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German Pages 52 Year 1888
Vorträge der theologischen Sonferen; zu Gießen gehalten am 31. Mai 1888. (IV. Folge.)
Direktor Dr. Sachße (Herborn) : Über die Möglichkeit, Gott zu erkennen.
Gießen, I. Ricker'sche Buchhandlung.
1888.
Gott zu erkennen ist die Aufgabe der Theologie; alle
exegetischen und geschichtlichen Forschungen, alle dogma tischen und praktischen Arbeiten haben nur soviel Wert,
wie sie diesen Zweck fördern. erhaben wie schwierig.
Diese Aufgabe ist ebenso
Gott ist der höchste Gedanke, der
je eines Menschen Herz bewegt hat und darum ist die Theologie, wenn sie ihre Aufgabe löst, die höchste der Wissenschaften.
Aber wie ist es möglich, den zu erkennen,
der vor allen Nachforschungen zurückweicht?
den zu be
greifen, den unsere Begriffe ebenso wenig fassen, wie unsre
Hand das Meer?
In der Hoheit des Gegenstandes liegt
die Schwierigkeit der Aufgabe, und jede andere Wissenschaft mag leichter Befriedigendes schaffen, weil ihr Ziel niedriger
gesteckt ist.
Theologen sind es, welche neuerdings an Lö
sung der Aufgabe verzweifelt und deshalb sie anders ver standen haben : Die Theologie soll nur sein die Wissen
schaft vom religiösen Leben der Menschheit, insonderheit vom Christentum. Aber entweder finden wir im Christentum
Gott
und
dann
giebt
die wissenschaftliche Betrachtung
desselben eine deutlichere Erkenntnis Gottes; oder es be steht in frommen Gefühlen, die nicht über dies empirische
1*
4 Dasein hinausführen.
Dann gäbe
eS allerdings
keine
Erkenntnis Gottes; aber damit verliert die Theologie das Recht des Daseins und ihre Disciplinen sind der Sprach
wissenschaft, der Geschichte und der Philosophie zuzuweisen. Auch die Rettung kann nicht genügen, daß man sagt, alle Wissenschaft beruhe auf einem praktischen Bedürfnis und
habe ihm zu dienen : Die Jurisprudenz der Rechtsgemein schaft, die Medizin der leiblichen Gesundheit, so die Theo logie dem religiösen Leben.
Denn das ist ja eben die
Frage, ob die Religion ebenso notwendig und berechtigt ist, wie die Pflege des Rechts und der Gesundheit, an
deren Berechtigung niemand zweifelt.
Giebt eS keine Er
kenntnis Gottes, so ist die Frömmigkeit nur ein ästhetisches Gefühl von untergeordnetem Wert, so beruht Religion und
Kirche auf einem Irrtum, der mit dem stetigen Fortschritt mehr schwinden wird und die Theologie ist das vergebliche
Bemühen, stützen.
einen absterbenden Wahn wissenschaftlich zn
Dann ist eS Zeit, daß religionslose Moral oder
ästhetische Weltbildung an die Stelle der veralteten Reli gion trete.
So hängt von der Beantwortung unsrer Frage
ebenso das gute Recht der Religion wie der Theologie ab; sie ist die fundamentale Frage der Gegenwart.
Indem ich mich anschicke, sie zu beantworten, ver gleiche ich sie einer unzugänglichen Festung.
Wir versuchen
zuerst, sie durch Frontalangriff zu nehmen, dabei werden wir uns die Köpfe zerschellen.
Dann wollen wir versuchen
auf einem Seitenwege einzudringen; dabei werden wir ihr
zwar näher kommen und
gleichsam einige Gräben über
schreiten ; aber die Mauern bleiben zu hoch nnd die Pforte verschlossen.
So müssen wir den Versuch aufgeben; es
5 sei denn,
daß der Herr der Festung freiwillig die Pforte
öffnet und uns als Freunde einläßt. 1.
Frontalangriff nenne ich es, wenn man aus den
allen Menschen gemeinsamen Erfahrungen die Erkenntnis
GotteS schöpfen will.
Die s. g. Beweise
für das Dasein
Gottes sind das Resultat dieser Bemühung; wir haben
ihre Beweiskraft zu prüfen.
Daß der ontologische Beweis, wie ihn Anselm formu
liert und Cartesius verbeffert hat, unhaltbar sei, darüber ist nach mehr.
der einschneidenden
Kritik Kants
kein Zweifel
„Ich habe die Vorstellung eines höchsten Wesens,
die Vorstellung des Höchsten schließt das Dasein ein, denn ein Höchstes, das ist, wäre höher, als ein Höchstes, daS
nicht ist; also ist mit der Vorstellung des höchsten Wesens gesetzt, daß es ist".
Sehr wohl, aber diese Setzung besagt
doch nur, daß, wenn ich die Vorstellung setze, ich sie als
daseiend setze; nicht aber, daß sie abgesehen von meiner Setzung Realität hat.
Schon Thomas von Aquino be
merkt mit Recht (Summa I quaest 2 art 1) : aus dem
Begriff Gottes folge nur, daß er sei in apprehensione intellectus, nicht aber, daß er sei in rerum natura.
Um
von der Vorstellung zum Sein zu kommen, müßte zuvor ein doppeltes erwiesen werden : daß diese Vorstellung eine notwendige sei und daß jeder notwendigen Vorstellung ein
Sein entspreche.
Beide Ergänzungen hat Cartesius erstrebt,
aber nicht erreicht.
Er behauptet, die Vorstellung Gottes
sei jedem notwendig, weil sie von Gott selbst stamme; denn
wegen ihres
unendlichen Inhalts
könne sie nicht
unserm beschränkten Geiste stammen.
aus
Eine unbewiesene
6 und anfechtbare Behauptung; denn auch der endliche Geist kann durch fortgesetzte Aufhebung der Schranken zum Ge
danken des Unendlichen sich erheben. Damit fällt die andere Ergänzung hin, daß dieser Vorstellung, weil sie notwendig sei, Dasein zukomme.
Wie
Anselm faßt er das Dasein als eine Vollkommenheit : das vollkommenste Wesen ohne Dasein vorstellen heißt : es
ohne Vollkommenheit vorstellen, was ein logischer Wider spruch wäre.
Also muß ich es daseiend vorstellen.
Gewiß,
solange und wenn ich es vorstelle; aber ob dieser Vor
stellung ein Seiendes entspreche oder ob sie ein Einfall ist, darüber giebt die Vorstellung selbst keine Auskunft.
Gegen
diesen Schulwitz behauptet Kant mit Recht, jeder wider
spruchslose Begriff zeigt nur die Möglichkeit eines Daseins an.
Ob dem Begriff ein wirlliches Sein entspricht, kann
niemals aus dem Begriff
herausgeklaubt,
durch Erfahrung ausgemacht werden.
sondern nur
Da nun Gottes
Wesen weder aus dem Begriff noch durch Erfahrung er kannt werden kann, so ist eine allgemein gültige Erkennt
nis Gottes auf diesem Wege nicht zu erreichen.
Dieser
Einwand ist bisher nicht widerlegt worden, weil er un
widerleglich ist. Aber durch Umgestaltung des
hat man ihn zu parieren gesucht.
ontologischen Beweises Schelling (System der
ges. Philos. Band VI, S. 131 ff.) legt folgende Behaup tung als Grundlage des Beweises : Die Scheidung von
Subjekt und Objekt ist ein durch Reflexion gesetzter Irr tum, es giebt nur ein Sein, welches zugleich weiß und gewußt
wird.
Die
Erkenntnis dieser unveränderlichen
Identität ist die Vernunft.
— Aber wer erkennt denn
7 diese Identität?
Doch nur das Subjekt, welches erkennend
sich aus jener Identität heraushebt, scheidet.
also sich vom Objekt
So setzt die Erkenntnis dieser Identität oder die immer
Vernunft
wieder
als Irrtum
jene
verworfene
Scheidung voraus; denn ohne das ist Erkenntnis unmög lich, weil mit dem erkennenden Subjekt die Erkenntnis
selbst aufgehoben wird. — Ja, sagt Schelling, eure auf irrtümlicher Scheidung beruhende reflektierende Erkenntnis!
Dafür aber gewinnen wir eine höhere : in der Vernunft — d. h. also : in der Erkenntnis der Identität von Sub
jekt und Objekt — affirmiert die Idee des Absoluten sich selbst. Diese Erkenntnis ist keine reflektierte Überzeugung
von
etwas
anderem,
sondern
eine
kontemplative
intellektuale Anschauung. — Anschauung? schauung und wovon?
oder
Wessen An
Doch wohl Anschauung des Sub
jekts und zwar, wenn nicht von etwas anderem, so von
sich selbst, nachdem es sich vorher durch poetische und reli
giöse Erhebung zum Absoluten
ausgeweitet
haben also eine Selbstanschauung
hat.
Wir
ohne Vorstellung und
Begriff, deren Wert wir jetzt nicht prüfen, die aber jeden
falls nicht über das Ich hinausführt.
Wenn das Dasein
Gottes nur darin besteht, dann allerdings folgt aus dieser Selbstanschauung das Dasein GotteS; denn sie ist dieses Dasein.
Aber ist das ausgeweitete, sich selbst anschauende
Ich die Gottheit, die wir suchen? Hegel (in seinen Beweisen für das Dasein Gottes)
nimmt einen anderen Ausgang. „Begriff"
Er legt zuerst dem Worte
einen besonderen Sinn bei.
Begriff ist nicht
eine subjektive Abstraktton oder gar eine willkürliche Vor
stellung, sondern ein Reales, welches dem Dasein seines
8 Inhalts vorausgeht.
ES ist das Wesen des Begriffs, sein
Dasein zu produzieren.
Er ist Bewegung, die Triebkraft
alles Lebendigen, der Prozeß sich zu objektivieren.
So ver
steht Hegel unter Begriff ganz etwas andres, als Anselm
und wir : er ist eine schöpferische Potenz, die ihren Inhalt inS Dasein einführt.
Darum folgt aus jedem Begriff
notwendig sein Dasein; auch
aus dem Begriff Gottes.
Die Gottheit als Begriff setzt ihren Inhalt als Welt aus
sich heraus, um sich dadurch zum bewußten Fürsichsein und absoluten Geist zu entwickeln.
Darum folgt aus dem Be
griff Gottes, zwar nicht daß er ist, aber daß er wird.
Aber indem Hegel nicht vom subjektiven Begriff, sondern
von einem fingierten Begriff als objektiver Potenz ausgeht, zerstört er die Grundlage des ontologischen Beweises, von
dem er das bloße Wort „Begriff" beibehält, mit dem er einen ganz anderen Sinn verbindet; und auf dieser neuen
Grundlage baut er eine phantastische Theogonie, aber keinen
Beweis für das Dasein Gottes. Trotz dieser
mißglückten Versuche sind
noch
heute
Theologen verschiedener Richtung bemüht, dem ontologi
schen Beweise neue
Stützen
unterzuziehen;
Martensen
und Dörner, Pfleiderer und Biedermann halten ihn für lebensfähig, ohne indeß ihm zu neuem Leben verholfen zu haben.
2.
Sodann pflegt man im kosmologischen Beweise
vom Dasein der Welt auf ihre Ursache zu schließen.
Nichts
ist durch sich selbst, sondern alles hat seine zureichende
Ursache außer sich.
Das
ganze Weltgeschehen ist eine
lückenlose Kette von Ursachen und Wirkungen; der gegen wärtige Weltbestand ist also das Produkt des ihm vorher-
9 gehenden und so fort.
Dieser Rückgang am Faden der
Kausalität kann aber nicht ins Unendliche geschehen; end lich müssen wir auf etwas stoßen, das die Ursach aller
Dinge ist und zugleich seinen Grund in sich selbst hat.
Das Wesen ist Gott. — Wir können allerdings nach dem
Prinzip der Kausalität das Weltgeschehen eine Zeitlang rückwärts verfolgen, aber nicht sehr weit.
Die lebenden
Menschen stammen von ihren Voreltern, diese von einem noch früheren Geschlecht und so verfolgen wir die Spuren menschlichen Daseins bis in
aber
die geologische Tertiärzeit;
da hat unser Wissen ein Ende.
Früher kann der
Mensch nicht gelebt haben, weil dazu die Erde noch nicht
geeignet war, und auf dem Wege der Zeugung kann der erste Mensch nicht entstanden sein.
Entstehens aber ist uns unbekannt.
Eine andere Art seines Ob er erschaffen, ob
er aus niederen Organismen sich entwickelt, ob zuerst ein Paar gewesen oder durch dieselbe Ursache mehrere Paare
entstanden sind, darüber fehlt uns jedes Wissen.
Die
Spuren der Tiere, der Pflanzen, die Bildung der Erdrinde
verfolgen wir an bestimmten Thatsachen noch einige Perioden
weiter; dann aber hört jede Verbindung von Erfahrungen nach
dem Grundsatz der Kausalität auf, denn die Er
fahrungen fehlen.
An ihre Stelle tritt nun die Vermu
tung : es möchte wohl ursprünglich eine kolossale Dunst
kugel, welche die Keime alles Werdens in sich enthielt, durch rotierende Bewegung glühend, feurige Ballen von
sich abgeschleudert haben und diese zu Planeten erkaltet
sein.
Es kann so gewesen sein, es kann auch anders ge
wesen sein.
Vielleicht wird man über 100 Jahren diese
jetzt bevorzugte Vermutung abgethan und eine andere an
10 ihre Stelle gesetzt haben; aber wie man auch den Welt-
embrho sich vorstellen mag : woher kommt er selbst?
Da
rüber hinaus hört selbst die Vermutung auf, ich sehe nur
finstere Nacht.
Ob dahinter eine erste Ursache ist, welche
zugleich Ursach ihres Daseins ist, ob diese erste Ursache
mechanische Kraft oder träumendes Wesen oder bewußter Geist ist, ob ein oder mehrere solche Wesen sind, darüber
kann ich keinerlei Auskunft finden.
Also ist auch dieser
Weg Gott zu erkennen vergeblich.
Aber schon Cicero hat versucht, diesen Beweis zu ver
bessern, indem er nicht bloß auf das Dasein, sondern auf die Beschaffenheit der Welt achtete und daraus auf die
Beschaffenheit
des Welturhebers
schloß.
Er
sagt (de
natura deorum) : das Vernunftlose kann nicht daS Ver
nünftige hervorbringen; nun hat die unbekannte Weltur sache den vernünftigen Menschen hervorgebracht, also muß
sie selbst vernünftig sein.
Akademiker Cotta :
Darauf antwortet freilich der
dann müsse Gott auch Flöte blasen,
denn dies sei vernünftiger als nicht Flöte blasen.
Aber
diese Antwort ist kein Einwand; denn wenn man sie ihrer Komik entkleidet, besagt sie nur, daß der Welturheber jeden falls selbst alle die Vorzüge besitzen müsse, die wir in
seiner Welt finden.
Und
das ist allerdings unabweislich.
Denn wenn man das Gegenteil annähme, daß der Welt
urheber durch die Weltentwicklung Vorzüge erwirbt, die er vorher nicht besitzt, so müßte man über dem Welturheber noch einen Urgrund annehmen, der dem Welturheber diese
Entwicklungsfähigkeit eingepflanzt habe.
Auch hat diese
Ansicht in sich etwas Befriedigendes; denn wir wissen aus
Erfahrung,
daß
menschliche Vernunft
eine Reihe von
11 Wirkungen hervorbringen kann, die in ihr allein begründet So hat die Annahme, daß der Weltgrund ein ver
sind.
nünftiges Wesen sei, in der That etwas voraus vor jeder anderen Hypothese, wie schon dem AnaxagoraS einleuchtete.
Aber jede Hypothese Gewißheit.
giebt nur Wahrscheinlichkeit,
Die Annahme
keine
eines Unbekannten zur Er
klärung eines Bekannten ist keine Erkenntnis dieses Un bekannten, sondern höchstens eine Aufforderung, ihn weiter zu suchen.
3.
Aber die Betrachtung der natürlichen Verände
rungen zeigt uns noch andere, ganz eigentümliche Gebilde.
Gewisse Bewegungen bringen einheitliche Lebewesen hervor, welche an Wert alle mechanischen Vorgänge übertreffen. Der Kern eignet sich aus Erde, Luft, Regen die nötigen
Stoffe an, verarbeitet sie nach seinem Bedarf und gestaltet
sich dadurch zu Keim, Reis, Baum, und der letztere über
trifft alle aufgewandten Stoffe an Wert.
Der tierische
Embryo verarbeitet die ihm zugeführten Stoffe also, daß
ein lebensfähiges Wesen entsteht, mit Sinnen zur Wahr nehmung, mit Organen zur Ernährung, mit Gliedern zur
Bewegung, mit Waffen zum Schutz oder zur Verteidigung. Der Begriff des
noch nicht Vorhandenen bestimmt das
Thun des Embryo; das vollendete Tier war das Modell, nach welchem er unbewußt gearbeitet hat, und das Produkt dieser Arbeit ist im Verhältnis zu den verbrauchten Stoffen
so wertvoll, daß wir die Erzielung desselben als Ursache
der ganzen Bewegung ansehen müssen nach Art mensch licher Zwecksetzung.
Diese Betrachtung ist nicht, wie Kant
meint, eine subjektive Verknüpfung an sich unzusammen hängender Vorgänge,
sondern nur das Nachdenken des
12 objektiv vorliegenden Zusammenhangs.
Wäre die teleo
logische Betrachtung nur ein subjektives Schema, das wir an die Dinge heranbringen, dann wäre es auf alle Vor Nun ist aber diese Betrachtung bei
gänge anwendbar.
vielen Veränderungen ganz unanwendbar, während sie bei
andern sich mit unwiderstehlicher Evidenz aufdrängt :
ein
Beweis, daß der Zweckgedanke nicht in uns, sondern in
den Dingen liegt.
Kant freilich verlangt, um dies zuzu
geben, zuvor den Nachweis, daß diese Wirkungen unmög
lich allein durch zufälliges Zusammenwirken mechanischer
Ursachen hätten hervorgebracht werden können.
Aber hier
hat ihn die sonst so maßvolle Besonnenheit verlassen.
Wer
verlangt den Beweis, daß ein gotischer Dom nicht habe
entstehen können durch ein zufälliges Zusammenwerfen von Steinen?
eine Uhr
nicht durch ein blindes Zusammen
treffen von Metallstücken?
Schon Cicero fragt mit Recht:
ist es möglich, daß die Annalen des Ennius durch eine Zusammenwürfelung der 21 Buchstaben entstanden sind?
Wer kann darauf Ja antworten, wenn er bei gesunder Überlegung ist? Wenn aber gewisse Dinge zweckmäßig handeln, ohne selbst den Zweck zu wissen, so muß der Weltgrund, dem sie ihr Dasein verdanken, diesen Zweck gesetzt und dieses Handeln daraufhin geordnet haben; d. h.
der Weltgrund ist zwecksetzendes Wesen und das ist der
teleologische Beweis.
„Mag man
das
eine
Hypothese
nennen", sagt Herbart (Einleitung in die Phil.),
Unterschiede
von
einer
„im
wissenschaftlichen Demonstration,
immer beruht sie auf Tatsachen, die stark genug sind, eine Überzeugung zu tragen".
Wenn aber die Zwecksetzung für gewisse Veränderungen
13 als wahr erwiesen ist, folgt daraus, daß alles Naturge
schehen zweckmäßig geordnet sei? läufig annehmen als
ein
Wir mögen das vor
heuristisches
Prinzip,
durch
welches wir die Welt zu verstehen suchen; wenn wir den
Nachweis liefern könnten, daß die Welt ein System von
Zwecken sei, welche alle auf einen letzten Zweck hinarbeiten,
dann würden wir eine vollkommene Welterklärung gegeben haben. liefern
Aber leider wegen
können wir
der Unendlichkeit
diesen Nachweis nicht der Aufgabe.
Welcher
irdische Geist überschaut den letzten Zweck alles Geschehens
und den Beitrag, den jeder einzelne Vorgang dazu liefert? Ja unsere Annahme wird vielfach erschüttert durch unbe greifliche, selbst zweckwidrige Vorgänge.
Ist der Zweck der
Welt das Glück der Geschöpfe, wie reimt sich damit Elend
und Tod?
Ist
der Zweck die Kultur der Menschheit,
warum tritt so oft Barbarei an Stelle früherer Kultur? Oder welchen Zweck man sonst annehmen will, immer sind
die Vorgänge, welche ihn hindern und vereiteln, zahllos. Wie viele sind an der Zweckmäßigkeit des Weltgeschehens irre geworden durch die Verheerungen, welche das Erd
beben von Lissabon anrichtete! durch die Barbarei, welche der Sieg des Halbmonds über blühende Länder heraufge
führt hat!
Zu schweigen von persönlichen bitteren Er
fahrungen. Wir sehen also
in
der Welt einen Kampf zweier
Prinzipien, einen zwecksetzenden, ordnenden Geist, dessen
Gebilde aber durch rohe, brutale Gewalten vielfach ge hemmt oder zerstört werden.
Diese Thatsachen nötigen zu
dem Schluß, daß dem Weltgeschehen nicht ein einheitlicher Urheber, sondern ein doppeltes Prinzip zu Grunde liegt :
14 ein verständiger, zwecksetzender Bildner, der die ungefügen Kräfte sich einigermaßen dienstbar macht, ohne sie bis jetzt Und diese zwei widerstrebenden Prin
völlig zu bändigen.
zipien auf eins zurückzuführen, dazu
giebt uns die allge
meine Welterfahrung keine Möglichkeit
und kein Recht.
Kraft unsrer christlichen Erziehung sind wir bereit,
einen
allweisen und allmächtigen Gott vorauszusetzen, der seine Zwecke unbehindert durchführt, auch dann, wenn wir sie
nicht verstehen.
Aber dieser Glaube, der unsrer Beschränkt
heit so wohl ansteht, beruht nicht auf unserer WelterkenntniS, sondern wenn wir ihn haben, so behaupten wir
ihn aller Erfahrung zum Trotz, aus anderen Gründen. Also ein zweckvolles Geschehen erkennen wir nur in
einem kleinen Kreise; darüber hinaus liegt das große Ge biet
des zwecklosen
oder
gar zweckwidrigen Geschehens.
Wir können daher den Beweis nicht erbringen, daß alles
Weltgeschehen durch einen einheitlichen zwecksetzenden Ur heber regiert werde.
gescheitert
Und damit ist unser erster Anlauf
Die Betrachtung der Welt giebt
uns eine
Vermutung, die durch manche Thatsachen unterstützt, durch andere
widerlegt
wird;
also
keine
gewisse Erkenntnis.
Wollte man aber auch hoffen, mit dem Fortschritt der Erkenntnis das Zweckwidrige nach und nach als zweckvoll zu begreifen, immer haben wir nur eine Hypothese über den Weltgrund, keine gewisse Erkenntnis Gottes.
Als
Leverrier aus gewissen Störungen im Laufe des Uranus auf das Dasein eines unbekannten Planeten schloß, war
dies eine wahrscheinliche Hypothese, aber nicht mehr.
Erst
als in Folge eifrigen Suchens Neptun entdeckt und so die
Hypothese durch die Erfahrung bestätigt wurde, da hatte
15 man eine gewisse Erkenntnis.
So haben wir eine Hypo
these, aber nicht mehr; damit sie zur gewissen Erkenntnis
werde, muß die Erfahrung hinzukommen und die kann
hier leider nicht gegeben werden, denn Gott erfährt man Das ist der
nicht auf eine allgemein überzeugende Weise.
garstige breite Graben, über den wir nicht hinüber können;
wir haben einen Jkarusflug gewagt und erfahren, daß wir kraftlos am Boden liegen.
Was sollen wir thun?
sich beruhen lassen?
Die Frage als unlösbar auf
Es giebt viele wichtige Fragen, die
wir wohl aufwerfen, aber nicht beantworten können.
möchte
nicht wissen,
Geistern bewohnt sind?
ob
die Sterne
Und doch verzichten wir auf die
Antwort, weil sie unser Vermögen übersteigt.
hier auch verzichten?
Wer
von vernünftigen Wollen wir
Wir können es nicht, denn uns
treibt mehr als Wißbegierde, uns treibt ein Lebensinteresse.
Wir möchten den unbekannten Gott erkennen, nicht um
unsere Erkenntnis zu erweitern, sondern um ihn zu ver ehren, um uns seiner Gnade und Huld zu erfreuen und
nicht, wie die Athener, ins Ungewisse ihm Altäre zu er
bauen. 4.
So wollen wir den zweiten Versuch wagen. War vielleicht
unser erster Versuch so verkehrt
angestellt, daß er mißlingen mußte?
Erst stellten wir
uns einen unbekannten Gott außerhalb und hinter der
Welt vor,
dann
suchten wir sein Wesen
aus Welter
fahrungen zu erschließen, zuletzt erklärten wir diese Schlüsse für bloße Hypothesen, weil die unmittelbare Erfahrung
des Gottes fehle, den wir erschlossen hatten.
Und eben
diese Erfahrung ist doch nach unserer eigenen Voraus-
16 setzung nicht möglich, weil dieser Gott ja außerhalb der
Welt d. h. über alle Erfahrung sein soll.
Um Gott zu
erkennen, müssen wir in der Welt bleiben : wenn wir ihn
da nicht finden, außerhalb der Welt werden wir ihn nie finden.
Das ist der richtige Grundgedanke, den die Spe
kulation dem Dualismus Kants entgegen setzte.
Wie?
gebildet
Gott
aus
nur eine
wäre
dem Bedürfnis
Idee vom Menschen
nach Totalität
der Be
dingungen, während doch sein Wesen verborgen bleibt?
Die
Sache
verhält
sich
gerade
umgekehrt,
die
Welt
als ein Ganzes ist zuerst; die Dinge sind nicht eine zu fällige Menge, ein zusammengewürfelter Haufen, den wir
erst ordnen müßten; sondern eine engverbundene Einheit, ein abgeschlossenes System, die sichtbare Darstellung des
unsichtbaren Weltgrundes.
Wir aber können diese Totali
tät nicht in einer Anschauung auffassen; unsre Beschränkt heit nötigt uns, die Dinge zu zerlegen, wie ein Kind den
Satz seiner Fibel in Wörter, Silben, Buchstaben zerlegt,
um dann durch langsames Zusammensetzen nach und nach
die Anschauungen und Gedanken zu begreifen. scheiden wir zunächst
So unter
uns selbst als Subjekt von allem
andern als den Objekten, wir isolieren uns; dann scheiden wir die Objekte nach Raum, Zeit, Merkmalen, um sie
hernach durch höhere Begriffe, durch Kategorien wieder zu verbinden.
Dabei stellen
wir nur den Zusammenhang
wieder her, den wir zuerst zerrissen hatten.
Aber nicht
nur ist die Einheit der Dinge das erste, sondern auch das Bewußtsein
dieser Einheit geht der
zergliedernden
Reflexion voraus und hat längst in religvsen Anschauungen
ihren Ausdruck gefunden, ehe das Zergliedern anfängt.
17 Ulrici sagt
mit Recht (Gott u. Natur S. 605) : keine
Reflexion hat zur Annahme eines Gottes geführt, sondern die Vorstellung einer göttlichen Macht hinter den Erschei nungen ist eine ursprüngliche Überzeugung, die nur mit bestimmten
Erscheinungen
in
Verbindung
gesetzt
wird.
Wie ein anderer Mensch nicht nur sinnlich auf mich wirkt, sondern durch die Summe der Einzelwirkungen sein Geist mir erkennbar wird, so erkenne ich im irdischen Geschehen
den darin waltenden Geist. Dies ist noch keine Erkennt nis Gottes, aber Überzeugung von seinem Dasein." —
Aber die Spekulation fordert einen weiteren Schritt. stellen
Wir
zwar den Zusammenhang der Welt wieder her,
wenn wir sie als Manifestation des einen Gottes betrach
ten; aber wir selbst bleiben in der Isolierung des Ichbe wußtseins.
Wenn wir diese Spaltung zwischen dem Ich
und dem Andern überwinden, wenn wir aus dem Zustande
der isolierten Reflexion zurückkehren in den mütterlichen Schoß der Einheit, aus der wir uns losgerissen haben, dann erkennen wir Gott, indem wir mit ihm eins werden.
So lehrt Hegel (Beweise für das Dasein Gottes § 5) : „Jedes Erkennen stellt sich Gott gegenüber, ist also ein
seitig. hebt
des
Die Erhebung
subjektiven Geistes zu Gott
auf."
diese Einseitigkeit
Weiter
(Religionsphilos.
S. 151) : „Solange ich Gott als jenseits, außer mir denke,
begrenze ich ihn; erst
wenn ich Gott und mein Bewußt
sein als eins setze, mich als Moment in dem Prozeß Gottes weiß, ist die Religion vollendet."
Daher giebt er
dem kosmologischen Beweis folgende Fassung : „Das Sein
alles Endlichen ist nicht eignes Sein, sondern Dasein des
Unendlichen.
So
tritt
an
die Stelle
eines logischen
2
18 Schlusses der reale Übergang ins Jntelligible, die religiöse Erhebung. Der alte kosmologisch« Beweis stellt das Zufällige dem Notwendigen gleich; der reale Übergang von Geist zu Geist, das ist der wahre kosmologische Beweis."
Aber mit dem Aufheben des Unterschiedes von Sub
jekt und Objekt ist alle Erkenntnis aufgehoben, die auf diesem Unterschied beruht, an ihre Stelle tritt ein unklares Vergessen
aller Unterschiede oder
Enthusiasmus.
ein gottheitstrunkener
Das giebt Schleiermacher, der den speku
lativen Pantheismus nie abgestreift hat, ausdrücklich zu, wenn er behauptet : das Absolute lasse sich nicht erkennen,
weil es über dem Gegensatz von Subjekt und Objekt stehe;
es
gebe nur eine unmittelbare Gewißheit darüber durch
das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl.
In diesem Gefühl
soll eine Verschmelzung des Ich mit dem Absoluten gesetzt
sein, aber indem wir zum Bewußtsein derselben kommen,
unterscheiden wir uns vom Absoluten und schauen es mit Hülfe der Phantasie in Bildern an, die aus der sinnlichen
Erfahrung
genommen
und
deshalb
unzutreffend
sind.
Aber dann ist Erkenntnis Gottes subjektiv unmöglich; denn
erkennen kann ich nur ein Objekt; indem ich aber Gott als solches vorstelle, habe ich ihn schon verloren.
Ich kann
ihn nur finden durch jenes dunkle Gefühl, das jenseits
meines persönlichen Bewußtseins liegt und sich deshalb der begrifflichen Fassung entzieht.
Aber auch objektiv er-
llärt die Spekulation den Gott, den sie in der Welt erfassen will, für unerkennbar; denn er ist zwar der reale Grund alles Seins, aber selbst nichts von allem Seienden.
Er ist
der Grund aller denkenden und ausgedehnten Wesen, aber
selbst keins von beiden; er kann nur als das nackte Sein
19 bezeichnet werden ohne jede Qualität, welches alles Seiende aus sich heraussetzt und von dem daher alles abhängig ist.
So lehrt Schleiermacher : alles Empirische sei zu sammengesetzt aus Idealem und Realem,
Vernunft und
Sein; das eine lasse sich nicht aus dem andern ableiten;
aber die Harmonie beider nötige uns, einen gemeinsamen Grund
beider vorauszusetzen,
sei : das absolute Sein.
der aber keins von beiden
Ob man sich dieses als Person
vorstelle oder als die über alle Persönlichkeit hinausgestellte Notwendigkeit, die alles Sein produziere, immer bleibe es
ein unzureichender Versuch, die Gottheit vorzustellen, die wir im absoluten Abhängigkeitsgefühl erfahren.
Wie wenig hält diese Spekulation, was sie verspricht : sie verwirft den Dualismus, um uns Gott in der Welt er
kennen zu lassen; dafür erklärt sie Gott aus objektiven und
subjektiven Gründen für unerkennbar und setzt an
die Stelle der Erkenntnis einen begrifflosen Enthusiasmus. Diese Spekulation ist
ebenso wertlos, wie schädlich.
Sie
hat statt besonnener Forschung willkürliche Phantasie an
gespannt, um aus dem unbekannten Sein die Weltbewegung
abzuleiten, sei es als Produkt physischer Potenzen, sei es zu zwecklosem Spiel oder zur Selbstvollendung des Absolu ten.
So hat sie nach Herbarts treffendem Ausdruck die
Wasser der Poesie in das Bett der Philosophie geleitet und
mythologische Einfälle für wissenschaftliche Erkenntnis aus gegeben.
Sie hat die Energie des sittlichen Willens ge
lähmt und ein träumerisches, genußreiches Dasein befördert, mochte sie nun das individuelle Dasein als Elend und Ab
fall begreifen, das baldigst abzustreifen ist, oder mochte sie
ihm einen vorübergehenden Wert beilegen.
Vor allem aber 2*
20 hat sie die Frömmigkeit geschädigt; denn wenn das Indi viduum sich selbst zum absoluten Geist aufbläht, so macht
es sich zum Götzen und verfällt in die schlimmste Art des Hochmuts.
5.
Dennoch hat die Spekulation darin Recht, daß
wir Gott in der Welt finden müssen.
Wir finden da zwei
Arten des Seins : bewußtloses und bewußtes Sein; Na turleben und Geistesleben in der Menschheit.
Letzteres gestaltet sich zunächst als Gemeingeist in Fa
milie und Volk aus durch Sitte und Gesetz, durch Kultus und Kunstübung.
Bei vielen Völkern bleibt der indivi
duelle Geist unter diesen Gemeingeist gebunden und damit ist jede Entwicklung abgeschnitten; denn diese erfolgt nur, wenn der individuelle Geist sich gegen die Ordnungen des
Gemeingeistes auflehnt.
Wo aber dies geschieht, da ent
wickelt sich aus dem Volksgeist das persönliche Geistesleben.
Und zwar erfolgt diese Auflehnung in dreifacher Weise. Der einzelne nimmt Anstoß an den überlieferten Vorstel
lungen des Volksgeistes, er vergleicht sie unter sich oder mit andern Beobachtungen und ändert sie ab : der An
fang der Wissenschaft.
Oder der einzelne löst sich von
der hergebrachten Kunstübung und bildet sie um nach ei nem eignen Bild der Schönheit : der Anfang der Kunst. Oder der einzelne nimmt Anstoß an herrschenden Sitten
und gültigen Gesetzen; ihm geht ein Begriff des guten
Handelns auf, nach welchem er sein Leben gestaltet : der
Anfang der
persönlichen Sittlichkeit.
Damit erhebt sich
der Mensch aus der Verflochtenheit in das Naturleben, aus den Banden des Familien- und Volkslebens. Person und führt ein persönliches Innenleben.
Er wird
Indem
21 er die Welt denkend sich aneignet, sammelt er einen Schatz
von Wahrheit, der ihn von der Umgebung unabhängig macht; indem er seine Umgebung und sein eignes Natur leben ordnet nach eigenen Grundsätzen, wirkt er schöpferisch und erlangt eine persönliche Macht über die Natur.
ist das Wesen der Persönlichkeit.
Das
Jeder ist nicht von selbst
Person, sondern wird es durch Bethätigung des sittlichen
Willens und in dem Maße, als es ihm gelingt, sein Leben einheitlich auSzugestalten und von dem passiven Bestimmt werden durch Natur und Umgebung sich frei zu machen. Bei keinem Volke bemerken wir den Fortschritt zur Persönlichkeit so deutlich, wie beim griechischen Volk.
ältesten Philosophen erheben
sich aus
den
Die
überlieferten
Vorstellungen zur denkenden Welterklärung; die Künstler
gestalten die alten Götterbilder zu idealer Schönheit um; endlich
aber erachten die Weltweisen seit Sokrates es für
ihre Aufgabe, ihre Schüler zum guten Handeln, zur sitt lichen Persönlichkeit zu bilden.
Das Wahre, Schöne und
Gute ist das Ziel des Personlebens; Wissenschaft, Kunst und Sittlichkeit das Gebiet seiner Bethätigung nach PlatoS Aufstellung und nur der ist tüchtig, welcher sein Leben
einheitlich p. 519.)
nach
diesem Ziele
gestaltet,
(republ. VII,
„Die sind weder bei Leitung des Staates noch
in der Erziehung zu gebrauchen, welche nicht in ihrem
Leben ein einheitliches Ziel haben,
das sie beständig im
Auge halten bei allem, was sie thun, es sei im Hause oder in der Öffentlichkeit." Wer so zum persönlichen Fürsichsein gelangt ist, daß
er sein Leben nach dem einheitlichen Zweck des Guten ordnet, der erfährt,
daß dies persönliche Leben wertvoller
22 ist als daS Naturleben und hat darin den Beweis, daß das
ganze Natursein nur Voraussetzung und Mittel zu diesem
Zweck ist.
Darin ist aber die Erkenntnis enthalten, daß
der Welturheber diesen Zweck beabsichtigt hat, d. h. daß
er zielbewußter, guter Wille ist.
Wo daS Personleben nur
in Reflexion über die Weltveränderungen besteht, da kann man beim rotierenden Feuerball stehen bleiben, in dem die
Keime alles Werdenden beschlossen sind oder man mag ein
Geistwesen mit unbewußtem Kunsttrieb postulieren; beides
Wer aber den
sind Hülfshhpothesen zur Welterklärung.
Wert deS Personlebenö im guten Willen erfahren hat, der erkennt darin den Zweck des ganzen Daseins und damit
den Urheber der Welt als zwecksetzenden, guten Willen d. h. als Gott; denn eine blinde Naturkraft, ein träumerisches Geistwesen kann nicht Gott genannt werden.
Was der
kosmologische Beweis wahrscheinlich machte, daß der Welt urheber ein selbstmächtiges, vernünftiges Wesen sei, was
der teleologische Beweis uns nahe legte,
trotz mancher
entgegenstehender Erfahrung, daß er zwecksetzender Wille
sei, daS wird uns durch die Erfahrung des sittlich-guten Personlebens zur Gewißheit; denn das sittlich Gute kann
nicht durch Zufall entstehen.
Und dadurch bekommt die
teleologische Betrachtung ihren Inhalt.
Denn wie viel
fach sich auch die Zweckmäßigkeit einzelner Gebilde auf drängte, immer scheiterte diese Betrachtung an der Frage :
welches ist denn der letzte Zweck all dieser Naturgebilde? Auf diese Frage kann die Naturerkenntnis keine Antwort geben, weil dieser Zweck über die Natur hinaus liegen
muß, und dadurch wurde wieder in Frage gestellt.
die ganze Betrachtung
Die sittlich gute Person kennt diesen
23 Zweck, denn sie hat seine Verwirklichung an sich erfahren
und weiß dadurch, daß der Urheber der Natur über die
Natur erhaben,
d. h. mächtiger,
zwecksetzender,
guter
Wille ist. Diese Gotteserkenntnis läßt sich nicht durch sinnliche
oder logische Gründe erweisen; wer den Wert des guten Personlebens in sich nicht erfährt, dem bleibt sie verborgen. Daher finden wir bei allen Weltweisen von ernster Sitt lichkeit eine ungezweifelte Gottesüberzeugung; das Maß der Sittlichkeit ist das Maß der Gotteserkenntnis. Über
alle ragt um Haupteslänge hervor der unsterbliche Plato. Ihm sind die Ideen das Bleibende und Wertvolle in der
Flucht der Erscheinungen; die höchste Idee, der Grund aller anderen, ist Gott, der sie in sich zusammenfaßt.
„Es
ist dem Weisen unanständig anzunehmen, daß alles wie
zufällig aus dem Körperlichen entstehe, sondern sich selbst ehrend muß er die Vernunft für das Höchste und für die
größte Kraft halten und daher alles aus der vernünftigen
und göttlichen Ursache ableiten (Sophist S. 248).
In
sonderheit ist Gott das Schöne und Gute, nach welchem strebend der Sterbliche an dem wahren Sein Teil hat
(Phädrus 246).
Wie die Sonne nicht nur bewirkt, daß
wir sehen, sondern auch, daß alles wächst und gedeiht, so
bewirkt das Gute nicht nur, daß wir es erkennen, sondern daß wir gut werden (republ. VI 506).
Die gleiche Beobachtung machen wir bei den Stoikern, wie folgende Sätze des Epictet zeigen :
Unser Glück besteht nicht in dem, was nicht in unsrer Gewalt ist, den irdischen Gütern, sondern in dem, was in
unsrer Gewalt ist: unsern Vorstellungen und Strebungen.
24 Alles, was dir äußerlich begegnet, ist weder gut noch böse,
darf also deine Seele nicht bewegen.
Nur dein Wille ist
gut, daher mußt du die Seele reinigen.
Deshalb wird
der Gute das Leben nicht unerträglich finden, sich über
niemand
beschweren, weder
Götter.
Gott ist gut und hat alles so eingerichtet, wie
es zu unserm Besten ist.
über Menschen
noch
über
Wollen wir nichts anderes, als
was Gott will, so sind wir wahrhaft frei und alles ge schieht nach unserm Willen.
Dies ist das Maß der Gotteserkenntnis, welches von Heiden, allerdings nur in einzelnen Fällen erreicht ist.
daß sie seine ewige Kraft
Auch Paulus bestätigt,
und
Gottheit ersehen nicht nur aus den Werken der Schöpfung, sondern mehr noch aus dem Gewissen, welches bezeugt,
daß Gottes Gesetz geschrieben sei in ihren Herzen (Röm.
2, 15).
Diese natürliche Gotteserkenntnis ist die Voraus
setzung des Evangeliums, denn ich kann das Neue, welches das Evangelium von Gott verkündet, gar nicht verstehen,
wenn ich nicht zuvor einen Begriff von Gott habe; darum
knüpft auch Paulus zu Athen seine Heilspredigt an die
natürliche Gotteserkenntnis an (Act. 17, 23). Es ist ein großes Verdienst Kants, und darin darf
er dem Sokrates verglichen werden, daß er die Gotteser kenntnis
dem Gebiet
entnommen
und
des
wieder
interesselosen Naturerkennen«
auf
den
sittlichen Willen
ge
In der Natur können wir weder einen
gründet hat.
allgemeinen Endzweck nachweisen noch führt die Naturbe
trachtung auf einen über die Natur hinausliegenden End zweck.
Aber da tritt der Wert des Menschen ein : der
gute Wille
ist
daS allein Wertvolle
und darum End-
25 zweck alles Seins.
gesetzgebend
Deshalb muß
sein und als
und heilig gedacht werden
das oberste
allmächtig,
Prinzip
allwissend, ewig
(Kr. d. Urteilskr. S. 405 ff.).
Hier bekommt die teleologische Weltbetrachtung ihren In halt.
Die Organismen waren
wirkende Gebilde
als in sich
erkannt worden;
Zweck der Organismen?
zweckmäßig
aber welches ist der
Die Naturbetrachtung kann nur
irdisches Wohlbefinden angeben und in der That hat man
versucht, die ganze Moral als ein Mittel zu diesem Zwecke zu verstehen.
Die beiden obersten Gebote, das der Selbst
beherrschung und der Nächstenliebe, dienen allerdings auch dem irdischen Wohlergehn; die zügellose Begierde stiftet
Unheil und die Verletzung der Nächstenliebe Unfrieden und Streit.
Dann wäre das Gewissen nichts anders als
eine durch das unmittelbare Bewußtsein von diesem Zu
sammenhang gestellte Forderung der Vernunft.
Aber wenn
irdisches Wohlsein der höchste Zweck wäre, wie könnte ich mein und anderer Leben und Wohl der Moral nachsetzen und doch fordert die sittliche Pflicht das unbedingt.
Diese
souveräne Macht der Moral, welche Achtung und Ge
horsam dem freien Willen abnvtigt, welche jedes Opfer fordert, nicht als ein besonderes Verdienst, sondern als
einfache Pflicht, hat Kant in seiner schlichten und darum ergreifenden Weise dem positiven Aufbau seiner Welter
kenntnis zu Grunde gelegt.
Hier ist der feste Punkt, der
nicht wankt, nachdem er alle anderen Grundlagen der
Welterkenntnis kritisch erschüttert hat. „Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst; doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im
26
Gemüte erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen,
sondern bloß ein Gesetz aufstellest, welches von selbst im Gemüte Eingang findet und doch sich selbst wider Willen
Verehrung, wenngleich nicht immer Befolgung erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich im
Geheim ihm entgegenwirken, welches ist der deiner wür
dige Ursprung?" (Prakt. B. S. 154).
Er findet den Grund
für die Hoheit der Pflicht in der intelligiblen Persönlichkeit,
welche, unabhängig
von dem ganzen Mechanismus der
Natur, kraft eigner Vernunftgesetze die empirische Person
Aber den nächstliegenden Weg zur Erkenntnis
beherrscht.
Gottes, daß nämlich der Welturheber diese Entwicklung
von
der empirischen zur
sittlichen Persönlichkeit
sowohl
durch den Naturmechanismus ermöglicht wie bezweckt habe, den verschmäht Kant, von der Überzeugung geleitet, daß
die Kategorien der Ursache und des Zwecks nicht über die Sinneserfahrung hinaus anwendbar sind.
Er macht des
halb einen Umweg zu diesem Ziele. Wir sind so organisiert, daß wir sowohl nach Moralität wie nach Glückseligkeit streben : die auf moralischer Wür
digkeit beruhende Glückseligkeit ist das höchste Gut. Glück seligkeit beruht auf Übereinstimmung der Natur mit unsern
Zwecken.
Nun hängt zwar unsre Moralität von unsrer
Freiheit ab; aber wir sind nicht die Urheber der Natur
und können
den
Zusammenhang
Glückseligkeit nicht herstellen.
zwischen Moral
und
Darum postulieren wir ein
über die Natur erhabenes Wesen, welches diesen Zusammen
hang garantiert; welches also gut und allmächtig ist und das ist Gott (prakt. Ver. S. 223, Urteilskraft Teil II).
Gegen diesen Beweis wendet Herbart mit Recht ein ;
27 der Sieg der Moral ist ein achtungswerter Wunsch, aber keine Thatsache, aus der ich Schlüsse ziehen kann, sondern diese Überzeugung muß selbst erst begründet werden. Und
ebenso wenig beweist mein Verlangen nach Glückseligkeit,
daß
es werde befriedigt werden.
Kein Mensch erkennt
Gott daraus, weil er vorher seiner Glückseligkeit gewiß ist, sondern kann umgekehrt derselben erst gewiß sein, nach
dem er Gott erkannt hat.
Der so begründete Gottesglaube
bleibt allerdings ein unerweisliches Postulat, ist keine Er
Aber Kants Behauptung, daß Kausalität und
kenntnis.
Zweck nicht über
die sinnliche Erfahrung hinausreichen
und subjektive Kategorien seien, ist falsch;
dem
wider
spricht schon seine eigene Voraussetzung, daß die Dinge
an sich reale Ursachen der Veränderung
welche uns als Wahrnehmung
in
uns seien,
bewußt wird.
So haben
wir, nachdem wir den Wert der sittlichen Persönlichkeit
kennen, darin die Gewißheit, daß sie der Zweck des WeltdaseinS ist; daß also der Welturheber diesen Zweck gesetzt hat, d. h. daß er allmächtiger, zwecksetzender guter Wille ist und darauf bauen wir die Überzeugung von dem end lichen Sieg der Moral und schließlichen Glückseligkeit.
Diese Erkenntnis Gottes ist keine uneigentliche oder
bildliche, sondern eine seinem Wesen entsprechende. bewegt sich
hier
in
einem
Kant
merkwürdigen Widerspruch.
Einerseits bekommt unsre Vernunft durch das praktische Gesetz, welches die Verwirklichung des höchsten Gutes in
der Welt fordert, einen Zuwachs an Erkenntnis, indem der sonst
problematische Begriff Gott dadurch assertorisch
wird, d. h.
zu einem solchen, dem ein Objekt zukommt;
aber nur dies leistet die praktische Vernunft, daß jener
28 Begriff real ist und sein Objekt hat; dagegen eine An schauung desselben gebe er nicht (prost. Ver. S. 242). Wir erkennen also nur, daß Gott ist, nicht was Gott
ist.
Aber wenn ich erkenne, daß Gott etwas durchsetzen
will, so erkenne ich ihn als intelligenten Willen; wenn ich erkenne, daß dieser Zweck gut ist, so erkenne ich damit
Gott als guten Willen.
Das ist in der That eine Er
weiterung meiner Erkenntnis, die ich aus der'Naturbe
trachtung nicht schöpfe.
Allerdings ist diese Erkenntnis
nicht anschaulich, sondern ein Denken durch Begriffe ohne Anschauung.
es giebt auch Erkennen ohne An
Aber
schauung; letztere findet nur bei räumlichen Dingen statt, geistige Dinge, die eigene Seele, die Seelen anderer, Gott,
erkenne ich nur aus den Wirkungen, die sie hervorbringen und doch ist das eine wirkliche Erkenntnis derselben. also Kant meint : erkennen,
Wenn
„da wir Gott als moralisches Wesen
so müssen
wir bei ihm Verstand und Wille
voraussetzen, aber einen Verstand, der nicht denkt, sondern
anschaut, einen Willen, der auf Gegenstände gerichtet ist,
von deren Existenz seine Zufriedenheit nicht im mindesten abhängt" (prakt. V. S. 247), so hat er vollkommen Recht; wenn er aber weiter behauptet, „von diesen Eigenschaften
könnten wir uns gar keinen Begriff, zum Erkenntnis des Gegenstandes tauglich machen" (S. 248), so setzt er voraus, daß Erkenntnis eines Objekts nur durch empirische Er fahrung möglich sei, was doch nur bei Naturwesen zutrifft.
Bei Gott ist uns letztere versagt, wir erkennen ihn aber
aus den moralischen Wirkungen, die wir an uns erfahren haben. Das scheint auch Kant an anderer Stelle zuzugeben
29 (Urteilest. S. 461).
„Die Bestimmung des Begriffes
Gott kann nur durch Prädikate geschehen, die ob sie gleich
selbst nur aus einem übersinnlichen Grunde möglich sind, dennoch in der Erfahrung ihre Realität beweisen
Dergleichen ist nun der einzige in der menschlichen Ver nunft anzutreffende Begriff der Freiheit des Menschen
unter moralischen Gesetzen .... so daß eben aus dieser Idee auf die Existenz und Beschaffenheit jenes sonst gänz
lich für uns verborgenen Wesens geschlossen werden kann." Erkenne ich also den moralischen Charakter der Menschen
als den vom Weltgrunde gewollten Zweck, so ist der Welt
grund thatkräftiger Wille, der moralische Zwecke setzt und Mittel schafft sie auszuführen; er ist also selbstmächtiger,
guter, zweckmäßig wirkender Wille.
Das ist dann keine
subjektive Vermutung oder menschliche Anschauung, sondern objektive Wahrheit,
deren Thatbeweis
meine moralische
Persönlichkeit selbst liefert; ja, jener ist realer als ich, da
er mir erst zur Realität verholfen hat.
Nun kennen wir aus der Erfahrung nur ein Wesen, das des guten zielbewußten Willens fähig ist : die mensch
liche Person.
Es fragt sich, ob wir Gott auch Person
nennen dürfen?
Die menschliche Person ist zeitlich und
endlich, nur im Gegensatz zu einem Nichtich kommt sie zum
Bewußtsein des Ich und seiner sittlichen Aufgabe; nur durch Überwindung der Hindernisse in Natur und Um gebung bildet sie ihren Charakter, nur in beschränktem Umfang nimmt sie das Weltdasein in sich auf und wirkt
bestimmend auf dasselbe ein.
Wenn diese Beschränktheit
dem Personbegriff wesentlich
ist, wenn er des anderen
bedarf, dann ist Gott nicht Person.
Aber diese Beschränkt-
30 heit ist nur wesentlich für die werdende Person.
Je mehr
der persönliche Charakter sich entwickelt, um so reicher wird
er in sich selbst, um so unabhängiger wird er von seiner Umgebung, um so kräftiger bestimmt er dieselbe.
Daher
setzen wir mit Lotze richtiger das Wesen der Person in das bewußte Fürsichsein, das mit Freiheit aus sich heraustritt.
Er sagt (Mikrokosmus III, S. 579) : Gelöstheit, das Wesen aller Persönlichkeit beruht nicht auf der Entgegen
setzung des Ich gegen ein Nichtich, sondern besteht in einem unmittelbaren Fürsichsein, welches umgekehrt den Grund
der Möglichkeit jenes Gegensatzes, wo er auftritt, bildet. Selbstbewußtsein ist die durch die Mittel der Erkenntnis
zu Stande gekommene Deutung dieses Fürsichseins und auch diese ist keineswegs notwendig an die Unterscheidung des Ich von einem substantiell ihm gegenüberstehenden
Nichtich gebenden.
In der Natur des endlichen Geistes
als solchen liegt der Grund, daß die Entwicklung seines persönlichen Bewußtseins nur
durch Einwirkungen
des
Weltganzen, welches er nicht ist, also durch Anregung des
Nichtich geschehen kann,.... diese Beschränkung begegnet uns nicht in dem Wesen des Unendlichen; ihm allein ist deshalb ein Fürsichsein
möglich, welches weder der Ein
leitung noch der fortdauernden Entwicklung durch etwas
bedarf, was nicht es selbst ist
Vollkommene Per
sönlichkeit ist nur in Gott, allen endlichen Geistern nur
eine schwache Nachahmung derselben beschieden; die End lichkeit des Endlichen ist nicht eine erzeugende Bedingung
für sie, sondern eine hindernde Schranke ihrer Ausbildung.
Freilich will du Bois-Rehmond die Erlaubnis, Gott als Person zu fassen, von dem vorherigen Nachweis eines
31 dem geistigen Vermögen solcher Seele entsprechenden Con volutes von Ganglienzellen und Nervenfasern (Reden I. 129)
abhängig machen; da nach unsrer Erfahrung Denken an Gehirn, Willensäußerung an Nerven
gebunden sei.
Es
ist begreiflich, daß dem Naturforscher die Naturkräfte und
der bewußte Wille gleichartige Größen sind, sofern beide
sichtbare Veränderungen hervorbringen und daß die Gott heit ihm nur eine der möglichen Hypothesen zur Natur
erklärung ist.
Dabei bleibt es denn unvermeidlich, daß er
diesen Gott nach Art einer sinnlichen, endlichen Person
neben andern vorstellt und ihn aus der Abhängigkeit von
Natursein nicht frei machen kann.
Wir aber unterscheiden
den Wert des Geschehens.
Eine gute That ist wertvoller
als alles Naturgeschehen;
darum ist das gute Handeln
Zweck
alles Naturgeschehens
und der Weltgrund selbst
guter Wille, der, erhaben über alles Natursein alles Natur
geschehen zur Hervorbringung guter Persönlichkeiten geord net hat.
Ob es noch eine höhere Form des guten Willens
gebe als die Persönlichkeit, ist uns ebenso unbekannt, wie die vierte Dimension
des Raumes.
Eben deshalb wird
jeder Versuch, Gott nicht als Person zu denken, dahin
führen, ihn zur bewußtlosen Substanz oder unbewußten
Naturkraft zu degradieren, oder wer dies ernstlich vermeiden will, wie Biedermann, wird sich immer wieder auf der ab gelehnten Vorstellung betreffen lassen.
6. So hätten
wir
denn
Gott
als selbstmächtige,
zwecksetzende, thatkräftige, gute Persönlichkeit erkannt, welche
das Naturleben geordnet hat, damit moralisch gute Persön lichkeiten sich bilden.
Haben wir damit unser Ziel erreicht
und Gott erkannt? Eins fehlt uns noch, aber das Wich-
32 tigste : was ist denn das Gute, das die Einheit des mora lischen Charakters bilden soll? Diese Frage ist noch gar
nicht aufgeworfen, viel weniger beantwortet worden ; nur daS eine haben wir festgestellt, daß das Gute etwas andres ist als irdische Glückseligkeit.
Aber was ist eS denn? Plato
untersucht wiederholt den Begriff des Guten, ohne zu einer deutlichen Bestimmung zu kommen.
Er unterscheidet
(int GorgiaS) das Gute von dem Angenehmen und von Macht
und Besitz.
ES
besteht in einer Ordnung des
Handelns, welche wir Tugend nennen.
Wer diese Ordnung
einhält, ist besonnen; also besteht das Gutsein in der Be sonnenheit, während, der Zügellose schlecht ist.
Aber das
alles sind formale Bestimmungen; welche Ordnung des
Handelns gut sei, wird nicht weiter erklärt; Plato braucht
dafür nur die Ausdrücke : das Schickliche, das was sich gegen Götter und Menschen geziemet.
Aristoteles beschreibt
in der Nikomachischen Ethik die Tugend als die durch Übung erworbene Fertigkeit den rechten Mittelweg zwischen
entgegengesetzten Extremen
einzuhalten.
Aber nicht nur
die alten, auch die neuen Philosophen haben sich bisher vergeblich bemüht, den Begriff des Guten zu bestimmen.
Kant selbst dreht sich in einem Kreise von formalen Be stimmungen herum.
Zunächst behauptet er : alle prat
tischen Grundsätze, die ein Objekt voraussetzen, sind em pirisch und darum nicht geeignet zu moralischen Gesetzen,
weil alle Objekte Lust oder Unlust erwecken und also die
Selbstliebe erregen, welche das Gegenteil von Moralität
ist.
ES bleibt also nur die Form des allgemeinen Gesetzes,
aus welcher ich die Moralität eines Grundsatzes erkenne. „Handle nach solchen Maximen, welche geeignet sind all-
33 gemeine Gesetze zu werden."
Hieran haben wir gar kein
moralisches Prinzip, sondern nur einen Prüfstein, an welchem
sich daS Gute erkennen läßt.
Aber dieser Prüfstein ist gar
nicht apriorisch, sondern empirisch; denn daß ich überhaupt handeln soll und daß eine Anzahl Vernunftwesen zu ge
meinschaftlichem Handeln verbunden sind, weiß ich nicht a priori, sondern aus Erfahrung;
welche Grundsätze zu
allgemeinen Gesetzen für diese Gemeinschaft geeignet sind,
beurteile ich ebenfalls nur nach Erfahrung. besehen ist dieser Prüfstein
ich dürfe
ein
Ja bei Licht
sogar egoistisch.
Kant sagt,
anvertrautes Depositum nicht ableugnen,
weil, wenn dies allgemeines Gesetz wäre, niemand mehr ein Depositum inachen würde.
Also um mich des Vorteils
nicht zu berauben, gelegentlich ein Depositum machen zu können, soll ich den Grundsatz befolgen, ein anvertrautes
Depositum zurückzugeben und das ist eine egoistische Erwä gung.
DaS wird besonders deutlich aus folgender Begrün
dung (Met. der Tugendlehre § 30) : „Jeder Mensch, der sich in Not befindet, wünscht, daß ihm geholfen werde.
Wenn
er aber seine Maxime, andern wiederum in ihrer Not nicht
Beistand leisten zu wollen, laut werden ließe d. h. sie zum all
gemeinen Erlaubnisgesetz machte, so würde ihm, wenn er in Not ist, jedermann gleichfalls seinen Beistand versagen." Also die moralischen Gesetze beruhen auf stiller Voraussetzung
der Gegenseitigkeit und damit wird der Egoismus wieder eingelassen, der vorher so entschieden herausgewiesen war.
Später hören wir : „Behandle andre Personen nie
So fragen
als Mittel, sondern als Zweck an sich selbst."
wir : welches ist denn der Selbstzweck der andern?
und
wieder empfangen wir die Antwort : daß sie frei von der
3
34 Sinnlichkeit
nach
dem Moralischen Gesetze
leben.
Da
sind wir wieder bei der ersten Frage nach dem moralischen
Gesetze angelangt und also durch lauter formale Bestim
mungen im Kreise herumgeführt. Ihm folgt I. G. Fichte (System der Sittenlehre), wenn er
lehrt : das Gute
gegenüber
Ich
aller
ist die Selbständigkeit des
Naturbcstimmung.
Das ist
eine
negative Bestimmung; die positive lautet: Pflichterfüllung, aber ohne Angabe des Inhalts der Pflicht.
Erst in feinet
späteren Periode bezeichnet er das Heilige, Schöne und
Gute als Zweck des sittlichen Handelns. Schopenhauer, um den formalen Bestimmungen einen
Inhalt zu geben, nennt als obersten Grundsatz sittlichen
Handelns : neminem laede, imo quantum potes juva. Aber dies Prinzip ist zu eng, da die Pflicht der Mäßig keit und Keuschheit daraus nicht abgeleitet werden kann;
und auch zu unbestimmt; denn ich frage wieder : welcher
ist der Zweck des Nächsten, den ich fördern soll? Solange aber der Begriff des Guten nicht llar ist, ist die erstrebte Güte des Willens und die Einheit der
sittlichen Persönlichkeit nicht zu erreichen; damit wird aber unsrer Gotteserkenntnis
die sichere Grundlage entzogen.
Nun behauptet man zwar, was gut sei, das wisse
jeder unmittelbar, kraft des Gewissens und bedürfe des halb keiner begrifflichen Bestimmung.
Kant selbst sagt
(prakt. Vern. S. 277) : „Wenn man fragt, was
denn
eigentlich die reine Sittlichkeit ist, an der als dem Probe metall
man jeder Handlung moralischen Gehalt prüfen
müsse, so muß ich gestehen, daß nur Philosophen die Ent scheidung dieser Frage zweifelhaft machen können; denn
35 in der gemeinen Menschenvernunft ist sie, zwar nicht durch
abgezogene allgemeine Formeln, aber doch durch den ge wöhnlichen Gebrauch, gleichsam als der Unterschied zwischen
der
rechten und linken Hand, längst entschieden."
ist doch sehr zu bezweifeln.
Das
Nicht nur in früheren Zeiten
und bei verschiedenen Völkern war das sittliche Urteil ver schieden, sondern noch heute und bei uns gilt nicht allen dasselbe für gut.
Wenn z. B. Kant versichert, er würde
sich schämen, wenn einer ihn beim Gebet beträfe; wenn
dagegen andre Gebet und Kontemplation und
für die höchste
edelste Pflicht beurteilen, so sind das unvereinbare
Gegensätze.
WaS
ist
denn nun das Gute? Steht eS
vielleicht ebenso hoch über unsern Vorstellungen, wie die Sonne über unsern Häuptern? Wird vielleicht eine vollkommne Erkenntnis des Guten nur meine Unfähigkeit darthun, eS zu verwirllichen und so die Voraussetzung zerstören, als ob
mein Thun einen Wert habe auch nach dem Urteil des Welt
urhebers ?
Soll vielleicht die Menschheit durch geschichtliche
Entwicklung nach und nach zur Erkenntnis des Guten geführt
und zu seiner Verwirklichung erzogen werden? Und ist dies« Erkenntnis des (Sitten der Menschheit schon aufgegangen oder
sind unsre Bemühungen um den guten Charakter nur vorläufige, unvollkommne Anläufe, denen die rechte Erkenntnis des
Guten noch fehlt? Wer will mir diese Fragen beantworten ?
So führt auch dieser, im Anfang so viel versprechende
Weg doch nicht zu dem gehofften Ziele und läßt uns in Ungewißheit; wir sehen gleichsam eine unsichere Spur, die
aber nicht weiter führt;
die Pforte schließt sich in dem
Augenblick, wo wir sie geöffnet zu haben glauben.
Wir
stehen gleichsam auf dunkler Sraße vor einem prächtigen
3*
36 Palast, wir hören Musik und Reigen, der Helle Lichtglanz
dringt durch die Fenster zu uns, wir ahnen den Reichtum und die Schönheit, die dort herrschen.
Aber wir können
nicht hinein, unsre Sehnsucht giebt uns nicht die Macht einzutreten.
Wir müssen draußen bleiben, wenn es nicht
etwa dem reichen Herrn gefällt, einen Boten zu senden
und uns die Pforte zu öffnen.
Und das ist geschehen :
in Jesu von Nazaret ist den Menschen das Gute
auf
überzeugende Weise deutlich geworden.
7. Jesus will das Gute unter den Menschen verwirk lichen,
darum straft er sie als arg und stellt ihnen Ver
derben in Aussicht, wenn sie sich nicht ändern. Darum tritt er auf mit der Predigt : „Ändert eure Gesinnung!"
Oder mit der Forderung : „Ihr müsset von neuem geboren
werden." spricht
Das Prinzip der wahrhaft guten Gesinnung
er aus auf
die Frage
eines
wahrheitsuchenden
Schriftgelehrten nach dem vornehmsten Gebot.
Er ant
wortet : Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem
Herzen und von ganzer Seele und aus aller Kraft! Marc. 12, 30. Völlige Hingabe des Herzens an Gott, das ist die
Willensrichtung, auf welche alle Gebote Jesu zurückführen. Wenn er seine Jünger beten lehrt : Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, so ist die
Voraussetzung, daß der Eifer um Gottes Name, Reich und Willen ihre erste Sorge sei.
Andrerseits soll diese Hin
gabe sich erweisen in kindlichem Vertrauen zu ihm als
dem Vater im Himmel,
der besser ist als ein irdischer
Vater: Wenn ihr, die ihr arg seid, euren Kindern gute
Gaben gebt, wieviel mehr wird der himmlische Vater Gutes
37
geben denen, die ihn bitten.
Darum fordert er uns auf,
zu bitten, damit uns gegeben, anzuklopfen, damit uns auf gethan werde. Mat. 7, 9.
alle guten Handlungen.
Aus diesem Prinzip ergeben sich Wer Gott liebt, ist damit erhoben
über die Versunkenheit in sinnliche Güter, mögen sie nun Reichtum oder Wohlleben
oder Ehre heißen; er ist in
dieser Liebe sich seines überirdischen Wesens bewußt und
benutzt die irdischen Dinge nur als Mittel für das wahre
Leben.
Wer Gott liebt, der richtet nicht nur seine Hand
lungen und Worte, sondern auch die verborgenen Gedanken seines Herzens : Zorn.
den unreinen Blick, den aufwallenden
Wer Gott liebt,
der liebt auch die Brüder, weil
sie auch Gottes Kinder sind, der ist bereit, ihnen in aller Not beizustehn, ihnen ihre Fehler zu vergeben und sogar den Bösen Gutes zu thun wie sein Vater im Himmel.
Wer Gott liebt,
der will nicht durch diese Liebe einen andern Zweck erreichen;
denn daS würde keine Liebe mehr sein, sondern er ist in seiner
Liebe selig.
Er ist bereit,
aus Liebe alles zu thun und
hat sich doch nie genug gethan (Luc. 17, 10); er ist bereit, für diese Liebe
alles zu entbehren, alles
zu leiden und
achtet das für Gewinn und Ehre (Mat. 5,12). sem Prinzip als
enthalten,
der Mutter sind
In die
alle Moralprinzipien
soweit sie wahr sind; die GotteSliebe ist die
Realdefinition des Guten.
Sie enthält die stoische Freiheit
von irdischem Glückseligkeitsstreben, sie ist die Maxime, welche sich zum allgemeinen Gesetz eignet, sie giebt die moralische Freiheit, welche Fichte erstrebt, sie schließt auch
die Nächstenliebe in sich, wovon Schopenhauer ein so be scheidenes
Teil
fordert.
Und
welche
Sittenlehre
man
sonst vorbringen mag, ihre Prinzipien sind nur entlehnte
38 Bruchstücke der großen Wahrheit, die Jesus so nachdrücküch verkündet.
Aber wo sind wir denn?
Wir möchten Gott erken
nen, wir suchen seine Spuren, eine Ahnung seines We sens hat uns ergriffen und nun sollen wir auf einmal ihn
Wie kann ich lieben, den ich nicht kenne?
lieben!
Es
giebt wohl Augenblicke wo wir staunen vor der Allmacht, die uns umgiebt, Stunden großen Glücks wo die Thräne des Dankes uns im Auge schimmert, Stunden tiefster Trübsal, wo der Notschrei aus der hülflosen Seele sich
zum Himmel emporringt.
Aber aus diesen Spannungen
des Gefühls kehren wir bald in das gewohnte Gleichge wicht zurück und wenn wir uns auch der Freudenthräne
und des Notrufs nicht schämen, so wissen wir doch nicht,
ob der
unbekannte Gott davon Notiz genommen habe.
Und den sollen wir lieben?
Diese Forderung ist in der
That so sonderbar, daß ein außergewöhnliches Maß von Trägheit dazu gehört, um darüber nicht in das allergrößte
Erstaunen zu geraten.
Indeß da sie einmal aufgestellt ist,
so fragen wir : unter welchen Voraussetzungen ist es denk
bar,
daß wir Gott lieben?
ihn bis
jetzt
Es sind zwei : 1) Da wir
nicht gefunden haben, so muß er uns auf
eine andere Weise erkennbar werden, wenn wir ihn lieben sollen.
2) Gott muß auf unzweifelhafte Weise seinen aus
drücklichen Willen erklären, daß er von uns geliebt sein
will.
Werden diese beiden Bedingungen nicht erfüllt, so
ist die Forderung der Gottesliebe für uns ebenso unreali-
sirbar, wie etwa die Idee, zur Sonne zu fliegen.
Diese
beiden Voraussetzungen sind aber in Jesu erfüllt und nur
39 darum
stellt er diese Forderung an und, weil Gott in
seiner Person uns Menschen genaht ist.
Jesus unterscheidet sich von allen Menschen dadurch, daß sein inneres Leben die Grenzen der endlichen Welt
überschreitet : er kennt den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, durch eine ursprüngliche Beziehung und lebt mit ihm in stetiger Liebesgemeinschaft.
weiß er
Darum
sich als „den Sohn", auf dem das Wohlgefallen des Vaters
im Himmel ruht.
Diese Gemeinschaft hat er nicht erst
durch Reflexion wie Buddha, oder Enthusiasmus wie Mu-
hamed sich zugeeignet, sondern er erlebt sie als Thatsache vor aller Reflexion; schon der zwölfjährige Knabe ist davon
erfüllt, daß er sein müsse im Hause seines Vaters.
Darum
hat Jesus auch die Thatsache nirgendwo erklärt, sonst hätte er über sich selbst als Phänomen erstaunen und reflektieren müssen; er hat sie einfach bezeugt.
Von den vielen Aus
sprüchen Jesu führe ich nur zwei an : einen,
der durch
das kräftige Wahrheitsgefühl, einen anderen, der durch tief
sinnigen Gehalt besondern Eindruck macht.
Zu den Juden,
die sich wider ihn kehrten, sagt Jesus einmal (Joh 8, 55) : Ich kenne Gott und wenn ich sagen wollte, daß ich ihn nicht kenne, würde ich ein Lügner sein gleich wie ihr; aber ich kenne ihn und halte sein Wort.
Und zu den
Jüngern sagt er, als diese ihm die Erfolge ihrer ersten
Arbeit voll Freude berichteten (Luc 10, 22) : Alles wurde mir übergeben von dem Vater, und niemand weiß, wer
der Sohn ist, als der Vater, noch, wer der Vater ist, als der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Aus
dieser überweltlichen Gemeinschaft kommt ihm
die Gewißheit, daß er gegen
die Menschheit nur eine
40
Pflicht und einen Beruf habe, nämlich sie zur Erkenntnis
seines Vaters
und
zur Kindschaft bei ihm zu erheben.
Diese Aufgabe ist der einzige Zweck seines Erdenlebens :
dazu ist er in die Welt gekommen und wiederum wird er diese Welt verlassen, wenn er dies Werk vollendet hat.
Darum weiß er auch, daß er mehr ist als alle Knechte Gottes und das Ziel ihrer Hoffnungen.
Er stellt sich über
den Mittler des alten Bundes in dem nachdrücklich wieder holten Wort : ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist, ich aber sage euch ...
Er bezeugt von seiner Per
son : er sei mehr als der Tempel, sei ein Herr auch des SabbatS (Mat 12, 7. 8).
Während alle bisherigen Boten
Gottes an die Menschheit nur Knechte waren, weiß er sich als den einzigen, geliebten Sohn, der den Weinberg erben
wird (Marc. 12, 6);
alle andern sind nur die Knechte,
welche zur Hochzeit laden, er aber ist der Sohn des Königs,
für den als Bräutigam (Mat. 22, 2).
die Hochzeit veranstaltet
wird
Er ist der erwartete Hirte, gesandt zu den
verlorenen Schafen
des Hauses
Israel
Mat.
10, 6;
15, 24; er bekennt sich als den verheißenen Gesalbten und
König vor den Jüngern wie zuletzt vor der geistlichen und
weltlichen Obrigkeit; er bezeugt den Jüngern : viele Pro pheten und Könige begehrten zu sehen, was ihr sehet und haben es nicht gesehen (Luc. 10, 24).
Darum genügt es
ihm auch nicht, wenn man ihn für Elias oder einen der alten Propheten achtet, sondern allein das Bekenntnis zu
ihm als dem Christ, dem Sohn des lebendigen Gottes, ist
seiner Stellung entsprechend (Mat. 16, 17).
So ist er
berufen, auf Erden ein geistiges Reich anzurichten, das
durch das Prinzip der Gottesliebe zusammengehalten wird :
41 das Reich
Gottes, zu dem Juden und Heiden berufen
sind (Marc. 1, 15).
Es ist kein Zweifel, daß diese Aussprüche nicht durch
die Verehrung der gläubigen Gemeinde Jesu erst später
in den Mund gelegt sind, sondern daß sie von ihm selbst herrühren und seine Anschauung über Wert und Aufgabe
seiner Person enthalten. durch drei Umstände.
Dies wird insonderheit bestätigt Er weiß, daß ihm Vollmacht ge
geben ist, den Menschen auf Erden die Sünden zu ver
geben (Marc. 2, 10); darum ist er auch berechtigt, diese Vollmacht seinen Aposteln zu übertragen (Mat. 16, 19; 18, 18).
Als ihm gewiß wird, daß sein Weg durch Leiden
und schmachvollen Tod geht, da wird er nicht wankend in seiner Überzeugung, sondern er begreift auch diese Führung Gottes als ein Mittel zur Herstellung der Sündenver
gebung und des Gottesreichs (Marc. 9, 31; 10, 45; 14, 24).
Endlich lehrt er ausdrücklich, daß er der Ausrichter
des Gottesreiches sei (Marc. 9, 41)
Weltenrichter
zur
Vollendung
und
desselben
deshalb als
wiederkommen
werde (Marc. 14, 26). 8. Aber all diese Aussprüche beweisen nur, welche Überzeugung Jesus von sich selbst hatte; wie überzeugen
wir uns, daß diese Selbstbeurteilung Jesu Wahrheit ist? Hier stehen wir an der Kardinalfrage, welche die ganze Menschheit in zwei Hälften scheidet; an der Frage : wie dünket euch um Christo?
tismus verblendet ist,
Niemand, der nicht durch Fana kann
eine gewisse Wertschätzung
Christi versagen, aber nicht jede Anerkennung genügt.
Er
zeigt ein tiefes Gefühl für Gott, wie er sich bezeugt in den Werken
der Natur wie in
den heiligen Schriften
42 Israel-, und zugleich eine energische Thatkraft; eine innere Hoheit und doch herzgewinnende Demut; eine überwältigende
Kraft der Beredsamkeit, die in anschaulichster Form
die
innersten Vorgänge des Geistes und die letzten Ziele des WeltseinS darstellt; eine ungewöhnliche Geduld und Sanft mut gegen die Sünder, gegen die Schwerfälligkeit seiner
Jünger, gegen die Bosheit seiner Feinde; eine erhabene
Ruhe im schwersten Leid; und das alles sind nicht mühsam errungene Tugenden,
sondern der
natürliche Ausdruck
innerer Hoheit : das ist der Eindruck, den Jesus auf jeden machen muß.
Aber das alles sind Eigenschaften, die wir,
wenn auch vereinzelt und nicht in dieser Stärke, auch bei
anderen Menschen antreffen, das alles genügt nicht, den
Anspruch zu stützen, den er erhebt.
Aber durch eins erhebt
er sich über alle menschliche Größe : durch seine sündlose
Heiligkeit.
Er hat die durchdringendste Erkenntnis der
Sünde, er sieht die leisesten Regungen derselben, er fordert
von allen Menschen Umkehr, weil sie arg sind, er lehrt un-, täglich um Vergebung zu bitten, er macht das Be
kenntnis
der
Sünde zur Bedingung
der Annahme bei
Gott, während er die abweist, die sich selbst für fromm
halten, er kennzeichnet die als Heuchler, welche die Sünde der andern sehen,
aber die eigene nicht gewahr werden.
Und bei alledem, hier stellt er sich nicht auf eine Stufe
mit den anderen Menschen, er bekennt keine Sünde, er redet nicht von einer erlebten Bekehrung, er bittet nie um
Vergebung, er weiß, daß des himmlischen Vaters Blick
wohlgefällig auf ihm ruht, er bietet andern die Vergebung an, die er selbst nicht bedarf.
Darin liegt seine einzigartige Hoheit, dadurch unter-
43 scheidet er sich von Plato und Moses, von JesaiaS und
Paulus, von Bernhard und Luther, die alle erst durch schmerzliche Kämpfe von der Herrschaft der sie umstrickenden
Sünde frei wurden und auch das nur nach der inneren Gesinnung.
Jesus hat diese Freiheit ursprünglich und
vollkommen gehabt, weder verloren noch wiedergewonnen, sondern sie nur behauptet gegen die Anfechtungen der Welt
und
die zunehmende Schwierigkeit seines Berufs.
sagt dagegen :
Man
wir kennen sein inneres Leben nicht so
genau, um dies Urteil fällen zu können.
Gewiß nicht,
und wenn wir seine Zeitgenossen gewesen und ihn auf
Schritt und Tritt verfolgt hätten, würde doch nicht sein inneres Leben bloß vor uns gelegen haben, wie vor Gottes
allwissendem Auge.
Aber er selbst mußte sich doch kennen
und wenn Sündiges in ihm war, mit seinen Brüdern sich einschließen in das Bekenntnis : Gott sei mir Sünder
gnädig!
Wer aber bei dieser durchdringenden Sünden-
und Selbsterkenntnis von sich sagen kann: ich und der Vater sind eins; wer mich siehet, siehet den Vater; der muß die vollkommene Heiligkeit sein, oder er bleibt das
größte psychologische Rätsel, das
die Welt gesehn; denn
eine solche Mischung von Wahrheit und Unwahrheit, von Demut und Überhebung kann nicht beisammen sein. Und
hier tritt die Entscheidung ein, die von dem Willen ab hängt.
Wer diese Hoheit in Christo sieht, aber sie nicht
als den höchsten Wert schätzen mag,
der wendet sich ab
und sucht sie zu verdunkeln oder zu leugnen.
die höchste Wahrheit
ein Geheimnis.
Dem bleibt
Wer aber diese
vollkommene Heiligkeit als das höchste Ideal der Mensch
heit schätzt, der sieht hier den Weltzweck erfüllt, der erkennt.
44 daß
hier der verborgene Gott der Menschheit naht; er
wird von dieser Größe überwältigt und bekennt mit Pe trus : Herr, gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger
Mensch! Kant sagt : zwei Dinge erfüllen mich immer wieder mit neuer Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und an
haltender daS Nachdenken sich damit beschäftigt : der ge stirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir (K. d. pr. V. S. 288).
und teilen sie; aber
Wir kennen diese Bewunderung
vielmehr Bewunderung erweckt die
Hoheit Jesu dem, der sie erkannt hat.
Diese Schätzung
Christi ist kein kühler Schluß aus Reflexion, sondern un mittelbare, überwältigende Anschauung.
Wir ziehen nicht
allen Vögeln die schönsten Federn aus, um diesen einen
Paradiesvogel damit zu
schmücken;
ein solcher geflickter
Paradiesvogel könnte kein Leben erwecken; sondern in ihm ist das heilige Leben als der wahren Sonne ain Geister
himmel zusammengefaßt und was wir außer ihm in der
Menschheit an Güte und Heiligkeit sehen, das sind kleine Meteore, die sich abgesplittert haben.
Wir wissen, daß
wir darin nicht verstanden werden von allen, die Christo
fern sind, und ihnen als Enthusiasten erscheinen.
Wenn
ihre Augen geöffnet werden, werden sie auch schon Enthu siasten werden.
Indem wir Christum als den Heiligen erkennen, wird
er für uns die Offenbarung des verborgenen Gottes (Mat. 16, 17)
und die Aufnahme dieser Offenbarung ist der
Glaube; dies ist das Wesen der heiligen Persönlichkeit,
der Anfang eines neuen Menschen in uns.
barung
wirkt zugleich
demütigend und
Diese Offen
erhebend.
Sie
45 demütigt, denn wir erkennen, daß wir nicht gegen eine Idee,
sondern gegen Gott gefehlt haben, daß wir nicht
nur einzelne Fehltritte, sondern ein ganz verkehrtes Leben
außer Gott geführt haben, und daß dieser Zustand nicht ohne unsere Schuld war, sowohl weil unser Wille ihm
zustimmte, als auch, weil wir schon lange dem Einfluß
Christi widerstrebt haben.
Aber sie erhebt uns auch, denn eben dieser Jesus bietet sich uns als Heiland dar, von Gott gesandt, er bietet uns als erstes die Sündenvergebung an, wir hören
seine freundliche Einladung an die Mühseligen und Schuld beladenen ; und seinen heiligen Worten können wir Glauben
nicht versagen.
So erfahren wir hier die Liebe des unbe
kannten Gottes als auf uns gerichtet nnd indem wir diese
Liebe gläubig aufnehmen und
uns ihr liebend hingeben,
werden wir selbst neue geheiligte Persönlichkeiten.
Damit
Bisher hatten wir uns
wird unsere Erfahrung erweitert.
erkannt als Geisteswesen, welche zwar zu eignem Leben
kommen, aber als isolierte Geister zerstreut; nun
individuelles
aber
erfahren
Geistsein
in der leblosen Natur
wir, daß Natursein und
nur vorbereitende
Formen
sind,
durch welche wir zur Erkenntnis und freien Annahme der
Liebe geführt werden sollen, welche der innerste Grund alles Seins und Werdens ist.
So erkennen wir Gott
als heilige Liebe, welche Natur-
und Geisteswelt zu dem
Zweck in Dasein gerufen, damit er Geisteswesen seiner
Liebe mit Bewußtsein teilhaftig mache, sie zu heiligen Per sönlichkeiten erziehe und so eine Gemeinschaft geheiligter
Geister, die durch die Gottesliebe sich eins wissen, auf
Erden heranbilde : das Reich Gottes.
Das ist der letzte
46 für uns
erkennbare
Zweck
alles Weltgeschehens;
was
darüber etwa noch hinauSltegt, ist uns verborgen, darum ist mit dieser Erkeuntnis
unsere GotteSerkenntniS abge
schlossen.
So erkennen wir Gott nicht durch unbeteiligte Re flexion, sondern durch erhöhte Lebenserfahrung; denn nur
diese überzeugt uns von dem letzten Zweck der Welt und unseres
eigenen Daseins.
Darum ist
die
Erkenntnis
Gottes und seines Gesandten Jesu Christi nichts anders
als das ewige Leben (Joh. 17, 3). als
das Leben nach
dem
Dies Leben ist reicher
strengen
Pflichtgebot
Kants,
welches sogar jede Liebe verbietet und das Herz starr macht; höher als die sittliche Freiheit Fichtes, bei der das Ich
isoliert auf sich selbst steht;
wahrer, als das angemaßte
absolute Bewußtsein Hegels;
denn es ist Gabe Gottes
und weil es nicht entsteht durch Reflexionen, deren nur Gebildete fähig sind, sondern durch
der Hoheit Christi,
innere Anschauung
für welche jedes aufrichtige Gemüt
befähigt ist, darnm ist diese Erkenntnis den Unmündigen und Einfältigen leichter zugänglich als den Weisen und
Klugen.
AuS demselben Grunde bleibt uns diese Erkennt
nis Gottes nur so lange,
als die Liebe Gottes in diesem
neuen Leben sich wiederspiegelt; hört dies Leben in Gott auf, so hört auch unsere Erkenntnis Gottes auf und es bleibt nur eine kraftlose Vorstellung davon im Gedächtnis
haften.
Darum sagt Luther (Cat. major. 1. Gebot) :
„Gott kann weder mit Fingern ergriffen noch wie Geld im Beutel verwahrt noch wie ein
Kasten verschlossen
werden.
silbernes Gerät im
So aber
kann man Gott
haben und ergreifen, wenn man ihn mit ganzem Herzen
47 ergreift und des Menschen Geist ihm allein anhängt mit beständigem und unerschüttertem Vertrauen."
Und unsere
ganze Darlegung ist nichts anders, als eine Umschreibung
des Ausspruchs Luthers (Cat. maj. art. III) : „Die ganze Welt, obwohl sie mit emsigem Forschen schon von Anfang
an sich darum bemüht hat, wer Gott sei oder welche Ge
sinnung er habe
oder welchen Zweck er erstrebe, konnte
dennoch nichts von diesen Dingen jemals durch Nachdenken
oder Vernunft erreichen.
Hier aber hast du dieses alles
reichlich in bestimmter Zahl (d. h. in den einzelnen Glie
dern der drei Artikel).
Denn hier hat er selbst in allen
drei Artikeln den tiefsten Abgrund seines väterlichen Her zens und die reinen Flammen seiner brünstigen und un
aussprechlichen Liebe geoffenbart und aufbewahrt.
Nämlich
zu dem Zweck hat er uns geschaffen, damit er uns erlöste und heiligte, und außer dem, was er uns zu Besitz und
Gebrauch unterworfen hat, was irgendwo im Hinunel und
auf Erden erblickt wird, hat er uns auch feinen Sohn und den heiligen Geist geschenkt, durch welche er uns zu Denn niemals hätten wir aus eigenen Kräften
sich zöge.
dahin kommen können, daß wir des Vaters Huld und
Gnade erkannten, außer durch Jesum Christum, unsern
Herrn, welcher der Spiegel seiner väterlichen Gesinnung gegen uns ist."
9.
Also ruht unsere Erkenntnis Gottes auf dem neuen
Lebm, das Chrfftus in uns wirkt.
Aber ist dieses Leben
nicht vielleicht eine Illusion? Illusion nennen wir eine Wahrnehmung, der kein
Objekt entspricht, oder eine Wertschätzung, die das Objekt überschätzt.
Hier ist das letztere gemeint.
Wir erkennen
48 in Christo die uns offenbarte Liebe Gottes, weil wir das von Christo empfangene Leben höher schätzen als alles
andere.
Ist diese Wertschätzung nicht zu hoch?
Beruht
sie vielleicht nur auf einem ästhetischen Genuß, ähnlich dem Eindruck eines schönen Bildes, eines erhabenen Ge
dichtes?
Es ist wahr, etwas ähnliches wirkt der Anblick
Christi in unS; nur ist diese Freude viel tiefer und hei liger, als ein andrer Gegenstand sie gewährt, sie ist eine
Art von Seligkeit.
Aber sie ist noch mehr als das.
Der Glaube an Christum giebt nicht nur das höchste Glück, sondern auch die höchste sittliche Energie.
Weil
Gott die ganze Welt, Natur und Menschheit in sich be faßt, darum schließt die Gottesliebe auch alle von Gott
gesetzten Beziehungen zur Welt als Teile in sich und hei ligt sie.
Indem wir die Natur erkennen als die Werk
stätte des göttlichen Geistes, ordnen wir unser Naturleben
dem Dienste Gottes unter und erlangen so die Herrschaft über die Natur.
Durch die
Gottesliebe umfassen wir
alle Menschen als berufene Gotteskinder mit brüderlicher
Liebe, daß wir ihnen nicht nur alle schuldige Pflicht von Herzen erweisen, sondern bereit sind Geduld zu üben, sogar Übelwollen und Feindschaft mit Sanftmut zu er tragen.
So werden die natürlichen Ordnungen in Fa
milie, Staat und
Gesellschaft
gefestigt und geheiligt.
nicht aufgelöst,
sondern
Dadurch erweist sich das Reich
Gottes als der höchste Zweck, daß wir alles ihm einordnen können, ausgenommen die Sünde, während, wer dies Ziel
nicht kennt, es nie erreicht, die Einheit seiner Persönlichkeit
und der Welt ohne Rest zu erfassen.
Nur wer mit dem
Apostel sagen kann : was ich noch lebe im Fleisch, das
49 lebe ich im Glauben des Sohnes
damit die ganze Welt.
der umfaßt
Gottes,
Und diese einheitliche heilige Cha
rakterbildung sehen wir nicht als unerreichbares Ideal vor
uns, sondern wir kommen ihm näher trotz aller Schwach heit : wir scheiden je länger je mehr aus, was uns von selbstsüchtigen Begierden anllebt; wir lernen uns behaupten
sowohl gegen die eignen Leidenschaften wie gegen verderb liche Einflüsse von außen.
Und das ist eine gewaltige
Wirkung : eine Macht, die das leistet, ist realer als irgend
welche materielle Kraft.
Ja wer dieses Leben hat, erfährt
es als das wahre Leben : das vorige Leben außer Christo
war Illusion, jetzt aber ist er aus dem Traum erwacht:
„die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbeigekommen!"
Und der zweite Beweis für die Wahrheit dieses Lebens ist der, daß wir durch
dasselbe alles Leid überwinden.
Wie ein schriller Mißklang ist mit unserm Dasein das
Leid verbunden.
Ich meine nicht die kleinen
täglichen
Leiden, in die wir uns gefunden haben; sondern jene herzzerreißenden, glückzerstörenden Trübsale, die uns wie
ein dunkles Verhängnis drohen.
Jene unwürdigen Miß
handlungen, jene langwierigen Krankheiten, jene herzbe
drückenden Nöte
in der Familie,
die
jede Wirksamkeit
hindern, jede Freudigkeit lähmen, den Tod zu einer er
wünschten Erlösung machen.
Dagegen giebtS im ganzen
Umkreis der Welt keine Hülfe.
Stumme Ergebung in das
Unbegreifliche, zähneknirschende Unterwerfung unter eine
brutale Notwendigkeit, vielleicht
eine schwache Hoffnung
auf eine zukünftige Lösung dieser Rätsel,
das sind
Waffen, die wir dem dunllen Unheil entgegensetzen.
durch
die Aber
die Liebe Gottes werden uns diese Rätsel gelöst,
4
50 diese Leiden besiegt.
Auch die Leiden
sind Mittel zur
Ausgestaltung des heiligen Charakters, welche die Liebe
Gottes uns darreicht und auch in der verkümmertsten Er
scheinung kann sich eine Blume für die Ewigkeit entwickeln. Darum verstehen
wir in Christo
auch
die Leiden
als
Wohlthaten unseres Gottes und nehmen sie in geduldiger
Freudigkeit hin, denn Trübsal bringet Geduld, Geduld bringet Erfahrung, Erfahrung bringet Hoffnung.
Diese
Wirkung ist aber keine Illusion, sowenig die Trübsal eine Illusion ist, sondern eine Macht, dadurch wir die ganze Welt überwinden und im Leid schon den Siegesgesang anstimmen : ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben noch
irgend eine Kreatur uns
kann scheiden
GotteS in Jesu Christo unserm Herrn.
von
der Liebe
So haben wir
bereits in der Gegenwart, was Kant von seinem postu lierten Gott für die Zukunft erwartet : in diesem neuen
Leben ist vollkommene Sittlichkeit mit vollkommener Glück seligkeit verbunden.
Das ist der zureichende Beweis für
seine Wahrheit und für die Wahrheit der auf ihm be
ruhenden Gotteserkenntnis. noch hält man uns die blendende Behaup
Immer
tung Lessings entgegen, daß zufällige Geschichtswahrheiten
kein
Beweis
zufällige Gottes wenn
für
notwendige
Vernunftwahrheiten
Aber sehr mit Unrecht.
können.
Geschichtswahrheit notwendige
eine
die
in
noch
ist
die
Vernunftwahrheit.
Sinnlichkeit
sein
Weder ist Jesus eine
und Selbstsucht
Baterliebe
Vielmehr, versunkene
Menschheit zur Freiheit in Gott und sittlichen Beherr schung
der Welt
erhoben
werden
soll,
so kann dies
nur durch Anregung und Übung der sittlichen Freiheit
51
d. h. auf geschichtlichem Wege geschehen und bei der hart
näckigen Verblendung
und Verkehrtheit der
empirischen
Menschheit kann ihre Umgestaltung in ein heiliges Gottes
volk nur sehr langsam in einer zusammenhängenden Ent
Diese
wicklung von vielen Jahrtausenden erwartet werdett.
Umwandlung hat in Christo begonnen; also ist die Er kenntnis Christi und der Zusammenhang
mit ihm die
Bedingung zur Erkenntnis Gottes und zur Verwirklichung
seiner Absichten mit uns.
Der Beweis für die allmächtige,
heilige Liebe, welche der Grund alles Daseins ist, wird gegeben durch das Dasein des Reiches Gottes.
Wenn
daS Reich Gottes in mir wirklich geworden ist, habe ich
diesen Beweis und noch heute gilt, was Tertullian
sagt
(apolog. 46) : bei den Christen kennt jeder Handwerker
Gott und
zeigt ihn anderen und dann bestätigt er alles,
was in Gott gesucht wird, durch die That; während Plato
versichert, eS sei nicht leicht, den Urheber des Weltalls zu finden und noch schwerer, ihn allen zu verkünden, nach dem man ihn gefunden (Timäus S. 28).
Aber dieses Reich Gottes ist nicht sinnlich, sondern geistig; es kann nicht mit Fingern gezeigt werden, denn es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.
Denen
gegenüber, welche dies Reich nicht sehen, ist der Beweis
für die Liebe Gottes nicht erbracht und kann auch nicht erbracht werden.
Ihnen gegenüber befinden wir uns etwa
in der Lage LeverrierS, ehe der Neptun entdeckt war, oder des Columbus, ehe das westliche Land sich den Blicken
zeigte.
Aber ihre Trägheit kann die Gewißheit unserer
Erkenntnis nicht erschüttern und der Erfolg wird zeigen, daß wir Recht haben.
Freilich wird aller Widerspruch erst
52
verstummen, wenn das Reich Gottes in Herrlichkeit vol lendet ist; bis dahin müssen wir ihn ertragen und die Wahrheit gegen Unverstand verteidigen. Aber ist das nicht eine hohe, ehrenvolle Aufgabe, wohl wert, die ganze Kraft dafür einzusetzen? Und wenn Gott so lange Ge duld übt, sollten nicht auch wir in Geduld warten innen, bis die Decke von ihren Augen genommen wird?