Über das Konzept der Zeitlichkeit bei Søren Kierkegaard mit ständigem Hinblick auf Martin Heidegger 9783495860250, 9783495484708


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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kierkegaard in Heideggers Sein und Zeit und die daraus entspringenden Fragestellungen der Untersuchung
Die Rolle des Interpretierenden als Übersetzenden
Gliederung der Arbeit
Vorbemerkungen: Methodische und historisch-kritische Annäherung
Kierkegaard lesen – einige vorbereitende Hinweise
Übersetzungssituation und frühe deutsche Rezeption
Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre
1. Teil: Zeitlichkeit in den pseudonymen Schriften
Der Mensch als (Selbst-)Verhältnis
Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs
Der Mensch als Synthese
Das Verhältnis als durch ein Anderes gesetzt
Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen
Die ekstatische Zeitlichkeit
Zukunft als Zukommen-lassen des Künftigen
Wiederholung als Wieder-holen des Gewesenen
Augenblick als Entscheidung des Verweilens bei und Offenstehens für
Zeitlichkeit und Ewigkeit
Synopsis und Überleitung
2. Teil: Zeitlichkeit in S. Kierkegaards Reden
Vorbemerkungen zu den Reden
Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel
Gehorsam
Schweigen
Freude
Unabschließbare Übersetzungen: Zeitlichkeit bei Kierkegaard und Heidegger
Bemerkung zu den Übersetzungen
Anhänge
Anhang 1
Übersetzungen von Theodor Haecker in Der Brenner und im Brenner-Verlag
Anhang 2
Gesammelte Werke im Diederichs Verlag, herausgegeben von Christoph Schrempf, gemeinsam mit Hermann Gottsched und Wolfgang Pfleiderer
Erbauliche Reden im Diederichs Verlag, herausgegeben von Christoph Schrempf
Anhang 3
Übersetzungen der Reden bis 1927
Siglenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Wörterbücher
Sonstige verwendete Literatur
Personenregister
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Über das Konzept der Zeitlichkeit bei Søren Kierkegaard mit ständigem Hinblick auf Martin Heidegger
 9783495860250, 9783495484708

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https://doi.org/10.5771/9783495860250 .

Gerhard Thonhauser Über das Konzept der Zeitlichkeit bei Søren Kierkegaard mit ständigem Hinblick auf Martin Heidegger

ALBER THESEN

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Das Verhältnis von Martin Heidegger und Søren Kierkegaard ist bei weitem noch nicht hinreichend erforscht. Mit der nunmehr vollständigen Veröffentlichung der Vorlesungen im Rahmen der Heidegger-Gesamtausgabe und der dänischen Neuedition der Schriften Kierkegaards wurde erstmals die Textgrundlage geschaffen, auf deren Basis das komplexe Verhältnis dieser beiden Denker in einer neuen Weise ausgelotet werden kann. Eine solche Neuinterpretation unternimmt das Buch in historisch-kritischer und philosophisch-systematischer Hinsicht. Thematisch steht das Konzept der Zeitlichkeit im Zentrum der Arbeit. Anhand der Analyse dieses Aspekts wird einerseits Kierkegaards Einfluss auf Heidegger erkundet, andererseits werden Möglichkeiten einer Reinterpretation beider Denker auf der Grundlage einer wechselseitigen Gegenlektüre eröffnet. Der erste Teil behandelt Kierkegaards pseudonyme Schriften, wobei vor allem die Analyse des Selbst in Die Krankheit zum Tode sowie die Bestimmung des Menschen als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen in Der Begriff Angst besondere Beachtung erfahren. Der zweite Teil bietet eine philosophische Lektüre von Kierkegaards Reden Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel. Kierkegaards Reden erfuhren bislang vor allem in der philosophischen Rezeption nicht die angemessene Beachtung. Die Neuübersetzung zentraler Passagen und die textnahe Interpretation erleichtern die Annäherung an diesen integralen Bestandteil des Kierkegaard’schen Werkes. Vor allem anhand dieses Teils wird auch ersichtlich, inwiefern die eingehende Auseinandersetzung mit Kierkegaard es vermag, neue Wege für die Interpretation Heideggers zu eröffnen.

Der Autor: Gerhard Thonhauser, Jahrgang 1984, studierte Philosophie und Politikwissenschaft sowie dänische Sprache, Kultur und Literatur in Wien und Kopenhagen. Derzeit ist er Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC) am Institut für Philosophie der Universität Wien und arbeitet als Gastforscher am Søren Kierkegaard Forschungszentrum der Universität Kopenhagen.

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Gerhard Thonhauser

Über das Konzept der Zeitlichkeit bei Søren Kierkegaard mit ständigem Hinblick auf Martin Heidegger

Verlag Karl Alber Freiburg / München

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Alber-Reihe Thesen Band 43

Die Publikation wurde von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft in Wien unterstützt.

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48470-8

(Print)

ISBN 978-3-495-86025-0 (E-Book) https://doi.org/10.5771/9783495860250 © Ver

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Vorwort

Es handelt sich bei vorliegendem Buch um die überarbeitete und erweiterte Fassung einer Arbeit, die an der Universität Wien zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie vorgelegt wurde. Wie auch im ersten Satz der Einleitung vermerkt, ist dieser Text als das vorläufige Zwischenergebnis meiner Bemühungen um die Untersuchung des Verhältnisses von Søren Kierkegaard und Martin Heidegger zu werten. Daraus folgt, dass in diesem Buch zwar noch keine umfassende Anwort – auch nicht meine eigene – zu dieser Frage gegeben wird, ich aber dennoch zuversichtlich bin, hier zumindest wichtige Impulse in Richtung auf eine solche vorlegen zu können. Ich möchte mich bei Professor Helmuth Vetter für seine umsichtige Begleitung meiner Forschungen bedanken, eine Begleitung, über deren Fortsetzung im Rahmen meines an diese Arbeit anknüpfenden Dissertationsprojekts ich mich sehr glücklich schätze. Wesentlich gefördert wurde meine Arbeit durch den Aufenthalt am Søren Kierkegaard Forschungszentrum an der Universität Kopenhagen. Stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möchte ich dem Direktor des Zentrums, Niels Jørgen Cappelørn, sowie Jon Stewart meinen herzlichen Dank aussprechen. Außerdem darf an dieser Stelle Richard Purkarthofer nicht unerwähnt bleiben, ohne dessen zahlreiche Hinweise diese Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre. Mein besonderer Dank gilt Matthias Flatscher, nicht nur, weil er die zentralen Anstöße für die Überarbeitung dieses Textes in Hinblick auf die Publikation gab. Lukas Trabert und dem Verlag Karl Alber danke ich für die Möglichkeit, diese Arbeit in der Reihe Thesen erscheinen zu lassen, sowie für die überaus verständnisvolle Zusammenarbeit.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kierkegaard in Heideggers Sein und Zeit und die daraus entspringenden Fragestellungen der Untersuchung . . . . . . . Die Rolle des Interpretierenden als Übersetzenden . . . . . . . Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbemerkungen: Methodische und historisch-kritische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kierkegaard lesen – einige vorbereitende Hinweise . . . . . . . Übersetzungssituation und frühe deutsche Rezeption . . . . . . Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Teil: Zeitlichkeit in den pseudonymen Schriften

Der Mensch als (Selbst-)Verhältnis . . . . . . . . . . . Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs . . . . . . . Der Mensch als Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis als durch ein Anderes gesetzt . . . . . . Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen . . . . . . Die ekstatische Zeitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . Zukunft als Zukommen-lassen des Künftigen . . . Wiederholung als Wieder-holen des Gewesenen . . Augenblick als Entscheidung des Verweilens bei und Offenstehens für . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Zeitlichkeit und Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synopsis und Überleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Teil: Zeitlichkeit in S. Kierkegaards Reden

Vorbemerkungen zu den Reden . . . . . . . . . . . . . Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel Gehorsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Unabschließbare Übersetzungen: Zeitlichkeit bei Kierkegaard und Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Bemerkung zu den Übersetzungen

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Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Anhang 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturverzeichnis

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

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Gerhard Thonhauser

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Einleitung

Die vorliegende Arbeit ist das vorläufige Zwischenergebnis meiner Beschäftigung mit zwei herausragenden Denkern: dem Dänen Søren Kierkegaard und dem Deutschen Martin Heidegger. Obwohl die eingehende Auseinandersetzung mit jedem dieser Denker für sich genommen schon eine Herausforderung ist, wage ich es, zumindest in Ansätzen einen Schritt weiter zu gehen und nach dem Verhältnis dieser beiden Denker zu fragen. Hier muss natürlich zunächst präzisiert werden, dass es sich bei dem so in Frage stehenden Verhältnis um kein Wechselverhältnis handeln kann, denn schon die Lebensdaten schreiben eine Asymmetrie in das Verhältnis ein. Søren Kierkegaard starb am 11. November 1855, nur 42-jährig in seiner Geburts- und Heimatstadt, der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, Martin Heidegger wurde 44 Jahre später am 26. September 1889 im kleinen schwäbischen Ort Meßkirch geboren. Die Frage nach Kierkegaard und Heidegger, nach dem Verhältnis der beiden, müsste demnach gestellt werden als die Frage nach dem Verhältnis Heideggers zu Kierkegaard: Was hat er von ihm gelesen? Wie hat er ihn verstanden? War er von ihm beeinflusst; und in welcher Weise?

Kierkegaard in Heideggers Sein und Zeit und die daraus entspringenden Fragestellungen der Untersuchung Die Quellen, die Heidegger selbst uns zur Verfügung stellt, um sein Verhältnis zu Kierkegaard zu beleuchten, sind einerseits zahlenmäßig relativ begrenzt und beschränken sich außerdem zumeist auf einzelne, beiläufige Bemerkungen. Am bekanntesten sind wohl jene drei Fußnoten in Sein und Zeit (vgl. SZ 190, 235 und 338), in denen Kierke-

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Einleitung

gaard Erwähnung findet. 1 Bei vielen Lesenden mag sich die Einsicht in das Verhältnis, das Heidegger zu Kierkegaard pflegte, auch auf die Kenntnis dieser Stellen beschränken, finden diese doch überproportional häufiger Eingang in die einschlägige Sekundärliteratur als andere Hinweise. Die zweite dieser Fußnoten sei hier angeführt, da sich in ihr einiges auffinden lässt, was Anstoß zu dieser Arbeit gab: Im 19. Jahrhundert hat S. Kierkegaard das Existenzproblem als existenzielles ausdrücklich ergriffen und eindringlich durchdacht. Die existenziale Problematik ist ihm aber so fremd, daß er in ontologischer Hinsicht ganz unter der Botmäßigkeit Hegels und der durch diesen gesehenen antiken Philosophie steht. Daher ist von seinen ›erbaulichen‹ Schriften philosophisch mehr zu lernen als von den theoretischen – die Abhandlung über den Begriff der Angst ausgenommen. (SZ 235, Anmerkung)

Die in diesem Textstück angesprochene Frage nach der Unterscheidung von existenzial und existenziell und der Einordnung der Bemühungen Kierkegaards innerhalb dieser Unterscheidung soll einstweilen ebenso beiseite gelassen werden wie Heideggers Einschätzungen von Kierkegaards Verhältnis zu Hegel. Stattdessen möchte ich zunächst auf einen Sachverhalt hinweisen, der leicht übersehen werden kann und in der mir bekannten Literatur bisher auch noch nirgends eigens bedacht wurde. Meine These ist, dass es für die Interpretation dieser Fußnote von herausragender Bedeutung ist, neben ihrem Wortlaut und ihrem SachDiese zahlenmäßig sehr begrenzten Bezugnahmen auf Kierkegaard haben mehrere Interpretierende dazu veranlasst, Heidegger dafür zu kritisieren, dass dieser versuche, den Einfluss Kierkegaards auf das eigene Denken systematisch runterzuspielen. Stellvertretend kann hier erstens auf John Van Buren verwiesen werden, der über Heideggers Vorgehensweise ab der Zeit der Abfassung von Sein und Zeit schreibt: »[He] was, as has been well documented, often puzzlingly reluctant to acknowledge his profound indebtedness to those philosophical traditions that originally helped to put him on the way of the being question in his early Freighter period, such as the young Luther, Kierkegaard, Jaspers, Aristotle’s practical writings, Husserl’s Sixth Investigation, and Dilthey.« (Van Buren 1994, 12) Zweitens kann John D. Caputo erwähnt werden, der diese Kritik noch steigert, wenn er meint: »Heidegger not only understates his dependence on Kierkegaard, he misstates it.« (Caputo 1987, 82) Ohne im Detail auf diese Kritik einzugehen, kann – ausgehend von Van Burens zutreffendem Hinweis auf Heideggers große Nachlässigkeit bei der Einarbeitung von Quellenangaben in die Ausarbeitung von Sein und Zeit – festgehalten werden, dass die Anzahl der Fußnoten, in denen Kierkegaard Erwähnung findet, nicht notwendig ausschließlich als ein Herunterspielen seines Einflusses gedeutet werden muss, sondern durchwegs auch als Zeichen der Wertschätzung gelesen werden kann.

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Kierkegaard in Heideggers Sein und Zeit

gehalt, vor allem auch ihre Platzierung innerhalb der Gesamtstruktur von Sein und Zeit zu berücksichtigen und in die Interpretation mit einzubeziehen. Die Fußnote befindet sich am Ende von § 45, der eine Überleitung von der Bestimmung der Strukturganzheit des Daseins als Sorge zur anschließenden Frage nach der Freilegung des ontologischen Sinns der Sorge, als welcher sich die Zeitlichkeit erweisen wird, darstellt. Als solche Überleitung ist dieser Paragraph zugleich die Einleitung in den zweiten Abschnitt von Sein und Zeit (»Dasein und Zeitlichkeit«), insofern Heidegger hier auch einen Aufriss seiner folgenden Analyse der Zeitlichkeit des Daseins liefert. Am Ende der diesen Paragraphen abschließenden Übersicht über den weiteren Inhalt des zweiten Abschnittes von Sein und Zeit findet sich die Referenz auf die in Frage stehende Fußnote. Wenn wir annehmen wollen, dass diese Platzierung nicht willkürlich erfolgte, sondern mit Bedacht gewählt wurde, dann leitet uns Heidegger damit aber auf den Weg, diese Bemerkungen zu Kierkegaard in Hinblick auf jene Thematik zu bedenken, die im zweiten Abschnitt von Sein und Zeit behandelt wird. Diese Thematik ist aber der Nachweis, dass es die »Zeitlichkeit« ist, die »den ursprünglichen Seinssinn des Daseins ausmacht« (SZ 235). Somit ergibt sich für die Interpretation die Aufgabe, Heideggers Verhältnis zu Kierkegaard im Zusammenhang mit seiner Analyse der Zeitlichkeit des Daseins zu bedenken. In diesem Zusammenhang ist es auch, dass Heidegger uns im letzten Satz der Fußnote auf zwei Texte bzw. Textgruppen innerhalb des umfangreichen Œuvre von Kierkegaard aufmerksam macht: einerseits die Abhandlung Der Begriff Angst und andererseits jene Gruppe von Texten, die Heidegger unter dem Titel »›erbauliche‹ Schriften« zusammenfasst. Während der Hinweis auf die Schrift Der Begriff Angst eindeutig ist – weswegen wahrscheinlich auch in der Sekundärliteratur zumeist diesem Hinweis gefolgt wird –, ist es alles andere als klar, auf welche Texte sich Heidegger eigentlich bezieht, wenn er von Kierkegaards »›erbaulichen‹ Schriften« spricht. Doch diese Unklarheit ist gravierend, da wir doch zugleich zweifellos festhalten können, dass Heidegger dieser noch nicht eindeutig identifizierten Gruppe von Texten jedenfalls ein hohes Gewicht beimisst, wenn er meint, dass von diesen »philosophisch mehr zu lernen« sei »als von den theoretischen« Schriften.

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Einleitung

Aus der Kluft zwischen dieser würdigenden Äußerung Heideggers und der Fragwürdigkeit, was überhaupt Gegenstand dieser Wertschätzung ist, ergeben sich daher wichtige Aufgaben für die Forschung. Zunächst müsste einmal grundsätzlich geklärt werden, welche Gruppe von Texten es eigentlich ist, auf die sich Heidegger an dieser Stelle bezieht. Darauf aufbauend ginge es dann in einem weiteren Schritt darum zu fragen, inwiefern Heidegger schreiben kann und auch tatsächlich schreibt, dass von diesen Texten philosophisch mehr zu lernen sei. Obwohl mir das Gewicht dieser Fragestellungen im Laufe meiner Arbeiten zunehmend klar geworden ist, musste ich doch auch erkennen, dass es mir im Rahmen dieses Projektes nicht möglich sein wird, die erste dieser Fragen zu beantworten; denn dafür wäre die Berücksichtigung einer viel breiteren Basis an Materialien nötig, als ich sie im engen Rahmen dieses Projektes sammeln und vor allem auswerten konnte. Dies hat aber zur Konsequenz, dass auch die zweite Frage – jene nach dem Lehrreichen an und in Kierkegaards »›erbaulichen‹ Schriften« – nicht hinreichend geklärt werden kann, da deren Beantwortung unweigerlich die vorgängige Klärung der ersten Frage – also die Festlegung, welche Schriften Kierkegaards, laut Heidegger, zu dessen »erbaulichen« zählen – zur Voraussetzung hat. Deswegen sah ich mich gezwungen, mir für die vorliegende Arbeit eine begrenztere Aufgabe zu suchen. Inspiriert durch diese Fußnote habe ich mich entschieden, mich mit folgender viel bescheideneren Frage auseinanderzusetzen: Lassen sich in Kierkegaards »›erbaulichen‹ Schriften« Gedankengänge finden, die dafür in Frage kommen, von Heidegger als philosophisch lehrreich qualifiziert zu werden? Welche Gedankengänge könnten dies sein? Diese Fragestellung ist dabei in dreifacher Hinsicht hypothetisch. Erstens beruht die Textauswahl nicht auf einer Kenntnis oder Spekulation darüber, was Heidegger unter Kierkegaards »›erbaulichen‹ Schriften« verstand, sondern auf einer Festlegung meinerseits, die zwar ihrerseits auch nicht willkürlich ist, 2 aber deswegen noch keineswegs mit jener Heideggers übereinstimmen muss. Zweitens beschränken sich die Angabe von Seiten Heideggers, in denen er sich näher festlegt, welche Themen es sind, zu denen in den »›erbaulichen‹ Schriften« etwas zu 2 Die von mir vorgenommene Umgrenzung wird im Kapitel Vorbemerkungen zu den Reden ausgeführt und begründet. Ich werde mich auf diese dort zu umgrenzende Textgruppe im weiteren Verlauf der Arbeit immer mit der Bezeichnung »Reden« beziehen.

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Kierkegaard in Heideggers Sein und Zeit

lernen sei, auf die genannten Indizien hinsichtlich der Platzierung der Fußnote von Sein und Zeit. Die Konzentration auf den Themenkomplex der Zeitlichkeit kann daher vorerst auch nur eine Hypothese sein, die im Laufe der Untersuchung erst gerechtfertigt werden muss. 3 Drittens muss berücksichtigt werden, dass die Problematik der Übersetzung eine wichtige Rolle spielt und zahlreiche weitere Fragwürdigkeiten und Vorbehalte mit sich bringt, auf welche noch gesondert einzugehen ist. Heidegger verweist uns aber nicht nur auf die »›erbaulichen‹ Schriften«, sondern auch auf die Abhandlung Der Begriff Angst. Zumeist wurde dieser Hinweis verstanden in Hinblick auf Heideggers eigene Untersuchungen zum Phänomen der Angst und deren Bezogenheit auf Kierkegaards Ausführungen zum Angstbegriff. Dies hat durchaus seine Berechtigung und lässt sich einerseits rechtfertigen aus den augenscheinlichen Gemeinsamkeiten der Angstuntersuchungen der beiden Denker, 4 andererseits aus jener ersten Fußnote in Sein und Zeit, in welcher Kierkegaard explizit mit der »Analyse des Angstphänomens« (SZ 190, Anmerkung) in Verbindung gebracht wird. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Angstbegriff jene Thematik ist, in der sich zahlenmäßig vielleicht die meisten Untersuchungen zum Verhältnis von Heidegger und Kierkegaard finden lassen. 5 Sofern die von mir vorgeschlagene Interpretation der Platzierung der zweiten Fußnote zutreffend ist, dürfen wir Heideggers Hinweis auf Der Begriff Angst aber nicht nur in Hinblick auf das Angstphänomen sehen, sondern müssen es auch und vielleicht sogar zuallererst im Zusammenhang mit der Thematik der Zeitlichkeit begutachten. Somit erweist es sich als weitere wichtige Aufgabe für die vorliegende Arbeit zu untersuchen, inwiefern in Der Begriff Angst die Thematik der Zeitlichkeit solchermaßen zur Sprache kommt, dass es Heidegger einen HinEs soll mit dieser thematischen Festlegung meinerseits auch keinesfalls ausgeschlossen werden, dass für das Verhältnis von Kierkegaard und Heidegger nicht noch weitere Themenbereiche Relevanz haben, die ebenso wichtig oder vielleicht sogar noch wichtiger sind als die hier zu behandelnde Thematik der Zeitlichkeit. 4 Gleichwohl Jörg Disse (2002) sehr überzeugend dargelegt hat, dass zwischen den Angstkonzeptionen von Kierkegaard und Heidegger mitunter weit weniger Gemeinsamkeiten bestehen als gemeinhin angenommen wird. 5 Neben der Arbeit von Disse (2002) siehe auch Düsing (2001), Lübcke (1980), Magurshak (1985), Schweidler (1988) und Ussher (1955). 3

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Einleitung

weis in der Einleitung zu seiner Analyse der Zeitlichkeit des Daseins wert ist. Aufgrund der somit dargelegten Indizien habe ich mich also dafür entschieden, die vorliegende Arbeit auf den Themenkomplex der Zeitlichkeit zu fokussieren. Diese thematische Eingrenzung kann des Weiteren auch damit begründet werden, dass die Zeitlichkeit das zentrale Konzept des überlieferten Fragments von Sein und Zeit ist und somit eine Beeinflussung durch Kierkegaard in Hinblick auf dieses Konzept von einiger Relevanz für die Interpretation von Heidegger wäre. Andererseits kann konstatiert werden, dass das Konzept der Zeitlichkeit in der Kierkegaard-Rezeption bislang keine bedeutende Rolle gespielt hat, weswegen eine Behandlung von Kierkegaards Überlegungen zu diesem Thema auch für sich selbst genommen einen gewissen Reiz hat. Die Fokussierung auf den Themenkomplex der Zeitlichkeit bietet also die Möglichkeit, sowohl für die Kierkegaard- als auch für die Heideggerforschung interessante Aspekte auszuarbeiten und neue Impulse für zukünftige Forschungsvorhaben zu setzen. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass diese Eingrenzung zur Kehrseite hat, dass andere, für das Verhältnis von Kierkegaard und Heidegger mitunter ebenso wichtige Themen in dieser Arbeit weitgehend ausgeklammert werden müssen. Zu den im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande behandelbaren Themenbereichen sind neben den Konzeptionen der Angst bei Kierkegaard und Heidegger wohl insbesondere die Frage nach der »Nivellierung« (Kierkegaard) beziehungsweise dem »Verfallen« und dem »Man« (Heidegger) sowie die damit in Zusammenhang stehende Unterscheidung von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit zu zählen. 6 Vor allem die im 1. Teil dieser Arbeit vorgetragenen Interpretationen zum Themenkomplex der Zeitlichkeit können als Ausarbeitungen folgender These angesehen werden, wie sie von Arne Grøn richtungweisend vorgetragen wurde. Er meint, dass »Kierkegaard’s concept of human existence implies a radical notion of temporality and finitude […]« (Grøn 2001, 132). Mensch, Existenz, Zeitlichkeit und Endlichkeit sind die vier Begriffe, die hier auf das Engste miteinander verAuch zu diesen Thematiken gibt es einige beachtenswerte Arbeiten, insbesondere zu erwähnen sind Figal (1983), Hoberman (1984), Magurshak (1987), Thurnherr (2008) sowie die Hinweise bei Hannay (1999).

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Die Rolle des Interpretierenden als Übersetzenden

knüpft und zu zentralen Themen bei Kierkegaard erhoben werden. Damit deutet sich aber bereits an, dass der so verstandene Themenkomplex der Zeitlichkeit ein ausgesprochen vielschichtiger und umfangreicher ist. Die Verknüpfung von Menschsein und Zeitlichkeit verweist uns darauf, dass für die Interpretation der Ausführungen zur Zeitlichkeit des Menschseins in den Texten Kierkegaards zunächst eine vorbereitende Untersuchung darüber nötig ist, wie das Sein des Menschen bei Kierkegaard bestimmt wird; es stellt sich also in diesem Zusammenhang zunächst die Frage nach der kierkegaardschen Konzeption von Selbst und Existenz. Der Themenkomplex der Zeitlichkeit umfasst aber außerdem bei Kierkegaard so vielseitig behandelte und in seinem Œuvre so zentrale Konzepte wie »die Wiederholung« und »den Augenblick«; außerdem ist in diesem Themenkomplex die Frage nach dem Umgang des Menschen mit seiner Zukunft enthalten, wozu die vielfältigen Verhaltensweisen und Zugänge zu Zukünftigem, wie Erwartung, Hoffnung oder Geduld, gehören. Auf das Engste damit verknüpft ist auch die Frage nach der Zeitlichkeit als Endlichkeit, also der Frage nach der Sterblichkeit als der Frage nach der Möglichkeit des Nicht-mehr-Seins des eigenen Daseins. Bei Kierkegaard erhebt sich in Verbindung mit dieser Frage aber immer auch die Frage nach der Ewigkeit, die daher in der Interpretation ebenfalls nicht ausgeklammert werden darf (auch wenn der Philosoph vielleicht gerne dazu neigen würde). Die Thematik der Zeitlichkeit bei Kierkegaard kann wohl nur dann hinreichend interpretiert werden, wenn es gelingt, diesen gesamten Komplex von überlappenden und interagierenden Fragestellungen zu berücksichtigen und in die Interpretation mit einzubeziehen.

Die Rolle des Interpretierenden als Übersetzenden Es wurde einleitend festgehalten, dass die Frage nach dem Verhältnis von Kierkegaard und Heidegger richtiger als die Frage nach dem Verhältnis Heideggers zu Kierkegaard gestellt werden müsste. Als Grund hierfür wurde angeführt, dass die Lebensdaten unweigerlich festhalten, dass Kierkegaard, früher geboren und jung gestorben, Heidegger vorausgegangen war. Nunmehr muss aber bedacht werden, dass nicht nur fast ein halbes Jahrhundert, sondern auch die Sprache diese beiden Denker trennte, die doch beide so tief durch ihr Verhältnis zur Sprache geprägt waren. Während der eine ein inniges Verhältnis zu seiner A

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Einleitung

dänischen Muttersprache pflegte und es auf das Vorzüglichste verstand, diese zum Klingen zu bringen, war der andere tief verwurzelt im Deutschen und wusste die Geheimnisse dieser Sprache zu hören wie vielleicht kein zweiter. Diese Bemerkungen wären belanglos, würden sie nicht geradewegs zur Problematik der Übersetzung führen, und damit zu einer der zentralen Thematiken dieser Untersuchung. Da Heidegger der dänischen Sprache nicht mächtig war, war er auf Übersetzungen angewiesen, um Kierkegaards Texte zu lesen. Heidegger war aber vielleicht eindringlicher als jeder andere darauf aufmerksam, dass eine Übersetzung niemals eine einfache Übertragung von einer Sprache in eine andere ist. Mit einer wörtlichen Übersetzung, in der ein Wort der einen Sprache anhand von lexikalischem Wissen durch ein entsprechendes Wort einer anderen Sprache ersetzt wird, ist es nicht getan. Will eine Übersetzung aber nicht nur »wörtlich«, sondern »wortgetreu« sein, dann drängt sich uns das Problem der Übersetzung erneut, und umso eindringlicher als eine »Not« auf (vgl. GA 55, 44). Angesichts dieser Not thematisiert Heidegger das Übersetzen als ein Übersetzen, im Sinne von »ich setze über« oder deutlicher »ich setze an ein anderes Ufer über«. So wird jedes Übersetzen »zu einem Übersetzen an das andere Ufer, das kaum bekannt ist und jenseits eines breiten Stromes liegt.« (GA 55, 45) Ein solches Übersetzen ist dann aber keine harmlose Übertragung mehr, sondern bringt dabei allerlei Gefahren mit sich; es droht eine »Irrfahrt« zu werden und sieht sich dem Risiko ausgesetzt, unterwegs »Schiffbruch« zu erleiden (vgl. GA 55, 45). Doch das Problem der Übersetzung ist nicht nur eines von einer Sprache in eine andere – wie im vorliegenden Fall von der dänischen in die deutsche Sprache –, es reicht viel weiter: Man meint, das ›Übersetzen‹ sei die Übertragung einer Sprache in eine andere, der Fremdsprache in die Muttersprache oder auch umgekehrt. Wir verkennen jedoch, daß wir ständig schon unsere eigene Sprache, die Muttersprache, in ihr eigenes Wort übersetzen. Sprechen und Sagen ist in sich ein Übersetzen, dessen Wesen keineswegs darin aufgehen kann, daß das übersetzende und das übersetzte Wort verschiedenen Sprachen angehören. In jedem Gespräch und Selbstgespräch waltet ein ursprüngliches Übersetzen. (GA 54, 17)

Bei dem Versuch, dem Verhältnis zweier Denker nachzudenken, tritt der Interpretierende notwendigerweise auch als Übersetzender auf – mögen die beiden Denker nun dieselbe Sprache sprechen oder nicht. 16

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Die Rolle des Interpretierenden als Übersetzenden

Denn jede Übersetzung ist in sich schon eine Auslegung. Unausgesprochen trägt sie bei sich alle Ansätze, Hinsichten, Ebenen der Auslegung, der sie entstammt. Die Auslegung selbst wiederum ist nur der Vollzug der noch schweigenden, noch nicht in das vollendete Wort eingegangenen Übersetzung. Auslegung und Übersetzung sind in ihrem Wesenskern dasselbe. (GA 55, 63)

Es führt für den Interpretierenden kein Weg daran vorbei, die Gedanken des einen in die Sprache des anderen zu übersetzen und umgekehrt. Er muss dies tun, um die beiden überhaupt verstehen zu können, um sich auf das Verhältnis der beiden, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede, überhaupt einlassen zu können. Der Interpretierende, lateinisch interpres, war ursprünglich ein Vermittler, Dolmetsch und Erklärer. Ihm oblag das inter, das Zwischen der Vermittlung bzw. Erklärung. In dieser Position des Zwischen ist der Interpretierende immer schon darauf angewiesen, als Übersetzender zu fungieren, d. h. zu vermitteln und zu erklären. Auch die Aufgabe des Interpretierenden im Falle dieser Arbeit lässt sich keineswegs darauf reduzieren, zwischen der dänischen und der deutschen Sprache zu übersetzen; das Übersetzen reicht tiefer in das Denken Kierkegaards und Heideggers. Die Situation ist folgende: Heidegger las Kierkegaard in einer Übersetzung, welche er nicht selbst anfertigen konnte und auf welche er daher ständig angewiesen blieb. Er nahm die Übersetzung, wie sie ihm gegeben war und übersetzte – durch diese und vielleicht auch über sie hinaus – in produktiver Auseinandersetzung Kierkegaards darin enthaltenen Gedanken wiederum in die Sprache seines eigenen Denkens. Eben diese Übersetzung einer Übersetzung ist es, der diese Arbeit nachzudenken versucht. Diesem Nachdenken bleibt aber keine andere Wahl, als sich in dieses mehrfache Übersetzungsgeschehen seinerseits einzuschreiben und weitere Ebenen der Übersetzung hinzuzufügen. Denn auch ich als Interpretierender bin darauf angewiesen, Übersetzender zu sein, meine eigenen Übersetzungen anzufertigen, nicht nur zwischen der dänischen und der deutschen Sprache, sondern auch zwischen den Sprachen der beiden Denker, deren Differenz sich nicht auf jene des Dänischen und des Deutschen reduzieren lässt. Und um dies tun zu können, muss ich wiederum meine eigene Sprache finden, die doch nie ganz meine eigene ist, sondern immer schon geliehen ist von anderen, nicht zuletzt von Kierkegaard und Heidegger. Es wurde eingangs präzisiert, dass die Frage nach dem Verhältnis A

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von Kierkegaard und Heidegger wohl richtiger gestellt werden müsste als die Frage nach dem Verhältnis Heideggers zu Kierkegaard. Denn es sieht so aus, als müsste die Arbeit danach trachten, nach dem Einfluss zu suchen, den Kierkegaard auf die Entwicklung von Heideggers Gedanken hatte. Die zeitliche Abfolge würde somit auch die sachlichen Wirkungen festlegen und das Verhältnis als in nur eine Richtung verlaufend festschreiben. Vielleicht erweist sich das Verhältnis aber bei genauerer Betrachtung als weit weniger einseitig als es zunächst den Anschein macht. Denn es wird in einem solchen Projekt unweigerlich – und oftmals wohl auch unbemerkt – passieren, dass Kierkegaard stillschweigend schon von dort aus übersetzt wird, wohin seine Gedanken vermeintlich wirkten. Die Gedanken Heideggers legen mitunter implizit vorab schon den Rahmen fest, innerhalb dessen Kierkegaard in den Blick genommen wird und leiten dadurch unauffällig und leise dessen Interpretation. Wenn dem aber so ist, dass der Interpretierende als der Übersetzende immer schon mit einem durch den einen Denker geschulten Vorverständnis an den anderen herangeht und gar keine andere Möglichkeit hat, an eine solche Übersetzung heranzugehen, als sich durch ein solches Vorverständnis leiten zu lassen, dann muss sowohl der Status der Übersetzung als auch die Rolle des Übersetzenden neu bedacht werden. Denn eine solche Übersetzung kann dann niemals eine bloße Rekonstruktion der Gedanken eines Denkers in einer anderen Sprache sein; sie wird vielmehr immer schon über diesen hinaus und unterwegs sein zum Denken des anderen. Der Übersetzende wird dadurch der Möglichkeit beraubt, sich in den sicheren Gefilden eines Denkers zu bewegen; denn er ist es, der die Aufgabe der Übersetzung auf sich zu nehmen hat, für deren Ausgang letztlich er die Verantwortung übernehmen muss. Eine solche Übersetzung ist ein schwieriges Unterfangen. Denn sie ist jederzeit der Gefahr ausgesetzt, aus den Bahnen zu geraten, sich zu verlieren und letztlich zu scheitern. Gerade im Falle zweier Denker, die ihre Gedanken in solcher Eigenständigkeit entwickelten und dabei solch große Sorgfalt für die Sprache walten ließen, ist die Gefahr ungleich größer, sich im Bestreben nach einer Übersetzung solcherart zu verirren, dass man letztlich dabei strandet, beiden mit Missverständnissen zu begegnen und letztlich keinem der beiden zu entsprechen. Die größte Gefahr besteht wohl darin, die Fragehinsichten und Perspektiven beider Denker so zu vermischen, dass deren genuine Projekte 18

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und deren jeweilige Besonderheiten verloren gehen und letztlich überhaupt nicht mehr auszumachen sind. Ein solches Ineinanderfallen beider vermag sicherlich nicht zum Verständnis, sondern höchstens zum fortschreitenden Missverständnis beizutragen. Aber eine solche Übersetzung bietet auch Chancen. Denn falls Heidegger recht behält, dass »das Übersetzen vielmehr eine Erweckung, Klärung, Entfaltung der eigenen Sprache durch die Hilfe der Auseinandersetzung mit der fremden [ist]« (GA 53, 80), bietet eine solche Übersetzung – neben allen Risiken – vielleicht auch die Chance, zum besseren Verständnis beider Denker zu gelangen; dies insbesondere dann, wenn es so ist, dass das jeweilige Eigene nicht schon entfaltet vorliegt, sondern vielleicht erst in Auseinandersetzung mit dem Fremden eigens zum Vorschein kommen kann. Für den Interpretierenden wird es also darum gehen, sich auf die verantwortungsvolle Aufgabe der Übersetzung einzulassen. Es handelt sich dabei um ein nicht abschließbares Projekt, ein beständiges Wieder- und Neu-Lesen der Texte, eine Re-Lektüre-Praxis, die zu keinem ein für alle Mal feststehenden Ende gebracht werden kann. Die in dieser wechselseitigen Gegenlektüre der Texte auftretenden Divergenzen und Verwerfungen gilt es weder negieren, noch überzustrapazieren, sondern vielmehr produktiv dafür zu nutzen, um in diesem Spannungsfeld der wechselseitigen Übersetzungen letztlich dorthin zu gelangen, die Gedankengebäude in Bewegung zu bringen und dadurch neue Perspektiven für das Werk beider Denker zu eröffnen.

Gliederung der Arbeit Aus den hiermit erarbeiteten Aufgabenstellungen, den thematischen Eingrenzungen und der Auswahl des Textmaterials ergibt sich folgende Gliederung der Arbeit. Die Arbeit unterteilt sich in einen vorbereitenden Teil, zwei Hauptteile und eine abschließende Zusammenführung. Die Vorbemerkungen sind eine methodische und historisch-kritische Annäherung, welche die Grundlage für die beiden daran anschließenden Untersuchungen bildet und zu deren besserer Verständlichkeit dient. Im die Vorbemerkungen eröffnenden Kapitel Kierkegaard lesen – einige vorbereitende Hinweise stelle ich einige grundsätzliche Erwägungen zu Problemstellungen und Herausforderungen für die Kierkegaard-Rezeption an und entwickle davon ausgehend methodologiA

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sche Überlegungen zu meiner eigenen Kierkegaard-Lektüre und zur Vorgehensweise in dieser Arbeit. Das Kapitel Übersetzungssituation und frühe deutsche Rezeption versucht den historischen Kontext für die Kierkegaard-Rezeption Heideggers herzustellen. Dafür müssen die Übersetzungssituation der Werke Kierkegaards im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, sowie die damit in Verbindung stehenden Strömungen und Tendenzen der deutschsprachigen Kierkegaard-Rezeption nachgezeichnet werden. Das Kapitel Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre schließlich enthält einen kurzen Abriss zur Kierkegaard-Rezeption Heideggers. Erstens sollen dabei die expliziten Erwähnungen Kierkegaards in Heideggers Schriften (und zum Teil auch Vorlesungen) grob umrissen werden. Zweitens werde ich mehrere begründete Annahmen darüber formulieren, welche Texte Kierkegaards Heidegger prinzipiell lesen konnte und welche davon er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gelesen hat. Vor allem möchte ich in diesem Kapitel aber auf weiterhin bestehende, offene Fragen hinsichtlich der Kierkegaard-Rezeption Heideggers hinweisen, die als Aufgaben für zukünftige Forschungen gesehen werden sollten. Im 1. Teil der Arbeit Zeitlichkeit in den pseudonymen Schriften versuche ich anhand einiger der bekannteren und häufiger behandelten Passagen aus mehreren pseudonymen Schriften zu zeigen, inwiefern der Themenkomplex der Zeitlichkeit dort ein wichtiges Thema ist. Ich beginne dabei im Kapitel Der Mensch als (Selbst-) Verhältnis mit einer detaillierten Interpretation der Anfangspassage der Krankheit zum Tode (gemeint ist der Beginn des Abschnittes A.A), »die wohl berühmteste und meist zitierte Passage des Gesamtwerks des dänischen Schriftstellers« (Mjaaland 2005, 58). Das Pseudonym Anti-Climacus bestimmt in dieser Passage den Menschen als Geist, Geist aber wiederum als Selbst und dieses Selbst schließlich als »ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält.« (SKS 11, 129 / KT 8) Anschließend an die Interpretation dieser Bestimmung des Selbst als (Selbst-)Verhältnis im Sinne des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens werde ich zu zeigen versuchen, inwiefern Heidegger in Sein und Zeit bei seiner Bestimmung des Daseins als Seiendem, dem es »in seinem Sein um dieses Sein selbst geht« (SZ 12), an diese Ausführungen von Anti-Climacus anknüpfen konnte. Daran anschließend möchte ich einen kurzen Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs einschieben, in welchem ich in groben Zügen skizziere, wie sich die Wendung von der traditionellen Verwendung des Begriffs der existentia im Sinne der Tatsächlichkeit eines Vorhandenen 20

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zur eigentümlichen Neubesetzung dieses Begriffs als Bezeichnung für die Seinsweise des Daseins bei Heidegger vollzog und welche Rolle Kierkegaard dabei spielte. Im Kapitel Der Mensch als Synthese komme ich wieder auf die Anfangspassage der Krankheit zum Tode zurück, wo Anti-Climacus den Menschen nicht nur als Selbst, sondern auch als Synthese bestimmt. Ich möchte vor allem auf die Analyse der Formen der Synthesen hinsichtlich deren einzelnen Momente in Abschnitt C.A der Krankheit zum Tode zu sprechen kommen, weil die dort auftauchenden Fragen nach gelungenen bzw. misslungenen Vollzügen der Synthesen und dem damit verbundenen Gelingen bzw. Misslingen des (Selbst-)Verhältnisses nach der Meinung zahlreicher Interpretierenden interessante Verweise auf die Thematik von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit bei Heidegger zulassen. Das Kapitel Das Verhältnis als durch ein Anderes gesetzt verbleibt noch einmal bei der Krankheit zum Tode und geht auf die kontrovers diskutierte Thematik ein, die daraus entspringt, dass Anti-Climacus meint, dass das Selbst sich nicht selbst gesetzt habe, sondern sich als von einem Anderen gesetzt vorfinde. Darüber, wie diese Rede von der Setzung des Selbst bei Anti-Climacus zu verstehen ist, ist in der Sekundärliteratur eine heftige Kontroverse entstanden. Ich möchte mich mit Vorbehalten der Interpretation von Michael Theunissen anschließen, demzufolge Anti-Climacus hier bereits jene Thematik im Blick hatte, welche von Heidegger anhand der Begrifflichkeiten von Geworfenheit und Entwurf expliziert wurde. Diese Interpretation hat wahrscheinlich gerade wegen dieser Verbindung zu Heidegger ihren Reiz, zugleich muss sie sich aber auch der Kritik aussetzen, ob hier nicht Konzepte Heideggers in die Arbeiten Kierkegaards zurück projiziert werden. Nicht zuletzt wegen dieses Vorbehalts sollen auch Einwände gegen die Interpretation von Theunissen zu Wort kommen, sowie eine von Marius Mjaaland vorgelegte, alternative Leseweise angeführt werden. Die Konzentration auf die Krankheit zum Tode im 1. Teil meiner Arbeit ist dadurch zu begründen, dass es wohl repräsentativ für die Meinung der meisten Interpretierenden ist, wenn Günther Figal schreibt, dass es »Anti-Climacus [ist], den Kierkegaard in der ›Krankheit zum Tode‹ den Problemzusammenhang von Selbst, Selbstsein und Selbstwerden in konzentriertester und begrifflich eindringlichster Weise darstellen läßt, so daß gerade diese Schrift zu einer der wichtigsten für die Kierkegaard-Rezeption und Kierkegaard-Auslegung in der Philosophie werden konnte« (Figal 1984, 11). Mit meinen Schwerpunkten versuche ich, hier also durchA

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wegs bewusst den gängigen Linien der Kierkegaard-Rezeption zu folgen. So verhält es sich auch hinsichtlich des zweiten zentralen Textes für den 1. Teil meiner Arbeit. Dem Hinweis in jener Fußnote in Sein und Zeit folgend, ist es geboten, die Abhandlung Der Begriff Angst in dieser Arbeit in besonderer Weise zu berücksichtigen, was ich beginnend mit dem Kapitel Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen auch tun werde. In diesem Kapitel werden die für die Thematik der Zeitlichkeit zentralen Abschnitte von Der Begriff Angst, welche auch die explizitesten Ausführungen zu einer Philosophie der Zeit im Œuvre Kierkegaards enthalten, im Detail interpretiert. Der Titel des Kapitels weist schon darauf hin, dass hier kein Bruch gegenüber der Thematik der Krankheit zum Tode stattfindet, sondern gerade die thematische Zusammengehörigkeit dieser beiden Schriften betont werden soll. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen in der Krankheit zum Tode zwar in der Anfangspassage als eine der drei Synthesen angeführt wird, aber als einzige dieser Synthesen im weiteren Werk keine detailliertere Ausarbeitung erfährt. Deswegen schlage ich vor, in diesem Kontext auf die Ausführungen in Der Begriff Angst zurückzugreifen. Im Kapitel Die ekstatische Zeitlichkeit soll darauf eingegangen werden, inwiefern Heideggers Ausführungen zur ekstatischen Zeitlichkeit des Daseins in Kierkegaard einen Vorläufer haben. Diese Betrachtungen werden sich an den elaborierten Ausführungen Heideggers orientieren und auf eine Kontrastierung von Kierkegaard und Heidegger hinauslaufen, um Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede der beiden Konzeptionen sichtbar zu machen. In der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ist auch die Bezogenheit des Menschseins auf das Ewige thematisiert. Die damit gestellte Frage nach der Ewigkeit ist für die philosophische Kierkegaard-Rezeption eine Herausforderung. Mit dieser Thematik will ich mich im folgenden Kapitel Zeitlichkeit und Ewigkeit auseinandersetzen. Abgerundet wird der 1. Teil durch eine Synopsis und Überleitung, in welcher die wesentlichen Einsichten des ersten Teils zusammengefasst und insbesondere einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kierkegaard und Heidegger in Hinblick auf die Thematik der Zeitlichkeit noch einmal kontrastiert werden. Der 2. Teil der Arbeit wendet sich der Thematik der Zeitlichkeit in S. Kierkegaards Reden zu. Anders als im 1. Teil der Arbeit versuche ich dabei im 2. Teil auch sprachlich viel stärker im Bannkreis der Schriften 22

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Kierkegaards zu verbleiben, weswegen explizite Verweise auf Heidegger nur mehr selten vorkommen. Die mit Heidegger vertrauten Lesenden werden diesen mitunter trotzdem in Teilen der Interpretation durchhören können; solche Vorgriffe und Grenzübertritte werden sich aufgrund der zahlreichen Überschneidungen und Verwickelungen wohl kaum vermeiden lassen. Grundsätzlich sollen im 2. Teil aber vor allem die Reden selbst zur Sprache kommen. Dies erscheint mir auch deswegen von einigem Wert zu sein, weil die Reden einen bisher – zumindest in der akademischen Welt – weit weniger behandelten, um nicht zu sagen vernachlässigten bzw. weitgehend ignorierten Teil des kierkegaardschen Œuvres ausmachen. In Anknüpfung an die Vorbemerkungen soll daher im Kapitel Vorbemerkungen zu den Reden zunächst der Kontext für die Lektüre der Reden vorbereitet werden. Ich werde dabei einige grundsätzliche Bemerkungen zu den Reden machen und auf allgemeine Probleme für die philosophische Rezeption der Reden eingehen. Dabei sollen vor allem folgende Fragen geklärt werden: Welche Texte aus der Feder Kierkegaards sind überhaupt als Reden zu klassifizieren? Gibt es Gemeinsamkeiten, die den Zusammenhang dieser Gruppe von Texten begründen? Welche Binnendifferenzierung gibt es in der unter der Kategorie Reden zusammengefassten Gruppe von Texten? Außerdem muss auf die für Heideggers Kierkegaard-Rezeption relevante Übersetzungssituation in Hinblick auf die Reden eingegangen werden. Das Kapitel Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel stellt darauf aufbauend den Versuch dar, eine Sammlung von drei Reden einer philosophischen Lektüre zu unterziehen. Es soll dabei auch der Zusammenhang mit den Ausführungen im 1. Teil der Arbeit hergestellt werden. Meine dahingehende These lautet, dass in diesen Reden die Antwort auf die in der Krankheit zum Tode formulierte Frage nach der Möglichkeit der erfolgreichen Zusammensetzung der Synthese gesucht werden sollte. In Anknüpfung an den im 1. Teil herausgearbeiteten Lastcharakter der Zeitlichkeit bei Kierkegaard, zielen diese Reden darauf ab, wie ein adäquater Umgang des Menschen mit seiner zeitlichen Verfasstheit ermöglicht wird. Das abschließende Kapitel Unabschließbare Übersetzungen: Zeitlichkeit bei Kierkegaard und Heidegger erkundet noch einmal die Potenziale einer wechselseitigen Gegenlektüre der Texte dieser beiden Denker. Obwohl festgehalten werden muss, dass Kierkegaards Ausführungen zur Zeitlichkeit oftmals erst im Lichte Heideggerscher Konzeptionen an Profil gewinnen, kann auch gezeigt werden, dass sie diesen A

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gegenüber dennoch ein kritisches Potenzial enthalten, welches im Kontext dieser Thematik insbesondere in Hinblick auf Heideggers hohl bleibende Bestimmung der Ekstase der Gegenwart festgemacht werden kann.

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Vorbemerkungen: Methodische und historischkritische Annäherung

Kierkegaard lesen – einige vorbereitende Hinweise Für den umsichtigen Lesenden ergeben sich sehr bald eine Reihe von Problemen in dem Bestreben, eine philosophische Arbeit über Søren Kierkegaard zu schreiben. Zunächst muss berücksichtigt werden, dass Kierkegaard kein Philosoph war und sich auch keineswegs als solcher verstanden wissen wollte. 7 Seiner Ausbildung nach war er Theologe Es ist wahrscheinlich ebenso schwer, ernsthaft dafür zu argumentieren, dass Kierkegaard kein Philosoph war, wie dafür, dass er als ein Philosoph gesehen werden sollte; letztlich denke ich nicht, dass einer solchen Diskussion große Relevanz beigemessen werden sollte. Historisches Faktum ist, dass Kierkegaard sich weder durch sein Studium noch durch seinen Beruf zum Philosophen qualifizierte. Es ist aber ebenso Faktum, dass er sich dennoch ausführlich mit Philosophie beschäftigte und deren Geschichte eingehend studierte. Ich neige dazu, es zu vermeiden, Kierkegaard als Philosophen zu klassifizieren, weil mir scheint, dass eine solche Klassifizierung die Tendenz hat, ihn in die Geschichte der Philosophie in einer Weise einzuordnen, die droht, das Besondere und Provozierende seines Werkes zu nivellieren. Nichtsdestotrotz geht es mir zugleich gerade darum, dafür einzutreten, dass Kierkegaards Werk uns philosophisch etwas zu sagen hat. Was Kierkegaards Selbstverständnis betrifft, sind wir wohl oder übel darauf angewiesen, uns auf seinen Gesichtspunkt für meine Verfasser-Tätigkeit zu berufen. Dort meint S. Kierkegaard: »Der Inhalt dieser kleinen Schrift ist also: was ich als Verfasser in Wahrheit bin, dass ich bin und gewesen bin religiöser Schriftsteller, dass meine gesamte Verfasser-Tätigkeit sich zum Christentum verhält, zu dem Problem: ein Christ zu werden […].« (SV3 18, 81 / GWS 21) Die Fragwürdigkeit des Status dieser Selbst-Interpretation wurde von mehreren Interpreten hervorgehoben. So meint Tim Hagemann: »Es liegt daher die Vermutung nahe, daß die auf den ersten Blick merkwürdige Selbstinterpretation Kierkegaards selbst ein Element indirekter Mitteilung ist.« (Hagemann 2001, 59) Er bezieht sich dabei auf Johannes Sløk, der meint, mit Hinblick auf den Untertitel des Gesichtspunkts (Eine direkte [ligefrem] Mitteilung. Rapport an die Geschichte) »kann man fast mit Sicherheit davon ausgehen, daß er hier gerade dabei ist, eine Geschichtsfälschung zu betreiben.« (Sløk 1990, 9)

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Vorbemerkungen: Methodische und historisch-kritische Annäherung

und seine zentralen Anliegen gehören wohl auch eher in das Umfeld der Theologie als in jenes der Philosophie. Wahrscheinlich ist aber der Intuition Heideggers zuzustimmen, wenn er meint, dass Kierkegaard weder Philosoph noch Theologe war und daher »in sich stehenbleiben [muß]; weder die Theologie noch die Philosophie kann ihn in ihre Geschichte einreihen« (GA 49, 19). 8 Folgen wir dieser Sichtweise, so können wir der Frage ausweichen und sollen sie sogar vermeiden, ob Kierkegaard nun (eher) Philosoph oder Theologe gewesen sei; denn wir müssten davon ausgehen, dass jede dieser Kategorisierungen sich in gleicher Weise als ungerechtfertigte Aneignung erweisen würden, die gerade das Einzigartige Kierkegaards zum Verschwinden brächte. Dennoch ermöglicht dies zugleich auch, sowohl theologische als auch philosophische (sowie etwaige weitere) Zugänge zu den Texten Kierkegaards nebeneinander in ihrer jeweiligen Berechtigung bestehen zu lassen, solange sie sich nur ihrer eigenen Perspektivität bewusst sind. Kierkegaard war also weder Philosoph noch sah er sich selbst als solcher, zumindest war er eindeutig außerhalb des philosophischen Schulbetriebs seiner Zeit und legte auch Wert darauf, sich nicht in Es ist in diesem Zusammenhang auch interessant zu beobachten, wie S. Kierkegaard selbst in seiner noch zu Lebzeiten veröffentlichten Schrift Über meine Verfasser-Tätigkeit – die im Wesentlichen versucht, das gleiche Bild wie der Gesichtspunkt zu präsentieren: »[…] so dass die Verfasserschaft, total betrachtet, religiös ist vom Ersten bis zum Letzten, etwas, was jeder, der sehen kann, wenn er sehen will, auch sehen muss.« (SKS 13, 12 f. / WS 5) – die Autorität dieser so entschieden vorgetragenen Autoren-SelbstInterpretation relativiert. Zunächst meint er: »Auf diese Weise verstehe ich das Ganze jetzt; vom Beginn habe ich nicht auf diese Weise überschauen können, was ja zugleich meine eigene Entwicklung gewesen ist.« (SKS 13, 18 / WS 10) Er macht damit deutlich, dass es sich bei dieser Selbst-Interpretation eben wirklich nur um dies handeln kann, eine Interpretation, nicht um die Wiedergabe des Selbst-Verständnisses des Verfassers. Er schreibt aber weiter: »Ich betrachte mich selbst am liebsten als einen Leser der Bücher, nicht als Verfasser.« (SKS 13, 19 / WS 10) Doch wieso sollte er in seiner Funktion als Leser eine höhere Autorität genießen als irgendein anderer Lesender? 8 Als dritte mögliche Kategorisierung wird für gewöhnlich eine Einordnung als »Schriftsteller« in Betracht gezogen. Im Kapitel Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre komme ich darauf zurück, dass auch Heidegger dementsprechend Kierkegaard an einer Stelle als »religiösen Schriftsteller« (GA 5, 249) bezeichnet. Da es mir hier weniger um eine Klassifizierung Kierkegaards als um eine Frage der Rezeption geht, habe ich mich auf die Einordnung Kierkegaards in die Disziplinen der Philosophie und der Theologie konzentriert. Auch wenn Kierkegaard vielleicht zu Recht als Schriftsteller klassifiziert werden sollte, sagt dies nämlich noch nichts darüber aus, ob aus seinen Schriften für die genannten (oder andere) Disziplinen etwas zu gewinnen ist.

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ihm zu befinden. Aber vielleicht haben wir heute einen erweiterten Begriff der Philosophie und können Kierkegaards Texte – und ich denke dabei vor allem auch an seine Reden 9 – daher durchaus als philosophisch bezeichnen, wenngleich dieser Begriff dann allerdings nicht mehr im Sinne der Metaphysik oder der Systemphilosophie verstanden werden kann. 10 Oder, um nicht wiederum den Anschein zu erwecken, Kierkegaard für die Philosophie vereinnahmen zu wollen: Vielleicht können wir seine Texte durchaus als philosophisch gehaltvoll, lesenswert oder lehrreich ansehen und auch als solche ernst nehmen, selbst wenn diese nicht aus dem Bereich stammen und auch formal nicht dem entsprechen mögen, was wir traditionellerweise unter einem philosophischen Text verstehen. Denn die philosophisch geschulten Lesenden machen bei ihrer Kierkegaard-Lektüre – vor allem der Lektüre seiner Reden – wahrscheinlich recht schnell die Erfahrung, dass seine Texte umfangreiches Zeugnis ablegen von seinen umfassenden Auseinandersetzungen mit der Theologie seiner Zeit, aber vor allem auch der christlichen Überlieferung, allen voran der Heiligen Schrift. Wenn man – wie der Autor der vorliegenden Arbeit – weder eine theologische Ausbildung hat, noch von einem Interesse für theologische Fragestellungen angetrieben wird, wirkt dies wahrscheinlich zunächst äußerst befremdlich. Die verständlichste Reaktion auf diese Befremdlichkeit ist es wohl, sich an jene Passagen und Texte zu klammern, welche am ehesten dem Genre entstammen zu scheinen, mit welchem man sich als Philosoph vertraut fühlt. 11 Was aber, wenn sich die philosophischen Gedankengänge von den anderen (z. B. theologischen) Überlegungen innerhalb des kierkegaardschen Textkorpus überhaupt nicht abgrenzen lassen? Was, wenn Ich verwende hier und in weiterer Folge die Bezeichnung »Reden«, um mich – in einer groben Annäherung – auf jene Schriften zu beziehen, die Kierkegaard zu Lebzeiten unter seinem eigenen Namen veröffentlichte und die daher vom pseudonymen Werk abgegrenzt werden können. Für eine genauere Umgrenzung und Einteilung der »Reden« siehe das Kapitel Vorbemerkungen zu den Reden. 10 Wie Kierkegaards Texte auf neue Art und Weise fruchtbar gemacht werden können, kann man zum Beispiel anhand von Jacques Derrida Text Donner la mort (dt. Den Tod geben) ersehen, in dem er eine bemerkenswerte Lektüre von Furcht und Zittern anbietet (vgl. Derrida 1997). Siehe auch die hervorragende Arbeit zu dieser Thematik von Beyrich (2001). 11 Vielleicht ist dieses Zurückweichen vor dem Befremdlichen auch der Grund, wieso sich die philosophische Forschung hauptsächlich den pseudonymen Schriften zugewandt hat, während die Reden keine vergleichbare Behandlung erhalten haben. 9

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das philosophisch Interessanteste und Wesentlichste gerade dort zu finden ist, wo die Texte uns am befremdlichsten entgegentreten und am wenigsten dem entsprechen, womit wir in der Philosophie vertraut sind? Wenn wir diese Fragen zulassen, dann werden wir auf den Weg gewiesen, uns auf die Gedankengänge Kierkegaards einzulassen, mögen diese nun philosophisch oder theologisch – oder auch psychologisch, literarisch, dichterisch, usw. – sein. Vielleicht liegt das Wesentliche von Kierkegaards Schriften ja gerade in den Übergängen zwischen diesen Disziplinen, auf welche es dann eigens zu achten gelte. »Erst wenn man die Kreuzungen von Philosophie, Theologie und Psychologie in Kierkegaards Texten – auch kritisch – beachtet, tritt das Originale und Interessante an den Texten Kierkegaards hervor.« (Mjaaland 2005, 72) Meine These ist es also, dass es darauf ankommt, Kierkegaard gerade dort aufmerksam und genau zu lesen – und dies durchaus auch mit philosophisch geschulten Augen –, wo seine Texte zunächst nicht dem entsprechen, was herkömmlich unter einem philosophischen Text verstanden wird. Wenn man sich hingegen gegen solche Grenzübertritte grundsätzlich versperrt und seinen Blick von vornherein auf jene Teile des Werkes einschränkt, die nach dem überlieferten Verständnis als philosophisch gelten können und zu gelten haben, dann verstellt dies mitunter nicht nur wesentliche Aspekte des Werkes, sondern droht auch gerade das Interessanteste und Spannendste zu verfehlen. Neben diesen Gedanken zu einer philosophischen Kierkegaard-Lektüre, muss ferner bedacht werden, dass es überaus problematisch ist, von Kierkegaard als einem einheitlichen, mit sich selbst identischen Autor zu sprechen, wie auch ich dies bis jetzt getan habe. Nunmehr muss hier mit mehr Bedacht vorgegangen werden. Die Problematik, von Kierkegaard als einheitlichem Autor zu sprechen, wird nicht zuletzt deutlich an der beträchtlichen Anzahl seiner Werke, die von ihm unter Pseudonymen veröffentlicht wurden. Für einzelne Werke hat er dabei sogar ein ganzes Netzwerk von fiktiven Autoren und Herausgebern entworfen. Angesichts dieser Situation scheint mir die Frage nach dem »wirklichen« Kierkegaard hinter dieser Fassade der Pseudonymität einerseits äußerst fragwürdig und andererseits auch wenig hilfreich für die Auseinandersetzung mit seinen Texten. Ebenso fragwürdig und für die Interpretation wenig hilfreich ist es aber auch, das kierkegaardsche Œuvre in eine zusammenhangslose Ansammlung verschiedenster Texte zerfallen zu lassen. Wenn aber keine dieser beiden 28

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Kierkegaard lesen – einige vorbereitende Hinweise

Alternativen einen Ausweg bietet, dann stellt sich erneut die Frage nach dem Zusammenhang der aus der Feder Kierkegaards stammenden Schriften. Ich möchte hier keineswegs vorgeben, auf diese schwierige Frage eine rundum überzeugende Antwort liefern zu können und ich möchte mich daher auch nur soweit auf diese Diskussion einlassen, wie es mir für die Klärung des methodischen Vorgehens in dieser Arbeit notwendig erscheint. Einen interessanten Ausweg, der es einerseits erlaubt, die Vielstimmigkeit von Kierkegaards Werk ernst zu nehmen und andererseits vermeidet, die Idee der Einheit seines Werkes vollständig fallen zu lassen, scheint mir Richard Purkarthofer anzubieten, wenn er dafür plädiert, Kierkegaards Œuvre als ein »polyphones Werk« zu sehen. Für Kierkegaards Werk insgesamt sind Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit nicht bezeichnend. Im Gegenteil, es stellt sich als ein »polyphones Werk« dar. Die Stimmen einzelner Schriftsteller, ja sogar einzelner darin vorkommender ›poetischer Individualitäten‹, wie etwa die eines märchenhaften Königs, eines einfachen Mädchens, eines Wassermanns und diverser ›Ritter‹, haben genauso viel Gewicht wie jene des Autors. Das heißt, dass ihnen eine Selbstständigkeit neben jener des Autors eigen ist, weshalb sie in der echten Polyphonie vollwertiger Stimmen nicht auf eine Funktion des Autorenwortes reduziert werden können. Mit anderen Worten: Die ›eigentliche‹ Intention Kierkegaards lässt sich an keiner einzelnen dieser Stimmen festmachen. (Purkarthofer 2005a, 104)

Diesem Ansatz folgend ist es notwendig, dass die einzelnen Stimmen innerhalb von Kierkegaards Werk in ihrem Eigenrecht bewahrt werden. Hinsichtlich der Zitierung und Interpretation der einzelnen Schriften, folge ich daher durchgehend S. Kierkegaards Bitte 12 und verweise auf die einzelnen Texte immer anhand des jeweiligen Pseudonyms. Dennoch wird es sich nicht vermeiden lassen, dass immer wieder von Kierkegaard in einem umfangreicheren Sinne gesprochen wird. Wo dies passiert, sollte jedoch immer beachtet werden, dass »Kierkegaard« dabei nur als eine Abkürzung fungiert, die durchwegs durch

12 S. Kierkegaard äußert diese Bitte in »Eine erste und letzte Erklärung«: »Mein Wunsch, meine Bitte ist es daher, dass man, falls es jemanden einfallen sollte eine einzelne Äußerung der Bücher zitieren zu wollen, mir den Gefallen tut, den Namen des respektiven pseudonymen Verfassers zu zitieren, nicht meinen […].« (SKS 7, 571 / AUN2 341)

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sprachlich umständliche und nur deswegen vermiedene Wendungen wie »im Œuvre von Søren Kierkegaard« ersetzt werden kann. Wenn wir es mit einem »polyphonen Werk« zu tun haben, ist es auch nicht möglich einer einzelnen Schrift gegenüber anderen Schriften eine höhere Priorität zuzusprechen und von dieser Schrift ausgehend die Interpretation aufzubauen und durch diese leiten zu lassen. 13 Deswegen ist der Interpretierende in einer schwierigen Lage, wenn er beansprucht, etwas zu Kierkegaards eigenem Anliegen oder auch nur den zentralen Konzeptionen seiner Theorie zu sagen; denn wenn er dies beansprucht, dann ist er unweigerlich gezwungen, eine Prioritätensetzung vorzunehmen, die in die Vielstimmigkeit eine Hierarchie einführt, die niemals aus dieser Vielstimmigkeit selbst gerechtfertigt werden kann, also immer von Außen an diese herangetragen sein wird. Ein möglicher Ausweg scheint es mir hier zu sein, sich von einem themenzentrierten Ansatz leiten zu lassen. Unter einem solchen themenzentrierten Ansatz verstehe ich, es zu vermeiden, Spekulationen über Kierkegaards eigentliches Anliegen vorzutragen, und stattdessen mit einer thematischen Fragestellung an die Texte heranzugehen, die für die Lektüre der Texte leitend wird und diese strukturiert. 14 In diesem Sinne werde ich versuchen herauszuarbeiten, inwiefern Auf diese Einsicht stützt sich auch Richard Purkarthofers Kritik an der so genannten Stadientheorie: »Aber so einleuchtend und fruchtbar der stadientheoretische Ansatz auch gewesen sein mag, darf dabei nicht übersehen werden, dass er eine stark reduktionistische Tendenz aufweist. Einem Aspekt der Verfasserschaft wird dabei ein bevorzugter Status zugeschrieben, und aus dieser Perspektive werden die übrigen kritisiert und beurteilt. Die Rechtfertigung für dieses Vorgehen wird dann wieder in ebenjenen Schriften gesucht, denen bereits im Voraus ein bevorzugter Status zugeschrieben wurde.« (Purkarthofer 2005a, 105) 14 Michael Theunissen kommt der große Verdienst zu, Kierkegaard durch seine Interpretation in einer Art und Weise in die philosophische Debatte eingeführt zu haben, wie er es vorher wohl noch nie war. Vor allem seine maßgeblichen Arbeiten zur Krankheit zum Tode, worauf ich im 1. Teil dieser Arbeit noch ausführlich eingehen werde, sind hier zu erwähnen (vgl. Theunissen 1991 und 1993). Theunissen lässt sich dabei von einer thematischen Zugangsweise leiten, doch scheint er mir dabei in seinem Streben nach Rekonstruktion des philosophischen Gehalts der Texte zu rigoros zu sein und dadurch der Eigendynamik von Kierkegaards Text zu wenig Freiraum zu lassen. Außerdem kann hier auf Arne Grøn verwiesen werden, der ebenfalls eine themenzentrierte Zugangsweise verfolgt und darauf abzielt, Kierkegaards philosophische Bedeutung herauszuarbeiten – und damit wohl auch in der Nachfolge von Theunissen steht. Gegenüber Theunissen scheint mir Grøn allerdings den Vorzug zu haben, viel stärker auf die Feinheiten der kierkegaardschen Textproduktion einzugehen. 13

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in verschiedenen, aus der Feder Kierkegaards stammenden Texten interessante Einsichten über die im Vorhinein umgrenzte Thematik, nämlich die zeitliche Verfasstheit des Menschseins bzw. – um den Bezug zu Heidegger auch in der Wortwahl erkennbar zu machen – der Analyse der Zeitlichkeit des Daseins, enthalten sind. Obwohl ich also keinesfalls intendiere, eine umfassende Interpretation von Kierkegaards »wirklichem« Anliegen zu präsentieren, könnte es dennoch sein, dass dies mitunter doch gewisse Rückschlüsse auf die ansonsten eingeklammerte Frage nach der Einheit in der Vielstimmigkeit zulässt; dann nämlich, wenn sich nachweisen lässt, dass es in diesen verschiedenen Texten gewisse einheitliche und durchgängige Frage- und Problemstellungen gibt, die immer wieder auftauchen und aus verschiedenen Blickwinkeln behandelt werden; dass es also solche Frage- und Problemstellungen sind, die hinter allen Arten der kierkegaardschen Textproduktion stehen und diese sozusagen im Geheimen antreiben. In diesem Sinne könnte man sagen, dass ich in dieser Arbeit Lektüren verschiedener Texte anbieten möchte, die es plausibel werden lassen, dass das Problem der Zeitlichkeit oder die Frage nach der zeitlichen Verfasstheit des Menschseins und des Umgangs des Menschen mit seiner zeitlichen Verfasstheit, dass diese Thematiken zu jenen Frage- und Problemstellungen zu zählen sind, die in solchem Sinne als durchgehendes Motiv der kierkegaardschen Texte angesehen werden können und bedacht werden sollten. Kierkegaards Œuvre lässt sich, unter Missachtung von diversen Zwischenstufen und Sonderfällen, grob in drei große Bereiche unterteilen: erstens die von Kierkegaard unter Anwendung eines Pseudonyms durchgeführten Publikationen, zweitens die zu seinen Lebzeiten unter seinem eigenen Namen veröffentlichten Reden, und schließlich, nicht zu vergessen, seinen umfangreichen Nachlass. 15 In der philosophischen Beschäftigung mit Kierkegaard steht her15 Es sollte darauf hingewiesen werden, dass es auch noch andere Möglichkeiten gäbe Kierkegaards Œuvre einzuteilen. Die neue dänische Ausgabe Søren Kierkegaards Skrifter (SKS) und die darauf aufbauende Deutsche Søren Kierkegaard Edition (DSKE) folgen zum Beispiel einer anderen Gliederung, nämlich: »1) die Werke, die er selbst in Druck gab, 2) Werke, die er zur Herausgabe fertiggestellt hat, aber erst postum erschienen sind […] 3) seine Journale und Aufzeichnungen sowie 4) Briefe und biographische Dokumente.« (DSKE 1, xi) Vor allem in Anbetracht der unter 2) angeführten Gruppe von Texten erweist sich die von mir getroffene Einteilung in pseudonyme, unter eige-

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kömmlicherweise »ganz entschieden das pseudonyme Werk Kierkegaards im Zentrum, und die erbaulichen Schriften werden oft lediglich als eine Art Konkretion oder Kommentar zu den pseudonymen Schriften gelesen. […] Die Faszination der Pseudonyme überschattet sozusagen den Zugang zu den erbaulichen Reden […].« (Harbsmeier 2000, 294 f.) Diese Konzentration auf die pseudonymen Schriften hat – wie weiter oben etwas psychologisierend angedeutet – wahrscheinlich auch darin ihre Begründung, dass diese Texte – oder zumindest ein beachtlicher Teil davon – am ehesten dem entsprechen, was traditionell als philosophischer Text angesehen wird. Im Gegensatz zu dieser Konzentration auf die pseudonymen Werke steht jene Position, welche die unter Kierkegaards eigenem Namen veröffentlichten Schriften als den Ort ansieht, an dem der »eigentliche Kierkegaard«, der »eigentliche Teil seiner ganzen Intention« (Harbsmeier 2000, 293), der Kern des kierkegaardschen Denkens gefunden werden könne. 16 So meint Tim Hagemann in seiner Arbeit über Kierkegaards antipersuasive Rhetorik: »Wenn sich auch einzelne begeisterte Redenleser(innen) oder gar Übersetzer(innen) fernab der Werkausgaben immer gefunden haben […], so sind die Reden doch ein Stiefkind der Forschung geblieben.« (Hagemann 2001, 57) 17 Und noch eindringlicher meint er: »Die erbaulichen und christlichen Reden aber führen ein Schattendasein, während sie doch das eigentliche Zentrum seines Oeuvres bilden.« (Hagemann 2000, 9) Doch diese Ansicht, wonach die Reden das eigentliche Zentrum des kierkegaardschen Werkes nen Namen veröffentlichte und nachgelassene Schriften als problematisch; dennoch halte ich die von mir getroffene Einteilung für heuristisch sinnvoll. 16 Als Beispiel für diese Sichtweise, wonach in den Reden der eigentliche Kierkegaard gefunden werden könne, sei Emanuel Skjoldagers Einführung in die Erbaulichen Reden 1843–1844 angeführt: »Mit den Zwei erbaulichen Reden vom Mai 1843 beginnt Søren Kierkegaards direkte erbauliche Verfasserschaft, die parallel mit seiner philosophischen herausgegeben wurde. Die Bedeutung und das Gewicht, welches Kierkegaard den erbaulichen Reden beimisst, werden dadurch unterstrichen, dass er sie unter seinem eigenen Namen herausgibt. Hier ist es unbedingt und unbegrenzt Søren Kierkegaard selbst, der spricht.« (Skjoldager 1980, 19; Übersetzung von mir, G. T.) 17 Es soll auch Hagemanns durchwegs unterhaltsamen Fortsetzung dieses Zitats nicht unerwähnt bleiben: »Einer aber, der sich ihnen verschrieb und ohne sie nicht zu denken ist, erwähnt sie kaum: Martin Heidegger.« (Hagemann 2001, 57) Es folgt als Beleg ein Verweis auf jene zweite Fußnote in Sein und Zeit. Hagemann liefert hier ein wunderbar amüsantes Beispiel, wie man in eine zum Topos gewordene Fußnote auch zu viel hineinlesen kann.

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seien, erweist sich bei näherer Hinsicht als ebenso einseitig wie die Bevorzugung der pseudonymen Werke. Denn der Autor, der unter dem Namen »S. Kierkegaard« veröffentlichten Reden, sollte in gewissem Sinne ebenso als ein Pseudonym angesehen werden wie die zahlreichen fiktiven Autoren der als pseudonymisch kategorisierten Schriften. 18 Deswegen werde ich in dieser Arbeit auch konsequent trennen zwischen »S. Kierkegaard« als Verfasser bestimmter Reden und »Kierkegaard« bzw. »Søren Kierkegaard« als Abkürzung – im weiter oben eingeführten Sinn – für den Hinweis auf das gesamte Œuvre bzw. als Verweis auf die »Hand«, welche die Feder geführt hat. Neben diesen beiden Gruppen von Texten gilt es drittens auch den umfangreichen Nachlass zu beachten, der sowohl Kierkegaards umfangreiche Journale und Aufzeichnungen als auch einige (weitgehend) fertig gestellte, aber zu Lebzeiten unveröffentlichte Schriften sowie verschiedene weitere schriftliche Hinterlassenschaften (lose Blätter Zettel, Briefe) enthält. 19 In der deutschsprachigen Rezeption wurden Kierkegaards Journale lange Zeit in erster Linie als biographische Quellen angesehen. Entsprechend wurden die Journale auch zumeist als »Tagebücher« bezeichnet bzw. Textstücke aus Kierkegaards Nachlass unter dem Titel »Tagebücher« veröffentlicht. »Dabei handelt es sich […] um eine terminologische Verengung, die folgenreich für die deutschsprachige Rezeption und Einschätzung des Nachlasses werden sollte.« (Purkarthofer 2003b, 325) Die Herausgabe des Nachlasses im Rahmen der neuen dänischen Edition Søren Kierkegaards Skrifter (SKS) und die darauf aufbauende Übersetzung in der Deutschen Søren Kierkegaard Edition (DSKE) dürften als zusätzliche Impulse dienen, auch den Nachlass in seiner Vielseitigkeit zu berücksichtigen und in verstärktem Maße in die Forschung mit einzubeziehen. 20

18 Dass es sich bei den Reden keineswegs um die direkte Mitteilung Søren Kierkegaards handelt, darauf macht übrigens Tim Hagemann selbst aufmerksam: »Wenn wir die Theorie der indirekten Mitteilung und ihren Grundgedanken, daß nämlich jede auf eine existenzielle Aneignung zielende Mitteilung der Indirektheit bedarf, ernst nehmen wollen, dann verlangt im Gegenteil kein anderer Werkteil so sehr nach indirekter Mitteilung wie der erbauliche.« (Hagemann 2001, 60) 19 Zur Charakterisierung von Kierkegaards Nachlass siehe die Einleitung zum ersten Band der Deutschen Søren Kierkegaard Edition (DSKE). 20 In Kierkegaard Studies. Yearbook 2003, das die Beiträge des Forschungsseminars im August 2002 wiedergibt, finden sich zahlreiche Beiträge, die auf Möglichkeiten hinweisen, wie der Nachlass in die Forschung mit einbezogen werden kann.

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Wenn man davon ausgeht, dass alle drei Teilbereiche des kierkegaardschen Œuvres von gleichrangiger Bedeutung sind und für das Verständnis Kierkegaards gleiche Wichtigkeit haben, dann ist damit auch die Anweisung verbunden, alle Teilbereiche gleichermaßen in die Interpretation mit einzubeziehen. Leider kann dies in dieser Arbeit – vor allem aus zeitökonomischen Gründen – nicht in vollem Umfang geleistet werden, weswegen die Journale – zu meinem großen Bedauern – weitgehend unberücksichtigt bleiben müssen.

Übersetzungssituation und frühe deutsche Rezeption In der Zeitspanne von 1909 bis 1915 – also zu jener Zeit, als Heidegger in Freiburg studierte – fand eine wesentliche Wende in der deutschen Kierkegaard-Rezeption statt und es ist durchaus berechtigt zu sagen, dass erst ab diesem Zeitpunkt von einer ernsthaften Rezeption Kierkegaards in der deutschsprachigen Welt gesprochen werden kann. Wesentlich für diese Wende war vor allem, dass in diesen Jahren mehrere bedeutende Editionsprojekte dafür sorgten, dass viele Texte Kierkegaards erstmals in angemessener Form der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich wurden. Erwähnt werden muss dabei zunächst die Ausgabe der Gesammelten Werke unter der Federführung von Christoph Schrempf, die 1909 begonnen wurde und bereits 1914 weitestgehend abgeschlossen war. 21 Des Weiteren fand Kierkegaard ab 1914 aber vor allem durch die Übersetzungen von Theodor Haecker in der Zeitschrift Der Brenner Eintritt in die deutsche intellektuelle Landschaft. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch erste Textstücke aus Kierkegaards Nachlass ins Deutsche übersetzt wurden, die das Bild Kierkegaards in einer breiteren Öffentlichkeit wesentlich prägten und dazu führten, dass die anfängliche fast ausschließlich theologische Rezeption im deutschen Raum durch eine stärker biographisch orientierte, insgesamt vielschichtigere Lektüre abgelöst wurde. Wahrscheinlich ist es bei jeder Übersetzung so, dass die Rolle des Übersetzenden eine weit aktivere ist als die eines bloßen Mediums zur Übertragung von einer Sprache in eine andere; aber vielleicht ist es in Zehn von zwölf Bänden waren bis einschließlich 1914 bereits erschienen. Die letzten beiden Bände, Band 10 und Band 11 folgten erst 1922. Siehe Anhang 2.

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der Rezeptionsgeschichte kaum eines Denkers so wie in jener Kierkegaards, dass einzelne Übersetzende mit ihren spezifischen Interessen eine so zentrale Rolle einnahmen in der Vermittlung seiner Gedanken, in der Lenkung seiner Rezeption und der Prägung seines Bildes für die Nachwelt. Gerade deswegen ist es umso wichtiger, zumindest einen kurzen Blick auf die verworrene Landschaft der frühen Übermittlung und Rezeption Kierkegaards in der deutschsprachigen Welt zu werfen. 22 Die Rezeption Kierkegaards in der deutschsprachigen Welt spielte sich anfänglich vor allem auf dem Gebiet der Theologie ab und blieb lange auch auf dieses begrenzt. Dies hat seinen Grund vor allem darin, dass in den Jahren nach Kierkegaards Tod 1855 die Ausläufer der Wellen, die der in den letzten beiden Lebensjahren Kierkegaards stattfindende, so genannte »Kirchenkampf« schlug, Deutschland erreichten und auch dort für Aufregung in den theologischen Kreisen sorgten. Ein Anzeichen für diese anfängliche theologische Rezeption ist auch die erste vollständige Übersetzung eines Textes von Kierkegaard ins Deutsche. Diese umfasste die ersten neun Ausgaben von Der Augenblick, Kierkegaards Kampfblatt gegen die dänische Staatskirche in seinen letzten Lebensjahren. Diese anonyme Übersetzung erschien 1861 unter dem Titel Christentum und Kirche. »Die Gegenwart.« Ein ernstes Wort an unsere Zeit, insbesondere an die evangelische Geistlichkeit. 23 Bereits ein Jahr später, 1862, gab ein Theologiestudent aus Schleswig namens Christian Hansen mit Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen 24 eine weitere Übersetzung eines Text aus der Spätphase Kierkegaards heraus. Habib C. Malik macht in seiner Arbeit zur frühen Rezeption Kierkegaards darauf aufmerksam, dass das Wort »Gegenwart« im Titel beider Übersetzungen darauf hindeutet, dass die Übersetzer darauf bedacht 22 Dieses Kapitel stützt sich auf mehrere hervorragende Arbeiten zur Geschichte der (deutschsprachigen) Kierkegaardrezeption. Besonders hervorzuheben sind drei herausragende Artikel von Heiko Schulz (2004, 2005 und 2009) sowie die umfangreiche Arbeit von Malik (1997). 23 Christentum und Kirche. »Die Gegenwart«. Ein ernstes Wort an unsere Zeit, insbesondere an die evangelische Geistlichkeit. Von S Kierkegaard, aus dem Dänischen, Hamburg: Köbner, 1861. 24 Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen, nach der 3. Aufl. des Originals aus dem Dänischen übers. und mit einer Charakteristik des Verfassers versehen von Christian Hansen, Erlangen: Deichert, 1862.

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waren, die Relevanz von Kierkegaards Schriften für die theologischen Angelegenheiten in Deutschland zur Zeit der Übersetzung zu betonen (vgl. Malik 1997, 219). Es lässt sich hier die Dynamik beobachten, dass Kierkegaards Schriften in erster Linie nicht aufgrund eines genuinen Interesses an seinen intellektuellen Errungenschaften übersetzt und gelesen wurde – und schon gar nicht aufgrund eines philologischen oder philosophiehistorischen Interesses –, sondern vielmehr, weil die Übersetzenden mit Blick auf die Situation im Deutschland ihrer eigenen Zeit vermeinten, dass diese Texte eine aufdringliche Aktualität und Relevanz besitzen und daher der Mitwelt etwas zu sagen hätten. Ein wichtiger früher Wegbereiter für eine umfangreichere Rezeption Kierkegaards, der nicht unerwähnt bleiben sollte, war Johann Tobias Beck (1804–1878). Durch seine Lehrtätigkeit in Tübingen brachte er eine ganze Generation von Theologiestudenten mit Kierkegaard in Berührung. Zu seinen Studenten zählten unter anderen Albert Bärthold und Hermann Gottsched, welche eine wichtige Rolle bei der Übertragung und Rezeption von Kierkegaards Schriften einnehmen sollten (vgl. Schulz 2004, 387 und Schulz 2009, 314). Als erster bedeutender Schüler Becks, der eine zentrale Rolle für die Übermittlung von Kierkegaards Gedanken an die Nachwelt übernahm, sei Hermann Gottsched hier kurz erwähnt. Nachdem Gottsched damit begonnen hatte, die Schriften Kierkegaards zu studieren, wurde er durch Albert Bärthold dem Dänen Hans Peter Barfod vorgestellt. Barfod war damals als Assistent von Søren Kierkegaards Bruder, dem Bischof von Aalborg Peter Christian Kierkegaard, für die Herausgabe von Kierkegaards Nachlass zuständig. Als Ergebnis dieser Zusammenkunft zog Gottsched schließlich 1879 nach Dänemark und übernahm Barfods Position als Herausgeber von Kierkegaards Journalen (vgl. Malik 1997, 271 f.). Bereits ab der Veröffentlichung der ersten Journale 1869 entwickelte sich in Dänemark die Tradition einer biographischen Kierkegaard-Lektüre. Diese spielte zu dieser Zeit im deutschsprachigen Raum noch keine Rolle und kam erst weit später in Mode. Dies hat auch damit zu tun, dass Kierkegaards Journale der des Dänischen unkundigen Leserschaft noch für längere Zeit vorenthalten blieben. Erst 1905 publizierte Gottsched unter dem Titel Buch des Richters 25 erste ÜberSøren Kierkegaard: Buch des Richters. Seine Tagebücher 1833–1855, im Auszug aus dem Dänischen von Herman Gottsched, Jena/Leipzig: Diederichs, 1905.

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setzungen aus den Journalen (vgl. Malik 1997, 361 ff.). Zuvor erschienen – und dies ebenfalls erst ab 1901 – nur einige kleine Bände mit ausgewählten Stücken aus Kierkegaards Nachlass, die wohl kaum die Bildung eines umfassenderen Bildes von Kierkegaard zuließen. 26 Der Halberstädter Pastor Albert Bärthold wurde zum ersten wichtigen Übersetzer Kierkegaards. Er war so fasziniert von den Schriften Kierkegaards, dass er deswegen Dänisch lernte und auch einige Reisen nach Dänemark unternahm. Seine erste Übersetzung war 1872 ein Auszug aus Einübung im Christentum, erschienen unter dem Titel Einladung und Ärgernis. Biblische Darstellung und christliche Begriffsbestimmung von Søren Kierkegaard. 27 Ein Jahr später folgte Aus und über Søren Kierkegaard. Früchte und Blätter 28 mit Auszügen aus Furcht und Zittern und aus Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift. Anschließend gab Bärthold im Laufe der 1870er jedes Jahr eine weitere Übersetzung heraus und produzierte darüber hinaus auch noch weitere Publikationen zu Søren Kierkegaard. Von diesen weiteren Publikationen sind vor allem Noten zu Sören Kierkegaards Lebensgeschichte 29 von 1876 und Die Bedeutung der ästhetischen Schriften Sören Kierkegaards 30 von 1879 erwähnenswert (vgl. Malik 1997, 220 ff.). Letztere ist auch deswegen interessant, weil sie sich in erster Linie gegen die Kierkegaard-Interpretation von Georg Brandes richtete (vgl. Kloeden 1987, 39). 26 Neben einer kleinen Auswahl aus den Journalen, die 1901 unter dem Titel Aus den Tiefen der Reflexion. Etwas für den Einzelnen aus Søren Kierkegaards Tagebüchern 1833–1855 erschien, gab es noch zwei Bücher, die sich mit Kierkegaards Verhältnis zu seiner zeitweiligen Verlobten Regine Olsen beschäftigten. Erstens eine Übersetzung des von Kierkegaards Nichte Henriette Lund herausgegebenen Buches Søren Kierkegaards Verhältnis zu seiner Braut. Briefe und Aufzeichnungen aus seinem Nachlaß (Leipzig: Insel Verlag, 1904) und zweitens die Übersetzung einer Buches, das Regines (die verheiratet Schlegel hieß) Sichtweise der aufgelösten Verlobung darlegt: Søren Kierkegaard und sein Verhältnis zu »ihr«. Aus nachgelassenen Papieren (Stuttgart: Juncker, 1905). 27 Einladung und Ärgernis. Biblische Darstellung und christliche Begriffsbestimmung von Søren Kierkegaard, als Manuskript. gedruckt, Albert Bärthold, Halberstadt, 1872. 28 Aus und über Søren Kierkegaard. Früchte und Blätter, zusammengestellt von Albert Bärthold, Halberstadt: Frantz’sche Buchhandlung, 1874. 29 Bärthold: Albert: Noten zu Sören Kierkegaards Lebensgeschichte, Halle: Julius Fricke, 1876. 30 Bärthold, Albert: Die Bedeutung der ästhetischen Schriften Sören Kierkegaards mit Bezug auf G. Brandes: »Sören Kierkegaard, ein literarisches Charakterbild«, Halle: Julius Fricke, 1879.

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Georg Brandes 1879 in deutscher Übersetzung erschienenes Buch S. Kierkegaard. Ein literarisches Charakterbild 31 leitete eine erste entscheidende Wende weg von einer rein theologischen Kierkegaard-Rezeption ein. »Brandes selber zögert ebenso wenig wie Schrempf, den Sprung auf die Landzunge des Freidenkertums zu wagen. Aber mehr noch: Er unterstellt, dass auch Kierkegaard, hätte er nur länger gelebt, sich zu derselben Konsequenz genötigt gesehen haben würde.« (Schulz 2004, 394) Bärthold wendete sich massiv gegen diese Interpretation von Brandes, wonach auch Kierkegaard selbst, wäre ihm ein längeres Leben zuteil geworden, zum Freidenkertum gefunden hätte, ebenso wie er sich dagegen wendet, dass der Leser durch Kierkegaards Schriften zu einer solchen Einstellung geführt werden könnte (vgl. Schulz 2004, 399 f.). Bärtholds eigene Sichtweise von Kierkegaards Werk ist entschieden und eindeutig und lässt sich mit Heiko Schulz folgendermaßen zusammenfassen: »Bärthold read the authorship as essentially religious, thus believing in Kierkegaard’s self-interpretation as a religiously (not theologically!) motivated author.« (Schulz 2009, 315) Die Auswahl von Bärtholds Übersetzungen und seine weiteren Arbeiten über Kierkegaard haben es sich daher zum Ziel gesetzt, beständig darauf hinzuweisen, dass das gesamte Œuvre Kierkegaards das Werk eines grundsätzlich religiösen Autors war und daher auch als solches gelesen werden muss. 32 Eine ganz andere Sichtweise auf Kierkegaards Werk hatte Christoph Schrempf, der mit seiner Einstellung eher in der Nachfolge von Brandes stand, gleichwohl er dessen Interpretation zumindest offenkundig ablehnte. 1883–84 las Schrempf die bereits erwähnte Übersetzung von Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen von Hansen und fand dadurch seine Begeisterung für Kierkegaard. Nachdem er Dänisch gelernt hatte, fertigte er 1890 seine erste Übersetzung an. Unter dem Titel Zur Psychologie der Sünde, der Bekehrung und des Glaubens 33 übersetzte er die Schriften Der Begriff Angst und Philosophische BroBrandes, Georg: S. Kierkegaard. Ein literarisches Charakterbild, Leipzig, 1879. Bärthold kann sich mit dieser Einschätzung – wie im vorherigen Kapitel zitiert – auf S. Kierkegaards Ausführungen im Gesichtspunkt für meine Verfasser-Tätigkeit berufen. Über die Problematik der Heranziehung dieser Schrift wurde an vorheriger Stelle ebenfalls bereits gesprochen. 33 Zur Psychologie der Sünde, der Bekehrung und des Glaubens. Zwei Schriften Søren Kierkegaards, übersetzt und eingeleitet von Christoph Schrempf, Leipzig: Richter, 1890. 31 32

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cken (vgl. Malik 1997, 311 f.). Später wurde Schrempf der selbsternannte Herausgeber der ersten deutschen Ausgabe der Gesammelten Werke Kierkegaards, welche er gemeinsam mit Hermann Gottsched, Wolfgang Pfleiderer und Albert Dorner (der bereits 1890 Werke der Liebe übersetzt und unter dem fragwürdigen Titel Leben und Walten der Liebe 34 herausgegeben hatte) ab 1909 anfertigte (vgl. Malik 1997, 312 f. und Kloeden 1987, 41). Schrempf benutzte dabei vor allem seine umfangreichen Vor- und Nachworte to spread and elaborately defend his own, highly eclectic, and often polemical message about the Danish writer. In a nutshell his message goes like this: Kierkegaard’s writings (in particular, his pseudonymous ones) inadvertently promote and justify religious unbelief and/or scepticism – the very same unbelief and scepticism that Schrempf enthusiastically subscribes to and practices himself. (Schulz 2009, 317)

Schrempfs eigene zunehmende Abwendung vom Christentum kulminierte 1891 in einem Eklat, als er sich weigerte, während einer Taufzeremonie das apostolische Glaubensbekenntnis zu sprechen. Schrempf versuchte dabei, in Kierkegaard einen Fürsprecher für seine eigene, anti-kirchliche Einstellung zu finden und scheute keine Mühen, Kierkegaard auch als einen solchen zu präsentieren (vgl. Malik 1997, 332). Nicht nur deswegen wird die Qualität von Schrempfs Übersetzungen von vielen Kierkegaard Experten in Zweifel gezogen oder offen kritisiert. So meint Richard Purkarthofer über Schrempfs Übersetzung von Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen, diese sei »gekennzeichnet durch Ungenauigkeit und Auslassungen und gleicht an zahlreichen Stellen eher einer Paraphrase als einer Übersetzung« (Purkarthofer 2003b, 329). Und Habib C. Malik schreibt: In several instances […] Schrempf took the liberty of trimming, altering, or restructuring the text to his liking […]. Schrempf’s freewheeling approach to his duties as Kierkegaard’s German translator, and his habit of constantly interposing himself and his opinions between Kierkegaard’s text and the reader’s independent judgement, have earned him a well-deserved notoriety among Kierkegaard specialists. (Malik 1997, 313)

34 Leben und Walten der Liebe. Von Søren Kierkegaard, aus dem Dänischen übersetzt von Albert Dorner, Leipzig: Richter, 1890.

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Schrempf nahm sich regelmäßig die Freiheit, Kierkegaards Text bei der Übersetzung nach eigenem Gutdünken zu verändern, wenn er ihn für unpassend hielt oder mit ihm aus anderen Gründen nicht einverstanden war. Aufgrund von Schrempfs diversen Kürzungen und Änderungen vertritt Wolfdietrich von Kloeden die »These von der Zerstörung des Romanwerkes« durch Schrempf (Kloeden 1987, 42). 35 Dennoch gibt es auch vereinzelte, verhalten positive Äußerungen zu Schrempfs Übersetzungsarbeit. So meint Wilhelm Anz: Die Übersetzung von Schrempf »hat viele Mängel und Willkürlichkeiten – Schrempf ging mit seinem Kierkegaard sehr direkt um und richtete mit ihm – aber sie ist in der Lebendigkeit der Sprache die Kierkegaard nächste geblieben« (Anz 1983, 12). Es war in Abgrenzung zu diesem von Schrempf geprägten Kierkegaard-Bild, dass Haecker und die Zeitschrift Der Brenner auf den Plan traten: Starting in 1914, this periodical [Der Brenner; Anmerkung von mir, G. T.] became the central organ through which many of Europe’s budding young thinkers received their first exposure to certain timely Kierkegaard texts, hitherto unavailable in German. It was here, through the labors of Theodor Haecker, that the distorted »Schrempf Kierkegaard« was overthrown in favor of a more balanced Kierkegaard. (Malik 1997, xxi)

Diese zentrale Bedeutung von Haecker und Der Brenner wird auch von Heiko Schulz in seiner herausragenden Arbeit zur deutschen Rezeptionsgeschichte betont, wenn er schreibt: »It was not Schrempf, but the Brenner circle (Haecker, in particular) which proved instrumental for spreading the Kierkegaardian gospel to a wider German-speaking audience.« (Schulz 2009, 330 f.) Schulz meint über die Gesammelten Werke von Schrempf, diese wären »a more or less academic affair. Obviously, Schrempf’s efforts would have hardly reached a wider audience without the Brenner’s most effective intermediary role since the latter was brought, and appreciated by large parts of a culturally interested public in Germany and Austria – and yet also by many academics« (Schulz 2009, 330 f.). Ein entsprechender Beleg findet sich etwa im Nachwort zum zweiten Band von Entweder – Oder (GW Bd. 2), wo Schrempf ausschweifend erklärt, wieso er es für berechtigt hält, diverse Unzulänglichkeiten, die er am dänischen Originaltext feststellt, bei der Übersetzung zu korrigieren.

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Ironischerweise wurde Haecker wahrscheinlich durch Schrempf auf Kierkegaard aufmerksam (vgl. Malik 1997, 376) und startete Dänisch zu lernen zunächst mit dem Ziel, Kierkegaard im Original lesen zu können. Doch schon sehr bald erkannte er, dass die Übersetzungen von Schrempf das dänische Original nur unangemessen wiedergeben. Wohl deswegen entschloss sich Haecker seinerseits, Übersetzungen von Kierkegaards Schriften anzufertigen, um das seiner Meinung nach falsche Kierkegaard-Bild, das Schrempf zu präsentieren trachtete, zu korrigieren. Daher wählte Haecker für seine Übersetzungen zunächst auch jene Werke aus, die von Schrempf nicht beachtet oder absichtlich nicht berücksichtigt wurden (vgl. Malik 1997, 377). Dies waren zunächst Kierkegaards Reden, die vor allem von Schrempf vernachlässigt wurden, 36 aber auch insgesamt ein Stiefkind der damaligen Übersetzungen waren. 37 Haecker übersetzte aber auch mehrere andere Werke, wobei es für seine Auswahl vor allem ausschlaggebend war, ob er den Schriften eine Aktualität für seine eigene Zeit zusprechen konnte. Haeckers Interesse für Kierkegaard und seine eigene Zeitkritik verbinden sich an diesem Punkt. Darauf, dass Haecker – ähnlich wie Schrempf, wenn auch in ganz anderer Ausrichtung – sich nicht davor scheute, Kierkegaard für seine eigenen Zwecke sich anzueignen, macht Heiko Schulz kritisch aufmerksam, wenn er schreibt, dass »Haecker Kierkegaards Texte streckenweise so frei interpretiert und für seine eigenen zeit- und kulturkritischen Thesen so unbekümmert in Anspruch nimmt, dass man hier kaum von einem Beitrag zur Kierkegaard-Rezeption im engeren Sinne sprechen kann« (Schulz 2004, 420). Jedoch muss festgehalten werden, An die Gesammelten Werke sollte eine Ausgabe der Erbaulichen Reden anschließen. Diese war auf vier Bände angelegt, doch es erschienen nur Leben und Walten der Liebe (1924), in der Übersetzung, die Dorner bereits 1890 angefertigt hatte und eine weitere Auswahl von späteren Reden unter dem Titel Christliche Reden (1929). 37 Während die pseudonymen Schriften spätestens mit den Gesammelten Werken von Schrempf fast geschlossen in deutscher Übersetzung vorlagen, gab es bei den Übersetzungen der Reden noch erhebliche Lücken, welche erst nach dem 2. Weltkrieg durch die Gesammelten Werke von Hirsch vollständig geschlossen wurden. Siehe das Kapitel Vorbemerkungen zu den Reden, welches sich auch der Übersetzungssituation der Reden zuwendet, und Anhang 3, welcher die Übersetzungen der Reden bis einschließlich 1929 auflistet. An dieser Stelle soll noch darauf hingewiesen werden, dass Theodor Haeckers Übersetzungsarbeit auch gerade deswegen Interesse verdient, weil er großen Wert auf die Übersetzung der Reden legte und dabei auch mit großer Umsicht und Sorgfalt vorging. 36

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dass Haecker Kierkegaard zwar in seinen fulminanten, aber zuweilen ausschweifenden Vor- und Nachworten für seine eigene Zeitkritik instrumentalisiert, seine Übersetzungen aber dessen ungeachtet dem dänischen Original weitgehend treu bleiben und dieses insgesamt sehr zuverlässig wiedergeben. Dass eine Übersetzung nach Möglichkeit versuchen sollte, das Original wiederzugeben und nicht danach trachten, dieses aufgrund von eigenen Meinungen und Interessen zu verändern, stellt an sich noch keine herausragende Leistung dar – wenn auch im Falle der Kierkegaard-Übersetzungen beinahe eine Besonderheit –, doch darüber hinausgehend kann Richard Purkarthofer zugestimmt werden, wenn er meint: »Haeckers Übersetzung verdient auch in stilistischer Sicht hervorgehoben zu werden. Das liegt an seiner hinreichenden Vertrautheit mit der dänischen Sprache, vor allem aber an der beeindruckenden Sprachkraft und schöpferischen Gewandtheit in der Muttersprache.« (Purkarthofer 2003b, 330) Haecker erkannte, welches herausragende Denkmal Kierkegaard der dänischen Sprache mit seinen Schriften gesetzt hatte. Deswegen war es auch seine Meinung, dass jemand unbedingt Dänisch lernen müsste, um Kierkegaards Schriften angemessen würdigen zu können. Doch Haecker verstand es auch vorzüglich, Kierkegaard so ins Deutsche zu übertragen, dass dessen Sprachgewalt auch für die Leserschaft, die des Dänischen unkundig ist, nachvollziehbar wird. Zu Gute kam ihm dabei sicherlich, dass auch sein eigener Stil – wie vor allem in den diversen Vor- und Nachworten seiner Kierkegaard-Übersetzungen erfahren werden kann – wesentlich durch die Nachahmung von Kierkegaard, aber auch durch Anleihen bei Karl Kraus geprägt war. Haeckers Stil ist leidenschaftlich und humorvoll in bester kierkegaardscher Tradition. Deswegen gelang es ihm auch, die Einheit von Leidenschaft und Humor, Ernst und Satire bei Kierkegaard nicht nur zu erkennen, sondern auch in den Übersetzungen in ihrer Vielschichtigkeit und provokativen Kraft wiederzugeben (vgl. Malik 1997, 374 f.). Allan Janik macht außerdem darauf aufmerksam, dass für Haecker, wie für Kierkegaard, eine absolute Einheit von Form und Inhalt bestehe. Deswegen sei es laut Haecker notwendig, dass jedes ernste philosophische Argument in leidenschaftlich polemischer Form vorgetragen werde (vgl. Janik 1984, 196). Theodor Haecker stieß Ende 1913, Anfang 1914 zum Brenner. 38 In 38

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Wie Haecker zum Brenner kam wird näher beschrieben von Janik (1984, 193 f.).

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Übersetzungssituation und frühe deutsche Rezeption

diesem Jahr erschienen auch seine ersten Kierkegaard-Übersetzungen. Es handelt sich dabei um Auszüge aus zwei kleinen, pseudonymen Werken, die bei den anderen Übersetzern keine Beachtung fanden, nämlich Vorworte einerseits und Eine literarische Anzeige andererseits, sowie um die zweite der 4 Erbaulichen Reden 1944 mit dem Titel Der Pfahl im Fleische. 39 Vor allem die zweite dieser Übersetzungen, in welcher Haecker den dritten Teil von Kierkegaards Eine literarische Anzeige unter dem Titel Kritik der Gegenwart wiedergab, hatte sehr großen Einfluss und wurde wohl auch von Heidegger aufmerksam gelesen. Nicht nur der Titel, sondern auch Haeckers Nachwort weisen ganz offen darauf hin, dass Haecker Kierkegaards Text hier für seine eigene Zeitkritik in Anspruch nahm, damit dieser Schrift aber auch eine Aktualität zusprach, von der sich wohl viele damalige Lesende angesprochen fühlten. Bereits ein Jahr vor diesen ersten Übersetzungen im Brenner publizierte Haecker 1913 in München seine Arbeit Sören Kierkegaard und die Philosophie der Innerlichkeit 40 , in welcher er im Wesentlichen schon zu seinem Stil gefunden hatte und sein bereits voll ausgebildetes Kierkegaard-Bild vorlegte. Haecker ließ nach 1914 noch zahlreiche weitere Übersetzungen von Texten Kierkegaards und sonstige Arbeiten über Kierkegaard und zur Zeitkritik folgen. Hier seien nur noch einige dieser Schriften hervorgehoben, sofern sie entscheidende Bedeutung für die damalige Kierkegaard-Rezeption hatten. In Hinblick auf die Reden muss vor allem auf die beiden Sammlungen von Reden, die Haecker 1922 mit den Titeln Religiöse Reden 41 und Am Fuße des Altars. Christliche Reden 42 herausgab, hingewiesen werden. Mit diesen RedeSammlungen sowie mit im Brenner veröffentlichten Übersetzungen wie der Rede Ved en Grav, die unter dem Titel Vom Tode im Brenner Jahrbuch 1915 abgedruckt wurde, machte Haecker zahlreiche zuvor unübersetzte Reden erstmals für die deutsche Leserschaft zugänglich. Großen Einfluss hatte außerdem der Band Der Begriff des Auserwähl-

Für genauere Angaben zu diesen Übersetzungen siehe Anhang 1. Haecker, Theodor: Sören Kierkegaard und die Philosophie der Innerlichkeit, München: J. F. Schreiber, 1913. 41 Religiöse Reden, ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker, München: Hermann A. Wiechmann, 1922. 42 Am Fuße des Altars. Christliche Reden, Übertragung und Nachwort von Theodor Haecker, München: Beck, 1922. 39 40

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ten 43 , in welchem Kierkegaards Entwürfe für Das Buch über Adler und zwei daraus entspringende, 1849 publizierte, kleine Abhandlungen, sowie Haeckers sehr langes und einflussreiches Nachwort, welches auch einzeln im Brenner abgedruckt wurde, enthalten sind. Zuletzt sei noch auf Haeckers 1923 im Brenner Verlag und zuvor schon in mehreren Ausgaben von Der Brenner erschienene Auswahl der Tagebücher 44 hingewiesen, die neben Gottscheds Buch des Richters für lange Zeit für viele des Dänischen nicht mächtige Kierkegaard-Rezipienten die einzige Quelle zu Kierkegaards Journalen war. 45

Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre Auch abseits von jenen berühmten Fußnoten in Sein und Zeit finden sich in Heideggers veröffentlichten Schriften nur spärliche Hinweise auf Kierkegaard. Eine relativ umfangreiche Besprechung Kierkegaards findet sich im zweiten von Heideggers Nietzsche-Bänden in Hinblick auf dessen Begriff der Existenz (vgl. GA 6.2, 430–437). In Heideggers Rezension von Karl Jaspers Psychologie der Weltanschauungen, die bereits 1919–1921 verfasst, aber erst 1967 in den Wegmarken veröffentlicht wurde, wird Kierkegaard mehrmals explizit erwähnt und ist darüber hinaus durchgängig als Thema präsent (vgl. GA 9, 1–44). Eine weitere Erwähnung Kierkegaards – auf die in Kürze zurückzukommen sein wird – befindet sich in der Abhandlung »Nietzsches Wort ›Gott ist tot‹« (abgedruckt in den Holzwegen; GA 5, 249). Neben den veröffentlichten Schriften gilt es aber auch, die Vorlesungen und die unveröffentlichten Abhandlungen zu berücksichtigen und tatsächlich wurde Kierkegaard in diesen in weit größerem Ausmaß erwähnt als in den veröffentlichten Schriften. Vielleicht kommt es aber insgesamt gar nicht so sehr auf Heideggers explizite Stellungnahmen zu Kierkegaard an, wenn der Einfluss 43 Der Begriff des Auserwählten, Übersetzung und Nachwort von Theodor Haecker, Hellerau: Hellerauer Verlag Jakob Hegner, 1917. 44 Die Tagebücher, in zwei Bänden ausgewählt und übersetzt von Theodor Haecker, (Erster Band: 1834–1848, Zweiter Band: 1849–1855), Innsbruck: Brenner, 1923. 45 Gerade deswegen ist es relevant und sollte daher hier nicht unerwähnt bleiben, dass es bisweilen Kritik an der Auswahl der Tagebücher gab, die sehr stark durch Haeckers zunehmenden Hang zum Katholizismus geprägt sind (vgl. Kloeden 1987, 44).

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Kierkegaards auf Heidegger ermessen werden soll. Vielleicht zeigt sich dieser Einfluss vielmehr dort, wo Kierkegaards Denken für Heidegger zum Anstoß für seine eigenen Denkbewegungen wurde, ein Anstoß, der sich nicht immer in expliziten Erwähnungen niederschlagen muss. Heidegger war für Kierkegaard, was Anz einen »primären Leser« nennt: Für ihn ist Kierkegaard kein Gegenstand der Forschung; er ist auch kein Bildungsgut, das bereit liegt. Er ist ein Ereignis, mit dem eine neue Erfahrung aufbricht […]. Die spärlichen Hinweise […] sind eine methodische Explikation über die vollzogene Umsetzung, sondern gelegentliche, bei Heidegger dazu noch verschlüsselte Äußerungen zum Zwecke der Verdeutlichung oder auch Abgrenzung der eigenen Position. Das ist kein Einwand; es entspricht durchaus dem Wesen elementarer Aneignung. (Anz 1983, 12)

Mir scheint, dass sich vor allem in Heideggers frühen Freiburger Vorlesungen eine solche lebhafte Auseinandersetzung mit Kierkegaard beobachten lässt, 46 die bei Weitem noch nicht ausreichend erforscht ist. Diese produktive Beschäftigung zeigt sich vor allem anhand von bestimmten Themenstellungen und einzelnen Konzepten. Hans-Georg Gadamer verweist in diesem Zusammenhang zum Beispiel auf den Begriff der Existenz: 47 »Der Gebrauch des Wortes [Existenz; G. T.] in dem neuen, emphatischen Sinne geht auf den dänischen Denker und Schriftsteller Sören Kierkegaard zurück, der in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts seine Bücher schrieb, aber erst am Anfang dieses Jahrhunderts in der Welt und insbesondere in Deutschland wirksam wurde.« (Gadamer 1983, 8) Heidegger selbst lässt uns in einem autobiographischen Hinweis außerdem wissen, dass seine Auseinandersetzung mit Kierkegaard schon weit früher einsetzte als in jenem Zeitraum von 1919 bis 1923, als er in Freiburg als Husserls Privatassistent tätig war, nämlich bereits zu seiner Studienzeit:

46 Ich denke dabei zum Beispiel an die Vorlesung Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles vom WS 1921/1922 (GA 61) und die Vorlesung Hermeneutik der Faktizität vom SS 1923 (GA 63). In beiden Vorlesungen finden sich neben der impliziten Auseinandersetzung auch zahlreiche explizite Erwähnungen Kierkegaards (vgl. GA 61, 24; 182 und GA 63, 5; 17; 30; 41 f.; 108; 111). 47 Die Entwicklung des Existenzbegriffs wird im Kapitel Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs ausführlicher untersucht.

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Was die erregenden Jahre zwischen 1910 und 1914 brachten, läßt sich gebührend nicht sagen, sondern nur durch eine Weniges auswählende Aufzählung andeuten: Die zweite um das Doppelte vermehrte Ausgabe von Nietzsches ›Willen zur Macht‹, die Übersetzung der Werke Kierkegaards und Dostojewskis, das erwachsende Interesse für Hegel und Schelling, Rilkes Dichtung und Trakls Gedichte, Diltheys ›Gesammelte Schriften‹. (GA 1, 56)

Aus diesen wenigen Hinweisen folgt, dass eine Untersuchung, die sich auf Sein und Zeit (auch unter Einbeziehung der allesamt mit Sein und Zeit in enger Verbindung stehenden Marburger Vorlesungen) konzentrieren möchte, um dort Kierkegaards Einfluss aufzuspüren, sich unweigerlich mit der Kritik konfrontieren muss, den Zeitraum der Analyse zu spät anzusetzen und deswegen Wesentliches außer Acht zu lassen. Darauf machte auch Heidegger selbst bereits in eben diesen Marburger Vorlesungen in gewisser Weise aufmerksam, wenn er meint: »[I]ch habe mich schon mit Kierkegaard auseinandergesetzt, als es noch keine dialektische Literatur gab.« (GA 26, 178) Die Kierkegaard Rezeption Heideggers wird oft in Verbindung gesetzt mit dem Aufkommen der dialektischen Theologie in Deutschland (vgl. Anz 1983, Kloeden 1981 und 1982). Diese Untersuchungen haben sicherlich ihren Wert und Heiko Schulz verweist ganz richtig auf Heideggers nach seiner Übersiedelung nach Marburg 1923 beginnende Zusammenarbeit mit Rudolf Bultmann, 48 wenn er meint: Heidegger »was deeply influenced by Kierkegaard at that time« (Schulz 2009, 339). Um jedoch Kierkegaards Einfluss auf Heidegger adäquat zu untersuchen, müssen vor allem die vor Heideggers Marburger Zeit liegende frühere Formierung seines Denkens berücksichtigt werden, wo dessen lebhafte Auseinandersetzung unter anderem mit Kierkegaard stattfand in Zusammenhang mit seinem eigenen Kampf um die Formulierung jenes Projekts, das später erst das Projekt von »Sein und Zeit« werden sollte. 49 Um das Kierkegaard-Bild Heideggers adäquat nachzeichnen zu können, erachte ich außerdem die Sammlung und Berücksichtigung möglichst aller verfügbaren Äußerungen Heideggers zu Kierkegaard für Zur Zusammenarbeit von Heidegger und Bultmann während deren gemeinsamer Marburger Zeit siehe Vetter (2000). 49 Zur Entwicklung von Heideggers Denken vor 1923 und vor allem zur Bedeutung von Heideggers frühen Freiburger Vorlesungen siehe Van Buren (1994). 48

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notwendig. Erst dann scheint mir eine ausreichende Materialbasis gegeben, um wirklich beurteilen zu können, welche Haltung Heidegger Kierkegaard gegenüber eingenommen hat. Diese breite Materialbasis scheint mir vor allem deswegen notwendig, weil viele Aussagen Heideggers zu Kierkegaard sehr komprimiert und kryptisch sind und bei genauerem Nachdenken viel mehr Fragen aufwerfen, als sie Antworten anbieten. Ich habe am Beispiel jener zweiten Fußnote in Sein und Zeit zu zeigen versucht, dass auch Heideggers Hinweis auf eine Gruppe von Texten aus der Feder Kierkegaards – die »›erbaulichen‹ Schriften« – alles andere als eindeutig oder selbstverständlich ist. Aber vielleicht bietet die Berücksichtigung mehrerer solcher Stellen doch die Basis, um deren Sinn im wechselweisen Durchgang zu erschließen. In einer solchen Untersuchung muss die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass das Kierkegaard-Bild Heideggers auch Wandlungen und Veränderungen unterworfen gewesen sein könnte. Ein Verdachtsmoment in diese Richtung sei hier kurz angedeutet: Während Heidegger 1923 in einer Vorlesung ohne lange Umschweife feststellt, dass Kierkegaard ein Theologe sei (GA 63, 30), scheint er sich dieser Zuordnung 1941 keineswegs mehr sicher zu sein und meint seiner früheren Einordnung widersprechend: »Kierkegaard ist ein ›religiöser Denker‹ ; d. h. nicht Theologe und nicht ›christlicher Philosoph‹ (Unbegriff)« (GA 49, 19). Und in der bereits erwähnten Stelle in den Holzwegen erklärt er schließlich, Kierkegaard sei »kein Denker, sondern ein religiöser Schriftsteller und zwar nicht einer unter anderen, sondern der einzige dem Geschick seines Zeitalters gemäße.« (GA 5, 249) Anhand dieser wenigen Stellen lässt sich einerseits erkennen, dass Heidegger seine Einschätzungen zu Kierkegaard durchaus variiert hat; es scheint fast so, als wäre er auf der Suche gewesen nach den geeigneten Worten für dessen Klassifizierung. Andererseits zeigt sich aber auch, wie schwierig es ist, im Detail nachzuvollziehen, worauf Heidegger mit seinen jeweiligen Einschätzungen zu Kierkegaard eigentlich hinauswollte, weswegen ich es auch für angeraten halte, voreilige interpretatorische Schlüsse zu vermeiden. So ließe sich zum Beispiel vorzüglich darüber streiten, ob die Stelle in den Holzwegen nun als eine Auszeichnung oder eine Abwertung Kierkegaards gelesen werden sollte; denn einerseits ist es doch sicherlich eine Aufwertung, dass Kierkegaard nicht »einer unter anderen [ist], sondern der einzige dem Geschick seines Zeitalters gemäße«, andererseits meint Heidegger aber doch auch, Kierkegaard sei »kein Denker, sondern ein religiöser A

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Schriftsteller«, was Interpreten zu der Einschätzung führte, dass »one wonders how Heidegger can possibly have taken Kierkegaard to be only a ›religious writer‹ with no ontological concern« (Caputo 1987, 16). Was aber, wenn sich diese Frage überhaupt nicht stellt, weil es überhaupt keine Einschätzung von Seiten Heideggers war, sondern ein Zitat aus S. Kierkegaards Gesichtspunkt für meine Verfasser-Tätigkeit? Denn dieser meint doch eindeutig: »Ich bin religiöser Schriftsteller [forfatter] 50 .« (SV3 18, 82 / GWS 22) Wie kommt es, dass das Zitat der Selbstinterpretation eines Verfassers als interpretatorische Aufoder Abwertung seines Werkes seitens des Zitierenden ausgelegt wird? Doch auch unabhängig von Heideggers Einschätzungen zu Kierkegaard bleibt weiterhin die Frage bestehen, welche Texte aus Kierkegaards umfangreichem Œuvre Heidegger eigentlich gelesen hat. Heidegger bietet uns in seinen Schriften und Vorlesungen leider nur wenige Hinweise auf einzelne Schriften Kierkegaards. Auch in der Sekundärliteratur finden sich kaum Informationen zu dieser Thematik und wo sich Sekundärtexte zu dieser Fragestellung äußern, verursacht dies oftmals leider mehr Verwirrung, als es zur Klärung beiträgt. Hierfür sei ein kurzes Beispiel angeführt. Van Buren meint in seiner Arbeit zum jungen Heidegger: »Heidegger was especially interested in this Kierkegaardian concept of Schweigen when he read ›The Lilies of the Field …‹ in 1924.« (Van Buren 1994, 185) Er wiederholt diese Feststellung in verschiedenen Variationen auch noch an mehreren weiteren Stellen (vgl. Van Buren 1994, 171 und 193–195). Aus diesen Aussagen Van Burens kann Heiko Schulz für die von mir in der Einleitung formulierte Fragestellung nach den »›erbaulichen‹ Schriften« Kierkegaards die Schlussfolgerung ziehen, dass es unter anderem die »›Lilies in the Field‹ from 1847« gewesen sein müssen (vgl. Schulz 2009, 357 (255)). Doch spätestens hier beginnen die Verwirrungen. Denn Heiko Schulz verweist auf die drei Reden unter dem Titel Hvad

Das Dänische Wort forfatter kann sowohl Autor als auch Schriftsteller bedeuten. Ich habe mich daher entschieden, forfatter in meiner Wiedergabe des Titels der Schrift, aus welcher dieses Zitat stammt, mit dem neutraleren »Verfasser« zu übersetzen, um diese Spannung auch im Deutschen zu erhalten. Die Übersetzung mit Schriftsteller ist jedoch die gebräuchlichere, findet sie sich doch sowohl in den Gesammelten Werken von Schrempf, als auch in jenen von Hirsch. Insofern kann zumindest Heidegger kein Vorwurf gemacht werden, Kierkegaard als »Schriftsteller« zu bezeichnen.

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vi lære af Lilierne paa Marken og af Himmelens Fugle (Was wir lernen von den Lilien auf dem Feld und den Vögeln des Himmels), die 1847 als 2. Abteilung des Bandes Erbauliche Reden in verschiedenem Geist (Opbyggelige Taler i forskjellig Aand) veröffentlicht wurden. An jener Stelle, auf welche er sich als Quellenangabe bezieht, zitiert Van Buren jedoch nicht aus dieser Schrift, sondern aus einer englischen Übersetzung der drei Reden, welche erstmals 1849 unter dem Titel Lilien paa Marken og Fuglen under Himlen (Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel) erschienen (vgl. Van Buren 1994, 193 ff.). 51 Diese Reden beziehen sich auf jene Stelle in der Bergpredigt, in welcher es heißt, dass niemand zwei Herren dienen könne, und anschließend auf den Vogel und die Lilie verwiesen wird (vgl. Mat. 6, 24–34). Dies war sichtlich eine von Kierkegaards Lieblingsstellen der Heiligen Schrift, widmet er ihr insgesamt doch nicht weniger als 13 Reden. Neben den jeweils drei Reden in den beiden genannten Redensammlungen von 1847 und 1849 beziehen sich auch die sieben Reden der 1. Abteilung Die Sorgen der Heiden der 1848 erschienen Christlichen Reden auf diese Stelle. Um welche Reden handelt es sich also, mit denen sich Heidegger angeblich 1924 auseinandergesetzt hat, jene von 1847, von 1848 oder von 1849? Leider musste ich beim Versuch der Beantwortung dieser Frage feststellen, dass die Verwirrungen nicht erst bei dieser widersprüchlichen Weitergabe der Informationen in der Sekundärliteratur beginnen, sondern schon viel früher. Als Quelle für seine weiter oben zitierte Aussage verweist Van Buren nämlich auf eine Erinnerung von Hans-Georg Gadamer (vgl. Van Buren 1994, 185). Diese Erinnerung Gadamers sei hier angeführt: Die erste Seminareinladung Heideggers in die Schanallee 21 ist mir in Erinnerung geblieben: fröhliche Spiele im Garten, und dann, drinnen, las Heidegger eine von Kierkegaards ›religiösen Reden‹ vor (›Sehet die Lilien auf dem Felde‹), die damals gerade erschienen waren. Ein existenzieller Appell, insbesondere zum Schweigen, das sich auch prompt über den Rest des Abends legte. (Gadamer 1977, 111)

51 Im Fall dieser beiden Redensammlungen sorgt leider die ungenaue Wiedergabe der Titel in den diversen Übersetzungen für zusätzliche Verwirrung, weswegen ich hier die dänischen Originaltitel wiedergegeben habe und ansonsten versuche, die Reden im Deutschen zusätzlich anhand des Erscheinungsjahres der dänischen Erstausgabe auseinanderzuhalten.

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Das im Zitat erwähnte Privatseminar muss nach den Angaben von Gadamer kurz nach Heideggers Übersiedelung nach Marburg, also wahrscheinlich 1924 stattgefunden haben. Die Datierung der Lektüre bereitet also wenig Kopfzerbrechen. Hingegen ist es unklar, auf welchen Text sich Gadamer in dieser Erinnerung bezieht. Denn eine Übersetzung mit dem Titel »Sehet die Lilien auf dem Felde« konnte nicht aufgefunden werden. Somit kann nur spekuliert werden, auf welche Reden hier Bezug genommen wird. Wenn Gadamer von »Kierkegaards ›religiösen Reden‹« spricht, wäre es plausibel, dass er sich damit auf Haeckers 1922 erschienenen Band Religiöse Reden bezieht; doch in diesem Band ist keine einzige der Reden über »Lilie und Vogel« übersetzt, weder von 1847, noch von 1849 und auch nicht aus den Christlichen Reden von 1848. Um den Band Christliche Reden im Rahmen von Schrempfs Ausgabe der Erbaulichen Reden 52 (welcher Die Lilie und den Vogel von 1849 und die Christlichen Reden von 1848 enthält) kann es sich ebenfalls nicht handeln, denn dieser erschien erst 1929. Es trägt ebenfalls wenig zur Klärung bei, dass alle drei in Frage stehenden Redesammlungen 1924 grundsätzlich auf Deutsch verfügbar waren. Die Reden von 1847 in einer Übersetzung von Alfred Puls aus dem Jahre 1891, die Reden von 1848 in einer Übersetzung von Julie von Reincke aus dem Jahr 1901, die 1909 in 2. und 1923 in 3. Auflage erschien, und die Reden von 1849 in einer Übersetzung von Albert Bärthold, die auf 1877 zurückgeht, aber mehrmals neu aufgelegt wurde, zuletzt 1910. 53 Die Schlussfolgerung, die sich aus diesen Forschungen ziehen lässt, ist, dass wir zwar anhand von Gadamers Erinnerung festhalten können, dass Heidegger mit den Reden Kierkegaards zumindest im Großen und Ganzen vertraut und an diesen auch soweit interessiert war, dass er sie auch anderen im halb-öffentlichen Rahmen vortrug. Aus dieser Erinnerung jedoch zu schließen, welche Rede Heidegger dabei exakt im Blick hatte, gelingt nicht ohne Hinzufügung eines gehörigen Maßes an Spekulation. Nach dieser kritischen Ausschweifung möchte ich ein paar positive Bemerkungen zur Beantwortung der Frage nach der Kierkegaard-Lektüre Heideggers anfügen. Diese schließen an die im vorherigen Kapitel dar52 53

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Für eine Übersicht zu dieser Ausgabe siehe Anhang 2. Für genauere Angaben zu diesen Ausgaben siehe Anhang 3.

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Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre

gestellte allgemeine Übersetzungssituation an und müssen daher in Zusammenhang mit dieser gesehen werden. Wir wissen, dass Heidegger die Zeitschrift Der Brenner ab seiner Studienzeit kannte und wohl auch regelmäßig rezipierte (vgl. Malik 1997, 391). Die antimodernistischen Tendenzen, die Haecker in seinen in Der Brenner erschienenen Texten zur Schau stellte, fanden beim jungen Heidegger sicherlich Unterstützung: In Heidegger’s student writings, from his early Der Akademiker articles to the conclusion of his book on Scotus, we find the project of a struggle (Kampf) against the alleged fallenness and unruliness of modern individualistic liberalism, and a proposed revolutionary return to the deep theistic worldview of the past, which he thought could provide a ground and anchor for modern subjectivism. (Van Buren 1994, 123)

Wir können also davon ausgehen, dass Heidegger die in Der Brenner abgedruckten Übersetzungen der Texte Kierkegaard (zumindest großteils) gelesen hat. Außerdem wissen wir aufgrund von Heideggers eigener Angabe, dass er die im Brenner Verlag erschienene und von Haecker übersetzte Auswahl der Tagebücher kannte (vgl. GA 63, 17). Dies gibt Grund zu der weiteren Annahme, dass er auch mit den anderen, vorrangig im Brenner Verlag erschienenen Übersetzung Haeckers zumindest zu einem gewissen Maße vertraut war. Auch die Gesammelten Werken von Schrempf waren Heidegger bekannt. Dies lässt sich einerseits aufgrund einer Erinnerung von Gadamer vermuten: »Ein schwäbischer Pfarrer namens Christoph Schrempf veranstaltete bei Diederichs eine sehr frei gehaltene, aber gut lesbare Übersetzung des gesamten Werkes von Kierkegaard. 54 Das Bekanntwerden dieser Übersetzung trug sein gut Teil zu der neuen Bewegung bei, die später Existenzphilosophie genannt wurde.« (Gadamer 1983, 8) Heideggers Kenntnis von Schrempfs Gesammelten Werken folgt aber vor allem aus Heideggers eigenen Hinweisen in seinen Schriften und Vorlesungen. 55 Dass es sich bei der Ausgabe von Schrempf zwar um Gesammelte Werke, keineswegs jedoch das gesamte Werk Kierkegaards handelte, wurde im vorherigen Kapitel bereits dargestellt. Da Gadamers Beurteilung von Schrempfs Übersetzung damals wohl weitgehend geteilt wurde, ist seine Konklusion, dass diese Ausgabe großen Einfluss gewann, aber durchaus plausibel. 55 Heidegger verweist mehrfach auf die Gesammelten Werke von Schrempf. Neben dem Hinweis auf die Ausgabe von Der Begriff Angst im Rahmen der Gesammelten Werke in Sein und Zeit (vgl. SZ 190, Anmerkung), verweist Heidegger auch in mehre54

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Vorbemerkungen: Methodische und historisch-kritische Annäherung

Auch wenn wir uns damit begnügen anzunehmen, dass Heidegger alle Übersetzungen in der Zeitschrift Der Brenner und im Brenner Verlag, sowie die Gesammelten Werke von Schrempf kannte – was beides sehr plausibel ist –, geht daraus hervor, dass er mit einem beachtlichen Querschnitt durch Kierkegaards Werk vertraut war; dies stellt eine solide Materialbasis für die folgende Untersuchung dar. Dennoch muss gesagt werden, dass letztlich in diesem Bereich noch viele Fragen ungeklärt sind und noch viel Forschung notwendig ist. Für diese weiteren Forschungen seien an dieser Stelle nur einige grundsätzliche Vorbemerkungen gemacht: Erstens muss kritisch festgehalten werden, dass die Verfügbarkeit einer deutschsprachigen Übersetzung, selbst wenn sie Heidegger zweifelsfrei bekannt und auch zugänglich war, noch lange nicht bedeutet, dass er sie auch tatsächlich gelesen hat. Die Quellen, die Heideggers Kierkegaard-Lektüre im Detail belegen, sind rar und entsprechend ist auch das Bild von Heideggers tatsächlicher Lektüre lückenhaft und auf gewissen Annahmen beruhend. Zweitens ist aber auch die – im vorherigen Kapitel bereits besprochene – Qualität der Übersetzungen zu berücksichtigen; denn viele dieser frühen Übersetzungen sind gekennzeichnet durch (teilweise auch inhaltlich sehr relevante) Auslassungen und/oder fehlerhafte oder sehr freie Wiedergaben. Somit sind die Texte, wie sie Heidegger vorlagen, durchwegs nicht identisch mit den Texten, welche der deutschsprachigen Leserschaft heute zur Verfügung stehen und mitunter auch weit davon entfernt, das dänische Original angemessen wiederzugeben. Da Heidegger die Texte Kierkegaards aber nur so kennen konnte, wie sie ihm eben aufgrund der Umstände zugänglich waren, muss die Berücksichtigung der Texte in jener Form, in welcher sie Heidegger zur Verfügung standen, ein zentraler Bestandteil jedes Vergleichs zwischen Heidegger und Kierkegaard sein. Drittens soll noch darauf hingewiesen werden, dass auch die Rolle von Sekundärquellen berücksichtigt werden muss. Auch wenn Heidegger einen Text Kierkegaards nicht selbst gelesen hat, kann es durchaus sein, dass er mit dessen Inhalt anhand der Überlieferung von Seiten einer dritten Quelle vertraut war. Als Beispiel kann hier angeführt werden, dass wir aus Heideggers Anmerkungen zu Jaspers Psychologie der Weltanschauung

ren Vorlesungen auf Schrempfs bei Diederichs erschienene Ausgabe (vgl. GA 61, 182; GA 63, 108; GA 49, 19).

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Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre

(vgl. GA 9, 10 ff.) wissen, dass er diesen Text und das darin enthaltene Referat über Kierkegaard aufmerksam las, seine eigene Lektüre Kierkegaards also wohl auch durch die Auseinandersetzung mit Jaspers Überlieferung der Gedanken Kierkegaards stattfand.

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1. Teil: Zeitlichkeit in den pseudonymen Schriften

Der Mensch als (Selbst-)Verhältnis Kierkegaards Bemühung um das, was wir heute eine philosophische Anthropologie nennen könnten, scheint nach Meinung der Mehrzahl der Interpretierenden in der Krankheit zum Tode 56 ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Deswegen möchte ich – in der Bestrebung mich dem kierkegaardschen Verständnis des Menschen zu nähern – zunächst von diesem Text ausgehen. Ich werde mich dabei vor allem auf den berühmten Auftakt des Buches (1. Abschnitt A.A) konzentrieren, weil dort eine Bestimmung des Menschseins gegeben wird, die in der philosophischen Sekundärliteratur zu Kierkegaard wohl für mehr Gesprächsstoff gesorgt hat als irgendeine andere Passage aus seinem Œuvre. 57 Die Ant56 Der volle Titel lautet: Die Krankheit zum Tode. Eine christliche psychologische Erörterung zur Erbauung und Erweckung. Als Autor tritt Anti-Climacus auf, S. Kierkegaard zeichnet als Herausgeber. In einem Journaleintrag mit der Überschrift: »Rapport betreffend Die Krankheit zum Tode« meint Kierkegaard: »Dieses Buch hat eine Schwierigkeit: es ist zu dialektisch und zu streng um das Rhetorische, das Erweckende, das Ergreifende richtig verwenden zu können. Der Titel selbst scheint darauf zu deuten, dass es Reden sein sollten. Der Titel ist lyrisch. Vielleicht ist es überhaupt nicht zu gebrauchen, aber in jedem Fall hat es mit einem vorzüglichen Schema bereichert, das immer verwendet werden kann aber versteckter in Reden.« (SKS 20, 365 / Pap VIII 1 A 651) Dem Verweis auf die Reden wird im letzten Kapitel dieser Arbeit Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel nachgegangen. Die Bezeichnung als »vorzügliches Schema« weist darauf hin, dass die Ausführungen in der Krankheit zum Tode – und dabei vielleicht gerade die stakkatoartige Eröffnung – ihr Recht behalten und auch in diesen Reden als deren Hintergrund im Auge behalten werden müssen. 57 Es ist das große Verdienst von Michael Theunissen, mit zwei sehr kontrovers aufgenommenen Arbeiten (Theunissen 1991 und 1993) eine vorher nie da gewesene philosophische Diskussion über Søren Kierkegaards Werk auszulösen. In Erwiderung auf Theunissen meldeten sich zunächst Arne Grøn (1994) und Alastair Hannay (1994) in Kierkegaardiana 17 zu Wort. Im Kierkegaard Studies. Yearbook 1996 griffen dann auch mehrere weitere namhafte Kierkegaard-Forscher in diese Debatte ein (unter anderem

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1. Teil: Zeitlichkeit in den pseudonymen Schriften

wort auf die Frage, was der Mensch ist, ist dort auf eine extrem verdichtete, beinahe stichwortartige Formel gebracht, weswegen diese Passage eine umfangreichere Auslegung erfordert. Der in diesem Kapitel auszulegende, eröffnende Absatz lautet folgendermaßen: Der Mensch ist Geist. Aber was ist Geist? Geist ist das Selbst. Aber was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das in dem Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von dem Zeitlichen und dem Ewigen, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen Zweien. Auf diese Weise betrachtet ist der Mensch noch kein Selbst. 58 (SKS 11, 129 / KT 8)

In diesen wenigen Sätzen geht es darum, das Menschsein des Menschen zu bestimmen, also das, was den Menschen als Menschen ausmacht. Im ersten Satz scheint Anti-Climacus dabei an die Bestimmung des Menschen in der Tradition anzuschließen, wenn er den Menschen als Geist bestimmt. Jedoch bereits im nächsten Satz bricht er mit einer einfachen Aneignung und Fortführung tradierter Bestimmungen des Menschen, indem er es nicht bei diesem Verweis auf die klassische Definition beruhen lässt, sondern auf eine weitere Bestimmung drängt: Niels Jørgen Cappelørn und Hermann Deuser). Außerdem findet sich in diesem Band auch eine Erwiderung von Theunissen auf die Einwände von Grøn und Hannay. Wenn ich mich also der Krankheit zum Tode zuwende, begebe ich mich damit auf ein Feld, das durch diese Debatte schon viele Furchen erhalten hat. Hinzu kommt noch, dass die Intensität der Beschäftigung mit der Krankheit zum Tode durch diese Debatte zwar ein neues Niveau erreichte, aber dennoch beachtet werden muss, dass es bereits zuvor zahlreiche Auseinandersetzung mit diesem Text gegeben hatte. Siehe z. B. die Beiträge von Figal (1984), Kraus (1984) und Lübcke (1984) in Kierkegaardiana 13, außerdem die in vielen Hinsichten richtungweisende Arbeit von Johannes Sløk (1954). Da in dieser Arbeit nicht auf die Gesamtthematik der Krankheit zum Tode eingegangen werden kann, möchte ich noch auf den umfassenden Kommentar zur Krankheit zum Tode von Joachim Ringleben (1995) hinweisen, sowie auf einen Artikel von Arne Grøn (1997a), in welchem sich dieser mit dem Zusammenhang der beiden Teile beschäftigt, und den Artikel von Cappelørn (1996), der wertvolle Hinweise zum Aufbau der Krankheit zum Tode liefert. 58 »Mennesket er Aand. Men hvad er Aand? Aand er Selvet. Men hvad er Selvet? Selvet er et Forhold, der forholder sig til sig selv, eller er det i Forholdet, at Forholdet forholder sig til sig selv; Selvet er ikke Forholdet, men at Forholdet forholder sig til sig selv. Mennesket er en Synthese af Uendelighed og Endelighed, af det Timelige og det Evige, af Frihed og Nødvendighed, kort en Synthese. En Synthese er et Forhold mellem To. Saaledes betragtet er Mennesket endnu intet Selv.«

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Der Mensch als (Selbst-)Verhältnis

»Aber was ist Geist?« Es wird also nicht dabei stehen geblieben, den Menschen als Geist zu bestimmen, sondern im folgenden Satz wird Geist wiederum näher bestimmt: »Geist ist das Selbst.« Das bedeutet: Der Mensch ist Geist, er ist Geist aber nur insofern, als er ein Selbst ist. Das Geistsein des Menschen ist nur als Selbstsein. 59 Wollen wir also verstehen, was die Bestimmung des Menschen als Geist bedeutet, so müssen wir zunächst verstehen, was es bedeutet, dass der Mensch ein Selbst ist. Es geht daher darum zu bestimmen, was ein Selbst ist bzw. was der Mensch ist, sofern er ein Selbst ist. So kulminieren diese Bestimmungen im vierten Satz abermals in einer Frage: »Aber was ist das Selbst?« Das Selbst wird zunächst bestimmt als ein Verhältnis. Jedoch nicht einfach als ein Verhältnis zwischen Zweien, denn ein solches Verhältnis zwischen Zweien wäre für Anti-Climacus – wie noch zu zeigen ist – noch kein Selbst. Das Selbst wird vielmehr definiert als ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält. Das Selbst ist also dadurch ausgezeichnet, dass es sich zu sich selbst verhält. Diese Bestimmung des Selbst als Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, bedeutet also nicht nur, dass es dieses Verhältnis ist, sondern es bedeutet auch, dass es ein Verhalten zu diesem Verhältnis ist. Dem Selbst als Verhältnis geht es in diesem Verhältnis um sich selbst als dieses Verhältnis. Noch prägnanter drückt dies die zweite Hälfte des Satzes aus, wo es heißt, das Selbst »ist das in dem Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.« Das »oder«, welches diesen zweiten Teil des Satzes einleitet, ist, wie Joachim Ringleben richtig bemerkt, »nicht alternativ zu lesen […] (latein.: aut), sondern variierend (latein.: vel), d. h. im Sinne von: ›oder auch‹ bzw. ›oder wie man auch sagen könne‹.« (Ringleben 1995, 61) Es handelt sich also nicht um eine alternative Bestimmung, die im Widerspruch zur ersten Hälfte des Satzes steht oder diese doch zumindest korrigiert, sondern um eine nähere Bestimmung dessen, was im ersten Teil des Satzes bereits gemeint ist. Das Selbst ist 59 Ganz ähnlich fasst dies auch Joachim Ringleben: »Deutlich ist jedenfalls die präzisierende Funktion dieser Näherbestimmung: ›Geist ist das Selbst‹. Sie besagt das folgende: Geist ist nicht etwas überindividuell Allgemeines, woran der einzelne Mensch bloß teilhat […], sondern Geist ist (jedenfalls im Falle des Menschseins) nur selbsthaft da. Geist ist das Selbstsein des je einzelnen Menschen. Was es mit dem Geistsein des Menschen auf sich hat, das läßt sich nur vom menschlichen Selbstsein her ausmachen und erfahren; denn beim Menschen gibt es ›den‹ Geist nur als verselbsteten, selbsthaften.« (Ringleben 1995, 51)

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demzufolge also »in dem Verhältnis« genau dieses »dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält«. An dieser Präzisierung sind beide Bestimmungen eigens zu vernehmen: sowohl das in dem Verhältnis als auch das Dass des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens. Dieses Dass wird eigens thematisiert im Teil des Satzes hinter dem Strichpunkt: »das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält.« Das Selbst ist also gerade dieses: dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält. Das Selbst ist genau diese Selbstbezüglichkeit des Verhältnisses, es ist der Vollzug des Sich-zusich-selbst-Verhaltens. Was hier mit dem Selbst thematisiert wird, ist die Vollzugshaftigkeit dieses Vollzuges. Zwei Missverständnisse gilt es hier abzuwenden: Erstens darf dies nicht so gelesen werden, als sei das Selbst eine dem Verhältnis äußere Instanz. Das Selbst ist nichts dem Verhältnis Äußerliches, sondern die Selbstbezüglichkeit dieses Verhältnisses, die zu diesem Verhältnis nicht erst nachträglich hinzukommt, sondern immer schon in diesem Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, konstitutiv war. Zweitens wäre es auch ein grobes Missverständnis, das Selbst in irgendeiner Art und Weise zu substantivieren – wozu der bestimmte Artikel und die Großschreibung einladen –, so als wäre es eine Art von Seelen-Substanz. Das Selbst ist kein Etwas, sondern es ist der reine Vollzug des Sich-zusich-selbst-Verhaltens des Verhältnisses. Wie Arne Grøn betont, ist es gerade dieser »prozessuale Aspekt«, der Anti-Climacus radikal mit jeder substanziellen Bestimmung des Selbst brechen lässt (vgl. Grøn 1997b, 16). Das Selbst ist keinerlei Substanz, sondern ist nichts als dieser Vollzug des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens. Das Selbst wird hier radikal ausgelegt als Selbstverhältnis, genau genommen als das Dass (dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält) dieses Selbstverhältnisses. Das Selbst bezeichnet nur diesen prozessualen Aspekt, die Vollzugshaftigkeit dieses Vollzuges. Neben dieser Bestimmung des Dass des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens ist aber auch eigens auf die zweite Bestimmung dieses Satzes zu achten, wonach das Selbst »in dem Verhältnis« ist. Diese Bestimmung weist darauf hin, dass es jeweils dieses konkrete, einzelne Verhältnis ist, das sich zu sich selbst verhält. In anderen Worten: Sofern ich ein solches Verhältnis bin, bin es jeweils ich, der ich mich in diesem Verhältnis zu mir selbst als dieses Verhältnis verhalte. Es handelt sich bei diesem Verhalten zum Verhältnis um keine Stellungnahme von außen, sondern ich verhalte mich in meinem Verhältnis zu mir selbst 58

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als dieses Verhältnis. Denn das Selbst verhält sich nicht nur zu sich als Verhältnis, es ist auch immer schon dieses Verhältnis. Gerade weil es immer schon dieses Verhältnis ist, kann es auch nicht aus sich heraustreten und sich auf einen Standpunkt außerhalb des Verhältnisses stellen, um von dort aus zum Verhältnis Stellung zu nehmen. 60 Das Selbst ist wesentlich Selbst-Verhältnis, d. h. es verhält sich zu sich selbst als dieses Verhältnis in diesem Verhältnis. In allen Bezügen des Verhältnisses verhält es sich auch zu sich selbst als Verhältnis. Das Selbst als Verhältnis ist immer (Selbst-)Verhältnis. Arne Grøn macht außerdem darauf aufmerksam, dass in diesem »Sich-zu-sich-selbst-Verhalten« auch das »sich-selbst«, zu dem sich das Selbst in seinem Vollzug verhält, eigens berücksichtigt werden muss. »Dieses ›sich-selbst‹ übersetzt Anti-Climacus zum jeweiligen gegebenen Dasein, das will sagen, dieses Leben, welches man gelebt hat, und diese bestimmten Möglichkeiten, welche dieses Dasein gibt.« (Grøn 1997b; 16; Übersetzung von mir, G. T.) Dieses »sich-selbst« zu berücksichtigen, heißt also in anderen Worten, eigens zu thematisieren, dass ich immer schon dieses jeweilige, einzelne Verhältnis bin, zu dem ich mich verhalte. Das Verhalten zu sich selbst als Verhältnis konfrontiert das Selbst mit diesem »sich-selbst«, zu dem es sich in seinem Sich-zu-sich-selbst-Verhalten immer schon verhalten hat. Thematisiert wird hier also dieses »selbst«, welches das Selbst in seinen Vollzügen immer schon vorfindet und als solches zu übernehmen hat. Das Selbst als Verhalten-zu-sich-selbst kann sich nicht nicht dazu verhalten, in diesem Sich-zu-sich-selbst-Verhalten immer schon sich selbst als dieses jeweilige »selbst« vorzufinden. Wenn also davon gesprochen wird, dass das Selbst das »in dem Verhältnis« ist, »dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält«, müssen in diesem (Selbst-)Verhältnis immer beide Aspekte mitgehört werden: Einerseits der relationale Aspekt, dass das Selbst ein Sich-zu-sichselbst-Verhalten ist, womit ausgedrückt wird, dass das Selbst als (Selbst-)Verhältnis selbst dieses Verhältnis ist, das heißt, dass es immer schon in sich-selbst als dieses Verhältnis verstrickt war und auch nie 60 Günther Figal weist auf diese Verstricktheit des Selbst hin, die ihm keine Abstandnahme im Sinne der Einnahme eines anderen Standpunktes außerhalb seiner selbst erlaubt: »Aber weil der Mensch ein Verhältnis ist, geschieht das Verhalten zu diesem von keinem neutralen Standpunkt aus. Vielmehr ist das Verhalten zum Verhältnis ein solches im Verhältnis, und das heißt: es ist durch die Vorgaben des Verhältnisses bestimmt.« (Figal 2001, 17)

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aus dieser Verstrickung heraustreten können wird; andererseits der prozessuale Aspekt, dass das Selbst das dass dieses (Selbst-)Verhältnisses ist. Damit ist gemeint, dass es nur dieser Vollzug des Sich-zu-sichselbst-Verhaltens ist. Das Selbst ist reiner Vollzug, insofern es keine substanzielle Bestimmung hat, was jedoch nicht bedeutet, dass es frei ist von sich-selbst als dieses Verhältnis. Im Gegenteil, das Selbst bleibt als dieser Vollzug in der ständigen Rückbezogenheit auf sich selbst als dieses konkrete, sich selbst aufgegebene »selbst«, das es in seinem Sichzu-sich-selbst-Verhalten zu übernehmen hat (vgl. Grøn 1997b, 18). Es lohnt sich an dieser Stelle einen Blick in Heideggers Sein und Zeit zu werfen. In § 4, der den ontischen Vorrang der Seinsfrage behandelt, gibt Heidegger eine erste Bestimmung dessen, was er unter Dasein versteht. Er schreibt: Das Dasein ist ein Seiendes, das nicht nur unter anderem Seienden vorkommt. Es ist vielmehr dadurch ontisch ausgezeichnet, daß es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht. Zu dieser Seinsverfassung des Daseins gehört aber dann, daß es in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat. Und dies wiederum besagt: Dasein versteht sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein. Diesem Seienden eignet, daß mit und durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist. Seinsverständnis ist selbst eine Seinsbestimmtheit des Daseins. (SZ 12)

Heidegger bestimmt das Dasein zunächst ganz im Einklang mit der Anfangspassage der Krankheit zum Tode, insofern Dasein »in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat.« Dasein hat laut Heidegger ein solches Verhältnis, weil es ihm »in seinem Sein um dieses Sein selbst geht.« Dasein ist ein Seiendes, es ist aber nicht einfach ein wie ein Tier, eine Pflanze, ein Hammer oder ein Stein in der Welt vorkommendes Etwas; Dasein als Dasein zeichnet sich dadurch aus, dass es in seinem Sein zu diesem Sein ein Verhältnis hat, mit anderen Worten: dass es sich im Vollzug seines Seins zu diesem Sein selbst verhält. Wie das Selbst bei Kierkegaard zeichnet sich also Dasein bei Heidegger dadurch aus, dass der Vollzug seines Seins im Sich-zu-sich-selbst-Verhalten als dieses Sein liegt. Auch Heidegger macht also auf die Vollzugshaftigkeit dieses Vollzuges aufmerksam und konsequenterweise wendet er sich auch gegen jede essentielle Bestimmung des Menschen. Es gibt für ihn kein Wesen des Menschen. Wenn dennoch vom Wesen gesprochen werden soll, dann nur, wenn Wesen dabei verbal verstan60

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den wird als diese Vollzugshaftigkeit. Heidegger kann daher schreiben: »Das ›Wesen‹ des Menschen liegt in seiner Existenz.« (SZ 42) Existenz meint aber hier das Sein des Daseins, welches mit Kierkegaard bestimmt werden kann als Sich-zu-sich-selbst-Verhalten. Oder mit den Worten Heideggers: »Dasein ist Seiendes, das sich in seinem Sein verstehend zu diesem Sein verhält. Damit ist der formale Begriff der Existenz angezeigt. Dasein existiert.« (SZ 52 f.) Heidegger führt zwei weitere Bestimmungen ein, wie das Dasein als Seinsverhältnis zu verstehen ist. Es besagt erstens, dass »Dasein sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein versteht« und es bedeutet zweitens, dass es »diesem Seienden eignet, daß mit und durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist.« Diese Erschlossenheit muss nicht eigens thematisiert sein und kann auch auf vielfältige Weise verdeckt und verstellt sein, aber würde Dasein nicht in irgendeiner, wenn auch vortheoretischen und unausgesprochenen Form um sich selbst Bescheid wissen – welches Wissen wiederum kein thematisches Wissen und schon gar kein Faktenwissen ist –, dann wäre es nicht möglich, davon zu sprechen, dass sich Dasein in diesem Sein zu diesem Sein verhält. Dasein versteht sich immer schon so oder so in seinem Sein, auch wenn dieses Sein ihm selbst verdeckt und verstellt ist. In gewisser Weise ist dies auch ein wichtiges Thema in der Krankheit zum Tode, auch wenn es dort nicht explizit thematisiert wird. Aber wenn Anti-Climacus in Abschnitt C.B die Verzweiflung nach den Graden des Bewusstseins von sich selbst analysiert, wobei er mit der unbewussten Verzweiflung (also einer Verzweiflung, die nicht um sich selbst als Verzweiflung weiß) beginnt und dann von dort bis zu den Verzweiflungen der Schwachheit und des Trotzes, die in höchstem Grade bewusst sind, aufsteigt, dann wird diese Erschlossenheit seines eigenen Seins gewissermaßen zum strukturellen Leitfaden für die gesamte Analyse. In diesem Zusammenhang ist es auch bemerkenswert, dass Anti-Climacus betont, dass es keine wirkliche unbewusste Verzweiflung geben kann. Deswegen nennt Anti-Climacus diese Form der Verzweiflung (»verzweifelt sich nicht bewusst sein, ein Selbst zu haben«) auch »uneigentliche Verzweiflung« (SKS 11, 129 / KT 8). Denn eine Verzweiflung, die wirklich unbewusst wäre, also in keinerlei Weise um sich selbst als Verzweiflung wüsste, würde voraussetzen, dass es ein Selbst gäbe, das überhaupt nicht um sich selbst als Selbst Bescheid wüsste. Dies ist aber unmöglich. Was daraus folgt, kann mit Heidegger A

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folgendermaßen formuliert werden: Dasein versteht sich immer schon in bestimmter Weise in seinem Sein, dieses Sein ist ihm erschlossen, mit anderen Worten: zum Dasein gehört Seinsverständnis. Ein Unterschied der Konzeptionen Heideggers und Kierkegaards lässt sich dabei dahingehend festmachen, dass bei Heidegger in höherem Maße bedacht wird, dass Dasein nicht nur ein Verständnis seines eigenes Seins hat, sondern dass ihm Sein überhaupt erschlossen ist. Damit soll gesagt sein, dass Dasein immer schon eingelassen ist in Umwelt, Mitwelt und Selbstwelt und sich die Erschlossenheit des Daseins – auch seine Erschlossenheit für es selbst – nur in der Komplexität dieser nicht aufeinander rückführbaren Dimensionen vollziehen kann. Bei Heideggers Bestimmung des Daseins wird außerdem die schon bei Kierkegaard auffindbare Überlegung eindringlich berücksichtigt, dass der Vollzug des Verhaltens zu seinem Sein immer rückgebunden bleibt an das Sein dieses jeweiligen Daseins, welches dieses Sein zu vollziehen hat. Heidegger bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: »Das Sein, darum es diesem Seienden in seinem Sein geht, ist je meines.« (SZ 42) Dasein ist für Heidegger durch »Jemeinigkeit« ausgezeichnet, d. h. es ist jeweils dieses konkrete Dasein (mein Dasein), dem es in seinem Sein um dieses Sein geht, indem es sich in diesem Sein zu diesem Sein verhält. 61 Auch der letzte anhand der Anfangspassage herausgehobene Aspekt, dass das Selbst in seinem Sich-zu-sich-selbst-Verhalten immer schon sich-selbst als dieses »selbst« vorfindet, zu dem es sich zu verhalten hat und das es in seinem Verhalten übernehmen muss, wird von Heidegger nachdrücklich herausgearbeitet. Dasein wird in der Erschlossenheit seines Seins mit dem dass seines Seins konfrontiert:

In der Zeit vor der Abfassung von Sein und Zeit verwendet Heidegger statt »Jemeinigkeit« den Ausdruck »Jeweiligkeit«. Als Beispiel sei eine Stelle aus der Abhandlung Der Begriff der Zeit angeführt: »Dasein ist als In-der-Welt-sein ausdrücklich oder nicht, eigentlich bzw. uneigentlich, jeweils das meinige. Sowenig wie das Insein kann (die Bestimmtheit dieser) diese Jeweiligkeit am Dasein durchgestrichen werden.« (GA 64, 45) Während »Jemeinigkeit« die Irreduzibilität der »Erste-Person-Perspektive« der Vollzüge des Daseins unterstreicht, verweist »Jeweiligkeit« durch den Anklang an Weile stärker auf den zeitlichen Charakter dieser Vollzüge. Letztlich bezeichnen die beiden Ausdrücke aber dasselbe. In dieser Arbeit werde ich zwischen diesen beiden Bezeichnungen keine Unterscheidung machen und beide gleichwertig und gleichbedeutend verwenden.

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»Daß es ist und zu sein hat« (SZ 134). Dieses »Daß es ist« nennt Heidegger die »Geworfenheit des Daseins«, womit die »Faktizität der Überantwortung« (SZ 135) angedeutet werden soll. Diese Geworfenheit des Daseins zeigt sich aber darin, dass sich die Erschlossenheit des Daseins als immer schon so oder so gestimmte erschließt. Dieses immer schon in Stimmungen sein, fasst Heidegger terminologisch als »Befindlichkeit« (vgl. SZ § 29). Obwohl dieser Gedanke bei Kierkegaard nicht explizit ausgeführt ist, finden sich Ansätze dafür in Der Begriff Angst, wo Angst – wenn auch nicht mit der konzeptuellen Ausgereiftheit wie bei Heidegger – als eine solche Grundstimmung eingeführt wird. Arne Grøn schreibt dazu: Doch Angst ist nicht bloß eine Möglichkeit; in der Angst erfährt der Mensch sich selbst – als ein Selbst. Ein Selbst zu sein bedeutet Kierkegaard zufolge, ein Selbstverhältnis im doppelten Sinn zu sein; daß man sich selbst verhält und sich darin wiederum zu sich selber verhält. Die Frage ist dann, ob man mit sich selbst übereinstimmt, wenn man sich zu sich selbst verhält. In der Angst zeigt sich, daß man nicht ohne weiteres man selbst ist, man muß erst man selbst werden. (Grøn 1999, 27)

Bislang wurden vor allem die Gemeinsamkeiten der Definition des Selbst bei Anti-Climacus und der Bestimmung des Daseins bei Heidegger in den Blick genommen. Nunmehr es auch noch einmal eindringlich die Frage zu stellen, ob es auch Unterschiede gibt und wo diese zu finden sind. Formal lässt sich der grundsätzliche Unterschied wohl dahingehend verorten, dass es bei Anti-Climacus in letzter Instanz um eine Bestimmung des Menschenseins geht, die orientiert ist auf die Frage nach der Möglichkeit des Christseins. Bei Heidegger hingegen handelt es sich bei der Bestimmung des Daseins um einen vorbereitenden Schritt auf dem Weg zur Beantwortung der Frage nach dem Sinn von Sein. Anti-Climacus’ Untersuchung ist und bleibt also orientiert auf die Frage nach dem Christentum, Heideggers Analyse auf die Seinsfrage. Dieser Unterschied lässt sich aber auch konkreter festmachen, wobei hier ein Aspekt aufbricht, an dem sich Die Krankheit zum Tode als einseitig erweist. Heidegger macht deutlich, dass es dem Dasein in seinem Seinsverhältnis zwar immer auch um sein eigenes Sein geht, dass es diesem aber niemals nur um sein eigenes Sein gehen kann. Im Verhalten zu sich selbst verhält sich das Dasein immer auch zu anderen Seienden und vor allem auch zu Mitdasein (Heideggers Bezeichnung A

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für den Anderen, den Mitmenschen). Mit anderen Worten: Mein Verhalten zu mir selbst vollzieht sich in und durch mein Verhalten zu den Dingen und zu anderen Menschen. In diesem Verhalten zu Seienden und Mitdasein ist Dasein aber nicht nur sein eigenes Sein, sondern auch das Sein dieser anderen Seienden erschlossen. Diese Erschlossenheit des Seins von Mitwelt, Umwelt und Selbstwelt weist aber darauf hin, dass Dasein in die Erschlossenheit des Sein überhaupt eingelassen ist und in und aus dieser existiert. Dieses Verhalten zu den Dingen und zu anderen Menschen vermag Anti-Climacus in seiner Bestimmung des Selbst als Sich-zu-sich-selbst-Verhalten nicht mehr eigens zu berücksichtigen. Dies ist aber auch Folge daraus, dass es ihm in der Krankheit zum Tode überhaupt nicht um diese Thematik zu schaffen ist, sondern ihn einzig das Selbst interessiert, sofern es diesem Selbst um sein eigenes Selbst geht, d. h. sofern dieses Selbst an sich selbst als dieses Selbst interessiert ist. Auf diesen grundsätzlichen Unterschied war aber auch Heidegger aufmerksam, wenn er schreibt: »Der ›existenzielle‹ Existenzbegriff (Kierkegaards und Jaspers’) meint das selbstseiende Selbst des Menschen, sofern es für sich als dieses Seiende interessiert ist. Der ›existenziale‹ Existenzbegriff meint das Selbstsein des Menschen, sofern es sich nicht auf das seiende Selbst, sondern auf das Sein und den Bezug zum Sein bezieht.« (GA 49, 39) Eine zentrale Rolle wird hier dem Begriff der Existenz zugewiesen. In Sein und Zeit meint Heidegger: »Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält, nennen wir Existenz.« (SZ 12) Der Existenzbegriff in Sein und Zeit ist aber nach der Auskunft Heideggers strikt zu unterscheiden vom Existenzbegriff, wie er sich bei Kierkegaard finden lässt. Dennoch scheinen diese Begriffe der Existenz nicht ohne Beziehung zueinander zu sein. Deswegen soll im nächsten Kapitel kurz die Geschichte des Existenzbegriffs umrissen werden, um mehr Licht auf diese Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu werfen.

Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs Heidegger führt in der Einleitung von Sein und Zeit zwei zentrale Begriffe für seine Fundamentalontologie ein. Erstens gibt Heidegger jenem Seienden, das wir herkömmlich als Mensch bezeichnen, in seinem fundamentalontologischen Projekt den Namen Dasein. Dass es das 64

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Auszeichnende des Daseins ist, »daß es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht« (SZ 12) und dass Dasein in diesem Sinne Seinsverhältnis und Seinsverständnis hat, wurde bereits im vorherigen Kapitel ausgeführt. Heidegger meint dazu weiter: »Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann, und immer irgendwie verhält, nennen wir Existenz.« (SZ 12) Die Begriffe »Existenz« und »Dasein« werden bei diesen Bestimmungen von Heidegger auf sehr eigenwillige Art und Weise im Gegensatz zu deren gängigen Bedeutungen in der Tradition verwendet. In der lateinischen philosophischen Terminologie wurde existentia zunächst teils als Gegenbegriff zur substantia, teils als dessen Synonym verwendet. In diesem Sinne kann es entweder das reine Sein bezeichnen, dass keiner Bestimmung durch Prädikate zugeführt wurde, oder umgekehrt das bestimmte Sein, das bereits eine Form empfangen hat. Zuletzt kann es auch synonym mit substantia auf ungenaue Weise allgemein das Etwas-Sein bezeichnen. Erst nach Thomas von Aquin bürgert sich das Begriffspaar essentia und existentia ein. Bei Thomas selbst hingegen findet existentia noch kaum Verwendung, stattdessen wird zumeist esse als Gegenbegriff zur essentia verwendet, um die Realdifferenz zwischen Sein und Wesen zu bezeichnen. Erst bei den Schülern und Nachfolgern des Thomas kommt es zu jener Entwicklung der philosophischen Begrifflichkeiten, in welcher existentia schließlich darauf eingeschränkt wurde, nur mehr das faktische Existieren zu bezeichnen, die reine Tatsache, da zu sein, die noch frei von weiteren Bestimmungen ist (vgl. HWPh 854 ff.). In dieser Tradition meint existentia also das bloße Dass-Sein eines Seienden, also die Tatsache, dass etwas ist, im Gegensatz zur essentia, dem Was-sein, also der Bestimmung, was etwas ist. Was solchermaßen mit existentia bezeichnet wurde, wird von Heidegger in Sein und Zeit Vorhandensein genannt, während er Existenz ausschließlich für das Sein des Dasein, also – vereinfachend gesprochen – die Bestimmung menschlichen Seins, reserviert (vgl. SZ 42). In der traditionellen deutschen philosophischen Terminologie ist Dasein die Übersetzung von existentia im zuletzt angeführten Sinn, bezeichnet also ebenso wie diese die Wirklichkeit oder Tatsächlichkeit eines Seienden. Wie kommt es aber dazu, dass Heidegger »Dasein« und »Existenz« entgegen ihrer herkömmlichen Bedeutung als Begriffe verwendet, die das Sein des Menschen auszeichnen und diesem vorbehalten bleiben sollen?

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Es ist eine besondere Wendung, die dem Worte ›Existenz‹ damals einen neuartigen Begriffscharakter verlieh. Das geschah unter besonderen Bedingungen, die man sich vor Augen stellen muß. Der Gebrauch des Wortes in dem neuen, emphatischen Sinne geht auf den dänischen Denker und Schriftsteller Sören Kierkegaard zurück, der in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts seine Bücher schrieb, aber erst am Anfang dieses Jahrhunderts in der Welt und insbesondere in Deutschland wirksam wurde. (Gadamer 1983, 8)

Das Zitat gibt die Antwort wieder, welche Hans-Georg Gadamer auf die Frage nach der neuen Verwendung von Existenz bei Heidegger lieferte. In diesem Kapitel möchte ich nunmehr versuchen, diese »besondere Wendung« detaillierter nachzuzeichnen. Heidegger selbst liefert einige Hinweise zu dieser Thematik im zweiten seiner Nietzsche-Bände (vgl. GA 6.2, 430–438). Auch wenn wir Heideggers eigenen Darstellungen vielleicht mit etwas Vorsicht begegnen müssen – weil Selbstinterpretationen 62 wohl niemals ohne kritisches Hinterfragen als gesicherte Quellen genommen werden sollten –, denke ich dennoch, dass Heidegger hier einen sehr überzeugenden Leitfaden für eine Geschichte des Existenzbegriffs gegeben hat. Sein Leitgedanke ist, dass diese Wendung bereits in der Geschichte der Metaphysik angelegt und in der neuzeitlichen Philosophie zum Vorschein gekommen ist, um dann über Kierkegaard die entscheidende Umwendung zu erhalten. Die aus der Vollendung der Metaphysik bei Schelling vorgezeichnete Auszeichnung der Existenz im Sinne der Wirklichkeit als Selbstsein gelangt auf dem Umweg über Kierkegaard, der weder Theologe noch Metaphysiker und doch von beidem das Wesentliche ist, in eine eigentümliche Verengung. Daß unmittelbar die Umwendung der Wirklichkeit zur Selbstgewißheit des ego cogito durch das Christentum und mittelbar die Verengung des Existenzbegriffes durch die Christlichkeit bestimmt wird, bezeugt nur wiederum, wie der christliche Glaube die Grundzüge der Metaphysik sich angeeignet und in dieser Prägung die Metaphysik zur abendländischen Herrschaft gebracht hat. (GA 6.2, 430 f.)

Heidegger meint also, dass es ein Zusammenspiel von christlicher Überlieferung und Metaphysik war, das dazu geführt hat, dass die Auszeichnung des Subjekts (verstanden als subiectum, also das allem VorSiehe Die Selbstinterpretation Martin Heideggers von Friedrich Wilhelm von Herrmann, welche sich in der Einleitung und im ersten darauf folgenden Kapitel mit der »Selbstinterpretation Heideggers als Problem« auseinandersetzt (Herrmann 1964, 1 ff.).

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gängige und Zugrundeliegende) dahingehend radikalisiert werden konnte, dass die Wirklichkeit letztlich als Selbstgewissheit des ego cogito bzw. Selbstsein des Selbst gefasst wurde. Während existentia im Sinne der actualitas also zunächst die Wirklichkeit eines jeden Wirklichen bezeichnete, wurde sie durch diese Wendung auf die Selbstheit des Selbst verengt, was dazu führte, dass Existenz bei Kierkegaard weiter verengt werden konnte zur exklusiven Bezeichnung für die »Christlichkeit des einzelnen Menschen« (GA 49, 73). Diese exklusive Verwendung wurde anschließend bei Karl Jaspers vom streng christlichen Kontext befreit und allgemein als »Selbstsein der Persönlichkeit« (GA 49, 73) gefasst. Von hier aus ergibt sich der Übergang zum Existenzbegriff Heideggers. Eine wichtige Etappe in dieser Entwicklung stellt für Heidegger auch Schelling dar: »Schellings Existenzbegriff nimmt, geschichtlich verglichen, eine Zwischenstellung ein zwischen dem überkommenen Begriff existentia und dem eingeschränkten Existenzbegriff Kierkegaards und der ›Existenzphilosophie‹.« (GA 49, 75) Existenz bei Kierkegaard muss laut Heidegger dabei so gefasst werden, dass sie die wahre Wirklichkeit des einzelnen Existierenden bezeichnet, der in seiner Existenz leidenschaftlich an seiner Existenz interessiert ist. Existenz wird hier also als die Wirklichkeit des einzelnen Existierenden gefasst. Heidegger schreibt daher über Kierkegaards Existenzbegriff: »1. eingeschränkt auf den Menschen, nur er existiert; 2. Existenz – Interesse an der Existenz, Wirklichkeit.« (GA 6.2, 435) Dieses Verständnis von Existenz bei Kierkegaard soll anhand einer kurzen Passage aus der Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift nun auch an einem seiner Texte festgemacht werden. Es ist mitunter kein Zufall, dass ausgerechnet in der Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift, die als parodistische Abrechnung mit der damals vorherrschenden idealistischen Systemphilosophie gelesen werden kann, zwar einerseits die Wörter »Subjekt«, »Subjektivität« bzw. »subjektiv« öfter vorkommen als in allen anderen Texten Kierkegaards zusammen, dass es aber zugleich diese Schrift ist, die auf eindrucksvolle Weise die Begriffe »Existenz« und »Existierender« bzw. »existieren« in ihren neuen Bedeutungen prägt und zum zentralen philosophischen Thema macht. Konkret möchte ich mich auf eine Passage aus dem zweiten Abschnitt des zweiten Teils der Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift beziehen, nämlich § 1 »Das Existieren; Wirklichkeit« des 3. Kapitels »Die wirkliche Subjektivität, die ethische; der A

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subjektive Denker«. 63 Der zu besprechende Paragraph beginnt mit folgender Unterscheidung. In der Sprache der Abstraktion erscheint das, was die Schwierigkeit der Existenz und des Existierenden ist, eigentlich niemals, geschweige denn, dass die Schwierigkeit erklärt wird. Gerade weil das abstrakte Denken sub specie æterni ist, sieht es ab von dem Konkreten, von der Zeitlichkeit, vom Werden der Existenz, von der Not des Existierenden, die darin besteht, zusammengesetzt aus dem Ewigen und dem Zeitlichen in die Existenz gestellt zu sein. 64 (SKS 7, 274 / AUN2 1)

Johannes Climacus, das Pseudonym der Nachschrift, unterscheidet hier zwischen zwei Sichtweisen: Einerseits der Perspektive des in seiner konkreten Existenz Existierenden, der mit den Schwierigkeiten dieser konkreten Existenz konfrontiert ist, andererseits die Perspektive des abstrakten Denkens, das sub specie æterni ist, und daher nicht in der Lage ist, die Schwierigkeiten des konkreten Existierens in den Blick zu bekommen. Mit diesem abstrakten Denken ist – wie Climacus auch explizit erklärt – vor allem die Hegelsche Philosophie gemeint. In einer Fußnote zu diesem Satz verweist Climacus auch auf Trendelenburg, um sich dessen Kritik an der Hegelschen Logik anzuschließen. 65 Die Hegelkritik soll hier nicht weiter behandelt werden, weil dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, 66 doch es ist zumindest ein interessanter Hinweis – der in diesem Zusammenhang doch erwähnt werden soll, weil er in dieser Arbeit implizit noch einmal zum Thema wird –, Heidegger zitiert aus dieser Passage, wenn er von der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift als Kierkegaards »Hauptwerk« (GA 49, 19) spricht. 64 Es werden in diesem Zitat mehrere Schwierigkeiten angesprochen, die in folgenden Kapiteln dieser Arbeit noch eigens zum Thema werden und daher hier noch nicht behandelt werden können. Bereits im nächsten Kapitel Der Mensch als Synthese wird das (Selbst-)Verhältnis, als dieses konkrete Selbst, dessen Aufgabe es ist, konkret zu werden, thematisiert. Die Not des Existierenden, aus Ewigem und Zeitlichem zusammengesetzt zu sein, wird im Kapitel Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen explizit herausgearbeitet und als die zentrale Herausforderung für das Menschsein bei Kierkegaard identifiziert; im dortigen Kontext wird auch die Rede von der Zeitlichkeit – die Kursivschreibung wird dort ebenfalls erklärt – eine ausführlichere Besprechung erfahren. Was damit gemeint ist, dass der Existierende in diese Zusammen-setzung »gestellt« ist, wird im Kapitel Das Verhältnis als durch ein Anderes gesetzt besprochen. 65 Zu Trendelenburgs Einfluss auf Kierkegaard siehe Purkarthofer (2005) und González (2007). 66 Die wohl differenzierteste Arbeit über Kierkegaards Verhältnis zu Hegel stammt von Stewart (2003). 63

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dass Climacus seine Kritik an Hegel in der Gefolgschaft Trendelenburgs im Rückgriff auf Aristoteles formuliert. Er schreibt: Existenz lässt sich nicht ohne Bewegung denken, und Bewegung lässt sich nicht sub specie æterni denken. […] Es ist äußerst schwierig mit Existenz ebenso wie mit Bewegung umzugehen. Denke ich sie, dann hebe ich sie auf, und dann denke ich sie folglich nicht. Es könnte also richtig erscheinen zu sagen, dass es etwas gebe, was sich nicht denken lasse: die Existenz. Aber die Schwierigkeit ist hier wiederum, dass die Existenz es dadurch zusammensetzt, dass der Denkende existiert. 67 (SKS 7, 281 / AUN2 9)

Die hier von Climacus aufgeworfene Frage, wie Bewegung und damit in Zusammenhang das Werden der Existenz gedacht werden können, wird im Kapitel Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen in gewisser Weise noch ausführlich zum Thema, weil sich dort das gleiche Problem in Hinblick auf die Zeit stellen wird. An dieser Stelle macht Climacus aber vor allem eines deutlich: Existenz meint den einzelnen Existierenden in seiner konkreten Existenz und lässt sich daher nicht und niemals in Abstraktion von diesem einzelnen Existierenden denken. Das berühmte Diktum Heideggers: »Die Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst ins Reine zu bringen« (SZ 12), ist mit Climacus so zu formulieren: Die Frage der Existenz stellt sich allererst in der Existenz des einzelnen Existierenden und kann außerhalb dieser überhaupt nicht in den Blick genommen werden. Und diese Frage ist dabei für den Existierenden keine Frage neben anderen, sondern die zentrale Frage seiner Existenz: »Für den Existierenden ist das Existieren sein höchstes Interesse und die Interessiertheit daran, zu existieren, die Wirklichkeit.« (SKS 7, 286 / AUN2 15) Seine Existenz wird somit für den Existierenden zur einzigen relevanten Wirklichkeit; was umgewendet bedeutet, dass das, was im emphatischen Sinne den Status von Wirklichkeit zugesprochen bekommt, auf die Existenz des Existierenden, der in seiner Existenz an seiner Existenz interessiert ist, verengt wird. Die damit angezeigte Wendung des Existenzbegriffs ist vielleicht nirgends greifbarer als im folgenden Zitat: 68 67 »Existents lader sig ikke tænke uden Bevægelse, og Bevægelse lader sig ikke tænke sub specie æterni. […] Existents er ligesom Bevægelse en saare vanskelig Sag at omgaaes. Tænker jeg den, saa hæver jeg den, og saa tænker jeg den ikke. Det kunde da synes rigtigt at sige, at der er Noget, som ikke lader sig tænke: det at existere. Men Vanskeligheden er der atter, at Existentsen sætter det sammen derved, at den Tænkende existerer.« 68 Heidegger geht ebenfalls auf das folgende Zitat ein (vgl. GA 49, 20 ff.).

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Zu existieren, denkt man, sei nichts Besonderes, geschweige denn eine Kunst, wir existieren ja alle, aber abstrakt zu denken: das ist etwas. Aber dies, in Wahrheit zu existieren, also mit Bewusstsein seine Existenz zu durchdringen, zugleich ewig quasi weit über diese hinaus und doch gegenwärtig in dieser und doch im Werden: das ist wahrhaft schwierig. 69 (SKS 7, 280 / AUN2 8)

Climacus führt uns hier zunächst die vermeintliche herkömmliche Meinung vor Augen, die besagt, dass es ja jedem Menschen zukomme, zu existieren, man also nicht eigens etwas dafür tun müsse, um zu existieren, und dies folglich also nichts Besonderes und keine Kunst sein könne. Dagegen denkt man für gewöhnlich, es sei etwas Besonderes, abstrakt zu denken, denn das kann und tut ja nicht jeder Mensch, sondern dafür scheint eine besondere Leistung erforderlich. Doch dieser gängigen Entgegensetzung von nicht weiter der Rede wertem Existieren und hervorhebenswertem abstraktem Denken setzt Climacus ein weiteres Gegensatzpaar entgegen. Er könnte vielleicht noch zustimmen, dass es wahrlich jedem zukommt zu existieren, doch damit wäre es aber noch nicht getan; worauf es eigentlich ankommt, ist, wahrhaft zu existieren, und das sei keine Selbstverständlichkeit, sondern die eigentliche und die allergrößte Schwierigkeit. 70 Damit hat Climacus aber den Weg gebahnt, damit die Existenz des einzelnen Existierenden zum zentralen philosophischen Thema werden kann, das nunmehr auch noch nach einer angemessenen Behandlung verlangt. In diesem Sinne kann Wilhelm Anz schreiben: »Heideggers Interesse geht von Anfang an auf die Existenzialität der Existenz; sie ist die eigentliche Entdeckung Kierkegaards, auf der seine Bedeutung beruht.« (Anz 1983, 24) Bevor die Aufmerksamkeit noch einmal auf Heidegger gelenkt werden kann, muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass in diesem Kapitels vor allem Texte Heideggers aus den 1930er Jahren zu Wort kommen. Dies stellt gewissermaßen einen Bruch mit dem Rest der Arbeit »At existere tænker man er ingen Ting, end mindre en Kunst, vi existere jo Alle, men at tænke abstrakt: det er Noget. Men det i Sandhed at existere, altsaa med Bevidsthed at gjennemtrænge sin Existents, paa eengang evigt ligesom langt ude over den og dog nærværende i den og dog i Vorden: det er sandelig vanskeligt.« 70 Wie Climacus dieses »in Wahrheit zu existieren« näherhin bestimmt, kann hier bestenfalls ein Vorgriff sein, der sich erst langsam im Zuge dieser Arbeit einholen lässt. Es zeichnet sich hier bereits die besondere Stellung des Menschen als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ab; der Mensch hat diese Synthese zu übernehmen, die Aufgabe diese zusammenzusetzen und darüber hinaus das Ziel, sich darin gegenwärtig zu sein. 69

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dar, welche vorrangig eine Auseinandersetzung mit Heideggers Denken in und vor Sein und Zeit darstellt; daraus ergibt sich auch die Titulierung dieses Kapitels als Exkurs. In den Jahren nach der Abfassung von Sein und Zeit vollzog sich im Denken Heideggers bekanntlich eine so genannte Kehre weg von einem daseinszentrierten Ansatz, der sein Augenmerk auf die ekstatische Erschlossenheit der Existenz legt, hin zu einem seinsgeschichtlichen Denken, in welchem das Dasein als von dem geschichtlich sich wandelnden Zuspruch des Seins in den Anspruch genommen gedacht wird. Heideggers Vorlesungen zu Nietzsche aus den 1930er Jahren sind bereits aus dem Denken nach dieser Kehre gesprochen und können daher nicht mehr in unmittelbarer Kontinuität mit Sein und Zeit gelesen werden. 71 Doch die Kehre markiert nicht einfach einen Bruch. In dieser Zeit findet auch eine Rückbesinnung Heideggers auf das Denken von Sein und Zeit statt, die sich in Form einer Selbstinterpretation, teilweise auch einer Selbstkorrektur vollzieht. Heidegger betont dabei – wie in Kürze anhand eines Zitats belegt wird – vor allem die ontologische Frage- und Stoßrichtung von Sein und Zeit, welche die Analytik des Daseins in einem seinsgeschichtlichen Licht erscheinen lässt, und ist im Gegenzug vor allem darauf bedacht, sich gegen existenzphilosophische Auslegungen seines Werkes zu verwehren. Für den Kontext dieser Arbeit ist die Frage von Interesse, ob mit diesem Wandel in Heideggers Denken auch ein Wandel seines Verhältnisses zu Kierkegaard einhergegangen ist. Es scheint sich so zu verhalten, denn bereits in den weiter oben zitierten Passagen des zweiten Nietzsche-Bandes wurde augenscheinlich, dass Heidegger in dieser Schrift vor allem um eine verstärkte Abgrenzung gegenüber Kierkegaard bemüht war. Er schreibt in diesem Sinne über seine eigene Verwendung des Existenzbegriffes: 4. Existenz als Charakter des Da-seins in ›Sein und Zeit‹ (Seinsgeschichte). Hier ist weder Kierkegaards Begriff noch derjenige der Existenzphilosophie im Spiel. Vielmehr wird Existenz im Rückgang auf das Ekstatische des Daseins gedacht aus der Absicht auf eine Auslegung des Da-seins in seinem ausgezeichneten Bezug zur Wahrheit des Seins. Nur von dieser Frage her ist die zeitweilige Verwendung des Existenzbegriffes bedingt. Die Frage dient 71 Im Rahmen dieser Arbeit können nur grobe Hinweise zu diesem Wandel im Denken Heideggers und der damit einhergehenden Selbstinterpretation und -korrektur gegeben werden, zu welchem sich eine Fülle von einschlägiger Sekundärliteratur findet.

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nur der Vorbereitung einer Überwindung der Metaphysik. Dies alles steht außerhalb der Existenzphilosophie und des Existenzialismus, bleibt abgründig verschieden von der im Grunde theologischen Leidenschaft Kierkegaards, hält sich dagegen in der wesenhaften Auseinandersetzung mit der Metaphysik. (GA 6.2, 435)

Es ist sicherlich so, dass Heideggers gewandeltes Denken ab den 1930er Jahren auch zu einem nachlassenden Interesse an Kierkegaard und der gesamten christlichen Tradition geführt hat. 72 Ich denke aber dennoch, dass diese Bemerkung Heideggers weniger als eine Abkehr von Kierkegaard, sondern vielmehr als eine Verwahrung gegen Interpretationen gelesen werden sollte, die sowohl Kierkegaard als auch Heidegger ohne weitere Differenzierungen in einer Linie mit Jaspers in die Existenzphilosophie einordnen wollen. Gegen diese Klassifizierung als »Existenzphilosoph« muss sich Heidegger mit voller Berechtigung verwahren, denn diese Einordnung führt, sowohl in Hinblick auf Heidegger als auch in Hinblick auf Kierkegaard, sicherlich nicht zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit deren jeweiligem Denken, sondern wahrscheinlich viel eher dazu, sich auf diese Auseinandersetzung überhaupt nicht mehr einlassen zu müssen, weil man ja schon im Vorhinein weiß, wo diese einzuordnen und wie sie zu verstehen sind. Es wäre also von Anfang an eine fatale Verengung des Blickwinkels, würde eine Arbeit zu Kierkegaard und Heidegger diese auf den gemeinsamen Nenner »Existenzphilosophie« oder gar »Existenzialismus« bringen, ohne die Frage zu stellen, aus welcher Fragehinsicht bei dem jeweiligen Denker die Existenz zu einem philosophischen Problem wird. Die Analyse menschlicher Existenz ist weder bei Kierkegaard noch bei Heidegger ein Selbstzweck. Daher meint zum Beispiel Michael Theunissen gegen Knud Ejler Løgstrup (1950) gerichtet, der versucht, Kierkegaard und Heidegger auf eine Existenzanalyse zu einigen: »Eine philosophische Anthropologie nämlich, auf die hin er die beiden Denker einigt, ist weder das Ziel Kierkegaards noch dasjenige Heideggers. […] Nein, die ›Frage‹ Heideggers zielt einzig auf das Sein, die Kierkegaards ausschließlich auf das Christwerden.« (Theunissen 1958, 611) Abseits von oberflächlichen Lektüren, die ihn gemeinsam mit Kierkegaard und Jaspers in die Existenzphilosophie einordnen, scheint Heidegger die Gemeinsamkeiten mit Kierkegaard aber durchaus anzuZu Heideggers Annäherung an Nietzsche und dem damit einhergehenden, verminderten Interesse an Kierkegaard siehe Vetter (1998).

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erkennen. Dass er dennoch vor allem die Unterschiede betont, kann in diesem Sinne auch als Zeichen der Wertschätzung für Kierkegaard gesehen werden. Obwohl diese Abgrenzung Heideggers einerseits sicherlich den Zweck hat, das genuin eigene Projekt zur Abhebung zu bringen, kann dies umgekehrt auch so gelesen werden, dass Heidegger damit vermeiden möchte, Kierkegaard für das eigene Projekt zu vereinnahmen. Wenn Heidegger also deutlich macht, dass Kierkegaards Bestrebungen von seinem eigenen existenzial-ontologischen Projekt streng unterschieden werden müssen, so bedeutet dies auch, dass Heidegger diese Bestrebungen Kierkegaards in ihrem Eigenrecht bestehen lassen möchte. In diesem Sinne muss es uns Interpretierenden also darum gehen, die Eigentümlichkeit beider Denker sichtbar zu machen, ohne diese aufeinander rückzuführen oder in einem Dritten vereinen zu wollen. Zu seinem Bezug zum Existenzbegriff Kierkegaards, aber auch zur Abgrenzung davon, meint Heidegger: 1. insofern auch in ›Sein und Zeit‹ Existenz auf den Menschen bzw. das Dasein beschränkt ist. 2. sofern das Selbstsein wesentlich wird: Mensch vom Seinsverständnis her verstanden, und dieses im Da-sein wesend; das Selbstsein nur von hier gedacht: Inständigkeit in der Lichtung des Seins, im Bezug zu diesem, nicht zum Seienden, als Ich selbst. (GA 49, 76)

Hier macht Heidegger noch einmal sehr treffend deutlich, inwiefern sein Projekt an jenes von Kierkegaard verwiesen bleibt, an welchem Punkt dieses aber zugleich in eine andere Richtung schwenkt und daher nicht mehr einfach als mit diesem in Einklang gelesen werden kann. Die Auszeichnung des Menschen, als dasjenige Seiende, das in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat, kann in diesem Sinne als gemeinsamer Nenner von Kierkegaard und Heidegger gesehen werden. Während die Frage des einen aber davon ausgehend auf die Möglichkeit des Christseins des solchermaßen ausgezeichneten Menschseins abzielt, geht es beim anderen um die Frage der Lichtung des Seins, die im Menschenwesen, das nicht nur durch ein Seinsverhältnis, sondern auch ein prinzipielles Seinsverständnis ausgezeichnet ist, erschlossen wird. Eine ähnliche Herleitung, wie sie für den Existenzbegriff skizziert wurde, ist auch für den Begriff »Dasein« möglich. Wie bereits erwähnt, fungierte »Dasein« herkömmlicherweise als Übersetzung von exisA

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tentia. Das herkömmliche dänische Wort für Dasein – in den Übersetzungen der Texte Heideggers verhält es sich komplizierter – ist »Tilværen«. Es wird ähnlich wie das deutsche Wort Dasein gebildet aus »være« (sein) und »til« (einer Präposition, die ähnlich wie das deutsche Adverb »da« kaum zu übersetzen ist). »Være til« wird im heutigen Dänisch weitgehend synonym verwendet mit »existieren«, laut Helms (1858) kann es außerdem auch mit »sein«, »da sein« oder »leben« übersetzt werden. Für das Nomen »Tilværelse« gibt Helms (1858) »das Dasein«, »die Existenz« und »das Vorhandensein« als mögliche Übersetzungen an; anhand dieser drei Möglichkeiten zeichnet sich also noch die Spannung ab, die zwischen dem Verständnis von Dasein als Vorhandensein und der eingeschränkten Verwendung als Bezeichnung für ein ausgezeichnetes Seiendes besteht. Bei Kierkegaard wird »Tilværelse« – so zumindest mein Eindruck – verwendet als Bezeichnung für ein Seiendes, das durch eine – wie auch immer geartete – Form der Selbstbezüglichkeit ausgezeichnet ist. Es ist dabei zu beachten, dass der Anwendungsbereich von »Tilværelse« bei Kierkegaard nicht ausschließlich auf den Menschen beschränkt ist, auch wenn es oft und zumeist in Hinblick auf den Menschen verwendet wird. Bei Heidegger wird Dasein noch einmal eindringlicher als »Sein des ›Da‹« (SZ 132), also als Sein der Erschlossenheit von Sein überhaupt, gefasst und als solches – wenn diese Rede gestattet ist – auf das Menschensein beschränkt. Dessen ungeachtet bleibt die Frage nach der Auszeichnung der Seinsart anderer Seiender, die zum Lebendigen zu zählen sind, auch bei Heidegger bestehen (vgl. SZ 50, 194 und 346).

Der Mensch als Synthese Im Kapitel Der Mensch als (Selbst-)Verhältnis wurde die Anfangspassage der Krankheit zum Tode analysiert, insofern der Mensch dort als Selbst bestimmt und dieses Selbst näher als ein (Selbst-)Verhältnis interpretiert wird. Anti-Climacus bestimmt den Menschen in der Krankheit zum Tode aber nicht nur als Selbst, sondern auch als Synthese. Nunmehr möchte ich daher noch einmal auf diese Anfangspassage zurückkommen, um auch die Bestimmung des Menschen als Synthese im Detail zu untersuchen. Zunächst möchte ich diese kurze Passage noch einmal in Erinnerung rufen, wobei ich nunmehr auch den zweiten Absatz mit einbeziehe: 74

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Der Mensch ist Geist. Aber was ist Geist? Geist ist das Selbst. Aber was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das in dem Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von dem Zeitlichen und dem Ewigen, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen Zweien. Auf diese Weise betrachtet ist der Mensch noch kein Selbst. In dem Verhältnis zwischen Zweien ist das Verhältnis das Dritte als negative Einheit, und die Zwei verhalten sich zu dem Verhältnis, und im Verhältnis zum Verhältnis; auf diese Weise ist unter der Bestimmung Seele das Verhältnis zwischen Seele und Leib ein Verhältnis. Verhält dagegen das Verhältnis sich zu sich selbst, so ist dies Verhältnis das positive Dritte, und dies ist das Selbst. 73 (SKS 11, 129 / KT 8)

Die einzelnen Momente der Synthese werden in Kürze noch eigens betrachtet, zunächst möchte ich mich der formalen Struktur dieser Bestimmung zuwenden. Was heißt es, dass der Mensch als Synthese bestimmt wird? Wichtige Hinweise zur Beantwortung dieser Frage hat Arne Grøn gegeben. Er schreibt: »Wenn von Synthese die Rede ist, bedeutet dies, daß die beiden Elemente – Seele und Leib – zusammengehören. Was sie sind, sind sie in der Synthese.« (Grøn 1999, 19) Allerdings bedeutet dieses Zusammengehören keinen einfachen Zusammenhang, sondern es bedeutet vielmehr, dass der Mensch »aus Ungleichartigem« zusammengesetzt ist, und das wiederum hat zur Folge, dass »der Zusammenhang zerbrechlich ist« (Grøn 1999, 19 f.). Daher meint Grøn: »Die Synthesebestimmung sagt also zweierlei: daß die beiden Momente zusammengehören und daß der Zusammenhang zwischen dem, woraus der Mensch zusammengesetzt ist, ein Problem ist.« (Grøn 1999, 20) Diese Doppelseitigkeit der Synthesenbestimmung zeigt sich besonders deutlich anhand der in der Krankheit zum Tode beschriebenen Formen der Verzweiflung, die ich in Kürze erörtern werde. Diesen Verzweiflungsformen liegt aber der Gedanke in Hinblick auf die Momente der den Menschen konstituierenden Synthese zugrunde,

73 Der zweite Absatz lautet im dänischen Original: »I Forholdet mellem To er Forholdet det Tredie som negativ Eenhed, og de To forholde sig til Forholdet, og i Forholdet til Forholdet; saaledes er under Bestemmelsen Sjel Forholdet mellem Sjel og Legeme et Forhold. Forholder derimod Forholdet sig til sig selv, saa er dette Forhold det positive Tredie, og dette er Selvet.«

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»daß sich der Zusammenhang auch im Negativen, im Mißverhältnis zeigt« (Grøn 1999, 20). Die Bezeichnung dieser Bestimmung des Menschen als Synthese ist nicht zufällig gewählt. Das Wort Synthese wird gebildet aus syn(zusammen) und thesis (Setzung). Synthesis meint also wörtlich eine Zusammen-setzung. Bereits in dieser Bezeichnung Synthese scheinen zwei wichtige Momente der Bestimmung des Menschen anzuklingen. Erstens gilt es die thesis zu hören, was besagen will, dass es so etwas wie eine Setzung des Menschen gibt, dass also bedacht werden muss, dass das (Selbst-)Verhältnis des Menschen sich nicht selbst gesetzt hat, sondern ein Gesetztes ist. Das zweite Moment ist, dass diese Setzung aber eine Zusammen-setzung ist. Obwohl wir es also mit einer Setzung des Menschen in die Synthese zu tun haben, ist es dennoch die Aufgabe des Menschen, die Elemente der Synthese zusammen zu setzen, d. h. diese Synthese, die ihm aufgegeben ist, zu vollziehen. Auch Arne Grøn macht auf diesen Doppelcharakter der Bestimmung des Menschen als Synthese aufmerksam. Er schreibt: »Synthese scheint damit zwei Sachverhalte zu bezeichnen: einerseits das Verhältnis, das ein Mensch bereits ist und das sich auch negativ zeigt, andererseits den Zusammenhang zwischen den Momenten, der erst noch verwirklicht werden muß.« (Grøn 1999, 20) Anti-Climacus macht in diesem Zusammenhang aber deutlich, dass der Mensch nur als Synthese betrachtet noch kein Selbst ist: »Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen Zweien. Auf diese Weise betrachtet ist der Mensch noch kein Selbst.« Anti-Climacus meint, dass in einem solchen Verhältnis zwischen Zweien das Verhältnis nur als negative Einheit das Dritte sei. In einem solchen Verhältnis verhielten sich zwar die beiden Momente im Verhältnis zum Verhältnis, das Verhältnis verhielte sich darin aber noch nicht zu sich selbst. Eine Synthese als Verhältnis zwischen Zweien ist also noch kein Selbst. Erst wenn das Verhältnis sich zu sich selbst verhält, kann von einem Selbst gesprochen werden. Zur näheren Bestimmung dessen, was das Selbst in Bezug auf das Verhältnis ist, meint Anti-Climacus dann: »Verhält dagegen das Verhältnis sich zu sich selbst, so ist dies Verhältnis das positive Dritte, und dies ist das Selbst.« Im ersten Kapitel habe ich die formale Bestimmung des Selbst als (Selbst-) Verhältnis bereits eingehend analysiert. Nunmehr bestimmt Anti-Climacus das Selbst in Hinblick auf seine Rolle in der Synthese als »das positive Dritte«. In dieser näheren Bestimmung »positiv« lässt sich das lateinische Verb »ponere« 76

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hören, das »setzen« bedeutet. Die Bestimmung des Verhältnisses als positiv bezieht sich also wiederum, wie bereits bei der Bestimmung Synthese gezeigt, auf das Verhältnis, insofern es ein Gesetztes ist. Wie ist dieser Unterschied zwischen negativem und positivem Dritten nunmehr aber genauer zu verstehen? Im Falle der negativen Einheit ist das Verhältnis von den beiden Momenten des Verhältnisses her gedacht. Das Verhältnis ist nur die negative Einheit, weil es zu den beiden bereits bestehenden Polen, die ein Verhältnis bilden, nur als das Zusammen dieser beiden hinzukommt. Dies kann zunächst so verstanden werden, dass die beiden Momente auch unabhängig vom Verhältnis bestehen und sich im Verhältnis lediglich zueinander verhalten. Das Verhältnis ist dann nur die Summe der beiden Momente. Dies kann aber auch so verstanden werden, dass im Verhältnis eines der beiden Momente bestimmend ist. Hier kann zum Beispiel an die Bestimmung des Verhältnisses von Seele und Leib bei Aristoteles gedacht werden. Aristoteles bestimmt die psyche als die entelechia des lebendigen Körpers. Die Seele ist also Ursache und durchherrschendes Prinzip des lebendigen Körpers, insofern sie das Lebendigsein des Lebendigen ausmacht. Im Gegensatz dazu wird der lebendige Körper als ein organon der Seele, d. h. als deren Werkzeug, bestimmt (vgl. De anima 412– 415). Davon ausgehend konnte sich eine Wirkungsgeschichte entfalten, die Aristoteles in Zusammenhang brachte mit einem von Platon seinen Ausgang nehmenden Leib-Seele-Dualismus, der insbesondere im Christentum seine einflussreiche und folgenschwere Wirkung entfaltete. Gerade deswegen wäre es wichtig zu beachten, dass die psyche bei Aristoteles als das Lebendigsein des Lebendigen grundsätzlich anders bestimmt wird als die Seele im Christentum. Außerdem müsste festgehalten werden, dass die Bestimmung von Seele und Leib bei Aristoteles keinesfalls auf einen Dualismus hinausläuft, sondern vielmehr die Verschränktheit der Seele mit dem Leib betont. Auch in dieser Verschränkung lässt sich aber – und ausschließlich darum geht es mir an dieser Stelle – zeigen, dass das Verhältnis von Seele und Leib bei Aristoteles von Anfang an von der Seele her gedacht wird, insofern sie das bestimmende Moment in diesem Verhältnis ist. Es ist interessant, dass Anti-Climacus auf die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele nahezu überhaupt nicht eingeht. Außer dieser Referenz auf die eben beschriebene Tradition (»auf diese Weise ist unter der Bestimmung Seele das Verhältnis zwischen Seele und Leib ein Verhältnis«), kommen Seele und Leib in der Krankheit zum Tode überA

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haupt nicht vor. Die Frage nach dem Verhältnis von Seele und Leib scheint bei Kierkegaard insgesamt keine große Wichtigkeit zu haben. 74 Als Beleg mag eine Stelle aus Der Begriff Angst herangezogen werden, an welcher deutlich gemacht wird, dass diese Frage letztlich von keinem besonderen Interesse ist, weil sie das Wesentliche nicht betrifft. Haufniensis schreibt: »Es ist hier nicht meine Absicht, eine hochtrabende philosophische Erwägung über das Verhältnis von Seele und Leib zur Schau zu stellen […]. All dessen bedarf es hier nicht, ich kann zu meinem Zwecke mich gemäß dürftigem Vermögen so ausdrücken, dass der Leib der Seele und auf diese Weise wieder des Geistes Werkzeug ist.« 75 (SKS 4, 437 / BA 141) Sowohl bei Anti-Climacus als auch bei Haufniensis scheint das Verhältnis von Leib und Seele keine große Wichtigkeit zu haben, weil in diesem Verhältnis das Selbst als (Selbst-)Verhältnis nicht mehr in den Blick genommen wird. Falls im Zusammenhang von Leib und Seele auch noch vom Selbst gesprochen wird, dann – so meinen wohl Anti-Climacus und Haufniensis – wird dieses lediglich als Drittes im Sinne einer negativen Einheit verstanden. Ganz anders verhält es sich, wenn das Verhältnis als positive Einheit verstanden wird, und dies ist die Bestimmung, die sowohl AntiClimacus als auch Haufniensis interessiert. In diesem Fall ist das Verhältnis nicht aus seinen Momenten zu erfassen, sondern die Momente sind umgekehrt aus der Verhältnishaftigkeit des Verhältnisses zu bestimmen. Das Verhältnis entsteht nicht erst aus der nachträglichen Zusammenführung zweier Relata, es ist nicht die Summe seiner Momente. Vielmehr ist es im Gegenteil die Vollzugsdimension des Verhältnisses, aus welcher allererst die Momente ihre Bestimmung erfahren. Die Momente können daher nicht mehr als für sich bestehend und dem Verhältnis vorgängig thematisiert werden, sondern müssen bedacht werden, insofern sie immer schon in das Verhältnis eingelassen sind. Es gibt die Momente überhaupt nur im und durch den Vollzug des Verhältnisses, einem Vollzug, der nicht mehr von den Momenten her – auch nicht von einem der Momente, wie im Falle der traditionellen Thematisierung von Seele und Leib – seine Bestimmung erfährt, sonZur Thematik des Leibes bei Kierkegaard und dessen Verhältnis zum Geist siehe Schulz (1979). 75 »Det er ikke her min Hensigt at ostentere en høittravende philosophisk Overveielse om Forholdet mellem Sjel og Legeme […]. Alt Sligt behøves her ikke, jeg kan til mit Behov udtrykke mig efter fattige Lejlighed, at Legeme er Sjelens og saaledes igjen Aandens Organ.« 74

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dern umgekehrt allererst den Momenten ihre Bestimmung gewährt. Die Momente erweisen sich somit als je schon eingelassen in das Verhältnis und in und aus diesem einander zugeordnet und zueinander gehörig. 76 Die Bestimmung »positiv« verweist – wie ich bereits gezeigt habe – ebenso wie die Bestimmung »Synthese« einerseits auf die Setzung der Synthese, also dass das Selbst immer schon in die Synthese eingelassen ist, andererseits aber auch darauf, dass es darum geht, die Synthese zusammen zu setzen, d. h. also, dass die Momente der Synthese durch das (Selbst-) Verhältnis des Verhältnisses einander zugeordnet und zusammengehalten werden. Die Momente bestehen also weder vor der Synthese noch bestehen sie unabhängig von dieser, sondern sie werden erst dadurch bestimmt, dass die Synthese vom Selbst zusammengesetzt wird. Zurückgreifend auf die Ausführungen im Kapitel Der Mensch als (Selbst-)Verhältnis muss dazu festgehalten werden: Im Verhalten zu den Momenten der Synthese verhält sich das Verhältnis nicht nur zu diesen einzelnen Momenten, sondern zugleich immer auch zu sich selbst als ganzes Verhältnis. Im Vorblick auf das folgende Kapitel Das Verhältnis als durch ein Anderes gesetzt muss aber auch gesagt werden: In seinem Verhalten zu sich selbst als ganzes Verhältnis verhält sich das Verhältnis auch zu sich selbst, insofern es immer schon in diese Synthese eingelassen ist, d. h. das Selbst wird damit konfrontiert, dass es sich nicht selbst gesetzt hat, sondern sich als ein Gesetztes vorfindet. Arne Grøn fasst diesen Sachverhalt in Hinblick auf das Selbst als positives Drittes folgendermaßen: Das Selbst als das Dritte bedeutet, sich zu sich selbst als diesem Uneinheitlichen zu verhalten, zu sich selbst als Seele und Leib, endlich und unendlich, zeitlich und ewig. Der Zusammenhang zwischen dem Ungleichartigen liegt in diesem Selbstverhältnis, man kann auch sagen; er ist das Selbstverhältnis. Das Selbst ist daher beides: sich zu sich selbst zu verhalten und der Zusammenhang mit sich selbst (also man selbst zu sein). (Grøn 1999, 106)

In gewisser Weise ist dies eine Reformulierung des bereits im vorherigen Kapitel ausgeführten Sachverhalts, demzufolge das Selbst einerseits der reine Vollzug des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens ist, aber an76 Diese Bestimmung des Verhältnisses als ein Zu-einander-Gehören der Relata in und aus der Verhältnishaftigkeit des Verhältnisses erfolgt in Anlehnung an Heideggers Ausführungen in Unterwegs zur Sprache, wo das Verhältnis als ein »Ver-Hältnis« bedacht wird (vgl. GA 12, 229 ff.).

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dererseits auch nicht davon los kommt, immer schon dieses jeweilige Verhältnis zu sein, zu dem es sich zu verhalten hat. Es zeigt sich hier die bedenkenswerte zeitliche Verschränktheit des Selbst, die in der Spannung zwischen dem »immer schon« der Verstricktheit und dem »noch nicht« des Vollzuges liegt. Das »immer schon« verweist auf eine Vergangenheit des Selbst, die dessen Vollzug vorgängig ist, ohne in diesem restlos eingeholt werden zu können. Gleichwohl ist der Vollzug darauf angewiesen, gerade auf diese vorgängige Verstricktheit mit sich selbst zu antworten. Einer Verstricktheit wiederum, die ihrerseits nicht anders zugänglich wird als in diesem Antworten. Das »noch nicht« ist der Indikator dafür, dass der Vollzug des Verhältnisses es nie restlos vermag, auf diese Vorgängigkeit zu antworten, sondern immer ein Rest bleibt, der zugleich eine irreduzible Zukünftigkeit des Selbst markiert. Diese Diastase zwischen »immer schon« und »noch nicht«, Vergangenheit und Zukünftigkeit ist die konstitutive Spannung, die den Vollzug des Verhältnisses bestimmt und die es im Selbst auszustehen gilt; diese Spannung kann nicht beseitigt werden, sondern ist gerade jener Stachel, der diesen Vollzug allererst in Gang bringt und in Bewegung hält. Angesichts dieser prekären, diastatischen Aufgespanntheit des Selbst wird sich die Frage stellen, wie ein adäquater Vollzug des Verhältnisses möglich ist, der es vermag, auf diese a-chronologische, zeitliche Verfasstheit zu antworten. 77 Mit diesen Ausführungen sollten die Bestimmungen des Selbst als (Selbst-)Verhältnis des Verhältnisses und als positives Drittes der Synthese zu einem hinreichenden Verständnis gebracht worden sein. Nunmehr gilt es, die Bestimmung der Synthese hinsichtlich ihrer einzelnen Momente zu beachten. In Teil C.A des ersten Abschnitts der Krankheit zum Tode widmet sich Anti-Climacus einer Analyse der verschiedenen Synthesen und deren Momenten. 78 Aus der geleisteten Interpretation An dieser Stelle kann auf den 2. Teil der Arbeit und insbesondere die exemplarische Lektüre der Reden Die Lilie auf dem Felde und den Vogel unter dem Himmel hingewiesen werden, wo ich die These vertrete, dass diese Reden es sich zur Aufgabe gemacht haben, auf dieses schwierige Frage zu antworten. In der Krankheit zum Tode taucht diese Frage nur als Frage auf, ohne bereits einer Antwort zugeführt zu werden. Daher kommt es wohl auch, dass in diesem Buch der Vollzug des Verhältnisses nur in seinem Scheitern in den Blick genommen wird, welches anhand der Figuren der Verzweiflung zur Darstellung kommt. 78 Arne Grøn (1996) und Niels Jørgen Cappelørn (1996) machen einhellig darauf auf77

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der formalen Struktur der Bestimmung des Menschen als Synthese geht hervor, dass es sich bei einer solchen Analyse nur um eine Abstraktion handeln kann, da zum Zwecke dieser Analyse vom Selbst als positivem Dritten der Synthese abgesehen werden muss, um die Synthese hinsichtlich ihrer einzelnen Momente analysieren zu können. Ein solches Absehen entspricht allerdings nicht dem Sachverhalt, dass die Momente der Synthese stets bereits aus dem Selbst als positivem Dritten einander zugeordnet sind und von diesem zusammengehalten werden. Auch Anti-Climacus war sich dessen durchaus bewusst und schreibt daher in der Einleitung zu Teil C, dass sich diese Momente »abstrakt ausfindig machen lassen müssen durch reflektieren auf die Momente, aus denen das Selbst, als Synthese, besteht.« (SKS 11, 145 / KT 25) Obwohl also in dieser abstrahierenden Behandlung der einzelnen Momente der Synthesen vom Selbst abstrahiert werden muss, sollte dennoch berücksichtigt werden, dass die Momente der Synthesen immer schon dadurch bestimmt sind, dass sie vom Selbst als positivem Dritten zusammengehalten und als dieser Zusammenhalt vollzogen werden. Das bedeutet, dass das eine Moment der Synthese immer nur aus seiner Bezogenheit auf das andere bestimmt werden kann. Soll nun das eine Moment hervorgehoben oder im extremsten Fall alleine realisiert werden, so kann dies nur als Ausschluss des anderen geschehen. 79 Daraus folgt aber auch, dass der Mensch nie davon loskommt, die Synthese in ihren beiden Momenten zu sein. Versucht er dennoch im Vollzug der Synthese eines der Momente unter Vermerksam, dass innerhalb von Teil C nicht C.A, sondern C.B die Hauptsache ist. In dieser Arbeit konzentriere ich mich dennoch auf C.A, weil sich hier interessantere Möglichkeiten finden lassen, um vermutliche Anknüpfungspunkte Heideggers bzw. Parallelen in den Konzeptionen aufzuzeigen. Cappelørns Analyse zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie auch mehrere interessante Hinweise zur Gesamtkonzeption der Krankheit zum Tode gibt. Außerdem weist Cappelørn darauf hin, dass es auch in C.A – ähnlich wie in C.B – einen Verlauf gibt, die Abfolge der Gestalten der Verzweiflung also nicht zufällig ist, sondern eine Steigerung impliziert (vgl. Cappelørn 1996, 137 ff.). 79 Joachim Ringleben schreibt dazu: »Das bedeutet im Falle der Verzweiflung: das Unendliche ist – unter den Bedingungen des werdenden Selbst – nicht nur reine Abwesenheit des Endlichen und sein beziehungsloses Anderes, sondern es ist selber nur da als das Verdrängen, d. h. positive Ausschließen des Endlichen. Umgekehrt ist etwa vorherrschende Endlichkeit selber gar nicht ohne Bezug zum Unendlichen zu verstehen – so als wäre sie zunächst etwas für sich und würde erst nachträglich vom Unendlichen abgegrenzt –, sondern ist als solche ausdrückliche Endlichkeit überhaupt nur im Selbst vorhanden als aktives Negieren ihres Gegenteils, der Unendlichkeit.« (Ringleben 1995, 148 f.) A

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drängung des anderen hervorzuheben, so führt dies zu einem misslungenen Vollzug des Verhältnisses, oder – wie Anti-Climacus auch schreibt – einem Missverhältnis im Verhältnis. In der Krankheit zum Tode wird Verzweiflung als die Titel gebende Krankheit zum Tode definiert. Dementsprechend lautet die Überschrift von Teil A: »dass Verzweiflung die Krankheit zum Tode ist«; der Unterabschnitt A.C wiederholt dies noch einmal: »Verzweiflung ist ›Die Krankheit zum Tode‹«. Im nunmehr zu analysierenden Kapitel zeigt sich diese thematische Ausrichtung des Buches dahingehend, dass die einzelnen Momente der Synthese insofern betrachtet werden, als sie Anlass geben für spezifische Formen der Verzweiflung. Mit anderen Worten: Es werden in der Krankheit zum Tode also die misslungenen Formen der Synthesen in den Blick genommen, die Synthesen, sofern es dem Selbst nicht gelingt, sie zusammenzusetzen; und es wird nicht etwa ausgeführt, wie eine gelungene Zusammensetzung der Synthesen aussehen könnte. 80 Dem scheint aber – wie bereits ausgeführt – der grundlegendere Sachverhalt hinsichtlich der Bestimmung des Menschen als Synthese zugrunde zu liegen, dass der Mensch immer schon als Synthese bestimmt ist, diese Bestimmung sich aber nur darin zeigt, dass sie dem Menschen, insofern er ein Selbst ist, allererst zur Realisierung aufgegeben ist. Dieser Aufgabecharakter der Synthesenbestimmung zeigt sich umgekehrt wiederum insbesondere darin, dass die Realisierung auf vielfältige Weise scheitern kann, d. h. der Mensch auf verschiedene Art und Weise an dieser Bestimmung als Synthese bzw. an einzelnen Momenten der Synthese verzweifeln kann. Die Bestimmung des Menschen als Synthese ist diesem also aufgegeben und muss zu allererst vom Selbst übernommen und vollzogen werden. Darin zeigt sich wiederum der Vollzugscharakter des Selbst, den Anti-Climacus nunmehr auch in Hinblick auf die Synthesenstruktur beschreibt. In Hinblick auf die erste Synthese, jene von Endlichkeit und Unendlichkeit wird dieser Vollzug bestimmt als Entwicklung, die darin besteht, »unendlich von sich selbst los zu kommen in Verunendlichung des Selbst und unendlich zu sich selbst zurück zu kommen in Hier kann abermals auf den 2. Teil der Arbeit verwiesen werden, wo im Kapitel Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel zu zeigen versucht wird, dass diese drei Reden über Lilie und Vogel, die auch in ihrem Entstehungskontext in engem Zusammenhang mit der Krankheit zum Tode stehen, gewissermaßen die Antwort auf diese in der Krankheit zum Tode offen gelassene Frage nach der gelungenen Zusammen-setzung der Synthese liefern.

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Verendlichung« (SKS 11, 146 / KT 26). Aufgabe und Ziel des Selbst ist dabei, es selbst zu werden. »Aber sich selbst zu werden ist konkret zu werden.« (SKS 11, 146 / KT 26). Arne Grøn macht darauf aufmerksam, dass Anti-Climacus hier mit der Bedeutung von »konkret« spielt, insbesondere mit der Bedeutung des Lateinischen »con-crescere«, was so viel wie »zusammenwachsen« bedeutet. 81 Die Aufgabe »konkret zu werden« verweist also wiederum zurück auf die Aufgabe des Selbst, die Synthese zu übernehmen und zusammenzusetzen (vgl. Grøn 1999, 22). Ich möchte mich nunmehr den Formen der Verzweiflung hinsichtlich der einzelnen Momente der Synthese zuwenden, wie sie von AntiClimacus in Teil C.A ausgearbeitet werden. Anti-Climacus beginnt seine Darstellung mit der Verzweiflung der Unendlichkeit, die in einem Mangel an Endlichkeit liegt. Wie bereis ausgeführt, sind die beiden Momente der Synthese immer aufeinander bezogene und aus dieser Bezogenheit heraus einander entgegengesetzte Bestimmungen. In diesem Sinne ist »das Endliche das Begrenzende, das Unendliche das Erweiternde. Die Verzweiflung der Unendlichkeit ist deshalb das Phantastische, das Grenzenlose.« (SKS 11, 146 / KT 26) Verzweiflung der Unendlichkeit liegt dann vor, wenn ein Mensch seine eigene Endlichkeit und Begrenztheit nicht wahrhaben will und deshalb sich selbst als dieses bestimmte Individuum aus dem Blick verliert. Anti-Climacus beschreibt dies anhand der Phantasie. Die Phantasie ist das Entgrenzende, das Grenzen Erweiternde. Im Phantastischen wird der Mensch aber auch in solcher Weise von sich selbst weggeführt, dass er dadurch die Möglichkeit verliert, wieder zu sich selbst zurück zu kommen (vgl. SKS 11, 81 Arne Grøn drückt dies seinerseits mit einer auch sachlich sehr passenden Doppeldeutigkeit in der dänischen Sprache aus, die im Deutschen nicht in dieser Form wiedergegeben werden kann. Er beschreibt dieses Zusammenwachsen mit einem dänischen Verb als »at hele«. Dies ist zunächst das dänische Wort für »heilen«, »assoziiert aber zugleich das Adjektiv hel, welches »ganz, vollständig« bedeutet. (Grøn 1999, 22, Anmerkung des Übersetzers) Ähnliches ließe sich im Deutschen mitunter anhand des Adjektivs »heil« zeigen, das soviel wie »ganz, unversehrt, gesund« bedeutet und womit einerseits das Verb »heilen«, also »heil werden«, verwandt ist und das andererseits auch Anklänge zu »heilig« hören lässt. Es kann in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass Rudolf Bultmann darauf aufmerksam macht, dass das semitische Wort für »vollkommen« nicht mit dem hellenistischen Konzept der Vollkommenheit verwechselt werden darf, sondern ein ganz anderes Konzept ist. »Es bedeutet etwa ›heil‹, ›ganz‹ ; auf den Menschen angewandt, kann es auch bedeuten ›gerade‹, ›treu‹.« (Bultmann 1926, 111)

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147 / KT 27). Dies hat zum Resultat, dass »das Selbst auf diese Weise eine phantastische Existenz in abstrakter Verunendlichung oder in abstrakter Isolation führt, beständig seines Selbst ermangelnd, von welchem es lediglich weiter und weiter fortkommt.« (SKS 11, 148 / KT 28) Die gegenteilige Bewegung ist die Verzweiflung der Endlichkeit, die in einem Mangel an Unendlichkeit besteht und von Anti-Climacus als »verzweifelte Begrenztheit, Borniertheit« bezeichnet wird (SKS 11, 149 / KT 29). Diese Form der Verzweiflung bedeutet, »sich selbst verloren zu haben, nicht dadurch verflüchtigt zu werden in das Unendliche, sondern dadurch vollständig verendlicht zu werden, dadurch anstatt ein Selbst zu sein eine Zahl geworden zu sein, ein Mensch mehr, eine Wiederholung mehr dieses ewigen 82 Einerlei.« 83 (SKS 11, 149 / KT 29) Dies lässt sich zurückführen auf einen Mangel an Ursprünglichkeit, darauf, dass der Mensch nicht erkennt, dass er ursprünglich als Selbst bestimmt ist. Stattdessen geht ein solcherart verzweifelter Mensch auf in der Geschäftigkeit der Alltäglichkeit. Er verliert sich in allerhand weltlichen Angelegenheiten und lässt zunehmend auch sein eigenes Selbst von diesem alltäglichen, geschäftigen Umgang mit den Dingen und mit den Anderen bestimmen. Ein solcher Mensch »findet es zu gewagt sich selbst zu sein, weit leichter und sicherer wie die Anderen zu sein, eine Nachäffung zu werden [blive] 84 , eine Ziffer zu werden, mit in der Menge.« (SKS 11, 149 / KT 30) Es ist gerade diese Form der Verzweiflung, die in der Welt vielleicht am häufigsten vorkommt und am schwersten zu erkennen ist, denn »ein solcher Mensch hat, Der Ausdruck »evindelig« ist von gewissem Interesse. Es gibt wohl keine andere Möglichkeit als ihn mit »ewig« zu übersetzen, es sollte aber darauf aufmerksam gemacht werden, dass es im Dänischen mit »evig« auch noch ein anderes Wort gibt, das bei Kierkegaard viel häufiger vorkommt und immer dann eingesetzt wird, wenn positiv vom Ewigen gesprochen wird. Der Ausdruck »evindelig« hingegen meint so etwas wie eine ermüdende Unendlichkeit. Vielleicht ist es mit dem Ausdruck »aiwai« im österreichischen Dialekt vergleichbar. (Eine gemeinsame Herkunft dieser Wörter konnte ich nicht auffinden.) Vielleicht wäre auch ein Vergleich mit der schlechten Unendlichkeit bei Hegel angebracht. 83 »[…] det er at have tabt sig selv, ikke ved at forflygtiges i det Uendelige, men ved aldeles at endeliggjøres, ved istedetfor at være et Selv at være blevet et Tal, eet Menneske mere, een Gjentagelse mere af dette evindelige Einerlei.« 84 »blive« kann sowohl »werden« als auch »bleiben« bedeuten. Die Passage könnte also auch folgendermaßen übersetzt werden: »eine Nachäffung zu bleiben, eine Ziffer zu bleiben«. Ich denke in diesem Fall nicht, dass sich der Sinn dadurch signifikant ändert. An späteren Stellen muss auf diese Doppeldeutigkeit von »blive« noch eigens eingegangen werden. 82

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gerade dadurch sich selbst auf diese Weise zu verlieren, die Perfektion dazu gewonnen, im Handel und Wandel richtig mitzugehen, ja um sein Glück zu machen in der Welt.« (SKS 11, 149 f. / KT 30) Nachdem Anti-Climacus Verzweiflung unter der Bestimmung Endlichkeit – Unendlichkeit betrachtet hat, wendet er sich ihr anschließend unter der Bestimmung Möglichkeit – Notwendigkeit zu. Dazu sind zwei Vorbemerkungen vonnöten. Erstens ist auffällig, dass AntiClimacus in der Auflistung der Synthese in der Anfangspassage der Krankheit zum Tode der Notwendigkeit noch die Freiheit gegenüber gestellt hatte, während er im Abschnitt C.A nunmehr Freiheit durch Möglichkeit ersetzt. Diese Änderung, wonach nunmehr Möglichkeit der Gegenbegriff zur Notwenigkeit ist, hat ihre sachliche Berechtigung innerhalb der Struktur der Krankheit zum Tode, insofern Anti-Climacus in C.A nunmehr mit Freiheit die Realisierung der ganzen Synthese durch das Selbst bezeichnet. Entsprechend hält er schon in der Einleitung zu Abschnitt C fest, dass Freiheit nunmehr dahingehend genauer bestimmt wird, dass sie im Sich-zu-sich-selbst-Verhalten des Selbst als (Selbst-)Verhältnis liegt. Anders gewendet: Das Sich-zu-sich-selbstVerhalten ist die Freiheit (vgl. SKS 11, 145 / KT 25). Und Anti-Climacus kann in Hinblick auf die Synthese von Möglichkeit und Notwendigkeit weiter präzisieren: »Das Selbst ist Freiheit. Aber Freiheit ist das Dialektische in den Bestimmungen Möglichkeit und Notwendigkeit.« (SKS 11, 145 / KT 25) Neben diesem Hinweis weswegen in C.A in der Bestimmung der Synthese nunmehr der Begriff Möglichkeit statt jenem der Freiheit verwendet wird, muss zweitens auch berücksichtigt werden, dass Notwendigkeit hier in einem spezifischen Sinne verwendet wird und zum Beispiel etwas anderes bedeutet als im Zwischenspiel der Philosophischen Brocken von Johannes Climacus (vgl. SKS 4, 272 ff. / PB 68 ff.). Dieser Unterschied wird von Michael Theunissen treffend auf den Punkt gebracht: »Notwendigkeit bedeutet da [in der Krankheit zum Tode; Anmerkung von mir, G. T.] nicht wie in den Philosophischen Brocken, wo sie darum dem Vergangenen abgesprochen wird, Denknotwendigkeit. Sie meint im Gegenteil die Faktizität der zufälligen Verhältnisse, in denen der einzelne Mensch sich hier und jetzt vorfindet.« 85 (Theunissen 1979, 501) Notwendigkeit wird in der 85 An anderer Stelle wird dies von Theunissen unter umfangreicher Berücksichtigung der Philosophischen Brocken noch ausführlicher behandelt (vgl. Theunissen 1982, 24 ff.). Er schreibt dort in Hinblick auf den hier relevanten Unterschied zwischen den

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Krankheit zum Tode also auf sehr eigenwillige Weise verwendet, um die Unhintergehbarkeit der Faktizität des jeweiligen Selbst zu bezeichnen, was sowohl die individuelle Vergangenheit, als auch die »Tatsache« einschließt, dass es genau dieses Selbst ist, das ihm als dieses Selbst aufgegeben ist. Anti-Climacus meint in Hinblick auf den Vollzug dieser Synthese, dass das Selbst immer sowohl Möglichkeit als auch Notwendigkeit ist; »denn es ist ja sich selbst, aber es soll sich selbst werden. Insofern es sich selbst ist, ist es Notwendiges, und insofern es sich selbst werden soll, ist es eine Möglichkeit.« (SKS 11, 151 / KT 32) Die Verzweiflung der Möglichkeit besteht nun darin, sich in abstrakte Möglichkeiten zu verlieren und darüber der Notwendigkeit zu ermangeln. Die abstrakten Möglichkeiten scheitern zunehmend an ihrer Verwirklichung. In Hinblick auf die Zeit bedeutet dies, dass diese zunehmend zu einer zusammenhanglosen Abfolge von voneinander isolierten, abstrakten Augenblicken wird: »Alles wird augenblicklicher und augenblicklicher.« (SKS 11, 152 / KT 33) Die einzelnen Möglichkeiten ermangeln des Zusammenhangs durch deren Rückbezug auf Notwendigkeit. Darin liegt aber umgekehrt die positive Einsicht, dass die Möglichkeit – sofern sie wirkliche Möglichkeit und nicht bloß abstrakte Möglichkeit sein soll – die Begrenzung durch die Notwendigkeit braucht. Die Verzweiflung der Notwendigkeit bedeutet umgekehrt, voll und ganz in der Faktizität aufzugehen. Anti-Climacus führt zwei Varianten an, wie dies sich vollziehen kann. Die erste Variante ist jene des Deterministen oder Fatalisten, dem alles eine Notwendigkeit wird und der darüber überhaupt keine Möglichkeit und daher auch keine Freiheit mehr sehen kann (vgl. SKS 11, 155 f. / KT 37 f.). Die zweite Variante ist jene der Spießbürgerlichkeit. Dem Spießbürger wird alles zu einer Trivialität. Der Spießbürger geht nicht nur in der alltäglichen GeBedeutungen von Notwendigkeit in den Philosophischen Brocken und der Krankheit zum Tode: »Auch der Begriff der Notwendigkeit hat einen neuen Sinn bekommen. Im ›Zwischenspiel‹ der ›Brocken‹ hatte er als Bestimmung des Wesens keine Beziehung zu der im Sein zusammengehaltenen Einheit von Wirklichkeit und Möglichkeit; nun bezeichnet er gerade das, was dort ›Wirklichkeit‹ hieß, nämlich die Zeitlichkeit und Endlichkeit, die sich in den Relativitäten des ›Lebens‹ konkretisiert und einen wesentlichen Bezug zur Vergangenheit hat. Die Notwendigkeit im Sinne der ›Krankheit zum Tode‹ ist die individuelle Gegebenheit und unentrinnbare Bestimmtheit durch das Vergangene.« (Theunissen 1982, 49)

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schäftigkeit auf wie im Falle der Verzweiflung der Endlichkeit, er verstrickt sich so sehr darin, dass er darüber vollkommen den Bezug auf Möglichkeiten verliert. Sofern es auch eine Entwicklung der Gestalten der Verzweiflung gibt, ist die Spießbürgerlichkeit also berechtigterweise die letzte und höchste Figur, insofern diese Position so verhärtet ist, dass sie den Möglichkeitshorizont völlig verloren hat. Niels Jørgen Cappelørn beschreibt den Spießbürger daher folgendermaßen: »Seine Bewußtlosigkeit befindet sich im Maximum und seine Verzweiflung deshalb im Minimum. Davon, daß er verzweifelt ist, weiß er nichts. Und doch verrät sein Benehmen, daß er in seinem Innersten ein wenig verzweifelt ist.« (Cappelørn 1996, 142) Anti-Climacus fasst diesen Sachverhalt sehr konzis und komprimiert: »Spießbürgerlichkeit ist Geistlosigkeit.« (SKS 11, 156 / KT 38) Daraus wird auch ersichtlich, dass die Spießbürgerlichkeit gewissermaßen die Übergangsfigur von C.A zu C.B darstellt, wo die Formen der Verzweiflung anhand der Bestimmung Bewusstsein analysiert werden, wobei C.B dabei mit der unbewussten oder geistlosen Verzweiflung beginnt. Die Spießbürgerlichkeit ist aber auch deswegen interessant, weil sie gewissermaßen das vorweggenommene Paradebeispiel für das darstellt, was Heidegger später das Verfallen nannte. 86 Der Spießbürger verfällt an die Welt und die darin vorgehende Geschäftigkeit, bis er sich selbst, sein eigenes Selbst, vollkommen aus dem Blick verliert. Er lebt in totaler Nivellierung, ohne je darüber nachzudenken oder sich darüber Rechenschaft abzulegen. Die Bestimmung des Verfallens in Sein und Zeit ist mit mehreren Schwierigkeiten verhaftet, auf die hier nicht in vollem Umfang eingegangen werden kann. Dennoch erscheint es mir sinnvoll, eine kurze Skizze dieser Ausführungen zu geben, um den Einfluss kierkegaardscher Gedankenfiguren auf diesen wichtigen Aspekt in Sein und Zeit 86 Es gibt eine Reihe von Artikeln zum Themenkomplex von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit bei Heidegger und Kierkegaard. Siehe Berthold-Bond 1991; Dreyfus 1999; Figal 1983; Hannay 1999; Hall 1984; Hoberman 1984; Kristensen 1988; Magurshak 1987 und Thurnherr 2008. Diese beziehen sich dabei jedoch meist nicht nur auf Die Krankheit zum Tode, sondern auch und teilweise sogar in erster Linie auf Eine Literarische Anzeige. Hierzu sei angemerkt, dass dieser Text Heidegger in einer Übersetzung von Theodore Haecker, 1914 unter dem Titel Kritik der Gegenwart im Brenner erschienen, zugänglich war. Bei der Lektüre von Haeckers Übersetzung ist es ins Auge stechend, wie viele Begrifflichkeiten und Gedankenfiguren dieses Textes sich in Sein und Zeit, sowohl in der Analyse des Man (§ 27) als auch in dem Abschnitt über das Verfallen (§§ 35–38), wieder finden lassen.

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in groben Zügen umreißen zu können. In § 9 von Sein und Zeit führt Heidegger eine wichtige Unterscheidung ein zwischen zwei Begriffspaaren für seine existenziale Analytik des Daseins. Erstens meint Heidegger, dass es in der Jemeinigkeit des Daseins, dem es in seinem Sein je um sein eigenes Sein geht, begründet liegt, dass das Dasein in der Möglichkeit steht, sich selbst sowohl »gewinnen« als auch »verlieren« zu können. »Die Seinsmodi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit – diese Ausdrücke sind im strengen Wortsinne terminologisch gewählt – gründen darin, daß Dasein überhaupt durch Jemeinigkeit bestimmt ist.« (SZ 42 f.) Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit sind also in der Jemeinigkeit gründende, mögliche Modifikationen des Vollzugs der Existenz. Zweitens heißt es bereits in der Einleitung, dass das Dasein im Rahmen der existenzialen Analytik so von ihm selbst her gesehen lassen werden soll, »wie es zunächst und zumeist ist, in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit« (SZ 16). Die somit in den Blick genommene durchschnittliche Alltäglichkeit wird in § 9 bezeichnet als »Zunächst und Zumeist«, »Indifferenz« und »Durchschnittlichkeit«. Es ist das Dasein, sofern es »nicht in der Differenz eines bestimmten Existierens« steht (SZ 43). Diese durchschnittliche Alltäglichkeit des Daseins ist »ein positiver phänomenaler Charakter dieses Seienden. Aus dieser Seinsart heraus und in sie zurück ist alles Existieren, wie es ist« (SZ 43). Daraus folgt aber, dass Uneigentlichkeit und durchschnittliche Alltäglichkeit nicht gleichgesetzt werden dürfen, sondern streng voneinander unterschieden werden müssen, da sie nicht nur verschiedene Begrifflichkeiten für ähnliche Phänomene sind, sondern auf gänzlich anderen Ebenen situiert sind. Friedrich-Wilhelm von Herrmann hat in seinem Kommentar zu Sein und Zeit eindringlich auf diesen Sachverhalt hingewiesen: Die durchschnittliche Alltäglichkeit ist der Titel für die nicht herausgehobenen, daher indifferenten gehaltlichen Existenzmöglichkeiten als Möglichkeiten des In-der-Welt-seins. Demgegenüber nennt die Uneigentlichkeit einen Vollzugsmodus des Existierens, eine Vollzugsmöglichkeit im Unterschied zur Vollzugsmöglichkeit der Eigentlichkeit. Die Uneigentlichkeit ist eine bestimmte Weise, wie es dem Dasein in einer gehaltlichen Existenzmöglichkeit um diese geht. Der Wesensunterschied zwischen Alltäglichkeit und Uneigentlichkeit ist ein Unterschied zwischen der gehaltlichen Möglichkeit und der Vollzugsmöglichkeit. (Herrmann 2005, 18)

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Der Unterschied von Uneigentlichkeit und Alltäglichkeit als der Unterschied zwischen einer Vollzugsmöglichkeit und einer gehaltlichen Möglichkeit lässt sich also reformulieren als der Unterschied zwischen einem Was des Gehalts, in welchem sich die Existenz vollzieht (entweder in Indifferenz oder in der Differenz einer spezifischen gehaltlichen Existenzweise), und einem Wie des Vollzugs dieser gehaltlichen Möglichkeit (entweder eigentlich oder uneigentlich). Wenn diese Unterscheidung aber ernst genommen wird, dann folgt daraus, dass die Alltäglichkeit als Bestimmung des Was der gehaltlichen Möglichkeit grundsätzlich offen gehalten werden muss für verschiedene Modifikationen des Wie ihres Vollzugs; Alltäglichkeit steht folglich in der prinzipiellen Möglichkeit, sowohl eigentlich als auch uneigentlich vollzogen zu werden. Im weiteren Verlauf von Sein und Zeit ist es jedoch so, dass diese distinktive Differenz zunehmend verschwimmt und die Konzepte Alltäglichkeit und Uneigentlichkeit einander derart angenähert werden, dass sie mitunter sogar synonym verwendet werden. Damit gerät aber auch die Möglichkeit einer eigentlichen Alltäglichkeit zunehmend aus dem Blick, ja das Ineinanderfallen von Uneigentlichkeit und Alltäglichkeit verbaut sogar den Weg, dass sich diese Frage im weiteren Verlauf von Sein und Zeit überhaupt noch einmal zu melden vermag. Dieses Problem, das entweder schon in der Konzeption der Begrifflichkeiten von Sein und Zeit angelegt ist oder sich doch zumindest in der konkreten Ausarbeitung des Textes einschleicht, bekundet sich zum ersten Mal explizit in § 27, dessen Überschrift »Das alltägliche Selbstsein und das Man« lautet. Bereits im Titel lässt sich die Vermischung der beiden Hinsichten konstatieren, insofern das Man herkömmlicherweise als Verfallensphänomen in Zusammenhang gebracht wird mit der Uneigentlichkeit. An dieser Stelle, im Kontext der Ausarbeitung des Phänomens des Man im Rahmen von Sein und Zeit, wird es aber durch ein fragwürdiges »und« in Verbindung gebracht mit dem »alltäglichen Selbstsein« des Daseins. Ob die hier eintretende Vermischung von Uneigentlichkeit und Alltäglichkeit vielleicht nicht nur einer Schwäche in Heideggers Ausarbeitung des Textes, sondern gar der behandelten Sache selbst geschuldet ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht in der nötigen Ausführlichkeit untersucht werden. Für das Verhältnis von Kierkegaard und Heidegger ist es aber von Bedeutung festzuhalten, dass die Funktion des Man als existenziale Bestimmung des Daseins in Sein und Zeit – trotz aller Gemeinsamkeiten A

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– keineswegs in den anhand von Anti-Climacus’ Figuren der Verzweiflung genannten Bestimmungen aufgeht. Es ist die genuine Entdeckung Heideggers, dass dieses Konzept nicht wie bei Kierkegaard einen ausschließlich pejorativen Sachverhalt darstellt, sondern in positiver Weise zur existenzialen Seinsweise des Daseins gehört. Das Man hat eine positive, existenziale Funktion, es ermöglicht und reglementiert die Existenz in der Alltäglichkeit und ermöglicht damit gleichermaßen uneigentliche wie auch eigentliche Existenz. Damit könnte aber auch ein Weg gewiesen sein, auf die Frage nach der Vermischung von Alltäglichkeit und Uneigentlichkeit eine Antwort zu geben, die weder die konzeptuellen Schwierigkeiten von Sein und Zeit herunterspielt, noch diese zu gravierenden Schwächen in der Ausarbeitung hochstilisiert, sondern versucht, diese Brüche des Textes als Schwierigkeiten im Umgang mit dem zu behandelnden Phänomen selbst zu interpretieren. Die Verbundenheit mit Kierkegaard, aber auch den zentralen Unterschied zwischen dessen Ausführungen und seinen eigenen, scheint Heidegger auch selbst gesehen zu haben, wenn er in seiner frühen Freiburger Vorlesung Hermeneutik der Faktizität meint: »Starke Anstöße für die hier vorgelegte Explikation kommen von der Arbeit Kierkegaards. Aber Voraussetzung, Ansatz, Art der Durchführung und das Ziel sind grundsätzlich verschieden, weil er es sich zu leicht macht.« (GA 63, 30) Ein paar Seiten zuvor, im Rahmen dieser Explikation, schreibt Heidegger: »Auslegung setzt an im Heute, d. h. in der bestimmten durchschnittlichen Verständlichkeit, aus der Philosophie lebt und in die sie zurückspricht. Das Man hat etwas bestimmtes Positives, es ist nicht nur Verfallensphänomen, sondern als solches ein Wie des faktischen Daseins.« (GA 63, 17) Bei Anti-Climacus wird das »Verfallensphänomen« der »Nivellierung« in einen Zusammenhang gebracht mit »Geistlosigkeit«. Diese Geistlosigkeit der Spießbürgerlichkeit muss jedoch unter der Bestimmung Geist gesehen werden. Dass der Spießbürger sich selbst nicht als dieses Selbst übernimmt, bedeutet nicht, dass er nicht dieses Selbst zu sein hat. Keinerlei Möglichkeit wahrnehmen zu wollen bedeutet – wie Joachim Ringleben hervorhebt – sich selbst zu belügen: »Gerade indem es sich auf das Notwendige einschränkt, nimmt es aber seinen Möglichkeitsspielraum wahr.« (Ringleben 1995, 157) Die Spießbürgerlichkeit ist aufgrund ihrer Schwachheit nicht in der Lage, sich ihrer eigenen Verstricktheit in Notwendigkeit bewusst zu werden. »Ist dies richtig, so verrät die Verzweiflung durch ihre eigene Schwachheit, was 90

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sich hinter der Verzweiflung des Spießbürgers verbirgt, nämlich eine versteckte, eine unbewußte Verzweiflung über die eigene Schwachheit.« (Cappelørn 1996, 147) Somit wird die Spießbürgerlichkeit zur Übergangsfigur, die zur Behandlung der Verzweiflung in Hinblick auf deren Grad an Bewusstsein überleitet. Doch dies ist nicht mehr Thema dieser Arbeit. Im nächsten Kapitel will ich mich stattdessen der in Ansätzen bereits thematisierten Problematik zuwenden, dass das Selbst sich nicht selbst gesetzt hat, sondern sich durch ein Anderes gesetzt vorfindet.

Das Verhältnis als durch ein Anderes gesetzt Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass in den ersten beiden Absätzen der Anfangspassage der Krankheit zum Tode auf zweifache Weise implizit auf den Sachverhalt der Setzung hingewiesen wird: Erstens, wenn der Mensch als eine Synthese bezeichnet wird, sofern diese im Sinne der Synthesis wortwörtlich als Zusammensetzung gelesen werden muss; und zweitens, wenn das (Selbst-)Verhältnis als ein positives Drittes bestimmt wird, sofern positiv durch den Verweis auf ponere ebenfalls diesen Bezug auf ein Setzen in sich trägt. Daraus wird ersichtlich, dass die folgenden Absätze der Krankheit zum Tode, in welchen Anti-Climacus explizit auf diesen Sachverhalt der Setzung zu sprechen kommt, keinen thematischen Bruch mit dem vorherigen markiert, sondern ein ausdrückliches Ergreifen einer bereits zuvor implizit enthaltenen Thematik. Anti-Climacus folgend möchte ich mich in diesem Kapitel nun ebenfalls dieser Thematik der Setzung zuwenden. Es stellen sich dabei folgende Fragen: Wie lassen sich die beiden in der Bestimmung des Menschen als Synthese angesprochenen Aspekte, also das Gesetztsein der Synthese einerseits und die Zusammen-setzung der Synthese durch das Selbst andererseits, zusammen denken? Wie lassen sich das (Selbst-)Verhältnis als Sich-zu-sich-selbst-Verhalten und die Annahme dieses Verhältnisses als Gesetzes vereinbaren? Haben wir es hier nicht mit widersprüchlichen Bestimmungen zu tun? Oder müssen diese beiden Momente in ihrer Zusammengehörigkeit bedacht werden, um das Selbst des Menschen hinreichend zu bestimmen? Für Anti-Climacus scheint klar zu sein, dass diese beiden Aspekte zusammen genommen werden müssen, um das Selbst in seiner vollen

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Struktur zu erfassen, wenn er, die Anfangspassage der Krankheit zum Tode fortsetzend, schreibt: Ein solches Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, ein Selbst, muss sich entweder selbst gesetzt haben, oder durch ein Anderes gesetzt sein. Ist das Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, durch ein Anderes gesetzt, dann ist das Verhältnis gewiss das Dritte, aber dieses Verhältnis, das Dritte, ist auf diese Weise doch wiederum ein Verhältnis, verhält sich zu dem, was das ganze Verhältnis gesetzt hat. Ein solches, abgeleitetes, gesetztes Verhältnis ist das Selbst des Menschen, ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, und im sich zu sich selbst Verhalten sich zu einem Anderen verhält. 87 (SKS 11, 129 f. / KT 8 f.)

Zunächst ist es interessant, dass Anti-Climacus nirgends begründet, wieso die erste der beiden genannten Alternativen, die Selbstsetzung des Selbst, nicht funktionieren sollte. An dieser Stelle würden wir eigentlich ein Argument gegen die Variante einer Selbstsetzung erwarten. »Er hat sie aber gar nicht durchgespielt« (Theunissen 1996, 83), wie Michael Theunissen feststellt. Das Bemerkenswerte ist also, dass Anti-Climacus anscheinend meint, dass er überhaupt kein Argument liefern müsse, wieso die Selbstsetzung nicht funktioniere. Auch Hermann Deuser macht darauf aufmerksam, dass die Frage, ob es sich um eine Selbstsetzung oder eine Setzung durch Anderes handelt, von Anti-Climacus anscheinend als schon entschieden betrachtet und folglich vom ihm auch kein Argument geliefert werde (vgl. Deuser 1996, 112 f.). Wenn dem aber so ist, wenn es so ist, dass wir schon von vornherein von der Setzung des Selbst durch ein Anderes ausgehen müssen, dann stellt sich umso dringlicher die Frage, wie dieser immer schon entschiedene Sachverhalt des Gesetztseins des Selbst durch ein Anderes verstanden werden soll. Diese zentrale Fragestellung hat seit jeher die Kierkegaard-Forschung beschäftigt und bis heute gegensätzliche Antworten hervorgerufen.

»Et saadant Forhold, der forholder sig til sig selv, et Selv, maa enten have sat sig selv, eller være sat ved et Andet. Er Forholdet, der forholder sig til sig selv, sat ved et Andet, saa er Forholdet vistnok det Tredie, men dette Forhold, det Tredie, er saa dog igjen et Forhold, forholder sig til hvad der har sat hele Forholdet. Et saadant deriveret, sat Forhold er Menneskets Selv, et Forhold, der forholder sig til sig selv, og i at forholde sig til sig selv forholder sig til et Andet.«

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Bereits 1979 hat Michael Theunissen zu dieser Frage eine Interpretation vorgelegt, die eine große Wirkmächtigkeit erlangt und zu zahlreichen bedeutenden Kontroversen in der Kierkegaard-Forschung Anlass gegeben hat. 88 Theunissen meint, dass das Selbst als Sich-zu-sichselbst-Verhalten und das Gesetztsein des Selbst in ihrer Zusammengehörigkeit gedacht werden müssen. Erst das Selbst ist als ewiges ›Zeitlichkeit‹, Freiheit und dennoch gesetzt. Erst in ihm wird die Einheit der Zusammengehörigkeit zur Einheit der Identität. Noch ehe nämlich die Freiheit etwas setzt, erfährt sie sich als eingesetzt in das Setzen. Sie ist frei zu allem, was das dem Möglichen vorgelegte Notwendige zuläßt, aber sie ist nicht frei dazu, die Freiheit, die sie ist, zu sein oder nicht zu sein. Sie ist sich selber die unbedingte Notwendigkeit. Auf ihrem eigenen Grunde entdeckt sie in der Absolutheit ihres Immer-schon-Seins eine Faktizität, die nicht die Faktizität der weltlichen Verhältnisse ist, sondern gerade in der Macht der Möglichkeit die Ohnmacht eines transmundanen Gesetztseins bekundet. (Theunissen 1979, 505)

Theunissen zufolge widerspricht die Rede von einer Setzung des Selbst also nicht dem Vollzug des Selbst als (Selbst-)Verhältnis, vielmehr drückt das Gesetztsein gerade die Notwendigkeit des Sich-zu-sichselbst-Verhaltens aus. Das Selbst ist immer schon in der Möglichkeit des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens, was umgekehrt aber auch bedeutet, dass es nicht in der Möglichkeit steht, sich nicht zu sich selbst zu verhalten. Das Selbst ist immer schon als dieses (Selbst-)Verhältnis, es kann sich nicht aussuchen, dieses (Selbst-)Verhältnis nicht zu sein, sondern hat sich selbst als dieses Verhältnis zu übernehmen. Auch wenn das Selbst wesentlich als reiner Vollzug des Sich-zu-sich-selbstVerhaltens bestimmt werden muss, sich also als dieses selbst aufgegeben ist und vollziehen muss, findet es sich doch gleichzeitig immer schon als dieses selbst vor. Obgleich das Selbst zur Aufgabe hat, es selbst zu werden, hat es sich doch allererst nicht ausgesucht, dieses selbst, welches es immer schon ist, zu sein. Wenn man diese Leseart verfolgt, der zufolge die Rede vom Gesetztsein als Ausdruck dafür gelesen werden sollte, dass wir uns nicht selbst ausgesucht haben, dieses 88 Meine Wiedergabe von Theunissens Interpretation ist stark verkürzt und zielt von vornherein auf den von ihm hergestellten Zusammenhang zwischen Kierkegaard und Heidegger. Für ein umfassendes Bild der Interpretation von Theunissen müssen vor allem seine beiden späten Arbeiten zur Krankheit zum Tode (vgl. Theunissen 1991 und 1993) berücksichtigt werden. Ich werde auf diese in weiterer Folge indirekt zu sprechen kommen anhand einiger Kritiken an seiner Interpretation.

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Selbst zu sein, sondern uns immer schon als dieses Selbst vorgefunden haben, welches uns überantwortet ist, dann lassen sich auch die ersten Absätze von Abschnitt A.A der Krankheit zum Tode in ihrer Zusammengehörigkeit interpretieren als die beiden fundamentalen Aspekte einer Grunddynamik des Selbst: »Die beiden konstitutiven Momente der Verfassung des Selbst waren in der Krankheit zum Tode das Sichzu-sich-Verhalten und das Gesetztsein.« (Theunissen 1993, 45) Diese beiden Aspekte müssen in ihrer Verschränkung bedacht werden, als ein »Sich-Setzen, das ein in jedem Augenblick bereits laufender Prozeß ist. Im Falle des menschlichen Selbst bedeutet dies, daß das Subjekt in sein Sich-Setzen immer schon eingesetzt ist. Das Sich-Setzen ist als menschliches ein Gesetztsein.« (Theunissen 1997, 183) Michael Theunissen stellt außerdem – ebenfalls bereits 1979 – einen Zusammenhang zwischen diesen Ausführungen von Anti-Climacus und den Konzeptionen Martin Heideggers her. Nachdem er auf einige weitere vermeintliche Parallelen zwischen Kierkegaard und Heidegger hingewiesen hat, meint Theunissen: »Tiefer noch in die ontologischen Fundamente reicht jedoch Kierkegaards Einfluß auf Heideggers Interpretation des menschlichen Daseins als Einheit von ›Geworfenheit‹ und ›Entwurf‹.« (Theunissen 1979, 507) Diesen damit angezeigten Zusammenhang bringt Theunissen schließlich 1993 in seiner einflussreichen Studie Der Begriff Verzweiflung: Korrekturen an Kierkegaard folgendermaßen auf den Punkt: »Heidegger bringt das Sich-zu-sich-Verhalten auf den Begriff der Existenzialität, demzufolge es dem Dasein in seinem Sein um dieses Sein selbst geht, und das Gesetztsein auf den Begriff der Faktizität, wonach das Dasein je sein Sein als seiniges zu sein hat.« (Theunissen 1993, 45) Ich möchte mich unter gewissen Vorbehalten dieser These von Theunissen anschließen, der zufolge Anti-Climacus’ Rede vom Gesetztsein des Selbst in Zusammenhang gebracht werden kann mit Heideggers Rede von der Geworfenheit des Daseins. Dazu muss aber sogleich kritisch angemerkt werden, dass sich diese These für diese Arbeit von einem rein pragmatischen Standpunkt her anbietet, weil das Ziel dieser Arbeit ja letztlich nicht eine umfassende Interpretation der Krankheit zum Tod ist, sondern die Interpretation im Vornherein durch den Hinblick auf Heidegger motiviert und strukturiert ist. Die Interpretation muss sich hier also ihrer Perspektivität bewusst sein. Zugleich denke ich aber auch, dass es gerade das an Heidegger geschulte Vorverständnis ist, welches die vorgetragene These Theunissens 94

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letztlich plausibel erscheinen lässt; auch wenn Theunissen dies wahrscheinlich kaum so sehen würde. 89 Somit möchte ich – schwächer als bei Theunissen formuliert – sagen, dass sowohl Anti-Climacus als auch Martin Heidegger mit ihren Ausführungen sich auf eine Einsicht beziehen, deren Erfahrung sie teilen. Es ist – wie Richard Purkarthofer in seiner Kierkegaard Einführung schreibt – die Einsicht, »dass der Mensch sich nicht selbst geschaffen hat. Er findet sich schon immer als leib-seelisches Wesen 90 vor, ohne die Möglichkeit, sich nicht dazu zu verhalten.« (Purkarthofer 2005, 76) Bevor ich mich auf die vielschichtige Auseinandersetzung über die Interpretation des Gesetztseins des Selbst in der Kierkegaard-Forschung einlasse, scheint es mir an dieser Stelle zunächst wichtig, in einem kurzen Exkurs auf Heideggers Analytik des Daseins einzugehen, damit überhaupt einmal hinreichend geklärt ist, wovon eigentlich gesprochen wird, wenn hier mit Bezug auf Heidegger von Geworfenheit bzw. Faktizität gesprochen wird. In Sein und Zeit analysiert Heidegger die Befindlichkeit als ein Existenzial des Daseins. Die Befindlichkeit verweist darauf, »daß das Dasein je schon immer gestimmt ist« (SZ 134). In der Befindlichkeit kann aber auch »das Sein des Daseins als nacktes ›Daß es ist und zu sein hat‹ aufbrechen. Das pure ›daß es ist‹ zeigt sich, das Woher und Wohin bleiben im Dunkel.« (SZ 134) In der je schon gestimmten Erschlossenheit seines Seins kann das Dasein vor das Faktum seines Da gebracht, mit dem 89 In seinen beiden viel diskutierten Interpretationen möchte Theunissen die Notwendigkeit der Annahme des Gesetztseins des Selbst als eine Konsequenz aus Anti-Climacus’ Analyse der Verzweiflung darstellen. Er schreibt daher: »Denn an Ort und Stelle nachvollziehbar ist der Satz vom Gesetztsein […] nur auf dem Wege über die Einsicht in den von dieser Lehre artikulierten Gedanken der Verzweiflung.« (Theunissen 1991, 62) Dass das Selbst durch ein Anderes gesetzt ist, ist somit nur eine Annahme, die sich erst durch die Analyse der Verzweiflung bewähren muss: »Demnach liegt in der Auffassung auch, daß die Annahme eines Gesetzseins durch Gott als eine Hypothese einzuführen ist, die alleine den im voraus gesichteten Sachverhalt der Verzweiflung zureichend erklären kann.« (Theunissen 1991, 37) 90 Obgleich hier angemerkt werden muss, dass Heidegger mit dieser Bestimmung als »leib-seelisches Wesen« wohl nicht einverstanden wäre, weil diese Anrufung der traditionellen Distinktion von Leib und Seele in der Gefahr steht, das Auszeichnende des Menschen zu verkennen, weil das Wesen des Menschen so gar nie in die Fragwürdigkeit kommt, sondern von Vornherein einer vermeintlich gesicherten anthropologischen Interpretation zugeführt wird.

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puren Dass seines Seins konfrontiert werden. Dazu meint Heidegger: »Diesen in seinem Woher und Wohin verhüllten, aber an ihm selbst um so unverhüllter erschlossenen Seinscharakter des Daseins, dieses ›Daß es ist‹ nennen wir die Geworfenheit dieses Seienden in sein Da, so zwar, daß es als In-der-Welt-sein das Da ist. Der Ausdruck Geworfenheit soll die Faktizität der Überantwortung andeuten.« (SZ 135) Auch für Heidegger ist also klar, dass die von Anti-Climacus aufgestellte Alternative – entweder Selbstsetzung oder Gesetztsein – immer schon entschieden ist. Eine Selbstsetzung lässt sich nicht denken, weil das Dasein immer schon mit dem Dass seines Seins konfrontiert ist, hinter das es nicht zurückgehen kann. 91 Aber auch mit der Alternative, wonach das Selbst »durch ein Anderes gesetzt« ist, kann Heidegger nicht einverstanden sein, zumindest nicht, sofern dadurch impliziert wird, dass die Setzung auf ein in irgendeiner Form bestimmbares Anderes zurückgeführt werden kann; 92 die Radikalität der Geworfenheit bei Heidegger liegt gerade darin, dass hinter der Geworfenheit kein Werfer mehr angenommen werden kann. Heidegger verweist ausdrücklich auf die prinzipielle Verhülltheit des Woher des Daseins, weswegen wir grundsätzlich nicht hinter die Rätselhaftigkeit des Dass zurückgehen können: »Auch wenn Dasein im Glauben seines ›Wohin‹ ›sicher‹ ist oder um das Woher zu wissen meint in rationaler Aufklärung, so verschlägt das alles nichts gegen den phänomenalen Tatbestand, daß die Stimmung das Dasein vor das Daß seines Da bringt, als welches es ihm in unerbittlicher Rätselhaftigkeit entgegenstarrt.« (SZ 136) Es kann also nie darum gehen, das Dass in einem Woher zu begründen, im Gegenteil, die »volle Rätselhaftigkeit« (SZ 136) dieses Dass muss allererst zum Vorschein gebracht und als solche ausgestanden werden. Zunächst mag es so klingen, als beziehe sich Heidegger mit der Geworfenheit auf die Geburt des Menschen. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass die Geworfenheit für Heidegger keineswegs auf das Faktum der Geburt beschränkt bleibt; die Geworfenheit ist nicht Es bedarf also auch bei Heidegger keines Arguments gegen die Selbstsetzung des Selbst. Auch wenn das Dasein im Verfallen versucht davor zu fliehen, ist ihm in der Befindlichkeit – insbesondere in der Grundbefindlichkeit der Angst – immer schon das Dass seines Seins erschlossen, das es nicht selbst vollbracht, aber zu übernehmen hat. 92 Obgleich schon hier darauf hingewiesen werden muss, dass Mjaaland – wie ich noch zeigen werde – überzeugend darlegt, dass Anti-Climacus diese Identifizierung gerade nicht durchführt, sondern konsequenterweise vermeidet. 91

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etwas hinter dem Dasein Liegendes, sondern steht beständig in seine Existenz herein. Dasein bleibt also streng genommen immer im Wurf und muss sich daher auch beständig zu seiner Geworfenheit verhalten. Im Sein des Daseins liegt schon das ›Zwischen‹ mit Bezug auf Geburt und Tod. […] Existenzial verstanden ist die Geburt nicht und nie ein Vergangenes im Sinne des Nichtmehrvorhandenen, so wenig wie dem Tod die Seinsart des noch nicht vorhandenen, aber ankommenden Ausstandes eignet. Das faktische Dasein existiert gebürtig, und gebürtig stirbt es auch schon im Sinne des Seins zum Tode. (SZ 374)

Die Geworfenheit muss also als ein ständiger konstitutiver Faktor der Seinsverfassung des Daseins gefasst werden: »Zur Seinsverfassung des Daseins und zwar als Konstitutivum seiner Erschlossenheit gehört die Geworfenheit. In ihr enthüllt sich, daß Dasein je schon als meines und dieses in einer bestimmten Welt und bei seinem bestimmten Umkreis von bestimmten innerweltlichen Seienden ist.« (SZ 221) Daraus wird also auch ersichtlich, dass hier immer ein konkretes Dasein, das je schon in einer konkreten Situation steht, gemeint ist. Heidegger bezeichnet dies als die Faktizität des Daseins: »Die Tatsächlichkeit des Faktum Dasein, als welches jeweilig jedes Dasein ist, nennen wir seine Faktizität.« (SZ 56) Als solcherart Vorgegebenes kann die Faktizität mit gewisser Berechtigung mit Anti-Climacus Bestimmung der Notwendigkeit als einem der Momente der Synthese in Zusammenhang gebracht werden. Dies insofern, als die Faktizität dem Dasein vorgegeben ist und in dieser Vorgegebenheit übernommen werden muss. Dies darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden – wozu die Bestimmung als Notwendigkeit verleitet –, dass die Faktizität schlechthin unveränderlich wäre. 93 Es geht vielmehr gerade um den Umgang mit der eigenen Faktizität. Der Einzelne hat in seiner Existenz sich selbst als diese Faktizität zu übernehmen. Dass die Geworfenheit des Daseins nicht ein vergangenes Ereignis ist, das als abgeschlossenes hinter ihm liegt, zeigt sich auch daran, dass die Geworfenheit nur darin zum Vorschein kommt, dass das Dasein Im Zwischenspiel der Philosophischen Brocken macht Johannes Climacus darauf aufmerksam, dass die Notwendigkeit der Vergangenheit streng zu unterscheiden ist von der Notwendigkeit im Sinne der logischen Kategorie. Johannes Climacus spricht der Vergangenheit also eine gewisse Veränderbarkeit zu. Von ihm wird diese vor allem in der religiösen Bewegung der Reue festgemacht (vgl. SKS 4, 276 f. / PB 73 f.).

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diese zu übernehmen hat, gleichwohl es nicht hinter seine Geworfenheit zurückgehen kann, sondern immer auf diese Vorgängigkeit rückverwiesen bleibt. »Das Selbst, das als solches den Grund seiner selbst zu legen hat, kann dessen nie mächtig werden und hat doch existierend das Grundsein zu übernehmen.« (SZ 284) Existieren bedeutet dementsprechend für Heidegger – und hier lässt sich eine Gemeinsamkeit mit der Bestimmung des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens bei Anti-Climacus herstellen – sich in seiner Existenz – mit Anti-Climacus gesprochen: im (Selbst-) Verhältnis; im Sinne Heideggers verstanden als Verhalten zur Selbstwelt, Umwelt und Mitwelt im Entwerfen seiner selbst auf Möglichkeiten – als dieser Einzelne in seiner Faktizität zu übernehmen. So verstanden ist die eigene Geworfenheit aber nie ein bloß Vorgegebenes, das nunmehr hinter dem einzelnen Existierenden liegt, ganz im Gegenteil: »Die Geworfenheit aber liegt nicht hinter ihm als ein tatsächlich vorgefallenes und vom Dasein wieder losgefallenes Ereignis, das mit ihm geschah, sondern das Dasein ist ständig – solange es ist – als Sorge sein ›Daß‹. Als dieses Seiende, dem überantwortet es einzig als das Seiende, das es ist, existieren kann, ist es existierend der Grund seines Seinkönnens.« (SZ 284) In einer umfassenden Behandlung dieser Grunddynamik des Seins des Daseins ist es also wichtig, die Verschränkung von Geworfenheit und Entwurf eigens zu bedenken. Es wurde bereits deutlich, dass die Geworfenheit darin erschlossen wird, dass sie vom Dasein in seiner Existenz übernommen werden muss. Umgekehrt muss aber auch festgehalten werden, dass auch der Entwurf des Daseins auf Möglichkeiten auf Begrenztheit angewiesen ist, um überhaupt als Möglichkeit ergriffen werden zu können. In den Worten Heideggers: Die Möglichkeit als Existenzial bedeutet nicht das freischwebende Seinkönnen im Sinne der ›Gleichgültigkeit der Willkür‹ (libertas differentiae). Das Dasein ist als wesenhaft befindliches je schon in bestimmte Möglichkeiten hineingeraten, als Seinkönnen, das es ist, hat es solche vorbeigehen lassen, es begibt sich ständig der Möglichkeit seines Seins, ergreift sie und vergreift sich. Das besagt aber: das Dasein ist ihm selbst überantwortetes Möglichsein, durch und durch geworfene Möglichkeit. Das Dasein ist die Möglichkeit des Freiseins für das eigenste Seinkönnen. Das Möglichsein ist ihm selbst in verschiedenen möglichen Weisen und Graden durchsichtig. (SZ 144)

Es wäre ein grobes Missverständnis, wenn man annähme, dass das Entwerfen des Daseins auf Möglichkeiten so verstanden werden könne, als 98

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könnten diese Möglichkeiten vom Dasein beliebig erdacht werden. Ganz im Gegenteil kann sich das Dasein in seinem Seinkönnen gerade erst dadurch eigens ergreifen, dass es sich immer schon als in bestimmte Möglichkeiten geworfen erfährt. Das eigentliche Ergreifen des eigenen Seinkönnens »besagt nicht, sich auf seine Privatwünsche versteifen, sondern frei sein für die faktischen Möglichkeiten der jeweiligen Existenz« (GA 24, 408). Die Entwürfe des Daseins sind keine frei schwebenden, sondern ergeben sich aus der Faktizität des jeweiligen Existierenden. Der Entwurf muss wesentlich als geworfener Entwurf verstanden werden, als »sich entwerfen auf die je eigenste faktische Möglichkeit des In-der-Welt-sein-könnens« (SZ 295). Anti-Climacus scheint diese Verschränkung dahingehend bekannt zu sein, dass für ihn die Momente der Synthese – wie im vorherigen Kapitel dargestellt wurde – nur in ihrer Bezogenheit aufeinander in den Blick kommen können. Mit Hinblick auf Heidegger kann gesagt werden, dass die von Anti-Climacus im Detail ausgearbeiteten Synthesen und deren Momente als differenzierte Erscheinungsweisen einer Grunddynamik menschlicher Existenz gelesen werden sollten, nämlich – mit Heidegger gesprochen – jener von Geworfenheit und Entwurf. Bereits bevor Michael Theunissen mit seinen Analysen zur Krankheit zum Tode in den 1990er Jahren eine hitzige Debatte auslöste, hatte es immer wieder Bemühungen um eine Interpretation dieser Schrift gegeben. So legte Günther Figal 1984 einen Artikel vor, in welchem er meint: »Kierkegaards Formulierung, das Selbst sei durch ein Anderes gesetzt, ist allein von der Faktizität des Selbst her zu verstehen.« (Figal 1984, 13) Figal erklärt weiter, dass sich bereits aus der vorhergegangenen Bestimmung des Selbst ein Argument vorbringen lässt, wieso eine Selbstsetzung des Selbst abgewiesen werden muss: Hätte nämlich das Selbst sich selbst gesetzt, dann wäre es aus sich wie es ist, und d. h.: es wäre nicht mehr zu verstehen, wieso die Momente der Synthesen das Verhalten in seiner Weise zu sein bestimmen. Die Annahme, das Verhalten könne die Bestimmung seines Seins selbst hervorbringen, ist unsinnig, denn wie sollte ein Verhalten ohne jede Bestimmung überhaupt noch faßbar sein? Man könnte noch nicht einmal mehr von ihm sagen, daß es ist, denn sein Sein ist ja ein bestimmtes. Daß das Verhalten gesetzt ist, heißt also, daß es nicht von sich her ist wie es ist. Gerade weil das Selbst nicht Grund seiner selbst ist, ist es sich ein Faktum. (Figal 1984, 13)

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Die Konfrontation des Selbst mit seiner eigenen Abgründigkeit führt also dazu, dass davon ausgegangen werden muss, dass es sich nicht selbst gesetzt hat, sondern durch ein Anderes gesetzt wurde. Figal weist in Hinblick auf dieses Andere darauf hin, dass dieses notwendigerweise unbestimmt bleiben muss, weil es sich ja gerade dadurch auszeichnet, dass »es den Seinsbestimmungen des Selbst nicht unterliegen kann. Darin besteht gerade seine Andersheit, daß es über das Sein des Selbst in seiner Bestimmtheit hinaus ist« (Figal 1984, 13). Figal möchte damit deutlich machen, dass Anti-Climacus letztlich keinerlei Aussage über das Andere macht, sondern ausschließlich vom Selbst spricht. Das Selbst ist es, das sich mit dieser Andersheit auseinandersetzen muss und dadurch damit konfrontiert ist, nicht Grund seiner selbst zu sein. Das Verhältnis zu einem Anderen meint das Verhalten zur Abgründigkeit der eigenen Faktizität. »Erst indem Kierkegaard also die These von der Gesetztheit des Selbst als These von der Gesetztheit des Selbst durch ein Anderes formuliert, berücksichtigt er, daß das Selbst sich zu seiner Faktizität verhält.« (Figal 1984, 13) In der gleichen Ausgabe der Kierkegaardiana wie Figal hat auch Poul Lübcke eine Interpretation der Bestimmung des Selbst in der Krankheit zum Tode vorgelegt. Er macht darauf aufmerksam, dass Anti-Climacus zwar einerseits meint, dass das Selbst von einem Anderen abhängig ist, aber andererseits auch festgehalten werden muss, dass dieses Andere nur durch das Verhältnis des Selbst zu diesem eingeführt wird (vgl. Lübcke 1984, 59 f.). Soweit geht die Interpretation von Lübcke also noch weitgehend mit jener von Figal konform. Lübcke versucht seiner Interpretation allerdings in weiterer Folge eine andere Stoßrichtung zu geben. Er schreibt: »Auf der einen Seite hat Anti-Climacus eine dogmatische Voraussetzung darüber, dass ein Schöpfergott existiert; auf der anderen Seite schwebt diese Dogmatik nicht in der Luft, sondern fungiert als Übersetzungs-Instanz für eine bestimmte existenzielle Situation, nämlich der Begegnung des Menschen mit der Frage nach gut und böse.« (Lübcke 1984, 60; Übersetzung von mir, G. T.) Lübcke möchte also darauf hinweisen, dass es bei dieser Rede von der Setzung des Selbst durch ein Anderes nicht so sehr um die Faktizität des Selbst geht, sondern um die Aufstellung eines Maßes bzw. Zieles: »Diese Setzung oder Schöpfung, auf welche Anti-Climacus hinweist, ist nicht die faktische Hervorbringung von diesem oder jenem (in casu: einem Menschen), sondern im Gegenteil, die Aufstellung

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eines Maßes/Zieles 94 für das gute Leben.« (Lübcke 1984, 60; Übersetzung von mir, G. T.) Etwas mehr als ein Jahrzehnt später macht Arne Grøn in einem Artikel, der sich vor allem mit dem zumeist weniger beachteten zweiten Teil der Krankheit zum Tode beschäftigt, ebenfalls auf diese teleologische Orientierung aufmerksam. Allerdings darf dieses teleologische Moment nicht missverstanden werden. Grøn schreibt daher: »In contradiction to a Hegelian phenomenology, the progression in C.B and in B of Part Two has a negative character. The telos of the progression is that which, in a decisive sense, is not actualized in the process.« (Grøn 1997a, 49) Wie dieses »Telos« in der Krankheit zum Tode zu verstehen ist, ergibt sich aus einer Besonderheit der dänischen Sprache. Um diese zeigen zu können, muss ich zunächst eine Passage zitieren, die auch bei Grøn die Entscheidende für seine Interpretation ist. So wie man nur gleichartige Größen addieren kann, so ist ein jedes Ding qualitativ das, womit es gemessen wird; und das, was qualitativ sein Maßstab [Maalestok] ist, ist ethisch sein Maß/Ziel [Maal]; und der Maßstab und das Maß/Ziel sind qualitativ das, was etwas ist, mit der Ausnahme des Verhältnisses in der Welt der Freiheit, wo unterdessen einer, dadurch qualitativ nicht das zu sein, was sein Maß/Ziel und sein Maßstab ist, diese Disqualifikation selbst verschuldet haben muss, so dass das Maß/Ziel und der Maßstab doch – urteilend das Gleiche bleiben, es offenbar machen, was er nicht ist, das nämlich, was sein Maß/Ziel und Maßstab ist. 95 (SKS 11, 193 f. / KT 78)

Dass »Maal« sowohl Ziel als auch Maß bedeuten kann, 96 ermöglicht es Anti-Climacus, das Ziel des Menschen als das Maß im Sinne des Ver94 Ich lasse die Doppeldeutigkeit bei der Übersetzung von »Mål« als sowohl »Maß« als auch »Ziel« hier unkommentiert bestehen, weil ich darauf gleich in Zusammenhang mit dem Text der Krankheit zum Tode eigens zu sprechen kommen werde. 95 »Som man kun kan addere eensartede Størrelser, saaledes er enhver Ting qvalitativt Det, hvormed den maales; og Det, der qvalitativt er dens Maalestok, er ethisk dens Maal; og Maalestokken og Maalet er qvalitativt Det, Noget er, med Undtagelse da af Forholdet i Frihedens Verden, hvor imidlertid En ved ikke qvalitativt at være Det, som er hans Maal og hans Maalestok, selv maa have forskyldt denne Disqvalification, saa Maalet og Maalestokken dog – dømmende bliver den samme, gjør det aabenbart, hvad det er han ikke er, Det nemlig, som er hans Maal og Maalestok.« 96 Die Sache gestaltet sich noch ein wenig komplizierter als hier dargestellt, weil »Maal« im Sinne von telos sowohl Ziel als auch Zweck bedeuten kann; ich habe diese beiden Bedeutungen in der Übersetzung als Ziel zusammengefasst. Ebenso beinhaltet »Maal« im Sinne von Maß eine Doppeldeutigkeit, weil es sowohl die Maßeinheit bedeutet kann als auch den Vorgang des Vermessens, das Maß nehmen; diese zwei Bedeu-

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hältnisses zu seinem Maßstab zu bestimmen. Anti-Climacus kann daher auch schreiben, dass im ersten Teil der Krankheit zum Tode von einem »menschlichen Selbst« die Rede ist, und zwar deswegen, weil der Maßstab für dieses Selbst der Mensch ist. Im zweiten Teil hingegen ändert sich die Perspektive, und zwar deswegen, weil Gott zum Maßstab wird. Und daher kann Anti-Climacus hier von einem »theologischen Selbst« sprechen (vgl. SKS 11, 193 / KT 77 f.). Arne Grøn macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass das (Selbst-)Verhältnis, solange es sich selbst zum Maßstab nimmt, ungebrochen bleibt. Die Figuren der Verzweiflung in der Krankheit zum Tode werden aber anhand eines Maßstabes beurteilt, der nicht ihr eigener ist (vgl. Grøn 1997a, 42). Die nunmehr anhand des Maßstabes zu verstehende teleologische Orientierung der Krankheit zum Tode findet sich also folglich auch schon im ersten Teil – sofern es auch hier einen Maßstab für die Formen der Verzweiflung gibt – und bleibt das ganze Buch hindurch bestimmend. In seiner Replik auf Michael Theunissens Analysen macht Alastair Hannay ebenfalls auf diese teleologische Orientierung aufmerksam. Er verengt diese aber dahingehend stark, dass er es strikt mit der Annahme eines von Gott gegeben Selbst verknüpft. Verzweiflung liegt demzufolge dann vor, wenn es nicht gelingt, dem gottgegebenen Selbst und dem damit etablierten Maß und Ziel zu entsprechen. Daher kann Hannay auch behaupten, alle Formen der Verzweiflung ließen sich auf eine Grundform zurückführen, nämlich: Sich selbst sein wollen, d. h., das Selbst sein wollen, das einem von Gott gegeben ist (vgl. Hannay 1994, 6). Hannays Argument ist, dass diese Form der Verzweiflung, die er als die grundlegende identifiziert, nicht möglich wäre, wenn von der Idee eines von Gott gegebenen Selbst abgesehen werde (vgl. Hannay 1994, 8). Hannay fasst dies nun folgendermaßen zusammen: So Kierkegaard claims there is this notion of selfhood that is a notion of a God-established self and asserts that any striving after a goal of selfhood that is not an acceptance of this ideal is despair. In a way, I suspect, he is really claiming that any striving after a goal of selfhood at all is despair […] because to strive in this self-improving way is to try to be a self in a way that is not that of being a God-established self, and only the latter gives you the condition in which you can be rid of despair. At any rate, I understand Kierketungen scheinen mir mit Maß zutreffend ins Deutsche übersetzt, da auch das deutsche Wort dieselbe Doppeldeutigkeit enthält.

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gaard’s main claim to be that the fundamental form that despair takes […] is that of aiming at, or willingly accepting, specifications of selfhood that do not have the form of a selfhood established by God. (Hannay 1994, 9)

Hannay argumentiert also unmissverständlich dafür, dass die Rede von der Setzung des Selbst durch ein Anderes sich nur theologisch deuten lässt in Hinblick auf eine Schöpfung des Selbst durch Gott, die zugleich den ethischen Maßstab für das Selbst abgibt. Damit ist aber die Möglichkeit einer Lektüre dieser Passage abseits von theologischen Vorannahmen, die für viele wohl schwer zu akzeptieren sind und deren Einsichtigkeit dann erst andernorts erwiesen werde müsste, von Vornherein verbaut. Außerdem scheint mir Hannay nicht danach zu fragen, wie sich ein solches Gottesverhältnis im Selbstverhältnis zeigen könne – was ja, wenn wir uns auf diese Fragen einlassen wollen, die wohl grundlegendste und spannendste Frage ist. Er löst die Frage nach dem Verhältnis zu einem Anderen – Gott: wobei es ja doch auch beachtenswert ist, dass der Name »Gott« in der endgültigen Fassung der Krankheit zum Tode an dieser Stelle wohl mit Absicht weggelassen wurde – schon im Vornherein auf, wenn er diese Setzung durch Gott als gesichert voraussetzt. Aber vielleicht weist Hannay mit seiner verengten Auslegung dennoch in eine Richtung, in welche es, sich von dieser Verengung lösend, konsequent weiter zu fragen gilt. Soweit ein stark verkürzter und selektiver Abriss dieser festgefahrenen Debattenlage. Im Angesicht dieser Debatte scheint mir Marius Mjaaland eine der originellsten und spannendsten Interpretation eines Textes von Søren Kierkegaard überhaupt vorgelegt zu haben, weswegen ich jetzt auf seinen kurzen Aufsatz zu sprechen kommen möchte. Seine These lautet, dass die Frage nach dem Selbst vom Selbst her nicht gelöst werden kann, sondern immer nur vom Anderen her. Das Andere wird als Voraussetzung gesetzt, aber gleichzeitig ist es der Grund für die Verzweiflung. Was hier unternommen wird ist ein Versuch, die Dialektik des Selbst von der Alterität her auszuarbeiten, was einerseits die Logik des Textes kompliziert und widersprüchlich macht, andererseits aber die Möglichkeit eines anderen Denkens der Frage nach dem Menschen eröffnet. (Mjaaland 2005, 59)

Mjaaland argumentiert, dass das Verhältnis zwischen Selbst und einem Anderen den anderen Verhältnissen, die in der Bestimmung des Selbst vorkommen, vorausgeht, weil das Verhältnis zu einem Anderen jene A

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Instanz ist, die das (Selbst-)Verhältnis als Ganzes trifft und in Frage stellt. Im Sich-zu-sich-selbst-Verhalten verhält sich das Selbst immer auch zu einem Anderen. In jedem Verhalten geht es dem Selbst auch um sein Verhältnis zu Anderem, gleichwie es im Verhältnis zu Anderem dem Selbst immer auch um die anderen Verhältnisse geht (vgl. Mjaaland 2005, 64). Das hier angesprochene Andere deutet dabei auf ein Außerhalb des (Selbst-)Verhältnisses und wird in dieser Funktion konsequenterweise nicht näher bestimmt, sondern in dieser Andersheit stehen gelassen (vgl. Mjaaland 2005, 62). Würde es eine nähere Bestimmung erhalten, dann wäre diese Andersheit aufgehoben, das Andere wäre dann eine weitere Instanz des Selbst als (Selbst-)Verhältnis. In Hinblick auf die Verzweiflung meint Mjaaland, dass diese von Anti-Climacus auf einen zweifachen Ursprung zurückgeführt wird: Einerseits das Selbst, insofern die Zusammensetzung der Synthese nicht gelingt, weil das Selbst nicht sich selbst sein will; andererseits das Verhältnis zu einem Anderen, insofern die Zusammensetzung nicht durch das Selbst allein, sondern nur im Verhältnis zu einem Anderen gelingen kann (vgl. Mjaaland 2005, 65). Darauf aufbauend führt Mjaaland weiter aus, dass dieser zweifache Ursprung der Verzweiflung für das Selbst in seiner Innenperspektive »erst durch eine Aporie des Willens im eigenen Selbstverhältnis sichtbar [wird], und zwar als verzweifelter Widerspruch von Wollen und Nicht-Wollen, sich selbst zu sein« (Mjaaland 2005, 65). Dass dieser zweifache Ursprung aber in der Innenperspektive des Selbst nur als Aporie erfahren werden kann, ist für Mjaaland »der einzige direkte Ausdruck für die konsequent durchdachte Alterität des Anderen, der immer nur indirekt und durch ein Missverhältnis im Selbst erkannt werden kann« (Mjaaland 2005, 66). Mjaalands grundlegender Einwand gegen Theunissen ist es, dass dieser diesen zweifachen Ursprung der Verzweiflung nicht bemerkt hat, sondern die Verzweiflung auf einen Ursprung zurückführen möchte, nämlich das Selbst (vgl. Mjaaland 2005, 67). Theunissen hat die Dialektik von Selbst und Anderem durch eine Dialektik im Selbst ersetzt, konnte damit die entscheidende Aporie aber nie in den Blick bekommen. Mjaaland meint aber, dass dieser Einwand nicht nur Theunissen treffe, sondern letztlich die gesamte Debatte, weil alle Teilnehmenden auf diese unhinterfragte Prämisse Theunissens aufbauen und damit das Alteritätsverhältnis und die Aporie von Anfang an aus dem Blick verlieren (vgl. Mjaaland 2005, 69). 104

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Das Verhältnis als durch ein Anderes gesetzt

Mjaaland vertritt des Weiteren die provokante These, dass wenn das Alteritätsverhältnis erst einmal ausgeblendet ist, dann eigentlich überhaupt kein Problem mehr bestehen bleibt: »Wenn man vom Anderen absehen will, den Anderen als Problem schon von vornherein ausblenden will, lässt sich der Widerspruch des Willens leicht auflösen, indem man die Verzweiflung auf ein Nichtselbstseinwollen zurückführt und von da aus die Dialektik des Selbst erschließt.« (Mjaaland 2005, 72) Damit kann der Grund der Verzweiflung aber auch nicht mehr so gefasst werden, dass das Problem darin bestünde, dass das Selbst nicht sein will, was es ist, nämlich dieses konkrete Selbst (dies ist sinngemäß die Formulierung von Theunissen); denn gerade das konkrete Selbst, das hier vorausgesetzt wird, ist es, das durch das Verhältnis zu einem Anderen in Frage gestellt wird. »Das konkrete Selbst, das, was ›wir sind‹, darf nicht so selbstverständlich vorausgesetzt werden. Es soll im Gegenteil andersverständlich hinterfragt werden. Es ist immer andersverständlich, und gerade um dieses anders und dieses Andere geht es in der Aporie des Selbst.« (Mjaaland 2005, 71) Auch Mjaaland macht darauf aufmerksam, dass es Anti-Climacus in diesem Alteritätsverhältnis – wie auch der Kontext der Krankheit zum Tode belegt – um ein Gottesverhältnis geht. Doch es ist gerade die Alterität Gottes, die hier in den Blick genommen wird als das radikal Andere, das doch zugleich dem (Selbst-)Verhältnis zugrunde liegt. Daher ist es auch konsequent, dass der Name »Gott« vermieden wird, weil, wie Mjaaland schreibt: »der Name oder die Benennung Gottes, die Ökonomie der Sprache, die auf Gott zurückgeht, selbst problematisiert werden soll« (Mjaaland 2005, 75). Das Verhältnis des Menschen zu Gott zeichne sich, so Mjaaland, durch ein »grundsätzliches Nicht-Wissen« aus und »dieses Nicht-Wissen im Verhältnis zu Gott wird so zum neuen Ausgangspunkt für die Selbsterkenntnis gemacht« (Mjaaland 2005, 76). »Kierkegaard versucht immer wieder zu zeigen, warum der Mensch sich selbst ein Rätsel bleibt« (Mjaaland 2005, 76), und gerade diese Rätselhaftigkeit, die sich als eine Aporie im Selbst zeigt, ist es, die hier in ihrer Rätselhaftigkeit ernst genommen werden muss. Hier sehe ich aber durchaus eine Anschlussfähigkeit dieser Lektüre Kierkegaards zu den Ausführungen Heideggers. Denn auch bei Heidegger findet sich ein ähnlicher Bezug auf Alterität. Dabei ist jedoch zu beachten, dass dieser Alteritätsbezug bei Heidegger nicht in A

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der Beziehung auf einen Anderen – weder einen konkreten Anderen in Form eines Mitmenschen, noch einen Anderen, der mit dem Namen »Gott« angesprochen werden könnte – gefunden wird, sondern anhand einer Erfahrung der Entzogenheit des Selbst für sich selbst aufbricht. Denn wenn wir das Rätsel des Dass, mit welchem Heidegger uns konfrontiert, als diesen grundlegenden Entzug (von Sinn im Sinn), der ins Dasein herein steht und von diesem nur innerhalb seines Sinnhorizontes als dieser Entzug erfahren werden kann (als der Entzug des Sinnes des Sinns), verstehen, dann haben wir es hier mit einer für das Dasein konstitutiven, radikalen Erfahrung der Alterität zu tun, die mir – sofern wir der Interpretation von Mjaaland vertrauen können – jener nicht unähnlich zu sein scheint, mit der uns Anti-Climacus konfrontieren möchte. Es wäre somit also eine geteilte Erfahrung eines konstitutiven Entzugs im Selbst, welche sowohl Anti-Climacus als auch Heidegger dazu antreibt, einen Diskurs über den Bezug des Menschen zur Alterität zu führen; einem Bezug, der – wie ich zu zeigen versucht habe – bei diesen beiden Denkern in seinem konkreten Nachvollzugs durchwegs verschiedene Form angenommen hat.

Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen Nach der Behandlung des (Selbst-)Verhältnisses hinsichtlich des Aspektes, dass es von einem Anderen gesetzt ist, will ich nunmehr noch einmal auf die Bestimmung des Menschen als Synthese zurückkommen. Wenn wir die erstmalige Erwähnung der Synthesenbestimmung in der Anfangspassage der Krankheit zum Tode mit der späteren Analyse der Synthesen hinsichtlich ihrer Momente in Abschnitt C.A vergleichen, ist es bemerkenswert, dass Anti-Climacus einer der drei am Anfang genannten Synthese, nämlich jener des Zeitlichen und des Ewigen, in der späteren Behandlung keinen eigenen Abschnitt widmet. Ja, mehr noch, jene dritte Synthese scheint im weiteren Verlauf der Krankheit zum Tode überhaupt nicht mehr vorzukommen. Wie ist dies zu erklären? Meine These lautet, dass Anti-Climacus der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen deswegen keinen eigenen Abschnitt widmet, weil diese Synthese für ihn eine herausragende Stellung einnimmt, weswegen sie nicht auf eine Synthese neben den anderen reduziert werden kann. Ich möchte dabei soweit gehen zu behaupten, dass die Synthese des Zeitlichen und Ewigen nicht nur innerhalb der Syn106

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thesenstruktur eine herausragende Position einnimmt, sondern gewissermaßen zum Ausdruck für die Bestimmung des Menschen als Synthese insgesamt wird. Für die Bewährung dieser These zeigt sich allerdings sogleich die Schwierigkeit, dass Anti-Climacus keine Bemerkungen – zumindest keine expliziten – zum Verhältnis des Zeitlichen und des Ewigen und dessen Stellung hinsichtlich der Bestimmung des Menschen macht. Wenn wir allerdings auf einen breiteren Textkorpus aus dem Œuvre Kierkegaards zurückgreifen, lässt sich leicht aufzeigen, dass diese Synthese eine außerordentlich wichtige Rolle bei ihm einnimmt. Auch in der Abhandlung Der Begriff Angst 97 , welche in der Einleitung als zentraler Text in Hinblick auf die Thematik der Zeitlichkeit bei Kierkegaard herausgehoben wurde, findet sich nicht zufällig eine ausführliche Behandlung der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen. Ich möchte daher vorschlagen, an dieser Stelle auf diese Ausführungen zu sprechen zu kommen und diese einer detaillierten Lektüre zu unterziehen. In Der Begriff Angst findet sich zunächst folgende, sich stark an die Tradition anschließende Bestimmung des Menschen als Synthese, der zufolge »der Mensch eine Synthese von Seele und Leib ist, welche von Geist 98 konstituiert und getragen wird« 99 (SKS 4, 384 / BA 82). Hauf97 Der volle Titel lautet: Der Begriff Angst. Eine simple psychologisch-hinweisende Überlegung in Richtung auf das dogmatische Problem der Erbsünde. Als Pseudonym fungiert ein gewisser Vigilius Haufniensis. 98 In Der Begriff Angst wird durchgehend die Bestimmung des Menschen als ›Geist‹ verwendet und diese nicht wie in der Krankheit zum Tode näher präzisiert in Hinblick auf eine Bestimmung des ›Selbst‹. Dies scheint damit zusammen zu hängen, dass Vigilius Haufniensis noch an einer Konzeption von Geist festhält, in der das Individuum dadurch, dass es Geist ist, an etwas Überindividuellem partizipiert: »[W]as das Wesentliche in der menschlichen Existenz ist, dass der Mensch Individuum ist und als solches zugleich sich selbst und das ganze Geschlecht, dergestalt, dass das ganze Geschlecht am Individuum partizipiert und das Individuum am ganzen Geschlecht.« (SKS 4, 335 / BA 25) Vigilius Haufniensis kannte also noch nicht die komplexe Bestimmung des Selbst als Sich-zu-sich-selbst-Verhalten, wie sie erst fünf Jahre später von Anti-Climacus präsentiert wurde. Nichtsdestotrotz scheinen mir die Ansätze der beiden Pseudonyme zumindest hinsichtlich der Synthesenstruktur in ihren Grundsätzen große Parallelen aufzuweisen, weswegen es nicht unberechtigt ist anzunehmen, dass sie in Hinblick auf die Bestimmung der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen zumindest von dem gleichen Sachverhalt sprechen. 99 Diese Bestimmung wird in Der Begriff Angst mehrfach wiederholt (vgl. SKS 4, 349 / BA 41 f. und SKS 4, 367 / BA 51).

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niensis bleibt allerdings nicht bei dieser Bestimmung stehen, sondern fügt dieser ersten Synthese kurze Zeit später noch eine weitere Bestimmung des Menschen anhand einer zweiten Synthese hinzu: »Der Mensch war also eine Synthese von Seele und Leib, aber er ist zugleich eine Synthese des Zeitlichen und des Ewigen.« (SKS 4, 388 / BA 68) Zum Zusammenhang der beiden Synthesen meint Haufniensis: »Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ist keine zweite/andere [anden] Synthese, sondern der Ausdruck [Udtrykket] für jene erste Synthese, welcher zufolge der Mensch eine Synthese von Seele und Leib ist, die von Geist getragen wird.« (SKS 4, 392 / BA 90) Es stellt sich nunmehr die Frage, wie diese Konkretisierung des Zusammenhangs der beiden Synthesenbestimmungen zu verstehen ist. Wie sollen wir das Verhältnis dieser beiden Bestimmungen interpretieren? Meiner Meinung nach gibt es drei prinzipielle Möglichkeiten, wie dieser Satz ausgelegt werden könnte. Erstens könnte er so gelesen werden, dass es sich bei der zweiten Synthese nur um eine andere Formulierung der ersten Synthese handelt und diese zweite Synthese folglich sachlich keine Neuerung brächte. Das Zeitliche und das Ewige wären in diesem Fall nur andere Ausdrücke für das Leibliche und das Seelische und wenn man die Bestimmung des Menschen als Synthese verstehen wollte, dann müsste man folglich zunächst seine Zusammensetzung aus Leib und Seele verstehen und könnte dann in einem zweiten Schritt sagen, dass dieses Verständnis auch für die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen zuträfe. Die zweite Möglichkeit ist, dass der Satz besagen möchte, dass es sich bei den beiden Bestimmungen um zwei gleichrangige Synthesen handelt, die sozusagen nebeneinander bestehen. Wollte man also die Bestimmung des Menschen als Synthese verstehen, so müsste man zunächst die beide Synthesen für sich gesehen verstehen und könnte dann in einem weiteren Schritt nach ihrem Zusammenhang fragen, um so zur vollen Bestimmung des Menschen als Synthese zu gelangen. Die dritte Möglichkeit geht davon aus, dass die Aussage, dass die zweite Synthese »der Ausdruck« [Udtrykket] für die erste Synthese sei, so zu verstehen ist, dass in dieser zweiten Synthese ausgedrückt wird, was die erste Synthesenbestimmung eigentlich besagt. Mit den Worten von Arne Grøn: »The second synthesis – the human being as a synthesis of the temporal and the eternal – is what the first synthesis is all about.« (Grøn 2001, 137) Daraus folgt also, dass die eigentliche Bedeutung der ersten Synthese, der zufolge der Mensch eine Synthese von Leib und Seele ist, erst durch deren weitere Bestim108

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mung in einer zweiten Synthese, nämlich jener des Zeitlichen und des Ewigen, einem angemessenen Verständnis zugeführt wird. Ich möchte mich Arne Grøn anschließen und für die zuletzt genannte Möglichkeit argumentieren, also dafür, dass uns erst die zweite Synthese, also jene, der zufolge der Mensch eine Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ist, darüber Auskunft gibt, wie die Bestimmung des Menschen als Seele und Leib konstituiert und getragen von Geist eigentlich zu verstehen ist. Für diese Interpretation spricht unter anderem, dass Haufniensis sich – wie ich bereits im Kapitel Der Mensch als Synthese gezeigt habe – für die Bestimmung des Menschen als Synthese von Leib und Seele nicht sonderlich zu interessieren scheint, sondern diese Bestimmung zwar als durch die Tradition vorgegeben übernimmt, für seine eigene Bestimmung des Menschen aber andere Akzente setzen möchte. Diese veränderte Akzentsetzung von Haufniensis zeigt sich an der in Frage stehenden Stelle besonders deutlich, wenn er darauf drängt, die entscheidende Bestimmung des Menschseins in der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen festzumachen. Wenn wir uns nun mit Haufniensis daran machen, den Bestimmungen des Menschseins nachzudenken, indem wir uns darauf einlassen, dieses nicht als Synthese von Leib und Seele, sondern als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen in den Blick zu nehmen, »so fällt es sofort auf, dass sie [diese zweite Synthese; Anmerkung von mir, G. T.] anders gebildet ist als die erste« (SKS 4, 388 / BA 86). Der Unterschied zwischen den beiden Synthesen wird von Haufniensis sehr präzis festgehalten: In der ersten waren Seele und Leib die beiden Momente der Synthese und der Geist das Dritte, doch solcherart, dass eigentlich erst die Rede von einer Synthese war, als der Geist gesetzt war. Die zweite/andere [anden] Synthese hat nur zwei Momente: Das Zeitliche und das Ewige. Wo ist hier das Dritte? Und ist da kein Drittes, dann ist da eigentlich keine Synthese, denn eine Synthese, welche ein Widerspruch ist, kann als Synthese nicht vollständig sein, außer in einem Dritten […]. (SKS 4, 388 / BA 86)

Haufniensis scheint also mit den Ausführungen von Anti-Climacus – wie in den vorangegangenen Kapiteln behandelt – darin übereinzustimmen, dass eine Synthese nicht einfach eine Beziehung von zwei Momenten zueinander ist, sondern definitionsgemäß eines Dritten bedarf, damit sie sämtliche Kriterien erfüllt, um als Synthese klassifiziert werden zu können. Im Falle der Beziehung von Leib und Seele, mit A

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Geist als Drittem, stellt es also kein Problem dar, von einer Synthese zu sprechen. Doch wie ist dies im Fall jener zweiten Synthese? Diese zweite Synthese scheint doch offensichtlich eines Dritten zu ermangeln. Wenn dem aber so ist, dann stellt sich die Frage, ob es – der Definition von Synthese zufolge, über welche sich Haufniensis und Anti-Climacus einig zu sein scheinen – im Falle der Beziehung des Zeitlichen und des Ewigen überhaupt berechtigt ist, von einer Synthese zu sprechen, wenn anders festgehalten werden muss, dass diese Beziehung eine der wesentlichen Bestimmung einer Synthese offensichtlich nicht erfüllt. Begeht Haufniensis hier nicht einen Fehler bzw. macht er sich nicht einer Inkonsistenz schuldig, wenn er eine Beziehung als Synthese bezeichnet, die der Definition einer Synthese, die er ansonsten doch anerkennt, eindeutig nicht genügt? Überraschenderweise macht Haufniensis keinerlei Anstalten, dieses offensichtliche Problem aufzulösen, sondern macht seinerseits – wie das angeführte Zitat zeigt – sogar noch explizit darauf aufmerksam. 100 Statt dem Problem weiter nachzugehen, stellt Haufniensis, ohne jegliche Überleitung direkt an das oben angeführte Zitat anschließend, eine weitere Frage, deren Zusammenhang mit dem zuvor Gesagten mitunter nicht unmittelbar ersichtlich ist. Er fragt: »Was ist dann das Zeitliche?« (SKS 4, 388 / BA 86) Wie ist dieser abrupte und unvermittelte Übergang zu verstehen? Mir scheint, dass Haufniensis mit diesem Übergang sagen möchte, dass das Problem des fehlenden Dritten in dieser Synthese dadurch zu klären sei, dass einem der Momente der Synthese nachgegangen werde, nämlich dem Zeitlichen. Es 100 Dieses Problem wurde auch in der Sekundärliteratur gesehen. So von Mark C. Taylor, der schreibt: »The eternal component of the self system is nothing other than the self itself.« (Taylor 1973, 321) »[T]he self cannot be the means by which the temporal and the eternal components of the self system are synthesized, for Kierkegaard identified the self with one of these two components (the eternal).« (Taylor 1973, 324) Taylor sieht also das Problem, dass es in dieser zweiten Synthese kein Drittes mehr gibt, das die Synthese zusammensetzen könnte. Er präzisiert das Problem aber dahingehend, dass es in dieser Synthese kein Drittes mehr gebe, weil jene Instanz, welche normalerweise dieses Dritte sein sollte, nämlich das Selbst, bereits als eines der Momente, nämlich als das Ewige, an dieser Synthese teilhabe. Fragwürdig an dieser Interpretation ist die Gleichsetzung des Selbst mit dem Ewigen, die sich im Text nicht eindeutig nachweisen lässt. Wie ich gleich zeigen werde, denke ich, dass die von Haufniensis gleich anschließend gestellte Frage in eine andere Richtung führt. Sie streicht nämlich nicht das Moment des Ewigen heraus, sondern das Moment des Zeitlichen, das nunmehr zum zentralen Problem wird, dem genauer nachgegangen werden muss.

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scheint also das zuvor skizzierte Problem zu sein – dass es in der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen offensichtlich kein Drittes mehr gibt –, das Haufniensis dazu führt, nach einem der Momente der Synthese zu fragen. Angesichts dieser Fragwürdigkeit in der Konzeption der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen stellt er also die Frage, wie denn das Zeitliche beschaffen sei. Solcherart kommt Haufniensis also zu der Frage, wie denn das Zeitliche in Zusammenhang mit der Seinsart des Menschen – als deren wesentliche Bestimmung zuvor die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen eingeführt wurde – zu verstehen ist. Auf diese Hinleitung folgt in Der Begriff Angst die konziseste Behandlung der Zeit in Kierkegaards Œuvre überhaupt. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels geht es darum, diese wenigen Seiten, welche eine Philosophie der Zeit in äußerst komprimierter Form enthalten, einer genauen Lektüre zu unterziehen und die wesentlichen Pointen von Haufniensis Behandlung der Zeit herauszuarbeiten. Wie bestimmt Haufniensis also die Zeit? Er beginnt zunächst wieder mit einer Anknüpfung an die Tradition: »Wenn man die Zeit richtig als die unendliche Sukzession bestimmt […]« (SKS 4, 388 / BA 86). Haufniensis meint also, dass es sich bei der traditionellen Bestimmung der Zeit, welche er daran festmacht, dass die Zeit als eine »unendliche Sukzession« konzeptualisiert wurde, durchaus um eine sachlich zutreffende Inblicknahme der Zeit handeln kann. Dennoch zeigt er gleich im Anschluss an diesen eröffnenden Halbsatz, dass in der Bestimmung der Zeit auch eine zentrale Problematik verborgen liegt, die sich nicht innerhalb dieser traditionellen Inblicknahme lösen lässt. Doch zunächst muss auf eine Schwierigkeit für den Nachvollzug dieser Passage hingewiesen werden, die darin liegt, dass nicht eindeutig bestimmbar ist, auf welche Denker sich Haufniensis an dieser Stelle bezieht, wenn er sich mit diversen überlieferten Konzeptionen der Zeit auseinandersetzt. Bereits die einleitende Frage: »Was ist dann das Zeitliche?« [Hvad er da det Timelige?] (SKS 4, 388 / BA 86) könnte als eine Anspielung auf die Frage »Quid est enim tempus?« gedeutet werden, mit welcher Augustinus seine Abhandlung über die Zeit im XI. Buch der Confessiones einleitet. Außerdem ist anzunehmen, dass bei der Bestimmung der Zeit als unendliche Sukzession auch die Zeitabhandlung des Aristoteles im Buch IV der Physik im Hintergrund steht. Zuletzt könnte eine detaillierte Untersuchung versuchen nachzuweisen, ob A

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nicht auch die Ausführungen über die Zeit in Hegels Enzyklopädie (§§ 254 ff.) eine Rolle für Haufniensis’ Überlegungen spielen. In einer sehr oberflächlichen Leseweise kann gesagt werden, dass diesen verschiedenen Bestimmungen der Zeit gemeinsam ist, dass in ihnen die Zeit letztlich also eine Abfolge von Jetzt-Punkten in den Blick genommen wird. Zusätzlich zu dieser Konzeptualisierung der Zeit als Abfolge von Jetzt-Punkten kann konstatiert werden, dass das Jetzt in diesen Konzeptionen noch ein zweites Mal in Anschlag genommen wird, wenn nach dem Zusammenhalt der Zeit gefragt wird. Wenn zum Beispiel Aristoteles im 13. Kapitel des IV. Buches der Physik nach dem Zusammenhang der Zeit in der Mannigfaltigkeit der Abfolge der Jetzt-Punkte fragt, dann verweist er darauf, dass es das Jetzt (nyn) ist, auf das letztlich alle Zeitbestimmungen bezogen sind, und dass es folglich auch das Jetzt ist, das die Zeit zusammenhält. Diese Vorrangstellung des Jetzt – die sich letztlich wohl bei allen genannten Denkern finden lässt, an dieser Stelle aber nicht nachgewiesen, sondern nur konstatiert werden kann – ist es aber, die von Haufniensis in weiterer Folge stark in Frage gestellt wird. »Wenn man die Zeit richtig als unendliche Sukzession bestimmt«, schreibt Haufniensis: »dann liegt es anscheinend nahe, sie auch als gegenwärtige, vergangene und zukünftige zu bestimmen« (SKS 4, 388 / BA 86). 101 Während sich Haufniensis der Bestimmung im ersten Teil des Satzes anzuschließen scheint, formuliert er sogleich seinen Einwand gegen den zweiten Teil des Satzes, wenn er schreibt: »Jedoch ist diese Distinktion unrichtig, falls man meint, dass sie in der Zeit selbst liegt.« (SKS 4, 388 / BA 86) Denn um eine solche Einteilung treffen zu können, ist es notwendig, in der unendlichen Sukzession der Zeit einen Ankerpunkt ausfindig machen zu können, »d. h. ein Gegenwärtiges, welches das Teilende war« (SKS 4, 388 / BA 87), um von diesem aus die gegenwärtige, vergangene und zukünftige Zeit 101 Ebenso wie die deutschen Worte »gegen-wärtig«, »ver-gangen« und »zu-künftig« auch in ihrer wortwörtlichen Bedeutung gehört werden können, gilt dies auch für die von Haufniensis gebrauchten dänischen Worte. Es ist wichtig, dies zu beachten, weil Haufniensis in weiterer Folge mit diesen Bedeutungen spielen wird. Die Worte im Original lauten »nærværende« [nahe-seiend], »forbigangen« [vorbei/vorüber-gegangen] und »tilkommende« [zu-kommend]. Ich werde in weiterer Folge in der Regel mit den im Deutschen üblichen Worten übersetzen, außer in einigen Fällen, in denen es mir für das Verständnis dienlich erscheint, die wortwörtliche Bedeutung eigens vernehmbar zu machen.

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einzuteilen. Dieser Punkt kann aber nicht in der Zeit selbst liegen, denn »weil jeder Moment, ebenso wie die Summe der Momente es ist, Prozess ist (ein Vorüber-Gehen [Gaaen-Forbi]) 102 , so ist folglich kein Moment ein gegenwärtiger, und insofern ist in der Zeit weder ein Gegenwärtiges, noch ein Vergangenes oder ein Zukünftiges« (SKS 4, 388 f. / BA 87). Wenn die Bestimmung der Zeit als unendliche Sukzession richtig ist, und wenn wir diese Bestimmung richtig verstehen, dann muss laut Haufniensis also daraus gefolgert werden, dass es nicht möglich ist, in dieser unendlichen Abfolge der Jetzt, welche die Zeit ist, einen Ankerpunkt, d. h. ein diesen Namen verdienendes Gegenwärtiges, zu fixieren. Wenn dies aber nicht möglich ist, ist es auch nicht möglich, die Zeit in vergangene, gegenwärtige und zukünftige Zeit einzuteilen, oder genauer, diese Einteilung kann nicht aus der Zeit selbst getroffen werden. Haufniensis meint, wenn man dennoch an dieser Einteilung der Zeit festhält, dann deswegen, weil man »einen Moment der Zeit spatiiert« 103 . Wenn man dies aber tut, dann denkt man die Zeit nicht mehr, sondern lässt sie »für die Vorstellung sein« (SKS 4, 389 / BA 87). Doch auch damit erreicht man nie ein wahrhaft Gegenwärtiges, »denn selbst für die Vorstellung ist die unendliche Sukzession der Zeit ein unendliches inhaltsloses Gegenwärtiges. (Dies ist die Parodie des Ewigen.)« (SKS 4, 389 / BA 87) In beiden angeführten Fällen also, sowohl bei der Auffassung der Zeit als Abfolge von Jetzt als auch bei der in die Vorstellung verlagerten Spatiierung der Zeit, kommen wir zum selben Ergebnis, nämlich dazu, dass sich in dieser Zeitauffassung überhaupt kein wahrhaft Gegenwärtiges ausfindig machen lässt und dass somit auch die Einteilung der Zeit in gegenwärtige, vergangene und zukünf102 Haufniensis verallgemeinert hier also, dass es insgesamt die Bestimmung der Zeit ist »vorüber-zu-gehen« [at gaae forbi]; dass die Zeit als unendliche Sukzession also insgesamt als »vergangene« [forbigangne] – im Sinne von vorübergegangene – Zeit zu bestimmen ist (vgl. SKS 4, 390 / BA 88). Diese Interpretation hat eine gewisse Relevanz, weil sie einhergeht mit dem Sachverhalt, dass Haufniensis dem Griechentum insgesamt vorwirft, keinen eigentlichen Bezug auf Zukunft zu haben. Darin deutet sich schon eine Unterscheidung zwischen dem griechischen – auf Vergangenheit orientierten – und dem christlichen – auf Zukunft gerichteten –Verständnis der Zeit an, auf welche Unterscheidung Haufniensis bereits hier abzuzielen scheint. Eine nähere Erörterung dieser Thematik folgt im Kapitel Zeitlichkeit und Ewigkeit. 103 Hier ist ein Zusammenhang mit lateinisch »spatio«, »sich ausbreiten/ausdehnen« zu vermuten. Mit der Transferierung der Zeit in die Vorstellung scheint für Haufniensis also eine Form der Verräumlichung der Zeit einherzugehen.

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tige sich nicht aus der Zeit selbst herleiten lässt. Daran kann aber positiv festgehalten werden, dass das Gegenwärtige – und folglich auch das Zukünftige und das Vergangene – nicht aus der Zeit gewonnen werden können. Gedacht oder vorgestellt ist die Gegenwart jeweils etwas anderes, als angenommen wird, dass sie sei; und jedenfalls kann aus der Zeit selbst keine Einteilung der Zeit getroffen werden; in der Zeit selbst lassen sich keine Dimensionen der Zeit ausfindig machen. Haufniensis schreibt daher kurz und prägnant: »Das Gegenwärtige ist unterdessen kein Begriff der Zeit.« (SKS 4, 389 / BA 87) Wenn diese Bestimmungen aber nicht in der Zeit selbst zu finden sind, wie kommt es dann, dass es gegenwärtige, vergangene und zukünftige Zeit gibt? Haufniensis Antwort scheint in einem ersten Vorgriff dahingehend zu sein, dass diese Bestimmungen erst dadurch ins Spiel kommen, dass Zeitliches und Ewiges in ihrem Zusammenspiel bedacht werden. In diesem Lichte müssen wir nun noch einmal auf die Passage zurückkommen, in welcher Haufniensis den Zusammenhang der beiden den Menschen bestimmenden Synthesen ausführt: »Die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ist keine zweite Synthese, sondern der Ausdruck für jene erste Synthese, welcher zufolge der Mensch eine Synthese von Seele und Leib ist, die von Geist getragen wird. Sobald der Geist gesetzt ist, ist der Augenblick da.« (SKS 4, 392 / BA 90) Augenblick aber ist Haufniensis Bezeichnung für die Gegenwart und wird als solche folgendermaßen bestimmt: »Augenblick ist jenes Zweideutige, worin die Zeit und die Ewigkeit einander berühren.« (SKS 4, 392 / BA 90) Dass die zweite Synthese der Ausdruck der ersten Synthese sei, lässt sich nun dergestalt auslegen, dass der Mensch gerade dadurch Mensch ist, dass mit ihm der Augenblick gesetzt ist. Der Augenblick ist aber jene Instanz, welche die Einteilung der Zeit in gegenwärtige, vergangene und zukünftige allererst ermöglicht. Haufniensis schreibt zwei Seiten früher fast gleich lautend: »Sollen dagegen Zeit und Ewigkeit einander berühren, so muss es in der Zeit sein, und nun sind wir beim Augenblick.« (SKS 4, 390 / BA 88) Das Sein des Menschen bestimmt sich aus diesem Zusammenspiel von Zeit und Ewigkeit, wenn anders das Menschsein als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen bestimmt wurde. Arne Grøn macht in diesem Zusammenhang auf den sehr interessanten Sachverhalt aufmerksam, dass diese Ausführungen also darauf hinauslaufen, dass das Zeitliche in der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen offensichtlich zweimal vorkommt. Einmal als eines der Elemente der Synthese und ein zweites Mal in der Definition 114

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der Synthese als Ganzes: »The self is not only a synthesis of time, but also a synthesis in time.« (Grøn 2000, 193) Ein Jahr später reformuliert Arne Grøn dies noch prägnanter: [W]e can see that temporality occurs in two places. First in the definition of the human being as a synthesis of the temporal and the eternal. And second in the definition as a whole. For what is the significance of the definition of a human being as a synthesis? Human existence as a synthesis is finite. Synthesis signifies human finitude. The synthesis itself – the very definition of the human being as a synthesis of the temporal and the eternal – is a definition of human finitude or temporality. (Grøn 2001, 131 f.)

Wenn wir der Interpretation von Arne Grøn folgen, dann können wir nunmehr auch erklären, wieso Haufniensis das Problem, dass es in der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen kein Drittes gibt, zunächst als solches stehen lässt und stattdessen danach fragt, was denn das Zeitliche sei. Denn es erweist sich nunmehr, dass es das Zeitliche ist, das eine merkwürdige Doppelstellung in der Synthese einnimmt, sofern nämlich diese Synthese nur in der Zeit vollzogen werden kann. An dieser Stelle scheint es mir aber wichtig, ein mögliches Missverständnis zu benennen, das sich aus Haufniensis mitunter irreführender Wortwahl ergibt. Mit dem Vollzug der Synthese in der Zeit muss an dieser Stelle etwas anderes gemeint sein als das In-der-Zeitsein von Objekten. Dieses in der Zeit des Vollzugs der Synthese muss sich aus der Besonderheit der Bestimmung des Menschen als diese Synthese ergeben. Wenn Haufniensis also in diesem Zusammenhang davon spricht, dass Zeit und Ewigkeit einander in der Zeit berühren, dann kann hier mit Zeit nicht einfach die Zeit als unendliche Sukzession gemeint sein, sondern Zeit muss in diesem Zusammenhang schon dahingehend in den Blick genommen worden sein, dass sie durch dieses Zusammenspiel von Zeit und Ewigkeit im Augenblick Bedeutung erhalten hat. Ich möchte zur Verdeutlichung an dieser Stelle kurz auf ein paar Ausführungen Heideggers zu sprechen kommen, welche dieser in seiner Vorlesung Die Grundprobleme der Phänomenologie vorgetragen hat. Er bezieht sich dort auf die berühmte Definition der Zeit bei Aristoteles (vgl. Physik IV, 11), die er folgendermaßen übersetzt: »[D]as nämlich ist die Zeit: ein Gezähltes, das im Hinblick und für den Hinblick auf das Vor und Nach an der Bewegung sich zeigt; oder kurz: ein Gezähltes der im Horizont des Früher und Später begegnenden BeA

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wegung.« (GA 24, 333) Heidegger weist in weiterer Folge darauf hin, dass es bereits Aristoteles war, der auf den Zusammenhang von Zeit und Menschsein aufmerksam machte, wenn er sagte, dass Zählen eine Verhaltung der Seele sei (vgl. Physik IV, 14.). Außerdem meint Heidegger diese Einschätzung untermauernd, dass proteron und hysteron sowohl »Vor und Nach« als auch »Früher und Später« bedeuten können. Früher und Später aber sind Zeitbestimmungen. »Das heißt aber doch: Die Zeit ist etwas, was im Horizont der Zeit begegnet. Zeit ist gezählte Zeit. Wenn ich sage, die Zeit ist dasjenige an der Bewegung, was sich zeigt, wenn ich sie als Bewegung im Horizont ihres Früher und Später verfolge, scheint die Definition der Zeit eine platte Tautologie zu werde: Die Zeit ist das Früher und Später, also Zeit ist Zeit.« (GA 24, 341) Doch Heidegger bleibt nicht bei dieser vermeintlichen Tautologie stehen, sondern führt daran anschließend weiter aus: »Vielleicht ist die Aristotelische Zeitdefinition keine Tautologie, sondern verrät nur den inneren Zusammenhang des Aristotelischen Zeitphänomens, d. h. der vulgär verstandenen Zeit, mit der ursprünglichen Zeit, die wir Zeitlichkeit nennen.« (GA 24, 341) Heidegger scheint an dieser Stelle also sagen zu wollen, dass es bereits Aristoteles war, der in seiner Abhandlung zur Zeit – ohne dies explizit zu fassen – bereits den Zusammenhang von Zeit als Abfolge von Jetztpunkten – was Heidegger vulgäre Zeit nennt – und eigentlich verstandener Zeit (Zeitlichkeit), die sich nur im Hinblick auf das Sein des Menschen zeigt, im Blick hatte. Zu Kierkegaards Verständnis der Zeit meint Heidegger ja bekanntlich folgendes: »Er bleibt am vulgären Zeitbegriff haften und bestimmt den Augenblick mit Hilfe von Jetzt und Ewigkeit. Wenn K. von ›Zeitlichkeit‹ spricht, meint er das ›In-der-Zeit-sein‹ des Menschen. Die Zeit als Innerzeitigkeit kennt nur das Jetzt, aber nie einen Augenblick.« (SZ 338, Anmerkung) Es ist sicherlich richtig, dass Haufniensis die Unterscheidung zwischen vulgär verstandener Zeit und Zeitlichkeit nicht explizit festhält, was auch nicht weiter verwundert, weil ihm doch zugestanden werden kann, dass diese Frage in der von Heidegger vorgetragenen Fassung außerhalb seiner Problematik gelegen ist. Wenn meine weiter oben vorgetragene Interpretation zutrifft, dann muss aber gesagt werden, dass er diese Unterscheidung in gewissem Sinne dennoch im Auge hat, wenn er von einer traditionellen Bestimmung der Zeit als unendliche Sukzession ausgehend und gegen diese sich abgrenzend darauf abzielt, die Dimensionen der Zeit aus der Zusammengehörigkeit von Zeit und Ewigkeit zu bestimmen. Gerade in dieser Be116

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strebung der Abgrenzung von der Tradition, die sich doch nicht einfach von dieser verabschieden möchte, sondern gerade durch die abgrenzende Anknüpfung an diese operiert, scheinen Haufniensis und Heidegger aber – zumindest was die klassische Definition der Zeit bei Aristoteles betrifft – überein zu kommen. Außerdem kann darauf aufmerksam gemacht werden, dass Haufniensis auch eine weitere für Heidegger zentrale Unterscheidung damit bereits implizit im Blick hatte. Heidegger unterscheidet zwischen dem »in der Zeit Sein« innerweltlicher Seiender, das er terminologisch als »Innerzeitigkeit« fasst, und der Zeitlichkeit des Daseins (vgl. GA 24, 334). Haufniensis scheint mir eine sehr ähnliche Unterscheidung zu treffen. Denn nur weil er diese Unterscheidung im Hintergrund hat, kann er schreiben, dass »das Leben, welches in der Zeit ist und alleine der Zeit zugehört, keine Gegenwart hat.« (SKS 4, 390 / BA 88) Ein solches Leben ist – um noch einmal mit Heidegger zu sprechen – zwar innerzeitig, aber deswegen noch nicht zeitlich. Haufniensis meint weiter: »Freilich pflegt man bisweilen, um das sinnliche Leben zu bestimmen, zu sagen, dass es im Augenblick sei und alleine im Augenblick sei. Man versteht dann unter Augenblick die Abstraktion vom Ewigen, welche, falls sie das Gegenwärtige sein soll, die Parodie darauf ist.« (SKS 4, 390 / BA 88) Haufniensis bezieht sich also auf den alltäglichen Sprachgebrauch, in welchem es durchaus üblich ist ein Leben, welches der vorangegangenen Analyse folgend keine Gegenwart kennt und für welches folglich die Zeit keine Bedeutung hat, dennoch mit Begriffen, die einen Bezug auf Zeit haben, zu beschreiben. Man nennt es zum Beispiel »im Augenblick seiend«. Doch macht Haufniensis darauf aufmerksam, dass hier genau darauf geachtet werden muss, wie diese zeitlichen Bestimmungen in diesem Zusammenhang zu verstehen sind. Haufniensis meint dazu, dass Augenblick zum Beispiel nicht wie im Falle seines angemessenen Verständnisses die Gegenwart meint, sondern eine Parodie dieser. Als Bestimmung des Lebens genommen meint Augenblick also gerade nicht das gleiche wie im Zusammenhang mit dem Sein des Menschen. Haufniensis schreibt daher auch unmissverständlich: »Die Natur liegt nicht im Augenblick.« (SKS 4, 390 / BA 88) Für die Natur hat die Zeit keine Bedeutung, sie liegt zwar in der Zeit, dieses In-der-Zeit-sein muss aber davon unterschieden werden, wie die Zeit für den Menschen, der eine Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ist, Bedeutung gewinnt. Wenn wir diese beiden Unterscheidungen von Haufniensis – jene zwischen Zeit als unendlicher Sukzession und A

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der Dimensionalität der Zeit infolge des Zusammenspiels von Zeit und Ewigkeit bzw. jene zwischen der Innerzeitigkeit der Natur sowie des Lebens und dem davon zu unterscheidenden Modus des in-der-ZeitSeins des Menschen – aber ernst nehmen, dann kann in diesem Zusammenhang bereits gesagt werden, dass »von hier aus […] Heideggers Auffassung der Zeitlichkeit Kierkegaards als eines ›vulgären Zeitbegriffs‹ unverständlich [scheint].« (Riemer 1979, 326) Doch es sollen voreilige interpretatorische Schlüsse vermieden werden, weswegen ich meinen Fokus wieder auf Haufniensis Text richten möchte, dem noch eingehender nachzudenken ist. »Sollen dagegen Zeit und Ewigkeit einander berühren, so muss es in der Zeit sein, und nun sind wir beim Augenblick.« (SKS 4, 390 / BA 88) Wenn ich diese Stelle noch einmal anführe, dann deswegen, weil sich daran noch einige interessante Aspekte hervorheben lassen. Erstens muss berücksichtigt werden, dass sich der Text erst mit diesem Satz dem Thema der durch das Zusammenspiel von Zeit und Ewigkeit konstituierten Bedeutung der Zeit zuwendet. Bis hierhin handelte es sich um eine Analyse des Konzepts der Zeit in ihrer traditionellen Fassung als unendliche Sukzession, nunmehr gilt es dieses andere Verständnis dagegen abzuheben. Haufniensis macht dies freilich in seinem Text nicht sehr deutlich, steht dieser Satz doch am Ende eines Absatzes an nicht überaus markanter Stelle. Doch zumindest das Wort »dagegen« [derimod] an zweiter Position dieses Satzes scheint mir diesen Gegensatz zu markieren, der diese Wendung im Text festhalten möchte. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass mit diesem Satz der neue Begriff des Augenblicks eingeführt wird, während doch im unmittelbar vorherigen Absatz ebenfalls das Wort Augenblick verwendet wurde, damit jedoch ein vollkommen gegensätzlicher Sachverhalt bezeichnet wurde. Es lässt sich über Haufniensis Textgestaltung streiten, für das sachliche Verständnis ist es aber von immenser Bedeutung, diese beiden Begriffe von Augenblick streng getrennt zu halten und deren Gegensätzlichkeit zu verstehen. Augenblick in der ersten Fassung – wie wir ihn über das Leben aussagen können – meint eine Abstraktion vom Ewigen und eine Parodie des Gegenwärtigen, Augenblick im nunmehr zu erarbeitenden Verständnis hingegen ist der Name für die eigentliche Gegenwart. Ich werde im folgenden Kapitel kurz darauf eingehen, dass sich diese Gegensätzlichkeit zwischen den beiden Verständnissen von Augenblick an zahlreichen Stellen im kierkegaardschen Œuvre ausfindig machen lässt. Es ist bereits hier aber von enor118

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mer Wichtigkeit festzuhalten, dass für Haufniensis feststeht, dass der Augenblick in diesem zweiten Verständnis – um welches es ihm in weiterer Folge durchgehend gehen wird – nur durch Bezug auf die Bestimmung des Menschen als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen zu verstehen ist. Daher kann Haufniensis schreiben: »Der Augenblick ist jenes Zweideutige, worin Zeit und Ewigkeit einander berühren, und hiermit ist der Begriff der Zeitlichkeit gesetzt, wo die Zeit beständig die Ewigkeit abschneidet und die Ewigkeit beständig die Zeit durchdringt. Erst jetzt erhält jene besprochene Einteilung ihre Bedeutung: die gegenwärtige Zeit, die vergangene Zeit, die zukünftige Zeit.« (SKS 9, 392 / BA 90) Es muss schließlich darauf hingewiesen werden, dass Zeitlichkeit in den Texten Kierkegaards mitunter nicht – oder zumindest nicht nur und nicht eindeutig – das bedeutet, was die heutige deutschsprachige Leserschaft – in dieser Frage sicherlich stark unter dem Einfluss Heideggers stehend – darunter herkömmlicherweise versteht. Wenn in den deutschen Übersetzungen »Zeitlichkeit« zu lesen ist, steht im dänischen Original in der Regel »Timelighed«. Der Begriff »Timelighed« stammt aus dem religiösen Sprachgebrauch und wird im heutigen Dänisch nur mehr ganz selten verwendet. Im Ordbog over det danske Sprog wird es folgendermaßen erklärt: »das zum Erdenleben gehörende (begrenzte/endliche) Dasein« 104 . In engem Zusammenhang mit »Timelighed« stehen das Adjektiv »timelig« und die Substantivierung »Det Timelige«. Molbech (1833) erklärt in seinem Dansk Ordbog »timelig« zunächst mit »was in der Zeit ist, zur Zeit gehört, in der Zeit passiert« 105 . In der zweiten Bedeutung meint es aber auch »weltlich/ irdisch« [jordisk], und Molbech verweist darauf, dass es in dieser Bedeutung auch häufig dem Ewigen entgegengesetzt wird. Entsprechend gibt Helms (1858) für »timelig« auch diese beide Möglichkeiten der Übersetzung, nämlich »zeitlich« und »irdisch«. Und auch für »det Timelige« führt Helms entsprechend die beiden Bedeutungen »das Zeitliche« und »diese Welt« an; er verweist auch auf die Phrase »at forlade det Timelige«, »das Zeitliche segnen d. h. Sterben«. Es kann also festgehalten werden, dass der veraltete Ausdruck »Timelighed« ursprünglich aus dem religiösen Kontext stammt, in welchem er als Gegenbegriff zum Begriff Ewigkeit konzipiert wurde 104 105

»den til jordelivet hørende (begrænsede) tilværelse« »som er i Tiden, hører til, skeer i Tiden« A

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und somit mit diesem auf das Engste verknüpft ist. Von dieser spezifischen Bedeutung ausgehend kann Timelighed dann in weiterer Folge auch allgemeiner das zeitliche, endliche Dasein bezeichnen. 106 Timelighed ist also ein durch und durch doppeldeutiger Begriff, über welchen außerdem konstatiert werden kann, dass er in den Schriften Kierkegaards nicht immer einheitlich verwendet wird. 107 Ich habe mich dazu entschieden, die Trennung zwischen diesen beiden Begriffen – also dem allgemeineren, dem heutigen Sprachgebrauch entstammenden tidslighed einerseits und dem in den Schriften Kierkegaards anzutreffenden Timelighed andererseits – auch im Deutschen wiederzugeben. Entsprechend werde ich Kierkegaards Konzept Timelighed in meiner Arbeit konsequent in Kursivschrift als Zeitlichkeit wiedergeben, während Zeitlichkeit ohne Hervorhebung mit tidslighed ins Dänische rückübersetzt werden müsste. Um wieder auf den umgrenzten Kontext von Der Begriff Angst zurück zu kommen: Zeitlichkeit scheint hier die besondere Weise des In-der-Zeit-Seins des Menschen zu bezeichnen; dieses ist aber radikal anders zu verstehen als die Innerzeitigkeit der Natur oder des Lebens. Zeitlichkeit ist nur für den Menschen und bestimmt sich daher ausschließlich aus dessen Bestimmung als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen. Zeitlichkeit ist aber dennoch in einer Doppelfunktion: Denn an manchen Stellen ist es die Bezeichnung für das Ganze dieser Synthese, an anderen hingegen wird es als Gegensatz zu Ewigkeit verwendet. Vor allem dieser Bezug auf Ewigkeit ist schwierig zu fassen. Es scheint jedenfalls so zu sein, dass er das ist, was den Menschen als Menschen auszeichnet; und das, was die Zeit in ihrer Dimensionalität für den Menschen relevant werden lässt. Dieses Kapitel abrundend kann zusammengefasst gesagt werden: Zeitlichkeit ist nur, wenn der Mensch ist. Und der Mensch ist nur inso106 Es ist an dieser Stelle zu beachten, dass sich die gleiche Wortgeschichte auch für den deutschen Begriff »Zeitlichkeit« nachweisen lässt. Vgl. das Grimmsche Wörterbuch, wo zu diesem Begriff steht: »endlichkeit, vergänglichkeit; von den mystikern geschaffener ausdruck für die irdische welt und ihre dauer.« Wie im Falle des dänischen Timelighed konnte »Zeitlichkeit« erst viel später auch allgemeiner als Charakterisierung für das zeitliche, endliche Dasein verwendet werden. 107 Deswegen mag es wohl auch sein, dass Arne Grøn (1997b) in seinem Buch Subjektivitet og Negativitet dem kierkegaardschen Sprachgebrauch nicht folgt, sondern durchgehend von »tidslighed« spricht – ein Wort, das wohl auch als direkte Übersetzung des deutschen Wortes »Zeitlichkeit« gedacht ist. Bei Kierkegaard hingegen findet sich »tidslighed« an keiner einzigen Stelle.

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fern im vollen Sinne Mensch, wenn er nicht bloß in der Zeit ist, sondern Zeitlichkeit für ihn ist. Daraus folgt aber vor allem, dass die Einteilung der Zeit in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft nicht in der Zeit selbst liegt und auch nicht von der Innerzeitigkeit von Objekten abgelesen werden kann, sondern aus der spezifischen Seinsweise des Menschen als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen verstanden werden muss. Die Einteilung der Zeit muss als Dimensionalität der Zeitlichkeit aus der Seinsart jenes Wesens gewonnen werden, für das Zeitlichkeit ist, dem Menschen als nicht nur innerzeitigem, sondern zeitlich verfasstem Wesen. Der Thematik, wie diese Einteilung der Zeit in gegenwärtige, vergangene und zukünftige zu verstehen ist, möchte ich mich im folgenden Kapitel zuwenden.

Die ekstatische Zeitlichkeit »Heidegger ist der Leser« (Anz 1983, 25) von Der Begriff Angst, schreibt Wilhelm Anz in seinem Text zur Wirkungsgeschichte Kierkegaards im deutschsprachigen Denken. Im selben Text nennt Anz – wie im Kapitel Überblicksartige Bemerkungen zu Heideggers Kierkegaard-Lektüre zitiert – Heidegger auch einen »primären Leser« Kierkegaards. Damit meint er, dass sich die Beschäftigung mit Kierkegaard nicht – oder zumindest nicht in erster Linie – in expliziten Stellungnahmen zu dessen Werk äußert, sondern in einer impliziten Auseinandersetzung mit dessen Schriften, die beständigen Eingang findet in den eigenen produktiven Schaffensprozess. Für die Beschäftigung mit dem Themenkomplex der Zeitlichkeit bei Kierkegaard und Heidegger – die in der Einleitung doch als zentrale Thematik dieser Arbeit eingeführt wurde – ergibt sich daraus aber die methodische Schwierigkeit, dass Heidegger sich in Hinblick auf die anvisierte Thematik kaum zu Kierkegaard äußerte, d. h. also, dass von Seiten Heideggers nur sehr wenige Anhaltspunkte für die Interpretation zur Verfügung stehen. Die Interpretationssituation wird andererseits aber auch dadurch erschwert, dass sich bei Kierkegaard – vor allem wenn wir den Unterschied von Zeitlichkeit als Grundbestimmung des Menschen in Beziehung zur Ewigkeit und Zeitlichkeit als Sinn des Seins des Daseins beachten und weiterdenken – keine systematische Ausarbeitung von Überlegungen zum Themenkomplex der Zeitlichkeit finden lässt, was zur Folge hat, dass es allererst die Aufgabe des Interpretierenden ist, die verstreut zu findenA

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den Überlegungen zur Zeitlichkeit in einen Zusammenhang zu bringen und in geordneter Form zu präsentieren. Angesichts dieser Situation schlage ich vor, die Perspektive der Interpretation zu wenden und in diesem Kapitel von Heidegger auszugehen, um von ihm her auf Kierkegaard rückzufragen. Diese Vorgehensweise bietet sich auch an, weil das diese Interpretation leitende Vorverständnis – ob ausdrücklich oder nicht – von Heidegger geschöpft ist. Somit ist diese Vorgehensweise auch methodisch konsequent, da die Interpretation auf diese Weise damit beginnt, sich ihres eigenen Vorverständnisses zu versichern, um sich davon ausgehend in der Konfrontation mit dem anderen Text durch diesen hinterfragen zu lassen. In diesem Kapitel soll also vom Konzept der Zeitlichkeit ausgegangen werden, wie es in Heideggers Sein und Zeit und umliegenden Vorlesungen zu finden ist. Dadurch soll der Boden bereitet werden, um in die Texte Kierkegaards zurückzugehen und dort den von Heidegger angezeigten Fragestellungen zum Themenkomplex der Zeitlichkeit nachzuspüren. Bevor ich jedoch damit beginnen kann, bedarf bereits der Titel dieses Kapitels einer Erklärung. Im letzten Kapitel hat sich als entscheidende Frage für eine Philosophie der Zeit jene nach der Einteilung der Zeit in Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart gezeigt. Heidegger macht darauf aufmerksam, dass die Zukunft charakterisiert ist als »Auf-sich-zukommen«, die Vergangenheit als »Zurück-zu« und die Gegenwart als »Sichaufhalten bei« (GA 24, 377). »Auf-zu«, »Zurück-zu« und »Bei« zeichnen das »Außer-sich« der Zeitlichkeit aus. Dieses »Außer-sich« meint die »Entrückung« des Daseins in Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart. Und Heidegger legt terminologisch fest: »Wir bezeichnen diesen Charakter der Entrückung terminologisch als den ekstatischen Charakter der Zeit.« (GA 24, 377) Heidegger macht darauf aufmerksam, dass dieser Titel nicht zufällig gewählt ist: »Der vulgäre griechische Ausdruck ekstatikon bedeutet das Aus-sich-heraustreten. Es hängt mit dem Terminus ›Existenz‹ zusammen.« (GA 24, 377) Entsprechend bestimmt Heidegger Existenz nunmehr als »die ursprüngliche Einheit des auf-sich-zukommenden, auf-sich-zurückkommenden, gegenwärtigenden Außer-sich-seins« (GA 24, 378) und geht in späteren Schriften dazu über, Existenz als Ek-sistenz zu schreiben, um dieses Außer-sich der nunmehrigen Ek-sistenz eigens zu betonen (vgl. GA 9, 313–364). Die damit herausgestellten Sachverhalte werden von Hei122

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degger auch in Sein und Zeit sehr prägnant festgehalten: »Die Phänomene des zu …, auf …, bei … offenbaren die Zeitlichkeit als das ekstatikon schlechthin. Zeitlichkeit ist das ursprüngliche ›Außer-sich‹ an und für sich selbst. Wir nennen daher die charakterisierten Phänomene Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart die Ekstasen der Zeitlichkeit.« (SZ 329) Außerdem muss einleitend auch festgehalten werden, dass ich mich in diesem Kapitel Heideggers Ordnung der Ekstasen anschließe und daher Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart in dieser Reihenfolge behandle. Mit Heidegger könnte nämlich gesagt werden, dass Haufniensis, wenn er die Gegenwart an erster Stelle anführt, einem traditionellen Verständnis der Zeit verhaftet bleibt, welches die Zeit vorrangig von der Präsenz her denken möchte. Die Berechtigung der von Heidegger vorgenommenen Umordnung der Ekstasen der Zeitlichkeit soll in Kürze erörtert werden. Vielleicht erweist es sich dann aber auch, dass Haufniensis diese neue Ordnung schon vorbereitet hat. Michael Theunissen scheint dieser Auffassung zu sein, denn in seinem Buch Der Begriff Verzweiflung: Korrekturen an Kierkegaard spricht er von »Kierkegaard, der die gesamte Existenzphilosophie 108 auf sein Zukunftspathos eingeschworen hat« (Theunissen 1993, 137). Damit trifft Theunissen ein für Kierkegaard wie auch für Heidegger sehr wichtiges Thema. Ein solcher Vorrang der Zukunft lässt sich bei diesen beiden Denkern in der Tat konstatieren, er scheint mir sogar einer der wesentlichen Züge ihrer Konzeptionen der Zeit zu sein. Der Vorrang der Zukunft lässt sich allerdings innerhalb der Konzeptionen von Kierkegaard und Heidegger weit weniger pathetisch erklären, als Theunissen es uns glauben lassen möchte. Es lassen sich für diese Vorrangstellung durchaus nachvollziehbare Gründe angeben, weswegen es nicht unbedingt notwendig ist, darauf eingeschworen zu werden, um diese anzunehmen.

108 Michael Theunissen ordnet dabei Martin Heidegger auch der von ihm so bezeichneten Existenzphilosophie zu. Dass Heidegger sich mit Berechtigung gegen diese Zuschreibung verwehrt, wurde bereits im Kapitel Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs gezeigt.

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Zukunft als Zukommen-lassen des Künftigen Im zweiten Abschnitt von Sein und Zeit fragt Martin Heidegger nach dem Sinn des Seins des Daseins, dessen Strukturganzheit im ersten Abschnitt terminologisch als Sorge fixiert und folgendermaßen gefasst wurde: »Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)« (SZ 192). Im zweiten Abschnitt gilt es nunmehr, nach der Möglichkeit des eigentlichen Ganzseins dieses Strukturganzen zu fragen. Dafür ist es notwendig, dass Dasein sich als »Möglichsein« versteht, d. h. sich in seinem eigenen »Sein-können« erfasst (SZ 143). Dazu meint Heidegger in Hinblick auf die Möglichkeit eines eigensten Seinkönnens des Daseins: »Dergleichen ist nur so möglich, daß das Dasein überhaupt in seiner eigenen Möglichkeit auf sich zukommen kann und die Möglichkeit in diesem Sich-auf-sich-zukommen-lassen als Möglichkeit aushält, das heißt existiert. Das die ausgezeichnete Möglichkeit aushaltende, in ihr sich auf sich Zukommen-lassen ist das ursprüngliche Phänomen der Zukunft.« (SZ 325) Das ursprüngliche Phänomen der Zukunft entspricht für Heidegger ganz und gar dem Sich-auf-sich-zukommen-lassen von Möglichkeiten, worin das Dasein die Möglichkeit als Möglichkeit aushält. Dieses Zukommen-lassen und Aushalten von Möglichkeiten ist in gewissem Sinne nichts anderes als die Existenz, insofern die Existenz wesentlich dieses Möglichsein, dieses Seinkönnen des Daseins meint. Möglichkeit (bzw. Möglichsein oder Möglichkeit sein) ist eine existenziale Bestimmung des Daseins, die es vor anderen Seienden auszeichnet. Heidegger schreibt dazu: »Dasein ist nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch besitzt, etwas zu können, sondern es ist primär Möglichsein. Dasein ist je das, was es sein kann und wie es seine Möglichkeit ist.« (SZ 143) Etwas später macht er diesen Unterschied noch deutlicher: »Als modale Kategorie der Vorhandenheit bedeutet Möglichkeit das noch nicht Wirkliche und das nicht jemals Notwendige. Sie charakterisiert das nur Mögliche. Sie ist ontologisch niedriger als Wirklichkeit und Notwendigkeit. Die Möglichkeit als Existenzial dagegen ist die ursprünglichere und letzte positive ontologische Bestimmung des Daseins.« (SZ 143 f.) Möglichkeit meint hier keine festliegende Bestimmung, sondern den Entwurfcharakter des Daseins selbst: »Das Entwerfen hat nichts zu tun mit einem Sichverhalten zu einem ausgedachten Plan, gemäß dem das Dasein sein Sein einrichtet, sondern als Dasein hat es sich je schon entworfen und ist, solange es ist, 124

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entwerfend. Dasein versteht sich immer schon und immer noch, solange es ist, aus Möglichkeiten.« (SZ 145) Was Dasein also auszeichnet, ist nicht, dass es Möglichkeiten (hier verstanden als Potentialitäten) verwirklichen kann, sondern dass es sich auf Möglichkeiten entwerfen kann, d. h. Möglichkeiten als Möglichkeiten aushält: »Das Verstehen ist, als Entwerfen, die Seinsart des Daseins, in der es seine Möglichkeiten als Möglichkeiten ist.« (SZ 145) Das Verstehen gründet aber, wie Heidegger im zweiten Abschnitt von Sein und Zeit zeigt, in der Zeitlichkeit des Daseins und dabei in erster Linie in der Ekstase der Zukunft: »Dem entwerfenden Sichverstehen in einer existenziellen Möglichkeit liegt die Zukunft zugrunde als Auf-sich-zukommen aus der jeweiligen Möglichkeit, als welche je das Dasein existiert. Zukunft ermöglicht ontologisch ein Seiendes, das so ist, daß es verstehend in seinem Seinkönnen existiert.« (SZ 336) Die hier angesprochene Zukunft muss aber konsequent aus der Zeitlichkeit des Daseins verstanden werden und darf nicht wiederum anhand eines überlieferten Zeitverständnisses interpretiert werden. Heidegger macht dies sehr deutlich: »›Zukunft‹ meint hier nicht ein Jetzt, das noch nicht ›wirklich‹ geworden, einmal erst sein wird, sondern die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt. Das Vorlaufen macht das Dasein eigentlich zukünftig.« (SZ 325) Das Primat der Zukunft entspricht dem Primat des Sich-vorweg in der Sorgestruktur. Sofern Dasein Seinkönnen ist und sich als solches auf Möglichkeiten entwirft, ist es immer schon sich-vorweg. Dass es dem Dasein »in seinem Sein um dieses Sein selbst geht« (SZ 12), kann nunmehr als »Sich-vorweg-sein des Daseins« gefasst werden (SZ 192). »Im Sich-vorweg-sein als Sein zum eigensten Seinkönnen liegt die existenziale Bedingung der Möglichkeit des Freiseins für eigentliche existenzielle Möglichkeiten.« (SZ 193) Doch sind wir damit noch nicht beim ursprünglichen Sinn dieses Grundcharakteristikums des Daseins angelangt, denn es zeigt sich, dass dieses hinsichtlich seiner Möglichkeit im ursprünglichen Phänomen der Zukunft gründet: »Das ›vor‹ und ›vorweg‹ zeigt die Zukunft an, als welche sie überhaupt erst ermöglicht, daß Dasein so sein kann, daß es ihm um sein Seinkönnen geht. Das in der Zukunft gründende Sichentwerfen auf das ›Umwillen seiner selbst‹ ist ein Wesenscharakter der Existenzialität. Ihr primärer Sinn ist die Zukunft.« (SZ 327) Es gibt bei Heidegger also tatsächlich so etwas wie einen Primat der Zukunft, insofern das Grundcharakteristikum des Daseins, »daß es diesem Seienden in seinem Sein um dieses A

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Sein selbst geht« (SZ 12), auf das Sich-vorweg des Daseins in seinem Seinkönnen verweist, das seinerseits in der Ekstase der Zukunft gründet. Daher meint Heidegger: »Bei der Aufzählung der Ekstasen haben wir immer die Zukunft an erster Stelle genannt. Das soll anzeigen, daß die Zukunft in der ekstatischen Einheit der ursprünglichen und eigentlichen Zeitlichkeit einen Vorrang hat.« 109 (SZ 329) Zu diesem Primat muss aber einschränkend gesagt werden, dass er nicht bedeuten kann, dass die Zukunft für sich alleine bestehen könnte. Ebenso wie die Existenziale des Daseins durch »Gleichursprünglichkeit« (SZ 131) charakterisiert sind, so sind auch die Ekstasen der Zeitlichkeit gleichursprünglich, wenngleich die Möglichkeit besteht, dass eine der Ekstasen in der jeweiligen Zeitigung der Zeitlichkeit den Vorrang hat. In Hinblick auf die Zeitlichkeit des Verstehens meint Heidegger daher: »Das Verstehen ist als Existieren im wie immer entworfenen Seinkönnen primär zukünftig. Aber es zeitigte sich nicht, wäre es nicht zeitlich, das heißt gleichursprünglich durch Gewesenheit und Gegenwart bestimmt.« (SZ 337) So viel zur Ekstase der Zukunft und dessen Primat innerhalb der Struktur der ekstatischen Zeitlichkeit in Heideggers Sein und Zeit. Davon ausgehend möchte ich jetzt wieder auf die Ausführungen in Der Begriff Angst zurückkommen. Wie im letzten Kapitel bereits zitiert wurde, 110 meint Haufniensis, nachdem er zur Bestimmung des Begriffs der Zeitlichkeit vorgedrungen ist, dass die Einteilung der Zeit in verschiedene Dimensionen erst jetzt, wenn der Begriff der Zeitlichkeit bestimmt wurde, Bedeutung gewinnt. Die gegenwärtige, vergangene und zukünftige Zeit empfangen ihren jeweiligen spezifischen Sinn nur aus dem Begriff der Zeitlichkeit. An diese erste Bestimmung der Zeitlichkeit unmittelbar anschließend meint Haufniensis dann: »Bei dieser Einteilung zieht es sofort die 109 Heidegger macht an dieser Stelle aber auch deutlich, dass es verschiedene Modi der Zeitigung der Zeitlichkeit gibt (vgl. SZ 329). Nur wenn sich die Zeitlichkeit im Modus der Eigentlichkeit zeitigt, gibt es diesen Vorrang der Zukunft. In § 69a wird zum Beispiel ein uneigentlicher Modus der Zeitigung der Zeitlichkeit behandelt, in welchem nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart den Vorrang hat. 110 Zur Erinnerung sei hier noch einmal die in Frage stehende Passage angeführt: »Der Augenblick ist jenes Zweideutige, worin Zeit und Ewigkeit einander berühren, und hiermit ist der Begriff der Zeitlichkeit gesetzt, wo die Zeit beständig die Ewigkeit abschneidet und die Ewigkeit beständig die Zeit durchdringt. Erst jetzt erhält jene besprochene Einteilung ihre Bedeutung: die gegenwärtige Zeit, die vergangene Zeit, die zukünftige Zeit.« (SKS 4, 392 / BA 90)

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Aufmerksamkeit auf sich, dass das Zukünftige in einem gewissen Sinne mehr bedeutet als das Gegenwärtige und das Vergangene; denn das Zukünftige ist in einem gewissen Sinne das Ganze.« (SKS 4, 392 / BA 91) Dieser Vorrang der Zukunft wird auch von S. Kierkegaard in einer seiner Erbaulichen Reden, die hier zur Illustration herangezogen werden soll, bekräftigt, wenn dieser schreibt, dass »das Zukünftige ja alles ist« (SKS 5, 26 / 2R3 394). Dass der Mensch auf diese Weise vorrangig auf Zukunft bezogen ist, ist für S. Kierkegaard »der Beweis für seine göttliche Herkunft […]; denn gäbe es kein Zukünftiges, dann gäbe es auch kein Vergangenes, und gäbe es weder etwas Zukünftiges noch etwas Vergangenes, dann wäre der Mensch niedergebunden wie das Tier, sein Kopf zur Erde gebeugt, seine Seele gefangen im Dienste des Augenblicks« (SKS 5, 26 / 2R3 394). Wenn wir den Verweis auf die göttliche Herkunft des Menschen beiseite lassen, bleiben zwei Sachverhalte, die sich aus dieser Passage hervorheben lassen. Einerseits streicht S. Kierkegaard heraus, dass es der Bezug des Menschen auf Zukünftigkeit ist, welcher diesem allererst die anderen Ekstasen der Zeitlichkeit erschließt und ihn daher in der ekstatischen Aufgespanntheit der Zeitlichkeit existieren lässt. Umgekehrt hebt S. Kierkegaard hervor, dass dem Mensch, angenommen den hypothetischen Fall, dass er nicht in dieser Bezogenheit auf Zukunft stünde, auch die Offenheit der ekstatischen Zeitlichkeit nicht erschlossen wäre und er somit nur für den – als Jetzt-Punkt verstanden – Augenblick leben könnte. Es wäre ein bloßes Leben in der Zeit (Innerzeitigkeit), kein Existieren in der Zeitlichkeit. Der Mensch aber lebt in der Bezogenheit auf Zukunft, und gerade darin zeigt sich seine Auszeichnung, dass Zeitlichkeit für ihn ist. Auch Haufniensis teilt die Einsicht, dass die Zukunft in gewissem Sinne für die anderen Ekstasen der Zeitlichkeit bestimmend ist. Er meint, dass von der Bezogenheit auf Zukünftiges aus sich der Augenblick bestimmt und dass »der Augenblick und das Zukünftige wiederum das Vergangene« setzen (SKS 4, 393 / BA 91). Wie bereits im Kapitel Der Mensch als Synthese gezeigt wurde, wird dem Dasein seine Faktizität nur in und aus ihrem Vollzug zugänglich, dadurch, dass das Dasein in seiner Existenz seine jeweilige Faktizität zu übernehmen hat. Faktizität meint daher nichts Vergangenes, das als solcherart verstandene Vergangenheit hinter dem Existierenden liegen würde und ein für alle mal abgeschlossen wäre. Im Gegenteil, die Faktizität darf gerade nicht als bloß Vergangenes verstanden werden, sondern muss berücksichtigt werden, insofern sie permanent in meine Existenz herein steht A

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und in dieser übernommen werden muss. Die Faktizität gewinnt für meine Existenz nur deswegen Relevanz, weil sie sich in meinen Entwürfen beständig zugleich als deren Ermöglichungsgrund und als deren Grenze zeigt. Haufniensis meint in Der Begriff Angst des Weiteren: »Das Mögliche entspricht ganz und gar dem Zukünftigen. Das Mögliche ist für die Freiheit das Zukünftige und das Zukünftige für die Zeit das Mögliche.« (SKS 4, 394 / BA 93) Die Freiheit des Menschen, das heißt das Faktum, dass Möglichkeiten für ihn sind, dass er die Möglichkeit zu Möglichkeiten hat, wird also auch bei Haufniensis in der Bezogenheit des Menschen auf Zukünftiges festgemacht. Haufniensis verdeutlicht den Vorrang der Zukunft und des Möglichseins anschließend anhand des Phänomens der Angst. 111 »Beiden entspricht im individuellen Leben Angst. Ein genauer und korrekter Sprachgebrauch verknüpft daher Angst und das Zukünftige.« (SKS 4, 394 / BA 93) Mit Blick auf den alltäglichen Sprachgebrauch meint Haufniensis dann, dass mitunter durchaus gesagt werden könne, dass man sich vor Vergangenem ängstige. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass dieser Sprachgebrauch den Sachverhalt nur unzureichend wiedergibt, weil in jeder Form von Angst das Zukünftige zugegen ist und eine Rolle spielt. »Das Vergangene, vor dem ich mich ängstigen soll, muss in einem Verhältnis der Möglichkeit zu mir stehen. Ängstige ich mich vor einem vergangenen Unglück, dann ist dies nicht, insofern es vergangen ist, sondern insofern es sich wiederholen, d. h. zukünftig werden kann.« (SKS 4, 394 / BA 93) Ein Unglück, das ein für alle mal vergangen wäre, könnte mich auch nicht ängstigen. Ein vergangenes Unglück vermag nur deswegen zu ängstigen, weil die Möglichkeit besteht, dass es sich wiederholen könnte. Was mich also bei näherer Betrachtung ängstigt, ist nicht das vergangene Unglück, sondern die Möglichkeit, dass das bereits durchlebte Unglück noch einmal auf mich zukommen könnte. Dies entspricht aber ganz und gar der hervorgehobenen Struktur der Zeitlichkeit, wonach Vergangenes nur insofern für den Existierenden Relevanz gewinnt, als von diesem in seiner Existenz als sich aus der faktischen Situation ergebende Möglichkeit über111 An dieser Stelle könnte ein Unterschied zur Angstkonzeption Heideggers herausgearbeitet werden, denn in Sein und Zeit versucht dieser zu zeigen, dass sich das Dasein nicht primär vor seiner Zukünftigkeit, sondern vor der Unheimlichkeit seiner Geworfenheit ängstigt (vgl. SZ 276).

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nommen werden muss. Das heißt aber auch, es bestätigt den Vorrang von Zukunft und Existenz. Bei Haufniensis kommt zu den bislang besprochenen Aspekten aber noch ein weiterer hinzu. Wenn er schreibt, dass »das Zukünftige in einem gewissen Sinne das Ganze [ist]«, dann meint er, dass dies daher kommt, »dass das Ewige zunächst das Zukünftige bedeutet, oder dass das Zukünftige das Inkognito ist, worin das Ewige, als der Zeit inkommensurabel, doch seinen Umgang mit der Zeit bewahrt« (SKS 4, 392 / BA 91). Der Vorrang der Zukunft ergibt sich für Haufniensis demnach also vor allem daraus, dass das Zukünftige eine spezielle Stellung einnimmt im Verhältnis der Zeit zur Ewigkeit. Die besondere Stellung der Zukunft innerhalb der Ekstasen der Zeitlichkeit begründet sich also in der eigentümlichen Beziehung, welche die Ewigkeit gegenüber der Zeit einnimmt. Die Ewigkeit kann sich in der Zeit nicht als sie selbst zeigen, sondern muss für den in der Zeit 112 Existierenden zunächst in einem Inkognito auftauchen. Dieses Inkognito ist die Zukunft. Woran liegt es, dass die Ewigkeit in einem solchen Inkognito seinen Umgang mit der Zeit bekunden muss? Wieso kann die Ewigkeit nicht als sie selbst, als Ewigkeit, zugänglich werden? Dass die Ewigkeit sich nicht unmittelbar als sie selbst zeigen kann, liegt an der spezifischen Perspektive, in der sie in den Blick genommen wird. Diese Perspektivität liegt darin, dass überhaupt nicht nach der Ewigkeit als solcher gefragt wird, sondern nach der Ewigkeit, insofern sie mit der Zeit in Interaktion tritt, sich in dieser bekundet. Wenn die Ewigkeit aber der Zeit inkommensurabel ist – wie Haufniensis schreibt – dann ist klar, dass die Ewigkeit sich in der Zeit niemals als sie selbst zeigen können wird, sondern sich nur in einem Inkognito bekunden kann. Dass die Ewigkeit sich aber solcherart in der Zeit in einem Inkognito zeigen muss, liegt an der besonderen Seinsart des Menschen, welcher als Zeitlichkeit die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ist. Wie diese Seinsart des Menschen genauer zu verstehen ist, kann anhand der Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift verdeut112 Es wurde im vorherigen Kapitel bereits darauf hingewiesen, dass in der Zeit in Hinblick auf den Menschen nicht das gleiche besagen kann wie die Innerzeitigkeit von Objekten. Haufniensis bietet uns aber keine Möglichkeit, hier eine begriffliche Unterscheidung zu treffen. Dennoch müssen wir diese Unterscheidung gewissermaßen in seinen Text hineinlesen, um den philosophischen Gehalt dieser Passagen extrapolieren zu können.

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licht werden. Johannes Climacus wiederholt dort gebetsmühlenartig, dass es das Wesentliche des existierenden Subjekts ist, dass es existierend ist. So meint er an einer Stelle: »Da das existierende Subjekt existierend ist (und das ist doch jedes Menschen Los […]), so ist es ja im Werden.« (SKS 7, 80 / AUN1 72) Im wichtigen § 1 des dritten Kapitels des zweiten Abschnitts des zweiten Teils der Nachschrift – welchen ich schon im Kapitel Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs kurz behandelt habe – stellt Climacus eine Frage, die sich alsbald als rhetorische Frage entpuppen wird: »Ob nicht die Ewigkeit für einen Existierenden – nicht die Ewigkeit, sondern das Zukünftige ist, und die Ewigkeit nur die Ewigkeit ist für den Ewigen, der nicht wird?« (SKS 7, 279 / AUN2 6 f.) Kurz darauf gibt er die in der Frage ohnehin schon vorweggenommene Antwort: »Wo dagegen alles im Werden ist, wo bloß so viel von der Ewigkeit vorhanden ist, dass sie in der leidenschaftlichen Entscheidung zurückgehalten werden kann, da wo die Ewigkeit sich als Zukünftiges zu dem Werdenden verhält, da ist die absolute Disjunktion zu Hause. Wenn ich nämlich Ewigkeit und Werden zusammensetze, bekomme ich nicht Ruhe, sondern Zukunft.« (SKS 7, 279 f. / AUN2, 8) Weil der Mensch ein zeitlich verfasstes Wesen ist, ein Existierender bzw. ein dem Werden Unterworfener, kann die Ewigkeit für ihn keine unmittelbare Bedeutung gewinnen. Die Ewigkeit ist für den Existierenden, dessen wesentliche Seinsweise die Zeitlichkeit ist, zunächst nicht zugänglich. Wenn ein Existierender dennoch mit der Ewigkeit zusammentreffen soll, dann muss dies in Form der Zukünftigkeit sein. Daraus folgt: Die Ewigkeit betrifft den Existierenden in seiner Existenz als Zukunft. Johannes Climacus meint daher an das vorherige Zitat anknüpfend: »Daher kommt es wohl, dass das Christentum die Ewigkeit als das Zukünftige verkündet hat, weil es Existierenden verkündet wurde.« (SKS 7, 280 / AUN2, 8) Im folgenden Kapitel Zeitlichkeit und Ewigkeit wird diesem Sachverhalt explizit nachgegangen und die Frage gestellt, welche philosophischen Implikationen sich daraus ablesen lassen, die einen Einfluss auf Heidegger gehabt haben könnten.

Wiederholung als Wieder-holen des Gewesenen Diese Betonung des Vorrangs der Zukunft sollte jedoch nicht davon ablenken zu berücksichtigen, dass für Heidegger – und wohl auch für 130

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Kierkegaard – ebenso feststeht, dass sich die Zeitlichkeit nur in der Gesamtheit ihrer gleichursprünglichen Ekstasen zeitigen kann. Es wurde bereits im Kapitel Der Mensch als Synthese darauf hingewiesen, dass die Möglichkeiten, auf die sich das Dasein entwerfen kann, wesenhaft bereits bestimmte und somit begrenzte Möglichkeiten sind. Heidegger spricht davon, dass das Dasein »geworfene Möglichkeit« (SZ 144) ist, um darauf aufmerksam zu machen, dass das Möglichsein des Daseins überhaupt keinen Sinn ergäbe, wenn es unabhängig von der Limitierung und der damit einhergehenden Bestimmung der Möglichkeiten durch die Faktizität gedacht werden würde. Die Möglichkeiten des Daseins sind keine frei schwebenden Möglichkeiten, sondern solche, die aus der Faktizität des jeweiligen Existierenden auf diesen zukommen; einer Faktizität wohlgemerkt, die sich der Existierende nicht selbst gewählt hat, sondern in die er geworfen wurde und welche er je schon zu übernehmen hat. Heidegger schreibt dazu im zweiten Abschnitt von Sein und Zeit: »Die Übernahme der Geworfenheit aber bedeutet, das Dasein in dem wie es schon war, eigentlich sein. Die Übernahme der Geworfenheit ist aber nur so möglich, daß das zukünftige Dasein sein eigenstes ›wie es schon war‹, das heißt, sein ›Gewesen‹, sein kann.« (SZ 325 f.) Heidegger macht in diesem Zusammenhang aber auch auf die irreduzible Verknüpfung von Zukünftigkeit und Gewesenheit aufmerksam, denn einerseits gilt: »Nur sofern Dasein überhaupt ist als ich bin-gewesen, kann es zukünftig auf sich selbst so zukommen, daß es zurück-kommt. Eigentlich zukünftig ist das Dasein eigentlich gewesen.« (SZ 326) Das heißt also, dass eine Zukünftigkeit des Daseins nicht ohne seine Gewesenheit gedacht werden kann, weil für ein Dasein, das keine Vergangenheit hätte, auch keine Zukünftigkeit sein könnte. Aber es gilt auch das Umgekehrte, nämlich dass die Gewesenheit sich nur durch ihre Übernahme in der Zukünftigkeit des Daseins konstituiert und ohne diese Übernahme nicht verstanden werde kann: »Das Vorlaufen in die äußerste eigenste Möglichkeit ist das verstehende Zurückkommen auf das eigenste Gewesen. Dasein kann nur eigentlich gewesen sein, sofern es zukünftig ist.« (SZ 326) Damit geht aber – worauf ebenfalls bereits hingewiesen wurde – einher, dass die Faktizität des Daseins nicht abgeschlossen in seiner Vergangenheit liegt, sondern als Gewesenheit ständig in es herein steht: »›Solange‹ Dasein faktisch existiert, ist es nie vergangen, wohl aber immer schon gewesen im Sinne des ›ich bingewesen‹. Und es kann nur gewesen sein, solange es ist.« (SZ 328) A

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Gewesenheit und Zukunft sind also gleichursprüngliche Ekstasen der Zeitlichkeit. Heidegger versucht anschließend, in Hinblick auf das Existenzial des Verstehens zu erläutern, wie dieses Gewesen-sein des Daseins genauer zu verstehen ist und er meint, dieses sei eigentlich verstanden »ein Zurückkommen auf das eigenste, in seine Vereinzelung geworfene Selbst. Diese Ekstase ermöglicht es, daß das Dasein entschlossen das Seiende, das es schon ist, übernehmen kann. Im Vorlaufen holt sich das Dasein wieder in das eigenste Seinkönnen vor. Das eigentliche Gewesen-sein nennen wir die Wiederholung.« (SZ 339) Wiederholung bezeichnet also die Bewegung, die es ermöglicht, dass sich das Dasein als dieses konkrete, geworfene Selbst übernehmen kann, indem es sich vor seine eigene Gewesenheit bringt – diese wieder-holend – und diese Gewesenheit als seine eigenste Möglichkeit auf sich zukommen lässt. Die Gewesenheit ist also nichts hinter dem Dasein Zurückliegendes, sondern bleibt stets am Horizont seiner möglichen Zukunft; oder, wie Heidegger später schreibt: »Herkunft aber bleibt stets Zukunft.« (GA 12, 91) Diese Bewegung, in der das Dasein sich als seine Gewesenheit noch bevorsteht, in der die Gewesenheit als Zukunft auf das Dasein zurückkommt, nennt Heidegger die Wiederholung. Hinsichtlich des Begriffs der Wiederholung kann konstatiert werden, dass es das Pseudonym Constantin Constantius war, das diesen Begriff erstmals eigens zum Thema gemacht und sogar ein Buch mit diesem Titel herausgegeben hat. 113 Wie wichtig ihm dabei das Wort »Wiederholung« ist, wird deutlich, wenn er schreibt: »Wiederholung [Gjentagelse] ist ein gutes dänisches Wort, und ich gratuliere der dänischen Sprache zu einem philosophischen Terminus.« (SKS 4, 25 / W 22) Soweit ich es überblicken kann, dürfte es tatsächlich so sein, dass das Wort »Wiederholung« vor seiner Behandlung in mehreren Schriften Kierkegaards in der philosophischen Sprache keine Rolle gespielt hatte und somit gesagt werden kann, dass es gewissermaßen eine Errungen113 Der volle Titel des Buches lautet: Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie von Constantin Constantius. Es gibt eine Reihe von Arbeiten zum Konzept der Wiederholung bei Kierkegaard. Vor allem drei Monographien zum Thema seien hervorgehoben, nämlich Glöckner (1998), Strowick (1999) und Eriksen (2000). Kürzere Artikel gibt es von Winkel Holm (1991), Glöckner (1996), Ringleben (1998) und Quist (2002). Außerdem sei auf eine ältere Arbeit von Riemer (1979) hingewiesen.

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schaft Kierkegaards ist, Wiederholung erstmals als einen philosophischen Terminus eingeführt zu haben. Zumindest Constantin Constantius hat auch sehr weit reichende Forderungen hinsichtlich der von ihm erhofften Wirkmächtigkeit dieses neuen Begriffes, wenn er ihn als seine Antwort auf die platonische Anamnesislehre einerseits und die Hegelsche Vermittlung andererseits einführt. Er schreibt: Die Wiederholung ist die neue Kategorie, die entdeckt werden soll. Wenn man etwas von der neueren Philosophie kennt und in der Griechischen nicht ganz unkundig ist, dann kann man leicht sehen, dass diese Kategorie eben das Verhältnis zwischen Eleaten und Heraklit erklärt, und dass die Wiederholung eigentlich das ist, was man aus einem Irrtum die Vermittlung nannte. 114 (SKS 4, 25 / W 21)

Das »gute dänische Wort«, welches Constantin Constantius als neue Kategorie präsentieren will, heißt im Dänischen »Gjentagelse«. 115 Dorothea Glöckner macht darauf aufmerksam, dass dieses Wort zwei Bedeutungen hat: »zum einen bezeichnet es das wiederholte, d. h. mehrfache Ausüben einer Handlung bzw. das wiederholte Sich-Ereignen eines Geschehens. […] In einem zweiten Sinn steht ›wieder-holen‹ als trennbares Verb für den Akt, in dem etwas Verlorenes zurückgeholt wird, in dem der Mensch sich etwas zurückerobert, was ihm einst zu Eigen war.« (Glöckner 1996, 242) Obwohl Glöckners Ausführungen eine wichtige Orientierung bieten, 116 lässt sich kritisch anmerken, dass Wieder-holung in der zweiten Bedeutung in ihrer Darstellung einen stark possessiven Zug hat, der nicht notwendig als solcher gedacht werden muss. Die Wieder-holung muss kein Zurückerobern eines einst114 »Gjentagelsen er den ny Kategori, som skal opdages. Naar man kjender Noget til den nyere Philosophi, og ikke er ganske ukyndig i den græske, saa vil man let see, at denne Kategori netop forklarer Forholdet mellem Eleater og Heraklit, og at Gjentagelsen egentlig er det, man af en Feiltagelse har kaldt Mediationen.« 115 Es sollte noch angemerkt werden, dass »gjentage« wie das deutsche Verb »wiederholen« aus zwei Teilen zusammengesetzt ist, wobei die beiden Teile des dänischen Wortes auch mehr oder weniger die gleiche Bedeutung haben wie die beiden Wortteile im Deutschen. 116 Die Angaben im Ordbog over det danske sprog decken sich weitgehend mit den Ausführungen von Glöckner zu den beiden Bedeutungen von »gjentage«. Es kann aber auch festgehalten werden, dass sich sowohl zum dänischen »Gjentagelse« als auch zum deutschen »Wiederholung« überraschend wenige und außerdem nur ausgesprochen kurze Einträge in Wörterbüchern finden lassen.

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maligen Besitzes sein, sondern kann auch als ein Wieder-gewinnen von in dieser Form noch nicht da Gewesenem verstanden werden. Das Wieder-holte würde dann vielleicht gerade im Akt des Wieder-gewinnens einer Veränderung unterzogen werden, der allererst eine Wieder-holung im zweiten Sinne ermöglicht. In der kurzen Schrift Wiederholung geht es in gewisser Weise gerade um die Mehrdeutigkeit des Wortes Wiederholung. Dazu kann einleitend auch noch gesagt werden, dass es bei Constantin Constantius darauf hinauslaufen wird, dass es sich bei einer geglückten Wiederholung – wenn diese möglich sein soll – nur um eine Wieder-holung in der zweiten Bedeutung handeln kann. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, wie diese gelungene Wieder-holung zu denken ist. Zunächst besteht aber das Problem, dass allererst zu klären ist, warum eine Wiederholung in der ersten Bedeutung notwendig scheitern muss, um dann von diesem Scheitern ausgehend die Möglichkeit von so etwas wie einer glückenden Wieder-holung überhaupt denken zu können. Doch möchte ich zunächst auf die Anfangspassage zurückkommen, in welcher Constantin Constantius den Zusammenhang der neuen Kategorie Wiederholung mit den alten Kategorien der Vermittlung und der Erinnerung herausheben möchte. Zum Zusammenhang von Wiederholung und Erinnerung schreibt er dabei folgenden interessanten Satz: »Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn was erinnert wird, ist gewesen, wird rückwärts wiederholt; dagegen wird die eigentliche Wiederholung vorwärts erinnert.« 117 (SKS 4, 9 / W 3) Louis Riemer hat in 117 Im dänischen Original lautet das Zitat: »Gjentagelse og Erindring er den samme Bevægelse, kun i modsat Retning; thi hvad der erindres, har været, gjentages baglænds; hvorimod den egentlige Gjentagelse erindres forlænds.« Große Probleme für die Übersetzung ergeben sich aus der Verwendung des s-Passiv im Dänischen. Diese Form gibt es im Deutschen nicht und es kommt noch erschwerend hinzu, dass sie je nach Kontext als passive oder als reflexive Wendung übersetzt werden kann. Hirsch übersetzt die Passage – ihren Sinn verfehlend – reflexiv, wobei außerdem die Hinzufügung von im Dänischen nicht anzutreffenden Satz-Subjekten (»man«) und -objekten (»der Sache«) kritisiert werden kann: »Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn wessen man sich erinnert, das ist gewesen, wird rücklings wiederholt; wohingegen die eigentliche Widerholung sich der Sache vorlings erinnert.« Während Dorothea Glöckner der Übersetzung der ersten Teile des Satzes zustimmt (also auch das im Dänischen nicht vorhandene »man« einfügt), wendet sie gegen die Übersetzung des letzten Teils des Satzes richtigerweise ein, dass dieser als Passiv zu lesen ist;

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meinen Augen eine sehr überzeugende Interpretation dieses Zitats vorgelegt, wenn er schreibt: »Die eigentliche Wiederholung geht ebenfalls auf Vergangenes zurück, insofern ist sie Er-innerung (in Richtung nach vorn); aber sie bedenkt das Vergangene auf Zukunft hin, die – wie sich zeigen wird – schon die Gegenwart qualifiziert.« (Riemer 1979, 306) Riemer – dessen Interpretation ebenso den Zusammenhang mit den Ausführungen Heideggers im Blick hat – kann daher mit Hinblick auf die volle Struktur der ekstatischen Zeitlichkeit folgende Definition der Wiederholung geben: »Wiederholung ist gegenwärtige Wiederholung eines Vergangenen als Möglichkeit.« (Riemer 1979, 316) Als Beispiel für den hier angesprochenen Sachverhalt kann an Haufniensis Ausführungen zur Angst vor einem vergangenen Ereignis verwiesen werden, wo dieser meint, dass dieses nur insofern ängstigen kann, als es als Möglichkeit begegnet, das heißt zukünftig ist. Constantin Constantius erzählt in der Schrift Wiederholung von einer Berlinreise, die er unternommen hat (vgl. SKS 4, 27–45 / W 23– 45). Genau genommen handelt es sich um seine zweite Berlinreise, denn er hatte bereis zuvor eine Berlinreise unternommen und nunmehr erzählt er von seinem Versuch, noch einmal nach Berlin zu reisen, um experimentell herauszufinden, ob eine Wiederholung möglich ist. Er bezieht das gleiche Hotel wie bei seiner ersten Reise, er geht in das gleiche Theater, wohnt der Vorstellung des gleichen Stücks bei, sogar mit den gleichen Schauspielern wie beim ersten Mal; äußerlich scheint also alles gleich zu sein wie bei seiner ersten Berlinreise. Und doch erweist sich alles als anders als beim ersten Mal und die Wiederholung will einfach nicht gelingen. Was wir aus dieser Geschichte lerdaher lautet ihre Übersetzung: »Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn wessen man sich erinnert, das ist gewesen, wird rückwärts wiederholt; wohingegen die eigentliche Wiederholung vorwärts erinnert wird.« (Glöckner 1996, 243) Eine Schwierigkeit für das Verständnis ergibt sich auch daraus, dass das Wort »erindre« eine Bedeutungsvielfalt hat, weswegen Helms (1858) »erinnern«, »in Erinnerung bringen«, »entsinnen«, »behalten«, »bemerken« und »aufmerksam machen(auf)« als Übersetzungen anbietet. Gegenüber dem deutschen Wort »erinnern« ist »erindre« stärker mit einem Erkenntnisvorgang verknüpft. Um den Satz verständlicher zu machen ließe er sich etwas freier auch folgendermaßen übersetzen: »Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn was sich erinnern lässt, ist gewesen, wird rückwärts wiederholt; dagegen lässt sich die eigentliche Wiederholung vorwärts erinnern.« Ich danke Kristina Madsen für wertvolle Hinweise zum Verständnis und zur Übersetzung dieser Passage. A

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nen können ist, dass der Terminus Wiederholung – wie bereits vorbereitend anhand einer lexikalischen Diskussion der zwei Bedeutungen von Wiederholung erwähnt wurde – die homonyme Benennung von zwei verschiedenen Phänomenen zu sein scheint. Vom Berlinreisenden wird Wiederholung zunächst als identische Reproduktion des bereits einmal Geschehenen verstanden; der Berlinreisende möchte alles noch einmal exakt so machen und erleben, wie er es beim ersten Mal gemacht und erlebt hat. Doch wenn er dies versucht, muss er erkennen, dass dies nicht funktionieren kann; es scheitert an der Veränderung, die stattgefunden hat, obwohl er größte Sorgfalt darauf legt, alles noch einmal genau so zu machen wie beim ersten Mal; aber schon allein dieser Sachverhalt, dass er es noch einmal genau so machen möchte wie beim ersten Mal, sorgt dafür, dass es keine identische Reproduktion des ersten Mals ist, sondern eben ein anderes Mal, das wie das erste Mal sein soll. Als Ergebnis dieses Experiments muss also festgehalten werden, dass es eine Wiederholung im Sinne einer identischen Reproduktion – zumindest im praktischen Lebensvollzug – nicht geben kann, eine solcherart verstandene Wiederholung erweist sich als unmöglich. Constantin Constantius schreibt über seine permanenten Enttäuschungen folgendes: Nachdem sich dies mehrere Tage wiederholt hatte, wurde ich so verbittert, der Wiederholung so überdrüssig, dass ich beschloss wieder nach Hause zu fahren. Meine Entdeckung war nicht bedeutend und doch war sie sonderbar; denn ich hatte entdeckt, dass es die Wiederholung gar nicht gibt, und davon hatte ich mich überzeugt, indem ich es auf alle möglichen Weisen wiederholt bekommen hatte. 118 (SKS 4, 44 f. / W 45)

Der Berlinreisende bekam also immer wieder wiederholt, dass es die Wiederholung nicht gibt. Die neue Perspektive, die sich dadurch öffnet, ist aber, dass die Wiederholung vielleicht gerade in dieser Veränderung und Andersheit liegt, welche zunächst dafür sorgt, dass die Wiederholung unmöglich erscheint. Die Wiederholung würde dann gerade darin liegen, das Selbe in der Andersheit wiederzugewinnen. Das Selbe zu wiederholen bestünde also gerade darin, dass ich dieses Selbe wieder-hole, obgleich der Kontext, das Wieder-holte und auch ich nicht 118 »Da dette havde gjentaget sig nogle Dage, blev jeg saa forbittret, saa kjed af Gjentagelsen, at jeg besluttede at reise hjem igjen. Min Opdagelse var ikke betydelig og dog var den besynderlig; thi jeg havde opdaget, at Gjentagelsen slet ikke var til, og det havde jeg forvisset mig om, ved paa alle mulige Maader at faae det gjentaget.«

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dieselben sind, sondern sich verändert haben. Diese anders verstandene Wieder-holung scheint auch Constantin Constantius beschreiben zu wollen: Die Dialektik der Wiederholung ist leicht; denn was wiederholt wird, ist gewesen, sonst könnte es gar nicht wiederholt werden, aber genau das, dass es gewesen ist, macht die Wiederholung zu dem Neuen. Wenn die Griechen sagten, dass alles Erkennen ein Erinnern sei, dann sagten sie, dass das ganze Dasein, das da ist, da gewesen ist, wenn man sagt, dass das Leben eine Wiederholung sei, dann sagt man: das Dasein, das da gewesen ist, tritt jetzt ins Da. 119 (SKS 4, 25 f. / W 22)

Wenn alles Erkennen ein Erinnern ist, dann ist alles, was da ist, bereits da gewesen; es könnte überhaupt nichts Neues auftauchen, alles was sein kann, hat es bereits gegeben. 120 Mit der Wieder-holung verhält es sich genau umgekehrt, denn die Wieder-holung macht auch das, was da gewesen ist, zu etwas Neuem, denn die Wieder-holung ist jene Bewegung, durch die auch dasjenige allererst wird, was da gewesen ist. Das Vergangene liegt nicht hinter der Wieder-holung als etwas Abgeschlossenes und ihr Vorgängiges, sondern das Vergangene wird allererst zu diesem Vergangenen, indem es wieder-holt wird. Die solcherart verstandene Wieder-holung ist es aber auch, die den Zusammenhang der Vollzüge des Daseins ermöglicht. »Wenn man die Kategorie der Erinnerung oder der Wiederholung nicht hat, dann löst sich das ganze Leben in ein leeres und inhaltsloses Lärmen auf.« 121 119 »Gjentagelsens Dialektik er let; thi det, der gjentages, har været, ellers kunde det ikke gjentages, men netop det, at det har været, gjør Gjentagelsen til det Nye. Naar Grækerne sagde, at al Erkjenden er Erindren, saa sagde de, hele Tilværelsen, som er til, har været til, naar man siger, at Livet er en Gjentagelse, saa siger man: Tilværelsen, som har været til, bliver nu til.« 120 Hiroshi Fujino fasst die Einwände bei Kierkegaard gegen die Anamnesislehre sehr schön zusammen: »Wenn die Anamnesislehre stimmen sollte, bedeutet dies, daß die Wahrheit, obwohl zeitweise vergessen, eigentlich immer in der Seele des Erkennenden vorhanden war und ist, so daß dieser immer wieder eine neue Chance erhalten wird, sie neu zu entdecken, auch wenn er eine Chance nach der anderen verpassen sollte. Dadurch verliere der Erkenntnisakt seinen Ernst, der nur eine einmalige Erfahrung beinhaltet.« (Fujino 1994, 76) 121 Die Fortsetzung des Zitats lautet: »Die Erinnerung ist die ethnische Lebensbetrachtung, die Wiederholung die moderne; die Wiederholung ist das Interesse der Metaphysik; und zugleich das Interesse, bei dem die Metaphysik strandet, die Wiederholung ist die Losung in jeder ethischen Anschauung, die Wiederholung ist die conditio sine qua non für jedes dogmatische Problem.« (SKS 4, 25 f. / W 22) In Der Begriff Angst findet

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(SKS 4, 25 / W 22) Der Zusammenhang der Daseinsvollzüge hängt also, so kann resümierend festgehalten werden, wesentlich an der Möglichkeit der Wieder-holung. Hier lässt sich aber wiederum ein Zusammenhang mit Heidegger herstellen. Denn dieser meint in seiner Vorlesung Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie aus dem Sommersemester 1924 in Hinblick auf die Praxis des Menschen, und im Kontext der Frage, wie dieser eine Haltung, eine Hexis erwerben könne: »Die Art und Weise der Gewöhnung bei der Handlung ist nicht Übung, sondern Wiederholung. Wiederholung besagt nicht: Ins-Spiel-Bringen einer festsitzenden Fertigkeit, sondern in jedem Augenblick neu aus dem entsprechenden Entschluß heraus Handeln.« (GA 18, 189) Es kann sich bei der Gewöhnung in Hinblick auf die menschliche Praxis, das menschliche Handeln um keine Übung handeln, denn dies würde das Wesentliche des menschlichen Handelns, dass die Handlungssituation nie dieselbe, sondern immer anders ist, verfehlen. In der menschlichen Praxis kommt es hinsichtlich dieser kontingenten Handlungssituationen darauf an, wie mit dieser umgegangen wird. Dieses Wie aber »wird nur so angeeignet, daß der Mensch sich in den Stand setzt, für jeden Augenblick gefaßt zu sein.« (GA 18, 190) Weil aber »die Möglichkeiten, über die eine menschliche Existenz verfügt«, für diese »nicht ständig da« sind, bedarf es deren »immer neuen und ständig wiederholten Aneignung« (GA 18, 190). Das Wieder-holen der Möglichkeiten ermöglicht es, die kontingente Handlungssituation allererst in den Blick zu nehmen und zu ergreifen. Damit sind wir aber bereits mitten in der Diskussion der dritten Ekstase der Zeitlichkeit, denn worauf diese Ausführungen hi-

sich eine lange Fußnote, in welcher Haufniensis eine Interpretation dieses Zitat aus der Wiederholung anbietet. Er verweist dabei erstens darauf, dass die Schrift Wiederholung wesentlich ästhetisch/humoristisch konzipiert sei. Zweitens merkt er zum Verhältnis von Metaphysik und Wiederholung an, dass die Metaphysik ja eigentlich interesselos sei, weswegen Interesse gesperrt gedruckt sei und die Metaphysik notwendig bei diesem Interesse stranden und also zur Seite treten müsse. Drittens macht er auf die prinzipiell religiöse Bedeutung der Wiederholung aufmerksam (vgl. SKS 4, 324 / BA 14, Anmerkung). Es finden sich in Der Begriff Angst noch drei weitere Verweise auf die Wiederholung. Dabei wird die Wiederholung als der Ernst des Daseins betont (vgl. SKS 4, 449 / BA 155, Anmerkung); es wird festgehalten, dass die Ewigkeit die wahre Wiederholung sei (vgl. SKS 4, 451 / BA 157, Anmerkung); und schließlich wird gesagt, dass es bei der Wiederholung letztlich darum gehen würde, wie es einem Individuum glücken könne sich selbst ganz/heil [heel] zu bekommen (vgl. SKS 4, 408 / BA 109).

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nauslaufen ist, dass es »der Möglichkeit [bedarf], den Augenblick als Ganzes zu ergreifen« (GA 18, 191).

Augenblick als Entscheidung des Verweilens bei und Offenstehens für Augenblick ist Heideggers Benennung für die eigentliche Gegenwart (vgl. SZ 338). Es lässt sich kaum bezweifeln, dass auch in diesem Fall zumindest ein terminologisches Naheverhältnis Heideggers zu Kierkegaard besteht, sofern Kierkegaard auch in der Geschichte dieses Begriffs (wie bei den Begriffen Existenz und Wiederholung) eine entscheidende Rolle spielte. Augenblick wurde bei ihm (ähnlich wie »Wiederholung«) vielleicht zum ersten Mal zu einem zentralen philosophischen Terminus erhoben und hat dabei (ähnlich wie »Existenz«) auch eine wesentliche Neuauslegung erfahren. Einleitend seien wieder ein paar Bemerkungen zur Verwendung von Augenblick in Sein und Zeit angeführt. Heidegger meint zur Bedeutung von Augenblick als eigentliche Gegenwart: Dieser Terminus muß im aktiven Sinne als Ekstase verstanden werden. Er meint die entschlossene, aber in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung des Daseins an das, was in der Situation an besorgbaren Möglichkeiten, Umständen begegnet. […] ›Im Augenblick‹ kann nichts vorkommen, sondern als eigentliche Gegen-wart läßt er erst begegnen, was als Zuhandenes oder Vorhandenes ›in einer Zeit‹ sein kann. (SZ 338)

Es geht aus diesem Zitat deutlich hervor, dass diese Bestimmung des Augenblicks als Gegenwart nicht präsenzontologisch zu verstehen ist. Diese Abgrenzung soll besagen, dass die Bestimmung der eigentlichen Gegenwart nicht an den derzeitigen Jetztpunkt oder ein gerade Anwesendes gebunden ist. Im Gegenteil, der Augenblick muss als Ekstase verstanden werden und ist als solche nur im Zusammenhang mit den anderen Ekstasen der Zeitlichkeit zu verstehen. Das bedeutet, dass »das Gegenwärtige […] im Modus der ursprünglichen Zeitlichkeit eingeschlossen bleibt in Zukunft und Gewesenheit« (SZ 328). Erst in dieser Aufgespanntheit in die volle Struktur der Zeitlichkeit, die sich in der Einheit ihrer Ekstasen zeitigt, kann auf die Gegenwart zurückgekommen werden. Dieses Eingelassensein in die volle Struktur der Zeitlichkeit ermöglicht allererst »im ›Augenblick‹ auf die erschlossene SituatiA

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on ›da‹ zu sein« (SZ 328). Eigentliche Gegenwart ist nicht durch Abstraktion von den anderen Ekstasen der Zeitlichkeit zu erreichen, sondern die volle Struktur der Zeitlichkeit ermöglicht allererst das Ergreifen echter, eigentlicher Gegenwart. Der Begriff des Augenblicks spielt auch in Der Begriff Angst eine entscheidende Rolle. Haufniensis macht darauf aufmerksam, dass Augenblick 122 ein schwierig zu behandelnder Begriff ist, weil es sich dabei um einen »bildlichen Ausdruck« (SKS 4, 390 / BA 88) handelt. Dennoch scheint es so, dass Haufniensis den Begriff gerade wegen seines metaphorischen Gehalts verwendet und schätzt, denn er schreibt: »Doch ist es ein schönes Wort, um darauf zu achten.« (SKS 4, 390 / BA 88) Im nächsten Satz gibt er eine Bestimmung dieses bildlichen Ausdrucks: »Nichts ist so geschwind wie der Blick des Auges, und doch ist er kommensurabel für den Gehalt der Ewigkeit. […] Ein Blick ist deshalb eine Bezeichnung der Zeit, jedoch wohlgemerkt der Zeit in dem schicksalsschwangeren Zusammenstoß, in dem sie von der Ewigkeit berührt wird.« (SKS 4, 390 f. / BA 89) Der metaphorische Gehalt des Wortes Augen-Blick scheint also dazu zu führen, dass Haufniensis meint, dass »Augenblick« sich vorzüglich dafür eignet, jenes zu bezeichnen, worin Zeit und Ewigkeit einander berühren. Philosophiegeschichtlich spannender als diese Hinweise auf die Metaphorik des Begriffes ist jedoch, dass Haufniensis darauf aufmerksam macht, in Platon einen Vorläufer für seine Ausführungen zu haben. Haufniensis bezieht sich in Der Begriff Angst dementsprechend auch explizit auf Platon und meint: »Was wir den Augenblick nennen, nennt Platon to exaiphnes.« (SKS 4, 391 / BA 89) Haufniensis denkt bei dieser Bezugnahme vor allem an den Dialog Parmenides. In der relevanten Passage dieses Dialogs (156a-e) geht es um die Frage, wie etwas zuvor Ruhendes sich später bewegen oder etwas zuvor sich Bewegendes später ruhen kann. Damit dies möglich ist, muss es wohl einen Übergang zwischen diesen beiden Zuständen geben. Andererseits kann es aber doch auch keinen Zeitpunkt geben, in welchem etwas weder in Ruhe noch in Bewegung ist. Wie findet also dieser Übergang statt? Platon nennt dieses wunderliche Wesen (atopon), worin dieser Umschlag (metabole) stattfindet, to exaiphnes, d. h. das Plötzliche bzw. 122 Das dänische Wort für Augenblick ist »Øjeblik« (zu Kierkegaards Zeiten »Øieblik«) und setzt sich genauso aus »Auge« und »Blick« zusammen wie der deutsche Ausdruck.

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der Augenblick. Der Augenblick, als dieses wunderliche Wesen des Umschlages, liegt zwischen Ruhe und Bewegung und ist als solcher keiner Zeit zugehörig. In einer Fußnote bezieht sich Haufniensis auch explizit auf die erwähnte Stelle in Platons Parmenides. Er schreibt darüber: »Der Augenblick erweist sich nun als jenes wunderliche Wesen (atopon, das griechische Wort ist hier vortrefflich), welches zwischen Bewegung und Ruhe liegt ohne in irgendeiner Zeit zu sein, und zu diesem und aus diesem heraus schlägt das Bewegende in Ruhe um, und das Ruhende in Bewegung. Der Augenblick wird daher die Übergangskategorie schlechthin (metabole).« (SKS 4, 386 f. / BA 84, Anmerkung) Das überaus Amüsante an dieser Fußnote – die zudem außergewöhnlich lang ist – ist aber, dass Haufniensis darin Platon gegenüber die gleiche Haltung einnimmt, welche – wie ich in Kürze zeigen werde – auch Heidegger gegenüber Kierkegaard einnehmen wird. Haufniensis lobt Platon zunächst dafür, dass er das Problem erkannt habe, aber nur, um im nächsten Moment sofort darauf hinzuweisen, dass er es letztlich doch grundlegend missverstanden hat. Haufniensis schreibt: »Aus all diesem erwächst Platon nun das Verdienst sich die Schwierigkeit deutlich zu machen, aber der Augenblick bleibt doch eine lautlose, atomistische Abstraktion.« (SKS 4, 387 / BA 85, Anmerkung) Die Kritik läuft darauf hinaus, dass Haufniensis Platon vorwirft, den Augenblick letztlich doch nur vom Jetzt (to nyn) her zu verstehen und ihn daher im Grunde genommen doch wesentlich zu verfehlen. Es ist nicht Thema dieser Arbeit, die Platon-Lektüre Kierkegaards zu überprüfen, aber es kann doch darauf hingewiesen werden, dass es sich auch bei Platon nicht so einfach verhält wie Haufniensis dies darstellt, weil es bei diesem ebenfalls darum geht, die Konzepte nyn und exaiphnes voneinander abzugrenzen, weswegen die von Haufniensis vorgetragene Kritik dem Text gegenüber unangemessen und ungerecht erscheint. Interessanter ist jedoch die Frage nach der Motivation dafür, eine solche Kritik zu formulieren – vor allem deswegen, weil die gleich lautende Kritik auch von Heidegger gegenüber Kierkegaard formuliert wurde. Anscheinend ist die Tendenz zur Abgrenzung so stark, dass es unmöglich wird anzunehmen, dass der andere das Phänomen ebenfalls bereits in angemessener Weise erfasst haben könnte. So scheint es für Haufniensis schier undenkbar, dass ein Philosoph der griechischen Antike eine für das Christentum so zentrale Kategorie wie den Augenblick richtig erfassen konnte. Er macht dies am Ende der Anmerkung auch A

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explizit, wenn er schreibt: »Erst mit dem Christentum werden Sinnlichkeit, Zeitlichkeit, der Augenblick verständlich, eben weil erst mit diesem die Ewigkeit wesentlich wird.« (SKS 4, 388 / BA 85, Anmerkung) Die Thematik des Augenblicks ist bei Kierkegaard insgesamt äußerst komplex, weil dieser Begriff bei ihm in sehr vielen verschiedenen Kontexten und auf sehr unterschiedliche Art und Weise verwendet wird. Richard Purkarthofer hat darauf hingewiesen, dass Kierkegaard »eine Vorliebe dafür hat, denselben Wörtern in verschiedenem Kontext gegensätzliche Bedeutungen zu geben« (Purkarthofer 2005a, 103). In Hinblick auf den Augenblick in Der Begriff Angst wurde im vorherigen Kapitel bereits darauf hingewiesen, dass Haufniensis die Bestimmung der Zeitlichkeit anhand von zwei Begriffen von Augenblick vornimmt: Einerseits einem Augenblick, der sowohl die Abstraktion von der Ewigkeit als damit verbunden auch von der Zeitlichkeit ist und welcher, falls er der Ausdruck für die Gegenwart sein soll, nur eine Parodie der Gegenwart sein kann (vgl. SKS 4, 390 / BA 88), weil eigentliche Gegenwart allererst aus der ekstatischen Verfasstheit der Zeitlichkeit verständlich werden kann, dieser Augenblick aber dadurch, dass er von der Zeitlichkeit abstrahiert, so etwas wie Ekstasen der Zeit überhaupt nicht kennt. Dem gegenüber steht die Bestimmung von Augenblick als »jenes Zweideutige, worin Zeit und Ewigkeit einander berühren« (SKS 4, 392 / BA 90). Michael Theunissen spricht daher davon, dass es bei Kierkegaard einen »ästhetischen Augenblick« einerseits und einen »ethisch-religiösen Augenblick« andererseits gebe (Theunissen 1979, 502). 123 Dieser Unterschied zwischen einem ästhetischen und einem ethischen Augenblick lässt sich exemplarisch auch anhand von einigen Ausführungen in Entweder – Oder zeigen. Im ersten seiner beiden Briefe analysiert der Gerichtsrat Wilhelm die Position von A in Hinblick auf dessen Verständnis der Liebe, wobei er vor allem auf deren zeitliche Komponente abzielt. Er schreibt, dass bei A »der Moment 123 Theunissen schreibt dazu: »Kierkegaard unterscheidet dementsprechend vom ›ästhetischen Augenblick‹ als Kategorie der selbstlosen Existenz den ›ethisch-religiösen Augenblick‹, den er meint, wenn er sagt: ›Sobald der Geist gesetzt ist, ist der Augenblick da‹. Bringt die Augenblicklichkeit des Ästhetikers Diskontinuität und Zerstreuung ins Viele mit sich, so sammelt der ethische Augenblick als Augenblick der Entscheidung den Menschen in die Ganzheit seines herkünftig-zukünftigen Seins.« (Theunissen 1979, 502)

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[dieser entspricht dem ästhetischen Augenblick; Anmerkung von mir, G. T.] also die Hauptsache wird« (SKS 3, 31 / EO2 24). Anschließend führt er das Beispiel eines Liebhabers an, der zu einem unglücklichen Mädchen, das nur einmal in ihrem Leben lieben kann, sagt: Ich verlange nicht so viel, ich begnüge mich mit weniger; es ist keineswegs meine Absicht zu fordern, dass du fortfahren sollst mich in alle Ewigkeit zu lieben, wenn du mich nur in diesem Augenblick liebst, in welchem ich es wünsche. Solche Liebhaber wissen nun sehr gut, dass das Sinnliche vergänglich ist, sie wissen zugleich, welcher der schönste Augenblick ist, und damit sind sie zufrieden. (SKS 3, 31 / EO2 24).

In dieser Haltung wird der Augenblick also nur als Abstraktion von der Zeitlichkeit verstanden. Weil der Ästhetiker anhand der Vergänglichkeit aber doch um die Zeitlichkeit weiß, kann vielleicht präziser werden, dass es sich dabei nicht so sehr um ein Absehen von der Zeitlichkeit, sondern um eine Flucht vor der Zeitlichkeit handelt. Der Liebhaber flüchtet in das Ästhetische, wo einzig diese Abstraktion von der Zeitlichkeit möglich ist. Später in seinem Brief trägt Wilhelm seine Argumentation gegen diese Haltung des Ästhetikers vor (vgl. SKS 3, 125 ff. / EO2 133 ff.). Er bezieht sich dabei auf das Ideal ehelicher Liebe 124 und meint über den Ehemann, dass »er die Ewigkeit in der Zeit hatte, die Ewigkeit in der Zeit bewahrt hatte. Erst er hat daher über die Zeit gesiegt.« (SKS 3, 137 / EO2 147) Der Ästhetiker hingegen hat keineswegs über die Zeit gesiegt, denn er hat sich erst gar nicht auf sie eingelassen, sondern von Anfang an versucht von ihr zu abstrahieren. Dagegen steht der Ehemann, er »hat wie ein wahrer Sieger nicht die Zeit verloren, sondern sie erlöst und bewahrt in Ewigkeit« (SKS 3, 137 / EO2 147). Wilhelm stimmt zu, dass die Zeitlichkeit und die damit einhergehende Veränderbarkeit und Vergänglichkeit der Feind jeder Liebe sind und doch möchte er die eheliche Liebe als jene Form herausheben, die dieser He124 Diese Ausführungen wirken für den heutigen Lesenden sehr konservativ und spießbürgerlich, was sie insgesamt wohl auch sind. Es sollte aber berücksichtigt werden, dass diese Spießigkeit zum Teil auch beabsichtigt ist. S. Kierkegaard schreibt dazu im Gesichtspunkt für meine Verfasser-Tätigkeit: »Persönlich war ich weit davon entfernt das Dasein beruhigend zur Ehe zurückrufen zu wollen, ich der religiös bereits im Kloster war, welcher Gedanke versteckt ist im Pseudonym: Victor – Eremita. (SV3 18, 90 / GWS 31) Es ist mir hier nicht darum zu schaffen, Wilhelms Meinungen zur Ehe zu kritisieren; mir geht es hier ausschließlich um die Konzeptionen der Zeitlichkeit, die in diesem Beispiel implizit zur Sprache kommen.

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rausforderung am besten begegnen kann: »Die eheliche Liebe hat doch ihren Feind in der Zeit, ihren Sieg in der Zeit, ihre Ewigkeit in der Zeit […].« (SKS 3, 137 f. / EO2 148) Wilhelm selbst macht darauf aufmerksam, dass der von ihm verwendete Zeitbegriff ein sehr konventioneller ist. Die Zeit wird von ihm als Verlauf verstanden, wobei nunmehr deutlich wird, dass es die zentrale Frage ist, wie angesichts dieses Verlaufs der Zeit eine Kontinuität der Lebensführung beschaffen sein kann. Wilhelm schreibt: Ich betrachtete die Zeit bislang bloß als einfachen Verlauf, nunmehr soll es sich zeigen, dass sie nicht bloß ein einfacher Verlauf ist, worin das Ursprüngliche bewahrt wird, sondern ein wachsender Verlauf, worin das Ursprüngliche zunimmt. […] Das wahre Individuum lebt auf einmal sowohl in der Hoffnung als auch in der Erinnerung, und erst damit erhält sein Leben wahre, inhaltsreiche Kontinuität. 125 (SKS 3, 140 / EO2 150 f.)

Laut Wilhelm ist es also der Bezug auf Vergangenheit und Zukunft, welcher der Lebensführung allererst ihre Kontinuität verleiht. Auf der existenziellen Ebene mag Wilhelm damit Recht haben, ich möchte es nicht weiter beurteilen, jedenfalls muss aber auch gesagt werden, dass in Hinblick auf sein Verständnis der Zeit und der Zeitlichkeit die Ausführungen von Wilhelm dennoch unzureichend sind. In Hinblick auf theoretisch fundierte Ausführungen zur Konzeption der Zeit kann festgehalten werden, dass in Der Begriff Angst sicherlich mehr philosophisch Lehrreiches zu finden ist als in Entweder – Oder, wenngleich das genannte Beispiel zur Illustration geeignet erscheint. Dies möge als kurzer Einblick in die überaus komplexe Thematik des Augenblicks bei Kierkegaard genügen. Nunmehr möchte ich auf die Stellen bei Heidegger zu sprechen kommen, in denen Kierkegaards Konzeption des Augenblicks eine explizite Erwähnung findet. Am bekanntesten ist wahrscheinlich jene Fußnote in Sein und Zeit, die am Ende jenes Absatzes platziert ist, in welchem der Augenblick als Bezeichnung für die eigentliche Gegenwart festgelegt wurde. Sie lautet:

125 »Jeg betragtede da Tiden blot som simpel Progression, nu skal det vise sig, at den ikke blot er en simpel Progression, hvori det Oprindelige bevares, men en voxende Progression, hvori det Oprindelige tiltager. […] Det sande Individ lever paa eengang baade i Haabet og i Erindringen, og først derved faaer hans Liv sand, indholdsrig Continuerlighed.«

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S. Kierkegaard hat das existenzielle Phänomen des Augenblicks wohl am eindringlichsten gesehen, was nicht schon bedeutet, daß ihm auch die existenziale Interpretation entsprechend gelungen ist. Er bleibt am vulgären Zeitbegriff haften und bestimmt den Augenblick mit Hilfe von Jetzt und Ewigkeit. Wenn K. von ›Zeitlichkeit‹ spricht, meint er das ›In-der-Zeit-sein‹ des Menschen. Die Zeit als Innerzeitigkeit kennt nur das Jetzt, aber nie einen Augenblick. Wird dieser aber existenziell erfahren, dann ist eine ursprünglichere Zeitlichkeit, obzwar existenzial unausdrücklich, vorausgesetzt. (SZ 338, Anmerkung)

Heidegger bekräftigt seine in Sein und Zeit vorgetragene Einschätzung auch in der kurz nach der Abfassung von Sein und Zeit gehaltenen Vorlesung Die Grundprobleme der Phänomenologie aus dem Sommersemester 1927, wo er meint: Das Jetzt ist aus dem Augenblick abkünftig. Daher kann das Phänomen des Augenblicks nicht aus dem Jetzt verstanden werden, wie das Kierkegaard versucht. Zwar versteht er Augenblick in seinem Sachverhalt sehr wohl, aber es gelingt ihm nicht, die spezifische Zeitlichkeit des Augenblicks zu exponieren, sondern er identifiziert den Augenblick mit dem Jetzt der vulgär verstandenen Zeit. (GA 24, 408)

In Die Grundprobleme der Phänomenologie bezieht sich Heidegger in Hinblick auf den Augenblick in positiver Anknüpfung nur auf Aristoteles, von dem er sagt, dass er »das Phänomen des Augenblicks, den kairos, gesehen [hat]« (GA 24, 408). Gegenüber Kierkegaard hingegen versucht sich Heidegger in dieser Vorlesung ausschließlich abzugrenzen. Die Vorwürfe Heideggers gegenüber Kierkegaard lauten zusammengefasst, dass dieser erstens den Augenblick vom Jetzt her denke – derselbe Vorwurf, den Haufniensis gegen Platon formuliert – und zweitens, dass Kierkegaard mit Zeitlichkeit nur die Innerzeitigkeit des Menschen meine. Wenn meine bisherige Lektüre der Passagen aus Der Begriff Angst ihre Berechtigung hat, dann muss Heiko Schulz zugestimmt werden, dass »kein Zweifel bestehen [kann], dass hier eine schlichte Fehlinterpretation des Augenblickbegriffs im Gebrauch der Pseudonyme vorliegt« (Schulz 2004, 397). Erstens macht Schulz darauf aufmerksam, dass der Terminus »Jetzt« in den behandelten Passagen von Der Begriff Angst überhaupt keine Rolle spielt (vgl. Schulz 2004, 397). Dementsprechend habe ich zu zeigen versucht, dass es Haufniensis gerade um eine Abgrenzung einer als unendliche Sukzession verstandenen Zeit von der Zeitlichkeit geht und dass sich die Zeitlichkeit bei A

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Haufniensis nicht an eine Bestimmung der Zeit, auch nicht an die Bestimmung der Gegenwart im Sinne eines Jetztpunktes, rückbinden lässt. Zweitens habe ich deutlich zu machen versucht, dass das In-derZeit-sein des Menschen bei Haufniensis grundsätzlich von der Innerzeitigkeit anderer Seiender unterschieden werden muss – auch wenn dies in den Formulierungen von Haufniensis vielleicht nicht immer völlig klar wird. Daher ist Schulz wiederum zuzustimmen, dass Heideggers Versuch, diese Unterscheidung ins Treffen zu führen und daraus »ein Argument gegen die pseudonyme Augenblickstheorie abzuleiten, bereits deshalb zum Scheitern verurteilt [ist], weil die Einsicht in diese Tatsache – wenn auch in anderer Nomenklatur – integraler Bestandteil eben jener Theorie ist« (Schulz 2004, 398). Angesichts dieser notwendigen Zurückweisung von Heideggers Kritik ist es bemerkenswert, dass Heidegger seine Meinung über die Konzeption des Augenblicks bei Kierkegaard offenbar schon wenige Jahre später einer grundlegenden Revision unterzogen hat. Denn in seiner Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik vom Wintersemester 1929/30 meint Heidegger: »Was wir hier mit ›Augenblick‹ bezeichnen, ist dasjenige, was Kierkegaard zum erstenmal in der Philosophie wirklich begriffen hat – ein Begreifen, mit dem seit der Antike die Möglichkeit einer vollkommen neuen Epoche der Philosophie beginnt.« (GA 29/30, 225) Diese Bemerkung Heideggers findet sich im Rahmen seiner Behandlung der Grundstimmung der Langeweile. Die Langeweile bewirkt, dass das Dasein keine Möglichkeiten mehr sieht und deswegen auch nicht mehr in der Lage ist zu handeln; Heidegger nennt diesen Zustand einen Zeitbann. Zum Zusammenhang von Langeweile und Augenblick meint Heidegger anschließend: Der Zeitbann kann nur durch die Zeit selbst gebrochen werden, durch das, was vom eigenen Wesen der Zeit ist und was wir im Anschluß an Kierkegaard den Augenblick nennen. Der Augenblick bricht den Bann der Zeit, kann ihn brechen, sofern er eine eigene Möglichkeit der Zeit selbst ist. Er ist nicht etwa ein Jetztpunkt, den wir gar nur feststellen, sondern der Blick des Daseins in den drei Richtungen der Sicht, die wir bereits kennenlernten, in der Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Der Augenblick ist ein Blick eigener Art, den wir nennen den Blick der Entschlossenheit zum Handeln in der jeweiligen Lage, in der das Dasein sich befindet. (GA 29/30, 226)

Es wird aus diesen Ausführungen offenkundig, dass Heidegger zwischen 1927 und 1929 seine Einschätzung von Kierkegaards Verständnis des Augenblicks revidiert hat. Denn 1929 ist keine Rede mehr davon, 146

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dass Kierkegaard diesen von der Innerzeitigkeit und dem Jetzt her denken möchte, vielmehr wird Kierkegaard nunmehr ausdrücklich als derjenige gelobt, der erstmals erkannt hat, dass der Augenblick grundsätzlich anders zu fassen ist, nämlich von der vollen Struktur der Zeitlichkeit des Daseins her, in welcher sich dem Dasein, aufgespannt in Vergangenheit und Gegenwart, gerade im Augenblick die Möglichkeit des Handelns in der eigentlichen Gegenwart eröffnet. Nach diesen Ausführungen zu Heideggers wandelnder Meinung über Kierkegaards Verständnis des Augenblicks, möchte ich abschließend noch ein paar Bemerkungen zum Konzept des Augenblicks bei Heidegger hinzufügen. Hintergrund dieser Ausführungen ist die lange zurückreichende Auseinandersetzung in der Heidegger Fachliteratur zu der Frage, wie die Konzeption der Gegenwart in Sein und Zeit zu verstehen sei. Ausgelöst wurde diese Diskussion vor allem durch die Bemerkungen Otto Pöggelers in seiner richtungweisenden Arbeit Der Denkweg Martin Heideggers. Dieser meint, dass die Konzeption des Augenblicks in Sein und Zeit letztlich »leer« bleibe: Es fällt überhaupt auf, daß in Sein und Zeit die Gegenwart verschlungen wird von der (›gewesenden‹) Zukunft und so keine positiven Bestimmungen erfährt. Während die Zeitekstase der Zukunft in reicher Weise bestimmt wird durch Existenz, Entwurf, Vorlaufen zum Tode, Entschlossenheit, die Ekstase der Gewesenheit durch Faktizität, Geworfenheit, Schuld, Wiederholung, bleibt die Gegenwart – zumindest in ihrer Eigentlichkeit als Augenblick – leer […]. (Pöggeler 1994, 210)

Der Augenblick findet eine nähere Bestimmung nur in Zusammenhang mit der Erörterung der »Situation« in den §§ 58 bis 60, in denen die Phänomene der Schuld und des Gewissens behandelt werden. Doch auch dazu meint Pöggeler: »Der Augenblick ist kairos, scharf wie die Schneide des Messers, ja diese Schneide ist so scharf, daß keine ›Gehalte‹ auf ihr Platz haben.« (Pöggeler 1994, 209) Pöggeler identifiziert diese Tendenz, den Augenblick von Gehalten frei, also leer zu halten, als eine konzeptuelle Schwierigkeit von Sein und Zeit. Es wird dadurch nämlich nicht klar, welches Strukturmoment des Daseins mit der Gegenwart einhergeht und diese näher bestimmt. Pöggeler kann daher vermuten, dass es zunächst die Rede sei, die der Gegenwart zugeordnet wird, und weiterführend spekulieren, dass diese Zuordnung nicht konsequent durchgehalten werde, sondern in weiterer Folge die Gegenwart A

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mit dem Verfallen in Zusammenhang gebracht werde (vgl. Pöggeler 1994, 210). Wenn die zuletzt genannte Verbindung von Gegenwart und Verfallen zuträfe, dann stimmt allerdings die weitere Behauptung Pöggelers, »die Gegenwart kommt nur ihrer Uneigentlichkeit nach ins Spiel.« (Pöggeler 1994, 210). Die Ausführungen Pöggelers treffen sicherlich einen wunden Punkt von Sein und Zeit, an welchem die Ausführungen Heideggers nicht die zu erhoffende Klarheit bringen. Dennoch ist seine Interpretation und Kritik alles andere als selbstverständlich und auch nicht durchgehend einleuchtend. Einen wichtigen Gegenpol zur Auslegung von Otto Pöggeler stellt Friedrich Wilhelm von Herrmann dar, der in seiner Interpretation von Sein und Zeit zum Unterschied von Jetzt und Augenblick schreibt: Zu ihrer Unterscheidung von der uneigentlichen Gegenwart nennt Heidegger die eigentliche den Augenblick. Dieser meint nicht das punktuelle Jetzt, sondern ›blick‹ heißt: Blicken des Daseins, nicht das sinnliche Wahrnehmen mit den Augen, sondern das existenziale Blicken auf die Erschlossenheit von Welt (und Sein), die Erschlossenheit für das Begegnen von innerweltlichem Seienden ist. (Herrmann 2004, 86)

Diese Interpretation scheint mir Wichtiges zu treffen, vor allem, wenn sie als ein Korrektiv zu den Ausführungen Pöggelers gelesen wird. Gegenwart darf keineswegs nur in ihrer Uneigentlichkeit in den Blick genommen werden. Dem Augenblick als eigentlicher Gegenwart wohnt eine Erschließungsfunktion inne; er ist daher keineswegs frei von sämtlichen Inhalten, sondern ist jene Instanz, die Inhalte allererst begegnen lässt. Heidegger fordert uns also dazu auf, gerade diese Entschließungsfunktion des Augenblicks eigens zu bedenken. Dennoch scheint mir in dieser Auslegung auch Entscheidendes verloren zu gehen, nämlich genau genommen gerade das Entscheidende, das im Augenblick liegt. Es muss nämlich die Frage gestellt werden, ob der Augenblick bei Heidegger nicht auch der »Augenblick der Entscheidung« ist, von dem Johannes Climacus in den Philosophischen Brocken sagt, dass er »eine Torheit« (SKS 4, 255 / PB 49) sei, und von welchem es in der Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift übereinstimmend heißt, dass er für das Denken die höchste und schwierigste Aufgabe sei, »da der Augenblick für die höchsten Entscheidungen kommensurabel und doch wieder eine kleine verschwindende Minute in den möglichen siebzig Jahren ist« (SKS 7, 321 / 148

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AUN2 56). Für Climacus steht fest, dass »der Augenblick wirklich die Entscheidung der Ewigkeit ist« (SKS 4, 260 / PB 55) und dennoch nicht als ein ausgezeichneter Moment in einer linearen Zeitabfolge, als ein besonderer, datierbarer Zeitpunkt in der Geschichte eines Menschen oder der Menschheitsgeschichte identifiziert werden kann. Von Herrmann hingegen bezieht sich in seiner Interpretation Heideggers vor allem auf den Aspekt des Verweilens bei den Dingen, des Begegnenlassens von innerweltlich begegnendem Seienden. Aber auch bei Heideggers Konzeption des Augenblicks geht es nicht nur um ein Begegnenlassen von Seiendem, auch seiner Konzeption weilt ein Moment der Entscheidung, des Entschlusses inne. Denn im Begegnenlassen geht es immer auch um dessen handelndes Ergreifen in der Situation: »[D]as handelnde Begegnenlassen des umweltlich Anwesenden ist nur möglich in einem Gegenwärtigen dieses Seienden. Nur als Gegenwart im Sinne des Gegenwärtigens kann die Entschlossenheit sein, was sie ist: das unverstellte Begegnenlassen dessen, was sie handelnd ergreift.« (SZ 326) Es stellt sich nunmehr die Frage, ob es sich bei der Fassung des Augenblick als Entscheidung und dem Verständnis des Augenblick als Begegnenlassen um zwei vollkommen unterschiedliche Konzeptionen handelt, oder ob – wie Heidegger in diesem Zitat anzudeuten scheint – diese beiden Aspekte zusammen gedacht werden müssen. Was hier auf dem Spiel steht ist eine Konzeption von Gegenwart, die den Einwänden Pöggelers zu entgehen vermag, entweder vollkommen leer oder doch nur Verfallensphänomen zu sein. Gibt es so etwas wie eine eigentliche Gegenwart, die in ihrer vollen gehaltlichen Fülle bestimmt werden kann? Meine These lautet, dass Pöggeler mit seiner Kritik insofern Recht zu geben ist, als Heidegger uns tatsächlich keine entsprechenden Textabschnitte zur Verfügung stellt, anhand derer diese Frage beantwortet werden könnte, dass es aber falsch wäre daraus zu folgern, dass eine Konzeption der eigentlichen Gegenwart in der Gesamtkonzeption Heideggers überhaupt nicht zu inkludieren sei. Mit anderen Worten: Anhand der vorliegenden Ausführungen von Sein und Zeit lässt sich zwar eine Unterbestimmtheit der Gegenwart konstatieren, diese sollte aber nicht nur festgehalten, sondern als Herausforderung gesehen werden, noch einmal nach der Möglichkeit einer näheren Bestimmung der Gegenwart zu fragen. Ich möchte behaupten, dass eine Rückbesinnung auf Ausführungen Kierkegaards in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Vor allem S. Kierkegaards Reden A

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scheinen sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen und wichtige Impulse zu liefern. 126 An dieser Stelle möchte ich zunächst noch einmal auf Der Begriff Angst zurückkommen, wo Haufniensis meint, dass »die Fülle der Zeit der Augenblick als das Ewige ist und doch ist dieses Ewige zugleich das Zukünftige und das Vergangene« (SKS 4, 393 / BA 92). Denn bereits dieses Zitat macht deutlich, dass die Konzeption des Augenblicks als Entscheidung der Ewigkeit dem Verständnis des Augenblicks als Ekstase der Zeitlichkeit nicht widerspricht, sondern dieser Bezug auf Ewigkeit bei Haufniensis gerade diese Struktur der ekstatischen Zeitlichkeit begründen möchte. Der Augenblick als Entscheidung für die Ewigkeit wäre somit genau jenes, was ein Begegnenlassen und Ergreifen von Gegenwärtigem in der jeweiligen Situation allererst ermöglicht. Das Möglichsein des Daseins muss hier – wie bereits in Hinblick auf die Zukünftigkeit des Daseins erörtert – wesentlich als diese Eröffnung des Möglichkeitsspielraums insgesamt verstanden werden. Für Kierkegaard und Heidegger übereinstimmend könnte somit in einer ersten Annäherung festgehalten werden, dass der Augenblick als eigentliche Gegenwart verstanden werden muss als das Offenstehen für das Kommen von Künftigem, das als dieses Offene nicht nur das Begegnen von Anwesendem ermöglicht, sondern auch das eigentliche Eingelassensein in die Gegenwart, das allererst die Möglichkeit für ein entschlossenes Handeln in der Situation eröffnet.

Zeitlichkeit und Ewigkeit Bereits in den letzten beiden Kapiteln wurde deutlich, dass bei Kierkegaard im Zusammenhang mit dem Konzept der Zeitlichkeit auch der Begriff der Ewigkeit eine zentrale Rolle spielt. Damit sind wir bei einem Aspekt angelangt, an welchem die Ausführungen bei Kierkegaard den heutigen Lesenden – noch dazu wenn sie eine philosophische Motivation mitbringen – sehr fern zu stehen scheinen. Denn diese Bezugnahme auf Ewigkeit scheint bei Kierkegaard aus einer Grundüberzeugung und Problemstellung zu entspringen, die nicht mehr ohne Siehe die exemplarische Lektüre der Reden im Kapitel Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel. Die hier aufgeworfene Frage wird im abschließenden Kapitel Unabschließbare Übersetzungen: Zeitlichkeit bei Kierkegaard und Heidegger wieder aufgegriffen.

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weiteres jene der heutigen Lesenden ist. Es stellt sich daher die Frage, ob die Rede vom Ewigen oder von der Ewigkeit – welcher wir bei Kierkegaard sehr häufig begegnen – für die heutigen Lesenden überhaupt noch einen nachvollziehbaren Sinn zu haben vermag. Um diese Frage beantworten zu können, muss noch einmal nach dem Zusammenhang von Zeit und Ewigkeit gefragt werden, wie er in Haufniensis Bestimmung des Menschen als Synthese des Zeitlichen und des Ewigen impliziert ist, wobei diesmal auch die ewige Komponente dieser Synthese in den Blick genommen werden muss. Was die Behandlung der Ewigkeit in der Philosophie, insbesondere in Zusammenhang mit einer Philosophie der Zeit betrifft, sollen einige prinzipielle Hinweise von Heidegger zur Orientierung dienen. Heidegger eröffnet seinen Vortrag Der Begriff der Zeit aus dem Jahr 1924 mit folgendem Gedankengang: Wenn die Zeit ihren Sinn findet in der Ewigkeit, dann muß sie von daher verstanden werden. Damit sind Ausgang und Weg dieser Nachforschung vorgezeichnet: von der Ewigkeit zur Zeit. Diese Fragestellung ist in Ordnung unter der Voraussetzung, daß wir über den vorgenannten Ausgang verfügen, also die Ewigkeit kennen und hinreichend verstehen. Sollte die Ewigkeit etwas anderes sein als das leere Immersein, das aei, sollte Gott die Ewigkeit sein, dann müßte die zuerst nahegelegte Art der Zeitbetrachtung so lange in einer Verlegenheit bleiben, als sie nicht von Gott weiß, nicht versteht die Nachfrage nach ihm. Wenn der Zugang zu Gott der Glaube ist und das Sicheinlassen mit der Ewigkeit nichts anderes als dieser Glaube, dann wird die Philosophie die Ewigkeit nie haben und diese sonach nie als mögliche Hinsicht für die Diskussion der Zeit in methodischen Gebrauch genommen werden können. Diese Verlegenheit ist für die Philosophie nie zu beheben. So ist denn der Theologe der rechte Sachkenner der Zeit; und wenn die Erinnerung nicht trügt, hat es die Theologie mehrfach mit der Zeit zu tun. Erstens handelt die Theologie vom menschlichen Dasein als Sein vor Gott, von seinem zeitlichen Sein in seinem Verhältnis zur Ewigkeit. Gott selbst braucht keine Theologie, seine Existenz ist nicht durch den Glauben begründet. Zweitens soll der christliche Glaube an ihm selbst Bezug haben zu etwas, das in der Zeit geschah – wie man hört zu einer Zeit, von der gesagt wird: Sie war die Zeit, ›da die Zeit erfüllet war …‹. Der Philosoph glaubt nicht. Fragt der Philosoph nach der Zeit, dann ist er entschlossen, die Zeit aus der Zeit zu verstehen bzw. aus dem aei, was so aussieht wie Ewigkeit, was sich aber herausstellt als ein bloßes Derivat des Zeitlichseins. (GA 64, 107)

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Ich habe diese Ausführungen in voller Länge zitiert, da sich aus ihnen mehrere wichtige Hinweise gewinnen lassen, die für das Folgende als Leitfaden dienen können. Ich möchte die Hinweise, die Heidegger in dieser Passage liefert, kurz zusammenfassen. Zunächst hält Heidegger fest, dass »das Sich-einlassen mit der Ewigkeit« Sache des Glaubens sei, ja, dass der Glaube nichts anderes sei als dieses Sich-einlassen mit der Ewigkeit. Daraus folgt aber auch, dass die Ewigkeit Gegenstand der Theologie ist. Denn, wie Heidegger in seinem Vortrag Phänomenologie und Theologie festhält: »Theologie ist die Wissenschaft des Glaubens.« (GA 9, 55) Heidegger bestimmt die Theologie in diesem Vortrag als eine positive Wissenschaft. Dies insofern, als die Theologie einen positiven, d. h. vorliegenden Gegenstand hat; dieser ist die Christlichkeit bzw. der Glaube. In einer formalen Annäherung bestimmt Heidegger den Glauben als »eine Existenzweise des Daseins« (GA 9, 52), in welcher das Christ-sein des Gläubigen dessen gesamte Existenz aus einer spezifischen Geschichtlichkeit heraus durchherrscht (vgl. GA 9, 53 f.). Theologie als Wissenschaft des Glaubens ist folglich die »begriffliche Selbstinterpretation der gläubigen Existenz« (GA 9, 56). Die Philosophie ist von der Theologie »nicht relativ, sondern absolut verschieden« (GA 9, 48). Denn die Philosophie hat keinen solchen positiven Gegenstand, sie hat grundsätzlich keinen vorliegenden Gegenstand, auch nicht den Glauben, welcher daher ausschließlich Gegenstand der Theologie ist. Die Philosophie glaubt prinzipiell nicht. Daher verfügt die Philosophie auch nicht über die Ewigkeit, um von dieser ausgehen zu können. Daher meint Heidegger, der Philosophie bleibe nur »die Zeit aus der Zeit zu verstehen« bzw. aus einer Form der Ewigkeit, welche für den Philosophen, unabhängig vom Glauben, Sinn zu gewinnen vermag. Heidegger nennt das aei, das Immerwährenden, weist aber darauf hin, dass dieses nur so aussieht wie Ewigkeit, dass von diesem aber gezeigt werden kann, dass es seinerseits aus dem Zeitlichsein abgeleitet ist. Damit weist Heidegger des Weiteren aber auch darauf hin, dass es nötig sein wird, zwischen mehreren Verständnissen von Ewigkeit zu unterscheiden. Denn das Ewige als aei, welches in der Philosophie Behandlung findet, ist nicht gleichzusetzen mit der Ewigkeit Gottes, wie sie im Glauben begegnet. Hiermit wird aber noch einmal deutlich, dass die Ewigkeit als Ewigkeit Gottes überhaupt nicht Gegenstand der Philosophie, sondern der Theologie ist, weil sie wesentlich Sache des Glau152

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bens ist. Die Theologie handelt aber nicht einfach von der Ewigkeit, sofern sie Ewigkeit ist, sondern »vom menschlichen Dasein als Sein vor Gott, von seinem zeitlichen Sein in seinem Verhältnis zur Ewigkeit.« Sie handelt also von der menschlichen Existenz in ihrer Bezogenheit auf die Ewigkeit, die Ewigkeit gewinnt also ihre Relevanz nur als in der gelebten Zeit der Existenz des jeweiligen Existierenden erfahrene. Die so verstandene Ewigkeit bleibt also bezogen auf die Zeitlichkeit des Existierenden und wird daher bezeichnet als »die Zeit, ›da die Zeit erfüllet war …‹.« Diese Wendung, welche auch bei Kierkegaard an zahlreichen Stellen eine wichtige Rolle spielt, ist eine der wichtigsten Stellen in den Briefen des Apostels Paulus (Gal 4.4) und zentral für das hier zu besprechende Verständnis der Zeit. 127 Es ist wichtig, noch einmal festzuhalten, dass hier offenbar verschiedene Verständnisse von Ewigkeit im Spiel sind. In der zitierten Passage aus dem Vortrag Der Begriff der Zeit weist Heidegger darauf hin, dass die Ewigkeit im Sinne des aei, des Immerwährenden, nicht identisch ist mit der Ewigkeit Gottes, wie sie sich für den Gläubigen zeigt. In der späteren Vorlesung Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein« aus dem Wintersemester 1934/1935 unterscheidet Heidegger zwei Begriffe der Ewigkeit, die allgemein bekannt seien. Erstens die Ewigkeit »als sempiternitas – das fortgesetzte Weitergehen der Zeit, unaufhörliches Undsoweiter« und zweitens die Ewigkeit »als aeternitas – das nunc stans, das stehende Jetzt, immerwährende Gegenwart« (GA 39, 54 f.). Zur Auslegung dieser beiden Ewigkeitsbegriffe macht Heidegger deutlich: »Aber diese beiden Ewigkeitsbegriffe entspringen auch einer bestimmten Erfahrung der Zeit, nämlich der Zeit als des reinen Vergehens des Jetzt im Nacheinander. Erstens ist Zeit das Nie-Aufhören des Nacheinander des Jetzt. Zweitens ist sie das vorgängige Stehenbleiben eines umfassenden Jetzt.« (GA 39, 55) Es wurde in den beiden vorherigen Kapiteln aber schon deutlich, dass von einem Verständnis der Zeit als einer unendlichen Sukzession und der damit einhergehenden Annahme des Jetzt als Element der Zeit keine Dimensionen der Zeit abgeleitet werden können. Nunmehr kann ergänzt wer127 In dieser Arbeit kann nicht darauf eingegangen werden, wie das hier vorgetragene Verständnis der Zeit und der Ewigkeit aus der Auslegung eines (ur)christlichen Lebensvollzuges entspringt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Heideggers frühe Freiburger Vorlesung Phänomenologie des religiösen Lebens (GA 60) hinweisen, in welcher dieser eine ausgesprochen detaillierte Auslegung der Paulinischen Briefe vorträgt.

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den, dass von diesem Ausgang her auch die Ewigkeit nicht angemessen erfasst werden kann. Heidegger schreibt dementsprechend: »Jener Zeitbegriff aber faßt weder das Wesen der Zeit, noch trifft der von ihm ganz abhängige Ewigkeitsbegriff das Wesen der Ewigkeit, soweit wir das überhaupt zu denken vermögen.« (GA 39, 55) Somit stellt sich aber die Frage erneut, welches Verständnis bzw. welche Verständnisse von Ewigkeit bei Kierkegaard im Spiel sind. Johannes Sløk behandelt in seiner für jede philosophische KierkegaardLektüre maßgeblichen Arbeit Die Anthropologie Kierkegaards die philosophiehistorischen Grundlagen von Kierkegaards Behandlung von Zeit und Ewigkeit. Sløk verweist auf den »Dualismus im Menschen zwischen Geist und Materie« bei Platon, wo »die Welt der Materie durch Zeitbestimmtheit, Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit gekennzeichnet ist, sowie der sinnlichen Erkenntnis zugänglich, während die andere, die Welt des Geistes, Zeitlosigkeit, ungebrochene Identität und Einheit zum Charakteristikum hatte und nur der Vernunfterkenntnis zugänglich war« (Sløk 1954, 28). Sløk stellt anschließend fest, dass »Kierkegaard weitgehend in Terminologie und Aufstellung mit dieser philosophischen Tradition [arbeitet]. Er operiert mit Zeit und Ewigkeit, mit endlich und unendlich, mit Möglichkeit, Notwendigkeit und Wirklichkeit, mit Bewegung und Sein und tut es mit dem ausdrücklichen Hinweis auf Platon und Aristoteles« (Sløk 1954, 28). Sløk betont aber, dass Kierkegaards Position trotzdem eine andere sei (vgl. Sløk 1954, 28), und gerade dieser Übergang sei es, der »Kierkegaards Philosophie unmissverständlich zur Existenzphilosophie werden lässt« (Sløk 1954, 29). In weiterer Folge macht Sløk deutlich, worin diese existenzphilosophische Position Kierkegaards besteht: Was der Mensch ist, lässt sich nicht in einer Wesensbeschreibung erschöpfend definieren, noch kann das Wesen des Menschen von einer rein metaphysischen Ontologie aus bestimmt werden. Die metaphysische Bestimmung des Menschen kann nicht einen Inhalt im Menschen angeben, der ihm als Individuum unzweideutig Gültigkeit und Realität verleiht, sie kann nur auf die leere Möglichkeit hinweisen, die dem Menschen gegeben ist ein Individuum zu werden oder nicht, oder sie kann den Ort nichtmetaphysischer Art umschreiben, an dem der Mensch sich selbst als Individuum realisieren oder auch nicht realisieren kann. (Sløk 1954, 29)

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Diese Neuausrichtung bei Kierkegaard bedeutet aber auch, dass die Ewigkeit in anderer Weise für das Individuum Bedeutung gewinnen muss. Letztlich wird es bei der Frage nach der Ewigkeit ausschließlich darauf ankommen, wie diese für das Individuum bedeutsam wird. Dieser Sachverhalt soll im Folgenden detaillierter ausgearbeitet werden. Ich möchte dafür zunächst wieder mit einer Lektüre von Der Begriff Angst beginnen. Für das Verständnis der dortigen Ausführungen zu Zeitlichkeit und Ewigkeit ist es von zentraler Bedeutung festzuhalten, dass es Haufniensis in Hinblick auf die Ewigkeit auf die Unterscheidung eines griechischen und eines christlichen Verständnisses von Ewigkeit ankommt. Er schreibt: »Das griechische Ewige liegt zurück als das Vergangene [Forbigangne], in welches man nur rückwärts hineinkommt. Doch ist dies ein ganz und gar abstrakter Begriff des Ewigen, dass es das Vergangene [Forbigangne] ist.« (SKS 4, 393 / BA 91) Bei der Interpretation der Überlegungen Haufniensis zu einer Bestimmung der Zeit habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Zeit wesentlich dadurch bestimmt wird »vorüberzugehen« [at gaae forbi] (SKS 4 390 / BA 88) und daher insgesamt als ein »Vorübergehen« [Gaaen-Forbi] (SKS 4, 389/ BA 87) definiert werden kann. Aus dieser Bestimmung der Zeit, die aus der griechischen Philosophie geschöpft ist, folgt aber, dass die Zeit insgesamt zu einem Vergangenen wird, sofern sie als Vorübergehen [Gaaen-Forbi] wesentlich als Vorübergegangenes [Forbigangne] gedacht wird. Daher schreibt Haufniensis: »Sollte das griechische Leben überhaupt eine Bestimmung der Zeit bezeichnen, so ist es das Vorübergegangene, doch dieses nicht im Verhältnis zum Gegenwärtigen und Zukünftigen bestimmt, sondern so bestimmt, wie es die Bestimmung der Zeit überhaupt ist, als ein Vorübergehen.« 128 (SKS 4, 393 / BA 91) Im griechischen Verständnis wird also die Zeit insgesamt zum Vorübergegangenen, also wesentlich von der Vergangenheit her gedacht. Für Haufniensis ist damit aber auch klar, dass sich für die Griechen auch die Ewigkeit nur vom Vorübergehen der Zeit her denken lässt, als ein immerwährendes Vorübergehen. Damit haben die Griechen aber für Haufniensis nicht nur die maßgebliche Ewigkeit nicht gesehen, sondern damit ist es ihnen auch nicht möglich, 128 »Skulde det græske Liv overhovedet betegne nogen Bestemmelse af Tiden, da er det det Forbigangne, dog dette ikke bestemmet i Forhold til det Nærværende og Tilkommende, men bestemmet som Tidens Bestemmelse overhovedet er det, som en Gaaenforbi.«

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die wesentliche Bedeutung der Zeitlichkeit für die menschliche Existenz zu bedenken. Auch Sløk setzt sich mit diesem Sachverhalt auseinander, wenn er schreibt: »Die Bestimmung der Zeit als das Vergangene bedeutet also nicht, dass die Zeit ohne jedes Verhältnis zum Ewigen ist, sondern, dass das Ewige in einem bestimten [sic] Verhältnis zur Zeit gedacht ist, nämlich als das Zurückliegende.« (Sløk 1954, 66) Sløk macht in weiterer Folge vor allem auf die daraus folgenden Konsequenzen für die Bestimmung des Menschseins aufmerksam und meint: »Wenn die Ewigkeit das im Verhältnis zur Zeit Zurückliegende ist, so ergibt sich, dass die Aufgabe, die das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit dem Menschen stellt, als bereits von vornherein gelöst in ihm selbst liegt, was aber wiederum bedeuten würde, dass sie nicht als Aufgabe, sondern als etwas Faktisches vorliegt.« (Sløk 1954, 66) Im griechischen Verständnis der Zeit kann so etwas wie eine Entscheidung überhaupt nicht aufbrechen, denn »das Zurückliegende kann weder eine Aufgabe stellen, noch zu einer Entscheidung auffordern; es kann nur als etwas Gegebenes zum Bewusstsein gebracht werden.« (Sløk 1954, 66) Damit ist aber in gewisser Weise schon der Übergang zum von Haufniensis angestrebten Verständnis von Zeit und Ewigkeit gegeben, wenn Sløk das bisher Gesagte abrundet: »Radikale Bedeutung erhielt die Zeit ja erst dadurch, dass sich die Ewigkeit ihr gegenüber fordernd verhielt, und dass es für den Menschen eine absolute Aufgabe war, sich innerhalb der Zeit zu seinen eigenen Inhalten zu verhalten.« (Sløk 1954, 66) In Hinblick auf ein christliches Verständnis von Zeit und Ewigkeit meint Haufniensis: »Der Begriff, um den sich im Christentum alles dreht, der Begriff, der alles neu gemacht hat, ist die Fülle der Zeit, aber die Fülle der Zeit ist der Augenblick als das Ewige und doch ist dieses Ewige zugleich das Zukünftige und das Vergangene.« (SKS 4, 393 / BA 92) Anhand dieses Zitats lassen sich zunächst Abgrenzungen gegen ein unzureichendes Verständnis der von Haufniensis angestrebten Ewigkeit aufzeigen. Es wird klar, dass Ewigkeit hier nicht im Sinne eines – vorhin mit Hilfe von Heidegger ausgearbeiteten – philosophischen Verständnisses von Ewigkeit genommen werden darf. Die als die Fülle der Zeit verstandene Ewigkeit meint weder die Abfolge der Zeit in ihrer Unendlichkeit, ein nicht endendes Vorübergehen, noch ein Anhalten der fortlaufenden Zeit, ein stehendes Jetzt. Die hier intendierte Ewigkeit ist weder sempiternitas, unaufhörliches Undsoweiter, noch aeternitas, immerwährende Gegenwart. 156

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Andererseits wäre es aber auch ein Missverständnis, die christlich verstandene Ewigkeit als Jenseits der Zeit anzusehen. Die Bestimmung der Ewigkeit als Fülle der Zeit verweist darauf, dass die christliche Ewigkeit wesentlich an die gelebte Zeit des zeitlich verfassten Existierenden rückgebunden ist, sofern sie nur in dieser Bedeutung gewinnt. Dazu meint wiederum Sløk: »Das Ewige wird nicht erreicht, indem man die Zeit verlässt; noch ist es etwas zu dem man sich durch die Zeit verhalten kann; es ist dagegen in der Zeit zum Durchbruch gekommen und befindet sich von da an nirgendwo anders. […] sie qualifiziert die Zeit, ohne sie wäre die Zeit, allen Inhalts zum Trotz, leer.« (Sløk 1954, 72) Haufniensis nennt dies die Fülle der Zeit. Zu dieser Wendung schreibt Sløk: »Das historische Ereignis, das mit dem technischen Ausdruck: die Fülle oder die Erfüllung der Zeit bezeichnet wird, ist also von so einmaliger Struktur, dass es sowohl etwas längst Vergangenes und gleichzeitig, weil es der wahre Inhalt der Geschichte ist, etwas Zukünftiges ist.« (Sløk 1954, 73) Es ist deswegen etwas Zukünftiges, weil es auch von späteren Generationen eine Entscheidung verlangt und eine Entscheidung immer bezogen sein muss auf etwas Zukünftiges (vgl. Sløk 1954, 72 f.). Damit wird aber auch deutlich, wie die Ewigkeit, weil sie in der Zeit eine Entscheidung verlangt, wesentlich zu etwas Zukünftigem wird, das sich zum Menschen im Modus der Zukünftigkeit verhält. Um die damit ausgeführten Sachverhalte noch einmal zu verdeutlichen, möchte ich kurz auf die Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift zu sprechen kommen. In jenem Paragraphen, auf welchen ich schon im Kapitel Exkurs zur Geschichte des Existenzbegriffs zu sprechen gekommen bin, macht Climacus deutlich, dass das hier angesprochene Problem von solcher Art ist, dass es nur für den einzelnen Existierenden, der in seiner Existenz wesentlich an seiner Existenz interessiert ist, Relevanz gewinnen kann. Im Rahmen einer theoretischen Abhandlung, welche von der Existenz abstrahiert, muss das Problem hingegen unverständlich bleiben. Es sei erinnert an das diesen Paragraphen eröffnende Zitat: In der Sprache der Abstraktion erscheint das, was die Schwierigkeit der Existenz und des Existierenden ist, eigentlich niemals, geschweige denn, dass die Schwierigkeit erklärt wird. Gerade weil das abstrakte Denken sub specie æterni ist, sieht es ab von dem Konkreten, von der Zeitlichkeit, vom Werden der Existenz, von der Not des Existierenden, die darin besteht, zusammengesetzt aus dem Ewigen und dem Zeitlichen in die Existenz gestellt zu sein. (SKS 7, 274 / AUN2 1) A

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Aus diesem Zitat wird deutlich, dass die in diesen Betrachtungen anvisierte Ewigkeit keine solche der Abstraktion sein kann. Eine theoretische Abhandlung argumentiert zwar aus der Perspektive der Ewigkeit, welche Ewigkeit aber wesentlich eine Abstraktion von der Zeitlichkeit ist. Die Ewigkeit hingegen, um welche es dem Existierenden in seiner Existenz geht, ist grundsätzlich anders beschaffen als die Ewigkeit der Abstraktion und kann nicht durch Abstraktion von der Zeitlichkeit, sondern im Gegenteil nur aus der Zeitlichkeit als sich darin für den Existierenden auftuende Schwierigkeit, die nach einer Entscheidung verlangt, erfahren werden. »Die Ewigkeit der Abstraktion gewinnt man, indem man von der Existenz absieht« (SKS 7, 285 / AUN2 13 f.), meint daher Climacus. Eine solcherart verstandene Ewigkeit ist aber grundsätzlich außerhalb der Existenz. Climacus geht es aber um eine Ewigkeit, die für den Existierenden in seiner Existenz entscheidende Bedeutung gewinnt und er meint: »Eine solche konkrete Ewigkeit im Existierenden ist das Maximum der Leidenschaft.« (SKS 7, 284 f. / AUN2 13) Der Existierende kann, weil er als Existierender wesentlich in der Zeitlichkeit ist, die Ewigkeit nicht als Ewigkeit erfassen, sondern ihm bleibt nur die Möglichkeit der »Antizipation des Ewigen« (SKS 7, 285 / AUN2 13), weswegen die Frage nach der Ewigkeit von ihm auch nur in der Zeitlichkeit gestellt werden kann. Das grundlegende Paradoxon menschlicher Existenz ist für Climacus also, dass der Mensch als Existierender hinsichtlich seiner Seinsweise wesentlich als Zeitlichkeit zu bestimmen ist, dass für diesen Existierenden, wenn er in Leidenschaft an seiner eigenen Existenz interessiert ist, aber zugleich die Frage der Ewigkeit hereinbricht, als Schwierigkeit, die aufgrund seiner zeitlichen Verfasstheit zwar niemals mit Sicherheit gelöst werden kann, die aber dennoch nach einer Entscheidung in der Zeitlichkeit verlangt. Besonders deutlich wird dies, wenn wir nochmals auf die Stelle in Der Begriff Angst zurückzukommen, die bereits mehrmals angesprochen wurde: Der Augenblick ist jenes Zweideutige, worin Zeit und Ewigkeit einander berühren, und hiermit ist der Begriff der Zeitlichkeit gesetzt, wo die Zeit beständig die Ewigkeit abschneidet und die Ewigkeit beständig die Zeit durchdringt. Erst jetzt erhält jene besprochene Einteilung ihre Bedeutung: die gegenwärtige Zeit, die vergangene Zeit, die zukünftige Zeit. (SKS 4, 392 / BA 90)

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Wenn menschliche Existenz dadurch gekennzeichnet ist, dass sie einerseits grundsätzlich aus ihrer zeitlichen Verfasstheit zu verstehen ist, dass sie aber andererseits auch dadurch ausgezeichnet ist, dass das Problem der Ewigkeit für sie aufbricht, dann folgt daraus erstens, dass die Ewigkeit für den Existierenden nur insofern Relevanz gewinnen kann, als sie in seine zeitliche Verfasstheit hineinspielt, aber zweitens – was die andere Seite des selben Sachverhalts ist – folgt daraus auch, dass die menschliche Bezogenheit auf die Ewigkeit nicht ohne Konsequenzen für seine zeitliche Existenz sein kann. Da der Existierende aber wesentlich zeitlich ist, ist ihm die Ewigkeit als Ewigkeit prinzipiell unzugänglich. Das Austragen der Spannung von Zeitlichkeit und Ewigkeit muss folglich in der Zeit erfolgen, das heißt, dass sie vom Existierenden in seiner Existenz ausgetragen werden muss. Wenn Haufniensis weiters meint, dass es der Augenblick sei, worin sich Zeit und Ewigkeit berühren, dann kann dies zusammen gelesen werden mit den Ausführungen von Johannes Climacus, der vom Augenblick spricht, insofern »der Augenblick wirklich die Entscheidung der Ewigkeit ist« (SKS 4, 260 / PB 55), und in der Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift meint: »Für einen Existierenden ist Entscheidung und Wiederholung das Ziel.« (SKS 7, 284 / AUN2 13) An die im vorherigen Kapitel vorgetragenen Ausführungen zum Augenblick anknüpfend möchte ich dafür argumentieren, dass der Augenblick als Entscheidung für die Ewigkeit so gelesen werden sollte, dass er jenes ist, was eigentliche Gegenwart, das heißt das Begegnenlassen von Gegenwärtigem und das Ergreifen der jeweiligen faktischen Situation, allererst ermöglicht. Die Entscheidung der Ewigkeit müsste demnach als Umwendung in der Zeitlichkeit erfolgen und kann in diesem Sinne als jenes gelesen werden, was ein Eingelassensein in Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart gewährt. Ein Hinweis, dass dies bei Kierkegaard tatsächlich so gedacht ist, lässt sich gewinnen, wenn wir betrachten, was uns bei ihm als Alternative zur solcherart verstandenen Zeitlichkeit präsentiert wird. Haufniensis schreibt: »Ist der Augenblick nicht, dann kommt das Ewige von hinten zum Vorschein als das Vergangene.« (SKS 4, 393 / BA 91) Damit wären wir aber wieder beim griechischen Verständnis von Ewigkeit. Ein solches an Vergangenheit orientiertes Denken ermöglicht aber nicht nur kein angemessenes Verständnis davon, was die Frage der Ewigkeit für den an seiner Existenz leidenschaftlich interessierten Existierenden bedeutet, sondern ist auch nicht in der Lage, die zeitliche A

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Verfasstheit des Existierenden in den Blick zu bekommen, weswegen die ekstatische Zeitlichkeit diesem Denken prinzipiell verborgen bleiben muss. Das Verständnis der Zeitlichkeit bei Kierkegaard hingegen macht deutlich, wie die Ewigkeit, sofern sie für den Existierenden in seiner Existenz wesentlich werden soll, diesem als Zukünftiges begegnet. Das damit angesprochene Zukünftige darf jedoch nicht als ein noch nicht da gewesener und daher noch bevorstehender Punkt in der Zeit aufgefasst werden. Die hier angesprochene Zukünftigkeit liegt in diesem Sinne überhaupt nicht in der Zukunft. Die ursprüngliche Zukunft bezieht sich auf kein zukünftiges Ereignis, dessen Wann datiert werden könnte; ursprüngliche Zukunft kann keiner planenden Berechnung zugeführt werden, diese Zukunft ist weder planbar noch in irgendeiner gesicherten Weise vorhersagbar. Zukunft meint überhaupt keinen Bezug auf ein noch ausständiges Ereignis, sondern Zukunft ereignet sich hier und jetzt, im Augenblick, als ein Auf-sich-zukommen-lassen, als ein Offenstehen für das Kommen von Künftigem. Es könnte jedoch weiterhin die berechtigte Frage gestellt werden, weswegen es überhaupt noch notwendig oder sinnvoll erscheint, hier von Ewigkeit zu sprechen. Wurde die Frage, in welcher Weise hier von Ewigkeit gesprochen wird, überhaupt hinreichend behandelt? Hat das Wort »Ewigkeit«, das in diesem Kapitel so oft zu lesen war, eine nachvollziehbare Bestimmung erfahren? Vermag Kierkegaard uns überhaupt eine Bestimmung von »Ewigkeit« zu liefern? Oder allgemeiner gefragt: Lässt sich die im Glauben erfahrene Ewigkeit überhaupt auf einen nachvollziehbaren Begriff bringen? Ich möchte als abschließenden Ausblick noch einmal auf eine Fußnote in Sein und Zeit zu sprechen kommen, eine Fußnote mit bemerkenswertem und mitunter irritierendem Inhalt, die sich mit den eben genannten Fragen auseinanderzusetzen scheint: Daß der traditionelle Begriff der Ewigkeit in der Bedeutung des ›stehenden Jetzt‹ (nunc stans) aus dem vulgären Zeitverständnis geschöpft und in der Orientierung an der Idee der ›ständigen‹ Vorhandenheit umgrenzt ist, bedarf keiner ausführlichen Erörterung. Wenn die Ewigkeit Gottes sich philosophisch ›konstruieren‹ ließe, dann dürfte sie nur als ursprünglichere und ›unendliche‹ Zeitlichkeit verstanden werden. Ob hierzu die via negationis et eminentiae einen möglichen Weg bieten könnte, bleibe dahingestellt. (SZ 427, Anmerkung)

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Der breite Problemkomplex, der mit dieser Bemerkung aufgerissen wird, kann hier nur in Ansätzen behandelt werden. Die vorsichtige Formulierung im Konjunktiv deutet darauf hin, dass Heidegger es an dieser Stelle vermeiden wollte, sich in Hinblick auf die Sache festzulegen, wenngleich er doch einen Hinweis gibt. Dieser ist aber seinerseits Paradox, denn die Rede von einer »›unendliche‹ Zeitlichkeit« steht im offensichtlichen Widerspruch zu den sonstigen Ausführungen von Sein und Zeit – und bei Heideggers insgesamt –, wo die Zeitlichkeit immer und wesentlich als endliche bestimmt wird. Deswegen sah sich Heidegger wohl auch gezwungen, »unendlich« in Anführungszeichen zu setzen, um die Paradoxalität der Formulierung noch einmal eigens zu markieren. Aber kann von der im Glauben gemeinten Ewigkeit Gottes jemals anders gesprochen werden als in paradoxaler Form? Die Andeutungen Heideggers scheinen jedenfalls in bemerkenswertem Gleichklang zu sein mit Anti-Climacus’ Ausführungen in der Krankheit zum Tode. Dieser schreibt im abschließenden Abschnitt von C.A, welcher die Verzweiflung der Notwendigkeit behandelt (mit Bezug auf Matthäus 19,26): »Das Entscheidende ist: bei Gott ist alles möglich. Dies ist ewig wahr und demnach wahr in jedem Augenblick.« (SKS 11, 153 / KT 35) Und Anti-Climacus schreitet dazu fort, den in dieser Bestimmung enthaltenen Bezug auf Möglichkeit noch einmal eigens zu betonen: »Der Glaubende besitzt das ewig sichere Gegengift gegen Verzweiflung: Möglichkeit; denn bei Gott ist alles möglich in jedem Augenblick.« (SKS 11, 155 / KT 37) Wir haben gesehen, dass sich für den Existierenden, das heißt aber immer für den zeitlich Existierenden, seine Möglichkeit immer als begrenzte, limitierte, durch die Faktizität je so oder so bestimmte erschließt; das Möglichsein des Existierenden kann gar nicht anders als begrenzt und endlich gedacht werden. Das liegt aber – wie Heidegger gezeigt hat – daran, dass die Zeitlichkeit wesentlich als endliche zu verstehen ist. Von dieser radikal endlichen Zeitlichkeit hebt sich die paradoxale Bestimmung der Ewigkeit Gottes ab, die AntiClimacus mit »bei Gott ist alles möglich« festhält. Diese Bestimmung der Ewigkeit Gottes kann aber – wenn überhaupt – nur zu verstehen sein als ein unbegrenztes, unlimitiertes Möglichsein und zielt als solches wohl in die gleiche Richtung wie die von Heidegger angedeutete »›unendliche‹ Zeitlichkeit«.

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Synopsis und Überleitung Im 1. Teil dieser Arbeit wurde zunächst die anti-essentialistische Wendung bei Kierkegaard, weg von einer substantialistischen Bestimmung des Menschen hin zu einer Konzentration auf die Vollzugsdimension menschlicher Existenz, nachgezeichnet. Diese zeigt sich am eindringlichsten anhand der Anfangspassage der Krankheit zum Tode, wo Anti-Climacus das Selbst als (Selbst-)Verhältnis im Sinne des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens bestimmt. Aber auch die Untersuchung der Geschichte des Existenzbegriffes zeigte diese Wendung, für welche Kierkegaard eine äußerst wichtige Rolle spielte und welche von Heidegger fortgeführt werden konnte. Dass die Konzentration auf die Vollzugsdimension des Selbst aber nicht bedeuten kann, dass sich dieses auch selbst allererst ausgesucht hat, dieses Selbst zu sein, sondern dass vielmehr bedacht werden muss, dass sich das Selbst immer schon als dieses selbst vorfindet, dass es konfrontiert ist mit diesem »Daß es ist und zu sein hat« (SZ 134), hat ebenfalls bereits Anti-Climacus bemerkt. Deshalb spricht Anti-Climacus vom Selbst als »durch ein Anderes gesetzt«, womit einerseits jene Thematik, die Heidegger anhand der Begrifflichkeiten von Geworfenheit und Entwurf behandelte, antizipiert wurde und andererseits eine Bestimmung des Selbst anhand der Erfahrung der Aporie und der Alterität angedeutet wird, die wohl nicht auf die Thematik der Geworfenheit reduziert werden kann; gleichwohl Heidegger in seiner Behandlung der Geworfenheit ebenfalls auf eine Erfahrungen der Alterität im Selbst zu stoßen scheint. In Hinblick auf die Thematik der Zeitlichkeit, die erst in der zweiten Hälfte dieses 1. Teils anhand einer Lektüre von Der Begriff Angst explizit in den Blick genommen wurde, lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Kierkegaard eindringlich darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Frage nach der Zeitlichkeit immer an die Frage nach der Seinsweise des Menschen rückgebunden bleibt und sich diese beiden Fragen also nur in ihrer Zusammengehörigkeit stellen lassen. Die Frage nach der Zeitlichkeit kann unabhängig von der Vollzugsdimension menschlicher Existenz nicht gestellt werden. Umgekehrt kann aber auch die Frage nach der spezifischen Seinsweise des Menschen unabhängig von der Zeitlichkeit, die sich im Menschsein zeigt, nicht beantwortet werden. Dies ist wohl die fundamentale Einsicht, die der Ansatz Kierkegaards mit jenem Heideggers teilt. 162

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Synopsis und Überleitung

Eine Besonderheit Kierkegaards, die ihn von Heidegger unterscheidet, ist es, dass bei ihm diese Frage immer anhand der komplexen Thematik des Zusammenhangs von Zeitlichkeit und Ewigkeit behandelt wird. Es kann daher gesagt werden: »In both the pseudonymous works and the upbuilding discourses Kierkegaard is working within the same temporal/eternal framework.« (Burgess 2000, 221) Die Frage nach dem Menschen als Frage nach der Synthese des Zeitlichen und des Ewigen ist das Herzstück von Kierkegaards Bestimmung des Menschseins. Es muss aber bedacht werden, dass dies nicht bedeutet, dass das Zeitliche aufgrund des Ewigen vernachlässigt wird, ganz im Gegenteil, es geht gerade darum, wie das Ewige in das Zeitliche hineinspielt, wie das Ewige für einen zeitlich Existierenden Relevanz gewinnen kann. »He does not seek to escape to a timeless Platonic reality. Everything depends upon facing the reality of time. Time challenges patience, as to whether it is truly patience, and it challenges expectancy, whether it is truly expectancy, and patience in expectancy questions all the other virtues to find out whether they can stand the test of time.« (Burgess 2000, 222) Dies lässt sich festhalten, ungeachtet dessen, ob der darin mitschwingende Begriff der Ewigkeit einer philosophischen Rekonstruktion zugeführt werden kann oder nicht. Gerade der Nachdruck, der bei Kierkegaard auf die Zeitlichkeit und die damit gemacht Erfahrung gelegt wird, lädt zu einer philosophischen Auseinandersetzung ein. Damit zeichnet sich aber eine weitere Besonderheit der Ausführungen Kierkegaards ab, nämlich, dass Zeitlichkeit bei ihm zumeist anhand konkreter Phänomene erfahren wird. Es geht bei ihm insgesamt um eine Erfahrung der Zeitlichkeit, ein Verhalten zur Konstitution menschlicher Existenz als Zeitlichkeit. Bei Kierkegaard hat Zeitlichkeit die Komponente, dass es etwas ist, mit dem der Mensch konfrontiert wird, das ihn belastet. S. Kierkegaard schreibt daher einmal: »Die schwerste Last, die einem Menschen auferlegt wurde, […] ist in gewissem Sinne die Zeit.« (SKS 9, 136 / LT 148) Heidegger könnte dieser Bestimmung, dass Zeitlichkeit als eine Last zu interpretieren ist, nur mit Vorbehalten zustimmen. Sein existenzial-ontologischer Ansatz fasst Zeitlichkeit mit vollem Recht nicht als ein Erleiden oder als eine Belastung, sondern als Sinn des Seins des Daseins, auf dessen Grundlage so etwas wie Erleiden oder Last überhaupt erst erfahren werden kann. Kierkegaards Sichtweise hat aber insofern eine phänomenale Berechtigung, als dass die zeitliche Verfasstheit des Menschseins oft A

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1. Teil: Zeitlichkeit in den pseudonymen Schriften

anhand von negativen Phänomenen erfahren wird (Alter, Krankheit, Sterben) und sich somit der Umgang mit unserer zeitlichen Verfasstheit häufig als die von Kierkegaard thematisierte Last erweist. Im Kapitel Die ekstatische Zeitlichkeit habe ich zu zeigen versucht, inwiefern die ekstatische Aufgespanntheit der Zeitlichkeit, oder genauer, die Ekstasen der so verstandenen Zeitlichkeit, bereits bei Kierkegaard inhaltliche Behandlung finden, wenngleich sie begrifflich nicht explizit als solche thematisiert werden. Es zeigt sich, dass er diese wiederum anhand von konkreten Phänomenen bzw. Problemstellungen (Erwartung, Wiederholung, Augenblick) behandelt, das heißt in Hinblick auf die konkreten Vollzüge der Existenz. Kierkegaard kann daher die Zeitlichkeit einerseits als das Auszeichnende der Seinsweise des Menschen bestimmen, zugleich aber auch als zentrales Problem, zentrale Herausforderung des Menschseins in den Blick nehmen. Als Ziel, das Kierkegaard für die menschliche Existenz vorgibt, erweist sich daher die – unmögliche – Überwindung der Zeitlichkeit als Überwindung der Zerrissenheit in die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen. Es stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer gelungenen Zusammensetzung dieser Synthese. Damit ist aber auch die Thematik angedeutet, welche ich im 2. Teil dieser Arbeit anhand von S. Kierkegaards Reden untersuchen werde. Diese Frage wird dabei anhand der Lilie und dem Vogel als Lehrmeister behandelt, wie sie in den drei exemplarisch herangezogenen Reden zu Wort kommen. Die Möglichkeit diese Synthese zusammenzusetzen wird sich dabei als eine Möglichkeit in der Zeitlichkeit erweisen, und somit als eine letztlich unmögliche Möglichkeit, die vom Menschen doch übernommen werden muss.

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2. Teil: Zeitlichkeit in S. Kierkegaards Reden

Vorbemerkungen zu den Reden Wie bereits im Kapitel Kierkegaard lesen – einige vorbereitende Hinweise vermerkt, kann konstatiert werden, dass die Reden herkömmlicherweise in der akademischen Kierkegaard-Rezeption deutlich seltener behandelt wurden als die pseudonymen Schriften, die zumeist im Zentrum einer akademischen Beschäftigung mit Kierkegaards Werk standen. 129 Auch im Kierkegaard Studies. Yearbook 2000, das unter anderem die Beiträge der Forschungskonferenz am Kierkegaard Forschungszentrum im Jahr zuvor abdruckte und sich im Themenschwerpunkt wie diese Konferenz den Erbaulichen Reden Kierkegaards zuwandte, kommen alle Forschungsberichte zur Rezeptionsgeschichte der Reden in den verschiedenen Ländern zu diesem Ergebnis, dass die Reden derjenige Teil des Werkes waren und sind, der am wenigsten Beachtung und Verbreitung gefunden hat. Diese Konklusion wird auch in der Einleitung zum Band des International Kierkegaard Commentary gezogen, der sich mit den Erbaulichen Reden 1943–44 beschäftigt: »The Discourses have been the most neglected of all his works, though that unfortunate situation is changing.« (Perkins 2003, 5) Dass sich

129 Freilich gab es einige wichtige Ausnahmen, die hier erwähnt werden sollen. Bereits in den 1960er Jahren wies Anna Paulsen (1966 und 1973) darauf hin, dass sich wichtige Überlegungen bezüglich des Menschseins und insbesondere des Christseins in den Reden finden lassen. Helmuth Vetter (1979b) hat einen Entwurf für eine Interpretation von Kierkegaards Werk vorgelegt, der in entscheidender Weise auch die Reden beinhalten sollte. Emanuel Skjoldager (1980) gab eine umfassende, wenn auch sehr stark an theologischen Fragestellungen orientierte Einführung in die Erbaulichen Reden 1843– 44. Anders Kingo (1987 und 1995) war wohl der erste, der sich daran machte, so etwas wie eine Einführung in das gesamte Reden-Werk zu liefern. Weitere wichtige Ausnahmen – gerade in Hinblick auf eine philosophische Lektüre der Reden – sowie neuere Literatur zu den Reden werde ich im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch besprechen.

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diese Situation verändert, dafür sind unter anderem die eben genannten Quellen sowohl Ursache als auch Ausdruck. Eine Reduktion von Kierkegaards Werk auf die pseudonymen Schriften scheitert einerseits daran, dass Søren Kierkegaard von den frühen Anfängen seiner pseudonymen Verfasser-Tätigkeit bis zu deren Ende immer zugleich auch Verfasser von Reden war, also nicht von den Reden abstrahiert werden kann, sondern diese als parallel zum pseudonymen Werk und mit diesem in enger Beziehung stehend betrachtet werden müssen. Andererseits sollte auch der quantitative Umfang der Reden beachtet werden; auch hinsichtlich dieses Aspektes müssen die Reden durchaus als gleichberechtigter Teil des Gesamtwerkes neben den pseudonymen Schriften angesehen werden. 130 Die Reden werden häufig unter der Kategorie des Erbaulichen zusammengefasst. Auch Martin Heidegger scheint diesen Teil des Werkes – wie bereits in der Einleitung besprochen – mit dem Etikett »›erbauliche‹ Schriften« zu klassifizieren. Helmuth Vetter weist darauf hin, dass »die Bezeichnung ›erbaulich‹ zu nicht geringen Mißverständnissen führen kann. Dieses Wort, ursprünglich im Sinne des Bauens gebraucht, 131 verkam im Pietismus zu einer Vokabel rührseligen Gehalts, wie wir es ja auch heute zumeist verstehen dürften« (Vetter 1979b, 175). Vetter verweist anschließend auch auf das vernichtende Urteil Hegels in der Phänomenologie des Geistes: »Die Philosophie aber muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen.« (Hegel 1988/1807, 9) Sowohl unser alltägliches Verständnis als auch das Urteil der Philosophie sprechen also dagegen, als erbaulich klassifizierte Texte ernsthaft zu lesen. Gerade deswegen muss darauf hingewiesen werden, was Johannes Sløk zum Begriff der Erbauung bei Kierkegaard festgehalten hat. Was nun letztgenannten Ausdruck betrifft, so ist er ein deutliches Beispiel für Kierkegaards Vorliebe Worte zu wählen, die genau das Entgegengesetzte von dem besagen, was er mit ihnen besagen will. Ganz unmittelbar wird man unter Erbaulichkeit eine nach innen gerichtete Ergriffenheit des Menschen 130 In Hinblick auf beide von mir genannten Aspekte müsste an dieser Stelle die gleiche Argumentation auch für die Journale geführt werden. Wie bereits im Kapitel Kierkegaard lesen – einige vorbereitende Hinweise vermerkt, muss dieser Werkteil vor allem aus zeit- und platzökonomischen Gründen in dieser Arbeit leider weitgehend unberücksichtigt bleiben. 131 Dieser ursprüngliche Sinn des Erbaulichen ist im dänischen Wort leichter zu vernehmen als im Deutschen. Das dänische Wort »opbyggelig« müsste wörtlich eigentlich als »aufbauend« im Sinne von »etwas (jemanden) aufbauen« übersetzt werden.

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durch eine besonders emotionell bewegte Darstellung religiöser Gedankengänge verstehen, ein Aufgehen im eigenen sentimentalen Gefühlsleben. Und dabei ist es eben gerade diese Erbaulichkeit in ›den stillen Stunden‹, die Kierkegaard mit dem Ausdruck ›Zur Erbauung‹ bekämpfen will. Zur Erbauung zu reden, heisst den Menschen von seiner inneren Selbstbeschäftigung abzubringen und stattdessen die Forderung nach Handlung an ihn zu stellen. Wenn man dies nicht festhält, hat man sich den Weg zu einem Verständnis von Kierkegaard abgeschnitten. (Sløk 1955, 242 f.)

Sløk meint unmittelbar vor diesem Zitat, dass es auf die bestimmte Haltung ankomme, die Kierkegaard als Ernst bezeichne, und dass alles was in diesem Modus des Ernsts gesagt werde, immer zur Erbauung sei (vgl. Sløk 1955, 242). 132 Es wird also darum gehen, sich nicht durch das Etikett erbaulich und eine vorschnelle Meinung darüber, was mit erbaulich gemeint ist, von der Lektüre abhalten zu lassen, sondern durch kritische Lektüre zu untersuchen, was in diesen Reden gesagt wird, und ob diese aufgrund dessen (philosophisch) lesenswert sind oder nicht. Es lässt sich dabei nicht davon absehen, dass die Reden immer einen christlichen Gehalt haben, der sich auch rein äußerlich durch deren Ausgang von einer Bibelstelle oder deren Orientierung an einem kirchlichen Ritual manifestiert. Und auch die zentrale Rolle von Ernst und Erbauung weisen auf diese christliche Stoßrichtung der Reden. Dennoch sollten wir uns davon nicht abhalten lassen, auch weitere Inhalte und Tendenzen in den Reden zu vernehmen und diese auch aus anderen Perspektiven zu lesen. In einem Artikel macht Richard Purkarthofer anhand der drei Reden Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel darauf aufmerksam, dass in den Reden zwar – mit Ausnahme von versteckten Referenzen auf Sokrates – keine Philosophen Erwähnung finden, dass die Problematik der Reden aber dennoch in philosophischen Fragestellungen ihren Ausgang nimmt. Im konkreten Fall weist er anhand von Journaleinträgen nach, dass die Thematik dieser drei Reden von einer Auseinandersetzung mit Spinoza in den Journalen ihren Ausgang nahm (vgl. Purkarthofer 2003a, 212). Seine Schlussfolgerung lautet: »I take that as an indication that the edifying discourses also should be read philosophically.« 133 (Purkarthofer 2003a, 132 Es sei an dieser Stelle auch auf Michael Theunissens (1982) richtungweisende Arbeit zum Ernst bei Søren Kierkegaard hingewiesen, in welcher allerdings auf den Zusammenhang von Ernst und Erbauung nicht gesondert eingegangen wird. 133 Die Fortsetzung von Richard Purkarthofers Schlussfolgerung lautet: »In traditional

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212) Der maßgebliche Vorläufer für eine philosophische Lektüre der Reden war ohne Zweifel Johannes Sløk, der daher an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll (vgl. Sløk 1955 und 1979). Die frühe Kierkegaard-Rezeption im deutschsprachigen Raum war – wie im Kapitel Übersetzungssituation und frühe deutsche Rezeption ausgeführt – hingegen fast ausschließlich theologisch motiviert. In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass es neben der theologisch-intellektuellen Auseinandersetzung mit Kierkegaard noch eine weitere »Rezeptionsart, deren Spuren kaum auszumachen sind« (Purkarthofer 2005a, 11) gab. Damit gemeint ist die Rezeption Kierkegaards als Erbauungsschriftsteller im herkömmlich verstandenen Sinne, eines Verfassers von Erbauungsliteratur also, der sich an den oder die Einzelne(n) wendet und diese(n) auch tatsächlich erreicht, ohne dass daraus eine eigene Textproduktion der Leserin oder des Lesers erwachsen würde. Wahrscheinlich ist es der Hintergrund diese beiden Tendenzen einer mehr und einer weniger intellektuellen, theologisch-religiös motivierten Kierkegaard-Rezeption, weswegen Walz bereits 1898 ein Werk mit dem Titel Sören Kierkegaard, der Klassiker unter den Erbauungsschriftstellern des neunzehnten Jahrhunderts 134 veröffentlichen konnte. Nicht nur aufgrund dieses historischen Kontexts, sondern vor allem auch in Hinblick auf die Frage nach Heideggers Lektüre der »›erbaulichen‹ Schriften« ist es interessant, sich die Übersetzungssituation der Reden im Zeitraum bis einschließlich der 1920er Jahre anzusehen. 135 Die ersten Übersetzungen von Reden stammen von Albert Bärthold. Es handelt sich dabei erstens um eine Redensammlung 136 , die die erste der 4 erbaulichen Reden 1843 sowie elf der insgesamt 24 christlichen Kierkegaard research this has often been neglected. No wonder, one would say, because to trace these philosophical relations, one has to have recourse to the journals and notebooks. But these were until now mostly read as diary. Thus, as I have shown above, the journals and notebooks will play a central role in future Kierkegaard research specially in uncovering the tacit philosophical content of the edifying discourses.« (Purkarthofer 2003a, 212) 134 Walz, D. K.: Sören Kierkegaard, der Klassiker unter den Erbauungsschriftstellern des neunzehnten Jahrhunderts, Gießen: J. Rickert, 1898. 135 Zur leichteren Orientierung in den nunmehr folgenden Ausführungen siehe Anhang 3. 136 Zwölf Reden von Sören Kierkegaard, zusammengestellt von Albert Bärthold, Halle: Julius Fricke, 1875.

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Reden enthält, und zweitens um die Ausgabe Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel. Drei fromme Reden. Hohepriester – Zöllner – Sünderin. Drei Beichtreden 137 mit insgesamt sechs Reden aus dem Jahr 1849. Bereits 1890 wurde Die Werke der Liebe unter dem Titel Leben und Walten der Liebe 138 veröffentlicht und ein Jahr später erschien eine Übersetzung der zweiten Abteilung der Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist 139 . Daraus ergibt sich, dass bereits zu Beginn des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts 35 der 64 Reden ab 1847 in deutscher Sprache zugänglich waren, aber erst eine einzige der insgesamt 21 140 bis 1845 verfassten Reden übersetzt war. 141 An dieser Situation ergab sich für mehr als zwanzig Jahre keine Veränderung. Die unbefriedigende Übersetzungssituation blieb aber auch in diesem Zeitraum nicht vollkommen unbemerkt. So lässt sich in einem Artikel aus dem Jahr 1916 lesen: »Einen Überblick über die große Anzahl der Erbaulichen Reden gewinnt man erst aus der neuen dänischen Gesamtausgabe der Samlede Værker […]. Wenn man auch nicht erwarten kann, daß sämtliche Reden in’s deutsche übersetzt werden, so ist doch das bisher übersetzte durchaus unzureichend.« (Saathoff 1916, 179 f.; zitiert nach Haizmann 2006, 13) Diese unzureichende Situation begann sich erst langsam zu ändern, als schließlich 1914 Theodor Haecker seine Arbeit für die Zeitschrift Der Brenner aufnahm. Aus der bisherigen Darstellung der frühen Übersetzungssituation der Reden sollte auch deutlich geworden sein, welche signifikante Veränderung es für die deutsche Kierkegaard137 Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel. Drei fromme Reden. Hohepriester – Zöllner – Sünderin. Drei Beichtreden, zusammengestellt und übersetzt von Albert Bärthold, Halle: Julius Fricke, 1877. Zu beachten ist, dass in dieser Ausgabe nicht die Rede über die Sünderin, sondern Eine erbauliche Rede von 1850 wiedergegeben wurde. 138 Leben und Walten der Liebe. Von Søren Kierkegaard, aus dem Dänischen übersetzt von Albert Dorner, Leipzig: Richter, 1890. 139 Was wir lernen von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln unter dem Himmel. Drei Reden von Sören Kierkegaard, nach dem Dänischen frei bearbeitet von Alfred Puls, Gotha: C. F. Thienemann, 1891. 140 Die Rede zum Abschluss von Entweder – Oder wird von mir in dieser Zählung nicht einbezogen. 141 Diese Übersetzungssituation steht sicherlich in engem Zusammenhang mit der anfänglich fast ausschließlich theologischen Rezeption im deutschsprachigen Raum, insofern die späteren Reden zumeist auf direktere Weise theologisch sind als die frühen Reden.

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Rezeption bedeutete, als Haecker 1914–15 mit Der Pfahl im Fleische und Vom Tode damit begann, weitere der Reden bis 1845 zugänglich zu machen. 142 Es folgten weitere Übersetzungen von Reden in der Zeitschrift Der Brenner sowie schließlich 1922 die beiden Redensammlungen Religiöse Reden 143 und Am Fuße des Altars. Christliche Reden 144 , womit Haecker in diesem Zeitraum insgesamt sechs frühe und fünf spätere Reden, die zuvor auf Deutsch nicht verfügbar waren, erstmals übersetzte. Durch die Herausgabe der Christlichen Reden 145 im Rahmen der Ausgabe der Erbaulichen Reden von Christoph Schrempf waren ab 1929 so gut wie alle Reden ab 1847 auf Deutsch verfügbar. 146 Bei den Reden bis 1845 hingegen war dies weiterhin nicht der Fall. Es fehlte die Übersetzung der zweiten der 3 Reden bei gedachten Gelegenheiten und von den 18 Erbaulichen Reden 1843–44 waren auch 1929 erst insgesamt sechs ins Deutsche übertragen. 147 Diese Übersetzungslücke sollte erst nach dem 2. Weltkrieg durch die Gesammelten Werke von Emanuel Hirsch geschlossen werden. Es muss nunmehr aber auch die grundsätzlichere Frage gestellt werden, was es überhaupt erlaubt, eine gewisse Anzahl von Texten unter der Kategorie Reden zusammenzufassen. Harbsmeier (1996) schlägt mehrere Möglichkeiten zur Ab- und Umgrenzung der Reden vor. Ich möchte nur eine von diesen heranziehen, wonach die Reden als »literarische Kategorie« im Gegensatz zu den pseudonymen Schriften ein-

142 Der Pfahl im Fleische, zum ersten Mal ins Deutsche übertragen und mit einem Vorwort versehen von Theodor Haecker, Innsbruck: Brenner, 1914. »Vom Tode«, Brenner, Jahrbuch 1915, S. 15–55. 143 Religiöse Reden, ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker, München: Hermann A. Wiechmann, 1922. 144 Am Fuße des Altars. Christliche Reden, Übertragung und Nachwort von Theodor Haecker, München: Beck, 1922. 145 Christliche Reden, Erbauliche Reden, Band 4, übersetzt von Wilhelm Kütemeyer und Christoph Schrempf, Jena: Diederichs, 1929. 146 Es fehlte nur die dritte Abteilung der Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist. Deren erste Abteilung wurde 1924 übersetzt: Die Reinheit des Herzens. Eine Beichtrede, aus dem Dänischen übersetzt von Lina Geismar, mit Vorwort und Anmerkungen von Eduard Geismar, München: Kaiser, 1924. 147 Es gab in der Zwischenzeit noch eine Übersetzung einer frühen Rede durch Emanuel Hirsch »Gottes bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit«, Zeitschrift für systematische Theologie, 1 (1923), 168–196.

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geordnet werden (vgl. Harbsmeier 1996, 295). Auch in dieser Arbeit wurde die Kategorie Reden bislang in ähnlicher Abgrenzung von den pseudonymen Schriften verstanden, indem ich die Reden als jene Gruppe von Texten umgrenzt habe, die unter dem Namen S. Kierkegaard und nicht unter einem der anderen Pseudonyme veröffentlicht wurden. Nunmehr muss allerdings diese Kategorisierung ihrerseits problematisiert werden, indem darauf hingewiesen wird, dass diese Grenze nicht trennscharf gezogen werden kann, da es eine Reihe von Texten gibt, die diese Grenze überschreiten bzw. deren Zuordnung große Probleme bereitet. Es kann hier zum Beispiel an die Erbauliche Rede gedacht werden, die den Abschluss von Entweder – Oder bildet und im Rahmen der äußerst komplexen Pseudonymität dieses Werks angeblich von einem Pastor aus Jütland verfasst, von dem Gerichtsrat Wilhelm an einen Brief angefügt und von Victor Eremita herausgegeben wurde. Als weiteres Beispiel kann an Einübung im Christentum gedacht werden, wo das Pseudonym Anti-Climacus unter anderem eine von Søren Kierkegaard öffentlich gehaltene Rede (unter angeblicher Zustimmung des ursprünglichen Autors) abdruckt. Noch fragwürdiger wird diese Entgegensetzung, wenn man die Journale als dritten Teil des Werkes mit einbezieht. Denn diese enthalten keineswegs nur persönliche Aufzeichnungen, sondern zahlreiche umfangreiche Überlegungen und Vorarbeiten, die dann sowohl in pseudonymen Werken als auch in Reden eingeflossen sind. Außerdem lässt sich anhand der Journale auch nachvollziehen, inwiefern Pseudonyme erst relativ spät im Schreibprozess hinzugefügt bzw. verändert oder wieder entfernt wurden. Die Ab- und Umgrenzung der Reden gestaltet sich also sehr schwierig und lässt sich auch nicht anhand des angegebenen Verfassers oder Herausgebers vornehmen – denn nicht bei alle Reden zeichnet S. Kierkegaard als Autor. Harbsmeier zieht außerdem die weitere Konsequenz, dass sich die Einteilung auch nicht anhand des Inhalts vornehmen lässt. Er schlägt anschließend als Alternative vor, dass die Ab- und Umgrenzung aufgrund der Form getroffen werden sollte (vgl. Harbsmeier 1996, 296). Die Kategorie »Reden« fasst demnach also eine Gruppe von Texten zusammen, die eine gemeinsame Form haben. Die Reden können somit als eine »literarische Praxis« (Harbsmeier 1996, 302) spezifischer Form angesehen werden. Innerhalb der Gruppe von Texten, die solchermaßen als Reden klassifiziert werden können, lassen sich aber wiederum Einteilungen A

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in verschiedene Gattungen oder Genres vornehmen. 148 In den Jahren 1843 und 1844 veröffentlichte S. Kierkegaard sechs Redensammlungen unter dem Titel »Erbauliche Reden«. Diese insgesamt 18 Reden wurden am 29. Mai 1845 auch gesammelt herausgegeben. 1850 veröffentlicht S. Kierkegaard mit Eine Erbauliche Rede noch einmal eine explizit erbauliche Rede. Wenn die Reden oftmals insgesamt als »Erbauliche Reden« bezeichnet werden, dann müsste hier also noch einmal differenziert werden zwischen erbaulichen Reden im weiteren und engeren Sinne, denn genau genommen ist die Gattung des Erbaulichen nur eine Untergruppe von Reden neben anderen. 1845 wurde mit Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten als ein weiteres Genre jenes der Gelegenheits- oder Kasualreden eingeführt. 1847 folgten Erbauliche Reden in verschiedenem Geist, wobei die erste Abteilung mit einer weiteren Beichtrede – bereits die erste der Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten war zum Anlass einer Beichte – an das Genre der Gelegenheitsreden anknüpft und die dritte Abteilung erstmals Christliche Reden enthält. Die zweite Abteilung Was wir lernen von den Lilien auf dem Feld und den Vögeln des Himmels entspricht am ehesten einer erbaulichen Rede im engeren Sinne. Die Gattung der christlichen Reden wird in der Redensammlung Christliche Reden wesentlich fortgeführt, wobei deren letzte Abteilung die ersten Altargangreden enthält. Das Genre der Altargangreden, das in einem gewissen Zusammenhang zu den Beichtreden steht, wird in Hohepriester – Zöllner – Sünderin und Zwei Reden zum Altargang am Freitag fortgesetzt. Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel werden im Untertitel als Drei fromme Reden bezeichnet, eine Bezeichnung, die nur auf diese drei Reden angewendet wird. Hinzu kommen noch Gottes Unveränderlichkeit. Eine Rede und Die Werke der Liebe, die sich in keines der genannten Genres einordnen lassen. Außerdem gibt es noch Einübung im Christentum und die »Predigt« zum Abschluss von Entweder – Oder, die im Gegensatz zu allen anderen genannten Reden beide nicht unter dem Namen S. Kierkegaard veröffentlicht wurden. Bei den beiden unter 148 Albrecht Haizmann liefert eine Auflistung aller Reden, die hier zur Orientierung dienen kann (vgl. Haizmann 2006, 29 ff.). Außerdem stellt er im abschließenden Teil seines Buches zahlreiche interessante Überlegungen zur Einteilung der Reden an, auf die ich hier zum Teil auch zurückgreife (vgl. Haizmann 2006, 225 ff.). Ich denke nicht, dass sich auf alle Reden angewendet eine Einteilung konsequent durchhalten lässt. Entsprechend ist auch die von mir in weiterer Folge ausgeführte Einteilung nur ein Versuch, der sich seiner Unvollkommenheit durchwegs bewusst ist.

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S. Kierkegaard herausgegebenen Schriften Zur Selbstprüfung anbefohlen und Richtet selbst! ließe sich ebenfalls diskutieren, ob diese nicht unter die Reden einzuordnen wären. Nach dieser Auflistung ergeben sich also 22 erbauliche Reden, 28 christliche Reden, 4 Gelegenheitsreden, 12 Altargangreden, 3 fromme Reden, die 15 Reden von Die Werke der Liebe sowie zwei weitere Reden, die sich in die anderen Kategorien nicht einordnen lassen. Unter Vernachlässigung von Einübung im Christentum, Zur Selbstprüfung anbefohlen und Richtet selbst! ergibt sich demnach eine Summe von 86 Reden; werden diese Schriften mit einbezogen, haben wir es mit insgesamt über 100 Reden zu tun. Vor allem an den erbaulichen Reden im engeren Sinne ist die Einheitlichkeit ihrer Vorworte auffallend, welche mehrere Phrasen enthalten, die in allen Vorworten dieser Reden – aber auch in weiteren, nicht im strengen Sinne erbaulichen Reden – in fast identischer Form wiederkehren, angefangen mit den Erbaulichen Reden 1843–44 bis hin zu Eine erbauliche Rede aus 1850, wo im Vorwort sogar überhaupt nur rückverwiesen wird auf das Vorwort der ersten Sammlung von Reden, Zwei Erbauliche Reden 1843. Aber auch im Vorwort zu Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel finden sich diese Phrasen. 149 So steht in diesen Vorwörtern in minimalen Variationen immer, dass dieses Buch »›Reden‹ nicht Predigten genannt wird, weil sein Verfasser nicht die Mündigkeit hat um zu predigen; ›erbauliche Reden‹ nicht Reden zur Erbauung, weil der Redende keineswegs fordert, ein Lehrer zu sein.« (SKS 5, 13 / 3R3 381) Dass die Reden keine Predigten sind, weil der Verfasser keine Mündigkeit zum Predigen besitzt, kann zunächst dadurch erklärt werden, dass Søren Kierkegaard das zweite theologische Examen nicht abgelegt hatte und also nicht die volle Mündigkeit als Pfarrer besaß. Dies kann aber auch noch auf andere Weise als Hinweis auf die Perspektive bzw. das Selbstverständnis von S. Kierkegaard gelesen werden. In Über meine Verfasser-Tätigkeit meint S. Kierkegaard: »Niemals habe ich auf diese Weise gekämpft, dass ich gesagt habe: Ich bin der wahre Christ, die anderen sind keine Christen. […] Und selbst habe ich von Beginn an eingeschärft, und Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel wurde am selben Tag veröffentlicht wie die zweite Auflage von Entweder – Oder. Daher besteht ein Zusammenhang zwischen dieser Schrift und Zwei erbauliche Reden 1843, die von Søren Kierkegaard als Begleitschrift zur ersten Auflage von Entweder – Oder angesehen wurde.

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wieder und wieder, stereotyp wiederholt: Ich bin ›ohne Mündigkeit‹.« (SKS 13, 23 / WS 11) Dass S. Kierkegaard »ohne Mündigkeit« ist, kann also auch so verstanden werden, dass er nicht für sich selbst in Anspruch nimmt, ein wahrer Christ zu sein. Er will auch nicht als Lehrer auftreten, der das wahre Christentum predigt, so als ob er dies als gesichertes Wissen besitzen würde. S. Kierkegaard hat nur ein Verständnis davon, was es heißt, ein wahrer Christ zu sein und möchte daher allererst auf diese Aufgabe aufmerksam machen, ein Christ zu werden. Die zweite immer wiederkehrende Phrase ist die Hinwendung des Buches an »jenen Einzelnen [hiin Enkelte], den ich mit Freude und Dankbarkeit meinen Leser [min Læser] nenne.« Sylvia Walsh (2000) hat sehr schön herausgearbeitet, dass diese Hinwendung zunächst einer Frau galt und zwar einer ganz bestimmten Frau, nämlich Regine Olsen, mit der Kierkegaard kurz vor Veröffentlichung der ersten erbaulichen Reden die Verlobung gelöst hatte. 150 Obwohl diese Hinwendung also zunächst Regine galt, hat sie sich im Laufe der Zeit wohl zunehmend verselbstständigt und drückte dann unabhängig von konkreten Personen diesen Bezug zur einzelnen Leserin bzw. zum einzelnen Leser aus. Außerdem ist es interessant, sich grundsätzlich darüber Gedanken zu machen, dass S. Kierkegaard diese Schriften als Reden bezeichnet. Es handelt sich also um geschriebene Reden. Søren Kierkegaard hat in vereinzelten Fällen zwar auch tatsächliche Predigten gehalten, in der Regel ist es aber doch so, dass es sich bei diesen geschriebenen Reden um keine Manuskripte für Reden handelt, die auch einmal mündlich vorgetragen werden sollten, sondern dass es sich von Anfang an um Reden in schriftlicher Form handelte. 151 S. Kierkegaard durchbricht damit auf subtile Art und Weise die Grenze zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, um damit seine Reden auf besondere Art und Weise vernehmbar zu machen. Er meint, dass die Leserin die Rede erst durch ihr Lesen zum Leben erwecken muss. Und er empfiehlt dazu mehrmals, sich die Reden laut vorzulesen (SKS 5, 63 / 3R3 101; SKS 8, 121 / ERG 9; SKS 13, 33 / ZS 43). Aber auch dieses laute Lesen ist 150 Die dänische Sprache differenziert nicht wie die deutsche zwischen den Geschlechtern. Im Dänischen kann also mit »hiin Enkelte« (jene/r Einzelne) und »min Læser« (mein/e Leser/in) sowohl ein Mann als auch eine Frau gemeint sein. 151 Bei den Erbaulichen Reden 1843–44 könnte man sich aufgrund von Länge und Aufbau durchaus noch einen Vortrag als Predigt vorstellen. Zahlreiche der späteren Reden schließen allein schon wegen ihrer Länge einen mündlichen Vortrag aus.

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dabei keine Wiederherstellung der mündlichen Gesprächssituation, es ist auch keine Herbeirufung der ursprünglichen Intention des Verfassers; denn die Stärke der schriftlichen Mitteilung ist es gerade, dass sie die Leserin mit dem Text alleine lässt. Die Bedeutung des Textes liegt im Lesen und erschießt sich nur in diesem. Das Ziel ist ein Zwiegespräch der Leserin mit sich selbst anhand des Textes hervorzurufen. Die Subtilität dieser Vorgehensweise hat Johannes der Verführer vielleicht am besten beschrieben: Im Ganzen ist und bleibt der Brief immer ein unbezahlbares Mittel, um Eindruck zu machen bei einem jungen Mädchen; der tote Buchstabe hat oft weit größeren Einfluss als das lebende Wort. Ein Brief ist eine geheimnisvolle Kommunikation; man ist der Herr der Situation, fühlt keinen Druck eines Anwesenden, und mit ihrem Ideal, denke ich, will ein junges Mädchen am liebsten ganz alleine sein. 152 (SKS 2, 403 / EO1 450)

Die Reden laut zu lesen, hat aber auch deswegen seine Wichtigkeit, weil die Bedeutung der Reden nicht nur durch die Bedeutung der einzelnen Wörter und deren grammatikalischen Zusammenhang transportiert wird, sondern auch durch den Rhythmus der Sprache, der sich erst beim lauten Lesen eröffnet. Dafür maßgeblich ist vor allem die Interpunktion, welcher bei Kierkegaard eine entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. SKS 20, 98–101 / Pap VIII 1 A 33–38). Ich habe mich entschlossen, in der folgenden exemplarischen Lektüre dreier Reden teilweise auch längere Passagen des Textes wiederzugeben und mich dabei bemüht, die Interpunktion durchgehend beizubehalten und auch den Leserhythmus, soweit es möglich war, nachzuahmen. Es ist mir hoffentlich gelungen, dadurch auch jenen Lesenden, die nicht die Möglichkeit und das Vergnügen haben, Kierkegaard im Original zu lesen, eine entsprechende Lektüreerfahrung zu ermöglichen. Für die nun folgende Interpretation der Reden habe ich die drei Reden Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel herausgegriffen, an denen ich eine exemplarische, philosophische Lektüre durchführen möchte. Es gäbe noch zahlreiche weitere Reden, die einer einge152 »I det Hele er og bliver Breve altid et ubetaleligt Middel til at gjøre Indtryk paa en ung Pige; det døde Bogstav har ofte langt større Indflydelse end det levende Ord. Et Brev er en hemmelighedsfuld Communication; man er Herre over Situationen, føler intet Tryk af nogen Tilstedeværende, og sit Ideal, troer jeg, vil en ung Pige helst være ganske ene med.«

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henden philosophischen Lektüre unterzogen werden sollten. Hier sehe ich noch großes, bislang unausgeschöpftes Potenzial für die philosophische Kierkegaard-Forschung. Für diese Arbeit sah ich mich aber gezwungen, eine sehr begrenzte Auswahl zu treffen. Ich habe mich für diese Reden entschieden, weil sie nicht nur in ihrem sprachlichen Ausdruck hervorstechen, sondern auch für Kierkegaards Werk insgesamt charakteristisch sind. 153 Auch diese Drei frommen Reden sind, wie für die Reden insgesamt charakteristisch, durchzogen von zahlreichen theologischen Themen und Fragestellungen, die von mir nicht beachtet werden können. Von Niels Jørgen Cappelørn gibt es neuerdings eine – soweit ich dies beurteilen kann – hervorragende theologisch motivierte Lektüre dieser Reden, welche sich als Nachschrift in einer neuen dänischen Einzelausgabe dieser Reden findet (vgl. Cappelørn 2010). In meiner Interpretation versuche ich, dahingehend Akzente zu setzen, dass ich diese theologischen Kontexte bewusst außer Acht lasse und mich stattdessen vornehmlich darauf konzentriere, die Gedankengänge der Reden philosophisch nachzuvollziehen. Mir sind drei deutsche Übersetzungen von Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel durch eigene Lektüre bekannt. Leider muss ich konstatieren, dass mir keine dieser Übersetzungen gelungen erscheint. Die Übersetzung von Albert Bärthold 154 enthält gerade an den besonders relevanten Stellen solch massive Kürzungen, dass der dänische Originaltext darin, wenn überhaupt, nur mehr in Andeutungen zugänglich wird. Die Übersetzung von Emanuel Hirsch im Rahmen seiner Gesammelten Werke ist sicherlich eine seiner schwächsten. 155 153 Dies meint zumindest Johannes Sløk: »Es ist hoffentlich ohne weiteres einleuchtend, dass das im Zusammenhang mit den drei kleinen Reden über die Lilien und die Vögel Erörterte für Kierkegaard überaus charakteristisch ist. Es könnte daher auch zum Ausgangspunkt einer Darstellung von Kierkegaards ganzer Lebensauffassung gemacht werden; in diesem Fall wäre dann der Schwerpunkt auf die eigentümliche Dialektik zwischen existenzieller Haltung und ontologischer Verankerung zu legen, auf die ich hier hinwies.« (Sløk 1955, 240) 154 Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel. Drei fromme Reden. – Hohepriester – Zöllner – Sünderin. Drei Beichtreden, übersetzt und zusammengestellt von Albert Bärthold. Halle: J. Fricke, 1877. 155 Ich verweise bei den Kurzbelegen der Zitate dennoch, um die Einheitlichkeit mit dem Rest der Arbeit zu bewahren, mit der deutschen Sigle auf die Seitenzahlen in den Gesammelten Werken von Hirsch. Zur Lektüre empfehlen kann ich diese Übersetzung allerdings nicht.

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Sie enthält mehrere Unsicherheiten und beweist insgesamt wenig Einfühlvermögen für die spezifischen sprachlichen Dynamiken in diesen Reden, weswegen der Sinn an mehreren Stellen drastisch entstellt wird. Von den von mir gelesenen Übersetzungen kann ich am ehesten noch jene von Schrempf und Kütemeyer 156 empfehlen, wobei mit Verlaub auch hier Verbesserungen nötig wären. 157 Dass die Mangelhaftigkeit der Übersetzungen aber nicht nur den Fehlern der Übersetzer, sondern auch der Schwierigkeit des Textes geschuldet ist, wird im Folgenden noch zu zeigen sein.

Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel Zu Ostern 1848 schrieb Søren Kierkegaard einen Journaleintrag mit der Überschrift »Neue Reden über die Lilien und den Vogel« (SKS 20, 358 / Pap VIII 1 A 643), in welchem die Idee zu den drei Reden, die ich in diesem Kapitel einer exemplarischen Lektüre unterziehen möchte, erstmals vermerkt wurde. Diese Reden werden »neue Reden« genannt, weil zuvor bereits 1847 als zweite Abteilung der Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist unter dem Titel Was wir lernen von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln des Himmels (SKS 8, 251 ff. / ERG 163 ff.) drei von Matthäus 6,24–34 ausgehende Reden zu Lilie und Vogel erschienen waren. Auch die unter dem Titel Die Sorgen der Heiden gesammelten sieben Reden der ersten Abteilung der Christlichen Reden (SKS 10, 11 ff. / CR 3 ff.) – die Arbeiten an diesem Buch hatte Søren Kierkegaard kurz vor dem Journaleintrag zu »Neue Reden über die Lilien und den Vogel« abgeschlossen – beziehen sich auf Matthäus 156 Christliche Reden, Erbauliche Reden, Band 4, übersetzt von Wilhelm Kütemeyer und Christoph Schrempf, Jena: Diederichs, 1929, S. 291–334. Die erste Rede wurde von Christoph Schrempf übersetzt, die zweite und dritte Rede von Wilhelm Kütemeyer, wobei Unterschiede zwischen diesen Übersetzungen bemerkbar sind. Schrempf übersetzt – wie für seine Übersetzungen insgesamt üblich – manchmal sehr frei, wobei er dabei teilweise auch vom Sinn des Textes abweicht. Kütemeyers Übersetzung dagegen scheint mir deutlich verlässlicher zu sein. 157 Außer den genannten gibt es außerdem noch zwei spätere Übersetzungen, welche ich allerdings nicht berücksichtigt habe. Die Lilien auf dem Felde, aus dem Dänischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Friederich Hansen-Löve. Wien: Herder, 1947. Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel, aus dem Dänischen übersetzt und eingeleitet von Daniel Hoffmann, Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1965.

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6,24–34 und führen ebenfalls die Lilie und den Vogel als Lehrmeister an. Zeitgleich mit den Arbeiten an den Christlichen Reden begann Søren Kierkegaard im Februar oder März 1848 auch mit den Arbeiten an der Krankheit zum Tode, die im Mai 1848 abgeschlossen waren. Das Jahr 1848 zeichnet sich insgesamt durch eine sehr hohe Produktivität aus, wobei die meisten der in diesem Jahr verfassten Schriften erst in späteren Jahren veröffentlicht wurden. So schrieb Søren Kierkegaard im Sommer und Herbst 1848 auch an Einübung im Christentum (erschienen am 25. September 1850) und am Gesichtspunkt für meine Verfasser-Tätigkeit (posthum 1859 erschienen) sowie an einigen weiteren, kleineren Texten. 158 Die Idee zu neuen Reden über Lilie und Vogel griff Søren Kierkegaard erst im März 1849 wieder auf. Die Niederschrift des Textes glückte dann aber ausgesprochen schnell, so dass Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel bereits am 14. Mai 1849 zusammen mit der zweiten Auflage von Entweder – Oder erscheinen konnte. 159 Die Krankheit zum Tode erschien rund zwei Monate später am 30. Juli 1849. Wenn eigens auf den Entstehungskontext dieser Reden und den Zusammenhang mit der Krankheit zum Tode hingewiesen wird, dann auch deswegen, um darauf aufmerksam zu machen, dass die dortigen Ausführungen gewissermaßen den Kontext bereitstellen, in welchen sich die Ausführungen in diesen Reden einschreiben und aus welchem sie ihr Verständnis erhalten. In einem Journaleintrag vom 13. Mai 1848 – nach Fertigstellung der Krankheit zum Tode und kurze Zeit nach Vermerk der Idee zu den neuen Reden über Lilie und Vogel – meinte Søren Kierkegaard, dass die Krankheit zum Tode ein »vorzügliches Schema« (SKS 20, 365 / Pap VIII 1 A 651) liefere. Zugleich meint er aber auch, dass schon der Titel darauf hindeute, dass Die Krankheit zum Tode in Form von Reden verfasst sein sollte. Diese Einsicht findet in den drei Reden über Die Lilie auf dem Felde und den Vogel unter dem Himmel gewissermaßen ihre Entsprechung. Wenn die Krankheit zum Tode ein »vorzügliches Schema« liefert, so schenkt S. Kierkegaard hier gewissermaßen das dazugehörige Meisterwerk. 158 Ich stütze mich bei diesen Ausführungen auf die Beschreibung der Textentstehung im Kommentarband zur Krankheit zum Tode (SKS K11, 156 ff.). 159 Siehe die Beschreibung der Textentstehung von Die Lilie auf dem Feld und der Vogel unter dem Himmel (SKS K11, 21 ff.)

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Ein Meisterwerk sind diese Reden vor allem deswegen, weil sie sprachlich wohl die mutigsten, innovativsten und ausgereiftesten sind. Das hat aber leider zur Kehrseite, dass sie an manchen Stellen kaum zu übersetzen sind und sich daher alle gewissenhaften Übersetzungsversuche in eine umfassende Kommentierung und Auslegung verstricken müssen. Deswegen gebe ich in diesem Kapitel ungewöhnlich oft die dänischen Begriffe und Phrasen in eckiger Klammer an und auch häufige und ausschweifende Rückgriffe auf Wörterbücher lassen sich nicht vermeiden.

Gehorsam Ich möchte meine Lektüre dieser Reden unkonventionell in der Mitte des Textes, mit einer Passage aus der zweiten Rede beginnen. Es geht in dieser Passage – die ich auch in ihrer vollen Länge wiedergeben möchte, um den Lesenden selbst eine Konfrontation mit dem Text zu ermöglichen – um den Umgang des Menschen mit seiner Faktizität. Veranschaulicht und argumentiert zugleich wird dies von S. Kierkegaard anhand des Beispiels einer Lilie. Ob der Ort [Sted], welcher der Lilie zugewiesen ist, so unglücklich wie möglich ist, so dass es sich leicht voraussehen lässt, dass sie ihr ganzes Leben hindurch gänzlich überflüssig sein wird, nicht bemerkt wird von einem Einzigen, der sich über sie freuen könnte; ob der Ort oder die Umgebung – ja, da habe ich vergessen, dass es die Lilie ist, über die ich spreche – so »verzweifelt« unglücklich ist, dass er nicht nur nicht gesucht, sondern gemieden wird: die gehorsame Lilie findet sich gehorsam in ihren Verhältnissen [Vilkaar] und springt auf in all ihrer Schönheit. Wir Menschen, oder, ein Mensch an Stelle [Sted] der Lilie, würde wohl sagen: »Es ist schwer, es ist nicht auszuhalten, wenn man eine Lilie ist und schön wie die Lilie, dann einen Platz an einem solchen Ort zugewiesen zu haben, um da in einer Umgebung zu blühen, der so ungünstig wie möglich ist, wie berechnet dafür den Eindruck ihrer Schönheit zu vernichten; nein, das ist nicht auszuhalten, das ist ja ein Selbstwiderspruch des Schöpfers.« Auf solche Weise würde wohl ein Mensch, oder würden wir Menschen denken und sprechen, wenn wir an der Stelle der Lilie wären, und daraufhin vor Gram verwelken. Aber die Lilie denkt anders, sie denkt wie folgt: »Ich konnte ja nicht selbst den Ort [Sted] und die Verhältnisse [Vilkaar] bestimmen, das ist also nicht in entferntester Weise meine Sache; dass ich stehe, wo ich stehe, ist Gottes Wille.« Auf diese Weise denkt die Lilie; und dass es auch wirklich so ist wie sie denkt, dass es Gottes Wille A

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ist, kann man an ihr sehen; denn sie ist schön – nicht einmal Salomon in all seiner Herrlichkeit war auf diese Weise gekleidet. Oh, wenn es einen Unterschied geben sollte zwischen Lilie und Lilie an Schönheit, dann müsste dieser Lilie der Preis zuerkannt werden: diese hat eine Schönheit mehr; denn schön zu sein, wenn man Lilie ist, ist eigentlich keine Kunst, aber unter diesen Verhältnissen [paa det Vilkaar] schön zu sein, in einer solchen Umgebung, die alles dafür tut es zu verhindern, in einer solchen Umgebung vollständig sich selbst zu sein und sich selbst zu bewahren [at være sig selv og at bevare sig selv], der Macht der ganzen Umgebung zu spotten, nein, nicht zu spotten, das tut die Lilie nicht, aber ganz sorglos [sorgløs] zu sein in all ihrer Schönheit! (SKS 11, 31 f. / LF 54 f.)

S. Kierkegaard fordert uns auf, dass wir uns in die Lage einer Lilie versetzen, die nicht etwa auf einer Blumenwiese steht, sondern an einem entlegenen Ort, der von niemandem aufgesucht wird und der daher die Lilie gänzlich überflüssig erscheinen lässt. Auf die konkrete Situation kommt es nicht an, wichtig ist, dass wir in eine Lage hineinversetzt werden, die so ungünstig wie möglich ist. S. Kierkegaard führt uns diese Lage vor Augen, um zu untersuchen, wie ein Verhalten in und zu dieser Situation aussehen könnte. Es geht also um den Umgang mit dem, was S. Kierkegaard hier »Vilkaar« nennt und von mir mit »Verhältnisse« übersetzt wurde. »Vilkaar« bedeutet im Singular »Bedingung«, als Plural kann es dann soviel bedeuten wie »Lage, Stand, Zustand, Loos [sic], Verhältnisse« (Helms 1858). 160 »Vilkaar« bezeichnet dabei eine vorgegebene SiIm Ordbog over det danske Sprog wird noch detaillierter auf die Bedeutungsvielfalt dieses Wortes eingegangen. Demnach bedeutet »Vilkaar« zunächst »eine (einschränkende) Bestimmung (Entscheidung, Forderung), die ein Verhältnis zu einem anderen Teil voraussetzt und welche, von diesem akzeptiert, eine gewisse (gewünschte) Möglichkeit oder ein gewisses Recht bedingt« [en (indskrænkende) bestemmelse (beslutning, fordring), der forudsætter et forhold til en anden part, og som, accepteret af denne, betinger en vis (ønsket) mulighed ell. Rettighed]. Des Weiteren kann es aber auch handeln »über eine im Wort ausgedrückte oder durch die Situation bestimmte Möglichkeit, die […] vorgelegt wird oder (situationsbestimmt) für eine Person vorliegt, welche diese (als einen Ausweg) vor einer anderen Möglichkeit oder mehreren anderen ähnlichen Möglichkeiten wählen kann oder wählen muss« [om en i ord udtrykt ell. ved situationen bestemt mulighed, som (i form af et tilbud ell. paabud) forelægges ell. (situationsbestemt) foreligger for en person, der kan ell. maa vælge denne (som en udvej) fremfor en anden ell. flere andre af lignende art]. In diesem Sinne kann es auch das »vorliegende Verhältnis oder die vorliegenden Umstände« [foreliggende forhold ell. Omstændigheder] bezeichnen. Dies kann wiederum näher spezifiziert werden, erstens als ein »Verhältnis, das eine Voraussetzung für einen bestimmten Entwicklungsgang ist« [forhold,

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tuation, die eine Reihe von Möglichkeiten eröffnet, welche dann von der in diese Situation geworfenen Person ergriffen werden können bzw. müssen. Da »Vilkaar« diese gegebene Situation meint, welche zugleich als einschränkende und eröffnende Bedingung für Möglichkeiten fungiert, ist es wohl nicht unberechtigt, das mit diesem Wort Gemeinte in Zusammenhang mit dem zu bringen, was von Heidegger als Faktizität bezeichnet wurde. Welche Auswirkungen hat nun diese konkrete Faktizität auf die Möglichkeit ihrer Übernahme? S. Kierkegaard meint, dass ein Mensch, wäre er in die Faktizität der beschriebenen Lilie geworfen, wohl verzweifeln würde. Ein Mensch würde wahrscheinlich nicht nur verzweifeln, er würde sich vor allem empören. S. Kierkegaard drückt diese radikale Empörung aus, wenn er diesen Menschen sagen lässt, dass dies »ein Selbstwiderspruch des Schöpfers« sei. Der Lilie hingegen ist die Schönheit von Gott – wir könnten auch sagen: von Natur – gegeben. Sie kann nicht anders, als ihrer natürlichen Bestimmung zu folgen und in Schönheit zu erblühen. Interessant ist nun aber die Konsequenz, die S. Kierkegaard daraus zieht. Seine Frage ist: Wäre ein Mensch in der Lage der Lilie, d. h. wäre ein Mensch in eine Lage geworfen, die so aussichtslos wie möglich erscheint, wie würde er sich verhalten? S. Kierkegaards Antwort lautet, dass er daran verzweifeln und vor allem sich nicht entfalten, d. h. nicht produktiv damit umgehen würde. Doch er würde nicht deswegen keinen produktiven Umgang mit seiner Faktizität an den Tag legen können, weil die Situation ihn grundsätzlich daran hindert, nein, nicht die Situation würde ihn hindern, er würde sich durch seine Verzweiflung und seine Empörung selbst daran hindern. Die Lilie hingegen folgt ihrer natürlichen Bestimmung. Der Mensch kann dies nicht wie die Lilie, weil er keine solche natürliche Bestimmung hat, zumindest hat er keine natürliche Bestimmung, der er unmittelbar folgen könnte. Aber gerade deswegen kann er verzweifeln, was wiederum die Lilie nicht kann. Diese Verzweiflung – die ihn in anderer Hinsicht vor der Lilie auszeichnet – ist aber gerade der Grund, warum er seine Faktizität nicht übernehmen kann. Die von der Lilie der er en forudsætning for en vis udviklingsgang], zweitens als »Verhältnis oder Zustand, worin sich etwas befindet« [forhold ell. tilstand, hvori noget befinder sig] und zuletzt kann »Vilkaar« daher auch verstanden werden als »Existenzverhältnis« [eksistensforhold], »Lebensverhältnis« [livsforhold], »(Lebens-)bedingungen« [(livs)-betingelser] oder »Verhältnisse« [kaar]. A

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geäußerte Einsicht, dass es Gottes Wille sei, ist – auf den Menschen übertragen – die Bezeichnung für die Eröffnung der Möglichkeit, die Faktizität zu übernehmen und sich auf produktive Weise zu dieser zu verhalten, egal wie unerträglich diese Faktizität auch im Detail aussehen mag. Diese Ermöglichungsbedingung der Übernahme der Faktizität ist – in einem ersten Vorgriff – das, was S. Kierkegaard mit Gehorsam bezeichnet. S. Kierkegaard verweist anschließend in einer rhetorischen Figur auf einen Unterschied zwischen den Lilien. Diesen Unterschied gibt es nicht, denn die Lilien sind von Natur, was sie eben sind, deswegen kann es diesen Unterschied nicht geben. Aber was wäre, wenn es ihn gäbe? Dann meint S. Kierkegaard, müsste jene Lilie ausgezeichnet werden, die in der beschriebenen, unwirtlichen Umgebung steht. Denn in dieser Situation ist es umso schwerer, die Faktizität zu übernehmen. Mit anderen Worten: Blühen muss eine jede Lilie, denn das ist ihre natürliche Bestimmung; aber unter manchen Umständen ist es für die Lilie leichter, unter anderen schwerer, dies zu realisieren. Auf den Menschen übertragen: Seine Faktizität übernehmen muss schlechthin jede und jeder; doch der existenzielle Vollzug dieser Übernahme kann sich ganz unterschiedlich gestalten und mit ganz verschiedenen Hindernissen konfrontiert sein. Worum es aber eigentlich geht – und damit komme ich dem Kern der Sache näher – ist dabei »sich selbst zu sein und sich selbst zu bewahren« [at være sig selv og at bevare sig selv]. Zwei Hinweise können festgehalten werden, worauf die Bewältigung dieser Aufgabe bezogen sein wird. Erstens kann mit Richard Purkarthofer gesagt werden: »Die Formulierung ›sich selbst bewahren‹ weist schon darauf hin, dass wir es hier mit der Zeitlichkeit zu tun haben.« (Purkarthofer 2005a, 93) Zweitens zeigt sich in Hinblick auf »sich selbst sein« im besprochenen Beispiel der Lilie, dass dies etwas mit dem »Ort« zu tun hat, an dem man sich befindet. Im Dänischen lautet es »Sted«, was schwer zu übersetzen ist, weil es mit mehreren deutschen Wörtern wiedergegeben werden kann (Stelle, Ort, Platz, Stätte). Jedenfalls ist »Sted« nicht im Sinne eines anhand von Koordinaten definierbaren Punktes zu verstehen. Es ist vielmehr selbst ein Ausdruck für die Faktizität, das Dasein, welches man ist und zu sein hat. Selbstsein scheint also gerade in der Übernahme der Faktizität zu liegen. Bei S. Kierkegaard enthält dies auch ein starkes Moment des Sollens:

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Denn die Lilie ist, trotz der Umgebung, sie selbst, weil sie Gott unbedingt gehorsam ist; und weil sie Gott unbedingt gehorsam ist, deswegen ist sie unbedingt sorglos, was nur der unbedingte Gehorsame, besonders unter solchen Umständen, sein kann. Und weil sie – was einander wechselseitig entspricht – voll und ganz sie selbst ist, und unbedingt sorglos: deswegen ist sie schön. Nur mit unbedingtem [ubetinget] Gehorsam kann man ganz [ubetinget] genau »den Ort« treffen, wo man stehen soll [man skal staae]; und wenn man ihn unbedingt [ubetinget] trifft, dann versteht man, dass es völlig/unbedingt [ubetinget] gleichgültig ist, wenn »der Ort« auch ein Misthaufen [Mødding] wäre. (SKS 11, 32 / LF 55)

Die Lilie ist, was sie ist, vollständig, in voller Pracht und Schönheit; sie blüht ungeachtet des Standortes. Der Mensch kann nicht unmittelbar sein, was er ist, er hat seine Faktizität zu übernehmen und sich selbst auf seine Zukunft hin zu entwerfen. Die Wendung, die S. Kierkegaard der Sache nunmehr aber gibt, ist folgende: Der Mensch muss nicht nur seine Faktizität übernehmen, er soll es auch. Seine Aufgabe, er selbst zu sein, liegt darin, dass er seine Faktizität übernehmen soll, ungeachtet dessen, wie diese Faktizität im Einzelnen aussehen mag; d. h. erstens, dass er diese als seine eigene anerkennen soll, und zweitens, dass er sich angesichts ihrer auf seine Zukunft hin entwerfen soll. Es ist wichtig, hier das Sollens-Moment zu betonen, um das Eigentümliche der Ausführungen von S. Kierkegaard in den Blick zu bekommen. Dies wird deutlich vor dem Hintergrund, dass – existenzial betrachtet – jeder Mensch die genannten Aspekte vollziehen muss (das sieht wohl auch S. Kierkegaard so). Doch darauf will S. Kierkegaard nicht hinaus, er möchte vielmehr darüber hinausgehend zeigen, dass ein Mensch dies auch – existenziell betrachtet – soll. Im zweiten, gleich anschließenden Bild kommt auch die Zukunft ins Spiel, und zwar in Hinblick auf die Frage nach der Lebensganzheit. Zur Vorbereitung sei ein Zitat von Richard Purkarthofer angeführt, der meint, dass die Zeitlichkeit es dem Menschen ermöglicht sich zu verändern: »Die ultimative Möglichkeit des Menschen aber ist der Tod. Bei dieser entsetzlichen Möglichkeit des Daseins, nämlich der, nicht mehr da zu sein, setzt Kierkegaard nun an. Nicht umsonst meint er ja, dass das Erbauliche immer mit dem Entsetzlichen beginne. Die Frage ist, wie sich der Mensch angesichts dieser ultimativen Möglichkeit bewahren kann.« (Purkarthofer 2005a, 95) Zunächst möchte ich wieder die Passage S. Kierkegaards in voller Länge zitieren: A

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Ob es sich für die Lilie so unglücklich wie möglich trifft, dass gerade der Augenblick, da sie aufspringen soll, so ungünstig ist, dass sie, dem zufolge was sie im vorhinein mit beinahe Gewissheit abschätzen kann, im gleichen Augenblick geknickt werden wird, folglich ihre Entstehung [Tilblivelse] ihr Untergang [Undergang] wird, ja folglich es scheint, dass sie bloß entstand [blev til] und schön wurde [blev deilig] um unter zu gehen: die gehorsame Lilie findet sich gehorsam darin, sie weiß, dass es so Gottes Wille ist, und sie springt auf – wenn du sie in diesem Augenblick siehst: es war nicht das Geringste an ihr um zu erkennen, dass diese Entfaltung [Udfoldelse] zugleich ihr Untergang war, so voll entwickelt, so reich und schön sprang sie auf, so reich und schön ging sie – denn das Ganze war ja ein Augenblick – ging sie unbedingt gehorsam ihrem Untergang entgegen. Ein Mensch oder wir Menschen würden an der Stelle der Lilie wohl daran verzweifeln, dass Entstehung und Untergang Eines wäre, und daher durch Verzweiflung uns selbst daran hindern das zu werden, was wir hätten werden können, wenn auch nur für einen Augenblick. Anders mit der Lilie; sie war unbedingt gehorsam, deswegen wurde sie sich selbst in Schönheit, sie wurde wirklich all ihre Möglichkeit [hele sin Mulighed], unbeirrt, unbedingt unbeirrt von dem Gedanken, dass der gleiche Augenblick ihr Tod war. Oh, wenn es einen Unterschied zwischen Lilie und Lilie an Schönheit gäbe, dieser Lilie müsste der Preis zuerkannt werden; sie hatte eine Schönheit mehr, auf diese Weise schön zu sein trotz der Gewissheit des Untergangs im gleichen Augenblick. Und wahrhaft, mit dem Untergang vor Augen den Mut und den Glauben zu haben in all ihrer Schönheit zu werden [blive til]: das vermag nur unbedingter Gehorsam. Einen Mensch würde, wie gesagt, die Gewissheit des Untergangs beirren, so dass er nicht seine Möglichkeit würde, was ihm doch vergönnt war, obgleich ihm nur das kürzeste Dasein zugemessen war. »Wozu?« würde er sagen, oder »Wofür?« würde er sagen, oder »Was kann das helfen?« würde er sagen: und folglich entfaltete er nicht seine ganze Möglichkeit [sin hele Mulighed], sondern verschuldete, dass er, verkrüppelt und unschön, unterging im Augenblick vorher [Øieblikket iforveien]. (SKS 11, 32 f. / LF 55 f.)

S. Kierkegaard verbindet hier auf radikale Weise die Frage nach der Ganzheit des Daseins mit der Frage nach dem Tod. Er konfrontiert uns mit der Situation, dass der Augenblick der Entfaltung zugleich der Augenblick des Todes ist. Um diesen Zusammenhang in seiner Radikalität zu verstehen, ist es wichtig, sich klar zu machen, dass mit Entstehung [Tilblivelse] oder Entfaltung [Udfoldelse] hier nicht die »Geburt« gemeint ist, sondern die »Verwirklichung«, nicht das Ins-Dasein-kommen, sondern das Sich-selbst-werden [blive sig selv] bzw. Ganz-werden [blive hel]. Im Falle der Lilie geht es also zum Beispiel nicht um den Augenblick, an welchem sie gesät wurde, sondern um 184

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den Augenblick des Aufspringens der Blüte, das Erblühen in voller Pracht.161 Was wäre in einer solchen Lage, wenn Entstehung und Untergang Eines wären? Wie würde sich ein Mensch verhalten im Angesicht des Todes, mit der Gewissheit des Untergangs? S. Kierkegaard scheint uns folgende Antwort zu geben: Bei der Lilie würde es keinen Unterschied machen, sie würde sich von der Gewissheit des Todes nicht beirren lassen und erblühen, auch wenn sie zum Beispiel wüsste, dass sie im gleichen Augenblick, in dem sie ihre Blüte öffnet, auch schon von einem vorbeikommenden Passanten abgeknickt werden würde. Die Lilie entfaltet sich gemäß ihrer Bestimmung zu ihrer gesamten Pracht – mit anderen Worten: sie wird sie selbst bzw. ganz – ungeachtet des bevorstehenden Todes. 162 Beim Menschen hingegen verhält es sich anders: Die Gewissheit des Todes hindert den Menschen daran, sich selbst zu verwirklichen bzw. ganz zu werden. Genau genommen ist es – wie auch schon im Falle der Übernahme der Faktizität gezeigt wurde – nicht die Gewissheit des Todes, die den Menschen daran hindert. Es ist vielmehr der Mensch selbst, der angesichts dieser Gewissheit verzweifelt und sich durch diese Verzweiflung selbst daran hindert zu werden, was er hätte werden können. Er lässt sich durch »die Gewissheit des Untergangs beirren, so dass er nicht seine Möglichkeit wird, was ihm doch vergönnt war, obgleich ihm nur das kürzeste Dasein zugemessen war.« Aus diesem letzten Satz wird aber auch deutlich, dass es nicht auf die Länge des Lebens ankommt, wenn von der Ganzheit des Daseins gesprochen wird. Auch das kürzeste Leben kann zu seiner Ganzheit gelangen, die Frage der Ganzheit ist keine Frage der Lebensdauer. Worauf es ankommt, ist etwas anderes. S. Kierkegaard nennt es: 161 Ganz ähnlich sieht dies Niels Jørgen Cappelørn (2010), dem ich für den entsprechenden Hinweis zu Dank verpflichtet bin. 162 Es ist eine interessante Parallele, dass Heidegger sich in Sein und Zeit in Hinblick auf die Ganzheit des Daseins unter anderem auch auf das Beispiel einer Frucht bezieht, das dem Beispiel der blühenden Lilie sehr ähnlich ist. Er schreibt: »Wenn auch das Reifen, das spezifische Sein der Frucht, als Seinsart des Noch-nicht (der Unreife) formal darin mit dem Dasein übereinkommt, daß dieses wie jenes in einem noch zu umgrenzenden Sinne je schon sein Noch-nicht ist, so kann das doch nicht bedeuten, Reife als ›Ende‹ und Tod als ›Ende‹ deckten sich auf hinsichtlich der ontologischen Endstruktur.« (SZ 244) Heidegger macht in weiterer Folge jedoch deutlich, dass der Tod des Daseins keinesfalls als dessen Vollendung verstanden werde dürfe, daher also die Reife – verstanden als die Vollendung der Frucht – nicht als Modell für die Ganzheit des Daseins verwendet werden könne.

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»seine Möglichkeit zu werden« [at blive sin Mulighed]. Die zunächst nahe liegende Lektüre dieser Passage ist es, dass damit gemeint ist, seine Möglichkeiten zu verwirklichen, d. h. seine Bestimmung zu werden, im Sinne von diese realisieren. Diese Interpretation ist klar ersichtlich und leicht nachzuvollziehen in Hinblick auf die Lilie. Aber wie ist dies zu verstehen, wenn wir von einem Menschen sprechen? Auch hier könnten wir sagen, dass es darum ginge, seine Bestimmung zu verwirklichen. Doch was ist diese Bestimmung, die es zu verwirklichen gelte, im Falle eines Menschen? Eine mögliche Antwort wäre es, hier darauf zu verweisen, dass diese Bestimmung dem Menschen von Gott gegeben wurde. Und es gibt durchaus auch Indizien, dass S. Kierkegaard dies auch so gemeint hat. 163 Doch auch dieser Hinweis beantwortet noch keineswegs die Frage danach, wie diese Bestimmung (auch wenn sie von Gott gegeben wäre) zu verstehen ist. Vielleicht ist es interessant zu berücksichtigen, dass »blive« nicht nur »werden« bedeuten kann, sondern auch »bleiben« bzw. »verbleiben«. Was wäre also, wenn »at blive sin Mulighed« in Hinblick auf den Menschen nicht so sehr als »seine Möglichkeiten werden« im Sinne von diese verwirklichen zu verstehen ist, sondern als »seine Möglichkeit bleiben« bzw. »seine Möglichkeit verbleiben«, im Sinne von den Möglichkeitshorizont nicht verlieren? Dann würde »at blive sin Mulighed« also nicht – wie bei der Lilie – auf die Verwirklichung einer natürlichen Bestimmung abzielen, sondern die Auszeichnung und Last des Menschseins bezeichnen, immer in Möglichkeiten zu stehen und sich auf Möglichkeiten entwerfen zu müssen. Dieses radikale Möglichsein des Menschen zeigt sich also vielleicht gerade dann, wenn wir es im Zusammenhang denken mit der Bezogenheit auf den Tod, die den Menschen unentrinnbar mit seiner Endlichkeit konfrontiert. 164 Niels Jørgen Cappelørn (2010) vertritt diese Interpretation. Diese Interpretation drängt sich mit einem an Heidegger geschulten Vorverständnis nahezu auf. Heideggers emphatischer Begriff von Möglichkeit, der das Haben von und Sich-Entwerfen auf Möglichkeiten als wesentliche existenziale Bestimmung der Existent fasst, steht an dieser Stelle im Hintergrund der Lektüre. Möglichkeit darf dabei – wie bereits im Kapitel Die ekstatische Zeitlichkeit ausgeführt – nicht als ein kategoriale Modalität aufgefasst werden, sondern muss als ein Existenzial des Dasein bedacht werden. Möglichkeit in diesem Sinne meint den Entwurfcharakter der Existenz. Es bezeichnet die Bezogenheit des Daseins auf Zukünftigkeit, das Sich-vorweg, die existenzial zu verstehende, ekstatische Zukunft. Die Möglichkeit zu Möglichkeiten als Offenhalten eines Möglichkeitshorizonts meint dieses Ausstehen von Zukünftigkeit. Im Kapitel »Das mögliche Ganzsein des Daseins und das Sein zum Tode« wird dieser emphatische 163 164

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Es drängt sich also die Frage auf, ob es nicht die radikale Pointe S. Kierkegaards ist, dass die von ihm vorgetragene Erzählung von der Lilie keinen Sonderfall präsentiert, sondern die Bedingungen der Möglichkeit für ein Ganzsein des Daseins überhaupt. Ob wir also aus dieser Passage nicht vielleicht die Konsequenz ziehen sollen, dass die Ganzheit immer mit dem Untergang bzw. Tod zusammenfällt, wenngleich dies nicht so missverstanden werden darf, als würde diese Ganzheit einfach nur die Abgeschlossenheit und daher Vollendung der Lebenszeit bedeuten. 165 Jedenfalls wird das Menschsein in diesen Reden auf irreduzible Weise mit der Gewissheit des Todes in Verbindung gebracht, wie Richard Purkarthofer vermerkt: »In these three discourses being human and being subject to temporality in the face of death are inextricably bound up with each other – actually the one means the other!« (Purkarthofer 2003a, 206) Ganz zu werden bzw. seine Möglichkeit zu werden/bleiben, wird von S. Kierkegaard in weiterer Folge in Zusammenhang gebracht mit dem Konzept des »Augenblicks«. In diesem Ganzsein, Ganz-werden geht es darum, den Augenblick zu treffen, wie die Fortführung des Zitats zeigt: »Nur unbedingter Gehorsam kann ganz [ubetinget] genau ›den Augenblick‹ treffen; nur unbedingter Gehorsam kann ›den Augenblick‹ benutzen, unbedingt [ubetinget] unbeirrt vom nächsten Augenblick.« (SKS 11, 33. / LF 56) S. Kierkegaard führt dies nun näher aus anhand des Vogels: Ob es für den Vogel, wenn der Augenblick da ist, wo er wandern soll, im Verstand des Vogels noch so gewiss ist, dass er es richtig gut hat, so wie er es hat, dass er also durch das Wandern das Gewisse loslässt um nach dem Ungewissen zu greifen: der gehorsame Vogel tritt doch augenblicklich die Wanderung an; einfältig, durch Hilfe des unbedingten Gehorsams, versteht er nur Begriff von Möglichkeit in Zusammenhang gebracht mit dem, was Heidegger »Sein zum Tode« nennt: »Das Sein zum Tode als Vorlaufen in die Möglichkeit ermöglicht allererst diese Möglichkeit und macht sie als solche frei.« »Das Sein zum Tode ist Vorlaufen in ein Seinkönnen des Seienden, dessen Seinsart das Vorlaufen selbst ist.« (SZ 262) Dasein ist wesenhaft Entwerfen auf Möglichkeiten. Die Freigabe des Daseins auf Möglichkeit ermöglicht sich aber allererst aus dem Vorlaufen in die äußerste Möglichkeit im Sein zum Tode. Das heißt, dass die Bezogenheit des Daseins auf Zukünftigkeit eröffnet wird aus der radikalen Endlichkeit dieses Seienden. 165 Das Ende der dritten Rede scheint auch in diese Richtung zu deuten. Zentral für dieses Verständnis ist es jedenfalls, Untergang bzw. Tod nicht mit dem physischen Ableben eines Lebewesens (auch nicht des Lebewesens Mensch) gleichzusetzen, sondern zunächst in seiner strukturellen Funktion zu bedenken. A

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Eines, aber das versteht er unbedingt/völlig [ubetinget], dass es jetzt unbedingt der Augenblick ist [at nu er det ubetinget Øieblikket]. (SKS 11, 33 / LF 56 f.)

Den Gehorsam der Lilie und des Vogels zeichnet aus, dass er unbedingt 166 ist, d. h. dass er an keine Bedingungen geknüpft ist, von keinen Vorbehalten eingeschränkt wird. In Kontrast zu der Lilie und dem Vogel meint S. Kierkegaard wohl implizit, dass ein Mensch seinen Gehorsam von solchen Bedingungen und Vorbehalten abhängig mache, und dass es diese Bedingungen und Vorbehalte seien, die es ihm unmöglich machen, den Augenblick zu treffen. Wovon der Mensch sich aber vor allem abbringen lässt, ist sein Bezug auf das Gewesene und sein Bezug auf das Künftige. Der Mensch verzweifelt an seiner Faktizität und der Mensch verzweifelt an seiner Zukunft, in Hinblick auf die Zukunft verzweifelt er vor allem an der Gewissheit seines Todes. In diesen verzweifelten Bezügen existiert der Mensch im Gewesenen oder er existiert im Künftigen und es gelingt ihm daher nicht, den Augenblick zu vernehmen und den Augenblick zu ergreifen. Mit anderen Worten: Der Mensch ist in einer Art und Weise in Vergangenheit und Zukunft verstrickt, die es ihm unmöglich macht, in der Gegenwart zu existieren. Was an dieser Stelle besprochen wird, scheint mir wiederum das Problem zu ein, welches in anderer Form bereits im Laufe der Besprechungen von Heideggers Konzeption der ekstatischen Zeitlichkeit aufgebrochen ist. Während Heidegger die Ekstasen der Gewesenheit und der Zukunft ausführlich bespricht und mit reichhaltigen strukturellen Bestimmungen konkretisiert, bleiben seine Ausführungen zur Ekstase der Gegenwart auf irritierende Weise in Schwebe und hinterlassen einen Eindruck von Leere. Vor allem die als Augenblick bezeichnete eigentliche Modifikation der Gegenwart vermag es nicht recht, Konkretion zu gewinnen. Deswegen drängt sich die Frage auf, wie eine sol166 In diesem Zitat kommt dem Adjektiv »ubetinget« – wie bereits in den zuvor zitierten – eine wichtige Rolle zu. Dieses Wort ist schwer zu übersetzen, weil es eine konstitutive Mehrdeutigkeit enthält, weswegen ich es manchmal mit »unbedingt«, manchmal mit »völlig« oder »ganz« übersetzt habe. Vielleicht ist es hilfreich, auf die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes zu achten. Laut Ordbog over det danke Sprog bezeichnet »ubetinget« »was nicht an bestimmte Bedingungen, Einschränkungen, Vorbehalte geknüpft ist« [som der ikke er knyttet visse betingelser, indskrænkninger, forbehold til]. Weil es an keine Bedingungen geknüpft ist, bedeutet es auch, was »völlig« [fuldt ud], »ganz und gar« [helt og holdent], »ohne Abzug, Modifikation und Einwände« [uden afkortelse, modifikation, indvendinger] gilt.

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che nähere Bestimmung des Augenblicks aussehen könnte. Meiner Lektüre zufolge ist es gerade diese Frage, die S. Kierkegaard hier – in einer Sprache, die gewiss stärker auf einer existenziellen Ebene zu verorten ist als Heideggers existenziale Analytik – in den Blick nimmt. Als Heidegger und S. Kierkegaard gemeinsamer Ausgangspunk festzustehen scheint dabei, dass der Mensch seine Bezogenheit auf Vergangenheit und Zukunft – dass er seine Faktizität übernehmen und sich auf Künftiges entwerfen muss – schlechthin nie loszuwerden vermag. Aber gerade weil dies seine existenziale Verfasstheit ausmacht, weil der Mensch immer schon in diese Bezüge eingelassen ist, wird die Frage relevant, wie er diese Bezüge vollzieht. Hier scheint S. Kierkegaard einzusetzen, wenn er abermals auf den Vogel verweist: Der gehorsame Vogel findet sich unbedingt in allem; einfältig, durch Hilfe des unbedingten Gehorsams versteht er nur Eines, aber das versteht er unbedingt/völlig [ubetinget], dass alles, was ihm auf diese Weise widerfährt, ihn eigentlich nicht, also nur uneigentlich angeht, oder richtiger, dass das, was ihn eigentlich, aber auch unbedingt, angeht, ist, Gott unbedingt [ubetinget] gehorsam sich darin zu finden. (SKS 11, 34 / LF 57)

Nicht das Was (die vorgegebenen, unverfügbaren Umstände) ist es, worauf es ankommt, denn es betrifft nur uneigentlich. Worauf es ankommt, was eigentlich betrifft, ist das Wie des Verhaltens zu diesem Was, also das Wie der Übernahme der Faktizität und das Wie der Hinnahme von Künftigem. Dieses Wie des Vollzugs unserer Bezüge in der Zeitlichkeit, also unserer Bezogenheit auf Gewesenes und Künftiges, ist es, das wir Menschen von der Lilie und dem Vogel lernen sollen. 167

167 Johannes Sløk macht in einer Terminologie, die eine etwas anders gelagerte Konnotationen hat, auf diesen Sachverhalt aufmerksam: »Alle drei Reden enden in einem Anspruch rein formaler Art. Sie geben nicht eine Forderung an, sondern die Haltung, in der es möglich ist, eine Forderung zu hören.« (Sløk 1955, 237) Dies reformuliert Sløk auch noch einmal in Hinblick auf den Gehorsam. Er stellt die Fragen: Wieso ist der Gehorsam eine formale Forderung? Warum wird uns kein konkreter Befehl gegeben? Seine Antwort lautet: »Weil der Gehorsam unbedingt ist, d. h. er hat nicht die Verständigkeit des Befehls oder seine Verständlichkeit für den Menschen zur Bedingung: Wenn der Gehorsam unbedingt ist, fragt man nicht nach Rationalität, man geht auch nicht der von der Forderung vorausgesetzten Anschauung nach.« (Sløk 1955, 238 f.) Etwas weiter oben wurde bereits die Stelle zitiert, an welcher S. Kierkegaard meint, dass es die Angewohnheit des Menschen sei, »Wozu« und »Wofür« zu fragen und damit den unbedingten Gehorsam zu verfehlen.

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Schweigen Es wird in weiterer Folge darum gehen, dieses Wie näher zu bestimmen. Dafür möchte ich mich der ersten Rede zuwenden. Diese erste Rede handelt vom Schweigen: Denn freilich ist es die Rede, die den Menschen vor dem Tier auszeichnet, und dann, wenn jemand so will, bei weitem vor der Lilie. Aber weil es ein Vorzug ist reden zu können, daraus folgt nicht, dass es nicht eine Kunst sein sollte schweigen zu können, oder dass es eine geringe Kunst sein sollte; im Gegenteil, gerade weil der Mensch reden kann, gerade deswegen ist es eine Kunst schweigen zu können, und gerade weil sein Vorzug ihn so leicht versucht, deswegen ist es eine große Kunst schweigen zu können. Aber das kann er lernen von den schweigenden Lehrmeistern: der Lilie und dem Vogel. (SKS 11, 16 / LF 36)

S. Kierkegaard knüpft an dieser Stelle an die Bestimmung des Menschen bei Aristoteles als zoon logon echon an, also die Bestimmung des Menschen als jenes Lebewesen, das den logos, die Rede hat. Mit dieser gleich zu Beginn der drei Reden vorgenommenen Anknüpfung und Einordnung in die Tradition, die herkömmlich als philosophische Anthropologie bezeichnet wird, macht S. Kierkegaard aber auch deutlich, was für einen enormen Anspruch er mit dieser Rede verfolgt. Wie in der Krankheit zum Tode – und wie ich behaupte, gerade in Einklang mit ihr und sie in entscheidenden Punkten ergänzend und fortführend – geht es in diesen Reden um die Bestimmung dessen, was den Menschen als Menschen ausmacht. Ein solches Unternehmen wird einerseits an die An- und Übernahme der Tradition rückgebunden sein, andererseits macht Richard Purkarthofer aber darauf aufmerksam, dass S. Kierkegaard mit »freilich« [vistnok] und »wenn jemand so will« bereits im ersten Satz auch eine gewisse Distanzierung signalisiert, sich also nicht einfach dieser Tradition anschließen wird (vgl. Purkarthofer 2005a, 92). Der Mensch ist nicht wie die Lilie und der Vogel; und umgekehrt, die Lilie und der Vogel sind nicht wie der Mensch; denn der Mensch hat den logos, das Tier hat ihn nicht und die Pflanze hat ihn noch viel weniger – soweit die überlieferte Auffassung in Kurzfassung. S. Kierkegaard meint nun aber, dass gerade deswegen die Lilie und der Vogel für den Menschen zu Lehrmeistern werden können und es auch werden sollen. Dies zeigt er uns anhand des Schweigens: Nur wer reden kann, kann auch schweigen; denn zu schweigen bedeutet gerade nicht, 190

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stumm zu sein. Wer nicht reden kann, vermag auch nicht zu schweigen. Aber gerade wenn man reden kann, dann ist es eine Kunst zu schweigen. Die Lilie und der Vogel vermögen es überhaupt nicht zu schweigen, denn ihnen fehlt dazu die Rede, sie sind einfach stumm. Dennoch soll der Mensch wie die Lilie und der Vogel werden, er soll schweigen wie sie. Der Mensch kann nicht unmittelbar wie die Lilie oder der Vogel sein, er kann nicht in dieser Weise seine Ursprünglichkeit sein. 168 Aber gerade deswegen kommt es beim Menschen auf das Wie des Vollzugs seiner Bezüge an. S. Kierkegaard meint: »Es ist der Vorzug des Menschen vor dem Tier reden zu können, aber im Verhältnis zu Gott kann es leicht zum Verderbnis des Menschen werden, der reden kann, dass er reden will.« (SKS 11, 17 / LF 37) Seine Befähigung reden zu können, bringt den Menschen dazu, dass er auch immer reden – alles zerreden – will, d. h. allem gegenüber eine aktive – vorlaute – Haltung an den Tag legen will. Diese Haltung ist es, die für den Menschen zum Verderbnis wird. Dagegen sagt S. Kierkegaard: »Du sollst in tiefstem Sinne dich selbst zu Nichts machen, zu Nichts werden [blive] vor Gott, zu schweigen lernen; in diesem Schweigen ist der Beginn, der ist, zuerst Gottes Reich zu suchen.« (SKS 11, 16 f. / LF 36) Schweigen zu lernen, wird in Zusammenhang gebracht damit, zu Nichts zu werden, sich selbst zu Nichts machen, d. h. davon abzulassen, allem aktiv zu begegnen und stattdessen allererst vernehmen zu lernen. Zu schweigen lernen heißt, allererst in die Möglichkeit zu kommen, um hören zu können. Dieses Hören, dieses Vernehmen ist der Beginn, oder genauer: auf diese Weise kommt man zum Beginn: Auf diese Weise kommt man, fromm, in einem gewissen Sinne rückwärts zum Beginn. Der Beginn ist nicht das, womit man beginnt, sondern das, wo168 Laut der Interpretation von Richard Purkarthofer ist S. Kierkegaard so zu lesen, dass dieser meint, dass auch die Menschen in Ursprünglichkeit, als durch Gott gegeben, sind, was sie sind: »Human beings are what they are because of their originality (Oprindelighed), which means that they are what they are ›out of God’s hands‹. If this were not the case, if there were no originality, one could not despair over one not being oneself (as in Sickness unto Death) or could not fail to be joyous (as in The Lily of the Field) – or rather, one could not tell because one would not notice.« (Purkarthofer 2003a, 206) Ich denke, dass der hier verwendete Begriff von Ursprünglichkeit zu stark determinierend ist, auch wenn Purkarthofer diese Referenz auf Ursprünglichkeit sehr vorsichtig formuliert, denn er scheint genau genommen nur zu behaupten, dass diese Ausführungen nicht möglich wären, wenn es überhaupt keine Ursprünglichkeit gäbe.

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hin man kommt; und man kommt rückwärts zu diesem. Der Beginn ist diese Kunst schweigend zu werden; denn schweigend zu sein, wie die Natur es ist, ist keine Kunst. (SKS 11, 17 / LF 36)

Die Natur schweigt nicht, sie ist einfach stumm; nur wer reden kann, vermag es auch zu schweigen und sich dadurch eigens in die Lage zu bringen, um zu hören. Das will aber sagen: Die Natur hat keine hinnehmende Haltung, sie folgt einfach ihren Gesetzen und natürlichen Bestimmungen; nur wer in der Möglichkeit steht, sich aktiv zu dem Gegebenen zu verhalten, steht auch in der Möglichkeit, sich dafür zu öffnen, allererst zu vernehmen. S. Kierkegaard konfrontiert uns nun abermals mit dem Vogel als Lehrmeister: »Der Vogel schweigt und harrt [tier og bier]; er weiß, oder richtiger, er glaubt voll und fest, dass alles zu seiner Zeit geschieht, deswegen harrt der Vogel; aber er weiß, dass es ihm nicht zukommt die Stunde oder den Tag zu wissen, deswegen schweigt er.« (SKS 11, 19 / LF 39) Der Vogel bekümmert sich nicht darüber, was war und vor allem nicht darüber, was kommen wird. Er geht auf in dem Glauben, dass alles zu seiner Zeit geschieht. Er ist aber vor allem auch in dem Wissen, dass es ihm ohnehin nicht zukommt, das Kommen von Künftigem mit Sicherheit zu wissen. Deswegen schweigt und harrt der Vogel und nimmt das Künftige an, so wie es kommt. »Harren« gibt das dänische Wort »bie« nur in einer Annäherung wieder. Beides sind Modalitäten des Wartens, doch es kommt hier gerade auf diese Modalität an. »Harren« bezeichnet ein sehnsüchtiges Warten, ein Herbeiwünschen. »Bie« dagegen hat eine etwas andere Konnotation, es bezeichnet ein geduldiges Warten. 169 Geduld aber ist – wie S. Kierkegaard bereits in seiner allerersten Rede dargelegt hat – 170 die anzustrebende Verhaltensweise zum Künftigen. »Der Vogel harrt«, d. h. der Vogel verhält sich geduldig zur Zukünftigkeit. »Der Vogel schweigt«, d. h. er begegnet der Zukünftigkeit nicht mit einer aktiven, vorlauten Haltung, sondern mit einer vernehmenden, gelassenen. S. Kierkegaard meint, dass das Schweigen des Vogels »sprechend 169 Im Ordbog over det danske Sprog steht als Erklärung zu »bie«: »geduldig sich untätig verhalten, weil der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen ist« [taalmodigt forholde sig uvirksom, fordi det rette tidspunkt ikke er kommet]. 170 Siehe die erste der Zwei erbaulichen Reden 1843, Die Erwartung des Glaubens [Troens Forventning]. Einen hervorragenden Artikel zu dieser Rede verfasste Johannes Sløk (1979).

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ist«, es ist der Ausdruck für den Glauben des Vogels, und weil der Vogel in diesem Glauben ist, »deswegen schweigt er und harrt« (SKS 11, 19 / LF 39 f.). Was aber wird dem Vogel durch diese Haltung ermöglicht? Es ermöglicht dem Vogel, den Augenblick zu vernehmen und ihn zu ergreifen: »Wenn dann der Augenblick kommt, dann versteht der schweigende Vogel, dass es der Augenblick ist, er benützt ihn, und er wird niemals beschämt.« (SKS 11, 19 / LF 40) Dies ist das Ziel der ersten Rede, eine Haltung zur Zukünftigkeit zu weisen, die es ermöglicht, den Augenblick zu vernehmen und zu ergreifen, d. h. eigentlich in der Gegenwart zu sein. […] nur durch Schweigen trifft man den Augenblick; indem man redet, sagt man nur ein Wort, verpasst man den Augenblick; nur im Schweigen ist der Augenblick. Und deswegen passierte es wohl so selten einem Menschen, dass er in der rechten Weise dazu kam zu verstehen, wenn der Augenblick ist, und den Augenblick richtig zu benützen, deswegen, weil er nicht schweigen kann. Er kann nicht schweigen und harren, daraus lässt es sich vielleicht erklären, wenn der Augenblick gar nicht für ihn kommt; er kann nicht schweigen, daraus lässt sich vielleicht erklären, dass er den Augenblick nicht bemerkte, als er für ihn kam. Denn der Augenblick, obgleich schwanger mit seiner reichen Bedeutung, schickt doch keine Boten voraus, um seine Ankunft zu melden, dazu kommt er zu geschwind, wenn er kommt, es ist ja nicht ein Augenblick Zeit zuvor; der Augenblick kommt auch nicht, wie bedeutungsvoll er auch in sich selbst ist, mit Lärm oder mit Geschrei, nein, er kommt leise, mit leichterem Schritt als der leichteste Gang eines Geschöpfes, denn er kommt mit dem leichten Schritt des Plötzlichen, schleichend kommt er: 171 deswegen muss man gänzlich schweigend sein, wenn man vernehmen soll »jetzt ist er da«; und im nächsten Augenblick ist es vorbei, deswegen muss man gänzlich schweigend gewesen sein, wenn es Einem glücken soll ihn zu benützen. Und doch hängt alles vom »Augenblick« ab. Und dies ist gewiss das Unglück im Leben der allermeisten Menschen, dass sie niemals »den Augenblick« vernommen haben, dass in ihrem Leben das Ewige und das Zeitliche nur geson171 Diese Passage ist beinahe unmöglich zu übersetzen. Diese Wiedergabe stellt daher nur einen Versuch dar. Ich habe mich dabei bemüht, sehr nahe am Wortlaut des dänischen Testes zu bleiben. Richard Purkarthofer übersetzt etwas freier: Der Augenblick »kommt auf den leisen Sohlen des Plötzlichen, leise schleicht er heran« (Purkarthofer 2000, 132). Jedenfalls kann Purkarthofer recht gegeben werden, dass die Übersetzung von Hirsch, der den letzten Satz mit »unhörbar schleicht er an« wiedergibt, die entscheidende Pointe verfehlt, weil es ja gerade darum geht, »daß der Augenblick vernommen werden kann, und sich nicht als Unhörbares schlechthin entzieht« (Purkarthofer 2000, 132 f., Anmerkung).

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dert blieben, und warum? weil sie nicht schweigen konnten. (SKS 11, 20 / LF 40 f.)

In dieser Passage wird auch der Zusammenhang mit den pseudonymen Schriften und insbesondere der Krankheit zum Tode deutlich, wenn S. Kierkegaard das Zeitliche und das Ewige anspricht. Das Zeitliche und das Ewige sind im Menschen gesondert, das will sagen, der Mensch ist in dieser Synthese gespalten, in ihr zerrissen. Es ist die Aufgabe des Menschen, diese Synthese zu vollziehen. Dies, meint S. Kierkegaard, gelingt den meisten Menschen aber nicht, es gelingt ihnen nicht diese Synthese zusammenzusetzen. Das Zusammensetzen dieser Synthese, d. h. deren gelungener Vollzug wird in dieser Passage als Vernehmen und Ergreifen des Augenblickes bezeichnet. »Den Augenblick vernehmen bedeutet mithin, das Zeitliche und das Ewige ›zusammenzusetzen‹.« (Purkarthofer 2005a, 95) Wenn S. Kierkegaard schreibt, dass nur im Schweigen der Augenblick »ist«, dann betont dieses hervorgehobene ist gerade diesen Vollzug. Es geht um die Vollzugshaftigkeit dieses Vollzuges, der es ermöglicht, den Augenblick zu vernehmen. Das heißt aber mit anderen Worten: es geht darum, wie wir so etwas wie Gegenwart in einer eigentlichen Weise vollziehen können und nicht bloß – mit Heidegger gesprochen – im Modus des Verfallens an die Dinge oder das Man. In der Gegenwart sind wir in gewissem Sinne immer alle, aber diese Gegenwart eigens zu ergreifen, in dieser Gegenwart zu sein, die Gegenwart als Gegenwart auszustehen und zu vollziehen, das gelingt – so S. Kierkegaard – nur sehr selten und nur ganz wenigen. Das ist eine provokante These, einigen mag sie vielleicht auch absurd erscheinen. Denn dass wir in der Gegenwart sind, erscheint als das Selbstverständlichste, wer könnte es bezweifeln? S. Kierkegaard muss daher erst darauf aufmerksam machen, welche unglaubliche Aufgabe es ist, diese Gegenwart eigens zu ergreifen, im emphatischen Sinne in der Gegenwart zu sein. Mit einer atemberaubenden Sprachgewalt beschreibt S. Kierkegaard diese Schwierigkeit, den Augenblick zu vernehmen. Er will uns vor Augen führen, dass nur die allerwenigsten Menschen es vermögen, den Augenblick zu ergreifen und also im emphatischen Sinne in der Gegenwart zu sein. Denn um den Augenblick vernehmen und ergreifen zu können, ist eine ganz besondere Haltung, ein ausgezeichnetes Wie des Vollzuges notwendig; S. Kierkegaard beschreibt diese Haltung als eine aufmerksam-vernehmende, schweigend-hörende und 194

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geduldig-erwartende. Gelingt es diese Haltung zu gewinnen, dann kann es mitunter auch gelingen, den Augenblick zu vernehmen und die Existenz in der Gegenwart zu ergreifen.

Freude Die dritte Rede handelt von der Freude. Wir können den Inhalt dieser Rede in einer ersten Annäherung so umreißen, dass hier gezeigt wird, was ein Selbst ohne Verzweiflung wäre; ein Selbst also, dem es gelingt, es selbst zu sein; ein Selbst, das es vermag, das Zeitliche und das Ewige zusammenzusetzen, diese Synthese auszustehen und zu vollziehen und dadurch im Augenblick zu sein. Es gilt sich hier noch einmal den gesamten Kontext vor Augen zu führen. Wie bereits im 1. Teil der Arbeit gezeigt wurde, wird Zeitlichkeit bei Kierkegaard zugleich als die konstitutive Auszeichnung und als die konstitutive Last des Menschseins in den Blick genommen. Positiv, in Hinblick auf die Auszeichnung des Menschen, meint dies, dass er seine Vergangenheit übernehmen und sich auf Künftiges hin entwerfen kann. Die Kehrseite davon ist aber die Zerrissenheit des Menschen in der Zeitlichkeit, die es dem Menschen verunmöglicht, unmittelbar und einfach er selbst zu sein. Deswegen stellt sich die Frage danach, wie der Mensch er selbst sein kann, d. h. aber, wie er in einem emphatischen Sinne in der Gegenwart existieren kann; denn wenn er dies könnte, wenn er wahrhaft in der Gegenwart sein könnte, dann wäre damit die Zerrissenheit der Zeitlichkeit überwunden. Dies bedeutet im Kontext dieser drei Reden: Wie wir anhand der beiden Bilder aus der zweiten Rede gesehen haben, geht es einerseits um die unbedingte Übernahme der Faktizität, andererseits um ein unbedingtes Bleiben/Werden seiner ganzen Möglichkeit. Noch einmal genauer genommen geht es nicht nur um diese Bezüge, sondern um die Frage nach dem Wie des Vollzuges dieser Bezüge. Dieses Wie wurde bestimmt als Gehorsam (2. Rede) und Schweigen (1. Rede). In der dritten Rede wird nunmehr zum Thema, wie der Augenblick als eigentliche Gegenwart aus der Gesamtkomplexität dieser Vollzüge zu bestimmen ist. Der gelungene Vollzug des Vernehmens und Ergreifens des Augenblicks, wird dabei bezeichnet als Freude – und diese Freude ist es, in der wir letztlich existieren sollen. Damit ist das formale Ziel angezeigt, doch nunmehr geht es darum, den Weg zu dieser Freude und A

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das Wie des Vollzuges der Freude zu weisen. Lehrmeister der Freude sind wiederum die Lilie und der Vogel: Aber ihr Unterricht in Freude, was wiederum ihr Leben ausdrückt, ist ganz kurz das Folgende: es ist ein Heute, es ist, ja es fällt ein unendlicher Nachdruck auf dieses ist; es ist ein Heute – und es gibt keine, schlicht keine Sorge für den morgigen Tag [den Dag Imorgen], oder für den anderen Morgen. Dieses ist keine Leichtsinnigkeit der Lilie und des Vogels, sondern die Freude des Schweigens und des Gehorsams. Denn wenn du schweigst in dem feierlichen Schweigen, das in der Natur ist, dann gibt es den morgigen Tag [den Dag Imorgen] nicht; und wenn du gehorchst [lyder], wie die Schöpfung gehorcht [Skabningen lyder], dann gibt es den morgigen Tag [den Dag Imorgen] nicht, den unseligen Tag, der eine Erfindung der Gesprächigkeit und des Ungehorsams ist. Aber wenn es den morgigen Tag [den Dag Imorgen] auf diese Weise aufgrund von Schweigen und Gehorsam nicht gibt, dann ist in Schweigen und Gehorsam der heutige Tag [den Dag Idag], er ist – und so ist die Freude, wie sie in der Lilie und dem Vogel ist. (SKS 11, 42 f. / LF 66 f.)

Zunächst ist es wichtig auf einige sprachliche Besonderheiten in dieser Passage hinzuweisen. Das Adverb »idag« (heute) wird durch die Großschreibung (»Idag«) substantiviert; ich habe diese Substantivierung übernommen (Heute), da es mir von großer Wichtigkeit erscheint, die dadurch vorgenommene Betonung zu vernehmen. In gleicher Weise verwendet S. Kierkegaard die – im heutigen Dänisch nicht mehr so häufig vorkommende – Wendung »den Dag Idag« und die – gleich gebildete, aber sehr eigenwillige und ungebräuchliche – Wendung »den Dag Imorgen«, die wortwörtlich mit »der Tag Heute« bzw. »der Tag Morgen« wiedergegeben werden müssten. Ich habe mich aufgrund der Erhaltung des Leserhythmus dafür entschieden, diese mit »der heutige Tag« und »der morgige Tag« zu übersetzen, zugleich aber immer auch den dänischen Ausdruck in eckiger Klammer angefügt, um auch die wortwörtliche Bedeutung und die teilweise damit einhergehende Irritation zugänglich zu machen. Die angestrebte Gegenwart wird bestimmt als Tag. Damit wird aber wiederum veranschaulicht, dass Gegenwart nicht auf einen einzelnen Moment reduziert werden kann, sondern ein vielfältig strukturiertes Geschehnis ist; Gegenwart ereignet sich nicht in einem isolierten Moment, sondern sozusagen in der Gesamtheit der Bezüge eines Tages. Der unendliche Nachdruck auf diesem »ist«, das noch dazu kursiv geschrieben wird, weist abermals darauf hin, dass es darum geht, dieses Heute eigens zu vollziehen. Dieser Vollzug des Heute wird ermöglicht 196

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durch Gehorsam und Schweigen; denn Gehorsam und Schweigen sorgen dafür, dass es den morgigen Tag nicht gibt; anders gewendet: Gehorsam und Schweigen ermöglichen es in einem emphatischen Sinne, dass der heutige Tag ist, d. h. dass er ergriffen und vollzogen werden kann. Daher schreibt S. Kierkegaard, dass »in Schweigen und Gehorsam der heutige Tag [ist], er ist – und so ist die Freude«. Freude ist es also, in diesem Heute zu sein. Dies fasst S. Kierkegaard nunmehr aber noch eindringlicher: Was ist Freude, was ist es froh zu sein? Es ist, in Wahrheit sich selbst gegenwärtig zu sein [at være sig selv nærværende]; aber dies sich selbst in Wahrheit gegenwärtig zu sein, dies ist dieses »Heute«, dieses heute zu sein, in Wahrheit heute zu sein. Und im selben Grad wie es wahrer ist, dass Du heute bist, im selben Grad wie Du verstärkt dir selbst gänzlich gegenwärtig bist darin heute zu sein, im selben Grad gibt es den Tag des Unglücks, den morgigen Tag, nicht für Dich. Die Freude ist die gegenwärtige Zeit mit dem ganzen Nachdruck auf: die gegenwärtige Zeit. (SKS 11, 42 f. / LF 66 f.)

Freude wird in dieser Passage, in die der ganze Text in gewisser Weise kulminiert, definiert als »at være sig selv nærværende«, was ich zunächst übersetzt habe als »sich selbst gegenwärtig zu sein«. Es ist mit dieser Übersetzung allerdings noch keinesfalls getan, es handelt sich bei dieser Übersetzung nämlich eher um eine Verstellung, denn um eine Erhellung dessen, was uns von S. Kierkegaard hier zu denken aufgegeben wurde. Deshalb muss es nunmehr darum gehen, die in diesem dänischen Ausdruck (»at være sig selv nærværende«) anklingende Ontologie allererst vernehmbar zu machen. An dieser Stelle ist es wichtig, sich in die Lage zu versetzen, um das alles entscheidende Wort »nærværende« in seiner Wortherkunft und in all seinen Konnotation vernehmen zu können. 172 Es lassen sich

172 Helms (1858) gibt für »nærværende« drei Übersetzungen an, nämlich »gegenwärtig«, »zugegen« und »anwesend«. Diese drei deutschen Wiedergaben sind nicht zufällig, sondern entsprechen den drei wesentlichen Bedeutungen, die »nærværende« hat. Das Ordbog over det danske Sprog unterscheidet insgesamt sieben Bedeutungen von »nærværende«: 1. was sich in der Nähe befindet [som befinder sig i nærheden]; 2. physische Anwesenheit, Präsenz [tilstedeværende]; 3. über Dinge: vorliegend, vorhanden [foreliggende]; 4. über Zeit: die Zeit, in der wir uns jetzt befinden, jetzt-seiend [nuværende]; 5. was zur gegenwärtigen Zeit gehört [som tilhører indeværende tid]; 6. was in Gedanken anwesend, präsent ist [værende til stede i ens tanker]; 7. worauf die Aufmerksamkeit [opmærksomhed] gerichtet ist.

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dabei drei wesentliche Bedeutungen von »nærværende« unterscheiden. Erstens die zeitliche Bedeutung; es geht um die Benennung der Gegenwart bzw. der gegenwärtigen Zeit. Diese zeitliche Bedeutung ist es, auf die unsere philosophische Analyse letztlich abzielt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass das Verständnis nicht von hier aus geschöpft werden kann. Das heißt aber: was »nærværende« in S. Kierkegaards Text besagen will, kann nicht anhand einer (überlieferten) Theorie der Zeit geklärt werden – vor allem nicht anhand einer Vorstellung der Gegenwart als Jetztpunkt; es handelt sich hier um keine präsenzmetaphysische Bestimmung – im Gegenteil, wir müssen uns von den anderen Bedeutungen von »nærværende« her weisen lassen, wie dessen zeitliche Bedeutung zu verstehen ist. Die zweite Bedeutung meint das physische Vorhandensein. Ich werde gleich zeigen, dass physischer Präsenz zwar eine Rolle zugewiesen wird, dass aber auch diese Bedeutung nicht jene ist, die das Verständnis von »nærværende« in S. Kierkegaards Text leitet. Wenn wir S. Kierkegaards Bestimmung verstehen wollen, müssen wir bei der dritten Bedeutung ansetzen, welche in einer ersten Annäherung mit psychischer Nähe bzw. Aufmerksamkeit beschrieben werden kann. Diese dritte Bedeutung muss nun näher betrachtet werden. In diesem dritten Sinne kann zum Beispiel eine Person nærværende sein. Dies bedeutet einerseits deren physische Anwesenheit – eine gewisse Form von leiblicher Präsenz wird irreduzibel sein – andererseits aber auch deren mentale oder emotionale Anwesenheit. Dies kann anhand des Beispiels eines Seminars verdeutlicht werden. Einerseits wird im Seminar eine Anwesenheitsliste durchgereicht, in der die Studierenden durch Unterschrift ihre leibliche Präsenz im Seminar bekunden. Andererseits folgt aus der leiblichen Anwesenheit aber nicht automatisch, dass die Studierenden auch mental anwesend sind, d. h. dass sie mitdenken und sich aktiv beteiligen. Wir sagen dann ganz alltäglich: »Heute seid ihr aber abwesend.« Oder es kann an ein Telefonat gedacht werden. Auch im Falle eines Telefonats ist es nicht abwegig zu sagen, dass man die Anwesenheit der anderen Person verspürt, dass sie einem sehr nahe ist, selbst wenn diese Person tausende Kilometer entfernt ist (freilich spielt auch hier eine Form von leiblicher Anwesenheit der anderen Person mit hinein, auch im Telefonat ist mir die andere Person anhand ihrer Stimme leiblich präsent). Oder man denke nur daran, dass man über einen Sportler, einen Fußballer zum Beispiel, sagen kann, er habe eine große Präsenz am Platz, womit ebenfalls nicht von 198

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seiner leiblichen Anwesenheit gesprochen wird, wenngleich diese auch hier als ko-konstitutive Bedingung bleibt. Die Bedeutung von »nærværende«, wie sie in der Bezeichnung für die Gegenwart vorkommt [den nærværende Tid], muss verstanden werden im Ausgang von diesem Verständnis von mentaler Anwesenheit bzw. emotionaler Nähe, in Verbindung mit einer ebenfalls irreduziblen Form von leiblicher Anwesenheit. Als weiterer Hinweis in diese Richtung kann es dienlich sein, darauf zu achten, dass »nærværende« aus »være nær« (nahe sein) gebildet wird, also wortwörtlich mit »nahe-seiend« wiederzugeben wäre. Es erscheint mir besonders wichtig, diesen Aspekt von Nähe zu hören. Dass eine Person mir nærværende ist, kann also ganz wörtlich genommen auch bedeuten, dass mir diese Person nahe steht – worunter wir ja auch in der Alltagssprache in der Regel keine Distanzangabe in Metern verstehen. Daraus wird deutlich, dass »Gegenwart« für »den nærværende Tid« bzw. »gegenwärtig« für »nærværende« nur sehr unzureichende Übersetzungen sind, die keineswegs zum Verständnis beitragen, sondern dieses im Grunde verunmöglichen. Denn in Gegenwart hören wir dieses Gegen- (wie in Gegen-Stand), das Verständnis von Gegenist aber grundverschieden vom Verständnis von Nähe, ja, dieses Gegen- verdeckt gerade die Möglichkeit die Gegenwart als Nähe zu bedenken. Diese Möglichkeit öffnet uns S. Kierkegaard aber mit dem Insistieren auf dem Wort nærværende. Vielleicht sollte »nærværende« auch eher mit »anwesend« übersetzt werden; dafür spräche der Zusammenhang von nærværende und fraværende, welcher in den obigen Beispielen bereits implizit am Werk war und im Deutschen mit anwesend und abwesend wiedergegeben werden kann. 173 Allerdings besteht die Gefahr, dass »anwesend« wiederum im Sinne einer präsenzmetaphysischen Bestimmung gelesen und der zeitliche Aspekt dadurch gänzlich 173 Dieser Zusammenhang von anwesend und abwesend sei anhand eines Zitats aus dem ersten Teil von Entweder – Oder belegt: »Der Unglückliche ist nunmehr jener, der sein Ideal, den Inhalt seines Lebens, die Fülle seines Bewusstseins, sein eigentliches Wesen auf eine oder andere Art und Weise außerhalb von sich hat. Der Unglückliche ist immer sich selbst abwesend, niemals sich selbst anwesend. [Den Ulykkelige er altid sig selv fraværende, aldrig sig selv nærværende].« (SKS 2, 216 / EO1 236) Auch thematisch passt diese Stelle sehr gut in den Kontext – womit auch ein Bogen gespannt wird von der frühesten ästhetischen Verfasserschaft zu diesen späteren Reden –, denn das Zitat lautet weiter: »Aber abwesend kann man offenbar entweder in der vergangenen oder in der künftigen Zeit sein. Hiermit ist das ganze Territorium des unglücklichen Bewusstseins hinreichend umschrieben.« (SKS 2, 216 / EO1 237)

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übersehen wird. Eine weitere Möglichkeit wäre es, nærværende wortwörtlich mit »nahe-seiend« zu übersetzen; dagegen spricht aber die Künstlichkeit dieser Kreation, die beim dänischen nærværende, das gänzlich aus der Alltagssprache geschöpft ist, nicht gegeben ist. Nach diesem hartnäckigen Herantasten an das entscheidende Wort nærværende ist es vielleicht sinnvoll, die zentralen Sätze der zuvor bereits zitierten Passage abermals zu lesen: Was ist Freude, was ist es froh zu sein? Es ist, in Wahrheit sich selbst nærværende zu sein; aber dies sich selbst in Wahrheit nærværende zu sein, dies ist dieses »Heute«, dieses heute zu sein, in Wahrheit heute zu sein. […] Die Freude ist die nærværende Zeit mit dem ganzen Nachdruck auf: die nærværende Zeit. (SKS 11, 42 f. / LF 66 ff.)

Eine in Freude existierende Existenz weiß, dass sie von ihren Bezügen in der Zeitlichkeit nicht absehen kann; sie weiß, dass sie ihre Faktizität übernehmen muss und soll, und sie weiß, dass sie sich in der Gewissheit des Todes auf ihre Zukunft entwerfen muss und soll. Sie ist sich auch dessen gewiss, dass diese Bezüge es ihr verunmöglichen, einfach und unmittelbar in der Gegenwart zu sein. Zum Beispiel ist es ihr unmöglich, in Unmittelbarkeit zu sein, wie die Lilie und der Vogel es sind. Aber sie kann auch nicht in einer konformistischen Alltäglichkeit verharren (wie die Gestalten der Verzweiflung der Endlichkeit und der Notwendigkeit) oder dabei verbleiben in einem ästhetisch verstandenen Augenblick zu leben. Dennoch muss es sich bei dieser mit Freude erfüllten Existenz um einen Rückgang in die Gegenwart handeln und damit in gewisser Weise auch um einen Rückgang in die Alltäglichkeit. Daraus folgt aber, dass es nicht auf das Was der Bezüge ankommt – es geht um die gleiche Alltäglichkeit – sondern um das Wie der Vollzugsweise dieser Gegenwart; es geht darum, eben diese – gehaltlich eine und selbe – Gegenwart im emphatischen Sinne zu sein. Die hier angestrebte Vollzugsweise der Gegenwart liegt dabei gerade nicht im heroischen Ergreifen der eigenen Existenz im Sinne eines souveränen Entwurfs eines autarken Subjekts; denn es kommt uns nicht zu, »die Stunde oder den Tag zu kennen«. Es geht vielmehr um ein Vernehmen und Ergreifen der Gegenwart in all ihren Bezügen (dieses Heute), ein sich Einlassen in die Situation, wie sie sich als diese konkrete, vorgegebene Situation darbietet. Wir sollen wie der Vogel sein, der weiß, »dass alles zu seiner Zeit geschieht«. Das heißt, in eigentlicher Gegenwart zu existieren bedeutet, die Möglichkeiten der 200

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jeweiligen Situation zu ergreifen, wie sie sich eben bieten; dies darf jedoch nicht wiederum im Sinne der konformistischen Indifferenz oder des ästhetischen Interesses geschehen. Es geht darum, in der Gegenwart nærværende zu sein, d. h. in einem starken – aber nicht substanzmetaphysischen – Sinne präsent zu sein. Ziel ist es, im jeweiligen Augenblick, in der jeweils sich bietenden Situation voll und ganz aufzugehen und darum zu wissen, diese zu ergreifen und zu nutzen. Vielleicht können wir uns dies vorstellen wie einen Musiker, der, wenn es Zeit zu musizieren ist, voll und ganz im Musizieren aufgeht. »Heute zu sein«, sich heute nærværende zu sein, kann dann verstanden werden als diese Freude, die sich einstellt, wenn es einem gelingt, die rechte Zeit zu vernehmen und die jeweilige Situation voll und ganz zu ergreifen. Wenige Sätze später sagt S. Kierkegaard uns noch einmal, was es alles ist, worüber wir uns freuen können. Aus den folgenden Passagen wird noch einmal deutlich, dass der Augenblick kein besonderer Moment sein muss, ganz im Gegenteil: vielleicht liegt der Augenblick gerade im Vernehmen und Ergreifen der alltäglichsten Gegebenheiten: 174 Also, dass du wurdest, dass du da bist, dass du »heute« das Erforderliche erhältst, um da zu sein; dass du wurdest, dass du Mensch wurdest; dass du sehen kannst, bedenke, dass du sehen kannst, dass du hören kannst, dass du riechen kannst, dass du schmecken kannst, dass du fühlen kannst; dass die Sonne für dich scheint – dass sie um deinetwillen scheint, und dass, wenn sie müde wird, dann der Mond aufgeht und die Sterne erleuchten; dass es Winter wird, dass die ganze Natur sich verkleidet, den Fremden spielt – und zwar, um dich zu erfreuen; dass es Frühjahr wird, dass der Vogel in Scharen 174 Da vor allem der erste Satz der folgenden Passage die Möglichkeiten der dänischen Sprache in einer Art und Weise nützt, das er so gut wie unübersetzbar ist, sollen ein paar Bemerkungen dem Verständnis dienen. Dieser erste Satz lautet: »Altsaa, at Du blev til, at Du er til, at Du »idag« faaer det Fornødne, for at være til; at Du blev til, at Du blev Menneske.« (Also, dass du wurdest/ entstanden bist, dass du existierst/ lebst/ da bist, dass du »heute« das Erforderliche erhältst, um zu existieren/ zu leben/ da zu sein; dass du wurdest/ entstanden bist, dass du Mensch wurdest.) Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass das Verb »blive« sowohl »werden« als auch »bleiben« im Sinne von verbleiben [forblive] bedeuten kann. Hier wird es in der Wendung »blive til« verwendet, welche nach Helms (1958) »werden«, »entstehen« oder »erschaffen werden« bedeutet. Das entsprechende Nomen ist »Tilblivelse«, was Helms (1958) mit »Entstehung« oder »Schaffung« übersetzt. Diese Vieldeutigkeit lässt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Die Übersetzung ist daher ein Versuch, dem notwendige, einschränkende Entscheidungen zugrunde liegen.

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kommt – und zwar, um dich zu erfreuen; dass das Grün hervorsprießt, dass der Wald zu Schönheit wächst und getraut wird – und zwar, um dich zu erfreuen; dass es Herbst wird, dass der Vogel fort reist, nicht weil er sich kostbar macht, oh nein, sondern damit du seiner nicht überdrüssig wirst, dass der Wald seinen Schmuck für das nächste Mal verwahrt, damit er dich das nächste Mal erfreuen kann: dies alles soll nichts sein, worüber man sich freuen kann! Oh, wenn ich wagte zu schänden; aber aus Ehrerbietung für die Lilie und den Vogel wage ich es nicht, und deswegen will ich, anstatt zu sagen, dass dies alles nichts sei, worüber man sich freuen könne, stattdessen will ich deshalb sagen: wenn dies nichts ist, worüber man sich freuen kann, dann gibt es nichts, worüber man sich freuen kann. Bedenke, dass die Lilie und der Vogel die Freude sind, und doch haben sie ja, auch auf diese Weise verstanden, viel weniger, worüber sie sich freuen können, als du, du, der du ja zugleich die Lilie und den Vogel hast, um dich an ihnen zu erfreuen. Lerne daher von der Lilie und lerne vom Vogel, welche die Lehrmeister sind: Sei da, sei heute, und sei die Freude.« (SKS 11, 43 f. / LF 68 f.)

Doch bewegen wir uns hier noch im Rahmen der Philosophie? Lassen sich diese Augenblicke der Freude noch philosophisch nachvollziehen? Oder könnte es sein, dass die philosophische Rekonstruktion hier an ihre Grenzen stößt? Vergessen wir nicht, es handelt sich bei dem gelesenen Text um Reden, die im Untertitel »fromm« genannt werden. Diese Reden dienen letztlich zur Erbauung und trotz allem, was sich zur Abwehr von Missverständnissen bezüglich S. Kierkegaards Begriff von Erbauung sagen lässt, muss dennoch festgehalten werden – auch um dem Verfasser Gerechtigkeit widerfahren zu lassen –, dass das Ziel dieser Reden daher in letzter Konsequenz kein philosophisches, sondern ein religiöses ist. Dies wird spätestens am Ende der dritten Rede auch explizit deutlich. Dort singt S. Kierkegaard ein Loblied auf die »unbedingte Freude« und er ruft seinen Lesenden auf, den »Tag der Ewigkeit« zu sehen, »ein ›Heute‹, das niemals zu Ende geht, ein Heute, in welchem Du ewig Dir selbst nærværende werden/bleiben [blive] kannst« (SKS 11, 48 / LF 73 f.). Und er setzt fort: Lass also den Himmel zusammenstürzen, und die Sterne ihre Stellung in der Umwälzung des Alls verändern, lass den Vogel sterben und die Lilie verwelken: Deine Freude in Anbetung, und Du in deiner Freude überlebst doch noch heute jeden Untergang. Bedenke, was dich betrifft wenn auch nicht als Mensch so doch als Christ, dass christlich selbst die Gefahr des Todes für dich so unbedeutend ist, dass es heißt: ›noch heute bist Du im Paradies‹ […]. (SKS 11, 48 / LF 73 f.)

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S. Kierkegaard bezieht hier die Freude auf die zeitliche Struktur »noch heute« [endnu idag] und evoziert damit ein Heute, dem er die Macht zuspricht, sogar den Tod zu überwinden: »Du wirst/bleibst [bliver], also Dir selbst nærværende in Gott, und bist deswegen an deinem Todestag noch heute im Paradies.« (SKS 11, 48 / LF 73 f.) Hiermit sind S. Kierkegaards fromme Reden – aber auch die Möglichkeiten einer philosophischen Explikation und Interpretation – an ihr Ende gelangt. Es bleibt jedoch zu fragen: Kommt hiermit nicht wiederum eine Präsenz ins Spiel, die – selbst wenn sie sicherlich nicht substanzmetaphysisch gedacht ist – doch eine Form von zeitlich ungebrochener Anwesenheit voraussetzt, die nicht unproblematisch ist und die es daher abermals kritisch zu hinterfragen gilt? Vermag die in diesen Passagen anvisierte Ewigkeit mehr zu sein als eine immerwährende Gegenwart, die letztlich nicht mehr sein kann als eine Reformulierung des traditionellen Begriffs des nunc stans? Oder hat diese Konzeption vielleicht doch das Potenzial, ein starkes Verständnis von Gegenwart zu gewinnen, ohne dabei die Zeitlichkeit qua Endlichkeit aus dem Blick zu verlieren?

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In der Einleitung dieser Arbeit wurde darauf hingewiesen, dass ich als Interpretierender immer schon darauf angewiesen bin, als Übersetzender zu fungieren, also nicht umhin kann, mich permanent auf den Prozess des Übersetzens einzulassen. Es wurde ebenfalls präzisiert, dass es dabei nicht nur um die Übersetzung zwischen der dänischen und der deutschen Sprache geht, gleichwohl dieser Vorgang in dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielt. Die in höchstem Maße herausfordernde und mit den größten Schwierigkeiten verbundene Aufgabe ist es vielmehr, die Gedanken des einen der behandelten Denker beständig in die Sprache des anderen zu übersetzen und umgekehrt. Dieses Übersetzen ist verbunden mit dem notwendigen Bestreben, für die daraus entspringende Untersuchung meine eigene Sprache zu finden, die es mir allererst erlaubt, mich auf dieses mehrfache Übersetzungsgeschehen einzulassen und es mir ebenfalls ermöglicht, mich in dieses einzuschreiben. Dieses beständige Übersetzen und das darin stattfindende (Er-)Finden der eigenen Sprache ist die unhintergehbare Voraussetzung, um überhaupt ein Verhältnis zwischen den beiden Denkern herstellen zu können und damit so etwas wie einen Vergleich in Gang zu bringen. Es muss dabei aber zugleich auch immer darum gehen, das Verhältnis nicht einseitig von einem der Denker her zu bestimmen. Wenn ein echtes Verhältnis nicht von einem der Relata her, sondern aus der Verhältnishaftigkeit des Verhältnisses gedacht werden muss, dann ergibt sich die Aufgabe, auch das Verhältnis von Kierkegaard und Heidegger nicht von einem der Denker her, sondern allererst aus dem Geschehnis des Verhältnisses selbst zu bestimmen. Mit anderen Worten: Weder Kierkegaard noch Heidegger dürfen zum Maßstab für das Verhältnis erklärt werden; die Herausforderung ist vielmehr, beide allererst aus ihrer Verstrickung in das Verhältnis in den Blick zu nehmen. Dafür ist es wiederum notwendig, eine Sprache zu finden, die es erA

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laubt, diesem Verhältnis Rechnung zu tragen, und auch auf der sprachlichen Ebene nicht der Versuchung zu verfallen, wiederum von einem der Denker auszugehen, um das Verhältnis zu analysieren. Dabei kann jedoch diese gesuchte Sprache der Untersuchung keine neue, erfundene Sprache in dem Sinn sein, dass sie unabhängig von den Sprachen der beiden zu untersuchenden Denkern bestehen könnte. Vielmehr ist die Sprache der Untersuchung – meine Sprache – immer schon eingelassen in das mehrfache Übersetzungsgeschehen, das in dieser Arbeit hoffentlich stattgefunden haben wird. Es geht dabei um die Konfrontation des anhand der Sprache des einen geschulten Vorverständnisses mit der Sprache des anderen; eine Konfrontation, welche keine der beteiligten Sprachen – meine Sprache inbegriffen – unberührt lassen darf. In diesem abschließenden Kapitel geht es nunmehr darum, den daraus entspringenden unabschließbaren Übersetzungsprozess nicht abzuweisen, sondern zu affirmieren und vor allem als Chance zu beund ergreifen. Es gilt dabei noch einmal explizit die Frage nach dem Potenzial einer wechselseitigen Gegenlektüre der Texte Kierkegaards und Heideggers aufzugreifen. Wie kann eine solche Re-Lektüre-Praxis zum wechselseitigen Verständnis dieser Denker beitragen? Kann vielleicht erst in dieser Konfrontation mit der Fremdheit des anderen Textes die Eigentümlichkeit des Eigenen eigens zum Vorschein kommen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für eine zukünftige Lektüre von Kierkegaard und Heidegger? Ich hoffe, in dieser Arbeit gezeigt zu haben, wie ein an Heidegger geschultes Vorverständnis zu einer produktiven Lektüre der Texte Kierkegaards beitragen kann. Die darin implizierte These ist, dass die Texte Kierkegaards durch eine Rezeption anhand von an Heidegger orientierten Begrifflichkeiten an philosophischem Profil gewinnen. Es stellt sich aber auch umgekehrt die Frage, was aus einer detaillierten Kenntnis der Texte Kierkegaards für eine Lektüre Heideggers gewonnen werden kann. Vor allem, weil es sich dabei um die historisch tatsächliche Richtung der Rezeption – Heidegger liest Kierkegaard – handelt, ist wichtig zu betonen, dass die philosophische Frage für den Interpretierenden nicht nur lauten darf: Was hat Heidegger tatsächlich von Kierkegaard gelernt? Dies wäre eine Frage nach einer historischen Pfadabhängigkeit, die Philosophiegeschichte zu einer linearen Entwicklungsgeschichte reduziert. Sondern die Frage muss auch lauten: Was hätte Heidegger von 206

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Kierkegaard lernen können? Und darüber hinaus müssen wir uns fragen: Was können wir für eine Rezeption Heideggers von Kierkegaard lernen? In welchen Punkten kann Kierkegaard auch als Korrektiv zu den Schriften Heideggers fungieren? In der vollen Komplexität geht es also wiederum darum zu klären, was sich aus dem wechselseitigen Übersetzungsgeschehen, das sich nicht auf eine lineare Wirkungsgeschichte reduzieren lässt, ergibt. In diesem abschließenden Kapitel möchte ich mich auf dieses komplexe Netz von Fragen anhand des in dieser Arbeit leitenden Themenkomplexes der Zeitlichkeit und insbesondere im Zusammenhang mit dem Problem einer Konzeption der Gegenwart einlassen. Anhand Heideggers Ausführungen in Sein und Zeit und umliegenden Vorlesungen konnten wir die Einsicht gewinnen, dass Gegenwart keine einfache Anwesenheit oder vorgegebene Präsenz ist. Gegenwart kann nicht auf Anwesenheit reduziert werden. Heideggers Kritik einer Metaphysik der Präsenz ist an diesem Punkt richtungweisend. Heidegger führt uns – vielleicht zum ersten Mal in der Philosophiegeschichte mit solcher Eindringlichkeit – zu der Einsicht, dass erst in der Aufgespanntheit in die volle Struktur der Zeitlichkeit, die sich in der Einheit ihrer Ekstasen zeitigt, auf die Gegenwart, die somit ebenfalls als Ekstase verstanden werden muss, zurückgekommen werden kann. Gegenwart ist keine vorgegebene Präsenz und kann auch nicht durch Abstraktion von den anderen Ekstasen der Zeitlichkeit erreicht werden. Vielmehr ist es die volle Struktur der Zeitlichkeit, die allererst ermöglicht, dass so etwas wie Gegenwart ist, in der Anwesendes zu begegnen vermag. Trotz dieser wichtigen Einsichten musste an Heideggers Konzeption kritisiert werden, dass »die Gegenwart – zumindest in ihrer Eigentlichkeit als Augenblick – leer« bleibt (Pöggeler 1994, 210). Die Konzeption der Gegenwart als Augenblick scheint es in Heideggers Ausführungen nicht zuzulassen, mit gehaltlichen Möglichkeiten gefüllt zu werden. Und wo eine solche gehaltliche Bestimmung doch stattfindet, scheint wiederum Pöggelers Kritik treffend zu sein, »die Gegenwart kommt nur ihrer Uneigentlichkeit nach ins Spiel« (Pöggeler 1994, 210). Doch wenn wir diese Schwierigkeiten nicht nur als unlösbares Problem festhalten wollen, dann stellt uns Heidegger vor die Herausforderung, noch einmal nach der Möglichkeit einer näheren Bestimmung der Gegenwart zu fragen. Ist eine nähere Bestimmung der A

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Gegenwart immer notwendig ein Zeichen des Verfallens? Oder gibt es so etwas wie eine eigentliche Gegenwart, die sich näher bestimmen lässt? Wie könnte eine Konzeption des Augenblicks aussehen, die der Komplexität der Gegenwart Rechnung trägt, ohne auf ein Verfallensphänomen reduziert werden zu können? Die dahingehende These dieser Arbeit lautete, dass es gerade diese Fragen sind, der sich zahlreiche Texte Kierkegaard – insbesondere aber S. Kierkegaards Reden – auf vielfältige Weise widmen. Die mannigfaltigen Variationen zur Konzeption des Augenblicks in Kierkegaards Œuvre konnten in dieser Arbeit dabei nur in Ansätzen behandelt werden. Dennoch wurde hoffentlich deutlich, dass diese Thematik eine hohe Komplexität und Vielschichtigkeit beinhaltet, der bei Kierkegaard mit einer auch stilistischen Vielfalt an Annäherungen Rechnung getragen wird. Im 2. Teil der Arbeit habe ich mich vor allem auf die Emphase des Augenblicks konzentriert, die sich in den drei Reden Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel finden lässt. In diesen Reden wird anschaulich, dass der Augenblick niemals einfach gegeben ist. Damit der Augenblick ist, sind gewisse Voraussetzungen zu erfüllen. S. Kierkegaard macht darauf aufmerksam, dass der Augenblick verbunden ist mit einem speziellen Wie des Vollzugs des Menschen; mit S. Kierkegaard konnte dieser Vollzug charakterisiert werden als eine aufmerksam-vernehmende, schweigend-hörende und geduldig-erwartende Haltung. Diese spezifische Haltung ist es, die ein Vernehmen und Ergreifen der Gegenwart allererst ermöglicht. Dabei muss des Weiteren beachtet werden, dass die Gegenwart kein abstrakter Zeitpunkt – zum Beispiel in einer Abfolge von Jetzt-Punkten – ist, sondern in sich eine Komplexität von Bezügen trägt. S. Kierkegaard nennt die Gegenwart daher dieses Heute, das die Gesamtheit der Bezüge beschreiben will. In gewisser Weise wird somit also der Sinnzusammenhang eines Tages zum Modell für die Komplexität der Gegenwart. Im Augenblick zu sein, meint in diesem Sinne das SichEinlassen auf die volle Komplexität der jeweiligen Gegenwart, wie sie sich als diese konkrete, vorgegebene Situation darbietet. Bei dieser Behandlung des Augenblicks in Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel ist allerdings noch einmal eigens zu beachten, dass es sich bei diesem Text um Reden handelt. Dies hat zur Konsequenz, dass diese Reden – trotz aller angebrachten Vorsicht in Hinblick auf diesen Begriff – letztlich doch zur Erbauung dienen. Mit anderen Worten: Die spezifische Mitteilungsform dieser »frommen« 208

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Reden ermöglicht es S. Kierkegaard, in jener Form über den Augenblick zu schreiben. Im frommen Charakter des Rede-Textes liegt es auch begründet, dass dieser in ein allzu harmonisches Ende zu münden vermag, in welchem über die Gegenwart »noch heute im Paradies« (SKS 11, 48 / LF 73 f.) gesprochen werden kann. Dieser Hinweis ist nicht als Kritik gemeint, sondern soll noch einmal das Bewusstsein für die rhetorische Dimension des Textes schärfen, die von dessen Inhalt nicht zu trennen ist. Wir gelangen dabei zu der Einsicht, dass die Form der Rede dem Text eine Sprechweise ermöglicht, die einem philosophischen Text verwehrt bleibt. Für die philosophische Re-Lektüre des Textes bedeutet dies aber, dass besonderes Gewicht darauf gelegt werden muss, S. Kierkegaards Ausführungen noch einmal gegenzulesen mit der vollen Strukturganzheit der existenzialen Zeitlichkeit. Auch in der Emphase des Augenblicks muss die Gegenwart ihre volle Komplexität und das Moment der ständigen Aufgespanntheit bewahren, um nicht wiederum in uneigentliche Nivellierung und Abstraktion zu verfallen. An diesem Punkt zeigt sich das Potenzial einer wechselseitigen Gegenlektüre der Texte Heideggers und Kierkegaards. Die hier auf dem Spiel stehende Konzeption der Gegenwart zieht mehrfache, beachtenswerte Konsequenzen nach sich. Erstens beinhaltet diese Frage immanent praktische Implikationen. Es geht um die Herausforderung eines Ergreifens der kontingenten Handlungssituation, darum – wie im Kapitel Die ekstatische Zeitlichkeit anhand von Heideggers Marburger Vorlesung Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie ausgeführt wurde –, »daß der Mensch sich in den Stand setzt, für jeden Augenblick gefaßt zu sein« (GA 18, 190), wozu er »der Möglichkeit [bedarf], den Augenblick als Ganzes zu ergreifen« (GA 18, 191). Diese Einübung in den Augenblick kann nur in der vollen Strukturganzheit der ekstatischen Zeitlichkeit erfolgen und stellt dennoch die Frage, wie eine Rückkehr in die konkrete Handlungssituation, die hic et nunc stattfindet, möglich ist. Es geht damit zweitens auch um die Frage nach einer Rückkehr in die Alltäglichkeit. Im Kapitel Der Mensch als Synthese wurde auf das in Sein und Zeit ungelöste konzeptuelle Problem hingewiesen, wie zwischen gehaltlichen Möglichkeiten (differenzierten Formen der Existenz und der Existenz in deren Indifferenz) einerseits und Vollzugsmöglichkeiten der Existenz (Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit) andererseits konsequent unterschieden werden kann (vgl. Herrmann 2005, 18), so dass dabei die prinzipielle A

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Möglichkeit des eigentlichen und uneigentlichen Vollzugs der gehaltlichen Möglichkeiten gewahrt bleibt. Angesichts des zunehmenden Verschwimmens der Differenz von Uneigentlichkeit und Alltäglichkeit im Verlauf von Sein und Zeit, stellte sich dabei insbesondere die Frage nach der Möglichkeit einer eigentlichen Alltäglichkeit. Auch diese Frage scheint S. Kierkegaard aufzugreifen, geht es bei seinen Ausführungen zum Augenblick doch nicht um das Ergreifen einer besonderen Weise der Existenz – einer spezifischen gehaltlichen Möglichkeit –, sondern um ein herausragendes Wie des Vollzugs, das es ermöglichen soll, sich für das Vernehmen des Alltäglichen zu öffnen – dafür sollen die Lilie und der Vogel die Lehrmeister sein. Im Laufe der in dieser Arbeit geleisteten Lektüren hat sich aber gezeigt, dass diese eigentliche Gegenwart im Augenblick keine präsentische Anwesenheit mehr ist, sondern ein ständiges Eingelassensein in Zukünftigkeit. Es geht dabei um einen Vollzug der Gegenwart, der allererst das Kommende als Kommendes im Kommen zu halten vermag, um ein Öffnen und Offenhalten dieses Möglichkeitsraums, der Anwesendes als Anwesendes anwesen lässt. Der Augenblick ist dieses Offenstehen für das Kommen von Künftigem, das als dieses Offene nicht nur das Begegnen von Anwesendem ermöglicht, sondern auch das eigentliche Eingelassensein in die Gegenwart, das allererst die Möglichkeit für ein entschlossenes Handeln in der Situation eröffnet. Dahin sind – wenn die hier geleistete Übersetzungsarbeit ihre Berechtigung behält – sowohl Kierkegaard als auch Heidegger unterwegs.

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Alle Übersetzungen aus dem Dänischen in dieser Arbeit wurden von mir eigenhändig angefertigt. Neben den im Literaturverzeichnis angeführten Wörterbüchern habe ich dabei auch die bestehenden Übersetzungen der Schriften Kierkegaards zu Rate gezogen. 175 Alle etwaigen Unzulänglichkeiten der Übersetzung sind dabei selbstverständlich ausschließlich mir anzulasten. Bei den Kurzbelegen der Zitate verweise ich neben der neuen dänischen Ausgabe Søren Kierkegaards Skrifter (SKS) auch auf die Ausgabe der Gesammelten Werke von Emanuel Hirsch. Dies erscheint mir deswegen sinnvoll, weil es sich dabei noch immer um die vollständigste und am leichtesten zugängliche deutsche Ausgabe der Schriften Kierkegaards handelt. Außerdem ermöglicht die Verwendung der deutschen Sigle auch die schnelle Orientierung, um welchen Text Kierkegaards es sich handelt. Gerade weil ich auf die Ausgabe von Hirsch verweise, möchte ich die Lesenden aber darauf aufmerksam machen, dass meine Übersetzung an manchen Stellen stark von jener Hirschs abweicht. Kierkegaards Texte sind in Hinblick auf ihren Umgang mit der Sprache teilweise sehr gewagt. Vor allem was die Interpunktion betrifft, zeichnen sie sich durch Originalität und Eigenständigkeit aus und schrecken auch nicht davor zurück, den Rahmen der damals gültigen Regelungen der dänischen Grammatik zu überschreiten. In einer Serie von Journaleinträgen gibt Kierkegaard auch selbst Rechenschaft über die Eigenheiten, die insbesondere seine Interpunktion betreffen (vgl. SKS 20, 98– 101 / Pap VIII 1 A 33–38). Er schreibt, dass er, was die Orthographie 175 Für die äußerst umsichtige Durchsicht der Übersetzungen und die Gelegenheit zu ausführlichen Rückfragen und Diskussionen bin ich Kristina Madsen zu großem Dank verpflichtet.

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betrifft, sich gänzlich der Autorität – als welche er Molbech 176 nennt – unterwirft. Hingegen meint er: Mit der Interpunktion ist es etwas anderes; hier beuge ich mich gänzlich niemandem, und ich zweifle im höchsten Maße, dass es einen dänischen Verfasser gibt, der es in dieser Hinsicht mit mir aufnehmen kann. Mein ganzer Aufbau als Dialektiker mit ungewöhnlichem Sinn für das Rhetorische, der gesamte Umgang des stillen Gesprächs mit meinem Denken, meine Übung darin laut zu lesen: muss mich notwendig zu einem Vorzüglichen in dieser Hinsicht machen. (SKS 20, 98 / Pap VIII 1 A 33)

Anschließend macht er darauf aufmerksam, dass es in Hinblick auf die Interpunktion einen Unterschied gibt zwischen den wissenschaftlichen und den rhetorischen Schriften. Vor allem in den rhetorischen Schriften kommen dieses nicht alltägliche Gespür für das Rhetorische und die stille Begegnung mit dem Text, die sich gerade im lauten Lesen ereignet, besonders zum Tragen. Vor allem in diesen Schriften ist daher die Interpunktion von entscheidender Bedeutung. Sie ist dafür ausschlaggebend, dass »sich dem Auge mit einem Schlag die Proportion der Sätze zeigt, was wiederum für die Stimme, wenn man laut liest, der Rhythmus ist – und ich denke mir beständig einen Leser der laut liest« (SKS 20, 98 / Pap VIII 1 A 33). Ein wesentliches Augenmerk wird also auf den Rhythmus des Textes gelegt. Dabei ist zu beachten, dass dies nicht etwas dem Text Äußerliches ist, das nur in einem zweiten Schritt zum bereits konstituierten Textgefüge hinzukommt; im Gegenteil, der Rhythmus trägt wesentlich – und nicht nur sekundär – zur Komposition des Textes bei und ist für den Sinn des Textes und dessen Struktur konstitutiv. In Hinblick auf die konkrete Umsetzung dieser Prinzipien wird zunächst auf den äußerst sparsamen Gebrauch des Kommas aufmerksam gemacht, wozu der Verfasser meint, dass er deswegen sogar in einem »ständigen Streit mit den Setzern lebt, die wohlwollend überall Kommas setzen und dadurch mir den Rhythmus stören.« (SKS 20, 98 / Pap VIII 1 A 33) Auch bei der Verwendung von Punkten ist Sparsamkeit angesagt, denn allzu oft verkommen Texte zu einer Aneinanderreihung von Punkten, ohne dass die Struktur und Zusammengehörigkeit der Sätze deutlich werde; zur Subdivision von Gedanken ist daher 176 Dieses Wörterbuch (Molbech 1833) wurde, da es nachweislich auch bei Kierkegaard Verwendung fand, auch von mir für das Textverständnis und die Anfertigung der Übersetzungen herangezogen.

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ein Semikolon vorzuziehen. Ähnliche Anweisungen finden sich auch für die weiteren Satzzeichen wie den Gedankenstrich oder das Fragezeichen. Nach der Kenntnis dieses Rechenschaftsberichts dürfte es nicht mehr verwundern, dass die Satzstruktur und die dafür konstitutive Zeichensetzung in allen Texten Kierkegaards – ganz besonders aber in den Reden – häufig eigenwillig und ungewöhnlich sind. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, der Anweisung des Verfassers, die Besonderheiten des Textes unbedingt zu beachtet und keinesfalls zu glätten, nicht Folge zu leisten; ich halte die Berücksichtigung dieser Besonderheiten sogar für das entscheidende Merkmal einer gewissenhaften Lektüre. Es lässt sich auch unabhängig davon, ob wir nun dem Verfasser die Autorität zugestehen, in die Grundsätze der Rezeption des Textes zu intervenieren, dafür argumentieren, dass die Eigentümlichkeit des Textes selbst bereits Grund genug sein sollte, diese unbedingt zu berücksichtigen und aktiv mitzulesen. An dieser Stelle besteht für mich nun auch die Möglichkeit, über meine eigene Übersetzungspraxis in dieser Arbeit Rechenschaft abzulegen. Ich habe mich – den Anweisungen in den angeführten Journaleinträgen und meiner eigenen Lektüreerfahrung mit dem dänischen Originaltext entsprechend – darum bemüht, die Interpunktion in den Übersetzungen soweit es möglich war beizubehalten und auch den Leserhythmus im Rahmen der Möglichkeiten nachzuahmen. Dies erforderte erstens, an manchen Stellen den dänischen Konventionen der Interpunktion – die jenen der deutschen Sprache ohnehin recht ähnlich sind – zu folgen und nicht den deutschen, und zweitens, an Stellen, an denen das Original mit den gängigen Konventionen bricht, nicht davor zurückzuschrecken, mich ebenfalls über diese hinwegzusetzen, sofern dadurch die Lesbarkeit nicht in gröbere Mitleidenschaft gezogen wird. In anderen Hinsichten halte ich es hingegen für einen Fehler, zu sehr am dänischen Originaltext zu kleben. Ich versuche hier dem Leitfaden Heideggers zu folgen, dass eine Übersetzung nach Möglichkeit danach trachten sollte, wortgetreu und nicht wörtlich zu sein (vgl. GA 55, 44); es wäre daher ein Fehler, immer nach der wörtlichsten Übertragung zu streben. Ebenso halte ich es für wenig zielführend, sondern sogar für abträglich, sich bei der Übersetzung grammatikalisch zu sehr an der dänischen Sprache anzulehnen, denn dies führt zu einer Erfahrung der Fremdheit und oftmals auch Altertümlichkeit bei den deutschsprachigen Lesenden, die dem Originaltext an diesen Stellen keineswegs A

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inhärent ist. Deswegen habe ich darauf Wert gelegt, vor allem die Satzstellung durchgehend dem modernen Deutsch anzupassen und dennoch – wofür die Interpunktion wiederum eine entscheidende Rolle spielt – zugleich die Struktur der Sätze und deren Abfolge und Zusammenhörigkeit zu bewahren.

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Anhänge

Anhang 1 Übersetzungen von Theodor Haecker in Der Brenner und im Brenner-Verlag Diese Auflistung umfasst den Zeitraum bis 1927, dem Erscheinungsjahr von Sein und Zeit. Sie baut auf den Bibliographien von Himmelstrup (1962) und Stewart (2009) auf, ergänzt und korrigiert diese aber auch an mehreren Stellen. »Vorworte«, Der Brenner, IV. Jahr, Heft 14, S. 666–683. Der Pfahl im Fleische, zum ersten Mal ins Deutsche übertragen und mit einem Vorwort versehen von Theodor Haecker, Innsbruck: Brenner, 1914. (Zuerst veröffentlicht in Der Brenner, IV. Jahr, Heft 16, S. 705–712 und IV. Jahr, Heft 17, S. 797–814; Vorwort von Theodor Häcker: Der Brenner, IV. Jahr, Heft 16, S. 691–705.) Kritik der Gegenwart, zum ersten Mal ins Deutsche übertragen und mit einem Vorwort versehen von Theodor Haecker, Innsbruck: Brenner, 1914. (Zuerst veröffentlicht in Der Brenner, IV. Jahr, Heft 19, S. 815–849 und Der Brenner, IV. Jahr, Heft 20, S. 869–886; Nachwort von Theodor Häcker: Der Brenner, IV. Jahr, Heft 20, S. 886–908.) »Vom Tode«, Der Brenner, Jahrbuch 1915, S. 15–55. »Eine Möglichkeit«, Der Brenner, VI. Folge, Heft 1, S. 47–59. »Die Sünderin«, Der Brenner, VI. Folge, Heft 2, S. 133–140. »Die Tagebücher«, Der Brenner, VI. Folge, Heft 3, S. 225–229; Heft 4, S. 259–272; Heft 5, S. 336–341; Heft 8, S. 590–594. »Die Kraft Gottes und die Schwachheit des Menschen«, Der Brenner, VI. Folge, Heft 10, S. 735–744. »Gottes Unveränderlichkeit«, Der Brenner, VII. Folge, 1. Halbband, S. 26–40. »Tagebuchaufzeichnungen (1837)«, Der Brenner, VII. Folge, 2. Halbband, S. 63– 71. »Haecker: Kierkegaard am Fuße des Altars«, Der Brenner, VII. Folge, 2. Halbband, S. 71–85. Die Krisis und eine Krisis im Leben einer Schauspielerin mit Tagebuchaufzeichnungen des Verfassers, übersetzt von Theodor Haecker, Innsbruck: Brenner, 1922.

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Anhänge Die Tagebücher, in zwei Bänden ausgewählt und übersetzt von Theodor Haecker, Erster Band: 1834–1848, Zweiter Band: 1849–1855, Innsbruck: Brenner, 1923. »Aufzeichnungen aus den Jahren 1849–1855«, Der Brenner, VIII. Folge, S. 48–69.

Anhang 2 Gesammelte Werke im Diederichs Verlag, herausgegeben von Christoph Schrempf, gemeinsam mit Hermann Gottsched und Wolfgang Pfleiderer Die Jahreszahlen beziehen sich jeweils auf die erste Auflage. Die Jahreszahlen in eckiger Klammer verweisen auf bereits zuvor erschienene Einzelausgaben der jeweiligen Texte, die dann in die Gesammelten Werke aufgenommen wurden. Für weitere Angaben zu diesen Ausgaben siehe die Bibliographien von Himmelstrup (1962) und Stewart (2009). Band 1: Entweder Oder Teil I, 1911. Band 2: Entweder Oder Teil II, 1913. Band 3: Furcht und Zittern, Wiederholung, 1909. Band 4: Stadien auf dem Lebensweg, 1914. Band 5: Der Begriff der Angst, 1912 [1890]. Band 6: Philosophische Brocken [1890], Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift Teil I, 1910. Band 7: Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift Teil II, 1910. Band 8: Die Krankheit zum Tode, 1911. Band 9: Einübung im Christentum, 1912. Band 10: Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller [1896], Zwei kleine ethisch-religiöse Abhandlungen, Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller [1896], 1922. Band 11: Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen, Richtet selbst!, 1922 [1896]. Band 12: Der Augenblick, 1909 [1896].

Erbauliche Reden im Diederichs Verlag, herausgegeben von Christoph Schrempf Band 1: Sittlich-religiöse Reden [nie erschienen]. Band 2: Erbauliche Reden in verschiedenem Geist [nie erschienen]. Band 3: Leben und Walten der Liebe, 1924 [1890]. Band 4: Reden von 1848 bis 1855; erschienen als: Christliche Reden, 1929.

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Anhang 3

Anhang 3 Übersetzungen der Reden bis 1927 Diese Auflistung baut auf den Bibliographien von Himmelstrup (1962) und Stewart (2009) auf, ergänzt und korrigiert diese aber auch an mehreren Stellen. Vor allem bietet diese Auflistung zusätzliche Angaben zu den Inhalten der diversen Auswahlbände. Diese Angaben werden mit dem dänischen Titel und der deutschen Sigle angegeben. Zwölf Reden von Sören Kierkegaard, zusammengestellt von Albert Bärthold, Halle: Julius Fricke, 1875. (2. Aufl. 1896) [enthält: Herren gav, Herren tog, Herrens Navn være lovet; 4R3, Det Glædelige i: at hvad Du taber timeligt, det vinder Du evigt; CR 2. Abt. V, Det Glædelige i: at naar jeg ›vinder Alt‹, saa taber jeg jo slet Intet; CR 2. Abt. VI, Tanker som saare bagfra – til Opbyggelse; CR 3. Abt (alle 7 Reden), Taler ved Altargang om Fredagen, 2. Timotheus 2, 12–13; CR 4. Abt. V, Taler ved Altargang om Fredagen, 1 Johannes 3, 20; CR 4. Abt. VI] Von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln unter dem Himmel. Drei Reden von Sören Kierkegaard, aus dem Dänischen übersetzt von Albert Bärthold, als Manuskript gedruckt, Halberstadt: H. Meyer, 1976. Die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel. Drei fromme Reden. Hohepriester – Zöllner – Sünderin. Drei Beichtreden, zusammengestellt und übersetzt von Albert Bärthold, Halle: Julius Fricke, 1877. (2. Aufl. 1885; 3. Aufl. 1910) [Vorwort zu 3R3; »Synderinden« aus HZS wurde ersetzt durch »En opbyggelig Tale«; EER] Leben und Walten der Liebe. Von Søren Kierkegaard, aus dem Dänischen übersetzt von Albert Dorner, Leipzig: Richter, 1890. Was wir lernen von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln unter dem Himmel. Drei Reden von Sören Kierkegaard, nach dem Dänischen frei bearbeitet von Alfred Puls, Gotha: C. F. Thienemann, 1891. Ausgewählte Christliche Reden, aus dem Dänischen übersetzt von Julie von Reincke, Gießen: J. Rickersche Verlagsbuchhandlung, 1901. (2. Aufl. 1909; 3. Aufl. 1923) [enthält: Armodens Bekymring; CR 1. Abt. I, Ringhedens Bekymring; CR 1. Abt. III, Høihedens Bekymring; CR 1. Abt. IV, Formastelighedens Bekymring; CR 1. Abt. V, Tvivlraadighedens, Vankelmodighedens, Trøstesløshedens Bekymring; CR 1. Abt. VII, Det Glædelige i: at man lider kun een Gang, men seirer evigt; CR 2. Abt. I, Det Glædelige i: at Trængselen ikke berøver men forhverver Haab; CR 2. Abt. II, Det Glædelige i: at jo fattigere Du bliver, desto rigere kan Du gjøre Andre; CR 2. Abt. III] Was wir lernen von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln unter dem Himmel, nach dem Dänischen frei bearbeitet von Alfred Puls, die Ausstattung besorgte Aage Jörgensen, Berlin: Furche, 1916. [enthält nur 1. Rede; wiedergegeben nach der Ausgabe von 1891] Der Pfahl im Fleische, zum ersten Mal ins Deutsche übertragen und mit einem Vorwort versehen von Theodor Haecker, Innsbruck: Brenner, 1914. »Vom Tode«, Der Brenner, Jahrbuch 1915, S. 15–55. »Die Sünderin«, Der Brenner, VI. Folge, Heft 2, S. 133–140. A

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Anhänge »Die Kraft Gottes und die Schwachheit des Menschen«, Der Brenner, VI. Folge, Heft 10, S. 735–744. [CR 2. Abt. IV] »Gottes Unveränderlichkeit«, Der Brenner, VII. Folge, 1. Halbband, S. 26–40. Religiöse Reden, ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker, München: Hermann A. Wiechmann, 1922. (2. Aufl. Leipzig 1936; 3. Aufl. München 1950) [enthält: Kjerlighed skal skjule Syndernes Manigfoldighed; 3R3, Troens Forventning; 2R3, Bekræftelsen i det indvortes Menneske; 3R3, Herren gav, Herren tog, Herrens Navn vær lovet; 4R3, Ved Anledningen af et Skiftemaal; DRG, Ved en Grav; DRG, Det Glædelige i: at jo svagere Du bliver, desto stærkere bliver Gud; CR 2. Abt. IV] Am Fuße des Altars. Christliche Reden, Übertragung und Nachwort von Theodor Häcker, München: Beck, 1922 [enthält: Synderinden aus HZS, En opbyggelig Tale; EER, To Taler ved Altergangen om Fredagen; RAF] »Gottes bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit«, Zeitschrift für systematische Theologie, 1 (1923), 168–196. [Übersetzung und Vorbemerkungen von Emanuel Hirsch] Die Reinheit des Herzens. Eine Beichtrede, aus dem Dänischen übersetzt von Lina Geismar, mit Vorwort und Anmerkungen von Eduard Geismar, München: Kaiser, 1924. [En Lejlighedstale; ERG 1. Abt.] »Der Hohepriester«, Zeitschrift für systematische Theologie, 4 (1927), S. 395– 404. [Übersetzung von Emanuel Hirsch]

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Siglenverzeichnis

Für die Schriften Kierkegaards verwende ich in dieser Arbeit durchgehend die gängigen deutschen Siglen, während ich die Titeln der Schriften in eigener Übersetzung wiedergebe. Um die Siglen nachvollziehbar zu machen, folgt die Wiedergabe der Titel in diesem Verzeichnis nicht immer den ansonsten in dieser Arbeit verwendeten Übersetzungen. HWPh

Historisches Wörterbuch der Philosophie

GA SZ

Martin Heidegger Gesamtausgabe Sein und Zeit

DSKE Pap SKS SV3

Deutsche Søren Kierkegaard Edition Søren Kierkegaards Papirer Søren Kierkegaards Skrifter Søren Kierkegaard: Samlede værker, 3. Ausgabe

AUN1/2 BA CR DRG EER EO1 EO2 ERG GWS HZS KT PB RAF W WS ZS 2R3 3R3 4R3

Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift; Band 1/2 Der Begriff Angst Christliche Reden Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten Eine erbauliche Rede 1850 Entweder – Oder 1. Teil Entweder – Oder 2. Teil Erbauliche Reden in verschiedenem Geist Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller Der Hohepriester – der Zöllner – die Sünderin Die Krankheit zum Tode Philosophische Brocken Zwei Reden zum Altargang am Freitag Die Wiederholung Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen Zwei erbauliche Reden 1843 Drei erbauliche Reden 1843 Vier erbauliche Reden 1843 A

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Literaturverzeichnis

Primärliteratur Die Schriften Søren Kierkegaards werden in der Regel nach der neuen dänischen Ausgabe zitiert: Søren Kierkegaards Skrifter (SKS), Hrsg. vom Søren Kierkegaard Forschungszentrum, Kopenhagen: G. E. C. Gads Verlag, 1997 ff. Die Herausgabe dieser Ausgabe ist noch nicht abgeschlossen, weswegen bei manchen Schriften auf eine frühere Ausgabe zurückgegriffen werden muss. In diesem Fall zitiere ich nach Søren Kierkegaard: Samlede værker, 3. Ausgabe (SV3), Hrsg. von P. P. Rohde, Kopenhagen, 1962–64. Ergänzend verweisen die Belege auch auf folgende deutsche Ausgabe: Gesammelte Werke, Hrsg. von Emanuel Hirsch u. a., Düsseldorf: Diederichs, 1951–1969. Søren Kierkegaards Journale und Aufzeichnungen werden ebenfalls anhand von Søren Kierkegaards Skrifter (SKS) zitiert. Zusätzlich verweisen die Belege in diesem Fall auf die ältere dänische Ausgabe dieser Texte: Søren Kierkegaards Papirer (Pap), Hrsg. von P. A. Heiberg, V. Kuhr und E. Torsting, Kopenhagen, 1909–38. Martin Heidegger wird zitiert nach: Heidegger, Martin: Gesamtausgabe (GA), Frankfurt: Klostermann, 1975 ff. Einzige Ausnahme bildet Sein und Zeit (SZ), das nach der Einzelausgabe zitiert wird: Heidegger, Martin (2001/1927): Sein und Zeit, 18. Auflage, Tübingen: Niemeyer.

Wörterbücher Molbech, Christian (1833): Dansk Ordbog, Kopenhagen: Gyldendal. Helms, Svenn Henrik (1858): Neues vollständiges Wörterbuch der dänischen und der deutschen Sprache. Nebst einem kurzen Abrisse der Formenlehre beider Sprachen, Leipzig: Tauchnitz. Ordbog over det dankse sprog, online verfügbar unter http://ordnet.dk/ods.

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Sonstige verwendete Literatur

Sonstige verwendete Literatur Anz, Wilhelm (1983): »Zur Wirkungsgeschichte Kierkegaards in der deutschen Theologie und Philosophie«, in: Anz, Heinrich u. a. (Hg.): Die Rezeption Søren Kierkegaards in der deutschen und dänischen Philosophie und Theologie, Vorträge des Kolloquiums am 22. und 23. März 1982, Kopenhagen/München: Wilhelm Fink Verlag, S. 11–29. Aristoteles (1995): Philosophische Schriften: in sechs Bänden, Hamburg: Meiner. (Die Quellenangaben im Text erfolgen, wie bei Aristoteles üblich, nach der Bekker-Zählung.) Augustinus (2008): Confessiones / Bekenntnisse. Liber X et XI / 10. und 11. Buch, Lateinisch/ Deutsch, übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Kurt Flasch, Stuttgart: Reclam. Berthold-Bond, Daniel (1991): »A Kierkegaardian Critique of Heidegger’s Concept of Authenticity«, Man and World, Nr. 24, S. 119–142. Beyrich, Tilman (2001): Ist Glauben wiederholbar?: Derrida liest Kierkegaard, Kierkegaard studies. Monograph series: 6, Berlin: de Gruyter. Bultmann, Rudolf (1926): Jesus, Berlin: Deutsche Bibliothek. Burgess, Andrew J. (2000): »Patience and Expectancy in Kierkegaard’s Upbuilding Discourses 1843–44«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann: Kierkegaard Studies. Yearbook 2000, Berlin: Walter de Gruyter, S. 205–222. Cappelørn, Niels Jørgen (1996): »Am Anfang steht die Verzweiflung des Spießbürgers. Zu Arne Grøns ›Kierkegaards Phänomenologie‹«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann: Kierkegaard Studies. Yearbook 1996, Berlin: Walter de Gruyter, S. 129–148. Cappelørn, Niels Jørgen (2010): »Efterskrift«, in: Kierkegaard, Søren: Lilien paa Marken og Fuglen under Himlen. Tre gudelig Taler, Kopenhagen: Kristligt Dagblads Forlag. Caputo, John D. (1987): Radical Hermeneutics. Repetition, deconstruction, and the hermeneutic project, Bloomington: Indiana University Press. Derrida, Jacques (1997): »Den Tod geben«, in: Haverkamp, Anselm (Hg.): Gewalt und Gerechtigkeit: Derrida – Benjamin, Frankfurt: Suhrkamp, S. 331–345. Deuser, Hermann (1996): »Grundsätzliches zur Interpretation der Krankheit zum Tode. Zu M. Theunissens ›Korrekturen an Kierkegaard‹«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann: Kierkegaard Studies. Yearbook 1996, Berlin: Walter de Gruyter, S. 117–128. Disse, Jörg (2002): »Philosophie der Angst. Kierkegaard und Heidegger im Vergleich«, Kierkegaardiana 22, S. 64–88. Dreyfus, Hubert L. (1999): »Kierkegaard on the Internet: Anonymity vs. Commitment in the Present Age«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 2000, Berlin: Walter de Gruyter, S. 96–109. Düsing, Edith (2001): »Der Begriff der Angst bei Kierkegaard und Heidegger«, in: Baum, Manfred/ Hammacher, Klaus (Hg.): Transzendenz und Existenz. Idealistische Grundlagen und moderne Pespektiven des transzendentalen Gedankens, Amsterdam: Rodopi, S. 21–60.

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Literaturverzeichnis Eriksen, Niels Nymann (2000): Kierkegaard’s Category of Repetition. A reconstruction, Kierkegaard studies. Monograph series 5, Berlin: De Gruyter. Figal, Günther (1983): »Verzweiflung und Uneigentlichkeit. Zum Problem von Selbstbegründung und misslingender Existenz bei Søren Kierkegaard und Martin Heidegger«, in: Anz, Heinrich u. a. (Hg.): Die Rezeption Søren Kierkegaards in der deutschen und dänischen Philosophie und Theologie, Vorträge des Kolloquiums am 22. und 23. März 1982, Kopenhagen/München: Wilhelm Fink Verlag, S. 135–151. Figal, Günther (1984): »Die Freiheit der Verzweiflung und die Freiheit im Glauben. Zu Kierkegaards Konzeption des Selbstseins und des Selbstwerdens in der ›Krankheit zum Tode‹«, Kierkegaardiana 13, S. 11–25. Figal, Günther (2001): Lebensverstricktheit und Abstandnahme. »Verhalten zu sich« im Anschluß an Heidegger, Kierkegaard und Hegel, Tübingen: Attempto. Fujino, Hiroshi: »Kontemplativ-ästhetisch oder existentiell-ethisch. Zur Kritik der auf der Stadienlehre basierenden Kierkegaardinterpretation«, Kierkegaardiana 17, S. 66–82. Gadamer, Hans-Georg (1977): »Einzug in Marburg«, in: Neske, Günther (Hg.) Erinnerungen an Martin Heidegger, Pfullingen: Neske, 109–114. Gadamer, Hans-Georg (1983): Heideggers Wege. Studien zum Spätwerk, Tübingen: Mohr (Siebeck). Glöckner, Dorothes (1996): »›Die glückliche Liebe‹ Søren Kierkegaards spezifisches Verständnis der Wiederholung als Zugang zu seinem Versöhnungsdenken«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 1996, Berlin: Walter de Gruyter, S. 240–254. Glöckner, Dorothes (1998): Kierkegaards Begriff der Wiederholung. Eine Studie zu seinem Freiheitsverständnis, Kierkegaard studies. Monograph series 3, Berlin: De Gruyter. Gonzales, Dario (2007): »Trendelenburg: An Ally against Speculation«, in: Stewart, Jon (Hg.): Kierkegaard Research: Sources, Reception, Resources. Volume 6. Kierkegaard and his German Contemporaries Tome 1: Philosophy, Surrey: Ashgate, S. 309–334. Grøn, Arne (1994): »Der Begriff Verzweiflung«, Kierkegaardiana 17, S. 25–51. Grøn, Arne (1996): »Kierkegaards Phänomenologie«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann: Kierkegaard Studies. Yearbook 1996, Berlin: Walter de Gruyter, S. 91–116. Grøn, Arne (1997a): »The Relation Between Part One and Part Two of The Sickness unto Death«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann: Kierkegaard Studies. Yearbook 1997, Berlin: Walter de Gruyter, S. 35–50. Grøn, Arne (1997b): Subjektivitet og Negativitet: Kierkegaard, Kopenhagen: Gyldendal. Grøn, Arne (1999): Angst bei Sören Kierkegaard. Eine Einführung in sein Denken, Stuttgart: Klett-Cotta. Grøn, Arne (2000): »Temporality in Kierkegaard’s Edifying Discourses«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann: Kierkegaard Studies. Yearbook 2000, Berlin: Walter de Gruyter, S. 191–204. Grøn, Arne (2001): »Spirit and Temporality in The Concept of Anxiety«, in: Cap-

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Sonstige verwendete Literatur pelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann: Kierkegaard Studies. Yearbook 2001, Berlin: Walter de Gruyter, S. 128–140. Hagemann, Tim (Hg.) (2000): Søren Kierkegaard: »Bewahre Deinen Fuß, wenn du zum Hause des Herrn gehst«, Berlin/Wien: Philo. Hagemann, Tim (2001): Reden und Existieren. Kierkegaards antipersuasive Rhetorik, Berlin/Wien: Philo. Haizmann, Albrecht (2006): Indirekte Homiletik. Kierkegaards Predigtlehre in seinen Reden, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Hall, Harrison (1984): »Love and Death: Kierkegaard and Heidegger on Authentic and Inauthentic«, Inquiry, Nr. 27. S. 179–197. Hannay, Alastair (1994): »Basic Despair in The Sickness unto Death«, Kierkegaardiana 17, S. 6–24. Hannay, Alastair (1999): »Kierkegaard’s Levelling and the Review«: in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 1999, Berlin: Walter de Gruyter, S. 71–95. Harbsmeier, Eberhard (1994): »Von der ›geheimen Freudigkeit des verborgenen Wohlstandes‹. Zum Problem deutscher Kierkegaardübersetzungen«, Kierkegaardiana 17, S. 130–141. Harbsmeier, Eberhard (1996): »Das Erbauliche als Kunst des Gesprächs. Reflexionen über die homiletischen Perspektiven in Kierkegaards erbaulichen Reden«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 1996, Berlin: Walter de Gruyter, S. 293–313. Harbsmeier, Eberhard (2000): »Die erbaulichen Reden Kierkegaards von 1843 bis 1845 in der deutschen Rezeption«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 2000, Berlin: Walter de Gruyter, S. 261–272. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1988/1807): Phänomenologie des Geistes, Hamburg: Meiner. Herrmann, Friedrich Wilhelm von (1964): Die Selbstinterpretation Martin Heideggers, Meisenheim am Glan: Anton Hain. Herrmann, Friedrich Wilhelm von (2004): Subjekt und Dasein: Grundbegriffe von ›Sein und Zeit‹, Frankfurt: Klostermann. Herrmann, Friedrich Wilhelm von (2005): Hermeneutische Phänomenologie des Daseins 2 »Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins« § 9 – § 27, Frankfurt: Klostermann. Himmelstrup, Jens (1962): Søren Kierkegaard. International Bibliografi, Kopenhagen: Nyt nordisk forlag Arnold Busck. Hoberman, John M. (1984): »Kierkegaard’s Two Ages and Heideggers Critique of Modernity«, in: Perkins, Robert L. (Hg.): International Kierkegaard Commentary 14, Macon: Mercer UP, S. 223–258. Janik, Allan (1984): »Haecker, Kierkegaard and the Early Brenner: A Contribution to the History of the reception of Two Ages in the German-speaking World«, in: Perkins, Robert L. (Hg.): International Kierkegaard Commentary 14, Macon: Mercer UP, S. 189–222. Kingo, Anders (1987): Den opbyggelige tale. En systematisk-teologisk studieover Søren Kierkegaards opbyggelige forfatterskab, Kopenhagen: G. E. C. Gad. A

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Literaturverzeichnis Kingo, Anders (1995): Analogiens teologi, en dogmatisk studie over dialektikken i Søren Kierkegaards opbyggelige og pseudonyme forfatterskab, Kopenhagen: G. E. C. Gad. Kloeden, Wolfdietrich von (1981): »Einfluß und Bedeutung im deutsch-sprachigen Denken«, in: Bibliotheca Kierkegaardiana 8, Kopenhagen, S. 54–101. Kloeden, Wolfdietrich von (1982): »Das Kierkegaard-Bild Karl Barths in seinen Briefen der ›Zwanziger Jahre‹. Streiflichter aus der Karl-Barth-Gesamtausgabe«, Kierkegaardiana 12, S. 91–102. Kloeden, Wolfdietrich von (1987): »Die deutschsprachige Forschung«, in: Bibliotheca Kierkegaardiana 15, Kopenhagen, S. 37–108. Kraus, Hildegard (1984): »Verzweiflung und Selbstsein, Zum Ersten Abschnitt der Krankheit zum Tode«, Kierkegaardiana 13, S. 40–49. Kristensen, Jens Erik/ Olesen, Søren Gosvig (1988): »Offentlighedens anonymitet. Journalismekritikken hos Kierkegaard, de Tarde og Heidegger«, Nyt Nordisk Forum, Nr. 45, S. 34–47. Liessmann, Konrad P. (1993): Kierkegaard zur Einführung, Hamburg: Junius. Løgstrup, Knud E. (1950): Kierkegaards und Heideggers Existenzanalyse und ihr Verhältnis zur Verkündigung, Berlin: Blaschker. Lübcke, Poul (1980): »Angstbegrebet hos Kierkegaard og Heidegger«, in: agrippa – psykiatriske tekster, 3/1, S. 5–33; 3/2, S. 58–82. Lübcke, Poul (1984): »Selvets ontologi hos Kierkegaard«, Kierkegaardiana 13, S. 50–62. Magurshak, Dan (1985): »The Concept of Anxiety: The Keystone of the Kierkegaard-Heidegger Relationship«, in: Perkins, Robert L. (Hg.): International Kierkegaard Commentary 8, S. 167–195. Magurshak, Dan (1987): »Despair and Everydayness: Kierkegaard’s Corrective Contribution to Heidegger’s Notion of Fallen Everydayness«, in: Perkins, Robert L. (Hg.): International Kierkegaard Commentary 19, Macon: Mercer UP, S. 209–237. Malik, Habib C. (1997): Receiving Søren Kierkegaard. The Early Impact and Transmission of His Thought, Washington D.C.: The Catholic University of America Press. Mjaaland, Marius (2003): »Death and Aporia. Some Reflections on the Problem of Thinking Death in At a Graveside«, in: Cappelørn, Niels Jørgen/ Deuser, Hermann (Hg.): Kierkegaard Studies. Yearbook 2003, Berlin: Walter de Gruyter, S. 395–418. Mjaaland, Marius (2005): »X. Alterität und Textur in Kierkegaards Krankheit zum Tode«, Neue Zeitschrift Für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 47, S. 58–80. Mjaaland, Marius (2006): »The Autopsy of One Still Living. On Death: Kierkegaard vs. Heidegger, Levinas, and Derrida«, in: Perkins, Robert L. (Hg.): International Kierkegaard Commentary 10, Macon: Mercer UP, S. 359–386. Paulsen, Anna (1966): »Das Verhältnis des Erbaulichen zum Christlichen«, Kierkegaardiana 6, S. 97–106. Paulsen, Anna (1973): Menschsein heute. Analysen aus Reden S. Kierkegaards, Hamburg: Wittig.

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Gerhard Thonhauser

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Personenregister

Anz, Wilhelm 40, 45, 70, 121 Aquin, Thomas von 65 Aristoteles 69, 77, 111–112, 115–117, 145, 154, 190 Augustinus 111 Barfod, Hans Peter 36 Bärthold, Albert 36–38, 50, 168, 176 Beck, Johann Tobias 36 Brandes, Georg 37–38 Bultmann, Rudolf 46, 83 Cappelørn, Niels Jørgen 56, 80, 87, 91, 176, 185–186 Caputo, John D. 10, 48

Hansen, Christian 35, 38 Harbsmeier, Eberhard 32, 170–171 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 68–69, 112, 133, 166 Herrmann, Friedrich Wilhelm von 66, 88, 148–149, 209 Hirsch, Emanuel 41, 48, 134, 170, 176, 193, 211 Janik, Allan 42 Jaspers, Karl 44, 52, 67, 72 Kierkegaard, Peter Christian 36 Kingo, Anders 165 Kloeden, Wolfdietrich von 40 Kütemeyer, Wilhelm 177

Derrida, Jacques 27 Deuser, Hermann 56, 92 Dorner, Albert 39, 41

Løgstrup, Knud Ejler 72 Lübcke, Poul 100

Figal, Günther 21, 59, 99–100 Fujino, Hiroshi 137

Malik, Habib C. 35, 39–40 Mjaaland, Marius 28, 96, 103–106

Gadamer, Hans-Georg 45, 49–51, 66 Glöckner, Dorothea 133–134 Gottsched, Hermann 36, 39, 44 Grøn, Arne 14, 30, 55, 58–59, 63, 75– 76, 79–80, 83, 101–102, 108–109, 114–115, 120

Paulsen, Anna 165 Pfleiderer, Wolfgang 39 Platon 77, 133, 140–141, 154 Pöggeler, Otto 147–149, 207 Purkarthofer, Richard 29–30, 33, 39, 42, 95, 142, 167–168, 182–183, 187, 190– 191, 193–194

Haecker, Theodor 34, 40–44, 50–51, 87, 169–170 Hagemann, Tim 25, 32–33 Haizmann, Albrecht 172 Hannay, Alastair 55, 102–103

Riemer, Louis 118, 134–135 Ringleben, Joachim 57, 81, 90 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 67 A

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Personenregister Schrempf, Christoph 34, 38–41, 48, 50– 52, 170, 177 Schulz, Heiko 35, 38–41, 46, 48, 145– 146 Skjoldager, Emanuel 32, 165 Sløk, Johannes 25, 154, 156–157, 166– 168, 176, 189 Taylor, Mark C. 110 Theunissen, Michael 21, 30, 55, 72, 85,

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92–95, 99, 102, 104–105, 123, 142, 167 Trendelenburg, Friedrich Adolf 68–69 Van Buren, John 10, 48–49, 51 Vetter, Helmuth 165–166 Walsh, Sylvia 174 Walz, D.K. 168

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Gerhard Thonhauser

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