen, wenn durch Apostrophierung ein e ausgefallen ist („ich begrab' ihn" mit b — hingegen „ins Grab ihn" mit p). Es wird also für gewöhnlich im Auslaut, auch im Silbenauslaut, das b überall dort, wo es, seinem Eigenwert nach ausgesprochen, unhörbar bliebe, durch p ersetzt (Laup für Laub, gehapt für gehabt), dagegen vor Sperrklingern wiederum b, z. B. labsam, betrüblich. W o b und p im Aus- und Anlaut zusammenstoßen, werden sie, soweit der Sinn nicht darunter leidet, verschmolzen (geminiert), also: Halb hoffend, halb bangend; lobpreisend. Zweifelhafter schon bei „plump brechen", wobei zu fragen ist, ob das nicht mit „plump rächen" sinnstörend verwechselt werden könnte. Und noch fraglicher etwa in „ob Preis er erringt", damit nicht der Preis wie Reis verstanden wird. Natürlich wirkt der Beistrich (Komma) trennend: pflücke das Laub, bevor es verwelkt. Oft ist es dadurch möglich, die Satzzeichen, die Interpunktionen förmlich mitauszusprechen. Fehler: 1. Das unbegründete Verwechseln des b mit p (persten statt bersten, Praut statt Braut); 2. die Neigung, statt eines zweiten b ein w zu setzen (Büwerei statt Büberei, erbewen statt erbeben, prowieren statt probieren, auch awer statt aber, bleiw man hier — ostpreußisch — statt bleib getrost hier); statt b wurde ursprünglich im Inlaut stets w gesprochen; das gesprochene Inlaut-b ist ein nachträgliches Erzeugnis auf Grund der Schrift; 3. bei Sängern häufiger als bei Sprechern die Gewohnheit, das b mit einem m einzuleiten (mBildnis). Dem entgegenzuarbeiten unterscheide man s i n g e n d : Alma — Alba, einmal — ein Ball, Marken — Barken, meine — Beine, am Rand — Ambra -— Abram; 71
4. das Einschieben des b nach m (kombt statt kommt, kombst statt kommst); j. das Aufgehenlassen der Nebensilbe „ben" in einem m : lie-m statt lieben. C (aus dem Lateinischen zu uns gekommen, wo es im Altrömischen auch das g bezeichnete) ist im Deutschen zwiedeutig und teils eine Doppelschreibung von k (dies in der Regel vor a, o, u und vor Konsonanten), teils eine Doppelschreibung von z (dies in der Regel vor e, i, y, ä, ö und ü). Auch das ch ist sprachgebräuchlich im Anlaut mancher Wörter eine Doppelheit von k: Charakter, Chemnitz, Christ, Chor, Churhaus als Sitz eines geistlichen Collegiums und auch Kurhaus als Mittelpunkt einer Heilstätte, eines Kurortes, die Stadt Chur in der Schweiz. Soweit das ch dem griechischen % entspricht und zwei verschiedene, nichtklingende Reibelaute, den hartgaumenlautenden (palatalen) Ich-Laut und den gaumensegellautenden (velaren) Ach-Laut bezeichnet, ist davon unter h die Rede. D (nächste Verwandte n und t) entsteht, indem der Mund ein n formt unter gleichzeitigem Verschluß der Nasenklappe. E s entsteht natürlicherweise auch, wenn man sich die Nase und in dieser Stellung ein n auszusprechen versucht — ebenso wie statt des beabsichtigten m bei zugehaltener Nase ein b entsteht und statt des ng ein g. Dieser Experimentalbeweis ist zwingend für die Stimmhaftigkeit von b, d und g, weshalb ich sie ja auch A n k l i n g e r nenne; beim gewöhnlichen Anlauten der Anklinger verrichtet die Nasenklappe das, was beim Nasezuhalten die Finger besorgen, den Nasenverschluß. Der Ablauf ist genau wie beim b (siehe dort). Achtung: Nicht die Zungenspitze bilde den Mundverschluß gegen die oberen Schneidezähne und den harten Gaumen, sondern der Zungenrücken; die Zungenspitze ruhe an der Unterlippe und werde auch nicht etwa gegen die Unterzähne gestemmt. d wird im Auslaut als d nur dort gesprochen, wo ein e apostrophiert ist (ich red' nichts); sonst wird es im Auslaut 72
(auch im Silbenauslaut) überall dort, wo es seinem Eigenwert •ach ausgesprochen unhörbar bliebe, durch t ersetzt: Sant für Sand, Mort für Mord, balt für bald; hingegen redlich, auffindbar mit d. Wo d und t im Aus- und Anlaut zusammentreffen, tritt,, wenn der Sinn nicht dadurch unklar würde ( „ . . . du schön und zart Gebild" nicht wie „unzart"), ebenfalls die Verschmelzung ein („verderbt durch" u. ä.). Auch hier hebt selbstverständlich jedes Satzzeichen die Gemination auf. Fehler: 1. das unbegründete Verwechseln des d mit t (tumm statt dumm u. ä.); 2. das Hinterzungen- und Halsmuskelspannen beim Lautieren; 3. das Zwischenschieben eines e vor nachfolgendem Konsonanten, besonders vor r: Her(e)d, d(e)roht; 4. das Anlauten mit n; Gegenübung s i n g e n d : nein — dein, bahnen — baden, nehmen — dehnen; j. das Verschlucken im Auslaut, daher Umwandlung in t bei Wörtern wie Land, bald usw. üben; 6. das Lautieren in die Nase vor n (Bildnis) oder in die Mundwinkel vor 1 (redlich); in beiden Fällen ist unterlassen, den Zungen-Gaumenschluß zu öffnen, und wie durch ein Notventil geht die Luft das eine Mal durch die Nase, das andere Mal über die Zungenseiten; 7. das Verschmelzen mit 1 (dullen statt dulden, Dollenduft statt Doldenduft, freunlich statt freundlich); 8. Sängerinnen sprechen gern statt d einen nicht vollständigen r-Laut, aber einen einzelnen r-artigen Zungenspitzenschlag; Gegenübung s i n g e n d : fader — Fahrer, verloren — verlodern. E (nächster Verwandter nur ö; entferntere Verwandte a, i, ä) bietet den besonders für den Gesang wichtigen Vorteil der offenen (zerren) und geschlossenen Form (zehren), sodaß der Singende sehr wohl imstande ist, Silben, die mit sprachlich kurzem e gebildet sind, auf einer langen oder auf mehreren 73
Noten auszuhalten, ohne daß dabei der Eindruck einer Sprachvergewaltigung entstünde, und umgekehrt ebenso ein sprachlich langes e auf ganz kurzer Note zu singen. Beispiel: —f—>1
P1 Dem
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Das e ist das im Deutschen weitaus häufigste Schriftzeichen. Unter je iooo Buchstaben kommen ohne Berücksichtigung der ganz vereinzelten q, x und y durchschnittlich vor: j — imal, p — 3, v — 10, k — iz, w — 14, z und c je 16, f — 17, m — 26, b — 27, 1 — 29, o — 32, g — 39, h — 43, a und d je 48, uundt je jo, s — 67, r — 73, i — 79, n — 113, aber e — i87mal. Seiner Häufigkeit wegen haftet dem e vielleicht etwas von Alltäglichkeit an, aber in der lebendigen Wirklichkeit der Sprache ist es doch lange nicht so eintönig, wie es den Schriftzeichen nach scheint. Zunächst scheiden für unsere Betrachtung außer dem Dehnungs-e (lieb, Tier) die e-Schriftzeichen der Zwiefreiklinger ei und eu aus; sie sind in Wirklichkeit gar nicht vorhanden, denn jene Laute werden als ai und oi gesprochen und gesungen. Zudem aber ist das e kein einfach oder zwiefach feststehender Laut wie die andern Freikünger, sondern mannigfaltig und vielgestaltig — wie eben der Alltag. Das Endsilben-e hat sich, um nicht als ein am Wort baumelnder, lebloser Fremdkörper zu wirken, der Hauptsilbe des Wortes anzuähneln. Klingt die Endsilbe schon lichter in zerren als in zehren, obgleich sie ganz gleich geschrieben wird, so wird sie, vom a-haften in fahren beginnend, stufenweise voller in hören, Ohren, Uhren und spitziger in Ähren, führen, irren, zieren; jedoch nicht soweit, daß zwischen dem Hirten und der Hirtin kein Klangunterschied mehr wäre. Das gilt aber nicht nur für die en-Endsilben, sondern ebenso für die —er-, —end-, —ernd-, —el- und —et-Endsilben (Vater, Mutter, Schwestern, Brüder, hebet, bebend, Hebel, Häcksel). Doppelendsilben sind gleichermaßen anzupassen (verhaltenen, versprochenen, eingewurzelte, berieselte).
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Das Vorsilben-e der Vorsilben er-, ver-, zer-, ent-, beund ge- ist ebenfalls nicht starr-offen oder starr-geschlossen auszusprechen; es hat vielmehr zwischen der Hauptsilbe des vorhergehenden und des eigenen Wortes je nach beider Gehalt an Fülle oder Spitzigkeit zu vermitteln. Auf der Vielgestaltigkeit des e und der unverbrüchlichen Einhaltung der in den vorstehenden Absätzen für End- und Vorsilben gegebenen Regeln nebst der regelrechten Scheidung zwischen kurz-offenem und lang-geschlossenem e beruht eine der schönsten Eigentümlichkeiten der deutschen Sprache; dank ihr wird sie an Sangbarkeit dem Italienischen ebenbürtig, denn die End- und Vorsilben haben den Schrecken des Anhängselhaften für den Gesang verloren, sie wirken nicht mehr melodiezersetzend, sondern -fördernd und es ist möglich, jede Endsilbe sogar auf hoher Schlußnote glaubwürdig, d. h. ohne Verletzung des Sprachgewissens lange auszuhalten. Beachte als kurz-offen: Rebhuhn, weg Erzherzog, Erzbischof (Erz- von Archi-)
lang-geschlossen: Rebe, Weg das Erz (Beiwort: ehern), Erzgebirge.
Fehler: 1. Das e-quetschende Aussprechen des Zwiefreiklingers ei; 2. das ai-hafte Aussprechen des Zwiefreiklingers eu (bedaitend, haite, beeilaifig statt richtig bedoitend, hoite, bailoifich); 3. das a-hafte Aussprechen des offenen e (Harz statt Herz; die Seela, die liebt); 4. das offene Aussprechen des geschlossenen e (dar statt richtig der usw.); 5. das ö-hafte Aussprechen des Doppel-ee (Sööle, Möör statt richtig Seele und Meer); 6. das Tonlos- oder gar Stummachen des Vor- und Endsilben-e (vrbergen, gsagt, Vatr, gebn, auch Matrjal); 7. das Überspitzen des Endsilben-e, so daß man z. B. zwischen dem Hirten und der Hirtin keinen Klangunterschied mehr finden kann; 8. im Singen das Verwandeln des e in i im falschen Suchen nach möglichster Klangverdichtung auf irrigem Wege; 75
häufig vorkommend bei Männerstimmen auf den Übergangstönen zur Höhe, bei Frauenstimmen in der tieferen Mittellage. E i siehe ai (S. 69) Eu siehe oü (S. 85) F (nächster Verwandter nur w — Beziehung zu p siehe dort S. 87), auch als v und ph geschrieben. Es ist wie alle Nichtklinger (mit Ausnahme des Hauchlautes h und des ungeschriebenen gutturalen Knacklautes) mit der Zungendruckluft hervorzubringen, die stets von neuem in der Mundhöhle verfügbar ist, und darf ebenso wie s, sch, (i)ch, a(ch), p, t und k niemals den notwendigen Luftstrom von der Lunge unmittelbar durch die geöffnete Stimmritze beziehen. Diese fehlerhafte Bildung der Nichtklinger, die übrigens nie bei allen zugleich, sondern nur bei dem einen oder andern und gelegentlich erfolgt, ist neben dem ungenügenden Stimmlippenschluß die Hauptursache des „kurzen Atems" überhaupt und des unvermuteten „unerklärlichen Luftschwundes" im Einzelfall. Das f malt das flüchtig Vorübereilende und -gleitende vom geräuschlosen Verschwinden durch alle Schattierungen bis zur Flucht. Achtung: Niemals die Lippen rüsselförmig vorschieben! Stets die Unterlippe in Fühlung mit den oberen Schneidezähnen halten und den vorderen Zungenrand nicht hinter den Unterzähnen, sondern über diesen an der Unterlippe! Fehler: 1. das Ersetzen durch w (Eiwer statt Eifer, auw daß statt auf daß, reiwlich statt reiflich); 2. das Falschaussprechen des v (mit f zu sprechen sind Vers, Vesper, Vandervelde, Villach, Havel, Hannover, Sklav, brav, Nerv — hingegen mit w Villa, Sklaven, Braven, Nerven, nervös, Trave, Drave (Drau), November, David, Eva. Näheres hierüber bei Siebs. Erwähnt sei, daß van Beethoven richtig als fan Beethowen mit Betonung auf dem e der ersten Silbe zu sprechen ist); 3. das Verwischen des pf in einfaches f (Ferd statt Pferd, Feife statt Pfeife, dumf statt dumpf). Die richtige Aussprache übe 76
man an Häufungen wie Kopfpfühl, Zopfpfeil, Sumpfpflanze, Schlupfpfad; unterscheide Triumph — Trumpf; 4. umgekehrt das Verfalschen des f, besonders nach n, in pf (sampft statt sanft). G (nächste Verwandte ng und k) entsteht, indem die Zunge das velarnasale ng (Achtung: vorderen Zungenrand an die Unterlippe !) zu formen versucht unter gleichzeitigem Abschluß der Nasenklappe. Vorbedingungen und Ablauf sind die gleichen wie bei den beiden andern A n k l i n g e r n b und d; ebenso unzweifelhaft ist die Stimmhaftigkeit des g. Der g-Laut hat etwas so auffallend Nachgiebiges, Anschmiegsames, Glattes an sich, daß ihm mitunter ein Stück Unaufrichtigkeit, ja Hinterlist beigemischt erscheint. Im Auslaut wird das g als solches nur dann ausgesprochen, wenn ein e apostrophiert ist (so leg' ihn). W o im Auslaut und auch im Silbenauslaut das g, seinem Eigenwert gemäß ausgesprochen, unhörbar bliebe, wird es durch k ersetzt, also Tag wie Tak, Sieg wie Siek, weg wie wek, Weg wie Week, Magd wie Maakt, beugst wie boükst, Burg wie Burk, arg wie ark; dagegen mit g unsäglich, Feigling. Was für die Verschmelzung von b und p, d und t recht ist, muß sinngemäß für g und k billig sein, d. h. g und k sind, wenn sie im Aus- und Anlaut zusammentreffen, zu geminieren, es sei denn, der Sinn litte darunter oder sie wären durch Satzzeichen getrennt*). Kein deutscher Laut verleitet so zur Anarchie, keiner ist so von Zweifeln umwoben wie das g, und deshalb ist wohl auch keiner ein solcher Tummelplatz zahlloser *) Wenn im Gegensatz dazu eine Umarbeitung des Sprachenteiles des „Deutschen Gesangunterrichtes" von Julius Hey für Lautbilder wie Berchgürtel und Plachgeist statt Berggürtel und Plaggeist eintritt, so steht das in so auffallendem Widerspruch zur amtlichen „Deutschen Bühnenaussprache" (Siebs), daß sich allenfalls zur Erklärung nur ein Mißverstehen des Urbildes durch den Bearbeiter annehmen läßt. W e r würde sich nicht dagegen verwahren, wenn ein Satz wie „ein seltsamer Zug kam; er bog kaum um die Wegkante, da schlug kühn des Bergknappen Zwerggestalt den Berggürtelweg gegen die Burgkapelle ein", so ausgesprochen würde: „ein seltsamer Zuch kam; der boch kaum um die Weechkante, da schluch kühn des Berchknappen Zwerchgestalt den Berchgürtelweech gegen die Burchkapelle ein" ?
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Fehler: 1. das Kürzen des langen Vokals vor dem durch k ersetzten g (Tack, Schlack statt richtig Taak und Schlaak für Tag und Schlag); 2. das regelwidrige, in allen damit nicht behafteten Gegenden bespöttelte Ersetzen des g durch vorderes oder hinteres ch oder j (alles möchliche statt mögliche). Durch einen vorderen (palatalen) Reibelaut), der sich zwischen (i)ch und j hält, darf das g nur bei einer Silbe ersetzt werden: bei der Endung -ig; auch bei ihr aber nur, wenn das g nicht zwischen zwei w o r t e i g e n e n Freiklingern steht. Der Reibelaut darf also eintreten, a) wenn das i vor dem g apostrophiert ist (ew'ge sprich ewje); b) wenn das Wort mit -ig zu Ende ist; c) wenn dem g im Wort selbst noch ein Konsonant oder eine mit einem Konsonanten beginnende Silbe folgt — aber auch das nur, wenn diese Folgesilbe nicht selbst wiederum mit ch schließt: Könich, Könige, Könje, königlich, Königreich, gekreuzicht, kreuzigen, Kreuzigung. (60 hört man selten richtig sechzich, öfter sechzik aussprechen I) Der Deutlichkeit halber sei besonders erwähnt, daß die verhältnismäßig seltenen Fälle, in denen das -ig wie -ich(j) auszusprechen ist, nur für die E n d u n g -ig gelten, sonst aber nicht. Man darf also ja nicht in Schumanns „Nußbaum" („flüstern von Bräut'gam und nächstem Jahr") oder im „Fliegenden Holländer" (Finale, Nr. 8, 39. bis 42. Takt, „den Bräut'gam bracht er mit") den Bräut'gam etwa als Bräutjam aussprechen. Man übe: sag — Sach' — Sack, störr'ge — Störche, Sieg — siech, Aug' — auch, gewagt — gewacht, Pflug •— Fluch, gesiegt —- Gesicht, genug — Gesuch, bekriegen — bekriechen (gleich anschleichen), sagte — sachte, Regierung —- Regieführung, genial — Genie. Das alpenländische Weeccha (Wege) ist genau so falsch wie das berlinische jejloobt (geglaubt), das sächsische jekeechelt (gekegelt), das ostpreußische Chnade (Gnade) oder das rheinische Siechburch (die Stadt Siegburg) und alles Möklije (alles Mögliche) oder das mainische Wachner (Wagner). 78
3. das Aussprechen des ng als nk. Man übe zu unterscheiden singen — sinken, gesengt — gesenkt, bang •— Bank. Ausnahme: Bengalen wird nicht Bengalen sondern Ben-galen ausgesprochen. Die von Bayreuth (vermeintlich zur größeren Deutlichkeit) geforderte Aussprache Rink statt richtig Ring ist weder richtig noch notwendig. 4. das Verwechseln des gn mit ng. Man übe: Ag-nes, Dog-ma, Gnade (nicht Ngade) — Ungnade, segnen — sengen — senken — gesunken — gesungen, Ungunst (nicht Ung unst), unangenehm, ungern, dagegen Graf Ungern-Sternberg, Angaben — Anger(-burg); 5. das Apostrophieren des e in der Vorsilbe ge- (gscheid, Xundheit statt richtig Gesundheit). H bildet mit seinem Widerpart, dem im Deutschen ungeschriebenen Knacklaut, die Gruppe der eigentlichen Guttural- oder Kehllaute. Über den Knacklaut siehe am Schluß des Alphabets, S. 103. Das h ist in der Sprache längst nicht so oft hörbar wie im Schriftbilde sichtbar, weil es hier auch als Dehnungs-h, in beiden ch und im sch erscheint. Bei der Bildung des h ist die Nasenklappe geschlossen und der Gaumenbogen so verengt, daß der h-Laut ohne übermäßigen Luftverbrauch durch Reibung hörbar wird; der weiche Gaumen darf aber nicht so verengt sein, daß ein hinteres, ein velares ch, der (a)ch-Laut an die Stelle des h tritt. Die Mundstellung ist schon, während das h ausgesprochen wird, die des folgenden Freiklingers und demnach verschieden in Hand, Hahn, Herz, hehr, Heer, Hirn, hier, Horn, Hof, Huld, Huf, Häcksel, häkeln, Höhle, Hölle, Hymne, Hüfte, Hügel, Heide wie Haide, heute wie Häute, Hauch. Das h ist der natürliche Laut des Lachens, Staunens und Erschreckens, das hintere ch der Laut der Abweisung, das vordere ch der Laut des Verkleinernden. Das vordere ch wird gesprochen nach ä, e, i, ö, ü, ai, ei, äu, eu, 1, r, n und in der Endung -chen (sechzehn, Eiche, Elch, Kirche, Storch, mancher, Mäuschen, Bäuche, Frauchen), das hintere ch nach a, o, u, au (Bach, Loch, hoch, Buch, Bauch). 79
Die Verbindung chs ist mit wenigen Ausnahmen als x gleich ks zu sprechen, also Dachs, Lachs, Sachsen, Fuchs, Luchs, Flechse, Wechsel, wichsen, Deichsel durchweg mit x. Die an österreichischen Grundschulen früher als hochdeutsch gelehrte Aussprache Sach-sen usw. ist zu verwerfen. Ausnahmen nur da, wo ein e ausfallt, des Dach(e)s, Bauch(e)s, weich(e)ste, näch-st, höch-st. Über die Aussprache des ch als k siehe bei C, S. 72. Über die Aussprache des g als ch siehe bei G , S. 77. Fehler: 1. das Nichtaussprechen des h vor vollstimmigen Freiklingern (Hofhund, haushoch, Wahrheit, Hoheit). Wo es Schwierigkeiten bereitet, übe man es unter Anhauchen eines Handspiegels; 2. das Verwechseln von h und dem ungeschriebenen Knacklaut. Man übe: Uhu, oho, aha, Ahorn, Anhalt, Alkohol; 3. das Aussprechen des Dehnungs-h. Es heißt richtig: E(h)e, se(h)en, Lo(h)e, ru(h)ig, we(h)e. Als Ausnahmen seien um der Klangmalerei willen allenfalls gestattet das Wiehern der Pferde und der wehende Wind. Der junge Steuermann singe aber nach dem Tristan-Vorspiel: „Wehe, wehe, du Wind! We(h), ach we(h)e, mein Kind"). Sänger sollen Nr. 1—3 singend üben, da sie es oft unterm Sprechen richtig, im Singen aber falsch machen. 4. das „polnische" Ersetzen des h durch hinteres ch: Chocheit statt Hoheit; j. das Verwechseln des vorderen ch mit dem hinteren ch. Wo das Richtigsprechen z. B. von „Kirche" auf Schwierigkeiten stößt, übe man es mit zunächst deutlichem, allmählich verschwindendem i zwischen r und ch, also „Kir(i)che"; 6. die „rheinische" Neigung, das vordere ch wie sch auszusprechen. Übe zu unterscheiden: Kirche — Kirsche; 7. das Vertauschen von chs und x. Man übe: der Dachs — des Dach's, die Kraxe — des Krachs, der Buchs —• des Buchs, schlugst — schluchzt, flugs — Flugs — Fluchs, wächst — nächst — neckst, des Rucks — des Geruchs; 8. der Gebrauch des falschen „schleimrasselnden" hinteren ch. 80
I (nächster Verwandter ü, entferntere e und j) ist der Freiklinger, der mit der höchsten (wie das u mit der tiefsten) ideomotorischen Einstellung verbunden erscheint, und zwar derart, daß der Umfang des Organs im Sprechen wie im Singen dadurch zunächst beeinträchtigt ist. Es ist darum hier besonders wichtig, die Ton- und die Vokalvorstellung so vollkommen als irgend möglich voneinander getrennt zu halten. Das i hat (wie das e) den besonders fürs Singen bedeutsamen Vorteil der geschlossenen (Miene) und offenen (Minne) Form, die nur ordentlich auseinandergehalten werden müssen, was jedoch in über- oder unterspannten Stimmlagen und Stärkegraden nicht immer leicht ist. Das i ist der Laut des Überschlank-Gestreckten, ZierlichEindringlichen, aber auch des Grell-Aufdringlichen. Zu achten ist auf genügende Kieferöffnung, auf das Liegenlassen des vorderen Zungenrandes an der Unterlippe, auf das Aussprechen des i mit dem Zungenrücken und auf das dennoch möglichst weit vorn und nur vorn Aussprechen, schließlich auf das Nichtverschmelzen mit einem voraufgehendem 1 (Liebe, fliehen). Fehler: 1. das Dazwischenschieben eines e oder a besonders vor r (Kiarche statt Kirche — vgl. unter H, Ziffer 5); 2. das Verwechseln des offenen und geschlossenen i untereinander und mit ü (namentlich in der Ostmark vor 1 — vül statt viel) oder e. Man übe laut und leise, hoch und tief, singend und sprechend zu unterscheiden: sich — siech Bild — Bühel, bieten — bitten, betten — beten, brüllen — Brillen — prellen, Liebe — Lippe — läppisch, Fürsten — Fürstin, Hirten — Hirtin, lieber — über; 3. das D u r c h f ä r b e n besonders des geschlossenen i bis zur Hinterzunge; die soll immer in a-Haltung verharren und das i nur vorne in der Lippengegend gebildet werden, geradeso wie sein Widerpart, das u.
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(nächste Verwandte i und vorderes ch) entsteht, wenn das vordere ch stimmhaft ausgesprochen wird. Es ist ein eigener B o r u t t a u , Stimmkunst.
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Sperrklinger, der nie mit einem seiner beiden nächsten Verwandten verwechselt werden darf. Dem j haftet immer etwas Hastiges, Lärmendes, Überspanntes an. Über das richtige Ersetzen des g durch j siehe unter G. Fehler: i. das „Aachener" Verwechseln des j mit g (getzt statt jetzt); z. das „sächsische" Unterschieben des vorderen ch (Had mär chämals von Chämand so was chähärt?); 3. das gegenseitige Austauschen von j und i. Es heißt nicht iubeln, iene, sondern jubeln und jene, aber auch nicht Familje und Nazjon sondern Familie und Nat(s)ion; 4. das Vorausschicken eines d (djuni, djohlen usw.). K ist zwar der Entstehung nach nahe mit g verwandt, in der Praxis aber wird diese Verwandtschaft am besten verleugnet (ebenso wie die des p mit b und des t mit d), weil sonst allzuleicht das g an die Stelle des k tritt. Eher drücke sich das, was Siebs als „Behauchtheit" des k bezeichnet, darin aus, daß ihm eine Prise „vorderes ch" beigemischt wird, denn dadurch wird die Gefahr des stimmschädigenden Rückstoßes sehr gemindert. Natürlicherweise darf aber diese Prise ch nicht übermäßig „verstärkcht" werden. Es tritt also eine Art „stehender Lautgemeinschaft" ein, die übrigens auch sonst dem Sprachgefühl häufig reicher erscheint als die einfachen Laute. Das k ist selbstverständlich wie alle andern Nichtklinger mit Zungendruckluft zu bilden. Wo das k anstatt des g zu sprechen ist, siehe bei G , ebendort über die Verschmelzung. Das k charakterisiert entschieden etwas Aufbegehrendes, Unbeugsames. Fehler: 1. das g-artige Aussprechen im Anlaut, auch nach s (österreichisch Gawlier statt Kavalier, Sgandal statt Skandal, aber auch nicht Schkandal oder schkizzieren); 2. das Unhörbarsein, das „Verschlucken" im Auslaut; 3. das Überwuchern des ch-haften (bepackchen, neckchen).
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Zur Ü b u n g : Kreis — Greis, Kraut — graut, Kran — Grane (Brünnhildens Roß), krumm und grau, gräulicher K r o p f , Gutskauf, Gutzgauch (Kuckuck), Glimmerklumpen. L ist der Sperrklinger, der im Klangvermögen den Freiklingern am nächsten kommt, weshalb er auch in manchen Sprachen, 2. B. im Tschechischen wie ein Vokal verwendet wird (es gibt dort den vielverbreiteten Namen Wik). Achte auf den Zungenrand an der Unterlippe, möglichst weit vorn sitzende Lautbildung und recht weiche Zungenoberfläche. L ist der Laut des Flusses, der Welle als Urelement. Fehler: i . das Vorsetzen von Hilfslauten (Ge(d)ld, sch(e)ließen); z. das Festkleben des Zungenrückens am harten Gaumen beim Übergang v o n d und t nach 1, so daß d und t ihren Verschluß statt nach vorne fälschlich nach beiden Seiten der Zunge zu lösen müssen (Adler, Atlas); 3. das Verschlucken des 1 vor i. Wie oft hört man Sieglinde singen: „ W e r verfolgt dich, daß du schon f(l)iehst ?" M (nächste Verwandte b und o) ist der Laut, der bei geöffnetem Nasenrachen entsteht, wenn man mit geschlossenen Lippen Stimme gibt. Die Artikulationsbasis, der Anhub beim m ist v o n der Ruhestellung nur wenig verschieden; nur die Zähne müssen soweit wie beim i, d. h. soviel als das unterste Kleinfingerglied hoch ist, voneinander entfernt sein. Liegt Stockschnupfen oder dialektmäßiges „Schnubbeln" vor, so wird der Lippenverschluß mb-artig platzen. Achte darauf, daß nicht der weiche Gaumen zusammengezogen wird unter der Zwangsvorstellung, damit irgend etwas „machen" zu müssen. Das Bezeichnende am m ist eben, daß eigentlich nichts gemacht wird. m ist der Laut des Ecken- und Kantenlosen, des Kugeligen. Fehler: 1. das aus dem X V I I I . Jahrhundert stammende Anfügen eines b oder p (darumb, krumb, kommbt). Man übe: Samt — verkrampft, abgestumpft — verstummt; 6»
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2. das in die Nase Explodierenlassen von k und p vor m bei Worten wie Deckmantel, zweckmäßig, Halbmond, abmühen. Wo die Neigung dazu vorhanden ist, lasse man ein stummes e vor m denken, also (Halp(e)mond usw.; 3. bei Sängern häufiger das w-artige Aussprechen des m-Anlautes (wein Vater statt mein Vater); 4. das dialekt- oder krankhafte Geschlossenhalten der Nasenklappe (statt richtig Maibaum falsch Beibaub). N (nächste Verwandte d und e) ist dem m ähnlich mit dem Unterschied, daß den Mundverschluß statt der Lippen beim n der Vorderzungenrücken an den Oberzähnen besorgt. Bei dialektmäßiger oder pathologischer Stockschnupfigkeit explodiert dieser Verschluß nd-artig. Achte auch bei n darauf, daß der weiche Gaumen nicht zusammengezogen wird. Bezeichnet m das Kugelige, so n das Ovale, die Eiform. 1. 2. }.
4. j. 6.
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Fehler: das Unterschieben des m für n vor f (Semf statt Senf, sambft statt sanft); das in die Nase Explodierenlassen von t und k vor n, weil vergessen wird, den Mundverschluß zu lösen (übe Ät(e)na, (K(e)nie); das Verfalschen des n vor m, p, b, f, k, oder g: ammerken statt anmerken, neumal statt neunmal, ambauen statt anbauen, ampfangen statt anfangen (vgl. empfangen!), angklagen statt an-klagen, angenehm statt an-genehm (besonders beliebt in „unangenehm"), Kongreß statt Kongreß, ingkongnito statt in-kog-ni-to; das Verschlucken des e in der Endsilbe -en (leidn statt leiden, siehe bei E ; das bei Sängern häufigere Verwandeln des n in der Endsilbe -en in d (kommed statt kommen); das dialekt- oder krankhafte Geschlossenhalten der Nasenklappe, sog. „Schnubbeln" (statt richtig „neue Wonnen" falsch „deue Wodded").
Ng (nächster Verwandter g) ist ein vom n durchaus verschiedener nasaler Sperrklinger, bei dem den Verschluß die Mittelzunge am weichen Gaumen vollzieht. Es tritt für sich allein sowie auch in Verbindung mit k auf. Von den möglichen Fehlern war schon bei G unter Punkt 3 und 4 die Rede. Ergänzend übe man: Engel—Enkel (gespr.wie Engkel), ebenso Anger — Anker, Finger — Finken, Bingen — Binkel, Dünger—Dünkel, allerdings—Sphinx (sprich Sfingks). War m die Kugel, n die Eiform, so ist ng gestreckt wie die Zigarre, der Zeppelin. O (nächste Verwandte ö und u) besitzt offene (Tonne) und geschlossene (dem Tone) Form. Es dient dem Ausdruck des Übersinnlichen, ja des drohend Erhabenen (Choral: „ O Gott, du frommer Gott".) Beachte als kurz-offen: lang-geschlossen: Vorteil, ob, Bischof vor, Obacht, Herzog Droste (die hochdeutsche Form von Truchseß), Drostei Osten Ostern. Außerdem ist das o der erste Bestandteil und im Singen der Hauptbestandteil des Zwiefreiklingers oü, dessen Schreibung wechselnd eu und äu lautet, ohne daß dies klanglich irgendeinen Unterschied macht; dem den Hauptbestandteil bildenden offenen o wird ganz zuletzt und kurz das ü in ebenfalls offener Form angefügt (heute — Häute werden beide ausgesprochen: Ho—ütö, genau wie das oi in Goisern, ahoi, hoiho, das oy in Boyen, Oybin und das uy in Ruysdael, sprich Roüsdal). Hingegen sind nicht als Zwiefreiklinger zu sprechen: Ale-uten (Inseln), Sponde-us, Tede-um, Jubilä-um. Das oü birgt Elementares (Feuersäulen, Meuten heulen). Fehler: 1. das Verwechseln des offenen und des geschlossenen o, besonders vor r; 85
z. die besonders im tschechisch-ungarischen Grenzgebiet häufige Neigung zum u-haften in Wörtern wie borgen, Morgen; 3. das ö-hafte Aussprechen des ersten, des o-Bestandteiles des Zwiefreiklingers eu — äu; 4. das Aussprechen des 2. Bestandteiles ü in geschlossener Form wodurch der Diphthong wie „fettig" klingt; 5. das namentlich bei Operetten- und alternden Sängern beliebte Verlängern des zweiten, des ü-Lautes im Zwiefreiklinger auf Kosten des ersten, des o-Lautes — offenbar als instinktiv gebrauchtes Hilfsmittel, dem faserigen Ton durch das ü noch einen Schimmer von Glanz zu verleihen. Ö (nächste Verwandte o und e) besitzt ebenfalls offene (können) und geschlossene (krönen) Form. Als Kuriosum sei die Anmerkung aus Carl Ludwig Merkels „Anthropophonik" (1857 bzw. 1863) verzeichnet: „An der Aussprache des ö erkennt man überall den Bauern!" In der Tat läßt sich am ö die Goldprobe auf Sprachkultur machen, denn nur dem ganz Durchgebildeten wird es gelingen, die künstlerisch unergiebige, ja unerträgliche Starrheit des ö zu lösen. Dabei ist das ö sozusagen das Zentrum der Freiklinger, von dem alle ausstrahlen und abhängig bleiben; es ist wie bereits früher vermerkt vergleichsweise das Saatkorn unter ihnen, in der älteren Schrift sogar in der Eiform mit den Keimaugen (0) erscheinend — keimfähig, wenn auch noch nicht keimend und unerweckt, bis die besonderen Bedingungen für seine Erweckung erfüllt sind. Die lösende, ja fast erlösende (nämlich für alle übrigen Freiklinger erlösende !) Bildung des ö läßt sich besser vom o als vom e aus erreichen, also: los-lösen (-lesen), Not — Nöte (nette — Nähte), Krone — krönen (Kren, d. i. Meerrettich, — Kräne usw.). Wie aus diesen Beispielen schon zu ersehen ist, teilt das ö mit dem ä das Schicksal, der Mehrzahlbildung, der Beiwort-, der Zeitwortbildung und den Verkleinerungsformen (Krönchen, Nönnchen) zu dienen; im Zusammenhang damit ist zufolge der zugespitzteren Lippenstellung darauf zu achten, daß 86
nicht etwas Süßliches, Gezwungenes, gar Törichtes dabei herauskommt. Beachte als kurz-offen: lang-geschlossen: östlich Österreich, rösten. Fehler: 1. das klangerstickende Aussprechen des ö, besonders des viel häufiger vorkommenden geschlossenen ö unter Kiefer-Enge; 2. das dialektmäßige Vertauschen der offenen und geschlossenen Formen untereinander; 3. das Erstreben des Vollklanges in der Richtung des offenen e und des ä auf falschem Wege, nämlich durch öffnen der Lippenrundung. Man übe: können — kennen, möchte — Mächte. Daß das ä sich um ein Geringstes dem ö nähern mag, ist bei Ä gesagt worden, niemals aber nähere sich umgekehrt das ö dem ä ! P, wenngleich lautbildnerisch, außer dem slawischen Lippen-r, dem b nächstverwandt, wird praktischerweise unter Verleugnung dieser Verwandtschaft gebildet, da sonst gern an seiner Statt ein b erscheint. Wie beim k durch palatale ch-Beimischung, drücke sich beim p die sog. „Behauchtheit" in der Beigabe einer Prise f aus, die aber so vorsichtig zu bemessen ist, daß p und pf nie vom Hörer miteinander verwechselt werden können. Der Gefahr des stimmschädigenden Rückstoßes ist durch die geringe f-Beimischung hinreichend begegnet; selbstverständlich ist das p wie alle Nichtklinger mit Zungendruckluft zu bilden. Eine Sondergefahr droht dem p von der gerade bei den um Deutlichkeit Bemühten oft genug vorkommenden, überaus häßlichen Aussprechweise, bei der die Mundlippen so betätigt werden, wie es die Blechbläser zum Hervorbringen ihrer Töne tun müssen. Wo das p an Stelle des geschriebenen b auszusprechen ist, siehe unter B; ebendort auch über die Verschmelzung. Das p hat etwas Raumgreifendes (Portal, Park, Plan, Palme, Purpur), auch sich Losreißendes (Galopp, klappen, Pumpe, Popanz, Pöbel), das im pr zum Herrischen und Überheblichen 87
(Prunk, Pracht, Prahler, Preis, Protz) sich steigern kann und im pl wieder ein wenig gemildert erscheint (platt, plump, plumpsen, plötzlich, platzen). Fehler: 1. das Verwechseln mit b im anlautenden sp und überhaupt im Anlaut. Auf Grund dieses Fehlers knüpft der gebürtige Leipziger Wagner an Walther Stolzings herablassendes: „Wohl zu 'nem Paar recht guter Schuh ?" Davids eifrige Worte: „Ja, dahin hat's noch gute Ruh ! Ein Bar hat manch Gesetz und Gebänd"; 2. das „Verschlucken" im Auslaut (Schub ausgesprochen wie Schuh statt richtig als Schup, Abt falsch A t statt richtig Apt). Zur Übung: verschlammt — verschlampt, der Bub — die Ruh, rieb — rief; 3. das Verwischen des p vor f im pf (Ferd, Feife, dumf). Vgl. Übungen unter F-Fehlern, Nr. 3; 4. das oben gerügte „Bläser"-p.
Q, entstanden aus dem frühgriechischen Buchstaben Koppa (Q), der im klassischen Griechisch nur mehr das Zahlzeichen für 90 war, tritt in den meisten neueren Sprachen nur in Verbindung mit u als qu auf und wird im Französischen, Spanischen und Portugiesischen meist wie k ausgesprochen; sonst ist es a n g e b l i c h gleich kw. Im Deutschen kommt es natürlich in einer großen Anzahl von Fremdwörtern vor, gehört aber auch zur Schreibung einer beträchtlichen Zahl von Wörtern, die wir zumindest heutzutage als spracheigen empfinden: Quacksalber, quabbeln, quakkeln, Quaddel, quacken und quäcken, Qual und quälen, Qualle, Qualm, Qualster, Quabbe und Kaulquappe, Quark, quarren, Quarz, quasseln, Quaste, Quatsch und quatschen, Quecke (Weizengras), Quecksilber, Quehle (Handtuch), Quelle und quellen, quängeln, Quendel (Tymian, auch Quuttel- oder Kuttelkraut genannt, daher auch die Kuttelfleck genannte Speise), Quentchen (von Quantum oder vielleicht auch Quintchen von quintum, d. i. Fünftel), quer, quetsche und quetschen, quick, Quikborn, quieken, quietschen, Quirl (deutsch eigent-
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lieh „Wirtel") und quirlen, quitt (vom lateinischen „quietus"), Quitte (Baumfrucht), schließlich bequem, sich bequemen und Bequemlichkeit sowie erquicken und Erquickung; der Name Kirchmeier erscheint auch in der Schreibung Quirchmayr. Ist aber wirklich qu = kw ? Rückverfolgend ist festzustellen, daß im Lateinischen zunächst u und w das gleiche Schriftzeichen v hatten; der Unterschied zwischen Freiklinger (Vokal) und Sperrklinger (Konsonant) war noch nicht klar; infolgedessen spielte die Frage, ob Lippenlaut oder Zahnlippenlaut, noch keine bestimmende Rolle. Aber sie kündigte sich bereits an im stummen Reibelaut f, der, um deutlich hörbar zu sein, notgedrungen zwischen Unterlippe und Oberzahnreihe gebildet werden mußte. Als man nun darauf kam, den Sperrklinger vom Freiklinger zu scheiden, merkte man zugleich, daß jener sich auf zweierlei Art aussprechen lasse, und zwar sowohl zwischen Unterlippe und Oberzahnreihe wie das f, aber mit Stimme, als auch zwischen Ober- und Unterlippe. Für die erste, labiodentale Aussprechart schuf man sich ein eigenes Schriftzeichen, indem man das v verdoppelte, so daß daraus w wurde; diese Sprechart erwies sich als die weitaus häufiger geeignete. Die zweite, bilabiale Sprechart kam eigentlich nur für die Verbindung mit k in Frage deshalb, weil man das k mit dem labiodentalen w nur unter notgedrungenem Dazwischenschieben eines e zustande bringen kann; also behielt man, um die einzig organische Verbindung zwischen k und dem bilabialen Reibklinger zu bezeichnen, die alten Schriftzeichen Koppa Q und v eben bei; so entstand das so überaus charakterische qu. Ich kann mich auf Grund obiger Rückverfolgung der auch von Siebs vertretenen Meinung, daß qu gleich kw auszusprechen sei, nicht anschließen und trete dafür ein, diesen interessanten Überrest aus sprachlicher Frühzeit nicht nur in der Schrift, sondern auch in der Lautsprache zu erhalten, indem man ihn bilabial aussprechen läßt. Für den Unterricht habe ich mir in Nachbildung der Mundspalte dafür das Merkzeichen Q erdacht; also qu = K @ . Charakteristik: etwas Gleitendes, Hüpfendes, Zustoßendes, plötzlich Vorwärtsschnellendes, auch Gespaltenes und auf dem Sprunge Liegendes. 89
Fehler: f-artiges oder pfeifendes Aussprechen des © . R. r-Laute entstehen, wenn an einer der drei Artikulationsstellen, also zwischen beiden Lippen allein, zwischen Zungenspitze und hartem Gaumen, schließlich zwischen Zäpfchen und Zungenrücken ein Verschluß geschaffen wird, der vor der ausströmenden Luft sich öffnet, um sich sofort wieder zu schließen; die Länge des Lautes richtet sich darnach, wie oft dieser Vorgang wiederholt wird. In allen drei Formen ist der r-Laut sowohl tonlos, als auch stimmhaft aussprechbar. Von den geschilderten 6 Möglichkeiten ist einzig das stimmhafte Zungen-r für ein gutes Deutsch in Sprache und Gesang brauchbar, ganz gleich, ob r, rr oder rrh geschrieben wird. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme: wer das stimmhafte Zungen-r im Deutschen nicht anwendet, ersetzt oder verfälscht, ist schon aus diesem Grunde als Sprecher nicht für voll zu nehmen und jedes Eintreten für Ausnahmen kennzeichnet Deutschfremdheit. Allzulange hat in diesem Punkte Lässigkeit geherrscht; wer als Lehrer oder als für Aufführungen Verantwortlicher hierin nachlässig ist, spricht seiner Eignung damit selbst das Urteil. Andere Sprachen haben selbstverständlich andere, eben ihre eigenen Regeln. Das r ist also im Deutschen ein Sperrklinger (klingender Konsonant) und steht auf einer Linie mit seinem Ausdruckswiderpart 1, ferner mit n, ng (nk) und m, schließlich mit w, j und dem gesummten, d. h. stimmhaften s. Mit beiden s und den s-verwandten und mit s zusammengesetzten Lauten gehört das r zu den wenigen deutschen Lauten, zu deren Bildung der vordere Zungenrand seinen sonst bei kunstgerechter, d. h. klanggünstigster Aussprache eingenommenen Platz an der Unterlippe zu verlassen hat. Leider — denn es ist ein Zeichen sprachlicher Verweichlichung — stößt die Bildung des stimmhaften Zungen-r häufig auf ungewöhnliche Schwierigkeiten, und zwar keineswegs nur in den Grenzlanden des deutschen Sprachgebietes. Die fälschliche Verwendung des Lippen-r ist mir zwar nur in einem einzigen Fall erinnerlich, wo ein Schulkamerad zu meiner un90
bändigen Freude regelmäßig das Lippen-r auf beiden r des Wortes „Sprungbrett" anwendete. Von den sonst vorkommenden Formen, das r auszulassen oder zu verfalschen, ist unter den „Fehlern" die Rede. Wie aber wird man des oft so hartnäckigen Hals- oder Rachen-r's Herr ? Oft schlummert das Zungen-r ja nur ganz oberflächlich und, nachdem es einmal geweckt ist, bedarf es nur unablässiger, täglicher Übung, um es in jeder Lautverbindung und jedem Tonfall jederzeit und wie angeboren bereit zu haben. Öfters aber gilt es, Kunstgriffe zu gebrauchen. Mit „Apparaten" habe ich keine besonderen Erfahrungen gemacht; meist war es so: ließ man den Apparat weg, so schwand auch das mühselig konstruierte Zungen-r dahin. Mit ausnahmelosem Erfolge bewährt hat sich einzig folgendes Verfahren: man läßt den Lernenden die 3 als ddddddddei aussprechen. Dann läßt man ihn die dem ersten d folgenden d in der Vorstellung dddd , mit 1 mischen, also gleichsam } j } bilden (Trost, Brot, Pracht, Kraft); später nimmt man nur die Vorstellung eines d einfachen y zu Hilfe (vorne, Harm, fort, Fürst, verbieten, erzählen, Vater, Mutterliebe); schließlich und als Krönung der einfachen Lautbildung läßt man Wörter sprechen, die mit r and fangen, und zwar so, daß der Lernende d e m y dem A n f l a t t e r n ein h vorausschickt: (h) rote Rose. Dies führt schon auf dieser Entwicklungsstufe meist zum Erlernen des Freiflatternlassens der Zungenspitze; wo noch nicht ganz, spanne man einen Wollfaden unter der Zunge von Mundwinkel zu Mundwinkel mit beiden Händen und übe stehend mit gehobenem Kopf, oder wenn es so leichter wird, hegend und tonlos das Anflattern. Nun aber kommt erst die Hauptschwierigkeit, die darin besteht, daß sich für den Lernenden noch mit dem Anblick des r-Schriftzeichens zwangsläufig die Vorstellung des Hals- oder Rachen-r verbindet. Sie los zu werden, erfordert einen stärkeren Willens akt als alles Vorhergegangene, das aber ohne ihn wertlos bliebe. Daher muß der Willensakt mit Tatkraft gesetzt werden unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Hilfsvorstellungen, z. B.: 91
Ausschalten des r-Bildes aus Druck und Schrift und innerliches Ersetzen durch ein den neuen r-Begriff förderndes, wenn auch nur in der eigenen Vorstellung vorhandenes Zeichen. Das ist nicht leicht, aber der volle Erfolg bleibt, wie gesagt, nie aus; es dauert zwar manchmal lange, aber nicht solange als das übrige Studium, neben dem es herläuft und für dessen innere Kraft es ein trefflicher Wertmesser ist. Besonders geübt werden muß das r vor 1, mit dem es sonst leicht zusammenfließt (Irrlicht, gefährlich, frevler Liebe Verleitung). Das r ist gekennzeichnet als Laut alles Stoßenden, Bebenden, Schütternden und Erschütternden, auch des Auffahrenden; das Wort „furchtbar" ist gewissermaßen der Inbegriff aller seiner Schattierungen, die sämtlich dem gleitenden Flusse des 1 entgegengesetzt sind, als dessen Ausdruckswiderpart es weiter oben bezeichnet worden ist. Fehler: i. das Übertreiben (Sturrrrmesrrrrollen u. ä.). Das Zungen-r darf auch dort, wo es gehäuft auftritt, nie aus der Reihe der andern Laute treten, nie unter ihnen auffallen; z. das stimmlos-rasselnde Aussprechen, das den Fluß von Gesang und Rede gleichermaßen empfindlich stört, aber, wie zugestanden werden muß, manchmal als einzig unüberwindliche Klippe bestehen bleibt; 3. das Verschlucken des e vor r (vrderben, Vatrland); 4. das Verschlucken des r nach e (abä statt aber, immä statt immer, untä statt unter, zäästören statt zerstören, Brudähääz statt Bruderherz); j . das Einschieben eines a oder ä zwischen ir und ur, also wiar statt wir, Biear statt Bier, nuär statt nur, Fluär statt Flur, aber auch beschwöären statt beschwören; 6. das schon zum Hals- oder Rachen-r überleitende, besonders häßlich schnarchende Verfälschen ins hintere ch in Wörtern wie Bart (Bachcht) und Art (Achcht). S. Nächste Verwandte sind ü (darüber Näheres bei dem Absatz über die Beseitigung des Lispeins) und sch. Das s hat im Deutschen zwei Lautformen, die stimmhafte, summende und
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die tonlose, zischende und auch zwei Schriftzeichen, die lange und die runde s-Form. Mag dabei für das gesummte f das lange Zeichen, für das gezischte s das runde Zeichen vorgeschwebt haben, folgerichtig durchgeführt ist der Gleichlauf (Parallelismus) nicht; auch hier enthüllt sich, daß unsere, so gern als dem Lautbilde nachgebildet gerühmte, Orthographie voll Fußangeln steckt und für die Aussprache zuweilen weniger eine Recht- als eine Unrechtschreibung ist. In beiden Lautformen gehört das s mit seinem Verwandten sch und beider Zusammensetzungen sp und st und dem deutschen Zungen-r zu den wenigen Lauten, zu deren Bildung der vordere Zungenrand seinen sonst für die kunstgerechte Aussprache vorgeschriebenen Platz an der Unterlippe zu verlassen hat. Beide s sind Sprachabbilder von Urlauten, die in unzähligen Schattierungen aus der Natur zu uns sprechen, und dienen daher in ihrer sprachlichen Anhäufung mannigfaltig abgestuften Klangmalerien vom schlummerschaffenden Summen über das Flüstern und Rauschen von Wald und Wasser bis zum Brausen und kochenden Zischen. Ob die „Schlängelung" des runden s am Ende gar vom Zischlaut und der Bewegungsform der Schlange zugleich sich herschreibt ? Trotz ihrer Häufigkeit (sie stehen zusammen an dritter Stelle nach e und n) werden die s, sch, sp, st und z oft auffallend mißgebildet und nur sehr selten völlig einwandfrei zustandegebracht. Da also das Fehlerhafte die Regel, das Richtige die Ausnahme ist, erwächst hier die Aufgabe, den Fehlern auf den Grund zu gehen, um sie von da aus gemeinsam zu beseitigen. Vier Grundformen, vielfältig abgetönt und gemischt, lassen sich beobachten: i. die f-artige Falschbildung, bei der vor dem eigentlichen sLaut, der im zweiten Artikulationsbezirk gelegen ist, im ersten Aussprachegebiet die Unterlippe an die Oberzahnreihe geschoben wird, so daß hinter diesem Zahnlippengebilde der eigentliche s-Laut verschwindet. Dieser Vorfehler ist durch einfachen Hinweis leicht abzustellen und dann zeigt sich, was dahintersteckt — manchmal das Richtige, öfter aber Fehlerform 4, das Lispeln;
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2. das Verfälschen der s- in sch-Laute, das meist nichts anderes ist, als ein untauglicher Versuch, die mehr oder weniger klar bewußte Fehlerform 4 irgendwie zu verstecken; 3. das sog. „Suzeln", das fast immer Ersatzlaut für beide s, sch, sp, st und z zugleich, gleichzeitig und gleichermaßen sein möchte und entsteht, indem mit 1-Zungenstellung ein vorderes ch auszusprechen versucht wird. Dieser Fehler, bekannt als Wolfsrachen-Symptom, kann auch aus schlechter Angewöhnung sich herleiten und verhältnismäßig leicht durch beharrliches Vormachen des Falschen und des Richtigen wegzubringen sein, aber wiederum zeigt sich dann meist an seiner Stelle die Fehlerform 4. das eigentliche Lispeln, bei dem sich die Zungenspitze zwischen die Zähne drängt. Wo nicht Zungenverformungen oder Vorderzahnlücken schuld sind, läßt es sich (genau wie das falsche Hals- oder Rachen-r) mit Geduld und Willenseinsatz nebenher während der Studienzeit restlos richtigstellen. Hilfsapparate scheinen auch hier nicht durchgreifend zu helfen. Der Lispler hält meistens den Unterkiefer übermäßig zurückgenommen; ihn leicht (nicht übertrieben!) vornehmen und in dieser Lage belassen zu lernen, ist Vorübung und Vorbedingung des Weiteren. Geübt werden zunächst nur das tonlose, das stumm-gezischte s. Der Lernende wird in seinem ersten Eifer die Zungenspitze erst recht nach vorne drängen: man lehre ihn sie vorsichtig zurückzunehmen (aber der Unterkiefer darf nicht mitgehen), dann sie senkrecht nahe den Unterzähnen (aber nicht ganz an ihnen) abwärtszuführen unter fortwährendem Zischen (aber nicht so tief, daß der Zungenrücken die Zischstellung einnimmt, weil dann die Zungenspitze das Zischen nicht mehr ausführen könnte). Dabei soll der Lernende trachten, dem Zischen, das nicht gröber, sondern immer zarter und feiner werden soll, etwas leise Pfeifendes beizumischen. Gelingt dies, so hat man dem Wesen nach schon gewonnenes Spiel; das übrige ist Übungssache. Als Neues tritt beim stimmhaften Summ-s im Grunde ja nur noch der Stimmton hinzu, aber natürlicherweise wirkt das subjektiv wie eine Umwälzung. Alles Gelernte scheint aus den Fugen zu geraten. Man lehre deshalb den Lernenden, alles ruhig nach der Regel 94
zu machen, sich an das mißtönende ü-Gebilde, das zunächst herauskommt (und das die Verwandtschaft des Summ-s mit dem ü schlagend beweist) nicht zu kehren; nach und nach, dabei keineswegs beunruhigend langsam, wird sich ein klares, reines Summ-s herausschälen. Es zuverlässig in die Praxis einzubauen, ist die weitere Aufgabe; ebenso wichtige Übungssache ist aber die völlige Zuverlässigkeit in der regelrechten Anwendung des gesummten und des gezischten s gemäß den Anweisungen der „Deutschen Bühnenaussprache". sp und st sind im In- und Auslaut „nach der Schrift", also mit s zu sprechen (Espe, raspeln, lästig, Rost, Lust, Geist) im Anlaut, nach Vorsilben und in der Zusammensetzung hingegen nur in klar bewußten Fremdwörtern und auch dann nur in der sog. „gehobenen" Sprechweise — sonst im Anlaut stets das s wie sch; die Hannoversche Mundart ist keineswegs gar so „s-prichwörtlich ohne S-tein des Ans-toßes". Lerne unterscheiden mit s: sch: Star (Stern, Bühnenstern) Star (der Vogel und die Augenkrankheit), Stil (der Schrift) Stiel (der Pfanne). Fehler: 1. das Verwechseln von scharfem und gesummtem s (schliesen statt schließen, grüsen statt grüßen, in sBett statt ins Bett, durchau snicht statt durchaus nicht, sso sseis statt so sei's); 2. das Verwechseln beider s mit z (einz statt eins, Pulz statt Puls, seltzam statt seltsam, Offissier statt Offizier, Leipssig statt Leipzig, Ssucker statt Zucker); 3. das Verwechseln von s und sch im Aussprechen von sp und st (s-pielen statt schpielen, S-tadt statt Schtadt, haschpeln statt haspeln, Geischt statt Geist, Beefschteak statt Beefsteak, Reschpekt statt Respekt, Konschtans statt Konstanz, desgl. auch annersch statt anders und Kommersch statt Kommers); 4. das verschleifende Weglassen des s vor sch (Auschschank statt Ausschank, ein stolzesch Schiff statt ein stolzes Schiff, Glaschprung statt Glassprung, feschämmig statt feststämmig(ch), Bruschtimme statt Bruststimme). 95
Übe langsam und fasch, abwechselnd mit Stimme und flüsternd: Selbstsucht — Selbstzucht, Ziegel — Siegel, Rohziegel — Rotsiegel, Geisel — Geißel, Meise — Meißel — Meißen, Weise — Weiße (das Bier), reisen — reißen, weisen — weißen (kalken), auch den Unterschied, ob man sagen will, daß ein gewisser Kurt züchtig sei, oder daß irgend jemand kurzsichtig sei. Sch (nächster Verwandter s) wird in deutschen Wörtern so gut wie durchweg stimmlos ausgesprochen (Ausnahme der beruhigende Laut des Wiegenliedes „schum, schum schei"), doch wird seine stimmhafte Form gerade für sehr gebräuchliche Fremdwörter derart häufig benötigt, daß auch deren sichere Beherrschung gefordert werden muß (Jalousie, Gage, Gendarm, Sergeant, Genie und Regie — hingegen mit g genial und Regierung). Auch beim sch muß in beiden Lautformen der vordere Zungenrand seinen Platz an der Unterlippe (nochmals nicht: an den Unterzähnen) verlassen. Beim sch liegt die Zungenspitze weiter hinten im Munde als beim s; schiebt man die Zungenspitze eines Menschen, der s spricht, mit einer Sonde nach hinten, so wird der Laut immer mehr dem sch ähnlich. sch (entstanden aus sk: scheiden im Althochdeutschen skeiden, gotisch skaiden; Skier — Schier; Skaeren — Schären) wurzelt im Verhältnis zur allgemeinen Naturhaftigkeit der beiden s insonderheit in der dämonischen Vielfalt des menschlichen Innenlebens: alleinstehend reicht es vom Schauer und Schimmer über Scham und Schuld zu Schimpf und Schande; in Verbindung mit 1 schließt es schlaue und schlimme Schlingen, versinnbildlicht mit Vorliebe die Kreislinie; mit m drückt es Geschmeidiges, schmeichlerisch Schmunzelndes, höchstens einmal Schmollendes aus; mit n scheint eine Schnauze zu schnüffeln, zu schnauben, zu schnalzen oder auch zu schnappen; mit r wird es schroff und schrill; mit w wiederum schwingend und schwebend, wie die Schwalbe im schwindenden Lichte schwimmt; ganz starr und steif mit t und schließlich sprengend, spreizend, splitternd, sogar Spott und Hohn verspritzend vor p, pl und pr. 96
Wo s und ch zufällig zusammentreffen, ist selbstverständlich nicht sch zu sprechen (heischen — Häuschen, mauscheln — Mäuschen). Fehler: 1. zu langes Aussprechen; 2. zu weiches Aussprechen, auch der etwa folgenden p oder t; j . zu s-haftes Aussprechen; 4. ch-haftes Aussprechen (humoristich statt humoristisch); 5. f-haftes Aussprechen (in italienischen Mundarten, besonders im Neapolitanischen ist der umgekehrte Vorgang zu beobachten: sciato statt fiato, Sciorenza für Firenze); 6. gegenseitiges Vertauschen des stimmlosen und des stimmhaften sch; 7. westfälisches Hintereinanderaussprechen von s und vorderem ch (s-chön statt schön). T ist zwar lautbildnerisch dem d nächstverwandt, doch empfiehlt es sich (wie bei k—g und p—b) in der Praxis, diese Verwandtschaft zu verleugnen, damit es zu keinen Vertauschungen komme. Beim t erscheine die „Behauchtheit" in der Form einer winzigen s-Beigabe, die sich aber ja nicht bis zu einem z-ähnüchen Laut steigern darf; mit dieser Einschränkung ist sie der Deutlichkeit und Tragkraft des t für den großen Raum sehr dienlich. Außerdem wird durch die geringe s-Beimischung auch der besonders bei Sprenglauten immer lauernden Gefahr des stimmschädigenden Rückstoßes von vornherein wirksam begegnet; es ist selbstverständlich mit Zungendruckluft zu bilden. Wo das t in der Aussprache an Stelle des geschriebenen d zu treten hat und wo es verschmolzen wird, darüber siehe unter D. Etwas von Verachtung, zumindest etwas Abstandnehmendes strömt aus vom t. Fehler: 1. das Verwechseln mit d im Anlaut überhaupt (plattdeutsch doli, hochdeutsch toll) und besonders im anlautenden st (vgl. Fenster — Mensdorff); B o r u t t a u , Stimmkunst.
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z. das „Verschlucken" im Auslaut. Übe vergleichend: der T o r — zum Tort, fort — das Fort, hausend — hausen, Ort — Ohr, A r t — Aar, Schwert — schwer, Herd — hehr, na wart — s'ist wahr, Mord — Moor; 3. das Verfälschen in d im Auslaut, z . B . : „ich tades" statt richtig „ich tat e s " ; 4. das Überwuchern der s-Beigabe (die Zote — die Tote, der K o t — des Kots, der Tand — der Tanz, der Kant — der kann's); 5. das in die Nase Explodierenlassen in Wörtern wie Vermächtnis, Gedächtnis; übe das Lösen des Zungenverschlusses und sprich erst langsam, dann immer schneller, ohne in den alten Fehler zu verfallen: Ord-nung, fort-nehmen Vermächt-nis, Gedächt-nis. U (nächste Verwandte o und ü) besitzt offene (Hund) und geschlossene (Huhn) Form; es ist der Freiklinger mit der tiefsten, (dagegen i derjenige mit der höchsten) ideomotorischen Einstellung. Es bildet ein wertvolles Hilfsmittel, der Ansatzrohrverkürzung beim sog. „ K n ö d e l n " Herr zu werden, birgt aber zugleich die Gefahr der stimmklangschädigenden Ansatzrohrverlängerung durch Senken des Kehlkopfs sowohl, als auch durch Vorstülpen der Lippen. Jede Ansatzrohrverlängerung gegenüber der neutralen des Anhubes ist aber als klang- und stimmschädigend grundsätzlich zu verwerfen, weil dadurch die Stimme ihren Sonder-Wohllaut, ihr individuelles Timbre einbüßen würde. Also kein Vorstülpen, sondern vielmehr ein Zusammenziehen der Lippen und k^in gähnähnliches Gefühl im Halse, sondern eher ein schluck-verwandtes beim Bilden beider u I Ferner ist darauf zu achten, daß der vordere Zungenrand seinen Platz oberhalb der Unterlippe behält und daß trotzdem das u weder o-haft noch ü-haft klingt, wobei ein wenig Nasalität nicht nur statthaft, sondern unumgänglich notwendig ist; d. h. also, es darf beim u niemals das Gaumensegel Mund- und Nasenrachen völlig voneinander trennen, sondern es muß ein schmaler Kanal offen bleiben. N u r in den Hochlagen der Frauenstimme darf das Eigengepräge des u etwas verwischt werden, so wie es
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auch beim i geschieht; von Männerstimmen ist es in allen Lagen gleichmäßig ohne Fehl zu bilden, allenfalls bei überhohen und untertiefen Tönen wird zwangsläufig um ein geringes nachgegeben werden müssen. Dumpf heulend darf das u nie klingen; markig soll es sein, eher etwas rauh als klanglos. Das u mit seinen wenigen Obertönen, die noch dazu die tiefsten sind, ist naturgemäß der klassische Laut des Dumpfen und Unheimlichen und macht nicht nur auf das kindliche Gemüt nachhaltigen Eindruck, sondern wird sogar von vielen Tieren offensichtlich als physisch quälend empfunden; ein langgehaltenes u veranlaßt u. a. Katzen und Hühner zu einem eigentümlichen Kopfschütteln, als suchten sie etwas aus den Ohren loszuwerden. Beachte als offen: geschlossen: Bruch (Zahlenbrechung Bruch (Sumpfland) oder sonstige Knickung) muß, das Muß das Mus Urteil, Urtel Urbild, Urfehde und alle anderen Verbindungen mit ur, Rußland Ruß rutschen knutschen verdutzt geduzt. Beachte die verschiedene Silbenbetonung in kaputt (zerbrochen) und in caput (Haupt, Hauptstück). Fehler: 1. das Verfärben des u gegen o oder ü hin, sowohl im Sprechen (wie beim nordwestdeutschen Koss, ond statt richtig Kuß, und) als auch im Singen beim Crescendieren u — = : (o) (Kaspar im „Freischütz" in der großen Arie: Triumph!) sowie in der tieferen Mittellage der Frauenstimmen, wo öfters das u sich nach ü wandelt, offenbar um den Abfall an Stimmglanz auszugleichen; 2. das Durchfärben des Tones mit u bis zur Hinterzunge. Sie soll immer in a-Haltung verharren, das u nur vorn an den Lippen gebildet werden — geradeso wie sein Widerpart, das i; 7»
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}. das süddeutsche Nachschieben eines a (Ruah, gnua, Muatter statt Ruhe, genug, Mutter); 4. das Verschlucken des u vor n, besonders im Wörtchen „und", von Sängern häufig als nnnnd leider zu hören. Ü (nächste Verwandte u und i) besitzt offene (künden) und geschlossene (kühn) Form, kommt öfter vor als ö und ä zusammengenommen und wird auch y (Analyse geschlossen, Mystik offen), sowie ui (geschlossen) in Duisburg und Juist geschrieben. Über die Aussprache siehe auch unter Y . Das Ü läßt noch vielfach das Unfreundliche des u erkennen, aber schon in gemilderter Verallgemeinerung teils dadurch, daß es der Mehrzahl (Gründe und Schlünde), teils dadurch, daß es der Verkleinerung dient (Stümpfchen). Beachte als offen: geschlossen: Brüche (Zahlenbrüche und Brüche (Mehrzahl von andere Brechungen) Bruch, dem Moor) Küche Küchlein (junges Huhn oder kleiner Kuchen). Fehler: x. das Verwechseln des ü mit dem i. Übe Kiel — kühl, 1 Schwiele — Schwüle, viel — Gefühl; 2. das nordwestdeutsche Verfärben des ü in ö (Mötter statt Mütter). V, griechisches Schriftzeichen, im Altertum auch Y geschrieben und ursprünglich fallweise f, w, u und ü ausgesprochen, wird in allen deutschen Wörtern gleich f gesprochen; über die Ausnahmen siehe „Deutsche Bühnenaussprache". Sprich mit w: f: Verdikt, d. i. Wahrspruch Verzicht, Versprechen u.ähnl.a. (lateinisch veredictum) Genitive Genitiv Substantiva Substantiv Diapositive positiv bravo brav. 100
w, das Doppel-v (nächste Verwandte u und f), entsteht, wenn in f-Stellung ein Ton hervorgebracht wird, ist also wie dieses labiodental, d. h. grundsätzlich in Fühlung der Unterlippe mit den oberen Schneidezähnen zu bilden und unterscheidet sich dadurch von dem ähnlichen, aber zwielippigen Laut, der im Deutschen nur noch durch das qu fortlebt und nicht gleichgemacht, sondern dort erhalten bleiben sollte und sorgsam betreut zu werden verdiente. Der vordere Zungenrand soll nicht, wie zumeist heute noch gelehrt wird, an die Unterzähne gestützt werden, sondern zweckmäßig über diesen an die Unterlippe zu liegen kommen wie beim f und p. Im w wogt und wallt, weht und wispert, wiegt und webt es. Fehler: 1. das mittelhochdeutsche Verwechseln mit dem bilabialen qu-Laut (übe Quarz — Schwarz, Quelle — Schwelle, bequem — beschwert); 2. das Zwischenschieben eines e z(e)war sch(e)wer statt zwar schwer); 3. das Ersetzen des w durch f oder u (Efigkeit oder Euigkeit statt Ewigkeit). Übe sprechend und singend zu unterscheiden zwischen: auffinden — aufwinden, auffand — Aufwand, auffallen — aufwallen. X stammt vom lateinischen x, dieses vom griechischen %, das in Hellas ch bedeutete, im Westgriechischen aber, ebenso wie im Lateinischen das x, den Lautwert ks hatte. Als ks wird es auch in den deutschen Wörtern Axt, Hexe und Nixe ausgesprochen, ebenso im Stadtnamen Xanten und im Vornamen Xaver, wie auch in zahlreichen Fremdwörtern und fremden Namen mit Ausnahme der spanischen (Xeres, sprich Chereß). Über die Aussprache des chs siehe unter H. Fehler: 1. das Verfälschen des k in g und des scharfen s ins gesummte s, also Hegse oder Hekfe oder gar Hegfe; 2. das süddeutsche Verfälschen der Vorsilbe ge- mit nachfolgendem s unter Auslassung des e in x, also statt Ge101
sandter, Gesang, Geselle, Gesetz, Gesims, Gesuch, Gesundheit; falsch Xandter, Xang, Xelle, Xetz, Xims, Xuch, Xundheit (hingegen richtig flugs wie flux, ja nicht fluchs). Y (Ypsilon heißt im Griechischen „einfaches ü") wird zumeist in Fremdwörtern und in einigen deutschen Namen geschrieben. Erwähnt seien folgende Fälle: Yorck: hier steht es statt j wie immer dann, wenn es vor Freiklingern (Vokalen), also konsonantisch auftritt; Bayern: hier steht es statt i, ebenso in Gyps, Cymbal, lynchen; Ybbs: hier steht es für ü wie in allen nicht vorerwähnten Fällen, und wird als geschlossenes ü ausgesprochen in Kynast, Kyritz, Lyra, Zypresse, Analyse, Asyl, Zylinder, dagegen offen in Satyr, Sibylle, Krypta, Mystik, Pyrmont, Kyffhäuser und in Ybbs selbst. Z (von Jakob Grimm von dem altgriechischen Zeta ins Deutsche eingeführtes Schriftzeichen) wird als ts, d. h. t mit nachfolgendem scharfem s, ausgesprochen überall dort, wo z (zittern, Grenze, Tanz, Kontumaz), tz (Blitz, schützen, Hetze), zz (Bajazzo, Blizzard), c vor e, i, y, ä, ö und ü (Cäsar, Grcus (das erste c wie z, das zweite c wie k), Scaevola, Scipio, Scene, obscön) und t vor i und einem weiteren Vokal steht (Nation, Korruption, Initiative, Initialen, Requiem-Text: Ante diem rationis). Das z ist immer dort zu finden, wo etwas an die Nerven geht (Zorn, Blitz, Zickzack, schlitzen, zerfetzen, hetzen, zischen, zucken, zupfen, ziehen, zullen, Zitze). Fehler: 1. das Aussprechen des z dort, wo t und s nur zufallig nebeneinander stehen (selzam statt seltsam, dorrzinnzie statt „dort sind sie" — hingegen Rätsel wie Räzel zu sprechen ist richtig); 2. das Ersetzen des z durch scharfes, stimmloses s (Kranns, Pels, Sals, Offiessier, Leipsig statt Kranz, Pelz, Salz, Offizier, Leipzig); das gegenseitige Vertauschen von z und x (Lexion, Auxion, Funxion statt Lektion, Auktion, Funktion oder Connekzion statt Connexion). 102
Übe: einser — eins — einzig, seltsam — Ränzel — Rätsel, Fels — Pelz, des Saals — der Hals — das Salz, diesfalls —• die Pfalz, des Krans — der Kranz, die Gänse — zur Gänze, die Kreuze — die Kreuzsee. Mit • sei in Anlehnung an das Stakkatozeichen der Notenschrift der gutturale Knacklaut («aus «Osten) bezeichnet. In der Tat ist er genau so auszuführen wie das Singstakkato und nicht gefährlicher für die Stimme als dieses. Es ist eine Ungereimtheit, das Stakkato anzuerkennen und vor dem Knacklaut zu warnen, deshalb, weil er auch falsch ausgeführt werden kann; welcher Laut könnte nicht durch falsche Ausführung gefährlich werden ? Wäre Singen nur möglich unter Verzicht auf den Knacklaut, so wäre es besser aufs Singen zu verzichten als auf diesen besonders bezeichnenden Laut der deutschen Sprache I Die Ausmerzung des Knacklautes aus dem Singen käme einer Französierung des deutschen Singens gleich, nicht anders, als wenn man aufhören wollte, im Singen das h auszusprechen. Und blanker Unsinn wäre es überdies, denn bei der unerschöpflichen Zusammensetzbarkeit der deutschen Stammwörter ist es (ob gesprochen, ob gesungen) ganz gleich wichtig für den Sinn, beispielsweise den Baum-»ast vom Bau-mast, Vers-*enden von ver-senden, ver-reisen von verweisen zu unterscheiden wie das Nacht-heulen von den Nacht-*eulen. Freilich macht man die eine Unterscheidung bereitwilliger als die andere. Das h wird geschrieben, sein Widerpart, der Knacklaut hingegen in den Westsprachen nicht. Im Phönizischen hatte er sein eigenes Schriftzeichen, den Stierkopf (Aleph), und wenn die alten Griechen mit dem spiritus asperc das h gemeint haben, so läßt sich vermuten, daß sie mit seiner Umkehrung den Knacklaut haben ausdrücken wollen; der lateinische Name „spiritus lenis" will zwar nicht recht dazu passen, stammt ja aber auch aus einer Zeit, da das Altgriechichische schon keine lebende Sprache mehr war, und bekanntlich ist die Frage der richtigen Aussprache des Altgriechischen noch in mehr als diesem einen Punkte ungeklärt. Der Knacklaut ist auch nicht durch das als Kompromiß empfohlene kurze Absetzen zu ersetzen, er ist vielmehr ein 103
eigener, wenn auch ungeschriebener Laut, was daraus hervorgeht, daß er in den altdeutschen Stabreimdichtungen als Stabreim verwendet wird (es ist falsch zu sagen, die Vokale Stabreimen untereinander; nicht die Vokale Stabreimen, sondern der Knacklaut stabreimt). Der ungeschriebene Knacklaut ist der vierte Sprenglaut der deutschen Sprache neben p, t, k, und er ist überall dort zu sprechen, wo ein Wort mit einem Vokal anfängt und wo mit einem Vokal beginnende Silben zu Wortzusammensetzungen gebraucht sind («in »Ulm, «um •Ulm »und »um »Ulm herum, ver-alten, »erübrigen, beobachten, •Obacht, vollenden, *ein*ander); auf ihn zu verzichten ist nur dort, wo die Zusammensetzung nicht mehr gefühlt wird (allein, herein, hierauf, hinaus, voraus, worauf, warum, darum). Über die nicht stimmschädigende, sondern stimmfördernde Ausführung siehe im Stück „Der Kehlkopf". Der — ich möchte sagen: singlogische — Kreis schließt sich, wenn man berücksichtigt, daß die neutrale Grundmanier des Singens bis in Rossinis Zeit battuto (marcato, martellato) gewesen ist und nicht wie heute legato. Was aber ist dies dem Hauchen und Verschleifen entgegengesetzte Hämmernde, Pochende anders gewesen als der stakkatoartige Ansatz ? Und was ist der Stakkatoansatz anders als der wohlgezügelte, richtig ausgeführte, d. h. mit der Richtung der Atemsäule nach oben ausgeführte Knacklaut ? 1 Der • ist der Laut der Bündigkeit, Bestimmtheit, Knappheit, der Befehlsgabe — kurz aller Unweichlichkeit. Fehler: 1. h-haftes Ausprechen (hin statt »in); 2. das Weglassen. Übe zu unterscheiden: Baum-«ast — Baumast, ver-reisen — verweisen, ver-senden —Vers-«enden, be-«inhalten — Beinhaut, Re-'inkarnation — Reinkultur.
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DIE VEREINIGUNG DER LAUTE IN WORT UND TON Laute, Wörter, einfache Sätze und „Großsätze" (Ausdruck von Ewald Geißler) sind vorerst und überwiegend mittelkräftig, dann aber auch schwach und stark, ja sehr stark zu üben — auch in wechselndem Durchschnitt der Stimmlage. Außerdem ist aber, wie schon vor Eintritt in das Alphabet erwähnt, das häufige Flüstersprechen von besonderem Nutzen, wobei die Stimmritze so geöffnet sein muß, daß auch kein unabsichtlicher Ton dazwischenkommt. Das Flüstersprechen entwickelt das volle Bewußtsein dafür, daß Ton und Aussprache zwar zumeist gleichzeitige, im übrigen aber völlig voneinander getrennte und zu trennende Dinge sind: als anschauliches Hilfsmittel bewährt sich der Vergleich der gleichbleibenden Lichtquelle der Laterna magica mit dem Ton und der wechselnden Farbbilder vor der Linse mit der Aussprache. Im Wort geht die in unendlicher Mannigfaltigkeit mögliche Vereinigung der Laute in der Weise vor sich, daß Nachbarlaute alles, was ihnen gemeinsam ist, tunlichst zu einem Bewegungsablauf verschmelzen. Diese Verschmelzung nicht etwa zu verhindern, sondern zu fördern sind Ausspracheübungen da, doch ist hierbei darauf zu achten, daß i. die einzelnen Laute den vorstehend aufgestellten Regeln entsprechen und daß es 2. — besonders im Singen — zu keinen Hilfslauteinschiebungen kommt. Zu i : wenn z. B. im Worte „geben" das b in die Nase explodiert, das e verschwindet, das n zum m wird (gern), weil die Artikulationsstellung des m beim b schon eingenommen war, so hat das nichts mehr mit kunstgerechter Verschmelzung zu tun und ist als falsche Anpassung zu verwerfen, weil jeder der drei Laute b, e und n seine Eigenart völlig verloren hat und in einem m aufgegangen ist. Zu 2: hiermit ist außer den heute schon ziemlich wirksam bekämpften und allgemein abgelehnten a- und e-Einschiebungen (Wineterastüreme statt Winterstürme) das h gemeint, das sich so gern zwischen Sperr- und Freiklinger 105
(mhein statt mein) sowie zwischen Sprenglaut und Freiklinger einschleicht; es ist falsch, das Wort „Tat" wie „That" auszusprechen — im Singen wie im Sprechen haben vielmehr t und a eng ineinander verankert zu sein wie Beton und Eisen. Über die Betonung der deutschen Wörter siehe die „Deutsche Bühnenaussprache". Sprich und durchdenke an folgenden Beispielen, wie verschiedener Sinn in verschiedener Betonung sich ausdrückt: überlegen — überlegen, durchsetzen — durchsetzen, überführen — überführen (Überfuhr), unterschlagen (Geld) — unterschlagen (die Beine), steinreich (Millionär) — steinreich (eine Gegend), meinetwegen (mir gleichgültig) — meinetwegen (mir zuliebe), unschätzbar (wertlos) — unschätzbar (unerhört wertvoll), modern — modern, überall—Overall, gebet — gebet, kaputt — Caput ( = Haupt). Das gesprochene Wort, dem einen lexikalischer Begriff, dem andern „Begriff, Bild und Wesen" (Martin Seydel) hat schon als Wunschwort Satzwert. Phonetisch aber ist erst der Satz die eigentliche sprachliche Einheit. Im Satz tritt die Wortbetonung zurück zugunsten der logischen, d. h. den Inhalt klarstellenden Satzbetonung. Im einfachen Satz wird die betonte Silbe desjenigen Wortes hervorgehoben, in dem das neu Hinzutretende sich offenbart; in zusammengesetzten Sätzen hat jeder Teilsatz entsprechend sein betontes Wort, doch kann hier fallweise außerdem eine aus dem Zusammenhang sich ergebende weitere Art der Betonung hinzutreten, der etwas Schwebendes eignet: die Beziehungsbetonung. Zu diesen Betonungsarten der Prosa tritt in der gebundenen Rede die rhythmische Betonung, die gleichsam unter der Oberfläche läuft und das innere Gerüst der gebundenen Rede bildet. Den Betonungen und ihrer Verteilung sind dienstbar: 1. das Sprechzeitmaß einschließlich abgestufter Beschleunigung und Verlangsamung; 2. die Sprechtonhöhe einschließlich abgestufter Hebung und Senkung; individuell und mundartlich öfters ganz oder teilweise ersetzt durch, bezw. verbunden mit Aufhellen und Abschattieren; 106
j . die Sprechstärke einschließlich abgestuften Stärker- und Schwächerwerdens. Diese drei dienen auch dem Vortrag zusammen mit der gliedernden Pause von kaum wahrnehmbaren „tempus latens" des Quintiiianus, der kleinsten Pauseneinheit (Wach-traum — Wacht-raum, Feld-ritt — Fehltritt, erblassen — erb-lassen) bis zum „qualvollen" Schweigen und die geistig-seelische Stimmfarbung aller Schattierungen von nüchterner Teilnahmlosigkeit bis zu leidenschaftlicher Anteilnahme. In der Stimmfärbung tritt die Brustatmung, die trotz seelischem Einsatz und Atemwippe (appoggio) beim Üben meist etwas zu sehr gegen die Zwerchfellatmung zurücksteht, wieder voll in ihr Recht als Werkzeug des Ausdrucks. Ausdruck bestehe nie aus Druck — nicht nur im Singen, wo diese Regel allenfalls eher beachtet wird, sondern ebensosehr im Sprechen. Jede psychische Stimmfärbung ist an sich auch schon Ausdruck einer Gesamtkörperhaltung, mag diese auch als äußerlich kaum wahrnehmbare „innere Haltung" erscheinen, die sich gern in „Zurückhaltung" äußert. Über die nahezu akkordische Bedeutung harmonischer Singstimmfärbung s. S. 125. Stimmfärbung ist nicht zu verwechseln mit der Stimmklangfarbe, dem Timbre, das etwas Naturgegebenes ist und von der Bauart jedes einzelnen Stimmwerkes abhängt (vgl. Stimmwerkzeuge: Allgemeines, S. 16 u. f., und Ansatzrohr, S.45 u.f.). Stimmfärbung, oft auch Tonfärbung geheißen, ist aber auch nicht zu verwechseln mit dem T o n f a l l , in dem Mundart- und Landschaftliches, ferner Kinderstube, Bildungsgang, Alter, Auffassungsvermögen, Gemütsart und Erlebnisweise des Sprechers sich offenbaren. Den Tonfall meinen, um ihn zittern alle die allzu naturalistisch eingestellten Künstler und sonstigen Kunsterfüllten, die von Stimmbildung und Auspracheschulung am liebsten nichts wissen wollen. Da schütten sie freilich das Kind mit dem Bade aus, denn Stimmbildung und Ausspracheschulung sollen ja weder der Stimme noch dem Menschen Gewalt antun. Sie sollen vielmehr gegen die Zufälle der Disposition gefeit und von Schlacken befreit machen derart, daß innere Vorstellungen in ihrer ganzen Fülle und Schönheit sich nach außen projizieren lassen und nicht statt ihrer ein kränkliches Kompromiß herauskomme, das anklagend vom Mißverhältnis zwischen Wollen 107
und Können redet. Wenn allerdings das Können mit dem Verlust der Eigenart oder auch nur mit einer Antastung der Persönlichkeit bezahlt werden müßte, hätten die Pessimisten recht. Die Pausen — als letztes noch zu besprechendes Mittel des künstlerischen Vortrages — sind oben als „gliedernd" bezeichnet worden; sie gliedern durch Verteilung der Gedanken. Nebenbei werden sie dazu benutzt, den erschöpften Atemvorrat aufzufüllen. Das bedeutet aber nicht, daß nun in jeder Pause geatmet werden muß — Atem ist nur zu holen, wo das Bedürfnis, der Reiz sich meldet oder nachdem der Vortragssinn das Ausstoßen des alten Atems verlangt hat. öfters wird man aber auch genötigt sein, den Vortragsfluß ohne Rücksicht auf den Sinn zu unterbrechen; diese Notatempausen schule man auf äußerste Kürze und Unhörbarkeit der Einatmung und lege sie dorthin, wo sie am wenigsten störend auffallen, d. i. in die Senken vor auftaktartigem Anhub und möglichst vor h oder den Knacklaut, wo sie bei großer Übung täuschend verschwinden können. Dies sind die Mittel für den künstlerischen Vortrag, also gleichsam die farbigen Steinchen, mit denen der Vortragende aus seinem Kaleidoskop immer neue Bilder hervorzaubert. Aber, wie das Kaleidoskop klein sein kann oder groß, reich an Farbkieseln oder ärmer, stets aber ganz und in Ordnung sein muß, um seine Wirkung zu haben: so muß auch die Kunstleistung, ob groß, ob klein, ob bedeutend oder nicht, stets in sich geschlossen und geordnet vor uns stehen. Das Wissen darum, die in unzähligen Wechselformen gemachte Erfahrung hat, wie in der Nachbarschaft anderer Kunstgebiete gleichlaufend auch, zu Versuchen gedrängt, den Gesetzen der Sprachhandhabung nachzuspüren und manche Universitäten erweisen, unserm Gegenstande die Ehre der Errichtung eigener Lehrkanzeln, die sich freilich mehr mit den Gesetzen der Rhetorik befassen. Allein auch der an seine Vorlage gebundene Vortragskünstler, der nichts mit der Oberflächlichkeit gefühlvollen Deklamationsunwesens gemein haben will, hat Grund, den Wert dieser Forschungen dankbar anzuerkennen, und wird nicht nur Wissenswertes, sondern vielmehr lebendiges Wissen aus ihnen schöpfen können. Die notwendige Reife dazu ist 108
ihm allerdings erst gegeben, wenn er sich der Überschätzung von bloßem Wissen und Kennen gegenüber lebendigem Können bewußt wird, wenn er erkennt, daß in der Forschung jede entdeckte Ursache, auf der eine Wirkung beruht, auf ein neues Mysterium hinweist, als dessen Wirkung sie selbst erscheint, und wenn er lernt, daß Künstler zu sein eben heißt, allen Zwiespalt, allen Zweifel durch das innere Gesicht, durch ein blitzartiges Erschauen der Wahrheit zu bannen und wenigstens für Augenblicke restlos aufzulösen. Wer aber ist soweit ? Doch nur der, welcher es für sich selbst schwerlich mehr nötig hätte 1 Aber der mag künstlerisch Selbsterschautes nun in wissenschaftlicher Betrachtungsweise gerne nachgenießen, wie man mit Genuß die Beschreibung eines anderen über eine Reise liest, die man, wenn auch unter anderen Bedingungen, selbst ebenfalls gemacht hat. Außerdem aber wird der reife Künstler Jüngeren mit solch nachträglich festgestelltem Tatsachenmaterial nützen können und wird ihnen damit sicherer auf die Höhe der Zeit verhelfen, als wenn sie selbst und eigenmächtig an ein Wissen sich heranmachten, das für sie tote Wortwissenslast werden muß, weil die organische Verbindung mit der lebendigen Vielgestalt der Praxis fehlt. Nur durch die Hand eines echten, seiner und aller Wirkungsmöglichkeiten sicheren, gereiften Künstlers übermitteltes Wissen um Dinge der Kunst kann dem Kunstjünger fruchten. Anders herangebrachtes oder im voraus erworbenes Wissen wirkt hingegen wie Treibhausluft; nach vielleicht überraschendem Anfangserfolg führt es unrettbar zur Verkümmerung. Verkümmern ist hier gemeint als nicht zur Entfaltung gelangen der Einmaligkeit einer Künstlerpersönlichkeit und ihrer jedesmaligen Kunstleistung. Um die Einmaligkeit dreht sich's, auf das immer Neue, nie genau sich Wiederholende kommt es an. Standardisierung, Normierung in der Kunst führt zur Erstarrung — das Beispiel dafür hat uns die alte chinesische Kultur gegeben. Von ihr und für uns gilt das Wort des Forschers und kunsterfüllten Ethikers Wilhelm von Ostwald im Vorwort zu seiner „Farbenlehre": „Kunst, die zur Wissenschaft wird, hört damit auf, Kunst zu sein." Oder positiv ausgedrückt: Jeder Künstler muß die Fragen seiner Kunst jedesmal neu lösen auf neue, nämlich seine eigene Weise. 109
Aus solcher Gedankenrichtung heraus sind die nachfolgenden handwerklichen Anweisungen gegeben: Was schon für das Wort gefordert wird, Deutlichkeit, Regelrechtheit, plastische Rundung, von Martin Seydel „Wortwirklichkeit" genannt, gilt erst recht für den Satz, für die Rede überhaupt. Plastische Rundung wird bereits angebahnt durch Übung in deutlichem und regelrechtem Sprechen, doch das allein genügt nicht. Schon das einzelne Wort darf nicht nur Begriff sein; hinter dem Satz aber muß die immer neu erweckte Vorstellung so drängend stehen, daß er nicht flächig, sondern reliefhaft in seinem Rahmen wir^t. In der Kunst ist die Kraft der Vorstellung alles; aus ihr erst sprießt die überzeugende Gestaltungsfähigkeit. Es mag im psychisch-hygienischen Sinne verdienstlich sein, Menschen ohne oder mit nur unterdurchschnittlicher Vorstellungskraft — Stumpfmündige nenne ich sie — rednerisch oder sängerisch zu schulen, aber dieses kleine Verdienst verschwindet neben dem Unrecht, das begangen wird, wenn man mit nicht überdurchschnittlicher Vorstellungskraft ausgestattete Stumpfmündige aus Überhebung gegenüber den Weisungen der Natur, also aus Selbstüberschätzung für Kunstleistungen heranbilden zu können vorgibt. In der Kunst haben wie im Sport nur die von vornherein mehr als mittelmäßig Begabten Aussicht auf Erfolg. Vorstellungskraft ist etwas, das sich nur in dem Maße entwickeln läßt, in dem es bereits im Keime vorhanden ist. Fleiß und Ausdauer sind wichtig, haben aber nur dann einen Zweck, wenn sie an reichem, innerem Material sich betätigen können. Wer es besser zu wissen meint, vermehrt das durch Irrlehre oder Irrglauben entstandene Kunstproletariat. Mit plastischer Rundung, mit Wortwirklichkeit ist ein hinauswirkender Phantasievorgang gemeint, der mit Deutlichkeit gepaart ist, aber nicht ersetzt werden kann durch Überdeutlichkeit, durch rollende R's, knatternde Sprenglaute u. dgl. Da bei gebundener Rede eher die Gefahr geschickten, wenn auch nur vorübergehenden Hinwegtäuschens über den Mangel an innerer Vorstellungskraft besteht, empfiehlt sich vorerst durchgreifende Prosapflege. In ihr ist neben der Beherrschung der Vortragsmittel und der Vortragsvoraussetzungen (Stimmbildung, Deutlichkeit, Richtigkeit, Rundung) vor allem die 110
Flüssigkeit der Aussprache herbeizuführen. Sie beruht nicht auf Vokalzerdehnen, ungenauem Nuscheln der Konsonanten oder gar dem undeutschen Weglassen des Knacklautes, sondern auf dem Ausgleich der Freiklinger untereinander, auf dem deutlichen, aber äußerst kurzen Aussprechen der Nichtklinger und der Anklinger mit sofortigem Anschluß des nächsten Lauts ohne Dazwischenschieben eines Hauches und schließlich auf dem vokalstark klingenden und nicht dumpfen Aussprechen der Sperrkünger. Die Betonung hilft mit; aber auch sie verhilft nicht etwa zur plastischen Rundung des Satzes. Darum ja nicht zuviel betonen 1 Um sich an Knappheit zu gewöhnen, ist die betonte Silbe des betonungswichtigsten Wortes im Buch zu unterstreichen und dann im Sprechen tatsächlich hervorzuheben. Dabei zeigt sich die Neigung der lebendig gesprochenen deutschen Sprache, dem Satzhöhepunkt zuzueilen, fallweise auch Tonhöhe oder Tonstärke oder alle zusammen zu steigern, danach langsam wieder abzuklingen und entweder im Satzende zu verebben oder bei Weitergehen des Satzes neuerlich dem nächsten Höhepunkt entgegenzusteigern — zum Unterschied z. B. von der Spätsprache Französisch, deren Gang immer nur andringend ist und in der die Stellung der Satzglieder sich dem Sinn unterordnet und ändert derart, daß der hervorzuhebende Begriff möglichst am Satzende steht. Im Deutschen dagegen kann eigentlich jedes Wort an beliebiger Stelle im Satz je nach dem Sinn Satzhöhepunkt sein. Richard ist hier gewesen, bedeutet die einfache Feststellung von Richards Anwesenheit; Richard ist hier gewesen, bedeutet die gleiche Feststellung, aber gegenüber Zweifel oder Ableugnung; Richard ist hier gewesen, bedeutet die Feststellung, daß er hier und nicht anderswo war; Richard ist hier gewesen, bedeutet die Feststellung, daß er da war, aber wieder fort ist; Richard ist hier gewesen? bedeutet die Frage: wirklich gerade Richard? Richard ist hier gewesen ? bedeutet die Frage: also doch ? Richard ist hier gewesen? bedeutet die Frage: ist's möglich? Richard ist hier gewesen ? bedeutet die Frage: ist er denn nicht mehr hier ? Diese 8 Betonungen stelle man sich nach Zeitmaß, Tonstärke, Tonhöhe in allen Zusammenstellungen, die sich aus den verschiedenen Altersstufen, Temperamenten, Stimmungen und Umgebungsgegebenheiten bilden lassen, vor und
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man wird unerschöpfliche Möglichkeiten erkennen, die den Vortragenden in die Hand gegeben sind. Was im Deutschen Betonung bedeutet, dafür das folgende bekannte Beispiel: man kann den Satz „er spricht heute so und morgen so" auf zweierlei Art betonen; betont man h e u t e und m o r g e n , so erscheint „ e r " als ein beharrlicher Mensch; betont man aber die beiden s o , so sieht man das Rohr im Winde, das Urbild der Wankelmütigkeit.
Betone nicht ohne besonderen Grund ein Beiwort, sondern lieber das Hauptwort, zu dem es gehört, denn da es mit seinem Hauptwort zu einer Begriffsgemeinsamkeit verschmilzt, würde für gewöhnlich durch Beiwortbetonung die beabsichtigte Begriffsbildung nicht verstärkt, sondern vielmehr gestört werden ! Als besonderer Grund für die Beiwortbetonung kommen fast nur Satzbildungen in Frage, die Gegensätzliches herausarbeiten. (Die junge Frau lief vorauf, langsamer folgte ihr die alte Dame — dies kleine Beispiel zeigt, wieviel auch im Deutschen auf die rechte Satzstellung ankommt.) Unter Betonen wird für gewöhnlich herausheben durch Stärkerwerden verstanden und allzuleicht übersehen, daß an geeigneter Stelle die Betonung auch durch Leiserwerden erreicht werden kann, ebenso wie durch Schneller- auch durch Langsamerwerden, wie durch Tiefer- durch Höherwerden. Alle sechs Möglichkeiten können wieder gegeneinander gestuft werden und dies nach der Vortragsfolge allmählich oder jäh. Sprich nicht zu stark, damit du nicht steigerungsunfähig wirst 1 zu leise, damit du nicht undeutlich wirst 1 zu hoch, damit du nicht umschlägst! zu tief, damit du nicht unecht wirkst! zu langsam, damit deine Rede nicht singend klingt 1 zu schnell, damit du nicht dich verhaspelst! Verfalle nicht in hohles Pathos, ins Deklamieren oder in den sog. Predigerton (außer dort, wo es der Darstellung dient), denn es wirkt zunächst übel kulissenreißerisch und würde dich allmählich stumpfmündig machen! Hüte dich vor zu jähem Wechsel, denn er wirkt, besonders bei öfterer Wiederholung, leicht lächerlich 1 Hüte dich aber auch vor Eintönigkeit, außer du stelltest Geister, Hypnotisierte o. dgl. dar ! Bedenke dabei immer, daß auch die interessanteste „Weiße Frau" im Schloß allmählich durch Gewöhnung als langweilig empfunden wird 1 112
Verfalle nicht in den Irrtum, dich zur Darstellung des Tragischen dann für besonders geeignet zu halten, wenn du selber deinen düstern Tag hast 1 Der Philosoph Julius Duboc (1829 bis 1903) hat in seiner Schrift „Die Lust als sozialethisches Entwicklungsprinzip" (1900) den Gedanken entwickelt, daß selbst in der Gestalt von Schmerzen das Luststreben noch unterirdisch wirksam ist; für uns Künstler heißt dies, daß Wohllaune und Spielfreudigkeit das Schwungrad aller Darstellung, die ja immer vom Zufälligen ins Allgemeingültige stilisiert, zu bilden haben, und zwar auch bei der Wiedergabe tiefster Herabstimmung — nur daß bei der Darstellung der Unlust der Treibriemen statt O-förmig eben 8-förmig aufliegt und so in entgegengesetzter Richtung treibt, daß hingegen Darstellung der Unlust aus dem Gefühl eigener Unlust heraus lähmend, stimmungtötend wirkt und den Hörer langweilt. Nun wird dir auch verständlich, warum die besten Vertreter der tragischen Muse meist fröhliche Menschen sind, dagegen meist griesgrämig die Komiker, deren Komik verdoppelt wird, wenn der Belachte sich über das Lachen zu ärgern scheint, während der sich selbst Belachende leicht todernste Mienen vor sich sieht; man sagt: „ E r hat sich selbst die Pointen weggelacht." Hüte dich davor, Beistriche zum äußerlichen Maßstab für ein Heben oder Senken des Tones oder Pausemachen zu nehmen; die Satzzeichen sind aus der ältesten Notenschrift, den „Neumen" entstandene Kadenzzeichen und haben mit der Art, wie man spricht, genau soviel oder sowenig zu schaffen wie das Schriftbild überhaupt. Hüte dich vor Fehlern in Fragesätzen; Fragezeichen bedeuten durchaus nicht immer, daß der Ton gegen das Fragezeichen hin gehoben werden muß. Beginnt der Satz mit einem Fragewort (wer, wo usw.), so ist sogar meistens gegen das Fragezeichen hin der Ton zu senken. („Wer wagt, es, Rittersmann oder Knapp, zu tauchen in diesen Schlund ?") Hüte dich ebenso vor Fehlern in Anführungssätzen; vor den Anführungszeichen darf der Ton nicht gesenkt werden (sie sprach: „Kommen Sie mit mir I"). Nach Anführungszeichen ist die Tonlage des Schlusses der Aussage beizubehalten („Also kommen Sie", sagte er. — „Wo ist er ?" B o r u t t a u , Stimmkunst.
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fragte Adolf). Ist der Anführungssatz zwischengeschaltet, so hat er die Tonlage der unmittelbar voraufgehenden Silbe. („Ich bin", spricht jener, „zu sterben bereit" — nicht als Schaltsatz [Parenthese] sprechen.) Geht in der gebundenen Rede am Versende der Satz nicht aus, sondern im nächsten Verse weiter, so mache an diesem Zwischenversende nicht eine Pause oder Senkung, um es zu bezeichnen, sondern mit gehobenem Ton eine Dehnung ! Wenn schon Cicero meint, in jeder schönen Rede liege verborgen eine Melodie, wenn Schiller an Körner (1792) schreibt: „Das Musikalische eines Gedichtes schwebt mir weit öfter vor der Seele, wenn ich mich hinsetze, es zu machen, als der klare Begriff vom Inhalt, über den ich kaum mit mir einig bin", so ist damit noch etwas anderes gemeint als das, was Klaus Grotb in seinem Gedicht „Wie Melodien zieht es . . . " als unerfüllbar beklagt und Brabms dann eigens an diesem Gedicht erfüllt sehen wollte. Cicero und Schiller beklagen nicht wie Groth die Unvollkommenheit der Sprache, sondern zählen es einfach den Werten der Sprache zu, daß sie ohne Musik schon Melodisch-Musikalisches birgt, und finden dies MelodischMusikalische zunächst sicherlich im Rhythmischen. Fänden sie es aber nur im Rhythmischen, so würden diese Meister klarer BegrifFsbildung auch nur das rhythmische Element erwähnen. Was birgt sich ihnen hinter „verborgener Melodie" und „vorschwebendem Musikalischem" ? Wir können nichts anderes annehmen, als daß sie mit dem Rhythmischen zugleich die vom hohen i bis zum tiefen u abgestufte ideomotorische Einstellung aller klingenden Sprachlaute als melodisch und musikalisch herausfühlen, wie ja auch uns Heutigen sie, die wir das Melische nennen, in manchem Meistergedicht derart bewußt wird, daß dessen Vertonung überflüssig, ja herabmindernd erscheint, weil es ohnehin so voll Melodie steckt, daß die Musik ihm nur etwas nehmen, nicht aber geben könnte. Dieser Melodie der Sprache, je nachdem sie deutlicher oder verborgener im Kunstwerk waltet, hat der Vortragende ebenso gerecht zu werden wie ihrem Seitenstück, der plastischen Rundung oder Wortwirklichkeit. Ist er als Sprecher tätig, so darf darunter 114
andererseits nicht die Deutlichkeit der Nichtklinger leiden, muß er sich hüten, in Singsang zu verfallen; singt er, so darf die Sprachmelodie in der Gesangmelodie ebensowenig untergehen wie umgekehrt, denn, wie schon wiederholt erwähnt, auf beider unendlich wechselndem Reigen beruht der Reiz alles Wortgesungenen. Kein Stimmkünstler — ob Sänger, ob Sprecher — darf je seine Hauptaufgabe vergessen: sie lautet, zwischen Schriftund Notenzeichen nach der Stimme zu lauschen, mit der durch den Stimmkünstler als Mittler der Dichter oder Tondichter sich zu äußern trachtet. Alles kommt für den Vortragenden darauf an, die Segensstunde zu erleben, in der ihm diese Stimme deutlich wird; das von ihm so innerlich aufgenommene Kunstwerk erwacht dann in ihm zur Lebendigkeit, erlebt durch ihn Verwirklichung und ist nun in sein Wesen eingetreten auf einer festen Bahn. Diese Bahnung steht dem Willen des Stimmkünstlers von da ab jederzeit zur Verfügung; jede an sich noch so unbedeutende „Selbstnachahmung", der Bruchteil einer Bewegung, einer Einstellung, ja die bloße Erinnerung daran genügt, in ihm das Wiedererleben seiner Neuschöpfung auszulösen. Im Vertrauen darauf möge der Künstler um Maßhalten im Ausdruck bemüht sein; nie darf er aus dem Rahmen fallen 1 Schreck in einem Lustspiel ist anders als in einem Trauerspiel, Taminos Ohnmächtigwerden vor der ihn verfolgenden Schlange darf nicht zu realistisch sein, sondern muß im Rahmen der heitern Märchenhandlung bleiben, und so überall! Aber auch auf die Phantasie des Zuhörers ist Rücksicht zu nehmen; sie ist dankbarer, wenn sie zur Mittätigkeit angeregt, als wenn sie vergewaltigt wird. Auch nicht an Naturtreue darf man zuviel tun wollen. Es gibt eine Grenze für die Naturtreue des Ausdrucks; sie wird jeweils vom Zeitgeist bestimmt und ist beträchtlichen Veränderungen unterworfen. Um 1900, in der Zeit des Realismus, Naturalismus und Verismus, wurde bedeutend mehr Naturtreue vertragen als 30 Jahre früher oder später. Überschreitet der Ausdruck diese vom Zeitgeschmack bestimmte Grenze, so wird der Zuhörer vom Übermaß des Ausdrucks keineswegs mehr gepackt, sondern stellt sich geradeswegs ablehnend ein. Mit dieser Erscheinung wird nicht genügend gerechnet; auf ihre Rechnung aber ist 8*
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so mancher Mißerfolg trotz heißem Bemühen gerade bei Hochbegabten zu setzen. Es ist früher (S. 7) gesagt worden, wie sich die in Schriftund Notenzeichen niedergelegte „Energeia" (W. v. Humboldt) der Schaffenswille im Stimmkünstler durch einen großartigen Schöpfungsakt zum „Ergon", zur eigentlichen Schaffung verwirklicht. Dieser Vorgang ist jeweils einmalig. Ganz abgesehen davon, daß keine Stimme, keine körperliche Beschaffenheit überhaupt einer allzuhäufigen Wiederholung des Sturmes höchster Hingegebenheit gewachsen sein könnte, ist das beruhigtere Wiederbeschreiten der einmal genommenen Bahn für den Künstler deshalb bedeutungsvoll, weil er auf dieser Entwicklungsstufe erst seine Leistung von den Schlacken störender Zufälligkeiten befreien, also vervollkommnen und schließlich in sich vollenden kann. In diesem Zeitabschnitt, dessen Losung „Arbeit" lautet, tritt ein Neues hervor, das zu jeder Darbietung unserer Kunst gehört, das sie eigentlich erst ermöglicht und ohne das sie schließlich undenkbar wäre: das stete, unbeirrbare, keinen Augenblick auslassende Sichselbstbeobachten von einem über dem übrigen Selbst stehenden Punkte aus. Man muß zugleich ganz in der Situation und doch auch völlig über ihr stehen; dazu gehört nicht mehr und nicht weniger als die zielbewußte Ausbildung der Fähigkeit, bei sich selbst auf inneren Befehl jederzeit etwas herbeizuführen, ähnlich dem, was die Psychiatrie „Schizophrenie", d. i. Spaltung der Persönlichkeit, nennt. Nur wer die Fähigkeit zur Persönlichkeitsspaltung hat (die sich vervollkommnen, nicht aber erlernen läßt, also auch eine Grenze bezeichnet), kann mit Erfolg Stimmkünstler sein und er muß es dazu bringen, mit dieser nicht ungefährlichen Gabe unumschränkt umzugehen, gleichsam harmlos mit ihr zu spielen, als ob nichts daran wäre. In der immer wiederkehrenden Notwendigkeit, sein Wesen zu spalten, liegt das eigentlich Anstrengende, ja Aufreibende des Stimmkünstlerberufes und hiermit gewinnen wir auch den Schlüssel zum Verständnis und zur Erkenntnis dessen, was als L a m p e n f i e b e r bekannt ist. Lampenfieber ist weder Angst noch gewöhnliche Aufregung — das Lampenfieber des echten Künstlers ist nichts anderes 116
als der tiefe Erregungszustand, unter dem sich die Spaltung seines Ichs vollzieht. Die E i n m a l i g k e i t des Schöpfungsaktes beim verwirklichenden Künstler, der zu Unrecht der nachschaffende, reproduzierende genannt wird, ist nicht so zu verstehen, als ob damit gemeint wäre, jeder Stimmkünstler könne jedes Kunstwerk nur einmal in seinem Leben dergestalt aus sich verwirklichen. Die gleiche Bahnung ist vielmehr nur solange gültig, als die inneren Voraussetzungen annähernd die gleichen bleiben. So oft der Künstler eine Wandlung durchgemacht hat, sind damit die Vorbedingungen für eine neue und andere Verwirklichung des gleichen Kunstwerks geschaffen. Täglich neu beweist die Praxis die Richtigkeit dieser Behauptung und es ergibt sich daraus die weitere Folgerung, daß es in die Hand des entwicklungsfähigen und wandlungsbereiten Künstlers gegeben ist, die ihm eigentümliche Gestaltung eines Kunstwerks, „seine Auffassung" davon nicht überaltern zu lassen. Was hieran dem echten Künstler tröstlich ist, zeigt zugleich die Hoffnungslosigkeit des Nachahmertums auf. Daß Singen und Sprechen funktionell nichts Verschiedenes ist, wurde bereits früher nachgewiesen. Wie kommt es aber, daß gute Sprecher beinahe nie brauchbare Sänger abgeben und umgekehrt, daß die „Prosa" manches namhaften Opernsängers berüchtigt ist ? Auch unter denen, die die Vereinigung versuchen, den Opernsängern und Vertretern der zugespitzten Kleinkunst, findet selten einer die Brücke. Wohl ist das Sprechen in der Regel mit Tongeben verbunden, aber daß es auch ohne Ton bestehen kann, erweist sich ja am Flüstersprechen. Des Tones Schwinge ist also hier nur Mittel zu dem Zweck, den Wirkungskreis des Gesprochenen zu erweitern und seine Wirkungsart zu steigern. Und auf der anderen Seite: wohl erfolgt das Singen in der Regel auf Worten; daß es aber auch ohne Worte bestehen kann, erweist sich am Summen, am Jodeln, an mancher Stelle im Koloraturgesang. Die Sprache wird hier also nur richtungweisend nach Bezirken, in die selbst vorzudringen ihr nicht voll gegeben ist. Indem sie so aber nur die Richtung weist und durch ihr Aufgehen im Gesang erst gänzlich von ihrem Stofflichen und Begrifflichen erlöst wird, steigert sie wieder die Wirkungsart des Gesungenen ungemein 117
und fugt dem gesangmelodischen Gange den sprachmelodsichen hin2u. Der Sprache bleibt ein unbestrittenes Besitzrecht, die Wirklichkeit des gesprochenen Wortes, dem Gesang hingegen aus früher erörterten Gründen die in einem höheren als begrifflichen Sinne unmittelbare Eindringlichkeit. Sprechen und Singen, funktionell voneinander nicht verschieden, behaupten als Kunstäußerungen jede ihr Sonderwesen derart, daß es müßig wäre, dem einen die eigenen Nachteile und die Vorteile des andern vergleichsweise vorzuhalten, ein müßiges Beginnen für den Hörer und für ihn allenfalls noch eine Sache des von seiner Eigenart abhängigen Geschmacks, für den Künstler eine Angelegenheit seiner Sonderbegabung. Wie der Satz (und nicht das Wort) die eigentliche sprachliche Einheit darstellt, so ist gleichlaufend erst die melodischgeschlossene Tonfolge, die W e i s e (und nicht der Ton) die gesangliche bzw. musikalische Einheit. Daher ist es ein Unding, Stimmbildung nur als Tonbildung zu betreiben, wie es von engstirnigen Tonfanatikern oft genug geschieht, ebensosehr wie es ein Unding ist, dem werdenden Sänger überwiegend musikalische Anweisungen zu geben, ohne für die Bildung und Entwicklung der Stimme Sorge zu tragen. Die alten Meister, die nicht bloß unterrichteten, sondern selbst Sänger und Komponisten waren — ich erinnere an Porpora der Josef Hajdns Kompositionslehrer war und auch den berühmtesten aller Kastratensänger, Farinelli, ausgebildet hat — die alten Meister hatten schon recht damit, daß sie ihre noch nicht sehr hoch entwickelten, aber auf guter praktischer Erfahrung und Überlieferung beruhenden Stimmbildungskenntnisse mit Vortragsregeln zu unlöslicher Einheit verbanden; es ist die Tragik der an sich um den Fortschritt der Gesangskunst verdienten Tonfanatiker, daß sie, um die Oberflächlichkeit ihrer Gegenspieler zu überwinden, in den entgegengesetzten, aber deshalb nicht minder schlimmen Fehler verfielen. — Das deutsche Ideal der Gesangausbildung ist die nie abreißende Verbindung von Tonbildung, Bildung der gesangmusikalischen Linie, Aussprachebildung, wobei alle drei zusammen den beseelten Gesangsausdruck und -Vortrag im Dienste des Kunstwerks fördern sollen. 118
Da die Tonfolge und nicht der Ton die gesangliche Einheit bildet, soll man im allgemeinen nicht den einzelnen Ton, sondern die Phrase crescendieren und decrescendieren. In der Regel wird der Höhepunkt der Tonfolge ziemlich mit ihrem höchsten Ton zusammenfallen, doch kommt es bei tief herabsteigenden Phrasen auch manchmal zu einer Art von Spiegelbildwirkung, so daß in die Tiefe zu crescendieren ist; umgekehrt gibt es auch, wie im Sprechen gelegentlich ein Hervorheben durch Leiserwerden vorkommt, ein musikalisches Nachoben-steigern ins Piano hinein. Die Anklinger, Rauscher und Sprenger sind in der Singaussprache so rasch als irgend möglich, zugleich aber deutlich auszusprechen, um den melodischen Fluß nicht zu stören. Beispiel: ir
Dies Bild - nis ist Die — sBi — Idni — s-i
be - zau - bernd schön stbe — za — übe—rnd schön
Die Sperrklinger sind wirklich zum Klingen zu bringen als Mitbestandteil der melodischen Linie, aber kurz und unauffällig. Den Sperrklingern kommt wesentliche Bedeutung zu für das Binden und Fortspinnen der Töne untereinander, das „filare il tuono"; außerdem vermitteln sie dem Hörer den Eindruck des Nachhalles im Sänger selbst (auch im Sprecher) und lassen die Stärke der Stimme nie als trocken empfinden. Aber auch im Portamento spielen sie eine bedeutende Rolle. Das kleine Portamento ist, wenn ein Sperrklinger zur Verfügung steht, auf diesem und nicht auf dem Freiklinger (Vokal) auszuführen.
$
in
Holde Aida,
him
-
mel
A j i — — - f ^ — • f e 2 — J « — f — Duft
und
-
ent - stam -
_
r Strah - len
mend,
PP • zaub'tisch
119
Wir haben nämlich von Garcia außer dem gewöhnlichen kleinen Portamento (demiport de voix) auch noch ein großes (port de voix):
Bf m I und
r E i H =gi| ich
soll
-
- ben
Bei diesem wird die Stimme unter lebhaftem Vibrieren auf dem Freiklinger hinauf oder, wie im obigen Beispiel, auf dem Vokal e hinuntergeschraubt, wobei der Sänger die Schraubung deutlich in der Kehle (nicht aber als steigenden oder fallenden Kehlkopf) fühlt. Dies große Portamento ist bei äußerst sparsamem Gebrauch von überraschender Wirkungskraft, bei Vielgebrauch hingegen sich rasch abstumpfend und Überdruß im Hörer erweckend. Das Portamento ist nur dann geschmackvoll ausgeführt, wenn es leiser ist als die zwei angrenzenden Töne; diese Regel gilt für beide Portamenti. Mit Nichtklingern (Rauschern) kann das Portamento ebenfalls auf doppelte Art verbunden werden: I Ich
-
komm
läßt sich ausführen :-
—J' • J Ich
•3.
komm
oder Ich
Ï
,—/Pt
komm
Welche von beiden Ausführungsarten passender ist, hängt von der Gesamtlage und dem persönlichen Geschmack des Sängers ab; stets aber ist es wichtig, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, sich zu entscheiden und Gewähltes festzuhalten. Wann ein einzelner Ton zu crescendieren oder zu decrescendieren ist, ist das niemals gleitend, sondern stufenweise auszuführen:
Nur so ist es möglich, Dauer und Verteilung zuverlässig richtig zu berechnen. Über der messa di voce, dem Schwell- und Abschwellton 120
soll die Anwendung ihres Widerspiels:
der esclamazione nicht vergessen werden! Die Exklamation ist ein eben so schönes und wirkungsvolles Mittel des gesanglichen Vortrages wie der Schwellton, eine Bereicherung der Vortragsmittel und zu Unrecht vernachlässigt. Ebenso zu Unrecht vernachlässigt ist die B e b u n g (unbewußt und fortlaufend angewendet meist nur von denen, die statt melodischer Linien Einzeltöne singen). Ihre Schreibung wird oft als Stakkato mißverstanden, z. B. in der Nilarie der Aida:
m fi
j
-Die richtigeAusführungist: A - zur - nc
o
O
Bläu -
C CC
A
- zur - ne
-
M Bläu
Die Bebung in ihrer äußersten Anwendungsform ist der Bebetriller der Alten, der dem heutigen Empfinden nicht mehr genügt und infolgedessen nur mehr geschichtlichen Wert hat. Die Trillerschlußschleife, sowie alle anderen schnellen Verzierungen, die eigentlichen Sangesgeschmeide („tesori del canto"): Pralltriller, einfache Vorschläge hinauf und hinunter, Doppelschläge u. dgl. sind niemals eigentlich gebunden (legato) auszuführen, weil sie auf die Entfernung bei ihrer Schnelligkeit sonst verwischt oder wie gleitende Giekser klingen würden, sondern von Frauenstimmen in stakkatoartigem Perlen, von Männerstimmen mit winzigem, aber scharfem h zwischen den einzelnen Tönen zu bringen. Hingegen sind Läufe und wuchtigere Koloraturen grundsätzlich legato-rollend zu üben (und nicht etwa mit zwischengeschobenem h), dabei mit kleiner, an Atemströmung äußerst sparsamer Stimmgebung, der sog. voce pinta. 121
Das falsetto di petto, das Brustfalsett ist damit nicht zu verwechseln; das gilt für die Höhenlage und ist eine italienische Gleichbezeichnung (Synonym) für die voix mixte, die Mischstimme, nur ein weniger glücklich gewählter Ausdruck. voce piena gleich volle Stimme, voce pinta gleich halbe Stimme, sotto voce gleich mit gedämpfter Stimme (mit voriger nicht zu verwechseln I).
Nur die Koloratur-(Soubretten-)stimmen bilden eine Ausnahme, denn ihnen mißlingt ein von Anbeginn gebunden geübter Lauf fast regelmäßig; geht man hingegen vom flötenden Stakkato aus, dessen Töne mehr und mehr den Zeitraum füllend und dessen Absatzzwischenräume enger und enger, schließlich mikroskopisch eng vorgestellt werden, so kommt endlich ein zwar nicht sehr kräftiges, aber prächtig perlendes, für diese Stimmgattung bezeichnendes Halblegato zutage. Mit diesem kleinen, fast spitzigen Halblegato, das vereinzelt auch Vertretern anderer Stimmgattungen gegeben ist, erzielen Koloraturstimmen auch die schnellsten, geradezu jagenden Läufe in vorbildlicher Deutlichkeit. Der weit überwiegenden Mehrzahl der Nicht-Koloraturstimmen aber ist das geschilderte Halblegato nicht verliehen und es hat durchaus keinen Zweck, es durch verbissenen Fleiß erüben zu wollen; daß dort ein auf diese Weise gesuchtes, wirklich schnelles Tempo unerreichbar bleibt, gehört zu den von der Natur gesteckten Grenzen der Stimmausbildung. Alle bezeichneten Stimmen wären also davon ausgeschlossen, große Geläufigkeit hervorzubringen, wenn es dort einen möglichen Weg nicht gäbe, dem ich — aus in der Schilderung einleuchtendem Grunde — den Namen G l e i t l a u f v e r f a h r e n (Glissando-Technik) gegeben habe. Das Sing-Glissando beruht auf der Fähigkeit jeder Gesangstimme, in jedem gewollten Zeitmaß von einem Ton zu einem zweiten durch Spannungszu- oder -abnahme sirenenartig hinaufoder hinunterzugleiten. Tritt dazu die Bebung, so wird das Gleiten jedesmal unterbrochen, um sofort wieder fortgesetzt zu werden; die Bebung ist in einem ziemlich dem Willen unterworfenem, auch außerordentlich raschem Zeitmaße möglich. Umfaßt z. B. ein Lauf 8 Töne und das Glissando zwischen seinen Endpunkten ist von 7 Bebungen unterbrochen, so entsteht bei entsprechend raschem Tempo für den Hörer der 122
Eindruck eines fehlerfrei gesungenen Laufes. Auf den Eindruck aber kommt es schließlich an in derlei Dingen, mag auch, genau genommen, ein ungelöster Rest bleiben: das bezeugt nicht nur im Kleinsten das Trillerverfahren, das bezeugt im ganz Großen die geltende „temperierte — gleichschwebende Stimmung". Die Glissando-Technik ist übrigens nicht nur auf Läufe, sondern auch auf verschränktere, stark zusammengesetzte Geläufigkeitsformen, insbesondere auf gebrochene Akkorde bei einiger Übung mühelos anwendbar. Es hat ebensowenig Zweck, das Verfahren bis zur Bewußtlosigkeit zu üben, wie es unsinnig wäre, es auf Koloraturen anwenden zu wollen, die langsam genug gehen, daß man sie mit gewöhnlicher Singweise bewältigen kann. Ganz abgesehen davon, daß eine verlangsamte Glissando-Technik beim Hörer den gewollten Eindruck verfehlen würde, sei nie vergessen, daß sie immerhin zu den anstrengenderen Stimmbetätigungen gehört. Wenn je für eine Kunst, so gilt für die Stimmkunst die Regel, daß sie vom Kontrast lebt. Daß die Kontrastwirkungen jedoch vom Geschmack gebändigt sein müssen, ist eine Grundforderung der künstlerischen Stilistik. Damit ist man allerdings bereits nahezu am Ende der lehrbaren Weisheit angelangt, denn weder läßt sich Geschmack beibringen, wo er von Natur aus fehlt (es läßt sich nur eine vorhandene Anlage dafür entwickln und verfeinern), noch schickt eines sich für alle, geschweige denn für alle Zeiten. In der Achtung vor der künstlerischen Freiheit liegt wohl die wichtigste Grenze des künstlerisch Lehrbaren, denn wann immer eine kostbare Tradition abriß und in ihrer Blüte zugrunde ging, geschah es in der berechtigten Auflehnung der Jugend gegen die selbstgefällige Verletzung oder Übertretung dieser Grenze durch die bis dahin allmächtige ältere Generation. Ebenso wechseln die StilAuffassungen und werden immer wechseln mit den Zeiten und mit den Künstlern, die geschichtlich Gewordenes von neuem lebendig machen. Deshalb empfiehlt sich Sparsamkeit im Erteilen und Vorsicht im Befolgen von Stilvorschriften. Die Kontrastwirkung beruht vor allem auf dem Wechsel im Zeitmaß. Im großen gesehen ist für den Gesangkünstler das Zeitmaß durch die Komposition vorgezeichnet und eine 123
gute Komposition wird die Linie der Textverständlichkeit von sich aus nicht notwendig übertreten — weder nach der Seite der Überbeschleunigung noch der Langsamkeitsverzerrung hin. Der Zeitmaßbegriff des verwirklichenden Künstlers ist nicht metronomisch unbedingt feststehend, sondern nur verhältnismäßig und gebunden an den Herztakt, d. h. sein Tempo steht in einem festen Verhältnis zu seinem Puls, mit dem zugleich es sich verlangsamt und beschleunigt. Da das Zeitmaß also etwas immerhin Wandelbares ist, muß bei der Temponahme vom Stimmkünstler darauf geachtet werden, daß sie sich nach keiner Richtung vom Sprachgebräuchlichen bis zu zwangsläufiger Unverständlichkeit entferne. Die Farbensattheit einer gewissen Verlangsamung ist ebenso unbestreitbar wie der aufstachelnde Reiz einer gewissen Beschleunigung; worauf es ankommt, ist, die Grenze zu kennen. Wer sie überschreitet, ist ein schlechter Sänger oder Sprecher — wer den Sänger oder Sprecher zwingt, sie zu überschreiten, ist ein schlechter Aufführungsleiter. Bekanntlich äußert ein Kontrast sich u. a. auch in der Wechselwirkung der verschiedenen Grade des Laut- und LeiseSingens. Da gilt es manche falschen Vorstellungen zu bekämpfen, die sich besonders beim Piano erfahrungsgemäß immer einzuschleichen drohen. Pianosingen heißt nicht Mundzuklappen; wohl mögen sich die Lippen etwas verengen, aber die Zähne haben den gleichen Abstand zu wahren wie beim forte. Pianosingen heißt aber auch weder Hellerwerden noch Langsamerwerden. Übrigens singen viele auch, wenn man ihnen sagt, sie seien zu tief, statt höher einfach heller und glauben, damit den Fehler beseitigt zu haben. Auch diesen Selbstbetrug zu beseitigen, erfordert oft nicht wenig Geduld. Die Verbindungsreihen hoch — hell, tief — dunkel gehören zur kindlichen Vorstellungswelt; jeder Erwachsene hat seine „Überreste aus der kindlichen Vorstellungsweise", die sich zumeist durch besondere Zähigkeit auszeichnen. Praktisch genommen gibt es weder große noch kleine Stimmen, sondern nur solche, die im Räume tragen, und solche, die nicht tragen (über die Erziehung zur Tragfähigkeit s. S. 48 u. 49). Es gibt wohl stärkeres und schwächeres, strahlenderes und gedämpfteres Singen, aber an der Vernehmbarkeit, am „Raum124
füllen" ändert das bei gutem Tonsitz nichts. Stärkebemühen, Schreien, Brüllen ist Nervosität und ein Stückchen Torheit dazu, denn Überanstrengung schafft nicht Überkraft und kein Organ gibt mehr her, als es hat. Gewertet (oder meinetwegen bezahlt) wird übrigens doch nur der Wohlklang, nie die Anstrengung — und Überanstrengung untergräbt den Wohlklang. Hinzu kommt, daß ein geschriener Ton meist auch unrein klingt, ohne daß man sagen könnte, ob er zu hoch oder zu tief ist; er ist mißtönig wie eine gesprungene Glocke. Da es einzig auf Wohlklang ankommt, hüte man sich auch davor, die hohen Töne ohrenbetäubend herauszuschmettern. Gewiß ist die Melodie im Aufschwung ihren Höhepunkten zustrebend zu gestalten, nie sinnwidrig kalt und nüchtern, sondern mit der Spannung geladen, die sie verlangt, aber auch erfüllt von Schönheit und Wärme. Außer den fest vorgeschriebenen und begrenzten Hochtönen gibt es auch nicht vorgeschriebene, sog. „eingelegte", die zudem meist mit einer verlängernden Fermate*) versehen werden. Wir Sänger hängen mit Recht instinktiv an diesen unsern kleinen Freiheiten (zu denen auch noch die Kadenzen gehören), denn sie stellen die letzten Reste der stolzen, hochentwickelten Diminuierungskunst dar, da der Sänger noch ein freier Ausgestalter des vom Komponisten gegebenen MelodieGerüstes war — einer Kunst, deren Übertreibung allerdings leider ihre fast völlige Beseitigung heraufbeschwor. Erhalten wir die uns kostbaren Reste, indem wir sie nie mißbrauchen, nie über die vom künstlerischen Gewissen gezogenen Grenzen hinausgehen. Ein rechter, ein geborener Melodiesänger — wer ist das ? i. Wer ein langes Stück auf einem einzigen Ton so schön und abwechslungsreich zu gestalten weiß, daß die Eintönigkeit einem überhaupt nicht zum Bewußtsein kommt und man eine herrliche Melodie gehört zu haben vermeint. *) Übrigens bedeutet das Fermatezeichen • nicht unbedingt eine TaktVerlängerung, es kann fallweise auch eine Verkürzung anheimstellen wollen; besonders gilt dies allerdings für ganztaktige Pausen.
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2. Wer so ohne Begleitung singt, daß man gar nicht auf den Gedanken kommt, eine Begleitung zu vermissen. Ausbildung ist allzuoft gleichbedeutend mit dem Verlust des Vermögens, unbegleitet zu singen. Jeder Sänger, der Außerordentliches erstrebt, pflege dies eifrig: Gesangbegleitung vermißt der Hörer dann nicht, wenn jeder Sington mit harmonischen Obertönen gesättigt ist — „harmonisch" nicht nur verstanden als schlechthin wohllautend, sondern als passend zum Gang des Singstückes. Das heißt man dann die rechte Tonfärbung, die den Hauptbestandteil des musikalischen Vortrages bildet. Wo sonst alles schon singgerecht ist, wird die Melodiebildung oft noch gefährdet 1. durch gewohnheitsmäßiges Abschluchzen vor Schlußkonsonanten, das als Unmanier auszurotten ist. Es entsteht, indem an Stelle des „Pochens in der Magengrube" am Anfang des Tones, der „Nachstoß" am Schluß des Tones ausgeführt wird (vgl. S. 30); 2. durch den unangebrachten Versuch des Sängers, die Wortendsilben fallen zu lassen. Der Sänger meint damit der Deutlichkeit der Textaussprache zu dienen — in Wirklichkeit beruht dies darauf, daß merkwürdigerweise Fehler, die sonst schon abgelegt sind, in den Endsilben sich am längsten halten, so daß diese den Entwicklungsgang der Stimme enthüllen, gleichsam ihre Chronik erzählen. Die Endsilben und Vorsilben sind als voll- und gleichberechtigt wie die Stammsilben der Melodie einzuordnen, jedoch ist ihr Vokal (meist e) nach der auf S. 173 u. f. gegebenen Vorschrift dem herrschenden Freiklinger der Hauptsilbe anzuähneln, womit auch der Plastik der Sprachmelodie gedient ist. Wird der Ton mächtiger, so soll die Aussprache schärfer werden; wird er schwächer, muß diese gleichzeitig zarter werden, ohne deshalb aber an Deutlichkeit zu verlieren. Ein Sprechsingen, d. h. das starre Wortaussprechen auf vorgeschriebener Tonhöhe, wie es eine, deutsches Singen 126
mißverstehende, heute nur mehr der Geschichte angehörende Richtung einzuführen versucht hat, bedeutet ebensowenig wie jeder andere Übergang vom Singen zum Sprechen ein Steigern, sondern allemal ein Sinken des Stimmungsgehaltes. Einzig das plastischere Herausheben eines Begriffes, auch „Tonwerfen" genannt, vermag, in sparsamen Grenzen angewendet, gelegentlich eine ungeahnte Steigerung hervorzuzaubern. Rezitative, sowie andere Parlando-Stellen bereiten gerade guten Melodiesängern oft rechte Schwierigkeiten, weil der melodische Gehalt so gering ist. Um darüber leichter hinwegzukommen, hilft am besten irgendeine Phantasieanregung; so empfiehlt man z. B. Rezitative zu singen, wie man Kindern Märchen erzählt. — In den Werken der Vorklassik und Klassik spielt der Vorhalt besonders in den Rezitativen eine Rolle. Wir begeben uns damit auf heute von Praktikern und Theoretikern heiß umstrittenen Boden. Wir Sänger haben kaum Anlaß, an diesem Streite teilzunehmen, und wollen uns deshalb gegen Machtgebote nicht auflehnen. Wo wir aber die freie Entschließung haben, seien folgende Regeln empfohlen: 1. steigt die melodische Linie, so wird kein Vorhalt gemacht; 2. fällt sie, dann wird der Vorhalt gemacht; 3. Ausnahmen sind gestattet, aber nur mit innerer Begründung. Beispiele:
%
Und
er
er - hob
sei - ne Stim - me 3*)
ms
1) x
und sprach al - so: 3b)
r c c ^ »r J*i j-j * ^ J elf r 'jH Sie - he, der
Hei - land ist kom-men
und will dich ret-ten.
Bei Beispiel 1 fällt der Vorhalt weg, bei 2 wird er aber gesungen (das liegende Kreuz ist das gebräuchliche Vorhaltzeichen); Ausführung:
ret- - ten.
127
3a: trotz absteigender Linie ist der Vorhalt weggelassen, um die völlige Gewißheit auszudrücken, daß der Heiland gekommen ist; der Vorhalt auf „ f i s " würde weichlich und weniger überzeugend klingen. Beispiel j b : trotz aufsteigender Linie mit Vorhalt; daß er hier beabsichtigt ist, zeigen die folgenden Akkorde (unterstrichen). Die Alten schrieben so, um das Notenbild von Dissonanzen reinzuhalten. In jedem Falle ist bei der Ausführung auf gleichlaufend geführte instrumentale Begleitstimmen und auf die harmonische Anlage der Stelle zu achten; aus beiden geht oft eindeutig die Absicht des Komponisten hervor.
Der geschriebene Vorhalt J oder J^ oder j ) ist nicht zu verwechseln mit dem V o r s c h l a g ; oft genug sind Vorhalt und Vorschlag schon durch die Ungenauigkeit der Abschreiber vertauscht überliefert worden und deshalb kann nur dringend angeraten werden, stets die besten kritischen Ausgaben fürs Studium zu benutzen. Die Ausführung des geschriebenen Vorhalts, z. B. in der Agathen-Arien:
schwing dich auf
auf
zum
Ster -
zum Ster - nen
.
-
nen kreise
krei
Hierbei wird die klein geschriebene Note auf dem stärkeren Taktteil in gleichem Zeitwert wie die großgeschriebene gesungen; betont aber wird die großgeschriebene Note. Bei Schubertfindetsich fast in jedem Lied eine Stelle wie diese r f f r — , . Ift E C— c Ich
weiß
nicht,
wie
- J H
frr-f—fi— J ^¡H —
mir
wur
J
-
de . . .
Nach der von Michael Vogl, Schuberts erstem Sänger, unter Vermittlung von Anton Eduard Schubert über Feldmarschallleutnant Hai-Finger, den Sohn der berühmten Burgschauspielerin Amalia Hai-Finger zum Kammersänger Gustav Walter führenden Tradition, die Walter mir in Wiens Operngasse 1906 überlieferte, ist dieser Vorhalt stets so auszuführen: 128
n
c
Ich weiß nicht, wie
J
i
mir
wur - de . . .
also die kleine Note an Stelle der großen mit deutlichem Portamento zur nächsten Note (auch bei „geschwindem" Zeitmaß, Schuberts Lieblings-Tempobezeichnung). W e r k t r e u e , wie sie vorstehend gefordert und herbeizuführen versucht wird, ist gleichbedeutend zu nehmen mit Treue gegenüber dem tiefsten Gestaltungswillen des Werkschöpfers. Bekanntlich stimmt nun nicht immer die Textleseart des Komponisten mit der Urleseart des Dichters überein. Für den Sänger soll der Wille des Komponisten vor den des Dichters gehen. Diese Regel ist aber nicht äußerlich und allein dem Buchstaben nach zu verstehen. Es ist ein Unterschied dazwischen, ob ein Komponist im Dienste der Musik Dichterworte umstellt und vielleicht ändert oder ob er sich einmal irrt. Schließlich ist auch ein Komponist ein Mensch, hat das Recht sich zu irren, aber andere Menschen haben nicht das Recht, ihn einen kleinen Irrtum entgelten zu lassen durch dessen Verewigung — noch gar unter dem Vorgeben, mit dergleichen dem Komponisten treu zu dienen. Wenn z. B. Schubert im „Wanderer" „meine Freunde wandelnd gehn" läßt statt gedichttreu „meine Träume wandeln gehn", so gilt die Lesart des Dichters, da in Schuberts Niederschrift offenbar ein durch die eu-Klanggleichheit gestützter Irrtum vorliegt. Wie aber bei Wagner, der doch sein eigener Textdichter gewesen ist und bei dem trotzdem ziemlich häufig Buch- und Partiturlesarten nicht übereinstimmen ? Hier haben die von Ejnar Forchhammer aufgestellten Thesen Gültigkeit: 1. Diejenige Variante, die die poetische Absicht des Meisters am reinsten zum Ausdruck bringt, ist die richtige (Parsival: „Vom Forst die rauhen Adler zu verscheuchen", wie es im Buchtext steht, ist vorzuziehen dem im Partiturtext stehenden Worte „wilden"); 2. diejenige Variante, die in den äußern Bau der Dichtung am besten hineinpaßt (Stabreimsystem) ist wahrscheinlich die richtige (Alberich: „Daß die feinste Klintze dich Boruttau, Stimmkunst.
9
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fasse, Wo bang die Kröte sich birgt": diese Fassung im Partiturtext ist besser als im Buchtext „die engste Klintze") 3. wenn eine Variante durch unmittelbare Wiederholung vorhergehender Ausdrücke oder Wendungen entstanden ist, ist sie wahrscheinlich falsch (Waldvogel: „Wollt er den Tarnhelm gewinnen, Der taugt ihm zu wonniger Tat: Doch möcht er den Ring sich erraten, Der macht ihn zum Walter der Welt I" ist richtig, und wie es in der Götterdämmerung-Partitur steht „Doch wollt er den Ring sich gewinnen" ist falsch). 4. Wenn eine Variante einen sinnfälligen Ausdruck durch einen alltäglichen ersetzt, ist sie falsch (König Marke: „Dies wunderhehre Weib" im Buchtext ist richtig, das „wundervolle" des Partiturtextes falsch). Diese Thesen sollen ebenso bei jedem andern Dichterkomponisten, wie überhaupt in jedem gleichlaufenden Falle angewendet werden. Das Textverändern von Sängers Gnaden, etwa um günstigere Singlaute zu gewinnen, ist Urtexten gegenüber grundsätzlich zu verwerfen, ebenso bei Übersetzungen von Wert, also wirklichen Nachdichtungen. (Die Verdi-Texte von Werfel können nicht als solche angesehen werden.) Textfabrikaten, Machwerken gegenüber hat der Sänger natürlicherweise angemessene Freiheit; die Grenze liegt hier beim Form- oder Sinnentstellenden, manchmal auch beim unangebracht Lächerlichen. (Eine beliebte Bühnenschnurre weiß von einem stimmfreudigen Grafen Luna im „Troubadour" zu erzählen, der statt „Alle treffe euch mein Fluch" gar so gerne hat singen wollen „Alle treffe euch der Schlag 1") Auch Veränderungen zwecks leichteren Atemschöpfens müssen schon ganz besonders begründet sein, um statthaft zu erscheinen. Die Forderung nach gut singbaren Texten, nach musikalischerer Formving derselben ist an die Dichter nicht nur von 130
den Sängern dauernd erhoben worden. Kein Geringerer als Josef Haydn hat sich sehr deutlich darüber beschwert, daß „unsere deutschen Dichter nicht musikalisch genug dichten und daß sie nicht sorgfaltig genug in der Auswahl der Vokale" seien. Freilich stand Haydn dabei völlig über dem seit Jahrhunderten hin und herwogenden Streit der Meinungen über den Gesang: Hier Melodie — da Text, am sinnfälligsten verkörpert im Kampf zwischen Gesangoper und Musikdrama, aber auch im Lied, Ballade und Oratorium zum Ausdruck kommend; spricht doch z. B .Johann Abraham Peter Schult^ (1747 bis 1800), selbst ein über den Durchschnitt ragender Liederkomponist, die Meinung aus, es sei „der Endzweck des Liederkomponisten, gute Liedertexte allgemein bekannt zu machen; nicht seine Melodien, sondern d u r c h sie sollen bloß die Worte des guten Liederdichters leichteren Eingang zum Gedächtnis und zum Herzen finden". Den Sänger soll sein Gefühl mehr auf die Gegenseite, die rein musikbesessene ziehen; denn nur der ist ein zum Singen Geborener, der bei aller Beachtung der Aussprache das Wort einzig aus der Musik zurückzuempfangen geneigt ist. Im Widerstreit zwischen den strömenden Kräften der Musik und dem logischen Gefüge der Dichtung auch den letzten Rest aufzulösen, gelingt verhältnismäßig nur selten — nur den Großen, unter ihnen voran Bach. Nichts falscher, als ihn für einen engen Nur-Musiker ansprechen zu wollen I Man beachte doch, wie seine Gesangsthemen stets höchst ausdrucksvoll eine zu den Textworten passende Geste nachzuzeichnen scheinen und wie der Textgehalt instrumental symbolisiert wird, und man wird immer wieder freudig betroffen die Urgewalt dieser musikalischen Motorik anstaunen. Freilich, will um Bach geworben sein, er muß redlich verdient werden. Auch Verdi ist in seinen späteren Werken (selbstverständlich kommt dies nur im italienischen Urtext voll zum Ausdruck) diesen ganz Großen zuzuzählen. Schade nur, daß er stes die naturgegebene Spannweite der von ihm bezeichneten Stimmgattung, besonders nach der Höhe zu überschreitet, worauf schon Rokitansky („Über Sänger und Singen", 1891) mit Recht hingewiesen hat. Daß Verdis Partien trotzdem überhaupt gesungen werden können, ist das Verdienst seiner unvergleich9*
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Ilch für die Singstimme empfundenen Melodiebildung und et erreicht ja mit dieser Gabe und der Überspannung auch äußerliche, bis dahin unerhörte Wirkungen. Trotzdem aber muß gerechterweise festgestellt werden, daß bei ihm öfters zwei Stellen, die beide in derselben Partie stehen, ganz verschiedene Stimmen zu erfordern scheinen. Auch von den besten Sängern in ihrer besten Lebenszeit sind so manche Verdi-Stellen noch nie nach Vorschrift gebracht worden. Kein Wunder, daß dem Maestro niemals ein Sänger völlig zu Dank gesungen hat. Schauspieler- und Sängerberuf haben neben der Bühne und ihren Gegebenheiten insbesondere zweierlei gemein: den Einsatz der eigenen äußeren Erscheinung zum Zweck der Darstellung und den Gebrauch der Sprache zum Zweck des Vortrages. Es kann nicht oft genug hervorgehoben werden, daß die Anwendung beider Gemeinsamkeiten für Sänger und Schauspieler aber grundverschieden ist. Beide haben von streng unterschiedenen Voraussetzungen auszugehen. Weil sie dies nicht beachten, haben immer wieder Schauspieler Mißerfolg, die versuchen Sänger zu sein, und ebenso Sänger, die versuchen Schauspieler zu sein. Wie das schlechte Dialogsprechen von Sängern und die Singerei von Schauspielern berüchtigt sind, so passen jähe Bewegungen der Schauspieler nicht in die Oper und verlängerte, gerundete Gebärden der Opernsänger nicht ins Schauspiel; selten gelingt die vollendete Vereinigung. Wieder eine andere, nur ihm eigentümliche Anwendung der gleichen Gemeinsamkeiten erfordert der Tonfilm. Im Rahmen stimmkünstlerischer Betrachtung muß insbesondere erörtert werden, was den Gesangvortrag außer allem früher Gesagten und den ohne weiteres auffälligen Verschiedenheiten noch grundlegend vom Sprechvortrag unterscheidet. Der Bezirk des ursprünglich gesanggegebenen Vortrags ist enger und weniger mannigfaltig als der des Sprechvortrages. In manchen, aber lange nicht in allen Ausdrucksbezirken ist zugleich ein natürlich dahinströmendes Singen von vornherein möglich. Was über die urtümliche Singbarkeit oder Singgerechtheit hinausgeht, bedarf der Stilisierung. Weil es aussichtslos wäre, in allen Fällen den echten, unmittelbaren Aus132
druck zu geben und zugleich wohlklingend zu singen, wird eine kunstgerechte Mischung gebraut dergestalt, daß beim Zuhörer der Eindruck des vom Sänger gewollten Ausdrucks entsteht; es wird also (um ein Beispiel aus der Malkunst heranzuziehen) der Eindruck des Grünen durch die Mischung aus Blau und Gelb erzeugt. Die Befähigung, solche Mischungen überzeugend herzustellen, läßt sich nicht erlernen, sondern nur entwickeln, muß also ursprünglich bereits vorhanden sein. Auf solcher Stilisierung aber beruhen zum Teil die erhöhten Ausdruckswirkungen des Gesanges, beruht das Außerordentliche der Sängerleistung im Bereich der Kunstübermittlung.
DER STIMMUNTERRICHT ist für den Sprecher genau so wichtig wie für den Sänger. Bloß auf Genauigkeit, Deutlichkeit und Geläufigkeit der Aussprache geschult, wird die Sprechstimme nicht nur unnötige Klangunebenheiten aufweisen, sondern auch bei Steigerungen versagen. Die deutsche Stimmbildung soll vom schlackigen Rohklang über den gereinigten Klang zum Edelklang geleiten. Des Sing- wie des Sprechklanges Wert ergibt sich 1. aus der dem einzelnen eigentümlichen K l a n g f a r b e (Timbre) — im wesentlichen vom Bau der Stimmwerkzeuge abhängig, jedoch durch möglichst günstige Einstellung der beweglichen Teile des Ansatzrohres veredelbar, nicht aber durch Schattierungen der Freiklingerfarben zu beeinflussen; 2. aus der raumfüllenden T r a g k r a f t — abhängig vom richtigen Verhältnis zwischen Atemleistung und Stimmlippenwiderstand sowie vom ungehemmten Mitklingen der Resonanzräume und vom Überwinden gegenseitiger Klangverzehrung (Interferenz) zwischen den Obertonreihen der Eigenklangfarben und der Freiklingerschattierungen; 3. aus dem inneren N a c h h a l l — vergleichbar der Wirkung des richtig gehobenen Klavierpedals; das feinste Ergebnis 133
richtiger Resonanzausnützung, selbst kaum wahrnehmbar, um so deutlicher werdend in seiner Wirkung, indem erst durch den Nachhall die letzte Flüssigkeit der Aussprache und das höchste Aufblühen der Kantilene ermöglicht werden; 4. aus der vollendeten Deutlichkeit, Sauberkeit und Einordnung der Frei- und auch Sperrklingeraussprache; 5. für Sänger aus der R e i n h e i t — bestimmt von der Kehle, nachgeprüft vom Ohr, obertongefärbt von der musikalischen Ausdrucksempfindung. Es gibt für die Stimmbildung nur ein Ziel, aber Wege zum Ziel gibt es so viele als es Stimmeigenarten gibt. Das aus dem Griechischen stammende Wort „Methode" bedeutet „Nachgang". Methode wäre also das Wiederbeschreiten eines einmal begangenen Weges deshalb, weil er in jenem einen Falle zum Erfolg geführt hat. Der eine Erfolg verbürgt aber keineswegs immer weitere Erfolge, weil eben jeder eigen veranlagt ist.
LIEBHABER ODER BERUFSKÜNSTLER ? Nichts ist kläglicher als ein Halbkünstler von Beruf. Der kleine Solist, der sich als Künstler fühlt, hat bestimmt nicht mehr Gage als der Chorist, auf dessen Handwerkertum sein Dünkel herabblickt, ist aber in Wirklichkeit weit schlechter gestellt, weil Standesrücksichten ihn zu größerem Aufwand nötigen und weil sein Einzelgängerwesen ihn schutzloser macht als den andern, den Gemeinschaftsmenschen. Nur überdurchschnittliche Anlage, verbunden mit eiserner Willens- und Arbeitskraft bietet für die Solistenlaufbahn Aussichten. Künstlerische Feinheit aber und hohe Bildung können nie die unmittelbare Naturanlage ersetzen. Die Begabung kann verschüttet sein und erst nach mühsamer Hebung zutage treten, aber Schatzheben ist kein Schatzhervorbringen im Sinne eines Wunders. Darum grenzt die Anmaßung pfuschender Irrlehrer, aus nichts etwas oder gar Hervorragendes machen zu wollen, geradezu an Versündigung am Schüler. 134
Nichts führt leichter zu Streitfällen mit Menschen der Praxis als eine bloß angelesene Überlegenheit. Feinheit des Geschmacks weist regelmäßig auf Eignung zum Kunstgenießen hin und läßt zuweilen auf einen gewissen Mangel an der künstlerischen Unbedenklichkeit schließen, die für die unmittelbare Stoßkraft so unentbehrlich ist. Der Künstler der Verwirklichung muß etwas Naturgewaltsames an sich haben, damit das fremde Auswendiggelernte wie Selbstersonnenes klingt und nicht wie genießerisch Einverleibtes. Vielleicht erklärt es sich aus ihrer größeren Naturnähe und -gebundenheit, daß Frauen sich leichter im Theaterberuf und seinen Abzweigungen (Podium, Film) zurechtfinden, sich weniger verlieren und innerlich nicht so erschöpfen, denn daß sie überhaupt mehr reproduktiv seien, ist ein Gemeinplatz. Eher läßt sich mit Recht behaupten, daß hinter jeder männlichen Schaffung die Frau als Anregung steht. Vorhin sind „verschüttete Anlagen" erwähnt worden. In der Tat sind hohe Begabungen öfters zunächst durch Schwerfälligkeit gekennzeichnet, während Halbtalente dank ihrer größeren Geschmeidigkeit sich verblüffend rasch vorwärtsführen lassen, um jedoch am entscheidenden Punkt nicht mehr weiter zu können. Mit Überraschungen muß da gerechnet werden: Ungeschicklichkeit ist ebensowenig wie Geschicklichkeit ein Beweis für hervorragende Befähigung, schließt sie aber auch nicht aus. Deshalb sind Versuche — bei sonstigem Vorhandensein allgemein günstiger Gegebenheiten — lieber länger auszudehnen als oberflächlich übereilt abzuschließen I Da Schallplatte, Funk und Film Vergleichsmöglichkeiten schaffen, die sich rasch verbreiten, werden die Anforderungen der hellhörig gewordenen Allgemeinheit an die Ausführung ebenso jäh wachsen, auch an kleinen und kleinsten Plätzen. Dann aber wird selbst für mittlere Begabungen kaum mehr Lebensraum sein, und deshalb ist es gut, über die im „Stimmschüler"-Stück(s. S. i39u.f.)zubesprechendenEignungenhinaus strenge geistige Voraussetzungen zu fordern, als da sind: rasche Auffassung, Konzentrationsfähigkeit, Gedächtniskraft, Geistesgegenwart, Beobachtungs- und Einfühlungsgabe, Kraft der Vorstellung und Gestaltung, Nachahmungstalent, Unmittelbarkeit des Wesens verbunden mit innerlichem, nicht wie Stroh-
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feuer verflackerndem Temperament, die Fähigkeit zur Persönlichkeitsspaltung (s. S. i i 6). In einer Rundfrage, „welche Eigenschaften sind notwendig, um Filmstar zu werden ?", lautete die preisgekrönte Antwort folgendermaßen: i. Persönlichkeit, 2. Begabung, 3. Schönheit, 4. Fachkenntnis, j. Ausdauer, 6. Anpassungsfähigkeit, 7. Geistige und sportliche Bildung. Zu dem allem aber muß schließlich das Vermögen kommen, Anteil zu erwecken, auf Entfernung zu wirken. Nur wer solche Fähigkeiten mitbringt und vollkommen gesund ist (schon Kurzsichtigkeit ist ein Hindernis), sollte Berufskünstler werden wollen. Wir Leute „vom Bau" sind gesucht, umworben, dennoch zuweilen einsam. Dessen sollen wir uns bewußt bleiben und den großen Tag erleben wollen, da Eitelkeit und äußerlicher Geltungsdrang uns verlassen haben, da wir reine Diener am Werke, wirkliche Priester unserer Kunst geworden sein werden und Ifflands Wort an uns wahr wird: „Daß der Schauspieler sich als Volkslehrer fühlt, ist nicht bloß die Parade der Innung, wodurch sie sich leere Titel aneignen oder gegen die Angriffe orthodoxer Geistlichen zu Felde ziehen will — es ist das innerlichste Standesgefühl, es ist Wahrheit."
DER STIMMBILDNER ist unentbehrlich, weil kein Mensch sich unter den gleichen Bedingungen hört, wie andere ihn hören. Der Lehrer soll der Mittler sein zwischen überliefertem Kulturgut und der heranreifenden Generation, zugleich aber auch zwischen dem schaffenden und dem verwirklichenden Künstler. Dient die Leistung des Stimmkünstlers der Verwirklichung des Kunstwerks, so dient die Tätigkeit des Lehrers dem Aufbau und Ausbau der Leistungsfähigkeit des Künstlers und der Vollendung des Kunstwerks durch diese. Haben Dichter und Tondichter aufgeschrieben, was ihr Inneres vernahm, so zeigt der Lehrer seinem Schüler, wie er es nach seiner Weise anderen vernehmbar machen kann. 136
Da gibt es nun — nach äußeren Merkmalen geordnet — den Nur-Musiker, den „Geschmackskonsulenten" für Sänger, für Sprecher den Nur-Aussprachebildner; den Nur-Stimmbildner; den musikgeschichtlich Gebildeten; den medizinisch Gebildeten; den auf eine „bewährte Methode" Eingeschworenen; den (vom vorigen wohl zu unterscheidenden) von einer fixen Idee Besessenen, der oft gar nicht so unrecht hätte, wenn er nicht glaubte, mit seinem Einfall jedem Menschen eine kostbare Stimme geben und alle bisherige Entwicklung auf den Kopf stellen zu können; die Dame mit den guten Beziehungen und den abgebauten, aber gewandten Herrn, die beide immer zu Gelde zu kommen wissen; den müden Aufhörer, der sein bißchen Leben fristen möchte; den vom Berufsmißerfolg früh Enttäuschten und den überhaupt nicht zum Beruf gekommenen Anfänger, die eigentlich beide nichts sind als mißratene Schüler und (vielleicht notgedrungen) nun andern beizubringen sich vermessen, was sie selbst nicht können; den „Gelernten" ohne eigene künstlerische Praxis, aber mit abgelegter Lehrprüfung, dank der er Versuche am lebenden Objekt zu treiben berechtigt ist; schließlich den an erster Stelle im Beruf bewährten Künstler, der schon während seiner Berufstätigkeit Stimmfragen nachgegangen ist, sich nun zurückgezogen hat und seine Erfahrungen und Kenntnisse andern weiterzugeben und zu hinterlassen bereit ist. Unter den vorgenannten Gruppen, die natürlicherweise vielfach gemischt erscheinen, kann gelegentlich einmal auch ein geborener Lehrer sein, am wahrscheinlichsten findet ein Meister sich in der letztgenannten Gruppe. Weil nun hin und wieder auch ein berühmter Künstler als Lehrer versagt hat, haben die Findigen der ersten Gruppen versucht, der Sache die Wendung zu geben, als wäre Künstlerschaft und Lehrbegabung unvereinbar oder doch zumindest höchst verdächtig; wird an Stelle der Lehrbegabung die „Lehrbefähigung durch abgelegte Prüfung" unterschoben, so ist der 137
Wirrwart fertig, der Blick der Allgemeinheit und des einzelnen für Lehrwerte und -unwerte getrübt. Da ohnehin die Entscheidung schwer genug und allzuviel dem Zufall anheimgegeben ist, da ferner die Nur-Geprüften von heute Neigung zeigen, sich gegen die Künstler zu überheben und da es heute mehr denn je um Lebensfragen geht, muß folgendes festgestellt werden: 1. zum Lehrer ist man geboren oder nicht; 2. die angeborene Lehrberufung läßt sich durch erlernte Kenntnisse nicht ersetzen; 3. nur eine künstlerische Persönlichkeit kann künstlerische Persönlichkeiten ihres Berufes heranbilden; 4. es ist für strengste Prüfungsnachweise einzutreten, aber nur dann, wenn die Nachweise von Künstlern, die jahrelang praktisch tätig gewesen sind, erbracht werden; j. Prüfungen, die nur Kenntnisse und nicht mindestens ebensosehr die angeborene Berufung und die künstlerischpraktische Erfahrung zu verbürgen geeignet sind, haben keinen Wert. Es gibt sicherlich schlechte und gute Lehrer — ein Mittelding aber, das für den Elementarunterricht genügt, gibt es nicht: Der erste Unterricht in der Stimmkunst ist nämlich der wichtigste. Er ist die Grundfeste, auf der alles weitere aufgebaut wird. Ein rechter Meister aber kann allemal nur ein bewährter Künstler von Format, erwiesener Lehrbegabung, großer Lehrerfahrung und überdurchschnittlicher Allgemein- und Fachbildung sein. Er braucht außerdem Einfühlsamkeit, die darin besteht, daß man nicht sowohl das eigene Wesen aufdrängt, als vielmehr fremdes Wesen auf sich wirken läßt, in sich aufnimmt und veredelt zurückgibt. Er wird eifrig, aber nicht überspannt, sondern mit voller Absicht entspannt sein. Er wird darum auch nicht roh zupacken, nichts Urwüchsiges zerschlagen, denn bei taktloser Behandlung versiegen leicht die aus der Naturfülle strömenden Quellen. Er wird stets alle Pforten des Seins offen halten bis zu den letzten Dingen im Unterricht, er wird auch nicht entmutigen, sondern den Unterricht dauernd 138
fesselnd gestalten, Erbbedingtes nicht nur schonen, sondern herausarbeiten und im Eingehen auf die Eigenart des Schülers sowohl mit immer neuen Übungen und Auffassungen, als auch selbst stets in neuer Gestalt erscheinen, indem er jedem Schüler andere Seiten seines eigenen Wesens erschließt.
DER STIMMSCHULER — auch wenn er zunächst nicht an öffentliche Ausübung denkt — sollte, damit nicht Zeit und Geld vergeudet werde, folgende Anlagen mitbringen: etwas Aufhorchenmachendes in der Stimme, Eindringlichkeit und Plastik der Sprechweise, eine aus dem „Adel der Gesinnung" (Listet) entspringende, nicht zu nüchterne, nicht zu schwunglose Wesensart; er darf kein Gebrechen, das den Erfolg der Schulung von vornherein ausschließt und kein Leiden haben, das durch sie verschlimmert werden könnte. Da keiner, der seine Stimme viel zu brauchen hat, ohne Stimmschulung auskommt, erhellt ohne weiteres, daß obige Anlagen auch von angehenden Pultrednern, Lehrkräften und Befehlsgebern mitzubringen sind. Noch liegen die Dinge aber so, daß nur beim Militär eine gewisse Vor-Auslese stattfindet, daß man immer wieder Sprachgestörten, herzoder lungenleidenden Berufssprechern begegnet, die einem wahren Martyrium entgegengehen, und daß der Stimmschulung, soweit sie überhaupt vorhanden ist, lange nicht die Aufmerksamkeit zugewendet wird, die notwendig wäre. Der Gesangschüler soll stimmbegabt und natürlicherweise musikalisch sein. Es gibt nun aber eine eigentümliche Halbmusikalität, welche die damit Behafteten fürs Solosingen unzuverlässig macht: sie bringen ein Stück bald richtig, bald mit einem Fehler; versuchen sie, darauf aufmerksam gemacht, ihn auszubessern, kann es einmal gelingen, ein zweites Mal wird derselbe Fehler wiederkommen, ein drittes Mal vielleicht ein anderer, gelegentlich wird das ganze Stück verbogen, alle Arbeit kommt über Augenblickserfolge nicht hinaus, ist im Grunde für nichts, weil es immer neue Überraschungen gibt. 139
Diese Fälle spotten, auch bei vorbildlicher Geduld von Lehrer und Schüler, der Behandlung und sind darum besser möglichst frühzeitig auszuscheiden; da sie leicht in der Verkleidung von Mangel und Übung, augenblicklicher Zerstreutheit oder dergleichen erscheinen, erheischen sie besondere Aufmerksamkeit, damit Verwechslungen ausgeschlossen bleiben. Sinn für melodische Linie, für rhythmischen Schwung, Gefühl für Harmonik müssen außerdem schon ursprünglich vorhanden sein, ferner die Fähigkeit, Gehörtes ohne Notenbild nachzusingen, die so oft musikalisch Gebildeten verlorengeht. Die Fähigkeit vom Blatt zu singen, ist eine angenehme Beigabe, nicht erforderlich ist absolutes Gehör; es ist nicht einmal ein sicheres Zeichen besonderer Musikalität, obgleich es oft dafür gehalten wird. Erfüllt ein Schüler alle diese Voraussetzungen, so kann er dennoch Schiffbruch erleiden, wenn er sich auf seine Begabung verläßt, d. h. zu wenig arbeitet, wenn er sich damit begnügt, die Erfordernisse der Stimmkunst bloß zu verstehen, und das Verstandene nicht in sein Wesen einbaut bis es zur zweiten Natur geworden ist, oder wenn er sich nicht zu stetiger und entsagender Arbeit durchringen kann. Das Um und Auf des Studiums ist das, was die indischen Yogins „dharana" nennen, die Beharrlichkeit. Begabung ist notwendig, sonst kommt man über Halbheit nicht hinaus, und Fleiß ist notwendig, kann aber Begabung nie ersetzen. Doch es genügt nicht, daß Begabung vorhanden ist; sie muß auch entwicklungsfähig, dauerhaft und widerstandskräftig sein, um sich in der Arbeit nicht zu verflüchtigen. Manch einer legt den Vortrag schon als Schüler auf den äußeren Eindruck, aufs Verblüffen an — er meint wohl, das wäre billiger. Während aber dem beharrlich sich selbst Erziehenden der äußere Eindruck von selber zufällt, muß der andere jedesmal neue Blendemittel ersinnen, um weiter zu bestehen. Es ist also höchst unzweckmäßig und läßt zudem auf eine Eigenschaft schließen, die dem Vorwärtskommen hinderlich werden kann wie keine: auf Neigung zum Minderwertigen, zum Ersatzhaften, auf Mangel an Qualitätsgefühl. Und manch ein Schüler kommt nicht recht vorwärts, weil er „die Übungen übt", statt sich zu üben. Es gilt sich an 140
den Übungen zu üben, die ja nichts sind als Warttürme für die eigene Beobachtung. Über den Wert des Übens entscheiden in der Regel die ersten fünf Minuten. Darum soll man lieber aufhören, wenn man Unfreiheit, wenn man Verkrampfung spürt, und nach einer Weile von neuem beginnen, soll auch nicht länger als eine Viertelstunde ohne Pause üben, dann 5—10 Minuten pausieren und darnach fortsetzen ! Dies nicht mehr als vor- und nachmittags je dreimal. Wohl gibt es Übungen, notwendige Übungen, die länger auszuhalten wären, aber die innere Spannkraft läßt sich nicht beliebig vergrößern. Geht es einmal durchaus nicht weiter in der Richtung, in der man vorzudringen sucht, dann soll man es getrost mit der entgegengesetzten versuchen, denn vielleicht war man schon über das Richtige hinausgedrungen. Schließlich ist ein starker, gerechter Glaube an sich selbst die Vorbedingung des Erfolges und der Anerkennung.
RATSCHLÄGE AN EINEN JUNGEN BERUFSKAMERADEN Trotz ehrlicher, strenger Sichtung hängt der Erfolg des Unterrichtes immer von drei Umständen ab: der Überzeugungskraft des Lehrers im besonderen Falle, der Aufnahmebereitschaft des Schülers und der Überwindbarkeit der von diesem mitgebrachten Fehler. Die drei Fragezeichen bleiben — man kann den Mißerfolg möglichst unwahrscheinlich machen, aber nicht völlig ausschließen. Und wie nicht ein jedes Heilmittel, das eine bestimmte Krankheit bekämpft, jedem von dieser Krankheit Befallenen nützlich ist, ohne daß deshalb sonst die Wirksamkeit des Heilmittels anzuzweifeln wäre, so ist auch nicht der Unterricht jedes Lehrers für jeden Schüler gleich nützlich, ohne daß deshalb die Fähigkeit des einen von beiden oder beider bereits in Zweifel gezogen werden darf. öfters trägt gerade der hochbegabte Schüler eine nach einem Vorbilde geformte Vorstellung in sich, der er nicht untreu werden will, auch wenn sie irrig ist. Geduld im Kampf da141
gegen und Vorsicht sind angebracht, damit nicht mit etwas Fehlverehrtem die Verehrungsfahigkeit überhaupt herausgerissen wird. Wer die Verehrungsfähigkeit verliert, wird außerstande, die Schuld an Fehlern in sich selbst zu suchen. Um bei den Gefahrenquellen zu bleiben: unentgeltlichen Unterricht soll man weder verlangen noch erteilen 1 Nothilfe ist etwas Herrliches, aber Mildtätigkeit als Dauerzustand erschöpft den Spender und den Bedachten („Beschenkten" kann man schwerlich sagen), ja sie schädigt unter Umständen seinen Charakter. Das Opfer haßt triebgemäß den Opferer, der sich als Geber dünkt; vielleicht ist deshalb Undank der Welt Lohn. Wer das lernt, was ihm die Erfüllung seines Lebens schafft, hat die Pflicht und das Recht, Opfer dafür zu bringen. In solchem Sinne ermittle man die angemessene Gegenleistung 1 Die unmittelbare Gegenleistung ist auch mehr wert, als wenn Verträge geschlossen werden mit dem Ziel abzuzahlen, sobald man verdient. Dergleichen vergiftet das Verhältnis — Ratengeschäfte sind nicht ohne Grund gering geachtet. Hingegen ist anzuraten, daß man einen richtigen Unterrichtsvertrag abschließt, nicht bloß in Erfüllung des lateinischen „clara pacta, boni amici" (Genaue Abmachungen, gute Freunde) sondern fast noch mehr wegen der Besonderheit solchen Einzelunterrichtsverhältnisses: Der Schüler will bei dem Lehrer Unterricht nehmen und so wird der Lehrer zum Beauftragten des Schülers. Als Beauftragter hat der Lehrer den Schüler gemäß dessen höherer Absicht zu bestimmten Leistungen zu nötigen. Wenn das einmal dem Schüler peinlich werden will und er niederen Einflüsterungen zugänglich wird, dann ist es erst recht gut, daß zur Sicherung gegen die eigene Unbeständigkeit ein Vertrag da ist, der ihn hindert, der unbequemen Autorität den Auftrag zu entziehen, wenn auch nur in einer Augenblicksaufwallung. Die eine Seite in Festesstimmung — die andere im Fieber des Verwirklichens: dieser gewaltige Unterschied wird dem Kunstjünger, der ursprünglich mehr mit Publikumsaugen sieht, schon in der Studienzeit immer klarer. Als junger Künstler 142
merkt er: ist heute eine Schlacht geschlagen, muß morgen die nächste vorbereitet werden. Die Nacht ist die Mutter des Tages — man soll schlafen gehen an Abenden, an denen man nichts zu tun hat I Die Volksweisheit, nach der die Schlafstunden vor Mitternacht noch einmal soviel wert sind als die nach Mitternacht, ist kein Aberglaube. Es ist ein Unterschied zwischen Sonnentiefe und Sonnenhöhe, wie überhaupt ein Unterschied ist zwischen Vormittag und Nachmittag. Der Einwand, daß der Künstler sich an Nachtarbeit gewöhnen müsse, hält nicht stich. Wer vermeinte im Ernst, es könnte einen Künstler Schlaf überkommen während seiner Darbietung ? Umgekehrt ist es: die späte Stunde, wenn sie verhältnismäßig ungewohnt ist, wird ihn erst recht wach finden für die Gesichte und Stimmen, die aus dem Werk und allem Besondern des einen Augenblicks auf ihn eindringen. Bei offenem Fenster soll man schlafen! und sich weder zurück in den Kreislauf pumpen, was der Körper hat ausscheiden wollen, noch sich absperren wollen gegen Luft und Himmel. Selbstverständlich nicht so, daß man sich die Lungen mit Winternebel füllt, sondern derart, daß der Schlafraum auch nachtsüber genügend Wärme erhält, um die feuchte Kälte hinauszudrängen. Warme Feuchtigkeit ist der Stimme Freund, kalte ihr ärgster Feind: darum darf sich der Stimmkünstler durch nichts verleiten lassen, in frostigem Nebel auf der Straße stehenzubleiben 1 Bewegt man sich, so ist damit für den rechten Wärmeausgleich gesorgt. Ein Tuch vor Mund und Nase ist gerechtfertigt bei jähem Luftwärmewechsel, und zwar nicht nur im Winter von warmen Räumen ins kalte Freie, sondern fast mehr noch an heißen Vorsommertagen beim Betreten ungeheizter, dunstig-kalter Steinhallen, z. B. Kirchen. Der Wechsel von trockener Wärme in trockene Kälte ist weniger angreifend als der von feuchter Wärme in trockene oder feuchte Kälte, am schlimmsten ist er von trockener Wärme in feuchte Kälte. Darüber soll man sich klar sein und vermeidbare Fehler eben vermeiden, ohne sich aber zum Sklaven seiner Stimme zu machen. Nur eines halte jederzeit fest: Singen im Rauch ist für die Stimme geradeso nützlich, wie für die Geige das Violinespielen im Platzregen I 143
Über die Einteilung des Arbeitstages entscheidet im wesentlichen die Arbeit, die man vorhat; man muß sie gut und mit Spielraum verteilen und die am Vorabend getroffene Einteilung ordentlich einhalten und nicht ohne zwingenden Grund umstoßen. Ordnung ist wirklich das halbe Leben und für den Künstler, an dem immer etwas Außerordentliches zerrt, mehr als für jeden anderen Menschen. Hier nur noch einige Fingerzeige für die Tageseinteilung: sich an bestimmte (in der Regel dienstfreie) Tageszeiten fürs Auswendiglernen gewöhnen und in diesen täglich etwas Neues lernen macht das Gedächtnis mit der Zeit stark und zuverlässig. Dabei allenfalls flüsternd, nie aber stumm lernen: die Formung des in Schrift oder Notenbild Gelesenen schützt gegen Ungenauigkeit und Verhaspeln und das Hören hilft beim Einprägen. Nie zur Probenarbeit gehen, ohne sich eingesprochen oder angesungen zu haben so weit, daß man völlig Herr seiner Mittel ist. An Tagen, an denen man abends große Aufgaben zu bewältigen haben wird, anderweitiger Probenarbeit möglichst ausweichen, aber auch weder schlaflos lange im Bett liegen noch in zweckloser Übererregung sich abhetzen und zerstreut machen, sondern vielmehr während der Vormittagsstunden die Spannung ableiten, indem man leise seine Aufgabe nochmals durchnimmt und ins Letzte zurechtrückt, bis jene innere Unbeirrbarkeit und Gelassenheit über einen kommt, auf der die Leistung am reichsten gedeiht. Am Nachmittag, wenn überhaupt, nur kurz schlafen, im übrigen sich ruhig verhalten, sich kurz aber gesammelt einsprechen oder einsingen und zu bester Zeit die Garderobe aufsuchen I Wenig sprechen, aber nicht flüstern (denn das schont nicht, sondern dämpft die Hochstimmung) und das Nötige in ruhigem Ton sagen I Im Kostüm und in der Maske völlig zu Hause sein, so daß jede Bewegung „wie angegossen" sitzt! Ist da irgend etwas Fremdes drin, so wirkt es nicht weniger schlimm als sonst ein „aus-derRolle-fallen". In der eigenen Haut bleiben und so sich in die gespielte „Figur" von innen her umwandeln! Die Maske verändert von außen — von innen her müssen Gestalt, Bewegungen, Stimme und Blick stets anders sein, stets so wie der Charakter es befiehlt, den man gibt. 144
Sänger sollen sich schon in der Lehrzeit gewöhnen, Einsätze und sonstige Zeichen des Begleiters und später des Dirigenten mit dem äußeren Augenwinkel (aber nicht hinschielend) aufzunehmen, ohne sichtlich hinschauen zu müssen, denn dies ruft immer den Eindruck der Unfreiheit und Abhängigkeit hervor und beeinträchtigt tatsächlich Phrasierung, Artikulation und Spiel. Sobald zu spüren ist, daß eine Aufgabe eingelernt wurde, geht das Augenblickseinfallhafte verloren, das unzertrennlich zu jeder verwirklichenden Kunstleistung gehört. In gleicher Reihe steht das Taktieren mit dem Körper, das bei Sängern ebenso verbreitet, wie für das Publikum peinlich ist. Wer eine rhythmische Stütze haben will — und die ist wahrhaftig nicht zu verachten ! —, der lerne beizeiten rhythmische Vorgänge innerlich zu fühlen. Auf den Wohlklang der Stimme kommt es an, die Erhaltung des sog. „Timbres" ist mitentscheidend über die Dauer des Erfolges. Was gefährdet sonst den einer Stimme eigenen Reiz, ihren besonderen Wohllaut ? 1. Blutarmut bei Frauen und 2. Nichteinhalten der monatlichen sog. „Respektstage"; 3. Auftreten und Stimmebrauchen bei entzündlichen Zuständen der Stimmwerkzeuge und bei Fieber; 4. viel Essen; 5. viel Trinken; 6. jedes Rauschgift einschließlich des Rauchens; 7. zu viel und zu lautes oder zu leises Üben und ebenso ungeregeltes, „wildes" Herumversuchen besonders in Grenzlagen; 8. Proben und Auftreten ohne stimmliche Vorbereitung; 9. übermäßiges Auftreten aus Spielwut, Rollenneid, wie überhaupt alle unedle Gesinnung alles verdirbt; 10. stimmwidriges Sprechen außerhalb des Berufs; nicht etwa lächerlich geschraubtes, sondern einfach gepflegtes Sprechen ist auch im Privatleben erforderlich. Wir kommen damit praktisch zu 10 Verboten, die einzuhalten praktisch gewiß nicht immer leicht, aber natürlich ist. Gemeinsam ist allen die Absicht, Übertreibungen nicht zuzuB o r u t t a a , Stimmkunst.
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lassen. Treibe deine Berufsarbeit hochsinnig wettbewerbsmäßig, aber übertreibe auch sie nicht, geschweige denn Sport, Spiel oder eine sonstige Nebenbeschäftigung, die mit Maß zu treiben dich fördern, vertiefen oder auch nur vor Verflachung bewahren oder entspannen mag. Übertreibe auch nicht irgendeine Lebensweise, bloß weil sie dir einleuchtet, gar in Punkten, wo sie noch nicht wirklich erprobt ist. Trotz allen Verboten und Regeln wird Arbeiten bis zur Erschöpfung namentlich in jungen Jahren gelegentlich unvermeidlich scheinen, doch sei man sich dessen bewußt, daß für die Überanstrengung der Zahltag ebenso unvermeidlich kommt — also sei aufs äußerste sparsam mit dem Überanstrengen! Gesund sein ist Begnadung, gesund werden ist Charakterstärke und gesund bleiben ist Tugend. Aber Gesundheit allein ist noch keine erfüllte Lebensaufgabe, und ein Lebensgang gewinnt seinen Wert erst durch die Lebensleistung. So kurz abrollend des verwirklichenden Künstlers Einzelleistung, solang braucht seine Lebensleistung zur Reife und Erfüllung und somit sein Körper, den er einsetzt, die Gesundheit, denn: im Anfang leitet ihn einfach sein innerer Drang, er liebt das Kunstwerk als Aufgabe und freut sich naiv am Beifall, den er findet. Dann wird er sich seiner Wirkung mehr und mehr bewußt und bedient sich dieser Wirkung nicht ohne Selbstgefälligkeit. In dem Maße, wie er allmählich seinen Ruf verteidigen zu müssen wähnt, sucht er den Erfolg zu berechnen, und dabei kann es vorkommen, daß das sachte in den Hintergrund getretene Kunstwerk zum bloßen Vorwande wird. Die nächste Stufe überwinden schon nicht mehr viele, denn sie ist bezeichnet durch die Stunde, da der an die Wende gelangte Künstler vom Ekel vor allem Unechten geschüttelt wird und völlig in Vorstellungen von Leere und Schalheit zu versinken droht. Ernstlich Berufene sind es, die sich aus solcher Seelennot hinüberzuretten vermögen in bewußte Unterordnung, in eifervollen Dienst am Kunstwerk. Und unter ihnen wiederum nur die ganz Großen erreichen die oberste Stufe des wissenddemütigen und wieder naiv gewordenen sich-an-die-KunstHingebens, mit dem die Entwicklungsspirale sich — hoch 146
über der Ausgangsstelle von einst — wieder zu ihrem Anfangspunkte hinbiegt. Diese Auserwählten erst sind mehr als Versprechen, sind Erfüllung unseres „innerlichsten Standesgefühls" (nach Ifflandy, wo sie sind, steht alles Gute auf um sie herum, und wir alle vereinigen uns mit der Menge, in ihnen ein Hochpriesterliches zu verehren.
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NAMENVERZEICHNIS Aprile io Aristoteles i, 17 Bach 131 Beethoven 76 Bérards 1 1 Biehle IJ, 16 Brahms 6, 114 Brunnings 22 Caccini 9, io, 56 Cicero 114 Concone 10 Donati 9 Duboc J . 113 Duprez 8, 11 Durante io Farinelli 9, 118 Ferrein 11 Forchhammer E. 129 Freidank 47 Fröscheis 21 Garcia 1 1 , 120 Geißler E. 5, 65, IOJ Goethe 2, 6, 27, 65 Grimm J . 102 Groth K. 5, 14 Gutzmann 27, 45 Haizinger 128 Haydn 9, 118, 131 Helmholtz 21 Hermann K. 34 Hermann S. 21, 23 Hey 13, 58, 77 Humboldt W. v. 7, 116 Iffland 136, 147 Kant ; Körner 114
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Lehmann 11 Lenau 6 Liszt 139 Merkel C. L. 86 Müller J . 2i Nadoleczny 3, 29 Niemann 9 Ostwald W. v. 109 Palestrina 1 Platon 1 Porpora 9, 118 Quintilianus A. 1 Réthi 21 Roger 8 Rognone 9 Rokitansky 131 Rousseau 11 Rutz 23 Schiller 114 Schnitt F. 13 Schubert E. 128 Schubert F. 128, 129 Schulz J . A . P. 131 Seydel M. 48, 106, 110 Siebs 6j, 76, 77 Stockhausen 13 Stumpf 21 Thausing 58 Tichatschek 9 Tosi 10 Verdi 131 Vogl M. 128 Wagner 9, 13, 129 Walter G. 128 Winter v. 13 Zacconi 9
SACHVERZEICHNIS A Abschluchzen 30, 126 Absolutes Gehör 3, 140 Altitalienische Schule 9 u. f., 47 Anhub 48, 98 Appogio 34 Afterhaltung und -Vermehrung 1, 2, 16, 56
Artisten 8, 29 Atem 16, 2i, 26 u. f., 42, 76, 107 Atemgröße 28 Atemsäule 34, 36, 37, 57 Atemwippe 34 u. f., 36, 99 Ausdruck 57, 106, 107, 115, 132, 133, 134 Ausgleichsatmung 26 u. f. Auslösung 114, 115 u. f. Ausspracheflüssigkeit 66, 110 Auswendiglernen 144 B Battuto 10 Bauchpresse 34, 35, 37, 57 Bayreuth 79, 126 Bebung 121 Beginn d. Ausbildung 55, 56 Belcanto n , 15, 52 Beruf 7, 135, 136, 139, 140 Betonung 105 u. f., 110 u. f. Bewußtheit d. Funktionen 19, 57 D Decken (nasales) 11, 13, 45, 46, 50, 98
Deutsche Schule I i , 13, 14, 1$, 47, 57. i°3. " 8 . " 9 . I29> 13° Deutsche Stimmen 14, 15, 47, 57 Dicht- und Tonkunst 5, 6, 114, 115, 129, 130, 131
Diminuierungskunst 125
E Endsilben 14, i j , 75 u. f., 126 Entelechie 17 Esclamazione 121 F Fermate 125 Flachsingen (Knödeln) 51, 98 Flüstersprechen 58, 67, ioj, 117, 118 Forcieren 38, 124, 12J Formanten 23 Forschung (Anteil d. wissenschaftlichen) 9, 14, 15, 108, 109, iio, 123 Forte 42, 49, 124, 126, 127 Französische Schule 11 u. f.
Q Gebärde (Gestik, Mimik) i , 2, 66, 67, J 131» 33 Gehör (Aufgabe und Täuschung) 25 u.f., 37. 46, »34 Geläufigkeit 10, 11, 121 u . f . Gesang- u. Sprachmelodie 57, 67, 68, 105, 109, 110, 115, 125 u . f .
Gesundheit 26, 27, 28, 38, 30 u. f., 116, 135, 139, 141 u. f. Gezahlter Preis (Kompensation) 8, 17, 36, 108; vgl. auch Grund- und Ausgleichsfehler Glissando-Technik 122 Grenzen 26, 27, 91 u. f., 108, 109, 110, iij, 141
122, 123, 124, 125, 130, 132,
u. f. Griff 42, 45, 46, 51, 5j, 54, 134 Grund- und Ausgleichsfehler 17, 53, 54. 93 H Haltung 27, 32, 33, 35, 36, 39, 40, 51, J 2 , 106, 107, 115
149
Hilfsvorstellungen 19, 65, 66, 91, 9z, 94, 95. io 5> " 7 . Höhe 10, 51, 99, 125 I Ich (Persönlichkeits-) Spaltung (Schizophrenie) 116, 136 Ideomotorik 80, 97, 114, 124, i 2 j Instrumentalisches 1, 4, 5, 11, 22, 23, 26, 87 K Kehlkopf 4, 16, 36 u. f. Kehlkopfbewegung 43, 44, 134 Kiefer 49 u. f. Klangfarbe (Timbre) 23, 42, 45, 46, 47. 98. 99. i o 7 , 135 Kleinkind 24, 29, 48, 66 Knacklaut (•) 64, 67, 80, 103, 104 Komponisten 64, 65, 68, 69, 123, 124, 125, 129, 131, 132 Kontrast 123, 124 Kunstbedürfnis 135 Künstler 53, 54, 55, 56, 60, 66, 108, 109, 110, 118, 123, 135 u . f . , 137, 146, 147 L Lampenfieber 116, 117 Liebhaberei 6, 7, 134 u . f . Lockersingen 39, 42, 52 Lyrik 5, 6 u . f . , 55 M „Methode" 134, 136 u . f . Morgagnische Taschen 49 Mundhaltung 50 Mundrohr 51, 52 N Nachhall 119, 133 Nasenklappe 24, 46, 70, 72 u. f., 76, 77, 79. 83. «4 Nasenrohr-Theorie 24 u. f., 45, 46, 61 Naturlaute 1, 2, 16 Neovitalismus 17 Neumen 9, 113 Niedergang 14, 15 P Pausen 107, 108
150
Piano 42, 43, 49, 123 u.f., 126, 127 Portamento 119, 120 Primärton 21 u. f., 142, 143 Qu Qualitätsgefuhl 3, 4, 7, 140 R Rechtser und Linkser 50 Register 40 u . f . Resonanz 26, 38 u . f . , 4;, 48, 49 Rezitative 127 S Sänger und Sprecher 20 u . f . , 53, 54, 57. " 7 131. i3 2 u - f Scheinkunst (Blendung) 140 Schönheit (und Erhaltung) der Stimme 10,15.38.47,48,49, 57.124,130 u-fSchrift 61, 65, 69, 74, 78, 92 u . f . Schwebende Temperatur 122 Schwellton 43, 121 Seelischer Einsatz 34, 35, 54, 106, 107 Sinneswerkzeuge 2 u. f., 14, 16 u. f. Sprach- und Gesangmelodie siehe Gesang- und Sprachmelodie Sprechstimmausbildung 21, 54 u.f., 65, 66 Stakkato 37, 57, 103 u. f., 121, 122 Stil 123 Stimmbandschluß 37, 57, 58, 67 Stimmfärbung 107, 125, 126 Stimmgattung 43, 94 Stimmlehrer 9, 11, 14, 18, 25, 26, 32, 33, 44. 45, 5i, 52, 53, 55, 9°, 9*. 103,108,110, i n , 134,135,136u. f., 141 u . f . Stimmschüler 109 u . f . , 123, 139 u . f . Stimmstärke 38, 39 u. unter Tonstärke Stimmunterricht 103, 104, 133 u . f . Stimmzusammenbruch 41, 53 u . f . Stumpfmündige 110, 112, 113 Syrinx 16, 35 T Tabakrauch 143 Tastmarken (innere) 25, 26, 28, 29, 45, 53
Tempo 123, 124 Textvarianten 129 Theoreme 45, 64 Timbre-Korrektur 18, 19, 43, 44 Ton (Natur-, Normal-, Ideal-) 18, 19, 133 Tonfall IOJ u . f . Tonfilm 132, 133, 135 Tonhöhe 22, 38, 45, 1 1 2 , 134 Tonstärke 22, 38, 48, 112, 123, 124 Ton-,,werfen" 127 Tragfähigkeit 10, 1 1 , 24, 38, 39, 46, I2 4> 133 Tremulieren 35 Trieb 1, 2, 5$, 56 Triller 44 u.f., 121 Typen 17, 18 U Üben (richtiges und falsches) 57, 58, 6j, 108, 109, 110, i n , 115, 123, 124, 140 u. f. Unterricht 133 u . f .
V Vibrationen 45 Voix mixte 14, 42, 43, 121, 122 Vokaldreieck 59 Vorhalt 127 Vorhof 49, jo Vornsitzen 51 Vorschlag 120, 121, 127 Vorsilben 74, 75, 126, 127 Vorstellungskraft 109, 110, 135, 136 Vortrag (musikalischer) 119 u . f .
W Wahl d. Lehrers 138, 139 Werktreue 129 Winkelreihe 59 Wirkung d. Stimme 1—5, 7, 8, 132, 133 Wohllaune 1 1 2 , 113
Z Ziel 7, 8, IJ, 30, 31, 40, 41, 42 Zielkraft 16, 18, 19 Zunge 18, 19, 46 u.f., 6j, 66
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ANHANG Von Prof. A l f r e d J u l i u s B o r u t t a u sind erschienen: I. Im Verlag Georg D. W. Callwey, München: 1. 8 Lieder für eine hohe Singstimme und Klavier. 2. Neue Lieder für eine hohe Singstimme und Klavier. II. Hausmusik des Kunstwarts, ebendort: 3. Am Brunnen (Wunderhorn). 4. Norwegische Volkslieder. 5. Schwedische Volkslieder. 6. Finnische Volkslieder. 7. Grünet die Hoffnung, Bearbeitung nach Jakob Kremberg. 8. Rosmarin, Bearbeitung nach I. H. Schein. 9. Der Sennerin Sonntag, Bearbeitung nach Ole Bull, xo. Dänische Volkslieder. 1 1 . Altfran2ösische Chansons III. 12. An Maria, Altdeutscher Liederkreis. 13. Aria, Bearbeitung nach Kaiser Josef I. 14. Altdeutsches Liederbuch II. 15. Die Jungfrau und der Bergkönig, Schwedische Volksballade. 16. Die Legende von St. Nikolaus, Altfranzösische Ballade. 17. Der Brautmörder, Altdeutsche Volksballade. 18. Elfenkönigs Braut, Dänische Volksballade. 19. Das dumme Mädel (schwedisch). 20. Aagots Berglied (norwegisch). 21. Trutzliedchen (norwegisch). 22. Ungelegener Besuch (norwegisch). 23. Mein totes Lieb (norwegisch). 24. O Wermeland (schwedisch). 25. Fischerlied (norwegisch). III. Verlag Breitkopf & Härtel, Leipzig: 26. Sämtliche deutschen Nachdichtungen der von Richard W a g n e r komponierten fremdländischen Texte für die Große (offizielle) Wagner-Gesamtausgabe. 27. Sämtliche deutschen Nachdichtungen der von dem finnischen Nationalkomponisten Jean S i b e l i u s vertonten finnischen und schwedischen Gesangstexte. 152