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German Pages 187 [188] Year 1999
Thomas Noetzel
A u t h e n t i z i t ä t als politisches Problem
POLITISCHE IDEEN
Band 9
Herausgegeben von Herfried Münkler
Die politische Ideengeschichte hat seit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West, der Transformation der Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, aber auch mit den seit dem Wegfall des klassischen Gegenbildes dringender gewordenen Fragen nach Werten und Zielen der westlichen Demokratien, nach der Möglichkeit von Gemeinwohlorientierungen usw. neue Bedeutung gewonnen. Gibt es in dem zunehmend differenzierten und segmentierten Fach Politikwissenschaft einen Bereich, in dem die verschiedenen Fragestellungen und Ansätze zusammengeführt werden, so ist dies die Geschichte der politischen Ideen sowie die politische Theorie. Insbesondere die politische Ideengeschichte erweist sich dabei als das Laboratorium, in dem gegenwärtige politische Konstellationen gleichsam experimentell an den Theoriegebäuden vergangener Zeiten überprüft, durchdacht und intellektuell bearbeitet werden können. Eine so verstandene politische Ideengeschichte ist gegenwartsbezogen, auch wenn sie sich den aktuellen politischen Problemen nur mittelbar zuzuwenden scheint. Diese Reihe ist ein Ort für die Publikation solcher Studien. Sie veröffentlicht herausragende Texte zur politischen Ideengeschichte und zur politischen Theorie.
Thomas Noetzel
Authentizität als politisches Problem Ein Beitrag zur Theoriegeschiehte der Legitimation politischer Ordnung
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Noetzel, Thomas: Authentizität als politisches Problem : ein Beitrag zur Theoriegeschichte der Legitimation politischer Ordnung / Thomas Noetzel. - Berlin : Akad. Verl., 1999 (Politische Ideen ; Bd. 9) Zugl.: Marburg, Univ., Habil.-Schr., 1998 ISBN 3-05-003346-0
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1999 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbourg-Gruppe. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Danksagung
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Einleitung
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Zum Begriff der Authentizität
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2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8
18 20 24 25 28 29 34 38
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Etymologie Psychologie Pädagogik Philosophie Ethnologie Das Problem der ontologischen Differenz Soziologie Politikwissenschaft
Der Wille der Individuen und die Entstehung politischer Legitimität in der Moderne 3.1 Legitimität und Effektivität 3.2 Legitimität und Authentizität: Einheit in der Differenz 3.3 Legitimität und Authentizität: Der Sozialvertrag 3.4 Exkurs: Legitimität jenseits des Sozial Vertrags - Herders Entwurf einer authentischen Ordnung als Pastorale 3.5 Legitimität und Authentizität: Die Theorie funktionaler Differenzierung Das wahre/Wahre Wollen. Authentizität als Kategorie moderner Herrschaftskritik und -legitimation 4.1 Der rousseauistische Diskurs 4.1.1 Kritik am Schauspiel der Politik: Zur Semantik der Entlarvung des Inauthentischen bei Rousseau und Nietzsche 4.1.2 Nietzsche und die Authentizität des Willens zur Macht 4.2 Der hegelianisch-marxistische Diskurs 4.2.1 Authentizität und Fortschritt zur allgemeinen Freiheit
42 45 47 51 54 61
64 65 72 76 83 87
6
Inhalt
4.2.2
Marx' Kritik an Hegels Unterscheidung des Inauthentischen vom Authentischen
4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3
Exkurs: Der authentische Blick der Massen auf sich Das authentische Individuum als Gattungswesen Kosiks Synthese von Marxismus und Hermeneutik der Existenz . . . Der existentialistische Diskurs
4.3.1
Heideggers Daseins-Analyse 105 4.3.1.1 Das Dasein und die Welt 109 4.3.1.2 Der Tod als existentielle Wahrheit und die Inauthentizität des „Man" 111 Sartre: V o m solipsistischen Individuum zur authentischen Situationl 19 4.3.2.1 Unwahrhaftigkeit als Grundmodus der Existenz 122 4.3.2.2 Das Stigma und die Revolte der Authentizität 126
4.3.2
91 95 97 99 103
4.3.2.3 Terror und Wahrhaftigkeit 129 4.3.3 Jaspers: Authentizität und Pluralismus 133 4.3.3.1 Der Verlust des Authentischen 134 4.3.3.2 Respekt vor der Authentizität der Individuen als Begründung der Legitimation politischer Herrschaft 136 5
Post-Moderne Antworten: Das Ende des Authentischen? 5.1 Simulation und Authentizität 5.2 Post-Modeme Spannungen zwischen Individualität und politischer Ordnung
141 142
5.2.1 5.2.2
152 155
Das Allgemeine in der Differenz Die Einheit des Ironischen
150
6
Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick: Von der Unvermeidlichkeit und Unmöglichkeit des Authentischen 158
7
AbkürzungsVerzeichnis der häufiger zitierten Periodika
165
8
Literaturverzeichnis
166
9
Personen Verzeichnis
183
Danksagung
Viele Freunde und Kollegen haben durch die Bereitschaft zur Diskussion über die politische Bedeutung von Authentizität zur Entstehung dieser Studie beigetragen. Für Anregungen, für Hilfe und Kritik, für die Zeit, die sie mir gewidmet haben, möchte ich besonders danken: Wilfried von Bredow, Andre Brodocz, Mischka Dammaschke, Herfried Münkler, Hans Karl Rupp, Theo Schiller. Ohne die große Unterstützung und Ermutigung durch Sylvia Rura wäre es nicht gegangen. Ihr ist deshalb diese Schrift gewidmet.
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Einleitung
Sprache kommt bei der Herausbildung politischer Ordnungen 1 große Bedeutung zu. Sprechhandlungen konstituieren das Feld der politischen Auseinandersetzungen und produzieren Sinn, d. h. in ihnen werden aus einer Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten bestimmte Handlungen ausgewählt. Diese Selektion, diese Sinnstiftung geschieht vor dem Hintergrund sprachlicher Muster, die aus bestimmten Vokabularien konstruiert werden und die Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Redeweise bestimmen. Jede in einem bestimmten sozialen und linguistischen Kontext ablaufende Sprechhandlung (das schließt Texte ein) muß sich, um als sinnvoll gelten zu können, auf dieses Vokabularium beziehen. Jener Wortschatz sorgt aber nicht nur für eine immer wiederkehrende Bestätigung eingeschliffener Verständigungsweisen, sondern analog zum allgemeinen Verhältnis von „parole" und „langue", von individuellem Sprechakt und der semantischen und syntaktischen Struktur der Sprache, ist es möglich, das jeweilige Muster im Gebrauch zu verändern, Traditionsbegriffe neu zu definieren und Neologismen zu prägen. Dabei wird das Vokabular der für die Reproduktion der Gesellschaft wichtigsten Bereiche zur Quelle der politischen Sprechakte. 2 Aus diesen entsteht eine Vorlage der sozialen Sinngebung, die die politische Rede formt. Die Pflege und Bestätigung, Umformung und Negierung dieses Vokabulars, seine Veränderung, Erweiterung oder Übersetzung stehen dann im Mittelpunkt politischer Sprechhandlungen. 3 Für den Beobachter solcher Sprach-praxis ergibt sich die Möglichkeit, durch eine Analyse der
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Politische Ordnungen organisieren Herrschaft nach bestimmten Prinzipien. Im folgenden werden deshalb die Begriffe „Ordnung" und „Herrschaft" gleichgesetzt. Vgl. die bahnbrechenden, schon aus den vierziger und fünfziger Jahren stammenden hermeneutischen Arbeiten von Clifford Geertz zu den Sprechhandlungen der marokkanischen Maruscha und zum balinesischen Hahnenkampf in: Ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt/M. 1983, 7-43, 202-261. So verweisen etwa religiös legitimierte Ordnungen auch den politischen Diskurs auf ein theologisches Vokabular, auf die Rechtfertigung der Sprechhandlung durch Hinweis auf „heilige" Texte, auf das Charisma und die Autorität der Religionsgründer usw. Ähnliche Paradigmen haben die politischen Sprechweisen in den totalitären Systemen der Zwischenkriegszeit (Diskurs der „Führer", des Volkes, der Rasse) oder den nach 1945 über die UdSSR hinaus etablierten Gesellschaften des sowjetischen Typs (Diskurs der „Klasse", der „Partei", der „Klassiker" des „Wissenschaftlichen Sozialismus") geprägt.
Einleitung
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zugrundeliegenden Muster und der auf sie Bezug nehmenden Sprechakte das Feld der politischen Auseinandersetzung zu rekonstruieren.1 Werden die linguistischen Vorgaben, die die politische Rede in den Gesellschaften des westlichen, atlantischen Projekts der Moderne2 bestimmen, in den Blick genommen, dann stößt man immer wieder auf die Paradigmen der „klassischen Ökonomie" und des „Legalozentrismus" als sprachprägend.3 Das Vokabular der Nutzenkalkulation des „homo oeconomicus" und seiner „rational choice", der Konkurrenz, von Angebot und Nachfrage formt die politische Rede ebenso wie Bezeichnungen und Bedeutungen aus der Sphäre des Rechts. Viele politische Forderungen werden als Rechtsansprüche formuliert und die Logik der Reziprozität von Verträgen bildet einen Markstein in der Geschichte der Legitimation politischer Herrschaft.4 Die vorliegende Studie wendet sich einem Vokabular des Authentischen zu, das die politische Semantik der Diskussion über die Legitimität von Herrschaft seit der politischen Neuzeit bestimmt und die Rechtfertigung an die Zustimmung der herrschaftsunterworfenen
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Zur Hermeneutik gehört dann neben dem Verständnis der illokutionären und perlokutionären Aspekte der Sprechakte die Einbettung dieser in ihren jeweiligen Kontext. Vgl. Quentin Skinner, „Conventions and the understanding of speech acts", in: The Philosophical Quarterly 20/1970, 133, 135 zeigt an einigen Beispielen illokutionärer Sprechakte, daß diese ohne Kenntnis der jeweiligen sprachlichen Konventionen nicht zu verstehen sind: „... that there can be no love affairs which did not proceed on lines laid down in the Roman de la Rose". Diese Sicht Skinners hat eine langandauernde Debatte ausgelöst. Vgl. dazu: James Tully (Hrsg.) Meaning and Context. Quentin Skinner and his Critics, Oxford 1988 und J. G. A. Pocock, Politics, Language and Time. Essays on Political Thought and History, 7. Auflage Chicago 1989. Ohne auf diese meta-theoretische Debatte näher eingehen zu wollen, soll hier nur darauf hingewiesen werden, daß der im folgenden benutzte Begriff des Diskurses aufeinanderbezogene Sprechhandlungen meint, die sich bestimmter Vokabularien und bestimmter Ausdruckskonventionen bedienen. Diskurse verweisen auf bestimmte Argumentationsformen und logiken.
2
Obwohl sich der Begriff Neuzeit für die Zeit ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt hat, wird er im folgenden als Begriff einer Epoche, die sich selbst so nicht beschrieben hat, verwendet. Vgl. dazu: Reinhart Koselleck, .„Neuzeit'. Zur Semantik modemer Bewegungsbegriffe", in: Ders., Vergangene Zukunft, Frankfurt/M. 1979, 300-348. Der Begriff „Moderne" engt die „Neuzeit" noch einmal auf die Zeit ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert ein und stellt die Vorstellung einer autonomen Individualität als Epochenprägung heraus. Vgl. Hartmut Rosa, „Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie. Der Beitrag der .Cambridge School' zur Metatheorie", in: PVS 35/1994, 205, 209. Neben Ökonomie und Recht muß noch auf den Wortschatz einer an der Praxis der Polis orientierten Staatsbürgertugend hingewiesen werden, in der die Teilnahme der Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten und die Bündelung der politischen Vernunft im Diskurs der Gleichen im Mittelpunkt stehen. Hier werden die normativen Bestimmungen eines Politikbegriffs deutlich, der noch bis in die Texte Lockes die politische Herrschaft von der despotischen Herrschaft unterscheidet und damit Politik eine spezifische Normativität verleiht. Dieses aristotelische Argumentationsmuster verweist auf einen Traditionsbestand der politischen Rede, auf den im 20. Jahrhundert Hannah Arendt beispielgebend zurückgegriffen hat und der noch heute - etwa im Zusammenhang der Debatte über Liberalismus und Kommunitarismus - aktualisiert wird. Vgl. Alasdair Maclntyre, After Virtue. Α Study in Moral Theory, Notre Dame/Indiana 1981 und Ders., Whose Justice, Which Rationality?, Notre Dame/Indiana 1988. Dazu auch: J. G. A. Pocock, Die andere Bürgergesellschaft. Zur Dialektik von Tugend und Korruption, Frankfurt/M. und New York 1993.
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Einleitung
Individuen bindet und seine Quelle in der Selbstbeobachtung der einzelnen hat. 1 Mit dem Verblassen religiöser Ordnungsvorstellungen werden sowohl die einzelnen als auch die Gesellschaften befreit und auf ihre Selbsterhaltungsfähigkeit verwiesen. Freiheit als Chance und Pflicht zur Selbstbestimmung steigt zur Leitvorstellung aller modernen politischen Sprechhandlungen auf.2 Sie markiert die Trennung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren und wird den Individuen phylogenetisch und ontogenetisch in die Wiege gelegt. In Kants Anthropologie (1798/1800) findet sich dazu eine bildkräftige und typische Exemplifizierung: „Wer nur nach eines anderen Wahl glücklich sein kann (dieser mag nun so wohlwollend sein, als man immer will), fühlt sich mit Recht unglücklich. Denn welche Gewährleistung hat er, daß sein mächtiger Nebenmensch in dem Urteile über das Wohl mit dem seinen zusammenstimmen werde? - Der Wilde (noch nicht an Unterwürfigkeit gewöhnte) kennt kein größeres Unglück als in diese zu geraten und das mit Recht, so lange noch kein öffentlich Gesetz ihn sichert: bis ihn Disziplin allmählich dazu geduldig gemacht hat: Daher sein Zustand des beständigen Krieges, in der Absicht, andere so weit wie möglich von sich entfernt zu halten und in Wüsteneien zerstreut zu leben. Ja das Kind, welches sich nur eben dem mütterliche Schöße entwunden hat, scheint, zum Unterschiede von allen anderen Tieren, bloß deswegen mit lautem Geschrei in die Welt zu treten; weil es sein Unvermögen, sich seiner zu bedienen, für Zwang ansieht und so seinen Anspruch auf Freiheit (wovon kein anderes Tier eine Vorstellung hat) so fort ankündigt. 3 ,, Der noch nicht vergesellschaftete Wilde ist so frei wie das Neugeborene. Beide melden ihren Freiheitsanspruch auch an. Während der eine sich konsequent von anderen entfernt hält, um den Gefahren der Unterwerfung unter Fremdbestimmung zu entgehen, und diese Distanz zur Not gewalttätig durchsetzt, kann das andere nur seinen Zorn wegen der noch nicht erreichten Selbstbestimmung ausdrücken. Aber „Geschrei" und das Aufsuchen von „Wüsteneien" sind eher hilflose Manifestation der Wesensbestimmung des Menschen, frei zu sein. Hat das Neugeborene noch die Chance, in die Freiheit hineinzureifen, so zeigt die Einsiedelei des „Wilden" die eigentliche Spannung zwischen Selbstbestimmung und Fremdherrschaft an. Die Kosten der Einsamkeit sind einfach zu hoch, und Freiheit benötigt eine andere Koordination als die der gewalttätigen Auseinandersetzungen. Im Zusammenleben mit anderen müssen die individuellen Freiheitsansprüche so organisiert werden, daß Vergesellschaftung und politische Ordnung möglich werden, ohne daß der einzelne in die Rolle des beherrschten Unfreien zurückfällt. Hier ersteht nun ein Kriterium zur Unterscheidung legitimer von illegitimen Ordnungen. Als
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Dafür steht heute ein breites trivialisiertes psychologisches Wissen bereit. So fragt die Zeitschrift „Mademoiselle" im Februar 1972, wie es denn um das wahre Selbst der Leserinnen bestellt sei. Siehe zu dieser Veralltäglichung der Authentizitätsfrage: Melinda Vadas, „Why be authentic?", in: Idealistic Studies, 19/1989,16-27; Jörg Martin (Hrsg.), PsychoManie. Des Deutschen Seelenlage, Leipzig 1996 und John Farrell, Freud's Paranoid Quest. Psychoanalysis and modern suspicion, New York 1996. Siehe dazu: Times Literary Supplement, 27. 9. 1996, 30f.
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Gerade die Forderung, über die „negative Freiheit" von Fremdbestimmung hinauszugehen und zur Formulierung „positiver" Freiheit zu kommen, zielt auf die Verwirklichung des authentischen Selbst. Immanuel Kant, Werkausgabe, Ed. Weischedel, Bd. XII, 2, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, zweite verbesserte Auflage (1800), Frankfurt/M. 1988, 603 (Hervorhebung im Original). Siehe dazu: Tzvetan Todorov, Abenteuer des Zusammenlebens. Versuch einer allgemeinen Anthropologie, Berlin 1996, 18ff.
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Einleitung
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legitim können allein solche Herrschaftsverhältnisse bezeichnet werden, in denen die im Zuge der Herausbildung einer Gesellschaft unumgänglich eintretenden Einschränkungen der individuellen Freiheit nur durch Zustimmung der Individuen Zustandekommen. Rousseau hat fast fünfzig Jahre vor Kants Anmerkung diese Forderung als grundlegendes Problem jeder politischen Ordnung benannt und darauf die Antwort gegeben, daß die Individuen in legitimen Herrschaftsverhältnissen Untertan und Souverän in ihrer Person sein müssen. Wo der Satz befolgt wird „Ich herrsche über Dich, und Du herrschst über mich", ist Fremdbestimmung ausgeschlossen.Die Betonung der Selbstbestimmung als eigentlichem Ausdruck des Menschlichen deutet auf die Besonderheit und Unverwechselbarkeit der einzelnen. Individualisierung ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, sondern steht am Beginn neuzeitlichen politischen Denkens. 1 Damit ergeben sich zwei Problembereiche, die im politischen Diskurs der Moderne immer wieder angesprochen worden sind. Zum einen fordert der Imperativ der Selbstbestimmung eine Überprüfung der einzelnen hinsichtlich ihrer Zustimmung zur politischen Ordnung, denn diese kann Legitimitätsansprüche nur anmelden, wenn die Individuen ihr aufgrund ihres freien Willens zugestimmt haben. Die Beantwortung der Frage, ob dieser Wille aber wirklich frei gewesen ist, steht im Zentrum dieser Selbst- und Fremderforschung. 2 Zum anderen stellt sich aber mit der Betonung der Unverwechselbarkeit der Individuen und ihrer Autonomie als Grundlage jeder legitimen Ordnung das Problem der Einheitsstiftung zwischen den vielen einzelnen. Das wahre/Wahre Wollen der Individuen muß im sich im Allgemeinen der politischen Herrschaft wiederfinden. In der Moderne hat sich in diesem Kontext ein Diskurs entwickelt, in dem mit Hilfe der Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen dieser Verknüpfung des Besonderen mit dem Allgemeinen nachgespürt wird. Aus dem „wahren" Selbst der Individuen wird die authentische politische Ordnung geboren. Folgt man dem Gebrauch des Begriffs „Authentizität" (Kapitel 2), dann wird deutlich, daß die seit dem 17. Jahrhundert in Westeuropa zu beobachtende Wortverwendung sich von einem allgemeinen Verständnis der Autorisierung von Dingen und Texten zu einer Kennzeichnung für echt gehaltene Repräsentationsverhältnisse wandelt, die schon im Zuge des seit dem 18. Jahrhundert anzutreffenden Gebrauchs des Wortes „Selbst" und seiner Zusammensetzungen (Selbstgefühl, Selbstbewußtsein, Selbstbestimmung etc.) schließlich auch auf Eigenschaften der Individuen Anwendung findet. Die Individuen müssen unverwechselbar sein. Edward Young kleidet diese Übertragung des Begriffs auf personale Identität Mitte des 18. Jahrhunderts in die seitdem berühmte Frage der Moderne, wie die
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Was das politische Denken seit dreihundert Jahren bestimmt, wird nun von einigen Beobachtern als soziologisches Problem entdeckt. So weisen Ulrich Beck/Peter Sopp (Hrsg.), Individualisierung und Integration. Neue Konfliktlinien und neuer Integrationsmodus?, Opladen 1997, 17 daraufhin, „daß Individualisierung nicht per se eine Bedrohung gesellschaftlicher Integration darstellt, sondern durchaus ein neues Integrationsmuster bieten kann, welches jedoch durchaus spannungsreich ist".
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Der Hinweis, daß diese Selbstprüfung als Gewissenskontrolle theologisch fundiert sei, ist richtig. Mit Augustinus beginnt ein Diskurs der Selbstprüfung und der Unterscheidung wahrer/unwahrer Bedürfnisse, aber erst in der Moderne wird diese Selbsterforschung zum Bestandteil politischer Legitimitätsdebatten. Die religiöse Aushorchung des Selbst bleibt eingebettet in die vorgebenene göttliche Ordnung. Noch bei Kierkegaard ist der authentische Mensch in seiner Essenz ganz Gottes Geschöpf.
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Einleitung
einzelnen sich selbst gleichen können und doch gesellschaftlich zu Massenexemplaren werden: „Born originals, how comes it to pass that we all die copies?". Im Prozeß der Verwissenschaftlichung der Debatten über das Individuum und seiner Repräsentationen sickert die Unterscheidung Authentizität/Inauthentizität in viele Disziplinen ein, wobei insbesondere Psychologie, Pädagogik, Philosophie und Ethnologie an einer spezifischen Erweiterung des Vokabulars der Authentizität arbeiten. Insbesondere US-amerikanische Soziologen übernehmen den Begriff in das Arsenal der Gesellschaftstheorien, während die Politikwissenschaft bislang überwiegend eher der traditionellen Begriffsverwendung der Authentizität von Texten anhängt und die Unterscheidung im Bereich der Debatten über das „Wesen" des Politischen und seiner Begriffe einsetzt. Der Kontrast zwischen authentisch/inauthentisch weist immer auf eine ontologische Differenz zwischen Repräsentant und Repräsentiertem hin, und die Feststellung der Authentizität/Inauthentizität setzt dann voraus, daß der (wissenschaftliche) Beobachter selbst über eine adäquate Sicht auf die richtige Repräsentation verfügt. Dieser privilegierte Wirklichkeitszugang ist aber epistemologisch nicht zu begründen. 1 Die wissenschaftliche Verwendung der Unterscheidung muß deshalb auf eigene fundamentalontologische Aussagen verzichten und die Spannung von Repräsentanten/Repräsentiertem in den Kontext bestimmter Mitteilungsverhältnisse und ihrer sprachlichen Muster stellen. Die Frage der Untersuchung lautet dann nicht „Was ist authentisch/inauthentisch?" an den Individuen und ihren politischen Zusammenschlüssen, sondern „Wie wird Authentizität in den jeweiligen Sprechhandlungen konstruiert und wie wird sie von Inauthentizität unterschieden.?" 2 Der politischen Füllung des Authentizitätsbegriffs kommt man auf die Spur, wenn man den neuzeitlichen Legitimitätsdiskurs, also die Bindung von Herrschaft an die Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen, als die Rahmung der Rede vom „freien Willen" begreift (Kapitel 3). In der Moderne bietet sich hier das Paradigma des Sozialvertrages als Grundlage der Untersuchung der politischen Implikationen der
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Willem van Reijen, Die authentische Kritik der Moderne, München 1994, macht das wider Willen deutlich, indem er zwar eine spezifische, schon im Barock formulierte Modernitätskritik als authentisch auszeichnet, aber etwa von dieser eine inauthentische Kritik allenfalls stillschweigend unterscheidet. Authentizität wird als ontologisches Etikett beliebig aufgeklebt. Diese Frage nach der aufgrund der Muster des jeweiligen Mitteilungsverhältnisses konstruierten Authentizität ist auch für politilogische Fragestellungen durch literaturwissenschaftliche Studien eingeführt worden. Lionel Trilling, Sincerity and Authenticity, (The Charles Eliot Norton Lectures, 1969-1970) Cambridge 1971 (dtsch. Ausgabe: Das Ende der Aufrichtigkeit, München 1980) hat als Literaturwissenschaftler eine solche Analyse der Authentizitätskonstruktionen beispielhaft vorgenommen und auch die kulturkritischen Aspekte der Forderung nach Verwirklichung individueller Authentizitätsansprüche herausgearbeitet. Siehe Ders., The Liberal Imagination. Essays on Literature and Society, New York 1950 und Ders., The Opposing Self. Nine Essays in Criticism, New York 1955. Zu seinem Spagat zwischen Gesellschaftstheorie und Literatur: Ders., „Some notes for an autobiographical lecture", in: Ders., The Last Decade. Essays and Reviews, 1965-1975, ed. by Diana Trilling, New York/London 1978. Für Literatur und Soziologie in den USA: Rebecca Jane Erickson, When Emotion is the Product: Self, Society, and (In)authenticity in A Postmodern World, Diss. Washington State University 1991, UMI Ann Arbor 1991.
Einleitung
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Authentizitätssemantik an.1 Die Zustimmung zum Vertrag rechtfertigt Vergesellschaftung und Herrschaft. Zeichnet man diesen Diskurs nach, dann zeigt sich, daß die Überprüfung der Authentizität der Vertragszustimmung von Hobbes bis Rousseau immer größeren Raum einnimmt. 2 Gelten für Hobbes sogar erpresste Vertragsabschlüsse als legitim und Ausdruck des individuellen Willens, so muß für Rousseau sich im Wollen der einzelnen schon die volonte generale ausdrücken, um als authentisch angesehen werden zu können. Hobbes Individuen sind mit Klugheit ausgestattete Maschinen, ohne authentischen Wesenskern, deren „Selbstverwirklichung" im Überleben im besteht. Auch in Positionen, die dem gedankenexperimentellen Sozialvertrag als Legitimationsgrundlage für Staatlichkeit kritisch gegenüberstehen, wie sie ζ. B. von Hegel vertreten werden, geht das Besondere nur im Allgemeinen einer authentischen auf Versöhnung von Individualität und Allgemeinheit ausgerichteten politischen Ordnung auf. Das Modell der Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch differenziert sich in vier Redevarianten (Diskurse) aus, in denen das wahre Selbst der Individuen unterschiedlich bestimmt wird und auch jeweils unterschiedliche Szenarien der Versöhnung der Individuen mit dem Ganzen entwickelt werden. Der rousseauistische Diskurs (Kapitel 4.1.) ist durch die Feststellung gekennzeichnet, daß nur in der Selbstgesetzgebung der Subjekte ihre Freiheit unversehrt bleibt. An diese Prämisse schließt sich eine vehemente Kritik der gesellschaftlich bedingten Verstümmelungen des personalen Identitätskerns an. Die vergesellschafteten Individuen treten nur noch als Maskenträger auf. Erst in der wahren politischen Ordnung können die einzelnen dieses Larvenspiel aufgeben und ihr authentisches Selbst ohne Verluste in die Gesellschaft einfügen. Rousseau entwirft in diesem Zusammenhang das Modell einer totalen demokratischen Teilhabe aller Gesellschaftsmitglieder und prägt damit einen Stil der Geselschaftskritik, der bis ins 20. Jahrhundert für„rechte" und „linke" Füllungen funktionabel bleibt.3 Erst wenn alle an allen politischen Entscheidungen mitwirken, kommt es zur Freisetzung der volonte generale. Folgerichtig lehnt Rousseau die Repräsentation dieses Willens durch Abgeordnete ab, denn schon in der Form der Stellvertretung steckt die Inauthentizität. Die Selbstgesetzgebung jedes einzelnen führt zum Allgemeinwohl, weil jedes Individuum dieses schon in seinem Wesenskern angelegt hat. Authentizität wird zur Tugend, die den einzelnen auch anerzogen werden kann. Der „Emile" ist der authentische Bürger des „Contrat social". Nietzsche markiert in diesem Diskurs den entgegengesetzten Pol. Auch er fordert die Selbstgesetz-
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Zwar hat sich seit der Antike immer wieder politisches Vertragsdenken artikuliert, aber im Gegensatz zur politischen Neuzeit zentriert sich dieses nicht um die Idee einer Legitimitätsbegründung durch die Fiktion eines allgemeinen Vertrages, der von allen dem Herrschaftsverband angehörenden Individuen unterzeichnet werden muß. Vgl. dazu: Wolfgang Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Darmstadt 1994, 11 ff. Vgl. Richard Saage, Vertragsdenken und Utopie. Studien zur politischen Theorie und zur Sozialphilosophie der frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 1989 und Rüdiger Bubner, Welche Rationalität bekommt der Gesellschaft? Vier Kapitel aus dem Naturrecht, Frankfurt/M. 1996. So standen etwa in der Neuen Linken der sechiger Jahre Forderungen nach persönlicher Authentizität im Mittelpunkt. Doug Rossinow, The Politics of Authenticity. Liberalism, Christianity, and the New Left, New York 1998, 5. zitiert in diesem Zusammenhang aus einem Grundsatzdokument der Bewegung, wonach „the goal of man and society should be ... finding a meaning of life that is personally authentic".
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Einleitung
gebung, aber plädiert schließlich nicht für eine totale Demokratie, sondern für eine Hierarchisierung. Die zur Anerkennung ihres „Willens zur Macht" fähigen authentischen Individuen sollen sich die Masse der zu dieser Selbstwahrheit Unfähigen unterjochen. Die Forderung nach Authentizität, die nur scheinbar ironisch gebrochen wird, führt hier zu einer radikalen Ablehnung demokratischer Ideen.Im hegelianisch-marxistischen Diskurs (Kapitel 4.2.) wird die Unverwechselbarkeit und Differenz der Individuen mit den Eigenschaften der menschlichen Gattung konfrontiert. Was bei Hegel, in paradoxer Weiterführung Kants 1 , noch als Versöhnung der individuellen Besonderung mit der in der Differenz Ausdruck findenden allgemeinen Vernunft beschrieben und geschichtsphilosophisch zur Apotheose des modernen Staates erhoben wird, erfährt durch Marx seine Bindung an den Begriff der Arbeit als eigentlicher Eigenschaft des Gattungswesens. Im Produkt der Arbeit repräsentiert sich das Individuum und beweist seine Authentizität. Die Verwertungslogik der kapitalistischen Produktionsweise zerstört diese Abbildungsmöglichkeit. Erst in der sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft kommt das Individuum wieder zu sich als Gattungswesen und erreicht eine freie Assoziation mit den anderen Subjekten. Da alle eigentlich Gattungswesen sind, geht die individuelle Signatur ohne Verluste in der Gemeinschaft auf. Der tschechische Philosoph Karel Kosik nimmt in diesem Diskurs eine besondere Stellung ein, weil er in seiner „Dialectics of the Concrete" den breit entwickelten Authentizitätsbegriff unter Rückgriff auf die Phänomenologie Heideggers an die Lebenswelt der Individuen bindet und so die Verengung des Gattungsbegriffs auf die Kategorie der Arbeit zu vermeiden sucht. Kosik bemüht sich letztlich erfolglos um einen Brückenschlag zwischen dem hegelianisch-marxistischen und dem existentialistischen Diskurs (Kapitel 4.3.). Heidegger 2 , Sartre und Jaspers stellen die Semantik der Wesensbestimmung des Menschen um. Sie lehnen die Vorstellung von einem festen Kern personaler Identität ab und entwerfen Authentizität als Prozeß. Bettet Heidegger das Dasein in das Sein ein und beschreibt so die Grenzen subjektiver Selbstschöpfung und Selbstgesetzgebung, betont Sartre die Freiheit zum Selbstentwurf, wobei er der Gefahr des heroischen Solipsismus nicht entgeht. Das Selbst ist hier nicht mehr statisch an den Mechanismus von Repräsentierten und Repräsentanten gebunden.
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Kant selbst führt den Begriff des Authentischen im Unterschied zum Doktrinären ein (Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, 1791 und Streit der Fakultäten, 1798, Ed. Weischedel, XI/1, 115, 314) und verweist auf die „authentische" Interpretation biblischer Texte durch den Gott in uns. Das ist der Gott der Vernunft. Kant nimmt zum Authentizitätsmodell eine Gegenposition ein, weil für ihn das Wesen der einzelnen, ihre Vernunft, mit dem Wesen des Allgemeinen, der Universalität der Vernunft, zusammenfällt. Ein Problem mit der Authentizität kann es hier nur im Sinne der unvollkommenen Vemunftentbindung geben. Setzt Kant also auf die vernünftige Autonomie der Subjekte, so markiert der Hinweis auf die Authentizität der Individuen, wie Klaus Michael Wetzel, Autonomie und Authentizität. Untersuchungen zur Konstitution und Konfiguration von Subjektivität, Frankfurt/M. 1985,10, feststellt, eine unhintergehbare Besonderung jenseits allgemeiner Vernunft.
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Wobei die Subsumption Heideggers unter diesen Begriff diesem Gewalt antut, weil er sich - etwa in der Auseinandersetzung mit Sartre - der Zuordnung zum Existentialismus zu entziehen versucht. Gleichwohl prägt er mit seiner fundamentalontologischen Argumentation den Rahmen dieses Diskurses und die wechselseitigen Bezüge sind groß. So auch: Michael E. Zimmerman, „Heidegger's existentialism revisited", in: International Philosophical Quarterly, 24/1984, 219-236.
Einleitung
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Allerdings verstellen die anderen, in Heideggers Terminologie das „Man", den Blick auf die Wahrheit des Seins bzw. sie behindern die Selbstschöpfung. Erst in der Überwindung dieser Alltäglichkeit durch die wirkliche Akzeptanz der eigenen Endlichkeit, der heroischen Bejahung von Grenzsituationen, des geschichtlichen Auftrags usw. kommt das Individuum zu sich. Die Versöhnung des einzelnen mit dem Allgemeinen der politischen Ordnung findet im Blutbad der Revolution (Sartre) oder im Durchbruch zur Eigentlichkeit durch Annahme völkischer Erbschaft (Heidegger) statt. Der Kampf wird zur Folie des Authentischen. Jaspers versucht zwar, diesen Kontext der Authentizität in Richtung eines kommunikativen Existentialismus zu öffnen, der die Konfliktorientierung durch das Gespräch der authentischen Individuen ersetzen will, aber diese Position bleibt widersprüchlich. Die kritische Theorie übt im Namen des Authentischen am Existentialismus scharfe Kritik. Doch untersucht man diese näher, dann treten der „Jargon der Eigentlichkeit" (Adorno) und seine Kritik als Gegensätze auf, die man sich nur schwer näher vorstellen kann.Der politische Liberalismus hat auf den Prozeß der Individualisierung reagiert und das Allgemeine der politischen Ordnung von der Forderung befreit, bestimmte Authentizitätsansprüche zur Grundlage seines Bestehens zu machen. Diese Betonung der substantiellen Neutralität des Staates ruft eine Kritik auf den Plan, die der reinen formalen Legitimation politischer Ordnungen ein sittliches Defizit zuschreibt. Der Verzicht auf die Realisierung eines summum bonum hat danach zu vielen sozialpathologischen Erscheinungen geführt. Die liberale Herrschaft kann nicht genügend Legitimitätsressourcen mobilisieren. Im kommunitaristischen Diskurs (Kapitel 4.4.) werden demgegenüber die Bindungskräfte der Gemeinschaft(en) betont. Erst in der einem gemein-samen Ideal verpflichteten Gruppe kommt das Individuum ganz zu sich. Anhand der Texte Charles Taylors, eines der differenziertesten Vertreter kommunitaristischer Argumente, zeigt sich, daß in der Apologie der Gemeinschaft letzten Endes Authentizität zur Gruppeneigenschaft wird. Die Spannung zwischen den Authentizitätsansprüchen der Individuen und dem Allgemeinen der politischen Ordnung wird hier zu Gunsten der Gemeinschaft gelöst. 1 Die Vorstellung, daß das Individuum nicht mehr als Ausdruck einer Selbstidentität beschrieben werden kann, fundiert post-moderne Argumentationen. Deshalb können sie auch nicht den schon eingeführten Diskurstypen zugeordnet werde. Die Suche nach dem wahren Selbst wird hier aufgegeben und die Semantik der Selbsterforschung auf Selbsterfindung umgestellt (Kapitel 5). Dabei kehren allerdings Theorien der Simulation des Authentischen nur die Unterscheidungsseiten um. So wird die Simulation zum
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Diese Auszeichnung der Gemeinschaft verweist auf ein Denken, das sich noch nicht vollständig dem Freiheitsanspruch der Individuen gestellt hat. Wohl nicht zufällig schwingt im kommunitaristischen Diskurs, der ja in Ferdinand Tönnies und seiner Zivilisationskritik einen entsprechenden Vordenker hat, die Anziehungskraft der noch nicht dynamisierten und dem Imperativ der Systemfunktionalität unterworfenen Vor-Moderne mit. An diese Stelle gehören nun viele Szenarien der Verschmelzung der einzelnen zu harmonischen Ordnungen. Man denke hier nur an lebensreformerische Experimente, gynozentrische Utopien, religiösen Fundamentalismus. Der argumentative Beitrag solcher Bewegungen ist gering, deshalb bleiben sie im folgenden unberücksichtigt. Vgl. dazu die dreiteilige politische Theorie für das 19. Jahrhundert von Wilfried von Bredow/Thomas Noetzel (zu den einzelnen Titeln siehe das Literaturverzeichnis). Die Hermetik bestimmter feministischer Utopien ist Gegenstand in Dies., Befreite Sexualität? Streifzüge durch die Sittengeschichte seit der Aufklärung, Hamburg 1990, 178-189.
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Einleitung
Eigentlichen der post-modernen Zeit erklärt und das Uneigentliche - etwa Baudrillards Figur der Verführung - zum Wahrhaften. Die politische Ordnung gerät zum totalen Simulationszusammenhang und ist nur noch Konstrukt selbstreferentieller Zeichen. Die Frage nach dem Verhältnis von individueller Besonderung und dem Allgemeinen kann sich damit nicht mehr stellen. Weder Individuum noch politische Ordnung sind im modernen Sinne länger vorhanden. Auch in Positionen, in denen diese Hermetik nicht geteilt wird, rückt die Dekonstruktion des herkömmlichen Vokabulars der Selbstverständigung in den Mittelpunkt. Nach Lyotard haben die Meta-Erzählungen der Moderne, in denen den einzelnen unterschiedliche Versöhnungsprogramme der universalen Vernunftentfaltung, des unbegrenzten wissenschaftlichen Fortschritts, des Sozialismus angedient worden sind, ihre Bindungskraft verloren. Stattdessen soll eine Vielzahl von kommunitären MikroErzählungen Sinn stiften. Wie aus dieser Pluralität Einheit erwächst, bleibt offen. Allenfalls scheint in Programmen der Ironisierung von individuellen Selbstentwürfen und gesellschaftlichen Zusammenhängen eine post-moderne Kultur der Akzeptanz des Inkommensurablen zu entstehen. Ob diese Tugendempfehlung des Aushaltenkönnens der Spannung zwischen individueller Unverwechselbarkeit und politischem Allgemeinen über die B e i t r ä g e des p o l i t i s c h e n L i b e r a l i s m u s h i n a u s g e h e n , m u ß b e z w e i f e l t werden.Abschließend (Kapitel 6) wird darauf eingegangen, daß die Legitimität nicht nur von den einzelnen der politischen Ordnung zugeschrieben wird, sondern diese sich selbst erzeugt. Gerade die systemtheoretischen Interpretationen weisen darauf hin, daß die Schaffung einer Legitimationsbasis zu den basalen Leistungen des politischen Systems gehört. Aber auch auf dieser Ebene der systemischen Produktion von Legitimität steht die Verbindung der Authentizität des individuellen Wollens mit dem Allgemeinen zur authentischen, dem Wesen des Menschen eigentlichen Ordnung im Zentrum. Ohne den Anspruch des Authentischen ist weder auf der Ebene der individuellen Folgebereitschaft noch der system-funktionalen Legitimitätserzeugung politische Ordnung herstellbar. Authentizität markiert so das Unvermeidliche und das Unmögliche im Diskurs über die Freiheit der Individuen und die Legitimation von Herrschaft in der Moderne.
2 Zum Begriff der Authentizität
Begriffe bilden keine über die Zeiten festen Substanzen mit einem quasi unwandelbaren Bedeutungskern. Ganz im Gegenteil erwachsen die Bedeutungen des Begriffs aus bestimmten geschichtlichen, sozialen und politischen Kontexten. Wenn am Beginn dieser Abhandlung über die politischen Implikationen eines modernen Strebens nach Authentizität eine kurze Begriffsgeschichte steht, dann steckt die Absicht dahinter, solche Bedeutungskontexte hier wenigstens skizzenhaft vorzustellen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Rekonstrutkion wissenschaftstheoretischer Auhentizitätskonzeptionen, da das systematisierte, an spezifische Formationsregeln gebundene Wissen in der Moderne die politischen Diskurse maßgeblich bestimmt. Der praktisch-pragmatische Einsatz von Sprache ist eingebettet in bestimmte soziale und politische Praxen, die wiederum die Anschlüsse und Fortschreibungen der Begriffe erst möglich machen. Begriffsexplikation ist Verwendungsforschung. Dabei macht die Analyse der Begriffsverwendung deutlich, wie in bestimmten Kontexten von Beobachtern unterschieden, beobachtet und beschrieben wird. Eine politikwissenschaftliche Hermeneutik kann dann diese Beobachtungen beobachten (Beobachtung 2. Ordnung) und so die diesen Beobachtungen 1. Ordnung zugrundeliegenden Unterscheidungen erkennen. Dadurch sieht der Beobachter der Beobachter etwas anderes als diese selbst, denn er sieht, welche Differenzlogik deren Beobachtungen zugrundeliegt. 1 Eine Beobachtung 2. Ordnung entgeht damit dem ontologischen Problem, Begriffen bestimmte Seinsqualitäten zuordnen zu müssen. Im konkreten Fall heißt das: Es geht in den folgenden Abschnitten nicht darum, Authentizität von Inauthentizität zu unterscheiden, sondern es geht darum, die Unterscheidungslogik derer zu verstehen und in ihrer politischen Bedeutung zu untersuchen, die mit dieser Unterscheidung operieren. Politikwissenschaft hat sich immer wieder als semantische Integrationswissenschaft bewiesen. Obwohl die Herausbildung einer fachspezifischen Terminologie insbesondere
Selbstverständlich könnte ein weiterer Beobachter, etwa ein Wissenschaftssoziologe, diese Beobachtung 2. Ordnung zu einer Beobachtung 1. Ordnung machen und in seiner Beobachtung 2. Ordnung entsprechende blinde Flecken in der zugrundeliegenden Unterscheidungslogik sichtbar werden lassen. Vgl. dazu die breite Debatte über erkenntnistheoretische Konstruktivismen, insbesondere Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1990 und ders., Sozologische Aufklärung 5 - Konstruktivistische Perspektiven, Opladen 2. Auflage 1993. Aus politikwissenschaftlicher Sicht: Thomas Noetzel/Andre Brodocz, „Konstruktivistische Epistemologie und politische Steuerung", in: ZfP, 43/1996, Nr. 1, 49-66.
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Zum Begriff der Authentizität
in den Teilbereichen der Policy- und Implementationsforschung, den International Relations und der vergleichenden Regierungslehre (Comparative Government) gelungen ist, kommt die Disziplin insgesamt nach wie vor ohne begriffliche Anleihen aus anderen Fächern nicht aus. Daß der klassischen politischen Ideengeschichte und der politischen Philosophie in der politikwissenschaftlichen scientific community ab und an mit etwas Mißtrauen begegnet wird, hängt sicherlich auch mit solcher Nähe zu anderen Fächern zusammen, die schließlich die eigenen politikwissenschaftlichen Geltungsansprüche vor besondere Begründungsprobleme stellt.1 Der Blick auf Begriffsbildungen in Umgangssprache und anderen wissenschaftlichen Disziplinen kann dennoch auch für politikwissenschaftliche Fragestellungen lohnend sein.
2.1 Etymologie Das lateinische „Authenticus" geht auf das griechische „authentes" zurück: Eine Bezeichnung für „Herr" aber auch für „Gewalthaber". 2 Die Betonung liegt hier auf dem eigenständigen Tun des Urhebers, der etwas „aus eigener Gewalt vollbringt." 3 Im Griechischen verweist „authentes" darüberhinaus auch auf den „Mörder"/„Selbstmörder". 4 Doch diese Begriffsfüllung ist nicht tradiert worden und soll deshalb an dieser Stelle nur als interessanter etymologischer Seitenweg benannt werden. „Authentisch" ist eine relativ junge Wortschöpfung und etwa im deutschen Sprachraum erst seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar. Seitdem verbindet sich mit dem lateinischen „authenticus" der Begriff des Echten, Eigenhändigen, Verbürgten. Die Bezeichnung für Echtheit, Verbürgtheit wird dabei zunächst auf philologische, hermeneutische Sachverhalte bezogen. Mit Hinweis auf die justinianischen Rechtsetzungen heißt es etwa 1732 in Zedlers Universal-Lexikon: „Authentic«, so heissen ersichtlich die Novellae Justitiani. Denn zu Irnerii Zeiten waren zwey Übersetzungen bekannt, wovon die eine dem Griechischen von Wort zu Wort folgte, die andere aber sich nicht so wohl an die Worte band, als den wahren Verstand derselben auszudrücken suchte. Ob nun schon diese letztere weit besser war, so ergriff doch Irnerius die erste, welche daher authentica und die Novellen hiervon authenticae oder Liber authenticorum genennet wurden." 5 Bemerkenswert ist, daß eine positive Konnotation von „Authentizität" fehlt. Das Authentische muß nicht das Bessere sein. Deutlich schwingt hier noch die Verbindung von „authentisch" und
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Siehe die Debatte zwischen Lothar Kramm und Udo Bermbach über die Bedingungen der Möglichkeit, politische Ideen- und Begriffsgeschichte zu schreiben in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), 22/ 1981, 168-191. Glotta - Zeitschrift für griechische und lateinische Sprache, 3. Band, Göttingen 1912, 290. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 1, 692f. Glotta, 3. Band 1912, 291 ff. Zur Verbindung von „authentes" und „Herr" siehe: A. J. Storfer, Wörter und ihre Schicksale, Berlin und Zürich 1935, 52. Johann Heinrich Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschaften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, Halle und Leipzig 1732, Sp. 2265f.
Etymologie
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„autorisiert" mit, für die es zahlreiche Beispiele aus dem 17. und 18. Jahrhundert gibt. So will Trapp 1657 in seinen Kommentaren zum Buch Hiob seine Leser von der „authentity and authority of this book" überzeugen. 1 Und auch Zedier weist darauf hin, daß die „authentica interpretatio" jene Deutung von (vornehmlich juristischen und religiösen) Texten sei, der nicht widersprochen werden dürfe, wobei in Zweifelsfällen der politischen Autorität, dem „Landes-Herren" allein vorbehalten bleibe, diese endgültige authentische Lesart festzulegen. 2 „Authentik" verweist in diesem Kontext vor allem auf die vom Trienter Konzil vorgeschriebene Praxis, daß für alle zur öffentlichen Präsentation vorgesehenen Reliquien ein Bischof entsprechende Beglaubigungszertifikate ausstellen muß. 3 Gleichwohl finden sich neben dieser Bedeutung von „Autorisierung" und „Geltung" auch schon Verbindungen von „Authentizität" und „Glaubwürdigkeit" nicht aufgrund der Autorisierung, sondern aufgrund von bestimmten Eigenschaften, etwa der, mit der Realität in Übereinstimmung zu stehen, also „wahr" zu sein: „The portrait... was rather a work of command and imagination than of authenticity" 4 stellt Walpole 1786 fest. „Authentizität,, korrespondiert hier mit einem getreuen Abbild der Wirklichkeit. Dieser Spiegelcharakter verleiht dem „authentischen" Zeugnis Glaubwürdigkeit. In diesem Zusammenhang spielt auch das „Echte" eine wichtige Rolle, denn „echt" wird nun nicht mehr nur als Attribut der richtigen oder falschen Autorisierung begriffen, sondern als Ausdruck einer allgemeinen Übereinstimmung mit der Erscheinung eines Phänomens, seiner Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Hume spricht beispielsweise am Ende des 18. Jahrhunderts in der Kontroverse um die Lyrik Ossians über die angebliche „Authenticity of Ossian's poems". 5 Und Ramler setzt „authentisch" gleich mit „zuverlässig" im Sinne wahrheitsgetreuer Aussagen. 6 Diese Verbindung von „wahr" und „authentisch" wird noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts hinein vor allem auf Texte, Interpretationen, Kommentare und mündliche Zeugnisse bezogen und bleibt damit im Rahmen des alten philologisch - hermeneutischen Bedeutungskonzeptes. 7 Allerdings kommt schon bei Zedier die Übertragung des „Authentischen" auf Personen vor. Doch auch in diesem Fall übersteigt die Attributierung nicht den Sinn von „glaubwürdig". Im 20. Jahrhundert entstehen nun neue Bedeutungsinhalte des Begriffs, die vor allem auf die Ausweitung seiner Benutzung im Rahmen zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen zurückzuführen sind. In den folgenden Abschnitten wird zunächst die
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John Trapp, Annotations upon the Old and New Testament (1646-1662), London 1867/69, Bd. 1,23. Zedier, Universal-Lexikon, Sp. 2266. In diesen Zusammenhang gehört auch das „Authenticum", das Buch in der römisch-katholischen Kirche, in dem die an Sonn- und Feiertagen vorgeschriebenen liturgischen Wechselgesänge aufgezeichnet sind. Horace Walpole, Vertue's Anecdotes of Painting in England, Band 1, London 1786, 53. David Hume, The Philosophical Works - Vol. 4, Essays Moral, Political and Literary, ed. by Τ. Η. Green/T. Η. Grose, London 1882, 415. Einleitung in die Schönen Wissenschaften. Nach dem französischen Herrn Batteux, mit Zusätzen vermehrt von Karl Wilhelm Ramler, 4 Bände, dritte Auflage, Leipzig 1763-1769, Bd. 4., 276. Vgl. Stichwörter „Authentie, Authentizität" in Herder's Konversationslexikon, Freiburg 1902-1910, Bd. 1, Meyer's Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage, Leipzig und Wien 1906, Bd. 2.
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Zum Begriff der Authentizität
Benutzung des Begriffs „Authentisch" in Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Architektur, Ethnologie, Ästhetik und Literaturwissenschaft skizziert, und anschließend die Verwendung in Soziologie und Politikwissenschaft abgehandelt.
2.2 Psychologie Daß bei dieser Präsentation mit psychologischen Begriffsfüllungen begonnen wird, erklärt sich aus der Logik des modernen Individualisierungsprozesses und der Chronologie der Begriffsgeschichte. Gesellschaften und Individuen verhalten sich seit ihrer Freisetzung aus stratifizierten, religiös legitimierten Ordnungen selbstreflexiv. 1 Die Gestaltung der durch die Aufklärung gewonnenen Mündigkeit stellt das Subjekt vor eine weitreichende Konstruktionsaufgabe der Selbstfindung und -darstellung, die eingehender Selbst- und Fremdbeobachtung bedarf. Dabei ist keine Signatur des Individuums selbstverständlich vorgegeben, sondern jede ist Resultat eines sozialen Prozesses, in dem das moderne Individuum seine Unverwechselbarkeit behaupten muß. In diesem Bewußtsein des Selbstentwurfs wird das Subjekt sich selber zum Problem. So geht etwa im 19. Jahrhundert die Vorstellung vom homogenen Kern einer personalen Identität verloren. Das „Ich" fühlt sich etwa von Ich-fremden Kräften, vom „Willen" oder den „Trieben" bedrängt. 2 Das einheitliche, in sich geschlossene und mit sich identische „Ich" sieht sich vom „Unbewußten" unterminiert, in unterschiedliche Instanzen zerlegt und in seiner Selbstgewißheit gestört durch die Erkenntnis, „im eigenen Haus nicht mehr Herr zu sein" (S. Freud). Dieser Pathographie steht dann als Konzept der Ich-Findung bzw. Gesundung der Durchbruch zum authentischen Kern der Persönlichkeit gegenüber. 3 Α. N. Whitehead hat das Problem zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf der Ebene einer psychologischen Wahrnehmungstheorie als Spannung zwischen „authentischen" und „inauthentischen" Perzeptionen beschrieben: „Since we are now dealing with perceptive feelings, we have on hand only one physical feeling which enjoys the role both of the indicated feeling, and of the physical recognition. In the first place, suppose that the
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Vgl. zu diesem Verständnis der Reflexivität modemer Sozialbeziehungen u. a. Anthony Giddens, The Consequences of Modernity, Oxford 1990 und zur Verbindung von Selbsbestimmung und Reflexivität ders., Modernity and Self-Identity. Seifand Society in the Late Modern Age, Oxford 1991. Henry F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewußten, 2 Bde., Bern 1973; Alfred Lorenzer, Intimität und soziales Leid. Archäologie der Pschoanalyse, Frankfurt/M. 1984. Masud R. Khan, „Outrageousness, compliance and authenticity", in: Contemporary Psychoanalysis, 22/1986, 637: „This was exactly what I had been waiting for: the break-through to his authentic self' (Hervorhebungen im Original). Für den Psychiater Khan ist der Begriff des Authentischen nicht positiv oder negativ konnotiert, sondern steht für die „wahre" Persönlichkeitsstruktur. Die Moralisierung des Begriffs in Psychologie und Pädagogik (siehe unten) ist aber so dominierend, daß Khan glaubt, seine wertfreie Benutzung ausführlich begründen zu müssen. Vgl. dazu schon normativ eindeutig positiv: James F. Bugental, The Search for Authenticity. An Existential-Analytic Approach to Psychotherapy, New York 1965, Kapitel 3 „Authenticity: The Central Concern of Psychotherapy". Über die Verbindung von Existentialismus und der Verbreitung einer Semantik des Authentischen informieren die folgenden Abschnitte.
Psychologie
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predicative pattern is derived straight from the physical recognition ... In this case the derived propositional feeling will be termed an .authentic perceptive feeling'... The predicate is thus distorted from the truth by the subjectivity of the prehending subject. Such a perceptive feeling will be termed .unauthentic'. Unauthentic feelings are feelings derived from a ,tied' imagination, in the sense that there is only one physical basis for the whole origination, namely, that physical feeling which is both the .indicative' feeling and the .physical recognition'. The recognition is tied to one ultimate fact." 1 Wichtig in diesem Zusammenhang ist die hier geäußerte Überzeugung, der Unterschied zwischen subjektiven Befindlichkeiten der Authentizität/Inauthentizität könne intersubjektiv gültig von einem äußeren Beobachter festgestellt werden. Dieser Objektivismus manifestiert sich in der Psychologie in vielfältigen Versuchen, Skalen für die Authentizitätsmessung zu bilden. Wobei die normativen Prämissen hinter den Authentizitätsmessungen selten ausgewiesen werden. So operiert Urszula Hermanowicz mit der Gegenüberstellung einer „Internal Authenticity Evaluation Scale" (LAS), mit deren Hilfe das Selbstbild der Individuen vermessen werden soll, und einer „External Authenticity Evaluation Scale" (EAS), mit der dann das ausgemessene Selbstbild mit dem Verhalten des betreffenden Individuums verglichen wird. Eine authentische Person „... is characterized by congruence between what he experiences, what he is aware of and what he communicates by his behavior. He possesses certain features that correspond with behaviors ascribed to the partnership style of communication, espescially the ability to perceive his own and his partner's needs and attitudes adequately." 2 Während die „inauthentische" - zur stärkeren Stigmatisierung noch mit dem Attribut „machiavellistisch" versehene - Person ihre „real beliefs" verbirgt „and thus behaving inauthentically, communicate in a partnership style in situations in which they perceive such activity to be profitable." 3 Die jeweiligen Füllungen der Unterscheidung authentisch/inauthentisch sind beliebig. Das positiv bewertete Verhalten fällt fast immer (Ausnahme Ästhetik, s. u.) unter die Kategorie des Authentischen. 4
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Alfred North Whitehead, Process and Reality. An Essay in Cosmology (1929), corrected edition ed. by David Ray Griffin/Donald W. Sherburne, London und N e w York 1987, 262f (Hervorhebungen im Original). Ähnliche Überlegungen stellt mit Blick auf die zeitgenössische Literatur Andre Gide, Journal 1889-1939, Paris 1951, 913: „10 Fevrier 1929 ... Je crois, de plus, que les sentiments authentiques sont extremement rares et que 1'immense majorite des etres humains se contenent de sentiments de convention, qu'ils imaginent reellement eprouver, mais qu'ils adoptent sans songer un instant ä mettre en doute leur authenticite."
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Urszula Hermanowicz, „Effect of .Authenticity' and Machiavellian attittudes on communication styles", in: Polish Psychological Bulletin, 13/1982, Nr. 1,46. Bezeichnenderweise mißtraut die Autorin ihrer eigenen Terminologie so sehr, daß sie „Authentizität" wenigstens im Titel ihres Aufsatzes nur in Anführungsstrichen setzen kann.
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Ebd. Vgl. zu diesen Meßverfahren positiv: Yvonna S. Lincoln, The Development of Intrinsic Criteria for Authenticity: A Model for Trust in Naturalistic Research, Paper presented at the Annual Meeting of the American Educational Research Association, 1986. Veröff. U. S. Department of Education - Office of Educational Research and Improvement, Washington 1986.
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Selbst die spontane Expression kann dann noch einmal auf ihre Authentizität untersucht werden, bis das gewünschte Ergebnis vorliegt und der richtige normative Hintergrund im authentisch Authentischen aufscheint. Vgl. dazu: Niza Yanay, „Authenticity of self-expression: reinterpretation of
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Die in der Organisationsforschung verbreitete „Leader Authenticity Scale" (LAS) arbeitet nach demselben Muster. Dort wird authentisches Handeln von Führungskräften mit Verantwortungsübernahme, Nicht-Manipulation Untergebener und Dominanz der Person über die soziale Rolle verbunden: „In contrast, the inauthentic leader was viewed as one who,passes the buck', blames others and circumstances for her/his errors, manipulates and uses subordinates, and is engulfed in the bureaucratic role requirements of the position." 1 Das gewünschte Kommunikationsverhalten wird bei den authentischen Individuen als wahrer Ausdruck ihrer Charakterstruktur begriffen, während es bei den inauthentischen Personen als Ausdruck rein instrumenteller Rationalität gilt. Welche Intentionen der Akteure hinter ihrem authentischen Verhalten stehen könnte, kann so gar nicht untersucht werden, weil das Authentische nur vom Inauthentischen unterschieden werden kann. Weitere Differenzierungen sind nicht möglich, und die so verfahrende sozialpsychologische Analyse kommt zu einem frühen Ende. Die Intentionen der authentischen Individuen werden bezeichnenderweise nicht untersucht.2 Authentizität - und das macht einen Teil der Anziehungkraft des Begriffs aus - verweist hier auf ein quasi unreflektiertes, naturwüchsiges Verhalten der Sozialität, des Einfühlungsvermögens etc.. Authentizität verbürgt die Sicherheit, alles sei so, wie es gemeint und artikuliert wird: „Chercher une vie authentique, c'est chercher une existence qui vaille en toute certitude." 3 Demgegenüber haftet dem Inauthentischen etwas Absichtvolles, Kalkuliertes an. Das gezeigte Verhalten steht unter dem Verdacht, in seinem Kern unehrlich, unglaubwürdig zu sein. Die Figur des authentischen Betrügers, der ja geradezu glaubwürdig wirken muß, um erfolgreich sein zu können, kommt hier nicht vor. Die Unterscheidung Authentizität/ Inauthentizität macht viele weitere Zuordnungen liebsamer/unliebsamer personaler und kollektiver Eigenschaften möglich und verweist dabei immer auf einen eigentlichen Kern des Besseren. Zur Sicherheit kommt also noch der Optimismus der möglichen Ver-
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female independence through the writings of Simone de Beauvoir", in: Women's Studies, 17/1990, 219-233. Wayne K. Hoy/James E. Henderson, Principal Authenticity, „School climate, and pupil-control orientation", in: Alberta Journal of Educational Research, 29/1983, Nr. 2, 124; Ders./William Kupersmith, „Principal authenticity and faculty trust: key elements in organizational behavior", in: Planning&Changing, 15/1984, Nr. 2, 80-88. Dazu über die Pädagogik hinausgehend: James Ε. Henderson/Wayne Κ. Hoy, „Leader authenticity: the development of an operational measure", in: Educational and Psychological Research, 3/1983, Nr. 2, 63-75. „Wahr" und „Authentisch" werden in ihren Meßverfahren gleichgesetzt: John R. Hurley/Shirley J. Hurley, „Toward authenticity in measuring self-disclosure", in: Journal of Counseling Psychology, 16/1969, 271-274; Jeannette Bellerose/Guy Begin/Carmen Frenette/Claire De Montigny, „La technique de la reponse aleatoire: un moyen facile de jauger l'authenticite des auto-enrigistrement des sujets", in: Canadian Journal of Behavioural Science/Revue canadienne des Sciences du comportement, 11/1979, 98-103; Grant Wiggins, „Assessment: authenticity, context, and validity", in: Phi Delta Kappa, 75/1993, Nr. 3, 200-208, 210-214. Am selben blinden Fleck laboriert eine Theorie der „rational choice", die das instrumenteile nutzenkalkulierende Verhalten der Individuen für deren „eigentliche" Handlungsdisposition hält. Georges Bastide, „La Notion D'Authenticite", in: Diotima, 9/1981, 135.
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b e s s e r u n g , d e s D u r c h b r u c h s d e s A u t h e n t i s c h e n hinzu. D i e s e Funktionalität d e s B e g r i f f s läßt alle kritischen E i n w ä n d e in den Hintergrund treten. G e g e n d i e F a s z i n a t i o n v o n Sicherheit u n d O p t i m i s m u s k o m m e n A r g u m e n t e nur s c h w e r an. 1 In d i e s e m Verständnis korrespondiert darüberhinaus Authentizität mit der W i l l e n s freiheit der Individuen. Ihr positiv b e w e r t e t e s Verhalten entspringt e i n e m ehrlichen Persönlichkeitskern und f o l g t e b e n nicht ä u ß e r e m Z w a n g , s o z i a l e n K o n v e n t i o n e n oder u n r e f l e k t i e r t e m T r a d i t i o n a l i s m u s . A u c h K o h l b e r g s w e i t rezipierte S t u f e n l e h r e der m o r a l i s c h e n E n t w i c k l u n g v o n Kindern und j u n g e n E r w a c h s e n e n sieht als letzte Stufe der moralischen R e i f u n g die authentische, d. h. freie reflektierte Entscheidung des Individuums vor. 2 A n d i e s e r Schnitt-steile von individueller Freiheit und bestimmten V e r h a l t e n s w e i s e n o p e r i e r e n P s y c h o l o g i e und M e d i z i n , in d e m s i e n a c h d e n w a h r e n A b s i c h t e n und E n t s c h e i d u n g e n der Patienten fragen und dadurch u n l i e b s a m e V e r h a l t e n s w e i s e n d i e s e s Personenkreises als inauthentisch ent-werten k ö n n e n . 3 Folgerichtig ist e s dann, w e n n auch v o m Therapeuten authentisches Ver-halten gefordert wird, da nur d i e s e s auf den Patienten richtig wirke. D i e hier angestrebte Authentizität offenbart der Therapeut d e m Patienten dann in Erzählungen über e i g e n e P r o b l e m e und Krankheiten, in d e r s e l b e n e t h n i s c h e n oder g e s c h l e c h t l i c h e n Z u g e h ö r i g k e i t etc. 4
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Vgl. etwa die relative Folgenlosigkeit von kritischen Beiträgen in dieser Authentizitätsdebatte: Irwin D. Rinder/Donald T. Campbell, „Varieties of inauthenticity", in: Phylon 13/1952, 270-275; Stephen Miller, „The politics of the ,true self'", in: Dissent, 20/1973, 93-98 (Hervorhebungen im Original); Lawrence Vogel, „Critical notes: Charles Taylor's,Ethic of Authenticity'", in: International Journal of Philosophical Studies, 1/1993, 325-335. Lawrence Kohlberg, Essays on Moral Development, Bd. 1, San Francisco 1983. Zur Idee einer Bindung von Authentizität an bestimmte Lebensphasen: David Checkland/Michel Silberfeld, „Competence and the three A's: autonomy, authenticity, and aging", in: Canadian Journal on Aging/ Revue Canadienne Du Vieillisment, 12/1993, Nr. 4., 453-468. Über den engeren Gegenstand hinaus anregend für eine Reflexion über die Authentizität des Willens sind einige Beiträge aus der Psychiatrie: Linda Ganzini/Melinda A. Lee, Authenticity, „Autonomy, and mental disorders", in: Journal of Clinical Ethics (JCE), 4/1993, 58: „Inauthentic choices are choices that are out of character and inconsistent with the past history, values and decision-making style". Aber wann sind dann Veränderungen und Brüche authentisch? Siehe auch: Harold J. Bursztajn/Archie Brodsky, „Authenticity and autonomy in the managed-care era. Forensic psychiatric perspectives", in: JCE, 5/1994,241: „A person may make a decision that is prima facie autonomous but is not authentic, that is, it is not consistent with the person's basic principles or true self, the self that in the midst of suffering may be overwhelmed by despair and fear." An dieser Verbindung von Authentizität und freier Willensentscheidung setzen auch die politischen Implikationen des Begriffs an (siehe dazu Kapitel 3). Vgl. Claire M. Brody, Α Feminist Theory of Psychotherapy Based on Authenticity, Paper presented at the Annual Convention of the American Psychological Association (88th, Montreal, Quebec, Canada, September 1-5, 1980), U. S. Department of Education - Office of Educational Research and Improvement, Washington 1980: „In a,direct' approach to psychotherapy, the therapist generally uses herself as a model and communicates her own values, thereby influencing the gender roles of her clients. In this approach, the therapist is seen as more authentic by the client, especially by clients from diverse cultural and social backgrounds." (1); Florence Kaslow/Bemard Cooper/Myrna Linsenberg, „Family therapist authenticity as a key factor in outcome", in: International Journal of Family Therapy, 1/1979, Nr. 2, 184-199; Jeffrey L. Crabtree, „Improving consumer access to occupational therapy: through mimicry or authenticity?", in: American Journal of Occupational Therapy, 47/1993, Nr. 7, 65 If.
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2.3 Pädagogik D i e s e e n g e V e r b i n d u n g der Attribuierung des A u t h e n t i s c h e n mit individuellen Charaktere i g e n s c h a f t e n u n d V e r h a l t e n s w e i s e n ruft auch d i e P ä d a g o g i k - n i c h t nur in d e n G e s e l l s c h a f t e n d e s „atlantischen" w e s t l i c h e n Projekts der M o d e r n e 1 - auf den Plan, d i e nicht nur den authentischen Charakter als Erziehungsziel ausgibt, 2 sondern darüberhinaus authentische L e r n f o r m e n e n t w i c k e l n will: „An activity is not authentic f o r the person if he cannot i m a g i n e h i m s e l f , or a n y o n e h e identifies with, s p o n t a n e o u s l y or voluntarily e n g a g i n g in it; if he f e e l s that his m o t i v e s are irrelevant to the activity; and that his participation is m o s t l y just to r e m o v e an extrinsic threat, demonstrate his g o o d will, or o t h e r w i s e placate s o m e real or i m a g i n e d superior force." 3 Zur Freiheit der W a h l tritt hier n o c h die Spontaneität als Kriterium der E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t h i n z u und v e r w e i s t auf d i e wahren M o t i v e des Individuums. 4 D i e solipsistischen T e n d e n z e n in d i e s e m K o n z e p t treten deutlich hervor. D a s authentische I n d i v i d u u m m u ß alles aus s i c h heraus erschaffen; 5 ausdrücklich w e r d e n extrinsische Faktoren als inauthentisch z u r ü c k g e w i e s e n . D i e s e r R ü c k z u g auf das m o n a d i s c h e Subjekt produziert in d i e s e n K o n z e p t e n authentischer P ä d a g o g i k g l e i c h w o h l s o z i a l g e w ü n s c h t e s Verhalten, o h n e daß j e d o c h d i e Art der V e r s ö h n u n g von individueller Signatur und A l l g e m e i n h e i t argumentativ herausgearbeitet würde. 6 A l l e r d i n g s f i n d e n sich gerade in s o l c h e n P ä d a g o g i k e n der A u t o n o m i e und
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Detskaia literatura, Mai 1974: M. Bremener, „We need authenticity", in: Soviet Education - A Journal of Translations, 17/1975, Nr. 12, 83-90. Robert Leahy, „Educating for authenticity", in: Counseling and Values, 30/1986, Nr. 2, 175: „Education that has value should aim toward integrating thinking, feeling and acting ... An end of education should be self-educating, in which students learn how to learn, moving them toward autonomy and authenticity." Herbert A. Thelen, „Authenticity, legitimacy and productivity: a study of the tensions among values underlying educational activity", in: Journal of Curriculum Studies, 14/1982, Nr. 1, 33. George S. Holden, „On openness and authenticity", in: The School Counselor, 17/1969, Nr. 1, 9: „Finally, authenticity involves spontaneity... When our behavior is calculated, it is not likely to be authentic." Michael Bonnett, „Authenticity and education", in: Journal of Philosophy of Education, 12/1978,57: „... thought and action is authentic to the extent that it is motivated by the constituting self. It is inauthentic to the extent that it is in conflict with (including obtrusively irrelevant to) the constituting self. It is non-authentic to the extent that it is a matter of indifference to the constituting self as, for example, when (a) it is relatively trivial, or (b) the constituting self has been so weakened that it ceases to function in relation to the important areas of thought and action..." (Hervorhebungen im Original). Die Unterscheidung zwischen Authentizität/Inauthentizität und Nicht-Authentizität hat sich nicht durchgesetzt, weil die Nicht-Authentizität letztlich doch auf pathologische Störungen hindeutet und damit unter Inauthentizität fällt. Gerade die Dichotomie macht ja klare Unterscheidungen möglich. Zur Kritik an diesem Ansatz der monologischen Selbsterschaffung ohne Reflexion der Sozialität des Menschen siehe: Paul Crowther, „Autonomy and authenticity: a prelude to educational hermeneutics", in: Educational Philosophy and Theory, 13/1981, 15-22. Vgl. Michael Bonnett, „Personal authenticity and public standards: towards the transcendence of a dualism", in: David E. Cooper (Hrsg.), Education, Values and Mind. Essays for R. S. Peters, London 1986, 111-133.
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Authentizität immer wieder Hinweise auf die Notwendigkeit der behutsamen Anleitung zur Selbstbestimmung. Experten für Authentizität sollen zu eben dieser erziehen: „The learning process is characterized by undertaking authentic activities guided by expert practitioners situated in a culture of practice." 1 Der authentische Pädagoge schafft es dann auch ohne Probleme, seine berufliche Rolle so authentisch anzulegen, daß der wahre Mensch dahinter sichtbar wird. Pädagogen können deshalb zur Authentizität erziehen, weil die besseren von ihnen schon selbst den Durchbruch zum Eigentlichen ihrer Individualität geschafft haben. 2
2.4 Philosophie Neben diesen hier skizzierten psychologischen und pädagogischen Debatten hat sich auch ein philosophischer Authentizitätsdiskurs entwickelt. Da sich insbesondere im Rahmen existentialistischen Philosophierens vielfältige politische Bedeutungen entwickelt haben, wird diesem ein eigenes Kapitel gewidmet (Kapitel 4.3.). Gleichwohl ist es notwendig, schon an dieser Stelle auf einige Aspekte philosophischer Füllungen des Begriffs näher einzugehen, weil einige normative Aspekte des Authentischen aus diesem philosophischen Diskurs heraus entwickelt wurden und die Semantik anderer Disziplinen (etwa Ethnologie, Psychologie) nachhaltig beeinflußten, aber von diesen wiederum auch selbst begriffliche Anleihen aufnahmen. In dieser Begriffsgeschichte setzt Heideggers Sein und Zeit einen Markstein. 3 Zwar arbeitet er dort im Rahmen seiner Daseinsanalyse mit der Unterscheidung Eigentlichkeit/ Uneigentlickeit, aber die semantische Nähe zu Authentizität/Inauthentizität ist groß. Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn man in die Übersetzungen des Heideggerschen Textes blickt; durchgängig wird „Eigentlichkeit" mit „Authenticity, Authenticite, Autenticitä, Autenticidad" übersetzt. 4 Mit der Semantik Heideggers erhält die Rede von Authentizität/ Inauthentizität eine besondere kulturkritische Bedeutung im Sinne eines geglückten/ verfehlten Lebens. Schon vor Heidegger sind die Existenzweisen von Individuen mit der Unterscheidung eigentliches Wesen/uneigentliche Erscheinung beschrieben worden (siehe dazu Kapitel 4. 1.). Auch der links-hegelianische, marxistische Entfremdungsdiskurs ist analog dieser Unterscheidung formuliert (siehe zu solchen marxistischen Authentizitätsdiskussionen Kapitel 4. 2.). Aber erst durch Heidegger wird daraus eine von konkreten
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Stephen Billett, „Searching for authenticity: a socio-cultural perspective of vocational skill development," in: Vocational Aspect of Education, 46/1994, Nr. 1, 13. Diese Erziehung zur Authentizität wird dann in Anleitungen bis hin zum richtigen Tafelbild umgesetzt. Vgl. Gary Hunter, „Existentialism: practical classroom applications", in: Educational Forum, 57/1993, Nr. 2, 191-196.
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Margret Buchmann, „Role over person: morality and authenticity in teaching", in: Teachers College Record, 87/1986, Nr. 4, 529-543. Martin Heidegger, Sein und Zeit (1927), im weiteren Verlauf der Studie zitiert nach der 16. Auflage, Tübingen 1986. Enciclopedia Filosofica, Bd. 1, 627, Rom 1967; Being and Time, translated by John Macquarrie/ Edward Robinson, London 1962.
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gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen relativ unabhängige Grundkonstante der Lebensweise des modernen Menschen überhaupt gemacht. 1 Im Authentizitätsdiskurs popularisiert und politisiert Sartre schließlich diese Rede von Eigentlichkeit/Uneigentlichkeit der menschlichen Existenz. Sein 1945 erschienener Essay Portrait de l'antisemite, der in den folgenden Jahren als Reflexions sur la question juive wiederaufgelegt und schnell auch im anglo-amerikanischen Sprachraum Verbreitung findet, 2 bildet den Ausgangspunkt einer bis weit in andere Disziplinen wie Ethnologie und Soziologie ausstrahlenden Debatte über Authentizität: „Si Ton convient avec nous que l'homme est une liberie en situation, on concevra facilement que cette liberte puisse se definir comme authentique ou comme inauthentique, selon le choix qu'elle fait d'ellememe dans la situation oü eile surgit. L'authenticite, cela va de soi, consiste ä prendre une conscience lucide et veridique de la situation, ä assumer les responsabilites et les risques que cette situation comporte, ä la revendiquer dans la fierte ou dans l'humiliation, parfois dans l'horreur et la haine. II n'est pas douteux que l'authenticite demande beaucoup de courage et plus que du courage. Aussi ne s'etonnera-t-on pas que l'inauthenticite soit la plus repandue ... Le Juif n'echappe pas ä cette regie: l'authenticite, pour lui, cest de vivre jusqu'au bout sa condition de Juif, l'inauthenticite de la nier ou de tenter de l'esquiver. Et l'inauthenticite est sans doute plus tentante pour lui que pour les autres hommes parce que la situation qu'il a ä revendiquer et ä vivre est tout simplement celle de martyr... Pourtant, c'est en s'inspirant de certaines conduites des Juifs inauthentiques que Γ antisemite a forge sa mythologie du Juif en general. Ce qui les caracterise en effet, c'est qu'ils vivent leur situation en la fuyant, ils ont choisi de la nier, ou de nier leur responsabilite ou de nier leur delaissement qui leur paraissait intolerable. Cela ne signifie pas necessairement qu'ils veuillent detruire le concept de Juif ou qu'ils nient explicitement l'existence d'une realite juive. Mais leurs gestes, leurs sentiments et leurs actes visent sourdement ä detruire cette realite. En un mot, les Juifs inauthentiques sont des hommes que les autres hommes tiennent pour Juifs et qui ont choisi de fuir devant cette situation insupportable." 3 Authentizität entsteht hier, wenn das Individuum sein gesellschaftliches Stigma trägt, sich zu seiner „Geworfenheit" (Heidegger) bekennt und keine Versuche unternimmt, seine Identität zu verleugnen. Das authentische Individuum trägt sein Schicksal, entscheidet sich für es als die eigentliche Bestimmung seines Wesens. Demgegenüber sind alle Anstrengungen, diesem Schicksal zu entgehen, Manifestationen des falschen Scheins, eben der Inauthentizität. In dieser Unterscheidung von authentischem Wesen und inauthentischer Erscheinung wird davon ausgegangen, daß „... man's true nature is concealed in an inner spirituality only imperfectly manifested or perhaps not manifested at all in his observable behaviour." 4 Die Frage bleibt offen, wie Aussagen über bestimmte Eigenschaften gemacht werden können, wenn diese nicht beobachtbar sind. Folgerichtig erhebt sich gegen solche
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Wobei Vordenker wie Kierkegaard oder Nietzsche hier nicht vergessen werden sollen. Siehe zu diesem existentialistischen Diskurs: Jacob Golomb, In Searchfor Authenticity - From Kierkegaard to Camus, London und New York 1995. Unter dem Titel: Anti-Semite and Jew, New York 1948. Jean-Paul Sartre, Reflexion sur la question juive, Paris 1954, 1 lOf, 113f. Robert G. Olson, „Authenticity, metaphysics and moral responsbility", in: Philosophy - The Journal of the Royal Institute of Philosophy, 34/1959, Nr. 129, 99.
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Authentizitätsbestimmungen der Verdacht, es handele sich hier um Metaphysik. Doch diese kritische Reflexion hat der Wirkung von Sartres Überlegungen wenig anhaben können, bildet doch der Bezug auf ein aktuell verhülltes Wesen der Individuen und gesellschaftlichen Zustände das Fundament für eine Kritik am Beobachtbaren und für eine Normierung des zukünftig zu erwartenden Besseren. Das authentische „Wesen" verbürgt mehr Stabilität als die bloße „Erscheinung". 1 Verbleibt Sartre dabei zunächst noch auf der Ebene personaler Zuschreibung, so verbindet sich in Adornos zwischen 1940 und 1948 geschriebener Philosophie der neuen Musik die Kritik an den Werken Schönbergs und Strawinskys mit gesellschaftlicher Analyse. Das angestrebte Ideal der Realisierung des authentischen Subjekts ist bei Adorno aufgrund der umfassenden „Kollektivierung" moderner Gesellschaften in sich selber Ausdruck der scheinbaren Unverletzlichkeit des Subjekts, das längst in der Masse untergegangen ist: „Kulturkritik setzt einige Substantialität von Kultur voraus; sie gedeiht in deren Schutz und empfängt von ihr das Recht rücksichtsloser Aussprache als ein selber Geistiges, auch wenn sie schließlich gegen den Geist sich kehrt. Das Menschenopfer, in dem die heraufziehende Übergewalt des Kollektivs sich anmeldet, wird beschworen aus dem Ungenügen des individualistischen Zustandes an sich selber, und gerade die wilde Darstellung des Wilden befriedigt nicht bloß, wie der Philister ihr vorhält, das romantischzivilisatorische Reizbedürfnis, sondern auch die Sehnsucht nach dem Ende des gesellschaftlichen Scheins, den Drang zur Wahrheit unterhalb der bürgerlichen Vermittlungen und Maskierungen von Gewalt." 2 In der inauthentischen Gesellschaft kann es danach keine authentische Repräsentation unversehrter Individualität geben. Das Authentische ist auch nur das Scheinhafte. Gleichwohl gibt Adorno trotz dieser Skepsis den Begriff des Authentischen zur Beschreibung besserer gesellschaftlicher Verhältnisse nicht auf. Noch in seiner Ablehnung des Begriffs tritt eine bestimmte, positiv konnotierte Authentizitätsvorstellung hervor: „Ästhetische Authentizität ist gesellschaftlich notwendiger Schein: kein Kunstwerk kann in einer auf Macht gegründeten Gesellschaft gedeihen, ohne auf die eigene Macht zu pochen, aber damit gerät es in Konflikt mit seiner Wahrheit, mit der Statthalterschaft für eine kommende Gesellschaft, die Macht nicht mehr kennt und ihrer nicht mehr bedarf... Vielleicht wäre authentisch erst die Kunst, die der Idee von Authentizität selber, des so und nicht anders Seins, sich entledigt hätte." 3 Die Utopie der machtfreien Vergesellschaftung produziert ihre eigene Authentizität, die aber ihre Nähe zum Echtheitsversprechen durch Autorisierung verloren hat. Deutlich scheinen hier Gedanken auf, die später von Adorno in der Negativen Dialektik formuliert werden, insbesondere korrespondiert die Idee der authentischen Authentizitätsfreiheit mit der dort vorgenommenen fundamentalen Kritik am „identifizierenden Denken", das ja ebenfalls Machtverhältnisse konstituiert. Über die hier
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Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, 5. Auflage, Wiesbaden 1985, 31 greift diesen Gedanken auf und spricht von „eigenauthentischen Handlungen", in denen die Zweckrationalität von Handlungen überstiegen wird und welche einen Eigensinn, eine „Selbstwertsättigung" erhalten haben. Solche eigenauthentischen Handlungen sind für Gehlen anthropologische Grundmechanismen der Stabilisierung des Individuums und quasi Vorformen sozialer Institutionalisierungen.
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Theodor W. Adorno, Philosophie Ebd., 196.
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der neueb Musik (1949), 6. Auflage, Frankfurt/M. 1991, S.136f.
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auftretenden Aporien und politischen Implikationen von Adornos Kritik am „Jargon der Eigentlichkeit" wird in Kapitel 4. 3. 4. ausführlich eingegangen. Auch in der Gesellschaftskritik Herbert Marcuses findet sich die Kategorie des „authentischen Kunstwerks". Im Rahmen seiner 1965 entstandenen Abhandlung über Repressive Toleranz spricht er davon, daß das „... authentische Kunstwerk keine Stütze der Unterdrückung ist und sein kann, und Pseudokunst (die eine solche Stütze sein kann) ist keine Kunst." 1 Die Kunst steigt zur Bewahrerin von Authentizität auf, wobei die ästhetische Kategorie gleichzeitig auf die moralische Verbesserung weist. Zwar gibt es für Marcuse Fälle, „... in denen ein authentisches Werk eine rückschrittliche politische Aussage enthält - das gilt von Dostojewskij. Dann aber wird die Aussage durch das Werk selbst widerrufen: der rückschrittliche politische Inhalt wird absorbiert, aufgehoben in der künstlerischen Form: im Werk als Literatur." 2 Diese Verbindung von Authentizität-Moral-Fortschritt gilt es offensichtlich gegen Dementierungen zu verteidigen. So repräsentiert das politisch falsche ästhetische Zeugnis nur vordergründig das authentische Werk. Während der Inhalt als Schein kritisiert werden kann, bahnt sich die Authentizität in der wesenhaften Form unbeschädigt einen Weg an die Oberfläche der Kunst.
2.5 Ethnologie Diese Ausweitung der Authentizitäts-Semantik auf soziale Verhältnisse geht neben dem Existentialismus und Kritischer Theorie/Frankfurter Schule auf die strukturalistische Anthropologie/Ethnologie zurück. Beispielhaft kann Levi-Strauss zitiert werden, der im ersten Band seiner Anthropologie structurale unter der Überschrift „Le Critere de L'Authenticite" bemerkt: „Or, ä cet egard, ce sont les societes de l'homme moderne qui devraient plutöt etre definies par une caractere privatif. Nos relations avec autrui ne sont plus, que de fagon occasionnelle et fragmentaire, fondees sur cette experience globale, cette apprehension concrete d'un sujet par un autre."3 Moderne Gesellschaften leiden danach an einem Mangel unverstellter face-to-face Kommunikation. Authentizität steht hier für eine umfassende Erfahrung von zwischenmenschlicher Verständigung jenseits systemisch verkürzender Kommunikationsmedien. 4 Diese traditionelle Form des sozialen Austausches findet sich zwar auch noch in funktionierenden dörflichen Strukturen der hoch entwickelten Industriegesellschaften, steht aber letztlich auf verlorenem Posten. „Certes, les societes modernes sont pas integralement inauthentiques...", schreibt Levi-Strauss, und es sei sogar möglich, unterschiedliche „Niveux d'authenticite" festzustellen, doch insgesamt verlören
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Herbert Marcuse, Repressive Toleranz, in: Ders., Schriften, Bd. 8, Frankfurt/M. 1984, 141. Ebd., 142 (Hervorhebung im Original). Claude Levi-Strauss, Anthropologie structurale, Paris 1958,400. Levi-Strauss bezieht sich an einigen Stellen seiner Arbeit auf Sartre. Allerdings gibt es keine Hinweise auf eine direkte Übernahme von Sartres Authentizitätsbegriff. Vgl. Hanno Hardt, „Authenticity, communication, and Critical Theory", in: Critical Studies in Mass Communication (CSMC), 10/1993, 49-69.
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die Verständigungsbemühungen der Individuen in der Moderne ihre authentischen Eigenschaften. 1 Levi-Strauss hält die Entdeckung des Authentischen als den zentralen Grundmodus menschlicher Verständigung für den bedeutendsten Beitrag der Anthropologie zu den Sozialwissenschaften: „L'avenir jugera sans doute que la plus importante contribution de I'anthropologic aux sciences sociales est d'avoir introduit (d'ailleurs inconsciemment) cette distinction capitale entre deux modalites d'existence sociale: un genre de vie pergu ä l'origine comme traditionnel et archaique, qui est avant tout celui des societes authentiques; et des forms d'apparition plus recente, dont le premier type n'est certainement pas absent, mais ou des groupes imparfaitement et incompletement authentiques se trouvent organises au sein d'un systeme plus vaste, lui-meme frappe d'inauthenticite." 2 Die Authentizität von bestimmten vor-modernen Kommunikationsprozessen gibt hier die Folie für eine umfassende Kritik der Moderne ab. Dem Authentischen haftet dabei etwas Idyllisches an, und mit der Übertragung der Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch auf gesellschaftliche Verhältnisse legt der französiche Anthropologe die Grundlinien für eine soziologische und politikwissenschaftliche Instrumentalisierung des Begriffs. Allerdings sind diese Definitionen des Authentischen gerade auch in Anthropologie und Ethnologie nicht unwidersprochen geblieben.
2.6 Das Problem der ontologischen Differenz Die Authentizitäts-Konzepte, die bisher vorgestellt wurden, haben alle an der Schnittstelle einer objektiven Wirklichkeit und ihrer falschen oder richtigen Repräsentation operiert. Je nachdem, ob eine Übereinstimmung zwischen Wesen und Erscheinung gegeben ist, wird die Zuschreibung Authentisch/Inauthentisch benutzt. Ein solches Vorgehen setzt die Lösung des epistemologischen Problems voraus, zu gesicherten, objektiven Aussagen über das Wesen, den wirklichen Kern, die Substanz etc. von Dingen und Personen zu kommen. Diese erkenntistheoretische Fragestellung ist in den bislang dargestellten Operationalisierungen der Kategorie des Authentischen nicht bearbeitet worden. Vielmehr haben die jeweiligen Unterscheider von Authentizität/Inauthentizität ihren Zugriff auf die Wirklichkeit als quasi selbstverständlich angesehen und keine weiteren Gründe für die Richtigkeit ihrer jeweiligen Weltsicht mobilisiert. Doch ein derartiges Vorgehen läßt im Wortsinne viele Fragen offen, beispielsweise die nach der Grundlage der Unterscheidung Authentizität/Inauthentizität. Nun ist gerade in solchen Disziplinen, in denen es auch immer um die Konstruktion von Wirklichkeit geht (wie Ästhetik und Literaturwissenschaft) schon immer verstärkt nach unabweisbaren Kennzeichen des Authentischen gefahndet worden. Hat man dabei lange an der Vorstellung festgehalten, in den zu untersuchenden Kunstwerken auf eine inhaltliche oder formale authentische Substanz zu stoßen, so ist dieser Vermessungs-
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Levi-Strauss, Anthropologie, Ebd., 402f.
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Zum Begriff der Authentizität
Optimismus i m L a u f e der Zeit d o c h stark getrübt worden. 1 G e r a d e d i e D e b a t t e über das Verhältnis v o n F ä l s c h u n g und Authentizität in der b i l d e n d e n K u n s t hat d i e s e s Vertrauen in d i e M ö g l i c h k e i t e n der Identifizierung d e s A u t h e n t i s c h e n stark erschüttert. 2 S e l b s t in e i n e m B e r e i c h w i e der M u s i k , für den lange v o n e i n e m durch d i e N o t a t i o n der U r h e b e r sicher überlieferten Korpus an authentischen W e r k e n a u s g e g a n g e n w o r d e n ist, rückt in letzter Zeit die quellenkritische Frage nach der Tradierung v o n M u s i k , d e m j e w e i l i g e n Stand d e s I n s t r u m e n t e n b a u s , der A u f f ü h r u n g s p r a x i s u s w . in d e n M i t t e l p u n k t der D i s k u s s i o n . 3 A b e r auch der g e n a u e N a c h b a u früher verwendeter Instrumente, der Verzicht auf N e u e r u n g e n w i e das Klavier-Pedal, die S u c h e nach d e m Urtext der K o m p o s i t i o n etc. h a b e n d i e Authentizität nicht rekonstruieren k ö n n e n . 4 Z u m a l durch d i e s e A n s t r e n g u n g e n z w a r d i e R e p r o d u k t i o n s b e d i n g u n g e n nachgestellt w e r d e n k ö n n e n , d i e aber über d i e Rezeption, die g e s e l l s c h a f t l i c h e n B e d e u t u n g s z u s c h r e i b u n g e n b e i m H ö r e n der Musik, b e i m Betrachten des B i l d e s u s w . nichts aussagen. D o c h gerade d i e s e s o z i a l konstruierten S i n n z u w e i s u n g e n sind für d i e Beurteilung e i n e s K u n s t w e r k s e n t s c h e i d e n d u n d w a n d e l n sich. Z w a r hat etwa B r u c e B a u g h in Ü b e r n a h m e der Authentizitätsdefinition Sartres versucht, an der essentiellen Unterscheidung Authentizität/Inauthentizität festzuhalten, aber auch bei s e i n e m V e r z i c h t auf traditionelle Fragen nach Form, Tradition, U r t e x t etc. e n t g e h t er d e m P r o b l e m der B e s t i m m u n g des o n t o l o g i s c h e n Status' seiner U n t e r s c h e i d u n g nicht: „ T h e
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Im ausgehenden 19. Jahrhundert machte Giovanni Morelli den Versuch, durch Systematisierung der kleinsten und bis dahin für zufällig und nebensächlich gehaltenen Details wie Form der abgebildeten Ohrläppchen, Finger, Nasenflügel usw. bestimmte Gemälde bestimmten Malern zweifelsfrei zuzuordnen. Diese Vermessungsarbeit markiert den Höhepunkt eines aufklärerischen Vertrauens in die vollständige Entzifferbarkeit der Welt, das neben der Ästhetik vor allem Medizin und Kriminologie prägte. Vgl. dazu Wilfried von Bredow/Thomas Noetzel, Zombies. Politische Theorie für das 19. Jahrhundert, Dritter Teil, Münster 1996, 16-28. Hierbei geht es nicht um die Frage der Unterscheidung von Original und Fälschung, sondern um die authentische Produktion von Fälschern wie van Meegeren oder Kujau. Vgl. dazu Crispin Sartwell, „Aesthetics of the spurious", in: British Journal of Aesthetics (BJA), 28/1988, Nr. 4,360-367; Gregory Currie, „The Authentic and the aesthetic", in: American Philosophical Quarterly, 22/1985, Nr. 2, 153-160, der darauf hinweist, daß etwa bei der Rezeption von Literatur gar nicht zwischen dem Original und seinen Kopien unterschieden wird. Die Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch muß also anders operationalisiert werden. Dazu: William E. Kennick, „Art and inauthenticity", in: JAAC, 44/1985, 3-13, der diese Differenz nicht mehr ästhetisch definiert, sondern in die Art der Rezeption verlegt. Dazu: Ian MacKenzie, „Gadamer's hermeneutics and the uses of forgery", in: JAAC, 35/1986, Nr. 1,41-49. Vgl. R. A. Sharpe, „Authenticity again", in: BJA, 31/Nr. 2, 163-166, der zwischen „authentic performance" und „authentic reception" unterscheidet. Siehe zu diesen Auseinandersetzungen über die authentische Musik: Raymond Leppard, Authenticity in Music, London 1988, Peter LeHuray (Ed.), Authenticity in Performance. Eighteenth-Century Case Studies, Cambridge 1990. Letztlich herrscht weiterhin Beliebigkeit in der Definition des Authentischen. Vgl. als symptomatisch Michael Kramer, Authentisches Theater - Teater der sozialen Prozesse. Mit 52 Schauspieler-Übungen und szenischen Beispielen, Offenbach/M. 1989, 11: „Authentisches Theater ist Spielen mit der Wirklichkeit: ursprüngliches Theater, Natur und Menschen erleben, soziale Formen erleben, Feiern und Andacht, heiliges Theater, Ritual und Zeremonie. Theater des Neonaturalismus, Theater der Subkulturen, verdichtete Realität".
Das Problem der ontologischen Differenz
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authentic work is what it appears to be, while the inauthentic work, whether simply derivative or an outright forgery, is not." 1 Denn hier schließt sich notwendigerweise die Frage nach dem „Sein" des Kunstwerks an. Weitere Hinweise, mit denen dieser Wesenskern beschrieben werden soll, das Kunstwerk müsse sich dem Alltagsverständnis entziehen, Unruhe und psychische Dissonanzen auslösen und neue Existenzweisen der Welt offenbaren, führen nicht weiter, weil sie immer die Erforschung nötig machen, ob nun „wirklich" das Kunstwerk verstört, den Alltag transzendiert, seine Möglichkeiten ausschöpft.2 Auch Hinweise, im architektonischen Bezug auf Baufunktion und Baumaterialien könnte eine empirische, unabweisbare Basis für die Scheidung des Authentischen vom Inauthentischen liegen, führen nicht weiter.3 Die technologischen Möglichkeiten, Realität zu erzeugen (Cyberspace, Virtual Reality), verschärfen das ontologische Problem noch. Ob allerdings mit dieser Auflösung der Grenzen zwischen Real/Irreal der Diskurs der Authentizität beendet ist, wie einige Theoretiker der Virtuellen Realität meinen, ist zweifelhaft, denn die Unterscheidung zwischen Authentisch/Inauthentisch operiert letztlich mit gesellschaftlichen und politischen Zuschreibungen und eben nicht mit Sinnesdaten, die sich an bestimmten Objekten festmachen.4 Wenn man so will, ist Authentizität immer eine Illusion.5 Aber auch diese Feststellung löst das Problem der Bestimmung der ontologischen Differenz nicht, denn man müßte jetzt wieder eine Unterscheidung zu „Illusion" einführen und käme dann wohl zwangsläufig auf einen Begriff von „Wirklichkeit". Gerade in neueren Arbeiten postmoderner Philosophen wie Baudrillard oder E c o findet eine solche Umkehrung statt, in der schließlich die Kopie, die Simulation zum Authentischen wird. Ob das aus dem Dilemma der ontologischen Kategorialisierung herausführt und die politische
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Bruce Baugh, „Authenticity revisited", in: JAAC, 46/1988, Nr. 4, 477. Ebd., 481 f. Die Funktion der Versicherung bestimmter Sachverhalte, Eigenschaften von Dingen und Personen, sozialer und politischer Zustände steht im Mittelpunkt des Wortgebrauchs von Authentizität. Gerade im Diskurs über postmoderne Architektur und deren vermeintlichen Eklektizismus und Relativismus wird architektonische Authentizität ins Spiel gebracht. Peter Blundell Jones, „In search for authenticity. Part 4. Politics of post-modern despair", in: Architect's Journal (AJ), 15. 1. 1992, 32: „... Architecture is founded in use and construction,... its authenticity rests mainly on response to these two issues of its being... In their formal and spatial organisation, buildings make hints about how they might be used, and encourage certain kinds of use... Such self-evidence we call authenticity." Das eigene Urteil erhält eine Autorisierung durch die Sache selbst. Derjenige, der Authentizität/Inauthentizität unterscheidet, operiert quasi im Auftrag des Objekts und kann sich so gegen Kritik (um beim Beispiel zu bleiben: etwa in Form der Frage nach den eigenen architektonischen Maßstäben) immunisieren. Vgl. Ders., „Swiss authenticity", in: Architectual Review (AR), 188/1990, 36: „.Self-evident' housing in Basle seeks a quality of life, simple, honest, which welcomes homecoming." Vgl. zu dieser Debatte mit vielen Beispielen: Gavin Hogben, „Clean slates", in: AR, 185/1989, 22-85
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Steven Jones, „A sense of space: virtual reality, authenticity and the aural", in: CSMC, 1 0 / 1 9 9 3 , 2 4 9 : „This physiological dimension lets V R (Virtual Reality, TN) elide the discourse of authenticity, for it is implicit in the technology that one and all will attend to and perceive the constructed reality the same way. Put another way, virtual space is authentic in its very constructedness...". Auch Jones geht damit in die Falle der essentialistischen Ansprüche des Authentischen.
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So David Lowenthal, „Forging the past", in: Apollo - The International Magazine of the Arts, 131/ 1 9 9 0 , 1 5 7 : „Authentic is as authentic does: a chase after the will-o' the wisps of,genuine' and ,fake"' (152, Hervorhebungen im Orignal).
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Zum Begriff der Authentizität
Bedeutung solcher Simulationstheorien wird in Kapitel 5 untersucht. Mit Blick auf den Kauf von Kunstgegenständen durch Touristen in Ländern der sog. Dritten Welt hat ein zeitgenössischer Ethnologe festgestellt: „According to the reigning idea of authenticity only those artefacts from small-scale societies which are made to serve some ritual or other traditional purpose within the society may be classified as art."1 Nicht die Objekte oder die Intentionen ihrer Erzeuger, sondern die Einstellung der Touristen produzieren hier Authentizität. So gelten alle für den Verkauf gefertigten Alltagsgegenstände der jeweiligen Kultur im Vergleich mit den Töpfen, Masken, Zeichnungen etc., die als Gebrauchsgegenstände innerhalb der Kultur angefertigt worden sind, als weniger authentisch. Zum Verkauf angebotene Masken tragen deshalb beispielsweise oft den Zusatz „has been danced". 2 Authentizität verbindet sich hier mit einer scheinbaren Intentionslosigkeit der Kunsthandwerker, die eben nicht für den Tourismusmarkt produzieren, sondern einfache Gegenstände für ihre eigene Gemeinschaft herstellen. Die Kategorie der Zweckfreiheit, des Unökonomischen, Nicht-Instrumentellen hält aber einer kritischen Überprüfung nicht stand, weil jede kunsthandwerkliche oder andere Produktion intentional und zweckorientiert erfolgt. Eine Herstellung jenseits instrumenteller Rationalität gibt es nicht. Auch die als „wirklicher" Gebrauchsgegenstand gefertigte Tonschüssel muß bestimmte Eigenschaften haben, die ihren Produktionsprozeß bestimmen. Die für das Ritual angefertigte Maske muß bestimmten Anforderungen genügen etc. Gleichwohl verbindet sich mit der Zuschreibung des Authentischen eine Aura des Reinen, Zweckfreien. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, daß Authentizität „... a cultural construct of the modern Western world (is)... Our search for authentic cultural experience - for the unspoiled, prestine, genuine, untouched and traditional - says more about us than about others." 3 Das Authentische wird nicht entdeckt, sondern gemacht. Das „real thing" ist soziales Produkt. 4 Solchen Konstruktionsweisen sind neben (über Levi-Strauss hinausgekommene)
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Larry Shiner, „.Primitive fakes', .tourist art', and the ideology of authenticity, in: JAAC, 52/1994, Nr. 2, 226 (Hervorhebungen im Orignal). Ebd. Dazu auch: Richard Handler/Jocelyn Linnekin, „Tradition, genuine or spurious", in: Journal of American Folklore, 97/1984, 273-290. Richard Handler, „Authenticity", in: Anthropology Today, 2/1986, Nr. 1,2. Dies ist aber nicht nur eine Konstruktion des „Westens": Adolf Ehrentraut, „Heritage authenticity and domestic tourism in Japan", in: Annals of Tourism Research ( A T R ) , 20/1993, Nr. 2, 262-278. Vgl. Miles Orvell, The Real Thing. Imitation and Authenticity in American Culture, 1860-1940, 2. Auflage, London 1992. Zur Kritik: Jackson Lears, „Reality in America, cont'd.", in: N e w Republic 201/1989, 34-38.
Das Problem der ontologischen Differenz
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Ethnologen 1 (insbesondere mit dem Schwerpunkt Tourismusforschung) 2 auch Literaturund Medienwissenschaftler auf der Spur.3 Fiktionalität und Authentizität werden in diesen neueren Ansätzen „... nicht als dichotomische Begriffe gebraucht, die auf einer Unterscheidung nach ontologischen Kriterien basieren. Das Differenzkriterium beruht vielmehr auf einem deskriptiv orientierten Klassifikationsschema, dem eine kommunikationstheoretisch ausgerichtete, funktionalistische Konzeption der beiden Begriffe zugrunde liegt. Die Trennung der beiden Kategorien basiert demnach auf dem jeweils unterschiedlichen Mitteilungsverhältnis." 4 Damit öffnet sich dem Sozialwissenschaftler der Raum zur Analyse, denn gesellschaftlich bedeutet diese Verlagerung der Frage nach der Unterscheidung von Authentizität/ Inauthentizität die Untersuchung von Dezisionen und d. h. von Machtverhältnissen. In einer Untersuchung des „authentischen" Nachbaus einer kleinen Siedlung, in der Abraham Lincoln vor seiner politischen Karriere kurzzeitig lebte, die heute pro Jahr viele Tausend Besucher anzieht, hat Edward M. Bruner dieses Authentizitäts-Verständnis auf den Begriff gebracht: „No longer is authenticity a property inherent in an object, forever fixed in time; it is seen as a struggle, a social process, in which competing interests argue for their own interpretation of history. Culture is seen as contested, emergent, and constructed, and agency and desire become a part of the discourse. When actors use the term authenticity, ethnographers may then ask what segment of society has raised a doubt, what is no longer taken for granted, what are the societal struggles, and what are the cultural issues at work."5 Authentizität als Gegenstand einer politikwissenschaftlichen Analyse muß mit Hilfe und durch die Rekonstruktion der Zeichen und Formen dieser sozialen Produktion von
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Ein guter Überblick über die ethnologische Debatte: Madeline M. Maxwell, „The authenticity of ethnographic research", in: Journal of Childhood Communication Disorders, 13/1990, Nr. 1, 1-12; Hans Peter Duerr (Hrsg.), Authentizität und Betrug in der Ethnographie, Frankfurt/M. 1987, hält an der ontologischen Differenz fest. Warum sollte Betrug notwendig inauthentisch sein? Regina Bendix, „Diverging paths in the scientific search for authenticity", in: Journal of Folklore Research, 29/1992, Nr. 2,104, hält „Authentizität" schon für eines jener „plastic words", die so viele Bedeutungen haben, daß sie nichts mehr bedeuten. Das ist aber nicht sozialwissenschaftlich gedacht und erklärt nicht die Funktionen der Begriffsverwendung.
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Dean MacCannell, „Staged authenticity: arrangments of social space in tourist settings", in: AJS, 79/ 1973, Nr. 3, 580-603; Erik Cohen, „Authenticity and commoditization in tourism", in: ATR, 15/1988, Nr. 3, 371-386; Ira Silver, „Marketing authenticity in Third World countries", in: ATR, 20/1993, Nr. 2, 302-318. Vgl. zur Dekonstruktion eines Mythos' der amerikanischen Revolution: Judy Hample, „The textual and cultural authenticity of Patrick Henry's .Liberty or Death' speech", in: Quarterly Journal of Speech, 63/1977,299-310. Henrys Rede ist gar nicht überliefert worden, was den Authentizitätsansprüchen nichts anhaben kann. Dazu auch: Howard Lee Nostrand, „Authentic texts and cultural authenticity: an editorial", in: The Modern Language Journal, 73/1989, Nr. 1, 48-52. Zu den rhetorischen Konstruktionstechniken: Annette C. Anton, Authentizität als Fiktion. Brießcultur im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995.
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Ludwig Bauer, Authentizität, Mimesis, Fiktion. Fernsehunterhaltung und Integration von Realität am Beispiel des Kriminalsujets, München 1992 35f. Edward M. Bruner, „Abraham Lincoln as authentic reproduction: a critique of postmodernism", in: American Anthropologist (AA), 96/1994, Nr. 2, 408: Jocelyn Linnekin, „Cultural invention and the dilemma of authenticity", in: AA, 93/1991, Nr. 2, 446-449.
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Zum Begriff der Authentizität
Authentizität die in diesem Diskurs sich manifestierenden normativen Strukturen aufzeigen. Blickt man allerdings auf die schon vorliegenden Arbeiten zur Unterscheidung Authentizität/Inauthentizität, dann fällt auf, daß ein solcher „linguistic turn", eine Analyse der Zeichen, Symbole, Texte und Ikonographien der Unterscheidungsverhältnisse nur am Rand stattgefunden hat. 1 Vielmehr überwiegt die Parteinahme für eine bestimmte substantielle Füllung des Begriffs und damit ein Verharren im Dilemma der Entscheidung für eine Seite in der ontologischen Differenz von Authentizität/Inauthentizität.
2.7 Soziologie Insbesondere in Anknüpfung an Sartres Anti-Semite and Jew entwickelt sich in der amerikanischen Soziologie eine Debatte über die Verbindung von personaler Identität und sozialer Zugehörigkeit. Anatole Broyard überträgt dabei die von Sartre entwickelten Kategorien auf die Position der afro-amerikanischen Minderheit: „In fact, one can say that, in many cases the inauthentic Negro almost entirely occupies himself with either affirming (ingratiation) or denying by his behavior what the Anti-Negro says about him, until his personality is virtually usurped by a series of maneuvers non of which has any necessary relation to his true self." 2 Wobei Authentizität definiert wird als „... stubborn adherence to one's essential self, in spite of the distorting pressures of one's situation." 3 Die meisten sozialen Verkörperungen, die Afro-Amerikaner annehmen, können dann als gesellschaftlich diktiert und inauthentisch zurückgewiesen werden. Boyard kritisiert die „minstrelization" (Topos des fröhlichen Sklaven), „romanticization" (Topos des Ausgelieferten, Passiven, Leidenden), „rejected attitude" (Topos des aggressiven Widerständlers) und die „bestialization" (Topos des Natur- und Tierhaften). 4 Diese Rollen bietet die Gesellschaft der afro-amerikanischen Minderheit an, und indem diese die unterschiedlichen Zuschreibungen übernimmt, manifestiert sie ihre Inauthentizität. Auf den ersten Blick stoßen wir hier auf einen Widerspruch zum Konzept Sartres. Für ihn verhält sich der Jude inauthentisch, wenn er sein Jüdisch-Sein verleugnet. Das heißt aber, daß letztlich die Zuschreibungen anderer, im Extremfall des Antisemiten, über Authentizität/Inauthentizität entscheidet. Sartre verfällt an diesem Punkt einem unreflektiertem Essentialismus. Offensichtlich gibt es danach so etwas wie eine objektive Qualität des Jüdischen, nicht im Sinne der Übernahme antisemitischer Stereotypen, aber im Sinne einer ontologischen Opferrolle der Juden, ihres Ausgeliefertseins, ihres Minderheitenstatus'. Wer sich als Jude zu diesem Schicksal nicht bekennt, wird inauthentisch. Daß das
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Erste Ansätze hierzu deuten sich an im Graduiertenkolleg der Hamburger Universität zur „Politischen Ikonographie". Anatole Broyard, „Portrait of the inauthentic negro. How prejudice distorts the victim's personality", in: Commentary, 10/1950, 57. Ebd. Ebd., 60ff.
Soziologie
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alles - auch der religiöse oder geschichtsphilosophische Auftrag - soziale Konstruktionen sind, problematisiert Sartre nicht.1 Diese Verbindung des Authentischen als Bekenntnis zum Stigma will Broyard vermeiden, indem er die personale Identität von jeder gesellschaftlichen Definition radikal trennt. Der wahre Wesenskern, das „essential self", gleicht einem verborgenen Schatz im Inneren des Individuums, zu dem nur dieses selbst Zugang hat. Authentisch sind dann solche Personen, denen es geglückt ist, sich entsprechend ihres Wesenskerns zu verhalten. Doch diese Kategorie der Selbstschöpfung bleibt leer. Was denn dieses „essential s e l f ist und wie es sich von den gesellschaftlichen Stereotypen unterscheidet, wird an keiner Stelle ausgeführt. Damit bindet aber auch Broyard individuelle Authentizität wenigstens in der Verneinung an Fremdzuschreibungen, denn der Afro-Amerikaner, der sich affirmativ (minstrelization, romanticization) oder rebellierend (rejected attitude, bestialization) verhält, muß inauthentisch handeln. Hier schließt sich eine Debatte über den Zusammenhang von sozialer Zugehörigkeit und Authentizität der Subjekte an, wobei sich schließlich Authentizitäts-Diskurs und herkömmliche Entfremdungstheorien verbinden. Im Anspruch der Individuen an sich selbst, authentisch zu sein, entsteht eine Folie, die auf soziale Verhältnisse angelegt werden kann und dann deutlich werden läßt, ob solche Räume für die Entfaltung des personalen Wesenskerns gegeben sind oder nicht.2 Dabei wird das Wissen des Subjekts um sich selbst zum Problem: „... inauthenticity constitutes a kind of self-estrangement: those who are inauthentic ... do not fully know themselves. The pressure of the stereotype leads them to import and employ irrelevant self-definitions; and they show this in one of three ways: by defensive misconstruction; by categorial misreading; and by self-deception". 3 Danach ist authentisch eine Handlung dann, wenn ihr solides, reflektiertes Selbstbewußtsein zugrunde liegt. Allerdings verschiebt diese Definition das Problem, weil es den zu definierenden Begriff „Authentizität" durch ebenfalls noch zu definierende Begriffe wie „valid selfknowledge" ersetzt. 4
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Vgl. dazu Stuart Zane Charme, „Authenticity, multiculturalism and the Jewish question", in: Journal of the British Society for Phenomenology (JBSPh), 25/1994, Nr. 2, 183-188. Zusammenfassend: Melvin Seeman, „On the meaning of alienation", in: American Sociological Review (ASR), 24/1959, 783-791. Den Versuch einer empirischen Überprüfung dieses Zusammenhangs anhand einer Befragung US-amerikanischer Studenten machen Manford H. Kuhn/ Thomas McPartland, „An empirical investigation of self-attitudes", in: ASR, 19/1954, Nr. 1, 68-76; Ralph H. Tuner, „Is there a quest for identity?", in: The Sociological Quarterly. Journal of the Midwest Sociological Society, 16/1975, Nr. 2, 148-162. Melvin Seeman, „Status and identity: the problem of inauthenticity", in: The Pacific Sociological Review, 9/1966, Nr. 2, 72. Vgl. Peter Berger, „Identity as a problem in the sociology of knowledge", in: Archives Europeennes de Sociologie, 7/1966, Nr. 1,105-115, der im Anschluß an Meads Interaktionstheorie darauf hinweist, daß es eine hermetische personale Identität jenseits sozialer Konstruktionen nicht gibt. Dennis H. Wrong, „The oversocialized conception of man in modem sociology", in: ASR, 26/1961, Nr. 2, 183-193 hat schon fünf Jahre vor Berger versucht, mit Hinweis auf die Arbeiten Freuds die Konzeption des authentischen Persönlichkeitskems zu retten. Unter dem Druck der Authentizitätsforderungen sieht Ralph H. Turner, „the real self: from institution to impulse", in: American Journal of Sociology (AJS), 81/1976, Nr. 5,989-1017, eine Umformung der Bedingungen der Identitätsbildung. Letztlich verweise
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Zum Begriff der Authentizität
Letztlich hat allerdings nur Amitai Etzioni systematisch versucht, die Kategorie des Authentischen in eine umfassende soziologische Analyse moderner, industrieller Gesellschaften einzubeziehen. Er bemüht sich, seine system-funktionale Gesellschaftsanalyse mit einer normativen Theorie der Entfremdung zu verbinden. Mit Bezug auf Sartres Definitionen des Authentischen stellt er in diesem Zusammenhang fest: „... one may refer to a social condition as: authentic, when the appearance and the underlying structure (der Gesellschaft, TN) are both responsive to basic human needs; as alienated, when both the appearances and the underlying structure are unresponsive; and as inauthentic, when the underlying structure is unresponsive but an institutional or symbolic front of responsiveness is maintained." 1 Mit der Konstruktion einer Reihe von menschlichen Grundbedürfnissen, womit hier nicht so sehr materielle Güter gemeint sind, sondern soziale Güter wie Anerkennung, Teilhabe, Gemeinschaft, 2 gewinnt Etzioni eine kritische Folie zur Vermessung moderner Gesellschaften. Dabei steht im Zentrum der sich anschließenden Gesellschaftskritik nicht so sehr die Beschreibung eines Mangels. Viel größerer Raum wird der Beantwortung der Frage eingeräumt, wieso die um ihre „basic needs" gebrachten Subjekte relativ wenig Widerstand gegen diese ihre Entfremdung leisteten. Etzioni sieht dabei eine systematisierte Verblendung der Individuen: „There have always been groups of men who were unaware of the basic facts of their socio-political lives and, thus, acted in opposition to their basic interests and private selves. It is the scope and depth of such false awareness and commitment that seem to be new." 3 Die Verkennung der objektiven Interessen der Subjekte durch diese selbst wird hier in eine Geschichte der fortschreitenden Manipulation und Entmächtigung eingereiht. Das Authentizitätskonzept „... is a concept of the critical intellectual and the social scientist. The level of alienation can be empirically measured and the members of a society can be made aware of it, but the awareness of alienation does not create it any more than a lack of awareness makes it disappear." 4 In typischer Formulierung für eine, einen großen Teil der anglo-amerikanischen Sozialwissenschaft prägende Mischung aus politischem, system-funktional, kybernetisch orientierten Steuerungsoptimismus und einer an Hegel-marxistischen Lesarten und der „Kritischen Theorie" geschulten Gesellschaftsanalyse formuliert er hier den Aufklärungsauftrag der authentischen, eben nicht verblendeten Intellektuellen. Allerdings muß zu dieser theoretischen Aufklärung noch eine authentische Praxis der sozialen Bewegungen treten, um den Schleier über den entfremdeten Verhältnissen zu zerreißen. Dabei umfaßt der Begriff der Inauthentizität mehr als eine Idee des „falschen" Bewußtseins: „So far as inauthenticity is concerned, the consciousness of all collectivities and not just of the working class may be affected. Further, ..., all relationships and not only consciousness may be ffected. Society itself may be inauthentic." 5
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die Betonung der sich selbst schaffenden Individualität immer wieder auf irrationale, idiosynkratische Impulse, die den sozialen Zusammenhang langfristig bedrohten. Amitai Etzioni, „Basic human needs, alienation and inauthenticy", in: ASR, 33/1968, Nr. 6, 881 (Hervorhebungen im Original). Dazu ausführlich: Ders., The Active Society. A Theory of Social and Political Processes, 2. Auflage, London und New York 1968, 624ff. Ebd., 617 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 618. Ebd., 621.
Soziologie
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Etzioni erweitert den Zuschreibungsbereich des Authentischen auf Gesellschaften und politische Systeme. Gerade diese Ausdehnung wird als Erkenntnisfortschritt ausgegeben und gegen die individualistischen Authentizitäts-Definitionen des Existenzialismus kritisch ins Feld geführt. 1 Danach produzieren moderne Gesellschaften systematisch fehlerhafte Repräsentationen ihrer selbst. Es existiert allenfalls „pseudo-gemeinschaft" 2 und ständige Verformung des Eigentlichen durch Massenkultur, Unterhaltung und Freizeitvergnügungen. 3 Gelingt es Etzioni mit einigen Anstrengungen noch, die Unterscheidung Authentizität/Inauthentizität zum Vehikel seiner Gesellschaftskritik zu machen und in das bekannte Theorem der „Entfremdung" einzupassen, so fällt ihm die positive Beschreibung authentischer Gesellschaftsverhältnisse schwerer. Die authentische Gesellschaft zeichnet sich danach vor allem dadurch aus, daß es keine Inauthentizität mehr gibt. Das Positive ist damit aber nicht mehr als eine Negation des Negativen; offensichtlich ist die Unterscheidung von Authentizität/Inauthentizität nur auf der Seite der Inauthentizität anschlußfähig. Wer so von Authentizität als Ziel gesellschaftlicher Entwicklung spricht, meint damit letztlich nur nicht Inauthentizität. Entsprechend leer beiben auch Etzionis Skizzen der authentischen Vergesellschaftung: „There is a minority of retreatits who ignore their public roles and build lives around their private selves. While these people are more authentic and, potentially, carriers of societal change, these have little societal effect. Finally, there are those who evolve new public selves which they collectivize and make the basis of their societal action. In these lies the hope for an initiation of the transformation of the inauthentic society. They are the active ones." 4 Die individuelle Verweigerung ist ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt zur Sozialisierung der authentischen Persönlichkeit. Erst, wenn die Elite es versteht, ihre Authentizität zum kollektiven Ausdruck werden zu lassen, entsteht die authentische Gesellschaft. Authentizität markiert hier also die Schnittmenge von individueller Unverwecheslbarkeit und Absonderung mit dem Allgemeinen. Etzioni formuliert damit einen Gedanken, der für die politischen Konnotationen von Authentizität von großer Bedeutung ist und im weiteren Verlauf dieser Studie (Kapitel 3) ausführlich untersucht wird. Wobei diese Übereinstimmung von Individuum und sozialer Bezugsgruppe im subjektiven Bewußtsein der Authentizität des Persönlichkeitsausdrucks liegt. Beispielhaft haben Widdicombe und Woofitt in einer Untersuchung der britischen PunkKultur herausgearbeitet, wie „... social comparisons are used to achieve authenticity for the subcultural group and for the self as a member of that group." 5 Wichtig für ein Verständnis
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Ebd. Ebd., 645 (Deutsch im Original). Ebd. Ebd., 654. Für die Beliebigkeit des Authentizitätsbegriffs bezeichnend ist der Etzioni gemachte Vorwurf, seine Soziologie sei in Wahrheit gar nicht authentisch: Albert Szymanski, „The inauthentic sociology. A critique of Etzioni's Active Society", in: The Human Factor, 9/1970, 53-63. Vgl. auch Rezension der Active Society in: The British Journal of Sociology (BJS), 20/1969, Nr. 1, 92-95. Sue Widdicombe/Rob Woofitt, ,„ Being' versus,doing' punk: on achieving authenticity as a member", in: Journal of Language and Social Psychology, 9/1990, Nr. 4, 257 (Hervorhebungen im Original); Vgl. für eine andere Subkultur auch Joel Rudinow, „Race, ethnicity, expressive authenticity: can white people sing the blues?", in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism (JAAC), 52/1994, Nr. 1, 127-137.
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Zum Begriff der Authentizität
der Funktionen, die das Streben nach Authentizität besitzt, ist der Hinweis, daß die Abgrenzung der jeweiligen Gruppe gegenüber anderen Gruppen, im Anspruch der Authentizität bestimmter sozialer, ästhetischer, politischer Praktiken (im konkreten Fall eben „Punk" zu sein) besteht. Authentizität wird damit zum sozialen Distinktionsmittel; dem Anspruch authentisch zu sein, haftet etwas Elitäres an. Entsprechend gehört er zur Politik von kulturellen und politischen Minderheiten.1 Die Konstruktion neuer Traditionen, Symbole, Interpretationen erhalten die Zuschreibung des Authentischen und bilden so eine Legitimationsgrundlage für das politische Handeln. Der Hinweis auf die Authentizität der persönlichen Entscheidung trägt im Sinne einer Gewissensentscheidung weiter dazu bei, Identität zu stärken. Als ein Beispiel kann hier auf Texte verwiesen werden, in denen gegenüber hegemonialen Positionen auf die Zulässigkeit von Minderheitsmeinungen, abweichenden Stellungnahmen etc. verwiesen wird. Jamal Khwaja etwa argumentiert in einer Auseinandersetzung mit der fundamentalistischen islamischen Geistlichkeit für eine andere Lesart des Koran: „... if one gives the highest value to inner freedom or spiritual autonomy, irrespective of where man's authentic freedom (as distinct from the surface freedom of impulse of licence) leads him, one cannot follow the counsel of surrendering one's judgement to the Authority." 2 Allein der Authentizitätsanspruch des Individuums begründet hier die Legitimität einer abweichenden Meinung. Die innere Überzeugtheit wird zum Kern der Rechtfertigung; Authentizitätsansprüche können sich so allerdings leicht gegen Einsprüche immunisieren und mitunter bis zum Fanatismus radikalisieren. 3
2.8 Politikwissenschaft Auf der makro-politischen Ebene der symbolisch-politischen Einheitsstiftung durch den Staat, finden sich zahlreiche Beispiele für die politische Funktionalität des Authentizitätsbegriffes. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die mit der Bildung der europäischen Nationalstaaten korrespondierende Entdeckung und Entwicklung authentischer
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Ralph H. Turner, „The theme of contemporary social movements", in: BJS, 20/1969, Nr. 4, 390-405. Jamal Khwaja, Authenticity and Islamic Liberalism, New Delhi 1987, 40. Vgl. für Diskussionen innerhalb einer ethnischen Minderheit in den USA über den Einsatz von Gewalt: Raymond A. Rocco, „The role of power and authenticity in the chicano movement: some reflections", in: Aztlan, 5/1974, Nr. 1/2,167-176. Für den bundesrepublikanischen Terrorismus: Karl Heinz Bohrer, „Authentizität und Terror", in: Kursbuch 60,1980,143-150. Für Griechenland: Gerasimos Augustinos, „Culture and authenticity in a small state. Historiography and national development in greece", in: East European Quarterly, 22/1989, Nr. 1, 17-31. Für die Aborigines in Australien: Andrew Lattas, „Essentialism, memory and resistance: aboriginality and the politics of authenticity", in: Oceania, 63/ 1993, Nr. 3, 240-267. Für Neuseeland: Denis Walker, „The ideology of authenticity: William Colenso's narrative of the signing of the Treaty of Waitangi", in: Landfall, 44/1990, 327-336. Für eine Rückbesinnung auf indische Traditionen in Indien: Ajanta Sircar, „Production of authenticity: The Indo-Anglian critical tradition", in: Economic and Political Weekly (New Delhi), 5. 9. 1992, 1921-1927. Für die Bangladeschis in Großbritannien: John Eade, „Nationalism and the quest for authenticity: the Bangladeshis in Tower Hamlets", in: New Community, 16/1990, Nr. 4, 493-503.
Politikwissenschaft
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Nationalkulturen.1 Was im 19. Jahrhundert für Europa galt, gilt heute für viele postkommunistische Gesellschaften und politischen Systeme der sog. Dritten Welt. Deren Selbstgestaltung kommt offenbar häufig ohne Konstruktionen der Authentizität als neuer politischer Legitimationsbasis nicht aus. So beschreibt Badye den Kampf Zaires gegen traditionelle tribalistische Strukturen: „La veritable authenticite doit alors donner la parole ä tous les citoyens pour qu'ils s'expriment librement sur les problemes vitaux de la nation. A ce prix seulement, l'ideologie de l'authenticite peut etre une Ideologie nationale et none une arme qu'utiliserait une partie de la societe pour camoufler sa domination ... L'authenticite est un projet de societe qui commande vigilance et lutte."2 Aber nicht nur wenn es um die Überwindung tribalistischer Partikularinteressen und der Etablierung neuer staatlicher Strukturen geht, steht das Konzept der Erfindung von authentischer Sprache, Geschichte und Kultur im Zentrum der politischen Auseinandersetzung. 3 Keine Form politischer Herrschaft kann auf die Symbolisierung ihrer Authentizität verzichten. Authentizität ist eine politisch umkämpfte Legitimationsfigur und damit auch politischer Kampfbegriff. Die Politikwissenschaft im engen Sinne einer akademischen Disziplin hat Inhalt, Form und Funktionen des Begriffs bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Schaut man auf politikwissenschaftliche Abhandlungen, dann führen diese einerseits den psychologisch/ pädagogischen Diskurs über authentische Lehrinhalte und -formen fort, 4 oder ringen um einen authentischen Politikbegriff. So möchte Vollrath einen authentischen Begriff des Politischen bestimmen, mit dem die Unterscheidung Politisch/Unpolitisch möglich gemacht werden soll: „The concept of the political, comprising the political quality and
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Carol Silverman, „Reconstructing folklore: media and cultural policy in Eastern Europe", in: Communication, 11/1989, Nr. 2, 141-160 zeigt beispielhaft wie in Bulgarien die bäuerliche Folklore immer wieder von den unterschiedlichen Regimes erfunden und als authentisch konstruiert wurde. Kayamba Badye, „Formation sociale et authenticite au Zaire", in: Canadian Journal of African Studies - Revue Canadienne Des Etudes Africaines, 18/1984, Nr. 1, 109, 111; Eyamba G. Bokamba; „Authenticity and the choice of a national language: the case of Zaire", in: Studies in the Linguistic Sciences, 6/1976, Nr. 2, 65-89. Martin Robbe, „Authentizität - Bemühungen in Entwicklungsländern um Selbstverständnis, Selbstbewußtsein, Orientierung und Solidarisierung", in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 33/1985 (DZPh), Heft 12, 1057-1066 ordnet den Kampf um Authentizität dem Ost-West-Konflikt zu. Danach tendiert „Authentizität... zu einer gewissen Exklusivität. Das ist ihre Schwäche. Darin äußert sich die Mentalität der bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Kräfte, die sie hauptsächlich verfechten ... Ein eigenständiges und tragfähiges Gesellschaftskonzept erwächst aus der Authentizität nicht. Hier kann es unter den gegebenen Bedingungen in der Endkonsequenz nur eine kapitalistische oder eine sozialistische Entwicklung geben." (1064) Aber bei dieser Orientierung auf den Sozialismus ist „Authentizität gefragt" (ebd.), um die zum diesem drängenden Traditionslinien deutlich zu machen: „Für Muslims, die Authentizität in ihrer Religion suchen, ist diese deshalb im Frühislam gegeben. Die Hinwendung zu ihm kann sie motivieren, Aspekte des antiimperialistischen Kampfes zu unterstützen." (Ebd.). Siehe: Georg Reichel, „Das authentische Gespräch. Ein neuer Weg der Textarbeit im Politikunterricht", in: Gegenwartskunde. Gesellschaft, Staat, Erziehung, 32/1992, Nr. 1, 75-87; Peter Schulz-Hageleit, „Ist die Forderung nach mehr ,Authentizität' eine Überforderung des Politikunterrichts?", in: Gegenwartskunde. Gesellschaft, Staat, Erziehung, 32/1992, Nr. 2, 251-255 (Hervorhebungen im Original).
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Zum Begriff der Authentizität
modality in its authenticity and autonomy and used as a yardstick enables us to judge things (,polities') in this respect, i. e., as to their authentic political character ... By authenticity I understand that in this respect the characteristics of the realm labelled by this term .political' and of all things belonging to it are neither taken from the characteristics of any other field nor deduced from or reducible to them... I want to go a step further and identify this autonomous authenticity, i. e., rationality, of the political with the ,polity'". 1 Vollrath geht in seinen Bemühungen der Stiftung eines authentischen Begriffs des Politischen nicht über die schon bekannten Verwendungsformen des Begriffs „Authentizität" hinaus. Auch er will mit der Reklamierung des eigentlichen Kerns des Politischen wenigstens semantisch Sicherheit und Übersichtlichkeit schaffen und eine Substanz des politischen Handelns beschreiben, deren wissenschaftliche Identifizierung es möglich machen soll, „political" von „a-political, pseudopolitical, non-political" zu unterscheiden. 2 Hier wendet sich Vollrath in Anlehnung an Paul Ricoers Unterscheidung zwischen „la politique" und „le politique" der Frage zu, wie politisches Handeln von nicht-politischem Handeln unterschieden werden kann. Gelänge eine solche Differenzierung, dann könnte mit Hilfe hermeneutischer Verfahren eine spezifische Logik des Politischen kristallisiert werden. Es gäbe dann einen spezifischen und nur auf das Politische passenden Handlungsbegriff. Allerdings ist die Forschung von der Erarbeitung eines solchen Begriffs der politischen Handlung weit entfernt. 3 Darüberhinaus ist in dieser Debatte gegenüber Vollrath darauf hingewiesen worden, daß die Vorstellung, einen authentischen Begriff des Politischen wissenschaftlich begründen zu können, von der sozialen und politischen Gebundenheit jeder Begrifflichkeit absieht. 4 Wissenschaft nimmt hier keinen extramundanen Standpunkt ein, sondern ist „Wissenschaft (in) der Gesellschaft", folgt entsprechend bestimmten pragmatischen Anforderungen und findet in bestimmten Rechtfertigungskontexten statt. Entsprechend häufig und beliebig sind dann ja auch die Formulierungen eines umfassenden ,,Begriff(s) des Politischen". 5 Erfolgversprechender für die Untersuchung der politischen
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Ernst Vollrath, „The, rational' and the, political'. An essay in the semantics of politics", in: Philosophy and Social Criticism (PSC), 13/1987, 26 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 21. Vgl. Gerhard Vowe, „Politische Kognition. Umrisse eines kognitionsorientierten Ansatzes für die Analyse politischen Handelns", in: PVS, 3 5 / 1 9 9 4 , 4 2 3 - 4 4 7 . V o w e sieht „bislang nicht, inwieweit sich ... politisches vom wirtschaftlichen oder künstlerischen Handeln unterscheidet und daß die spezifische Funktion politischen Handelns, gesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zu treffen, eine spezifische kognitive Struktur erfordert." (444, Fn 48). Danach gäbe es überhaupt keinen Begriff des authentischen politischen Handelns. Fred Dallmayr, „Politics and conceptual analysis. Comments on Vollrath", in: PSC, 13/1987, 31-37. Aus diesem Dilemma der Konstituierung einer ontologischen Differenz hilft auch das Argument nicht hinaus, die jeweilig vorgenommene Definition sei empirisch und normfrei. So könnte mit Blick auf Carl Schmitts Freund-Feind-Schema argumentiert werden. Aber widerstreitende Begriffsbestimmungen (etwa Sternbergers „Frieden" als Kern des Politischen oder aristotelische Setzungen der menschlichen Wesensbestimmung, politisch zu sein) melden selbst auch empirische Ansprüche an. Sie kommen durchweg als Indikativ-Sätze daher. Die Unterscheidung zwischen Wesen und Erscheinungen des Politischen (ganz unabhängig von seinen konkreten Füllungen) führt die Differenz Authentisch/ Inauthentisch ein. Darüberhinaus, und das hat Carl Schmitt mit seinem analytischen Blick für die blinden Flecken in den Beobachtungen anderer in der Politischen Romantik treffend herausgearbeitet, kann diese Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch selbst zur substantiellen Füllung werden.
Politikwissenschaft
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Bedeutungen der Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch ist die Rekonstruktion der Kontexte des sozialen und politischen Kampfes um die Füllung des Begriffs. Dabei steht im Mittelpunkt die Beantwortung der Frage nach dem Repräsentierten und seinen als authentisch/inauthentisch rezipierten Erscheinungsweisen. Politisch relevante Repräsentationen haben sich im 20. Jahrhundert am „Volk", an „Rasse" und „Klasse" festgemacht, um hier nur drei Hauptkategorien zu nennen. Immer steht bei der authentischen Repräsentation die Produktion von politischer Folgebereitschaft, von Legitimation des jeweiligen Herrschaftssystems im Zentrum. Da sich im Verlauf der Herausbildung moderner, säkularisierter Gesellschaften das in seinem Willen freie Individuum als eigentliche Bezugsfigur dieser Legitimitätszuschreibung entwickelt hat, muß eine Analyse von für authentisch gehaltenen Repräsentationsformen des Politischen am Spannungsverhältnis von idiosynkratischer Individualität und Allgemeinheit ansetzen.
3 Der Wille der Individuen und die Entstehung politischer Legitimität in der Moderne
Es ist in der sozialwissenschaftlichen scientific community durchaus umstritten, ob die Frage nach der Legitimität von Herrschaft ins Zentrum der Analyse von politischen Ordnungen gehört. 1 Wobei sich schon um die Feststellung, der Legitimitätsbegriff-Begriff sei zu verstehen „als Rechtmäßigkeit einer politischen Ordnung bzw. politischen Herrschaft" 2 , die Probleme ranken. Was heißt Rechtmäßigkeit? Ist jede legale Herrschaft auch legitimiert? Eine Bindung des Legitimitätskonzeptes an Rechtmäßigkeitserwägungen entspricht zwar einer Teilgeschichte des Begriffs 3 , aber ist für politikwissenschaftliche Fragestellungen nach der Fundierung von Herrschaftsverhältnissen nur begrenzt operationalisierbar. Michael Mann versucht deshalb in seiner Geschichte der Macht, die Folgebereitschaft von Herrschaftsunterworfenen allein durch organisationelle Mechanismen zu erklären: „The masses comply because they lack collective and distributive power organizations to do otherwise, because they are embedded within collective and distributive power organizations controlled by others. They are organizationally outflanked ...". 4 Der Unterscheidung zwischen „power and authority (i. e. power considered legitimate by all affected by it)"5 weist Mann deshalb auch nur geringe Bedeutung bei der Erklärung von Herrschaftsverhältnissen zu: „It is rare to find power that is either largely legitimate or largely illegitimate because its exercise is normally so double-edged." 6 Aber diese Ablehnung des Legitimitätskonzeptes für eine Erklärung der Folgebereitschaft offenbart ein defizitäres Verständnis von Legitimität, geht Mann doch offensichtlich von einer Substanz des Legitimen aus, welche Machtbbeziehungen anhaftet oder eben nicht anhaftet. Zwar kann mit einer solchen Ontologisierung von Legitimität an bestimmte sozialwissen-
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Vgl. die Debatte „Against legitimacy/ in defence of legitimacy" zwischen Η. Τ. CT Kane und David Beetham in: Political Studies, 21/ 1993, Nr. 3. Bettina Westle, Politische Legitimität - Theorien, Konzepte, empirische Befunde, Baden-Baden 1989, 22. Thomas Wiirtenberger, „Legitimität/ Legalität", in: Otto Brunner/ Wemer Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe - Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, 677-740. Michael Mann, The Sources of Social Power, Volume 1. A History of Power from the Beginning to A. D. 1760, Cambridge und New York 1986, 7 (Hervorhebungen im Original). Ebd. Ebd.
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schaftliche Diskussionstraditionen angeschlossen werden, in denen davon ausgegangen wird, daß Wissenschaft in der Lage sei, „objektiv" über die Legitimität oder Illegitimität von politischen Systemen zu urteilen.1 Habermas glaubt beispielsweise, in der modernen Bindung des Legitimitätskonzeptes an die potentielle Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen (dazu unten mehr) eine Basis für die sozialwissenschaftliche Teilnahme an solchen Diskursen gefunden zu haben. 2 Gleichwohl bleibt auch hier die Frage unbeantwortet, ob die Debatte über Gründe für die Zuschreibung von Legitimität/ Illegitimität politischer Herrschaft nicht auf bestimmte Rechtfertigungskontexte zielt und eben nicht szientistisch universalisierbar ist: Wer Diskurse beobachtet, ist kein Teilnehmer; wer teilnimmt, kann kein Beobachter sein. Verändert man dagegen in einem ersten Schritt den Anspruch an die politikwissenschaftliche Analyse von Legitimität und verzichtet auf die wissenschaftliche, quasi objektive Beurteilung von politischen Systemen mittels der Unterscheidung legitim/illegitim, dann kann empirisch festgestellt werden, daß Machthaber und Herrschaftsunterworfene sehr wohl einen Unterschied zwischen legitimer und illegitimer Herrschaft konstruieren, die letztgenannten ihre „Umzingelung" durch die Inhaber der Machtressourcen (um mit Mann zu sprechen) ganz unterschiedlich zwischen Herrschern und Beherrschten deuten und bewerten. Der Relevanz solcher ideologischen Konstruktionen kann sich im übrigen auch Mann nicht ganz verschließen. In seinem IEMP-Modell 3 der Machtorganisation kommt der Machtressource „Ideologie" wieder erhebliche Bedeutung zu. Und Ideologie verweist hier auch auf die Konstruktion von Legitimität. Daß nicht nur in der Politikwissenschaft der Bundesrepublik gleichwohl dem Thema der Legitimation politischer Herrschaft seit dem Auslaufen einer intensiven, insbesondere zu Beginn und Mitte der siebziger Jahre dieses Jahrhunderts geführten Debatte über"Legitimationskrisen" und „Unregierbarkeit" industrieller Gesellschaften am Ende des 20. Jahrhunderts wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden ist, liegt wohl eher an einer gewissen Hermetik und Selbstimmunisierung gegenüber kritischen Einsprüchen der damaligen Debattenbeiträge 4 als an einer Veraltung des Gegenstandes, wie etwa Luhmann
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So etwa Carl Joachim Friedrich, „Die Legitimität in politischer Perspektive", in: PVS, 1/1960, 131. Jürgen Habermas, „Legitimationsprobleme im modernen Staat", in: Peter Graf Kielmansegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer 5>>j/eme.(PVS-Sonderheft 17/ 1976), Opladen 1976, 39-80; Zur Verbindung von Deskription und Normativität: Wilfried Euchner, Legitimität und Legitimation. Eine Untersuchung über die Brauchbarkeit sozialwissennschafilicher Legitimitätskonzepte, Diss. Stuttgart 1978. An dieser Zusammenführung empirischer Beobachtung und normativer Intervention scheitert auch David Beetham, The Legitimitation of Power, Hong Kong 1991 (siehe auch Fn 1, S. 42, aus diesem Kapitel). Mann, Sources, 28f: I(deological), E(conomical), M(ilitary), P(olitical). Vgl. die Polemik um den im Herbst 1975 veranstalteten Kongresses der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft „Legitimationsprobleme politischer Systeme". Der Tagungsband erschien unter demselben Titel als Sonderheft 17/1976 der PVS. Vgl. zur Kritik am main-stream der vorgebrachten Argumentation: Michael Zöller, „Entpolitisierung, Partizipation und Legitimation. Anmerkungen zur paradigmatischen Fixierung der neueren Politikwissenschaft", in: ZfP, 27/1980, 117-128.
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konstatiert. 1 Wobei Luhmanns Zurückweisung der Idee einer sinnvollen Operationalisierung des Legitimations-Begriffs darauf von der Idee getragen ist, daß dieser allein im Rahmen naturrechtlichen Denkens und stratifizierter Gesellschaften Sinn mache, während durch die Hinwendung zu rechtspositivistischen Denkfiguren „Legitimation ... nur noch als eine faktisch-kompetente durchsetzungsfähige Ausübung politischer Gewalt verstanden (wurde). Die Wiedereinführung eines inhaltlich anspruchvollen Begriffs der Legitimität durch Georg Jellinek und Max Weber erreicht den Rang der alten Problemstellung in keiner Weise. Sie stellt nur noch auf faktisch verbreiteten Konsens ab. Die neuere Diskussion in den sechziger und siebziger Jahren zeigt dann auch deutlich, daß unter diesem Etikett der Legitimität eigentlich nur noch über die Popularität der Regierungen und über politische Rhetorik verhandelt wird." 2 Es fällt auf, daß auch Luhmann einen substantiellen Begriff der Legitimation konstruiert und an rechtspolitische Debatten des 17. Jahrhunderts bindet. Aber diese Sichtweise engt den Blickwinkel auf Veränderungen im Gebrauch des Begriffs ein, der dann von Luhmann konsequent als semantische Verfallsgeschichte des"nur noch" beschrieben wird. Eine solche Ontologisierung bleibt aber unfruchtbar, denn sie kann immer nur Abweichungen vom Eigentlichen feststellen. Weiter trägt hingegen Luhmanns Beobachtung, daß der Aufschwung in der Konjunktur des Begriffs in den sechziger und siebziger Jahren mit dem Versuch zu tun habe, diese Kategorie tagesaktuell zu instrumentalisieren. Der Legitimitätsbegriff war schon immer ein politischer Kampfbegriff 3 , denn in der Problematisierung und Diskussion von Legitimation, Legitimationskrisen etc. wird zwangsläufig mit der Unterscheidung legitim/ illegitim, legitimierbar/ nicht legitimierbar operiert und bestimmten Herrschaftsverhältnissen Legitimation zugeschrieben oder abgesprochen. Damit nimmt man aber Partei im politischen Streit: Die Frage nach der Legitimität von Herrschaftsverhältnissen ist solange nicht überholt, solange es in den zu untersuchenden Kontexten eine Semantik der politischen Legitimität gibt.4
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Niklas Luhmann, „Partizipation und Legitimation: Die Ideen und die Erfahrungen", in: Ders., Soziologische Aufklärung 4 - Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, 2. Auflage Opladen 1994, 152-161. Wobei die eigentliche Brisanz in der Verbindung von Partizipationshoffnungen und Legitimation politischer Systeme besteht. Dieser von Luhmann vor allem als ein politisches Problem der Protestbewegungen der siebziger Jahre identifizierte Zusammenhang wird im weiteren Verlauf dieser Studie analysiert.
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Ebd., 154. Insbesondere in der politischen Neuzeit: Würtenberger, „Legitimität", 689. Thomas Mirbach, Überholte Legitimität ? Oder: Auf dem Weg zu einem neuen Politikbegriff, 1990.
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Darmstadt
Legitimität und Effektivität
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3.1 Legitimität und Effektivität Mit dieser Herangehensweise, die die Perzeption der am Legitimationsdiskurs Beteiligten in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt, öffnet sich eine weite historische Perspektive auf einen offensichtlich notwendigen Bestandteil jeder politischen Herrschaft. Gerade auch in Antike und Mittelalter ist das Problem eben nicht „irrelevant", wie Wilhelm Hennis behauptet 1 , sondern manifestiert sich immer wieder in den unterschiedlichen theologischen und teleologischen Letztbegründungen von Herrschaft 2 . Aber Hennis hat in seiner Beschreibung von „Legitimität als Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft" durchaus richtig die spezifische, mit der Durchsetzung der politischen Neuzeit, der Moderne, verbundene Umstellung in den Bedingungen der Herstellung von Legitimität gesehen: „In langen Jahrhunderten vorbereitet, eingeleitet durch die Stoa, radikalisiert durchs Christentum... in den großen religiösen Bürgerkriegen zum Ausdruck gekommen, haben wir es beim Legitimitätsproblem mit einem durch und durch modernen Problem zu tun." 3 Diese Neubestimmung im Diskurs über die Bedingungen der Möglichkeit, in modernen politischen Systemen legitime Herrschaft von illegitimer zu unterscheiden, ist eine zwangsläufige Folge des Verlustes an bindenden, selbstverständlich akzeptierten religiösen Sinnstiftungen. Die Säkularisierung drängt Individuen und Gesellschaften nicht nur zur Expansion ihrer Selbstbehauptungskompetenzen 4 , sondern öffnet das Bewußtsein der Aufgeklärten für die Schrecken der Kontingenz. Wenn politische Ordnungen nicht mehr traditionell, natürlich, kosmologisch, göttlich vorgegeben sind, dann kann alles auch immer ganz anders sein. Ordnung und Herrschaft werden nicht mehr gegeben; sie müssen durch die Menschen gemacht werden. Die Ordnung als Aufgabe ist der „Archetyp" für alle anderen Aufgaben der Moderne, „eine die alle anderen Aufgaben zu bloßen Metaphern ihrer selbst macht." 5 Und sie wird gerade deshalb zur drängenden Aufgabe, weil die Zukunft als kontingent entworfen wird, weil die Kontinuität von Vergangenheit und Zukunft als gebrochen gilt. Die Moderne setzt ihre Subjekte frei, traditionelle Orientierungen verlieren ihre Bindungskraft. Mit der Säkularisierung des christlich-abendländischen Weltbildes und der
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Wilhelm Hennis, „Legitimität. Zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft", in: Ders., Politik und praktische Philosophie - Schriften zur politischen Theorie, Stuttgart 1977, 226. Wenn auch zuzugestehen ist, daß sich der Begriff in seinem modernen Verständnis erst langsam herausbildet und in der antiken Staatsphilosophie noch keine Rolle spielt. Gleichwohl existierte so etwas wie eine Legitimitätsdebatte avant la lettre.
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Hier soll der Hinweis auf die sog. Donatio Pippini (Pippinische Schenkung) genügen, durch die sich 754 Pippin der Jüngere im karolingisch-merowingischen Streit um die legitime Königswürde die Salbung durch Papst Stephan II. verdiente. Die überkommene Legitimationsstruktur, die die Herrschaft der Merowinger festschrieb, galt nun nicht mehr. Im Personenverbandsstaat des Mittelalters waren Abstammungsfragen Legitimationsfragen. Gerade weil die anti-napoleonische „Heilige Allianz" versuchte, zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Legitimitätsbegriff des feudalen Personenverbandsstaates durchzusetzen, prägte sie nur einen Anachronismus und blieb letztlich erfolglos.
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Hennis, „Legitimität", 226. Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, 2. Auflage Frankfurt/M. 1988. Zygmunt Baumann, Moderne und Ambivalenz, Hamburg 1992, 16.
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Konstituierung des atlantischen Projekts der auf sich selbst1 verwiesenen Individuen und Gesellschaften ist eine Umstellung der politischen Semantik verbunden. Von der vorgebenen göttlichen Ordnung verschiebt sich die politische Rede auf das Feld der menschlichen Selbstbehauptung, des Daseinskampfes. Mit diesem Bewußtsein der menschlichen Selbstätigkeit ist eine expansive Entwicklung von selbstsichernden Wissensbeständen verbunden. Wissen und die Generierung von immer mehr Wissen soll die Kontingenz aufheben und in Notwendigkeiten verwandeln. Diese vielfältigen Versuche sind immanent hoch aggressiv besetzt. Zur Moderne gehört, in letzter Konsequenz, auch die Ordnung des Genozids. 2 Die Kontingenzbewältigung durch die Vernichtung der anderen Seinsformen, des Fremden, Kranken etc. stellt allerdings nur einen Ausnahmezustand der Ordnung der Moderne dar. Zum Regelfall der aktivistischen Selbstbehauptung gehört die Ausweitung der Tätigkeiten des Staates, von dem jetzt Kontingenzbewältigung erwartet wird. Zuerst findet diese Ausweitung des Staatshandelns, das Individualität sichern und gleichzeitig Solidarität und Einheit des Differenten stiften soll, im England des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts statt. Daraus entwickelt sich langsam der auf Massenpartizipation und allgemeiner Wohlfahrt fußende demokratische Rechtsstaat. 3 Mit ihm wird eine Staatsform möglich, deren „kompensatorisches Prinzip" unter der Realisierung des „Inklusionsprinzips" dazu tendiert, immer mehr Bereiche der Gesellschaft steuern zu wollen. 4 Damit entsteht eine Quelle von Legitimität staatlichen Handelns in der Moderne, auf die im weiteren Gang der Argumentation nicht mehr ausführlich zurückgekommen werden soll, die deshalb aber an dieser Stelle kurz benannt werden muß. Es handelt sich um die Zuschreibung von Legitimität aufgrund effizienter Versorgung und sozialer Sicherung durch den Staat.5
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Zu Beginn des 18. Jahrhunderts taucht der Begriff des „Selbst" im deutschen Sprachraum auf. Zunächst spricht man vom „Selbstgefühl". So stellt Michael Ignaz Schmidt, Die Geschichte des Selbstgefühls, Leipzig 1772, 3 fest: „Der Mensch fühlt zuerst, daß er ist." Mit Kant, Fichte und Hegel setzt schließlich eine kognitivistische Interpretation des Selbst ein; das „Selbstbewußtsein" ist reflektiertes „Selbstgefühl".(Vgl. dazu: Hermann Drüe, „Die Entwicklung des Begriffs Selbstgefühl in Philosophie und Psychologie", in: AfBg, 37/1994, 285-305). Aber schon in der Rede vom Selbstgefühl ist die Vorstellung einer stetigen Selbstbeobachtung und -kontrolle der Wahrhaftigkeit dieses Gefühls enthalten. „Verborgenste Wahrheiten" sollen „aus dem Nichts hervorgebracht werden, die bald in den innersten Winkeln des Herzens versteckte(n) Gefühle sichtbar gemacht" werden (Schmidt, Selbstgefühl, 142). Weiter heißt es: „Umso größer ist aber auch das Unternehmen, wenn es sich unpartheyisch richtet, das Wahre vom Falschen unterscheidet, und mit unerschrockenem Muth von seinem Selbst trennt, was nicht dazu gehört." (Ebd., 175).
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Wilfried von Bredow/Thomas Noetzel: „Terror und Moderne", in: Mittelweg 36 - Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, 2/1993, Nr. 2., 72-82. Willibald Steinmetz: Das Sagbare und das Machbare-Zum Wandel politischer Handlungsspielräume - England 1780-1867, Stuttgart 1993. Niklas Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München 1981. Vgl. Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit - Studien zu ihrer Problematisierung, Stuttgart 1977. Hans-Peter Schwarz gibt dabei als einer der Beiträger mit seinem Hinweis auf den „gelähmten Leviathan" gleichsam die Richtung der Analyse vor. Zwischen den partikularistischen Ansprüchen sozialer Gruppen, zunehmenden Forderungen nach umfassender etatistischer Interventionen in gesellschaftliche Organisationsbereiche und den jeweiligen
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Legitimität und Authentizität: Einheit in der Differenz
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3.2 Legitimität und Authentizität: Einheit in der Differenz Im Rahmen einer Untersuchung von Authentizität als politischer Kategorie ist ein zweiter Strang von Legitimationszuschreibung wichtiger als diese Verbindung von Effektivität und Legitimität. Zur Durchsetzung der politischen Neuzeit gehört eine radikal neue Situierung des Individuums, dessen aufgeklärte Mündigkeit durch das Bewußtsein der Kontingenz belastet ist. Die aufklärerische Verpflichtung der Individuen zur Freiheit und die damit einhergehende Destruktion überkommener Sinn- und Ordnungskonzepte, welche den Menschen nicht gestatten, sich als Subjekte wahrzunehmen, produziert mit und in der Semantik von Befreiung und Selbstbestimmung einen tiefreichenden Schrecken des Partikularen. Freisetzung der Subjektivität akzentuiert - jedenfalls solange sie nicht als uniforme Individualisierung erfolgt - Differenz und Idiosynkrasie. Als Extremmodell: die Schriften Sades. Es kennzeichnet die kritischen Beiträge der philosophisch-politischen Debatten im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, daß sich in ihnen die Verurteilung überkommener Einordnung und Überwältigung des Menschen und die Begründung seines Freiheitsanspruches mit der Entwicklung vielfältiger Programme zur Entschärfung der neugewonnenen Selbstbesinnung der Subjekte verbindet. Das Allgemeine zu denken, unter Bewahrung des unverwechselbar Besonderen, steigt zur großen selbstzugewiesenen Aufgabe der Philosophie auf. Tatsächliche, gewünschte oder simulierte Versöhnung und Aufhebung der Differenz von Individualität, Absonderung und Allgemeinheit bestimmen den politischen „Diskurs der Moderne". In Hegels Schriften findet diese Perzeption einer nach Einheit in der Differenz strebenden Moderne beispielhaft Ausdruck. In seinem Denken der Widersprüche moderner Ordnungen gibt die Sehnsucht nach dem Vergangenen nicht den Ton an. Die Organisation der unübersehbaren Be- und Absonderungen findet in Illusionen über die gefällige Rückkehr zum Alten keine Stütze. Zumal das ancien regime diskrediert ist, moralisch ohnehin, aber - und das ist wichtiger als die Moral - vor allem politisch, weil es die unabweisbare, geschichtlich fällig gewordene Freisetzung der Individuen verhindern wollte und jedenfalls behindert hat. Die alten politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse sind nicht auf der Höhe der Zeit, weil sie Differenz nicht zulassen. Deshalb müssen sie verschwinden. In diesem Denken manifestiert sich das Bewußtsein von der Notwendigkeit des Bruchs mit Ordnungen, die der Selbstbestimmung des Subjekts keinen Raum öffnen. Als Metapher für eine solche Befreiung gilt dem jungen Hegel die
Verhinderungspotenzen betroffener Gruppenegoismen versandet politische Gestaltungskraft. Diese Ohnmacht gilt als besonders brisant, weil gerade an die vermeintliche Überforderung des Staates seine Legitimation gebunden wird. So entsteht die paradoxe Situation, daß der moderne Staat allgemeiner „Daseinsfürsorge" (Ernst Forsthoff) hypertrophe Strukturen entwickelt. Verwaltungshandeln dringt in immer mehr gesellschaftliche Bereiche vor und verliert gleichzeitig rapide an Durchsetzungskraft. Diese - hier nur kurz skizzierte - Krisenwahrnehmung bleibt weit über die siebziger Jahre hinaus virulent. Unter dem Stichwort „Politik"- und „Demokratieverdrossenheit" steht sie zwanzig Jahre später und bereichert durch Korruptionsanklagen gegen die politische Elite immer noch auf der Tagesordnung.
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Der Wille der Individuen und die Entstehung politischer Legitimität in der Moderne
Geschichte Abrahams: „Abraham (...) hatte schon in der Jugend mit seinem Vater ein Vaterland verlassen; nun riß er sich auch in den Ebenen Mesopotamiens vollends von seiner Familie los, um ein ganz selbständiger, unabhängiger Mann, selbst Oberhaupt zu sein ... Der erste Akt, durch den Abraham zum Stammvater einer Nation wird, ist eine Trennung, welche die Bande des Zusammenlebens und der Liebe zerreißt, das Ganze der Beziehungen, in denen er mit Menschen und Natur bisher gelebt hatte; diese schönen Beziehungen seiner Jugend (Jos. 24.3) stieß er von sich." 1 Die Leitkanten dieses modernen Emanzipationsdenkens treten an dem frühen Fragment deutlich hervor. Isolierung ist die Konsequenz der Selbstbestimmung; die Subjekte müssen ihre eigenen Wege gehen. Ohne Groll, aber durchaus mit dem trauernden Bewußtsein von der verlorenen Einheit. Die Einbindung in die Natur muß gerade deshalb aufgegeben werden, läßt doch das Einssein mit ihr die Bestimmung des Selbst nur aus sich selbst heraus nicht zu. Natur steht hier schlechtestenfalls für die dumpfe Herrschaft der Triebe, meint Willkür und damit Unfreiheit. Der Triebtäter handelt ja gerade nicht selbstbestimmt, weil sein Tun der reflexiven Überprüfung nicht standhalten kann. Bestenfalls dient Natur als Chiffre für das Einfügen des Menschen in unreflektierte Hierarchien und Ordnungsschemata und hebt Freiheit somit ebenfalls auf. 2 Die Harmonie, die Einheit, diese Idylle der individuellen und menschheitsgeschichtlichen Kindheit muß aufgegeben werden. Bittere Trennungen und angstmachende Verluste sind unvermeidlich, will das Subjekt wirklich selbstbestimmt handeln. Wobei Selbstbehauptung mit Kampfbereitschaft und Herrschaftswillen einhergeht. Reifungs- und Wachstumsprozesse kommen ohne Disziplinierung, Kontrolle, Normierung der inneren und äußeren Natur nicht aus. Dabei fällt der Fähigkeit der Individuen zur Selbstbeobachtung besondere Bedeutung zu. Die Trennung von Subjekt und Objekt, die diese Selbstwahrnehmung erst möglich macht, steht am Anfang jeder Selbstbestimmung. Freiheit wird so zum Teil eines umfassenden Erkenntnis- und Selbstreflexionsprozesses, an dessen Ende die bewußte, selbstbestimmte Einordnung des Partikularen ins richtige Allgemeine steht. In der Bejahung der Notwendigkeit von Bruch und Entzweiung artikuliert sich ein Wunsch nach Ganzheit und Versöhnung. Individuell und gesellschaftlich setzt Einheitsstiftung in der Differenz eine Sphäre des Absoluten, Allgemeinen, der Intersubjektivität voraus. Für Hegel ist der „Geist" ein solches Absolutes, das den subjektiven Besonderungen als Teil innewohnt und dem diese immer nur spezifischen, unverwechselbaren, endlichen Ausdruck verleihen können. Das heißt aber zugleich, daß durch die Subjekte (hindurch) sich der „Geist" offenbart. Die Befreiung der Individuen ist nichts als die Rückseite der Selbsttätigkeit des „Geistes", der sich der Selbstbestimmung und Tätigkeit der Einzelsubjekte bedient. Die religiöse Unterfütterung dieses Denkens tritt deutlich hervor. Gleichzeitig entwickelt Hegel hier eine Bestimmung des „Wesens" von Mensch und „Geist", die zu einer Grundlage der Kritik an Natur- und Gesellschaftsverhältnissen wird, in welchen die konkreten Verkörperungen, die Erscheinungen der Subjekte
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Der Geist des Judentums (1798/99), Werke, B d . l , Edition Mollenhauer/ Michel, Frankfurt/M. 1978, 277. Zu diesem Autonomiebegriff vgl. Ludwig Siep, „Autonomie und Vereinigung. Hegel und Fichtes Religionsphilosophie bis 1800", in: Christoph Jamme/Helmut Schneider (Hrsg.), Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel, Frankfurt/M. 1990, 289-302.
Legitimität und Authentizität: Einheit in der Differenz
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von ihrem „Wesen" abweichen. Um es in das bekannte Bild zu fassen: Der Gesellschaftskritiker muß den Verhältnissen nur ihre eigene, ihre eigentliche Melodie vorpfeifen, um sie zum Tanzen zu bringen. Der hier gelegte Zugang zum Problem authentischer Politik wird uns an anderer Stelle ausführlich beschäftigen (Kapitel 4. 2.). Im Zusamenhang mit der Erörterung von Legitimatonszuschreibungen in der Moderne wird dabei ein anderer Gedankengang Hegels wichtig. Auf der politischen Ebene stellt sich das Problem von Entzweiung und Versöhung, vom Besonderen und Allgemeinen als Spannungsverhältnis von Gesellschaft und Staat dar. Im § 260 von Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts heißt es dazu: „Das Prinzip des modernen Staates hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten. Zusatz: Das Wesen des neuen Staates ist, daß das Allgemeine verbunden sei mit der vollen Freiheit der Besonderheit und zum Wohlergehen der Individuen, daß also das Interesse der Familie und bürgerlichen Gesellschaft sich zum Staate zusammennehmen muß, daß aber die Allgemeinheit des Zwecks nicht ohne das eigene Wissen und Wollen der Besonderheit, die ihr Recht behalten muß, fortschreiten kann. Das Allgemeine muß also betätigt sein, aber die Subjektivität auf der anderen Seite ganz und lebendig entwickelt werden. Nur dadurch, daß beide Momente in ihrer Stärke bestehen, ist der Staat als ein gegliederter und wahrhaft organisierter anzusehen." 1 Die Legitimität des modernen Staates als Einheitsstifter sozialer Differenz beruht nicht auf der Verwirklichung bestimmter politischer Endzwecke. Zwar spricht Hegel davon, daß die Individuen das Allgemeine „als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als ihren Endzweck tätig sind..."2, aber dieser Zweck wird nicht durch die Obrigkeit angewiesen und machtvoll durchgesetzt, sondern muß sich im Wollen und Wirken der Subjekte selbst manifestieren: Ansonsten kann von subjektiver Freiheit nicht gesprochen werden, und solche Zuweisung, solche Teleologie verweist auf despotische Zustände und nicht auf moderne Verhältnisse.3 Das Wollen des Staates und das Wollen der Subjekte können durchaus auseinandertreten, und in der Zusammenführung des Besonderen und des Allgemeinen erweist sich der Staat als gerechtfertigt oder nicht: „Auf die Einheit der Allgemeinheit und Besonderheit im Staate kommt alles an." 4 Diese Allgemeinheit bestimmt nicht erst die politische Ordnung des modernen Staates. Aber konnte in den vormodernen Herrschaftsformen noch davon ausgehen, daß die Individuen in ihrer Unverwechselbarkeit letztlich dem Telos des Gemeinwesens folgen, also Individualität ihre Rechtfertigung aus der Sozialität schöpft, so macht die Moderne das eigene „Wollen und Gewissen" 5 zur Quelle staatlicher Legitimität.
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Hegel, Werke, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1820/21), Bd. 7, Edition Mollenhauer/ Michel, Frankfurt/M. 1978,407, (Hervorhebungen im Original). Ebd., (Hervorhebungen im Original). Ebd., 410, § 262. Hegel spricht hier davon, daß dem „Platonische(n) Staat" die subjektive Freiheit noch nichts gelte. Ebd., § 2 6 1 . Ebd.
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Diese Metaphysik des Staates, der als Manifestation des Allgemeinen erst in der Moderne zu sich kommt, fußt auf der Freiheit und Besonderheit der Subjekte, deren Individualität gegenüber dem Staat sich in Form spezifischer, unhintergehbarer Rechte ausdrückt. Die Beschreibung politischer Herrschaftsverhältnisse in Rechtsbegriffen stellt eine dominierende Form der neuzeitlichen Individualisierung des Politischen dar. Die einzelnen haben als einzelne Ansprüche, Rechte gegenüber dem Allgemeinen. Diese finden ihre Legitimierung in der Zustimmung der Rechtssubjekte, in ihrem eigenen „Wollen und Gewissen", das gleichwohl in der konkreten Sittlichkeit des Staates seinen allgemeinen Ausdruck hat. Die Spannung zwischen Besonderung und Allgemeinheit findet in der politischen Philosophie des Sozialvertrages eine wirkungsmächtige Formel. Doch bevor dieser Hauptweg politischen Denkens beschrieben werden soll, muß noch ein Blick auf einen Nebenpfad gerichtet werden, den Hegel beschreitet. Er folgt in seinem Entwurf der Versöhnung von Differenz und Einheit nicht dem Modell des Gesellschaftsvertrages. Für Hegel gehört das Instrument des Vertrages in den Bereich der privaten bürgerlichen Geschäftstätigkeit, mit dem Privatleute - etwa im Kaufvertrag - ihre gegenseitigen Eigentumsansprüche anerkennen und regulieren. Grundlage solcher Verträge bildet aber letztlich immer die Willkür der Vertragschließenden: „Da die beiden kontrahierenden Teile als unmittelbare selbständige Personen sich zueinander verhalten, so geht der Vertrag a) von der Willkür aus; b) der identische Wille, der durch den Vertrag ins Dasein tritt, ist nur ein durch sie gesetzter, somit nur gemeinsamer, nicht an und für sich allgemeiner; c) der Gegenstand des Vertrags ist eine einzelne äußerliche Sache, denn nur eine solche ist ihrer bloßen Willkür, sie zu entäußern (§ 65 ff.), unterworfen." 1 Das Allgemeine muß aber mehr sein als nur die Summe der Einzelwillen; der Staat als Einheit der gesellschaftlichen Differenz ist danach mehr als eine bloße Verbindung partikularer Interessen, die bei Belieben wieder gelöst werden könnte. 2 Dieses Mehr kann aber nicht Gegenstand eines Vertrages von Privatleuten sein, der darüber hinaus den Status der Vertragsparteien nicht verändert; jeder Vertragspartner bleibt im Vertragsabschluß individuell, abgesondert, während im Staat ja gerade das Allgemeine aus den Einzelwillen entstehen soll. Für Hegel löst sich diese Spannung durch die Einführung eines fundamentalen Vernunftbegriffes auf. Das Im-Staate-Sein manifestiert die „vernünftige Bestimmung des Menschen". 3 Die sich in den Handlungen der Individuen äußernde Vernunft markiert das Allgemeine. Als Vemunftwesen können sich die abgesonderten Individuen anerkennen. Hier beginnt ein spezifischer Diskurs über die Authentizität menschlicher Willensäußerungen, die erst in ihrer Vernünftigkeit zu ihrer wahren Bestimmung finden, zu Menschen werden und den Staat um seiner selbst willen bejahen und nicht nur, weil sie in ihm ihren egoistischen Interessen nachgehen können.
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Hegel, Philosophie des Rechts, 157, § 75. Wobei dieses Problem noch an Brisanz gewinnt, wenn unter der Einheitsstiftung nicht nur die Vereinheitlichung der Individuen verstanden wird, sondern der Staat auch in sich seine Differenz zur Gesellschaft aufheben muß. Hegel, Philosophie des Rechts, 159, § 75, Zusatz.
Legitimität und Authentizität: Der Sozialvertrag
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3.3 Legitimität und Authentizität: Der Sozialvertrag In den Sozial Vertragstheorien wird nun aber - wie oben schon angedeutet worden ist - die Konstruktion des Allgemeinen anders fundiert. Thomas Hobbes hat im Leviathan das Modell einer solchen Einheitsstiftung des Allgemeinen aus dem partikularen Egoismus der Subjekte entwickelt. Danach ist der vorvertragliche Natur- oder Urzustand für die Menschen mit Schrecken verbunden; ohne regulierende Instanz herrscht ein binnengesellschaftlicher Kriegszustand. Jeder hat Recht auf Alles. Die Menschen leben unter „continuall feare, and danger of violent death; and the life of man, solitary, poore, nasty, brutish, and short" 1 , wie Hobbes in seiner berühmten Formulierung schreibt. Aus diesem Elend des Naturzustandes entsteht Ordnung erst dann, wenn die Individuen ihre natürlichen Rechte zu Gunsten einer staatlichen Zentralinstanz aufgeben: „I Authorise and give up my Right of Governing my selfe, to this Man, or to this Assembly of men, on this condition, that thou give up thy Right to him, and Authorise all his Actions in like manner." 2 Hobbes bindet das Allgemeinwohl an die Nutzenkalkulation der Individuen. Das Allgemeine entsteht hier aufgrund individueller Gewinnerwartungen; die Unterwerfung unter den Leviathan bringt den einzelnen einen höheren Gewinn als die Beibehaltung des Naturzustands: „For it is a voluntary act: and of the voluntary acts of every man, the object is some Good to himselfe."3 Für Hobbes artikuliert sich der Wille der Individuen einmal. Nach der Unterzeichnung des Sozialvertrages kommen die Individuen mit besonderen politischen Interessen nicht mehr zum Zuge; sie unterwerfen sich vollständig den diktatorischen Vollmachten des Leviathan. Das Individuum verliert seine Freiheit im Tausch gegen die Sicherung vor Übergriffen Dritter durch das staatliche Gewaltmonopol. Weil für ihn der Wille der Individuen weder moralisch noch psychologisch über diese Ebene der egoistischen Nutzenkalkulation hinausgeht, spielt für Hobbes der moderne Freiheitsbegriff nur eine begrenzte Rolle. Der Vertrag bindet die Vertragsparteien durch ihre Zustimmung, egal, ob diese erzwungen wurde, oder „frei" zustandekam: „Covenants entered into by fear, in the condition of meer nature, are obligatory. For example, if I Covenant to pay a ransome, or service for my life, to an enemy; I am bound by it."4 Ohne weiter auf die mit diesem Konzept verbundenen Probleme eingehen zu können 5 , kann hier festgehalten werden, daß
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Thomas Hobbes, Leviathan or The Matter, Forme, and Power of a Common-Wealth. Ecclesticall and Civill (1651), edited by C. B. Macpherson, Harmondsworth 1986, 186. Ebd., 227. Ebd., 192 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 198. Die Besonderheit von Hobbes' Argumentation besteht darin, daß der Sozialvertrag zwischen den herrschaftsunterworfenen Subjekten geschlossen wird. Diese verzichten gegenseitig auf die Wahrnehmung ihrer natürlichen Rechte und geben diese Rechte an die staatliche Zentralmacht ab. Im Gegensatz zu anderen Entwürfen des Sozialvertrags ist diese Zentralmacht kein Vertragspartner, demgegenüber die Individuen Rechtsansprüche anmelden könnten. Ein immanenter Widerspruch entsteht an dieser Stelle, weil nicht mehr einsehbar ist, worin der Gewinn für die Vertragschließenden besteht, wenn sie sich doch auf Gedeih und Verderb dem Leviathan ausliefern. Hobbes reagiert auf diesen Vorwurf, insofern, als (Leviathan, 272), bei einer Behandlung durch den Staat, die den
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Hobbes zwar mit der Erfindung des rational kalkulierenden Akteurs die Legitimitätsdebatte modernisiert, indem er sie von vorgegebenen religiösen Ordnungsmustern ablöst und an die Selbsttätigkeit der Subjekte bindet. Aber diese Aktivität der Herrschaftsunterworfenen wird auf einen einmaligen Zustimmungsakt reduziert und an keine andere Qualität gebunden als die Pazifizierungspotenz des Souveräns. Wenn der Staat Frieden zwischen den Individuen herstellt, ist er gerechtfertigt. Im weiteren Diskurs über den Sozialvertrag wird nun allerdings dem freien Willen der Individuen größerer Raum eingeräumt. Warum das so ist, läßt sich am Versuch Buchanans ablesen, in Anschluß an Hobbes einen „realistischen Sozialvertrag" für die Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. 1 Einerseits betont Buchanan, daß mit Hilfe des vertragstheoretischen Modells „Kriterien zur Beurteilung bestehender politisch-rechtlicher Systeme gewonnen werden (sollen)". 2 Andererseits gilt ihm aber aber ein „Sklavereivertrag" als legitim: „... in dem die ,Schwachen' damit einverstanden sind, für die ,Starken' Güter zu produzieren im Austausch gegen ein wenig mehr als die nackte Existenz, die ihnen unter anarchistischen Verhältnissen nicht sicher ist. Ein Sklavereivertrag würde - wie andere Verträge auch - individuelle Rechte festlegen ,..". 3 Doch wenn der Vertrag sogar auf Erpressung und Bedrohung fußen darf, dann kann er keine Kriterien für die Unterscheidung von legitimer/ illegitimer Herrschaft liefern, denn dann ist der Vertrag allein aufgrund seiner Form als einer von zwei Parteien (oder mehr) unterzeichneten Willenserklärung legitim. Erst wenn die Freiheit der Vertragspartner als Bedingung der Vertragsunterzeichnung zu Grunde gelegt wird, kann überhaupt eine Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Verträgen und Herrschaftsordnungen durchgeführt werden. Das bedeutet aber eine permanente Reflexion der tatsächlichen oder nur scheinhaften Willensfreiheit. Die Authentizität der Willenserklärung steht auf dem Prüfstand. Daneben findet im kontraktualistischen Diskurs die Idee einer stärkeren Überprüfung der Rechtsübertragung auf den Staat breite Artikulation. Die von Hobbes' entwickelte Logik, wonach die Herrschaftsakte des Leviathan schon deshalb gerechtfertigt seien, weil sie ja letztlich von allen Beteiligten im Sozialvertrag beschlossen worden seien, wird zu einem permanenten Prüfungsauftrag, ob die Voraussetzugen der Herrschaftseinsetzung noch gegeben sind. Die Konzeption des Sozialvertrages stellt so schließlich ein Gedankenexperiment dar, in dem unter den Voraussetzungen der Moderne, der Säkularisierung, von Individualisierung und gesellschaftlicher funktionaler Differenzierung, über die Bedingungen der Möglichkeit der Begründung des Allgemeinen nach-
einzelnen wieder auf das Niveau des Naturzustandes hinabzwingt, der Leviathan seine Existenz verliert, da dann die Subjekte wiederum ihre Rechte direkt wahrnehmen werden. Vgl. Reinhard Brandt, „Rechtsverzicht und Herrschaft in Hobbes' Staatsverträgen", in: Philosophisches Jahrbuch 87/1980, 41-56. 1
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James Buchanan, Die Grenzen der Freiheit. Zwischen Anarchie und Leviathan, Tübingen 1984 (engl. Original Chicago 1975). E b d , 73. Ebd., 86. Vgl. auch Michael Fritsch, „Zur Behandlung des Legitimationsproblems im Rahmen ökonomischer Sozialtheorie", in: ARSP, 70/1984, Nr. 2., 190-203. Zur Kritik an Buchanan siehe: Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 321-349.
Legitimität und Authentizität: Der Sozialvertrag
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gedacht wird. 1 Zur entscheidenden p o l i t i s c h e n Kategorie wird dabei neben der Rationalität der A k t e u r e die potentielle Z u s t i m m u n g s f ä h i g k e i t der Subjekte z u m Vertragsinhalt. N u r w a s sie aus ihrem freien W o l l e n , ihrer „Innerlichkeit" b e s c h l i e ß e n ist legitim. 2 D e r Diskurs über Legitimität erfährt auf d i e s e W e i s e e i n e e i n s c h n e i d e n d e V e r ä n d e r u n g , sind e s d o c h jetzt nicht m e h r s p e z i f i s c h e Inhalte, sondern f o r m a l e Prinzipien, d i e d i e U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n legitim/ illegitim m ö g l i c h m a c h e n . U n d hier b e g i n n e n dann n o t w e n d i g e r w e i s e d i e D e b a t t e n über die Füllung der zentralen B e g r i f f e „freier Wille", „Rationalität", „ A l l g e m e i n w o h l " und „politische Herrschaft". D a m i t wird in der M o d e r n e die Legitimität politischer S y s t e m e an d i e S e l b s t r e f l e x i o n der Individuen g e b u n d e n . N i c h t nur ihr „Legitimitätsglaube" 3 ist e n t s c h e i d e n d für die U n t e r s c h e i d u n g legitim/ illegitim, sondern die Prüfung ihrer „ w i r k l i c h e n " A u t o n o m i e . W o b e i sich hier dann z w e i A s p e k t e verschränken, d e n n der „wahre" W i l l e soll m ö g l i c h s t m o r a l i s c h das R i c h t i g e w o l l e n . D i e S u c h e nach der A u t h e n t i z i t ä t der p o l i t i s c h e n W i l l e n s e r k l ä r u n g findet in bestimmten Moralvorstellungen e i n e s p e z i f i s c h e Leitlinie, und e s w e r d e n i m Z u g e d i e s e s Ü b e r p r ü f u n g s d i s k u r s e s u n t e r s c h i e d l i c h e M o d e l l e der V e r s ö h n u n g v o n a u t o n o m e n W i l l e n und Moral e n t w i c k e l t ( s i e h e Kapitel 4).
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Vgl. Peter Koller, „Theorien des Sozialkontrakts als Rechtfertigungsmodelle politischer Institutionen", in: Lucian Kem/Hans-Peter Müller (Hrsg.), Gerechtigkeit, Diskurs oder Macht? Die neuen Ansätze in der Vertragstheorie, Opladen 1986, 7-34. Vgl. Patrick Riley, Will and Political Legitimacy. A Critical Exposition of Social Contract Theory in Hobbes, Locke, Rousseau, Kant, and Hegel, Cambridge/Mass. 1982. Diese Verbindung von Individualisierung und Legitimation ist so beherrschend, daß sie selbst solche Konzeptionen bestimmt, die von ausgesprochenen Anti-Kontraktualisten stammen. So bindet etwa David Hume Legitimation politischer Herrschaft an die Meinung der Staatsbürger, es werde richtig im Sinne des Allgemeinwohls (opinion of public interest), legal (opinion of right to power) und umfassender Eigentumssicherung (opinion of right to property) regiert. Vgl. Iring Fetscher/Herfried Münkler (Hrsg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, Band 3: Neuzeit - Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München und Zürich 1985,410-418. Der Bezug von Ulrich Druwe, „Vertragstheorie als Staatslegitimation", in: ARSP, 74/1988, 394-399, auf Hume geht an dieser Verbindung von Individualisierung und Legitimation vorbei. Am Rande ist noch darauf hinzuweisen, daß diese Individualsierung sich demokratietheoretisch im Spannungsbogen von Mehrheitsentscheidungen/ Minderheitenrechten ausbuchstabiert. Deutlich wahrnehmbar ist eine Tendenz, vorhandene rechtliche Sicherungsräume von Minderheiten zu politischen Sperrminoritäten gegen unliebsame Entscheidungen von Mehrheiten auszubauen. Vgl. dazu: Claus Offe, „Politische Legitimation durch Mehrheitsentscheidung?" in: Journal für Sozialforschung, 22/1982, S.311-335. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Auflage, Tübingen 1990, 16, 122ff. Weber hat in seinem methodologischen Individualismus die adäquate Methode der Untersuchung von Legitimation politischer Herrschaft insbesondere in der Moderne entwickelt. Allerdings verengt die Bildung „drei reine(r) Typen legitimer Herrschaft" „rationalen, traditionalen, charismatischen Charakters" (124) den Blick auf Möglichkeiten und Grenzen des Legtimitätsglaubens. Vgl. Paul Baumann, „Die Motive des Gehorsams bei Max Weber: eine Rekonstruktion", in: ZfS, 22/1993, Nr. 5, 355-370.
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3.4 Exkurs: Legitimität jenseits des Sozialvertrags Herders Entwurf einer authentischen Ordnung als Pastorale Bevor eine Analyse jener Legitimitätsproduktion skizziert wird, welche die soziale Differenzierung als Ausgangspunkt systemtheoretischer Überlegungen zur politischen Folgebereitschaft benutzt, soll in den folgenden Abschnitten ein Strang der politischen Authentizitätsdebatte dargestellt werden, der im weiteren Verlauf dieser Studie in den Hintergrund tritt, der aber den willensbasierten Legitimitätskonzepten immer wieder als Referenzpunkt dient. Die Bindung der Rechtfertigung politischer Gefolgschaft an die Selbstbestimmung der Individuen, an ihre Ausforschung und permanente Prüfung macht nicht nur die Formulierung der sozialvertraglichen Legitimationsfiktion möglich. Daneben entwickelt sich ein Diskurs, der die Vielfältigkeit der Subjekte und ihren authentischen Ausdruck in geschichtsphilosophischen und/ oder natürlich-organizistischen Szenarien verallgemeinern will. In solchen Argumentationszusammenhängen bildet nicht die angenommene Rationalität der freien Willensentscheidung der Individuen die Grundlage ihrer legitimen Vergesellschaftung, sondern bestimmte Eigenschaften im Wesenskern der Subjekte drängen zur Verwirklichung. Sozialität gilt demnach als Ausdruck bestimmter Substantialität. Authentisch sind Individuum und Gemeinschaft dann, wenn dieser Kem der personalen Identität wirken kann und die Handlungen der Personen bestimmt. Dieses Szenario findet einen ihrer Ursprünge in Johann Gottfried Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784-1791). 1 Auch für Herder ist der Ausgangspunkt seiner Überlegungen die Einzigartigkeit und Differenz der Subjekte. Diese tragen in sich einen Kern, der ihre Selbstbestimmung prägt: „Jeder Mensch hat ein eigenes Maas, gleichsam eine eigne Stimmung aller sinnlichen Gefühle zu einander, so daß bei außerordentlichen Fällen oft die wunderbarsten Aeußerungen zum Vorschein kommen, wie einem Menschen bei dieser oder jener Sache sei. Aerzte und Philosophen haben daher schon ganze Sammlungen von eigenthümlich-sonderbaren Empfindungen d. i. Idiosynkrasien gegeben, die oft so seltsam als unerklärlich sind ... Die Sprache hat auch keinen Ausdruck für sie, weil jeder Mensch doch nur nach seiner Empfindung spricht und verstehet, verschiednen Organisationen also ein gemeinschaftliches Maas ihrer verschiedenen Gefühle fehlet." 2 Jedes Individuum verfügt über eine eigene Signatur, somit ein originäres Maß, wobei Individualität mit der Schöpfung zahlreicher Wahrnehmungswelten einhergeht. Verschiedenheit der Personen bedeutet hier zuerst die Verschiedenheit ihrer Sinneseindrücke und Wahrnehmungen der jeweiligen Außenwelten. Grenzen sind diesen möglichen Empfindungsformen offensichtlich nicht gesetzt, so daß immer neue subjektive
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Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Erster Theil (1784) und Zweiter Theil (1785), Sämmtliche Werke, Bd. 13, herausgegeben von Bernhard Suphan, Berlin 1887. Siehe dazu Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt/M. 1991 (amerikanische Originalausgabe Baltimore 1973). Herder, Ideen, Zweiter Theil, 291.
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Sichtweisen entdeckt werden können. Damit verschärft sich das Problem der Intersubjektivität als Fundament des Allgemeinen. Herder bezweifelt sogar, daß die Sprache als das Medium von Perspektivenübernahme des jeweils Anderen und damit der Gesellschaftsbildung diese individuelle Unverwechselbarkeit verstehbar und sozial anschlußfähig machen kann. Das Individumm ist in seiner Besonderheit abgesondert. Herder überträgt diese Vorstellung einer spezifischen Authentizität der Individuen auch auf Völker und Nationen. Dadurch sieht er sich auf zwei Ebenen mit der Verbindung von Allgemeinheit und Vielfältigkeit konfrontiert. Wie in jedes Individumm ist auch in jede Nation ihre unverwechselbare „Vorstellungsart" eingeprägt, Manifestation ihrer „Lebensart", willkürliches „Himgemählde", das die personalen und „National-Begriffe" festlegt. 1 Diese nur schwer überschaubare Vielfältigkeit der Völker und Nationen stellt nun einerseits kein größeres Ordnungsproblem dar. In ihrer Organisation als souveräne Staaten bedürfen die unterschiedlichen kulturellen Muster keiner Verallgemeinerung, da sie untereinander keine gemeinsame sittliche Ordnung bilden (status hobbesienne). Andererseits verweist aber die Rede von der nationalen Signatur auf eine Vereinheitlichung der Individuen dieser Nation, für welche ebenfalls Unverwechselbarkeit angenommen wird. Diese Transformation von Individualität in Volks- und Nationalkultur geschieht in der Regel über die Etablierung einer staatlichen Zwangsinstanz. Doch gegenüber dieser Praxis ist Herder skeptisch. Für ihn kann die Unterwerfung unter mit Gewalt erhobene Ansprüche der Machthaber diesen unübersehbaren Reichtum an unterschiedlichen Individuen nicht zu einem Ganzen formen. Schon die natürliche Freiheit der Subjekte widerspricht der erzwungenen Unterordnung. 2 Diese Autonomieansprüche der Individuen setzen auch dem Staat normative Grenzen, nicht nur gegenüber den Individuen, sondern auch gegenüber anderen Völkern und Nationen, die ebenfalls einen Anspruch auf Respektierung ihrer jeweiligen Lebensart besitzen. Zwar ist die Ausbildung zentralstaatlicher Herrschaft den Sicherheitsansprüchen der Menschen geschuldet, die gegen zahlreiche Gefahren geschützt werden müssen, aber alles „... was der Staat uns geben kann, sind Kunstwerkzeuge, leider aber kann er uns etwas weit Wesentlicheres, Uns selbst, rauben." 3 Herder teilt damit die Vorstellung einer Notwendigkeit staatlicher Organisation, die die Selbstbehauptung der Menschen effektiviert, aber diese Funktionalität geht zu Lasten der individuellen „Selbstbestimmung". 4 Immer wieder preist er in seiner Geschichtsphilosophie die glücklichen Völker, die keiner staatlichen Organisation bedürfen. 5 Die „Staatsmaschienerie" markiert zwar auch einen prekären Fortschritt in der Sicherung der menschlichen Existenz, aber schon die Übertragung der Maschinen-Metapher auf politische Zustände zeigt an, daß das Politische zwangsläufig fremdbestimmten Effektivitätslogiken folgt, die auf den Menschen und seinen Ansprüchen
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Ebd., 3 0 3 . Ebd., 3 8 3 . Herder nimmt ausdrücklich davon die hierarchischen „Natur-Verhältnisse" (ebd.) zwischen unerzogenen Kindern und erziehenden Eltern, zwischen Kranken und Ärzten, Streitenden und Richtern etc. aus. Diese Machtgefälle verweisen aber immer auf Defizite der Herrschaftsunterworfenen, die zur Freiheit noch nicht fähig sind.
3
Ebd., 3 4 1 .
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Ebd., 149.
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Ebd., 340f.
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Der Wille der Individuen und die Entstehung politischer Legitimität in der Moderne
auf Wahrung seiner Unverwechselbarkeit keine Rücksicht nimmt. Maschine heißt Diktatur der Funktion, Austauschbarkeit der Teile, Serialität, Uniformität. Mit der Unterordnung unter ihre Befehle ist ein Verlust an individueller und kollektiver Autonomie verbunden. Herder sieht nun, daß das hier aufgestellte Autonomie-Postulat allerdings nicht nur der Realität politischer Ordnungsbildung, sondern darüber hinaus den phylo- und ontogenetischen Entwicklungsbedingungen der Menschen widerspricht, kommen diese doch eben nicht selbstbestimmt auf die Welt. Kein Geschöpf wird gefragt, so stellt er fest, ob es geboren werden will, und alle Geschöpfe bedürfen einer mehr oder minder langen Phase der Ausbildung und Erziehung durch ihre Vorfahren. Individuell und kollektiv setzt für ihn die Herausbildung einer authentischen Signatur Entwicklung, Reifung voraus. Der Mensch ist kein „Selbstgebohrner" 1 , sondern auf Anleitung zur Entwicklung seiner Selbstbestimmungsfähigkeiten angewiesen. Diese Erziehung zur Autonomie findet in der Familie statt, die damit zum Modell geglückter sozialer Einbettung der Individuen aufsteigt. Der Staat kann demgegenüber nur als Kunstgeschöpf angesehen werden, welchem in der Regel die natürliche Ordnung abgeht: „Die Natur erzieht Familien; der natürlichste Staat ist also auch Ein Volk, mit einem Nationalcharakter. Jahrtausende lang erhält sich dieser in ihm und kann, wenn seinem mitgebohrnen Fürsten daran liegt, am natürlichsten ausgebildet werden: denn ein Volk ist sowohl eine Pflanze der Natur, als eine Familie; nur jenes mit mehreren Zweigen. Nichts scheint also dem Zweck der Regierungen so offenbar entgegen, als die unnatürliche Vergrößerung der Staaten, die wilde Vermischung der MenschenGattungen und Nationen unter einem Scepter. Der Menschenscepter ist viel zu schwach und klein, daß so widersinnige Theile in ihn eingeimpft werden könnten; zusammengeleimt werden sie also in eine brechliche Maschiene, die man Staats-Maschiene nennet, ohne inneres Leben und Sympathie der Teile gegen einander." 2 Die natürliche Ordnung wird hier zur normativen Folie bei der Zuschreibung von Legitimität. Deshalb kann auch die konkrete institutionelle Ausformung dieser Ordnung vernachlässigt werden. Ob einzelne oder viele regieren, spielt eher eine geringe Rolle, wichtig ist die Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur. Die Beantwortung der Frage, was denn das Wollen der Natur sei, wird bei Herder durch Introspektion gewonnen. Die Antwort liegt in den Individuen. In diesen Vorstellungen artikuliert sich kein politisches Denken einer vormodernen, kosmologischen Ordnung, denn Herder stellt ja gerade die Selbstbestimmung der Individuen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, die das Wollen der Natur in sich entdecken können. Die pantheistische Grundierung seines Denkens wird durch Vorstellungen von der Bedeutung der Aktivitäten der unverwechselbaren Individuen gleichsam modernisiert. Versöhnt wird dieser Widerspruch zwischen Individualisierungskonzept und Organizismus durch die Dynamisierung dieser Idee der natürlichen Ordnung. Zwar finden sich bei Herder häufig Vergleiche der guten politischen Ordnung mit der Harmonie des pflanzlichen Baus, aber damit steigt nicht ihre immerwährende organische Vollkommenheit zum Muster für die Vergesellschaftung des Menschen auf. Vielmehr geht es Herder in der Benutzung der Metaphorik des Pflanzlichen um die Darstellung einer im Pflanzen- (und Tier)reich geglückten Realisierung vorhandener Wachstumspotentiale. Die Natur schöpft ihre Möglichkeiten vollkommen aus, und damit wird sie zum Vorbild für die Verwirklichung
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Ebd., 344. Ebd., 384 (Hervorhebung im Original).
Herders Entwurf einer authentischen Ordnung als Pastorale
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der im Menschen angelegten Chancen für einen Durchbruch zu seiner jeweiligen Authentizität. Im dritten Teil seiner Geschichtsphilosophie heißt es beispielsweise über Aufstieg und Fall des römischen Reiches: „Die Römer waren und wurden, was sie werden konnten: alles gieng unter oder erhielt sich an ihnen, was untergehen oder sich erhalten mochte. Die Zeiten rollen fort und mit ihnen das Kind der Zeiten, die vielgestaltige Menschheit. Alles hat auf der Erde geblüht, was blühen konnte; jedes zu seiner Zeit und in seinem Kreise: es ist abgeblüht und wird wieder blühen, wenn seine Zeit kommt." 1 Herder entwirft hier kein zyklisches Geschichtsbild. Die Rede vom „Verblühen" und „Erblühen" entspricht nicht nur zeitgenössichem Interesse am Thema des Aufstiegs und Verfalls großer Reiche. 2 Auch die Beschäftigung mit dem möglichen Wiederblühen einstiger großer Reiche als Beitrag in der Debatte über die Entstehung und den Aufstieg einer deutschen Kulturnation schöpft diese Betonung der Entwicklungsmöglichkeiten nicht aus. 3 Über diese Ebenen hinausgehend, formuliert Herder hier so etwas wie ein Gesetz seiner Geschichtsphilosophie. Im Wesen der Individuen und Völker, in ihrem authentischen Kern liegt ihre „Vorsehung" 4 , ihr Schicksal begründet. Um diese Selbstverwirklichung muß gekämpft werden. Authentizität ist ohne Anstrengung nicht zu haben. Herder übernimmt in diesen Vorstellungen einer Realisierung innerer Wesenskerne die Semantik der aufklärerischen Selbstbehauptungsimperative, die die umfassende Dynamisierung aller gesellschaftlichen, politischen und ideellen Grundlagen des Ancien regime begründen. Folgerichtig gehören Revolutionen als Zeiten der gewalttätigen Kämpfe um Selbstbestimmung zur Verbesserung bestehender statischer politischer Ordnungen. 5 In diesen Überlegungen zur Ausschöpfung der inneren Potentiale von Individuen und Völkern nimmt die Unterscheidung zwischen Wesen und Erscheinung besondere Form an. Die für schlecht oder korrekturbedürftig empfundene Gegenwart wird mit der Hoffnung ausgestattet, daß die bestehenden Defizite, das Unbehagen und Unglück von einzelnen und Kollektiven nicht das Eigentliche, der Kem der Dinge, Verhältnisse und Zeiten sei. In der Metapher der natürlichen Entwicklung steckt ein Versprechen der Perfektibilität. Die Authentizität der Individuen findet ihre Einbettung in einen Entwicklungsprozeß der Menschheit, in welchem sich die Spannung zwischen Selbstbestimmung und Erziehung durch andere löst. Das Individuum knüpft an Traditionen an und setzt diese durch seine
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Ders., Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Dritter Theil (1787), Sämmtliche Werke, Bd. 14, herausgegeben von Bernhard Suphan, Berlin 1909, 203. Hier soll nur an den publizistischen Erfolg von Edward Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire (1776-1788) erinnert werden. Vgl. VonDeutscher Art und Kunst 1773. „Sturm und Drang" bei Herder, Goethe und Moser, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung der Justus-Möser-Gesellschaft, Osnabrück 1992. Ein Begriff mit dem Herder häufig arbeitet und der von ihm auch hierarchisch im Sinne eines höheren Waltens gebraucht wird, wenn er etwa {Ideen, Zweiter Theil, 353) v o m „Throne der Vorsehung" spricht. Aber immer bleibt diese „Vorsehung" an die Aktivitäten der Individuen, ihre Entfaltung und Selbstverwirklichung gebunden. Herder, Ideen, Zweiter Theil, 353: „Das Samenkorn aus der Asche des Guten ging in der Zukunft desto schöner hervor und mit Blut befeuchtet, stieg es meistens zur innerweltlichen Krone. Das Maschinenwerk der Revolution irret mich also nicht mehr: es ist unserem Geschlecht so nöthig, wie dem Strom seine Wogen, damit er nicht ein stehender Sumpf werde."
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Aktivität fort. Das „Principium zur Geschichte der Menschheit" 1 besteht in der lebenslangen Erziehung zum Menschen an sich. Im individuellen Bildungsgang drückt sich die Fähigkeit der menschlichen Gattung zur fortschreitenden Perfektibilität durch Lernen aus. Diese Offenheit ist das Authentische. Das Medium dieser Hoffnung auf Durchbruch zum eigentlichen Menschen ist die Geschichtsphilosophie. In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit wird eine Tendenz zur Verwirklichung der menschlichen Potentiale sichtbar. Der hier deutlich werdende Optimismus ist dem richtigen Blick auf das historische Chaos geschuldet. Authentizität entsteht somit in der richtigen Betrachtung der Geschichte: „Die Philosophie der Geschichte also, die die Kette der Tradition verfolgt, ist eigentlich die wahre Menschengeschichte, ohne welche alle äußere Weltbegebenheiten nur Wolken sind oder erschreckende Misgestalten werden. Grauenvoll ist der Anblick, in den Revolutionen der Erde nur Trümmer auf Trümmern zu sehen, ewige Anfäge ohne Ende, Umwälzungen des Schicksals ohne dauernde Absicht! Die Kette der Bildung allein macht aus diesen Trümmern ein Ganzes, in welchem zwar Menschengestalten verschwinden, aber der Menschengeist unsterblich und fortwirkend lebet." 2 Die geschichsphilosophische Reflexion preßt der Unordnung einen Sinn ab, und dieser besteht in der Verwirklichung der individuellen Wesenskerne, die durch Tradition über die Generationen hinweg verbunden sind und so auch der Menschheitsgeschichte zum authentischen Ausdruck verhelfen. Die Geschichte der „Verwüstungen", der „Schandthaten", des Leidens und sinnlosen Todes kann so als inauthentische Erscheinung begriffen werden. Das eigentliche Wesen der Geschichte kommt erst in ihrer Philosohie zum Ausdruck. Sie zeichnet „das sparsame wahre Verdienst wirkender Humanität aus, das auf unsrer Erde immer still und verborgen ging und selten die Folgen kannte, die die Vorsehung aus seinem Leben, wie den Geist aus der Masse hervorzog." 3 Durch historische Bildung kann der jeweilige Stand der Selbstbestimmung und -Verwirklichung gemessen werden, weil das Potential aller Individuen auf die Entwicklung zur Humanität drängt. Letztlich zielt die Authentizität der Individuen auf Harmonie und Glückseligkeit. Herder bemüht damit schließlich einen Kunstgriff, um das Problem der Verallgemeinerung unverwechselbarer Individualität ohne Zwangsmittel zu lösen. In ihrem jeweiligen eigenen Maß sind alle Individuen gleich in ihrem Kern, Menschen zu sein. Und das bedeutet, fähig zu sein, in sich die Quellen der Humanität zu entdecken und entsprechend zu leben und zu handeln. Obwohl letzten Endes das authentische Individuum in der authentischen Nation aufgeht, wird sein Schicksal nicht dem Fortschritt bis hin zur endgültigen Verwirklichung der Humanität geopfert. Jedes Individuum hat Anspruch auf Realisierung seines Maßes und damit auf Glück. Dieser Glückanspruch macht die Signatur der Individuen aus, denn jedes verfügt über einen nur ihm eigenen Maßstab. Jeder „... trägt
1
Ebd., 3 4 5 .
2
Ebd., 3 5 2 .
3
Ebd., 3 5 3 . Herder geht hier auf das Problem ein, wie aus Materie etwas entstehen kann, wie „Seele", „Geist",
„Spiritualität"
(Leib-Seele-Problem),
welche
Kraft die physikalische
„Masse"
zum
metaphysischen „Geist" werden läßt. Für ihn ist schon in der biologischen Anlage des Menschen dieses Potential angelegt, das dann in der Entwicklung der Menschheit ausgebildet und immer höher entwickelt wird.
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die Form an sich, zu der er gebildet worden und in deren Umriß er allein glücklich werden kann." 1 Diese Tröstung der Individuen, die die Vollendung des Menschengeschlechts nicht erleben werden, aber als authentische Subjekte sinnvoll gelebt haben, verflüchtigt sich in den auf Herder folgenden Geschichtsphilosophien des 19. und 20. Jahrhunderts, in denen das Problem der Parusie, der enttäuschten Gegenwartshoffnungen, wieder auftaucht. So wird Hegel, dessen Geschichtsphilosophie der Vernunftentfaltung einen ähnlichen Authentizitätsrahmen beschreibt, diese Tröstung nicht mehr kennen. Bei ihm muß es den einzelnen genügen, daß die Menschheit weiterlebt und irgendwann die Vernunft ganz zu sich kommt (siehe dazu auch Kapitel 4.2.). Die Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen in der legitimen politischen Ordnung wird nach Herder stärker als Problem der Abstraktion der individuellen Unverwechselbarkeit gedacht. Beispielhaft kann in diesem Zusammenhang auf Schillers Überlegungen zur Ästhetischen Erziehung des Menschen (1795) hingewiesen werden, weil in ihnen Herders Programm der Versöhnung der Individuen in der Nation fortgeschrieben und zugleich seine Idyllisierung überwunden wird. Schiller fordert dort zur Wahrung von „Eigentümlichkeit" und „Persönlichkeit" 2 im Prozeß der Herausbildung des Allgemeinwohls auf. Zugleich entwirft er aber eine Utopie der Verschmelzung von Individuum und Staat, welche von den konkreten Idiosynkrasien absieht und einen typisierten Menschen voraussetzt: „Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins ist. Dieser reine Mensch, der sich mehr oder weniger deutlich in jedem Subjekt zu erkennen gibt, wird repräsentiert durch den Staat, die objektive und gleichsam kanonische Form, in der sich die Mannigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen trachtet. Nun lassen sich aber zwei verschiedene Arten denken, wie der Mensch in der Zeit mit dem Menschen in der Idee zusammentreffen, mithin ebenso viele, wie der Staat in den Individuen sich behaupten kann: entweder dadurch, daß der reine Mensch den empirischen unterdrückt, daß der Staat die Individuen aufhebt; oder dadurch, daß das Individuum Staat wird, daß der Mensch in der Zeit zum Menschen in der Idee sich veredelt,"3 Auch Schiller arbeitet mit der Unterscheidung zwischen Wesen und Erscheinung. Aber er weist dem authentischen Ausdruck eine andere Bedeutung zu als Herder. Die Introspektion bringt die Norm des zum Allgemeinwohl fähigen Individuums an die Oberfläche, aber dieser Wesenskern gilt nicht als authentischer als die konkreten empirischen Erscheinungsweisen von Individualität. Im Gegenteil, gerade der „empirische Mensch" artikuliert Unverwechselbarkeit. Schiller stellt sich das Problem der Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen also sehr viel radikaler als Herder, der in seiner naiven Anschauung der Vielfältigkeit menschlicher Seinsformen schon die Harmonisierung durch Entwicklung angelegt sieht. Jedes Individuum schöpft sein Potential aus und dient damit auch dem Ganzen der Menschheitsentwicklung. Für Schiller dagegen trägt der individuelle Ausdruck
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Ebd., 342. Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen (1795), Stuttgart 1965, 13. Ebd., 1 l f (Hervorhebungen im Original).
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immer die Gefahr der gescheiterten InterSubjektivität in sich, deshalb muß entweder das Allgemeine das Besondere aufzehren (etwa indem der Staat die Individuen gleichschaltet), oder im Individuellen muß der Kern des Allgemeinen schon angelegt sein. Er greift hier auf Ideen zurück, die im Authentizitätskonzept Rousseaus eine wichtige Rolle spielen. Auch dort ist das authentische Individuum jenes, welches die volonte generale internalisiert hat (siehe dazu genauer Kapitel 4. 1.). Mit der Konstruktion des „veredelten" empirischen Menschen und seines authentischen Ausdrucks verändert sich das Verständnis von Authentizität. Die Expression der Individualität bedarf hier einer Formung, einer Erziehung zum „Ideal". Die Abgründe befreiter Individualität werden durch eine Sicherheitskonstruktion überbrückt, die die ihr unliebsamen Ausprägungen der Individualisierung aufhebt. Dem Vorwurf, damit den Forderungen nach Autonomie und Selbstbestimmung eine Absage erteilt zu haben, begegnet Schiller mit dem Hinweis, daß in jedem Individuum dieser Mensch des Allgemeinwohls schon angelegt ist. „Idealer" und „empirischer" Mensch sind für ihn beides authentische Teilausdrücke seiner Individualität. Die Mannigfaltigkeit individueller Erscheinungsweisen ist im Staat nicht aufzuheben, nicht zu negieren, sondern zu einem höheren Ganzen zu formen. Im authentischen Individuum versöhnen sich Pflicht und Neigung, objektiver und spezifischer Charakter seiner Persönlichkeit: „Ist der innere Mensch mit sich einig, so wird er auch bei der höchsten Universalisierung seines Betragens seine Eigentümlichkeit retten, und der Staat wird bloß der Ausleger seines schönen Instinkts, die deutlichere Formel seiner inneren Gesetzgebung sein." 1 Dieses Bei-Sich-Sein, der Ausgleich von „idealen" und „empirischen" Anteilen nennt Schiller „ästhetisch". 2 In der ästhetischen Gemütsverfassung verallgemeinern sich die Individuen. Diese Betonung des Ästhetischen als umfassendes Regulativ sozialer Beziehungen weist auf die Romantik 3 voraus, aber diese lehnt letztlich die Idee der Versöhnung und die Kopplung von Ästhetik, Moral und Wahrheit ab und situiert das Individuum in seiner Authentizität
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Ebd., 14. Ebd., 83. Mit Karl Heinz Bohrer, Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne, Frankfurt/M. 1989 soll hier Romantik als Form und Inhalt bestimmter Denkfiguren wie zur Idiosynkrasie gesteigerte Individualität bis zur Theodizee des Bösen und Häßlichen, Selbstgesetzgebung des Subjekts, Selbstreflexivität, Kontingenzbewußtsein, Rede vom Phantastischen/ Unbewußten begriffen werden. Das nimmt dem Begriff wenig von seiner Unschärfe, macht aber hinreichend deutlich, daß die Romantik Teil des modernen Diskurses über Individualisierung, ihre Möglichkeiten und Grenzen, Verheißungen und Schrecken ist und nicht etwas von diesem Diskurs Ausgeschlossenes. Für Wolfgang Fritschler, „Romantische Beobachtungen. Niklas Luhmanns soziologische Aufklärung als moderne soziologische Romantik", in: SoSy, Nr. 2., 1995, 35-51, sind Aufklärung und Romantik gar „die zwei irreduziblen Seiten der Form der Moderne" (36). Vgl. für die politischen Aspekte im Sinne der Stiftung des Allgemeinen: Frederick C. Beiser (Ed.), The Early Political Writings of the German Romantics (Cambridge Texts in the History of Political Thought), Cambridge 1996. Ricarda Huchs Blütezeit der Romantik (1899) und Ausbreitung und Verfall (1902) sind als wichtige Symptome der Debatte über den Stellenwert der Romantik auch heute noch genauso lesenswert wie Carl Schmitts Politische Romantik (1919).
Legitimität und Authentizität: Die Theorie funktionaler Differenzierung
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radikal abgesondert und fragmentiert. 1 Zum Allgemeinen gibt es nur noch das Verhältnis der Negation. 2 Die subjektive Wahrnehmung wird in ihrer ästhetischen Form des Phantastischen, Plötzlichen, Wahnsinnigen usw. zum privilegierten Wirklichkeitszugang. Die Ästhetik beansprucht hier einen eigenen Platz neben den ethisch-politischen Einhegungen der Individualität in Organizismus, Staatsapologie und Geschichtsphilosophie. Die Spannung zwischen Besonderung und Allgemeinheit wird zugunsten der individuellen Idiosynkrasie gelöst. Nietzsche greift diesen Gedanken schließlich auf und leitet aus dieser Ästhetik der Selbstbestimmung unter dem Stichwort des „Willens zur Macht" seine politische Legitimation der Ursupation des Allgemeinen durch das von moralischen Fremdbestimmungen befreite Individuum ab (siehe Kapitel 4.1.2.). Damit fädelt er sich als Spätromantiker wieder in den willensorientierten Legitimationsdiskurs ein.
3.5 Legitimität und Authentizität: Die Theorie funktionaler Differenzierung Ein Problem dieser individualistischen Legitimationsauffassung wird schnell deutlich, wenn der politikwissenschaftliche Beobachter den Blick vom Legitimationsdiskurs abwendet und auf die Funktionalität des politischen Systems schaut. Dann rückt in den Blickpunkt, daß die systemische Einheitsstiftung angesichts der individuellen Idiosynkrasien höchst unwahrscheinlich ist und keine soziale Stabilität erwarten läßt 3 . Niklas Luhmann formuliert deshalb das Problem der Legitimationsstiftung in der Moderne um: „Legitimität beruht somit gerade nicht auf ,frei-williger' Anerkennung, sondern im
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Novalis' 1798 in den Jahrbüchern der Preußischen Monarchie unter dem Titel „Glauben und Liebe oder der König und die Königin" veröffentlichte Wahrnehmung, König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise seien der authentische Ausdruck von Empirie und Idealität der Individuen, findet im philosophischen Diskurs der Romantik über Ästhetik, Individualisierung und Ethik (als Prinzip des Allgemeinen) keinen Anschluß. Vgl. Frank-Lothar Kroll, Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der Deutschen Romantik, Berlin 1990, 17. Gerade nach Etablierung der „Heiligen Allianz" nehmen die staatspolitischen Aspekte in der Literatur der Romantik ab. Diese sieht sich zunehmend der Kritik ausgesetzt, das Ästhetische vom Völkischen und Nationalen abgetrennt und verselbstständigt zu haben. Zur Problematisierung der Begriffe „Nation" und „Patriotismus" in der Romantik siehe Kapitel 1.2.4. „Nation, Patriotismus und die ,goldene Zeit'" in Eva Volkmer-Burwitz' Dissertation, Tod und Transzendenz in der deutschen, englischen und amerikanischen Lyrik der Romantik und Spätromantik, Frankfurt/M. 1987. Stärker verbreitet ist die Vorstellung, im „Künstlerbund" eine Form der Vergesellschaftung der Individuen zu finden. Vgl. dazu: Peter Betthausen, „Die wahren Künstler- ein Volk von Königen. Die Gemeinschaftsidee der Romantiker", in: Von Caspar David Friedrich bis Adolph Menzel: Aquarelle und Zeichnungen der Romantik aus der Nationalgalerie der Berlin/DDR, Kunstforum Länderbank Wien, 31. Januar bis 21. April 1990, hrsg. von Gottfried Riemann/Klaus Albrecht Schröder, München 1990, 27-37.
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Hier wird der existentialistische Authentizitätsdiskurs ansetzen. Siehe dazu Kapitel 4.3. Richard Schottky, „Die staatsphilosophische Vertragstheorie", in: Kielmansegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme, 86.
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Der Wille der Individuen und die Entstehung politischer Legitimität in der Moderne
Gegenteil auf einem sozialen Klima, das die Anerkennung verbindlicher Entscheidungen als Selbstverständlichkeit institutionalisiert und sie nicht als Folge einer persönlichen Entscheidung, sondern als Folge der Geltung der amtlichen Entscheidung ansieht. Nur durch solche Ablösung von persönlicher Motivation und Verantwortung können in sehr komplexen Sozialordnungen, die zugleich Persönlichkeiten stark differenzieren und individualisieren müssen, das notwendige Gleichmaß der Normbefolgung und eine glatt ablaufende Entscheidungspraxis sichergestellt werden. Nur wenn man die Bindung des Legitimitätsbegriffes an die persönlich geglaubte Richtigkeit der Entscheidungen aufgibt, kann man die sozialen Bedingungen der Institutionalisierung von Legitimität und Lernfähigkeit in sozialen Systemen angemessen untersuchen." 1 Diese Sichtweise ist deutlich von der Wahrnehmung bestimmt, daß in komplexen, hoch differenzierten, bevölkerungsstarken Gesellschaften eine Vereinheitlichung der Individuen höchst problematisch und wenig wahrscheinlich ist. Die Legitimität des politischen Systems soll deshalb von der konkreten Zustimmung der Subjekte gelöst werden, die die politischen Entscheidungen wie selbstverständlich akzeptieren, ohne dafür besondere Gründe in jedem Einzelfall mobilisieren zu müssen. Legitimität besteht dann, wenn dieses quasi motivationslose Akzeptieren erfolgt; bleibt solche Legitimationszuschreibung aus, indem Akzeptanz entzogen wird, entsteht ein Legitimationsproblem. Letztlich hängt die Funktionalität des politischen Systems davon ab, ob die Individuen bereit sind, inhaltlich unbestimmte und un vorhersehbare Entscheidungen zu tolerieren und ob sie lernen, mit der Enttäuschung ihrer Erwartung so umzugehen, daß die Prozeßlogik des Verfahrens nicht in Frage gestellt wird. Allerdings kann dies nicht gelingen, wenn die Ansprüche der Individuen auf Expression ihres freien Wollens nicht erfüllt werden. Luhmann zeigt in einer Untersuchung der legitimationsstiftenden Funktion von Wahlen beispielhaft, wie sich in den liberaldemokratischen, parlamentarischen Systemen Ansprüche der Subjekte nach Expression des politischen Wollens, auf gleiche Behandlung, auf prinzipielle Offenheit und Ungewißheit des Wahlausgangs, auf Beteiligung an Entscheidungsprozessen, auf Autonomie und Selbstbestimmmung im Wahlrecht niederschlagen. 2 Diese Skizze soll hier genügen, um deutlich zu machen, daß Legitimationsstiftung nur dann gelingt, wenn „Variabilität in Stabilität transformiert". 3 Hier stoßen wir dann aber am Ende einer kurze Reflexion über einen systemtheoretischen Begriff der Legitimation auf die von Hobbes und Hegel 4 vorgegebene Problemstellung der Stiftung von Einheit in der Beibehaltung des Differenten: „Soziale Differenzierung führt, das ist allgemein bekannt, zur Individualisierung der Persönlichkeiten. Der einzelne erlebt sein Handeln als durch so viele und immer wechselnde soziale Systeme beansprucht, daß er eine einigermamßen konsistente, praktisch durchführbare Handlungsabfolge nur noch als Persönlichkeit zusammenbringt. Er braucht ein Integrationsprinzip jenseits der sozialen Systeme. Umgekehrt sind die sozialen Systeme jetzt darauf angewiesen, strukturkonformes,
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Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Auflage, Frankfurt/M. 1993, 34. Ebd., 155ff. Ebd., 252. Klingt verdächtig alteuropäisch. Mehr als eine Metapher: Vgl. Ludwig Siep, „Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften", in: Hegel-Studien, 9/1974, 155-209.
Legitimität und Authentizität: Die Theorie funktionaler Differenzierung
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erwartbares Handeln sehr verschiedener Individuen sicherzustellen, also sich von individuellen Motivkonstellationen weitgehend unabhängig zu machen." 1 Der Staat legitimiert sich selbst. 2 Aber er ist dabei semantisch auf den Kontext einer reflexiven Individualisierung verwiesen. In Vorstellungen von der eigentlichen, wirklichen, wahren, natürlichen politischen Handlung, in der das Wesen der Subjekte zum Ausdruck kommt, in Szenarien der Überwindung von Entfremdung und Zwang, in Visionen der harmonischen Vielfalt und konfliktfreien Unverwechselbarkeit findet diese Verbindung von Konformität und Individualität ihre Manifestationen. Die Rede ist vom Ort der Versöhnung des Persönlichen mit dem Politischen: dem Authentischen.
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Luhmann, Verfahren, 250. Ders., „Selbstlegitimation des Staates", in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates (ARSP - Beiheft 15), Wiesbaden 1981, 65-84. Vgl. zu diesem Aspekt der quasi unbewußten Motivation der Subjekte, Legitimation zuzuschreiben: Johannes Weiß, „Legitimationsbegriff und Systemtheorie Niklas Luhmanns", in: PVS, 18/1977, 74-85; Margot Poppenhusen, Legitimität ohne Subjekt? Überprüfung der Legitimationstheorie von Niklas Luhmann anhand der Antiatomkraftbewegung Wyhl, Diss. Hamburg 1989.
4 Das wahre/Wahre Wollen. Authentizität als Kategorie moderner Herrschaftskritik und -legitimation
Politische Legitimation wird in der Moderne an die Zustimmung der herrschaftsunterworfenen Individuen zu den Herrschaftsakten gebunden. Wobei sich insbesondere in den Vertragstheorien die gedankenexperimentelle Vorstellung durchsetzt, daß alle Subjekte durch ihre Vertragssouveränität Herrscher und Untertanen in einer Person sind. Für die Beurteilung der politischen Herrschaft bildet diese Freiheit der Zustimmung ein wichtiges Kriterium, und mit diesem rückt das wahre/Wahre Wollen der Individuen in den Mittelpunkt der politischen Stellungnahmen. Ordnungen, die diese individuelle Freiheit nicht zum Ausdruck kommen lassen, ziehen sich den Verdacht der Illegitimität zu. Die Reflexion der freien Entscheidung geht mit bestimmten Annahmen über die Identitätsbeschaffenheit des Individuums einher. Die Bedingungen der Möglichkeit seiner Wahrhaftigkeit rücken in den Blick; seine Handlungen müßen seinem wahren Selbst entsprechen. Kritik und Rechtfertigung von Herrschaft zielen schließlich auf eine Enthüllung dieses wahren Selbst. Im folgenden werden vier Diskurse vorgestellt, die jeweils unterschiedliche Entlarvungsstrategien der individuellen Inauthentizität entwickeln und dementsprechend auch zu unterschiedlichen Entwürfen authentischer Individualität und authentischer, d. h. auf wirklicher Freiheit beruhender politischer Ordnung kommen. Im rousseauistischen Diskurs wird der Frage nachgegangen, wie politische Gemeinschaftsbildung möglich wird, ohne daß die Individuen Verluste ihrer natürlichen Freiheit und ihres Selbst-Ausdrucks hinnehmen müssen. Rousseau selber plädiert für Formen der direkten Demokratie, während Nietzsche die rousseauistische Fragestellung aufnimmt aber konträr beantwortet. Für ihn können nur die starken Individuen ihre Unverwechselbarkeit durch Unterwerfung der Schwachen sichern. Im hegelianisch-marxistischen Diskurs ist die Verbindung personaler Authentizität in geschichtsphilosophische Teleologien eingeordnet. Hegels Idee der zu sich kommenden Vernunft wird von Marx als Realisierung von menschlichen Gattungseigenschaften in der Arbeit der Individuen interpretiert. Im existentialistischen Diskurs findet eine Verlagerung der Authentizitätskonzepte von der Vorstellung fester personaler Identitätskeme zu Ideen der Identitäsbildung im Prozeß des Existierens, des Lebens der Individuen statt. Zu diesem Diskurs gehört dann folgerichtig eine Hermeneutik der Lebenswelt. Aber auch bei der Umstellung auf die Prozeßhaftigkeit der Authentizitätsmanifestation steht am Ende eine Fundamentalontologie. Eine solche grundsätzliche Bestimmung des Daseins der Individuen und ihrer Vergesellschaftung wird auch im kommunitaristischen Diskurs vorgenommen, in dem die Authentizität der Gemeinschaft als der individuellen Identitätsfindung vorgängig gilt. Für die politische Ordnung bedeutet das, daß die Forderungen der Gemeinschaft den
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Ansprüchen der Individuen vorzuziehen sind. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, daß sie einem substantiellen Begriff von Individualität und Politik folgen. In diesem Essentialismus sind sie typisch für andere ontologischen Fundierungen, in denen zwar die Benennungen des Eigentlichen, des Wesenhaften sich ändern, die Struktur der Argumentation aber dieselbe bleibt. 1
4.1 Der rousseauistische Diskurs „L'homme est ne libre, et par-tout il est dans les fers. Tel se croit le maitre des autres, qui ne laisse pas d'etre plus esclave qu'eux. Comment ce changement s'est-il fait? Je l'ignore. Qu'est-ce qui peut le rendre legitime? Je crois pouvoir resoudre cette question." 2 In diesen ersten Sätzen seines Sozialvertrags beschreibt Rousseau den Prozeß der Gesellschaftsbildung nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt eines Gewinns von Sicherheit und Ordnung gegenüber dem Ur- bzw. Naturzustand, sondern als unabgeschlossenes Projekt. Zu diesem gehört zunächst der Verlust der individuellen Freiheit des Naturzustandes, der nun nicht nur die Gattungsgeschichte des Menschen kennzeichnet. Vielmehr ist jedes Individuum in seiner Existenz von diesem Verlust ursprünglicher Freiheit betroffen. Die Brisanz dieser Feststellung geht über die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen die bestehenden Machthierarchien zur Versklavung der Individuen führen, weit hinaus. Auch der Mächtige - so stellt Rousseau in bemerkenswertem Vorgriff auf Marx' These vom Zusammenhang zwischen „Warenfetisch" und den „Charaktermasken" der Subjekte der bürgerlichen Gesellschaft fest 3 - hat seine natürliche Unabhängigkeit längst eingebüßt und eine gesellschaftlich-sittlich orientierte Bestimmung des Selbst noch nicht vorgenommen. Die Individuen sind und verhalten sich noch nicht authentisch. Wobei „Freiheit" für Rousseau nur im Urzustand der natürlichen Unschuld einen Zustand der Befriedigung dumpfer Triebansprüche und der naiven Wunscherfüllung bedeutet. Doch diese natürliche Freiheit hält den Menschen in der Sklaverei seiner unmittelbaren Bedürfnisse. Als Triebwesen unterliegt das Individuum manifesten Zwängen. Der Vergesellschaftungsprozeß aus diesem Naturzustand des unschuldigen Begehrens hinaus verschafft den Individuen schließlich die eigentliche, die wahre Freiheit. Rousseau operiert in seiner Gegenüberstellung von Naturzustand und Vergesellschaftung mit einem Begriff der authentischen Freiheit, der zur Folie seiner Kultur- und Gesellschaftskritik wird. Autonom ist der Mensch erst, wenn er auch seinen sinnlichen Regungen nicht mehr distanzlos ausgeliefert ist: „On pourroit sur ce qui precede ajouter ä l'acquis de Γ etat civil la liberie morale, qui seule rend l'homme vraiment maitre de lui; car l'impulsion du seul appetit est esclavage, et l'obeissance ä la loi
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Deshalb ist auf die Darstellung gynozentrischer, feministischer und zahlreicher lebensreformerischer Authentizitätskonzeptionen verzichtet worden. Vgl. dazu: Lhane Phelan, „The jargon of authenticity. Adorno and feminist essentialism", in: PSC, 16/1990, 39-54. Jean-Jacques Rousseau, Du Contract (sic) Social ou, Principes Du Droit Politique (1762), in: Ders., CEuvres completes, Bd. 3, Paris 1964, 351. Zu dieser Traditionslinie Rousseau, Hegel, Marx siehe: Friedrich Müller, Entfremdung. Zur anthropologischen Begründung bei Rousseu, Hegel, Marx, Berlin 1970.
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Das wahre/Wahre Wollen.
qu'on s'est prescritte est liberie".'Freiheit ist die Unterwerfung unter die Authentizität der persönlichen Zucht. Wobei der Hinweis auf das „selbstgegebene Gesetz" die politische Brisanz dieser Unterscheidung von Freiheit/Unfreiheit enthält. Das Individuum muß gesellschaftlich in die Lage versetzt werden, die Ergebnisse dieser Selbstbestimmung handlungsleitend werden zu lassen. Es existiert eine „innere Stimme", die unfehlbar das Beste für das Individuum benennt und das eigentliche Wollen vom Uneigentlichen trennt: „Nous avons un guide interieur, bien plus infaillible que tous les livres, et qui ne nous abandonne jamais dans le besoin". 2 Die Individuen müssen lernen, auf diesen Kern ihrer Identität zu achten. Die Erscheinungsformen von Individualität können damit von ihrem Wesen getrennt und einer substantiellen (Selbst)Kritik unterzogen werden, in der dieser Wesenskern die Folie für das Erkennen und Benennen des Scheinhaften abgibt. Die Wahrheit liegt allein im Individuum und ist Ziel seiner Selbsterforschung. In seiner Antwort auf die von der Akademie zu Dijon gestellte Frage nach dem Zusammenhang der Entwicklung von Wissenschaft und Kunst mit der „Läuterung der Sitten" setzt Rousseau konsequent auf die Artikulation menschlicher Selbsterfahrung. Gerade die Lösung der sozialen Ordnungsaufgaben setzt einen Blick nach Innen voraus. In der Selbstbeobachtung brennt das Licht der Aufklärung und bringt die Wahrheit der Welt, ja des Universums zum Leuchten. 3 Mit dieser Idee knüpft Rousseau an einen Begriff der persönlichen Freiheit an, den Montesquieu 1721 in seinen Lettres persanes wirkungsmächtig entfaltet. Die Lettres sind nicht nur eine zeitgenössische Kritik an den gesellschaftlichen, politischen und moralischen Zuständen Frankreichs, die sich die Form der „authentischen" Briefe des persischen Frankreichbesuchers Usbek an in der Heimat zurückgebliebene Freunde, Ratgeber, Haremsdamen und Eunuchen gibt, sondern sie enthalten auch einen Diskurs über die Vernichtung der Freiheit im Serail Usbeks, dem sich zwar seine Haremsdamen unterwerfen, aber Liebe und sexuelle Befriedigung nur heucheln, weil die Gewaltverhältnisse solche Bezeugungen verlangen. Authentizität der Gefühle existiert unter solchen Bedingungen des Autonomieverlustes selbst für den Machthaber Usbek nicht, dessen Lieblingssklavin Roxanne ihrerseits schließlich nur im Suizid zum Ausdruck ihrer wahren Gefühle, zum Ausdruck ihrer Selbstbestimmung kommt. Die einzig sichere Basis für die Unterscheidung echter/ unechter Gefühle besteht in der Freiheit der Individuen. Wer diese Freiheit anderen verweigert, belügt sich schließlich selbst, nimmt er doch den erzwungenen Schein für das Wahre. Authentizität und Freiheit sind für Montesquieu darum nicht trennbar. 4
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Rousseau, Contrat social, 365. Ders., Sur la Reponse qui a etefaite a son Discours (1754), in: Ders., (Euvres completes, Bd. 3., 42. Ders., Discours qui α remporte le prix ά l'Academie de Dijon. En l'annee 1750. Sur cette question proposee par la meme Academie: Si le retablissement des Sciences et des Artes a contribue ά epurer les moeurs (1750), in: Ders., CEuvres completes, Bd. 3., 6. Vgl. zur Bedeutung dieses Briefromans im Authentizitätsdiskurs des 18. Jahrhunderts Marshall Berman, The Politics of Authenticity. Radical Individualism and the Emergence of Modern Society, New York 1972, 3-57 („The Subjugated Self in Revolt") und zu seiner Wirkungsgeschichte vor der Französischen Revolution: Norman Hampson, Will & Circumstance. Montesquieu, Rousseau and the French Revolution, London 1983, 3-26, 55-65 (Hampson untersucht die Rezeption durch Mercier, Brissot, Marat, Robespierre, Saint-Juste). Rousseaus Roman La Nouvelle Helo'ise (1761) ist ein weiterer wichtiger Beitrag zu diesem Authentizitätsdiskurs, der sich fiktional vor allem an Fragen der
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Damit aber wird die Unterscheidung des guten/bösen Wollens zu einer gesellschaftlichen Angelegenheit. Zwar schafft das Individuum das moralische Universum aus sich heraus, aber entweder machen die gesellschaftlichen Zustände eine freie Willensentscheidung möglich und lassen das Gute zu, oder aber sie zwingen das Individuum zur Unehrlichkeit. Die moderne Gesellschaft verhindert die Herausbildung moralisch integrer Individuen und versehrt die Menschen im Kern ihrer Identität. Das Suchen der Anerkennung der Anderen läßt sie inauthentisch werden, zu Verrätern an ihrem Selbst. Solcher Erfolg bei der Ausrichtung der persönlichen Identität an der gesellschaftlichen Erwartung korrumpiert. Das Schielen auf die Erfolge der Sozialität, ζ. B. materieller Reichtum, Ehre, Prestige, verdirbt den Wesenskern. 1 Die Gesellschaft denaturiert den Menschen, so kommt das Schlechte in die Welt. Rousseau betont an dieser Stelle die Ambivalenz der Sozialvertragsfiktion. Auch im Contrat social spricht er davon, daß „ ... les hommes parvenus ä ce point oü les obstacles qui nuisent ä leur conservation dans Γ etat de nature, l'emportent par leur resistance sur les forces que chaque individu peut employer pour se maintenir dans cet etat. Alors cet etat primitif ne peut plus subsister, et le genre humain periroit s'il ne changeoit sa maniere d'etre". 2 Der Nutzen der Vergesellschaftung liegt allein in der größeren Selbstbehauptungskraft des Kollektivs gegenüber den Widrigkeiten der Natur. Das Individuum lebt zwar im Naturzustand in aller Unschuld, was die Unterscheidung von gut und böse angeht, weil sein Begehren die vorhandenen Mittel zur Bedürfnisbefriedigung nicht übersteigt, aber es ist in seiner Vereinzelung vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Erst der Zusammenschluß mit anderen Individuen minimiert diese Gefährdung, doch der Preis für diesen Gewinn an Sicherheit ist groß. Durch die Entbindung kollektiver Selbstbehauptungskräfte, durch die Expansion von Wissenschaft und Technik, die Dynamisierung von Arbeitsteilung und Tauschbeziehungen, die Schaffung von Privateigentum etc. sichert die Menschheit einerseits ihr physisches Überleben, andererseits zerstört sie damit die ursprüngliche Freiheit, korrumpiert die Individuen und setzt keine neuen Moralmaßstäbe. Gerade ihr Versprechen der sittlichen Befreiung löst die bürgerliche Gesellschaft nicht ein. Auf die naive Unschuld des Naturzustands siedelt die Inauthentizität der Gesellschaft. Entsprechend kann zwischen den gesunden/authentischen und pathologischen/inauthentischen Eigenschaften und Erscheinungsweisen der Individuen differenziert werden. So leistet Rousseau semantische Feinarbeit, wenn er in diesem Zusammenhang die natürliche „L'Amour de soi-meme" durch die künstliche„L'Amour propre" verdrängt sieht. Während die erstgenannte „Selbstliebe" allein auf die Selbsterhaltung und die Sorge um sich zielt und dabei Vernunft, Mitleid und Tugend
richtigen/falschen, freien/erzwungenen Liebe festmacht. Siehe dazu: Lieve Spaas, „La Nouvelle Helo'ise: fiction et revolution", in: Tanguy L'Aminot (Ed.), Politique et revolution chez Jean-Jacques Rousseau (Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, 324), Oxford 1994,49-57. Zur Verbindung von Anerkennung und Macht ohne diesen Freiheitsraum: Iring Fetscher, Rousseaus politische Philosophie. Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs, Frankfurt/M. 1975, 47, der noch bei Rousseau die Möglichkeit der Erzwingung von Anerkennung angelegt sieht. 1
Rousseau, Narcisse ou L'Amant de Lui-Meme (1753), in: Ders., CEuvres completes, Bd. 2, Paris 1964, 968. Vgl. hierzu auch Reinhard Brandt, Rousseaus Philosophie der Gesellschaft, Stuttgart 1973, dessen Idee einer im Denken Rousseaus angelegten Konzeption der „materiellen Bedingtheit moralischen Handelns" (ebd., 34) ich weitgehend folge.
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hervorbringt, ist die letztgenannte „Eigenliebe" Ausdruck eines pathologischen Narzißmus, der sich aus den Eigentums- und Prestigeunterschieden der Gesellschaft speist und „qui inspire aux hommes tous les maux qu'ils se font mutuellement." 1 Ohne an dieser Stelle ausführlicher dem Problem nachgehen zu können, ob Rousseau diese Vorstellung einer im Prozeß der Gesellschaftsbildung zunehmenden Depravierung, die den 1755 publizierten Discours sur L 'origine, et les Fondemens de L 'Inegalite parmi les hommes bestimmmt, im Contrat social weitgehend dementiert2, kann doch festgehalten werden, daß auch dort der Verlust individueller Freiheit als so schwerwiegend angesehen wird, daß er einer besonderen politischen Legitimation bedarf. 3 Im Zentrum steht dabei die Lösung des grundsätzlichen Problems, ein Ordnungsmuster zu finden, daß das Individuum sozial einpaßt und zugleich in dieser Einfügung als authentischen Ausdruck der individuellen Freiheit zum Zuge kommen läßt: „Trouver une forme d'association qui defende et protege de toute la force commune la personne et les biens de chaque associe, et par laquelle chacun s'unissant ä tous n'obeisse pourtant qu'ä lui-meme et reste aussi libre qu'auparavant? Tel est le probleme fondamental dont le contract social donne la solution". 4 Die politische Ordnung jenseits des Naturzustands kann nur dann Anspruch auf Gefolgschaft anmelden, wenn sie jedes Individuum verallgemeinert und gleichzeitig in seiner unverwechselbaren Freiheit des authentischen Wollens bewahrt. Die Subjekte müssen gleichzeitig Herrscher und Beherrschte, Souverän und Untertan sein. Dieses Paradox umschifft Rousseau nicht mit Hilfe einer Entkoppelung dieser Rollen durch die Einführung regelmäßiger Wahlen, in denen das Volk seine Souveränität ausdrückt und einem Zeitraum ohne Wahlen (der Zeit zwischen den Wahlen), in dem es in seine Untertanenposition zurückfällt. Rousseau läßt in seiner Konzeption einer umfassenden, permanenten direkten Demokratie gerade die Rollen Herrscher/Beherrschte zusammenfallen. Die Subjekte müssen ständig beides sein. Erst dann gelingt es den Menschen auch, ihre Freiheit zur wirklich sittlichen zu machen, in dem sie sich jetzt in ihrer Selbstbestimmung auf Rechte und Pflichten, Vernunft und die anderen Individuen, dem Allgemeinen beziehen müssen. Die ursprüngliche Freiheit der Individuen, im Sinne einer hedonistischen Unabhängigkeit kommt in der geglückten Vergesellschaftung ganz zu sich.5
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Ders., Discours sur L'origine, et les Fondemens de L'lnegalite parmi les hommes (1755), in: Ders., CEuvres completes, Bd. 3, 219. So die These Kerstings, Philosophie des Gesellschaftsvertrages, 151. Während bei Hobbes schon allein der in der Vergesellschaftung liegende Nutzen allgemeiner Befriedung ausreicht, um den Leviathan zu rechtfertigen. Auch für Locke ist der Rationalitätsgewinn durch Vergesellschaftung die Legitimation des Sozialvertrags, gleichzeitig betont er aber die politischen Grenzen des staatlichen Gewaltmonopols, deren Übertretung den erzielten Nutzen wieder zunichte machen kann und die Individuen in den Stand des gerechtfertigten Widerstands versetzt. Vgl. dazu: Peter Zerb, Zur Semantik gesellschaftlicher Freiheit. Eine Analyse des Freiheitsbegriff bei Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau, Thomas Paine, John Stuart Mill, Diss. Frankfurt/M. 1988. Rousseau, Contrat social, 360. Ebd., 364: „Ce passage de l'etat de nature ä l'etat civil produit dans l'homme un changement tres remarquable, en substituant dans sa conduite la justice ä l'instinct, et donnant ä ses actions la moralite qui leur manqouit auparavant. C'est alors seulement que la voix du devoir succedant ä l'impulsion physique et le droit ä l'appetit, l'homme, qui jusques lä n'avoit regarde que lui-meme, se voit force
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Damit wird der Mensch erst in der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer politischen Manifestation im modernen, durch die Souveränität des Volkes begründeten Staat, authentisch. Der alte Mensch geht unter; der neue, authentische wird geboren. Geschichtsphilosophisch bedeutet das die Verwirklichung der eigentlichen Wesensmerkmale der Individuen durch den richtigen, sittlichen Vergesellschaftungsprozeß. Authentisch handelt dann jenes Subjekt, das in sich schon jedes partikulare Interesse überwunden hat und in seiner Einzigartigkeit allein vom Allgemeinwohl bestimmt wird. Folgerichtig beschreibt Rousseau dieses Zusammenfallen von Besonderheit und Allgemeinheit in Bildern eines einheitlichen politischen Körpers, der einen Willen ausprägt und eine geschlossene, widerspruchsfreie Identität besitzt. Hier wird die Ambivalenz von Rousseaus Modernität sichtbar; Legitimität können politische Herrschaftsformen nur dann beanspruchen, wenn sie vom Willen der vergesellschafteten Individuen getragen werden. Diese Willensäußerung ist unübertragbar, sie gehört zum Kernbestand personaler und kollektiver Identität: „La premiere et la plus importante consequence des principes ci-devant etablis est que la volonte generale peut seule diriger les forces de l'Etat selon la fin de son institution, qui est le bien commun ... le pouvoir peut bien se transmettre, mais non pas la volonte".1 Das wirft das Problem der Willensprüfung und der Verallgemeinerung der vielen Einzelwillen auf. Was das wahre Wollen/Wahre wollen betrifft, erkennt Rousseau im „Wohl" des „wollenden Wesens" eine Kategorie der Unterscheidung zwischen authentisch/inauthentisch. 2 Patrick Riley hat daraufhingewiesen, daß dieses Konzept deutliche Anleihen bei der die Theologie bestimmenden Vorstellung eines göttlichen Universalwillens macht. 3 Doch Rousseau anthropozentriert diesen theologischen Gedanken und erklärt die Realisierung das Allgemeinwohls zur weltlichen, selbstgestellten Aufgabe des Menschen. 4 Das unverwechselbare Wollen ist nicht nur Ausdruck von Individualität und Autonomie, sondern es kann gleichzeitig auch vermessen werden. Die geglückte Vergesellschaftung setzt die
d'ägir sur d'autres principes, et de consulter sa raison avant d'ecouter ses penchans. Quoiqu'il se prive dans cet etat de plusieurs avantages qu'il tient de la nature, il en regagne de si grands, ses facultes s'exercent et se developpent, ses idees s'etendent, ses sentimens s'ennoblissent, son ame toute entiere s'eleve ä tel point, que si les abus de cette nouvelle condition ne le degradoient souvent au dessous de celle dont il est sorti, il devroit benir sans cesse l'instant heureux qui Ten arracha pour jamais, et qui, d'un animal stupide et borne, fit un etre intelligent et un homme." 1 2
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Ebd., 368. Ebd., 369: „ ... il ne depend d'aucune volonte de consentir ä den de contraire au bien de l'etre qui veut." Patrick Riley, The General Will Before Rousseau. The Transformation of the Divine into the Civic, Princeton/New Jersey 1986. An dieser Stelle finden dann auch Säkularisierungstheorien, in denen davon ausgegangen wird, daß sich auch in den modernen Problemstellungen politischer Ordnung theologisches Denken als Subtext durchsetzt, ihre Grenze. Der Prozeß der Individualisierung und die Imperative zivilisatorischer Selbstbehauptung ohne göttliche Appellationsinstanz bringen einen Paradigmawechsel des Politischen mit sich. Hier trägt dann auch Jacob Talmons, Ursprünge der totalitären Demokratie, Opladen 1961, 3ff, 38ff These vom Weiterwirken messianischer Impulse nicht (was den Wert seiner Studie aber nicht schmälert).
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Lesbarkeit und Verstehbarkeit jener Individualität voraus. 1 Gleichzeitig wird das Problem der Gesellschaftsbildung dieser unverwechselbaren personalen Signaturen entschärft, weil die Individuen in ihrer besonderen Authentizität letztlich uniform sind. Die Dynamik der sich sowohl funktional differenzierenden als auch die Pluralität der Lebensstile entbindenden Moderne wird hier von Rousseau stillgestellt. Denn zu ihrer Geschlossenheit kommt die Gesellschaft gerade nicht über eine Summierung der beteiligten Einzelwillen (volonte de tous), sondern nur durch die im Contrat social sich manifestierende universale Vernunft, die „volonte generale". Es ist für Rousseau darum auch kein Widerspruch, wenn die an anderen Freiheitsvorstellungen festhaltenden Individuen zu ihrer Authentizität gezwungen werden. Der Contrat social schließt einen Konsens darüber ein, „ ... que quiconque refusera d'obeir ä la volonte generale y sera contraint par tout le corps: ce qui ne signifie autre chose sinon qu'on on le forcera d'etre libre". 2 Die Freiheit objektiviert sich zur Wahrheit der menschlichen Existenz und kann deshalb auch anderen aufgezwungen werden, ohne diesen ihren Anspruch auf Authentizität zu nehmen. Mit dieser Kongruenz von Partikularität und Allgemeinheit hegt Rousseau gleichsam das Problem der Gesellschaftsfähigkeit von modemer Individualität ein. Er ist Verfechter eines Begriffs der persönlichen Freiheit und zugleich Verteidiger einer Gesellschaft, in der sich quasi konfliktfrei das Allgemeinwohl konsensual herstellt. Die „volonte generale" ist ja eben kein Ergebnis von Wahlen und Abstimmungen und arithmetisch nicht zu ermitteln. Das heißt aber, daß sie schon in den Handlungen der einzelnen Individuen sich manifestiert. Der Zusammenhang von Authentizität und Freiheit kann nur politisch im Sinne der Einheitsstiftung der Individuen werden, wenn er in allen Citoyen schon manifest ist, d. h. wenn alle gleich sind. Freiheit setzt Homogenität voraus. Gesellschaftliche Unterschiede müssen so weit aufgehoben werde, daß von der Differenz der Interessen keine Gefahr für das Ganze ausgeht. Authentizität des politischen Körpers kann keine Partialisierung zulassen. Rousseau träumt von bäuerlichen Gesellschaften, in denen gemeinsam gearbeitet und politisch entschieden wird und in denen keine große funktionelle Arbeitsteilung besteht. 3 Wieder stößt man auf das Bild des mit einem Willen ausgestatteten Körpers, der eine Pluralität von Interessen nicht kennt. Er bringt authentisch, das, was er ist, zum Ausdruck. So wird alles einfach, übersichtlich und klar. Alle fühlen und artikulieren das Gleiche; die Vernunft regiert, und die Interessen verschleiernde Rhetorik kommt nicht zum Zuge, ist doch jede Rede von Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit bestimmt. Der Universalismus der
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Folgerichtig wird diese einzigartige Signatur im Genre der Autobiographie sichtbar. Auch hier geht Rousseau mit seinen Confessions (1766-1770) und Reveries (1770) voran. Zwar erinnern die Bekennnisse noch an Augustinus, aber der alte kosmologische Rahmen wird zugunsten einer neuen radikalen Situierung des befreiten, aufgeklärten „Ich" aufgegeben. Siehe dazu: Manfred Koch, Mnemotechnik des Schönen. Studien zur poetischen Erinnerung in Romantik und Symbolismus, Tübingen 1988,29-55. Dort finden sich auch viele Hinweise, daß diese Verortung des Subjekts immer neu vorgenommen werden kann und immer Ansprüche auf Authentizität anmeldet. So dementiert Rousseau in den Reveries manche Selbstbeschreibungen aus den Confessions, bleibt aber gerade in der Eigenbeobachtung durch die Form des Bekenntnisses authentisch. Dabei ist wichtig, daß diese Bekenntnisse nicht Ergebnisse von Reflexionsvorgängen sind, sondern ihre Wahrheit in ihrer Unwillkürlichkeit steckt.
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Rousseau, Contrat social, 364. Ebd., 437.
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Vernunft wird materiell und die Reflexion der „inneren Stimme" zur selbstverständlichen, unproblematischen Lebensform. Diese Idylle allgemeiner Übereinstimmung fußt auf einer Gleichheit der Lebensweise und ihrer spontanen Artikulation und übersteigt jeden Versuch der rechtsphilosophischen Formung. Konsequenterweise spielen dann auch formale Institutionalisierungen dieser Manifestation der „volonte generale" keine große Rolle. Für Rousseau können Monarchien, Aristokratien und Demokratien staatliche Hüllen des Ausdrucks des authentischen Gemeinwillens sein. Folgerichtig verträgt dieses Sein der Vernunft keine Repräsentation; die Existenz der Individuen muß unmittelbar zum politischen Ausdruck kommen. Alle Modelle der Stellvertretung zerstören nicht nur diese Verbindung von Individualität und Allgemeinheit. Darüber hinaus schafft die Authentizität der unmittelbaren, direkten Partizipation der Wahrheit des eigentlichen Wollens der Staatsbürger politische Legitimation. Die Sicherung der Freiheitsansprüche der Individuen übernimmt kein System der institutionalisierten Gewaltenteilung (wie etwa bei Locke). Gemäß seiner Lösung des grundlegenden Problems der Vergesellschaftung, die Individuen gleichzeitig zu Herschem und Beherrschten und damit jede Unterwerfung unter die durch den Sozialvertrag legitimierte politische Herrschaft als Ausdruck radikaler Selbstbestimmung beschreibbar zu machen, ist die Beteiligung jedes Individuums an den legislativen Entscheidungen zwingend. 1 Konsequent führt Rousseau an dieser Stelle den Begriff der Authentizität ein: „Le Souverain n'ayant d'autre force que la puissance legislative n'agit que par des loix, et les loix n'etant que des actes authentiques de la volonte generale, le Souverain ne sauroit agir que quand le peuple est assemble. Le peuple assemble, dira-t-on! Quelle chimere! C'est une chimere aujourd'hui, mais ce n'en etoit pas une il ya a deux mille ans: Les hommes ont-ils change de nature?" 2 Ob die modernen Individuen zur Manifestation des authentischen politischen Willens noch in der Lage sind, wird für Rousseau zum Kernproblem seiner Gesellschaftskritik. Einerseits paßt die Feststellung der grundsätzlichen Inauthentizität in seine Diagnose der Verstümmelung der Subjekte im Zivilisationsprozeß. Andererseits präsentiert er im Contrat social ein Modell der geglückten Versöhnung von Individuum und Gesellschaft in der Authentizität der „volonte generale", der materiell gewordenen Vernunft. An dieser zentralen Stelle wird auch deutlich, wie die Übertragung des modernen Individualitätsverständnisses auf den Staat als politische Identitätsform der bürgerlichen Gesellschaft das politische Denken Rousseaus prägt. Folglich werden alle Kategorien der individuellen, personalen Identitätsbildung auf den Staat übertragen. Die Rede vom politischen Körper läßt nur für uniforme Ordnungsvorstellungen Platz, nicht nur weil sich in der Metapher eine bestimmmtes organizistisches Denken ausdrückt, sondern weil die Vorstellung divergierender Willen nur mit psychopathologischen Begriffen ausgedrückt werden kann. Der mit sich zerfallene,
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Rousseau ist Vertreter einer radikaldemokratischen Position, in der das Enstehen von legitimer Herrschaft an die Partizipation aller herrschaftsunterworfenen Individuen (allerdings gehören Frauen nicht dazu) gebunden wird. Gerade in dieser Radikalität umfassender Beteiligung wird sein Modell totalitär, im Sinne einer „totalen Institutionalisierung" Goffmans. Vgl. John W. Chapman, Rousseau - Totalitarian or Liberal?, New York 1968, Andrzej Rapaczynski, Nature and Politics. Liberalism in the Philosophies ofHobbes, Locke, and Rousseau, Ithaca undLondon 1987.
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Rousseau, Contrat social, 425.
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„wahnsinnige" Staat fällt aber als anzustrebendes politisches Ziel aus. Demgegenüber ist für Rousseau der Staat „la personne morale". 1 Damit wird die Authentizität von Indidviduen und Staat zur objektiven Größe. Die „volonte generale" kann nicht irren. Allenfalls sitzt das souveräne Volk bestimmten Verirrungen hinsichtlich seiner wahren sittlichen Bestimmungen auf. Das geschieht vor allem dann, wenn die einzelnen Subjekte noch nicht genügend homogenisiert worden sind und sich in ihren persönlichen Identitäten Sonderinteressen eingenistet haben: „II s'ensuit de ce qui precede que la volonte generale est toujours droite et tend toujours ä l'utilite publique: mais il ne s'ensuit pas que les deliberations du peuple aient toujours la meme rectitude. On veut toujours son bien, mais on ne le voit pas toujours: Jamais on ne corrompt le peuple, mais souvent on le trompe, et c'est alors seulement qu'il paroit vouloir ce qui est mal". 2 Da aber mit ein wenig „bon sense" das authentische Wollen vom inauthentischen Wollen unterschieden werden kann, überformt die Idee der Notwendigkeit eines Gesetzgebers, eines „Legislateur", Rousseaus politische Philosophie. Dieser muß die Menschen neu formen und aus ihrer Natürlichkeit hinaus- und in die richtige Gesellschaftlichkeit hineinführen. Das kann nur leisten, wer über die besonderen Fähigkeiten verfügt, aus der Authentizität der einzelnen die authentische Gemeinschaft zu schmieden. 3 Das Authentische erschließt sich dem richtigen Blick - nicht nur des Gesetzgebers - , es entsteht im richtigen Schauen (siehe dazu Kapitel 4.2.2.). Gerade weil es dem geschulten, vernünftigen Beobachter ins Auge fällt, kann es kommuniziert und Gegenstand von Aufklärung und Erziehung werden. Der Wille der Individuen wird dann auf seine Übereinstimmung mit der Vernunft überprüft. Den einen kann so beigebracht werden, was sie wirklich wollen, den anderen wird die Vernünftigkeit/Unvernünftigkeit ihres Willens demonstriert: „Emile" ist der Musterbürger des durch den „Contrat social" geschaffenen Staates und zugleich seine Voraussetzung. Die authentische Selbstherrschaft der Individuen setzt den neuen Menschen der verinnerlichten „volonte generale" voraus, aber dieser kann erst entstehen, wenn die alten gesellschaftlichen Verhältnisse umgestoßen worden sind. Aus diesem Zirkel hilft die Erziehung und Führung des Volkes durch die Avantgarde der Vernunft heraus. Wahrheit, Aufrichtigkeit und Authentizität fallen zusammen.
4.1.1 Kritik am Schauspiel der Politik4: Zur Semantik der Entlarvung des Inauthentischen bei Rousseau und Nietzsche Die Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen wird seit Rousseau als Form und Inhalt der Kritik gesellschaftlicher und staatlicher Herrschaftsformen eingesetzt. Gerade der irrlichtemde Schein partikularer Interessen, falscher Bewußtseinszustände, illusionärer
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Ebd., 363. Ebd., 371. Ebd., 380. Vgl. dazu: Christine Leiteritz, „Schauspiel als Revolutionsmetapher", in: AfBg, 3 6 / 1 9 9 3 , 2 2 7 - 2 5 9 . Für die Autorin nimmt allerdings erst Nietzsche „die skeptische Einschätzung der Moderae vorweg, wonach die Dynamisierung der Gesellschaft die Verwandlung des Subjekts in einen Schauspieler geradezu provoziert" (255). Leider kommt Rousseau in ihren Betrachtungen nicht vor.
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Verschleierungen harter Realitäten bedarf dann einer radikalen Bekämpfung. Diese Dekonstruktion des Scheinhaften, der Verstellung, der Maske und des Schauspiels arbeitet Rousseau in seine politische Philosophie ein.1 In seiner Kritik an D'Alemberts EnzyklopädieBeitrag über die Stadt Genf und das dortige Fehlen eines Schauspielhauses stellt er die Unwahrhaftigkeit des Theaters in den Mittelpunkt. 2 Schon aufgrund der mit dem Beruf des Schauspielers verbundenen moralischen Verwahrlosung und seiner Verbindung zu Unzucht, Prostitution und Verbrechertum aller Art ist die Einrichtung eines Schauspielhauses in Genf strikt zu verweigern. Das Theater paßt danach nur in die große Stadt (Paris), deren moralischer Untergang angesichts der Vielzahl höfischer Intriganten, Atheisten, Faulen, Perversen usw. ohnehin besiegelt ist.3 Während man in der kleinen Stadt (Genf) keinen Müßiggang, keine Langeweile, keine weiteren Untugenden kennt und deshalb auch kein Theater benötigt. Aber neben dieser eher polizeilich begründeten Ablehnung liefert die schauspielerische Simulation von Individualität den zentralen Grund der Absage Rousseaus. Paris ist die Stadt des Scheins, der Maske, der Oberflächlichkeit. Die Menschen sind in dieser Trugwelt damit beschäftigt, einander zu beobachten; ihr Blick richtet sich nicht mehr nach Innen. Sie lauschen nicht mehr der inneren Stimme, während in Genf die Individuen mehr aus sich selbst schöpfen und mehr von sich selbst in alles legen. 4 Der Typus des Schauspielers negiert die Normen dieser Musterrepublik: „Qu'est-ce que le talent du Comedien? L'art de se contrefaire, de revetir un autre caractere que le sien, de paroitre different de ce qu'on est, de se passionner de sang-froid, de dire autre chose que ce qu'on pense aussi naturellement que si Ton le pensoit reellement, et d'oublier enfin sa propre place ä force de prendre celle d'autrui". 5 Ein Individuum, das sich maskiert und seinen Identitätskern im Beliebigen untergehen läßt, verkörpert die Psychopathologie falscher Vergesellschaftung. Es ist aufgrund seiner inneren Leere unfähig, zur Gestaltung des auf Authentizität fußenden Allgemeinwohls beizutragen, sitzt Inszenierungen auf und verbreitet Passivität und Schaulust, wo es doch auf Selbstbestimmung und Engagement ankommt. 6 Vom Schauspieler geht eine hohe Ansteckungsgefahr aus. Zwar kann im Rahmen des Theaters seine Haltung des Inauthentischen noch eine gewisse Naivität des Spiels für sich mobilisieren, aber gesellschaftlich ist diese Maskerade ein Hort des Bösen. 7 Gerade weil der Schauspieler „ ... sur la Scene, etalant d'autres sentimens que les siens, ne disant que
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Vgl. dazu Jean Starobinski, Jean-Jacques Rousseau, La transparence et l'obstacle, Paris 1971, der Rousseaus Denken an Hand der Unterscheidung Schleier/Transparenz untersucht. Rousseau, J. J. Rousseau/citoyen de Geneve/ä M. d'Alembert,/de L'Academie Frangoise, de L 'Academie Royale des Sciences de Paris, de celle de Prussse, de la Societe Royal des Bel-Aes-Lettres des Suede et de l 'Institut de Bologne./Surson Article Geneve/Dans le Vile Volume de L 'encyclopedie,/ etparticulierement,/sur le projet d 'etablir un/Theätre de Comedie en cette Ville (1758), Ed. M. Fuchs, Lille/Genf 1948 unter dem Titel: Lettre a Mr. D'Alembert Sur Les Spectacles (Textes Litteraires Franfais). Ebd., 78. Ebd., 79. Ebd., 106f. Karl N. Haden, „Of paradigms and individuals: ,the question of authenticity'", in: Dialogue, 32/1989, 10 bringt diese Identifizierung des Schauspielers als idealtypischer Ausdruck des Inauthentischen auf den Begriff: „The inauthentic man is an actor". Rousseau, Lettre ä d'Alembert, 107.
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ce qu'on lui fait dire, (il) s'annule avec son heros; et, dans cet oubli de l'homme, s'il en reste quelque chose, c'est pour etre le jouet des Spectateurs". 1 Aber auf das authentische Individuum zielt Rousseaus partizipatorische Totalität. Mit Charaktermasken ist kein Staat im Sinne der Identität von Souverän und Untertan zu machen, weil diese Identität auf der echten Gemeinwohlorientierung der Individuen aufbaut. Die rousseauistische Utopie des authentischen Schauspiels sieht dann auch folgerichtig die Übertragung dieser politischen Kongruenz auf die Bühne vor, bzw. die authentische Manifestation der „volonte generale" in der Vollversammlung des Volkes wird zum erhabenen Schauspiel. Am Ende seiner Polemik gegen d'Alembert ruft Rousseau das Volk zur wahren Feier der personalen und kollektiven Identität zusammen: „C'est en plein air, c'est sous le ciel qu'il faut vous rassembler et vous livrer au doux sentiment de votre bonheur. Que vos plaisirs ne soient effemines ni mercenaires, que rien de ce qui sent la contrainte et l'interet ne les empoisonne, qu'ils soient libres et genereux comme vous, que le soleil eclaire vos innocens Spectacles; vos en formerez un vous-memes, le plus digne qu'il puisse eclairer. Mais quels seront enfin les objets de ces Spectacles? Qu'y montrera-t-on? Rien, si l'on veut. Avec la liberte, partout oü regne l'affluence, le bien-etre y regne aussi. Plantez au milieu d'une place un piquet couronne de fleurs, rassemblez-y le peuple, et vous aurez une fete. Faites mieux encore: donnez les spectateurs en spectacle; rendez-les acteurs eux-memes; faites que chacun se voie et s'aime dans les autres, afin que tous en soient mieux unis". 2 Die Rollen von Zuschauern und Darstellern fallen im Volkskörper zusammen. Die Artikulation seines Wollens in der Versammlung aller Individuen und ihre unmittelbare, direkte Ausübung ihrer Souveränität ist die radikaldemokratische Selbstfeier. In der Verschmelzung von Gesellschaft, Staat und Individuum zeigt sich die gute Ordnung der guten, freien und hochherzigen Individuen. Rousseau reagiert auf das mit der Freisetzung der Individuen verbundene Problem der Legitimierung von Herrschaftsverhältnissen, mit der Verschmelzung von Subjekt und Staat im Akt der umfassenden Partizipation. Individuelle Authentizität und Allgemeinwohl fallen zusammen. 3 In diesem Diskurs der Vermessung und Aufhebung des Spannungsverhältnisses von Individuum, Gesellschaft und Staat markiert Rousseau den Pol einer radikalen Demokratisierung als Medium des authentischen Wollens, in welchem letztlich wiederum die Natur des Menschen sozialfähigen Ausdruck findet. Wenn der Mensch alle Masken abgelegt hat, wird seine Authentizität, sein wahres, natürliches Antlitz sichtbar. Doch dieser rousseauistische Diskurs hat einen zweiten Pol, an dem die Verbindung zwischen authentischer Individualität und politischer Ordnung ganz anders konstruiert wird und sich letztlich das wahre Wollen nur im idiosynkratischen „Willen zur Macht" des einzelnen ausdrücken kann. Es gibt nicht nur die Kritik der Inauthentizität, deren Sonnenhelle die Gesellschaft des Contract social erleuchten soll. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und, schon seine spätere Wirkung vorwegnehmend, als selbstemannter „Europäer von Übermorgen
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Ebd., 108. Ebd., 168. In seinen deutlichen Bekenntnissen zum Patriotismus und zur Pflicht der einzelnen, für das Ganze selbst ihr Leben lassen zu müssen, weist Rousseau dann schon auf spätere Vorstellungen von der kollektiven Authentizität der Völker als Fundament der Integration moderner Nationalstaaten voraus.
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und Erstling des 20. Jahrhunderts." 1 macht sich Friedrich Nietzsche daran, als Widersacher Rousseaus, der ihm zugleich im Entlarvungsgestus näher nicht stehen könnte, 2 die Authentizität der „Bestie" zur Grundlage seines politischen Denkens zu machen. Auch Nietzsche hat dabei versucht, an der Figur des Schauspielers soziale Pathologien festzumachen. In Abschnitt 361 („Vom Probleme des Schauspielers") der Fröhliche(n) Wissenschaft heißt es: „Die Falschheit mit gutem Gewissen; die Lust an der Verstellung als Macht herausbrechend, den sogenannten .Charakter' bei Seite schiebend, überfluthend, mitunter auslöschend; das innere Verlangen in eine Rolle und Maske, in einen Schein hinein; ein Ueberschuss von Anpassungs-Fähigkeiten aller Art, welche sich nicht mehr im Dienste des nächsten engsten Nutzen zu befriedigen wissen: Aber das ist vielleicht nicht nur der Schauspieler an sich? ... „ 3 Die moderne Gesellschaft kennt keine Wesentlichkeit mehr; der Schauspieler als „Verführer der Echten" 4 wird zum Idol einer kranken Kultur und findet in der Existenz und den Ansprüchen des „niederen Volkes" und der Dominanz von Frauen und Juden ihre politische Entsprechung. 5 Insgesamt sieht Nietzsche in den Massen, dem Volk als Souverän die Bedrohung jeder Authentizität: „Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt; und wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Lärm der grossen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen Riegen. In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie erst aufführt: grosse Männer heisst das Volk diese Aufführer. Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: Schaffende. Aber Sinne hat es für alle Aufführer und Schauspieler grosser Sachen. Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt: - unsichtbar dreht sie sich. Doch um den Schauspieler dreht sich das Volk und der Ruhm: so ist der Welt L a u f ' . 6 Schon an dieser Stelle wird deutlich, daß auch Nietzsche vor dem Problem steht, sein radikal situiertes Individuum in ein Verhältnis zur Gesellschaft setzen zu müssen. Doch sieht er offensichtlich in der Perspektive der Verallgemeinerung authentischer Individuen im Prozeß totaler demokratischer Beteiligung keine Lösung. Für ihn bleibt das authentische Individuum isoliert und sozial unverstanden. Der „Charakter" wird durch die „Maske" ersetzt. Politisch bedeutet das den absehbaren Zusammenbruch inauthentischer Herrschaft. Aus dieser Kritik an den inauthentischen Machtverhältnissen schöpft Nietzsche seine Rhetorik der radikalen Verneinung etablierter Politik. Der Staat ist ihm ein „neuer Götze", das „kälteste aller kalten Ungeheuer". 7 Lügen kriechen aus seinem Mund. 8 Erst wenn dieser Staat abstirbt, kommt
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Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (1886), Kritische Studienausgabe in 15 Bänden (KSA), hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari, München 1980, Bd. 5, 151. Vgl. dazu Ralph-Rainer Wuthenow, „Die große Inversion. Jean-Jacques Rousseau im Denken Nietzsches", in: Neue Hefte für Philosophie 29/1989, Rousseau und die Folgen, 60-79 und kritisch, was die Nähe Rousseaus zu Nietzsche angeht: Keith Ansell-Pearson, Nietzsche contra Rousseau. A Study of Nietzsche's Moral and Political Thought, Cambridge 1996. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (1882), KSA Bd. 3, 608 (Hervorhebung im Original). Ders., Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem (1888), KSA Bd. 6, 39. Ders., Fröhliche Wissenschaft, 609. Ders., Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen (1883), KSA Bd. 3, 65. Ders., Zarathustra, 61. Ebd.: „Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beisst er, der Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide".
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der wahre Mensch zu sich: „Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig ist: da beginnt das Lied des Notwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise. Dort, wo der Staat aufliört, - so seht mir doch hin, meine Brüder! Seht ihr denn nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen?" 1 An solchen Abschnitten hat sich die linke Rezeption Nietzsches und die Zuschreibung eines anti-bürgerlichen Ressentiments festgemacht. 2 Aber Nietzsche argumentiert hier nicht gegen Hierarchie und Herrschaft schlechthin. Es geht ihm um die authentische Form des Staates, es geht um die wahre Herrschaftsordnung wahrer Menschen. Von einer solchen Ordnung ist aber die Politik seiner Zeit weit entfernt: „Der grosse Erfolg, der Massen-Erfolg ist nicht mehr auf Seite der Echten, - man muß Schauspieler sein ihn zu haben!... in Niedergangs-Culturen,... überall, wo den Massen die Entscheidung in die Hände fällt, (wird) die Echtheit überflüssig, nachtheilig, zurücksetzend. Nur der Schauspieler weckt noch grosse Begeisterung. - Damit kommt für den Schauspieler das goldene Zeitalter herauf". 3 Der Weg in die Moderne ist für Nietzsche mit dem Verlust personaler und gesellschaftlicher Authentizität verbunden. Das Echte wird nicht mehr erkannt und es bedarf neuer Propheten, um die wenigen authentischen Menschen zu sammeln. Die Welt bedarf eines Zarathustra, eines „Übermenschen".
4.1.2 Nietzsche und die Authentizität des Willens zur Macht Da die Moderne nur das Scheinhafte pflegt, muß dieser Künder des Authentischen die Simulation des Echten, Tiefen, Großen entlarven. Nietzsche versucht eine Dekonstruktion der „Vernunft" als Ausdruck des falschen Wahren. Gerade im Selbstbehauptungsprojekt der Moderne und seinem Versprechen individueller und sozialer Emanzipation, demokratischer Beteiligung, fortschreitender Zivilisation und größerer Humanität sieht er eine Manifestation des Inauthentischen. Insbesondere im Kulturideal der Wahrheitssuche sieht er eine Verschleierung der Tatsache unerreichbarer Objektivität. Das Authentische ist als objektive Substanz nicht zu fassen. 4
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Ebd., 63. An solchen Stellen wird klar, daß Nietzsche auch als radikaler Fortsetzer der auf sich selbst angewandten Aufklärung fasziniert gelesen werden kann. Siehe dazu: Werner Stegmaier, Nietzsches „Genealogie der Moral", Darmstadt 1994. Aber diese Geste bleibt politisch offen für viele Interpretationen und Kritiken des jeweiligen status quo. Vgl. Steven E. Aschheim, Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, Stuttgart 1996, der diesen unterschiedlichen Rezeptionskontexten nachgeht. Henning Ottmanns Habilitationsschrift, Philosophie und Politik bei Nietzsche (Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung, Bd. 17), Berlin und N e w York 1987 nähert sich seinem Untersuchungsgegenstand apologetisch, wobei die Feststellung: „Man darf Nietzsche nicht wörtlich nehmen, und man darf ihm nicht alles glauben ... Gleichwohl, Nietzsche hat es ehrlich gemeint, wenigstens mit denen, die bereit sind, Selbstdenker, und das heißt, weder Jünger noch fanatische Gegner zu sein" (1) die methodologische Fragwürdigkeit seines Unternehmens deutlich macht. Wie arbeitet man hermeneutisch, wenn man nicht wörtlich nehmen und nicht „glauben" darf, aber schon weiß, daß alles „ehrlich gemeint" ist? Und woher weiß man das? Nietzsche, Der Fall Wagner, 37f (Hervorhebungen im Original). Ders., Jenseits von Gut und Böse, 22f, 29.
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Nietzsches Objektivitätskritik ist psychologisch fundiert. Gegen die Anmaßungen des „reinen" Denkens, das aus seiner Vernünftigkeit Wahrheit gebiert und über das Denken Realität abbilden will, hält er die Existenz des Leibes, der Leidenschaft, der Triebe, des Irrationalen, der Intuition. Ethik und Moral werden physiologisch interpretiert, wobei Nietzsche nicht nur „Selbsterhaltung" und „Sexualität" als entscheidende Triebfedern menschlichen Denkens und Handelns identifiziert, sondern die Vorstellung eines homogenen, geschlossenen, identitätssicheren „Ich" verabschiedet. Daß das Subjekt nicht ,,Herr im eigenen Haus" ist, daß es nicht in freier und vernünftiger Willensentscheidung denkt und handelt, sondern durch sein „Es" gedacht wird, hat er seiner Wissenskritik zugrunde gelegt. „Ich" ist nicht mehr als ein „synthetischer Begriff"; das Subjekt gilt ihm als aus „Unterseelen" oder „Unterwillen" zusammengesetzt. Letztlich regieren unbewußte Triebe. Diese Beschreibung des Individuums verbindet sich notwendigerweise mit einem Wahrheitsbegriff, der auf intersubjektive Versicherungen verzichten muß. Auch eine Monopolisierung der Vernunft ist nicht mehr möglich. Wo Triebansprüche aufeinanderprallen, gibt es kein allgemeines Ganzes, kein allgemeines Wohl, keine allgemeine Basis der Verständigung und Begründung. Aus der Vernunft-Wahrheit werden viele Trieb-Wahrheiten. Die Auflösung eines Begriffs vom Subjekt, der dieses als fest, homogen, mit sich identisch und frei beschreibt, radikalisiert diese Pluralisierung der Wahrheit weiter. So kann das triebbestimmte Individuum unter dem Diktat seiner Ängste und Lüste Handlungen vornehmen, die es nach der Triebabfuhr selber verurteilt. Nietzsche spricht in diesem Zusammenhang vom „bleichen Verbrecher", der über seine eigenen Taten erschrickt, obwohl er sie vorher mit aller instrumentellen Vernunft und aller Energie begangen hat. Der Vernunft entspricht keine substantielle Ethik. Moral erhält ihre Begründung allein durch die gesellschaftliche Notwendigkeit der Triebdomestizierung. Außer dieser Funktion spricht für ihre Gebote nichts. So kernlos das Subjekt sich dem psychologischen Blick darstellt, so entleert ist jeder Anspruch der durch „vernünftige" Denkvorgänge gewonnenen Wahrheit auf privilegierte, überhistorische, normative Stellung. Moral kann nur noch als „Lehre von den Herrschaftsverhältnissen verstanden (werden), unter denen das Phänomen ,Leben' entsteht".1 Die Sprache der Moral ist immer an ein konkretes historisch-politisches, gesellschaftliches Projekt gebunden. Jede Ethik ist ethnozentristisch orientiert und verfällt der Zeit. Nietzsche selbst beschreibt den Heroismus seiner Enttarnungsarbeit im Rückblick auf die Erstveröffentlichung von Menschliches, Allzumenschliches als einsamer Dienst an der Aufklärung der „Unterwelten" des Wahrheitsideals. Nur der Starke kann allerdings diese Enttarnung leisten und die schneidende Helle der Illusionslosigkeit aushalten. 2 Hinter dem „Willen zur Wahrheit" der Vernunft steckt danach ein Willen zum NichtWissen-Wollen, zur Illusion, zum Idealismus, weil der Mensch als Triebwesen gar nicht wahrgenommen werden soll. So pflegt die Vernunft, deren aufklärerische Kraft doch alle Verschleierungen des Wahren und Wirklichen zerreißen will, den Schein des für Nietzsche nur noch sogenannten Wahren, Guten, Tugendhaften usw. Gegen dieses Nicht-Wissen-Wollen führt dann der Vernunftkritiker als wahrer Vertreter der Aufklärung seinen Entlarvungskrieg. Ohne eine Semantik der Abrechnung, von Anklage und Gericht, geht es dabei nicht. Daß von dieser Pose der Enttarnung eine große Anziehungskraft ausgeht, zeigen jene „rechten"
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Ebd., 34. Ders., Ecce Homo. Wie man wird, was man ist (1888), KS Α Bd. 6, 322.
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und „linken" Ideologien, Ideologiekritiken und Bewegungen, die aus solcher Haltung der eigenen „eigentlichen" Realitätssicht und -verhaftetheit, des Anti-Naiven, des Durchblicks und der Authentizität Bewußtsein und Stärke ziehen. 1 Nietzsche verhöhnt die Sicherheitsposen des Wahren und Wirklichen, von Vernunft und Moral, allerdings unter Anerkennung der historisch-politischen Leistungen der gescholtenen Homogenisierung und Monopolisierung im Prozeß der Vergesellschaftung des Menschen. In der Genealogie der Moral zeichnet er den Siegeszug der „Schein-Moral" nach und zollt den Schwachen, Sklaven, Christen und Mitleidigen Respekt, die es verstanden hätten, ihre Angst vor den Starken, ihr Ressentiment gegenüber konfligierenden Triebansprüchen in allgemeine Wahrheiten zu transformieren. Dabei erkennt er die ordnende Funktion der Triebhemmung an. Sie war zudem historisch erfolgreich, denn Bestialität, Barbarei, die Lüste der Starken haben sich eben nicht durchsetzen können. Vielmehr sei die Klugheit der Schwachen zu loben, die ihre Triebschwäche zur sozialen und gesellschaftlichen Norm haben machen können. Selbst Darwins Evolutionstheorie wird in solcher Argumentation zur scheinsicheren Konstruktion, denn die starken einzelnen haben ja in dieser Zivilisationsgeschichte nicht gesiegt. Der „Prozeß der Zivilisation" ist für Nietzsche ein Prozeß der Nivellierung, des Triumphs der schwachen triebverleugnenden vielen über die triebstarken Wenigen. Am Ende des 19. Jahrhunderts ist für ihn diese Domestizierungsgeschichte endgültig in Dekadenz umgeschlagen. Ähnlich wie die marxistische Geschichtsphilosophie läßt auch Nietzsche die Erfolge der „alten" Ordnung in Niedergang und Verfall umschlagen.2 Nietzsches Verzweiflung angesichts des „zahmen" Menschen, der sich in seiner Inauthentizität eingerichtet hat, spaltet sich auf. Einmal markiert für ihn die Herrschaft der Schwachen eine Entwicklungshemmung in der menschlichen Gattungsgeschichte. Zum anderen schreibt er gegen den Moralismus der Lebensmüden und -unfähigen auch mit solcher Aggressivität an, weil er in der „Sklavenmoral" eine Verleugnung echter Subjektivität sieht. Durch die Konstruktion einer höheren Instanz, sei es „Gott", sei es „Vernunft" gibt der einzelne seine Autonomie, seine Selbstbestimmung auf. Er unterstellt sich Autoritäten, wo er nur aus sich heraus schöpfen sollte. An dieser Desubjektivierung kranken Gesellschaft und Individuum. Die (SelbstVerkleinerung des Menschen versetzt Nietzsche geradezu in Raserei, zumal er die Wege möglicher Rückeroberung des Selbst fast ganz verstellt sieht. Auch die Furcht vor dem Feind, der Schrecken des Terrors produziert in seinem Denken Authentizität nur für die Starken, während die Schwachen auf alle politischen Herausforderungen demütig und feige reagieren mehr. 3
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Im folgenden wird die Bezeichnung „links" für Argumentationslinien verwandt, in denen die ökonomische Verfaßtheit von Gesellschaften für deren eigentliches Strukturmuster gehalten und mit einer Pathographie der sozialen Verhältnisse und individuellen Identitäten verknüpft wird, während die Bezeichnung „rechts" auf Ansätze angewandt wird, die diese Vorstellung eines Primats der Ökonomie sowie entsprechender Egalitätsforderungen ablehnen und der Utopie einer herrschaftsfreien Vergesellschaftung eine Absage erteilen.
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Ders., Zur Genealogie Ebd., 368f.
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der Moral. Eine Streitschrift
(1887), KSA Bd. 6, 277.
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Den Selbstverleugnern, den verzehrt Neidischen, die ihr Ressentiment gegen die „Siegreichen" als Moral tarnen und jede wahre Evolution, jeden Entwicklungsgang verhindern, stehen die „Starken" gegenüber, die die Wahrheit ihrer Triebnatur aushalten können, die keine Stützen, Prothesen und Schleier benötigen. Sie wollen ihre ziellose Lust, sie besitzen den alles entscheidenden „Willen zur Macht"; nur die Vergiftung durch Sklavenmoral, die Infizierung mit den Ausdünstungen der Schwachen kann sie bremsen. Deutlich entwirft Nietzsche hier das folgenreiche Hölle-Motiv (um mit Sartre zu sprechen) im Diskurs der Subjektbestimmung. Es sind immer die anderen, an denen die Stärke des „Ichs" zerbricht. Der „Starke" hat dann nur die Wahl zwischen Rückzug aus der Welt-Hölle der anderen in Eremitage oder Tod, ihre Unterwerfung und Vernichtung oder ihr Aufsaugen ins megalomanische „Ich". 1 Doch zurück zur zentralen Kategorie Nietzsches, dem „Willen zur Macht". Hier müssen zwei Sprechweisen über diesen „Willen" unterschieden werden. In seinen deskriptiven Bedeutungen ist dieser „Wille" überall tätig; aber nur die starken Subjekte sind fähig, diese Wahrheit auszusprechen. Auf der normativen Ebene fordert Nietzsche nun den Durchbruch zur Bejahung dieses „Willens zur Macht". „Werde, was Du bist" ist ja einer seiner bekanntesten Aussprüche. Das Subjekt soll sich zum selbstbewußten Triebwesen emanzipieren. Der „Wille zur Macht" ist allen Menschen eigen. Er bestimmt individuelle und soziale Entwicklungsgänge, er zeigt sich in der Wiederkehr des ewig Gleichen. Das, was den Menschen ausmacht, muß in Nietzsches Denken nicht erst gesellschaftlich konstituiert werden, sondern ist Teil seiner biologischen Grundausstattung. Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Der „Wille zur Macht" ist nicht Synonym für individuell-egoistische instrumenteile Rationalität und raffgierige Kalkulation. Die Rede vom „Willen zur Macht" will Authentizität, Ursprünglichkeit, Kraft menschlicher Existenz evozieren. Es geht um Qualitäten des Seins, nicht um spezifische Ziele: „Gesetzt endlich, dass es gelänge, unser gesamtes Triebleben als die Ausgestaltung und Verzweigung Einer Grundform des Willens zu erklären - nämlich des Willens zur Macht, wie es mein Satz ist - ; gesetzt, dass man alle organischen Funktionen auf diesen Willen zur Macht zurückführen könnte und in ihm auch die Lösung des Problems der Zeugung und Ernährung - es ist Ein Problem - fände, so hätte man damit sich das Recht verschafft, alle wirkenden Kraft eindeutig zu bestimmen als: Wille zur Macht. Die Welt von innen gesehen, die Welt auf ihren ,intelligiblen Charakter' hin bestimmt und bezeichnet - sie wäre eben , Wille zur Macht' und nichts ausserdem". 2 Zu kurzschlüssig sind Interpretationen, die den „Willen zur Macht" konkret politisch deuten, etwa als vorwegnehmende Legitimation für Imperialismus, Faschismus usw. Im Zentrum dieser Beschreibung des Menschen als Triebwesen steht ein Konzept der individuellen Selbsterweiterung durch Ausschöpfung seines Kraftreservoirs. Nietzsche preist das „Leben" jenseits kalkulatorischer Nützlichkeitserwägungen. „Ein Grauen ist für uns der entartende Sinn, welcher spricht: Alles für mich", heißt es in einem seiner Aphorismen. Vielmehr geht es um die Fähig-keit des Subjekts, ganz selbst sein zu können, ganz bei sich
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Rüdiger Safranski, Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und das Lebbare, München 1990, zeichnet diese möglichen Strategien an den Beispielen Rousseau, Kleist und Nietzsche nach. Safranskis Buch hätte einen besseren Titel verdient. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 55 (Hervorhebungen im Original).
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zu sein, sich seinem Wollen ganz zu verschreiben. 1 Individuum und Gesellschaft werden aus dieser Kraftquelle versorgt. Die starken Subjekte sind sich dieser prinzipiellen Konstruktion von Realität, Bewußtsein, Moral bewußt und haben Mut und Willen zur Konstruktion ihres Selbst. Das heißt aber nicht wildes „Ausleben" und „Gehenlassen". Im Gegenteil, dazu gehören Asketismus, Entbehrung, Leid und Entsagung. Wichtig ist nur, daß das Subjekt aus seinem Wollen heraus handelt, autonom und selbstbezogen, als - wie es bei Nietzsche heißt - „Seltbstgesetzgeber". Das umfaßt auch die Bereitschaft, für den Willen, für die Autonomie des „Ichs" zu sterben. An vielen Stellen seiner Schriften finden sich Prognosen kommender Kriege, „grosser Politik" und einer Selbstfindung der Subjekte in der Selbstvernichtung. Bei der Schöpfung des authentischen „neuen Menschen" kommt dem Krieg, der Front, dem Tod große Bedeutung zu. Die Selbsterweiterung des „Ich" umfaßt auch die Unterwerfung anderer Individuen. Die Pluralität der „Willen zur Macht" wird nicht in einem harmonischen Höheren versöhnt und aufgehoben. Die Bewußten, die Lebensstarken unterwerfen die Schwachen. Nietzsche ist fasziniert von „Bestien der That", „Raubthieren", „Barbaren" und „blonden Bestien". Die Starken müssen führen; „Tapferes Drauflosgehen", „schwärmerische Plötzlichkeit von Zorn, Liebe, Ehrfurcht, Dankbarkeit und Rache". 2 werden von den „Herren" genauso gefordert wie „Zucht, Reinlichkeit" 3 , das Aushaltenkönnen von Einsamkeit und vor allem das Bewußtsein des eigenen Willens. Nietzsche zählt in diesem Zusammenhang vor allem Werte des „Männlichen" und „Heroischen" auf; alles „Feminine" ist ihm zuwider. Die Starken sollen zur Umwertung aller Werte ansetzen, sollen ihren Willen zur Macht, ihre Seins-Qualität der Gesellschaft aufprägen. Dabei entsteht auch eine neue Rangordnung jenseits demokratischer Gleichheitspolitik, die auf einer Ethik der Ungleichheit beruht. Nietzsche redet vom echten Adel, der wahren Aristokratie, den Führern. Herren und Führer müssen einer anderen Moral folgen. Was den „Heerdenmenschen" verboten ist, wie Lug, Betrug, Mord, kann für die Starken, die Befehlenden zur Pflicht werden. Aus der Dekonstruktion traditioneller Moral produziert Nietzsche so eine substantielle neue Moral, die für ihn aber nicht papiernes Denkergebnis ist, keine Scheinsicherheit oder Luftbrücke4 darstellt, sondern dem „Leben" entspringt. Bezeugt wird diese „Lebenswahrheit" durch ein Pathos der Einsamkeit und Distanz, in welcher die herausgehobene Stellung des Subjekts ihren ästhetischen Ausdruck erhält. Authentizität setzt Entfernung voraus. Die „Raubmenschen" blicken in ihre eigenen Abgründe, aber dieser Blick ist keine Entlastung, keine Legitimation für Brutalität und Entgleisung. Die Starken halten Wahrheit aus und sind vor allem „neue Philosophen". Nietzsche phantasiert sich als deren Prophet, der als großer Experimentator seiner „Lust" an der Entschleierung fröne und im „Neinsagen" und „Zergliedern" seine grausame Kraft entfalte. Dieser Herrschaftsblick zieht die schwachen Massen in seinen Bann. 5 Der kommende Mensch trägt nicht nur den Thyrus-Stab des
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Vgl. Alasdair Maclntyre, Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt/M. und New York 1987, 149ff. Nietzsche, Genealogie, 273. Ders., Jenseits von Gut und Böse, 143. Vgl. Wilfried von Bredow/Thomas Noetzel, Luftbrücken. Politische Theorie für das 19. Jahrhundert, Zweiter Teil, Münster 1993. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 142f.
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Dionysos, sondern treibt auch die Tätigkeit des Entlarvens weiter. Der neue Mensch durchschaut alles und trägt Textschicht für Textschicht ab, lugt hinter jede Maske, um zur Wahrheit des Willens zu kommen. Allerdings entgeht Nietzsche dem Widerspruch nicht, daß der polyvalente „Wille zur Macht" keine singulare Wahrheit kennen kann. Es zeichnet dann auch die „neuen Philosophen" aus, daß sie in der Entlarvung der Illusionen über den Menschen an bestimmten Masken festhalten, gerade, weil sie um ihre Maskerade wissen. Wer entlarvt, kann sich bewußt für den Schein entscheiden; nicht von einer objektiven Logik gezwungen, sondern aus seinem Willen heraus. Als Ausdruck der Entscheidung des Individuums ist selbst das Inauthentische authentischer Ausdruck des Spiels mit allen Möglichkeiten der Identitätserfindung. 1 Ohne Fiktionen geht es nicht. Nietzsche dementiert sich selbst. Seine Entlarvungsbemühungen nehmen seinen erkenntnistheoretischen Relativismus zurück. Gegen Ende der Genealogie der Moral schreibt er über die Pluralität der Wirklichkeitszugänge: „Es giebt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches .Erkennen'; und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassende mehr Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser ,Begriff' dieser Sache, unsre ,Objektivität' sein. Den Willen aber überhaupt eliminieren, die Affekte sammt und sonders aushängen, gesetzt, dass wir dies vermöchten: wie? hiesse das nicht den Intellekt castrieren? ..."2. Doch genau diese „Kastration" passiert. Seine Entschleierungen produzieren neue Sichtweisen und Lesarten. Entlarven heißt, neue Perspektiven einnehmen. Aber die Vielzahl der Sichtweisen wird gleich-zeitig verringert; Nietzsches Entlarvung kommt - wie die spätere Psychoanalyse - objektivistisch, (natur)wissenschaftlich daher. Der „Wille zur Macht" ist eine physiologische Wahrheit; bei aller Kritik an den erkenntnistheoretischen Prämissen der modernen Wissenschaften kommt Nietzsche nicht ohne Biologie, Chemie etc. aus, wobei die triebhydraulische, biochemische Beschreibung den Menschen auf den Status bestimmter chemischer Reaktionen reduziert. Daß Bedeutungen, daß die Differenz zwischen „Maske" und „Gesicht" nicht physiologisch konstituiert, sondern gesellschaftlich konstruiert wird, entgeht ihm. Zu selbstverliebt pflegt er eine Sprache objektiver Seinsqualitäten. An dieser Stelle wird die politiche, auf Herrschaft zielende Bedeutung seiner epistemologischen Kritik deutlich. Der „Wille zur Macht", der sich ja immer nur sprachlich, d. h. vernünftig, fassen läßt, entlastet als große Wahrheit von den Unsicherheiten der vielen Perspektiven. Er negiert die Pluralität der Moderne. Nietzsche ist ein ängstlicher Denker; sein Streben zielt auf Solidität und Stillstellung. Die unübersichtliche, industrielle, mobile Gesellschaft soll umgeformt werden zur festen, hierarchischen Formation. „Rangordnung" gehört zu seinen Lieblingsvokabeln. Er träumt etwa von der „Züchtung", von Vervollkommnung und Perfektionierung, von den kommenden Machtmenschen. Diese Mischung aus radikaler Kritik traditioneller Normen, Entlarvung aller „Ideale", Verachtung gegenüber zivilisierten Vergesellschaftungsformen, Spiel mit dem Bestialischen bei gleichzeitiger Bereitstellung hermetischer neuer Ordnungen und der Umwertung aller Werte wird im 20. Jahrhundert ins Zentrum des politischen Diskurses gehören. Der Schrecken der Dekadenz soll vertrieben werden. Entwicklung soll wieder in Gang kommen. Zukunft soll gewonnen werden. Aber dieser Prozeß fußt bei Nietzsche nicht auf totaler Demokratisie-
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Ebd., 225f. Ders., Genealogie,
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rung, sondern auf der Bereitschaft einer Elite, Macht auszuüben. Die Unterworfenen haben keinen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Ansprüche auf Selbstbestimmung und Authentizität, sondern werden aus der wahren Ordnung ausgeschlossen. Will Rousseau - trotz der starken Stellung des Legislateurs - das Authentische letztlich verallgemeinern, so macht Nietzsche es zu einem knappen Gut, in dessen Besitz nur ausgewählte Individuen kommen können. Das Gemeinsame im Verschiedenen der beiden Ansätze ist durch den Versuch gekennzeichnet, Authentizität der Individuen positiv als politisches Ordnungsmuster, also nicht nur als Abwesenheit von Nicht-Authentizität, zu fassen. In Nietzsches Werk finden sich zahlreiche Schmähungen Rousseaus, der „Moral-Tarantel" 1 , der „Mißgeburt" 2 , der „maskirte Pöbel-Mann" 3 , welchem alles mißlungen ist.4 Aber trotz dieser Polemik legt Nietzsche Rousseau nicht einfach zur Seite. Immer wieder gibt dieser den Bezugspunkt für Nietzsches Überlegungen zur Manifestation des Authentischen ab.5 Beide arbeiten am politischen Legitimationsproblem der Moderne, die freigesetzten Individuen zu ihrem Recht kommen zu lassen und zugleich überindividuelle politische Ordnungen funktionsfähig zu halten. Dabei - und das unterscheidet diesen Diskurs von anderen Konzepten der Verbindung individueller Authentizität und politischer Ordnung - soll das Individuum im Prozeß der Vergesellschaftung und Staatenbildung seine Unverwechselbarkeit behalten. Beide beziehen sich in ihren politischen Entwürfen auf die Norm, daß das moderne Individuum nur als „Selbstgesetzgeber"6 seine Authentizität bewahren kann. Deshalb gehört auch die Entlarvung von Fremdbestimmung zu den Hauptaufgaben. Erst wenn alle Masken gefallen sind, kommt der Mensch zu sich. Zu diesem Diskurs gehört das Projekt einer immerwährenden Aufklärung der Individuen über sich, einer Zerstörung ihrer Illusionen und Dekonstruktion des Scheinhaften. Auf Rousseaus Entwurf einer totalen Demokratie mit permanenter Partizipation aller Subjekte antwortet Nietzsche mit der Apologie eines individuellen Heroismus, der nur solche Herrschaftsverhältnisse für legitim hält, in denen dieser „Wille zur Macht" Ausdruck findet. Da der Besitz eines solchen „Willens" aber nur Wenigen vorbehalten ist, wird er zum eigentlichen sozialen Distinktionsmittel. Wer über ihn verfügt, soll herrschen.
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Ders., Morgenröthe. Gedanken über moralische Vorurtheile (1881), KSA Bd. 3, 14, 146 (Für eine Umkehrung Rousseaus, der das Verhältnis von Moral und Gesellschaft falsch bestimmt). Ders., Götzen-Dämmerung, 150; Ders., Nachgelassene Fragmente, Sommer 1880, KSA Bd.9, 129, Ders., Nachgelassene Fragmente. Frühjahr 1884, KSA Bd. 11, 48, 61, 254 (Rousseau als Schauspieler), Nachgelassene Fragmente, Herbst 1887, KSA Bd. 12, 421, 440, 453, 456, 561. Brief Nietzsches an Heinrich Köselitz, 24. Nov. 1887, in: Ders., Sämtliche Briefe, KSA, Colli/ Montinari, München 1986, Bd. 8, 203. Ders., Götzen-Dämmerung, 114. Ders., Morgenröthe, 276: Rousseau als „großmütiger Denker", als großer „Einsamer" (293), als irrsinniges „Genie" (307); Ders., Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister (1878), KSA Bd. 2. 299 (Rousseau als die nicht radikal zu Ende gedachte Aufklarung) und ebd. 534: „Vier Paare waren es, welche sich mir, dem Opfernden nicht versagten: Epikur und Montaigne, Goethe und Spinoza, Plato und Rousseau, Pascal und Schopenhauer. Mit diesen muß ich mich auseinandersetzen ... „ Ders., Nachgelassene Fragmente, Sommer 1878, KSA Bd. 8, 556: „Rückschritt gegen das vorige Jahrhundert in Ethik - Helvetius. Von da an abwärts Rousseau Kant Schopenhauer Hegel". Rousseau wird hier nicht nur aus chronologischen Gründen über Schopenhauer gestellt. Ders., Fröhliche Wissenschaft, 563.
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4.2 Der hegelianisch-marxistische Diskurs Wie schon an anderer Stelle dieser Studie gezeigt worden ist (Kapitel 2), lädt die Unterscheidung Authentizität/Inauthentizität offensichtlich viele Beobachter ein, sie weiter auf der Seite der Inauthentizität auszudifferenzieren. 1 So können hier etwa verschiedene Formen des Inauthentischen und ihre jeweiligen Ursachen unterschieden werden. Auf die Seite der Inauthentizität gehört spätestens seit Hegel der Begriff der Entfremdung. 2 In ihm scheint die fehlerhafte Repräsentation des Eigentlichen, Wahren, der Essenz und des Wesens auf. In der Phänomenologie des Geistes heißt es mit Bezug auf das „skeptische Bewußtsein" als „wahrhafte Gewißheit seiner selbst": „Es ist dies für sich selbst... Es bekennt sich darum auch dazu, es bekennt, ein ganz zufälliges, einzelnes Bewußtsein zu sein - ein Bewußtsein, das empirisch ist, sich nach dem richtet, was keine Realität für es hat, dem gehorcht, was ihm kein Wesen ist, das tut und zur Wirklichkeit bringt, was ihm keine Wahrheit hat. Aber ebenso, wie es sich auf diese Weise als einzelnes, zufälliges und in der Tat tierisches Leben und verlorenes Selbstbewußtsein gilt, macht es sich im Gegenteile auch wieder zum allgemeinen sichselbstgleichen\ denn es ist die Negativität aller Einzelheit und alles Unterschiedes."3 Hegel untersucht an dieser Stelle das Spannungsverhältnis des Partikularen zum Allgemeinen auf der Ebene des individuellen Bewußtseins. Dieses kann sich selbst zwar in konsequenter Anwendung des aufklärerischen cogito ergo sum seiner sicher sein, bleibt aber in seinen Idiosynkrasien isoliert und hängt Trugbildern an. Die „wahrhafte Gewißheit" bleibt unvollständig und unglücklich. In seiner Absonderung und der damit verbundenen Verneinung des Allgemeinen ist es aber wiederum mit den anderen Individuen verbunden und gleich. Das Allgemeine findet hier also nur in seiner Negation statt. Intersubjektivität beruht auf der Repräsentation des Negativen, des Falschen in den Subjekten. Sie bilden in der Betonung ihrer Unverwechselbarkeit ein „unglückliches Bewußtsein" aus, denn einerseits sind sie frei, doch diese individuelle Freiheit geht mit Unsicherheit über die Substanz, den Gehalt und die Bedeutung dieser Freiheit
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Wer auf der Seite der Authentizität weitermacht, kommt schließlich doch auf der Seite Inauthentiztät an, weil eine positive Differenzierung des Authentischen schwierig ist. Authentizität ist ein „Reflexionsbegriff' (Luhmann), der nur dazu dient, den anderen Wert der Unterscheidung als den weiter zu differenzierenden deutlich zu machen. Insofern wäre es genauer von der Unterscheidung „Inauthentizität/Authentizität" zu sprechen, um den ersten Wert als den positiven herauszuheben. Luhmann verfährt bei der Untersuchung „Krankheit/Gesundheit" ähnlich. „Gesundheit" ist der „Reflexionswert", der dazu dient deutlich zu machen, daß weitere Differenzierungen beim Wert „Krankheit" anzusetzen sind. Vgl dazu: Niklas Luhmann, „Der medizinische Code", in: Ders., Soziologische Aufklärung 5, 183-196.
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Vgl. die Übersichtsdarstellung dieses Entfremdungsdiskurses bei Richard Schacht, The Future of Alienation, Urbana und Chicago 1994 und Hermann Schuller, Die Logik der Entfremdung. Versuch einer wissenschaftlichen Grundlegung der Entfremdungstheorie, Regensburg 1991; Halim Barakat, „Alienation: a process of encounter between Utopia and reality", in: BSJ, 20/1969,1-11; Daniel Bell, „The .rediscovery' of alienation. Some Notes along the quest for the historical Marx", in: The Journal of Philosophy, 56/1959, 933-952. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes (1807), Werke, Bd. 3, Edition Mollenhauer/Michel, Frankfurt/M. 1974, 161f (Hervorhebungen im Original).
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einher: „Dies Bewußtsein ist also diese bewußtlose Faselei, von dem einen Extreme des sichselbstgleichen Selbstbewußtseins zum anderen des zufälligen, verworrenen und verwirrenden Bewußtseins hinüber- und herüberzugehen. Es selbst bringt diese beiden Gedanken seiner selbst nicht zusammen; es erkennt seine Freiheit einmal als Erhebung über alle Verwirrung und alle Zufälligkeit des Daseins und bekennt sich ebenso das andere Mal wieder als ein Zurückfallen in die Unwesentlichkeit und als ein Herumtreiben in ihr."1 Das Individuum steht seiner konkreten Existenz und seiner Selbstbestimmung ambivalent gegenüber. Einerseits ist es sich seiner Unterscheidung von anderen Individuen bewußt, und in dieser Unverwechselbarkeit ist es ganz bei sich. Andererseits ermangelt diese Unverwechselbarkeit aber dem positiven Allgemeinen. Deshalb bleibt das Individuum isoliert und bedarf die moderne, freigesetzte Individualität einer Versicherung ihrer Wesentlichkeit. Jedes Bewußtsein ist ein Bewußtsein von Konkretem, und d. h. immer von Besonderem. Das Selbstbewußtsein des Individuums ist das Bewußtsein einer konkreten Person, dieser Individualität und keiner anderen. Solches Wissen bleibt notwendig an bestimmte Phänomene gebunden und muß doch allgemein genug sein, um die Verbindung zu anderen Individuen möglich zu machen und so ein den einzelnen sicherndes Koordinatensystem dieses Wissens entwickeln zu können. Ansonsten bleibt jedes Selbstbewußtsein mit sich allein, denn solche „Privatsprachen" (Wittgenstein) führen nicht aus der Einsamkeit heraus. Hegel entwirft ein Szenario der Zusammenführung des Besonderen mit dem Allgemeinen, das dem „reinen Denken" 2 schließlich die Rolle der mit dem Allgemeinen versöhnten Individualität zuweist. Das „reine Denken" soll in sich selber vorkommen, soll seine eigene Besonderheit sein und in dieser allgemein. Differenzlogisch kommt darin die Unterscheidung Besonderung/ Allgemeines in sich selber zum Vorschein. Hegel handhabt die Unterscheidung Besonderes/ Allgemeines also nicht als eine symmetrische (entweder... oder...) Unterscheidung, sondern nutzt ihre „Hierarchiefähigkeit" (Dumont) auf Seiten des Allgemeinen. Der Selbstbeobachtung dieser Differenz und der Wiedereintritt ihrer Einheit in die Beobachtung kommt dabei zentrale Bedeutung zu. In den Abschnitten der Phänomenologie über die asymmetrische Anerkennung von Herr und Knecht macht Hegel deutlich, welche Relevanz für die Konstitution eines Selbstbewußtseins der authentischen Abbildung zukommmt. Der Knecht hat überhaupt nur die Chance zu sich zu kommen, weil er sich (im Gegenteil zu seinem Herrn, dessen Selbstbewußtsein durch seine Herrschaft über den Knecht bestimmt ist) im Arbeitsprozeß und dessen Produkten wiedererkennen kann. Kommt dem Herrn die stete Befriedigung seiner Begierden zu, so bleibt dieser Status des Machthabers doch prekär. Er erfährt Bestätigung nur durch die Konsumtion der Arbeit anderer. Da in der Arbeit „das arbeitende Bewußtsein" zur seiner Selbstanschauung kommt, hat die Struktur der Arbeitsverrichtung erhebliche Auswirkungen auf die Selbstbeobachtung.3 Arbeit bedeutet hier in der Hemmung der unmittelbaren Triebe nach Konsumtion eine Distanzierung von der Besonderheit der individuellen Existenz. Wer arbeitet, unterstellt sich immer auch einem fremden Regime, schon weil er bestimmten Notwendigkeiten der richtigen Handhabung von Arbeitsinstrumenten und -Stoffen folgen muß. Es herrscht das Objekt, die Sache, über
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Ebd., 162 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 168. Ebd., 153f.
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das Subjekt. In dieser Fremdbestimmung steckt aber eine Transzendierung der Individualität, d. h. die Entfremdung des Arbeitsprozesses verweist auf das Allgemeine. Wenn auch die endgültige Versöhnung erst im reinen Denken des zu sich gekommenden Geistes erfolgt, so ist die richtige Abbildung in der Arbeit für die Konstitution jedes Selbstbewußtseins notwendig. Erst dadurch scheidet sich für das Individuum Wesentliches vom Unwesentlichen. Der hier eingeführte Bildungsbegriff ist für die Unterscheidung des Authentischen/Inauthentischen bzw. des Allgemeinen/Besonderen von großer Bedeutung. Gadamer hat mit Bezug auf Hegel darauf hingewiesen, daß im Begriff der Bildung nicht nur der Sinn des Abbildes oder Vorbildes enthalten ist, sondern darüberhinaus Bildung eine Distanzierung von der Partikularität des Subjekts bedeutet. Bildung entfernt von den Ansprüchen der unmittelbaren Natur und manifestiert das Allgemeine, weil gerade die Selbstdistanz die Voraussetzung für das Verstehen der Ansichten der anderen und damit für die Reflexion des Allgemeinen ist.1 Gleichzeitig fügt sich das Individuum über die Bildungs-Arbeit in die Gesellschaft ein. Hegels Arbeitsbegriff geht damit weit über den naturnotwendigen Aneignungsprozeß des Individuums hinaus. Dieses erkennt sich zwar in der Gegenständlichkeit des Arbeitsobjektes, aber letztlich kann hierbei Bleibendes nur entstehen, wenn es soziale Institutionen gibt, die die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten bereitstellen und das Individuum entsprechend (aus)bilden, dessen Arbeitsprodukte konsumieren, mit ihm in Austausch treten. Intersubjektivität wird über Arbeit vermittelt. 2 Das Allgemeine entsteht jedoch nicht nur über die Entwicklung von Arbeitsteilung und Tausch. Im Bild der Verschränkung der eigenen Arbeit mit der Arbeit der anderen wird nicht so sehr die Einheit in der Differenz stiftenden Regulationsmechanismen der differenzierten Industriegesellschaft beschrieben (invisible hand), sondern das sich im Arbeitsprozeß und der jeweiligen Fremdbestimmung konstituierende Allgemeine. Deutlich tritt Hegels These hervor, nach der die in der Selbstbestimmung sich ausdrückende individuelle Freiheit einer Grenze bedarf, um über das Niveau individueller „Unwesentlichkeit" und „Faselei" hinauszukommen. Diese aus dem Arbeits- und Bildungsprozeß hergeleitete Bestimmung ist von großer politischer Brisanz. „Freiheit" als Möglichkeit individueller Selbstbestimmung gehört zu den politischen Hauptforderungen der Aufklärung. Dabei steht diese Freiheit der Individuen in einem Spannungsverhältnis zum öffentlichen Raum der Politik. Im Staat wird notwendig Allgemeinheit sichtbar, die sich die Einzelwillen unterwirft. In der geglückten Versöhnung des Besonderen mit diesem Allgemeinen verliert diese Unterwerfung an Bedeutung, da sich dann im Allgemeinen die Individualität aufgehoben findet. Allerdings beurteilt er die Herrschaftsformen seiner Zeit eher skeptisch. Die hergebrachten Ständeordnungen reduzieren die Individuen auf den Aspekt der Zugehörigkeit zu einem der Stände und betonieren damit die Partikularität der Subjekte geradezu. Für die Entstehung eines Selbstbewußtseins, das auf seine Verallgemeinerung reflektieren kann, sieht er hier keinen Raum. Dieses Selbstbewußtsein „läßt sich dabei nicht durch die Vorstellung des Gehorsams unter selbstgegebenen Gesetzen, die ihm einen Teil zuwiesen, noch durch seine Repräsentation beim Gesetzgeben und allgemeinen Tun um die Wirklichkeit
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Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Gesammelte Werke, Bd. 1, 6. Auflage, Tübingen 1990, 18ff. Hegel, Phänomenologie, 265.
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betrügen, - nicht um die Wirklichkeit, selbst das Gesetz zu geben und nicht ein einzelnes Werk, sondern das Allgemeine selbst zu vollbringen; denn wobei das Selbst nur repräsentiert nur vorgestellt ist, da ist es nicht wirklich', wo es vertreten ist, ist es nicht." 1 Das Allgemeine entsteht also nicht durch Summierung des Besonderen. Vielmehr muß es in der Individualität zum Ausdruck kommen. Folgerichtig stellt Hegel eine Person, den Monarchen, an die Spitze des politischen Gemeinwesens, in dessen Handlungen als Ausdruck seines einzelnen Selbstbewußtseins sich ein „wirklicher Wille" 2 offenbart. Damit aber sind alle anderen Einzelwillen letztlich aus der Sphäre des Politischen ausgeschlossen und ist die Handlung des Monarchen nicht verallgemeinerungsfähig, sondern bleibt Ausdruck des Besonderen. Im Raum des Politischen, so lautet Hegels Fazit in der „Phänomenologie", kann damit von einem „wirklichen allgemeinen Selbstbewußtsein" nicht gesprochen werden. 3 An dieser Stelle wird der Unterschied zur radikaldemokratischen Position Rousseaus deutlich. Für diesen manifestiert sich die Authentizität der Individuen im Akt ihrer totalen, alle Aspekte ihrer personalen Identität erfassenden demokratischen Beteiligung, die die authentische politische Ordnung des unbestreitbaren Guten herstellt. Hegel sieht demgegenüber das Ganze im Kampf der „Faktionen" 4 untergehen und nur in der jeweiligen partikularen Negation Allgemeinheit produzieren. Mit Blick auf die französische Revolution spricht er von der „Furie des Verschwindens" und dem Terror des Besonderen, dem „absolut reine(n) und freie(n) einzelnen Selbst". 5 Die jeweils anderen werden vertilgt und irgendwann trifft es die zwischenzeitlich siegreiche Fraktion selbst:„Das einzige Werk und Tat der allgemeinen Freiheit ist daher der Tod, und zwar ein Tod, der keinen inneren Umfang und Erfüllung hat; denn was negiert wird, ist der unerfüllte Punkt des absolut freien Selbsts; er ist also der kälteste, platteste Tod, ohne mehr Bedeutung als das Durchhauen eines Kohlhauptes oder ein Schluck Wasser."6 Der Schrecken liegt in der Beliebigkeit und Willkür; der Tod hat keinen Sinn. Aus den falschen Verhältnissen kann keine Authentizität des wirklichen verallgemeinerbaren Willens entstehen. Jede Repräsentation geht fehl. 7
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Ebd., 435 (Hervorhebungen im Original). Ebd. Ebd. (Hervorhebungen im Original). Ebd., 437. Ebd., 436. Ebd. (Hervorhebungen im Original). Siehe dazu: Hauke Brunkhorst, „Hegel und die französische Revolution", in: Synthesis philosophica (Internationale Ausgabe der jugoslawischen Zeitschrift Filozofskalstrazivanja), 1986,377-391. Merkwürdigerweise trägt derselbe Beitrag dort den Titel „The authentic revolution". Vgl. dazu Giuseppe Duso, Der Begriff der Repräsentation bei Hegel und das moderne Problem der politischen Einheit (Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, Heft 12), Baden-Baden 1990, 26ff, 52f.
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4.2.1 Authentizität und Fortschritt zur allgemeinen Freiheit Wie schon im Abschnitt über den Zusammenhang von individuellem Willen und politischer Legitimationszuschreibung festgehalten wurde, setzt sich Hegel erst in seinen späteren Schriften über diesen Skeptizismus hinweg und sieht vor allem im preußischen Staat und seinen Beamten die geglückte Realisierung der Vernunft in der Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen, für die dann schließlich in der Philosophie der Geschichte eine historische Notwendigkeit konstruiert wird. Die Versöhnung des Menschen mit Natur und Gesellschaft, das Aufgehen des Besonderen im Allgemeinen, das Zusammenfallen von Subjekt und Objekt ist für Hegel nur in der Zeit, als geschichtlicher Prozeß denkbar. Emanzipation wird hier als Endziel und als Bewegung auf dieses Ziel hin verstanden. Wobei „Geschichte" in diesem Zusammenhang nicht nur auf spezifische Entwicklungsformen des Verhältnisses des einzelnen zum Allgemeinen hinweist, sondern vor allem das Erkennen des Erkenntnisprozesses dieser konkreten, unvollständigen Versöhnungsweisen in Religion, Kunst, Wissenschaft, Politik meint. Selbstbestimmung durch Beobachtung von Selbstbeobachtungen heißt Hegels Programm. Mit der richtigen Geschichtsphilosophie kommen die Individuen nicht nur zu richtigen Ansichten über den Geschichtsprozeß. In dieser richtigen geschichtsphilosophischen Spekulation geht das Besondere im Allgemeinen auf, findet das Subjekt zur Einheit mit dem Ganzen. Endlich fallen Wesen und Erscheinung zusammen. Damit ist aber nicht ein „Lernen aus der Geschichte" gemeint. Die Entwicklung frischoptimistischer „Lemprogramme" der historischen „Bewältigung" ist Hegels Sache nicht. Historische Beispiele des Guten können zwar das „Gemüt" erheben und „beim moralischen Unterricht der Kinder" dienlich sein, aber „was die Erfahrung (...) und die Geschichte lehren, ist dieses, daß Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben. Jede hat so eigentümliche Umstände, ist ein so individueller Zustand, daß in ihm aus ihm selbst entschieden werden muß und allein entschieden werden kann." 1 Es zeichnet Hegels Systemvokabular aus, daß es zur Beschreibung individueller und gesellschaftlicher Zustände nutzbar ist. Und wie „Lernen" kein hinreichendes Mittel zur individuellen Selbstbestimmung ist, versagt es auch gesellschaftlich. Geschichte erschöpft sich nicht in der Produktion und Weitergabe von Wissen, kann überhaupt mit Kategorien wie richtig/falsch, gut/böse nur auf der Ebene der konkreten Einzeldaten gemessen werden. Vielmehr besteht ihr Wesen in diesem Denken gerade darin, daß sie sich in einem Selbstreflexionsprozeß erst konstituiert. Lernen produziert demgegenüber keine Authentizität. Und gerade um diese Sicherheit des „Echten", um die enttäuschungsfreie Solidarität des „Wahren" geht es Hegel. Auf der Ebene der historischen „Fakten" existiert erschreckendes, traurig machendes Chaos. Einzelheiten reihen sich an Einzelheiten; Leidenschaft und Willkür regieren. Die Geschichte ist eine „Schlachtbank", und der Beobachter sieht sich mit zertretenen Blumen,
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Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1840), Werke, Bd. 12, 17. Bei diesem Text handelt es sich um von Hegel-Schülern angefertigte und von den Herausgebern Eduard Gans bzw. Karl Hegel bearbeitete Mitschriften seiner zwischen 1822/1823 und 1830/1831 alle zwei Jahre im Wintersemester gehaltenen geschichtsphilosophischen Vorlesungen. Auf die hier angelegten philologischen und hermeneutischen Probleme soll nicht weiter eingegangen und der vorliegende Text als Text Hegels gelesen werden.
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ruinierten Hoffnungen, Gewalttätigkeit, namenlosen Opfern, furchtbaren Leiden, Verfall und Niedergang konfrontiert. In der Geschichte manifestieren sich vor allem Veränderungen und ruheloser Wechsel. Vergänglichkeit scheint ihr Grundgesetz zu sein. Eine solche Sichtweise vergrößert das Problem der Sinnstiftung erheblich, stellen sie sich doch angesichts dieser Vergeblichkeiten zwangsläufig - wie Hegel schreibt - „trübe Empfindungen" 1 ein. Wenn alles vergeht, wenn Willkür herrscht, dann entsteht Sinnlosigkeitsverdacht. Individuelle und Kollektive Selbstbestimmung wird angesichts solcher Schrecken negativ. Letzlich dementiert sich der „Geist" selbst. Hegel überwindet allerdings dieses Erschrecken vor dem undeutbaren Schicksal, indem er - ähnlich wie Herder - in Niedergang und Verfall neues Leben entdeckt. So wie die einzelnen Menschen alt werden müssen, um einen Sinn in ihrem Leben erblicken zu können, müssen Gesellschaften und Völker vergreisen und sterben, damit Fortschritt - zunehmende Selbstreflexionskompetenz des „Geistes" - möglich wird. Untergänge verlieren ihren Schrecken; sie müssen nur wahrhaft sein, d.h. Raum schaffen für wirkliche Verbesserung der Selbstbeobachtung. Damit werden Leiden, Tod und Verderben zu einem Stufengang der sich verallgemeinernden Individualisierung, der Freiheit, der Selbstbestimmung: „Mit dem, was ich im allgemeinen über den Unterschied des Wissens von der Freiheit gesagt habe, und zwar zunächst in der Form, daß die Orientalen nur gewußt haben, daß Einer frei, die griechische und römische Welt aber, daß einige frei sind, daß wir aber wissen, alle Menschen an sich, daß heißt der Mensch als Mensch sei frei, ist auch zugleich die Einteilung der Weltgeschichte und die Art, in der wir sie abhandeln werden, angegeben."2 Wobei hier erinnert werden muß, daß gelungene Selbstbestimmung zuletzt im Allgemeinen aufgeht. Hegels Stufengang der Weltgeschichte orientiert sich an dieser Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Ordnung. Denn auf die Überwindung der Trennung von Subjekt und Objekt kommt es an und die ist erst gegeben, wenn das Subjekt im Allgemeinen aufgehen kann, ohne daß es seine Selbstbestimmung aufgeben muß. In Räumen, wo die Menschen der Natur verhaftet sind, wie in Afrika, kann danach von Geschichte keine Rede sein. Die Menschen leben dort ihre Triebe aus, die bekanntlich dumpf sind; sie bringen sich gegenseitig um, ergötzen sich am Kannibalismus usw. Auch Amerika muß noch geschichtsfähig werden; ihm könne aber immerhin - so Hegel - irgendwann nach der Vergreisung Europas die Zukunft gehören. Erst mit China und Indien beginnt Weltgeschichte, doch die beiden hier entwickelten Gesellschafts- und politischen Modelle verstehen es nicht, soziale Einheit in der Differenz der Individuen zu produzieren. Konstituiert sich China als zentralisiertes Großreich, in dem allein dem Gottkaiser Individualität zugebilligt wird und alle anderen von Selbstbestimmung ausgeschlossen sind, so herrscht in Indien ein hermetisches Kastenwesen, das die Selbstreflexion der Menschen verhindert; jeder wird auf seine Kastenzugehörigkeit reduziert, aus der keine staatliche Allgemeinheit erwächst. Als kristallisierte Relikte überdauern sie die Zeiten. Entwicklungsfähig sind für Hegel die Kulturen Mesopotamiens, Persiens, Ägyptens, des Judentums, und in der griechischen Polis findet zum erstenmal ein Vorlauf gleichsam moderner Versöhnung von Individualisierung und gesellschaftlicher Ordnung statt. Aber
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das schöne Zusammenwirken der Freien und Gleichen bleibt Schein. Dazu verläuft die Individualisierung noch in bedenklicher Nähe zur Natur und fällt etwa im Dionysos-Kultus ins Undifferenzierte, Bewußtlose zurück. 1 Markieren die Griechen die frühe Poesie der Selbstreflexion, so formuliert das Römische Reich eine frühe Prosa. Das Allgemeine nimmt die Figur eines rigiden, expansiven Zentralstaates an. Aber die notwendige Individualisierung, die Subjektwerdung erfolgt nur in verstümmelter Form des römischen Privatrechts. Erst durch Christianisierung (Dreieinigkeit als Versöhnung von Individualisierung mit Gott) und Expansion der germanischen Völker erreicht Weltgeschichte eine neue Qualität. Die dunklen Elemente mittelalterlicher Reflexions Verhinderung, z.B. ihr ungehobelter Konkretismus der Hostienverehrung und der Kreuzzüge als Versuch, Religiosität zu lokalisieren, werden schließlich in der Reformation Luthers und den Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts mit ihrem Gipfelpunkt in der Französischen Revolution überwunden. Geschichte gleicht einem Staffellauf. Hegels Weltgeschichte ist eine Stadienlehre der Selbstverwirklichung, Selbstmanifestation des „Geistes" und eröffnet einen Reigen von Stufen- und Stadienerfindungen im 19. Jahrhundert. Wobei die jeweiligen fortgeschrittensten Organisationsformen selbst noch einmal Stadien der Kindheit, Reife und Vergreisung durchlaufen. Am Ende jeder Stufe steht die Atomisierung der Gesellschaft, die politische Reflexion durch Gewohnheit ersetzt und politische Leere produziert. Dann ist die Zeit reif für neue authentische Kräfte, für neue Reflexionsversuche des „Geistes", die auf dem schon gewonnenen Wahrnehmungsniveau aufbauen müssen. Heroischen einzelnen fällt dabei die Aufgabe zu, als „Geschäftsführer des Weltgeistes" zu fungieren. 2 In ihren egoistischen, besonderen Bestrebungen sorgen sie gleichzeitig für Fortschritt in der Entwicklung von individueller Freiheit und allgemeiner Ordnung. Die großen einzelnen, die Führergestalten scheitern in der Regel; das Glück ist ihnen oft versagt. Und so wie die Heroen untergehen müssen, geht es auch Völkern und Gesellschaften. In der Geschichte gibt es strenggenommen kein Glück, sondern allenfalls die Chance, für kurze Zeit den Fortschritt zu befördern. Mit dieser Vorstellung bekommt gerade der Untergang, der Tod seinen Sinn. Er ist nicht mehr blindes Schicksal, nicht mehr individuelle Tragödie und absolutes Ende, erhält er doch seinen Stellenwert durch das Aufgehen der individuellen Subjekte im Allgemeinen. Für den richtigen Fortschritt zu sterben, das individuelle, besondere Leben hinzugeben für einen weiteren Schritt auf dem Weg der gesellschaftlichen Konstituierung der Möglichkeiten zur Selbstreflexion der Subjekte, ist fast eine Gnade. Wobei Hegel überkommene religiöse Vostellungen von Weiterleben und Wiedergeburt ablehnt. Tod ist Tod und bleibt Tod. Doch gerade in der Endlichkeit kommen die Individuen zu sich. Begreifen sie sich als Manifestation des „Geistes", verspricht der Tod Unendlichkeit. Hegel ist ein Geschichtsphilosoph der umfassenden Dynamisierung. Das prägt seine Wahrnehmungsweise insgesamt. Das Universum ist ihm zu statisch, Veränderungen sind dort kaum meßbar. Er kleidet das in ein Bild von der Schönheit vergänglicher Blumen, die genausoviel Erhabenheit produzierten wie die für ewig gehaltenen Berge, die im Erhabenheitsdiskurs des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts immer wieder als das Beispiel schlechthin
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Vgl. Charles Taylor, Hegel, Frankfurt/M. 1986. Hegel, Philosophie der Geschichte, 46.
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für die Faszination der Naturgewalt benutzt worden waren: „Zuvörderst muß hier das Vorurteil entfernt werden, als wenn die Dauer, gegen das Vergehen gehalten, etwas Vortrefflicheres wäre: die unvergänglichen Berge sind nicht vorzüglicher als die schnell entblätterte Rose in ihrem verduftenden Leben." 1 Ähnlich wie Herder vollendet sich auch für Hegel in der spezifischen Existenz die jeweiligen Wesensbestimmungen. Wenn diese Kerne Ausdruck finden, dann ist der Forderung nach Authentizität Genüge getan. Die Realisierung dieser jeweiligen Wesenskerne erfolgt im Rahmen eines Entwicklungsprozesses. Authentizität wird hier also nicht als starrer, überzeitlicher Zustand begriffen, sondern als Evolution. Die Bedrohung der Existenz, das Ausgeliefertsein eröffnet dem Individuum die Möglichkeit, seine Verbindung zum Allgemeinen, zum „Geist", zur Vernunft als seine eigene partielle Göttlichkeit zu begreifen und sich so in seiner Individualität mit dem Allgemeinen zu versöhnen (auch an diesem Gedanken werden viele Authentizitätprogramme des 19. und 20Jahrhunderts ansetzen). Aus der Knechtschaft befreit sich der Mensch nur durch die Knechtschaft, und das richtige Leben erfüllt sich im richtigen Tod. 2 Die Bestimmung des Allgemeinen kann allerdings eine prekäre Angelegenheit sein, stoßen doch durchaus unterschiedliche Bestimmungen des Ganzen, der Ordnung etc. aufeinander. Groß ist die Gefahr, daß sich partikulare Interessen als Allgemeines ausgeben und die Individuen eben nicht zu sich selbst als Manifestationen des „Geistes" kommen lassen. 3 Brisanz erhält die Entschleierung falscher Allgemeinheitsansprüche durch die Verbindung von Intersubjektivität und Tod. Gerade das subjektive Bewußtsein der Teilhabe am Allgemeinen soll - wie schon gezeigt - dem individuellen Ende seinen Schrecken nehmen. Wenn nun aber Willkür sich als dieses Allgemeine ausgibt, wird der Tod bedeutungslos. Es ist schon zu Beginn dieses Kapitels gezeigt worden, wie sich für Hegel in allen Ansprüchen der absoluten Freiheit solche Willkürlichkeiten verbergen. Eine gesellschaftliche und politische Ordnung, die sich nur an sich messen kann, die aufgrund abgebrochener Reflexion über das Verhältnis von Forderung nach Freiheit und allgemeiner Ordnung nur die eigene Partikularität setzen kann, entartet zur terroristischen Nominierung. Gegenüber der absoluten (gleichwohl immer nur partikular bestimmbaren) Freiheit kann es legitime Differenz nicht geben. Eine falsch bestimmte „einfache, unbiegsame, kalte „Allgemeinheit korrespondiert mit einem Selbstbewußtsein der „diskrete(n), absolute(n), harte(n) Sprödigkeit und eigensinnige(n) Punktualität". 4 Statt Versöhnung regiert Gewalt. Können solche Perversionen der schrecklichen, als Freiheit ausgegebenen Willkür verhindert werden, dann produziert gerade die Dynamik der Zeit Sinn. Ihr Endzweck ist
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Ebd., 273. Vgl. zu Metaphern des Erhabenen: Hartmut Böhme, „Das Steinerne. Anmerkungen zur Theorie des Erhabenen aus dem Blick des .Menschenfremdesten'", in: Christine Pries (Hrsg.), Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn, Weinheim 1989, 119-143. Hegel, Phänomenologie, 149ff. In der Philosophie der Geschichte, 481 wird der Zusammenhang von waffentechnologischen Entwicklungen und Fortschritten in der Verschmelzung des Partikularen im Allgemeinen betont. So bedurfte die Menschheit des Schießpulvers, um ins Allgemeine hineinschießen zu können. Hegel räumt diesem Problem der Usurpation des authentischen allgemeinen Willens breiten Raum ein, entwirft eine Semantik der wesensorientierten Kritik an bestimmten Formen nur angemaßter Intersubjektivität und wird damit zum Miterfinder des Genres der Ideologiekritik des 19. und 20. Jahrhunderts. Ders., Phänomenologie, 436.
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die vollständige Selbstreflexion des „Geistes", der Erwerb des beruhigenden Wissens von der Sphäre der InterSubjektivität, von der Allgemeinheit in aller Besonderheit. Diese Idee findet in Vorstellung einer „unsichtbaren Hand" ihre ökonomische Entsprechung, die Hegel aber durch korporative Strukturen politisch verallgemeinern will. Im späten politischen Denken Hegels steigt der moderne, neuzeitliche Staat in Form einer konstitutionellen Monarchie zum eigentlichen Ausdruck richtiger Aussöhnung des Individuellen mit dem Allgemeinen auf. Ideologisch entspricht der historischen Durchsetzung dieser Staatlichkeit das Wissen vom Wirken der Vernunft im scheinbaren Chaos der Geschichte, das erst in und durch sich einen Erkenntnisprozeß zum Allgemeinen möglich macht. Es ist Notwendig, in der Geschichte das Walten der Vernunft zu erkennen, und dieser Erkenntnisprozeß ist an die Manifestation des menschlichen Wesens gebunden. 1 Allerdings kommen die Vernunft und das Allgemeine nur durch die Tätigkeit des Menschen zu sich. Ohne Verkörperung kann der „Geist" nicht zum Ausdruck gelangen. Jetzt erhält die Rede von den Heroen der Geschichte, von den - schon zitierten - „Geschäftsführern des Weltgeistes", ihre eigentliche Bedeutung. Der Stufengang, der historische Fortschritt wird nur möglich, weil die Subjekte ihre Geschichte selbst machen wollen. Immer wieder geht Hegel auf das Wagnis der Seefahrt ein; der Kampf mit den Unwägbarkeiten der Naturgewalten, den die Menschen letztlich siegreich gestalten, ist eine starke Fortschrittsund Bemächtigungsmetapher. Im weltgeschichtlichen Endzweck steckt der große Trost der Unberührbarkeit. 1817 schreibt Hegel:"Die geistige Substanz, welche ihren Inhalt sowie ihre einzelne Wirklichkeit oder ihr Selbstbewußtsein von seiner Beschränktheit in der Furcht des Todes befreit, hat dasselbe zur Unendlichkeit erhoben und ist sich darin als allgemeiner Geist Gegenstand, welchen das Selbstbewußtsein als seine Substanz weiß, damit von der Furcht ebenso befreit und die ihrem Begriffe gemäße Wirklichkeit". 2
4.2.2 Marx' Kritik an Hegels Unterscheidung des Inauthentischen vom Authentischen Die Frage nach den falschen und richtigen Repräsentationen bestimmt nachhaltig die Debatten zwischen den Nachfolgern Hegels. Prominent ist eine Kritik an der Inauthentizität religiöser Abbilder (im weiteren Sinne der falschen Projektion menschlicher Vorstellungen), die nicht nur in der Dekonstruktion biblischer Texte besteht.3 Darüberhinaus entfaltet sich ein Denken, in welchem das Phänomen von „Entfremdung" und „unglücklichem Bewußtsein" nicht durch
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Ders., Philosophie der Geschichte, 20, 32. Ders., Heidelberger Enzyklopädie (1817), Werke, Bd. 4, Abschnitt 452 (Hervorhebungen im Original). Am Ende der Geschichte sterben nur noch die Individuen. Das 20.Jahrhundert wird auf diesem Fundament des Trostes und der Sicherheit, aus Logik des „Nur", seine Systeme bauen, und in deren Kostenrechnungen wiegt der millionenfache, systematisch herbeigeführte Tod so gut wie nichts. Darrel E. Christensen,", Authenticity' and .warranted belief' in Hegel's dialectic of religion", in: Ders. (Hrsg.), Hegel and the Philosophy of Religion, The Hague 1970, 217-261 (Hervorhebungen im Original); Stefan Smid, „Entfremdung und Ideologiekritik. Zum Verhältnis von Anthropologie und Staatsphilosophie bei L. Feuerbach und Fr. W. J. Schelling", in: ARSP, 71/1985, 58-83.
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den Bruch zwischen Gott und den Menschen oder die Notwendigkeit des Geistes, nur in der Besonderung zu sich als Allgemeinen kommen zu können, erklärt wird.1 Marx radikalisiert diese Kritik, und schon die Semantik seiner Auseinandersetzung mit Hegel zeigt deutlich den eigenen Anspruch der Realitätsnähe und des Durchgriffes auf das Wesen der Dinge an. Er will den „wirklichen Menschen" 2 ins Zentrum der Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen stellen. Die Betonung der Realitätsadäquatheit dieser Kritik nimmt breiten Raum ein. Bekannt sind seine Hinweise, Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt zu haben und die Aufforderung, die Philosophie müsse „materiell" werden und die „Waffen der Kritik" seien nun durch die „Kritik der Waffen" zu ersetzen.3 Bei dieser Formulierung greift Marx auf einen Gedanken zurück, den Hegel selbst am Ende seiner Philosophie der Geschichte als Fortschreiten der Menschheit zu authentischeren Artikulationsformen des „Geistes" beschreibt: „Die Menschheit hat das Gefühl der wirklichen Versöhnung des Geistes in ihm selbst und ein gutes Gewissen in ihrer Wirklichkeit, in der Weltlichkeit erlangt. Der Menschengeist hat sich auf seine Füße gestellt. In diesem erlangten Selbstgefühle des Menschen liegt nicht eine Empörung gegen das Göttliche, sondern es zeigt sich darin die bessere Subjektivität, welche das Göttliche in sich empfindet, die vom Echten durchzogen ist... ".4 Marx kritisiert nun dieses Authentizitätsprogramm als unvollständig und nicht radikal genug. Eingelassen ist diese Kritik an Hegels Konzeption der Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen im „reinen Denken" der Philosophie in eine neue Definition der Unterscheidung von Wesen/Erscheinung. Für Marx liefert die Bestimmung der Gattungseigenschaften des Menschen die Folie seiner Analyse entfremdeter und inauthentischer Verhältnisse: „Das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als eines bewußten Gattungswesens, d. h. eines Wesens, das sich zu der Gattung als einem eigenen Wesen oder zu sich als Gattungswesen verhält."5 Nun kann zwar festgestellt werden, daß auch das Tier sich produzierend verhält, aber als Tier folgt es dabei unmittelbaren Triebansprüchen. Demgegenüber sieht Marx den Menschen in Freiheit von diesen unmittelbaren physischen Bedürfnissen arbeitend. Der Mensch produziere erst „wahrhaft" 6 in der Freiheit von der Notwendigkeit, und er kann in seiner Produktion den individuellen Standpunkt transzendieren und bewußt für die Gattung tätig werden. Diese Idee einer Herstellung von Intersubjektivität über Arbeit ist uns schon beim Blick auf die Entfremdungstheorie Hegels begegnet. Marx baut diesen Argumentationszusammenhang weiter aus und
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Dazu: Hans-Jürgen Braun u. a. (Hrsg.), Ludwig Feuerbach und die Philosophie der Zukunft, Berlin 1990. Karl Marx, Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung (1843), in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (MEW), Bd. 1, Berlin 1957, 385. Vgl. dazu: Louis Dupre, „Hegel's concept of alienation and Marx's reinterpretation of it", in: Hegel-Studien, 7/1972, 217-237. Ders., Zur Kritik, 385; Brian Baxter, Alienation and Authenticity. Some Consequences for Organized Work, London und New York 1 9 8 2 , 1 0 8 f f versucht diesen angeblichen Dualismus auf die Begriffe der „closed-form authenticity" (Hegel) und „open-form authenticity" (Marx) zu bringen. Zur Kritik: Richard Enos, „Alienation and authenticity", in: Social Science Quarterly, 65/1984, Nr. 3, 919/920. Hegel, Philosophie der Geschichte, 488. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), MEW, Bd. 40, Berlin 1990, 516f (Hervorhebungen im Original). Ebd., 517.
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betont die Abbildfunktion der Arbeit: „Eben in der Bearbeitung der gegenständlichen Welt bewährt sich der Mensch daher erst wirklich als ein Gattungswesen. Diese Produktion ist sein werktätiges Gattungsleben. Durch sie erscheint die Natur als sein Werk und seine Wirklichkeit. Der Gegenstand der Arbeit ist daher die Vergegenständlichung des Gattungslebens des Menschen: indem er sich nicht nur wie im Bewußtsein intellektuell, sondern werktätig, wirklich verdoppelt und sich selbst daher in einer von ihm geschaffenen Welt anschaut." 1 In ihren Produkten sollen sie sich erkennen. Der von Marx erhobene Authentizitätsanspruch gegenüber Hegels Kategorien wird hier klar formuliert. Die Selbstanschauung des Menschen wird materiell, wirklich sinnlich erfahrbar und nicht nur Phänomen des Geistes. Arbeit gibt hier den Spiegel des menschlichen Wesenskems ab. An dieser Stelle wird auch klar, welchem Irrtum jene Kritiker begehen, die die Verdinglichung als solche für eine Pathologie des kapitalistischen Verwertugszusammenhang halten.2 Ohne Verdinglichung im Arbeitsobjekt fehlt die Anschauungsmöglichkeit der Individuen und damit die Folie ihrer Authentizität. Hegels Konzept, in den menschlichen Verrichtungen letztlich immer authentische Ausdrücke des „Geistes" sehen zu lernen, wird hier von allen transzendentalen Ansprüchen befreit. Umso problematischer ist die Verzerrung dieser Abbildung im Kapitalismus. Denn hier verkommt diese naturhaft notwendige Vergegenständlichung des menschlichen Wesens zur kalkulatorischen Größe, zum Objekt instrumenteller Rationalität, zum Mittel - und nicht zum Zweck an sich - der bloßen, unmittelbaren, physischen Existenz(erhaltung). Letzten Endes wird alles zu Ware und steht unter dem Diktat ökonomischer Logik von Fremdbestimmung und Ausbeutung. Im Arbeitsprodukt kann sich das Gattungswesen nicht mehr ausdrücken und nicht mehr beobachten. Der Mensch entfremdet sich schließlich von sich selber und von seinen Mitmenschen. 3 Die kapitalistische Gesellschaft produziert damit notwendig systematisch Inauthentizität und untergräbt so ihre Legitimationsbasis der vorgeblich freien Willensäußerung der Individuen in ihren rechtlichen und politischen Entscheidungen. Mit dieser Ontotogie soll nicht nur die Kritik an der Gesellschaft und ihren Verkehrsformen auf ein unerschütterliches „materielles" Fundament gestellt werden. Die Reklamierung der eigenen Einsichtsfähigkeit in das Wesen des Menschen immunisiert gegen Kritik. Darüberhinaus kann diese Ontologie mit dem Proletariat jene Klasse beschreiben, die die Rückkehr zum Wesen erkämpfen wird, weil sie in ihrer Entmenschlichung nichts mehr zu verlieren hat.4 Die wahre, weil wissenschaftliche Philosophie des Kommunismus verbindet
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Ebd. (Hervorhebungen im Original). Das wird schon von Georg Lukäcs, Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien Uber marxistische Dialektik (1922), Darmstadt und Neuwied 1975, 17 selbst betont. Vgl. dazu: Georg Lohmann, „Authentisches und verdinglichtes Leben. Neuere Literatur zu Georg Lukäcs' .Geschichte und Klassenbewußtsein'", in: Philosophische Rundschau. Eine Zeitschrift für philosophische Kritik, 30/1983,253-271. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 517. Aber auch hier ist Raum für eine gewisse Beliebigkeit in der Benennung der authentischen revolutionären Subjekte. Man denke hier nur an die „große Verweigerung", die Herbert Marcuse im Eindimensionalen Menschen propagiert und an die im Zuge der Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre entwickelten binnengesellschaftlich und/oder international ausgerichteten „Randgruppenstrategien". Vgl. zur Authentizität sog. „kleiner Netze" innerhalb neuer sozialer
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sich mit der materiellen Gewalt der Massen und steigt zur authentischen Philosophie auf. Doch diese Erkämpfung des Authentischen ist nicht frei von Ambivalenz, denn dieser geschichtsphilosophische Auftrag korrespondiert nicht ganz mit dem empirischen Befund, den etwa Engels bei seiner binnenethnographischen Untersuchung der englischen Arbeiterklasse gewinnt. Die Proletarier kämpfen nicht in den für sie vorgesehenen Formen. Unter ihnen herrscht Apathie, strukturelle Konkurrenz, materielle Verelendung und Demoralisierung.1 Friedrich Engels hat dieses Erschauern beim Gang durch die Wohnviertel der Armen eindrucksvoll beschrieben: „Das Geschlecht, das in diesen verfallenen Cottages, hinter den zerbrochenen und mit Ölleinwand verklebten Fenstern, den rissigen Türen und abfaulenden Pfosten oder gar in den finsteren nassen Kellern, zwischen diesem grenzenlosen Schmutz und Gestank in dieser wie absichtlich eingesperrten Atmosphäre lebt - das Geschlecht muß wirklich auf der niedrigsten Stufe der Menschheit stehen ... Fassen wir das Resultat unserer Wanderungen durch diese Gegenden zusammen, so müssen wir sagen ... , daß in den Arbeiterwohnungen von Manchester keine Reinlichkeit, keine Bequemlichkeit also auch keine Häuslichkeit möglich ist; daß in diesen Wohnungen nur eine entmenschte, degradierte, intellektuell und moralisch zur Bestialität herabgewürdigte, körperlich kränkliche Rasse sich behaglich und heimisch fühlen kann."2 Schnell werden zwar diese unliebsamen Erscheinungsformen proletarischen Lebens unter die Restkategorie „Lumpenproletariat" eingeordnet, aber ein solches Vorgehen kann die Differenz zwischen philosophischer Erwartungshaltung gegenüber dem Klassenhandeln und gesellschaftlicher Erfahrung ihrer Schwäche nicht überbrücken. Auch Engels weist öfter daraufhin, daß insbesondere die irischen Arbeitsimmigranten alles verkommen lassen3, sich „überall einnisten"4 und die englische Arbeiterklasse mit Trunksucht, Krankheit und moralischem Schwachsinn anstecken. Immer wieder sieht sich Engels gezwungen, den Niedergang der englischen Arbeiterklasse zu geißeln. Die wahren „angelsächsischen Physiognomien", merkt er bedauernd an, die wahren Arbeiter trifft er immer seltener.5 So kommt der Avantgarde des Proletariats, der kommunistischen Partei, die Aufgabe zu, den Rest der Klasse zu bilden und politikfähig zu machen: „Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus."6 Erst durch Erziehung steigt das Proletariat zum wirklichen Proletariat auf. Wobei dieser Lernprozeß gerade in seinen Kämpfen, seiner Bewegung stattfinden soll; im Kampf - so die Übertragung Hegelscher Kategorien auf die Emanzipation
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Bewegungen: David West, Authenticity and Empowerment. A Theory of Liberation, N e w York und London 1990. Und darüber kann sich ernsthaft nur derjenige wundem, für den die Zurichtung der Menschen in der Industrialisierung vor allem ein Problem der systematischen Philosophie ist. Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England {1845), MEW, Bd. 2, Berlin 1976,292, 295. Ebd., 321: „ ... überall, w o ein Bezirk sich durch besonderen Schmutz und Verfall auszeichnet, kann man darauf rechnen, vorzugsweise keltische Gesichter anzutreffen ... ." Ebd. Ebd. Manifest der Kommunistischen Partei, MEW, Bd. 4, Berlin 1976, 474.
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des Proletariats - kommt dieses erst ganz zu sich. Die Arbeiterklasse kommt im Klassenkampf ganz zu sich selbst. Sie wird authentisch im Blutbad, im Reinigungsbad der Revolution. 1
4.2.3 Exkurs: Der authentische Blick der Massen auf sich Eine Semantik der besseren Wahrnehmung, der entwickelten Sinne und der wahren Beobachtung bestimmt nicht nur Engels Beschreibung der historischen Stellung des Proletariats. Der Prozeß der umfassenden Individualisierung ändert auch die gesellschaftlichen Konstruktionen der Bedeutungszuschreibung von Sinneseindrücken. Hören und Sehen - um nur diese beiden Empfindungsarten zu nennen - werden gegen Ende des 18. Jahrhunderts subjektiviert. Mit dieser Individualisierung der Wirklichkeitswahrnehmung verbindet sich schließlich die ästhetische und naturwissenschaftliche Produktion herausgehobener, authentischer Rezeptionsweisen, die die unübersichtliche Vielfältigkeit der Wirklichkeitssichten hierarchisieren und das Authentische vom Inauthentischen scheiden. 2 Engels Lageanalyse der arbeitenden Klasse Englands zentriert sich um ein Vokabular des Sehens, Hörens, Riechens, Fühlens und Schmeckens. Vom Gestank der Fabriken und Arbeitersiedlungen, dem fortwährenden enervierenden Krach der Produktion und des Alltags in der Metropole, der zerlumpten, kratzigen Kleidung des Proletariats und seiner üblen, verkommenen, verschimmelten, verdorbenen Nahrung berichtet er; und vom Sinnverlust, nicht so sehr des Proletariats, sondern der Bourgeoisie, die um die Fabriken und Siedlungen hohe Mauern zieht, um nicht sehen zu müssen, sich parfümiert, um nicht ohnmächtig zu werden; die aufs Land zieht, um Ruhe zu finden, zwischen sich und den Elenden zahlreiche Trennwände des Wohnorts, der Ausbildung, der Sprache zieht, um nicht wahrnehmen zu müssen. Immer wieder bricht bei Engels die Sprachlosigkeit angesichts der „wahnsinnigen Blindheit" der Bourgeoisie durch. 3 Wer wegschaut, wer verhüllt, der manifestiert sein schlechtes Gewissen. Und dieser Unterschied zwischen Bourgeoisie und Proletariat im Aushaltenkönnen der Realität setzt eine moralische Differenz und beweist die Zukunftsfähigkeit der Arbeiter, deren schwächerer Teil zwar auch Vernebelung der Sinne durch Trunksucht und sexueller Zügellosigkeit sucht, aber etwa vom Bund der Kommunisten dazu erzogen werden kann, die Augen zu öffnen. Mit diesem Blick auf die eigene Verelendung gewinnen sie Macht über sich selber zurück; mit ihren Sinnen, in ihren Sinneserfahrungen der Depravation gewinnen sie das Echte, Unmittelbare, Unverfälschte. Aber die authentische Kraft des Sehens liegt nicht nur im Gegenstand des Blicks. Sie geht über die respektvolle Konstatierung des Aushaltenkönnens, über ein Lob der Tugend des Sehenwollens hinaus. Am Blick selbst macht sich Echtheit der Wahrnehmung, der Gefühle, des Leidens fest. Deshalb nehmen auch Beobachtungen des Sehens und Erkennens
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Engels, Lage der arbeitenden Klasse, 505. Vgl. Jonathan Crary, Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert, Dresden und Basel 1996 arbeitet am Beispiel des gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Bedeutungsverlustes der „camera obscura" als objektivem Wahrnehmungsparadigma und der Erfindung neuer optischer Apparate, in denen die Subjektivierung des Sehens technische Form annimmt, diese soziale Konstruktion der Wahrnehmungen heraus. Engels, Lage der arbeitenden Klasse, 359.
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und Beschreibungen des Augenblicks der Wirklichkeitskonfrontation, des Ausdrucks von Emotionen, Schmerzen oder Glück großen Raum in Texten und Bildern moderner Authentizitätsproduktionen ein. 1 Die Untersuchung des Blicks wird zum Thema. Deshalb kann Engels auch immer wieder die schamhafte/schamlose Blindheit der Bourgeoisie geißeln, obwohl seine Quellen zu einem beträchtlichen Teil aus Berichten jener Kommissionen bestehen, die das englische Parlament mit der Untersuchung der Lebenssituation der englischen Arbeiterklasse beauftragt hatte. Der Selbstbeobachtung widmet sich die industrialisierte bürgerliche Gesellschaft ausgiebig, aber - in den Augen Engels - mit dem falschen Blick der Betroffenheit. Die Reports of the Factory Commission simulieren ihr Entsetzen, sind „fakes", was die Echtheit der Wahrnehmungs- und Ausdrucksform angeht. Die Unübersichtlichkeit der Gesellschaft löst sich in dichotomische Sinnbilder auf. Die Dynamik des Kapitalismus läßt zwischen Bourgeoisie und Proletariat keine Lücke; kleinbürgerliche Schichten, Beamte, Lehrer, Ärzte, aber auch Künstler, Schriftsteller und Schauspieler werden Teil der Arbeiterklasse; das wahre Proletariat verallgemeinert sich. 2 Mit dieser Verallgemeinerung entsteht die Sicherheit der großen Zahl, der Mehrheit, der unwiderstehlichen Hut. Walter Benjamin hat in seinem Essay über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit versucht, den authentischen ästhetischen Ausdruck der Massen auf den Begriff zu bringen. In Übernahme zentraler Teile der „Kritischen Theorie", nach der das bürgerliche Individuum im kapitalistischen Entwicklungsprozeß zur vernachlässigbaren Größe geworden ist und die neue Formation im Zeichen umfassender Kollektivierung steht, stößt Benjamin auf den sich durch die modernen Reproduktionstechniken vollziehenden Verlust der Einmaligkeit des Kunstwerks, auf den Verlust seiner Aura. Mit der quasi beliebigen Vervielfältigbarkeit des Kunstwerks verändern sich insbesondere die Rezeptionsbedingungen und -möglichkeiten. Während es früher den individuellen Betrachter aus seinem Alltag herauslöste und zur Kontemplation einlud, macht die Reproduzierbarkeit die Wahrnehmung von Kunst alltäglich. Die eigentliche moderne Kunst ist folgerichtig der Film, der eine solche individuell gesteuerte Betrachtung gar nicht mehr zuläßt und auf massenhafte Rezeption angelegt ist. Dabei rangiert die Zerstreuung des Publikums vor der individuellen Konzentration und Sammlung: „Die Masse ist eine Matrix, aus der gegenwärtig alles gewohnte Verhalten Kunstwerken gegenüber neugeboren hervorgeht. Die Quantität ist in Qualität umgeschlagen: Die sehr viel größeren Massen der Anteilnehmenden haben eine veränderte Art des Anteils hervorgebracht."3 Durch den Film wird jetzt auch die Versöhnung von Produzenten und Rezipienten möglich, weil der Film das einzige Medium ist, das eine adäquate Darstellung von Massen zuläßt. Mit Blick auf die Darstellung der Massen in der zeitgenössischen faschistischen Propaganda stellt Benjamin fest: „In den großen Festaufzügen, den Monstreversammlungen, in den Massenveranstaltungen sportlicher Art und im Krieg, die heute sämtlich der Aufnahme-
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Beispielhaft und symptomatisch für die Bedeutung der Authentizität des Blicks ist die Beschreibung der „chinesichen Folter" in Georges Batailles, Die Tränen des Eros, München 1981, 151. Siehe etwa: A. Max, „Zur Frage der Organisation des Proletariats der Intelligenz", in: Die Neue Zeit - Revue des geistigen und öffentlichen Lebens, 13/1895, 466ff. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Zweite Fassung (1936/1939), Gesammelte Schriften/Werkausgabe, Bd. 2, Frankfurt/M. 1980, 503 (Hervorhebungen im Original).
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apparatur zugeführt werden, sieht die Masse sich selbst ins Gesicht. Dieser Vorgang,..., hängt aufs engste mit der Entwicklung der Reproduktions- bzw. Aufnahmetechnik zusammen. Massenbewegungen stellen sich im allgemeinen der Apparatur deutlicher dar als dem Blick. Kaders (sie) von Hunderttausenden lassen sich von der Vogelperspektive aus am besten erfassen." 1 Einen Unterschied im authentischen Ausdruck zwischen der faschistischen und der kommunistischen Masse sieht Benjamin allenfalls in der Thematik der Reproduktion durch Arbeit, die im sowjetischen Film großen Raum einnähme und im „kapitalistisch ausgebeuteten" Film nicht vorkomme.2 Ansonsten gilt seine Feststellung, daß der Faschismus versuche, die Massen zu organisieren, ohne die ökonomischen Verhältnisse zu verändern: „Er (der Faschismus, TN) sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen." 3 Das bedeutet aber, daß in dieser Ästhetisierung der Politik ein authentisches Abbild der Massen entsteht. Zwar versucht Benjamin, die hier zu Tage tretende Brisanz durch den Hinweis zu entschärfen, der Faschismus ersetze durch eine solche Politik des Ausdrucks reale Veränderungen zugunsten der proletarisierten Massen. Aber diese Absetzbewegung Benjamins überzeugt nicht, denn die von ihm konstatierte Entsprechung einer politischen „Vergewaltigung der Massen", welche „im Kult eines Führers" 4 zu Boden gezwungen würden, mit der „Vergewaltigung einer Apparatur, die er der Herstellung von Kultwerten dienstbar macht"5, widerspricht seiner eigenen Beschreibung der originären Möglichkeiten des Films. Daß sich Massen besonders zur filmischen Darstellung eignen, liegt an den Perspektiven, die sich nur mit der neuen Technik einnehmen lassen. Die faschistische Präsentation reizt die Möglichkeiten dieser Perspektivenübernahme aus, zwingt aber dem Medium nichts ab. Benjamin kann die herrschaftslegitimierende Funktion dieser auf dem ästhetischen und technischen Stand der neuen Kunstform stattfindenden Darstellung kritisieren, aber das ändert nichts an der authentischen Spiegelung der Massen, die sich in der faschistischen Ästhetik - wie Benjamin selber schreibt - „ins Gesicht sieht". Schließlich bringt er selber die Forderung vor, wonach angesichts des Films als eigentlicher Kunstform der industriellen Gesellschaft jeder das Recht auf „Reproduziertwerden" habe. 6
4.2.4 Das authentische Individuum als Gattungswesen Die Entfremdung des Menschen im kapitalistischen Produktions- und Distributionsprozeß führt zu einer Fragmentierung der Individualität, die sich in ihrer Allgemeinheit, ihrer Sozialität nicht mehr erkennen kann. Erst im Kommunismus soll über eine Veränderung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse eine neue Totalität und Ganzheit durch die Versöhnung von Erscheinung des Menschen und seinem Gattungswesen entstehen. Marx bringt das auf die Formel, wonach der „ ... Kommunismus ... vollendeter Naturalis-
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mus=Humanismus, als vollendeter Humanismus=Naturalismus (ist), er ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreits zwischen den Menschen, die wahre Auflösung des Streits zwischen Existenz und Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Indivduum und Gattung. Er ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung." 1 Gerade der letzte Satz zeigt, wie stark Marx als Erbe und Fortsetzer der Hegeischen Philosophie auftritt. Das Selbstwissen des gelösten Welträtsels ist der zu sich gekommene Geist, der jetzt allerdings radikal anthropozentrisch interpretiert wird. Aus der Denkbewegung wird politische Aktion. Es entsteht dabei eine Neuschöpfung der Gattung aus sich selber heraus. Der neue Mensch tritt mit neuen Sinnen, neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten in die neue Welt. Der Mensch wird zum wahren Menschen, weil er jetzt sein individuelles Vermögen in das gesellschaftliche Ensemble einbringt und damit verallgemeinert: „ ... erst durch den gegenständlich entfalteten Reichtum des menschlichen Wesens wird der Reichtum der subjektiven menschlichen Sinnlichkeit, wird ein musikalisches Ohr, ein Auge für die Schönheit der Form, kurz, werden erst menschlicher Genüsse fähige Sinne, Sinne, welche als menschliche Wesenskräfte sich bestätigen, teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt." 2 Wieder stößt man auf die Utopie einer endgültigen Versöhnung unverwechselbarer Individualität mit dem sozialen Ganzen. Daß sich Selbstbestimmung auch gegen diese Sozialität aussprechen könnte, gilt hier nur als pathologische Ausnahme, die der Therapie bedarf. An die Stelle des Klassenstaates tritt eine „freie Assoziation" der Individuen, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." 3 Das Individuum soll seine Anlagen und Neigungen entwickeln und in seiner Vielfältigkeit doch ohne Probleme gesellschaftlich akzeptiert werden. Neben dieser Idylle der geglückten Versöhnung der Menschen mit sich und den anderen finden sich auch Hinweise auf die Rigidität der kommunistischen Ordnung. So fordert Engels in seinen Grundsätzen der Kommunisten u. a. die „Konfiskation der Güter aller Emigranten" aus diesem Zukunftsstaat. Es herrscht Arbeitszwang für alle Mitglieder der Gesellschaft. 4 „Industrielle Armeen" werden gebildet. Die Erziehung sämtlicher Kinder findet von dem Augenblick an, wo sie der ersten mütterlichen Pflege entbehren können, in Nationalanstalten und auf Nationalkosten statt. Das Proletariat wohnt in „großen Palästen" auf den riesigen industriellen Produktionskomplexen. Deutlich entsteht hier das Bild einer uniformen Gesellschaft, die die Gleichheit zur Voraussetzung der individuellen Freiheit macht. Die Selbstbestimmung der einzelnen wird eisern eingeklammert. Dieses hermetische Ordnungs-
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Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 536 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 541 (Hervorhebungen im Original). Manifest der Kommunistischen Partei, 482. An diesem Punkt setzen jene Interpreten an, die in der Behandlung des Arbeits- und Entfremdungsbegriffes einen Bruch im Werk des „jungen" und „alten" Marx sehen. Dieser Lesart wird hier nicht gefolgt, denn das Problem der Entfremdung fundiert das Marxsche Werk bis in die Kapital-Analyse. Erinnert sei nur an das Kapital über den „Warenfetisch" im ersten Band des Kapitals. Zwar spricht Marx in den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie (MEW, 42, 607) davon, daß in der vollendeten kommunistischen Gesellschaft Arbeitszeit eingespart und damit die freie Zeit für die Entwicklung des Individuums vermehrt werde, aber diese Entfaltung der Indivdiualität wirkt „als die größte Produktivkraft (zurück) auf die Produktivkraft der Arbeit". Immer noch fungiert Arbeit als Spiegel der menschlichen Natur. Vgl. dazu: Vera Wrona, „Zum Begriff der Selbstverwirklichung", in: DZPh, 34/1986, 784-794.
Der hegelianisch-marxisitsche Diskurs
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muster entspricht durchaus den objektivistischen Aspekten eines „wissenschaftlichen Sozialismus", der letztlich politische Ordnungsfragen zu Wahrheitsfragen erklärt und dogmatisch Schemata der notwendigen gesellschaftlichen Entwicklung entwirft. Aus den „Klassenkämpfen als Lokomotiven der Geschichte" werden schließlich ökonomische Gesetzmäßigkeiten im dialektischen Fortschreiten des Verhältnisses von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen.
4.2.5 Kosiks Synthese von Marxismus und Hermeneutik der Existenz Diese bei Marx angelegte Erstarrung ist im hegelianisch-marxistischen Diskurs auch immer wieder kritisiert worden. Karel Kosik beispielsweise versucht, die Authentizitätsansprüche des modernen Individuums in die Marxsche Theorie einzubauen. In vorsichtiger Nähe zur Phänomenologie Heideggers betont Kosik die Bedeutung der Wahrnehmungen und lebensweltlichen Handlungslogik der Individuen bei der radikalen Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft. Zwar diagnostiziert er mit Marx eine Vorherrschaft fetischisierter Bewußtseinszustände, in denen das „Pseudokonkrete" für die eigentliche Wirklichkeit gehalten wird, macht aber gleichzeitig deutlich, daß eine Überwindung dieser falschen Konkretheit immer zuerst die Angelegenheit jedes Individuums ist und durch abstraktes Klassenhandeln - angeführt durch die Avantgarde der Partei - nicht ersetzt werden kann: „Modem philosophy discovered the great truth that man is not born into conditions ,proper' but is always ,thrown' into a world. He has to check/or himself its authenticity or inauthenticity: in struggle, practical life', in the process of his own life history, in the course of appropriating and changing, of producing and reproducing reality.... In this sense, man's evolution progresses as a practical process of separating the human and the non-human, the authentic and the inauthentic." 1 Mit dieser handlungstheoretischen Übersetzung der Marxschen Analyse öffnet Kosik diese Kritik an den Legitimationsgrundlagen kapitalistischer Herrschaft für die realen Wünsche, Intentionen und Handlungen des Individuums. Hermeneutisch können dann diese individuellen Sinnstiftungen auf ihre systemtranszendierenden Elemente untersucht werden. Einerseits wird Authentizität dabei konsequent als individuelle Zuschreibung verstanden. Andererseits bettet sich dieses individuelle Streben nach Authentizität in einen gesellschaftlichen Fortschrittsprozeß ein, der letztendlich diese individuelle Authentizität erst möglich macht, und in dieser Realisierung der Authentizitätsansprüche der einzelnen humanisiert sich das gesellschaftliche Ganze. Dabei steht dann wieder der klassische Hegeische Gedanke der notwendigen Vergegenständlichung der menschlichen Authentizität im Mittelpunkt. Kosik greift den existentialistischen Gedanken auf, daß im Bewußtsein der eigenen Endlichkeit die Authentizität des Menschen fundiert sei. Dieses Bewußtsein hat sich aber nur entwickeln können, weil der Mensch über seine Vergegenständlichung im Arbeitsprodukt Dinge schafft, die ihn überdauern. Kosik verbleibt damit auch in seiner existentialistischen Erweiterung des Arbeitsbegriffes innerhalb des Begriffs einer spezifischen Wesensprägung des Menschen. Die Beständigkeit der Arbeitsprodukte konfrontieren die Individuen mit der Authentizität seines ihm eigen bleibenden, gesell-
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Karel Kosik, Dialectics of the Concrete. A Study of Man and World (im Original: Dialektika Konkretniho, Prag 1961), Dordrecht und Boston 1976, 47 (Hervorhebungen im Original).
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Das wahre/Wahre Wollen.
schaftlich nicht zu verallgemeinernden Todes.1 Am Ende entkommt auch Kosik nicht dem Problem, daß jede Operationalisierung des Begriffs der Authentizität eine Unterscheidung zwischen Authentisch/Inauthentisch konstruieren muß. Die Einheit dieser Unterscheidung besteht in bestimmten ontologischen Annahmen über das Wesen der Dinge. Damit diese Einheit beobachtet werden kann, sind weitere Unterscheidungen notwendig. Kosik glaubt, mit der hegel-marxistischen Dialektik ein Instrument zur Hand zu haben, diese Einheit herstellen zu können. 2 Allerdings bleiben dann seine Kategorien leer und gehen über die Feststellung, daß die Praxis des Menschen die Einheit der Unterscheidung von Authentizität/ Inauthentizität abgebe, nicht hinaus. In dem Bemühen, seine marxistische Analyse phänomenologisch zu begründen und in der an Husserl angelegten Rekonstruktion von Intentionen der Individuen zu den Dingen „an sich" zu gelangen, synthetisiert Kosik existentialistische Hermeneutik und marxistische Arbeitswertlehre. 3 Dabei wagt er aber den Sprung aus dem hegel-marxistischen Begriffsrahmen nicht radikal, so daß seine Konzeption des authentischen Lebens deutlich an der Figur des in der Arbeit zu sich kommenden Gattungswesens ausgerichtet bleibt. Diese Orientierung auf die reale Lebenspraxis der Individuen ist eine Erweiterung der eingeschliffenen objektivistischen Setzungen des zur Staatsideologie geronnenen Marxismus, aber löst die Problematik der Handhabung der Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen nicht. Bezeichnend bleibt, daß Kosik mit seiner phänomenologischen Dialektik die Versöhnung von Wesen und Erscheinung letztlich wieder als Wissensproblem konstruiert. Damit schließt er an Hegel an, und der hegelianisch-marxistische Diskurs hat einen Zirkel geschlagen; er ist zum „Kopfstand" zurückgekehrt. An dieser Stelle setzt Habermas an. Es gehört zu seinem Programm der Rettung der Kritischen Theorien vor den Aporien einer Kritik an der totalitären Vernunft auf dem Boden der Vernunft und der Kapitulation vor der umfassenden Inauthentizität bei Beibehaltung der Unterscheidung des Authentischen/Inauthentischen, daß eine neue Grundlage für die Kritik gesucht wird und dabei mit der Arbeitsaxiomatik gebrochen wird.4 Habermas glaubt, durch eine Differenzierung der modernen Gesellschaftsdynamik in systemische, potentiell sozialpathologische, das Individuum in seiner Identität bedrohende Faktoren und solche der lebensweltlichen Sinnstiftung, ein Fundament gefunden zu haben, um auf dem Boden
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Ebd., 123. Ebd., 60: „Dialectical reason is the universal and necessary process of cognition and of forming reality. It leaves nothing outside itself, and therefore becomes the reason both of science and thinking, and of human freedom and reality". (Hervorhebungen im Original). Ebd., 15f: „Dialectics is after the .thing' itself. But the ,thing itself' is no ordinary thing; actually it is not a thing at all. The .thing itself' that philosophy deals with is man and his place in the universe or, in different words: it is the totality of the world uncovered in history by man, and man, and man existing in the totality of the world" (Hervorhebungen im Original). Vgl. dazu: Mildred Bakan, „Karel Kosik's phenomenological heritage", in: WilliamL. McBride/Calvin O. Schräg (Hrsg.), Phenomenology in a Pluralistic Context, Albany 1983, 82ff. Wegen dieser Nähe zur marxistischen Analyse wird Kosik an dieser Stelle abgehandelt. Leider kann dem Leser damit ein begrifflich problematischer Vorgriff auf das folgende Kapitel nicht erspart werden. Vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2, Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, 3. Auflage Frankfurt/M. 1985, 548ff (Kapitel VIII. 3 Aufgaben einer kritischen Gesellschaftstheorie).
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Der hegelianisch-marxisitsche Diskurs
der Moderne ihre systemischen Versehrungen kritisieren und ihre emanzipatorischen Elemente bewahren zu können. Mit dem Bild einer „Kolonialisierung der Lebenswelt" durch die „funktionalistische Vernunft" entwirft er einen Maßstab für die Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen, der auf die in den alltäglichen Sprechhandlungen angelegten intersubjektiven Vernunftpotentiale zurückgeht. Das Kriterium des rationalen Diskurses wird in diesem Denken nicht von außen an die kontrafaktische Realität der machtverzerrten Kommunikation herangeführt, sondern entspringt den Sprechakten selber. Es gehört zum Wesen der Verständigungsorientierung. Die Versehrungen, die die Individuen im Prozeß der systemischen Vergesellschaftung erleiden, manifestieren sich dann in ihren gestörten Kommunikationen. Das falsch, unwahr, unwahrhaftig, machtorientiert kommunizierende Subjekt manifestiert so seine personale Authentizität nur als pathologischer Fall, d. h. es manifestiert seine Unwesenheit, seine Inauthentizität. Habermas spürt auf diesem Weg den Vernunftpotentialen in der Moderne nach und kommt zu dem Ergebnis, daß von einer einheitlichen Vernunft nicht mehr gesprochen werden kann, weil in ihr sich die Sphären der Wirklichkeitsvergewisserung, der Moral und der Ästhetik auseinanderentwickeln: „Indem die Weltbilder zerfallen und die überlieferten Probleme unter den spezifischen Gesichtspunkten der Wahrheit, der normativen Richtigkeit, der Authentizität oder Schönheit aufgespalten, jeweils als Erkenntnis-, als Gerechtigkeits-, als Geschmacksfragen behandelt werden können, kommt es in der Neuzeit zu einer Ausdifferenzierung der Wertsphären Wissenschaft, Moral und Kunst." 1 Der Authentizität ist hier eine eigene Sphäre reserviert; sie gilt als ästhetische Kategorie, wobei es gerade zur Moderne gehört, daß sich die Individuen als authentisch beschreiben und zu „Selbstgesetzgebern" (Rousseau, Nietzsche) werden. Für Habermas ist diese Idee zum Gegenstand der Ästhetik geworden. In der Kunst kommt die Unverwechselbarkeit und Idiosynkrasie der einzelnen zum Ausdruck. Es ist der begabte Künstler, der „jenen Erfahrungen authentischen Ausdruck zu verleihen (vermag), die er im konzentrierten Umgang mit einer dezentrierten, von den Zwängen des Erkennens und Handelns losgesprochenen Subjektivität macht." 2 Das Authentische korrespondiert mit der Freiheit von Interaktionen. Hier entsteht eine Vorstellung von Authentizität, die über ihre Bindung an lebensweltliche Kontexte, in denen ja auch erkannt und gehandelt werden muß, hinausgeht und vor jeder Sozialität angesiedelt ist. Das authentische Subjekt widerspricht nicht nur den systemischen Zwängen, sondern Zwängen überhaupt und verliert so die Kompetenz der politischen Kategorie. Auf die Frage, ob eine Subjektivität jenseits der Interaktion überhaupt vorstellbar ist, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Es kann allerdings festgehalten werden, daß die Dezentrierung des Subjekts auch auf der triebhydraulischen und/oder spielerischen Ebene immer noch gesellschaftlich geprägt bleibt. Habermas scheint sich hier naturalistisch verfangen zu haben und von der Möglichkeit der Erfahrung einer substantiellen Subjektivität schlechthin auszugehen. Doch bleibt er bei dieser Definition nicht stehen. Im Zusammenhang mit einer Kritik an den Manipulationsformen und -inhalten der entwickelten Medienlandschaften findet sich die Feststellung, daß insbesondere die elektronischen Medien ein hermetisches System der
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Ders., „Die Moderne - ein unvollendetes Projekt" (1980), in: Kleine Frankfurt/M. 1 9 8 1 , 4 5 2 . Ebd., Theorie des kommunikativen Handelns, 456.
Politische
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Inauthentizität erichten, in dem sie die authentischen kulturellen Gehalte streotypisieren und den Individuen ein „System sozialer Kontrolle überstülpen, das die geschwächten internen Verhaltenskontrollen teils verstärkt, teils ersetzt."1 Jetzt gibt es eine deutliche Verbindung zwischen systemischer Verzerrung lebensweltlicher Verständigung und dem Verlust des Authentischen. Und so ist auch wohl der Hinweis auf die von Handlungszwängen entlastete Subjektivität als Kritik an ihrer Deformation im System der entfalteten modernen ZweckMittel-Rationalität zu verstehen. Damit verfügt Habermas weiter über einen theoretischen Hintergrund, vor dem die Unterscheidung authentischer von inauthentischer Individualität ausdifferenziert und gesellschaftskritisch gewendet werden kann. Auch eine positive Füllung ist durch den Bezug auf die lebensweltliche verständigungsorientierte Vernunft möglich. Gleichwohl besteht ein Problem weiter, denn die Expression der authentischen Subjektivität ist von Habermas zur Aufgabe der Kunst erklärt worden. Gegen eine Ästhetisierung der Lebenswelt mit dem Ziel, diese Authentizität politisch werden zu lassen und aus ihrer Manifestation konkrete Ordnungsvorstellungen abzuleiten, wehrt er sich vehement, da die ausdifferenzierte Vernunft nicht in der Ästhetisierung zusammengeführt werden kann. Vernunftgewinn korrespondiert hier scheinbar mit Authentizitätsverlust. 2 Die Differenzierung der Weltbilder soll gewahrt bleiben; die auseinandergetretene Vernunft ist von keiner ihrer Aspekte aus wieder vereinheitlichbar. Mit dieser Absage sprengt Habermas nun nicht nur alle fundamentalistischen Programme der Vereinheitlichung von Wissenschaft, Moral und Ästhetik (vom „wissenschaftlichen Sozialismus" über die Ästhetisierung des Alltags bis zu Esoterik und Lebensreformbewegungen), sondern er reduziert die Hoffnungen auf eine authentische Lebensführung als Ziel des politischen Handelns. Doch auch an dieser Stelle verharrt Habermas nicht und versucht, einen Weg zur Rettung der Authentizitätsansprüche aufzuzeigen. Zwar können einseitige Verabsolutierungen der jeweiligen Diskurse die Differenzierung der Vernunft nur in einem falschen Sinne aufheben. Aber das alltagspraktische Handeln fügt diese Teile ohnehin wieder zusammen. In der Lebenswelt nicht kolonialisierter Subjektivität wird die Differenzierung der Vernunft quasi naturwüchsig aufgehoben. Damit bleiben auch die Ansprüche der authentischen Subjektivität bestehen. Es bleibt aber auch die Schwierigkeit bestehen, aus den differenzierten Diskursen lebensweltlichen Sinn zu schlagen. Wie ist es möglich, daß die vom „begabten Künstler" ausgedrückte authentische Subjektivität lebensweltlich fruchtbar wird? Habermas setzt auf die richtige Aneignung der Expertenkultur vor dem Horizont der alltagspraktischen Orientierung: „Die postavantgardistische Kunst schließlich ist charakterisiert durch die Gleichzeitigkeit von realistischen und engagierten Richtungen mit authentischen Fortsetzungen jener klassischen Moderne, die den Eigensinn des Ästhetischen herauspräpariert hatten; mit realistischer und engagierter Kunst kommen auf dem Niveau des Formenreichtums, den die Avantgarde freigesetzt hat, wiederum Momente des Kognitiven und des Moralisch - Praktischen in der Kunst selbst zum Zuge. Es scheint so, als ob in solchen Gegenbewegungen die radikal ausdifferenzierten Vernunftmomente auf eine Einheit verweisen wollten, die freilich nicht auf der Ebene von Weltbildern, sondern nur diesseits der Expertenkulturen, in einer nichtverdinglichten kommunikativen Alltagspraxis, wieder zu gewinnen ist."3 An
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Ebd., 572. Ders., „Die Moderne", 458. Ders., Theorie des kommunikativen
Handelns. Bd. 2, 586.
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anderer Stelle verweist er auf die Rezeptionshaltung der antifaschistischen Gruppe in Peter Weiss' Trilogie Die Ästhetik des Widerstands gegenüber Gericaults Floß der Medusa. Die Erfahrung der Schiffbrüchigkeit, des Verfallens und Vergehens, der Hoffnungslosigkeit und der Rettung wird in der Existenz der Emigranten aktualisiert. Eine solche alltagspraktisch informierte Rezeption scheint für ihn das Modell der Rückführung des Authentischen in die Alltagspraxis zu sein. Die richtige Aneignung der Expertenkulturen ist nur als „nichtverdinglichte", authentische Kommunikation möglich. Über die in diesem Kontext auftretende Paradoxie sagt Habermas nichts, denn die aus der Alltagspraxis erwachsenen Rezeptionshaltungen setzen voraus, was erst in ihnen gewonnen werden sollte: Authentizität. Für das Legitimationsproblem ergibt sich daraus, daß entweder die authentische Subjektivität lebensweltlich immer gegeben ist, dann fällt sie aber als Begriff einer besseren Vergesellschaftung aus, da das Gegebene offensichtlich weitgehend verdinglicht und kolonialisiert ist. Authentizität wäre dann kein Versprechen der Sicherung unverwechselbarer Individualität mehr. Oder aber das Authentische bleibt als kritische Kategorie unversehrter Individualität in der Form der ästhetischen Expertenkultur erhalten und seiner alltagspraktischen Rekonstruktion harrend, das setzt aber schon Authentizität voraus. Aus diesen Zirkeln gibt es kein Entrinnen. Die offenen Fragen nach den Möglichkeiten der Verallgemeinerung des authentischen Wollens der Individuen werden im existentialistischen Diskurs aufgegriffen und skeptisch beantwortet (Kapitel 4.3.), während im kommunitaristischen Diskurs diese Spannung zugunsten der authentischen Gemeinschaft aufgelöst wird (Kapitel 4.4.). Von rousseauistischen Verschmelzungsentwürfen oder einem nietzscheanischen Triumphalismus des bestialischen Selbst sind alle drei post-rousseauistischen Diskurse deutlich zu unterscheiden.
4.3 Der existentialistische Diskurs Mit der Bindung politischer Legitimation an die Zustimmung der einzelnen Gesellschaftsmitglieder setzt in der Moderne eine Reflexion der Bedingungen der Möglichkeit dieser Zustimmung ein. In den vorangegangenen Abschnitten ist gezeigt worden, welche Formen und Inhalte dieser Reflexionsprozeß annimmt. Dabei ist von Rousseau die grundsätzliche Schwierigkeit jeder modernen Legitimationsbegründung beschrieben worden, in der die Individuen ihre Freiheit nur bewahren können, wenn sie gleichzeitig Untertan und Souverän sind und sich wechselseitig fremden Willen unterwerfen, der doch gleichzeitig Ausdruck ihres eigenen Wollens zu sein hat. Rousseau bietet für dieses Problem die Lösung einer jedes Individuum jederzeit erfassenden unmittelbaren Beteiligung an den politischen Entscheidungen an. Mögliche Interessendivergenzen werden dadurch vermieden, daß jedes Individuum die Ansprüche der volonte generale verinnerlicht und seinem Wollen zugrunde legt. Durch diese politisch-moralische Konstruktion verfügt Rousseau über einen Maßstab zur Trennung „guter" von „böser" Individualität. Erst in der Internalisierung der volonte generale kommt das Individuum zu sich und zur Allgemeinheit, erst jetzt ist es authentisch. Diese Trennung zwischen pathologischer Erscheinung und gesundem Wesen von Individualität bestimmt einen großen Teil des kulturkritischen Diskurses der Moderne, in dem durch die Entlarvung der verschiedenen Erscheinungen von Individualität als
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inauthentisch, maskenhaft, simuliert ihr wahres Wesen entschleiert werden soll. Sieht Rousseau diesen Wesenskern als sozial und auf das Allgemeinwohl orientiert, so beschreibt Nietzsche ihn als grenzenlosen Anspruch auf Expression des solipsistischen einzelnen, dessen Bindung an andere in deren Unterwerfung besteht. Hegel greift die Unterscheidung von Wesen und Erscheinung, von Authentizität und Inauthentizität auf und übersetzt sie in Form einer geschichtsphilosophischen Erzählung des nur in der individuellen Absonderung zu sich kommenden absoluten Geistes. Spielt schon bei Hegel dabei der Arbeitsprozeß als Folie der Selbstwahrnehmung der besonderen Formen des Geistes eine herausgehobene Rolle, so übernimmt Marx diesen Gedanken und entwickelt ihn zur Teleologie des im - von allen kapitalistischen V e r s e h r u n g e n geheilten - Arbeitsprozeßes zu sich kommenden Subjektes weiter. Im Gattungswesen findet sich der authentische Kern der einzelnen. Schon innerhalb der hegel-marxistischen Debatte gibt es allerdings Versuche, diese Orientierung auf die Kategorie der Arbeit als Ausdruck des menschlichen Gattungswesens zu überwinden und durch lebensweltliche Zuschreibungen anzureichern. Für solche Bemühungen steht Karel Kosik mit seiner Dialektik des Konkreten (siehe Abschnitt 4.2.4.). Kosik knüpft damit an Diskussionen der Existenzphilosophie an, die insbesondere im Anschluß an Heideggers Sein und Zeit Anstrengungen unternimmt, die Unterscheidung zwischen authentischen/inauthentischen Manifestationen des indidviduellen Selbst auf eine neue Grundlage zu stellen. Dieser Definitionsversuch soll in den folgenden Abschnitten untersucht werden, wobei die erheblichen Geltungsansprüche des existentialistischen Argumentierens deutlich zu betonen sind. So stellt Leo Gabriel in seiner Existenzphilosophie fest: „In der Tat, in der Existenzphilosophie ist das Motiv eines ursprünglichen Denkens aus dem Sein des Menschen aufgeklungen, das in einer in Apparaten und Funktionen erstarrten und leerlaufenden Welt rational planender Reflexion nicht so bald verhallen wird, ein Motiv, dessen eindringliche Wirkung heute schon nicht mehr geleugnet werden kann, das aber einer harmonisierenden Verarbeitung und Entfaltung harrt, auf einem Wege, der die Zukunft der Philosophie bestimmen wird."1 Der Existenzphilosophie geht es um die Stiftung von Sicherheit angesichts der zahlreichen umstrittenen und bestrittenen philosophischen Feststellungen des menschlichen Seins. Das cartesianische Projekt des cogito ergo sum sieht sich genauso kritisiert, wie Kants Erkenntnistheorie und Pflichtethik oder die großen Systemprogramme des 19. Jahrhunderts. Jedem Denken muß ein Sein vorausgehen, deshalb kann allein das Denken den zweifelsfreien Grund für die Existenz nicht legen. Demgegenüber soll der Bezug auf die Existenz Reinheit, Klarheit und Primordialität der letztlich dann auch gesellschaftskritisch einsetzbaren Kategorien ausweisen. Besonders dem Ursprünglichen wird nachgespürt, das als unhintergehbar existentielle Erkennistheorie und Ethik fundieren soll. Auch wenn sich Gabriels zu Beginn der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts formulierte Prognose nicht bestätigte, hat der Anspruch, durch eine Philosophie der Existenz zur Fundamentierung von Aussagen über das Wesen des Menschen zu kommen, die alle bisherigen Ontologien übersteigt, auch im politischen Diskurs über Bedingungen der Legitimation tiefreichende Auswirkungen.
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Leo Gabriel, Existenzphilosophie. Wien und München 1968, 26.
Kierkegaard, Heidegger, Jaspers, Sartre - Dialog der Positionen,
Der existentialistische Diskurs
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4.3.1 Heideggers Daseins-Analyse Heidegger erkennt im Begriff des „Seins" eine solche Grundlegung, die zwar an einen überkommenen philosophischen Diskurs der Wesensbestimmung des Menschen anknüpfen kann, aber die Ergebnisse dieser Debatte als ungenügend begreift. Die Frage nach dem Wesen des Menschen muß sich danach zuerst der grundsätzlichen Bestimmung des „Seins" überhaupt als umfassender Kategorie zuwenden, ist doch der Mensch, das „Dasein", wie Heidegger es nennt, nur eine Spezifizierung dieses „Seins". Seine Bestimmung geht auch über vorhandene lebensphilosophische Überlegungen (Dilthey, Bergson) hinaus, denn der Begriff des ,Gebens" ist für Heidegger auch noch nicht zum ontologischen Fundament, zum „Sein" durchgedrungen: Nicht „Leben", sondern „Sein ist das transcendens schlechthin." 1 Schon an dieser Stelle wird die Radikalität seines Ansatzes sichtbar, denn das „Sein" ersetzt hier alle vorhergegangenen Bestimmungen des Transzendenten, seien sie theologischer, philosophischer oder naturwissenschaftlicher Art. Die Vorstellung, der Mensch sei ein Geschöpf Gottes, wird genauso destruiert wie die Idee, er sei vor allem als vernunftbegabtes Wesen zu bestimmen. Heidegger erfindet damit eine neue Definition des menschlichen Wesens, die sich nicht mehr auf essentielle Setzungen beruft: „Das, Wesen' des Daseins liegt in seiner ExistenzDie an diesem Seienden herausteilbaren Charaktere sind daher nicht vorhandene .Eigenschaften' eines so und so aussehenden' vorhandenen Seienden, sondern je ihm mögliche Weisen zu sein und nur das. Alles Sosein dieses Seienden ist primär Sein. Daher drückt der Titel,Dasein', mit dem wir dieses Seiende bezeichnen, nicht sein Was aus, wie Tisch, Haus, Baum, sondern das Sein." 2 Gegenüber dem Begriff eines festen, stabilen Wesens hat Heidegger so große Vorbehalte, daß er ihn nur noch als „sogenannt" benutzen kann. Einen Wesens kern des Menschen gibt es für ihn genausowenig wie festgefügte, überzeitliche Charaktereigenschaften. Seine ontologische Untersuchung wird dadurch dynamisiert und an der Prozeßhaftigkeit, der Zeitlichkeit des Seins ausgerichtet. Es geht ihm dabei zunächst nicht um eine Beschreibung richtiger oder falscher Repräsentationsformen des Daseins, sondern um den Nachvollzug von Existenz und damit von Sein überhaupt. Existenz bedeutet in diesem Zusammenhang die konkrete Ausformung des Seins im Dasein, die Wahrnehmung oder Nicht-Wahrnehmung bestimmter existentieller Möglichkeiten, die Realisierung von Absichten und Plänen, das Akzeptieren bestimmter Chancen und Grenzen der Lebensführung, das Entwerfen der individuellen Signatur.3 Existenz ist in ihren konkreten Ausformungen als Dasein an individuelle Manifestationen gebunden.4
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Martin Heidegger, Sein und Zeit, 39. Ebd., 42 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 12: „Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhält, nennen wir Existenz ... Das Dasein versteht sich selbst immer aus seiner Existenz, einer Möglichkeit seiner selbst, es selbst oder nicht es selbst zu sein. Diese Möglichkeiten hat das Dasein entweder selbst gewählt, oder es ist in sie hineingeraten oder je schon darin aufgewachsen." (Hervorhebungen im Original). Ebd., 41: „Das Seiende, dessen Analyse zur Aufgabe steht, sind wir je selbst. Das Sein dieses Seienden ist je meines. Im Sein dieses Seienden verhält sich dieses selbst zu seinem Sein." (Hervorhebungen im Original). An dieser Stelle wird klar, daß Heidegger und Hegel dasselbe Problem der Spannung von Besonderung/Allgemeinheit bearbeiten, weil das zentrale Problem der Moderne die Versöhnung der individuellen Signatur mit dem Allgemeinen ist, dabei aber eine ganz unterschiedliche Semantik entwickeln. Für Heidegger markiert der Logozentrismus Hegels Seins-Vergessenheit.
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Der Untersuchungsgegenstand der Existential-Analyse besteht so notwendig in den alltäglichen Ausdrucksformen des Daseins. Es geht Heidegger um eine Hermeneutik der Existenz, die im Hinblick auf ihre Seins-Qualitäten und ihre Strukturmuster (Existentiale) verstanden werden soll. In der Phänomenologie sieht er die einzig mögliche Methode, diesen Spuren nachgehen zu können. Die weitreichenden Geltungsansprüche der Existenz-Analyse fußen nicht nur auf der Selbst-Wahrnehmung, zu den Fundamenten menschlicher Existenz durchgestoßen zu sein, sondern auch auf dem Bewußtsein, mit der Phänomenologie über ein überlegenes Erkenntnisinstrumentarium zu verfügen. Existenz-Analyse wird zur Phänomenologie von Alltäglichkeit und Durchschnittlichkeit als Ausdrucksformen ursprünglicher Seins-Erfahrungen: „Und weil Dasein wesenhaft je seine Möglichkeit ist, kann dieses Seiende in seinem Sein sich selbst, wählen', gewinnen, es kann sich verlieren, bzw. nie und nur ,scheinbar' gewinnen. Verloren haben kann es sich nur und noch nicht sich gewonnen haben kann es nur, sofern es seinem Wesen nach mögliches eigentliches, das heißt sich zueigen ist. Die beiden Seinsmodi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit- diese Ausdrücke sind im strengen Wortsinne terminologisch gewählt - gründen darin, daß Dasein überhaupt durch Jemeinigkeit bestimmt ist. Die Uneigentlichkeit des Daseins bedeutet aber nicht etwa ein .weniger' Sein oder einen .niedrigeren' Seinsgrad. Die Uneigentlichkeit kann vielmehr das Dasein nach seiner vollsten Konkretion bestimmen in seiner Geschäftigkeit, Angeregtheit, Interessiertheit, Genußfähigkeit." 1 Durch diesen Bezug auf die sich selbst vergewissernde Existenz, die gerade in dieser Selbstverständigung Sein manifestiert, wendet sich Heidegger der Beobachtung von SelbstBeobachtungen zu. Er macht diese Selbst-Konstruktion2 zur Grundlage seiner Unterscheidung von Eigentlichkeit/Uneigentlickeit bzw. Authentizität/Inauthentizität. Wobei an dieser Stelle die Unterscheidung insofern noch nicht asymmetrisiert wird 3 , als auch der Status der „Uneigentlichkeit" auf ein erfülltes Dasein verweisen kann, das von Heidegger durchaus positiv beschrieben wird (geschäftig, angeregt, interessiert, genußfähig). Damit stellt sich aber die Frage, wie denn „Eigentlichkeit" von „Uneigentlichkeit" unterschieden werden kann, wenn Heidegger beide Seiten dieser Unterscheidung rein deskriptiv als gleichwertige mögliche, als symmetrische Formen seiner fundamentalontologischen Bestimmung verstanden wissen will. Heidegger gibt darauf keine Antwort. Diese Spannung in Heideggers DaseinsAnalyse zwischen Deskription und Präskription wird im weiteren Verlauf noch ausführlich behandelt werden und ist in der Sekundärliteratur umstritten. 4 So behauptet Heidegger
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Ebd., 42f (Hervorhebungen im Original). Das hat nichts mit „Selbstbewußtsein" oder „Selbstbestimmung" im Sinne der Realisierung einer subjektiven Innenwelt zu tun. Ebd., 53: „Damit ist der formale Begriff von Existenz angezeigt. Dasein existiert. Dasein ist ferner Seiendes, das je ich selbst bin. Zum existierenden Dasein gehört die Jemeinigkeit als Bedingung der Möglichkeit von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit. Dasein existiert je in einem dieser Modi, bzw. in der modalen Indifferenz ihrer." Vgl. Abraham Mannsbach, „Heideggeron the self, authenticity and inauthenticity", in: Iyyun, 40/1991, 78, der dort versucht nachzuweisen, daß der Status der Inauthentizität in Heideggers Philosophie ursprüngliche Daseins-Erfahrungen beschreibe, die der mühsamen Konstruktion von Authentizität vorhergehen. Joan Stambaugh, „An inquiry into the authenticity and inauthenticity in Being and Time", in: Research in Phenomenology, 7/1977, 159 glaubt, daß aufgrund dieser Widersprüchlichkeit Heidegger seine Unterscheidung noch in Sein und Zeit des Begriffs „Aneignung" (appropriation)
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wiederholt, daß die „durchschnittliche Alltäglichkeit" eben keine pathologischen Erscheinungsweisen des Daseins ausdrückt:, J)ie durchschnittliche Alltäglichkeit des Daseins darf aber nicht als ein bloßer .Aspekt' genommen werden. Auch in ihr und selbst im Modus der Uneigentlichkeit liegt a priori die Struktur der Existentialität. Auch in ihr geht es dem Dasein in bestimmter Weise um sein Sein, zu dem es sich im Modus der durchschnittlichen Alltäglichkeit verhält und sei es auch nur im Modus der Flucht davor und des Vergessens seiner."' Bemerkenswert ist, daß die Symmetrie der Unterscheidung an dieser Stelle vorsichtig dementiert wird. Uneigentlichkeit gilt zwar immer noch als originäre Existenzform, wird aber mit Seins-Flucht und Seins-Vergessenheit identifiziert. „Flucht" und „Vergessen" sind jedoch negativ konnotiert. Von „Angeregtheit" und „Genußfähigkeit" ist nicht mehr die Rede. Er spitzt das Problem der Grundlegung seiner Differenzierung noch zu, indem er den klassischen Subjektbegriff destruiert und ihn als Einheit einer Unterscheidung authentischer/ inauthentischer, befreiter/entfremdeter, nichtverdinglichter/verdinglichter Existenz ablehnt. Damit gibt er den noch im hegel-marxistischen Diskurs prominenten Begriff der „Entfremdung" zur Benennung gesellschaftlich bedingter Versehrungen des Wesenskems des Individuums, seiner Subjektivität, auf. Heidegger lehnt eine solche Begrifflichkeit ab, weil eine Definition des Nichtentfremdeten fehlt. Für eine solche Bestimmung gibt es seiner Meinung nach keine ontologische Grundlage:„Die Behauptung ,ewiger Wahrheiten', ebenso wie die Vermengung der phänomenal gegründeten ,Idealität' des Daseins mit einem idealisierten absoluten Subjekt gehören zu den längst noch nicht radikal ausgetriebenen Resten von christlicher Theologie innerhalb der philosophischen Problematik." 2 Die überkommenen Begriffe lassen eine genaue Bestimmung des Daseins nicht zu. Diese Kritik Heideggers an den metaphysischen Füllungen der Bezeichnungen Subjekt, Selbst, Mensch, Leben etc. drückt im Bemühen um eine neue wissenschaftliche Grundlegung der
ersetzt. Allerdings gibt sie dafür wenig Belege. Festzuhalten bleibt, daß der Begriff der „Gelassenheit" in den späten Schriften eine dominierende Rolle spielt. Aber das bedeutet kein Aufgeben der Unterscheidung Eigentlich/Uneigentlich. Vielmehr ist die „Gelassenheit" dann das Synonym für Eigentlichkeit. Roy Martinez, „An ,authentic' problem in Heidegger's Being and Time", in: Auslegung, 15/1989, Iff betont die unaufgelöste Widersprüchlichkeit. So auch Grell V. Grant, „Heidegger on inauthenticity and authenticity", in: Gnosis - A Jounal of philosophic interest, 1/1979, 81-94, Jay A. Ciaffa, „Toward an understanding of Heidegger's conception of the inter-relationship between authentic and inauthentic existence", in: JBSPh 18/1987, 49-59. Anthony Beavers, „Overcoming inauthenticity through anxiety: a central theme in Heidegger's Being and Time", in: Dialogue (PST), 13/1988,23 f verweist auf das Existential der Angst als Ausgangspunkt authentischer Existenz. Dazu auch: Scott William Anderson, „Dasein as self. Some Implications of Heideggerian ontology", in: Kinesis, 14/1985, 106-129. Die begrifflichen Anleihen Heideggers bei Kierkegaard beschreiben Harrison Hall, „Love and death. Kierkegaard and Heidegger on authentic and inauthentic existence", in: Inquiry. An Interdisziplinary Journal of Philosophy and the Social Sciences, 27/1984, 179ff und Daniel Berthold-Bond, „A Kierkegaardian critique of Heidegger's concept of authenticity", in: MW, 24/1991, 119-142. Vgl. dazu: Hubert L. Dreyfus/Jane Rubin, „You can't get something for nothing: Kierkegaard and Heidegger on how not to overcome nihilism", in: Inquiry, 30/1987, 33, die darauf hinweisen, daß Heidegger im Gegensatz zum mit christlichen Kategorien operierenden Kierkegaard (Sündenfall) keinen Grund für die inauthentische Existenzweise angeben kann. 1 2
Heidegger, Sein und Zeit, 4 4 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 229 (Hervorhebungen im Original).
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Das wahre/Wahre Wollen.
Ontologie seine Stellung im Authentizitäts-Diskurs aus. Heidegger versucht, die Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch als fundamentale Existenzweise wissenschaftlich, aber nicht empirisch im Sinne der nomothetischen Disziplinen, 1 zu begründen. Der Mensch ist kein Ding, kein Gegenstand, keine Substanz, sondern erhält seine individuelle Signatur nur im Daseins-Vollzug. Existenz löst Essenz als Form der Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen ab. Insbesondere seine Hinweise darauf, daß alle bisherigen Definitionen des „Subjekts", von „Leben" und „Mensch" quasi naturwissenschaftlich zwischen Beobachter und Beobachtetem ein Subjekt-Objekt-Verhältnis konstruieren, Ontologie somit aus der Distanz des nichtinvolvierten, objektiven Wisenschaftlers betreiben und an der Tatsache vorbeisehen, daß sie es dabei mit Bezeichnungen des Seienden zu tun haben, „das wir selbst sind", 2 hat für die philosophische Dekonstruktion dieser alten „Titel" 3 weitreichende Bedeutung. Als schonungsloser Kritiker solcher substantiellen Bestimmungen des Menschen, solcher falschen Metaphysik, wird er gerade für jene Rezipienten seines Denkens anschlußfähig, die eine kritische Folie der menschlichen Existenzbeschreibung benötigen, um authentische/inauthentische Lebensformen unterscheiden zu können, die aber die tradierten essentiellen Begriffsfüllungen für unbegründbar ansehen. 4 Heideggers Ansatz bietet demgegenüber nicht nur mit der Dynamisierung seiner Ontologie eine neue Grundlage für die Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen, sondern weist in der Aufhebung der Subjekt-Objekt-Differenz eine neue Form des Philosophierens aus, in welcher die ontische Reflexion des Daseins zur wissenschaftlichen Ontologie wird und dadurch einen herausgehobenen Geltungsanspruch zu begründen können glaubt. Die
1
Ebd., 45ff. Heidegger verweist allerdings selbst auf die Möglichkeit durch eine Untersuchung „primitiver" Kulturen, die Manifestation des Seins veranschaulichen zu können. Vgl. Elazar Barkan/ Ronald Bush (Hrsg.), Prehistories of the Future. The Primitivist Project and the Culture of Modernism, Stanford/Cal. 1995.
2
Heidegger, Sein und Zeit, 44. Ebd. Vgl. Jürgen Habermas, „Die große Wirkung" (1959), in: Ders., Philosophisch-politische Profile, 3. Auflage Frankfurt/M. 1981, 72-82, der dort immerhin ein eigenes „gebrochenes" Verhältnis zu Heidegger konstatiert. Es fällt auf, daß insbesondere in solchen Disziplinen Heideggers Ansatz übernommen wird (Philosophie, Psychologie/Psychiatrie, Pädagogik, Kunstwissenschaft), in denen stark mit der Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch operiert wird (siehe Kapitel 2 dieser Studie). Im weiteren soll hier auf die in folgenden Abschnitten noch genauer zu analysierende Nähe bestimmter marxistischer Positionen zu Heidegger hingewiesen werden. Vgl. dazu: Gerard Raulet, „Die .Gemeinschaft' beim jungen Marcuse", in: Manfred Gangl/Ders., Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Darmstadt 1994, 97-111. Positive Bezüge zur Praxis-Orientierung Heideggers und seiner Metaphysik-Kritik finden sich auch im Pragmatismus Richard Rortys (siehe dazu dessen Philosophical Papers, Vol. 2). Für eine existentialistische Psychiatrie und Psychotherapie, die Heideggers Begriffe der „Geworfenheit" und der „Fürsorge" fruchtbar machen will: Julius E. Heuscher, „Love and authenticity", in: American Journal of Psychoanalysis, 47/1987, 21-34; Ders., „Dread and authenticity", in: American Journal of Psychoanalysis, 49/1989, 139-157 und Charles B. Guignon, „Authenticity, moral values and psychotherapy", in: Ders. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Heidegger, Cambridge 1993, 215-239. Für Pädagogik, Kunstwissenschaft und Theologie siehe Kapitel „Anstöße für die Wissenschaften" in: Annemarie Gethmann-Siefert/Otto Pöggeler, Heidegger und die praktische Philosophie, Frankfurt/M. 1998, 231-313.
3 4
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Der existentialistische Diskurs
H e r m e n e u t i k der E x i s t e n z ist S e i n s v e r g e w i s s e r u n g . I m P h i l o s o p h i e r e n wird das D a s e i n eigentliche Existenz. D i e s e Form der Selbst-Vergewisserung steigt z u m sozialen Distinktionsmittel auf, denn sie wird nur von w e n i g e n Individuen, die den M o d u s der durchschnittlichen Alltäglichkeit ü b e r w u n d e n haben, betrieben. N u r d i e s e w e n i g e n sind dann auch i m B e s i t z der Wahrheit ihres D a s e i n s . 1
4.3.1.1
Das Dasein
und die
Welt
Mit der E i n e b n u n g der Subjekt-Objekt-Differenz kann es eine S e l b s t b e s t i m m u n g i m S i n n e des Verhältnisses z u m Selbst als Objekt der B e s t i m m u n g , das beobachtet, befragt, überprüft, gedeutet, korrigiert wird, nicht mehr geben. D i e E x i s t e n z - A n a l y s e zielt eben gerade darauf: „ ... zu erweisen, daß der Ansatz eines zunächst g e g e b e n e n Ich und Subjekts den phänomenalen B e s t a n d des D a s e i n s von Grund aus verfehlt. Jede Idee von ,Subjekt' macht n o c h - falls sie nicht durch e i n e v o r g ä n g i g e o n t o l o g i s c h e G r u n d b e s t i m m u n g geläutert ist - den A n s a t z
In der in einer selbstzugewiesenen Heidegger-Nachfolge stehenden Literatur wird dieser elitäre Charakter durchgängig betont. Philosophie steigt zur heroischen Aufgabe auf, der nur Heidegger und eine kleine Gruppe seiner Schüler gewachsen sind. Vgl. Karl-Heinz Volkmann-Schluck, Die Philosophie Martin Heideggers. Eine Einführung in sein Denken, hrsg. von Bernd Heimbüchel, Würzburg 1996, 36: „Philosophieren ist nicht eine neutrale Betrachtung über allgemeine Angelegenheiten, es ist nicht Weltbetrachtung, sondern ist existieren in der Weise der radikalsten Durchsichtigkeit menschlicher Existenz selbst... Die Philosophie ist etwas Menschliches, und zwar das eigentlich Menschliche sogar...". Die Authentizität der Philosophie läßt hier eine Gruppe entstehen, in der sich Eingeweihte, Novizen, überforderte Sympathisanten um den Meister gruppieren. Hannah Arendt, „Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt" (Merkur 1969), in: Günter Neske/Emil Kettering (Hrsg.), Antwort - Martin Heidegger im Gespräch, Tübingen 1988, 232 bestreitet die Existenz eines „von ihm dirigierten Kreises" (233), bezeichnet ihn aber mehrmals als „den heimlichen König" des Denkens und der Philosophie (233), dessen „Name durch ganz Deutschland reiste" (ebd.), einen Magier der Sprache. Am selben Ort betont Walter Jens sein persönliches „Schülersein" (257). Die Wirkung Heideggers findet in dieser im Stil, der Grammatik, der Semantik des philosophischen Werk angelegten Gemeinschaftsbildung (mit entsprechenden Abschottungen und Feinbildern) eine ihrer Ursachen. Vor allem ist hier auf die Privatsprache hinzuweisen, die Heidegger ansatzweise entwickelt und in der souverän neue B e d e u t u n g s i n h a l t e ganz unabhängig von den semantischen Konventionen - zugeordnet werden. Vgl. dazu das Kapitel über das „Gerede" in Sein und Zeit. Pierre Bourdieu, Die Politische Ontologie Martin Heideggers, Frankfurt/M. 1976,107 betont die Ähnlichkeit des Stils von Heidegger und George, der gruppenbildend wirkt. Allerdings verkürzt Bourdieu diese Mechanismen auf den Kontext der „konservativen Revolution", der man so ohne weiteres Heidegger nicht zuordnen kann, heißt das doch, die ambivalente und über diesen Rahmen hinauswirkende Modernität seines Werkes zu verleugnen. Gerade an diesem Punkt wird von Heidegger selbst die Brücke zum Nationalsozialismus geschlagen. Die Gleichsetzung von Authentizität mit einem elitären Wissensprogramm widerspricht allerdings Kierkegaards Verbindung von Authentizität und Leben und antiken Vorstellungen von der Wahrheit der sokratischen Ignoranz. Siehe dazu: Michael E. Zimmermann, „Socratic ignorance and authenticity", in: Tulane Studies in Philosophy, 29/1980, 133-150. Bei Heidegger finden sich dann in Sein und Zeit viele Hinweise auf die Bedeutung des Handelns für die Konstitution des Daseins. Seine bundesrepublikanischen Schüler und Anhänger betonen nach der Katastrophe von 1933/1945 eher die kontemplativen Aspekte. Vgl. Walter Biemel, Heidegger, Reinbek 1973; Ernst Nolte, Heidegger - Politik und Geschichte in Leben und Denken, Berlin und Frankfurt/M. 1992.
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Das wahre/Wahre Wollen.
des subjectum ontologisch mit, so lebhaft man sich auch ontisch gegen die .Seelensubstanz' oder die, Verdinglichung des Bewußtseins' zur Wehr setzen mag. Dinglichkeit selbst bedarf erst einer Ausweisung ihrer ontologischen Herkunft, damit gefragt werden kann, was positiv denn nun unter dem nichtverdinglichten Sein des Subjekts, der Seele, des Bewußtseins, des Geistes, der Person zu verstehen sei." 1 Mit diesem Tod des Subjekts 2 geht - wie im vorangegangenen Abschnitt schon angedeutet wurde - zunächst auch die Unterscheidungsgrundlage zur Bestimmung entfremdeter/nicht entfremdeter Verhältnisse verloren. Heidegger gewinnt eine solche Folie jedoch wieder durch die Bindung des Daseins an seine Um- und Mitwelt. Gerade weil der Begriff eines substantialistischen Subjekts aufgegeben und die Signatur der Individualität als Konstruktion begriffen wird, kommt in dieser Analyse der Umwelt große Bedeutung zu. Dasein ist ein in der Welt sein und verwischt die Grenze von Innenwelt (psychische Vorgänge) und Außenwelt (Stoffwechsel, Benutzung von Werkzeugen und ähnlichen Instrumenten, Kommunikation mit anderen Individuen) 3 . Die Welt steigt bei Heidegger zum wichtigsten Strukturmuster der Daseinsbestimmung auf. In ihr erhält Dasein seine Kontur. Hier wird die Beobachtungsposition der Individualität umgekehrt und nicht danach geschaut, wie sich ein Subjekt-Kern nach außen manifestiert, sondern wie das Dasein nur in der Welt-Sein manifestiert. Das Problem der Verallgemeinerung individueller Existenz ist für Heidegger mit dieser Feststellung gelöst. Die anderen Individuen sind auch fundiert als anwesendes Sein, eben als Dasein. Dies gibt die Basis für Sozialität ab, deshalb kann der jeweils andere anerkannt werden, deshalb ist der Mensch zur Fürsorge und zum Mitleid fähig. Er stößt im anderen immer auf sich. Die Welt ist also nichts der Existenz Vorgelagertes oder Beigegebenes, es ist keine Eigenschaft. „Der Mensch ,ist' nicht und hat überdies noch ein Seinsverhätnis zur , Welt', die er sich gelegentlich zulegt. Dasein ist nie ,zunächst' ein gleichsam in-sein-freies Seiendes, das zuweilen die Laune hat, eine ,Beziehung' zur Welt aufzunehmen. Solches Aufnehmen von Beziehungen zur Welt ist nur möglich, weil Dasein als In-der-Welt-sein ist, wie es ist."4 Heideggers Wahrheitsbegriff tritt hier hervor. „Wahr" ist ein Dasein dann, wenn sich in ihm seine Welthaltigkeit, d. h. „Sein", zeigt, enthüllt, offenbart. 5 Mit diesem Verständnis von Dasein als Ausdruck seiner Um- und Mitwelt verändert sich auch die Frage nach dem
1 2
Heidegger, Sein und Zeit, 4 6 (Hervorhebungen im Original). Vgl. dazu Michael E. Zimmerman, Eclipse of the Self. The Development of Heidegger's Concept of Authenticity, Athens 1986 und die vehemente Kritik Hans Ebelings, „Philosophie auf Leben und Tod. Zum Verhältnis von Selbstbehauptung und Sterblichsein in Heideggers ,Sein und Zeit'", in: Peter Kemper (Hrsg.), Martin Heidegger - Faszination und Erschrecken. Die politische Dimension einer Philosophie, Frankfurt/M. und New York 1990, 128-153.
3
Wobei dem Werkzeugebrauch des Handwerkers besondere Bedeutung zukommt. Sein Dasein gilt in seiner aneignenden Ursprünglichkeit als authentisch. Siehe dazu: Paul Farwell, „Can Heidegger's craftsman be authentic?", in: International Philosophical Quarterly, 29/1989, 81ff, der auf einen Widerspruch hinweist. In den vorderen Abschnitten von Sein und Zeit liefert der Handwerker ein Sinnbild für Eigentlichkeit, während in den hinteren Abschnitten die instrumenteile Aneignung der Welt und ihre Zeitvergessenheit als uneigentlich angesehen werden.
4
Heidegger, Sein und Zeit, 57 (Hervorhebungen im Original). Vgl. zum Wahrheitsbegriff Heideggers, der an dieser Stelle keinen Relativismus oder eine sprachanalytische Deutung von „Wahrheit" zuläßt: M. C. Dillon, „A Phenomenological Conception of Truth", in: MW, 7/1977, 382-392. Wahrheit ist in den Dingen und im Sein.
5
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Der existentialistische Diskurs
Verhältnis von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit. Das In-der-Welt-Sein bedeutet eben nicht den Verzicht auf eine solche Unterscheidung, allein der Bezugsrahmen ist ein anderer. Im Dasein kommen die Strukturen des In-der-Welt-Seins zum Ausdruck; das authentische Dasein ist diese Formung, ist dieses „Geworfensein". Das inauthentische Dasein manifestiert diese „Geworfenheit" nur indirekt als Existenz der Seins-Ferne, der Täuschung über die eigenen scheinbar unverwechselbaren Identitätskerne, als Illusion der Subjektivität und der Ablenkung vom Eigentlichen. Hier wird die Problematik der Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen deutlich: Die jeweils andere Seite der Unterscheidung kommt über die Bestimmung als Verneinung nicht hinaus. Beginnt man die Unterscheidung auf Seiten der Authentizität auszudifferenzieren, wie Heidegger es an dieser Stelle tut, dann läßt sich für die Seite der Inauthentizität feststellen, diese sei keine Authentizität. Beginnt man die Unterscheidung auf Seiten der Inauthentizität, auch dieses Vorgehen findet sich bei Heidegger, dann kann festgestellt werden, daß die Authentizität die Verneinung der Züge des Inauthentischen ist. In beiden Fällen kommt man über die Negation der jeweils anderen Seite nicht hinaus. Eine positive Bestimmung fehlt weitgehend. 4.3.1.2
Der Tod als existentielle Wahrheit und die Inauthentizität
des „Man "
An dieser prekären Stelle stößt man auf den Ausgangspunkt von Heideggers Gesellschaftskritik, die sein gesamtes Werk durchzieht: „Das Selbst, das als solches den Grund seiner selbst zu legen hat, kann dessen nie mächtig werden und hat doch existierend das Grundsein zu übernehmen. Der eigene geworfene Grund zu sein, ist das Seinkönnen, darum es der Sorge geht."1 Von der modernen Idee einer Perfektibilität der Menschheit, die ihre eigenen Geschicke autonom bestimmt und - angesichts des Verlusts religiöser Tröstungen - ein erfolgreiches Selbstbehauptungsprogramm entwickelt, bleibt nicht viel. Heideggers ExistenzAnalyse weist die Individuen als besorgt aus, was durchaus als „besorgen" noch mit den
1
Heidegger, Sein und Zeit, 2 8 4 (Hervorhebungen im Original). Diese Abrechnung mit dem Menschenbild der instrumentellen Vernunft ist nicht auf Heideggers „Frühwerk" beschränkt, sondern manifestiert sich gerade in den späten Schriften als Kritik an der globalen Seins-Vergessenheit der technischen Zivilisationen schlechthin. Hier knüpfen dann Versuche an, aus Heideggers ExistenzAnalyse eine Ethik des ökologischen Sorgens und des Mitleidens abzuleiten. Vgl. dazu: Eric Jakob, Martin Heidegger und Hans Joas. Die Metaphysik der Subjektivität und die Krise der technologischen Zivilisation, Diss. Basel 1995; Thomas Rentsch, Die Konstitution der Moralität. Transzendentale Anthropologie und praktische Philosophie, Frankfurt/M. 1990. Douglas Kellner, „Authenticity and Heidegger's challenge to ethical theory", in: Robert W. Shahan/J. N. Mohanty (Hrsg.), Thinking About Being. Aspects of Heidegger's Theory, Austin 1984, 164 betont, daß jedes Individuum zur authentischen Daseins-Bestimmung aufgerufen ist. Dieses Projekt der Daseins-Konstitution durch Erschlossenheit gegenüber den Manifestationen des Seins findet in der Todes-Entschlossenheit ihre Erfüllung. Hier wird der Solipsismus Heideggers deutlich. Die Entscheidung für die existentielle Lage berührt jeden einzelnen nur als einzelnen, selbst wenn es um gemeinschaftliche Dinge geht. Der Horizont des Individuums wird nicht überstiegen. Heidegger entwirft damit eine Ethik des heroischen Individuums und nicht der Intersubjektivität. Vgl. zu diesem Punkt: Hans Georg Hoppe, „Mitsein und Intersubjektivität. Zum Verhältnis von Eigentlichkeit und Gesellschaftlichkeit in Heideggers, Sein und Zeit'", in: Frank Werner Veauthier (Hrsg.), Martin Heidegger - Denker der Post-Metaphysik. Symposium aus Anlaß seines 100. Geburtstags, Heidelberg 1992, 117-136.
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Das wahre/Wahre Wollen.
aktivistischen Selbstbildern der Moderne korrespondiert. Aber im „Besorgen" (als Synonym für tun, machen, in Besitz bringen etc.) steckt die „Sorge", stecken , f u r c h t " und „Angst" als Existentiale. Vom produktiven Selbstbewußtsein der Naturbeherrschung und des technischen Könnens findet sich hier wenig. Sorge, Furcht und Angst gehören zur Ursprünglichkeit des Daseins, wer sie verdrängt oder verleugnet, lebt inauthentisch. Dabei kommt dem Tod als Ende des Daseins besondere existentielle Bedeutung zu. An ihm wird die Formung des Daseins, sein Gelebt-Werden für jedes Individuum erfahrbar. Die Wahrheit des Daseins offenbart sich vor allem in seiner Todesbezogenheit, in seinem „Sein zum Tode".1 Der Tod nimmt unter den existentialen Strukturen eine Sonderstellung ein, weil sich in ihm das Dasein ohne Möglichkeit der Übertragung an andere oder Teilnahme von anderen offenbart. Die Existenz erfährt ihre unüberschreitbare Grenze; dieser Geworfenheit entgeht kein Dasein. Es gibt keine Selbstbestimmung des Geborenwerdens und es gibt keine des Sterbens. 2 In diesem Zusamenhang führt Heidegger nun seine Asymmetrie eigentlicher und uneigentlicher Existenz ein. In der Welt wird das Dasein mit den anderen menschlichen Existenzweisen konfrontiert und in der durchschnittlichen Alltäglichkeit ist von der Existenz zum Tode selten die Rede. Vielmehr gibt das konturlose „Man" den Ton an. Das jeweilige Dasein legt nicht Rechenschaft von seiner Existenz, seiner Situierung, seiner Geworfenheit ab, sondern verhält sich als Teil des konformen „Man". Heidegger greift mit der Beschreibung des „Man" einige Topoi der Kulturkritik der Weimarer Republik auf, in welcher das Thema der Vermassung, der Nivellierung, der Gestalt- und Haltlosigkeit, des Verlustes von Authentizität, der Demokratisierung großen Raum einnimmt. 3 Zunächst versucht er noch, dem Anspruch einer objektiven Daseins-Hermeneutik gerecht zu werden. So weist er ausdrücklich daraufhin, daß die ontologische Rede vom „Man" nichts Abwertendes habe. Zwar ist Man unselbständig und uneigentlich, doch diese Uneigentlichkeit ist ein eigene Daseinsmanifestation.4 Jedes Individuum ist auch „Man", aber verharrt in dieser Existenz im Inauthentischen. Es hat seine Formung noch nicht gefunden bzw. verloren. Zwar ist das „Man-Selbst" eine Manifestation des Seins und „wirklich", aber es ist eben unvollständig. Das radikal auf sich verwiesene Dasein als Manifestation des Seins ist das Eigentliche, Ergriffene, Wahre.
1 2
3
4
Heidegger, Sein und Zeit, 234. Auch dem „Freitod" sind ja immer Zustände der Fremdbestimmung, etwa schwere mit großen Schmerzen und langer Agonie verbundenen Krankheiten, für untragbar gehaltene Enttäuschungen usw. vorgelagert. Siehe den konzisen Überblick von Herfried Münkler, „Die Politischen Ideen der Weimarer Republik", in: Iring Fetscher/Ders., Pipers Handbuch der Politischen Ideen, Bd. 5, München/Zürich 1987, 283-317, der die Ubiquität dieser Themen, Topoi und Metaphern, derer sich auch Heidegger bedient, in den unterschiedlichen politischen Lagern herausarbeitet. Von der neueren Literatur sollen noch Stefan Breuers, Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1993 und seine Studie Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1995 erwähnt werden. Auch auf die von Manfred Gangl/Gerard Raulet herausgegebenen Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Darmstadt 1994 sei nochmals hingewiesen. Heidegger, Sein und Zeit, 128f (Hervorhebungen im Original).
Der existentialistische Diskurs
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Quasi unter der Hand führt Heidegger damit eine deutliche Hierarchie in seine DaseinsAnalyse ein. Die inauthentische Existenz steht schließlich doch für eine kritikwürdige, niedrige, abzulehnende Formung des Daseins. Diese Parteinahme, die gegen Ende des Textes Sein und Zeit immer stärkere rhetorische Ausmalung erfährt, wird von ihm als notwendiges Resultat seiner Ontologie angesehen: „Aber liegt der durchgeführten ontologischen Interpretation der Existenz des Daseins nicht eine bestimmte ontische Auffassung von eigentlicher Existenz, ein faktisches Ideal des Daseins zugrunde? Das ist in der Tat so. Dieses Faktum darf nicht nur nicht geleugnet und gezwungenerweise zugestanden, es muß in seiner positiven Notwendigkeit aus dem thematischen Gegenstand der Untersuchung begriffen werden." 1 Die Unterscheidung zwischen authentischer und inauthentischer Existenz findet hier ihre Begründung aus der angeblichen Überlegenheit der Heideggerschen Ontologie. Damit aber meldet er - wie alle anderen Authentizitäts-Theoretiker - besondere Geltungsansprüche aufgrund privilegierten Wissens an. Die Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen deckt sich mit der Unterscheidung von Wahrheit/Unwahrheit und uniformiert so mögliche subjektive Deutungen der Existenz. Letztlich kann objektiv über ihre DaseinsWahrheit geurteilt werden. Doch nur weil behauptet wird, die normativen Horizonte ergäben sich „notwendig" aus der geleisteten Fundamentalontologie, entstehen keine größeren Geltungen. Nicht zufällig finden sich dann auch in jenen Abschnitten über das „Man" viele Abschnitte, in denen Argumentieren durch bildhaftes Polemisieren ersetzt wird. Genau an diesen Stellen treten die politischen Aspekte der Unterscheidung des Eigentlichen/Uneigentlichen anschaulich hervor. Die Masse ist zur authentischen Existenz unfähig. Das In-der-Welt-Sein ist von Gerede, Sensationslust, zielloser Neugier, Zweideutigkeit bestimmt. Dem „Man" fehlt ja vor allem die Kraft zur eigenen Existenz, zur Wahrheit des Todes: „Die Zweideutigkeit der öffentlichen Ausgelegtheit gibt das Vorweg-bereden und neugierige Ahnen für das eigentliche Geschehen aus und stempelt Durchführen und Handeln zu einem Nachträglichen und Belanglosen. Das Verstehen des Daseins im Man versieht sich daher in seinen Entwürfen ständig hinsichtlich der echten Seinsmöglichkeiten. Zweideutig ist das Dasein immer , d a \ das heißt in der öffentlichen Erschlossenheit des Miteinanderseins, wo das lauteste Gerede und die findigste Neugier den ,Betrieb' im Gang halten, da, wo alltäglich alles und Grunde nichts geschieht." 2 Öffentlichkeit ist zur Simulationsanstalt von Wichtigkeit verkommen. Was öffentlich wird, das hat schon jede Authentizität verloren. Die uneigentliche Existenz ist uneigentlich, weil sie sich nur auf das „Nachträgliche", das existentiell „Belanglose" einläßt. Dieses Dasein vegetiert und kann ontologisch vor allem als Pathographie der unendlichen Seins-Möglichkeiten gelten, so wie der Triebtäter noch für die Abgründe der menschlichen Existenz ein Beispiel liefern kann. Alltäglichkeit steht dann für Verkleidung des Todes, für eine Maskerade hysterischer, damit falscher Lebensfreude, um dem Antlitz des Unvermeidbaren nicht begegnen zu müssen. Wer sich dem „Man" überläßt, stürzt in den Abgrund der Unwesentlichkeit, der verfehlten, weil todesvergessenen Existenz. Er kommt nicht mehr zur Entscheidung, sein Dasein
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Ebd., 310 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 174 (Hervorhebungen im Original).
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Das wahre/Wahre Wollen.
a n z u n e h m e n . E i g e n t l i c h k e i t steht nicht „über der verfallenden Alltäglichkeit" 1 , sondern b e w e i s t sich nur in der e n t s c h i e d e n e n H a l t u n g zu d i e s e m A b s t u r z ins B o d e n l o s e der B e l i e b i g k e i t . H i e r zeigt sich ein G r u n d p r o b l e m v o n H e i d e g g e r s A n a l y s e . W e n n zur Ursprünglichkeit des D a s e i n s die Seins-Verfallenheit gehört, dann ist die R e d e von „SeinsV e r g e s s e n h e i t " und „Absturz" nicht l o g i s c h , d e n n man m u ß erst e t w a s w i s s e n , u m e t w a s vergessen zu können, und man m u ß erst relativ hoch geklettert sein, u m abstürzen zu können. B e i d e „Titel" - w i e H e i d e g g e r sie nennt - v e r w e i s e n n o t w e n d i g auf das V o r h e r g e h e n authentischer D a s e i n s f o r m e n vor inauthentischen. D a s Inauthentische k a n n s o nicht m e h r als ein s e l b s t ä n d i g e s P h ä n o m e n a n g e s e h e n werden. E s m a c h t nur n o c h innerhalb der Unterscheidung von Authentizität/Inauthentizität Sinn. D a n n muß aber weiter gefragt werden: W o v o n unterscheidet sich die Authentizität/Inauthentizitäts-Unterscheidung? 2 Darauf findet sich bei H e i d e g g e r k e i n e Antwort. V i e l m e h r bestreitet er d i e Ursprünglichkeit d e s A u t h e n t i s c h e n . W e n n e s aber in H e i d e g g e r s G e d a n k e n g e b ä u d e s o e t w a s gibt w i e ein F u n d a m e n t d e s e i g e n t l i c h e n S e i n s , dann m u ß s e i n e O n t o l o g i e in der L a g e sein, den Sturz in die S e i n s - V e r g e s s e n h e i t begründen zu können. Schaut man g e n a u hin, dann erkennt man in seiner Unterscheidung von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit sein t h e o l o g i s c h e s Erbe, der e x i s t e n t i e l l e n V e r s t o ß e n h e i t des M e n s c h e n . 3 A b e r selbst, w e n n man d i e s e n ontot h e o l o g i s c h e n A u s g a n g s p u n k t akzeptiert, schließt sich sofort d i e Frage an, w i e das D a s e i n aus der ursprünglichen Verfallenheit hinaustreten kann. H e i d e g g e r beantwortet diese Frage
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Ebd., 178 (Hervorhebungen im Original). Vgl. zur Konnotation des „Fallens" Alexander von Schoenborn, „Heidegger's articulation of falling", in: John Sallis (Hrsg.), Philosophy and Archaic Experience - Essays in Honor of Edward G. Ballard (Duquesne Studies - Philosphical Series Volume 48), Pittsburgh 1982,225 weist Heideggers Behauptung „Verfallenheit", „Absturz" seien Existentiale mit der Frage zurück, ob es dann nicht einen eigentlichen/uneigentlichen „Absturz", authentische/ inauthentische Entfremdung geben müsse. Darauf wird in den weiteren Abschnitten dieser Studie noch eingegangen. Vgl. das unterscheidungslogisch ähnlich gelagerte Problem von Regierung/Opposition bei Niklas Luhmann, „Theorie der politischen Opposition", in: ZfP, 36/1989,13-26. Von „Opposition" zu reden, macht nur Sinn, wenn es eine „Regierung" gibt. Beide Seiten der Unterscheidung gehören in das politische System und unterscheiden sich in dieser Unterscheidung etwa vom ökonomischen System. Eine solche Differenz der Unterscheidung Eigentlichkeit/Uneigentlichkeit zu anderen Unterscheidungen kann Heidegger nicht benennen. Heidegger, Sein und Zeit, 286 spricht von ursprünglicher Schuld, verlagert aber - hier wird die Begründung seiner Konversion zum Protestantismus deutlich - das Gewissen allein in die SelbstAnhörung der Individuen: „Dieses wesenhafte Schuldigsein ist gleichursprünglich die existenziale Bedingung der Möglichkeit für das .moralisch' Gute und Böse, das heißt für die Moralität überhaupt und deren faktisch mögliche Ausformungen. Durch die Moralität kann das ursprüngliche Schuldigsein nicht bestimmt werden, weil es für sich selbst schon voraussetzt... Daß dieses zunächst und zumeist unerschlossen bleibt, durch das verfallende Sein des Daseins verschlossen gehalten wird, enthüllt nur die besagte Nichtigkeit. Ursprünglicher als jedes Wissen darum ist Schuldig-sei«." (Hervorhebungen im Original) Die „ursprüngliche Schuld" wird zum Synonym für das Gewissen und seine Appelle an das Dasein. Die entfremdete, nichtige Existenz verweist auf eine ursprüngliche Schuld, die von Heidegger - wie von einem Psychoanalytiker - an den Symptomen der Sorge, von Furcht und Angst abgelesen wird, die aber eben nicht auf eine Urszene des „tatsächlichen" Schuldig-Werdens hinweisen. Dazu: Michael E. Zimmerman, „Heidegger and Bultmann - egoism, sinfulness, and inauthenticity", in: The Modern Schoolman. A quarterly journal of philosophy, 58/1981, 1-21.
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Der existentialistische Diskurs
mit einem Hinweis auf die Reflexion des Daseins auf seine Geworfenheit. Die eigentliche Existenz bedeutet eine positive Entscheidung zur Annahme der existentiellen Strukturen. Die Individuen haben hier also eine Wahl, sich zu ihrer Existenz zu bekennen, und das heißt in letzter Konsequenz, ihre Sterblichkeit zum Ausgangspunkt ihres Lebens zu machen, oder sich dieser Entscheidung zu entziehen. Das „Man" vermeidet nun diese existentielle Wahl und öffnet sich nicht gegenüber der Wahrheit des Seins: „Dem Man dagegen ist die Situation wesenhaft verschlossen. Es kennt nur die allgemeine Lage', verliert sich an die nächsten Gelegenheiten' und bestreitet das Dasein aus der Verrechnung der .Zufälle', die es, sie verkennend, für die eigene Leistung hält und ausgibt. Die Entschlossenheit bringt das Sein des Da in die Existenz seiner Situation. Die Entschlossenheit aber umgrenzt die existenziale Struktur des im Gewissen bezeugten eigentlichen Seinkönnens, des Gewissen-haben-wollens. In ihm erkannten wir das angemessene Anrufverstehen. Daraus wird vollends deutlich, daß der Gewissensruf, wenn es zum Seinkönnen aufruft, kein leeres Existenzideal vorhält, sondern in die Situation vorruft."1 Das „Man" hat ein „schlechtes" Gewissen, leidet unter Furcht und Angst, bleibt aber mit diesen Stimmungen im ewig unglücklichen Bewußtsein eingesperrt, weil der Mut, sich zur Angst als Angst vor dem Tod, vor der damit verbundenen Brisanz der Wahl des Wesentlichen und der Unsicherheit dieser Entscheidung zu bekennen, fehlt. Das eigentliche Dasein zitiert sich selbst herbei und tritt seine schicksalsbestimmte Stelle an. Es bekennt sich zur Situation, in die es gestellt wird. Es ist entschlossen und kann sich in dieser Entschlossenheit die eigentliche Existenz erschließen. Authentizität korrespondiert hier mit dem Bekennen, der Annahme des Schicksals, der Entscheidung für das vom Tod bestimmte Leben. Das ist nicht nur eine kontemplative Position, sondern - bei aller Rhetorik der Formung und des Geworfenseins - eine aktivistische. Die Entscheidung zur Authentizität drückt sich in Handlungen aus, wird in Handlungen bezeugt. Dieser Dezisionismus 2 , das Ergreifen des Augenblicks, die Erschlossenheit der Existenz im Moment der Seins-Wahrheit markiert die Grenzlinie des authentischen Daseins zu seiner Welt und damit zu den anderen Existenzen. Diese Zuweisung von Welt gehört nach Heidegger zu den existentialen Strukturen und macht die Gesellschaftsbindung der Individuen aus, die in Welt-Bezüge, in Gemeinschaften gestellt werden, ohne daß sie vorher gefragt worden wären. Heidegger denkt hier an Zuordnungen wie Nation, Volk, Ethnie. Das authentische Individuum bekennt sich zu diesem seinem kollektiven Geschick. Es hat sich der Situation zu stellen und sich in dieser Schicksalsstellung als sinnvolle Existenz zu entwerfen. Das setzt aber eine Sensibilität für die Lage der Mitwelt, des Vaterlandes, der Nation, der Gemeinschaft voraus. Und es setzt voraus, daß in diesem Geschick der Tod die Existenz besiegelt: „Wenn das Dasein vorlaufend den Tod in sich mächtig werden läßt, versteht es sich, frei für ihn, in der eigenen Übermacht seiner endlichen Freiheit, um in dieser, die je nun ist im Gewählthaben der Wahl, die Ohnmacht der Überlassenheit an es selbst zu übernehmen und für die Zufälle der erschlossenen Situation hellsichtig zu werden. Wenn aber das schicksalhafte Dasein als In-derWelt-sein wesenhaft im Mitsein mit anderen existiert, ist sein Geschehen ein Mitgeschehen und bestimmt als Geschick. Damit bezeichnen wir das Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes. Das Geschick setzt sich nicht aus einzelnen Schicksalen zusammen, sowenig als
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Heidegger, Sein und Zeit, 300. Siehe Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958.
Eine Untersuchung
über Ernst Jünger,
Carl
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Das wahre/Wahre Wollen.
das Miteinandersein als ein Zusammenvorkommen mehrerer Subjekte begriffen werden kann. Im Miteinandersein in derselben Welt und in der Entschlossenheit für bestimmte Möglichkeiten sind die Schicksale im vorhinein schon geleitet. In der Mitteilung und im Kampf wird die Macht des Geschickes erst frei. Das schicksalhafte Geschick des Daseins in und mit seiner .Generation' macht das volle, eigentliche Geschehen des Daseins aus." 1 Die Gemeinsamkeit der Individuen bedarf keiner Stiftung, sondern allein der Fähigkeit, des Rufs des Seins zu hören. Quasi naturwüchsig entsteht so Allgemeinheit, gerade weil das einzelne Dasein zur Eigentlichkeit gefunden hat. Politische Ordnung kommt dann ohne unübersichtliche Vermittlungsprozesse aus. Sie drückt sich einfach im Sein aus, das im Kampf für das völkische Geschick die Individuen mit ihrer Endlichkeit konfrontiert. Authentizität benötigt Geschichtlichkeit, um diese Ortsbestimmung möglich zu machen; für Heidegger ist es das „Volk", das zum Fokus der Existenz wird. Die Seins-Wahrheit erhält schließlich im Tod ihre Zeugenschaft. Heideggers Existenzial-Analyse entwirft eine Philosophie der Todesbereitschaft. Erst wenn das Individuum sich auf sein Vergehen, auf das Ende des Daseins hin entworfen hat, ist es authentische Seins-Manifestation. 2 Auch zu diesem kommunitären Heroismus ist das „Man" nicht fähig. 3 Das „Man" tritt als „Drückeberger" auf und bringt die Zeit auf seinen gemeinen Nenner, während Eigentlichkeit darin besteht, der Anwesenheit des vergangenen Seins, der Zugehörigkeit zur Geschichte des Volks, zu ihrem Ausdruck zu verhelfen. An diesem Punkt klärt sich Heideggers Verbindung von „Sein und Zeit". Die bisherigen Ontologien seit der Antike haben seiner Meinung nach Sein mit Gegenwärtigkeit und Anwesenheit gleichgesetzt. Für Heidegger vergeht Sein aber nicht; es ist immer. Damit vergeht aber auch Vergangenheit nicht. Das Erbe der Zeit ist mehr als nur der Gegenwart vorgängig und von dieser ideologisch, als passende Sinnquelle zur Lösung von Gegenwartsproblemen, zu benutzen. Es geht nicht um die Sicherung von Fortschritt, sondern um das adäquate Handeln angesichts existentieller, jedes Individuum und jede Generation treffende, immerwährende Wahrheit des Seins. Nur in der Annahme der Geschichtlichkeit ist der Entwurf für die Zukunft authentisch. Dieser Entwurf muß immer wieder vorgenommen werden. Politik gerät so zur Wiederkehr des ewig gleichen Antretens der Erbschaft jeweiliger Zeiten. Das hat wiederum nichts mit einem Lernen aus der Geschichte zu tun. Vielmehr muß die Geschichtlichkeit als für den Menschen relevante Manifestation des Seins begriffen werden. Das Dasein muß von dieser Geschichtlichkeit durchdrungen sein, es muß Geschichte nicht nur haben, sondern sein. Das gilt für jedes Individuum. Am Ende von Sein und Zeit zitiert Heidegger zustimmend aus einem Brief des Grafen Yorck von Wartenburg an Dilthey, in dem die Erziehung zur individuellen Entscheidung zur eigentlichen staatspolitischen Aufgabe erklärt wird.4 Die Entscheidung für die geschichtliche Situation soll die Individuen in ihrer Existenz bestimmen. Aber diese Gemeinschaft entsteht nicht in der Deliberation; gerade die Öffentlichkeit, also die Sphäre, in der sich das „Erbe" zeigt, erfährt bei Heidegger
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Heideger, Sein und Zeit, 384. Vgl. Hans Ebeling, Heidegger - Geschichte einer Täuschung, Würzburg 1990. Heidegger, Sein und Zeit, 391. Ebd., 403.
Der existentialistische Diskurs
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eine drastische Abwertung.1 Das Gemeinsame muß der Ausdruck des individuellen Daseins sein, es ist Seins-Geschick und muß nicht erst konstituiert werden. Das authentische Individuum ist diese Geschichtlichkeit, hat sich ergreifen lassen vom Sein, hat seine Heroen und seinen Heroismus gewählt. Die Nähe Heideggers zum Nationalsozialismus resultiert nicht nur aus tagespolitischen Entscheidungen der damaligen Zeit, sondern ist im philosophischen und praktischen Bemühen (Rektorat)2, das Handeln der Individuen authentisch werden zu lassen, angelegt. Der antibürgerliche Anspruch des Nationalsozialismus, seine ambivalente Modernität findet in der fundamentalontologischen Begründung der Scheidung des Authentischen vom Inauthentischen Anschluß. Anschaulich tritt die Nähe seiner Ontologie als Daseins-Entwurf zum Tode und zum Totenkult des NS-Staates hervor.
1
Ebd., 127,169. Es verwundert, daß trotz dieser deutlichen Stellungnahme zur Öffentlichkeit als Raum der allgemeinen Deliberation, an der Existential-Analyse von Sein und Zeit nur wenige im weitesten Sinne politikwissenschaftliche Interpretationen Heideggers ansetzen. Eine Ausnahme bilden: Paul Hühnerfeld, in Sachen Heidegger, Hamburg 1959, Winfried Franzen, Von der Existentialontologie zur Seinsgeschichte. Eine Untersuchung über die Philosophie Martin Heideggers, Meisenheim am Glan 1975, Karsten Harris, „Heidegger as a political thinker", in: RM, 29/1976, 642-669, Mark Blitz, Heideggers Being and Time and the Possibility of Political Philosophy, Ithaca und London 1981, Vgl. dazu Gregory Β. Smith, „Heidegger's political thought considered", in: The Review of Politics, 45/ 1983, 299ff, Victor Farias, Heidegger et le nazisme, Paris 1987. Während Jean-Frangois Lyotard, Heideger et ,les juifs', Paris 1988, 109 die Herstellung der Verbindung von Heideggers Parteinahme für den Nationalsozialismus und der Fundamentalontologie für ein totalitäres Manöver hält: „Je repete que toute deduction, meme tres mediatisee, du ,nazisme' heideggerian ä partir du texte de Sein und Zeit est impossible, et qu'ä y proceder on se livrerait ä une smingerie aussi sinistre que fut Γ .instruction' des ,proces' de Moscou." (Hervorhebungen im Original) Alexander Schwan, Politische Philosophie im Denken Heideggers, Opladen 1965 rückt Heideggers Begriff des Kunstwerks in den Mittelpunkt und widmet der Unterscheidung Inauthentizität/Authentizität kaum Beachtung. Entsprechend liest sich diese Arbeit eher wie der Versuch, Heideggers Terminologie des „Werks" für politisches Philosophieren fruchtbar zu machen.
2
Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Das Rektorat 1933/34, Frankfurt/M. 1983, 9, zeigt die politische Operationaliserung seines Authentizitätsdenkens: „Die Übernahme des Rektorats ist die Verpflichtung zur geistigen Führung dieser hohen Schule. Die Gefolgschaft der Lehrer und Schüler erwacht und erstarkt allein aus der wahrhaften und gemeinsamen Verwurzelung im Wesen der deutschen Universität. Dieses Wesen aber kommt erst zu Klarheit, Rang und Macht, wenn zuvörderst und jederzeit die Führer selbst Geführte sind - geführt von der Unerbittlichkeit jenes geistigen Auftrags, der das Schicksal des deutschen Volkes in das Gepräge seiner Geschichte zwingt.", „Der Wille zum Wesen der deutschen Universität ist der Wille zur Wissenschaft als Wille zum geschichtlichen geistigen Auftrag des deutschen Volkes als eines in seinem Staat sich selbst wissenden Volkes. Wissenschaft und deutsches Schicksal müssen zumal im Wesenswillen zur Macht kommen." (10), „Und die geistige Welt eines Volkes ist nicht der Überbau einer Kultur, sowenig wie das Zeughaus für verwendbare Kenntnisse und Werte, sondern sie ist die Macht der tiefsten Bewahrung seiner erd - und bluthaften Kräfte als Macht der innersten Erregung und weitesten Erschütterung des Daseins. Eine geistige Welt allein verbürgt dem Volke die Größe. Denn sie zwingt dazu, daß die ständige Entscheidung zwischen dem Willen zur Größe und dem Gewährenlassen des Verfalls das Schrittgestz wird für den Marsch, den unser Volk in seine künftige Geschichte angetreten hat." (14) (Hervorhebungen im Original).
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Allerdings läßt die Enttäuschung Heideggers nicht lange auf sich warten. Schon 1935 rückt Heidegger in seiner „Einführung in die Metaphysik" von der Realität des Nationalsozialismus ab. Dieser ist für ihn nun auch nur eine weitere Station auf dem Weg der globalen Technisierung und Rationalisierung, der Entfaltung von Herrschaftswillem und Machbarkeitswahn, der Kapitulation des Daseins vor seiner eigentlichen Aufgabe der SeinsOffenbarung. Die Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen wird aber deshalb nicht aufgegeben. Im Rahmen einer Kritik einer unzureichenden Begründung von Normen und Werten in nationalsozialistisch orientierten philosophischen Arbeiten heißt es dort: „Was heute vollends als Philosophie des Nationalsozialismus herumgeboten wird, aber mit der inneren Wahrheit und Größe der Bewegung (nämlich der Begegnung der planetarisch bestimmten Technik und des neuzeitlichen Menschen) nicht das Geringste zu tun hat, das macht seine Fischzüge in diesen trüben Gewässern der ,Werte'und der .Ganzheiten'." 1 Der NS-Staat ist für ihn zur Existential-Analyse und zur ontologischen Fundierung seiner Politik unfähig. Diese Kritik ändert aber nichts an Heideggers Position gegenüber einem authentischen Nationalsozialismus. Bis zum Ende des Krieges finden sich in seinen Texten immer wieder Hinweise auf die Daseins-Wahrheit des eigentlichen Nationalsozialismus bzw. italienischen Faschismus und seiner existentiellen Bedeutung. 2 Folgerichtig hat er an dem Hinweis auf die „Wahrheit und Größe" der ,3ewegung" auch in einer 1953 publizierten Neuausgabe der „Einführung in die Metaphysik" ohne jede weitere Erläuterung festgehalten. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Heidegger die Bedingung der Möglichkeit legitimer individueller Zustimmung zur Herrschaftsordnung in einer Authentizität verortet, die nur einem Dasein zugestanden wird, in dem sich das Sein offenbart. Der Ort des Authentischen ist nirgendwo und das eigentliche Dasein doch fern der Politik, die selbst zum Eigentlichen des Ausnahmezustands, der das Individuum ins „Geschick" stellt, nicht durchdringt und in der Betriebsamkeit des Tages, in der Geschäftigkeit und der Klientelwirtschaft des „Man" verharrt.
1
Ders., Einführung in die Metaphysik (1935),Gesamtausgabe, Bd. 40, 4. Auflage Frankfurt/M. 1976, 208. Für die Neuausgabe hat Heidegger allerdings die Klammer eingefügt. So soll die Bedeutung der „Bewegung" auf den Zusammenstoß von Sein und Technik begrenzt bleiben. Damit wird die ontologische Grundlegung (Dasein, Eigentlichkeit in Entschluß zur Situation und im Entwurf der Existenz zum Tod, Aufgehen in der Geschichtlichkeit des Geschicks der Gemeinschaft) nicht dementiert. Zu Heideggers Kritik an anderen Philosophen und ihre Nähe zum Regime: George Leaman, Heidegger im Kontext. Gesamtüberblick zum NS-Engagement der Universitätsphilosophen, Hamburg und Berlin 1993.
2
Zitate aus Heideggers Vorlesungen der Zeit finden sich bei Nicolas Tertulian, „Seinsgeschichte als Legitimation der Politik", in: Kemper (Hrsg.), Heidegger, 51-72. Heideggers politische Stellungnahmen zwischen 1933 und 1945 sind nicht erst durch Farias bekannt geworden, sondern durch die bibliographischen Arbeiten von Paul Hühnerfeld und Guido Schneeberger, Ergänzungen zu einer Heidegger Bibliographie, Bern 1960 und Ders., Nachlese zu Heidegger. Dokumente zu seinem Leben und Denken, Bern 1962.
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4.3.2 Sartre: Vom solipsistischen Individuum zur authentischen Situation Im Gegensatz zu Heidegger weist Sartre bei der Analyse der existentialen Strukturen dem Bewußtsein der Individuen die entscheidende Rolle zu. Probleme der subjektiven Findung des Selbst und der Daseins-Führung sind für ihn Probleme der wachen Reflexion. So kommt seine Ontologie gleichsam cartesianisch daher, als Nachdenken über die Bedingungen der Möglichkeit, ein authentisches Bild von sich zu erhalten. In seinem philosophischen Hauptwerk L'etre et le neant heißt es dann auch folgerichtig, daß das Bewußtsein „ ... est non la totalite de l'etre humain, mais le noyau instantane de cet etre."1 Das Bewußtsein kehrt als Kern der personalen Identität in die Ontologie zurück. Diese Engführung der Untersuchung führt nicht nur zu einer Gleichsetzung von „Sein" und menschlicher Existenz, sondern stellt deren Repräsentationen in den Mittelpunkt der Analyse. Wichtig für Sartre ist, welche Bilder sich die Individuen von sich selbst und den jeweils anderen machen. Damit wird aber die Prüfung der Authentizität/Inauthentizität dieser Bilder zur permanenten Aufgabe der Individuen und ihrer phänomenologisch geschulten Beobachter. Dabei lehnt Sartre aber jede essentialistische Bestimmung menschlicher Wesenskerne ab.2 Die gewonnenen Bilder verweisen nicht auf eine richtig oder falsch gespiegelte innere Substanz der Subjekte. Sie sind Konstruktionen und als solche allein mit den existentiellen Selbst-Entwürfen der Individuen vergleichbar. Zu überprüfen bleibt, ob die einzelnen ein adäquates Bewußtsein dieser Selbst-Konstruktion besitzen. Jedes Subjekt schöpft sich selbst in völliger Abgeschiedenheit von den anderen Individuen. Der jeweilige Identitäts-Entwurf wird aus Einsamkeit und Freiheit heraus geboren. Dem individuellen Konstruktionismus sind dabei zunächst keine Grenzen gesetzt. 3 Das Selbst ist nur seinem Willen unterworfen; es findet für seine Konstruktion keinen metaphysischen
1
Jean-Paul Sartre, L'etre et le neant. Essai d'ontologie phenomenologique (1943), 24. Auflage Paris 1949,111. Die Deutung der Frage nach dem „Sein" als Bewußtseinsproblem geht auf das Studium von Husserls Schriften zurück und findet ihren philosophischen Ausdruck in Sartres zwischen 1931 und 1939 verfaßten Essays (insbesondere „La transcendence de l'ego" 1936, ,,L'imagination" 1936, „Esquisse d'une theorie des emotions" 1939) und seiner 1940 veröffentlichten Studie L'Imaginaire, Psychologie phenomenologique de I'imagination. Im Rahmen der vorliegenden Studie kann den Aporien dieser Reduktion der Frage nach dem Dasein auf ein Bewußtseinsproblem nicht nachgegangen werden. Der Hinweis soll an dieser Stelle genügen, daß mit der Betonung des Selbst-Entwurfs und eines Bewußtseins von ihm das Subjekt zu seinem eigenen Objekt wird und damit offen bleibt, von welcher Position diese Selbst-Objektivierung vorgenommen wird. Wie wendet das Subjekt die Unterscheidung Authentisch/Inauthentisch auf sich selber an und welche Beobachterposition muß es (welches Subjekt ist es dann?) dabei einnehmen? Vgl. dazu: Manfred Frank (Hrsg.), Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, 2. Auflage Frankfurt/M. 1993. Dazu auch: William G. Smith, „Authenticity in Sartre's early work", in: South West Philosophical Studies, Spring 1989, 65-72.
2
Vgl. Joseph Catalano, „Authenticity: a Sartrean perspective", in: The Philosophical Forum, 22/1990, 99-119. Linda A. Bell, „Loser wins: the importance of play in a Sartrean ethics of authenticity", in: William L. McBride/Calvin O. Schräg (Hrsg.), Phenomenology in a Pluralistic Context, Albany 1983, 5 - 1 4 zeigt, wie Sartre dieses Bewußtsein der Kontingenz in die Metapher des Spiels kleidet. Alle Akteure sind Spieler und damit auch immer Ausgelieferte. Das authentische Individuum stellt sich diesem Hasard bewußt.
3
Sartre, L'etre et le neant, 77.
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Das wahre/Wahre Wollen.
Halt und sieht sich deshalb mit einem Abgrund der Sinnlosigkeit konfrontiert. Jeder substantialistische Begriff „des" Menschen verfällt der säkularisierten Kritik des falschen Allgemeinen: „l'homme est une passion inutile". 1 Es gibt für die notwendige individuelle Selbst-Schöpfung keine Rechtfertigung, aber Verantwortlichkeit. Das Individuum ist also in einer Zwickmühle gefangen. Einerseits kann es keine allgemeinen Wahrheiten über sich und seine Existenz erhalten, andererseits wird es für dieses orientierungslose Dasein verantwortlich gemacht. Diese absolute Freiheit zur Konstruktion der Individualität fundiert alle Wertungen und Normen. 2 Die absolute Freiheit bringt die Angst als existentielles Urphänomen in die Welt, geht doch die Notwendigkeit des Selbst-Entwurfes mit der Angst vor dem Versagen angesichts dieser Aufgabe einher. In enger Anlehnung an Kierkegaard entwickelt Sartre an dieser Stelle quasi eine auf der Ebene des einzelnen angesiedelten Idee von dem Zusammenhang zwischen der unvermeidbaren metaphysischen Haltlosigkeit und einem daraus resultierenden Zwang zur Selbstbehauptung.3 Auch in diesem Mikrokosmos der phänomenologischen Untersuchung subjektiver Angst gebiert der Verweis des Individuums auf seine eigenen Sinnressourcen einen Bedarf an Wissen. Die permanente Anpassung des Eigenentwurfs an die DaseinsFührung setzt Selbst-Kontrolle voraus. Folgerichtig steht im Zentrum von L'etre et le neant die Forderung nach einer „psychanalyse existentielle" 4 , in der dem einzelnen Wissen über sich gegen die Sinnlosigkeits-Angst injiziert werden soll. In der monadischen Konstruktion von Individualität, wie sie in „L'etre et le neant" deutlich wird, kommt solcher Aufklärung über sich selbst große Bedeutung zu. Sartre wird in späteren Schriften dieses Konzept eines solipsistischen Subjekts durch eine Gesellschaftsanalyse bereichern (siehe Kapitel 4.3.2.2.), aber auch dann bleibt dieser Imperativ der Selbst-Aufklärung bestehen. Die Verknüpfung individueller Selbst-Konstruktion mit einer Untersuchung der authentischen/inauthentischen Bilder (Bewußtseinsinhalte) dieser Konstruktionen führt Sartre zu einer neuen Unterscheidung. Die Sichtweisen der Individuen auf sich selbst können danach wahrhaftig oder unwahrhaftig sein, wobei die „mauvaise foi" (Unwahrhaftigkeit)5 überwiegt. Die Existenz befindet sich ursprünglich im Zustand der Illusion, des Scheins, eben der Unwahrhaftigkeit, während der Durchbruch zur „foi" (Wahrhaftigkeit) einen schmerzhaften Analyseprozeß voraussetzt. Diese Reflexion steht notwendig immer in Distanz zur Existenz, weil im Moment der Selbst-Analyse das Selbst-Sein nicht vollzogen wird. Um es an einem
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4
5
Ebd., 708. Ebd., 76. Vgl. William McBride, „Sartre's debt to Kierkegaard: a partial reckoning", in: Martin J. Matusik/ Merold Westphal, Kierkegaard in Post/Modernity, Bloomington 1995, 18-42. Sartre, L'etre et le neant, 721. Folgerichtig gibt es dann auch in Josef Rattners (Hrsg.), Pioniere der Tiefenpsychologie, Wien und München 1979, 297-334. ein langes, von Günter Zurhorst verfaßtes Kapitel Uber Sartre. Nur am Rande sei bemerkt, daß Sartre Freuds Annahmen zur Triebhydraulik und zur überragenden Bedeutung der Sexualität kritisiert. Die Übersetzung „mauvaise foi" mit „Unwahrhaftigkeit" trifft den Kern von Sartres Wortgebrauch, wenn auch die wörtliche Übersetzung „Bösgläubigkeit" lauten müßte. Die Übersetzung mit „Wahrhaftigkeit" findet sich auch in der deutschen Fassung von L'etre et le neant (Das Sein und das Nichts, Frankfurt/M. 1962, übersetzt von Justus Streller, Karl August Ott und Alexa Wagner, 117, Fußnote zur Übersetzung) und in der deutsch- und englischsprachigen (bad faith/good faith) Sekundärliteratur.
Der existentialistische Diskurs
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Beispiel zu verdeutlichen, das auch Sartre wählt: Solange ich darüber nachdenke, was es bedeutet ein Kellner zu sein, kann ich nicht gleichzeitig Kellner sein, Bestellungen aufnehmen, servieren, kassieren usw. Die Reflexion entfernt das Individuum deshalb immer von seinen Rollen. Schmerzhaft ist diese Selbst-Aufklärung insbesondere deshalb, weil der authentische Blick immer nur die Freiheit zum Selbst-Entwurf, also die Kontingenz der gewählten Identität wahrnehmen kann. 1 Letztlich ist der Mensch „nichts", sondern nur eine Vorstellung des Individuums von sich. Sartre kommt zu der paradoxen Formulierung, der Mensch sei, was er nicht sei, und sei nicht, was er sei. Solange er ist, kommt er nicht zur Reflexion, kommt er aber zur Reflexion, hört er auf zu sein. Es gibt für die Konstruktion der Identität damit kein materielles Fundament. So tritt die „mauvaise foi" in die Welt. 2 Dieses Existential der Selbst-Täuschung wird noch im weiteren Verlauf dieses Abschnittes näher untersucht. Zuvor muß noch auf eine andere Einschränkung der Selbstbestimmung hingewiesen werden, denn nicht nur der einzelne entwickelt ein Bild von sich selbst, sondern die jeweils anderen bringen auch Vorstellungen über diesen einzelnen hervor. Die authentische Repräsentation wird durch diese FremdBeobachtung bedroht. Der Blick der anderen würdigt die Subjektivität des einzelnen zum Objekt herab. Die Individuen begegnen sich nicht in ihrer jeweiligen Wahrhaftigkeit, sondern werden auf stereotype Rollen festgelegt. Sartre führt das wieder am Beispiel eines Kellners aus, der von seinen Kunden in dieses Bild einer Funktion eingesperrt wird und in seiner ganzen Existenz, seinem Dasein, dieser Fremdbestimmung, dieser Verdinglichung nicht entkommt. Die anderen zwingen das Subjekt in den Identitäts-Kerker, weil sie Repräsentionen verlangen und sich selbst Bilder machen. 3 Ein an dieser Stelle zu Tage tretender Widerspruch in Sartres Überlegungen soll nur am Rande abgehandelt werden. Einerseits bindet Sartre die Signatur des Individuums an dessen existentielle Entscheidungen über seine Lebensführung, andererseits wird diese offene Prozeßhaftigkeit durch die essentialistische Feststellung, der Mensch sei „nichts", aufgehoben, denn auch ein „Nichts" ist etwas. Dieser Widerspruch wird auch nicht dadurch beseitigt, daß für Sartre das „Nichts" für die Tätigkeit des Bewußtseins steht, die über den Dingen, jenseits materieller Fundierung verrichtet wird. Gerade weil es an nichts haftet, ist das Bewußtsein frei. Damit trennt sich Sartre nicht von einer substantialistischen Definition des Menschlichen. 4
1
Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt/M. 1989, 153 beschreibt die Schmerzhaftigkeit der Kontingenzerfahrung. Aber Sartre läßt den ironischen Blick auf die eigene Kontingenz nicht zu und wird mit der Feststellung, daß der Mensch „nichts" sei, metaphysisch. Sartre geht es um die Entschleierung des wahren Selbst (Rorty, 154) und nicht um die kontingente Selbstbeschreibung. Dieser Essentialismus wirkt nach Rorty machtgenerierend (ebd, 154). An genau dieser Stelle der Präsentation einer Fundamentalontologie ist die Verknüpfung von Philosophie und Politik in Sartres Werk angelegt.
2
Sartre, L'etre et le neant, 105: „Ainsi, la structure essentielle de la sincerite ne diffcre pas de celle de la mauvaise foi, puisque l'homme sincere se constitue comme ce qu'il est pour ne l'etre pas." (Hervorhebungen im Original). Ebd., 99. Vgl. die ähnlich gelagerte Kritik Martin Heideggers, „Brief über den Humanismus" (1949), in: Ders., Wegmarken, Frankfurt/M. 1976, 328f, der gegenüber Sartre den Vorwurf des Metaphysismus erhebt. Hier wird die Nähe Rortys zu Heidegger klar; beide vereint ihr Anti-essentialismus, aus dem sie aber
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Für die hier vorzunehmende Untersuchung der Verbindung von Konzepten individueller Authentizität mit der Begründung legitimer Herrschaft ist jedoch der Aspekt der Verdinglichung durch die Rollenzuschreibung der anderen wichtiger. Der individuelle Selbst-Entwurf wird durch die „Hölle, die die anderen sind" (L'enfer, c'est les Autres) vernichtet.1 In seinem Hauptwerk stellt sich Sartre der Prozeß der Vergesellschaftung als gegenseitige Dekonstruktion von Selbst-Bildem dar. Der Blick der anderen wird grundsätzlich als Versuch der Freiheitsminderung möglicher Selbst-Konstruktionen wahrgenommen. Er reduziert den Angeschauten auf eine Sache, entkleidet ihn seiner Freiheit und damit seiner Menschlichkeit.2 Das authentische Individuum kann sich nun aber über die prinzipielle Bedrohung seiner Unverwechselbarkeit Rechenschaft ablegen. Diese Wahrhaftigkeit angesichts der Demütigung durch die anderen, die die einzelnen immer zu ihren „Kellnern" machen wollen (um im Bild zu bleiben), die am einzelnen immer nur instrumenteil interessiert sind, markiert die wahre Existenz. Das Individuum entwirft sich in absoluter Freiheit Für-Sich, existiert dabei auch immer Für-Andere und steht so in der Gefahr zum An-Sich zu kristallisieren, die Rolle anzunehmen und für seinen Existenz-Entwurf zu halten, zum Ding zu werden. 3 4.3.2.1
Unwahrhaftigkeit
als Grundmodus der Existenz
Sartre weist die Interpretation zurück, seine Unterscheidung „mauvaise foi/bonne foi" korrespondiere mit Lüge und Selbst-Betrug. Im Gegenteil können für ihn gerade auch die Versuche des Individuums, sich über sich aufzuklären, Ausdruck von Unwahrhaftigkeit sein. „La mauvaise foi" gehört zu den Strukturmustern des Seins, denen nur schwer zu entkommen ist.4 Die Unwahrhaftigkeit wirkt wie ein schleichendes Gift. Sie beginnt mit der kleinen Illusion über die individuelle Lage. Sie polstert die harte Realität ab und
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unterschiedliche Schlußfolgerangen im Hinblick auf das Politische ziehen. Dieser Satz verdichtet den Sartreschen Existentialismus zum Slogan. Er stammt aus dem 1944 aufgeführten Drama Huis clos (dt. Titel: Geschlossene Gesellschaft). Mitchell Aboulafia, The Mediating Self. Mead, Sartre, and Self-Determination, New Haven und London 1986, 42, bestreitet die solipsistische Konstruktion. Leider geht er in seiner Interpretation auf die Konfliktorientierung in Sartres Gesellschaftsbegriff gar nicht ein. Er berücksichtigt auch nicht, daß Sartre selbst zwar versucht, die Klippe des Solipsismus zu umschiffen (L'etre et le neant, S.277ff.), aber in der Konzedierung, daß zwischen dem Selbst und den anderen eine strukturelle Koppelung und somit ein Verstehen der anderen möglich ist, immer auf den Konflikt als primordiales Phänomen verweist. In der Interaktion sieht Sartre nur Versuche, im Kampf um die Selbstbestimmung die anderen zu unterwerfen und deren Identität zu bestimmen. Letztlich bleibt das Individuum auch in der Interaktion immer bei sich und setzt seine Welt. Ein Steuerungskreislauf, wie ihn etwa Meads Interaktionsmodell beschreibt und damit ein wechselseitiges Eingehen auf die Signale, die ego/alter ego aussenden, findet sich bei Sartre nicht. Er kennt nur den Konflikt, die Unterwerfung und Einverleibung. Auch die breite Behandlung der Unterscheidung Authentizität/Inauthentizität in Sartres, Les carnets de la drole de guerre, novembre 1939 - mars 1940, Paris 1983 zeigt noch keinen Bruch mit diesem monadischen Konzept, obwohl an einigen Stellen schon der Begriff der „Situation", in der das authentische Individuum ganz zu sich kommt, auftaucht. Siehe dazu das bildkräftige Kapitel „Le Regard" in L'etre et le neant, 310-368. Zur Unterwerfung durch den Blick: Susanne Kappeler, Pornographie - Die Macht der Darstellung, München 1988. Sartre, L'etre et le neant, 108. Ebd., 109.
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verschleiert den Blick auf sie. „La mauvaise foi" das ist die „Traumhölle des Justemilieu"1, die jeden Kontakt zur unliebsamen Wirklichkeit vermeidet. Sartre greift mit seiner Unterscheidung Unwahrhaftigkeit/Wahrhaftigkeit traditionelle Inhalte einer Kritik am Illusionismus der bürgerlichen Gesellschaft auf (siehe Kapitel 4.2.3. der vorliegenden Studie). „Schlaf" und „Traum" stehen für das zeitweilig untergegangene Bewußtsein. Alles kann als scheinhaft gelten, und selbst die Selbst-Kritik steht in der Gefahr unwahrhaftig zu werden; bequem geträumt statt bewußt gelebt. Die Illusionslosigkeit der eigenen Daseins-Führung gerät zur leeren Pose: „La condition de possibilite de la mauvaise foi, c'est que la realite humaine, dans son etre le plus immediat, dans Γ infrastructure du cogito prereflexif, soit ce qu'elle n'est pas et ne soit pas ce qu'elle est." 2 Der gesellschaftskritische Impuls bestimmt deutlich den begrifflichen Rahmen Sartres. Einerseits soll die Unwahrhaftigkeit eine existentiale Grundstruktur bezeichnen, andererseits wird ihre Beschreibung deutlich als Pathographie angelegt. Das Individuum verfällt der Unwahrhaftigkeit, die zunächst unscheinbare Symptome produziert, aber eine Eigendynamik entwickelt, immer gefährlicher wird und schließlich „metastabil" einfachen Therapien widersteht. Doch wenn die „mauvaise foi" als Krankheit angesehen wird, dann muß es einen Zustand der Wahrhaftigkeit, der Gesundheit geben. Aber ähnlich wie Heidegger kleidet Sartre seine Kritik an den Pathologien der bürgerlichen Gesellschaft in die Rhetorik des Abstiegs, des Verlustes von „Gesundheit", ohne jedoch angeben zu können, wann denn bessere Verhältnisse vorhanden gewesen seien und warum der Verfall dieser besseren Zustände eingesetzt habe. Für ihn ist der Zustand der Inauthentizität der ursprüngliche. Diese Vorstellung geht soweit, daß politisches Handeln in der inauthentischen Gesellschaft als notwendig selbst inauthentisch angesehen wird. Gegenüber der inauthentischen Gesellschaft gilt allein das Individuum als Hort der Authentizität. 3
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Heinz Maus, Die Traumhölle des Justemilieu. Erinnerungen an die Aufgaben der Kritischen Theorie, herausgegeben von Michael Th. Greven/Gerd van de Moetter, Frankfurt/M. 1981. Vgl. dazu: Anita Albus, „Menschen im Etui", in: Edmond/Jules Goncourt, Blitzlichter. Portraits aus dem 19. Jahrhundert, Nördlingen 1989, 297-311, die das Verhüllen zur Signatur des bürgerlichen Interieurs schlechthin erklärt. Immer wieder stößt man auf den Hinweis, in den Viktorianischen Salons seien sogar die geschwungenen Füße der Konzertflügel umhängt gewesen. Peter Gay, The Bourgeois Experience. Victoria to Freud, vol. 1, Education of the Senses, Oxford und New York 1984 zeigt, daß diese Manie der Verhüllung und Verleugnung der unliebsamen Realität, nur einen Aspekt dieser Gesellschaften beschreibt, die neben Techniken der Verhüllung auch vielfältige Strategien der Wahrheitssuche entwickelten. Und für die zeitgenössischen Formen des bürgerlichen Scheins: Thomas J. Regan, „Sartre, Woody Allen, and authenticity", in: Teaching Philosophy, 14/1991,407-419, der Allens Film „Crimes and Misdemeanors" als Geschichte der katastrophischen Unwahrhaftigkeit deutet.
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Sartre, L'etre et le neant, 108 (Hervorhebung im Original). Ders., Verite et existence (1948). Texte etabli et annote par Arlette Elkai'm-Sartre, Paris 1989,11: „S'il y a un mode d'etre commun qui est l'inauthenticite, alors toute l'Histoire est inauthentique et Taction dans l'Histoire entraine äl'inauthenticite; l'authenticite retoume äl'individualisme. Reciproquement, si la nature de l'homme est au bout de l'Histoire, l'inauthenticite doit etre voulue pour elle-meme comme la condition meme de la lutte historique. Toute doctrine de la conversion risque fort d'etre un a-historisme. Toute doctrine de lTiistoricite risque fort d'etre un amoralisme." Wahrheit und Existenz zeigt, wie Sartre Mitte/Ende der vierziger Jahre verstärkt versucht, seine Vorstellung vom authentischen einzelnen in eine Theorie der Gesellschaft einzubetten, in der der Solipsismus überwunden wird. Allerdings kommt er auch in diesem Text über einen Dualismus Individuum versus
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Das wahre/Wahre Wollen.
Die Unterscheidung von Authentizität/Inauthentizität wird von Sartre mit dem Begriff der „mauvaise foi" verknüpft. Diese Unterscheidung erhält eine weitere Differenzierung, denn wenn die Unwahrhaftigkeit zum Existential geworden ist, dann kann immer gefragt werden, ob die Vorstellungen der Individuen von sich wirklich authentisch sind oder nicht. Die Suche nach dem Authentischen wird schließlich bodenlos; selbst die Unwahrhaftigkeit kann je nachdem authentische Repräsentation des wahren Antlitzes oder inauthentische Maske sein.1 Die Fortsetzung der Unterscheidung „mauvaise foi/bonne foi" auf der Seite der Wahrhaftigkeit ist in L' etre et le neant angedeutet, wird aber nicht ausgeführt. Es heißt dazu lediglich in einer Fußnote: „S'il est indifferent d'etre de bonne ou de mauvaise foi, parce que la mauvaise foi ressaisit la bonne foi et se glisse ä l'origine meme de son projet, cela ne veut pas dire qu'on ne puisse echapper radicalement ä la mauvaise foi. Mais cela suppose une reprise de l'etre pourri par lui-meme que nous nommerons authenticite et dont la description n'a pas place ici." 2 In einer Karthasis muß sich das unwahrhaftige Individuum als unwahrhaftig annehmen. So kommt es zu einem authentischen Selbst-Ausdruck, der dann wieder wahrhaftig ist. Auch dieser Widerspruch bleibt unbearbeitet, denn entweder gibt es eine authentische Unwahrhaftigkeit, dann fällt das Authentische als moralische Kategorie aus, oder der Begriff des Authentischen bleibt moralisch (als „gut") konnotiert, dann kann es aber keinen Zustand der authentischen „mauvaise foi" geben. Sartre, das macht auch das obige Zitat deutlich, hängt offensichtlich dem letzteren Gedanken nach, ohne die damit gegebenen konzeptionellen Konsequenzen deutlich herauszuarbeiten. Es ist im Verlauf dieses Abschnittes schon angedeutet worden, daß für Sartre - ungeachtet seiner späten Annäherung an den Hegel-Marxismus - dieser Durchbruch zur Authentizität vor allem in der reinen psychoanalytischen Reflexion besteht. Doch viel größeren Raum als solche therapeutischen Überlegungen nimmt bei ihm die Pathographie der Unwahrhaftigkeit und Inauthentizität ein. Bezeichnenderweise differenziert Sartre die Unterscheidung Unwahrhaftigkeit/Wahrhaftigkeit im Sein und das Nichts auf der Seite der „mauvaise foi" weiter aus. Für ihn ist das Für-Andere-Sein eine Form der persönlichen Unterwerfung unter ein fremdes Regime, wobei diese Art der Kolonialisierung der Identität von allen Individuen ausgeübt wird. Sartre sieht die Interaktion zwischen den einzelnen als allein am IdentitätsKonflikt orientiert an. Vergesellschaftung ist immer mit Machtausübung verbunden. Der andere wird in seiner Unverwechselbarkeit negiert und objektiviert. Entscheidend ist allein, wer in diesem permanenten Kampf um Durchsetzung seines Anspruchs auf Individualität siegreich bleibt. Der andere stellt sich dar: „ ... comme la negation radicale de mon experience, puisqu'il est celui pour qui je suis non sujet mais objet. Je m'efforce done, comme sujet de connaissance, de determiner comme objet le sujet qui nie mon caractere de sujet et me determine lui-meme comme objet... Tout ce qui vaut pour moi vaut pour autrui. Pendant
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Gesellschaft nicht hinaus. Vielmehr erkennt er die Pathologie der Gesellschaft als unumgängliche Bedingung des politischen Handels an. Es entsteht das Pathos der prinzipiellen Schuldbeladenheit und des Zynismus', der „schmutzigen Hände", ohne die es im politischen Handeln nicht gehe. Ders., L'etre et le neant, 108: „La condition de possibilite de la mauvaise foi, e'est que la realite humaine, dans son etre le plus immediat, dans l'intrastructure du cogito prereflexif, soit ce qu'elle n'est pas et ne soit pas ce qu'elle est." Ebd., 111.
Der existentialistische Diskurs
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que je tente de me liberer de l'emprise d'autiui, autrui tente de se liberer de la mienne; pendant que je cherche ä asservir autrui, autrui cherche ä m'asservir. II ne s'agit nullement ici de relations unilaterales avec un objet-en-soi, mais de rapports reciproques et mouvants. Les descriptions qui vont suivre doivent done etre envisagees dans la perspective du conflit. Le conflit est le sens originel de l'etre-pour-autrui." 1 Der Konflikt ist der ursprüngliche Zustand im Verhältnis der einzelnen zu einander. Selbst die „Liebe" ist als primordiale Haltung gegenüber den anderen, wie die Spache, von Einverleibungs- und Dominanzabsichten bestimmt. Letztlich bestimmen Gleichgültigkeit, Begierde, Haß, Sadismus die Beziehung zum anderen. Sartre kommt in dieser Argumentation über eine Beschreibung der sich unversöhnlich gegenüberstehenden Individuen und ihren Anerkennungsansprüchen nicht hinaus. Einige Interpreten deuten dieses Menschenbild irrtümlicherweise als von Hobbes bestimmt. 2 Aber Hobbes entwirft eine negative Anthropologie nur insoweit, als er gedankenexperimentell der Frage nachgeht, wie sich die einzelnen verhalten werden, wenn es keine gewaltmonopolisierende Zentralinstanz gibt. Der status hobbesienne zeigt die Individuen als unter den Bedingungen allgemeiner Regellosigkeit ihre Selbstbehauptung betreibende Subjekte, die schließlich im Sozialvertrag ihre Interaktionen kostengünstiger regeln können und wollen. Davon ist Sartre weit entfernt, der im Sein und das Nichts ein pessimistisches Menschenbild präsentiert, aus dem heraus kein Weg zur legitimen sozialen Ordnung führt. Es dominiert der Ton eines überlegenen Wissens über die Wahrheit der Existenz, das Handlungen vor allem unter den Verdacht des Unwahrhaftigen und Inauthentischen stellt und politisches Handeln nur delegitimieren kann. Im Blick auf die Inauthentizität wird alles beliebig. Es gibt allenfalls noch individuelle Idiosynkrasien, die aber sozial nicht anschlußfähig und nicht begründungsfähig sind, sondern in der existentiellen Psychoanalyse bestenfalls durchschaubar gemacht werden können. Der Existentialismus mündet in einem Relativismus. Allein der Beobachter kann die Größenphantasien der sich für gottgleich haltenden Individuen dekonstruieren, und er erkennt im einsamen Säufer genausoviel (oder wenig) Wahrhaftigkeit wie im politischen Führer. 3 Jede konkrete Füllung der existentiellen Freiheit zum Selbst-Entwurf bedeutet, sich der Blicke der anderen preiszugeben und zum Ding zu erstarren. Sartres Position kommt hier über die Rolle des passiven und mit überlegenem Wissen ausgestatteten Vivisekteurs nicht hinaus. Vom späteren Programm der Parteinahme des Intellektuellen für stigmatisierte Minderheiten findet sich in L' etre et le neant noch nichts. Eine Hoffnung auf Überwindung der entfremdeten Verhältnisse wird zwar artikuliert, aber nicht weiter bearbeitet.4 Es bleibt bei ganz allgemein gehaltenen Aufforderungen, endlich „die Umkehr" zu beginnen. Im Mittelpunkt einer solchen Konversion steht neben der reinen Reflexion die Anerkennung der Freiheit um ihrer selbst willen. Die Individuen sollen sich ihrer Kontingenz nicht nur bewußt bleiben, sondern sich
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Ebd., 283 (bis zur zweiten Auslassung), 431. Vgl.ThomasC. Anderson, The Foundation and Structure of Sartrean Ethics, Lawrence/Ks. 1979,123. Sartre, L'etre et le neant, 721. Ebd., 484: „Ces considerations n'excluent pas la possibilite d'une morale de la delivrance et du salut. Mais celle-ci doit etre atteinte au terme d'une conversion radicale dont nous ne pouvons parier ici."
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Das wahre/Wahre Wollen.
in ihr einrichten. 1 Diese Freiheit als Selbstzweck ist aber wiederum eine widersprüchliche Figur, denn schließlich gerinnt auch in ihr das Individuum zu einem spezifischen Ausdruck. Frei zu sein, ist eine Festlegung, eine Kristallisierung, wie unfrei zu sein und/oder „Kellner" zu sein. Die Freiheit-von-etwas bleibt negativ und unbestimmt, die Freiheit-zu-etwas bedeutet aber immer eine Entscheidung. 2 Sartre sieht nicht, daß der Begriff der absoluten Freiheit einen Widerspruch enthält, denn jede Vorstellung von Freiheit benötigt eine Grenze zur Unfreiheit. Es kann keinen Gedanken an Freiheit geben, ohne zugleich einen Zustand der Unfreiheit mitzudenken. Der Selbst-Entwurf ist ohne Selektion, ohne Ausschließung und damit ohne Entfremdung von der existentiellen Unbestimmtheit nicht möglich. Damit erfährt sich jede Identität im Wortsinne als Festlegung und Einhegung, so offen und frei sie sich auch verstehen mag. An diesem Problem setzt Sartre in seinen sich an L'etre et le neant anschließenden Überlegungen an. Es geht ihm um die Formulierung einer Bindung der individuellen Selbstbestimmung an eine Vergesellschaftung, die ohne Freiheitsverlust auskommt. Sartre bearbeitet damit das Grundproblem der Versöhnung des unverwechselbar Besonderen mit dem Allgemeinen im Programm eines politisierten und radikalisierten Existentialismus. 4.3.2.2
Das Stigma und die Revolte der
Authentizität
Aus der Hölle der Unwahrhaftigkeit, die sich als Echtheit tamt oder sogar im authentischen Bild zum Ausdruck kommen kann, läßt der Solipsismus, wie er deutlich L'etre et le neant prägt, kein Entrinnen zu. Allerdings reduziert Sartre selbst schließlich die Reichweite seiner Ontologie. Von dem Anspruch, analog zu Heidegger eine Bestimmung der Existenz des Menschen schlechthin vorgenommen zu haben, rückt er schließlich ab. Das Sein und das Nichts wird in den Selbst-Deutungen Sartres zu einer Pathographie der bürgerlichen Gesellschaft. 3 Mit dieser Engführung seiner philosophischen Anthropologie gewinnt er die Möglichkeit, durch eine Identifizierung mit den durch die bürgerliche Gesellschaft Stigmatisierten eine Gegenposition zur „mauvaise foi" und zur wirklichen Inauthentizität aufzubauen. Gegen die Unwahrheiten und Illusionen der bürgerlichen Gesellschaft soll die wirkliche Authentizität und „bonne foi" der Ausgestoßenen mobilisiert werden. Aus Sartres nach 1945 einsetzender Beschäftigung mit sozialen Minderheiten und Deklassierten erwächst ein Maßstab, vor deren Hintergrund eine neue Unterscheidung des Inauthentischen/ Authentischen, zwischen „mauvaise foi/bonne foi" vorgenommen werden kann. Auf seine Beschäftigung mit dem Antisemitismus und der Authentizität des sich zu seinem Stigma bekennenden Juden 4 ist schon zu Beginn dieser Studie hingewiesen worden (Kapitel 2.4.). Darauf folgen Arbeiten zur Authentizität von Devianz und Homosexualität,5 der antikolonia-
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Ebd., 7 2 2 versucht Sartre eine positive Bestimmung des Authentischen und kündigt dazu einen Folgeband zu L'etre et le neant an. Er wird nie erscheinen. Die 1983 aus seinem Nachlaß herausgegebenen Cahiers pour une morale enthalten zwar fragmentarische Anmerkungen auch zur Fortsetzung von L'etre et le neant, gehen aber auf die aufgeworfenen Fragen nicht tiefer ein. Vgl. dazu William Smoot, „The concept of authenticity in Sartre", in: MW, 7/1974, 135-148. Vgl. Ders./Philippe Gavi/Pierre Victor, On α raison de se revolter, Paris 1974, 41. Sartre, Reflexion sur la question juive, Paris 1946. Ders., Saint Genet, comedien et martyr, Paris 1952.
Der existentialistische Diskurs
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listischen Befreiungsbewegungen der sog.„Dritten Welt", 1 und der in den sechziger Jahren revoltierenden Arbeiter und Studenten. 2 Die Parteinahme für die Marginalisierten verdankt sich nicht nur moralischen Überlegungen. Zwar hat Sartre - etwa in seiner Kritik am wissenschaftlichen Sozialismus/Marxismus - immer wieder die Unvermeidlichkeit der moralischen Entscheidung betont,3 aber seine Empathie begründet sich vor allem durch die größere Nähe zur Wahrheit der Existenz im Dasein der Randständigen, Verfolgten, Unterdrückten. Diese haben doch gerade durch ihre Stigmatisierung die Chance erhalten, eine wirkliche existentielle Psychoanalyse durchzumachen, die sie schließlich in der Revolte praktisch werden lassen. Die Idee einer existentiellen Psychoanalyse wird im Spätwerk von Sartre also nicht aufgegeben, sondern um die Vorstellung einer Heilung durch Handlung ergänzt. Die Marginalisierten werden vor die Wahl gestellt, entweder ihre Versehrung und Verdinglichung wahrzunehmen oder als Subjekte unterzugehen. In ihrem Aufbegehren manifestiert sich dann ihr ungetrübter Blick auf ihr existentielles Elend. Sie leisten sich keine Illusionen über ihre soziale Stellung mehr. Gesellschaftliche Minderheiten steigen damit zu Trägern von Wahrhaftigkeit und Authentizität auf. Sie werden in eine Situation gebracht, die eine Vermeidung der Wahl unmöglich macht. Solche Lagen hat der universelle Intellektuelle zu erkennen, denn von ihm wird eine Führungsaufgabe erwartet. Er hat sich für die Wahrheit der Existenz ins Handgemenge zu begeben. Nur beiläufig soll angemerkt werden, daß sich diese enge Verknüpfung zwischen der Autonomie der Marginalisierten und ihres Emanzipationsanspruchs auch in Sartres Denken löst und quasi stillschweigend zur Erziehungsaufgabe des intellektuellen Parteigängers, diesen Marginalisierten ihren Status erst vermitteln zu müssen, wird. Authentizität wird zur Eigenschaft der intellektuellen, revolutionären Elite, die „richtig" Partei nimmt. 4
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Ders., Situations IV. Porträts, Paris 1964 und Ders., Situations V. Colonialisme et neocolonialisme, Paris 1964. Vgl. zu dieser Randgruppenstrategie: Stuart Zane Charme, Vulgarity and Authenticity. Dimensions of Otherness in the World of Jean-Paul Sartre, Amherst 1991 und Ders., „Sartre's images of the other and the search for authenticity", in: Human Studies, 14/1991,251-264. Charme arbeitet die Spannung zwischen dem Kultur- und dem Naturbegriff bei Sartre heraus. Zwar wird die antibürgerliche Vulgarität auch naturalisiert, aber in dieser Naturalisierung stecken schon wieder Aspekte der Freiheitsbeschränkung. Als triebbestimmtes Wesen ist der Mensch eben nicht frei zur Selbst-Wahl. Sartres Authentizitätsbegriff ist dann auch zwischen Kritik an der Zivilisation der „mauvaise foi" und Auslieferung an die Diktatur des Natürlichen angesiedelt. Sartre/Gavi/Victor, On α raison, 78ff. Ebd., 96: „II ne fallait pas que l'intellectuel se prit pour un conducteur des peuples, mais qu'il regagne, au plus vite, la place qui l'attendait dans le peuple. Quant aux intellectuels futurs, ä ceux qui ont 15 ou 18 ans aujourd'hui, je comprenais qu'il fallait qu'ils eussent un metier manuel. Le P.C., je vous l'ai dit, m'a debarrasse de ma nevrose d'ecrivain." An dieser Stelle unterwirft sich Sartre dem Führungsanspruch der authentischen Massen, aber daneben finden sich zahlreiche Hinweise, dem Volk müßten erst die Augen geöffnet werden: „II faut leur decouvrir ce qu'ils ne supportent pas, mais qu'ils croient inchangeable - la realit6, quoi - parce qu'ils ne peuvent le changer, faute d'etre rassembles." (ebd., 53). Auch eine traditionelle Kritik der Bedürfnisse der Marginalisierten, die nicht auf die Revolte zielen, nimmt Sartre vor. Siehe etwa Ders., „Masses, spontaneite, parti", in: Ders., Situations VIII. Autour de 68, Paris 1972, 272. Den Massen muß die Realität gezeigt werden. Auch wenn sich Sartre
128
Das wahre/Wahre Wollen.
Aber für den hier zu entfaltenden Diskussionszusammenhang ist der Hinweis wichtiger, daß ungeachtet aller Avantgarde-Ansprüche, allein die Organisationsformen der Stigmatisierten, ihr Zusammenschluß zur revoltierenden Masse, eine Überwindung der Isolation des bürgerlichen Individuums und damit eine Heilung seiner auf Unterdrückung der anderen zielenden Psychopathologie möglich werden läßt. In der Aktion transzendiert sich das monadische Subjekt. Sartres Übernahme von Kategorien des hegelianisch-marxistischen Denkens in seine Ontologie konzentriert sich auf diese Verbindung von Individualität und revolutionärer Handlung. Dabei folgt er konsequent dem methodologischen Individualismus, der in seiner philosophischen Anthropologie angelegt ist. Der einzelne bleibt Schöpfer seines Selbst und prinzipiell frei. Diese Offenheit zur Konstruktion von personaler Identität widerspricht jeder geschichtsphilosophischen, teleologischen Spekulation, wie sie gerade auch den Hegel-Marxismus bestimmt. Sowohl in der Vorstellung des sich in der Geschichte zum Selbst-Bewußtsein verwirklichenden Geistes als auch in dem Konzept eines den gesellschaftlichen Fortschritt antreibenden Konfliktes zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, kommt der Handlung des rebellierenden Individuums nur indirekte Bedeutung zu. Die eigentliche Geschichte vollzieht sich hinter seinem Rücken. Ein solcher Determinismus ist mit der Idee einer prinzipiellen Freiheit der Subjekte unvereinbar. Sartre versucht nun, in der Revolte der Marginalisierten eine Verbindung von Handlung und überindividueller Gesellschaftsstruktur zu finden. Diesen Bemühungen ist seine 1960 veröffentlichte Critique de la raison dialectique gewidmet. Dort heißt es: ,J1 y a des personnes qui se defmissent tout entieres par la societe ä laquelle elles appartiennent et par le mouvement historique qui les entraine; si nous ne voulons pas que la dialectique redevienne une loi divine, une fatalite metaphysique, il faut qu'elle vienne des individus et non de je ne sais quels ensembles supra-individuels. Autrement dit, nous rencontrons cette nouvelle contradiction: la dialectique est la loi de totalisation qui fait qu'il y a des collectifs, des societes, une histoire, c'est-ä-dire des realites qui s'imposent aux individus; mais en meme temps, eile doit etre tissee par des millions d'actes individuels. II faudra etablir comment eile peut etre ä la fois resultante sans etre moyenne passive et force totalisantesante sans etre fatalite transcendante, comment eile doit realiser ä chaque instant Γ unite du pullulement dispersif et de l'integration." 1 Mit Hilfe des Begriffs der Totalisierung will Sartre die geglückte Vergesellschaftung der Individuuen, in welcher jene ihre Autonomie erhalten, von der deterministischen Totalität, die sich diktatorisch über die einzelnen stülpt, unterscheiden. Sartre grenzt sich hier gegen den zur Herrschaftsideologie geronnen „Staatsmarxismus" (Iring Fetscher), den Bürokratismus und ideologischen Schematismus der kommunistischen, an der Sowjetunion orientierten Bewegung ab. Seine Vorstellung vom sich frei schöpfenden Individuum muß mit jeder Form institutioneller Fremdbestimmung kollidieren. Mit dieser Zurückweisung traditioneller kommunistischer Politik- und Organisationsformen sieht er sich nun aber vor die Aufgabe gestellt, diesen Freiheitsbegriff in der kollektiven politischen Handlung zu bewahren. Sartre wählt dazu den Weg über die Vorstellung von spontanen Revolten, deren
eher auf die Erfahrung der existentiellen Versehrung als Motivation der Revolte stützen will, so pflegt er hier doch eine Semantik der Kritik der künstlich hervorgerufenen Bedürfnisse, die als scheinhaft gelten und das Proletariat ruhig stellen. Sartre, Critique de la raison dialectique precede de questions de methode. Tome 1, Theorie des ensembles practiques (1960), Texte etabli et annote par Arlette Elkai'm-Sartre, Paris 1985, 154.
Der existentialistische Diskurs
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kollektive Akteure sich nach der revolutionären Aktion, dem Aufstand wieder auflösen. Die Individuen kommen in diesen „groupes en fusion" 1 zur Manifestation ihres Bewußtseins und überwinden die Serialität der herkömmlichen Repräsentation der Revolution in der Ikonographie des sog. realen Sozialismus. Ob es zur Revolte kommt, hängt für Sartre konkret von der Wahl, der Entscheidung der Individuuen ab, die jeden historisch-materialistischen Determinismus düpieren. Die „fusionierende Gruppe" stellt ihre Existenz permanent in Frage und überprüft ständig ihre Organisationsstruktur. Damit bildet sich in der Rebellion der Deklassierten eine neue Qualität der Sozialbeziehungen heraus. Der Dualismus von Individuum und den anderen wird überwunden. 2 Die Unmittelbarkeit der individuellen Erfahrung führt zur Gemeinsamkeit der politischen Handlung und in der Praxis der sozialen Kämpfe knüpft sich das Band zwischen den einzelnen. Sartre minimiert an dieser Stelle die Freiheit des Individuums zur Selbst-Schöpfung zu einer nur abstrakt gegebenen Möglichkeit. Das Konkrete ist für ihn nun die historische und politische Situierung in den jeweiligen Kämpfen. Mit diesem als Grundgesetz des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft formulierten Programms der Konkretisierung der abstrakten Freiheit in den jeweiligen sozialen Auseinandersetzungen versucht Sartre in deutlicher Anlehnung an Hegels Programm der Versöhnung des Besonderen in und mit dem Allgemeinen, seine Parteinahme für die Deklassierten quasi wissenschaftlich zu fundieren. Diese Hermeneutik der Erfahrung, die Intersubjektivität möglich werden läßt, ist nicht auf anti-bürgerliche Widerstandsformen und -inhalte begrenzt. Vielmehr legt Sartre in der Critique de la raison dialectique eine allgemeine Interaktionstheorie vor. Und deutlich ist diese Theorie durch seine Marx-Rezeption geprägt. So wie dort der Fortschritt zum Sozialismus/Kommunismus aus Mechanismen abgeleitet wird, die die Herausbildung jeder Gesellschaftsformation bestimmen (Historischer Materialismus), ist auch Sartres Konzept der Vergesellschaftung in den politischen Kämpfen universal und überhistorisch. Besonders brisant wird diese Betrachtungsweise bei Sartres Beurteilung von Gewalt und Terror als historisch notwendige Begleiter nicht nur jeder grundlegenden Veränderung, sondern der Entstehung von Gesellschaften, in denen der einzelne als Individuum frei bleibt.
4.3.2.3
Terror und
Wahrhaftigkeit
Die fusionierenden Gruppen als Dynamos der Revolution und Grundlage des gegenseitigen Verstehens der Individuen steigen bei Sartre zum Modell geglückter Vergesellschaftung auf. Die einzelnen bilden einen Körper, verschmelzen miteinander und überwinden die pathologische Identitätssicherung durch Unterwerfung der anderen. Stattdessen bestimmt Brüderlichkeit die neuen Sozialbeziehungen: „Le groupe constitue est produit en chacun par chacun comme sa propre naissance d'individu commun et, en meme temps, chacun saisit dans la fraternite sa propre naissance d'individu commun comme produite au sein du groupe et par lui." 3 Der Mensch wird als revoltierendes Subjekt neu geboren; alle Unterschiede verlieren ihre trennende Schärfe. Diese Totalisierung der eigenen Unverwechselbarkeit kommt ohne Abgrenzung nicht aus, wobei sich diese nicht nur gegen den politischen Gegner wendet,
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Ders./Gavi/Victor, On α raison, 140. Ders., Critique de la raison dialectique, 168. Ebd., 536 (Hervorhebungen im Original).
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Das wahre/Wahre Wollen.
sondern unter den potentiell der Gruppe zugehörenden Rebellen, die Gemeinschaftsfähigen von den sozial Unverträglichen trennt. In der gewalttätigen Selektion knüpft sich das Band der neuen Gemeinschaftlichkeit. Erst der Terror der Selektion schmiedet die Brüder zusammen: „En ce sens la violence est partout, partout la Terreur comme premier Statut commun. Toutefois cette Terreur, tant que les circonstances n'ont pas ebranle Γ unite, est Terreur qui unit et non Terreur qui separe. Ces hommes, en effet, en tant qu'ils se sont constitues par serment individus communs, trouvent leur propre Terreur, les uns chez les autres, comme la meme\ ils vivent ici et partout leur libertefondee (c'est-ä-dire limitee) comme leur etre-dans-le-groupe et leur etre-dans-le-groupe comme l'etre de leur liberte. En ce sens, la Terreur est leur unite premiere en tant qu'elle est pouvoir en chacun et en tous de la liberte sur la necessite ... cette intensite, lorsqu'elle ne se manifeste plus comme pression reelle sans que le danger ait pour autant disparu, est remplacee par ce substitut invente: la Terreur. Celle-ci, reelproduit des hommes groupes, n'en depend pas moins, en elle-meme et pour son degre d'intensite, de la violence adverse (c'est-ä-dire de la violence subie et encore vivante dans les memoires et de la violence attendue, en cas, par exemple, de contre-attaque). L'invention de la Terreur comme contre-violence engendree par le groupe lui-meme et appliquee par les individus communs sur chaque agent particulier (en tant qu'il comporte en lui-meme un danger de serialite) est done Γ utilisation de la force commune, jusque-lä engagee contre l'adversaire, pour le remaniement du groupe lui-meme. Et toutes les conduites interieures des individus communs (fraternite, amour, amitie aussi bien que colere et lynchage) tirent leur terrible puissance de la Terreur meme. En ce sens, chacun est pour chacun le meme dans l'unite d'une praxis commune..." 1 Auch in diesem Kontext stößt man auf einen tiefreichenden Widerspruch. Einerseits wendet sich Sartre gegen die Vorstellung, der integrierende Terror sei Ausdruck der Diktatur über die in Angst gehaltenen Individuen. Ausdrücklich hebt er hervor, daß der revolutionäre Terror erst die gemeinsame revolutionäre Praxis konstituiere. Aber das Zusammenschweißen der Gruppe durch Ausübung von Terror gegenüber Mitgliedern bzw. möglichen Mitgliedern führt zwangsläufig eine Trennung herbei. Doch solche Unterscheidungen kommen bei Sartre nicht vor. Er ist offensichtlich so gebannt durch den positiven Zusammenhang der Herausbildung von Brüderlichkeit und Terror, daß er hier nur auf substantielle gemeinsame Erfahrungen setzt. Das Blutba(n)d der Revolution unter den Revolutionären führt zur Überwindung der solipsistischen Pathologie. Zwar ist die entfaltete Macht schrecklich, ihre Intensität ist aber notwendig, um die neuen Sozialbeziehungen zu schmieden. Zu beachten ist, daß diese Gewalt in der revoltierenden Gruppe wirkt, in ihrer Rigidität zwar von den allgemeinen Bedingungen des Klassenkampfes abhängt, aber seine kathartische Funktion nur nach innen offenbart. Die Vernichtung des Klassengegners wird selbstverständlich vorausgesetzt; seine identitätsstiftende Kraft entwickelt der Terror aber vor allem als Instrument der Organisation der „groupes en fusion". Gewalt und Terror werden zu Mitteln der permanenten Organisationsprüfung. Vehement wendet sich Sartre etwa gegen den rassistisch motivierten Lynch-Mob und hebt gegenüber dieser banalen Vernichtung des Fremden, des Gegners die positive Funktion der Ausmerzung
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Ebd., 533 (bis zur Auslassung), 537.
Der existentialistische Diskurs
131
von tatsächlichen oder möglichen Verrätern im eigenen Lager hervor. 1 Durch den Terror verfügen die Individuen über einen authentischen und gemeinsamen Erfahrungshintergrund. Die Praxis der Brutalität steigt zur Allgemeinheit auf, die sich in den einzelnen widerspiegelt. Ein Blick auf Sartres Stellung zu den antikolonialistischen Befreiungsbewegungen seiner Zeit macht deutlich, daß der Terror neben den Funktionen der Gemeinschaftsbildung bei Sartre zum Kern der individuellen Existenz-Erfahrung wird. Im Vorwort zu Frantz Fanons Les damnes de la terre, dem im Todesjahr des Autors (1961) veröffentlichten Manifest des algerischen Befreiungskampfes, beschreibt er die Heilung der durch den Kolonialismus geschlagenen Wunden mit Hilfe des Furors der Befreiungsbewegungen. Deren Gewalt bezeugt deren Authentizität und liefert gerade in der Grausamkeit die Möglichkeit der westlichen intellektuellen Selbstvergewisserung durch Parteinahme. 2 Über die Vernichtung der anderen kommt das Versehrte, marginalisierte Individuum zu sich. Die Freiheit zur Selbst-Schöpfung vollzieht sich in der Tötung des anderen. Mit der Gewalttat wird der Unterdrückte wahrhaftig, sein verfälschtes und verfehltes Leben erhält einen neuen Sinn. In der Raserei des Terrors - jetzt nicht mehr nach innen in die eigene Gruppe gerichtet, sondern nach außen, gegen den Feind - findet das Individuum zur authentischen Manifestation seines Bewußtseins. Es hat den Kampf um Anerkennung gewonnen. Aber wer sollte es noch anerkennen, wenn die anderen doch vernichtet sind? Sartre kommt auch in der Totalisierung der Individuen schließlich über einen solipsistischen Standpunkt nicht hinaus. Der Durchbruch zu Authentizität und Wahrhaftigkeit findet im Kampf um Anerkennung statt. Die gesellschaftlich „Verdammten" können ihre FremdBestimmung nur durch das Auslöschen der Anderen beenden, wobei diese auch wiederum zur Anerkennung der eigenen Identität benötigt werden. Aus dieser Paradoxie befreit sich Sartre mit Gewalt. Dieses Konfliktszenario bestimmt nun aber schon die in L'etre et le neant entwickelte Ontologie und wird von Sartre schließlich politisch aufgeladen. 3 In der Gewalt der spontanen Rebellion und dem Terror der sich vor Verrat sichernden verschworenen Gemeinschaft entstehen Erfahrungen, durch die die einzelnen dekonstruiert und neu zusammengesetzt werden. In dieser Neuschöpfung kommt dann ein Mensch zu sich, der in seiner Freiheit sozialfähig bleibt. In ihrer Unverwechselbarkeit bilden die Individuen doch eine Einheit. Terror und Gewalt bringen so den authentischen Menschen hervor, der - geheilt von seiner Neurose der ängstlichen Identitätssicherung und der Flucht vor der Freiheit seiner Existenz - zu seinem Selbst-Ausdruck kommt. Der Befreiungskampf der binnengesell-
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Ebd., 537, Fußnote: „Je parle ici de l'execution des traitres et non, bien entendu, de ce type de lynchage raciste, qui fait, en Amerique, distraire la vie du membre d'un autre groupe." Sartre, „Les damnes de la terre", in: Ders., Situations V, 182f, 188. Vgl. dazu Eric Werner, De la violence au totalitarisme. Essai sur la pensee de Camus et de Sartre, Paris 1972. Ders., Critique de la raison dialectique, 245: „Qu'il s'agisse de tuer, de torturer, d'asservir ou simplement de mystifier, mon but est de supprimer la liberte etrangere comme force ennemie, c'est-ädire comme cette force qui peut me repousser du champ pratique et faire de moi un ,homme de trop' condamne ä mourir. Autrement dit, c'est bien ä l'homme en tant qu'homme, c'est-ä-dire en tant que hbrc praxis d'un etre organise, que je m'attaque; c'est l'homme et rien d'autre que je hais chez ennemi, c'est-ä-dire moi-meme en tant d'Autre, et c'set bien moi que je veux detruire en lui pour l'empecher de me detruire reellement dans mon corps." (Hervorhebungen im Original) Hier wird die Nähe zur Hermetik des immerwährenden Identitätskonfliktes, wie sie Sartre in seinem Frühwerk beschreibt, deutlich.
132
Das wahre/Wahre Wollen.
schaftlich und international Geächteten, der Deklassierten und Marginalisierten enthält damit ein Versprechen der Emanzipation für die gesamte Menschheit. Mit dem Sieg der Stigmatisierten ziehen Wahrhaftigkeit und Authentizität in die Welt ein. Erst dann können politische Herrschaftsverhältnisse Legitimation beanspruchen. 1 Voraussetzung für diese allgemeine Freiheit zur Selbst-Schöpfung ist die Gleichheit der Individuen. Das Reinigungsbad der existentiellen, durch die revolutionäre Gewalt authorisierten Selbstbestimmung ist die Transparenz der einzelnen. Die Konstruktion des neuen Menschen im Taumel der Gewalt macht seinen Bauplan allgemein sichtbar. Vor dem Nächsten darf es keine Geheimnisse geben: „II faut qu'un homme existe tout entier pour son voisin, qui doit egalement exister tout entier pour lui, pour que s'etablisse une veritable concorde sociale." 2 Die geheilten Individuen haben sich gegenseitig offenbart. Diese Durchsichtigkeit ist für Sartre die notwendige Bedingung der Vergesellschaftung bei Freiheitssicherung der Individuen. Sozialität ohne Kosten der Einschränkung indivdueller Expression, auf diese Formel kann seine Vorstellung legitimer Ordnung gebracht werden: „Que la praxis individuelle soit, sur un certain plan, transparente ä elle-meme et qu'elle fournisse par cette transparence meme le modele et les regies de l'intelligibilite pleniere, c'est possible - encore que nous ne l'ayons pas encore prouve." 3 Erst wenn alle sich gegenseitig durchschauen und ihre Unverwechselbarkeit gegenseitig anerkannt worden ist, verliert der Blick der jeweils anderen seine repressiven Eigenschaften. Sartre kehrt damit bei dem Versuch, seine existentialistische Bestimmung des menschlichen Daseins in eine politische Ordnung zu kleiden, zu Rousseau zurück. 4 Herrscht dort jeder über jeden und wird dort der Stachel der idiosynkratischen Individualität durch die Internalisierung der volonte generale gezogen, so uniformieren in Sartres Denken der Terror und die Gewalt die einzelnen zum politischen Körper. Aber da diese Bedingung der vollständigen Transparenz der Individuen immer bezweifelt werden kann und prinzipiell ein Verdacht des Unwahrhaftigen bleibt, ist auch die Legitimierung der politischen Herrschaft unerreichbar. Der existentialistische Diskurs produziert damit zwar eine radikale Kritik an gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, die nur Inauthentizität und Unwahrhaftigkeit zulassen, bleibt aber letztlich stumm bei der Affirmation von politischen Ordnungen, die ihm entsprechen.
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2
3 4
Thomas R. Flynn, „An End to authority: Epistemology and politics in the later Sartre", in: MW, 10/ 1977, 457. Sartre, „Autoportrait ä soixante-dix ans", in: Ders., Situations X. Politique et autobiographie, Paris 1976, 144. Vgl. dazu: Vincent von Wroblewsky, „Von der Authentizität des Individuums zur Intelligibilität der Geschichte", in: Traugott König (Hrsg.), Sartre. Ein Kongreß, Reinbek 1988, 385-408. Ders., Critique de la raison dialectique, 176 (Hervorhebungen im Original). Vgl. Michel Clouscard, De la Mode mite: Rousseau ou Sartre. De la philosophie de la Revolution frangaise au consensus de la contre-revolution liberale, Paris 1985. Clouscard sieht hier einen Gegensatz, weil für ihn Rousseau die Freiheitsansprüche der Individuen in der radikaldemokratischen Verfassung rettet, während er bei Sartre allein Tendenzen der Unterdrückung von Subjektivität angelegt sieht.
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Der existentialistische Diskurs
4.3.3 Jaspers: Authentizität und Pluralismus Beschäftigt man sich mit der postmetaphysischen Bestimmung des individuell und gesellschaftlich Authentischen, dann kommt man um eine Untersuchung der Argumentation Karl Jaspers' nicht herum. Obwohl sich seine Dekonstruktion essentieller Subjektivität in ihren Fundamenten nur wenig von dem Ausgangspunkt der Heideggerschen Erweiterung überkommener Ontologie unterscheidet, scheint Jaspers aus dieser Daseins-Analyse andere politische Schlüsse zu ziehen. 1 Heideggers Entwurf einer in Ausnahmesituationen der umfassenden Bedrohung stattfindenden Verschmelzung des zu seiner Eigentlichkeit durchgestoßenen Individuums mit der den einzelnen umgreifenden Gemeinschaft, dem Volk, tendiert zur politischen Indienstnahme der Subjekte bis hin zu deren physischer Auslöschung. Im Tod bewährt und bezeugt sich die Authentizität der Individuen. Sartre entwickelt ein ähnliches Szenario der sich in der revolutionären Gewalt manifestierenden Authentizität der gesellschaftlich Randständigen. Im Blutbad der Revolution entsteht der neue Mensch, der die Barriere zwischen sich und den Anderen niederlegt. Jaspers eher freundlich gesonnene Rezipienten weisen darauf hin, daß er der Faszination eines solchen Totalitarismus der vollständigen Kongruenz von einzelnem und Gemeinschaft widerstanden habe und versuche, Existenzphilosophie und demokratisches Engagement miteinander zu verbinden. Für Alexander Schwan nimmt er im Gegensatz zu Heidegger und Sartre eine „demokratische Mittelposition" 2 ein, und Jürgen Habermas sieht in seinem Denken die Konturen einer auf Authentizität fußenden interkulturellen Verständigung angelegt.3 Es wird im folgenden zu überprüfen sein, wie sich die Ansprüche einer Philosophie, die in der Daseins-Analyse einen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit zu besitzen glaubt, mit dem auf dem fallibilistischen Bewußtsein der Akteure und dem daraus notwendig resultierenden Prinzip der Deliberation fußenden Pluralismus der Demokratien des atlantischen Typs der Moderne vereinbaren lassen.
1
Bis zu Heideggers Eintreten für den Nationalsozialismus stehen sich beide aufgrund ihrer jeweiligen Existential-Analyse nahe. So schreibt Heidegger im Juni 1 9 2 2 an Jaspers von einer gemeinsamen „Kampfgemeinschaft, die ich sonst - auch heute noch nicht - nirgends finde." (Martin Jaspers,
Briefwechsel
1920-1963,
Heidegger/Karl
herausgegeben von Walter Biemel und Hans Saner, Frankfurt/M.
1990, 29. Jaspers antwortet ähnlich (ebd., 30). Von den 1 5 0 in dieser Sammlung abgedruckten Briefe stammen 119 aus der Zeit vor 1 9 3 4 . Für die Entzweiung sind also nicht so sehr theoretische Differenzen maßgeblich, sondern politische. Zu den theoretischen Unterschieden siehe: Karl Jaspers, Notizen zu Martin Heidegger
(1928-1964),
herausgegeben von Hans Saner, München 1978.
2
Alexander Schwan, „Existenzphilosophie und Existenzialismus", in: Ballestrem/Ottmann (Hrsg.),
3
Jürgen Habermas, „Vom Kampf der Glaubensmächte. Karl Jaspers zum Konflikt der Kulturen", in:
Politische
224.
Philosophie,
Ders., Vom sinnlichen
Eindruck
zum symbolischen
Ausdruck.
Philosophische
1997, 57. Vgl. zu Habermas' kritischem Fazit Jürg Schultheiss, Philosophieren Versuch zu Karl Jaspers
Apologie
des kritischen Philosophierens,
zur Philosophischen Forschung, Band 2 0 7 ) .
Essays, Frankfurt/M. als
Kommunikation.
Diss. Basel 1981 (Monographien
134 4.3.3.1
Das wahre/Wahre Wollen.
Der Verlust des
Authentischen
Zur Beantwortung dieser Frage muß der Ausgangspunkt von Jaspers Philosophieren betrachtet werden. Immer wieder betont er - insbesondere in den gegen Ende der Weimarer Republik publizierten Schriften - die Krisenhaftigkeit der Zeitumstände, wobei der Begriff Krise hier umfassend alle Lebensbereiche der Individuen erfaßt und eine tiefreichende Orientierungslosigkeit zum Ausdruck bringt. Die Expansion der modernen Wissensräume hat zwar die Fähigkeit der technischen Bemeisterung erhöht, aber die mit dem Verblassen religiöser Sinnbilder entstandene normative Leere nicht füllen können. Die modernen Individuen existieren im Angesicht allgemeiner Sinnlosigkeit und werden im Prozeß der Entfaltung instrumenteller Rationalität zur „Masse" uniformiert, welche zur Metapher für den erfolgreichen Betrieb jenseits unverwechselbarer Daseins-Spuren aufsteigt. In ihr entfaltet sich eine geschichtlich vorher unbekannte Dynamik, die Individuen und Gesellschaften ihre Wurzeln vergessen läßt. Im geschäftigen Treiben geht das Bewußtsein transzendentaler Verlassenheit verloren. In der Dumpfheit der Zerstreuung bei aller physischen Konzentriemng, dem Opium der billigen medialen Ersatzwelten, offenbart sich für Jaspers das Schicksal der Moderne. In deutlicher Übernahme der Entzauberungssemantik Max Webers und der Kulturkritik Heideggers sieht auch er die Massen als das eigentliche pathologische Symptom der industriellen, modernen Gesellschaft an. Diese Krisendiagnostik bestimmt Jaspers' Denken weit über die Zeit des deutschen Vor-Faschismus hinaus: „Der Mensch bricht die Brücken ab zum Vergangenen. In bloßer Augenblicklichkeit gibt er sich hin an die Situation und den Zufall. Er lebt zwar noch zwischen den Kulissen, die aus der Vergangenheit stehen. Aber die bilden nicht mehr die Szene seines wirklichen Lebens, sondern sehen aus wie ein Haufen von Gerümpel. Er durchschaut sie als Fiktionen. Der Mensch scheint ins Nichts zu gehen. Er ergreift das Nichts in Verzweifelung oder im Triumph des Zerstörens. Seit Nietzsche wird es immer lauter: Gott ist tot. Menschliches Dasein wird Massendasein. Der Einzelne verliert sich an Typen, die sich aufzwingen aus moderner Literatur, Zeitung, Kino und aus dem nivellierenden Alltag aller. In seiner Verlorenheit drängt er zu einem Selbstgefühl im Wir durch Teilnahme an einer vermeintlich gewaltigen Macht der Masse, einer Masse." 1 Statt eine authentische Existenz zu führen, ergibt sich der moderne Massenmensch der Simulation.2 Aber im Gegensatz zu Heidegger bleibt Jaspers skeptisch gegenüber der Vision der Rückgewinnung des Eigentlichen in der richtigen, phänomenologischen Ontologie. Vielmehr beharrt er darauf, daß jede Vorstellung einer über das Physische hinausgehende Sicherung der Existenz durch die weitere Vermehrung technischen Wissens in die Irre führt. Auch die Fundamentalontologie vermag darum den Mangel an Authentizität nicht zu beheben. 3 Heideggers Entwurf des Eningens einer personalen Ganzheitlichkeit, einer Übereinstimmung
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2
3
Karl Jaspers, Über die Bedingungen und Möglichkeiten eines neuen Humanismus. Drei Vorträge (1951), Stuttgart 1962, 23. Jaspers gehört aber nicht zu den Vorläufern post-modemer Simulationstheorien, da für ihn die Nachahmung durch Realitätsprüfung als solche überführt werden kann, während Baudrillard u. a. unter Simulation die Entwicklung einer Eigenlogik im Verhältnis Zeichen/Bezeichnetes verstehen. Siehe dazu Kapitel 5.1. Jaspers, Humanismus, 20: „Wer philosophiert, ist, solange er wahr bleibt, in der Bescheidung des Nichtwissens."
Der existentialistische Diskurs
135
zwischen dem Wesen jedes Daseins, in die Welt geworfen worden zu sein und der Erscheinung subjektiver Existenz-Bestimmung, die dieses Geschick annimmt, stößt auf Jaspers Ablehnung, da er die Rückgewinnung von individueller Authentizität nur als Befreiung vom Konformitätsdruck der Masse für möglich hält. Damit bleibt die Verwirklichung dieses individuellen Anspruches aber immer fragmentiert. 1 Schon die Bewußtmachung des Verlustes an personaler Identität soll ein erster Schritt auf dem Weg dieser Rekonstruktion individueller Selbstbestimmung sein. Die Existenz der metaphysischen Leere muß durchgearbeitet werden. Eine hier deutlich werdende Nähe zur psychoanalytischen Semantik drückt die Verbindung des Jasperschen Philosophierens zur ärztlichen Tätigkeit in Psychiatrie und Psychotherapie aus. Anamnese stellt markiert dann auch die Bedingungen der Möglichkeit der Katharsis, der Überwindung der Simulation, der Rückgewinnung von Authentizität dar: „Jede Objektivität ist zweideutig geworden; das Wahre scheint im unwiederbringlich Verlorenen, die Substanz in der Ratlosigkeit, die Wirklichkeit in der Maskerade. Wer in der Krise zum Ursprung finden will, muß durch das Verlorene gehen, um aneignend zu erinnern; die Ratlosigkeit durchmessen, um zur Entscheidung über sich zu kommen; die Maskerade versuchen, um das Echte zu spüren. Die neue Welt entstünde aus der Krise nicht durch die rationale Daseinsordnung als solche, sondern der Mensch, mehr als das, was er in ihr hervorbringt, gewinnt sich durch den Staat im Willen zu seinem Ganzen, dem die Daseinsordnung Mittel wird, und in der geistigen Schöpfung, durch die er zum Bewußtsein des Wesens kommt." 2 An dieser Stelle stößt man auf eine erste Paradoxie in Jaspers' Argumentation. Am Ende des Durcharbeitens der Traumatisierung des Verlustes von substantiellen Orientierungen steht eine vorsichtige Annäherung an das „Echte", das nicht gewußt, sondern bestenfalls „gespürt" werden kann: Eine Ahnung vom Wesentlichen im Kern des Subjekts, eine Ahnung von seiner Authentizität. Offen bleibt, woher dieses „Echte" kommt, aber es soll im Staat gefunden werden können. Unvermittelt bricht in Jaspers' Skeptizismus hegelianisches Denken der Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen in der zum Staat geronnenen Repräsentation des Vernünftigen ein. Dabei wird aber von Jaspers doch gerade der emphatische Wissensanspruch Hegels aufgegeben. Einerseits soll Allgemeinheit konstituiert und im Staat zu ihrem authentischen Ausdruck werden, andererseits stehen Vernunft und Wissen als mögliche Fundamente dieses Allgemeinen nicht zur Verfügung.
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Ders., Philosophie, 296: „Niemals geht der Mensch mit seinen Handlungen in einer Totalität auf; diese wird nicht daseinswirklich außer in Fragmenten; der Mensch wird kein Ganzes; er muß es unablässig suchen." Ders., Die geistige Situation derZeit (1931), Siebenter Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage, Berlin 1971, 76 (Hervorhebungen im Original). Vgl. zur Typologie der Kritik an den Massen in Großbritannien und ihrer wegweisenden Funktion für den europäischen Diskurs dieser Zeit: John Carey, The Intellectuals and the Masses. Pride andPrejucdice among the Literary Intelligentsia, 18801939, London 1992 und Norbert J. Schürgers, Politische Philosophie in der Weimarer Republik. Staatsverständnis zwischen Führerdemokratie und bürokratischem Sozialismus, Stuttgart 1989, 220239.
136 4.3.3.2
Das wahre/Wahre Wollen.
Respekt vor der Authentizität der Individuen Legitimation politischer Herrschaft
als Begründung
der
Wahrheit ist in Jaspers' Argumentation immer an den Austausch von Meinungen gebunden. Alle Objektivitätsansprüche bindet er an die Kommunikation zwischen den Vertretern der jeweiligen Warheitsansprüche: „Existenz ist ihrem Wesen nach die einmalige geschichtliche Konkretion im Einzelnen. Sie will ihre Ewigkeit vor der Transzendenz, aber nicht in der fixierten Vereinzelung ihres Soseins, sondern in grenzenloser Kommunikation, in der sie erst wird, was sie eigentlich sein kann. Als solche Aufgeschlossenheit in der Kommunikation ist Existenz selbst die Vernunft." 1 Hier stößt man in konzentrierter Form auf die Umstellung der ontologischen Semantik von essentiellen Begriffen auf kontext- und prozeßorientierte. Der Kern der Individualität wird bestimmt durch seine historische Situierung. Aber diese Ausrichtung am einzelnen Leben öffnet für Jaspers eben nicht den Weg für einen normativen Relativismus. Vielmehr betont er, daß das Individuum in seiner Existenz überindividuelle Geltungsansprüche anmeldet. In seiner Existenz soll Allgemeinheit schon angelegt sein. In der Verständigung mit anderen „Konkretionen der Existenz" verallgemeinert sich die individuelle Unverwechselbarkeit. Authentizität drängt zur Kommunikation und in dieser soll Offenheit für die jeweils anderen Existenzen entstehen. Die Konfrontation mit der Individualität der jeweils Anderen führt zur Anerkennung der Vielfältigkeit möglicher Existenzformen. In diesem Zusammenhang muß zunächst untersucht werden, wie groß der Spielraum der existentiellen Konkretionen in der Argumentation Jaspers ist. Dabei kann festgestellt werden, daß Jaspers Anspruch einer radikalen Situierung der Individuen nicht eingelöst wird. Seine konkreten Situationsbeschreibungen sind ort- und zeitlos. So enthält etwa die philosophische Kritik der Geistigen Situation der Zeit keinen Hinweis auf das Staatsgebilde der Weimarer Republik, die Parteien, Interessengruppen, politischen Strategien etc. und über die säkularen Bewegungen von Faschismus und Bolschewismus finden sich vier Sätze. Der deutsche Nationalsozialismus wird überhaupt nicht erwähnt. 2 Mit einer großen Verschiedenheit aufeinanderprallender Existenz-Formen hat es Jaspers erst gar nicht zu tun. Stattdessen finden sich Sätze wie die folgenden: „Das Entscheidende ist die Möglichkeit des heute noch nicht objektiv werdenden Selbstseins in seiner besonderen Welt, die die allgemeine für alle in sich schließt, statt von ihr übergriffen zu sein. Dieses Selbstsein ist nicht als der heutige Mensch überhaupt, sondern in der unbestimmten Aufgabe
1 2
Jaspers, Von der Wahrheit-Philosophische Logik. Erster Band (1947), München 1958, 131. Jaspers, Geistige Situation, 84 werden als „Auswege zu leichterer Möglichkeit" Bolschewismus und Faszismus genannt, die authentische Individualität nicht zulassen. Obwohl Jaspers hier den Zusammenhang von Ideologie und staatlichem Machtanspruch gegenüber anderen Staaten, der den Ost-West-Konflikt prägt, erahnt, kann von besonderer Konkretheit der Analyse wohl nicht gesprochen werden. Vgl. Ruthard Stäblein, „Kulturkonservatismus oder konservative Revolution? Karl Jasper' und Hugo von Hofmannsthals Erkundungen einer authentischen Existenz", in: Dietrich Harth (Hrsg.), Karl Jaspers. Denken zwischen Wissenschaft, Politik und Philosophie, Stuttgart 1989, 122 und ebd. 140ff den Beitrag: Helmut Fahrenbach, „Zeitanalyse, Politik und Philosophie der Vernunft im Werk von Karl Jaspers".
Der existentialistische Diskurs
137
seiner durch das Ergreifen des Schicksals zu erfahrenden geschichtlichen Gebundenheit." 1 Wieder wird der Satz von der Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen in der authentischen Existenz des einzelnen ausbuchstabiert, aber an Konkretheit haben auch diese Formulierungen nicht gewonnen. Aber neben dieser Unkonkretheit, die im Rahmen des existentialistischen Diskurses zum Gegenstand einer philosophischen Kritik der angemaßten Authentizität im Namen der eigentlichen Authentizität wird (siehe Kapitel 4.3.4.), soll ein anderer Aspekt dieser im Austausch der unterschiedlichen Entwürfe des Authentischen sich manifestierenden kommunikativen Vernunft in den Blick genommen werden. Wenn die Kommunikation der existentiellen Wahrheiten keine Ausschließungen produzieren soll, dann muß ihr Gegenstand jenseits argumentativ einzulösender Geltungsansprüche liegen. Folgerichtig verbindet sich für Jaspers philosophisches Wissen mit Glauben.2 Die moderne Trennung dieser Bereiche, in denen seit der Aufklärung wissenschaftliches Wissen an Erfahrungstatsachen und ihre intersubjektive Überprüfbarkeit gebunden und von der subjektiven Geltung religiöser Glaubenssätze unterschieden wird, hebt er auf. Da aber über die Richtigkeit des Glaubens nicht im Sinne der Beantwortung von Wahrheitsfragen gestritten werden kann, bleibt nur die Respektierung der jeweiligen Glaubensinhalte. Im so konzipierten Religionsgespräch treffen individuelle Glaubensentscheidungen aufeinander, aber allein durch diese Toleranz entsteht noch keine Ordnung, die die individuellen Authentizitätsentwürfe miteinander zu einer authentischen Allgemeinheit verknüpft. Das Gemeinsame im unterschiedlichen Glauben findet Jaspers schließlich in der Wahrhaftigkeit der jeweiligen individuellen Bezeugung. In seiner geschichtsphilosophischen Spekulation Vom Ursprung und Ziel der Geschichte beschreibt er eine menschheitsgeschichtliche „Achsenzeit" um „500 vor Christus", in der die großen Religionsgründer authentischen Glauben entwickelten. Religiöse Versenkung bringt den „eigentliche(n) Mensch(en)"3. Es ist demnach die Erfahrung der Tanszendenz, die das Allgemeine der authentischen Existenzen ausmacht. Wird diese Erfahrung wirklich gemacht, dann entsteht ein gegenseitiges Respektieren der jeweiligen Ausformung. Die Rettung aus den Gefahren der Moderne wird von den großen Religionsstiftern gewiesen. Ihre Glaubensbezeugungen steigen zu Paradigmen des Authentischen auf. Der „eigentliche
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Jaspers, Geistige Situation, 25 (Hervorhebungen im Original). Zur Bedeutung der Existenzphilosophie heißt es ebd., 150: „Existenzphilosophie kann in bloße Subjektivität abgleiten. Das Selbstsein wird mißverstanden als Ichsein, das solipsistisch sich abschließt als Dasein, das nur dieses sein will. Echte Existenzphilosophie ist das appellierende Fragen, in dem heute der Mensch wieder zu sich selbst zu kommen sucht. Es ist daher begreiflich, daß sie nur ist, wo noch um sie gerungen wird. Aus verwirrendem Durcheinander mit soziologischem, psychologischem und anthropologischem Denken gerät sie in die sophistische Maskerade. Bald als Individualismus gescholten, bald als Rechtfertigung für persönliche Schamlosigkeit benutzt, wird sie der gefährliche Boden eines hysterischen Philosophierens. Aber w o sie echt bleibt, macht sie einzig empfindlich für die Erscheinung des eigentlichen Menschen." (Hervorhebungen im Original). Ein Weg zur InterSubjektivität wird hier nicht gewiesen.
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Ders., Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1962. Ders., Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (1949), München 1963, 22 (Hervorhebungen im Original).
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138
Das wahre/Wahre Wollen.
Mensch" muß sich dann auch vor allem dieser Erbschaft erinnern und dem Vorbild nacheifern. 1 Diese Anerkennung der individuellen Wahrhaftigkeit der Transzendenzerfahrung überträgt Jaspers auf die politische Ordnung. Von seiner Kritik an den Massen war schon die Rede, aber die Massenförmigkeit stellt sich für ihn als unentrinnbares Schicksal dar. Im modernen Leistungsstaat und im Zeichen umfassender Partizipation der Masse - Jaspers spricht von Ameisen - kann diese ihre falschen Ansprüche durchsetzen: „Sie ist Dasein ohne Existenz, Aberglaube ohne Glaube." 2 Der einzelne hat kaum noch die Möglichkeit, sich gegen den von inauthentischen Menschen (Dasein ohne Existenz, keine Selbständigkeit, Ameisen) bevölkerten Staat zu behaupten. Der Demokratie steht Jaspers entsprechend skeptisch gegenüber. Wieder finden sich zahlreiche Äußerungen, in denen die Unvermeidbarkeit der Verbreiterung der politischen Teilnahme beschrieben wird, aber diese Diagnose ist Teil einer Verfallswahrnehmung. Die Wurzeln der „Achsenzeit" sind vergessen, und in diesem Vergessen drückt sich bei allem technisch-zivilisatorischen Fortschritt ein furchtbarer Niedergang aus. Zu Jaspers politischen Forderungen, die er 1931 in der Geistigen Situation der Zeit niedergelegt hat und denen er auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg folgt, gehört die Idee einer demokratischen Ordnung jenseits inauthentischer Massenherrschaft. Demokratisierung heißt aber nicht, daß die Partizipationsmöglichkeiten der Individuen an der Gestaltung der politischen Ordnung erweitert werden, sondern daß Anschluß gefunden werden muß an die authentische Existenz der Transzendenzerfahrung. 3 Dabei bleibt es für Jaspers offen, ob die „Masse" überhaupt in diesem Sinne demokratiefähig gemacht werden können. Er votiert bei seinem Bemühen, das demokratische Bewußtsein der Massen zu heben, allerdings nur am Rande für die Erziehungsarbeit der politischen Bildung. Wichtiger ist für ihn, daß den Massen ein Respekt vor denjenigen beigebracht werden kann, die Uber solche Erfahrungen verfügen. Letztlich sollen die authentischen Individuen über die inauthentischen herrschen:„Die Aristokratie als Herrschaft einer Minderheitsmasse verschafft sich die allen Angehörigen zugänglichen unterscheidenden Qualitäten als soziologische Surrogate des eigentlichen Adels menschlicher Existenz. Daß sie wiederholt eine einzigartige geistige Welt geschaffen hat, war ihrem Ursprung aus echtem Adel und fortdauernder Selbsterziehung zu verdanken. Soziologisch wird es vielleicht noch weiterhin mächtige Schichten geben, aber barbarische. Das Problem des menschlichen Adels ist jetzt die Rettung der Wirksamkeit der Besten, welche die Wenigsten sind."4 Wenn noch etwas aus den Menschen werden kann, dann muß nach Jaspers der nivellierende Kampf, der „letzte Feldzug gegen den Adel" 5 eingestellt werden. Wobei sich Adel ausdrücklich nicht auf rassentypologische oder andere äußere Merkmale bezieht, sondern die Menschen meint, „die sie selbst sind." 6 Die
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Ders., Humanismus, 41: „Eigentliches Menschsein ist jederzeit ursprünglich, aber wird um so tiefer, je entschiedener es aneignet, woher es kommt. Unser Humanismus ist abendländischer Humanismus. Er enthält zwei Momente: den Bezug auf die griechisch-römische Antike und den Willen zum eigentlichen Menschsein, und zwar das eine durch das andere." (Hervorhebungen im Original). Ders., Geistige Situation, 37. Ebd., 33, 92. Ebd., 176 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 177. Ebd., 176.
Der existentialistische Diskurs
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Authentizität der Individuen soll zum Kriterium einer legitimen Herrschaftsausübung werden. Jaspers Nietzscheanismus kommt gleichsam gebändigt daher, denn er will das Führertum der „wahrhaften Verantwortung" 1 an die gute politische Ordnung der Friedenssicherung binden. Friedlich werden die Beziehungen der von authentischen Individuen geführten Staaten schon deshalb sein, weil sie sich in gegenseitigem Respekt ihrer Eigentlichkeit begegnen. Diese Forderung nach authentischer Führung fundiert auch Jaspers publizistisches Engagement in der Bundesrepublik Deutschland. So verteidigt er zwar in der berühmten Schrift Wohin treibt die Bundesrepublik? die westdeutsche Demokratie gegen von ihm wahrgenommene Versuche, eine neue Diktatur zu errichten, 2 aber er schwankt deutlich in der Einschätzung der politischen Fähigkeiten der bundesrepublikanischen Massen, die jetzt allerdings häufiger als „Volk" bezeichnet werden. 3 Einerseits „muß das Volk die Freiheit behalten, in direkter Aktion seinen Willen und seinen Widerstand kund zu tun" 4 , und entsprechend engagiert plädiert Jaspers für die Ausweitung von Partizipation, andererseits „schlummert" etwas „ ... im Volk, das weiter schläft, bis es vielleicht durch einen Wahn nicht zur Vernunft erweckt wird, sondern zu Träumen, und dann sich von neuem in die Selbstvernichtung stürzt."5 In konsequenter Forsetzung seines aus der Weimarer Republik überkommenen politischen Denkens fordert Jaspers dann auch für die Bundesrepublik die Herrschaft der Authentischen: „Der Wille der echten Demokratie, in der sich die republikanische Verfassung der Freiheit konstituiert, würde sich zuerst an die Besten, die Denkenden, die Urteilsfähigen, die Sehenden, in der Tat an eine Minorität wenden, aber an eine solche, die die politische Aristokratie im Wortsinn,..., wäre. Demokratie ist ihrem Sinn zugleich aristokratisch. Von dieser sich ständig sich erneuernden Aristokratie geht der Einfluß auf die Umgebung, beginnend in den kleinsten Kreisen, schließlich auf die gesamte Bevölkerung. Man muß das Volk nur freilassen, es nicht in Parteien an die Kette legen ...".6 Die Idee des Weiterwirkens der authentischen Glaubensinhalte wird hier auf die politische Ebene übertragen. Wie die großen Religionsstifter, so beginnen auch die „Sehenden" in der Politik mit einer kleinen Schar gläubiger Anhänger. Allenfalls Kleinmut und Machinationen können den Erfolg der Bewegung verhindern. Auch an dieser Stelle macht Jaspers aber nicht deutlich, worin inhaltlich die Überlegenheit des authentischen Modells begründet ist. Weil auf solche Reflexion verzichtet wird, ist dieser Legitimation durch Authentizität auch jede Debatte fremd. Es gibt nichts, worüber die Vertreter der jeweiligen Authentizitätsansprüche streiten könnten. Jaspers' Programm erweist
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Ebd., 51. Ders., Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, München 1966, 141. Für diese Unterscheidung Masse/Volk wird keine Begründung geliefert. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, 165. Ebd., 280f. Ebd., 139f. Jaspers hat selbst versucht, sich in diese Rolle des Sehenden zu begeben. Seine Streitschrift zum zukünftigen Kurs der Bundesrepublik liest sich dann auch wie ein Zeugnis für die versagende Bonner Führung. Es gehört zu diesem Selbstbild Jaspers, daß er dem Band eigene Vorschläge zur künftigen Führung der Regierungsgeschäfte beigibt und etwa mit Hilfe eines längeren Telegramms an den Bundestagsvorsitzenden in die 1965 ablaufende Debatte über die Verjährung von NS-Verbrechen eingreifen will. Dabei bleiben Jaspers' Meinungen aber Meinungen wie die anderer Personen auch und es wird nur selten deutlich, worin ihre besondere Begründung liegt. Der Anspruch auf Führung wird schließlich zur Anmaßung.
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Das wahre/Wahre Wollen.
sich so als tautologisch: Der authentische Mensch ist authentisch, weil er authentisch ist. Der eigentliche Mensch ist der, der zu seiner Eigentlichkeit gefunden hat. Dieser Anspruch ist unhintergehbar. Eine Legitimation der pluralistischen Ordnung läßt sich darauf nicht gründen. Vielmehr dient dieses Konzept des elitären Respekts vor der Authentizität der Ausnahme-Existenzen zur fundamentalen Delegitimierung bestehender Demokratie. 1 Undifferenziert verfällt die konkrete Ordnung dem Urteil, inauthentisch zu sein. Allerdings ist die Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen nur schwer zu operationalisieren, denn sie stellt in ihrer tautologischen Form ein Geschmacksurteil dar. Alles was dann bleibt, ist die Feststellung, daß es an großen Männern (und Frauen?) mangele, daß nicht geführt werde und alles im Mittelmaß versumpfe. Das Idealbild des wahren Führers gibt für Jaspers Max Weber ab. In seiner Hagiographie des groß Gescheiterten wird die Signatur des authentischen Politikers sichtbar. An dieser Stelle tritt die Verbindung von Authentizität und Legitimität beispielhaft hervor. Weber gilt als Philosoph, der „die Helligkeit eines unbedingten Seins ist. Anderes Sein, das in seiner Dumpfheit sich nicht versteht, kann durch ihn zu sich selbst kommen." 2 Er verkörpert die Erfahrung der Transzendenz, die tragischerweise im Scheitern aller großen Bemühungen ihren Wesensausdruck findet. Das religiöse Moment der Authentizität wird zur Haltung angesichts der politischen Katastrophe. Für Jaspers fallen im Schicksal Webers individuelle Besonderung und Allgemeinheit zusammen. Die Authentizität von Subjekt und Politik manifestiert sich in der Größe des Scheiterns. Diese brisante Situierung weist auf ein Pathos des Versagens, das neben einer spezifischen Zeitgebundenheit der politischen Lageanalyse der Weimarer Republik die Anziehungskraft einer Ästhetik der existentiellen Niederlage zum Ausdruck bringt. Die Ikonographie des Nationalsozialismus wird die Verbindung von Schicksal, Dienst am Allgemeinen und dem Tod des einzelnen immer wieder evozieren. 3 Ein „demokratischer Mittelweg" zeichnet sich in dieser Apotheose des authentischen Führertums nicht ab und könnte mit diesem Konzept der Authentizitätsbezeugung auch nicht beschritten werden.
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Ebd., 119 stellt Jaspers fest, daß der Umgang der Bundestagsabgeordneten untereinander nur ein „tiefes Niveau" erreiche und hinter dem rhetorischen Gegeneinander von Regierung und Opposition das Prinzip stecke „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich." Ders., Max Weber. Deutsches Wesen im politischen Denken, im Forschen und Philosophieren, Oldenburg 1932, 8f. Vgl. Klaus Wolbert, Die Nackten und die Toten des ,Dritten Reiches'. Folgen einer politischen Geschichte des Körpers in der Plastik des deutschen Faschismus, Gießen 1982; Neue Gesellschaft für Bildende Künste (Hrsg.), Inszenierung der Macht. Ästhetische Faszination im Faschismus, Berlin 1987; Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reichs. Faszination und Gewalt des Faschismus, München 1991.
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Post-Moderne Antworten: Das Ende des Authentischen?
Daß am Ende dieser Studie ein Kapitel über die Post-Moderne steht, folgt nicht der Chronologie des Diskurses über die Ableitung der Legitimation politischer Ordnungen aus den Authentizitätsansprüchen der Individuen. Zwar spannt sich der Bogen der vorgestellten Programmentwürfe der Versöhnung des Besonderen mit dem Allgemeinen bei Wahrung des individuellen Willens von rousseauistischer Totalpartizipation, über nietzscheanische Hierarchiemodelle bis hin zur aktuellen Diskussion über die Stiftung neuer Gemeinschaftlichkeit, aber diese zeitliche Abfolge kennzeichnet nur sehr ungenau ein Aufeinanderfolgen der jeweiligen Konzepte. Vielmehr haben sich bei der Untersuchung des Diskurses über das wahre/Wahre Wollen der Subjekte immer wieder Überlappungen, Vor- und Rückgriffe und Parallelisierungen gezeigt. So beginnt etwa der kommunitaristische Diskurs vor der Entwicklung existentialistischer Argumentationsfiguren; Nietzsche greift auf rousseauistische Entlarvungsrhetorik zurück usw. Die Rede von der Post-Moderne bezeichnet dann auch im folgenden keine Epochengrenze,1 sondern ein spezifisches philosophisches und politisches Programm, wobei der Begriff als „portmanteau phenomenon" 1 in seiner Vielfältigkeit einer Engführung bedarf. In der Architektur, in der Ästhetik, der Philosophie (vor allem in der Epistemologie), der Pädagogik und den Sozialwissenschaften hat die Post-Moderne nicht nur als Untersuchungsgegenstand Einzug gehalten; post-modernes Denken hat in diesen Disziplinen selbst Fuß gefaßt. Für die vorliegende Arbeit bedeutet diese Breite, daß die Post-Moderne allein auf ihren Beitrag
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Zum allgemeinen Rahmen der Debatte aus politikwissenschaftlicher Sicht: Klaus von Beyme, „Postmoderne und politische Theorie", in: PVS, 30/1989, 209-229 und Ders., Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Moderne zur Postmoderne, Frankfurt/M. 1991. Rainer Eisfeld, „Politik und Postmoderne", in: Michael Th. Greven/Peter Kühler/Manfred Schmitz (Hrsg.), Politikwissenschaft als Kritische Theorie. Festschriftfür Kurt Lenk, Baden-Baden 1994,289-301 bietet einen guten Überblick über die US-amerikanische Diskussion. Hans-Martin Schönherr-Mann, Postmoderne Theorien des Politischen. Pragmatismus, Kommunitarismus, Pluralismus, München 1996, 16 fordert eine „zweite Philosophie, in der das politische Denken sich nicht mehr nur auf eingeschränkte Aspekte des Politischen konzentriert, sondern in der es versucht, der Komplexität der Kosmo-Polis mit ihren Bezügen zur Natur gerecht zu werden." Das verweist aber eher auf eine Prä-Moderne der kosmologischen, vorgegebenen Ordnung.
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Terry Eagleton, The Illusions of Postmodernism, Oxford 1996, viii. Leider schießt seine Polemik gegen die Post-Modeme weit über das Ziel hinaus. Viele Beispiele zur Breite der Debatte bietet Richard Harvey Brown (Hrsg.), Postmodern Representations. Truth, Power, and Mimesis in the Human Sciences and Public Culture, Urbana und Chicago 1995.
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Post-Moderne Antworten: Das Ende des Authentischen?
zur Verbindung von Individualisierung und politischer Legitimation hin untersucht wird. Sie artikuliert eine Sicht auf das moderne Individuum, in der die Dezentrierung des Subjekts im Mittelpunkt steht. In Anlehnung an Nietzsche und Heidegger wird ein essentialistischer Begriff von Personalität und Individualität zurückgewiesen. Allerdings bleibt dieser Bezug recht oberflächlich, weil Nietzsche und Heidegger in ihrer Dekonstruktion traditioneller Ontologie eine metaphysische Bestimmung des menschlichen Daseins ablehnen, gleichwohl aber an der Fixierung eines Subjektbegriffs weiter arbeiten. Was sich bei Nietzsche als Zertrümmerung aller Wahrheiten darstellt, zentriert sich schließlich in der Wahrheit vom „Willen zur Macht", und Heideggers Fundamentalontologie verweist zwar auf die Praxis und Prozeßhaftigkeit der Existenzfindung, seine Unterscheidung eines eigentlichen Daseins von einem uneigentlichen Dasein offenbart aber den Kern wahrer, seiner Erbschaft und Zeitlichkeit, dem Geschick geöffneter Existenz. Gerade weil sie letztlich an einem solchen Essentialismus festhalten, erweisen sich Nietzsche und Heidegger als Denker der PostMetaphysik, 3 aber eben nicht der Post-Moderne, welche solche Zentrierung des Subjekts nicht mehr kennt und einen Begriff nicht-essentieller Subjektivität pflegt. 4 Deshalb - und dieser Punkt setzt die Unterscheidung Moderne/Post-Moderne im Rahmen dieser Studie - verzichtet die Post-Moderne in ihrer Selbstwahrnehmung durch sich post-modern verstehende Autoren auch auf Programme der Versöhnung von Individuum und Gesellschaft.5 Damit stellt sich aber die Frage, wie denn aus den unverwechselbaren Individuen heraus politische Ordnung, d. h. Allgemeinheit entstehen kann und wie sich die in dieser Allgemeinheit notwendig Form findenden Herrschaftsverhältnisse legitimieren können. Zu fragen ist auch danach, ob dieser Verzicht auf Einheitsstiftung vordergründig bleibt und sich nicht auch in der Betonung des Inkommensurablen Ansätze zur Konstruktion eines Allgemeinen erkennen lassen.
5.1 S imulation und Authentizität Eine Geschichte der Moderne, die sich als Erzählung vom fortschreitenden Bedeutungsverlust des Subjekts liest, legt Jean Baudrillard vor. In seinen Arbeiten wird diese Geschichte eingebettet in eine Verselbständigung der Zeichensysteme, in denen sich die untergangsgeweihte Individualität symbolisiert. In einer Art semiotischer Drei-Stadien-Lehre entwirft Baudrillard das Szenario einer tiefgreifenden Veränderung im Verhältnis von Zeichen und
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Vgl. Frank Werner Veauthier (Hrsg.), Martin Heidegger - Denker der Post-Metaphysik. Symposium aus Anlaß seines 100. Geburtstags, Heidelberg 1992. Vgl. zu den Spielarten des Anti-Essentialismus Hubert L. Dreyfus/Charles Spinosa, „Zwei Arten des Antiessentialismus und ihre Konsequenzen", in: DZPh, 45/1997, Heft 1, 23-49. Insofern muß auch Niklas Luhmann als post-modern eingestuft werden. Vgl. seine Ablehnung einer modernen Versöhnung von Individuum und Gesellschaft zuletzt explizit gleich zu Beginn von Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997, 16-35.
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Bezeichnetem. Er stellt drei Modelle (Simulakren) dieses Verhältnisses gegeneinander, die Ordnungen der Imitation, der Produktion und der Simulation. 1 Die Imitation entspricht Gesellschaften, die noch nicht dynamisiert worden sind und sich noch nicht system-funktional umstrukturiert haben, sondern dem relativen Immobilismus des hierarchisch-ständisch organisierten Personenverbandsstaates gehorchen. Zeichen verweisen hier auf gesellschaftliche Hierarchien. Sie imitieren mit Hilfe der Sprache der Zeichen der Bekleidungsmode, des Schmucks, der Speisen, der Vergnügungen usw. die soziale Schichtung. Aufgrund dieser Abbildung der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse durch die Zeichen ist ihre Benutzung streng reglementiert. Durch die Dynamik der industriellen Gesellschaft wird dieses Zeichensystem der feudalen Ordnung zestört. Die Signifikanten verlieren ihre lange Zeit geltende Unumstößlichkeit und müssen neu erfunden, neu produziert werden. 2 Wobei jetzt die Zeichen der sozialen Unterscheidung über den Marktzugang vergeben werden. In der dritten Phase hat sich nach Baudrillard das Zeichensystem verselbstständigt. Durch die umfassende Digitalisierung läßt sich jede Realität binär codieren (1/0) und damit beliebig errechnen, d. h. maschinell durch den Computer herstellen. Mit der freien Verknüpfung von Signifikant/Signifikat geht aber die Folie einer zu imitierenden,, natürlichen" oder in der Ökonomie hergestellten Ordnung verloren. Es existiert keine andere Wirklichkeit als die des binären Codes. 3 Die Post-Moderne stellt sich für Baudrillard als Epoche der umfassenden Auslöschung nicht-medialer Wirklichkeiten dar. Alles verliert seinen „realen" Wert, weil die traditionelle Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Abbildung in der digitalisierten Welt der neuen Medien aufgehoben ist. Mit dem Ende der Repräsentation des Wirklichen fällt auch die Bedingung der Möglichkeit, Authentizität von Inauthentizität als Realisierung bzw. Nicht-Realisierung von Wesenskemen, Substanzen, Essentialitäten zu verstehen. Alles kann authentisch und gleichzeitig inauthentisch sein. Signifikant und Signifikat verschmelzen zur „Hyperrealität".4 Die aufklärerische Geste der Entlarvung und Entschleierung wird sinnlos, da alles zum Schauspiel geworden ist und auch die Differenz zwischen Akteuren und Publikum aufgehoben wurde. In Baudrillards Simulationstheorie wird nicht mehr mit der Unterscheidung von Wesen/Erscheinung operiert. Aber im Gegensatz zu Heidegger, dessen Phänomenologie darauf abzielt, im Phänomen das Eigentliche zur Geltung zu bringen und dessen Denken sich dann folgerichtig ästhetisch orientiert, weist der Signifikant nur noch auf sich selbst. Damit erübrigt sich eine Überprüfung auf richtiges oder falsches Verweisen. Allerdings bleibt dann unbegründet, warum ein „Zeichen", welches auf nur auf sich zeigt, ,.Zeichen" genannt wird. Erst der Hinweis auf ein Signifikat macht das Zeichen zum Zeichen. Zeichen erfüllen die Funktion der Platzhaltung für etwas Bezeichnetes. 5 Ähnlich ungeklärt
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Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der 7 W (1976), München 1982, 79 (Hervorhebungen im Original). Gilles Lipovetsky, L'Empire de l'ephemere: La mode et son destin dans les societes modernes, Paris 1987 zeigt welche Emanzipationsmöglichkeiten in dieser Befreiung der Zeichen steckt. Was Baudrillard als Tragödie formuliert, wird bei Lipovetsky zur Komödie. Baudrillard, Der symbolische Tausch, 90. Ebd., 112ff spricht Baudrillard von der „Hyperrealität der Simulation". Vgl. Klaus Kraemer, „Schwerelosigkeit der Zeichen? Die Paradoxie des selbstreferentiellen Zeichens bei Baudrillard", in: Ralf Bohn/Dieter Fuder (Hrsg.), Baudrillard - Simulation und Verfuhrung, München 1994, 47-70.
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ist auch der Gebrauch des Begriffs „Simulation", dessen Benutzung einen Unterschied zur Nicht-Simulation zwingend macht. Aber genau das Nicht-Simulierte soll es ja nach Baudrillard im dritten Simulakrum nicht mehr geben. Dann fallen aber alle Begriffe zusammen, weil sie eben keine Unterschiede mehr bezeichnen: Simulation gleich Realität gleich Hyperrealität. Daß Baudrillard selbst an der Benutzung dieser unterschiedlichen Begriffe festhält, erklärt sich aus ihrer jeweiligen Konnotation. „Simulation" verweist auf etwas Unechtes, künstlich Hergestelltes, Nachgeahmtes. Diese Färbung des Wortes eignet sich gut für die Kulturkritik, die im Zentrum der Argumentation Baudrillards steht. In der Post-Moderne vollzieht sich danach ein drastischer Wertzerfall, weder die Imitation des für natürlich Gehaltenen noch die Produktion für den Markt fundieren die ökonomischen und gesellschaftlichen Werte. Daß auch unter den Bedingungen des digitalen Codes die Ökonomie der subjektiven Nutzenerwartungen gültig bleibt, wird von Baudrillard nicht weiter ausgeführt. Konsequent sieht er von allen Kontexten der Zeichenproduktion ab. Stattdessen sieht er im technischen System der nur noch elektronisch vorhandenen Geldflüsse eine Bestätigung seiner Simulationstheorie. 1 Diese Theorie der Erfindung der Welt im binären Code hat erhebliche Auswirkungen auf den Begriff der Individualität. Die Vorstellung eines autonomen Subjekts, das in der Interaktion mit anderen Subjekten eine spezifische Identität ausbildet, ist nicht mehr haltbar. Baudrillard spricht dann konsequent vom Tod des Subjekts. Alle individuellen Signaturen sind hyperreal, d. h. simuliert. Eine mit dem Emanzipationsanspruch des einzelnen begründete Notwendigkeit, seine Unverwechselbarkeit als Ausdruck der Selbstbestimmung zu artikulieren, über sich Wissen zu sammeln und in Repräsentationssystemen (im Arbeitsprozeß, in der Mit-Welt) zu überprüfen, kann vor dem Hintergrund dieser Simulationstheorie nicht mehr formuliert werden. Vielmehr ergibt sich die Möglichkeit einer beliebigen, allein durch die Logik des Codes begrenzten, medialen Selbstschöpfung. Formen und Inhalte der Selbstsimulation gehorchen allein dieser Codierung. Das kernlose, wesensfreie, nichtessentielle Individuum ohne transzendentalen Hintergrund ist Bürger der Post-Moderne und erfährt im Allgemeinen des binären Codes seine Mediatisierung. Es bleibt in seiner Selbstbeschreibung an die Logik der binären Codierung gebunden und drückt so letztlich die Herrschaft der Technik, der Objekte über die Subjekte aus. Das Individuum ist nur noch als Teil eines umfassenden Simulationszusammenhangs vorstellbar. 2 Die digitalen Zeichen sind frei kombinierbar, können gekoppelt und getrennt werden. Alles ist möglich, aber nichts weist über sich hinaus. Kombination und Rekombination lösen die Idee einer zentrierten personalen Identität auf. Identisch mit sich ist nur noch das Zeichen; die aus ihm zusammengesetzte Subjektivität ruht auf universaler Serialität und Gleichheit. Ähnlich wie die genetische Austattung durch die Kombination von vier die Aminosäuren codierenden Basen zu Triplets bestimmt wird, so geht jede Individualität auf die binäre Codierung des
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Baudrillard, Der symbolische Tausch, 40ff. An dieser Stelle geht die marxistisch inspirierte Lehre von der Objektivität der (Arbeits-)Werte eine unfruchtbare Verbindung mit der Simulationstheorie ein. Die so fundierte Verfallsgeschichte des Kapitalismus entwirft ein Bild von seiner Vergangenheit, als das Geld quasi Imitation realer Werte war bzw. real produziert werden konnte und noch nicht simuliert wurde. Vgl. Jochen Hörisch, „Monetäre Simulation. Die Im/Materialität des Geldes", in: Bohn/Fuder (Hrsg.), Baudrillard, 71-92. Baudrillard, Subjekt und Objekt: Fraktal, Bern 1986, 5.
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Computers zurück.1 Es gibt keine Entfremdung im Sinne der Entfernung vom individuellen Wollen. Der Mensch fällt als Maßstab für die Beurteilung politischer Ordnungen aus. Entsprechend obsolet ist die herkömmliche politische Herrschaftskritik.2 Die Allgemeinheit des Codes führt zur Apokalypse des Politischen im Sinne einer an Legitimation gebundenen Praxis.3 Auf den hier zu Tage tretenden Selbstwiderspruch Baudrillards soll nur kurz hingewiesen werden. Wenn die Auflösung des Subjekts und seine Herstellung in Bits und Bytes jeden übergeordneten Bezug verloren hat, dann kann doch danach gefragt werden, woher Baudrillards kritische Anmerkungen kommen. Offensichtlich ist es doch so, daß er der Implosion entkommen ist und jenseits der Fraktalität seine Kulturkritik formulieren kann und dafür eine Geltung beansprucht, die über die Feststellung, alles - auch seine Kritik - sei eben simuliert, hinaus will. 4 Baudrillards Beobachterstandpunkt ist also jenseits des semiotischen Zusammenhangs der binären Codierung angesiedelt. Er beobachtet von einem extramundanen Standpunkt aus, den es aber nach seiner Theorie des Übergangs ins dritte Simulakrum nicht geben kann. Oder es können sich bestimmte Subjekte (Baudrillard) der Fraktalisierung entziehen, dann gilt das Strukturgesetz der binären Codierung aber nicht schlechthin. Aus diesem Widerspruch helfen Baudrillard auch seine eigenen Hinweise, er meine es nicht so, habe inzwischen ganz andere Positionen, sei kein Philosoph, sondern Soziologie, sei aber auch kein Soziologe usw. 5 nicht hinaus, denn wenigstens die jeweilige
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Ebd., 7. Ders., Die Illusion des Endes oder der Streik der Ereignisse (1992), Berlin 1994, 167: „Zugleich verschwindet der Begriff der Entfremdung. Dieses neue geklonte, metastasierte, interaktive Individuum ist nicht mehr entfremdet, es ist identisch mit sich selbst- es unterscheidet sich nicht mehr von sich selbst und ist somit für sich selbst gleichgültig. Diese Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst steht im Mittelpunkt des noch allgemeineren Problems der Gleichgültigkeit der Institutionen, des Politischen etc. gegenüber sich selbst. Die Gleichgültigkeit der Zeit: die Nicht-Entferntheit der Zeitpunkte untereinander, die Promiskuität von Zeitpunkten, die Unmittelbarkeit der Echtzeit. Langeweile. Die Gleichgültigkeit des Raumes: die Kontiguität, die televisuelle, ferngesteuerte Kontamination aller Raumpunkte, die bewirkt, daß ihr nirgendwo seid. Die politische Gleichgültigkeit: Doppelbelichtung, Wucherung aller Meinungen in einem einzigen Medienkontinuum." (Hervorhebungen im Original). Vgl. Teresa Heffeman, „Can the Apocalypse be Post?", in: Richard Dellamora (Hrsg.), Postmodern Apocalypse. Theory and Cultural Practice at the End, Philadelphia 1995, 17Iff. Die subjektive Sprechhandlung ist notwendig mit der subjektiven Überzeugung ihrer Richtigkeit. Mit ihr werden immer Geltungsansprüche angemeldet. Für den Sprecher kann nie alles beliebig sein, denn dann hätte er keine Unterscheidungsgrundlage für die Konstruktion seiner Argumente. Siehe dazu viele Beispiele für Baudrillards Argumentationsstil in: Der Tod der Moderne - Eine Diskussion. Redner: Jean Baudrillard, Gerd Bergfleth, Horst Folkerts, Ute Gerhardt, Heidrun Hesse, Dietmar Kamper, Gerd Kimmerle, Gert Mattenklott, Michael Rutschky, Hartmut Schröder, Ulrich Sonnemann, Tübingen 1983, 65, 83, 99. Dieser Stil wird von seinen Anhängern gerade gelobt. Vgl. Norbert Bolz, „Es war einmal in Amerika", in: Bohn/Fuder (Hrsg.), Baudrillard, 93: „Er (Baudrillard, TN) kann zwar nicht argumentieren und logisch deduzieren, aber - und man ist versucht zu sagen: deshalb - höchst sensibel auf die Moden der zivilisatorischen Existenz reagieren."
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aktuelle Äußerung - und sei es die, alles sei beliebig - überschreitet die Grenze der Beliebigkeit. 1 Doch die Bedeutung seiner Simulationstheorie steht offensichtlich in umgekehrten Verhältnis zu ihrer Schlüssigkeit. Baudrillard ist der Symptomdenker der Post-Moderne. Er fungiert als Seismograph des Zeitgeistes und setzt sich an die Spitze der jeweiligen Debatten. Die Auflagenhöhe seiner Bücher, seine publizistische Allgegenwärtigkeit zeigt deutlich, daß er immer noch in Mode ist. Baudrillard ist als politisches und kulturelles Phänomen zu deuten. Deshalb soll in den folgenden Absätzen ohne weitere erkenntnistheoretische Überlegungen auf die politischen Implikationen seiner Theorie der Simulation eingegangen werden. Baudrillard entwirft das Modell einer hermetischen Selbstreferentialität der Signifikanten2, das eine große Anziehungskraft für zivilisationsskeptische Positionen besitzt. Der Simulationszusammenhang wird undurchdringbar und führt zu endlosen Selbstreprduktionen.3 Der Abschied von den großen Perfektibilitätshoffnungen der Aufklärung verbindet sich mit der Perzeption, den Zwängen des Systems ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Zu den düsteren Aspekten dieser Art der Kulturkritik gehört eine Apologie des politischen Quietismus, der Indifferenz und der Passivität. Hier vulgarisiert sich wohl ein strukturalistisches Denken, das seine Strukturbeschreibungen nicht als kontingente Beobachterposition begreift, die beispielsweise durch handlungstheoretisch orientierte Sichtweisen ersetzt werden kann, sondern als fundamentale, korrespondenztheoretisch auf das wirkliche Sein gerichtete Ontologie.4 Die politische Ordnung gilt als hermetisch gegen Einsprüche der Subjekte abgeriegelt; Legitimationsfragen können gegenüber der Macht der Strukturen gar nicht mehr formuliert werden. Die Individuen drücken ihren Willen nur scheinbar aus; das System kann diese Willensäußerung konditionieren. Die politischen Subjekte sind nicht mehr als „Affen". Die Indifferenzempfehlungen Baudrillards sind auch in der Enttäuschung über die Handlungsunfähigkeit der Individuen und ihr Versagen als „Masse" begründet. Da es keine Repräsentationen mehr gibt, ist Demokratie unmöglich geworden. Nicht nur dem Parlamentarismus wird hier eine Absage erteilt, sondern auch allen Formen der dirketen Partizipation, denn auch der freie Wille der Individuen ist simuliert.5 Baudrillard beklagt die Scheinhaftigkeit der politischen Auseinandersetzungen in den
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Diesen Relativismus versucht Baudrillard formal zu begründen, in dem er seine Argumentationen oft in Form von Interviews, Mitschnitten von Reden, in kurzen Beiträgen in Zeitungen öffentlich macht und solche Fragmente erst zu diversen längeren Texten zusammenstellt. Doch auch diese Form entkommt nicht dem immanenten Geltungsanspruch auf Richtigkeit und damit dem Selbstwiderspruch. Jean Baudrillard, Fatale Strategien, Berlin 1985. Ders., Transparenz des Bösen. Ein Essay über extreme Phänomene, Berlin 1992, 12. Baudrillard dekonstruiert Ontologie im Namen einer anderen Ontologie. Für ihn ist das Individuum zum „Nichts" geworden. Alle Äußerungsformen gelten deshalb als nichtig. Aber - und an diesem Widerspruch laborierte schon die Argumentation Sartres - auch das „Nichts" ist etwas. Dazu: Baudrillard, Illusion des Endes, 163f: „Der Neo-Individualismus, das mangelnde Leistungsdenken und das fehlende unternehmerische Heldentum, der sportliche... und vielleicht auch der neo-hedonistische, synkretistische und stammesmäßige Individualismus hat nichts mit dem Helden des bürgerlichen Individualismus zu tun. Der Heros der Subjektivität, des Bruches, des freien Willens und der radikalen Einzigartigkeit nach Stimers Auslegung ist tot... Dieses Individuum ist überhaupt keines." Ders., Der symbolische
Tausch, 107f (Hervorhebungen im Original).
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parlamentarischen Systemen des westlichen, atlantischen liberal-demokratischen Typs und drückt noch einmal die eingeschliffene Kritik an der Symbolik der politischen Legitimationsprozesse aus.1 Wer aber das bestehende Institutionengefüge als formal kritisiert, der muß über eine Kategorie des eigentlich Inhaltlichen verfügen. Doch genau diese Kategorien werden von Baudrillard nicht präsentiert. Seine Kritik verbindet sich mit der Wahrnehmung eines Niedergangs des öffentlichen Diskurses, in welchem die früher „realen" Antagonismen nur noch simuliert werden. Aber auch dieser Bezug auf die Vergangenheit bleibt skizzenhaft. Wieder begegnet uns Baudrillard als rückwärts gewandter Kulturkritiker, für den die Unterscheidung der authentischen/inauthentischen Repräsentation in den vorhergegangenen Simulakren noch möglich war. Er trauert um die verlorene Individualität. In der Post-Moderne ist das Authentische unwiederbringlich dahin2. Es gibt kein Wesen des Politischen mehr, obwohl seine Kritik an der reflexhaften Zustimmung der „Massen" zu den politischen Maßnahmen des Systems überhaupt nur verständlich werden kann, wenn man von dem Vorhandensein eines substantialistischen Politikbegriffs ausgeht. 3 Allerdings machen Baudrillards Argumentationen in diesem Punkt erhebliche Veränderungen durch. Einerseits hält er an der Dementierung der Möglichkeit der Formulierung essentieller Unterschiede fest und sieht keine Räume jenseits des Simulationszusammenhangs, andererseits finden sich schon in der Symbolische Tausch und der Tod, der Grundlegung seiner Zeichentheorie, ausführliche Überlegungen zum Kampf gegen das dritte Simulakrum. Die beliebige Verknüpfung der Zeichen muß rückgängig gemacht werden, und die einzige Anknüpfungsmöglichkeit in der Epoche der Hyperrealität ist für ihn der Tod. Das Sterben markiert die letzte unhintergehbare Wirklichkeit. Gegen den Simulationszusammenhang
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Vgl. zur Problematik eines im Rahmen der Analyse einer „kommunikationspolitischen Inszenierung als Wirklichkeit" entfalteten Begriffs von „symbolischer Politik als Problemlösungssurrogat", der die Unterscheidung des Eigentlichen/Uneigentlichen notwendig macht: Ulrich Sarcinelli, „Symbolische Politik und politische Kultur. Das Kommunikationsritual als politische Wirklichkeit", in: PVS, 30/ 1989, 292-309. Baudrillard, Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen (1968), Frankfurt und New York 1991, 98 weist den Vätern das Authentische zu, das heute nur noch als psycho-soziale Stütze fungiere: „Der Mensch wird in der funktionellen Umwelt nicht heimisch, er benötigt ein Zeichen,..., ein Stück unbedingter Echtheit aus dem Innersten der Realität des Lebens, um eine Rechtfertigung zu haben" (102). Allein der Hinweis auf die immer wieder auszulösende Zustimmung durch das Wahlvolk zeigt noch nicht, daß dieses herrschaftskonform konditioniert ist. Um es mit Hilfe eines Beispiels zu formulieren: Wenn das Versuchstier nach dem Betätigen einer spezifischen Taste Futter bekommt, diesen Zusammenhang „lernt" und den Tastendruck wiederholt, kann von erfolgreicher Konditionierung des Versuchstieres gesprochen werden. Aber diese Beobachtung läßt sich auch als erfolgreiche Konditionierung des Experimentators durch das Versuchstier beschreiben, denn immer wenn dieses Futter will, zwingt es durch den Tastendruck den Experimentator, Futter zu geben. Diesem Problem der Rekursivität geht Baudrillard überhaupt nicht nach, dafür wiederholt er die Stereotypen der Kritik an den „Massen". Vgl. Ders., Das Jahr 2000 findet nicht statt, Berlin 1990, l l f . Die Masse hat Konsum, aber „keine Geschichte, keinen Sinn, kein Bewußtsein und kein Begehren." An dieser Stelle wird die Argumentationsmethode Baudrillards deutlich. Er assoziiert „Ende der Geschichte" mit „Trägheit", „Trägheit" mit „Masse", „Masse" mit „Fettleibigkeit", „Fettleibigkeit" mit Überkonsum usw. und endet schließlich bei einer Theorie der allgemeinen Übersättigung. Diese lädt nun wiederum zu kulturkritischen Anmerkungen ein.
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können dann auch keine Gegensimulationen in Form revolutionärer Programme oder revolutionärer Gegengewalt erfolgreich eingesetzt werden, sondern nur die Bezeugung der totalen Verweigerung der einzelnen durch ihren Märtyrertod.1 Diese Widerstandsempfehlung gehorcht entgegen den eigenen theoretischen Voraussetzungen noch der Logik der Entlarvung. Das System soll in seiner „Repressivität" kenntlich gemacht werden, gegen das Netzwerk der Macht soll der anarchische Voluntarismus gesetzt werden. Der Wille der einzelnen kommt zum Zuge, wenn auch nur im Sinne der eigenen Auslöschung. An dieser Stelle unterscheidet Baudrillard richtige von falschen Todes-Strategien, wobei für ihn nur diejenigen wirklich den „Tod gegen das System ausspielen", die nicht den Regeln einer politischen Klugheit, des Zweck-Mittel-Denkens, der instrumentellen Vernunft gehorchen. Der revolutionäre Tod will nichts sein außer unmittelbare Aktion, Zeugnis der endgültigen Verweigerung, wobei diese Zeugenschaft, die Baudrillard diesen Toden zuschreibt, ihnen schon ihren Charakter der reinen, unmittelbaren Aktion nimmt. Damit widerlegt Baudrillard selbst die Möglichkeit einer reinen Unmittelbarkeit. Der Bezug zum globalen Phänomen des politischen Terrorismus der siebziger Jahre tritt deutlich hervor. Allerdings kann Baudrillard die terroristische Praxis dieser Zeit, in der der Tod als taktisches Mittel im Rahmen von Erpressung, Drohung, Denunziation usw. eingesetzt wird, als uneigentlich und systemkonform kritisieren. Damit entkommt Baudrillard gerade in Der symbolische Tausch und der Tod nicht der U n t e r s c h e i d u n g authentischer/inauthentischer Politik. Der richtige Tod markiert die Einbruchsstelle der Realität ins System der Simulationen. Mit dem Abflauen des Terrorismus gegen Mitte der achtziger Jahre verändert Baudrillard seine Entwürfe des Gegenspiels. Er rückt von der Radikalität der tödlichen Verweigerung ab und setzt auf die subversive Kraft der Verführung gegen die Hyperrealität der Simulation, in der alles dem binären Code folgen muß. Gegen diese Notwendigkeit der Entscheidung zu diesem oder jenem Zeichen (1/0) setzt er auf die Andeutung und das Spiel der Verführung: „Dem Scheinhaften wohnt gerade deshalb so etwas wie ein Geheimnis inne, weil es sich nicht deuten läßt. Es bleibt unauflösbar und nicht dechiffrierbar. Die umgekehrte Strategie, die der gesamten modernen Entwicklung, ist die Strategie der .Befreiung* des Sinns und der Zerstörung des Scheinhaften. Es war stets die wesentliche Tat von Revolutionen, über das Scheinhafte hinauszugehen. Was ich hier äußere, ist keinesfalls irgendeine reaktionäre Nostalgie. Ich versuche lediglich einen Raum des Geheimnisses wiederzuerschließen, wobei die Verführung nur das ist, was den Schein als Geheimnis in Zirkulation und Bewegung versetzt. Was ist verführerischer als das Geheimnis? Ich habe davon bereits im Zusammenhang mit der Herausforderung und dem Geistesblitz gesprochen, aber beide gehören eben gleichermaßen zum Gefüge der Verführung. So wie die Verführung eine Herausforderung für die Ordnung der Produktion darstellt, so das Geheimnis eine Herausforderung für die Ordnung der Wahrheit und des Wissens." 2 Baudrillard dreht die Seiten der Unterscheidung von Wesen und Erscheinung um. Wenn es denn überhaupt die Möglichkeit gibt, eine Sphäre des Scheinhaften, hinter dem sich „Sinn" verbirgt, zu benennen, dann muß es demgegenüber eine Sphäre des Realen geben, in welcher dieser „Sinn" sich manifestiert. Damit stößt man aber wieder auf die Unterscheidung des Authentischen vom Inauthentischen. Die
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Baudrillard, Der symbolische Tausch, 279. Ders., Das Andere selbst: Habilitation (1987), Wien 1994, 51 (Hervorhebungen im Original).
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Wiederherstellung des „Geheimnisses" in der „Verführung" dreht die Vorzeichen dieses seit der Aufklärung laufenden Differenzierungsprojekts um. Weder sind die Schauspiele des Politischen zu entlarven und mit der Wahrheit der Vernunft zu konfrontieren (Rousseau) noch sind alle Wahrheiten als scheinhaft aufzuheben (Nietzsche).1 Das Geheimnis ist die eigentliche Wahrheit. Mit dieser Feststellung dementiert Baudrillard seine Simulationstheorie; gegenüber dem Hyperrealismus gibt es einen Raum der Unbestimmtheit, der Offenheit, und gerade in der Unbestimmtheit der Verführung verlieren die Zeichen wieder ihre Selbstreferentialität und sind an bestimmte Signifikate gebunden. An dieser Stelle wird eine Fülle von Paradoxien frei. Es kommt zu einer Renaissance der Repräsentation, von der ohne Differenz zum Repräsentierten nicht gesprochen werden kann. Die Authentizität des Scheins setzt die Tarnung voraus. Um zu sein, muß das Individuum den Strategien des Scheins folgen.2 Freiheit besteht dann schließlich in der Entfremdung. Baudrillard lädt diese Rekonstruktion des authentischen Scheins geschichtsphilosophisch auf. Er spricht von der „letzten Chance" 3 des Menschen angesichts der Apokalypse umfassender Aufklärung als totaler Simulation. Mit der binären Codierung der letzten Nischen des Scheins, des Geheimnisses, der Irrationalität, des Unsinns ist für Baudrillard das Ende des Menschen gekommen. Dann bleibt nicht einmal mehr die Möglichkeit der verführerischen Handlung, sondern nur noch die Selbstobjektivierung. Gegen die ubiquitäre Kommunikation wird das große Schweigen der Dinge gesetzt. Angesichts der Endgültigkeit der Hyperrealität gibt es für die Subjekte allenfalls ein Entkommen in die Versteinerung 4 der Existenz, die weder „Begeisterung" noch „Verzweiflung" kennt. 5 Baudrillards Simulationstheorie speist sich offensichtlich aus dem Versuch, Sozialität enttäuschungssicher zu organisieren. Doch das selbstreferentielle Spiel der Signifikanten hebt die Unterscheidung von Wesen/ Erscheinung, Authentiziät/Inauthentiziät, Wahrheit/Unwahrheit nicht auf. Damit besteht aber immer die Gefahr, dem Falschen zu folgen. Auch die Paradoxierung dieses Verhältnisses im „Geheimnis", die Rekonstruktion der Repräsentation und das Plädoyer für den Schein schließen die Möglichkeit des Trugs nicht aus. Dagegen hilft nur die Selbsttötung. Über diese Alternative der radikalen Verneinung ist Baudrillards politisches Philosophieren nicht hinaus gekommen.
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Ebd., 18. Ebd., 60: „Wie tarnt man sich? Wie verstellt man sich? Wie stellt man sich mit seiner Aufmachung, seinem Schweigen, seinem Zeichenspiel, seiner Indifferenz am besten zur Schau - in einer Strategie des Scheinhaften?". Ebd., 59. Ebd., 71: „Wie kann das Subjekt davon träumen, über seinen eigenen Schatten zu springen, ins Schweigen zu verfallen und das ideale Los der Steine, der Tiere, der Masken, der Gestirne zu teilen, wenn es sich weder von der Sprache und dem Begehren noch von seinem eigenen Bild zu lösen vermag, wenn das Objekt selbst nur insofern existiert, als es v o m Subjekt benannt und begehrt wird?". Ebd., 81.
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5.2 Post-Moderne Spannungen zwischen Individualität und politischer Ordnung Einen zentralen Bezugspunkt in der Debatte über die Post-Moderne bildet Lyotards im Auftrag des Universitätsrates der Regierung von Quebec erstelltes Gutachten zur Bedeutung des Wissens in hochentwickelten Industriegesellschaften.1 Ihm geht es u. a. um die Beantwortung der Frage, wie in den nicht mehr durch das schwerindustrielle Produktionsmodell bestimmten Gesellschaften das „soziale Band" 2 des gesellschaftlichen Zusammenhalts legitimiert werden kann. Seine Fragestellung wendet sich also genau jenem Problem zu, das bei Baudrillard keine Beachtung mehr findet. Für Lyotard haben die „Meta-Erzählungen" der Moderne, die großen Programme der Herstellung vernünftiger und gerechter Ordnungen, in denen Freiheit und Solidarität zusammenfallen, ihre Bindungskraft verloren. Die Hoffnung, im herrschaftsfreien Diskurs zur universellen Grundlegung einer menschenwürdigen politischen Ordnung zu gelangen, ist obsolet geworden, wie das Vertrauen in eine sozialistische Transformation. Lyotard kritisiert diese großen Erzählungen und delegitimiert sie mit dem Hinweis auf den Verlust an individueller Selbstbestimmung, den diese Programme der Moderne mit sich gebracht haben. Aber gerade die umfassende Individualisierung und die Notwendigkeit der Selbstschöpfung macht für ihn die Rechtfertigung des sozialen Zusammenhalts dringend: „Jeder ist auf sich selbst zurückgeworfen. Und jeder weiß, daß dieses Selbst wenig ist." 3 Auch die technokratische Sachzwangorientierung der Expansion wissenschaftlichen Wissens kann die politische Ordnung nicht mehr legitimieren. 4 Demgegenüber votiert er für eine Kultur vieler „Mikro-Erzählungen", in denen die Unterschiedlichkeit und Unverwechselbarkeit kleiner Gemeinschaften und Gruppen bis hin zur idiosynkratischen Individualität ihren Ausdruck finden können.5 Die soziale Einheit wird dabei nicht über die Inhalte der Erzählung vermittelt, sondern über das Erzählen überhaupt. Lyotard kommt es nicht auf den propositionalen Gehalt an. Vielmehr sieht er in den Mikro-Erzählungen Sprachspiele, welche aufgrund ihres Spielcharakters die beteiligten Individuen auf eine bestimmte Regelbefolgung festlegen. Im Sprachspiel manifestiert sich so Allgemeinheit. Die politischen Institutionen sollen schließlich für diese Mikro-Erzählungen geöffnet werden. Lyotard plädiert für einen Pluralismus der Sinnproduktionen. 6 In der Post-Moderne soll der auf Selbstbestimmung der Individuen und soziale Gerechtigkeit zielende politische Diskurs
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Jean-Frangois Lyotard, La conditione postmoderne, Paris 1979 (im folgenden zitiert nach der deutschen Übersetzung: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien 1986). Ebd., 16. Ebd., 54 (Hervorhebung im Original). Lyotard stellt die klassische Legitimitätsproblematik von Herrschaft in den Mittelpunkt (siehe Kapitel 3 dieser Sudie). Vgl. dazu: David Ingram, „Legitimacy and the Postmodem Condition. The Political Thought of Jean-Frangois Lyotard", in: Praxis International 7/1987/1988, 286-305. Bernard Willms, "Postmoderne und Politik", in: Der Staat 28/1989, 331 f. Bei Willms findet sich eine umfangreiche, kommentierte Literaturübersicht. Ebd., 73f. Ebd., 61.
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durch die Freisetzung „imaginativer Erfindungen" 1 neu fundiert werden, nach dem der „Rekurs auf die großen Erzählungen ausgeschlossen (ist); man kann sich also für die Gültigkeit des postmodemen wissenschaftlichen Diskurses weder auf die Dialektik des Geistes noch auf die Emanzipation der Menschheit berufen." 2 Lyotard möchte die Resultate der Moderne retten, deshalb empfiehlt er die Einrichtung von Foren für Mikro-Erzählungen. Allerdings bleibt bei diesem Plädoyer für die Vielfalt der Weltzugänge und Sinnstiftungen, für die Expression der individuellen Sichtweisen die Frage nach der Vereinheitlichung letztlich unbeantwortet. Zwar bildet die Verständigung auf die regulative Idee des Sprachspiels eine universelle Form, aber diese Universalisierung geht eben über die Festlegung von Regeln der Mikro-Erzählungen nicht hinaus. Damit überschreitet Lyotard aber nicht die liberale Option der Fesdegung bestimmter in der Vernunft aller am politischen Sprachspiel Beteiligter liegender Regeln. Doch dieser Entwurf der Verständigung auf bestimmte Formen entbehrt der Bindungskraft. Wenn doch gerade auf den inhaltlichen, propositionalen Gehalt der Sprachspiele nicht geachtet werden soll, dann ist nur schwer nachzuvollziehen, wie es zur Aushandlung von allgemeinen Regeln kommen soll. Lyotard stößt hier auf das schon bei Jaspers aufgezeigte Problem der Organisierung eines Gesprächs, in dem aber letztlich keine Wahrheitsansprüche angemeldet werden sollen. Aus diesem Dilemma helfen pragmatistische Überlegungen hinaus (siehe unten), aber solche stellt Lyotard nicht an. Was ihm bleibt, ist die Hoffnung auf Harmonisierung im unendlichen Diskurs.3 Die Unterschiedlichkeit individueller Sichtweisen wird in Lyotards Argumentation nicht transzendiert und in einem höheren Allgemeinen aufgehoben, sondern im Widerstreit der jeweils für authentisch gehaltenen Erzählungen soll Gemeinsamkeit entstehen, wobei „Gerechtigkeit" sich aus der politischen Praxis quasi selbstverständlich ergibt und nicht argumentativ begründet werden muß. In Le Differend hat Lyotard diese Idee dahingehend verändert, daß er jetzt für eine Trennung der Diskursarten votiert.4 Die umfassenden „MikroErzählungen" sollen in ihren Sprachspielen unterschiedlichen Regeln folgen, je nachdem, ob man es mit einer politischen, ästhetischen, wissenschaftlichen Debatte zu tun hat. Aber im jeweiligen Diskurs geschieht die Vereinheitlichung wiederum nur durch die Form des Erzählens, durch die Regeln der jeweiligen Sprache. Damit bleibt aber das Problem der überindividuellen Entscheidungsfindung und der Handlungsorientierung weiter bestehen. Wenn schon beim Aufeinanderprallen der Mikro-Erzählungen nicht überzeugt werden kann, dann bleibt nur die Überredung als Mittel der Vereinheitlichung, und dieses Reden ist letztlich in der eingeschliffenen Tradition der jeweiligen Teilnehmer des Sprachspiels fundiert und legitimiert. Lyotard denkt in diesem Zusammenhang an ethnische Gruppen und das „Volk". 5
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Ebd., 175. Ebd. Ebd., 193. Ders., Le Differend, Paris 1983 (zitiert nach der dtsch. Ausgabe: Der Widerstreit, München 1987). Lyotard, Widerstreit, 253, wo die Erzählpraxis der Cashinahua als Modell vorgestellt wird. Mit Blick auf die modernen, westlichen Demokratien heißt es ebd., 262: „Gerecht ist sicherlich, daß das , Volk' die Herrschaft über die Sätze übernimmt, wenn es stimmt, daß das, Volk' die Gesamtheit von Sendern, Empfängern und Referenten der Prosa ist" (Hervorhebungen im Original). Zwar mißtraut Lyotard dieser Instanz zur Regulierung der Erzählungen, aber diese Distanz begründet sich bei ihm empirisch und nicht logisch.
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Post-Moderne Antworten: Das Ende des Authentischen?
5.2.1 Das Allgemeine in der Differenz Die Repräsentation individueller Authentizität bleibt davon nicht unberührt. Denn nun gibt die Ästhetik den Rahmen ab für die Darstellung individueller Authentizität. In der künstlerischen Geste soll die unmittelbare, unverwechselbare personale Identität augenscheinlich werden. Wolfgang Welsch hat versucht, diese ästhetische „Schule der Andersheit"1 zu einer politischen Theorie auszubauen. Dabei knüpft er an den Begriff der „aisthesis" an, der diese Engführung der Verbindung von Authentizität im Kunstwerk aufbricht und ganz allgemein die Wahrnehmungsfähigkeiten der Individuen in den Mittelpunkt stellt. Schon in den Perzeptionen der Individuen manifestiert sich danach ein bestimmtes, allgemeines (Vor-)Urteil, das den authentisch menschlichen Standpunkt zur Geltung bringt. Welsch geht davon aus, daß „ ... der Mensch eine besondere aisthesis besitzt: die aisthesis für Prädikate wie gut und schlecht, gerecht und ungerecht (und nicht bloß, wie die Tiere, für angenehm und unangenehm)." 2 Ästhetik und Moral, radikale Individualität und Allgemeinheit fallen zusammen. Der Anspruch auf authentische Andersheit verliert seinen anti-sozialen Schrecken, denn gerade in der individuellen Sensibilisierung sprechen sich universelle Wahrheiten aus, denn die aisthesis kann - ähnlich wie Rousseaus volonte generale - nicht fehlgehen. Eine so verstandene Ästhetik überwindet die Indifferenz des anything goes und fundiert Werturteile, die den einzelnen nicht mehr aufgezwungen werden müssen, sondern aus deren authentischer Wahrnehmung selbst bezogen werden: „Pluralität und das Plädoyer für Mehrfachkodierung bedeuten das Gegenteil eines Votums für ,anything goes'. Ästhetisches Denken, das mit seinem Wahrnehmungsbezug Wahrheitsansprüche verbindet - und ohne dies wäre es trivial und zynisch - birgt gerade in einer Situation der Pluralität kritische Potenzen und wendet sein Sensorium gegen das aufgedrehte Potpourri, das plural tut, während es in Wahrheit alles in eine Einheitssauce verwandelt."3 Offen bleibt allerdings die Beantwortung der Frage, wie denn überhaupt von einer radikal situierten Andersheit gesprochen werden kann, wenn sich in dem authentischen Ausdruck dieser Andersheit Gattungseigenschaften einer unmittelbaren Sensibilität für das „Gute" und „Böse" zeigen. Was bleibt, ist Fremdheit ohne den Stachel des Trennenden, Entfernten Inkommensurablen. Eine ähnliche Legitimierung von politischer Ordnung durch Betonung der Differenz, wie sie aus Welschs Aisthesis ableitbar ist, wird auch in solchen Konzepten versucht, in denen das politische System als rein formal orientiert kritisiert und demgegenüber das authentische Wollen der Individuen als substantiell und als eigentliche Legitimitätsquelle angesehen wird. Die Formalität des Bestehenden gilt demgegenüber als inauthentisch: „Der Legitimationsschwund der Parteien und des Parlaments ist nur zu einem kleinen Teil ein Schwund an demokratischem Bewußtsein, zum größten Teil ist es der sehr demokratiebewußte Entzug der Legitimation für das politische System, das nur noch formal bürokratisch
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Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, Stuttgart 1990, 39: „Eine solch anästhetisch akzentuierte Ästhetik würde zu einer Schule der Andersheit. Blitz, Störung, Sprengung, Fremdheit wären für sie Grundkategorien. Gegen das Kontinuum des Kommunizierbaren und gegen die schöne Konsumption setzte sie auf Divergenz und Heterogenität."
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Ebd., 54 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 74.
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repräsentiert und symbolisch agiert."1 Die Klage lehnt sich deutlich an Baudrillards Theorie von der Selbstreferentialität der Signifikanten an. Auch der Hinweis auf die Handlungsunfähigkeit des politischen Systems, das in Wirklichkeit nur noch so tue, als ob es über Handlungskompetenz verfüge, findet sich dort. Die bei der Darstellung von Baudrillards Argumentationsgefüge vorgetragene Kritik gilt mithin auch hier und braucht deshalb nicht wiederholt zu werden. Wichtig ist die Feststellung, daß dieser Beitrag zur Delegitimation des Systems mit einem unreflektierten Begriff des Authentischen operiert. Wer die Uneigentlichkeit der bestehenden politischen Ordnung beklagt, der muß eine Vorstellung davon besitzen, wie denn eine Politik aussehen könnte, die zur Sache kommt, nicht mehr nur „formal bürokratisch repräsentiert", sondern über das „symbolische Agieren" hinauskommt, endlich wesentlich, inhaltlich, substantiell wird. Blickt man auf die vorgebrachten Reformvorschläge, dann fällt auf, daß vor allem das Problem der Minderheitsmeinung und ihres Schutzes gegenüber der Mehrheit im Vordergrund steht.2 Fechner begreift die Entfaltung der Differenz als Chance für das politische System. Möglichst viele unterschiedliche Interessen und Sichtweisen sollen sich artikulieren. Er greift damit Welschs Plädoyer für die „Andersheit" auf und versucht, für diese Vielfalt eine die Differenz bewahrende politische Ordnung zu entwerfen. Im Zentrum dieser Argumentation steht dabei der Gedanke, daß sich die Individuen zu ihrer unverwechselbaren Signatur, ihren Interessen und den daraus abgeleiteten Ansprüchen an das politische System bekennen sollen. Die Legitimität der politischen Ordnung fußt so auf der Authentizität der einzelnen, die sich - wenn an dieser Stelle der Rückgriff auf den neuen „Jargon der Eigentlichkeit" erlaubt ist - „ganz einbringen müssen". Politisch kommt es gerade auf diese Substantialität an. Nun ist an der von Fechner präsentierten Liste der Partikularinteressen bemerkenswert, daß in ihr die Vielheit möglicher individueller und gesellschaftlicher Positionen eingeschränkt scheint, denn die differenten Orientierungen (wissenschaftskritisch, ökonomisch, sozial, ökologisch, feministisch) bilden von vornherein auf eine Einheit, die man etwas verkürzt und mit Rückgriff auf die anglo-amerikanische Debatte als „political correct" bezeichnen kann. Aber diese Verengung in der Vorstellung von Andersheit und Differenz reduziert das Problem der Einheitsstiftung erheblich. Gleichwohl werden auch dann noch Mechanismen der Entscheidungsverzögerung befürwortet, bis ein Konsens gefunden worden ist. Offensichtlich soll die in der Entscheidung durchgeführte Auswahl aus Handlungsmöglichkeiten aufgehoben werden, damit keine der unterschiedlichen Positionen in die Rolle der unberücksichtigten Minderheit gedrängt wird. Schließlich garantiert noch ein Schiedsgericht über die Objektivität und Richtigkeit der politischen Entscheidung. Ob mit dem Hinweis auf dieses Gericht, nicht doch wieder formale Legitimationsmechanismen der Akzeptanz von Erwartungsenttäuschungen eingebaut werden, soll hier nicht geprüft werden. Mit Blick auf die Leitfrage dieser Studie nach der Regulation des Verhältnisses des authentischen Wüllens der Individuen kann festgehalten werden, daß das Gelingen eines solchen Gedankenexperimentes der Konsensualität eine nur geringe Bandbreite der zu vereinheitlichenden Positionen voraussetzt. Für die politische Ordnungsauf-
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Frank Fechner, Politik und Postmoderne. 101. Ebd., 107.
Postmodernisierung
als Demokratisierung?,
Wien 1990,
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Post-Modeme Antworten: Das Ende des Authentischen?
gäbe der Organisation der Beziehungen von Fremden und der Regulierung des Inkommensurablen bietet dieser Ansatz wenig. 1 Auf das hier zu Tage tretende Problem der Vermeidung von Festlegungen, in denen - man denke an das Verhältnis von Mehrheit/Minderheit - immer Herrschaft manifestiert wird, reagiert eine diesem Denken aufgeschlossene politische Philosophie mit dem Versuch, „Identifizierungen" weitgehend zu vermeiden. Damit aber begibt sie sich in einen Widerspruch, denn die Benennung der individuellen Ansprüche, die subjektive Betroffenheit wird ja gerade als notwendige Bereicherung des Politischen gewünscht. Einerseits sollen die Individuen authentisch sein, aber andererseits lauert in der Authentizität eine Festlegung auf bestimmte Signaturen. Demgegenüber wird eine Existenz beschrieben, die jenseits solcher Identitätszwänge zu sich kommt: „Alles hängt also daran, ob man die Aporie bloß als eine Form der schlechten Unendlichkeit' oder der in der Permanenz erklärten Revolution deutet und dann der Versuchung erliegt, beiden ein wie immer auch vorläufiges Ende zu bereiten, in dem man die Dekonstruktion in eine Kritlik verwandelt, die der Rekonstruktion Dienste leisten soll - oder ob man in ihr, genauer: in der Erfahrung der Aporie nicht auch die Eröffnung eines anderen Raumes erblicken kann, eines Raumes, in dem Politik weder eine Politik der Identität und des Sinnes ist, geleitet von Begriffen, die sich rekonstruieren und identifizieren lassen, noch eine Politik der ständigen Aussetzung, Verschiebung und Entstellung von Identität. Aus solcher Sicht wäre die Politik der Dekonstruktion nicht einfach die einer doppelten Geste, sondern vielmehr die einer reinen Existenz, einer Existenz ohne Identität... " 2 Die Unterscheidung zwischen Authentizität und Inauthentizität erfährt hier eine Erhöhung zur „reinen Existenz", die als Existenz jenseits aller äußeren Festlegungen bei sich ist. Die sich an diesem Punkt auftuenden Widersprüche sind schon bei der Behandlung von Sartres Freiheitsverständnis angesprochen worden. Die Idee einer in sich ruhenden Existenz, die nur Existenz ist, markiert ein Denken in ästhetischen Kategorien. Damit ist aber die Frage nach der politischen Organisation solcher Existenzen nicht beantwortet. Die reine Existenz ist nicht vermittelbar und kann sprachlich nicht kommuniziert werden, denn schon die Rede vom Sein (, Jch bin",„Du bist", „Wir sind" usw.) kommt ohne Identität nicht aus. Wer die Allgemeinheit des Sprachspiels vermeiden will, dem bleibt nur die Kommunikation des Schweigens. 3
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Vgl. dazu: Iris M. Young, „Stadtleben und Differenz. Die Stadt als Modell für die offene Gemeinschaft", in: Transit, 5/1992/93, 100: „Politik muß als eine Beziehung zwischen Fremden begriffen werden, die einander nicht unmittelbar verstehen und über zeitliche und räumliche Distanz interagiern." Alexander Garcia Düttmann, „Die Dehnbarkeit der Begriffe. Über Dekonstruktion, Kritik und Politik", in: Jutta Georg-Lauer (Hrsg.), Postmoderne und Politik (Tübinger Beiträge zu Philosophie und Gesellschaftskritik, Bd. 4), Tübingen 1992, 69 (Hervorhebungen im Original). Tatsächlich beschreibt Ralf Bohn, Verführungskunst. Politische Fiktion und ästhetische Legitimation, Wien 1994, 18 seine Erfahrungen mit einer Gruppe von ihm angeleiteter Studenten, die in Umbrien einen Film drehen über die Schwierigkeiten eines Filmregisseurs, sich in der umbrischen Landschaft wiederzuerkennen. Am Ende der Dreharbeiten verschwimmen die Identitätsgrenzen zwischen Realität und filmischer Darstellung: „Nach der letzten Szene saß die Gruppe sichtlich erschöpft auf der Terrasse vor einer kleinen, aufgegebenen Kirche, in der sie ihr provisorisches Studio untergebracht hatten. Einige Stunden waren wir sehr still. Eigentlich hätten wir uns sprachlich über die Welt, in die wir zurückkehrten, verständigen können. Aber unser Vertrauen in die Sprache schien gebrochen. Also
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Undeutlich bleibt, wie diese Erfahrung des Bei-Sich-Seins überhaupt wahrgenommen werden kann, ohne in sprachliche Identitätsbenennungen zu verfallen. Diese Überlegung hat im Diskurs der Post-Moderne zur Formulierung einer abgeschwächten Identitätskritik geführt, in der mit dem Begriff der „Annäherung" operiert wird. In der „Ähnlichkeit" soll Identität vermieden werden, aber noch genug Substanz zu finden sein, damit daß Individuum sich authentisch repräsentieren kann. 1 Doch „Ähnlichkeit" gibt keine Grenze gegenüber Chaos und Zwangsidentität an und lädt zu permanenten Überprüfungen ein. Ähnlichkeit verweist so auf das Ziel der Identität und will immer über sich hinaus. Es kann dann folgerichtig angegeben werden, wieviel Ähnlichkeit denn dem Individuum genug sei. Damit markiert der Begriff aber nur eine scheinbare Abwendung vom Identitätsdenken. Und auch die Hoffnung in der Feststellung, die Individuen seien einander in ihrer Ähnlichkeit mit sich selbst ähnlich, liefert keine Grundlage für die Herausbildung eines Allgemeinen, denn auch diese Bestimmung lädt zu normativen Aufladungen ein. Somit stellt sich dann wieder die Frage, welche Ähnlichkeiten akzeptiert werden und welche nicht.
5.2.2 Die Einheit des Ironischen Aus dieser Empfehlung zur Ähnlichkeit mit sich entsteht erst in der Hinwendung zur Ironie eine Vorstellung von Allgemeinheit, ohne daß der radikalen Situiertheit der Individuen Abbruch getan werden müßte. Das bedeutet nicht nur, sich selbst gegegenüber ein ironisches Bewußtsein der Kontingenz des Selbst zu entwickeln: „Dem Gerede von der Sinnsuche, dem Streben nach Ganzheit setzt der postmoderne... Ironiker die Suspendierung letzter Fragen entgegen; dem Bestreben, Widersprüche aufzulösen, und sei es mit dialektischem Kobolz, stellt die postmoderne Ironie die Akzeptanz der Widersprüche in sich selbst entgegen und lehrt: halte es in ihnen aus, wahrscheinlich hast du keine bessere Chance!" 2 Bemerkenswert ist, daß sich die ironische Haltung hier der Logik des „kleineren Übels" schuldet. Ironie manifestiert einen Skeptizismus gegenüber Harmonieformeln und Szenarien der Konfliktfreiheit. Eine andere Haltung ist mit der Vorstellung einer Kernlosigkeit personaler Identität verbunden, die als kontingentes Ergebnis ihrer Selbstbeschreibungen wahrgenommen wird.
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versuchten wir uns über unsere Erinnerungen und dem, was uns vorausging, über eine Orientierung in der Zeit, die als Stille über uns hinwegfloß, zu finden. Wir hatten uns verwandelt und wieder zurückverwandelt, waren aber andere geworden. Wir waren, wenigstens für diese Stunden, diejenigen, die sich verwandeln konnten, die grundsätzlich andere für sich selbst werden konnten; verführt von einer anderen, simulierten Welt, die nicht die des Films war, sondern eine, die es uns ermöglichte, uns in einer Andersheit zu piazieren. In ihr war jeder der andere, weil wir ein kleines Ziel vor Augen hatten: einen Film zu produzieren, eine Bewegung zu schaffen, die dadurch real war, daß wir die Gesellschaft wurden, die in dieser Bewegung entstand. Schließlich wurden wir das bewegende Produkt dieser Bilder. Es war sinnvoll, dem Film keinen Namen zu geben." Gerhard Gamm, „Das metaphorische Selbst. Über Subjektivität in der modernen Gesellschaft", in: Georg-Lauer (Hrsg.), Postmoderne, 90. Dieter Baacke, „Bewegungen beweglich machen - Oder: Plädoyer für mehr Ironie", in: Ders.,/Andrea Frank/Jürgen Frese/Friedhelm Nonne, Am Ende - postmodern? Next Wave in der Pädagogik, Weinheim und München 1985, 213.
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Dabei geht es nicht darum, mehr oder weniger große Ähnlichkeiten zu entdecken, sondern um die Artikulation der Idee, daß alles auch ganz anders sein kann. Es existiert in diesen Argumentationen keine Substanz des Menschlichen/Unmenschlichen. Die Suche nach dem wahren Selbst und die Versuche, ein solches zu verwirklichen, sind hier aufgegeben worden, weil Authentizität nicht gefunden werden kann, sondern jeweils erfunden werden muß. 1 Die Vielfältigeit der individuellen Erzählungen unterminiert jede Anstrengung, aus dem authentischen Selbst der einzelnen eine allgemeine Gattungsauthentizität zu destillieren und zur Grundlage der politischen Ordnung zu machen. Rorty bestreitet die Möglichkeit, mit Hilfe philosophischer Begriffsanstrengungen oder anderer wissenschaftlicher Bestimmungen diesem Allgemeinen auf die Spur kommen zu können. Für ihn gibt es keine - im wissenschaftlichen Sinne der intersubjektiv zu überprüfenden Wahrheitsansprüche - moralischen Wahrheiten: „This has been an important factor in our ability to slough off the idea that we have a true self, one shared with all other humans, and the related notion that the demands of this true s e l f - the specifically moral demands - take precedence over all others." 2 Rorty hat diesen Gedankengang weiter zugespitzt und neben seiner schon früher formulierten, erkenntnistheoretisch fundierten Kritik an der Begründbarkeit korrespondenztheoretischer Aussagen3 die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Begründung moralischer Empfehlungen für das politische Handeln bezweifelt.4 Für ihn kann es solche Gründe nicht geben. Die Einheit in der Differenz der individuellen Identitätserzählungen kann danach nicht substantiell gestiftet werden. Vielmehr muß eine Praxis gefunden werden, in der die Authentizitätsansprüche der einzelnen bestehen bleiben und nicht im Namen einer höheren Ordnung aufgehoben werden. Im Gegensatz zu Positionen, die dem Identitätszwang durch „Annäherung" entkommen wollen, ermuntert Rorty zur Erfindung des Selbst. Diese Authentizität der Individuen gilt aber gleichzeitig als kontingent und für das politische System irrelevant. Ihm schwebt eine Ordnung vor, in der Gemeinsamkeit möglich ist, weil die Andersheit der jeweiligen Selbstbilder mit ihren ästhetischen und moralischen Ansprüchen als politisch unwichtig angesehen werden.5 Der Vergleich der politischen Praxen zeigt an, ob diese Einheit der Differenz geglückt ist. Weitere Begründungen für politische Handlungsempfehlungen
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Richard Rorty, „Freud and moral reflection", in: Ders., Essays on Heidegger and Others. Philosophical Papers, Vol. 2, Cambridge 1991, 152. Ebd., 155. Ders., Philosophy and the Mirror of Nature, New York 1979 (dtsch. Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt/M. 1987). Rorty, Freud, 161: „This suggestion that our stories about ourselves must be stories of centerless mechanisms - of the determined processing of contingent input - will seem to strip us of human dignity only if we think we need reasons to live romantically, or to treat others decently, or to be treated decently ourselves." (Hervorhebung im Original). Vgl. Ders., „The priority of democracy to philosophy", in: Ders., Objectivity, Philosophical Papers 1, 175: „Thomas Jefferson set the tone for American liberal politics when he said ,it does me no injury for my neighbor to say that there are twenty Gods or no God.' His example helped make respectable the idea that politics can be separated from beliefs about matters of ultimate importance - that shared beliefs among citizens on such matters are not essential to a democratic society. Like many other figures of the Enlightenment, Jefferson assumed that a moral faculty common to the typical theist and the typical atheist suffices for civic virtue."
Post-Moderne Spannungen zwischen Individualität und politischer Ordnung
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sind überflüssig. 1 Aber auch Rortys Entwurf eines zwischen unverwechselbaren einzelnen geknüpften politischen Bandes kommt ohne Einheit nicht aus. Die Bürger seiner liberalen Ordnung sollen authentisch sein und gleichzeitig wissen, daß das wenig bedeutet. Er bezieht sich häufig auf eine Stelle in Berlins Four Essays on Liberty, wo es unter Bezugnahme auf Schumpeter heißt: „,To realise the relative validity of one's convictions', said an admirable writer of our time, ,and yet stand for them unflinchingly, is what distinguishes a civilised man from a barbarian.' To demand more than this is perhaps a deep and incurable metaphysical need; but to allow it to determine one's practice is a symptom of an equally deep, and more dangerous, moral and political immaturity." 2 Die post-moderne Einheit der authentischen Vielen ist ohne die Tugend der Selbstdistanz und der Toleranz gegenüber der Andersheit anderer nicht herzustellen. Als Allgemeines bleibt dann die Einsicht in die Vemünftigkeit regulativer Ideen. Die Abtrennung des Politischen von der Authentizität der Individuen verweist die Herrschaftsordnung daneben auf die Legetimitätsressource der Leistungskraft des politischen Systems. Genau diese aber wird im Namen der Verengung des Politischen auf Formen und des Ausschlusses von bestimmten Interessen (siehe Abschnitt 5.2.1.) bestritten. Auch der post-moderne Diskurs mit seinem Hinweis auf die „civic virtue" des Aushaltenkönnens der Spannung zwischen individueller Authentizität und politischer Selbstrelativierung entkommt damit nicht der Zirkularität. 3
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Es wäre dann Aufgabe einer erfahrungswissenschaftlich orientierten Politologie, solche Untersuchungen vorzunehmen, politische Systeme zu vergleichen usw., mithin an der Hebung der politischen Urteilskraft zu arbeiten. Vgl. Thomas Noetzel, „Solidarität oder Wahrheit. Braucht Politik philosophische Begründungen?", in: perspektiven ds, 8/1991, 121-131.
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Isaiah Berlin, Four Essays on Liberty (1969), repr. Oxford 1979, 172. Auch die Anmerkung Helmut Willkes, Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt/M. 1992, 322ff, der darauf hinweist, daß Rortys Tugendlehre auf die individuelle Handlungsebene beschränkt bleibt, damit über politisches, staatliches Handeln nichts aussagen kann, und der deshalb der Politik zu „aktiver Selbstbegrenzung" rät (ebd., 344), entkommt diesem Zirkel nicht. Der Hinweis Zygmunt Baumans, Modernity and Ambivalence (1991) (dtsch. Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 1992, 343), daß der „Nachfolger des modernen Staates" den Dissens „privatisieren" und „zerstreuen" könne und damit die Ambivalenz „zu einer der Stützen in dem Postmoderne genannten Spiel" geworden sei, führt nicht weiter, denn wie wird aus der Zerstreuung Einheit? Ders., Postmodern Ethics (1993), (Dtsch. Postmoderne Ethik, Hamburg 1995, 371) betont die Allgemeinheit des „Gewissens" und weist „moralische Verantwortung" als Basis neuer Einheitsstiftung und Legitimation aus. Aber auch „Gewissen" und „Verantwortung" entkommen dem Authentizitätsanspruch, und damit der Subjektivierung nicht. Damit stellt sich wieder das Problem der Einheitsbildung.
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6 Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick: Von der Unvermeidlichkeit und Unmöglichkeit des Authentischen
Die Bindung der Legitimation politischer Herrschaft an die Zustimmung der dieser Herrschaft Unterworfenen stellt die Stabilität der so fundierten politischen Systeme vor große Probleme. Nach dem Verlust der Selbstverständlichkeit kosmologischer, religiöser oder natürlicher Ordnungsmuster wird dabei die Stiftung von Allgemeinheit in der Differenz der Individuen zur wichtigsten politischen Aufgabe der Moderne. Erste Erfahrungen mit diesem Zusammenspiel von Individualität und Besonderung werden in der griechischen Polis gemacht. Allerdings liefert sie kein Modell für die Lösung dieses Problems, denn letztlich bleiben die Individuen in der Polis an die Substanz einer feststehenden, parochialen Ordnung gebunden. Als einzelnen kommt ihnen nur innerhalb der konkreten politischen Gemeinschaft Freiheit zu. In diesem Zusammenhang ist nicht nur an die Exklusion von Frauen und Sklaven zu erinnern, die der Sphäre des Oikos zugehören und Partizipationsansprüche im neuzeitlichen Sinn ohnehin nicht anmelden können, sondern darüber hinaus an die rigide Normierung der individuellen Freiheitsräume in der Polis selbst. Die Rechte des modernen Subjekts sind als individuelle Rechtsansprüche auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit des Wortes, Koalitionsfreiheit etc. den antiken Stadtstaaten unbekannt. Die Beratung der politisch Freien und Gleichen erhält ihre Rechtfertigung allein im Bereich der jeweiligen Polis; das Individuum geht in dieser auf. Seine personale Identität gründet nicht in einem unverwechselbaren Wesenskern, vielmehr korrespondieren die individuellen Eigenschaften mit dem politischen Ganzen. Das Individuum fügt sich in eine Teleologie seiner Bürger-Gemeinschaft. Der Mensch ist zoon politikon; diese Gemeinschaftsorientierung kennzeichnet ihn und steckt den Rahmen ab für persönliche Tugend, politische Klugheit, Vernunft. Die Polis kennt keinen Individualismus im modernen Sinne einer Selbstbestimmung der einzelnen und auch keinen normativen Pluralismus. Konsequent bleibt der Begriff des Politischen hier an öffentliche Wahrheiten und „objektive" Kunst-fertigkeiten gebunden.1 Der tiefreichenden gesellschaftli
Siehe dazu: Hauke Brunkhorst, Demokratie und Differenz. Vom klassischen zum modernen Begriff des Politischen, Frankfurt/M. 1994, 84. Es kennzeichnet den Stabilitätsbedarf der Moderne, daß in der politischen Philosophie gleichwohl immer wieder mit dem Ideal eines politischen Polis-Patriotismus argumentiert wird. Auf einige in diesem Sinne argumentierende Autoren ist schon kurz in der Einleitung hingewiesen worden. Für die Bundesrepublik muß hier noch an Wilhelm Hennis gedacht werden. Siehe dazu: Reinhard Mehring, „Das politische Dasein erhellen. Zum Politikbegriff von Wilhelm Hennis", in: Politisches Denken. Jahrbuch 1991, Stuttgart 1991, 147-155 und Thomas Noetzel, „Wilhelm Hennis. Politikwissenschaft als Tugendlehre", in: Hans Karl Rupp/Ders. (Hrsg.), Macht, Freiheit, Demokratie. Bd. 2: Die zweite Generation der westdeutschen Politikwissenschaft.
Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick
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chen Differenzierung und Pluralisierung der Vorstellungen vom Guten wird die Forderung nach einer Tugend der Gemeinschaftsorientierung, so wenig normativ gegen sie einzuwenden ist, nicht gerecht, denn die moderne politische Ordnung hat - um es in eine paradoxe Formulierung zu kleiden - die Selbstbestimmung der Individuen, ihre Nonkonformität und Idiosynkrasien universalisiert. Doch dieser Rückzug der politischen Ordnung auf die Rahmung individueller Ansprüche auf Selbstidentität stößt auf vehemente Kritik; man denke in diesem Zusammenhang an die Debatte zwischen „Liberalen" und „Kommunitaristen". Aber dieser Streit ist nur ein Teil eines umfassenden Diskurses über die Rekonstruktion eines Allgemeinen, das die Ansprüche der einzelnen nicht negiert, sondern zu ihrem Ausdruck und zu ihrem Recht kommen läßt. Diese Absicht bestimmt Versuche, jene Verknüpfung von Individualität und Allgemeinheit über einen legalozentrischen Regulierungsrahmen hinaus zu fundieren. Das wahre Selbst der Individuen soll sich in der wahren politischen Ordnung manifestieren können: „The notion of interpersonal trust presupposes truthfulness. The same thing can be said of one's relationship to a society: a society is truly mine in so far as I can be , myself' there. Socrates would rather face death than give up the pursuit that gave his life a meaning and himself a sense of self-respect. He might have held his tongue and complied with the requirements of the government. Instead, brought to the court, even there he still refused to give an outward appearence of repentance. What Socrates wanted to maintain by his demeanour at the court was an authentic, trustful relationship between himself and society. At the same time, against his own will, he drifted to a conflict with the government of his country. The conflict was not his aim: it was simply the result of his
Biographische Annäherungen, Marburg 1994, 65-80. Gerade die Praxisbezogenheit dieses Denkens zeigt deutlich, daß die wissenschaftstheoretische „Trias" angeblicher politikwissenschaftlicher Schulen (normativ-ontologisch, empirisch-analytisch, historisch-kritisch) einer genaueren Überprüfung nicht standhält. Der Bezug auf die Praxis der Polis, also Erfahrung und nicht ontologische Spekulation, soll nach Hennis politische Ordnungen legitimieren können. Für Arendt manifestiert sich die Authentizität der Individuen in ihrem politischen Handeln. Das Politische steigt zum eigentlichen Wesensausdruck des Menschen auf. Arendt sieht in der Polis diese Authentizität verwirklicht und plädiert für eine Ausweitung der Zugangsberechtigung zum Raum des Authentischen für die in der Antike noch ausgeschlossenen Bevölkerungsteile. Vgl. dazu: Rahel Jaeggi, „Authentizität und Alltag. Die Hannah Arendt-Rezeption zwischen Kritischer Theorie und Postmoderne", in: DZPh, 45/1997, Heft 1, 150: „Einerseits ist also der soziale Raum des Salons tatsächlich ähnlich strukturiert wie ... (die) PolisÖffentlichkeit...: eine Sphäre von Sozialität und Kommunikation, eine Bühne für den Ausdruck von Individualität, in der sich Gleiche voneinander unterscheiden können - ein Idealbild, das Arendt später mit dem Begriff der Ebenbürtigkeit' von konformisierender sozialer Gleichheit unterschieden hat." (Hervorhebung im Original). An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, daß die Polis kein Modell für die Verbindung von Individualität und Allgemeinheit sein kann, weil sie mit ihrer Praxis der Ebenbürtigen, die ihre Gleichheit in dieser Praxis finden, vom Pluralismus der Moderne weit entfernt ist. Der Wunsch nach „egalitäre(m) Individualismus" (Brunkhorst, a. a. O.) erfüllt sich allenfalls in einer homogenen Gesellschaft. In ihr wird aber die Unverwechselbarkeit der einzelnen von vornherein eingeschränkt. So stellt auch Manfred Frank, in: Boris Groys, Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, München/Wien 1992, 190, fest: „Individualität ist keine Instanz souveräner Weltund Sinnschöpfung; sie tritt immer nur auf als ein ... Zug an einem Allgemeinen." Dies mag von einem extramundalen Standpunkt aus beobachtbar sein, geht aber an der Hermeneutik der Selbstbestimmung modemer Individualität vorbei.
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Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick
decision not to do anything that would run against his own conscience."1 Das Gewissen wird zur Instanz des Authentischen, in ihm drückt sich der Kern des Selbst aus. Gegen das Gewissen kann keine politische Ordnung legitimiert werden. Das Zitat verdeutlicht die Entfernung dieser Idee einer Bindung der Legitimation an den Wesenskern der Subjekte zum Denken Hobbes', das auf die Mechanik eines von der Klugheit diktierten Sozialvertrags setzt, der die Freiheitsansprüche der einzelnen koordinieren soll und gerade deshalb essentielle Berufungsinstanzen wie das Gewissen zur Privatsache erklärt. Demgegenüber werden die Ansprüche an das Funktionieren des politischen Systems im Sinne der friedlichen Koordinierung individueller Freiheitsansprüche nach Hobbes substantiell an die Selbstidentität gebunden: „From this it follows that the degree of legitimate authority a society may have over me, is an issue I have to settle by myself, by means of self-examination. It cannot be cast in concrete by someone else's Remonstration'. It is also, then, clear that different people will draw different conclusions about their respective situations." 2 Die Suche nach der authentischen Ordnung wird zur Suche nach dem authentischen Selbst. Das „Ich" muß sich prüfen, ob seine politischen Ansprüche wirklich seinem Innersten entsprechen. Was im Begriff des Gewissens noch auf einen normativen Hintergrund verweist, wird schließlich zu einem Begriff der Authentizität erweitert, der leer bleibt. Gewissen korrespondiert mit Autonomie und den Geltungsansprüchen einer auf Verallgemeinerung zielenden Individualität. Um im Beispiel zu bleiben: Sokrates argumentiert und versucht, zu überzeugen. Die Rede vom Gewissen läßt noch einen intersubjektiven Legitimationshorizont aufscheinen, während die Authentizitätsprüfung des Selbst gerade von allen sozialen Bezügen absieht. Die Autonomieansprüche der einzelnen sind - jedenfalls in der optimistischen Sicht einer universellen Vernunft - verallgemeinerbar; die Forderung nach Authentizität geht weit darüber hinaus und in dieser werden die in der Sprache angelegten intersubjektiven Konstruktionen von Individualität als fremdbestimmt und inauthentisch zurückgewiesen. 3 Authentizität manifestiert sich damit als Verneinung „der" Vernunft. Es macht ja gerade das Scheitern der „großen Erzählungen" der Moderne aus, daß ihre Szenarien der Versöhnung zwischen dem wahren Selbst und der allgemeinen Vernunft ihre Faszinationskraft verlieren und als „Luftbrücken" gelten. Jetzt wird noch deutlicher, warum dieser Authentizitätsanspruch zum politischen Problem werden muß. Die Selbsterforschung ist bodenlos. Offensichtlich zieht sich das Authentische immer tiefer in den Kern des Selbst zurück, je nachdrücklicher analysiert wird, denn jede Aussage über das Selbst dringt nie zu dessen Quellen vor. Sprache ist immer schon das Vermittelte und in seiner Regelhaftigkeit durch Intersubjektivität Geprägte. Es gibt keine privaten Sprachspiele, damit aber verweist das Authentische immer auf seine Abwesenheit. Es wird in seiner Benennung inauthentisch. Doch zur Benennung gibt es wiederum keine Alternative. Folgerichtig verorten einige post-modeme Autoren den
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Olli Lagenspetz, „Legitimacy and trust", in: Philosophical Investigations, 15/1992, 18. Ebd., 16. Wetzel, Autonomie und Authentizität, 62 stellt unter Bezugnahme auf A. Green und S. Freud fest: „Ihr (phantasmatische Authentizität, TN) logischer Status ist gerade der des, Unmöglichen' und als solches eignet ihr fundamental der Charakter einer Durchstreichung kognitiver Präsenz: ihre konstitutive Zeitlichkeit bindet Authentizität an eine irreduzible Form von Absenz, die sich im Phantasma allenfalls in der Weise einer .negativen Halluzination des Nicht-Gesagten der Szene' prädizieren läßt." (Hervorhebungen im Original). In der Psychoanalyse bricht dieses Abwesende immer wieder in Form eines Symbols des Verdrängten ein.
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Kern des Individuums in der Lücke zwischen Signifikant/Signifikat. 1 Aber selbst in diesen Verabschiedungen der Vorstellungen der sprachlichen Repräsentation eines ganzheitlichen Subjekts drückt sich wiederum die Forderung und das Bedürfnis nach personaler Identität aus:, Als Resultat des gesamten Prozesses der Eliminierung von Fixpunkten bleibt in bezug auf die Authentizität moderner Subjekte eine kategoriale Paradoxie zu notieren: der Geltungsanspruch auf expressive Wahrhaftigkeit der subjektiven Innenwelt wird, nachdem er in der autobiographischen Bekenntnis- und Geständnisliteratur schon seit einigen Jahrhunderten in seinen Ambivalenzen vorgeführt wurde, gerade in der Realität des gegenwärtigen Alltags vehement erhoben und behauptet - und gleichzeitig zurückgenommen. Ob es sich nun um Scherz, List oder Betrug handeln mag - wer von uns weiß das heute noch mit Sicherheit in allen Fällen zu unterscheiden? -: Authentizität ist und ist nicht, die fundamentalen abendländischen Sätze vom verbotenen Widerspruch und vom ausgeschlossenen Dritten treffen hier auf ihre Grenze. Und weil Authentizität als das letzte Stück Heiligkeit in säkularisierten Zeiten glorifiziert wird, bleibt dieser Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit auch in unseren Tagen umkämpft. Alles wurde den modernen Subjekten relationiert, hat sich verflüchtigt - die absolute Wahrheit des objektiven Wissens ebenso wie die absolute Gewähr legitimer Ordnung - und nun noch diese letzte Zumutung, dieser gnadenlos kategorische Indikativ. Erkenne deine eigene Brüchigkeit, deine völlige Verwobenheit in die soziale und naturale Textur an, entkerne dich. Du bist nichts, aber mach' etwas daraus. Dagegen versuchen sich moderne Subjekte mit dem Mittel intensivierten Vertrauens auf die eigene Authentizität zu behaupten." 2 Diese entgleitet ihnen aber beim Versuch der Benennung. In Übernahme eines Begriffs von Ernesto Laclau kann man in diesem Zusammenhang von einem leeren Signifikanten sprechen. 3 Das Authentische bezeichnet etwas Unbezeichenbares. Deshalb lädt der leere Signifikant zur Füllung ein. Darin besteht seine Funktionalität. Auf der individuellen Ebene beseitigt der Bezug auf die Authentizität des Selbst die Bedrohung der personalen Identität durch das Bewußtsein der Kontingenz. Das Authentische soll der „Fixpunkt" der Selbstbestimmung und -Verwirklichung sein, und dieser Identitätsbestimmung ist auch durch das Beharren auf „ironischen" oder „negativen" Repräsentationen nicht beizukommen. In der sprachlichen Manifestation verliert es aber eben diese Sicherheit des Unhintergehbaren; Authentizität wird unmöglich, gleichwohl kann
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2
3
Vgl. Michael Luntley, Reason, Truth and Self - the Postmodern Reconditioned, N e w York 1995; Richard Beardsworth, Derrida and the Political, London 1996 und zur Deutung der Kluft zwischen Repräsentierten und Repräsentanten: Thanos Lipowatz, Die Verleugnung des Politischen. Die Ethik des Symbolischen bei Jacques Lacan, Weinheim und Berlin 1986, 184f. Uwe Weisenbacher, „Die Arbeit an der Differenz. Zur offenen Rekonstruktion moderner Subjekte", in: Klaus Holz (Hrsg.), Parabel. Soziologie zwischen Moderne und Postmoderne. Untersuchungen zu Subjekt, Erkenntnis und Moral, Gießen 1990, 22f (Hervorhebungen im Original). Laclau, „Death and resurrection", 208 setzt den Begriff des „leeren Signifikanten" in Verbindung mit dem „überfließenden Signifikanten", einem Zeichen, das eine Kaskade von Assoziationen und Konnotationen freisetzt. Letztlich fallen aber beide zusammen: „This allows us to understand the precise relationship between, empty' and, floating' signifiers, two terms which have had a considerable currency in contemporary semiotic and post-structuralist literature. In the case of a floating signifier, we would apparently have an overflowing of meaning while an empty signifier, on the contrary, would ultimately be a signifier without a signified. But if we analyse the matter more carefully, we realise that the floating character of a signifier is the only phenomenic form of its emptiness."
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auf sie nicht verzichtet weden. Ihre Kontingenzbewältigungsfähigkeit gilt als so groß, daß sogar Fremdbeobachtungen des individuell Authentischen möglich scheinen. Eine objektive Ordnung kehrt zurück. Charles Taylor artikuliert diesen Gesichtspnkt beispielhaft: „Das Subjekt kann in der Frage, ob es selbst frei ist, nicht die letzte Autorität sein, denn es kann nicht die oberste Autorität sein in der Frage, ob seine Bedürfnisse authentisch sind oder nicht, ob sie seine Zwecke zunichte machen, oder nicht."1 Diese Figur des Unvermeidlichen, aber Unmöglichen bestimmt auch die sich in der politischen Ordnung manifestierenden Aspekte des Authentischen. Auch auf dieser Ebene lädt die Leere des Begriffs zum Kampf um seine Füllung ein. Dieser Streit um die wahre Authentizität der politischen Ordnung kann als Streit gedeutet werden, bei dem eine zentrale Anforderung an Politik, ihre Legitimität, erfüllt werden soll, indem das Politische ihrer Durchsetzung hinter einer Authentizitätsbehauptung verschwindet. Der Streit wird von seiner endlosen Zufälligkeit, da immer alles auch ganz anders sein kann, befreit. Das Authentische funktioniert nur, wenn es kein Mal des Hergestellten trägt. Herrschaft muß alle Partikularismen abstreifen und als Ausdruck des Allgemeinen gelten. Ihre Kontingenz entschärft sich in den Ansprüchen auf Authentizität. Wird jetzt aber die Unmöglichkeit des Authentischen anerkannt, dann kehrt die Kontingenz von Legitimität zurück, wird also unentscheidbar. Damit kann nicht mehr mit der Unterscheidung legitim/illegitim bei der Beobachtung politischer Ordnungen operiert werden. Die Legitimität selbst wird, weil unentscheidbar, politisch, obwohl sie ja gerade selbst helfen soll, die Unentscheidbarkeit der politischen Ordnungen zu entscheiden. 2 Der Anspruch, die authentische politische Ordnung zu verwirklichen, entpolitisiert die Frage nach der Legitimität und rückt sie aus der Offenheit des Streitigen heraus. An diese Überlegungen läßt sich ein Forschungsprogramm knüpfen, das die Figur der Selbstlegitimation der politischen Systeme empirisch aufhellt und nach der konkreten Verbindung der Authentizitätsansprüche des Selbst mit den politischen Authentizitätsproduktionen fragt und im folgenden kurz skizziert werden soll. Mit Blick auf die die industriellen Formationen prägenden Herrschaftsmuster des 20. Jahrhunderts, lassen sich drei Typen von Legitimitätskonstruktionen unterscheiden. In der parlamentarischen, pluralistischen Demokratie des westlichen Projekts der Moderne steht die auf Dauer gestellte Wahl im Mittelpunkt der Identität von Untertan/Souverän. Im Wahlvorgang werden die Herrschaftsunterworfenen souverän und bestimmen über Formen und Inhalte der politischen Ordnung. Es fällt auf, daß sich im Zusammenhang dieser Manifestation der individuellen Ansprüche und Forderungen die Tendenz durchsetzt, möglichst unmittelbar auf den Prozeß der politischen Entscheidung einwirken zu wollen. Die Idee der Repräsentation löst Unbehagen aus, das unter dem Stichwort der Politik- und/ oder Parteienverdrossenheit diskutiert wird. Offensichtlich soll die Lücke zwischen Wahl von Personen, Parteien, politischen Sachentscheidungen und dem individuellen Wollen verkleinert werden. Man denke in diesem Zusammenhang an die Bestrebungen, plebiszitäre Elemente zu stärken und Minderheitenvoten stärker zu berücksichtigen. In diesen Kontext gehört aber auch eine mit Legitimitätsansprüchen auftretende Demoskopie, die permanent
1
2
Charles Taylor, Negative Freiheit?, Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, Frankfurt/M. 1988, 125. In Anlehnung an eine Bemerkung Heinz von Foersters kann festgestellt werden, daß nur das Unentscheidbare entschieden werden kann und muß, denn, wenn es entscheidbar wäre, ist es immer schon entschieden.
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das Wollen der einzelnen beobachtet, diese Beobachtung in das politische System einspeist und damit den Rechtfertigungszwang des politischen Systems erhöht. Nun soll an dieser Stelle keine normativ ausgerichtete Diskussion dieser Bestrebungen nach größerer Direktheit geführt werden. Vielmehr wird in den Forderungen nach unmittelbarer Mitwirkung, „direkter Demokratie" usw., in den Anstrengungen und in der politischen Bedeutung der Demoskopie das Problem des Authentischen exemplarisch deutlich. Denn so nahe auch das individuelle Wollen an seine politische Realisierung herangerückt wird, letztlich ist das Individuum auf die Kontingenz seiner Entscheidung verwiesen. Alle Maßnahmen der Herstellung politischer Umittelbarkeit sind Versuche, diese brisante Kontingenz einzuholen. Das Individuum kann so auf die Umsetzung seines Wollens verweisen, ohne die Kontingenz dieses Wollens problematisieren zu müssen. Die politische Ordnung wird durch die Exekution dieses Wollens legitimiert. Individuum und Ordnung werden durch Bezug auf das Authentische entlastet. Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Typ, dem der bolschewistischen/stalinistischen Herrschaft. 1 Im Gegensatz zu Meinungen, die diesen Herrschaftstyp allein unter dem Gesichtspunkt der Kollektivität betrachten, tritt der zur Staatsideologie geronnene „wissenschaftliche Sozialismus" mit dem Versprechen auf, die einzelnen zu ihrem Ausdruck kommen zu lassen. Kritik am Individualismus ist immer Kritik an seinen falschen Formen. Demgegenüber soll über eine Verallgemeinerung der proletarischen Existenz die authentische Individualität zum Durchbruch kommen. 2 Auch hier stößt man auf die Entlastung der Legitimation durch Authentizität. In gleicher Weise ist auch der dritte Typ politischer Ordnung, der Faschismus/Nationalsozialismus, zu beschreiben. Allerdings steht nicht der Diskurs der „Klasse" im Mittelpunkt, sondern der Diskurs des „Volkes" und der „Rasse". Es geht um die Erkämpfung des wahren Selbst. Der deutsche Nationalsozialismus beklagt etwa in seiner Kritik an der falschen Moderne die Entwurzelung und Vereinzelung der Individuen, ihre Verelendung, ihre Orientierungslosigkeit. Dagegen wird die Volksgemeinschaft als Allgemeinheit gesetzt, in der die „richtigen" Individuen „richtig" aufgehoben sind. 3 Die totale Erfassung der einzelnen bis hin zur Forderung nach ihrer Aufopferung für das Ganze geschieht im Namen der Authentizität von Individuum und Rasse/Volk. Der erwartete Heroismus verweist auf die Größe der einzelnen und bezeugt die Authentizität des Glaubens an die eigene Sache und Legitimität der politischen Ordnung. Diese Entpolitisierung der Legitimität durch Authentizität deutet auf spezifische demokratische, bolschewistische/ stalinistische, faschistische/nationalsozialistische Ikonographien der Herrschaft. In diesem Zusammenhang müßte die konkrete Inszenierung von Individualität und politischer Ordnung, die Stiftung des Authentischen, die jeweiligen Auseinandersetzungen über die Füllungen
1
Diese Bezeichnung schließt die Zeit nach 1953 ein. Dabei sollen Veränderungen in der Herrschaftsorganisation des sog. „realen Sozialismus" nach Ende des Stalinismus nicht geleugnet werden. Sie können aber im Rahmen dieser Studie unberücksichtigt bleiben. Vgl. Stephen Kotkin, Magnetic Mountain. Stalinism as a Civilization, Berkely und Los Angeles 1995.
2
Georg Klaus/Manfred Buhr (Hrsg.), Philosophisches Wörterbuch, Bd. 1, 12. Auflage Leipzig 1976, 564. Vgl. Franz Dröge/Michael Müller, Die Macht der Schönheit. Avantgarde und Faschismus oder die Geburt der Massenkultur, Frankfurt/M. 1995.
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des „leeren Signifikanten" untersucht werden. 1 Zum Schluß soll die These von der Unmöglichkeit/Unvermeidlichkeit des Authentischen noch von einer anderen Position aus diskutiert werden. Man kann mit Blick auf die immer wieder auftretenden Rechtfertigungsschwierigkeiten politischer Ordnungen annehmen, daß die Authentizität die Leistung der Entpolitisierung der Legitimation nicht erbringen kann. Für diese Behauptung spricht die immer wieder artikulierte Erwartungsenttäuschung bzw. der Ausdruck des grundsätzlichen Bezweifeins dieser Authentizität und die Konfrontation der Individuen mit Situationen der politischen Entscheidung jenseits der legitimen Verfahren. Das gilt in unspektakulärer Form für die einzelnen in liberalen Demokratien genauso wie - mit sehr viel mehr Risiko/ Gefahren - für diejenigen in totalitären Systemen. Gleichwohl wird an der Behauptung der unvermeidlichen Authentizität festgehalten, denn diese markiert für die Individuen die Übersetzung der Gefahr der Unterwerfung in das Risiko der Zustimmung zur Unterwerfung in Form des Gesellschaftsvertrages. Luhmanns Unterscheidung von Risiko und Gefahr verdeutlicht diesen Zusammenhang. Selbstzurechnungen möglicher Schäden gelten als Risiken, Fremdzurechnungen als Gefahren. 2 Eigenverursachte Schäden werden zu Risikokalkulationen, fremdverursachte zu bedrohlichen Gefahren. Diese Transformation von Gefahren in Risiken ist die Bedingung der Möglichkeit von legitimer Herrschaft schlechthin und heißt Selbstbestimmung. Damit läßt sich festhalten, daß politikwissenschaftlich das Problem der unvermeidlichen Authentizität so gedeutet werden kann, daß die Kontingenz einer politischen Ordnung durch eine Legitimität gebändigt wird, deren Kontingenz wiederum durch eine Fundierung im Authentischen domestiziert werden muß, um der Selbstbestimmung der Individuen, als Risiko der Unterwerfung, gerecht werden zu können. Ohne dieses Risiko gibt es aber keine moderne politische Ordnung. Die Unmöglichkeit des Authentischen wiederum kann die Kontingenz der Legitimität in die Auseinandersetzung über die wahre Authentizität tragen helfen und immer weiter tragen, ohne daß die Bearbeitung von Kontingenz der politischen Ordnung durch die Kontingenz der Legitimation angetastet wird. Selbst die Revidierungen des Authentischen und seiner Neuformulierungen dienen so der politischen Ordnung. 3
1
Vgl. Klaus Wolbert, Die Nackten unddie
Totendes
für Bildende Kunst (Hrsg.), Inszenierung
.Dritten Reiches',
der Macht. Ästhetische
Gießen 1 9 8 2 ; Neue Gesellschaft
Faszination
1 9 8 7 ; Hubertus Gaßner/Irmgard Schleier/Karin Stengel (Hrsg.), Agitation Kunst der Stalinzeit,
Bremen 1994; Peter Noever (Hrsg.), Tyrannei
im Faschismus, zum Glück.
des Schönen.
Berlin
Sowjetische
Architektur
der
Stalin-Zeit, München und New York 1994. Ähnliche umfangreiche Studien zur Ästhetik, Architektur der liberalen Demokratie fehlen. Thomas Meyer, Die Inszenierung Folgen 2
symbolischer
Politik. Essay-Montage,
der Macht. Voraussetzungen
und
Frankfurt/M. 1992 bietet Ansätze.
Niklas Luhmann, „Risiko und Gefahr", in: Ders., Soziologische
Außlärung
5 , 1 4 8 f : „Nur für Raucher
ist Krebs ein Risiko, für andere ist er nach wie vor eine Gefahr." 3
Deshalb kann der Diskurs auch nicht aufhören. Immer stellt sich die Frage nach der Authentizität von Individuen und politischer Ordnung. Vgl. als neueres Beispiel für diese Überzeitlichkeit Jay Newman, Inauthentic
Cultures and its Philosophical
Critics, Montreal 1997.
7 Abkürzungsverzeichnis der häufiger zitierten Periodika
AA Affig ATR AJS AJ AJP AR ARSP ASR BJA BJS CSMC DZPh JAAC JBSPh JCE Merkur MW PSC PVS RM SoSy ZfP ZfS
-
American Anthropologist Archiv für Begriffsgeschichte Annals of Tourism Research American Journal of Sociology Architect's Journal American Journal of Psychoanalysis Architectual Review Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie American Sociological Review British Journal of Aesthetics The British Journal of Sociology Critical Studies in Mass Communication Deutsche Zeitschrift für Philosophie The Journal of Aesthetics and Art Criticism Journal of the British Society for Phenomenology Journal of Clinical Ethics Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken Man and World. An International Philosophical Review Philosophy and Social Criticism Politische Vierteljahresschrift The Review of Metaphysics Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Soziologie
8
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9
Personenverzeichnis
Aboulafia, Mitchell Achterberg, Ludwig Adorno, Theodor W Albus, Anita Allen, Woody Anderson, Scott William Anderson, Thomas C Ansell-Pearson, Keith Anton, Annette C Arendt, Hannah Aschheim, Steven Ε Augustinos, Gerasimos
122 63 15, 27, 65 123 123 107 125 75 33 9, 109, 159 76 38
Baacke, Dieter 155 Badye, Kaymba 39 Bakan, Mildred 100 Ballard, Edward G 114 Ballestrem, Karl Graf 133 Barakat, Halim 83 Barkan, Elazar 108 Bastide, Georges 22 Bataille, Georges 96 Baudrillard, Jean . 16, 31, 134, 142-150, 153 Bauer, Ludwig 33 Baugh, Bruce 30,31 Bauman, Zygmunt 45, 157 Baumann, Paul 53 Baxter, Brian 92 Beauvoir, Simone de 22 Beavers, Anthony 107 Beck, Ulrich 11 Beetham, David 43 Begin, Guy 22 Beiser, Frederick C 60 Bell, Daniel 83 Bell, Linda A 119 Bellerose, Jeannette 22 Bendix, Regina 32 Benjamin, Walter 96, 97
Berger, Peter Bergfleth, Gerd Berlin, Isaiah Berman, Marshall Bermbach, Udo Berthold-Bond, Daniel Beyme, Klaus von Biemel, Walter Billett, Stephen Blitz,Mark Blumenberg, Hans Böhme, Hartmut Bohn, Ralf Bohrer, Karl Heinz Bokamba, Eyamba G Bolz, Norbert Bonnett, Michael Bourdieu, Pierre Brandt, Reinhard Braun, Hans-Jürgen Bredow, Wilfried von Bremener, Μ Breuer, Stefan Brodocz, Andre Brodsky, Archie Brody, Claire Μ Brown, Harvey Broyard, Anatole Bruner, Edward Μ Bronkhorst, Hauke Brunner, Otto Bubner, Rüdiger Buchanan, James Buchmann, Margret Bugental, James F Buhr, Manfred Bursztajn, Harold J Bush, Ronald
35 145 157 66 18 107 141 109 25 117 45 90 143-145, 154 38, 60 39 145 24 109 52, 67 92 7, 15, 30, 46, 80 24 112 7, 17 23 23 141 34, 35 33 86, 158, 159 42 13 52 25 20 163 23 108
184 Campbell, Donald Τ Carey, John Catalano, Joseph Chapman, John W Charme, Stuart Zane Checkland, David Christensen, Darrel Ε Ciaffa, Jay A Clouscard, Michel Cohen, Erik Conze, Wemer Cooper, Bernard Cooper, David Ε Crabtree, Jeffrey L Crary, Jonathan Crowther, Paul Currie, Gregory Dallmayr, Fred Damaschke, Mischka De Montigny, Ciaire Dellamora, Richard Dillon, Μ. C Dreyfus, Hubert L Dröge, Franz Drüe, Hermann Druwe, Ulrich Duerr, Hans Peter Duso, Giuseppe Düttmann, Alexander Garcia Eade, John Eagleton, Terry Ebeling, Hans Ehrentraut, Adolf Eisfeld, Rainer Ellenberger, Henry F Engels, Friedrich Enos, Richard Erickson, Rebecca Jane Etzioni, Amitai Euchner, Wilfried Fahrenbach, Helmut Farias, Victor Farrell, John Farwell, Paul Fechner, Frank Fetscher, Iring Feuerbach, Ludwig
Personenverzeichnis 23 135 119 71 35, 127 23 91 107 132 33 42 23 24 23 95 24 30 40 7 22 145 110 107,142 163 46 53 32 86 154 38 141 110,116 32 141 20 92, 94-96, 98 92 12 36, 37 43 136 117, 118 10 110 153 53, 67, 112, 128 91, 92
Fichte, Johann Gottlieb 46,48,119 Flynn, Thomas R 132 Foerster, Heinz von 162 Folkerts, Horst 145 Forsthoff, Ernst 47 Frank, Andrea 155 Frank, Manfred 119,159 Frenette, Carmen 22 Frese, Jürgen 155 Freud, Sigmund 20, 35, 120, 156, 160 Friedrich, Carl Joachim 43 Fritsch, Michael 52 Fritschler, Wolfgang 60 Fuder, Dieter 143-145 Gabriel, Leo Gadamer, Hans-Georg Gamm, Gerhard Gangl, Manfred Ganzini, Linda Gaßner, Hubertus Gavi, Philippe Gay, Peter Geertz, Clifford Gehlen, Arnold Georg-Lauer, Jutta George, Stefan Gerhardt, Ute Gethmann-Siefert, Annemarie Gibbons, Edward Giddens, Anthony Gide, Andre Golomb, Jacob Grant, Grell V Green, A Greven, Michael Th Groys, Boris Guignon, Charles Β Habermas, Jürgen Haden, Karl Ν Hall, Harrison Hample, Judy Hampson, Norman Handler, Richard Hardt, Hanno Harris, Karsten Harth, Dietrich Heffernan, Teresa
104 30, 85 155 108,112 23 164 126, 127, 129 123 8 27 154 109,112 145 108 57 20 21 26 107 160 141 159 108
43, 100-103, 108, 133 73 107 33 66 32 28 117 136 145
185
Personenverzeichnis Hegel, Georg Wilhelm Friedrich . . . 13, 14, 36, 46-50, 53, 59, 62, 64, 65, 65, 82-94, 98-100, 104, 105, 124, 128, 129, 135 Heidegger, Martin 14, 15, 25, 26, 99, 104-107, 106-119, 121, 123, 126, 133, 134, 142, 143, 156 Henderson, James Ε 22 Hennis, Wilhelm 45, 46, 158, 159 Herder 55 Herder, Johann Gottfried . 54-59, 88, 90, 172 Hermanowicz, Urszula 21 Hesse, Heidrun 145 Heuscher, Julius Ε 108 Hobbes, Thomas 13,51-53,62, 68,71, 125, 160 Hogben, Gavin 31 Holden, George S 24 Holz, Klaus 161 Hoppe, Hans Georg 111 Hörisch, Jochen 144 Hoy, Wayne Κ 22 Huch, Ricarda 60 Hühnerfeld, Paul 117,118 Hume, David 19,53 Hunter, Gary 25 Hurley, John R 22 Hurley, Shirley J 22 Ingram, David
150
Jaeggi, Rahel 159 Jakob, Eric 111 Jamme, Christoph 48 Jaspers, Karl 14, 15, 104, 133-140, 151 Jefferson, Thomas 156 Jellinek, Georg 44 Jens, Walter 109 Jones, Peter Blundell 31 Jones, Steven 31 Kamper, Dietmar 145 Kant, Immanuel . 10, 11, 14, 46, 53, 82, 104 Kappeler, Kappeler 122 Kaslow, Florence 23 Kellner, Douglas 111 Kemper, Peter 110,118 Kennick, William Ε 30 Kern, Lucian 53 Kersting, Wolfgang 13,52,68 Kettering, Emil 109
Khan, MasudR 20 Khwaja, Jamal 38 Kielmansegg, Peter Graf 43, 46, 61 Kierkegaard, Sören 11,26,104,107,109,120 Kimmerle, Gerd 145 Klaus, Georg 163 Kleist, Heinrich von 79 Koch, Manfred 70 Kohlberg, Lawrence 23 Koller, Peter 53 König, Traugott 132 Koselleck, Reinhart 9, 42 Kosik, Karel 14, 99, 100, 104 Kotkin, Steven 163 Kraemer, Klaus 143 Kramer, Michael 30 Krockow, Christian Graf von 115 Kroll, Frank-Lothar 61 KUhler, Peter 141 Kuhn, Manford Η 35 Kupersmith, William 22 Laclau, Ernesto 161 Lagenspetz, Olli 160 Lattas, Andrew 38 Leahy, Robert 24 Leaman, George 118 Lears, Jackson 32 Lee, Melinda A 23 LeHuray, Peter 30 Leiteritz, Christine 72 Leppard, Razmond 30 Levi-Strauss, Claude 28,29,32 Lincoln, Abraham 33 Lincoln, Yvonna S 21 Linnekin, Jocelyn 32, 33 Linsenberg, Myrna 23 Lipovetsky, Gilles 143 Lipowatz, Thanos 161 Locke, John 9,53,68,71 Lohmann, Georg 93 Lorenzer, Alfred 20 Lowenthal, David 31 Luhmann, Niklas 17, 43, 44, 46, 60-63, 83, 114, 142, 164 Lukäcs, Georg 93 Luntley, Michael 161 Lyotard, Jean-Frangois . . . 16, 117, 150, 151 L'Aminot, Tanguy 67
186
Personenverzeichnis
MacCannell, Dean 33 Maclntyre, Alasdair 9, 80 Mann, Michael 42, 43 Mannsbach, Abraham 106 Marcuse, Herbert 28, 93, 108 Martin, Jörg 10 Martinez, Roy 107 Marx, Karl 14, 64, 65, 83, 91-93, 97-99, 104, 129 Mattenklott, Gert 145 Matusik, Martin J 120 Matz, Ulrich 46 Maus, Heinz 123 Max, A 96 Maxwell, Madeline Μ 32 McBride, William L 100, 119, 120 McPartland, Thomas 35 Meyer, Thomas 164 Miller, Stephen 23 Mirbach, Thomas 44 Mohanty, J. Ν Ill Müller, Friedrich 65 Müller, Hans-Peter 53 Müller, Manfred 163 Münkler, Herfried 7,53,112 Neske, Günter 109 Newman, Jaz 164 Nietzsche, Friedrich 1 3 , 2 6 , 6 1 , 6 4 , 7 2 , 7 5 - 8 2 , 101, 104, 134, 141, 142, 149 Noetzel, Thomas 15, 17, 30, 46, 80, 157, 158 Noever, Peter 164 Nolte, Emst 109 Nonne, Friedhelm 155 Nostrand, Howard Lee 33 O'Kane, Η. Τ Offe, Claus Olson, Robert G Orvell, Miles Ottmann, Henning Phelan, Lhane Pocock, J. G. A Pöggeler, Otto Poppenhusen, Margot Pries, Christine
42 53 26 32 76, 133 65 9 108 63 90
Rapaczynski, Andrzej 71 Rattner, Josef 120 Raulet, Gerard 108,112 Regan, Thomas J 123 Reichel, Georg 39 Reichel, Peter 140 Reijen, Willem van 12 Rentsch, Thomas 111 Riley, Patrick 53,69 Rinder, Irwin D 23 Robbe, Martin 39 Rocco, Raymond A 38 Rorty, Richard 108, 121, 156, 157 Rosa, Hartmut 9 Rossinow, Doug 13 Rousseau, Jean-Jacques 11, 13, 53, 60, 64-75, 79, 82, 86,101, 103, 104, 132, 149, 152 Rubin, Jane 107 Rudinow, Joel 37 Rupp, Hans Karl 7,158 Rura, Sylvia 7 Rutschky, Michael 145 Saage, Richard 13 Safranski, Rüdiger 79 Sallis, John 114 Sarcinelli, Ulrich 147 Sartre, Jean-Paul 14, 15, 26-28, 30, 34-36, 79, 104, 119-133, 146, 154 Sartwell, Crispin 30 Schacht, Richard 83 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph . . . . 91 Schiller, Friedrich 59,60 Schiller, Theo 7 Schleier, Irmgard 164 Schmidt, Michael Ignaz 46 Schmitt, Carl 40,60,115 Schmitz, Manfred 141 Schneeberger, Guido 118 Schneider, Helmut 48 Schoenborn, Alexander von 114 Schönherr-Mann, Hans-Martin 141 Schottky, Richard 61 Schräg, Calvin 0 100,119 Schröder, Hartmut 145 Schuller, Hermann 83 Schultheiss, Jürg 133 Schulz-Hageleit, Peter 39
187
Personenverzeichnis Schürgers, Norbert J Schwan, Alexander Schwarz, Hans-Peter Seeman, Melvin Shahan, Robert W Sharpe, R. A Shiner, Larry Siep, Ludwig Silberfeld, Michel Silver, Ira Silverman, Carol Sircar, Ajanta Skinner, Quentin Smid, Stefan Smith, Gregory Β Smith, William G Smoot, William Sonnemann, Ulrich Sopp, Peter Spaas, Lieve Spinosa, Charles Stäblein, Ruthard Stambaugh, Joan Starobinski, Jean Stegmaier, Werner Steinmetz, Willibald Stengel, Karin Sternberger, Dolf Storfer, A. J Szymanski, Albert Talmon, Jacob Taylor, Charles Tertulian, Nicolas Thelen, Herbert A Todorov, Tzvetvan Tönnies, Ferdinand Trapp, John Trilling, Lionel Tully, James Turner, Ralph Η
135 117, 133 46 35 111 30 32 48, 62 23 33 39 38 9 91 117 119 126 145 11 67 142 136 106 73 76 46 164 40 18 37 69 15, 23, 89, 162 118 24 10 15 19 12 9 35,38
Vadas, Melinda 10 Veauthier, Frank Werner 111,142 Victor, Pierre 126, 127, 129 Vogel, Lawrence 23 Volkmann-Schluck, Karl-Heinz 109
Volkmer-Burwitz, Eva Vollrath, Ernst Vowe, Gerhard Walker, Denis Walpole, Horace Weber, Max Weisenbacher, Uwe Weiß, Johannes Welsch, Wolfgang Werner, Eric West, David Westle, Bettina Westphal, Merold Wetzel, Klaus Michael White, Hayden Whitehead, Alfred North Widdicombe, Sue Wiggins, Grant Willke, Helmut Willms, Bernard Wolbert, Klaus Woofitt, Rob Wroblewsky, Vincent von Wrona, Vera Wrong, Dennis Η Würtenberger, Thomas Wuthenow, Ralph-Rainer Yanay, Niza Young, Edward Young, Iris Μ Zedier, Johann Heinrich Zerb, Peter Zimmerman, Michael E. . . Zöller, Michael Zurhorst, Günter
61 39,40 40 38 19 44, 53, 134, 140 161 63 152 131 94 42 120 14, 160 54 20,21 37 22 157 150 140, 164 37 132 98 35 42, 44 75 21 11 154 18, 19 68 14, 109, 110, 114 43 120