109 55 1MB
German Pages 316 Year 2010
Schriften zum Europäischen Recht Band 147
Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union Ein Beitrag zur Stärkung der demokratischen Legitimation?
Von Oliver Mross
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
OLIVER MROSS
Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann
Band 147
Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union Ein Beitrag zur Stärkung der demokratischen Legitimation?
Von Oliver Mross
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Wintersemester 2008/2009 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-13131-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Wesentliche Teile der Arbeit sind in den Jahren 2004 bis 2006 vor, während und im Anschluss an meine Referendariatszeit entstanden. Die Literaturnachweise und Internetabfragen sind auf dem Stand von Mitte Juli 2009. Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter, Frau Professor Dr. Adelheid Puttler, für Ihren Anstoß zum Thema dieser Arbeit und die hervorragende Betreuung. Ihre ständige Gesprächsbereitschaft und wertvollen Anregungen haben entscheidend zu dem Gelingen der Arbeit beigetragen. Den Herren Professoren Dr. Siegfried Magiera, Dr. Dr. Detlef Merten, Dr. Matthias Niedobitek und Dr. Karl-Peter Sommermann danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die „Schriften zum Europäischen Recht“. Danken möchte ich auch meinem Arbeitgeber Linklaters LLP und insbesondere Frau Dr. Daniela Seeliger, die mir die Fertigstellung und Veröffentlichung der Arbeit während meiner beruflichen Tätigkeit ermöglicht haben. Vor allem danke ich meinen Eltern, die mich während meiner Ausbildung jederzeit und in jeder Hinsicht unterstützt haben. Düsseldorf, im September 2009
Oliver Mross
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
1. Teil
Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung in der EU
20
1. Kapitel Status quo der Verwirklichung der Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU A. Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interdisziplinäre Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlen eines einheitlichen Demokratiebegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Demokratie als Forschungsgegenstand der Rechts-, Politik-, Sozialund Geschichtswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsvergleichende Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratie im deutschen Verfassungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Demokratie als Struktur- und Verfassungsprinzip mit Optimierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkretisierung des Demokratieprinzips und demokratischer Unterbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Demokratie in anderen Mitgliedstaaten der EU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinigtes Königreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Frage nach der Ausgestaltung von Demokratie im supranationalen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Übertragung parlamentarisch-föderaler Demokratiemodelle . . 2. Auf der Suche nach einem supranationalen Demokratiemodell . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Demokratie in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normierung des Demokratieprinzips im Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Demokratie als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts . . . . .
20 20 21 21 22 24 25 25 25 28 29 29 31 31 33 33 33 36 37 38 38 41
6
Inhaltsverzeichnis 3. Anerkennung durch die europäische Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konkretisierung und Gehalt des unionsrechtlichen Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interdisziplinäre Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legitimation als Rechtsbegriff in Abgrenzung zum Begriff der Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Demokratie und Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsvergleichende Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratische Legitimation im deutschen Verfassungsstaat. . . . . . . . . 2. Demokratische Legitimation in anderen Mitgliedstaaten der EU. . . . . a) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Frage nach der Ausgestaltung der demokratischen Legitimation in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legitimationsbedürftigkeit der Rechtsetzung in der EU. . . . . . . . . . . . . 2. Auf der Suche nach einem Legitimationsmodell für die EU . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Demokratische Legitimation der Rechtsetzung in der EU. . . . . . . . . . . . . . 1. Verknüpfender Legitimationsstrang: Von den Staatsvölkern zum Rat 2. Eigenständiger Legitimationsstrang: Vom Unionsbürger zum Europäischen Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfall: Europäische Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 43 45 45 46 46 47 48 48 48 52 52 53 54 55 56 56 57 58 58 60 61 63 64
2. Kapitel Defizite der Verwirklichung von Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU A. Defizite der demokratischen Legitimation des Rats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Defizite der personellen Legitimation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Länge der Legitimationskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchbrechung der Legitimationskette bei Mehrheitsentscheidungen II. Defizite der sachlich-inhaltlichen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Exekutive Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verantwortlichkeit des Rates bei der Ausübung legislativer Befugnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 65 65 66 66 67 67 69
Inhaltsverzeichnis
7
B. Defizite der demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments . . . . I. Defizite der personellen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahlrechtsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheitliches Wahlverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Defizite der sachlich-inhaltlichen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsetzungsbefugnisse des Europäischen Parlaments. . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parlamentarische Verantwortlichkeit der Exekutive der EU . . . . . . . . . III. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 69 70 71 72 72 74 75 77
C. Defizite der demokratischen Legitimation der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . I. Personelle Legitimation: Länge der Legitimationskette . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachlich-inhaltliche Legitimation: Initiativmonopol und Komitologieverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 78 78 79
D. Allgemeine Defizite des demokratischen Unterbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kollektive Identität als Europäer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kollektive Identität als Legitimation des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . 2. Europäische Union als Werte- und Rechtsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . II. Europäische Öffentliche Meinung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinsame Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermittlungsinstanzen: Medien, Parteien, Zivilgesellschaft . . . . . . . . . III. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80 80 81 82 84 85 87 89
3. Kapitel Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten A. Konservativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leitgedanke: Demokratischer Unterbau als conditio sine qua non . . . . . . II. Kritik: Keimzelle Unionsbürgerschaft und Integrationsfortschritt. . . . . . .
89 91 91 93
B. Offensiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I. Leitgedanke: Auf dem Weg zu einer parlamentarischen Demokratie in der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Kritik: Recht schafft keinen demokratischen Unterbau . . . . . . . . . . . . . . . . 97 C. Pragmatischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leitgedanke: Akzeptanz der Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritik: Theoretisierung der defizitären Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 98 99
D. Konstruktiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leitgedanke: Erweiterung des dualistischen Legitimationssystems . . . . . II. Kritik: Entkernung des Begriffs demokratischer Legitimation . . . . . . . . . III. Stellungnahme: Der konstruktive Ansatz als Ausgangspunkt des 2. Teils der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100 100 102 104
E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
8
Inhaltsverzeichnis 2. Teil
Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU als komplementäre Legitimationsquelle
107
1. Kapitel Entwicklung und Status quo der Bürgerbeteiligung
108
A. Zum Begriff der Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beteiligung an der Ausübung legislativer Hoheitsgewalt. . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung zur Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Alleinentscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abgrenzung zur Mitwirkung am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108 108 110 111 112
B. Entwicklung der Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . I. Beteiligung von Zusammenschlüssen von Bürgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arten von Zusammenschlüssen von Bürgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Organisierte, in den hoheitlichen Bereich wirkende Gruppen . . . . b) Abgrenzung loser, gesellschaftlicher Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung der Beteiligung der organisierten Interessenvertretung. . a) Strukturelle Anpassung an das wachsende Machtzentrum Brüssel b) Zwischen Konzentration und Fragmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausbau von Organisationsgrad und Arbeitsumfang . . . . . . . . . . . . . d) Segmentierung der Politikbereiche – Vorrang von Produzenteninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum Begriff der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zivilgesellschaft als nicht-hoheitlicher Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilgesellschaft und ihre Akteure. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zivilgesellschaft als Vermittlungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung der Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger. . . a) Konzept der Kommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ursprung: Sozialer Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausbau und Institutionalisierung des zivilen Dialogs. . . . . . . . cc) Aufwertung im Governance-Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Konvent zur Zukunft Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 116 116 116 118 119 120 121 122 123
113 115
124 125 125 125 126 128 129 129 130 130 131 132 134 135 136
Inhaltsverzeichnis
9
b) Konzept des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses . . aa) Ursprung: EWSA als Vertreter der Sozialpartner . . . . . . . . . . . bb) Entwicklung: EWSA als institutionelles Forum der Zivilgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137 137
C. Kommunikationspartner im Rechtsetzungsverfahren der EU. . . . . . . . . . . . . . . I. Europäische Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Initiativmonopol und Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hierarchische Untergliederungen der Generaldirektionen . . . . . . . . . . . 3. Motivation zur Einbeziehung der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Höhere Qualität durch Heranziehung externen Sachverstands. . . . b) Höhere Legitimation durch partizipatorisch-demokratische Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Förderung der Entwicklung einer europäischen öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisches Parlament. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufstieg zum gleichberechtigten Mitentscheidungsorgan . . . . . . . . . . . 2. Schlüsselrolle des Berichterstatters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Motivation: Sachverstand und Bürgerrepräsentation . . . . . . . . . . . . . . . III. Rat der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abstieg zum gleichberechtigten Mitentscheidungsorgan . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungszentrum Arbeitsgruppen und AStV . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlende Motivation: Kommunikation nur auf nationaler Ebene . . . . IV. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Entscheidungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fachgruppen und Unterausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Motivation: Stärkung der eigenen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141 141 141 143 144 144
146 147 147 147 150 151 151 151 154 154 155 157 158 158
D. Arten der Bürgerbeteiligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Form. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schriftlich: Postalische oder Online-Eingaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mündlich: Informelle Gespräche, öffentliche Anhörungen . . . . . . . . . . II. Veranlassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufforderung durch die EU-Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigeninitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Häufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ad-hoc Beteiligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Institutionalisierte Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Primärrecht: Art. 138 EG, Subsidiaritätsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundärrecht: Geschäftsordnungen, Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
159 160 160 161 162 162 164 164 164 165 167 167 168
139 140
145
10
Inhaltsverzeichnis V. EU-Organ und Politikbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EU-Organe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Politikbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 172 173 174
2. Kapitel Vorschläge zur Stärkung der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung A. Governance-Prozess der Kommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Weißbuch „Europäisches Regieren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Offenere Arbeitsweise der Union. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Effektivere Konsultationen unter Einbindung der Zivilgesellschaft. . . II. Konkretisierung durch Mindeststandards der Kommission für Konsultationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Grundsätze für Konsultationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mindeststandards für Konsultationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umsetzung der Mindeststandards. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weitere Initiativen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Plan D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Transparenzinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Initiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konstitutionalisierungsprozess: Das demokratische Leben im Verfassungsvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vom Vertrag von Nizza zum Verfassungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Titel über das demokratische Leben in der Union. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der demokratischen Gleichheit (Art. I-45 VV) . . . . . . . . . . . 2. Grundsatz der repräsentativen Demokratie (Art. I-46 VV) . . . . . . . . . . 3. Grundsatz der partizipativen Demokratie (Art. I-47 VV) . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bewertung der Konzepte der Kommission und des Konvents . . . . . . . . . . . . . . I. Verhältnis der Konzepte von Kommission und Konvent . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adressatenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritik an den Vorschlägen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziel und Konzept der Vorschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktikabilität einzelner Vorschläge und Gefahren bei deren Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Praktikabilität der Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefahren bei der Umsetzung einzelner Vorschläge . . . . . . . . . . . . . .
175 175 176 177 178 179 180 181 183 184 184 185 187 188 189 189 191 191 192 193 194 194 195 195 195 196 197 197 198 199 200 201
Inhaltsverzeichnis
11
III. Bewertung der Vorschriften im Verfassungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht der Unionsbürger auf Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einzigartige Anerkennung im Primärrecht der Union . . . . . . . . . . . b) Unklarer Umfang und Gehalt des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kohärenz mit dem Governance-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsultationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einführung eines direkt-demokratischen Elements: Bürgerinitiative IV. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 202 202 202 203 203 204 204 205 205
3. Kapitel Voraussetzungen für eine Anerkennung der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess als Legitimationsquelle
206
A. Erweiterung des dualistischen Legitimationsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Plurales Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterscheidung von Input- und Output-Legitimation. . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung der Input-Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Partizipatorisches, pluralistisches Demokratiemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bürgerbeteiligung als Element partizipatorischer Demokratietheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bürgerbeteiligung im Licht pluralistischer, assoziativer und deliberativer Demokratietheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Positiv-rechtliche Normierung im Verfassungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festigung des dualistischen Legitimationsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergänzung durch partizipatorische Demokratieelemente . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207 207 208 210 213 214
216 218 218 218 219 220
B. Rekonstruktion des Legitimationssubjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Individuum als Legitimationssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Menschenwürde als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrung der autonomen Freiheit und Selbstbestimmung. . . . . . . . . . . 3. Beteiligung als demokratische Mitwirkungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zu der Lehre von der Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursprung: Von der Monarchen- zur Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlage: Autonome, individuelle Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umwandlung: Kollektive Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verknüpfung: Staatssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
220 221 221 222 223 225 225 226 227 229 231 231
214
12
Inhaltsverzeichnis III. Unionsbürger als Legitimationszusammenschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenschluss von Bürgern zu Legitimationseinheiten . . . . . . . . . . 2. Bürger als Legitimationseinheit auf supranationaler Herrschaftsebene 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232 232 233 233
C. Grundsatz der demokratischen Gleichheit der Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Klassische Ausprägung: Gleiches Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratie und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand demokratischer Gleichheit: Politische Mitwirkungsrechte 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neuartige Ausprägung: Gleiches Beteiligungsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Gleichheit im Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichheit in der Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wahrung des Gemeinwohls unter Ausgleich der Partikularinteressen . . . 1. Pluralismustheorie: Gemeinwohl als Ausgleich von Partikularinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praxis: Privilegierung von Partikularinteressen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfordernis: Rechtlicher Rahmen zur Sicherung des Gemeinwohls . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 234 234 235 236 237 237 238 238 239
D. Demokratische Legitimation der Bürgerbeteiligung durch Verfahrensrecht . . I. Abgrenzung zur Theorie Luhmanns der Legitimation durch Verfahren . . II. Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen in der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergleich Verwaltungs- und Rechtsetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlichkeitsbeteiligung an Verwaltungsverfahren im Umweltrecht a) Rechtsgrundlage des Beteiligungsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geltendmachung des Beteiligungsrechts: Überprüfungsverfahren d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anforderungen an den rechtlichen Rahmen für die Bürgerbeteiligung . . 1. Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Primär- und sekundärrechtliches Recht auf Beteiligung. . . . . . . . . . b) Primär- und sekundärrechtliches Recht auf Überprüfung . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Identifizierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Registrierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bearbeitung und Berücksichtigung des Input-Feedback. . . . . . . . . . f) Begründung und Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 240 242 243 243 245 246 247 248 249 250 252 252 253 253 253 256 257 257 258 260 261 262 263 265 266
Inhaltsverzeichnis 3. Geltendmachung des Beteiligungsrechts: Rechtsschutzmöglichkeiten a) Verwaltungsbehördliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 267 267 269 275
Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. AdR a. F. AöR Art. Bd. BGBl. BVerfGE bzw. C CMLR ders. DÖV DVBl. ebd. EC EG EGMR EGV ELJ EMRK endg. EP EU
EuG EuGH EuGRZ EUP EuR EUV
andere Ansicht Amtsblatt Absatz Ausschuss der Regionen alte Fassung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Band Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Communication Common Market Law Review derselbe Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Verwaltungsblätter ebenda European Community – Europäische Gemeinschaft – Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Law Journal Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) endgültig Europäisches Parlament – Europäische Union – Vertrag zur Gründung der Europäischen Union – European Union Europäisches Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte Zeitschrift European Union Politics Europarecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Union
Abkürzungsverzeichnis EuZW EWG EWSA f. FCE Fn. FS GASP GD GG GLJ GO GS Hdb. Hrsg. Hs. HStR IJGLS JCMS JEPP JöR JURA JuS JZ Kap. KOM KritJ KritV L MJ n. F. NGO NRO NVwZ PJZS PVS RMCUE Rn. S. Slg. sog.
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss folgende Forum Constitutionis Europae Fußnote Festschrift Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Generaldirektion Grundgesetz German Law Journal Geschäftsordnung Gedächtnisschrift Handbuch Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Indiana Journal of Global Legal Studies Journal of Common Market Studies Journal of European Public Policy Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kommission Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Législation Maastricht Journal of European and Comparative Law neue Fassung Non-Governmental Organisation Nichtregierungsorganisation Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Politische Vierteljahreszeitschrift Revue du Marché Commun et de l’Union Européenne Randnummer Satz/Siehe Sammlung sogenannte (-r,-s)
15
16 StWStP ThürVBl UAbs. v. VerfO VerwArchiv vgl. VV VVDStRL ZaöRV ZEuP ZEuS ZfP ZG ZParl ZPol ZRP ZSE ZSR
Abkürzungsverzeichnis Staatswissenschaften und Staatspraxis Thüringer Verwaltungsblätter Unterabsatz vom Verfahrensordnung Verwaltungsarchiv vergleiche Vertrag über eine Verfassung für Europa (Verfassungsvertrag) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Politikwissenschaft Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften Zeitschrift für Schweizerisches Recht
Wegen weiterer Abkürzungen wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Aufl. 2008, Berlin.
Einleitung Die rechtswissenschaftlichen Abhandlungen zu der These, dass die EU an einem Demokratiedefizit und an mangelnder demokratischer Legitimation leide, sind zahlreich. Die Betrachtung erfolgt zumeist aus einem institutionellen Blickwinkel. Die Untersuchungen befassen sich entweder mit einem EU-Organ im Detail oder mit dem gesamten institutionellen Entscheidungssystem der EU und plädieren für eine Änderung der Kompetenzen, Funktionen oder Strukturen. Diese Arbeit geht einen anderen Weg und untersucht, ob eine verstärkte Beteiligung der Bürger an den Verfahren der Sekundärrechtsetzung die vermeintlichen Demokratie- und Legitimationsdefizite in der EU kompensieren, zumindest mindern kann. Das Interesse an einer verstärkten Einbeziehung der gesellschaftlichen Kräfte in den politischen Gestaltungsprozess wurde auf europäischer Ebene schon Anfang der neunziger Jahre durch den von der Kommission angeregten „zivilen Dialog“ geweckt. Einen erneuten Aufschwung erlebte die Bürgerbeteiligung zum Ende der neunziger Jahre in der ebenfalls von der Kommission angestoßenen „Governance“-Debatte. In dem Weißbuch „Europäisches Regieren“1 vom 25. Juli 2001 stellte sich die Kommission als Verfechter der Einbeziehung von Organisationen der Zivilgesellschaft in den Politikgestaltungsprozess der EU und der Strukturierung und Ausweitung von Konsultationen dar. Einen starken Impuls bekam diese Diskussion auch durch den vom Europäischen Rat angenommenen, aber nicht von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Vertrag über eine Verfassung Europas2, kurz Verfassungsvertrag. In dem neu eingeführten „Kapitel über das demokratische Leben der Union“ wurde dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie (Art. I-46 VV) der Grundsatz der partizipativen Demokratie (Art. I-47 VV) gegenübergestellt und das Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben der Union – neben der Ausübung des Wahlrechts – normiert. Trotz des formalen Scheiterns des Verfassungsvertrages sollen diese Neuerungen unverändert in das Primärrecht überführt werden. So sieht der am 13. Dezember 2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon3 vor, dass ein neuer Titel II „Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze“ in den EU-Vertrag aufgenommen 1 2
Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001. ABl. C 310/1 v. 16.12.2004.
18
Einleitung
wird, der – inhaltlich wortgleich – die Bestimmungen über die repräsentative und partizipative Demokratie als Artikel 8a und 8b enthält.4 In der konsolidierten Fassung des EU-Vertrags5 sind diese beiden Bestimmungen nunmehr als Artikel 10 und 11 enthalten. Die Bewertung der unmittelbaren Teilnahme von Bürgern an Rechtsetzungsverfahren durch Kommunikation mit den legislativen Entscheidungsträgern ist höchst ambivalent, auch wenn die formelle Entscheidungsgewalt und somit die alleinige Verantwortlichkeit bei den zuständigen Hoheitsträgern verbleibt. Einerseits ist eine unmittelbare Teilhabe an der Ausübung hoheitlicher Entscheidungsmacht grundsätzlich geeignet, demokratische Qualität aufzuweisen und zur demokratischen Legitimation der Rechtsetzung beizutragen. Andererseits steht dieser Chance die Gefahr gegenüber, dass eine solche Teilnahme zu einer unangemessenen und privilegierten Einflussnahme bis hin zu einer Okkupierung der hoheitlichen Entscheidungsträger durch einzelne Gruppeninteressen führt. Die Teilnahme von Bürgern am Rechtsetzungsverfahren der EU ist ein Problemfeld, welches interdisziplinär erhebliches Interesse hervorruft. Deskriptive Literatur – insbesondere aus dem Bereich der Politikwissenschaften – über die Einflussnahme von Interessengruppen auf die am Rechtsetzungsverfahren beteiligten EU-Organe gibt es ebenso zahlreich wie Anleitungen für erfolgreiches Lobbying. Die normative Verbindung zwischen dem Bürger – als Individuum, als Teil der Zivilgesellschaft oder als Mitglied organisierter Gruppen – und dem Potential zur Vermittlung demokratischer Legitimation im Rahmen der Rechtsetzung in der EU wurde jedoch bislang kaum vertieft untersucht. Eine solche Untersuchung erscheint umso dringender erforderlich angesichts des tatsächlichen Ausmaßes, das die Bürgerbeteiligung in all ihren 3 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. C 306/1 v. 17.12.2007. 4 Im Wesentlichen wird der gesamte Inhalt des Verfassungsvertrages in den EUVertrag und EG-Vertrag (zukünftig „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“) übernommen. Zu den (insgesamt geringen) Änderungen, die als Resultat der sog. „Reflexionsphase“ nach den negativ ausgegangenen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden angenommen wurden, s. das der Regierungskonferenz 2007 durch den Europäischen Rat in Brüssel erteilte Mandat, die Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel, Dokument 11177/07 CONCL 2 des Rates der EU vom 23 Juni 2007, Annex 1, 15 ff., http:// www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/94935.pdf. Daher nimmt die Untersuchung auf die Artikel des Verfassungsvertrages weiterhin Bezug. 5 Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. C 115/1 v. 9.5.2008.
Einleitung
19
Formen mittlerweile erreicht hat. Der Rechtsetzungsprozess ist ohne die Teilhabe der Bürger, ohne das Einbringen partikularer Interessen durch gesellschaftliche Kräfte nicht mehr denkbar. Die Kommunikation zwischen Interessengruppen und EU-Institutionen prägt in hohem Maße die Erarbeitung eines Entwurfs eines Rechtssatzes durch die Kommission und die anschließenden Beratungen im Europäischen Parlament und auch im Rat. Die Einflussnahme der zumeist organisierten Interessen auf den Rechtsetzungsprozess wird auf nationaler und europäischer Ebene entweder gar nicht oder zumindest nicht mit Gesetzesrang geregelt. Eine angemessene Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens ist jedoch erforderlich, um Art und Weise, Umfang sowie Grenzen gesellschaftlichen Einflusses auf die Rechtsetzung festzulegen. Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung hat dabei vor allem die Aufgabe, die vorhandenen Rechtsgrundlagen der unterschiedlichen Partizipationsinstrumente darzustellen und zu bewerten, um Vorschläge zur Herausbildung und Weiterentwicklung des rechtlichen Rahmens für die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsverfahren der EU zu formulieren.
1. Teil
Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung in der EU Im ersten Kapitel erfolgt eine Bestandsaufnahme der Verwirklichung der Demokratie sowie der Vermittlung demokratischer Legitimation bei der Rechtsetzung in der EU.1 Im zweiten Kapitel werden die Defizite der Verwirklichung der Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation dargestellt. Im dritten Kapitel werden verschiedene Ansätze zum Umgang mit den Defiziten vorgestellt. Einer dieser Ansätze bildet den Ausgangspunkt für den zweiten Teil der Arbeit, in dem untersucht wird, ob die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU eine Legitimationsquelle darstellen kann. 1. Kapitel
Status quo der Verwirklichung der Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU Inhalt dieses ersten Kapitels bildet die Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes der Verwirklichung von Demokratie (unter A.) und der Vermittlung demokratischer Legitimation bei der Rechtsetzung in der EU (unter B.).
A. Demokratie Zunächst wird der vielschichtige Begriff der Demokratie bestimmt. Dabei zeichnet sich der Demokratiebegriff durch eine außerordentliche Heterogenität sowohl in interdisziplinärer (unter I.) als auch in rechtsvergleichender Hinsicht (unter II.) aus. Diese Vielschichtigkeit erschwert die Verwendung des Demokratiebegriffes für den Staaten- und Verfassungsverbund der EU, der noch keine endgültige Gestalt angenommen hat (unter III.). Schließ1 Zum Begriff der Rechtsetzung auf europäischer Ebene s. Härtel, Europäische Rechtsetzung, 8 ff., 17 ff.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
21
lich wird die aktuelle Ausgestaltung der Demokratie in der EU dargestellt (unter IV.). I. Interdisziplinäre Heterogenität Der Demokratiebegriff ist Untersuchungsobjekt zahlreicher Geisteswissenschaften, die Demokratie nicht als einen einheitlichen Gegenstand betrachten (unter 1.). Demokratie als Rechtsbegriff muss gegenüber dem Forschungsgegenstand der Politik-, Sozial- und Geisteswissenschaften abgegrenzt werden (unter 2.). 1. Fehlen eines einheitlichen Demokratiebegriffes Der Begriff der Demokratie ist höchst abstrakt und konturenlos. So prägnant die Beschreibung Abraham Lincolns von Demokratie in der Gettysburg-Rede von 1863 als „government of the people, by the people and for the people“2 ist, so unterschiedlich sind doch die Verständnismöglichkeiten.3 Die Verwendung des Demokratiebegriffes ist inflationär, da kaum ein politisches System auf den Anspruch verzichtet, demokratisch zu sein.4 Demokratie ist wie kein zweiter politischer Begriff positiv besetzt.5 Aufgrund der Weite und Offenheit des Begriffes erscheint jedoch eine allgemeingültige, kompakte Definition unmöglich.6 Grund für die Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit des Demokratiebegriffes ist der Umstand, dass Demokratie nicht den exklusiven Gegenstand einer einzigen Wissenschaft bildet, sondern den vieler Disziplinen: der Geschichts-, Politik- und Sozialwissenschaften, der Philosophie sowie im Rahmen der Rechtswissenschaft der Verfassungsgeschichte, Rechtstheorie, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und des positiven Staatsrechts.7 Diese Disziplinen untersuchen Demokratie mit unterschiedlichen Methoden auf unterschiedliche Ziele hin. Dies führt zwangsläufig zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der von den genannten Wissenschaften betrachtete Gegenstand ist nicht identisch. Der Begriff der Demokratie bezieht sich einmal auf ein formales 2
http://avalon.law.yale.edu/19th_century/gettyb.asp. Huber, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 491, 492; Nettesheim, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 143, 149. 4 Bauer, in: ders., Demokratie in Europa, 2005, 1. 5 Huber, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 491 f. 6 Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 66 m. w. N. Vgl. auch die „Phänomenologie“ der Demokratien bei Stern, Staatsrecht I, 590 ff. 7 Dreier, JURA 1997, 249 m. w. N.; Rhinow, ZSR n. F. 103 II (1984), 111, 134. 3
22
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Ordnungssystem, dann auf materiale Wertordnungen, ein anderes Mal auf verbindliche Verhaltenskodizes.8 Ein einheitlicher Begriff der Demokratie existiert nicht. Die Demokratie erscheint als ein semantisches Chamäleon, das unter Beibehaltung des Etiketts ihr Substrat wechselt.9 2. Demokratie als Forschungsgegenstand der Rechts-, Politik-, Sozial- und Geschichtswissenschaften Einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung muss Demokratie als Rechtsbegriff zugrunde liegen. Daher muss eine Begriffsbestimmung die Frage beantworten, wie und auf welche Weise Demokratie als juristische Norm zu Geltung gelangt. Als Rechtsbegriff ist Demokratie abzugrenzen von dem Verständnis als gesellschaftliche Lebensform und als politisches Ideal. Diese Verständnisse zielen auf eine soziale, ethische und politische Dimension ab.10 So kann Demokratie nicht nur als Prinzip für die Organisation politischer Herrschaft – klassisch als Staats- und Regierungsform – sondern auch als Leitlinie für die Organisation der Gesellschaft angesehen werden und ist in diesem Verständnis bevorzugter Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaften. Beispielhaft für ein solches Verständnis sind die insbesondere in den 1970er Jahren formulierten Forderungen nach einer „Demokratisierung“ von Wirtschaft, Medien, Hochschulen und Schulen, sogar der Familie.11 Des weiteren steht Demokratie in einer langen ideengeschichtlichen Entwicklung, in der sich zahlreiche Idealbegriffe von Demokratie heraus- und durch Vergleiche mit anderen politischen Herrschaftsordnungen weitergebildet haben.12 In diesem Verständnis ist Demokratie Forschungsgegenstand der Geschichts- und Politikwissenschaften. Die Politikwissenschaft ist die klassische geisteswissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Demokratie, ihren konzeptionellen Grundlagen und ihrer tatsächlichen Verwirklichung befasst.13 In (West-)Deutschland konzipierte sie sich institutionell nach dem Zweiten Weltkrieg gerade mit dem Selbstverständnis als Demokratiewissenschaft und mit dem Motiv der Aufarbeitung des Nationalsozialismus bzw. des Scheiterns der Weimarer Republik.14 8 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 139, unter Hinweis auf Hättich, Staatslexikon I, Sp. 1182, 1183. 9 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 139. 10 Rhinow, ZSR n. F. 103 II (1984), 111, 140; vgl. Verhoeven, Democratic and Constitutional Theory, 2002, 4. 11 Rhinow, ZSR n. F. 103 II (1984), 111, 141. 12 Rhinow, ebd., 111, 140 f. 13 Sommermann, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 191, 195.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
23
Aber auch im engeren Kontext von Demokratie als Rechtsbegriff sind die verschiedenen Disziplinen miteinander eng verknüpft. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass die Funktionsfähigkeit der Demokratie als Regierungsform vom Vorliegen außerrechtlicher, nämlich geistiger, sozialer und politischer Voraussetzungen – eines sog. demokratischen Unterbaus – abhängig ist.15 Das Recht gibt nur den auszufüllenden Rahmen vor. Die Erkenntnisse anderer Wissenschaften dienen auch im Rahmen dieser Arbeit als unerlässliche Ergänzung der rechtswissenschaftlichen Perspektive. Staatslehre und Geschichtswissenschaft geben Aufschluss über die Anfänge des Demokratiebegriffes. Dem griechischen Wortursprung nach bedeutet Demokratie „Volksherrschaft“16 und kennzeichnet eine Form der Organisation politischer Herrschaft, die vom Gedanken der Selbstherrschaft der Mitglieder eines Gemeinwesens geprägt ist.17 Das Volk hat die Herrschaft inne und übt sie zum eigenen Wohl aus. Fasst man den Begriff des Volkes nicht im ethnisch-kulturellen Sinn auf, so stellt sich die Frage nach der Verbandseinheit, zu der sich die Bürger eines Gemeinwesens zusammengefasst haben. Diese äußere Bezugseinheit ist von wesentlicher Bedeutung für die Frage nach der Organisation der Ausübung von Herrschaftsgewalt. Erst in den letzten zwei Jahrhunderten stellte der Staat diese Bezugseinheit dar.18 Trotz mancher Anknüpfungspunkte und Vergleichsmöglichkeiten ist die antike Demokratietheorie und namentlich das in den Stadtstaaten des antiken Griechenlands verwirklichte Modell der attischen Demokratie19 für Verständnis und Einordnung der heutigen Demokratie sowohl auf nationalstaatlicher wie auch auf supranationaler Ebene wenig dienlich. Hauptgrund ist die fehlende Komplexität der sozialen und politischen Ordnungen jener 14 Schaal/Heidenreich, Einführung in die Politischen Theorien der Moderne, 2006, 15; s. auch Sommermann, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 191, 195 f. Zur Bedeutung sowohl der theoretischen – einen umfassenden Überblick gibt Schmidt, Demokratietheorien, 2008 – als auch der empirischen, anwendungsorientierten Politikwissenschaft im Rahmen der Demokratieforschung s. ebenfalls Sommermann, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 191, 195 f. 15 BVerfGE 89, 155, 185; Zuleeg, JöR 51 (2002), 81, 95, spricht von „Substrukturen der Demokratie“; vgl. auch Huber, in: ders., Lage der parlamentarischen Demokratie, 1995, 105, 129. 16 s. Schmitt Glaeser, Demokratie, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 1, 1039. 17 Vgl. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 1. 18 Einen prägnanten Überblick über die Entwicklung des Demokratiegedankens von der attischen bis zur repräsentativen Demokratie gibt Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 2 ff. 19 Zum exklusiven Charakter der oftmals idealisierten attischen Demokratie s. Rittner, JZ 2003, 641, 642.
24
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Zeit, die eine Übertragung auf heutige große Territorialstaaten und hochdifferenzierte Gesellschaften ausschließen. Substrat und Verwirklichungsbedingungen von Demokratie unterscheiden sich wesentlich.20 Die Entstehung der modernen Demokratie21 hängt eng mit dem Zerfall der mittelalterlichen Ordnung und der Herausbildung des modernen Staates in der Neuzeit zusammen. In diesem Zeitraum konzentrierte sich die zuvor auf verschiedene geistige und weltliche, überregionale und lokale Institutionen verteilte Herrschaftsbefugnis als Hoheitsgewalt in der alleinigen Hand des Staates.22 Die so zusammengefasste Herrschaft wurde zum Bezugspunkt der Demokratie. Die amerikanische Verfassung, auf deren Grundlage aus dreizehn Kolonien ein Bundesstaat entstand, erfand die repräsentative Demokratie in einem gewaltenteiligen Regierungssystem neu.23 Diese moderne Demokratie entstand als spezielle Herrschaftsform der Organisationseinheit „Staat“ und war lange Zeit für diese Einheit reserviert.24 Der Zusammenhang zwischen Demokratie und Staat ist jedoch kein zeitlicher, da die Entstehung des Staates der Demokratie nachfolgt, und kein begrifflicher, da es Staaten ohne Demokratie gibt.25 Der Begriff der Demokratie ist „offen“, so dass er auf andere politische Gemeinwesen als den Staat Anwendung finden kann – auch auf die EU. 3. Ergebnis Der Demokratiebegriff ist vielschichtig, da Demokratie Forschungsgegenstand zahlreicher Geisteswissenschaften ist. Die Disziplinen betrachten Demokratie mit unterschiedlichen Methoden auf unterschiedliche Ziele hin. Ein einheitlicher Demokratiebegriff existiert nicht. Als Rechtsbegriff ist Demokratie von dem Verständnis als gesellschaftliche Lebensform und politisches Ideal abzugrenzen. Aus historischer Perspektive ist Demokratie als eine Organisationsform politischer Herrschaft entstanden, die eine Selbstherrschaft der Mitglieder eines Gemeinwesens realisiert. Die moderne Demokratie hat sich als repräsentativ-parlamentarische Regierungsform mit dem Entstehen der Verfassungsstaaten zum Ende des 18. Jahrhunderts he20
Eingehend dazu Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 4. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 64 ff. 22 Volkmann, JuS 1996, 1058, 1059. 23 Benz, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 253. Vgl. Schmidt, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 21, 23. 24 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 4; ders., JuS 1996, 1058, 1059. 25 Vgl. die geschichtlichen Entwicklungslinien der Demokratie auf der Grundlage der historisch und international vergleichenden Demokratieforschung bei Schmidt, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 21 ff. m. w. N. 21
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
25
rausgebildet. Die Offenheit des Demokratiebegriffes begünstigt seine Weiterentwicklung im Rahmen der EU. II. Rechtsvergleichende Heterogenität Für den Bereich der Rechtsvergleichung zeichnet sich ein ebenso heterogenes Bild ab. Die Verfassungen aller Mitgliedstaaten der EU nehmen größtenteils ausdrücklich auf die Demokratie Bezug.26 Die institutionellen Strukturen sowie kulturellen und historischen Erfahrungshintergründe sind jedoch sehr unterschiedlich.27 Der Demokratiebegriff kann sich in der formellen Bezeichnung als Staatsform erschöpfen oder materiell das Regierungssystem charakterisieren. Ob Demokratie ein übergreifendes, gehaltvolles Verfassungsprinzip darstellt oder ob sie sich in einzelnen Regelungen über das Wahlverfahren, die Stellung des Parlaments im Institutionengefüge und den Formen unmittelbarer Demokratie erschöpft, kann nicht für alle Mitgliedstaaten der EU einheitlich beantwortet werden.28 In einem ersten Schritt wird exemplarisch am Beispiel des deutschen Verfassungsstaats dargelegt, wie Demokratie als juristische Norm zur Geltung kommt (unter 1.). In einem zweiten Schritt werden im Rahmen eines Vergleiches mit einigen ausgewählten Mitgliedstaaten der EU signifikante Unterschiede herausgestellt, die die Heterogenität des Rechtsbegriffes Demokratie belegen (unter 2.). 1. Demokratie im deutschen Verfassungsstaat Normativ gelangt Demokratie im deutschen Verfassungsstaat als ein auf Verfassungsebene normiertes Strukturprinzip mit Optimierungsgebot zur Geltung [unter a)]. Über die ausdrückliche Normierung im Grundgesetz hinaus gewinnt das Demokratieprinzip an konkreter Gestalt durch Strukturund außerrechtliche Merkmale [unter b)]. a) Demokratie als Struktur- und Verfassungsprinzip mit Optimierungsgebot Die Bezeichnung von Demokratie als Staats- und Regierungsform ist geläufig.29 Mit der Bezeichnung als Staatsform erfolgt allerdings die Fixierung 26
Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 23 Rn. 24. Sommermann, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 191, 194. 28 Huber, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 491, 493. 29 Vgl. die durchgängige Bezeichnung als „Staats- und Regierungsform“ bei Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, Abschnitt B und C, in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, Rn. 9 ff. 27
26
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
auf den Staat, die lediglich eine Abgrenzung von anderen Staatsformen erlaubt und eine einseitige Verknüpfung zum Konzept der Staatssouveränität herstellt.30 Die Bezeichnung als Regierungsform bietet hingegen kaum einen juristisch fassbaren Gehalt, da sie an außerrechtliche Disziplinen wie die Staatsphilosophie oder die Politikwissenschaften anknüpft. Es bleibt unklar, wie Demokratie gerade als Norm im Recht zur Geltung kommt. Die Einordnung als Strukturprinzip31 gibt mehr Aufschluss. Prinzipien sind „als Rechtssätze niedergelegte normative Strukturentscheidungen, die wesentliche Anliegen einer Rechtsordnung zum Ausdruck bringen“32. Demokratie als Prinzip umfasst alle „grundlegende[n] organisatorische[n] oder verfahrensmäßige[n] Festlegungen hinsichtlich des Handlungsrahmens, der Handlungsweise oder der Willensbildung“33 in einer politischen Herrschaftsordnung. Demokratie geht jedoch nicht allein in organisatorischen oder verfahrensmäßigen Festlegungen auf. Zum einen hängt eine funktionsfähige Demokratie in besonderem Maße von geistigen, sozialen und politischen Voraussetzungen ab, die über die rechtlich-normative Dimension hinausgehen. Dies sind die den demokratischen Unterbau bildenden außer- oder vorrechtlichen Voraussetzungen. Zum anderen ist Demokratie „kein statisches Gerüst von Regeln, sondern auf Dynamik angelegt und trägt diese Dynamik auch in sich“.34 Sie kommt in der Qualifizierung der Demokratie als Programm zum Ausdruck. Danach stellt Demokratie einerseits ein Gefüge von normativen Sätzen und Handlungsanweisungen dar, ist andererseits auf beständige Ausführung ausgelegt und verändert sich darin auch selbst.35 Demokratie verlangt geradezu nach einer Weiterentwicklung, nach einer Optimierung im Rahmen der Struktur, die durch das jeweilige verfasste Gemeinwesen vorgegeben ist. Das Optimierungsgebot wird teilweise umfassend auf die Partizipation der Bürger am hoheitlichen Entscheidungssystem, teilweise nur auf das Gebot zur Herstellung praktischer Konkordanz bei Kollisionen mit anderen Verfassungsprinzipien bezogen.36 Daher lässt sich die norma30 Rittner, JZ 2003, 641, 642; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 236. 31 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 I Rn. 9; Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 88; Rhinow, ZSR n. F. 103 II (1984), 111, 143, 155 f. 32 von Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 149, 156. 33 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rn. 88. 34 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 37. 35 Volkmann, ebd., Rn. 38, 53. 36 Ersteres meinen von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 32, und Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 55; letzteres Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 618 f.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
27
tive Geltung der Demokratie im Recht als ein die Struktur der politischen Organisationseinheit bestimmendes Prinzip mit Optimierungsgebot erfassen. In der deutschen Staatsrechtslehre wird Demokratie häufig auch als Verfassungsprinzip bezeichnet.37 Das Grundgesetz bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland in Art. 20 Abs. 1 GG ausdrücklich als einen demokratischen Bundesstaat. Über die bloße Qualifizierung als demokratischen Staat hinaus, enthält das Grundgesetz eine erste Konkretisierung in Art. 20 Abs. 2 GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Diese zumeist sparsamen Aussagen werden schichtweise zu einer allgemeinen Deutung von Demokratie, wie sie im Gesamtzusammenhang der Verfassung ausgestaltet ist, zusammengefasst.38 Die Verfassung stellt somit den „organisatorischen Bauplan der Demokratie“ dar.39 Der Begriff des Verfassungsprinzips ist nach funktionalem Verständnis nicht auf das politische Gemeinwesen Staat begrenzt, sondern auch auf die EU anwendbar. Demokratie kann in diesem Sinne auch ein Verfassungsprinzip des europäischen Primärrechts darstellen.40 Im Zuge des Konstitutionalisierungsprozesses der EU wurden Verfassungsbegriff, Verfassungsbedürftigkeit und Verfassungsfähigkeit der EU kontrovers diskutiert.41 Der Begriff der Verfassung ist traditionell eng mit dem des Staates verknüpft. Versteht man den Begriff der Verfassung funktional, stellt die Verfassung in einem politischen Gemeinwesen die übergeordnete, höchste Rechtsebene dar, die Herrschaftsgewalt begründet, regelt, deren Ausübung begrenzt sowie Struktur und Aufbau dieses Gemeinwesens festlegt. Die Gründungsund Änderungsverträge der EU und der Europäischen Gemeinschaften stellen als Primärrecht die übergeordnete, höchste Rechtsebene dar. Der EuGH 37 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in Isensee/Kirchhof, HStR II; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 2, Rn. 1. 38 Stern, Staatsrecht I, 589. 39 Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 28; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 145, bezeichnet die Verfassung als „genetisches Programm wie soziales Umfeld des Verfassungsgeschöpfes Demokratie“. 40 Zur Herausbildung einer Prinzipienlehre als systematische Durchdringung der Strukturentscheidungen des europäischen Primärrechts allgemein s. von Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 149 ff. 41 Puttler, EuR 2004, 669, 670; vgl. auch von Bogdandy, Der Staat 2001, 3, 11 ff.; Kirchhof, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 895 ff.; Papier, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 699, 700 f.; Pernice, VVDStRL (60) 2001, 148, 149 ff.; ausführlich Möllers, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 1–57; Nettesheim, in: Schwarze/Müller-Graff, EuR Beiheft 1/2004, 7, 15 ff.; Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 38 ff.
28
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
bestätigte frühzeitig, dass das Primärrecht die materiellen Komponenten einer Verfassung enthalte, und bezeichnete den EG-Vertrag als „Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft“.42 b) Konkretisierung des Demokratieprinzips und demokratischer Unterbau Was macht ein politisches Herrschaftssystem demokratisch? Die einfache positiv-rechtliche Normierung durch einen Artikel in einer Verfassung als Selbstbeschreibung ist nicht ausreichend. Erfährt Demokratie in der Fundamentalnorm einer Verfassung ihre unmittelbare und ausdrückliche, aber lediglich abstrakte Normierung, so finden sich ihre Konkretisierungen über diese Norm hinaus in der gesamten Verfassung. Durch sie gewinnt das Demokratieprinzip an konkreter Gestalt, auch wenn Demokratie als Strukturprinzip mehr als eine Addition dieser Elemente bedeutet und sich nicht in diesen konkretisierenden Einzelausprägungen erschöpft.43 Wesen und Eigenart der Demokratie spiegeln sich in folgenden Strukturmerkmalen eines Verfassungsstaats wider: periodische freie und allgemeine Wahlen, Existenz einer Vertretung der Mitglieder des politischen Gemeinwesens, freie Meinungsbildung, Gleichheit der Bürger, Rückführbarkeit hoheitlicher Entscheidungen auf einen Willensakt der Volkes, funktioneller Vorrang der Volksvertretung vor anderen Staatsorganen, Mehrparteiensystem, Mehrheitsregel und Minderheitenschutz.44 Diese Aufzählung ist nicht abschließend, bildet aber eine anerkannte Schnittmenge. Teilweise wird auch von einem „unverzichtbaren Kernbereich“ der Demokratie gesprochen, der auch von der EMRK anerkannt sei.45 Demokratie als Strukturprinzip erfüllt die Aufgabe, mit der Regelung und Festlegung von Organisation und Verfahren zur Ausübung von Herrschaftsgewalt, die an den Willen des Volkes zurückgeführt wird, die formellen Vo42 EuGH, Urteil v. 23 April 1986, 294/83, Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339, 1365, Rn. 23; EuGH, Gutachten 1/91 v. 14. Dezember 1991, Slg. 1991, I-6079, 6102, Rn. 21. 43 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 149 f. 44 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 81 ff.; Stern, Staatsrecht I, 606; Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 164 f., wirft die Frage auf, ob es sich um Einzelausprägungen oder um Folgerungen, gar Voraussetzungen des Demokratieprinzips handelt. 45 Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 6 EU Rn. 30, der dazu aber nur Selbstbestimmung, Minderheitenschutz, Meinungsfreiheit und freie Wahlen mit Parteienmehrheit zählt. Vgl. auch die Unterscheidung zwischen dem sog. klassifikatorischen und komparativen Begriff der Demokratie bei von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 29 ff.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
29
raussetzungen für ihre materielle Verwirklichung zu schaffen. Mit der Erfüllung dieser Aufgabe ist der Rahmen für die Existenz einer funktionsfähigen Demokratie geschaffen. Dieser Rahmen bedarf der Ausfüllung. Für eine funktionierende, lebendige Demokratie müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein, die als außerrechtliche Voraussetzungen, als demokratischer Unterbau bezeichnet werden: die Existenz einer öffentlichen Meinung, die auf Vermittlungsinstanzen zwischen Bürger und Hoheitsorganen angewiesen ist, sowie eine kollektive Identität der Bürger, die als Mitglieder des jeweiligen politischen Gemeinwesens die politische Herrschaftsordnung tragen. 2. Demokratie in anderen Mitgliedstaaten der EU Ein Überblick über die Geltung und Ausgestaltung von Demokratie in den Verfassungen anderer Mitgliedstaaten der EU zeigt, dass nicht unerhebliche Unterschiede zum grundgesetzlichen Demokratiebegriff und -gehalt bestehen. Im Folgenden werden beispielhaft Frankreich [unter a)], das Vereinigte Königreich [unter b)] und Polen [unter c)] vorgestellt.46 a) Frankreich Trotz der herausragenden Rolle Frankreichs bei der Entstehung des modernen Staats und der modernen Demokratie spielte der Demokratiebegriff im Verfassungsrecht Frankreichs – im Gegensatz zu dem Begriff Republik – lange Zeit keine entscheidende Rolle.47 Die geltende Verfassung der V. Republik von 1958 nennt den Begriff der Demokratie ausdrücklich in Art. 1 und Art. 4 sowie in der Präambel. Art. 1 S. 1 der französischen Verfassung von 1958 bestimmt als Fundamentalnorm, dass Frankreich eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik ist. Jedoch werden die Ausführungen in den Kommentaren zu diesem Verfassungsartikel und zugleich zum Demokratiebegriff als „stiefmütterlich“ bezeichnet. Jegliche Vertiefung werde mit der Bemerkung abgelehnt, dass eine solche sich erübrige oder – im Gegenteil – sich als zu schwierig erweise.48 Ebenso wenig aufschlussreich sei die Rechtsprechung des französischen Verfassungsrates (Conseil constitutionnel). So tauche das Wort Demokratie in mehreren Entscheidungen auf, ohne dass sich das oberste Gericht auch nur um eine abstrakt-systematische Definition bemühe.49 46 Bemerkenswert zur Demokratiekonzeption in der Schweiz als Nicht-Mitgliedstaat der EU Biaggini, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 107. 47 Vgl. Heuschling, EuGRZ 2006, 338, 339 f. 48 Vgl. Heuschling, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 33, 42 f. m. w. N. 49 Heuschling, ebd., 33, 43; ders., EuGRZ 2006, 338, 340.
30
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Die Verwendung des Demokratiebegriffs in der Präambel (in Bezug auf die überseeischen Gebiete) und in Art. 4 der französischen Verfassung (in Bezug auf die politischen Parteien) entbehrt jeglichen materiellen Inhalts. Art. 2 Abs. 5 der französischen Verfassung zitiert die Lincoln’sche Definition der Demokratie: „Ihr Grundsatz lautet: Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk“. Zwar bemüht sich der Verfassungsgeber damit um eine positiv verfassungsrechtliche Begriffsbestimmung der Demokratie. Dieser Ansatz ist aber weder von der rechtswissenschaftlichen Lehre noch von der Rechtsprechung aufgegriffen worden.50 Eine Konkretisierung von begrenztem Umfang findet das Demokratieprinzip unter Berücksichtigung verschiedener Bestimmungen der französischen Verfassung im weiteren Sinn, dem sog. bloc de constitutionnalité, zu dem neben der Verfassung von 1958 auch die Erklärung der Menschenund Bürgerrechte von 1789 sowie die Präambel der Verfassung von 1946 gehören. Nach Art. 3 Abs. 1 der französischen Verfassung liegt die nationale Souveränität beim Volk, das sie mittelbar durch die Abgeordneten als Vertreter und unmittelbar durch den Volksentscheid – in grundsätzlich gleichwertiger Weise – ausübt. Regelungen des allgemeinen Wahlrechts finden sich ebenfalls in Art. 3, zur Volksabstimmung in den Art. 11 und 89 der französischen Verfassung. Auf Grundlage dieser Konkretisierungen wurde jedoch nur die klassische Unterteilung von démocratie représentative, directe et semi-directe vorgenommen.51 Eine umfassendere, materiell gehaltvollere Demokratiekonzeption ist weder von der verfassungsrechtlichen Lehre noch von der Rechtsprechung entwickelt worden. Ein spezifischer Inhalt des Demokratiebegriffs bildet sich allenfalls in Verknüpfung und/oder in Konkurrenz mit anderen Begriffen wie République, souveraineté nationale, liberté politique oder État de droit heraus.52 Von fundamentaler Bedeutung für das französische Verfassungsrecht ist aus staatstheoretischer Perspektive die Frage, ob die Souveränität in der nation oder im peuple verortet ist und was das Volk ist.53 Insgesamt reduziert sich der Demokratiebegriff im franzöischen Verfassungsrecht auf eine inhaltsleere Regierungsform.54 Das französische Demokratieprinzip dient nicht als Grundlage für übergreifende rechtliche Ableitungen und Folgerungen und weist erheblich geringere dogmatische Konturen als die deutsche Konzeption auf. 50 51 52 53 54
Heuschling, Heuschling, Heuschling, Heuschling, Heuschling,
in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 33, 44. ebd., 33, 45. ebd., 33, 40. ebd., 33, 46 ff.; ders., EuGRZ 2006, 338, 339 ff. in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 33, 55.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
31
b) Vereinigtes Königreich Im Vereinigten Königreich scheitert ein gehaltvolles Demokratieprinzip nicht schon am Fehlen einer geschriebenen Verfassung. Zwar fehlt somit eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Erwähnung und Verankerung der Demokratie, jedoch finden sich sämtliche konkretisierenden Strukturmerkmale des Demokratieprinzips, der unverzichtbare Kernbereich der Demokratie55, im britischen Recht wieder. Zentraler Pfeiler des ungeschriebenen britischen Verfassungsrechts und Schlüssel zum britischen Demokratieverständnis ist das Konzept der Souveränität des Parlaments (sovereignty of Parliament). Die logische Fortführung der Doktrin der parlamentarischen Souveränität bedeutet, dass kein Parlament die Hände seines Nachfolgers binden kann. Jegliches Gesetz kann von einem zukünftigen Parlament im Wege gewöhnlicher parlamentarischer Verfahren aufgehoben werden. Der herausragende Stellenwert des Konzepts parlamentarischer Souveränität erklärt sich in der historischen Entwicklung des Kampfes zwischen dem House of Commons und dem Königshaus um die Ausübung der – legislativen – Herrschaftsgewalt.56 Die Bedeutung der parlamentarischen Souveränität kommt auch in dem Bestreben zum Ausdruck, die Verantwortlichkeit (responsibility) der Regierung aber auch exekutiver Agenturen (Independent Regulatory Authorities) gegenüber dem House of Commons umfassend zu sichern.57 Auch im britischen Verfassungsrecht (constitutional order) beschränkt sich der Demokratiebegriff auf die klassische aber inhaltsleere Qualifizierung als parlamentarische Regierungsform, die zum Vorbild aller westeuropäischen Staaten wurde (sog. Westminster-Modell58). Ungeachtet der Verankerung der zentralen Stellung des Parlaments, fällt es schwer, von einem materiell gehaltvollen Demokratieprinzip zu sprechen. c) Polen In der derzeit geltenden polnischen Verfassung von 1997 ist das Demokratieprinzip in Art. 2 und 4 verankert. Die Fundamentalnorm des Art. 2 der polnischen Verfassung bezeichnet die Republik Polen als einen demokratischen Rechtsstaat. In den Kommentierungen wird aber fast ausschließlich an den Begriff des Rechtsstaats angeknüpft. Ausgangspunkt der pol55 56 57 58
s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. II. 1. b). Smith, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 69. Smith, ebd., 69, 70 ff. s. dazu Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-46 Rn. 2.
32
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
nischen Demokratiekonzeption ist hingegen Art. 4 der polnischen Verfassung. Nach dessen Abs. 1 steht die oberste Gewalt in der Republik Polen dem Volk zu, das nach Abs. 2 diese Gewalt durch seine Vertreter oder unmittelbar ausübt. Demzufolge wird zwischen der repräsentativen und unmittelbaren Demokratie unterschieden.59 Als plebiszitäre Elemente werden Volksabstimmungen und Volksinitiativen unterschieden, die nur ergänzende Funktion haben und in der Rechtspraxis bislang selten zur Anwendung gekommen sind.60 Sowohl die Rechtsprechung (des polnischen Verfassungsgerichtshofes) als auch die Literatur erörtern zahlreiche Elemente des polnischen Demokratiemodells im Kontext des Rechtsstaatsprinzips und des Grundrechtsschutzes. Eine übergreifende, materiell wertvolle Demokratiekonzeption hat sich jedoch nicht herausgebildet. Das polnische Demokratiemodell weist aus historischen Gründen einige Besonderheiten auf. So ist das Demokratieprinzip eng mit dem in Art. 10 der polnischen Verfassung verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung verbunden. Bis 1989 beruhte die Verfassung aus dem Jahre 1952 auf dem Prinzip der Einheit der Staatsgewalt, wobei das oberste Organ der Sejm war. Mangels freier Wahlen und eines politischen Pluralismus’ monopolisierte die kommunistische Partei die Ausübung der Staatsgewalt und der Sejm verkam zu einer bloßen Fassade.61 Des weiteren wurde in Art. 11 und 12 der polnischen Verfassung das Prinzip des politischen Pluralismus formuliert, das auf der freien Gründung und Tätigkeit politischer Parteien, Gewerkschaften, gesellschaftlicher und beruflicher Bauernorganisationen, Vereinen, Bürgerinitiativen und sonstiger freiwilliger Zusammenschlüsse und Stiftungen aufbaut. Auch der Verankerung der Presse- und Medienfreiheit in Art. 14 sowie der Bürgerrechte und -freiheiten in den Art. 57 ff. der polnischen Verfassung kommt aus historischen Gründen eine maßgeblich Bedeutung zu. Das polnische Demokratieprinzip weist zwar einen gewissen materiellen Gehalt auf. Da Rechtsprechung und Literatur das Demokratieprinzip jedoch (noch) nicht zu einer zusammenhängenden dogmatischen Demokratiekonzeption ausgebaut haben, vermag es ebenfalls kaum Grundlage konkreter rechtlicher Ableitungen und Folgerungen sein.
59
Biernat, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 79, 80, 83. s. die drei Beispiele für Volksabstimmungen bei Biernat, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 79, 86 f. 61 Biernat, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 79, 84. 60
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
33
3. Ergebnis Die Demokratiekonzeptionen der Mitgliedstaaten der EU unterscheiden sich in Hinblick auf Umfang, Tiefe und Gehalt erheblich. In Deutschland kommt Demokratie als auf Verfassungsebene normiertes Strukturprinzip mit Optimierungsgebot zur Geltung. Über die abstrakte Normierung hinaus gewinnt das Demokratieprinzip an konkreter Gestalt durch zahlreiche Einzelausprägungen. Zur Verwirklichung einer lebendigen Demokratie müssen außerrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Die geschriebenen Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten bezeichnen sich zwar als demokratisch und nehmen Bezug auf den Grundsatz der Volkssouveränität. Jedoch haben in den anderen Mitgliedstaaten Rechtsprechung und Literatur zumeist kein vergleichbares dogmatisches Konzept entwickelt wie in Deutschland. Formen der direkten Demokratie wie Volksinitiativen und Volksentscheide, die in zahlreichen Mitgliedstaaten häufig zum Einsatz kommen, spielen in der grundgesetzlichen Demokratiekonzeption demgegenüber kaum eine Rolle. III. Frage nach der Ausgestaltung von Demokratie im supranationalen Raum Die Auslegung des Begriffes der Demokratie auf supranationaler Ebene und die Bedeutung dieses Begriffes für die EU stellt eine der meistdiskutierten Grundfragen dar.62 Auf die Frage, wie Demokratie im supranationalen Raum auszugestalten ist, gibt eine einfache Übertragung parlamentarisch-föderaler Demokratiemodelle auf die EU keine Antwort (unter 1.). Zunehmend wird die Lösung in der Herausbildung einer unionsspezifischen Demokratie gesehen, deren konkrete Ausgestaltung allerdings unklar ist (unter 2.). 1. Keine Übertragung parlamentarisch-föderaler Demokratiemodelle Wissenschaftliche Untersuchungen erliegen fast ebenso häufig wie politische Erklärungen der Versuchung, die im Nationalstaat verfasste und verwirklichte parlamentarische63, föderale64 Demokratie zum Vorbild für die 62
Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 6 EU Rn. 27. Anschaulich dazu Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in Isensee/ Kirchhof, HStR II, Rn. 1–26. 64 Hier ist das deutsche Schrifttum aufgrund der bundesstaatlichen Erfahrungen stark engagiert, s. Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 42 f. m. w. N. 63
34
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
EU zu nehmen.65 Die Orientierung an diesem Modell ist naheliegend, da Demokratie sich in einer der EU ähnlich gestalteten und territorial großen Herrschaftsordnung, dem Staat, verwirklicht hat und ein reichhaltiger Erkenntnisschatz über die Verknüpfung verschiedener Ebenen demokratischer Repräsentanz vorliegt.66 Die Attraktivität der föderativen Perspektive wird dadurch gefördert, dass die EU starke bundesstaatliche Züge aufweist.67 Kaufmann bezeichnet diesen Ansatz als „föderalistisches Paradigma“68: „Kern des föderalistischen Paradigmas ist die bundesstaatliche Zielsetzung der europäischen Integration. Im Föderalismus ist die herkömmliche Vorstellung des Demokratiedefizits der Europäische Union beheimatet: mangelnde Kongruenz mit den parlamentarisch-demokratischen Verfassungsstrukturen des Nationalstaats.“
Die EU ist jedoch kein Staat und wird auf absehbare Zeit keiner werden. An der Prämisse des rechtlich-politischen Leitbilds eines europäischen Bundesstaats bestehen seit jeher erhebliche Zweifel. Die durch die Erklärung von Laeken69 und dem anschließenden Verfassungsgebungsprozess neu angestoßene Finalitätsdebatte erlitt durch den negativen Ausgang der Referenden in Frankreich und den Niederlanden über die Ratifizierung des Verfassungsvertrages einen Rückschlag. Mit der zunehmenden Furcht eines Großteils der Bürger vor einer übermächtigen EU ist zunehmend ein Abrücken vom Leitbild eines europäischen Bundesstaats festzustellen – auch unter den Regierungen der Mitgliedstaaten. Der Enthusiasmus der Euro-Föderalisten erscheint gedämpft, die Vision eines europäischen Bundesstaats sehr fern. Einer einfachen Übertragung des Modells einer nationalstaatlichen, parlamentarischen Demokratie auf die EU steht der Umstand entgegen, dass die Strukturen der EU nicht denen eines nationalstaatlichen, parlamentari65
Schuppert, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 237, 238, nennt diese Versuchung „Blaupausenfalle“. Distanzierter die Arbeit von Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, der untersucht, wie die föderale Struktur der Union die Stellung und Funktionsweise der Parlamente auf nationaler und europäischer Ebene beeinflusst und das System parlamentarischer Demokratie prägt. 66 Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 43. 67 Oeter, Föderalismus, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 59–119. 68 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 113 ff.; vgl. auch Schuppert, in: Ipsen, FS Rauschning, 2001, 206; Beutler, in: von der Groeben/ Schwarze, EGV/EUV, Art. 6 EU Rn. 9; Verhoeven, Democratic and Constitutional Theory, 2002, 59 f.; Heuschling, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 33, 35, bezeichnet den Versuch der Übertragung des jeweiligen nationalstaatlichen Regierungsmodells auf europäische Ebene als „phénomène de mimétisme“. 69 Die Erklärung des Europäischen Rates von Laeken vom 15.12.2001 „Die Zukunft der Europäischen Union“, BullEU 12/2001, I. 27; Anlage 1 zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes, SN 300/1/01 REV 1, 24.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
35
schen Regierungssystems entsprechen.70 Die EU verfügt über andersartige Organe und eine andersartige Funktionszuordnung.71 Der EuGH hat aus der Zusammenschau der Organisationsprinzipien und Handlungsermächtigungen des Gemeinschaftsvertrages den Begriff des „institutionellen Gleichgewichts“ entwickelt.72 Danach ist Rat, Kommission und Europäischem Parlament jeweils ein eigener Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges bei der Erfüllung der der EU übertragenen Aufgaben zugewiesen.73 Zwar hat das Europäische Parlament im Zuge der Vertragsrevisionen beständig seine Rechtsetzungs- und Kreationsbefugnisse erweitert, jedoch ist das Regierungssystem der EU weiter zuvörderst von den Mitgliedstaaten über den Rat bzw. den Europäischen Rat abhängig. Da ein europäischer Staat auf absehbare Zeit nicht entstehen wird, ist eine einfache Übertragung des Modells der parlamentarischen Demokratie auf die EU ausgeschlossen. Die gleichen Einwände, die einer vollständigen Übertragung des klassischen Modells der parlamentarischen, föderalen Demokratie auf die EU entgegenstehen, sind auch dem Versuch entgegenzuhalten, einen Vergleich mit einer Art Kernbestand demokratischer Elemente zu ziehen, wie sie sich in der Praxis der Mitgliedstaaten der EU finden.74 Ein solcher Vergleich soll berücksichtigen, dass sich die in den Mitgliedstaaten praktisch entwickelte Demokratie in zunehmenden Maß von dem Idealtyp parlamentarischer Demokratie entfernt.75 Die bei einem solchen Vergleich zwischen der nationalen und der supranationalen Ebene festgestellten Unterschiede stellen demnach Defizite dar, die nur durch eine umfassende Übertragung des nationalen Maßstabs auf die EU zu kompensieren seien. Dieser Logik folgend, befände man sich wiederum im „föderalistischen Paradigma“. Da es teil70
Nettesheim, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 143, 144 f. m. w. N. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 37. 72 Zunächst noch „Gleichgewicht der Gewalten“, EuGH, Urteil v. 13. Juni 1958, 9/56, Meroni I, Slg. 1958, 1, 44; Urteil v. 13. Juni 1958, 10/56 Meroni II, Slg. 1958, 51, 82; dann als „institutionelles Gleichgewicht“ im Urteil v. 29. Oktober 1980, 138/79, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333, 3360 Rn. 33; Urteil v. 22. Mai 1990, C-70/88, Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1990, I-2041, 2067 Rn. 21; Urteil v. 5. Juli 1995, C-21/94, Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1827, 1845 Rn. 17. 73 Streinz, in: ders., EGV/EUV, Art. 7 EGV Rn 21. 74 So untersuchen Bleckmann, JZ 2001, 53, 54 ff., und Rummer, ZEuS 1999, 249, 252 ff., ob die im Vergleich der nationalen Verfassungen gewonnenen Merkmale des Demokratieprinzips im Unionsrecht verwirklicht sind. Ein ähnlicher Ansatz bei Sommermann, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 191, 197 ff. 75 Vgl. Craig/De Burca, EU Law, 2008, 134 ff.; Verhoeven, Democratic and Constitutional Theory, 2002, 59. Zum Thema „Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?“ Herdegen, VVDStRL 62 (2003), 1–36, Morlock, VVDStRL 62 (2003), 37–84, Ruffert, DVBl. 2002, 1145–1154. 71
36
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
weise beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung der Demokratie gibt, kann auch kein „Durchschnittsmaßstab“ ermittelt werden. Ebenso wenig gelingt die Zurückführung auf ein klassisches Modell. Wenn die EU kein Staat ist und nicht nach dem Vorbild einer parlamentarischen, föderalen Demokratie konstituiert ist, kann der Demokratiebegriff nicht für die Union und für ihre Mitgliedstaaten einheitlich definiert werden.76 Das Demokratieprinzip kann nicht den identischen Inhalt und die identische Ausprägung in beiden Herrschaftsordnungen besitzen. 2. Auf der Suche nach einem supranationalen Demokratiemodell In den mitgliedstaatlichen Verfassungen wurde Demokratie im traditionellen, bekannten Gehäuse des Verfassungsstaates als Strukturprinzip positivrechtlich normiert und umfassend ausgestaltet. Auf der supranationalen Ebene stand bei Ausarbeitung und Änderung der Gründungsverträge kein solcher Rahmen zur Verfügung. Demokratie stellte zu Beginn der europäischen Integration keinen Strukturgrundsatz der neuen politischen Herrschaftsordnung dar.77 Mit Fortgang der Integration und der Entwicklung von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einer politischen Union haben sich demokratische Konturen erst langsam und stetig herausgebildet. Die einzelnen Elemente, deren demokratische Qualität anerkannt ist, beschränken sich zumeist auf Stellung und Befugnisse des Europäischen Parlaments. Die Elemente wurden nur mühsam in ein zusammenhängendes Modell integriert. So zahlreich und unüberschaubar die Beschreibungen des vermeintlichen Demokratiedefizits78 der EU und punktuelle Vorschläge zu dessen Heilung sind, so selten werden ganzheitliche, übergreifende Modelle entwickelt, die sich der Ausgestaltung von Demokratie im supranationalen Raum widmen. Dieser Aufgabe ist die Demokratietheorie lange Zeit national wie international kaum nachgekommen.79 Die theoretische Begründung hat mit der praktischen Entwicklung nicht Schritt gehalten. Seit dem Vertrag von Maas76 So fordert es aber Bleckmann, JZ 2001, 53, 54. Wie hier auch Gerkrath, EuGRZ 2006, 371, 373. 77 Zuleeg, JZ 1993, 1069 ff. 78 Ausführlich schon Kluth, Demokratische Legitimation der EU, 1995, 11 ff. m. w. N.; zuletzt umfassend Tiedtke, Demokratie in der EU, 2005, 29 ff. m. w. N.; vgl. auch Verhoeven, Democratic and Constitutional Theory, 2002, 57 ff. und Nettesheim, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 143 m. w. N. 79 s. aber die Werke von Dahl, Democracy and its critics, 1989; ders., On Democracy, 1998; Held, Models of democracy, 2006; ders., New forms of democracy, 1986; Sartori, Theory of Democracy Revisited, 1987; Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970; Schmidt, Demokratietheorien, 2008.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
37
tricht im Jahre 1992 wird in der Rechts-, Sozial- und insbesondere der Politikwissenschaft versucht, ganzheitliche Lösungsansätze zu entwerfen bzw. bekannte Teilelemente neu zusammenzufügen und fortzuentwickeln.80 Die nationalstaatlich geprägten Demokratiemodelle sind im europäischen Mehrebenensystem nur noch bedingt tragfähig. Der Demokratiebegriff muss aus der staatlichen Fixierung gelöst werden. Die in ihm transportierten normativen Gehalte der europäischen Moderne müssen mit Blick auf die sich in der EU ausbildende Form politischer und rechtlicher Herrschaft fortgeschrieben werden.81 Die Transformation und Evolution ist derart tiefgreifender Natur, dass sich langsam ein „unionsspezifischer Demokratiebegriff“82 herausbildet. Dieser muss auf die politischen Strukturen des supranationalen Herrschaftssystems der EU angepasst und für die Weiterentwicklung der europäischen Integration offen sein. Wie es mit der Entstehung des modernen Verfassungsstaats Ende des 18. Jahrhunderts gelang, Demokratie auf dem Grundsatz der Volkssouveränität als repräsentative, parlamentarische Demokratie neu zu definieren, stellt sich heute eine ähnliche Aufgabe mit Blick auf die europäische Integration. 3. Ergebnis Auf der Suche nach der Gestalt von Demokratie auf supranationaler Ebene führt das Modell einer parlamentarischen, föderalen Demokratie nicht weiter. Das rechtlich-politische Leitbild eines europäischen Bundesstaates erhält von den Bürgern und Regierungen der Mitgliedstaaten mehrheitlich keine Zustimmung. Das Parlament ist in der EU nicht das zentrale Entscheidungsorgan. Der Demokratiebegriff muss sich aus der nationalstaatlichen Umklammerung lösen und sich an die spezifischen Strukturen der EU anpassen. 80 s. z. B. die Werke von Abromeit, Democracy in Europe, 1998; Beetham/Lord, Legitimacy and the EU, 1998; Curtin, Postnational democracy, 1997; Eriksen/ Fossum, Democracy in the EU, 2000; Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Europäische Integration, 2003; Karlsson, Democracy, Legitimacy and the EU, 2001; Lord, Democracy in the EU, 1998; Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001; Magnette, L’Europe, l’État et la démocratie, 2000; Majone, Regulating Europe, 1996; ders., Regulatory state, 1998; Scharpf, Regieren in Europa, 1999; Schmitter, How to Democratize the EU, 2000; Verhoeven, The EU in Search of a Democratic and Constitutional Theory, 2002; Weiler, The Constitution of Europe, 1999. Einen Überblick verschafft Craig, in: ders./Harlow, The evolution of EU law, 1999, 1 ff. 81 von Bogdandy, Der Staat 2001, 3, 10; Kluth, Demokratische Legitimation der EU, 1999, 33; s. auch Weiler, in: Craig/Harlow, Lawmaking in the EU, 1998, 17; Nettesheim, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 143, 155; Mény, JCMS 2002, 1, 11. 82 Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 6 EU Rn. 28 f.; Callies, in: ders./Ruffert, Kommentar Verfassung EU, Art. I-2 Rn. 27.
38
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
IV. Demokratie in der EU Da Demokratie normativ als auf Verfassungsebene normiertes Strukturprinzip zur Geltung kommt, ist zur Ermittlung des Gehalts und der Ausgestaltung des Demokratieprinzips in der EU das Primärrecht zu untersuchen (unter 1.). In einem zweiten Schritt ist daher auf die demokratischen Verfassungsgrundsätze der Mitgliedstaaten einzugehen, aus denen sich Demokratie als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts geformt hat (unter 2.). Der EuGH hat frühzeitig ein eigenständiges Demokratieprinzip in der Europäischen Gemeinschaft anerkannt (unter 3.). Konkretisierung und Gehalt dieses Demokratieprinzips wird anschließend untersucht (unter 4.). Diese unions- bzw. gemeinschaftsrechtlich interne Entwicklung wird durch externe Bestimmungen ergänzt.83 Von Bedeutung sind dabei insbesondere Art. 3 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK in seiner neueren Auslegung durch den EGMR84 sowie nationale Vorgaben wie Art. 23 Abs. 1 GG.85 1. Normierung des Demokratieprinzips im Primärrecht86 Das unions- und gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip findet in den Bestimmungen der Unions- und Gemeinschaftsverträge seinen Grund und seine Grenze. An seiner Existenz bestehen seit der ausdrücklichen Normierung durch den Amsterdamer Vertrag in Art. 6 Abs. 1 EU keine Zweifel mehr.87 Über Gehalt und Wesen ist damit aber noch keine Aussage getroffen. 83 von Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 149, 172; Bleckmann, JZ 2001, 53, 54. 84 EGMR, Urteil v. 18. Februar 1999, Matthews/Vereinigtes Königreich, 24833/94, EuZW 1999, 308 ff.; dazu Bröhmer, ZEuS 1999, 197, 105 ff.; Lenz, EuZW 1999, 311 ff.; Wolf, ZEuS 2003, 379, 383; Ress, ZEuS 1999, 219, 226. 85 Zu Struktursicherungsklauseln in Verfassungen anderer Mitgliedstaaten s. Pernice, in: Dreier, GG, Art. 23, Rn. 8 ff.; zu den Anforderungen von Art. 23 GG, ebd., Rn. 39 ff.; Brosius-Gersdorf, EuR 1999, 133, 139 ff., 163 ff.; Cremer, EuR 1995, 21, 23 ff.; Tiedtke, Demokratie in der EU, 2005, 78 ff. Diese Struktursicherungsklauseln stellen jedoch nur die jeweiligen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen für die Mitgliedschaft der Staaten in der EU auf und bleiben in dieser Arbeit außer Betracht. 86 Zum Begriff des Primärrechts s. Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 14 f.; Oppermann, Europarecht, 2008, 164 ff. 87 Nach Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 61 f., habe Art. 6 Abs. 1 EU zunächst nur von einer programmatischen Selbstbeschreibung der EU als demokratisch gezeugt. Ausführlich zur Kodifizierung, Bedeutung und Rechtsfolgen von Art. 6 EU Azpitarte-Sánchez, JöR Bd. 51 (2002), 553 ff.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
39
Die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften erwähnen den Begriff „Demokratie“ nicht, sondern regeln punktuell Kompetenzen der Institutionen, auch der parlamentarischen Versammlung, sowie Verfahren der Rechtsetzung.88 Diese Bestimmungen sind jedoch nicht explizit zu einem demokratischen Strukturprinzip zusammengefasst.89 Bis in die achtziger Jahre herrschte die funktionalistische Ansicht vor, wonach Demokratie kein notwendiges Wesensmerkmal der Europäischen Gemeinschaften sei.90 Auch in der Einheitlichen Europäischen Akte und dem Vertrag von Maastricht bildete sich noch kein gehaltvolles Demokratieprinzip heraus. So finden sich nur Andeutungen in einzelnen Erwägungsgründen der Präambel der EEA sowie des Vertrags von Maastricht über die Gründung der EU.91 Erst der Vertrag von Amsterdam führte durch die Änderung von Art. F Abs. 1 EUV a. F. zu einer positivrechtlichen Normierung von Demokratie als einem (Verfassungs-)Grundsatz der EU. Der Gehalt des unionsrechtlichen Demokratieprinzips erschließt sich nicht allein aus der Normierung in – dem nicht justiziablen92 – Art. 6 Abs. 1, 1. Hs. EU, sondern aus einer Zusammenschau mit den Konkretisierungen des Demokratieprinzips in den einzelnen primärrechtlichen Bestimmungen. So ist das Demokratieprinzip als Bestandteil der in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze Voraussetzung für den Beitritt eines Staates zur EU gemäß Art. 49 EU. Bei einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze durch einen Mitgliedstaat kann gemäß Art. 7 EU ein Sanktionsmechanismus in Gang gesetzt werden.93 Der Vertrag von Nizza änderte Art. 6 EU nicht. Die parallel zum Europäischen Rat von Nizza proklamierte Grundrechtecharta der EU wiederholt im dritten Erwägungsgrund der Präambel das Bekenntnis, dass die Union „auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtstaatlichkeit beruht“. Bemerkenswert sind die in dem Verfassungsvertrag enthaltenen Änderungen, die unverändert in den von der Regierungskonferenz 2007 ausgearbeiteten „Reformvertrag“ (Vertrag von Lissabon) übernommen werden. Art. I-2 VV spricht nicht mehr von Grundsätzen sondern von „Werte[n], auf denen 88
Hilf, EuR 1984, 9 f. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 81. 90 Vgl. ebd., 292 ff., 300 ff., zum sog. „funktionalistischen Paradigma“. 91 Zum vierten Erwägungsgrund der Präambel der EEA sowie zum dritten und fünften (nunmehr sechsten) Erwägungsgrund des Vertrags von Maastricht, s. Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Präambel EU Rn. 10; von Bogdandy, in: ders., Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 149, 172; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 82 ff. 92 Arg. ex Art. 46 lit. d EU. 93 Zum „Fall Österreich“ Schorkopf, DVBl. 2000, 1036–1044, und Hummer/Obwexer, EuZW 2000, 485–496. 89
40
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
sich die Union gründet“, u. a. auf den der Demokratie.94 Zwar kann angesichts der sich weiter entwickelnden Ausgestaltung der „unionsspezifischen Demokratie“ das Demokratieprinzip bei Vertragsrevisionen durchaus Änderungen unterliegen.95 Gegen eine materielle Änderung der bisherigen Rechtslage und somit gegen eine Einschränkung des Demokratieprinzips spricht aber der Wille der Konventsmitglieder und der in der Regierungskonferenz versammelten Vertreter der Mitgliedstaaten, die Union nach den Vorgaben der Erklärung von Laeken demokratischer zu machen. Somit hat das Demokratieprinzip durch die Umformulierung in Art. I-2 VV keinen Substanzverlust erlitten.96 Der neu eingeführte Titel VI über „das demokratische Leben der Union“ enthält eine Reihe von Bestimmungen zur demokratischen Ausgestaltung der Union, die dem Demokratiegebot stärkeres Gewicht verleihen, insbesondere die Normierung der Grundsätze der repräsentativen und partizipativen Demokratie in den Art. I-46 und I-47 VV, die unverändert über den Reformvertrag in den EUV eingeführt werden sollen.97 Schon nicht in den von der Regierungskonferenz 2004 angenommenen Verfassungsvertrag übernommen wurde das Zitat des Athener Geschichtsschreibers Thukydides, das die Präambel des vom Konvent ausgearbeiteten Entwurfes eingeleitet hatte: „Die Verfassung, die wir haben . . . heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist.“98
94 Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel, Dokument 11177/07 CONCL 2 des Rates der EU vom 23 Juni 2007, Annex 1, 16, 24, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/ 94935.pdf. 95 Zur Existenz eines änderungsresistenten Kernbestands allgemeiner Verfassungsprinzipien im Unionsrecht s. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 94 ff. m. w. N. Nach Heintzen, EuR 1994, 35, 42 ff., darf das Demokratieprinzip in der Substanz auf Gemeinschaftsebene nicht angetastet werden. 96 So auch Callies, in: ders./Ruffert, Kommentar Verfassung EU, Art. I-2 Rn. 13, und Heintschel von Heinegg, in: Vedder/ders., VVE, Art. I-2 Rn. 3. Zur unglücklichen Verknüpfung der Begriffe Wert und Demokratie von Bogdandy, JZ 2004, 53, 58 f. Nach den Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel, Dokument 11177/07 CONCL 2 des Rates der EU vom 23 Juni 2007, Annex 1, 24, www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/ 94935.pdf, soll Art. I-2 wortgleich über den Reformvertrag Bestandteil des EUV werden (so jetzt Art. 2 des konsolidierten EU-Vertrages). 97 Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel, Dokument 11177/07 CONCL 2 des Rates der EU vom 23 Juni 2007, Annex 1, 17, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/94935.pdf. 98 Thukydides II, 37; zur unglücklichen Wahl des Zitats Meyer/Hölscheidt, ZSE 2003, 336, 341 f.; Schliesky, EuR 2004, 124 ff.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
41
2. Demokratie als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts Bevor das Demokratieprinzip im Primärrecht durch Art. 6 Abs. 1 EU positiv-rechtlich normiert wurde, musste zur Herleitung eines demokratischen Grundsatzes auf Unions- und Gemeinschaftsebene auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden.99 Diese Möglichkeit ist durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze als Rechtsquelle des Gemeinschaftsrechts im Rang von Primärrecht eröffnet.100 Im Rahmen des Unionsrechts kann sich aber ein allgemeiner Rechtsgrundsatz als wirksames Instrument der Lückenfüllung der Gemeinschafts- und Unionsverträge nur soweit entfalten, wie er inhaltlich mit der Struktur, den Zielen und Kompetenzen der Union vereinbar ist.101 Damit ist zugleich das bekannte Dilemma umschrieben, wie die Elemente des klassischen nationalstaatlichen Demokratiemodells für die Verwirklichung von Demokratie im supranationalen Raum fruchtbar gemacht werden können. Das in den Verfassungen aller EU-Mitgliedstaaten verankerte aber in den Ausprägungen variierende demokratische Prinzip kann als „gemeineuropäisches Verfassungsprinzip“102 bezeichnet und auf die Unionsebene als tragendes Verfassungsprinzip übertragen werden.103 Fraglich ist jedoch, welche konkreten Rechtsfolgen sich daraus ableiten, z. B. welche Auswirkungen auf die institutionelle Struktur der Union sich daraus ergeben. Ein den Verfassungen der Mitgliedstaaten entnommenes Demokratieprinzip muss in Wechselbeziehung zu Wesen und Zweck eines supranationalen Verbands ausgelegt werden. Die Rechtsquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze leidet folglich darunter, dass Grundsätze aus der Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten nur soweit als Elemente des Primärrechts gelten können, wie sie mit der Struktur der EU selbst kompatibel sind. Dadurch entsteht für das Demokratieprinzip ein doppeltes Verweisungsverhältnis zwischen den beiden Herrschaftsebenen, das die Ermittlung seines Inhalts er99 Ress, in: Fiedler, GS Geck, 1989, 625, 640 ff. Vgl. nunmehr Art. 6 Abs. 1, 2. HS EU, wonach die im 1. HS genannten Grundsätze wie der der Demokratie allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind. 100 Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 15. Die Ermittlung solcher Rechtsgrundsätze geht auf den EuGH durch den Akt „wertender Rechtsvergleichung“ zurück; Lecheler, ZEuS 2003, 337, 338 ff., 344; Oppermann, Europarecht, 2008, 168. 101 EuGH, Urteil v. 17. Dezember 1970, 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125, 1135, Rn. 5; Urteil v. 14. Mai 1974, 4/73, Nold, Slg. 1974, 491, 507, Rn. 14; vgl. Ress, in: Fiedler, GS Geck, 1989, 625, 643. 102 Hobe, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 23 Rn. 17. 103 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 90 m. w. N.
42
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
schwert.104 Aus diesem Grunde beschränkt sich die Bedeutung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Demokratie allein auf die traditionelle, abstrakte Rolle als „Leitschnur“ und Grenze für die künftige Verwirklichung von Demokratie in der EU.105 3. Anerkennung durch die europäische Gerichtsbarkeit Die kontinuierliche Ausgestaltung des unionsrechtlichen Demokratieprinzips spiegelt sich auch in der Rechtsprechung der europäischen Gerichtsbarkeit wider. Der EuGH zählte das Demokratiegebot schon früh zu den grundlegenden Verfassungsprinzipien der Gemeinschaft. Schon vor der Einheitlichen Europäischen Akte anerkannte er das Demokratieprinzip in den sog. IsoglucoseFällen106 als „grundlegendes demokratisches Prinzip [. . .], nach dem die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind“.107 Als dessen Ausdruck stelle die ordnungsgemäße Durchführung der primärrechtlich vorgesehenen Anhörung des Europäischen Parlaments eine wesentliche Formvorschrift im Rechtsetzungsprozess dar, deren Missachtung die Nichtigkeit des Rechtsakts nach sich ziehe. Der EuGH räumte jedoch die unvollkommene Ausgestaltung des Demokratieprinzips auf Gemeinschaftsebene ein, da es nur „nach Maßgabe des Vertrags“ gelte. Der EuGH bezieht sich in weiteren Urteilen auf das Demokratieprinzip.108 In dem Urteil Titandioxid109 dient es der Argumentation, dass im Falle konkurrierender Ermächtigungsgrundlagen im Gemeinschaftsrecht diejenige heranzuziehen sei, die dem Europäischen Parlament weitergehende Mitwirkungsbefugnisse im Rechtsetzungsprozess einräumt; in diesem Fall das Verfahren der Zusammenarbeit gegenüber dem der Anhörung. 104
Kaufmann, ebd., 91. Vgl. Lecheler, ZEuS 2003, 337, 348. 106 EuGH, Urteil v. 29. Oktober 1980, 138/79, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333, 3360, Rn. 33; Urteil v. 29. Oktober 1980, 139/79, Maizena/Rat, Slg. 1980, 3393, 3424, Rn. 34. 107 Zuleeg, JZ 1993, 1069, 1070, fasst die Bezeichnung des „grundlegenden demokratischen Prinzips“ durch den EuGH auch als Verweis auf die Verfassungsgrundsätze der Mitgliedstaaten auf. 108 EuGH, Urteil v. 11. Juni 1991, C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, I-2867, 2900, Rn. 20; Urteil v. 30. März 1995, C-65/93, Parlament/Rat, Slg. 1995, I-643, 668, Rn. 21; Urteil v. 5. Juli 1995, 21/94, Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1827, 1852, Rn. 17; Urteil v. 10. Juni 1997, 392/95, Parlament/Rat, Slg. 1997, I-3213, 3246, Rn. 14. 109 EuGH, Urteil v. 11. Juni 1991, C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, I-2867, Rn. 20. 105
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
43
Der EuGH argumentiert mit dem Demokratieprinzip zurückhaltend, indem er es nicht als autonomen Grundsatz, sondern eher als Reflex institutioneller Bestimmungen ansieht, die die Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments in den Rechtsetzungsverfahren betreffen.110 Erst das EuG hat das Demokratieprinzip als ein autonomes Prinzip gedeutet, das über die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments hinausgeht.111 In dem Urteil, das die Mitwirkung der Sozialpartner an der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 138, 139 EG betrifft, stellt das EuG das Erfordernis der Beteiligung der Völker am Rechtsetzungsverfahren auf Gemeinschaftsebene auf. In Abwesenheit des Europäischen Parlaments müsse die Beteiligung der Völker auf andere Weise – hier durch die Beteiligung der Sozialpartner gewährleistet werden.112 4. Konkretisierung und Gehalt des unionsrechtlichen Demokratieprinzips Auch das unionsrechtliche Demokratieprinzip erhält über die bloße positiv-rechtliche Normierung in Art. 6 Abs. 1, 1. Hs. EU seine Ausprägung durch die Konkretisierung in einzelnen vertraglichen Bestimmungen.113 Konkretisierende Strukturelemente lassen sich im Primärrecht der Union mit unterschiedlichem Gehalt, aber durchweg über bloße Ansätze hinausgehend und mit weiterem Entwicklungspotential auffinden. Da das nationalstaatliche, parlamentarische Demokratiemodell nicht auf die EU übertragen wird, sind der Union einige Strukturmerkmale, wie das des funktionellen Vorrangs des Parlaments vor anderen Staatsorganen, wesensfremd. So findet die Eigenart des institutionellen Gefüges der Union in den Prinzipien der Funktionenteilung und des institutionellen Gleichgewichts eine systemadäquate Entsprechung.114 Die Existenz des Europäischen Parlaments als Volksvertretung wird von Art. 7 Abs. 1 und Art. 189 Abs. 1 EG vorausgesetzt.115 Periodische freie und allgemeine Wahlen werden durch Art. 190 Abs. 1 und 3 EG und die 110 So Britz/Schmidt, EuR 1999, 467, 480. Kritisch zum Abstellen auf die EuGHRechtsprechung Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 86. 111 EuG, Urteil v. 17. Juni 1998, T-135/96, UEAPME/Rat, Slg. 1998, II-2338, 2371, Rn. 89. Ausführlich dazu Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 477 ff. 112 Kritisch Langenbucher, ZEuP 2002, 265, 276 f., Britz/Schmidt, EuR 1999, 467, 480 f. 113 Zur Konkretisierung des Demokratieprinzips im Verfassungsstaat s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. II. 1. b). 114 s. Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 7 EGV Rn. 14, 19 ff. 115 Vgl. auch Art. I-19 Abs. 1 und Art. I-20 VV.
44
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
nationalen Wahlgesetze116 gewährleistet. Eine freie Meinungsbildung ist durch die Ausübung des nicht ausdrücklich im Primärrecht normierten117 aber durch den EuGH in ständiger Rechtsprechung als Gemeinschaftsgrundrecht im Sinne eines allgemeinen Kommunikationsgrundrechts anerkannten118 Grundrechts der freien Meinungsäußerung gesichert. Die Existenz eines Mehrparteiensystems ist im Gemeinschaftsvertrag zwar ebenfalls nicht ausdrücklich niedergeschrieben. Doch legt Art. 191 Abs. 1 S. 1 EG fest, dass politische Parteien auf europäischer Ebene als Faktor der Integration in der Union wichtig sind.119 Der Grundsatz der staatsbürgerlichen Gleichheit ist im Primärrecht ebenfalls bislang nicht normiert.120 Der EuGH hat jedoch den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz121 schon frühzeitig als Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts aus den nur als dessen speziellen Ausprägungen empfundenen Diskriminierungsverboten des Primärrechts122 entwickelt.123 Vorschriften über die Anwendung der Mehrheitsregeln finden sich in Unions- und Gemeinschaftsverträgen in den einzelnen Artikeln, die die Beschlussfassung der Institutionen betreffen.124 Der Minderheitenschutz 116 Mangels einheitlichen Wahlverfahrens ist der das Abstimmungsverfahren unmittelbar betreffende Wahlgrundsatz der freien Wahl im nationalen Recht garantiert; vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 EuWG. 117 Vgl. ausdrücklich in Art. II-71 VV. 118 Implizit bereits in EuGH, Urteil v. 17. Januar 1984, 43 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19, 62, Rn. 33 f.; ausdrücklich erstmals in EuGH, Urteil v. 13. Dezember 1989, C-100/88 Oyowe und Traore/Kommission, Slg. 1989, 4285, 4304, Rn. 16; vgl. Streinz, in: ders., EUV/EGV, GR-Charta Art. 11 Rn. 4, 9. 119 Art. I-46 Abs. 4 VV beschreibt wie Art. 191 Abs. 1 S. 2 EG, dass politische Parteien auf europäischer Ebene zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürger beitragen. Vgl. Art. III-331 VV. 120 Art. I-45 VV normiert den Grundsatz der demokratischen Gleichheit aller Unionsbürger, der durch die Grundrechte des Art. II-80 über die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und des Art. II-81 über das Verbot der Diskriminierung aufgrund der dort aufgezählten Merkmale bekräftigt wird. 121 Zahlreiche Verfassungen der Mitgliedstaaten garantieren die Gleichheit vor dem Gesetz ausdrücklich als Staatsbürgerrecht; s. Streinz, in: ders., EUV/EGV, GRCharta Art. 20 Rn. 2. 122 Art. 12 EG und die speziellen, insbesondere in den Grundfreiheiten geregelten Diskriminierungsverbote der Art. 28, Art. 29, Art. 31 Abs. 1, Art. 39 Abs. 2, Art. 43, Art. 50 Abs. 3. 123 EuGH, Urteil v. 19. Oktober 1977, 117/76 und 16/77, Ruckdeschel u. a./HZA Hamburg-St. Annen u. a., Slg. 1977, 1753, Rn. 14 ff., 22 f.; Urteil v. 12. März 1987, 215/85, BALM/Raiffeisen Hauptgenossenschaft, Slg. 1987, 1279, 1300, Rn. 23; Urteil v. 5. Oktober 1994, 280/83, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, 5062, Rn. 67; Urteil v. 19. November 1998, C-85/97, SFI/État belge, Slg. 1998, I-7447, 7471, Rn. 30. 124 Vgl. grundsätzlich bei Mehrheitsentscheidungen Art. 198 Abs. 1 EG für das Europäische Parlament, Art. 205 Abs. 1 EG für den Rat und Art. 219 Abs. 1 EG für die Kommission.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
45
wird weder in Unions- und Gemeinschaftsvertrag noch im Verfassungsvertrag ausdrücklich erwähnt. Das Erfordernis qualifizierter Mehrheitsbeschlüsse in besonderen Fällen und die allgemeinen und speziellen Diskriminierungsverbote bringen einen verstärken Minderheitenschutz zum Ausdruck.125 Über diese Strukturmerkmale hinaus finden sich im Primärrecht weitere Konkretisierungen des Demokratieprinzips. Teilweise sind sie dem Modell parlamentarischer Demokratie nachgebildet, z. B. die Befugnisse des Europäischen Parlaments bei Ernennung und Abwahl der Kommission126; teilweise spiegeln sie die Eigenart des institutionellen Gefüges der EU wider, z. B. die Verpflichtung des Rates, eine erneute Konsultation des Europäischen Parlaments einzuleiten, wenn er von einem Kommissionsvorschlag im Ganzen abweichen will. 5. Ergebnis Das Demokratieprinzip der EU hat zwei „Wurzeln“127: zum einen die Gründungs- und Änderungsverträge der EU und der Europäischen Gemeinschaften, und zum anderen die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten. Schon vor der positiv-rechtlichen Normierung des unionsrechtlichen Demokratieprinzips in Art. 6 Abs. 1 EU bestätigte der EuGH die Herausbildung eines derartigen Strukturprinzips mit wachsendem Gehalt. Es findet seine konkretisierenden Ausprägungen in zahlreichen Strukturmerkmalen.
B. Demokratische Legitimation Nachdem der Begriff der Demokratie näher bestimmt und deren Verwirklichung in der EU untersucht worden ist, wird nun der Begriff der demokratischen Legitimation bestimmt, der sich ebenfalls durch eine interdisziplinäre (unter I.) und rechtsvergleichende (unter II.) Heterogenität auszeichnet. Auch die Frage nach der Ausgestaltung der demokratischen Legitimation im supranationalen Raum (unter III.) ist noch nicht abschließend beantwortet. Abschließend wird die Praxis der Vermittlung demokratischer Legitimation der Rechtsetzung in der EU dargestellt (unter IV.). 125 Beachte Art. II-82 VV über die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen, der nach Streinz, in: ders., EUV/EGV, GR-Charta Art. 22 Rn. 5, keinen subjektiven Anspruch auf Minderheitenschutz enthält. 126 Art. 201, 214 Abs. 2 EG bzw. Art. I-26 Abs. 8 i. V. m. Art. III-340, Art. I-27 Abs. 1, 2 VV. 127 So schon Zuleeg, EuR 1982, 21, 25; ders., in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 1 EG Rn. 45.
46
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
I. Interdisziplinäre Heterogenität Der Begriff der Legitimation ist ähnlich vielschichtig und mehrdeutig wie der Begriff der Demokratie. Daher ist Legitimation zunächst als Rechtsbegriff zu bestimmen und gegenüber dem Begriff der Legitimität abzugrenzen (unter 1.). Anschließend wird die Begriffsverknüpfung „demokratische Legitimation“ dargestellt (unter 2.). 1. Legitimation als Rechtsbegriff in Abgrenzung zum Begriff der Legitimität Auch der Begriff der Legitimation ist eine sozial-, politik- und rechtswissenschaftliche „Standardformel“, welche die damit verbundene unterschiedliche Akzentsetzung definitorisch nicht hinreichend deutlich macht. Die Mehrdeutigkeit des Begriffes der Legitimation wird dadurch verstärkt, dass innerhalb der unterschiedlichen Disziplinen über Sachfragen und über Sprachgebrauch keine Einigkeit besteht.128 Das bei der Bestimmung des Begriffs der Demokratie festgestellte Phänomen, dass derselbe Gegenstand mit unterschiedlichen Methoden auf unterschiedliche Ziele hin und mit unterschiedlichen Ergebnissen von verschiedenen Wissenschaften untersucht wird, trifft auch auf den Begriff der Legitimation zu.129 Legitimation und Legitimität werden nicht selten gleichbedeutend verwendet, ohne klar abgegrenzt zu werden.130 Beide Begriffe befassen sich mit der Rechtfertigung von Herrschaft131, beinhalten jedoch eine unterschiedliche Akzentuierung.132 Legitimität beantwortet die ewige Frage, ob Herrschaft gerechtfertigt ist. Die Antwort wandelt sich entsprechend den sich im Laufe der Zeit ändernden philosophischen, politischen und rechtlichen Vorstellungen. Heute lassen sich eine normative und eine deskriptive 128 Emde, Demokratische Legitimation, 1991, 26. Definitionsversuche eines politik-, sozial- und rechtswissenschaftlichen Legitimationsbegriffes bei Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 151 ff. 129 Vgl. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 149 f. 130 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 150. Als Beispiel für eine synonyme Verwendung der Begriffe s. Würtenberger, JuS 1986, 344, der in der ersten Überschrift von der „Legitimationsfrage“, aber im anschließenden Einleitungssatz und in den weiteren Ausführungen von der „Legitimitätsfrage“ spricht. 131 Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673, 674; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 150. 132 Zum gemeinsamen etymologischen Ursprung „legitimus“, später „légitime“, s. Emde, Demokratische Legitimation, 1991, 29 f.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
47
Dimension von Legitimität unterscheiden: Erstere untersucht anhand bestimmter Wertvorstellungen und/oder (rechtlicher) Vorgaben, ob Herrschaft gerechtfertigt ist, Letztere untersucht dies anhand tatsächlicher Gegebenheiten.133 Legitimität bezeichnet eine Eigenschaft von Herrschaftsgewalt: den Zustand, in dem Herrschaftsgewalt gerechtfertigt ist, als Ergebnis des Vorgangs der Rechtfertigung. Legitimation bezeichnet demgegenüber gerade den Vorgang der Herstellung legitimer Herrschaftsgewalt: das Verfahren der Beschaffung von Herrschaftsgewalt, an dessen Ende Legitimität bewirkt ist. Legitimität wird somit durch Legitimation vermittelt und ist das Ergebnis eines erfolgreichen Legitimationsprozesses.134 Emde hat die Abgrenzung der Rechtsbegriffe Legitimation und Legitimität folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Der Tatbestand der Verfassungsmäßigkeit von Herrschaft wird unter dem Begriff der Legitimität subsumiert, während Legitimation das Verfahren der Rechtfertigung von Herrschaft mittels der Bindung des Willensbildungsprozesses der Staatsorgane an die Vorgaben des geltenden Staatsrechts zum Gegenstand hat. Vergegenwärtigt man sich, dass ein verfassungsgemäßes Entscheidungsverfahren noch kein verfassungsmäßiges Ergebnis verbürgt [. . .], so wird deutlich, dass legitime Herrschaft stets legitimierte Herrschaft ist, während umgekehrt legitimierte Herrschaft nicht notwendig legitim ist. Legitimation bezeichnet somit lediglich einen Ausschnitt des Legitimitätsproblems.“135
2. Demokratie und Legitimation Die inhaltliche Struktur des Legitimationsverfahrens ist stets eine Ableitung aus den Grundprinzipien der jeweils geltenden Herrschaftsordnung. Durch Hinzufügung des Attributs „demokratisch“ verdichtet sich der verfassungsrechtliche Beurteilungsmaßstab für den Prozess der Herrschaftsrechtfertigung auf das demokratische Prinzip. Für ein demokratisches Herrschaftssystem bedeutet dies, dass Legitimation von Herrschaft aus Willensentscheidungen des Volkes hergeleitet wird.136 Ziel demokratischer Legitimation ist es, einen effektiven Einfluss des Volkes auf die Ausübung von Hoheitsgewalt zu bewirken und sicherzustellen.137 Das Verhältnis zwischen den Begriffen 133 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 151. Vgl. Emde, Demokratische Legitimation, 1991, 30 f. Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 506 ff., 517 ff., bestimmt Legitimität begrifflich (ethisch fundiert, rechtspositivistisch und faktisch) sowie funktionell (ex ante, ex post). 134 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 150; Emde, Demokratische Legitimation, 1991, 32 f. 135 Emde, Demokratische Legitimation, 1991, 33; vgl. Czybulka, Legitimation der öffentlichen Verwaltung, 1989, 56 ff. 136 Emde, Demokratische Legitimation, 1991, 33 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 162.
48
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
der demokratischen Legitimation und des demokratischen Prinzips zeichnet sich dadurch aus, dass demokratische Legitimation sich lediglich auf den Teil des demokratischen Prinzips bezieht, der die Einrichtung von Verfahren zum Gegenstand hat, die die Bestellung der Herrschenden durch das Volk und die Koppelung der Ausübung ihrer Herrschaftsmacht an das Volk garantieren sollen.138 Die konkrete Gestaltung dieser Verfahren ist in den Ausprägungen des Demokratieprinzips in der Verfassung als übergeordneter Rechtsebene geregelt. Die Verfassung erweist sich somit zugleich als Bauplan der Organisationsstruktur sowie der Legitimationsstruktur des politischen Herrschaftssystems. Demokratie stellt somit sowohl den Modus der Herrschaftsorganisation als auch den Modus der Herrschaftsrechtfertigung dar.139 3. Ergebnis Während Legitimität das Ergebnis der Rechtfertigung von Herrschaftsgewalt im Sinne einer Eigenschaft bedeutet, bezeichnet Legitimation das Verfahren zur Herstellung legitimer Herrschaftsgewalt. Demokratische Legitimation verlangt, dass die Ausübung von Herrschaftsgewalt aus Willensentscheidungen des Volkes hergeleitet wird. Die Ausgestaltung der Verfahren zur Sicherung dieser Herleitung ist – als Ausprägung des Demokratieprinzips – in der Verfassung als übergeordneter Rechtsebene geregelt. II. Rechtsvergleichende Heterogenität In einem ersten Schritt wird das System der Legitimationsvermittlung dargestellt, wie es in Auslegung des Grundgesetzes auf die Ausübung von Hoheitsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland Anwendung findet (unter 1.). In einem zweiten Schritt werden wiederum am Beispiel Frankreichs, des Vereinigten Königsreichs und Polens an Struktur und Gehalt unterschiedliche Legitimationskonzeptionen vorgestellt (unter 2.). 1. Demokratische Legitimation im deutschen Verfassungsstaat Das in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG normierte Demokratieprinzip schreibt keine bestimmte Art der Vermittlung der demokratischen Legitimation vor.140 Es bestimmt, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und von ihm 137 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 14. 138 Emde, Demokratische Legitimation, 1991, 41. 139 Emde, ebd., 41; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 163 f.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
49
in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Ernst Wolfgang Böckenförde141 formulierte in Auslegung von Art. 20 Abs. 1 und 2 GG ein Modell der Vermittlung demokratischer Legitimation, das er im Bundesverfassungsgericht durch den Beschluss zum Personalvertretungsgesetz in Schleswig-Holstein142 in die Rechtspraxis umsetzte.143 Aufbauend auf den einschlägigen Schriften Böckenfördes144 gehen das Bundesverfassungsgericht (genauer gesagt dessen 2. Senat) und ihm folgend ein Großteil der deutschen Staatsrechtslehre von der mittlerweile traditionellen Lesart aus145, dass das Gebot demokratischer Legitimation, soweit das Volk nicht selbst entscheidet, sich sowohl auf das konkrete hoheitliche Entscheidungshandeln als auch auf die handelnde Person beziehe und somit eine materielle und eine personelle Komponente erfordere; beide müssen auf Willensäußerungen des Volkes zurückführbar sein.146 Die personelle Legitimation knüpft an die Person an, die Hoheitsgewalt ausübt. Die personelle Legitimation ist gegeben, wenn die Bestellung dieser Person entweder unmittelbar durch direkte Volkswahl oder mittelbar durch eine auf sie zurückgehende, ununterbrochene Ernennungskette erfolgt (sog. Legitimationskette).147 140
Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 248. Böckenförde war Mitglied des II. Senats des Bundesverfassungsgerichts von 1983 bis 1996. 142 BVerfGE 93, 37. 143 Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, 216 (Fn. 129), 308 (Fn. 121). 144 Eine übersichtliche Darstellung des Konzepts Böckenfördes findet sich in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip. 145 So von Bogdandy, KritV 2000, 284, 288; Bauer, in: ders., Demokratie in Europa, 2005, 1, 3. Blanke, KritJ 1998, 452, spricht von der „Dogmatisierung des „Böckenförde-Konzepts“ der Demokratie in der verfassungsgerichtlichen Rechsprechung; s. auch Rinken, in: Borenschulte, FS Schefold, 2001, 223, 224; Bryde, StWStP 1994, 305, 315; Jestaedt, JuS 2004, 649. 146 BVerfGE 107, 59, 87 f.; ebenso BVerfGE 83, 60, 72; 93, 37, 66 f.; ähnliche Formulierung schon in BVerfGE 47, 253, 272 f., 275; 52, 95, 130; 77, 1, 40 f. Systematisierte Darstellung in der Literatur auch bei Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 II Rn. 46 ff.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 163 ff.; Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 46 ff.; s. auch Di Fabio, in: Brenner, FS Badura, 2004, 77, 81 f.; Pieroth, EuGRZ 2006, 330, 334 f. Zum Typus der funktionellen/institutionellen Legitimation s. Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 15; Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 114. 147 BVerfGE 47, 253, 275; 93, 37, 66; 107, 59, 87 f.; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 16; Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 115; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ 141
50
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Die sachlich-inhaltliche Legitimation148 bezieht sich auf die Notwendigkeit einer inhaltlichen Herleitung der Handlungen der Hoheitsorgane von dem Willen des Volkes. Diese Legitimationsart wird auf zwei Wege vermittelt: erstens über das vom unmittelbar legitimierten Parlament beschlossene Gesetz und die folgende Bindung aller anderen hoheitlichen Organe der Exekutive und Judikative an das Gesetz; zweitens durch eine sanktionierte demokratische Verantwortlichkeit für die Art der Wahrnehmung der eingeräumten Aufgaben, im Verhältnis zur Legislative verwirklicht durch die parlamentarischen Kontrolle der Exekutive.149 Im Gegensatz zur personellen Legitimation fehlt der sachlich-inhaltlichen Legitimation mit Ausnahme von plebiszitären Entscheidungen eine auf das Volk zurückzuführende Unmittelbarkeit. Mangels imperativen Mandats150 trifft das Volk nur die personelle Auswahl der Abgeordneten und erteilt keine sachlich-inhaltlichen Vorgaben. Anstelle des Volkes ist das Parlament das eigentliche „originäre“ Subjekt sachlich-inhaltlicher Legitimation.151 Entscheidend ist, dass im Zusammenspiel zwischen personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht wird.152 Das Volk muss einen „effektiven“ Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch die Staatsorgane haben.153 Eine vollständige Substitution der personellen oder sachlich-inhaltlichen Legitimation durch den jeweils anderen Legitimationsstrang scheidet nach der traditionellen Staatsrechtslehre aus.154 Ob zumindest ein Spielraum für Ergänzungsmöglichkeiten der beiden Legitimationsstränge durch gänzlich andere Legitimationsformen wie z. B. Partizipation, Akzeptanz, Garantie von Entscheidungsrichtigkeit und Effizienz eröffnet ist, bleibt offen.155 Eine Anerkennung anderer LegitiStarck, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 164 f.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 267 ff. 148 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 270 ff., spricht von „materieller“ Legitimation. 149 BVerfGE 93, 37, 66; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 21 ff.; Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 116; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 168. 150 Vgl. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. 151 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 270 ff. 152 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 23; Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 117; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 284 f., 288 ff.; Di Fabio, in: Brenner, FS Badura, 2004, 77, 83 ff. 153 BVerfGE 83, 60, 72; 89, 155, 182; 93, 37, 67; 107, 59, 87. 154 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 23. 155 Vgl. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 108 m. w. N.; Rinken, in: Borenschulte, FS Schefold, 2001, 223, 230.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
51
mationsarten widerspricht dem Demokratieverständnis, das diesem formalen System demokratischer Legitimationsvermittlung, das auf der personellen und der sachlich-inhaltlichen Legitimation beruht, zugrunde liegt. Dieses Demokratieverständnis baut ausschließlich auf dem Kollektiv Staatsvolk als alleiniges Legitimationssubjekt auf. Danach erfordere das Prinzip der demokratischen Gleichheit aller Staatsbürger, dass allein über die Parlamentswahl demokratische Legitimation von diesem Staatsvolk ausgehend vermittelt wird.156 Dieses Demokratieverständnis sowie das darauf aufbauende formale Legitimationsmodell werden von Teilen der deutschen Staatsrechtslehre erheblich kritisiert.157 Ein grundlegender Einwand richtet sich gegen die monistische, demokratietheoretische Annahme, dass sich die demokratische Gleichheit aller Staatsbürger allein im Wahlakt realisieren lasse und somit andere Formen von Partizipation als ungleich und somit undemokratisch qualifiziert werden.158 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finde sich anfänglich ein für Partizipationsformen offenes, pluralistisches Demokratieverständnis, das auf der freien Selbstbestimmung des Individuums basiere und das Prinzip demokratischer Gleichheit nicht übersteigere.159 Für den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt eine Aufweichung des formalen Systems der Vermittlung demokratischer Legitimation zugelassen, indem es nicht mehr allein das Gesamtvolk als Legitimationssubjekt in den Mittelpunkt stellt, sondern die organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen anerkennt und sich somit einem pluralistischeren Demokratieverständnis zuwendet.160 Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der durch die Wahl geäußerte Wille der Bürger in der Regel nur beim nächsten Glied, dem Parlament, nachweisbar bleibe und sich von dort in immer weiteren Berufungsketten verliere, bis zuletzt wenig mehr als eine Mystifikation übrigbleibe.161 Mit zunehmender 156 Ausführlich zu diesem monistischen Demokratieverständnis Hanebeck, DÖV 2004, 901 ff. m. w. N. 157 Bryde, StWStP 1994, 305, 317 ff.; Blanke, KritJ 1998, 452, 455 ff.; Rinken, KritV 1996, 282, 291 ff., ders., in: Borenschulte, FS Schefold, 2001, 223, 224; von Bogdandy, KritV 2000, 284, 288 ff.; Nettesheim, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 143, 178 f. 158 Vgl. Hanebeck, DÖV 2004, 901, 902. 159 Hanebeck, DÖV 2004, 901, 904 f., unter Hinweis auf BVerfGE 5, 85, 204 ff. s. auch Müller-Franken, DÖV 2005, 489, 492 ff. 160 BVerfGE 107, 59; so Hanebeck, DÖV 2004, 901, 907 ff.; Musil, DÖV 2004, 116, 118 ff. Zurückhaltender die Deutung bei Jestaedt, Jura 2004, 649, 653. Kritisch zu dem Beschluss Becker, DÖV 2004, 910, 912 ff. 161 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 47, 54; Blanke, KritJ 1998, 452, 459, 464 ff.
52
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Länge der feingliedrigen Legitimationsketten werde die personelle Legitimationskette qualitativ ausgedünnt.162 Demokratie erscheine als ein dürres Zurechnungsschema, dessen Qualität nicht auf Verantwortungszusammenhängen sondern auf formalen Ableitungszusammenhängen beruhe, wenn die Suche nach einer lückenlosen Berufungskette der für die Entscheidungen verantwortlichen Personen im Vordergrund steht.163 2. Demokratische Legitimation in anderen Mitgliedstaaten der EU Ein Überblick über die Ausgestaltung des Vermittlungssystems demokratischer Legitimation in den Verfassungen anderer Mitgliedstaaten der EU zeigt, dass es wie beim Demokratiebegriff erhebliche Unterschiede zum grundgesetzlichen Legitimationsmodell gibt. Im Folgenden werden wiederum beispielhaft Frankreich [unter a)], das Vereinigte Königreich [unter b)] und Polen [unter c)] vorgestellt.164 a) Frankreich Wie das Grundgesetz schreibt auch die französische Verfassung keine bestimmte Art der Vermittlung demokratischer Legitimation für die Ausübung von Hoheitsgewalt vor. Zwar ist in Art. 3 Abs. 1 der französischen Verfassung – dem Art. 20 Abs. 2 GG vergleichbar – der Grundsatz der Volkssouveränität niedergelegt. Doch haben weder die französische verfassungsrechtliche Lehre noch Rechtsprechung auf Grundlage und in Auslegung dieser Norm ein formales System der Vermittlung demokratischer Legitimation mit Ausschließlichkeitsanspruch errichtet, wie es in Deutschland der Fall ist.165 Vielmehr habe sich im 20. Jahrhundert ein Paradigmenwechsel vom jakobinischen, monistischen Modell zum pluralistischen Modell vollzogen.166 Auf der Grundlage des Prinzips des Monismus folge aus der Gleichheit 162 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 273; LübbeWolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 280 f. 163 Eingehend Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 281 ff.; s. auch Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 47; Kotzur, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 351, 380 f. 164 Vgl. wiederum die Ausführungen zur Schweiz als Nicht-Mitgliedstaat der EU bei Biaggini, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 107. 165 s. die problematische Verknüpfung der Theorien der souveraineté nationale und souveraineté populaire bei Gicquel, Droit constitutionnel, 2008, 185 ff. 166 Ausführlich dazu Heuschling, EuGRZ 2006, 338, 343 ff.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
53
aller Bürger die Einheit des Volkes und über die Einheit und Vorherrschaft der Nationalversammlung als gewählter parlamentarischer Repräsentation in letzter Konsequenz die Einheit des Staates.167 Dieses Modell, das in der Fixierung auf die Einzigartigkeit und Einheit des Volkes sowie die ausschließliche Repräsentierung durch die gewählte Volksvertretung der grundgesetzlichen Konzeption vergleichbar ist, sei mit der Zeit in mehrfacher Weise untergraben worden: erstens durch den nunmehr unmittelbar vom Volk gewählten Präsidenten der Republik als zweiten Repräsentanten des Volkes, zweitens durch den von Abgeordneten und Gemeindevertretern indirekt gewählten Senat als Vertretung der Départements und drittens fundamental durch einen vielschichtigen Pluralisierungsprozess. So nehmen einerseits Regierung, Verwaltungsbehörden und unabhängige Regulierungsinstanzen als Teile der Exekutive, sowie andererseits Sachverständige, Gewerkschaften und Interessengruppen mit unterschiedlichen Befugnissen am Rechtsetzungsprozess und somit an der Bildung des Staatswillens teil. Ihre Legitimation beruhe im Gegensatz zum Parlament nicht unmittelbar auf den Wahlakt durch das Volk. Während das mittelbar noch für die verschiedenen exekutiven Institutionen gelte, sei unter dem Begriff der démocratie participative die Teilhabe der „Betroffenen“ oder „Bürger“ über die genannten Vermittlungsinstanzen als Legitimationsform anerkannt.168 Die Ausdrucksformen des Volkswillens haben sich somit vervielfältigt.169 b) Vereinigtes Königreich Der Eckpfeiler der britischen constitutional order, der Grundsatz der Parlamentssouveränität, kennzeichnet nicht nur die Demokratiekonzeption des Vereinigten Königreiches, sondern bestimmt zugleich maßgeblich, wie die demokratische Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt vermittelt wird. Im Gegensatz zu den auf dem Grundsatz der Volkssouveränität beruhenden kontinentalen Demokratien ist Legitimationssubjekt das Parlament und kein Volk als wie auch immer gearteter Zusammenschluss der Staatsangehörigen bzw. Staatsbürger.170 Das Parlament übt Hoheitsgewalt nicht stellvertretend für das Volk, sondern originär aus. Demokratische Legitimation erfüllt daher im britischen Verfassungssystem keine vermittelnde, sondern eher eine rückkoppelnde Funktion aus. Zentrale Bedeutung haben in 167
Heuschling, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 33, 57 f. Heuschling, ebd., 58. 169 Heuschling, ebd., 63. 170 Wright, The British political process, 2000, 40 f., spricht von einer Überordnung der „legal sovereignty of Parliament“ gegenüber der „political sovereignty of the people“. 168
54
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
diesem Sinn die Grundsätze der responsability und accountability (Verantwortlichkeit), die durch das sog. Zwei-Parteien-System gewährleistet werden. Dieses two-party system ermöglicht eine Regierung ohne Koalitionszwänge und eine transparente politische Zurechenbarkeit, die durch das reine Mehrheitswahlsystem noch verstärkt wird. Auch wenn sowohl das Zwei-Parteienals auch das Mehrheitswahlsystem wegen der Diskriminierung kleinerer Parteien nicht unerheblicher Kritik ausgesetzt sind, werden die Vorteile einer ungeteilten, nicht verwässerten Zurechenbarkeit des Regierungshandelns als überwiegend angesehen.171 Bemerkenswert ist, dass der Gedanke der Bürgerpartizipation zunehmend an Bedeutung gewinnt.172 Eine formale, detaillierte Konzeption demokratischer Legitimationsvermittlung ist dem britischen Verfassungsrecht fremd. Dies kommt auch in der zweiten Parlamentskammer, dem House of Lords, zum Ausdruck, die lange Zeit überwiegend aus nicht gewählten Mitgliedern, den sog. hereditary peers, bestand.173 Die Ausübung legislativer wie exekutiver Hoheitsgewalt ist mehr durch einen pragmatic approach als durch dogmatische Konzeptionen geprägt.174 c) Polen Der in Art. 4 der polnischen Verfassung niedergelegte Grundsatz der Volkssouveränität ist nicht nur Ausgangspunkt zur Bestimmung des Demokratiebegriffes sondern auch der demokratischen Legitimation der Rechtsetzung in Polen. Im Gegensatz zu Art. 20 Abs. 1 GG steht nach Art. 4 Abs. 1 der polnischen Verfassung die hoheitliche Gewalt dem Volk zu, sie geht nicht nur von ihm aus. Im polnischen Schrifttum wird aus der ersten Formulierung gelesen, dass sich der Einfluss des Volkes auf die Ausübung der Hoheitsgewalt nicht auf den Wahlakt beschränke, sondern sich permanent realisiere. So könne das Volk insbesondere neben seinen Wahlakten und in der Zeit dazwischen die Rechte des Souveräns unmittelbar wahrnehmen und die Kontrolle über die staatlichen Organe ausüben.175 Auf der Grundlage dieses Verständnisses des Prinzips der Volkssouveränität wurden drei Gruppen von Befugnissen entwickelt, die dem Bürger im Willensbildungsprozess des Staates zustehen. Neben dem Wahlrecht und dem Recht der freien Meinungsäußerung zählt dazu auch das Recht zur Mitbestimmung in den Entscheidungsprozessen, z. B. durch Volksabstimmung.176 Neben plebiszitären Demokratieformen kann diese dritte Katego171 172 173 174 175
Smith, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 69, 72 f. Vgl. Sommermann, ebd., 191, 205. Smith, ebd., 69, 76. Vgl. Smith, ebd., 77. s. Biernat, ebd., 79, 81 f. m. w. N.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
55
rie auch als Grundlage für Beteiligungsrechte im Sinne partizipativer Demokratie dienen. Auf der Grundlage von Art. 4 der polnischen Verfassung, nach dessen Abs. 2 das Volk die Gewalt durch seine Vertreter oder unmittelbar ausübt, entwickelten die polnische Lehre und Rechtsprechung jedoch kein formales System der Legitimationsvermittlung. In der Literatur werden Theorie und Praxis der Ausübung der Staatsgewalt nicht aus der Perspektive des Demokratieprinzips analysiert.177 Bei der Beschreibung und Beurteilung der Verfahren zur Schaffung von Staatsorganen, zu ihrer Personalbesetzung und ihren Kompetenzen wird kaum auf das Erfordernis einer ununterbrochenen Legitimationskette Bezug genommen.178 Stattdessen werden die damit verbundenen Probleme eher unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit untersucht. Die Prüfung konzentriert sich auf das Vorhandensein einschlägiger verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Grundlagen sowie auf die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Verfahren.179 Der Begriff der demokratischen Legitimation wird zwar häufig verwendet180, entbehrt jedoch einer umfassenden dogmatischen Konzeption. 3. Ergebnis Da die Verfassungen der untersuchten Mitgliedstaaten der EU kein spezifisches Legitimationsschema vorschreiben, sind praktische Ausgestaltung und dogmatische Konzeption überaus unterschiedlich. Abgesehen vom Grundsatz der Parlamentssouveränität im Vereinigten Königreich dient in den übrigen untersuchten Mitgliedstaaten der Grundsatz der Volkssouveränität als Ausgangspunkt der Legitimationsvermittlung. Das Bundesverfassungsgericht hat ein System herausgebildet, das allein auf dem Zusammenspiel einer personellen und einer sachlich-inhaltlichen Komponente beruht und das direkt vom Parlament gewählte Staatsvolk als einziges Legitimationssubjekt anerkennt. In Strenge und Tiefe der dogmatischen Konzeption ist dieses formale Legitimationssystem Deutschlands einzigartig.
176
Vgl. Biernat, ebd., 82. Biernat, ebd., 102. 178 Zumindest hat der polnische Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass nicht unmittelbar gewählte Organe der exekutiven Gewalt nicht als „schwächer“ gelten dürfen und dass ihre Legitimation ebenfalls vom Prinzip der Volkssouveränität herrührt, Biernat, in: Bauer, ebd., 79, 85. 179 Biernat, ebd., 85. 180 s. zur kommunalen und funktionalen Selbstverwaltung in Polen Biernat, ebd., 79, 88 ff., 102 ff. 177
56
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
III. Frage nach der Ausgestaltung der demokratischen Legitimation in der EU Auch die Ausübung von – legislativer – Herrschaftsgewalt durch die EU bedarf der demokratischen Legitimation (unter 1.). Es stellt sich die Frage, wie auf supranationaler Ebene die Vermittlung demokratischer Legitimation ausgestaltet sein soll (unter 2.). 1. Legitimationsbedürftigkeit der Rechtsetzung in der EU Die Ausübung jeglicher Herrschaftsgewalt bedarf der Legitimation.181 Herrschaftsgewalt wird traditionell in der verfassten Verbandseinheit „Staat“ ausgeübt. Die EU ist nach der von Allgemeiner Staatslehre und Völkerrecht zugrunde gelegten Drei-Elemente-Lehre mangels eines europäischen Volkes, eines Gebietes und der für die Staatlichkeit erforderlichen KompetenzKompetenz kein Staat.182 Sie ist ein politisches Herrschaftssystem eigener Art183, mit dessen Existenz die Mitgliedstaaten nicht mehr die einzig maßgeblichen Herrschaftsordnungen bilden, sondern in einem Mehrebenensystem aufgehen. Dieses Mehrebenensystem setzt sich momentan aus 27 staatlichen Rechtsordnungen und Trägern von Herrschaftsgewalt sowie einer supranationalen Rechtsordnung und einem supranationalen Träger von Herrschaftsgewalt zusammen. Die Ebenen stehen nicht starr und isoliert nebenbzw. übereinander, sondern sind miteinander verflochten. Eine neue rechtliche und politische Einheit ist mit der EU als überwölbende supranationale Herrschaftsordnung entstanden. In entsprechender Weise bilden auch die Verfassungen der Mitgliedstaaten mit dem Primärrecht der EU und der Europäischen Gemeinschaften einen wechselseitig miteinander verknüpften Verfassungsverbund, der eine materielle Einheit darstellt.184 Entscheidend ist, dass die Mitgliedstaaten der EU Hoheitsrechte übertragen haben, die eigene Herrschaftsgewalt ausübt. Die Institutionen der Union 181 s. o. 1. Teil, 1. Kap., B. I. 1.; vgl. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 23; Schroeder, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 373, 393. 182 Pechstein, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 1 EUV Rn. 10; Folz, Demokratie und Integration, 1999, 37 ff.; Kokott, VVDStRL 63 (2004), 7, 11 ff., zur Rückwirkung der Europäisierung auf die drei Staatsmerkmale. 183 Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 45. Zur Rechtnatur von EU/EG Pechstein, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 1 EUV Rn. 7 ff.; Streinz, ebd., Art. 1 EGV Rn. 10 ff.; Oppermann, Europarecht, 2008, 60 ff.; Nettesheim, in: Schwarze/Müller-Graff, EuR-Beiheft 1/2004, 7, 27 ff. 184 Ausführlich Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 474 ff., 502 ff.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
57
setzen eigenes Recht. Das Gemeinschaftsrecht genießt – zumindest grundsätzlich – Vorrang185 vor den nationalen Rechtsordnungen. Es beansprucht dort teilweise in Form des Primärrechts186, in Form der Verordnung187 und ausnahmsweise in Form von Richtlinien188 unmittelbare Geltung, ohne dass es jedweder Umsetzungsakte bedarf. Es berechtigt und verpflichtet den Einzelnen. Die EU übt sowohl legislative, wie auch exekutive und judikative Herrschaftsgewalt189 aus, auch wenn diese Befugnisse nur von den Mitgliedstaaten übertragen, also abgeleitet sind.190 Es kommt jedoch nicht auf den Ursprung, sondern allein auf die Existenz und die Ausübung dieser Herrschaftsgewalt durch die EU an.191 2. Auf der Suche nach einem Legitimationsmodell für die EU Die Frage, wie die Ausübung von Herrschaft auf supranationaler Ebene demokratisch zu legitimieren ist, stellt die Grundfrage bzw. das Grundproblem der europäischen Integration dar.192 Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung des supranationalen Modells der Legitimationsvermittlung stellt sich in gleicher Weise wie die Frage nach der Ausgestaltung der Demokratie in der EU. Das aktuelle Primärrecht enthält keine Identifizierung des Legitimationssubjektes und der Legitimationsmodalitäten.193 Die Union kann sich mangels Staatsqualität nicht auf ein selbsttragendes, autonomes Legitimationsgefüge stützen.194 Demokratische Legitimation kann daher in der 185 Zur Frage des Anwendungs- oder Geltungsvorrangs Streinz, in: ders., EUV/ EGV, Art. 1 EGV Rn. 19 ff. 186 Der EuGH hat frühzeitig ausgesprochen, dass einige Vorschriften des EGV, insbesondere die Grundfreiheiten, unmittelbar in den nationalen Rechtsordnungen gelten, s. für Art. 28 EG EuGH, Urteil v. 22. März 1977, 74/76, Iannelli/Meroni, Slg. 1977, 557, 576, Rn. 13. 187 Art. 249 Abs. 2 EG. 188 Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 101 ff. 189 Zu Begriff, Inhalt und Funktion der Herrschaftsgewalt auf supranationaler Ebene s. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 692 ff. 190 Mayer, ZaöRV 63 (2003), 59, 61 f., und Kirchhof, ZSE 2003, 358, 365, kritisieren die Gleichstellung von Hoheitsrechten und Hoheitsgewalt, da erstere nur zur Rechtsetzung berechtigen, nicht zur Rechtdurchsetzung. Seeler, EuR 1998, 721, 724, weist dieses Verständnis als zu eng zurück. 191 Magiera, in: Due, FS Everling I, 1995, 789, 790; Kamann, Mitwirkung der Parlamente, 1997, 208 f. Nach Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 46, und Hrbek, in: Randelzhofer, GS Grabitz, 1995, 171, 172, wird die Legitimationsbedürftigkeit der EU nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. 192 Ruffert, in: Calliess./ders, Kommentar Verfassung EU, Art. I-45 Rn. 1. 193 Kluth, in: Schulze/Zuleeg, Hdb. Europarecht, 223. 194 Vgl. Dreier, in: ders., Art. 20 (Demokratie) Rn. 47.
58
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Union nicht in gleicher Form hergestellt und vermittelt werden wie in einem Verfassungsstaat.195 Stattdessen muss wiederum eine unionsspezifische Antwort gefunden werden, die nicht in einer Übertragung eines nationalen Legitimationsmodells, auch nicht des deutschen Legitimationsmodells196, liegt, sondern die komplexe, verflochtene und sich weiterentwickelnde Struktur der EU berücksichtigen muss.197 Das Legitimationsgefüge der Union muss ihr Wesen als mitgliedschaftlich strukturierte Staatenverbindung und die Durchdringung und Verknüpfung staatlicher und zwischenstaatlicher Ordnungen widerspiegeln. Es muss sich aus nationalen und supranationalen Komponenten zusammensetzen. Da sich die nationalen Legitimationsstrukturen teilweise erheblich unterscheiden, sind auch die Überlegungen zur Legitimationsvermittlung in der EU nach Art und Umfang nicht einheitlich. Demokratietheorien, die neben das klassische Repräsentationsmodell treten können, sind zunehmend Gegenstand solcher Überlegungen.198 3. Ergebnis Auch wenn die EU kein Staat ist, übt sie legislative Hoheitsgewalt aus, die demokratischer Legitimation bedarf. Auf ein selbsttragendes Legitimationsgefüge kann sie sich nicht stützen. Legitimation kann in der Union auch nicht in gleicher Weise wie in einem Verfassungsstaat vermittelt werden. Ein supranationales Legitimationssystem muss die Durchdringung und Verknüpfung der nationalen und der supranationalen Ebene berücksichtigen. IV. Demokratische Legitimation der Rechtsetzung in der EU Die Legitimation der Union ruht zum einen auf den parlamentarisch ratifizierten Gründungs- und Änderungsverträgen als Ausdruck der konstitutionellen Verfügungsgewalt der souveränen Mitgliedstaaten über das von ihnen geschaffene Gebilde199, und zum anderen auf einer Entscheidungsstruktur innerhalb dieses Gebildes, bei der die Institutionen des Rates, des Europäi195 BVerfGE 89, 155, 182. Vgl. Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 645; von Bogdandy, KritV 2000, 284, 288 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 590. 196 Nach Nettesheim, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 143, 179, ist die deutsche Verfassungstheorie auf europäischer Ebene in keinem Bereich so bedeutungslos wie in dem der Demokratietheorie und der Legitimationsmodelle. 197 Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1095 m. w. N.; Röhl, DVBl. 2006, 1070, 1073. 198 Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-45 Rn. 3. 199 BVerfGE 89, 155, 184; Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 49; Verhoeven, Democratic and Constitutional Theory, 2002, 63.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
59
schen Parlaments und der Kommission bei der Ausübung legislativer und exekutiver Hoheitsgewalt zusammenwirken. Die erste, den Staatenverbund konstituierende Stufe des Primärrechts ist nicht Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Auf dieser Stufe ist die EU im Wege klassischer, völkervertraglicher Übereinkommen unmittelbar durch die einzelnen Staatsvölker legitimiert, deren nationale Parlamente die Zustimmungsgesetze zu den Gründungs- und Änderungsverträgen (einschließlich der Beitrittsverträge) beschließen und somit deren innerstaatliche Rechtsverbindlichkeit herbeiführen.200 Das Primärrecht ist somit allein über die Mitgliedstaaten nach den jeweiligen nationalen Legitimationskonzeptionen demokratisch legitimiert. EU-Organe sind an der Schaffung und Änderung von Primärrecht substantiell nicht beteiligt.201 Die Sekundärrechtsetzung in der EU erfolgt im Zusammenspiel der Organe Kommission, Rat und Europäisches Parlament, die bei ihrem legislativen Handeln ebenfalls demokratischer Legitimation bedürfen. Das europarechtliche Schrifttum in den Mitgliedstaaten war bislang bemüht, dieses Legitimationsgefüge den nationalen Konzeptionen folgend auf dem Prinzip der Volkssouveränität zu gründen, institutionell und organisatorisch auszugestalten, aber dabei die Durchdringung und Verknüpfung staatlicher und zwischenstaatlicher Ordnungen zu berücksichtigen.202 Danach basiert die Ausübung von Hoheitsgewalt in der EU auf einem dualistischen Legitimationsmodell mit zwei komplementären Legitimationssträngen (twofold legitimacy)203: Der erste Legitimationsstrang geht von den Staatsvölkern der Mitgliedstaaten über die nationalen Parlamente und Regierungen bis zu deren Vertreter im Rat (unter 1.). Dieser Legitimationsstrang existiert praktisch 27-fach, da jeder Strang von dem jeweiligen Staatsvolk der 27 Mitgliedstaaten ausgeht und letztlich im Rat zusammengeführt wird. Der zweite Legitimationsstrang geht unmittelbar zum Europäischen Parlament (unter 2.). Im Weiteren wird auf die Kommission als drittes an den Rechtsetzungsverfahren der EU maßgeblich beteiligtes Organ eingegangen (unter 3.). 200
Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 350 ff. Die Beteiligung reduziert sich auf die formelle Initiierung eines Vertragsänderungsverfahrens, s. Art. 48 EU. 202 Vgl. Craig, in: ders./De Bùrca, The evolution of EU law, 1999, 1 ff.; Weiler, in: Craig/Harlow, Lawmaking in the EU, 1998, 3 ff.; Craig, ebd., 33 ff. 203 BVerfGE 89, 155, 185 f.; Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 6 EU Rn. 31; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 47; Pernice, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 53. Craig/De Burca, EU Law, 2003, 172, 175. Huber, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 491, 503 f.; Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 43. Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-46 Rn. 3 ff. Das Prinzip dualer Legitimation wird ausdrücklich in Art. I-46 Abs. 2 VV übernommen. 201
60
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
1. Verknüpfender Legitimationsstrang: Von den Staatsvölkern zum Rat204 Die Legitimationskette geht vom jeweiligen Staatsvolk aus, das unmittelbar die Abgeordneten des jeweiligen nationalen Parlaments wählt.205 In Abhängigkeit von den Besonderheiten des einzelnen Mitgliedstaates bestimmt letztlich die Mehrheit im nationalen Parlament die Person des Ministerpräsidenten sowie die der übrigen Regierungsmitglieder. In Deutschland beispielsweise wählt der Bundestag den Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundespräsidenten gemäß Art. 63 Abs. 1 GG. Der Bundeskanzler schlägt dem Bundespräsidenten die Bundesminister zur Ernennung vor (Art. 64 Abs. 1 GG). Die Verfahren zur personellen Besetzung der Regierungen unterscheiden sich je nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Insbesondere ist in einigen Mitgliedstaaten die Funktion des Staatspräsidenten mit weitreichenderen Befugnissen ausgestattet. An den Verhandlungen und Abstimmungen im Rat nehmen entweder die jeweiligen Fachminister persönlich oder ein Vertreter teil.206 Die Legitimationskette ist somit grundsätzlich ununterbrochen. Wie intensiv das jeweilige Parlament inhaltlichen Einfluss auf die Bestimmung der nationalen Verhandlungsposition im Rat ausüben kann, hängt von den jeweiligen verfassungsrechtlichen bzw. gesetzlichen Bestimmungen in den Mitgliedstaaten ab. In den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Rechtsgrundlagen der parlamentarischen Mitwirkung an der Bestimmung der nationalen Verhandlungsposition im Rat und der praktischen Umsetzung dieser Rechtsgrundlagen.207 Die konkrete Einflussnahme der nationalen Parlamente auf die Willensbildung des Regierungsvertreters im Rat soll zumeist dadurch gesichert werden, dass die Regierung das Parlament umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über die geplanten Rechtsetzungsvorhaben der EU informieren und Stellungnahme des Parlaments bei den Ratsverhandlungen berücksichtigen muss.208 204 Zunächst wurde er als „Rat“ bezeichnet (Art. 7 Abs. 1 und Art. 202 EG). Nach Inkrafttreten des EUV nannte er sich selbst „Rat der Europäischen Union“ (vgl. Beschluss 93/59/EG v. 8.11.1993, ABl. L 281/18 v. 16.11.1993). 205 Vgl. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. 206 Art. 203 Abs. 1 EG; s. auch Hummer/Obwexer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 203 EGV Rn. 8 ff. In Deutschland übernehmen Staatsekretäre die Vertretung ihrer Fachminister. 207 Eine umfassende Darstellung in Bezug auf die 15 „alten“ Mitgliedstaaten bei Kamann, Mitwirkung der Parlamente, 1997, 47–183; vgl. Weber-Panariello, Nationale Parlamente in der EU, 1995. Zur Stellung der nationalen Parlamente im Entscheidungsgefüge der EU allgemein Schröder, EuR 2002, 301–317. 208 Rechtsgrundlagen der Mitwirkung des deutschen Bundestages an der Entscheidungsbildung im Rat sind Art. 23 Abs. 2 und 3 GG i. V. m. § 5 EUZBBG (Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Ange-
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
61
Der Bundestag übt keine gesetzgeberische Tätigkeit in Form eines sog. „Mandatsgesetzes“ aus. Schlichte Parlamentsbeschlüsse erzeugen keine rechtliche Bindungswirkung.209 Die parlamentarische Verantwortlichkeit der nationalen Regierungen als Eckpfeiler demokratischer Legitimation wird durch klassische Frage-, Debatten- und Entschließungsrechte des nationalen Parlaments210 sowie ggf. durch die Mitwirkung und Kontrolle der zweiten Kammer211 gesichert. Der Weg der Legitimation von den Staatsvölkern über die nationalen Parlamente bis zu den Regierungsvertretern im Rat ist als solcher unbestritten und wird als notwendig angesehen, solange der Rat seine bisherige, zentrale Rolle im Rechtsetzungsverfahren der Union behält.212 2. Eigenständiger Legitimationsstrang: Vom Unionsbürger zum Europäischen Parlament Neben den die nationale und europäische Ebene verknüpfenden Legitimationsstrang tritt ein eigenständiger Legitimationsstrang, der von den Unionsbürgern zum Europäischen Parlament führt.213 Der traditionellen Auslegung des Art. 20 Abs. 2 GG folgend, hat das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil zwar noch die Staatsvölker als Legitimationssubjekt des Europäischen Parlaments angesehen, zugleich aber die Unionsbürger als potentielles Legitimationssubjekt anerkannt.214 So spricht Art. 189 Abs. 1 EG immer noch von Vertretern der „Völker“ der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten.215 Der gescheiterte Verfassungsvertrag trug hinlegenheiten der Europäischen Union, BGBl. 1993 I, 311 f.). s. die umfassende Darstellung der normativen Grundlagen der parlamentarischen Mitwirkung in anderen Mitgliedstaaten der EU bei Hansmeyer, Mitwirkung des Deutschen Bundestages, 2001, 183 ff., Kamann, Mitwirkung der Parlamente, 1997, 73 ff.; Folz, Demokratie und Integration, 1999, 82 ff. 209 Kamann, Mitwirkung der Parlamente, 1997, 80 f.; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 456 f.; Schröder, EuR 2002, 301, 312. 210 Art. 63 und Art. 67 GG. 211 In Deutschland ist die Stellung des Bundesrates stark, vgl. Art. 23 Abs. 2, 4, 5 und 6 GG; ähnliches gilt in anderen Bundesstaaten für die Stellung der 2. Kammer, welche die Gliedstaaten auf Bundesebene vertritt, so der österreichische Bundesrat oder der belgische Senat. 212 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 23 Rn. 31; Kirchhof, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 893, 926. Volkmann, in: Friauf/ Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 4, qualifiziert die Vermittlungsleistung der nationalen Parlamente als „ohnehin oft nur theoretisch“. 213 Pernice, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 54 m. w. N.; BVerfGE 89, 155, 184, 186. 214 BVerfGE 89, 155, 185 f. 215 Ebenso Art. 190 Abs. 1 EG. Nach Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 189 EGV Rn. 2, sollte der Begriff „Völker“ nur klarstellen, dass es kein europäisches Volk gab.
62
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
gegen dem durch Primär-, Sekundärrecht und EuGH-Rechtsprechung erfolgten, stetigen erheblichen Ausbau der Unionsbürgerschaft in den letzten 15 Jahren durchgängig Rechnung und sah ausdrücklich die Unionsbürger als Legitimationssubjekt des Europäischen Parlaments an.216 Damit spiegelte sich auf institutioneller Ebene der Umstand wider, dass die Unionsbürger nicht über den Staat mediatisiert werden, sondern unmittelbar als eigenständige Rechtssubjekte supranationaler Herrschaft unterliegen.217 Diese Neuerung soll auch in den von der kommenden Regierungskonferenz auszuarbeitenden Reformvertrag übernommen werden, der den EU-Vertrag (und den EG-Vertrag) ergänzen soll.218 Die personelle Legitimation ist seit der Einführung der Direktwahl 1976 des Europäischen Parlaments hoch. Die Legitimationskette ist optimal kurz, da die Abgeordneten des Europäischen Parlaments unmittelbar von den Unionsbürgern gewählt werden. Auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments unterliegen keinen sachlich-inhaltlichen Vorgaben durch die Unionsbürger. Die inhaltliche Herleitung der Entscheidungen des Europäischen Parlaments vom Willen der Unionsbürger stellt sich sogar als noch schwieriger dar. Während die Wähler bei nationalen Wahlen ihr Wahlverhalten sachlich nach Wahlprogrammen und -versprechen ausrichten, steckt die Politisierung des Europäischen Parlaments noch im Anfangsstadium.219 Zudem werden bislang die Wahlen zum Europäischen Parlament oft durch nationale politische Themen bestimmt. 216 Art. I-20 Abs. 2, Art. I-46 Abs. 2 VV; ebenso der letzte Erwägungsgrund der Präambel und Art. 1 Abs. 1 VV. s. auch Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 189 EGV Rn. 2; Pernice, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 54; BrosiusGersdorf, EuR 1999, 133, 167; Gerkrath, EuGRZ 2006, 371, 376 f. Heintzen, ZEuS 2000, 377, 383 ff., meint, dass Art. 23 Abs. 1 GG diese Möglichkeit auch aus Sicht des GG eröffnet. 217 Vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 23 Rn. 27; Nettesheim, in: Schwarze/Müller-Graff, EuR-Beiheft 1/2004, 7, 48 f.; Oeter, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 59, 94 f., spricht von einem „gleitenden Prozess, bei dem sich mit allmählichen Gewichtsverschiebungen in der funktionellen Rolle der Organe auch das Gewicht der Legitimationsschienen wandelt“. Nach von Bogdandy, ebd., 149, 174, beruht die Union auf einer „dualen Legitimationsstruktur: der Gesamtheit der Unionsbürger und der über die mitgliedstaatlichen Verfassungen organisierten Völker“. 218 s. Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel, Dokument 11177/07 CONCL 2 des Rates der EU vom 23 Juni 2007, Annex 1, 16, 18, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/ de/ec/94935.pdf. 219 Dies soll sich durch den Reformvertrag, der wesentlichen institutionellen Bestimmungen des Verfassungsvertrages in den EU-Vertrag übernimmt, ändern, da das Europäische Parlament (gemäß Art. I-20 Abs. 1 S. 3 VV) den Präsidenten der Kommission wählen und sogar bei der Ernennung der übrigen Kommissionsmitglieder Einfluss haben soll.
1. Kap.: Status quo der Demokratie und demokratische Legitimation
63
3. Sonderfall: Europäische Kommission Auch wenn die Kommission im Gegensatz zum Rat und zum Europäischen Parlament grundsätzlich keine Entscheidungsbefugnisse im Rechtsetzungsverfahren innehat, nimmt sie als Inhaber des Initiativmonopols220 und über die Komitologieverfahren221 erheblichen Einfluss auf die Rechtsetzung. Somit bedarf auch sie bei der Ausübung legislativer Hoheitsgewalt einer demokratischen Legitimation.222 Die Kommission wird personell zuvörderst über den Rat, zunehmend auch über das Europäische Parlament legitimiert. Die Ernennung des Kommissionspräsidenten und der übrigen Kommissare für die fünfjährige Amtszeit erfolgt seit Inkrafttreten des Vertrages von Nizza mit qualifizierter Mehrheit223 durch den aus den Staats- und Regierungschefs zusammengesetzten Rat. Das Europäische Parlament muss der Ernennung zustimmen.224 Es verfügte über kein eigenes Vorschlags- oder gar Letztentscheidungsrecht.225 Die über den verknüpfenden Legitimationsstrang vermittelte Legitimationskette 220 Das Initiativmonopol beinhaltet das ausschließliche Recht der Kommission, Vorschläge für Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts auszuarbeiten und das Verfahren zum Erlass von Sekundärrecht einzuleiten; Art. 211, 3. Gedankenstrich EG; deutlicher Art. I-26 Abs. 2 VV, wonach auf Grundlage des Verfassungsvertrages ein Gesetzgebungsakt der Union grundsätzlich nur auf Vorschlag der Kommission erlassen werden darf. s. die umfassende Darstellung bei von Buttlar, Das Initiativrecht der Europäischen Kommission, 2003, und Schmitt von Sydow, in: von der Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Art. 211 EG Rn. 38 ff. 221 Der Rat kann der Kommission Befugnisse zum Erlass von Durchführungsvorschriften der von ihm erlassenen Rechtsakte übertragen; Art. 202, 3. Spiegelstrich EG; s. entsprechend Art. 211, 4. Unterabsatz EG. Roller, KritV 2003, 249, 259, weist darauf hin, dass die Kommission im Rahmen der Komitologieverfahren neue, verbindliche Rechtsnormen erzeugt und nicht nur bestehendes Recht anwendet. 222 Craig/De Burca, EU Law, 2003, 59. In einigen Ausnahmefällen hat die Kommission ausschließliche Rechtsetzungskompetenzen, s. Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 19. 223 Die in Art. 214 Abs. 2 EG des Amsterdamer Vertrages festgelegte Einstimmigkeit wurde abgeschafft. 224 Art. 214 Abs. 2, 1. und 3. Unterabsatz EG. Vgl. Art. 98 GO EP, 16. Aufl., ABl. L 44 vom 15.2.2005, die eine „Vorstellung“ der als Kommissionspräsident und Kommissionsmitglieder vorgeschlagenen Kandidaten vor dem Europäischen Parlament vorsehen. Zur Entwicklung dieser klassischen parlamentarischen Funktion in der Union Magnette, ELJ 2001, 292, 296 ff. 225 Der zunehmende Einfluss des Europäischen Parlaments zeigte sich bei der Besetzung der amtierenden Kommission. So verweigerte es die Zustimmung zu den Kandidaten Rocco Buttiglione (ersetzt durch Franco Frattini, der wiederum im Mai 2008 durch Antonio Tajani ersetzt wurde) und Ingidra Udre (ersetzt durch Andris Piebalgs). Der bei der Anhörung vor dem Europäischen Parlament wenig überzeugende László Kovács erhielt darauf hin ein anderes Ressort. Vgl. Gerkrath, EuGRZ 2006, 371, 379.
64
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
ist zwar ununterbrochen, aber sehr lang. Dazu tritt ergänzend die kürzere, unmittelbar über das Europäische Parlament vermittelte Legitimation.226 Auch die Kommission unterliegt bei ihrem Handeln im Rechtsetzungsverfahren der EU keinen sachlich-inhaltlichen Vorgaben der Staatsvölker oder Unionsbürger. Bei der Ausarbeitung der Vorschläge für Rechtsakte stützt sie sich weitgehend auf ihren eigenen Verwaltungsapparat, die sog. Generaldirektionen. Eine parlamentarische Rückkopplung bei der Ausarbeitung der Vorschläge existiert weder zum Europäischen Parlament noch zu den nationalen Parlamenten. Im Rahmen der Komitologieverfahren verfügt sie über umfassende Handlungs- und Beurteilungsspielräume227, die durch die Vorgaben des Basisrechtsaktes nur schwach begrenzt sind.228 Auch hier erfolgt eine inhaltliche Rückkopplung teilweise und nur in geringem Umfang über den Rat bzw. die nationalen Parlamente sowie das Europäische Parlament. 4. Ergebnis Als Teil der in der EU ausgeübten Hoheitsgewalt ist das von Rat, Europäischem Parlament und Kommission gesetzte Sekundärrecht demokratisch legitimiert. Rat und Europäisches Parlament haben die Entscheidungsbefugnisse inne und stellen die Endpunkte der beiden Legitimationsstränge dar, welche die duale Legitimationsstruktur der Union widerspiegeln. Der Rat ist aufgrund der von den Staatsvölkern der Mitgliedstaaten über die nationalen Parlamente und Regierungen ununterbrochen verlaufenden langen Legitimationskette personell legitimiert. Die sachlich-inhaltliche Legitimation ist insbesondere aufgrund der geringen Einwirkung der nationalen Parlamente – und damit der Staatsvölker als Legitimationssubjekt dieses Legitimationsstranges – auf die Willensbildung im Rat gering. Das Europäische Parlament ist aufgrund der unmittelbar von den Unionsbürgern zu den Abgeordneten des Europäischen Parlaments verlaufenden Legitimationskette personell in hohem Maße legitimiert. Die sachlich-inhaltliche Legitimation ist auch aufgrund der fehlenden 226 Die im Verfassungsvertrag getroffene Neuregelung verknüpft die beiden Legitimationsstränge in stärkerer Weise. Gemäß Art. I-27 Abs. 1 VV (ebenso nunmehr Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 des konsolidierten EU-Vertrags) schlägt der Europäische Rat dem Europäischen Parlament mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor, wobei er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament berücksichtigt. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Das Europäische Parlament hat somit zwar nicht das Vorschlags-, aber das Letztentscheidungsrecht für das Amt des Kommissionspräsidenten inne. Bei der Bestimmung der restlichen Kommissionsmitglieder ist die Position des Kommissionspräsidenten gestärkt worden. s. dazu Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 412. 227 Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 211 EGV Rn. 43. 228 Roller, KritV 2003, 249, 260.
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
65
Politisierung des Europäischen Parlaments äußerst gering. Die Kommission hat aufgrund des Initiativmonopols und der eigenen Rechtsetzungsbefugnisse im Rahmen der Komitologieverfahren eine zentrale Stelle im Rechtsetzungsprozess der Union inne. Gegenwärtig erfolgt die personelle Legitimation der Kommission vorwiegend über den Rat, in geringerem Maße über das Europäische Parlament. Eine inhaltliche Herleitung des legislativen Handelns der Kommission vom Willen der Staatsvölker ist fast nicht möglich. 2. Kapitel
Defizite der Verwirklichung von Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU Nachdem im ersten Kapitel der Status quo der Verwirklichung der Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation im Bereich der Rechtsetzung der EU dargestellt wurde, werden in diesem Kapitel die jeweiligen Defizite offen gelegt. Die folgende Darstellung orientiert sich an der Struktur und Reihenfolge, die für die Untersuchung der Legitimationsvermittlung gewählt wurde. So werden nacheinander die Defizite der demokratischen Legitimation des Rates (unter A.), des Europäischen Parlaments (unter B.) und der Kommission (unter C.) im Bereich der Rechtsetzung vorgestellt. Eine weitere Strukturierung der Defizite orientiert sich daran, ob die Mängel zum einen die Ausgestaltung der personellen Rückführbarkeit der EU-Organe auf die Staatsvölker bzw. Unionsbürger oder zum anderen die Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit der EU-Organe bei ihrem legislativen Handeln betreffen. Abschließend werden die allgemeinen Defizite an demokratischer Substanz in der EU zusammengefasst (unter D.), die die Vermittlung demokratischer Legitimation zusätzlich erschweren.
A. Defizite der demokratischen Legitimation des Rats Der von den Staatsvölkern zum Rat der Union verlaufende Legitimationsstrang offenbart Defizite sowohl bei der personellen (unter I.) als auch bei der sachlich-inhaltlichen Legitimation des Rates (unter II.). I. Defizite der personellen Legitimation 1. Länge der Legitimationskette Der von den Staatsvölkern der Mitgliedstaaten ausgehende und über die nationalen Parlamente und Regierungen zum Rat verlaufende Legitima-
66
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
tionsstrang ist im Vergleich zu dem unmittelbar zum Europäischen Parlament führenden Legitimationsstrang um einige Glieder länger. Die Legitimationsvermittlung ist abstrakter und mittelbarer Natur. 2. Durchbrechung der Legitimationskette bei Mehrheitsentscheidungen Wenn der Rat bei einer Abstimmung über einen Rechtsakt mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit entscheidet und dabei der Regierungsvertreter eines Mitgliedstaats überstimmt wird, ist die Legitimationskette unterbrochen. Die Entscheidung des Rates ist personell auf Sekundärrechtsebene nicht über den komplementären Legitimationsstrang vom Staatsvolk des entsprechenden Mitgliedstaates ausgehend legitimiert, sondern nur über den eigenständigen Legitimationsstrang durch die Mitwirkung des Europäischen Parlaments.229 Mit der Durchbrechung der Legitimationskette geht der Ausfall der sachlich-inhaltlichen Legitimation einher. Denn der Wille des Staatsvolkes kann nicht in dem Gesetz, das auf der Grundlage dieser Mehrheitsentscheidung im Rat gegen die Stimme des Regierungsvertreters beschlossen wird, in sachlich-inhaltlicher Hinsicht zum Tragen kommen. Als Konsequenz erfolgt aus der Sicht des überstimmten Mitgliedstaates die Legitimation dieses Rechtsakts nur abstrakt über die von den nationalen Parlamenten beschlossenen Zustimmungsgesetze zu den Gründungs- und Änderungsverträgen der Union und der Gemeinschaften. Die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz im entsprechenden Politikbereich in abstrakt-genereller Form legitimiert in diesem Fall auch den einzelnen Sekundärrechtsakt.230 II. Defizite der sachlich-inhaltlichen Legitimation In einem ersten Schritt wird das unter dem Begriff der „exekutiven Rechtsetzung“ bekannte Defizit zusammengefasst (unter 1.). In einem zweiten Schritt wird die mangelnde Verantwortlichkeit des Rates bei der Ausübung legislativer Befugnisse dargestellt (unter 2.).
229 Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 405 f.; Doehring, DVBl. 1997, 1133 f.; Grande, Leviathan 24 (1996), 339, 343. 230 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 61; Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 53.
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
67
1. Exekutive Rechtsetzung Der Begriff der exekutiven Rechtsetzung bezeichnet die Eigenart des Rechtsetzungsverfahrens in der EU, dass sich der Rat als eines der beiden Hauptrechtsetzungsorgane aus Vertretern jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene zusammensetzt.231 Die nationalen Regierungen bestimmen auf diese Weise den Inhalt der Sekundärrechtsakte. Zudem ist mit der Kommission als Inhaber des Initiativmonopols ein weiteres vorrangig exekutives Organ entscheidend am Rechtsetzungsverfahren beteiligt. Historisch ist die exekutive Rechtsetzung in der EU durch die ursprüngliche Nähe der Gemeinschaften zu einer klassischen internationalen Organisation zu erklären. Gemeinschaftspolitik wurde ausschließlich als Außenpolitik aufgefasst, die zuvörderst der Verantwortung der Regierung unterstand. Gegen das Phänomen der exekutiven Rechtsetzung wird der Einwand erhoben, dass Rechtsetzung die ureigenste Kompetenz eines Parlaments sei. Nationale Regierungen bestimmen jedoch in den Mitgliedstaaten ebenfalls in entscheidender Weise den Inhalt von Gesetzen: zum einen verfügen sie teilweise über eigene Gesetzgebungskompetenzen, zum anderen gehen Gesetzesvorschläge häufig auf die Initiative der Regierung zurück, d.h. sie werden vom jeweiligen Fachministerien vorbereitet.232 Im Rechtsetzungsprozess der Union bestünden erhebliche Defizite, da das Europäische Parlament zu geringe Befugnisse habe, und die nationalen Parlamente auf europäische Ebene gar keine originären Zuständigkeiten haben.233 Zudem seien die Regierungen oder Kollegien von Regierungsmitgliedern gerade nicht für die Funktion des Gesetzgebers legitimiert.234 2. Verantwortlichkeit des Rates bei der Ausübung legislativer Befugnisse Verantwortlichkeit trägt dazu bei, die Ausübung von Hoheitsgewalt über die Rückkopplung an das Parlament und die von ihm beschlossenen Gesetze letztlich von dem Willen des Legitimationssubjekts inhaltlich herzuleiten und somit sachlich-inhaltliche Legitimation zu vermitteln.235 Im demokra231
Art. 203, 1. UAbs. EG (Art. I-23 Abs. 2 VV). Vgl. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 434. Das Bundesverfassungsgericht sieht diese Art der exekutiven Rechtsetzung als erforderlich an, s. BVerfGE 89, 155, 186 f. 232 Vgl. Craig/De Burca, EU Law, 2008, 133 ff. m. w. N. 233 Gusy, ZfP 45 (1998), 267, 272; vgl. Craig/De Burca, EU Law, 2008, 133 ff.; Verhoeven, Democratic and Constitutional Theory, 2002, 60. 234 Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 255. Ähnlich Tiedtke, Demokratie in der EU, 2005, 29 f. 235 s. o. 1. Teil, 1. Kap., B. II. 1.
68
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
tischen Verfassungsstaat steht dem Parlament ein Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung, das die individuelle und kollektive Verantwortung der Regierung bzw. der einzelnen Minister sicherstellt.236 Die Verantwortlichkeit des Rates bei der Ausübung exekutiver Befugnisse gegenüber dem Europäischen Parlament ist von der Verantwortlichkeit des Rates als Kollektiv und der einzelnen Fachminister individuell bei der Ausübung legislativer Befugnisse zu unterscheiden. Der Rat ist als Kollektiv weder dem Europäischen Parlament noch den nationalen Parlamenten gegenüber verantwortlich. Die Möglichkeiten der nationalen Parlamente, ihren jeweiligen Regierungsvertreter für sein Verhalten im legislativ tätigen Rat zur Rechenschaft zu ziehen, sind in den nationalen Rechtsordnungen geregelt. Der Bundestag verfügt über keinerlei Sanktionen, wenn der Regierungsvertreter im Rat von der parlamentarischen Stellungnahme abweicht. Dies resultiert zwangsläufig aus den schon erörterten, rechtlich unverbindlichen Möglichkeiten, die dem Bundestag zur inhaltlichen Beeinflussung der Verhandlungsposition des Regierungsvertreters zur Verfügung stehen. Infolgedessen beschränken sich die Reaktionsmöglichkeiten des Bundestages auf das Verhandlungs- und Abstimmungsverhalten des Regierungsvertreters im Rat auf das klassische Sanktionsinstrumentarium, das allgemein die parlamentarische Verantwortlichkeit der Bundesregierung sichert.237 Damit eine Kontrolle des Handelns des Regierungsvertreters im Rahmen von Verhandlungen und Entscheidungen im Rat überhaupt möglich ist, muss der Grundsatz der Öffentlichkeit und Transparenz gewahrt sein.238 Ursprünglich tagte der Rat grundsätzlich nicht öffentlich.239 Der durch den Vertrag von Amsterdam geänderte Art. 207 Abs. 3 S. 3 EG stellt zumindest die Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse sowie der Erklärungen zur Stimmabgabe und der Protokollerklärungen bei legislativem Handeln des Rates sicher.240 Durch die Annahme einer neuen Geschäftsordnung wurde endlich auch der Verhandlungsprozess im Rat bei der Ausübung legislativer Befugnisse ansatzweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.241 Die vorbereitende Tätigkeit des Rates, in der der Inhalt des Rechtsakts bestimmt 236
s. den Überblick über die Kontrollinstrumente des Bundestages nach dem Grundgesetz bei Stern, Staatsrecht I, 989–1002. 237 Kamann, Mitwirkung der Parlamente, 1997, 269. 238 BVerfGE 89, 155, 185; so auch Zürn, PVS 1996, 25, 42; Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 38; Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 256 f., 276 f. 239 Art. 3 Abs. 1 GO Rat a. F. v. 24.7.1979, ABl. L 268/1 v. 15.10.1979 (79/868/EGKS, EWG, EURATOM); eine Ausnahme bedurfte der Einstimmigkeit. 240 Diese Änderungen wurden in Art. 6 und 7 GO Rat a. F., Beschluss vom 31.5.1999, ABl. L 147/13 v. 12.6.1999 (1999/385/EGKS, EWG, EURATOM), entsprechend berücksichtigt.
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
69
wird und die deswegen von weitaus größerer Bedeutung ist als die nur den Abschluss bildende formelle Abstimmung, findet jedoch weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.242 Daher trifft der Einwand der Undurchschaubarkeit der Entscheidungsfindung auf den Rat weiterhin zu.243 III. Ergebnis Die demokratische Legitimation des Rates weist mehrere Defizite auf. Die personelle Legitimationskette ist sehr lang und kann bei Mehrheitsentscheidungen durchbrochen werden, wenn der Regierungsvertreter im Rat überstimmt wird. Die sachlich-inhaltliche Legitimation des verknüpfenden Legitimationsstranges leidet darunter, dass nationale Regierungen in der EU Recht setzen. Schließlich ist die Verantwortlichkeit der Regierungsvertreter im Rat gegenüber den jeweiligen nationalen Parlamenten beschränkt. Voraussetzung für eine umfassende individuelle Verantwortlichkeit der einzelnen Fachminister vor den nationalen Parlamenten ist die vollständige Öffentlichkeit der Ratssitzungen. Die Ausgestaltung und Intensität dieser Verantwortlichkeit hängt in einem zweiten Schritt von einem effizienten Kontrollinstrumentarium der nationalen Parlamente über das Entscheidungshandeln des Regierungsvertreters im Rat ab.
B. Defizite der demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments Auch der unmittelbar zum Europäischen Parlament verlaufende Legitimationsstrang offenbart Defizite bei der personellen (unter I.) und sachlich-inhaltlichen Legitimation (unter II.). I. Defizite der personellen Legitimation Als größtes Defizit der demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments wird die mangelnde Repräsentationsfähigkeit bezeichnet. So fehlen die Achtung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit (unter 1.) sowie ein einheitliches Wahlverfahren (unter 2.). 241 Art. 8 und 9 GO Rat, Beschluss des Rates v. 22. März 2004, 2004/338/EG, Euratom, ABl. L 106/22 vom 15.4.2004. 242 s. Art. 9 Abs. 3 GO Rat, ebd. Die große Mehrzahl der Entscheidungen wird praktisch in der Vorbereitung der Ratssitzungen durch den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) getroffen. 243 Oeter, ZaöRV 1995, 659, 703, der von einem „Transparenzdefizit“ spricht; ders., in: Epiney/Siegwart, Direkte Demokratie und EU, 1998, 29, 64.
70
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
1. Wahlrechtsgleichheit Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ist der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, wonach jede von den Wählern abgegebene Stimme den gleichen Zählwert hat, nicht gewahrt.244 Art. 190 Abs. 1 EG spricht nur von allgemeiner unmittelbarer, nicht von gleicher Wahl. Die in Art. 190 Abs. 2 EG festgelegte Sitzverteilung bringt den Kompromiss zwischen dem völkerrechtlichen Grundsatz der Staatengleichheit und dem demokratischen Postulat eines egalitären Wahlrechts zum Ausdruck, der zu einer Unterrepräsentation der großen Mitgliedstaaten und einer Überrepräsentation der kleinen Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament führt.245 Eine Verteilung der Mandate, die proportional der Größe der jeweiligen Staatsvölker entspräche, würde das Europäische Parlament handlungsunfähig machen. Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit findet daher nur mittelbar Anwendung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.246 Zudem wird seit Inkrafttreten des Vertrages von Nizza in der laufenden Wahlperiode 2004 bis 2009 die Bevölkerungszahl der Mitgliedstaaten bei der Sitzverteilung des Europäischen Parlaments erheblich stärker berücksichtigt.247 Art. 190 Abs. 2 S. 2 EGV und Art. 2 Abs. 2 Direktwahlakt ebnen den Weg zu einer weiterer Annäherung an die Verwirklichung der Wahlrechtsgleichheit, indem sie vorsehen, dass bei Änderung der Sitzverteilung die Zahl der in jedem Mitgliedstaat gewählten Abgeordneten eine „angemessene“ Vertretung der Mitgliedstaaten gewährleisten muss. Zu einer vollständigen Verwirklichung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit müssten jedoch die Kontingentierung der Sitze im Europäischen Parlament nach Mitgliedstaaten aufgegeben und EU-weit gleich große, teilweise transnationale Wahlkreise eingerichtet werden.
244 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20, Rn. 62 m. w. N.; Huber, EuR 1999, 579, 587 f.; ders., in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 41; Streinz, ThürVBl. 1997, 73, 75; Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 413; Tiedtke, Demokratie in der EU, 2005, 119 f. 245 Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 190 EGV Rn. 13. Classen, AöR 119 (1994), 238, 248, nennt die Sitzverteilung „funktionsadäquat“, da die Gleichheit zwischen den Unionsbürgern und den Staatsvölkern zu einer praktischen Konkordanz geführt werden müsse; vgl. auch Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 252. 246 Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 190 EGV Rn. 14, macht einen „Kern von Wahlrechtsgleichheit“ in Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK i. V. m. Art. 14 EMRK aus, der über Art. 6 EU auch für die Union und somit für die Wahl zum Europäischen Parlament von Bedeutung sei; s. ders.., EuR 1999, 579, 587 f.; ders., in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 42. 247 Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 190 EGV Rn. 18.
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
71
2. Einheitliches Wahlverfahren Die Rechtsgrundlagen der Wahlen zum Europäischen Parlament sind derzeit vielfältig: Art. 190 EG, der Direktwahlakt248, die Richtlinie 93/109/ EG249 sowie das jeweilige nationale Recht. In Ermangelung eines einheitlichen Wahlverfahrens bildete der Direktwahlakt seit 1979 die Grundlage für die Direktwahlen zum Europäischen Parlament. So besagt Art. 7 Abs. 2 des Direktwahlakts, dass sich das Wahlverfahren zum Europäischen Parlament bis zum Inkrafttreten eines einheitlichen Wahlverfahrens nach nationalem Recht richtet. Für die Bundesrepublik Deutschland sind dies das Europawahlgesetz (EuWG)250 und die Europawahlordnung (EuWO)251. Art. 190 Abs. 4 EG252 ermächtigt das Europäische Parlament, einen Entwurf für ein einheitliches Wahlverfahren auszuarbeiten. Zahlreiche Versuche schlugen seit den achtziger Jahren fehl.253 Auf der Grundlage des Entwurfes des Europäischen Parlaments von 1998 hat der Rat eine Neufassung des Direktwahlakts vorgenommen.254 Damit wird zwar nicht ein unitarisches Wahlverfahren für alle Mitgliedstaaten eingeführt. Doch wird das Wahlverfahren im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen stehen und somit den Anforderungen des neu gefassten Art. 190 Abs. 4 EG genügen.255 Art. 1 Abs. 1 dieses Beschlusses sieht 248 Beschluss des Rates 76/787/EGKS, EWG, EURATOM und Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, ABl. L 278/1 v. 8.10.1976; mehrfach geändert anlässlich der Erweiterungen der EU/EG; zuletzt geändert durch Beschluss des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (2002/772/EG, Euratom), ABl 2002 L 283, S. 1 ff; zu seiner zweifelhaften Rechtsnatur s. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 190 EGV, Rn. 2. 249 Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ABl. L 329/34 v. 30.12.1993. 250 EuWG vom 8. März 1994 (BGBl. I 1994, 423, 555), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 15. August 2003 (BGBl. I 2003, 1655); s. dazu Schreiber, NVwZ 2004, 21, 26 f. 251 EuWO vom 2. Mai 1994 (BGBl. I 1994, 957), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 27. April 2002 (BGBl. I 2002, 1467); Schreiber, NVwZ 2004, 21, 28. 252 Ebenso schon die seit 1957 gültige Vorgängerbestimmung des Art. 138 Abs. 3 EWG a. F. 253 s. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 190 EGV Rn. 23 m. w. N. 254 Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 zur Änderung des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Anhang zum Beschluss 76/787 EGKS, EWG, Euratom, ABl. L 283/1 v. 21.10.2002. 255 Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 190 EGV, Rn. 25; Schreiber, NVwZ 2004, 21, 25; Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 414 f.
72
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
u. a. die unionsweite Einführung des Verhältniswahlsystems vor. Art. 1 Abs. 3 fixiert die Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien und geheimen Wahl. Dieser Beschluss muss von den Mitgliedstaaten gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ratifiziert werden.256 Eine erhebliche Reduzierung dieses Defizits parlamentarischer Repräsentation ist mit diesem Schritt auf den Weg gebracht, auch wenn mit der Neufassung des Direktwahlaktes der ursprüngliche primärrechtliche Gestaltungsauftrag eines einheitlichen europäischen Wahlrechts nicht erfüllt wird.257 II. Defizite der sachlich-inhaltlichen Legitimation Die sachlich-inhaltliche Legitimation des Europäischen Parlaments wird durch die begrenzten Rechtsetzungsbefugnisse des Europäischen Parlaments (unter 1.), das Fehlen originärer europäischer Parteien (unter 2.) und die beschränkte Verantwortlichkeit der Exekutive der EU gegenüber dem Europäischen Parlament (unter 3.) gemindert. 1. Rechtsetzungsbefugnisse des Europäischen Parlaments Die Gesetzgebungsbefugnisse des Europäischen Parlaments sind in dreifacher Hinsicht defizitär. Erstens verfügt das Europäische Parlament nicht über das klassische Parlamentsrecht, Gesetzesentwürfe auszuarbeiten und in den Gesetzgebungsprozess einzubringen.258 Zweitens hat das Europäische Parlament nur „negative“ Gesetzgebungsbefugnisse, d.h. es kann den Erlass von Rechtsakten lediglich verhindern, aber nicht eigenständig durchsetzen.259 Drittens ist das Europäische Parlament in einigen Politikbereichen weitgehend oder vollständig von der Rechtsetzung ausgeschlossen. Das Europäische Parlament ist mit unterschiedlicher Intensität an den fünf Rechtsetzungsverfahren260 der Union beteiligt. Am weitreichendsten 256
s. Art. 190 Abs. 4 S. 2 EG. Schreiber, NVwZ 2004, 21, 28. 258 s. zum Initiativmonopol der Kommission oben 1. Teil, 1. Kap., B. IV. 3.; Haag, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 192 EG Rn. 15 ff. 259 Huber, StWStP 3 (1992), 349, 358; ders., EuR 2003, 574, 581, bezeichnet dies als „negative demokratische Kompetenz“. s. auch Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 406. Ein Alleinentscheidungsrecht des Europäischen Parlaments findet sich nur in Art. 190 Abs. 4 EG zur Ausarbeitung eines einheitlichen Wahlverfahrens und in Art. 195 EG zur Ernennung des Europäischen Bürgerbeauftragten. 260 Verfahren der Mitentscheidung, Zusammenarbeit, Anhörung und Zustimmung sowie die Entscheidung ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments durch den Rat allein. Der Verfassungsvertrag hat das Verfahren der Zusammenarbeit, das nur 257
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
73
sind die Befugnisse im Mitentscheidungsverfahren (Art. 251 EG)261, in dem der von der Kommission vorgeschlagene und an Rat und Europäisches Parlament weitergeleitete Rechtsakt als nicht erlassen gilt, wenn bei fortwährendem Dissens das Europäische Parlament den ggf. vom Vermittlungsausschuss erarbeiteten gemeinsamen Entwurf nicht fristgerecht mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen billigt.262 Auch im Rahmen des Zustimmungsverfahrens erfolgt der Erlass des Rechtsakts nur bei Zustimmung des Europäischen Parlaments mit der absoluten Mehrheit263 der abgegeben Stimmen.264 Es kann somit den Erlass des Rechtsakts blockieren, hat aber formell keinerlei Einfluss auf dessen Inhalt.265 Einer informellen Praxis folgend kann das Europäische Parlament aber zur Vorbereitung des Rechtsaktes beim Rat ein sog. „Konzertierungsverfahren“ beantragen.266 Trotz der kontinuierlichen Ausweitung der Rechtsetzungsbefugnisse sehen vereinzelt primärrechtliche Vorschriften vor, dass der Rat allein entscheidet.267 In einem äußerst bescheidenen Maße übt das Europäische Parlament im Rahmen des Anhörungsverfahrens, dessen Anwendungsbereich immer noch beachtlich ist268, Rechtsetzungsbefugnisse aus.269 So in vier Fällen im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion Anwendung fand, teilweise durch das Verfahren der Mitentscheidung, teilweise durch das der Zustimmung ersetzt. 261 Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 14; Haag, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 192 EG Rn. 15 ff. Der Verfassungsvertrag wertet es zum sog. „ordentlichen“ Gesetzgebungsverfahren (Art. I-34 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. III-396 VV) auf, ändert es inhaltlich aber nicht ab, Oppermann, DVBl. 2003, 1234, 1238 (Fn. 79); Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 408. 262 Art. 251 Abs. 5 EGV. Billigt der Vermittlungsausschuss keinen gemeinsamen Entwurf, gilt der Rechtsakt ebenso als nicht erlassen, Art. 251 Abs. 6 EGV. Vgl. Art. III-396 Abs. 12 und 13 VV. 263 Vgl. Art. 198 UAbs. 1 EG. 264 s. den Überblick des Anwendungsbereiches des Zustimmungsverfahrens bei Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 16. Im Unions- und Gemeinschaftsvertrag hat das Verfahren keine eigenständige Regelung gefunden. Der Verfassungsvertrag sieht das Zustimmungsverfahren nur noch bei der Ratifikation internationaler Übereinkommen vor. 265 Doehring, DVBl. 1997, 1133, 1134. 266 Vgl. Art. 56 GO EP, 16. Aufl., ABl. L 44 vom 15.2.2005. 267 So z. B. bei Festlegung der Sätze des Gemeinsamen Zolltarifs (Art. 26 EG); weitere Beispiele bei Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 7. Dem Europäischen Parlament wird allenfalls auf der Grundlage von Selbstverpflichtungserklärungen bzw. interinstitutionellen Vereinbarungen die Möglichkeit gegeben, eine unverbindliche Stellungnahme abzugeben; s. Gellermann, in: Streinz, EUV/ EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 6. 268 So z. B. bei der Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft (Art. 19 EG), in der Agrarpolitik (Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EG); s. die Auflistung bei Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 8.
74
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
ist der Rat bei der abschließenden Beschlussfassung in keiner Weise an die vorherige Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission gebunden. Allerdings ist die Anhörung obligatorisch, so dass die Missachtung dieser Pflicht durch den Rat einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, der zur Nichtigkeit des Rechtsakts führen kann.270 2. Europäische Parteien Als ein weiteres Defizit bei der Legitimationsvermittlung durch das Europäische Parlament wird der geringe Grad der Ausgestaltung des Parteienwesens auf europäischer Ebene gesehen.271 Die „politischen Parteien auf europäischer Ebene“ sollen gemäß Art. 191 S. 2, 2. HS EG272 dazu beitragen, „(. . .) ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen“.273 Zwar sind im Europäischen Parlament einige europäische Parteienbündnisse als Fraktionen organisiert.274 Doch sind diese keine transnationalen, gemeinschaftsweit agierenden Parteien, sondern lediglich Parteienbündnisse, die auf einer Vielzahl nationaler Parteien mit teilweise unterschiedlichen kultu269 Eingehend Haag, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 192 EG Rn. 8 f. 270 EuGH, Urteil v. 29. Oktober 1980, Rs. 138/79, Roquette Frères, Slg. 1980, 3333, 3360, Rn. 33; Urteil v. 29. Oktober 1980, Rs. 139/79, Mazinea, Slg. 1980, 3393, 3424, Rn. 34, Urteil v. 10. Mai 1995, Rs. C-417/93, Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1185, 1213, Rn. 9; Urteil v. 10. Juni 1996, Rs. C-392/95, Parlament/Rat, Slg. 1997, I-3213, 3246, Rn. 14. 271 Leinen/Schönlau, Integration 2003, 218, sprechen von „institutionellen Embryonen“; s. auch Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 272. 272 Art. II-72 Abs. 2 VV übernimmt den Wortlaut fast wortgleich in Bezug auf die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Zur Entwicklung des Art. 138a EG a. F. im Zuge der letzten Vertragsrevisionen, s. Leinen/Schönlau, Integration 2003, 220 ff. 273 Zur zentralen Rolle, die politische Parteien als Partizipationsinstrument der Bürger und als Transmissionsriemen bei der Willensbildung in einem politischen Gemeinwesen spielen, s. Huber, EuR 1999, 579, 581, 583. s. auch BVerfGE 85, 264, 284. 274 Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament; Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE); Fraktion der Grünen/Europäische freie Allianz (EFA); Europäische Konservative und Reformisten; Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke sowie Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“; ein Gesamtüberblick über alle Fraktionen unter www.europarl.europa.eu/parliament/public/staticDisplay.do?id=45&page Rank=4&language=DE.
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
75
rellen und historischen Hintergründen beruhen.275 Von der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 über Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung276 erhofft man einen Auftrieb für die Bemühungen zur Schaffung europäischer Parteien. Noch mangelt es ihnen auch an dem erforderlichen organisatorischen und personellen Unterbau. Dieser defizitäre Zustand dürfte sich durch den Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten 2004 erst einmal verfestigt haben. Letztlich beschränken sich die europäischen Parteibündnisse hauptsächlich darauf, die Abgeordneten nationaler Parteien nach ähnlicher Gesinnung zusammenzufassen und die von ihnen vertretenen Ansichten auf Ebene der EU zu bündeln.277 3. Parlamentarische Verantwortlichkeit der Exekutive der EU Im Folgenden wird dargestellt, wie das Europäische Parlament den Rat278 und die Kommission279 bei der Ausübung exekutiver Befugnisse kontrolliert.280 Das Kontrollinstrumentarium des Europäischen Parlaments gegenüber dem Rat als Kollektiv bei der Ausübung exekutiver Befugnisse ist äußerst begrenzt.281 Das Europäische Parlament kann kein Misstrauensvotum aus275
Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 62; positiver Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 23 Rn. 32; s. auch Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 664; Grunauer, Demokratie und Legitimation, 2002, 55 ff. 276 Verordnung des Rates und des Europäischen Parlaments vom 4. November 2003, ABl. L 297/1 v. 15.11.2003. Eingehend dazu Bieber, in: von der Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Art. 191 EG, Rn. 10 ff.; Klein, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 541, 545 ff. Art. 3 b) der VO 2004/2003 stellt die Anforderung transnationaler Zusammenschlüsse auf. 277 Huber, in: Streinz, EGV/EUV, Art. 191 EGV Rn. 6. 278 Der Rat, dem gemäß Art. 202 EG (2. Spiegelstrich) die allgemeine Entscheidungsbefugnis zugewiesen ist, ist das Hauptexekutivorgan im Rahmen der GASP (vgl. Art. 13 Abs. 3, Art. 14 ff. EU) und der PJZS (vgl. Art. 34 Abs. 2 EU). 279 Die Kommission ist das Hauptexekutivorgan im Gemeinschaftsrecht. Deutlicher als Art. 211 EG bringt dies Art. I-26 Abs. 1 S. 2–5 VV zum Ausdruck, wonach die Kommission für die Anwendung der Verfassung sowie der von den Organen kraft der Verfassung erlassenen Maßnahmen sorgt. 280 Art. 207 Abs. 3, 2. UAbs. S. 3 EG auferlegt dem Rat besondere Öffentlichkeitspflichten nur für seine Tätigkeit als Gesetzgeber, so dass keine primärrechtlichen Verpflichtungen zur Öffentlichkeit des Entscheidungshandelns des Rates bei der Ausübung exekutiver Befugnisse bestehen; s. Art. 8 und 9 GO Rat, Beschluss des Rates v. 22. März 2004, 2004/38/EG, Euratom, ABl. L 106/22 vom 15.4. 2004.
76
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
sprechen, sondern ist auf Frage- und Informationsrechte sowie Berichtspflichten des Rates beschränkt.282 Eine wirksame parlamentarische Verantwortlichkeit des Rates als Kollektiv ist somit kaum vorhanden.283 Das Kontrollinstrumentarium des Europäischen Parlaments gegenüber der Kommission ist mit den wachsenden Befugnissen des Europäischen Parlaments allgemein erweitert worden.284 Das wichtigste Sanktionsinstrument stellt das Misstrauensvotum dar, welches das Europäische Parlament allerdings nur gegenüber der Kommission als Kollektiv gemäß Art. 201 EG einbringen kann.285 Einen ähnlichen Sanktionscharakter hat wegen des Ausdrucks scharfer Missbilligung und der Publizitätswirkung das Recht des Europäischen Parlaments zur Entlastung der Kommission von der Haushaltsführung gemäß Art. 276 Abs. 1 EG. Das in der Praxis bedeutsamste Kontrollinstrument stellt das in Art. 197 Abs. 3 EG normierte Fragerecht des Europäischen Parlaments dar, das mit Tausenden von Anfragen jährlich286 intensiv genutzt wird.287 Zum Kontrollinstrumentarium des Europäischen Parlaments gehören darüber hinaus das Recht zum Einsetzen nichtständiger Untersuchungsausschüsse gemäß Art. 193 EG sowie letztlich das allen Institutionen zugewiesene Recht zur Erhebung von Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen gemäß Art. 230 und 232 EG. Das Europäische Parlament verfügt somit zumindest gegenüber der Kommission über fast alle
281
Huber, EuR 2003, 574, 582; Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001,
676 f. 282 Art. 21 UAbs. 2 EU für die GASP und Art. 39 Abs. 3 EU für die PJZS; vgl. Art. 108 ff. GO EP, ABl. L 44 v. 15.2.2005. An die seit 1958 bestehende Praxis, schriftliche und mündliche Fragen zu beantworten, band sich der Rat 1973 durch Selbstverpflichtung, Haag/Bieber, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 189 EG Rn. 20. 283 Zürn, PVS 1996, 25, 41 f., 50; deutlich Classen, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 30 („gar keine Kontrolle“). 284 Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 676 f.; ausführlich Ott, ZEuS 1999, 231–248. 285 s. auch Art. 100 GO EP, ABl. L 44 vom 15.2.2005. Kritisch Mehde, CMLR 2003; 423, 429 ff.; Vgl. Magnette, ELJ 2001, 292, 302 ff., und Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 411, die auch die Frage einer individueller Verantwortlichkeit der Kommissionsmitglieder aufwerfen. 286 Veröffentlicht im Anhang bzw. in Teil C des ABl., Oppermann, Europarecht, 2008, 97. 287 Vgl. Art. 108 ff. GO EP, ABl. L 44 vom 15.2.2005. Hinzu kommen Berichtspflichten, die der Kommission u. a. gegenüber dem Europäischen Parlament im Bereich allgemeiner (Art. 200 EG: jährlicher Gesamtbericht der Kommission) und sektoraler (z. B. Art. 22 S. 1 EG: Anwendung der Vorschriften über die Unionsbürgerschaft) Tätigkeiten obliegen; s. Haag/Bieber, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 189 EG Rn. 21.
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
77
traditionellen Kontrollinstrumente, die auch nationale Parlamente gegenüber ihren nationalen Regierungen einsetzen können.288 III. Ergebnis Die demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments weist ebenfalls mehrere Defizite auf. Die personelle Legitimation leidet an der mangelnden Repräsentationsfähigkeit des Europäischen Parlaments. Einer wirksamen Repräsentation der Unionsbürger stehen die Defizite bei der Wahlrechtsgleichheit und das Fehlen eines einheitlichen Wahlverfahrens entgegen. Die sachlich-inhaltliche Legitimation ist aus drei Gründen begrenzt. Erstens sind die Rechtsetzungsbefugnisse des Europäischen Parlaments beschränkt. Sie gehen nicht über ein Veto-Recht als Möglichkeit der Blockade eines Rechtsaktes hinaus. In einigen Bereichen der Unionspolitik verfügt das Europäische Parlament nur über äußerst geringe oder über gar keine Gesetzgebungsbefugnisse. Auch fehlt dem Europäischen Parlament das Initiativrecht. Zweitens verhindert der geringe Grad der Ausgestaltung eines europäischen transnationalen Parteienwesens im Europäischen Parlament eine inhaltliche, programmatische Repräsentation der Unionsbürger. Drittens ist die Verantwortung des Rates und der Kommission als Exekutive der Union gegenüber dem Europäischen Parlament begrenzt. Unabhängig von der Frage, ob sich diese Defizite der demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments dadurch lösen, dass dem Europäischen Parlament alle den nationalen Parlamenten zugstandenenen Rechte eingeräumt werden, sind die Mitgiedstaaten der EU – auf absehbare Zeit – nicht bereit, tatsächlich einen solchen Schritt zu gehen.289
C. Defizite der demokratischen Legitimation der Kommission Auch die Kommission bedarf demokratischer Legitimation bei der Ausübung legislativer Hoheitsbefugnisse. Ihre demokratische Legitimation ist höchst defizitär sowohl in personeller (unter I.) wie in sachlich-inhaltlicher (unter II.) Hinsicht.
288 289
Vgl. Gerkrath, EuGRZ 2006, 371, 379 f. s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. III. 1.
78
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
I. Personelle Legitimation: Länge der Legitimationskette Da die personelle Legitimation vorwiegend über den Rat erfolgt290, erweist sich die Legitimationskette zwar als ununterbrochen, ist aber noch länger und wird nur unzureichend durch das Zustimmungsrecht des Europäischen Parlaments und dessen unmittelbare personelle Legitimation kompensiert.291 II. Sachlich-inhaltliche Legitimation: Initiativmonopol und Komitologieverfahren Die fehlende inhaltliche – unmittelbare wie mittelbare – Rückkopplung der Kommission an Staatsvölker und Unionsbürger bei Ausübung ihres Initiativrechtes im Rechtsetzungsverfahren erscheint angesichts des Umstandes, dass der Rechtsakt letztlich von Rat und Europäischem Parlament beschlossen wird, nur vordergründig kompensierbar. Eine solche Ansicht unterschätzt die bedeutende inhaltliche Einflussnahme der Kommission auf den Rechtsakt, die gegenüber Änderungen insbesondere durch den Rat verfahrensrechtlich nicht unerheblich gesichert ist.292 Noch gravierender treten die Defizite bei der Rechtsetzung durch die Kommission im Rahmen der Komitologieverfahren auf, die einen wesentlichen Teil der Rechtsetzung der Gemeinschaft ausmacht.293 Gemäß Art. 202, 3. Gedankenstrich EG kann der Rat in den von ihm angenommenen (Basis-)Rechtsakten die Durchführungsbefugnisse der Kommission übertragen.294 Auf Grundlage des gemäß Art. 202, 3. Gedankenstrich S. 2 EG erlassenen Komitologiebeschlusses 1999/468/EG295 wird der von der Kommission erarbeitete Entwurf eines (durchführenden) Rechtsaktes dem zuständigen, aus Vertreten der Mitgliedstaaten bestehenden Komitologieausschuss vorgelegt. In Abhängigkeit vom Typus des Komitologieverfahrens, das vom 290
s. zur Ernennung der Kommission oben 1. Teil, 1. Kap., B. IV. 3. Roller, KritV 2003, 249, 260. 292 Vgl. Art. 250 Abs. 1 EG. 293 Haibach, VerwArchiv 90 (1999), 98, bezeichnet die Kommission daher unter quantitativen Aspekten als Hauptrechtsetzungsorgan der Gemeinschaft. 294 s. spiegelbildlich Art. 211, 4. Spiegelstrich EG. Ausführliche Darstellungen bei Jacqué, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 202 EG Rn. 6 ff., und Schmitt von Sydow, EUV/EGV, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 211 EG Rn. 81 ff.; eingehende Untersuchungen des Phänomens „Komitologie“ bei Andenas/ Türk, Delegated Legislation, 2000; Joerges/Vos, EU Committees, 1999; Joerges/ Falke, Das Ausschusswesen der EU, 2000. 295 Beschluss des Rates (1999/468/EG) vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse; ABl. L 184/23 v. 17.7.1999. 291
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
79
Rat im Basisrechtsakt anhand von im Komitologiebeschluss niedergelegten Kriterien bestimmt wird, ist die Kommission bei einer negativen Stellungnahme des jeweiligen Ausschusses entweder an diese überhaupt nicht gebunden (Beratungsverfahren), nur bei einem zusätzlich ablehnenden Beschluss des Rates gebunden (Verwaltungsverfahren) oder grundsätzlich gebunden (Regelungsverfahren).296 Hintergrund der Komitologieverfahren ist, den Rat einerseits zu entlasten, da die Kommission aufgrund ihres größeren Verwaltungsapparates eher zur Ausarbietung technischer Regelungen in der Lage ist, und andererseits den Mitgliedstaaten über die Ausschüsse Mitwirkungsrechte bei der Durchführung von Rechtsakten des Rates einzuräumen. Die beklagten Defizite sind dreifach. Erstens wird die mangelnde Transparenz der Komitologieverfahren kritisiert.297 Der Inhalt der Beratungen und der abschließenden Stellungnahmen sowie der gesamte Verfahrensablauf bleiben meist verborgen. Auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 4 des Komitologiebeschlusses von 1999 muss die Kommission immerhin eine Liste der Komitologieausschüsse veröffentlichen und jährliche Berichte über deren Tätigkeiten erstellen. Zweitens wird die Verantwortungsferne der Komitologieverfahren beklagt. Trotz einer Aufwertung der Stellung des Europäischen Parlaments, dem auf Grundlage des ersten Komitologiebeschlusses 87/373/EWG298 keinerlei Beteiligungsrechte eingeräumt worden waren, hat es nur eine Kontrollfunktion und kann im Gegensatz zum Rat keinen inhaltlichen Einfluss auf die Durchführungsmaßnahmen ausüben.299 Drittens wird der umfassende Handlungsspielraum der Kommission beklagt. Zwar ist die im Rahmen der Komitologieverfahren erfolgende Rechtsetzung an den vom Rat erlassenen Basisrechtsakt gebunden. Da der Rat aber nicht verpflichtet ist, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung näher einzugrenzen300, kann die Bindung inhaltlich schwach ausgeprägt sein.301 III. Ergebnis Die demokratische Legitimation der Kommission weist in personeller Hinsicht durch die Länge der vorwiegend über den Rat vermittelten Legiti296 s. die Übersicht bei Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 21 ff. 297 Vgl. Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 268; Roller, KritV 2003, 249, 262; Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 687. 298 Beschluss des Rates vom 13.7.1987, ABl. L 197/33 v. 18.7.1987. 299 Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 25. Eingehend zur Rolle des Europäischen Parlaments Jacqué, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 202 EG Rn. 38 ff. 300 Wie dies bei Art. 80 Abs. 1 GG der Fall ist. 301 Roller, KritV 2003, 249, 260.
80
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
mationskette und in sachlich-inhaltlicher Hinsicht bei Ausübung des Initiativrechts und bei der Rechtsetzung im Rahmen der Komitologieverfahren erhebliche Defizite auf.302
D. Allgemeine Defizite des demokratischen Unterbaus Auch wenn für eine (staats- und europa-)rechtliche Arbeit die Untersuchung der normativen Dimension von Demokratie und demokratischer Legitimationsform im Mittelpunkt steht, sind auch die Voraussetzungen, auf denen Demokratie beruht und von deren Vorhandensein ihre Lebensund Funktionsfähigkeit als Organisationsprinzip der Herrschaftsausübung abhängt, von erheblichem Interesse.303 Die verfassungsrechtliche Gewähr demokratischer Verfahren und Institutionen garantiert allein noch keinen legitimationsvermittelnden, gesellschaftliche Integration bewirkenden politischen Prozess. Demokratie definiert sich nicht nur durch normativ-institutionelle Strukturmerkmale. Sie kann insofern nicht „von oben“ diktiert, nicht allein durch Recht hervorgebracht werden. Demokratie existiert nicht in einem Vakuum.304 Eine lebendige, funktionsfähige Demokratie basiert vor allem auch auf außerrechtlichen Voraussetzungen, die von den Bürgern dieses Gemeinwesens in freier Selbstverantwortung entfaltet werden müssen. Dazu gehört zum einen die Existenz einer kollektiven Identität der Bürger als Mitglieder eines Gemeinwesens (unter I.) und zum anderen die Mitwirkung der Bürger an der demokratischen Willensbildung in diesem Gemeinwesen, die sich außerhalb des regelmäßigen Wahlakts vor allem in der Existenz einer aktiven, dynamischen öffentlichen Meinung manifestiert (unter II.). Die Ausgestaltung beider Komponenten gilt auf Ebene der EU bislang als defizitär. I. Kollektive Identität als Europäer Zunächst wird dargestellt, warum die Existenz einer kollektiven Identität unerlässlich für die Funktionsfähigkeit eines demokratischen Gemeinwesens ist und welche Voraussetzungen sie erfordert (unter 1.). Anschließend wird das Vorliegen dieser Voraussetzungen in der Europäischen Union untersucht (unter 2.). 302
Ähnlich Peters, Theorie der Verfassung Europas, 688; andere Ansicht Schmidtchen, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 787, 794 f. 303 Vgl. Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 58. Vgl. auch Benz, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 253, 255 ff. 304 Weiler, JöR 44 (1996), 91, 94.
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
81
1. Kollektive Identität als Legitimation des Mehrheitsprinzips Die Frage nach der Existenz und des Erfordernisses einer kollektiven Identität erfuhr auf europäischer Ebene mit Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat zunehmende Bedeutung.305 Das Prinzip der Mehrheitsentscheidung stellt die der Demokratie strukturell angemessene, aus dem Grundsatz demokratischer Gleichheit und dem Prinzip der Selbstbestimmung folgende Entscheidungsregel in komplexen Gemeinwesen dar.306 Mitglieder eines Gemeinwesens akzeptieren die ihrem Willen entgegenstehende Mehrheitsentscheidung als unterliegende und zum „Gehorsam verpflichtete“ Minderheit jedoch nur, wenn sie sich bewusst als gleiche Mitglieder einer Gemeinschaft fühlen, die auf einem grundlegenden Wertekonsens und gemeinsamen politischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Überzeugungen gründet.307 Das Gemeinwesen muss sich durch eine faktische, politische Integration auszeichnen. In Abwesenheit tiefgehender ethnischer, linguistischer, religiöser, ideologischer oder ökonomischer Spaltungen muss sich eine auf Gleichheit, Solidarität und Wertekonsens gestützte kollektive Identität herausgebildet haben.308 Kollektive Identität hat demnach eine integrative Funktion. Sie bildet den konsens- und akzeptanzstiftenden Rahmen, in dem sich demokratische Verfahrensformen wie Verhandlung, Kompromiss und Mehrheitsentscheidung entfalten können.309 Dies gilt ebenfalls und umso mehr für Entscheidungen in der EU, denn ein Rechtsakt, der formal gegen den Willen eines Staatsvolkes erlassen wird, wenn der Regierungsvertreter im Rat überstimmt wird, bean305 Hrbek, in: Randelzhofer, GS Grabitz, 1995, 171, 176 f. An aktueller Bedeutung hat der Begriff im Konstitutionalisierungsprozess der EUgewonnen, s. Pache, DVBl. 2002, 1154, 1164 ff.; von Bogdandy, VVDStRL 62 (2003), 156, 158 ff. 306 Pache, DVBl. 2002, 1154, 1156. BVerfGE 29, 154, 165, zählt das Mehrheitsprinzip zu den „fundamentalen Prinzipien der Demokratie“. Zur Legitimation und Begrenzung der Mehrheitsentscheidung in einem demokratischen Gemeinwesen Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 52 ff. 307 Gusy, ZfP 45 (1998), 267, 279; ähnlich Dreier, in: ders, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 77; Folz, Demokratie und Integration, 1999, 110 f. 308 Scharpf, StWStP 1992, 293, 296; Zürn, PVS 1996, 25, 40; Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 712 ff.; s. auch die Definition „kollektiver Identität“ auf Grundlage der Sozialpsychologie bei von Bogdandy, JZ 2004, 53, 54; Zum Begriff der (kollektiven) Identität und zu identitätsstiftenden Eigenschaften s. auch Pache, DVBl. 2002, 1154 ff. 309 Zur kollektiven Identität als Voraussetzung eines europäischen „demos“ als Legitimationssubjekt s. Eder, in: Heyde/Schaber, Demokratisches Regieren, 2000, 96 f. Zurückhaltend von Bogdandy, JZ 2004, 53, der die Existenz einer kollektiven Identität für Stabilität und Belastbarkeit eines politischen Gemeinwesens als hilfreich ansieht.
82
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
sprucht auch in diesem Mitgliedstaat seine volle Geltung. Die Herausbildung einer kollektiven Identität verläuft parallel zur Entwicklung einer aktiven europäischen Bürgergemeinschaft, die im rechtlichen Gewand der Unionsbürgerschaft als Legitimationssubjekt des Europäischen Parlaments dient. Die Idee der kollektiven Identität erhebt keinen Ausschließlichkeitsanspruch. Sie kann losgelöst von territorialen Verbandseinheiten oder jeglichen politischen Gemeinwesen auf beliebige Personengruppen angewendet werden, die anhand bestimmter Merkmale identifizierbar und individualisierbar sind.310 In der politisch-rechtlichen Dimension existieren traditionell lokale, regionale und nationale Identitäten.311 Kollektive Identität kann die Staatsbürger eines Staates wie auch die Unionsbürger der EU miteinander verbinden. In Deutschland wird hingegen überwiegend auf die Existenz einer sog. relativen Homogenität als unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie im Nationalstaat abgestellt.312 Homogenität bestimmt die Regeln für die Zugehörigkeit zu dem (nationalen) Volk oder für den Ausschluss und ist als Zustand einmalig; eine doppelte oder gar mehrfache Existenz ist nicht möglich, so dass auf europäischer Ebene die Herausbildung einer derartigen Homogenität ausgeschlossen ist.313 Aufgrund der Verknüpfung mit einem staatszentrierten ethnischen Volksbegriff begegnet dem Begriff der Homogenität, insbesondere außerhalb der deutschen Staatsrechtslehre, erhebliche Skepsis.314 2. Europäische Union als Werte- und Rechtsgemeinschaft Die traditionellen Bausteine kollektiver Identität lassen sich in Bezug auf die EU kaum fruchtbar machen.315 So fehlt es an einer gemeinsamen Sprache und Religion.316 Auch kulturelle Eigenarten und Traditionen sowie ge310
Pache, DVBl. 2002, 1154, 1155. Augustin, Das Volk der EU, 2000, 158 f.; Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 710; Kadelbach, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 539, 577; ders., EuGRZ 2006, 384, 387. 312 BVerfGE 89, 155, 186; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 63 f. 313 Vgl. Weiler, JöR 44 (1996), 91, 94, 102 ff. 314 Eingehend Weiler, JöR 44 (1996), 95, 98 f., 128 f.; s. auch Zuleeg, JöR 51 (2002), 81, 82 f.; Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 704 f.; Habermas, ELJ 1995, 303, 305 f. 315 Kielmansegg, Europäische Rundschau 1994, 23, 27. 316 Vgl. auch den Streit um den Gottesbezug in der Präambel des Verfassungsvertrages; Riedel, EuR 2005, 676–683; Mirabelli, in: Blanke/Mangiameli, Governing Europe, 2006, 133–143. 311
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
83
meinsam durchlebte politische Geschichte lassen sich nur in begrenztem Maße für die Bildung einer kollektiven Identität gewinnen.317 Dem Fehlen einer gemeinsamen ethnischen Herkunft aller Unionsbürger hingegen ist angesichts der angesprochenen begriffsimmanenten Verbindung dieser Bedingung mit dem nationalen Volksbegriff geringer Bedeutung beizumessen. Auf der Suche nach einer tragfähigen Grundlage einer europäischen Identität wird das Bestehen der EU als Wertegemeinschaft betont und spiegelt sich in ihrer Selbstbeschreibung im Primärrecht wider.318 Während Art. 6 EU noch von den „Grundsätzen“ der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit spricht, auf denen die Union beruht und die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind319, verwendet der in den Reformvertrag eingehende Art. I-2 VV ausdrücklich den Begriff „Werte“, auf die sich die Union gründet und die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind.320 Damit wird aber lediglich eine Identität der Unionsbürger im Sinne gleichgerichteter Erwartungen an das politische System postuliert. Es impliziert noch keine kollektive politische, institutionelle Identität im Sinne einer Identifikation mit der Union als politisches Gemeinwesen.321 Teilweise werden unter den Begriff der Wertegemeinschaft auch gemeinsame Grundüberzeugungen gefasst, die sich in politischen Grundentscheidungen und gemeinschaftsrechtlichen Regelungen und Rechtsgrundsätzen manifestieren.322 Dieser identitätsstiftenden Komponente entspricht der Charakter der Europäischen Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft.323 Da 317 Pache, DVBl. 2002, 1154, 1157 f., sieht das zumindest als Kerngehalt der europäischen Identität an. Auch Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 709, erkennt auf dieser Grundlage ein geringes Maß an „politischer europäischer Identität“. Vgl. den ersten Erwägungsgrund der Präambel des Verfassungsvertrages: „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, [. . .].“ 318 Vgl. Calliess, in: ders./Ruffert., Kommentar Verfassung EU, Art. I-2 Rn. 12 ff. 319 Bestätigt wird das Bekenntnis zu diesen Grundsätzen durch den gleichlautenden dritten Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrages. 320 s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. IV. 1. Nach von Bogdandy, JZ 2004, 53, 58, taucht der Begriff „Wert“ erstmals 2000 in der 1. Präambelerwägung der Grundrechtscharta auf, welche die gemeinsamen Werte als Grundlage der Union bezeichnet. 321 von Bogdandy, JZ 2004, 53, 58 f., nach dessen Ansicht ein solcher Identifikationsprozess durch die ausdrückliche Referenz auf den Begriff „Wert“ erst ausgelöst werden soll. Zu den Bemühungen der Union, eine europäische Identität – auch über politische Symbole wie Flaggen, Hymnen, Feiertage – zu fördern, s. Pache, DVBl. 2002, 1154, 1157. Graf Vitzthum, EuR 2002, 1, 8 ff., betont die Bedeutung der Grundrechtecharta der EU in diesem Prozess. 322 Pache, DVBl. 2002, 1154, 1158. 323 s. Pache, DVBl. 2002, 1154, 1161 f.; Nass, DVBl. 2006, 1197, 1200.
84
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
auch die Begriffe der Werte- und Rechtsgemeinschaft nicht in überzeugender Weise eine „eigene“ Identität der EU erkennbar werden lassen324, werden Argumente genannt, die sich auf Ebene der Union gegen eine Identitätsforderung – zumindest von gleicher Dichte wie auf nationaler Ebene325 – aussprechen.326 Die dynamische Entwicklung der europäischen Integration und stetige Erweiterung um neue Mitgliedstaaten erschwert zudem die Fixierung eines stabilen Rahmens, in dem sich gemeinsame identitätsstiftende Bezugspunkte herausbilden können.327 II. Europäische Öffentliche Meinung Demokratie erschöpft sich nicht allein in dem punktuellen Wahlakt und der daraus resultierenden Bestellung der Repräsentanten als formale Rechtsprozedur. Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung, der Bildung einer „öffentlichen Meinung“.328 In den zur öffentlichen Meinung führenden, ständigen Integrationsprozess fließen die vielfältigen, sich widersprechenden, ergänzenden, gegenseitig beeinflussenden Wertungen, Auffassungen und Äußerungen des Einzelnen, der Gruppen, der politischen Parteien, Verbände und sonstigen gesellschaftlichen Gebilde ein.329 Beeinflussung und Durchdrin324 Korioth, VVDStRL 62 (2003), 117, 152; Neidhardt/Koopmans/Pfetsch, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 263, 275 ff.; a. A. Callies, in: ders./Ruffert, Kommentar Verfassung EU, Art. I-2 Rn. 1, 3, 15. 325 Zum Konflikt mit den nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten s. Graf Vitzthum, EuR 2002, 1 ff.; Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 6 EUV Rn. 43 ff., 46; Pache, DVBl. 2002, 1154, 1159 ff. Das Gebot der Achtung der nationalen Identität durch die Union ist seit dem Vertrag von Maastricht im Primärrecht verankert (Art. 6 Abs. 3 EU, s. auch Art. I-5 Abs. 1 S. 1) und ist im Verfassungsvertrag noch ausgebaut worden, s. Puttler, in: Calliess/Ruffert, Kommentar Verfassung EU, Art. I-5 Rn. 1 ff.). 326 Pache, DVBl. 2002, 1154, 1158 f. Zu einer europäischen Verfassung als identitätsstiftendes Element Lepsius, in: Blanke/Mangiameli, Governing Europe, 2006, 23–35. 327 Augustin, Das Volk der Europäischen Union, 2000, 170. 328 BVerfGE 20, 56, 98; 44, 125, 139 f.; ebenso Schmitt Glaeser, § 38 Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 31. Definitionsversuche des Begriffes der „öffentlichen Meinung“ bei Kloepfer, § 42 Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 1 ff.; zum rechtlich konturenloseren Begriff der „Öffentlichkeit“ Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2009, 164 ff. Instruktiv zur Entwicklung der Herausbildung nationaler Öffentlichkeiten in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz, Neidhardt/Koopmans/ Pfetsch, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 263, 265 ff. 329 Kloepfer, § 42 Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 23; Neidhardt/Koopmans/Pfetsch, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zu-
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
85
gung von gesellschaftlicher und hoheitlicher Willensbildung sind wechselseitig.330 Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung der Herausbildung einer öffentlichen Meinung für die Verwirklichung „lebendiger“ Demokratie in der EU betont: „Demokratie, soll sie nicht lediglich formales Zurechnungsprinzip bleiben, ist vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig, wie einer ständigen freien Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln (. . .) und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen verformt.“331
Die faktischen Bedingungen für die Herausbildung einer europäischen öffentlichen Meinung gelten in mehrfacher Weise als defizitär. Es gebe keine gemeinsame Sprache (unter 1.), insbesondere mangele es an Vermittlungsinstanzen, wie europäischen Medien, Parteien und einer europäischen Zivilgesellschaft (unter 2.).332 Eine europäische politische Öffentlichkeit, in der sich eine europäische öffentliche Meinung entwickelt, existiere nicht oder allenfalls in „homöopathischen Dosen“.333 Die öffentliche Meinung bilde sich nicht grenzüberschreitend sondern im überlieferten Gehäuse des Nationalstaats mit der Ausrichtung auf die eigenen nationalen Interessen.334 1. Gemeinsame Sprache Grimm bezeichnet das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Sprache als das „größte Hemmnis für eine Europäisierung der politischen Subkultur, kunft der Demokratie, 2000, 263, 264; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, 185 f.; von Brünneck, EuR 1989, 249, 251. 330 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 21, nennt dies „demokratische Interaktion“. Kloepfer, § 42 Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: Isensee/ Kirchhof, HStR III, Rn. 17 ff., sieht darin Legitimations- und Kontrollfunktion erfüllt, die der öffentliche Meinung obliegen; ebenso Peters, EuR 2004, 375, 376. 331 BVerfGE 89, 155, 185. Auf der Grundlage der deliberativer Demokratietheorie Chalmers, ELJ 2003, 127 ff. 332 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 268 ff.; Grimm, JZ 1995, 581, 587; Bleckmann, JZ 2001, 53, 57 f.; Kielmansegg, Europäische Rundschau 1994, 23, 28 ff.; Neidhardt/Koopmans/Pfetsch, in: Klingemann/ Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 263, 282 ff. 333 So Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 62; optimistischer Eder, in: Heyde/Schaber, Demokratisches Regieren, 2000, 87, 95 f.; Zuleeg, JöR 51 (2002), 81, 94 ff. 334 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 62 m. w. N.; Grimm, JZ 1995, 581, 589; Habermas, ELJ 1995, 303, 306; Franzius, KritV 2003, 325, 329, spricht von nationalen Teilöffentlichkeiten. Nach Peters, EuR 2004, 375, 376, existieren auch im Nationalstaat nur Teilöffentlichkeiten bzgl. bestimmter Materien.
86
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
von der das Funktionieren eines demokratischen Systems [. . .] abhängt“.335 Selbst die beiden Arbeitssprachen der EU-Institutionen, Englisch und Französisch, sind für einen weit überwiegenden Teil der Unionsbürger Fremdsprachen. Trotz zunehmender Fremdsprachenkompetenz der Jugend Europas wird sich auch in ferner Zukunft die große Mehrzahl der Unionsbürger nur in der eigenen Muttersprache verständigen können. Einer unmittelbaren transnationalen Kommunikation sind damit Grenzen gesetzt.336 Ein europaweiter öffentlicher Diskurs zwischen den Unionsbürgern sei auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Information und Teilhabe in einer demokratischen Infrastruktur erfordere aber die volle sprachliche Kompetenz.337 Angesichts der integrativen Funktion einer gemeinsamen Sprache verhindere die sprachliche Differenzierung in der Union zudem eine gesellschaftliche Integration, die Entwicklung einer kulturellen Einheit.338 Der von Grimm gezogenen Schlussfolgerung wird jedoch entgegengehalten, dass eine vollumfängliche Sprachkompetenz für die Kommunikation zwischen den Unionsbürgern nicht erforderlich sei.339 Die vertikale Kommunikation zwischen Unionsbürgern und den EU-Organen werde in beide Richtungen gewährleistet.340 Einerseits hat jeder Bürger das Recht, sich in einer der Amtssprachen an die EU-Organe zu wenden341, insbesondere die primärrechtlich normierten Rechte, Petitionen an das Europäische Parlament gemäß Art. 194 EG einzubringen oder sich an den Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß Art. 195 EGV zu wenden. Sämtliche Rechtsakte der EU und wesentliche Mitteilungen werden im Amtsblatt der Gemeinschaft in allen Amtssprachen veröffentlicht und können von den Unionsbürgern über das Internet eingesehen werden.342 Fast alle EU-Institutionen und Organe, insbesondere Europäisches Parlament und Kommission, veröffent335
Grimm, JZ 1995, 581, 588. Benz, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 253, 256, beklagt das Fehlen einer „Kommunikationsgemeinschaft“. 337 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 61, 270; Grimm, JZ 1995, 581, 589. 338 Vgl. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 270 m. w. N.; gegen eine „Bagatellisierung“ des Sprachenproblems auch Pechstein/König, Die Europäische Union, Rn. 569. 339 Pernice, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 55 m. w. N.; Kluth, Demokratische Legitimation der EU, 1995, 62; Oeter, in: Epiney/Siegwart, Direkte Demokratie und EU, 1998, 29, 75; Schmitz, EuR 2003, 217, 225. 340 s. Art. 290 EG iVm VO (EG) 1/58, die die Amts- und Arbeitssprachen festlegen. Zur mangelnden Regelungsdichte der VO 1/58 s. Yvon, EuR 2003, 681, 682 ff. 341 Herrmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 290 EGV Rn. 13 f.; vgl. Art. 2 und Art. 21 Abs. 3 VO 1/58. 342 Herrmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 290 EGV Rn. 16; vgl. Art. 4, 5 VO 1/58. 336
2. Kap.: Defizite der Demokratie und demokratische Legitimation
87
lichen darüber hinaus sämtliche Dokumente vorbereitender und ausführender Natur in allen Amtssprachen.343 Als problematisch wird daher lediglich die horizontale Kommunikation zwischen den Unionsbürgern angesehen. Das Fehlen einer gemeinsamen Sprache verhindere aber nicht grundlegende Verständigungsprozesse. Staaten wie die Schweiz, Belgien, Indien, Kanada oder USA bestünden aus mehreren Sprachgemeinschaften. Sie erkläre man für demokratieunfähig, wenn man das Funktionieren einer lebendigen, auf einem breiten öffentlichen Diskurs beruhenden Demokratie an das Erfordernis einer gemeinsamen Sprache knüpfe.344 Zudem finde direkte Kommunikation selten zwischen territorial weit entfernten Bürgern eines Gemeinwesens statt. Bedeutend sei vielmehr die mittelbare Kommunikation, die über Instanzen wie Medien, Parteien und Organisationen vermittelt wird. 2. Vermittlungsinstanzen: Medien, Parteien, Zivilgesellschaft Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sind „Parteien, Verbände, Presse und Rundfunk [. . .] sowohl Medium als auch Faktor dieses Vermittlungsprozesses, aus dem heraus sich eine öffentliche Meinung zu bilden vermag“.345 Funktion und Stand der Entwicklung politischer Parteien auf europäischer Ebene wurden bereits dargestellt.346 Massenmedien haben die Funktion der Information und Artikulation.347 Sie stehen in einem komplizierten Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung mit den Bürgern und den politischen Institutionen. Massenmedien kontrollieren politisches Entscheidungshandeln und können Druck auf Entscheidungsträger erzeugen. Umgekehrt werden sie von Entscheidungsträgern bewusst eingesetzt, um bestimmte Informationen in gewünschter Weise an die Bürger zu überbringen. Durch die Auswahl der übermittelten Informationen und die Art der Berichterstattung beeinflussen die Medien die Bürger wiederum 343 Yvon, EuR 2003, 681, 685 ff.; Herrmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 290 EGV Rn. 18 ff., 29 ff. unter Hinweis auf die jeweilige Regelung in den Geschäftsordnungen der Institutionen. Vgl. die Forderung von Weiler, The Constitution of Europe, 1999, 351 f. 344 Pernice, Die Verwaltung 1993, 449, 479. Dagegen wendet Grimm, JZ 1995, 581, 589, ein, dass in den genannten Staaten nur wenige Sprachgemeinschaften existieren, aber in der EU mittlerweile fast zwei Dutzend. Auch habe es eines langen Zeitraums bedurft, um vielsprachige Gemeinwesen zu demokratisch interaktiven Einheiten zu formen. 345 BVerfGE 89, 155, 185; ebenso Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 37. 346 s. o., 1. Teil, 2. Kap., B. II. 2. 347 Kloepfer, § 42 Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 38.
88
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
stark.348 In diesem Beziehungsgeflecht stellt die – durch das europäische Recht nur mittelbar gewährleistete349 – Medienvielfalt, durch die unterschiedlichste politische und gesellschaftliche Interessen artikuliert und Diskussionen angeregt werden, den notwendigen Ausgleich dar.350 Europaweit verbreitete Rundfunk- und Fernsehprogramme oder Zeitschriften bzw. Zeitungen mit gemeineuropäischer Perspektive, die die Entstehung eines europäischen politischen Diskurses unterstützen, existieren bislang kaum. Fernsehprogramme (Euronews), Zeitungen (European Voice) und eine erhebliche Anzahl an Websites (www.eur-active.com) erreichen bislang nur ein marginales Publikum. Spartenprogramme wie Eurosport und MTV beteiligen sich nicht an der Herausbildung einer politischen öffentlichen Meinung. Arte verbindet nur die deutsche und die französische Sprachgemeinschaft.351 Die Berichterstattung EU-bezogener Themen durch die nationalen Medien erfolgt, sofern sie überhaupt eine Rolle spielen, zumeist ausschließlich aus nationaler Perspektive mit Blick auf die nationalen Interessen.352 Dem wird entgegengehalten, dass es allein bedeutsam sei, dass Informationen über Themen der Europapolitik überhaupt vermittelt werden. Ob dies durch ein nationales oder europäisches Medium erfolge, sei insofern zweitrangig.353 Zahlreiche Themen sind heute Gegenstand eines europaweiten Diskurses, z. B. außen- und sicherheitspolitische Fragen wie der Irak-Krieg, institutionelle Fragen wie die Europäische Verfassungsdiskussion, Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht betreffende Themen wie die Dienstleistungsrichtlinie oder der Übernahmeversuch des spanischen Energieerzeugers Endesa durch den deutschen Stromkonzern EON, verbraucherschutzrechtliche Fragen wie die BSE- und andere Nahrungsmittelkrisen, währungspolitische Fragen wie die Einhaltung des Stabilitätspaktes sowie erweiterungsbezogene Themen wie der Türkei-Beitritt. Auch der Zivilgesellschaft wird im politischen Meinungsbildungsprozess eine bedeutende Rolle als Vermittlungsinstanz zugeschrieben.354 Mit Zivil348
Kloepfer, ebd., Rn. 39. Vgl. die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 43 ff., 49 ff. EG) und die Wettbewerbsregeln (Art. 81 ff. EG). 350 Fischer, Das Demokratiedefizit bei der Rechtsetzung durch die EG, 2001, 108. 351 Vgl. Augustin, Das Volk der europäischen Union, 150 ff. 352 Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 716 f.; dies., EuR 2004, 375, 378; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 270 f.; Grimm, JZ 1995, 581, 589; Bleckmann, JZ 2001, 53, 58. 353 Kluth, Demokratische Legitimation der EU, 1995, 62; vgl. Pernice, Die Verwaltung 1993, 449, 480, Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 264, erkennt eine deutliche Europäisierung der Medienberichterstattung. 354 Nettesheim, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 143, 161 f. 349
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
89
gesellschaft ist ein Netzwerk von Personengruppen mit unterschiedlich intensiver Struktur im gesellschaftlichen Raum gemeint, das sich aus so heterogenen Elementen wie beispielsweise Gewerkschaften, Verbänden, Vereinen, kulturellen Institutionen, Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen zusammensetzt.355 Eine europäische Zivilgesellschaft existiere bislang jedoch ebenso wenig wie die anderen klassischen Vermittlungsinstanzen.356 III. Ergebnis Die Verankerung demokratischer Verfahren und Institutionen in einer Verfassung sichert allein nicht die Funktionsfähigkeit einer lebendigen Demokratie in einem Gemeinwesen. Den normativ-institutionellen Rahmen gilt es, mit demokratischem Substrat zu füllen. Die außerrechtlichen Voraussetzungen sind auf europäischer Ebene bislang weitgehend noch nicht erfüllt. Eine kollektive Identität, die den konsens- und akzeptanzstiftenden Rahmen für die Entfaltung demokratischer Verfahrensformen wie Verhandlung, Kompromiss und Mehrheitsentscheidung bildet, ist unter den Unionsbürgern bislang noch schwach ausgeprägt. Sie knüpft am ehesten an gemeinsame Werte an. Auch gelingt die Herausbildung einer europäischen öffentlichen Meinung, durch die der Unionsbürger an der politischen Meinungsbildung in der Union mitwirken soll, bislang nur ansatzweise. Das liegt neben den aufgrund der Sprachenvielfalt erschwerten Kommunikationsmöglichkeiten vor allem an den noch unterentwickelten gesellschaftlichen Vermittlungsinstanzen der europäischer Medien und der europäischen Zivilgesellschaft. 3. Kapitel
Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten Nachdem im ersten Kapitel der Status quo und im zweiten Kapitel die Defizite der Verwirklichung der Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation bei der Rechtsetzung der EU dargestellt wurden, werden im dritten Kapitel grundlegende Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten vorgestellt. Alle Ansätze erkennen grundsätzlich die Defizite an, beurteilen jedoch deren Existenz, Ursachen und Umfang unterschiedlich. Infolgedessen ziehen sie unterschiedliche Schlussfolgerungen zum Umgang mit den Defiziten. 355
Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 20 m. w. N. Volkmann, ebd. Rn. 62 m. w. N.; Benz, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 253, 258. 356
90
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Alle Ansätze sind umfassend. Sie zeigen nicht Lösungen zu allen individuellen Defiziten auf. Diese Vorgehensweise wäre aus zwei Gründen zum Scheitern verurteilt. Zum einen können die Defizite der demokratischen Legitimation des Rats und die des Europäischen Parlaments nicht parallel behoben werden. So würde eine Rückkehr zu Einstimmigkeit bei Ratsentscheidungen zwar die Wahrung einer ununterbrochenen Legitimationskette bedeuten und folglich die personelle Legitimation des Rates bei der Rechtsetzung stärken. Jedoch wäre dies unvereinbar mit „positiven“ Rechtsetzungsbefugnissen des Europäischen Parlaments, also der Kompetenz, den Erlass von Rechtsakten eigenständig durchzusetzen. Eine Stärkung des Europäischen Parlaments als Repräsentant des eigenständigen Legitimationsstrangs bedeutet in vielen Bereichen zugleich eine Schwächung des Rates als Repräsentant des verknüpfenden Legitimationsstrangs – und umgekehrt. Zum anderen sind einige Defizite der Legitimationsvermittlung der Eigenart ihrer Legitimationsart geschuldet. Die Länge der zum Rat oder gar zur Kommission führenden Legitimationskette ist für sich gesehen nicht „reparabel“. Jedoch kann dieses Defizit verringert werden, in dem die Stellung dieser Institutionen im Rechtsetzungsprozess insgesamt verringert wird, oder indem diese Art demokratischer Legitimation insgesamt durch andere Formen von Legitimationsvermittlung ergänzt wird. Es lassen sich vier verschiedene Lösungskonzepte unterscheiden, die als „konservativer“ (unter A.), „offensiver“ (unter B.), „pragmatischer“ (unter C.) und „konstruktiver“ (unter D.) Ansatz bezeichnet und im Folgenden vorgestellt werden. Die Einteilung und Bezeichnung der Lösungskonzepte geht in ihren Grundlagen auf die Ausführungen zur „europäischen Demokratie“ von Volkmann zurück.357 Zunächst werden die prinzipiellen Leitgedanken des jeweiligen Ansatzes dargestellt. Anschließend folgt die Kritik an den Ansätzen. Der konstruktive Ansatz bildet letztlich den Ausgangspunkt für den zweiten Teil der Untersuchung. Eine Anmerkung sei angesichts der unübersehbaren Anzahl an Schrifttum zu dem populären Thema der Demokratie und demokratischen Legitimation in der EU gemacht. Die Vielfalt an individuellen Ansichten und Konzepten, die sich inhaltlich teilweise sehr nahe stehen, teilweise konträr gegenüberstehen, erschwert den Versuch, sie in wenige, umfassende Modelle zusam357 Volkmann, Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 61 ff., insbesondere Rn. 63. Vgl. auch die Unterscheidung dreier Deutungsmuster (Bundesstaats-, Zweckverbands- und Staatenverbundskonzeption) von Kaufmann, die politikwissenschaftliche Integrationsmuster und rechtwissenschaftliche Ansätze bündeln und auf Rat, Europäisches Parlament und Kommission lenken; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 224 ff. Vgl. ebenso Peters, Theorie der Verfassung Europas, 628 ff., 2001, die fünf „Reaktionsmöglichkeiten“ auf die Defizite nennt.
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
91
menzufassen. Der Zwang zur Systematisierung führt unvermeidlich zu Pauschalisierungen, die in Kauf genommen werden.
A. Konservativer Ansatz I. Leitgedanke: Demokratischer Unterbau als conditio sine qua non Die im konservativen Ansatz zusammengefassten Ansichten sehen die Defizite der unionsrechtlichen Demokratie und der demokratischen Legitimationsvermittlung ihrem Ursprung nach zumindest mittelfristig als irreparabel an und ziehen daher restriktive Schlussfolgerungen für den Fortgang der europäischen Integration. Repräsentativ für diesen Ansatz, der einen großen Teil der traditionellen deutschen Staatsrechtslehre darstellt358, ist das sog. „Maastricht-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts, dessen maßgebliche Aussagen zur Demokratie und demokratischen Legitimation in der EU kurz skizziert werden.359 Auf der Grundlage des grundgesetzlichen Demokratieprinzips und des daraus abgeleiteten Legitimationsmodells erfolge die demokratische Legitimation der Ausübung hoheitlicher Befugnisse in der EU zuvörderst durch die Staatvölker über die nationalen Parlamente.360 Auf Defizite dieses Legitimationsstrangs geht das Bundesverfassungsgericht nicht ein. Mehrheitsentscheidungen im Rat werden ungeachtet der möglichen Durchbrechung der Legitimationskette grundsätzlich als für eine supranationale Organisation notwendige und vom integrationsoffenen Grundgesetz sowie von den nationalen Zustimmungsgesetzen zu den Gründungs- und Änderungsverträgen gedeckte Entscheidungsform angesehen.361 Das Bundesverfassungsgericht erkennt jedoch an, dass mit der Erweiterung der Befugnisse der Union demokratische Legitimation ergänzend auch über das Europäische Parlament vermittelt werden muss.362 Dessen beschränkte Legitimation ließe sich sogar durch eine Ausweitung der Rechtsetzungsbefugnisse (und einem einheitlichen Wahlrecht) verstärken. Jedoch sei einer Ausweitung der Befugnisse der Gemeinschaft und des Europäischen Parlaments eine unverrück358
Als Vertreter nennt Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 96 f., vor allem den Berichterstatter und „Architekten des Maastricht-Urteils“ Paul Kirchhof, aber u. a. auch Josef Isensee; ebenso Steinberg, ZRP 1999, 365, 368. 359 BVerfGE 89, 155, 184 ff. (Gründe: C 2 b). Kamann, Mitwirkung der Parlamente, 1997, 203, bezeichnet diesen Ansatz daher als „national-staatlich orientierte Auffassung“. 360 BVerfGE 89, 155, 184. 361 BVerfGE 89, 155, 183 f. 362 BVerfGE 89, 155, 184 und 185 f.
92
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
bare Grenze durch das grundgesetzliche Demokratieprinzip gesetzt, das eine lebendige Demokratie mit ausreichenden Befugnissen des nationalen Parlaments erfordere.363 Das Europäische Parlament repräsentiere noch allein die Staatsvölker. Jedoch könnten auch die Unionsbürger Legitimation vermitteln, wenn bestimmte vorrechtliche Voraussetzungen in der EU vorlägen.364 Zu diesen vorrechtlichen Voraussetzungen zählt das Bundesverfassungsgericht insbesondere die Existenz einer – europäischen – öffentlichen Meinung, deren Katalysatoren Parteien, Verbände, Presse und Rundfunk seien.365 Es sieht diese vorrechtlichen Voraussetzungen als noch nicht ansatzweise als erfüllt an.366 In einem Nebensatz an anderer Stelle nennt das Bundesverfassungsgericht eine entscheidende vorrechtliche Voraussetzung für eine lebendige Demokratie, wie sie im Nationalstaat existiert. Es handelt sich dabei um „relative Homogenität“ bzw. das, was ein Staatsvolk „geistig, sozial und politisch verbinde“367. Im Zusammenhang mit den Ausführungen über die Unionsbürgerschaft lässt das Bundesverfassungsgericht erkennen, dass diese Voraussetzung auf europäischer Ebene gegenwärtig nicht vorliegt und auch wegen der Verknüpfung von Homogenität und Staatsvolk wohl auch nicht vorliegen kann.368 Daher müsse demokratische Legitimation von den Staatsvölkern zuvörderst über die nationalen Parlamente zum Rat vermittelt werden, lediglich ergänzt über das Europäische Parlament. Der Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts lässt sich wie folgt zusammenfassen: Solange die vorrechtlichen Voraussetzungen lebendiger Demokratie auf europäischer Ebene nicht vorliegen, dürfen keine weiteren Hoheitsbefugnisse auf die EU übertragen werden und darf die Rolle des Europäischen Parlaments zulasten des Rates nicht gestärkt werden. Dies bedeutet einen Integrationsstopp.369 Kann eine lebendige Demokratie in der Union – mangels relativer Homogenität zwischen den Unionsbürgern – nie363
BVerfGE 89, 155, 186. BVerfGE 89, 155, 184 f. 365 BVerfGE 89, 155, 185. 366 BVerfGE 89, 155, 185: „[. . .] Faktor dieses Vermittlungsprozesses, aus dem heraus sich eine öffentliche Meinung in Europa zu bilden vermag [. . .].“ 367 BVerfGE 89, 155, 186; unterlegt mit einem Zitat Hermann Hellers; dazu kritisch Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 95; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 1 EG Rn. 45; ders., JöR 51 (2002), 81, 82 ff, 88; ders., in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 11, 13 f., 16 ff. Nach letzterem gehe die Vorstellung auf die nationalistische Theorie von Carl Schmitt zurück und sei das Gegenteil lebendiger Demokratie. 368 BVerfGE 89, 155, 184. 369 Nach Kielmansegg, Europäische Rundschau 1994, 23, 27, ist die EU daher auf lange Sicht nicht „demokratiefähig“. 364
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
93
mals hergestellt werden, muss die europäische Integration sogar „für abgeschlossen erklärt“ werden.370 II. Kritik: Keimzelle Unionsbürgerschaft und Integrationsfortschritt Gegen den „konservativen“ Ansatz werden zwei Einwände erhoben. Der erste betrifft das Erfordernis der relativen Homogenität als vorrechtliche Voraussetzung einer lebendigen Demokratie. Zweitens spreche der tatsächliche Fortgang des europäischen Integrationsprozesses seit dem Vertrag von Maastricht gegen den konservativen Ansatz. Der konservative Ansatz übertrage sein Verständnis vom Demos des deutschen Gemeinwesens auf die europäische Ebene.371 Demos des Staates – und somit ausschließliches Subjekt demokratischer Legitimation – sei danach allein das Volk in einem ethnisch-kulturellen Sinn. Die Existenz eines Staatsvolkes erfordere eine relative Homogenität als eine subjektive, sozialpsychologische Komponente, die auf objektiven, organischen Bedingungen fußt.372 Da subjektive und objektive Bedingungen auf europäischer Ebene aktuell und in absehbarer Zeit nicht vorliegen, existiere kein europäischer Demos, so dass die EU – zumindest auf absehbare Zeit, wenn nicht überhaupt – nicht demokratiefähig sei und lebendige Demokratie in den Mitgliedstaaten sichergestellt werden müsse, in denen die Staatsvölker dazu befähigt sind.373 Die Kritik richtet sich gegen dieses Verständnis vom Demos des Gemeinwesens374 und dessen Übertragung auf die EU.375 Das ethnisch-kulturelle 370 Vgl. Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 628 f., als zweite und fünfte Reaktionsmöglichkeit. 371 Eingehend Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 270 ff., 389 ff., der herausstellt, dass das Bundesverfassungsgericht in fragwürdiger Weise das nationalstaatliche Staats-, Souveränitäts- und Legitimitätskonzept der herrschenden deutschen Staatsrechtslehre einfach auf die supranationale Herrschaftsordnung der EU übertrage. 372 Vgl. Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 97 f. Die subjektiven Elementen, zu denen u. a. eine kollektive Identität und ein gemeinsames Schicksal zähle, seien Ergebnis und gleichzeitig Bedingung objektiver Elemente wie gemeinsame Sprache, Geschichte, kulturelle Bräuche und Empfindungen, ethnische Herkunft und Religion. 373 So die von Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 96 ff., 101 ff., kritisierte „Kein-Demos-These“; s. auch Verhoeven, Democratic and Constitutional Theory, 2002, 90 ff. 374 Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 99 f., 112; Zacharias, JURA 2001, 446, 447 f.; Rinken, KritV 1996, 282, 292 ff., 298 ff.; Zuleeg, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 16 ff.; Blanke, KritJ 1998, 452, 460, kritisiert, dass mit der Annahme einer fiktiven vorstaatlichen Einheit und Homogenität des deutschen Volkes die kulturellen, religiösen, ethnischen, sozialen und politischen Differenzen in einer moder-
94
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
Konzept eines homogenen Volkes sei nicht der einzige Weg, den Demos eines Nationalstaats und erst recht nicht den eines politischen Gemeinwesens zu bilden. Demos sei vom Volk und (National-)Staat zu lösen und mit dem Konzept der Bürgerschaft zu verbinden.376 Die Zugehörigkeit zum Demos sei auf nationaler wie supranationaler Ebene nicht organisch-kulturell sondern bürgerlich-politisch zu definieren.377 Der Keim der Herausbildung einer Mitgliedschaft am Gemeinwesen EU sei mit der Unionsbürgerschaft begründet worden. Sie repräsentiere ein völlig anderes Konzept, das keinen Ausschließlichkeitsanspruch i. S. d. Staats- bzw. Volksangehörigkeit erhebe. So sei die gleichzeitige Zugehörigkeit zu mehreren Demoi – auf infranationaler, nationaler und supranationaler Ebene – als personelles Substrat verschiedener Gemeinwesen möglich.378 Ein auf der Gesamtheit der Unionsbürger basierender Demos besitze das Entwicklungspotential, Bezugspunkt einer lebendigen Demokratie in der Union zu werden. Die EU sei demnach demokratiefähig. Der zweite Kritikpunkt richtet sich nicht gegen das konservative Modell an sich, sondern gegen die daraus gezogenen Konsequenzen. Das Bundesverfassungsgericht habe der EU im Maastricht-Urteil ein „Gesundheitsattest“ ausgestellt, indem es in den politischen Strukturen und Prozessen der Mitgliedstaaten einen ausreichenden Ausgleich für existierende Demokratiedefizite in der Union ansah. Dadurch leugne es die dringende Notwendigkeit einer weiteren Demokratisierung der europäischen Entscheidungsprozesse – auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Union.379 Zum damaligen nen pluralistischen Gesellschaft zugunsten einer durch „Blutsbande“ definierten Einheitsidee des „deutschen Volkes“ eingeebnet werden. 375 Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 114 ff.; Bryde, StWStP 1994, 305, 309 f.; Grande, Leviathan 24 (1996) 339, 347. 376 Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 112, 115; ders., in: Craig/Harlow, Lawmaking in the EU, 1998, 7 ff.; Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 655; Bryde, StWStP 1994, 305, 311 ff.; Rinken, in: Borenschulte, FS Schefold, 2001, 223, 229; Fuchs, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 215, 224 ff. Ausführlich zu den verschiedenen Begriffsebenen und Funktionen des „Volkes“ Augustin, Das Volk der Europäischen Union; 2000, s. auch Fuchs, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 215, 216 ff. Nach Schmitz, EuR 2003, 217, 219 bezeichnet der „normative, staatstheoretische Volksbegriff“ die „einem bestimmten Herrschaftsverband zugehörige Gemeinschaft von Menschen“. Auf der Grundlage dieses „funktionalen Volksbegriffs“ und der Möglichkeit einer Pluralität von Völkern bejaht er die Existenz eines „europäischen Unionsvolks“, s. ebd., 222 ff. 377 Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 114 ff., 130; vgl. Grande, Leviathan 24 (1996) 339, 348; Rinken, KritV 1996, 282, 294, weist auch für die Ebene des Staats auf die Pluralität des Volkes als Bürgergesellschaft hin. 378 Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 130, spricht von „koexistierenden, multiplen Demoi“. 379 Weiler, JöR Bd. 44 (1996), 91, 93 f., 109 ff.
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
95
Zeitpunkt sei ein solches Gesundheitsattest sehr zweifelhaft gewesen – heute erscheine es kaum haltbar, da die Verträge von Amsterdam und Nizza der Europäischen Gemeinschaft weitere Hoheitsbefugnisse übertragen und die Befugnisse des Europäischen Parlaments erweitert haben. Die demokratische Legitimation der Ausübung von Hoheitsrechten durch die EU könne nicht mehr allein auf die Mitgliedstaaten und deren Staatsvölker gestützt werden. Bei dem heute erreichten Stand der Integration mit der weitreichenden Kompetenzfülle der Union und der Ausweitung der Unionspolitiken reiche es nicht mehr, eine lebendige Demokratie allein auf Ebene der Mitgliedstaaten zu verorten und dem Bemühen, den größtmöglichen Grad an Demokratisierung in der EU zu errichten, jegliche Rechtfertigung abzusprechen.380
B. Offensiver Ansatz I. Leitgedanke: Auf dem Weg zu einer parlamentarischen Demokratie in der Union Der offensive Ansatz setzt andere Prämissen als der konservative Ansatz. Er beurteilt die Ursachen der Defizite der unionsrechtlichen Demokratie und der demokratischen Legitimationsvermittlung bei der Rechtsetzung in der EU unterschiedlich und zieht daher konträre Schlussfolgerungen. So wird nicht das Innehalten des europäischen Integrationsprozesses, sondern dessen Intensivierung gefordert. Weitere schrittweise Veränderungen der rechtlichen Strukturen der Union mit entsprechenden institutionellen Reformen sollen eine Stärkung des noch unterentwickelten demokratischen Unterbaus in der Union ermöglichen.381 Das politische Herrschaftssystem der EU wird an dem Modell einer klassischen parlamentarischen Demokratie ausgerichtet. Der von den Unionsbürgern zum Europäischen Parlament verlaufende Legitimationsstrang soll langfristig den Hauptlegitimationsstrang für die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch die EU bilden. Die Rechtsstellung beider Glieder des eigenständigen Legitimationsstranges, Unionsbürger und Europäisches Parlament, soll daher ausgebaut werden. Der Rat soll zu einer zweiten Kammer neben dem Europäischen Parlament herab380 Vgl. Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63, nach dessen Ansicht der konservative Ansatz „die tatsächliche Entwicklung gegen sich“ habe. Insbesondere gegenüber dem zweiten Kriktikpunkt ist jedoch in Erinnerung zu rufen, dass das Bundesverfassungsgericht allein am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen hatte, ob das grundgesetzliche Demokratiegebot der weiteren Übertragung von Hocheitsrechten auf eine supranationale Organisation Schranken setze, und nicht ob und wie die Demokratisierung der EU zu verbessern sei. 381 Vgl. Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63 m. w. N.
96
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
gestuft werden.382 Je nach Regierungssystem des Mitgliedstaats werden weitere institutionelle Veränderungen befürwortet.383 Der rechtliche Status der Unionsbürger soll durch einen rechtsverbindlichen Grundrechtekatalog unter Einschluss politischer Teilhaberechte gestärkt werden.384 Mit der Ausarbeitung der Grundrechtecharta der EU385 und ihrer Integration in den Verfassungsvertrag als Teil II ist man diesem Ziel einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Jedoch ist sie bis zur Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten nicht Bestandteil des Unionsrechts und als solche nicht rechtlich verbindlich.386 Eine Stärkung des rechtlichen Status der Unionsbürger kann auch durch die Einführung europaweiter Volksentscheide als Element unmittelbarer Demokratie erfolgen.387 Das Europäische Parlament soll Rechtsetzungsbefugnisse in allen Unionspolitiken erhalten und flächendeckend durch Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens beteiligt werden.388 Die Repräsentationsfähigkeit des Europäischen Parlaments müsse durch eine stärkere Achtung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit und durch die Annahme eines einheitlichen Wahlverfahrens erhöht werden. Die Stärkung der Rechtsstellungen der Unionsbürger und des Europäischen Parlaments soll zugleich die Entwicklung des noch mangelhaften demokratischen Unterbaus der Union fördern. So soll das Europäische Parlament mit der Ausweitung der Rechtsetzungsbefugnisse zunehmend die klassische parlamentarische Funktion einer Versammlung von Repräsentanten erfüllen, die öffentlich sämtliche Belange des Gemeinwohls diskutieren, die alle Unionsbürger betreffen. Parallel soll die Entwicklung europäischer Parteien, Medien und Zivilgesellschaft als politische und gesellschaftliche Vermittler zwischen Unionsbürger und Europäischem Parlament vorangetrieben werden, was zu einer gemeinschaftsweiten öffentlichen Meinung 382
Vgl. Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 408. Vgl. Heuschling, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 33, 35 f., nennt die von Frankreich wiederholt vorgeschlagene Idee eines vom europäischen Volk direkt gewählten Präsidenten der EU. 384 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63 m. w. N. 385 s. zur Entstehungsgeschichte Streinz, in: ders., EUV/EGV, Vorbem GR-Charta Rn. 1. 386 Streinz, in: ders., EUV/EGV, Vorbem GR-Charta Rn. 4 ff., der auch die Möglichkeit einer mittelbaren Verbindlichkeit über Selbstbindungen der EU-Organe nennt und darauf hinweist, dass die europäische und nationale Gerichtsbarkeit die Grundrechtecharta schon als Hilfsmittel herangezogen hat. 387 Zürn, PVS 37 (1996), 27, 49 f.; Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 275 m. w. N. Zur Bürgerinitiative s. Art. I-47 Abs. 4 VV. 388 Vgl. Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 628 f., als dritte Reaktionsmöglichkeit. 383
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
97
in einem einheitlichen Kommunikationsrahmen führe.389 Die Entwicklung der vorrechtlichen Voraussetzungen lebendiger Demokratie sollte im Zuge des Konstitutionalisierungsprozesses der Union beschleunigt werden. Nach dem vorläufigen Scheitern des Verfassungsvertrages infolge des negativen Ausgangs der Referenden in Frankreich und den Niederlanden hat diese Entwicklung einen Dämpfer erhalten. II. Kritik: Recht schafft keinen demokratischen Unterbau Die Kritik am offensiven Ansatz richtet sich in erster Linie gegen die Vorstellung, dass durch die Stärkung der rechtlichen Stellung der Unionsbürger und des Europäischen Parlaments sowie im Zuge der Verfassungsentwicklung die Herausbildung der vorrechtlichen Voraussetzungen einer lebendigen Demokratie gefördert werde. Diese Ansicht stelle das „[. . .] traditionelle Verhältnis von Rechtsetzung und Verfassungsgebung einerseits und gemeinschaftlich-demokratischem Leben andererseits auf den Kopf [. . .]“.390 Erhebliche Zweifel bestehen bei der Herausbildung einer kollektiven Identität unter den Unionsbürgern. So gehe normalerweise der Wille zur demokratischen Gemeinschaft ihrer Gründung und Festigung durch Recht voraus. Bei der EU solle nun die rechtliche Befestigung einer demokratischen Gemeinschaft den Willen zu ihr aus sich heraus zeugen. Gegen eine derartige Gestaltungskraft des Rechts werden erhebliche Bedenken gehegt.391 So sei äußerst zweifelhaft, ob soziokulturelle Integrationseffekte auf europäischer Ebene allein durch institutionelle und strukturelle Reformen des Verfassungsgefüges der Union bewirkt werden könnten. Die Steuerungsmöglichkeiten von politischen Institutionen und Recht seien in dieser Hinsicht sehr begrenzt. Vorrechtliche Voraussetzungen seien weitgehend einer rechtlichen Regulierung und politischer Steuerung entzogen. Die Schaffung einer politisch-bürgerlichen Einheit und einer „demokratischen Infrastruktur“ sei nicht allein durch den Umbau des politischen Systems der EU zu einer parlamentarischen Demokratie zu schaffen.392 So werden erhebliche Bedenken gehegt, ob sich der „europäische Parlamentarismus [. . .] bildlich gesprochen 389 Nach Pernice, Die Verwaltung 1993, 449, 480, seien „[g]emeinsame Parteien [. . .] nicht die Voraussetzung, sondern die Folge von demokratischen Verfahren [. . .]“. Ebenso Classen, AöR 119 (1994), 238, 257: „Eine demokratische „Infrastruktur“ kann sich nur dort entwickeln, wo bereits institutionell gewisse Strukturen vorhanden sind.“ Vgl. auch Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 263 f.; Oeter, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 59, 95. 390 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63. 391 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63. 392 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 275. Huber, in: Bauer, Demokratie in Europa, 2005, 491, 505.
98
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
am eigenen Schopfe aus dem Sumpf fehlender soziokultureller Voraussetzungen ziehen könne“.393 Der bisherige Integrationsprozess bestätigt kaum den offensiven Ansatz.394 Die Einheitliche Europäische Akte sowie die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza haben die Stellung des Europäischen Parlament im Institutionengefüge erheblich aufgewertet und zu umfangreichen Kompetenzgewinnen geführt. Die durch den Vertrag von Maastricht eingeführte Unionsbürgerschaft ist durch Erlass von Sekundärrecht und durch die Rechtsprechung des EuGH umfangreich ausgebaut worden. Dennoch verläuft die Herausbildung einer europäischen öffentlichen Meinung und einer kollektiven Identität unter den Unionsbürgern schleppend. Die Beteiligung an den Wahlen zum Europäischen Parlament sinkt. Daher wird vor den gravierenden negativen Folgen bei der weiteren Umsetzung der Vorschläge des offensiven Ansatzes gewarnt. Die Defizite bei der Legitimationsvermittlung würden nicht gelöst395, sondern entscheidend verschärft.396
C. Pragmatischer Ansatz I. Leitgedanke: Akzeptanz der Defizite Der pragmatische Ansatz397 marginalisiert im Gegensatz zu den beiden bereits erörterten Ansätzen Bedeutung und Umfang der Defizite der unionsrechtlichen Demokratie und der demokratischen Legitimationsvermittlung im Bereich der Rechtsetzung der Union und zieht weniger weitreichende Schlussfolgerungen. Der pragmatische Ansatz akzeptiert die bestehenden Mängel der Legitimationsvermittlung und des demokratischen Unterbaus in der Union. Er sieht das bisherige Legitimationsniveau der EU aber als ausreichend und die vorrechtlichen Voraussetzungen als ansatzweise erfüllt an. Als Vergleichsmaßstab zieht das pragmatische Lager dabei das im Verfassungsstaat verwirklichte Modell des parlamentarischen Regierungssystems heran, das ebenfalls Defizite aufweise, allerdings weniger 393
Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 274. Vgl. Gerkrath, EuGRZ 2006, 371. 395 Scharpf, StWStP 3 (1992), 293, 296; Kluth, Demokratische Legitimation der EU, 1995, 95. 396 Grimm, JZ 1995, 581, 589. Zu dem Automatismus, dass eine maßgebliche Aufwertung des Europäischen Parlaments denknotwendig eine Schwächung des Rates und der von den Staatsvölkern ausgehenden demokratischen Legitimation bedeutet, s. auch Calliess, in: Bröhmer, FS Ress, 2005, 399, 403. 397 Bei Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63, als „zweite Schule“ und bei Peters, Theorie der Verfassung Europas, 2001, 628, als erste „Reaktionsmöglichkeit“ genannt. 394
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
99
ausgeprägte.398 Es bestehe somit kein Bedürfnis für richtungsweisende Veränderungen, wie sie der konservative und der offensive Ansatz vorschlagen. Die Defizite seien im Wesentlichen Resultat einer überzogenen Erwartungshaltung und der Eigenart des supranationalen Herrschaftssystems der Union geschuldet. Bei der Beurteilung der beiden Legitimationsstränge führt der pragmatische Ansatz die Ansichten des konservativen und des offensiven Ansatzes zusammen. Dem Rat wird als Repräsentant der Staatsvölker zum jetzigen Stand der Integration noch die wesentliche Rolle bei der Legitimationsvermittlung zugewiesen. Gleichzeitig wird das Potential des Europäischen Parlaments als unmittelbar gewählter Repräsentant der Unionsbürger hervorgehoben. Die Unionsbürger werden als zweites Legitimationssubjekt der EU neben den Staatsvölkern anerkannt. Damit kommt die grundsätzlich integrationsfreundliche Haltung der Mehrzahl an Strömungen innerhalb des pragmatischen Ansatzes zum Ausdruck. Die Entwicklung des politischen Herrschaftssystems der Europäischen Union zu einer parlamentarischen Demokratie sieht der pragmatische Ansatz als nicht ausgeschlossen an. Der pragmatische Ansatz hält das Herausbilden des demokratischen Unterbaus auf europäischer Ebene für möglich und bezeichnet ihn als „im Werden“ befindlich. Die grundlegenden Voraussetzungen für einen über das Europäische Parlament verlaufenden politischen Repräsentations- und Legitimationsprozess lägen in der politisch-institutionellen Vermittlung durch Medien und Parteien vor. Auch der Keim für die Entwicklung einer kollektiven Identität sei vorhanden.399 II. Kritik: Theoretisierung der defizitären Praxis Gegen den pragmatischen Ansatz werden zwei Einwände erhoben. Zwar werde nicht wie bei dem offensiven Ansatz die Steuerungsmöglichkeit des Rechts auf die tatsächliche Entwicklung des demokratischen Unterbaus überschätzt. Doch kehre der pragmatische Ansatz „das grundsätzliche Verhältnis von Recht und Wirklichkeit um, indem es die defizitäre Wirklichkeit ihrerseits zur Norm erhebt“.400 Der pragmatische Ansatz akzeptiere die defizitäre Praxis, wie sie sich im Status quo des Integrationsprozesses ausdrückt, und fasse sie lediglich in ein theoretisches Modell zusammen. Über die existierenden Defizite einfach mit dem Vorwurf einer übertriebenen Er398
Kluth, Demokratische Legitimation der EU, 1995, 90 ff.; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 430 ff. 399 Kluth, Demokratische Legitimation der EU, 1995, 56 ff., 60 ff. 400 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63.
100
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
wartungshaltung hinwegzugehen, erscheine der Problematik nicht angemessen, die sich mit jedem weiteren Integrationsschritt verschärfen werde. Der zweite Einwand richtet sich gegen die Art und Weise, wie der pragmatische Ansatz die Ausübung von legislativer Hoheitsgewalt in der EU rechtfertigt. Dieser Einwand richtet sich ebenso gegen den konservativen und offensiven Ansatz, die jedoch die mit dem System der Legitimationsvermittlung verbundenen Defizite ausdrücklich anerkennen und nach Lösungen zur Reduzierung der Defizite suchen – allerdings ausschließlich innerhalb dieses Legitimationssystems. Der pragmatische Ansatz spielt die Bedeutung dieser Defizite herunter und verneint damit von Grund auf die Reformnotwendigkeit des Systems der Legitimationsvermittlung.
D. Konstruktiver Ansatz I. Leitgedanke: Erweiterung des dualistischen Legitimationssystems Die Vorschläge des konstruktiven Ansatzes zur Reduzierung bzw. Kompensation der Defizite der unionsrechtlichen Demokratie und der demokratischen Legitimationsvermittlung bei der Rechtsetzung in der EU zielen weder ausschließlich auf die Stärkung des Rates und des verknüpfenden Legitimationsstranges (so der konservative Ansatz) noch ausschließlich auf die Stärkung des Europäischen Parlaments und des eigenständigen Legitimationsstranges (so der offensive Ansatz) ab. Er findet sich auch nicht mit dem Umfang der Defizite ab (so der pragmatische Ansatz). Der konstruktive Ansatz sucht eine Reduzierung der Defizite nicht innerhalb sondern außerhalb des etablierten dualistischen Legitimationssystems durch die ergänzende Heranziehung anderer Legitimationsarten und -quellen, die der komplexen Struktur des politischen Systems in der EU, der Verknüpfung mit der staatlichen Ebene und der bürgerschaftlicher Aktivität Rechnung tragen.401 Der konstruktive Ansatz kritisiert die den meisten nationalen Legitimationssystemen zugrundeliegende Annahme, dass die Parlamentswahl als punktueller Akt die einzige Möglichkeit der Bürger darstelle, sich mit legitimatorischer Wirkung an der hoheitlichen Willensbildung in einem politischen Gemeinwesen zu beteiligen. Demokratietheoretisch liegt dieser Annahme die überhöhte Fixierung auf das Prinzip demokratischer Gleichheit aller Staatsbürger zugrunde. Vollkommen verwirkliche sich dieses Prinzip 401 Schuppert, in: Ipsen, FS Rauschning, 2001, 201, 210 f., spricht von „strukturadäquater Legitimation“; s. auch Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-47 Rn. 1; Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 29, 52, 55, und Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1095 m. w. N.
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
101
lediglich im Wahlakt, der als einzige Form der Bürgerbeteiligung demokratische Legitimation vermittle – und zwar an das Parlament, über das demokratische Legitimation weitervermittelt werde. Dieses Demokratieverständnis widerspreche dem Grundgedanken partizipativer Demokratie. Dem partizipativen Demokratieverständnis liegen die Idee der freien Selbstbestimmung des Einzelnen und die Garantie der Menschenwürde zugrunde.402 Die nationalen Verfassungen haben der Idee einer allein auf den parlamentarischen Wahlakt fixierten Demokratiekonzeption mit der Fundierung individueller und kollektiver politischer Grundrechte aber auch mit der Anerkennung unmittelbarer Demokratieformen wie insbesondere dem Referendum eine deutliche Absage erteilt.403 Auch auf europäischer Ebene ist die Bedeutung politischer Grundrechte und des Grundsatzes partizipativer Demokratie durch die Aufnahme in den Verfassungsvertrag zum Ausdruck gekommen.404 Die auf ununterbrochenen Legitimationsketten beruhende, in weiten Bereichen ins Fiktionale verflüchtigte Gesamtlegitimation der Ausübung legislativer Hoheitsgewalt soll nach Ansicht des konstruktiven Ansatzes durch Legitimationsformen ergänzt werden, in denen bürgerschaftliches Engagement unmittelbarer, spezialisierter, sachbezogener eingebracht werde, auch wenn sich nicht bei jeder Legitimationsform die Gesamtheit aller Bürger artikulieren könne.405 Weitere Legitimationskomponenten, die neben dem genannten Grundsatz der partizipativ-demokratischen Bürgerbeteiligung einen Spielraum für Substitutions- und Kompensationsmöglichkeiten in Bezug auf das traditionelle Legitimationskonzept bieten, stünden mit sog. output-orientierten406 Kriterien wie Akzeptanz, Transparenz, Effektivität, Sachkompetenz, konsensbildende Verfahren, Sach- oder Verfahrensrichtigkeit, Wert- oder Gemeinwohlverwirklichung bereit.407 Dies gilt nicht nur für den Bereich der Verwaltung 402 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 31 ff.; Müller-Franken, DÖV 2005, 489, 493; Hanebeck, DÖV 2004, 901, 902; Rinken, in: Borenschulte, FS Schefold, 2001, 223, 230 f. 403 Blanke, KritJ 1998, 452, 459 f.; vgl. auch Rinken, in: Borenschulte, FS Schefold, 2001, 223, 225. 404 Vgl. Art. II-71, II-72 und Art. I-47 VV. 405 Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 281. Grande, Leviathan 24 (1996) 339, 352 f., denkt an direkte Mitwirkungsmöglichkeiten in Form plebiszitärer Elemente. s. auch Schuppert, in: Ipsen, FS Rauschning, 2001, 201, 209. 406 Grundlegend zur Unterscheidung zwischen Input- und Output-Aspekten von Legitimation Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, 21 ff.; s. auch Rumler-Korinek, EuR 2003, 327, 328 ff.; Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 261 m. w. N. 407 Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 117; Volkmann, in: Friauf/ Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 47, 54; Würtenberger, JuS 1987, 344, 348 f.; Magnette, ELJ 2001, 292, 293; Delbrück, IJGLS 2003, 29, 33 f., 40 ff.; Tomerius, StWStP
102
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
bzw. des Gesetzesvollzugs als Ausübung exekutiver Hoheitsgewalt, in dem diese Legitimationskomponenten schon zunehmend Anerkennung gefunden haben, sondern auch für den Bereich der Rechtsetzung. Der konstruktive Ansatz stellt – wie die anderen drei Ansätze ebenfalls – nicht ein einheitliches Lösungskonzept dar. Unter diesem Oberbegriff wurde in dieser Arbeit eine Vielzahl an individuellen Ansichten und Vorschägen zusammenfasst, die durch das Ziel geeint sind, die mangelhafte demokratische Legitimation der EU durch Einbeziehung von Legitimationsquellen außerhalb des etablierten dualistischen Legitimationssystems zu stärken. Daraus folgt jedoch, dass es gegenwärtig Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen ist, ob und welche zusätzlichen Elemente überhaupt zur Vermittlung demokratischer Legitimation geeignet sind, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und wie die Komplementarität mit dem etablierten klassischen Legitimationsmodell ausgestaltet sein muss, damit insgesamt ein „ausreichendes“ und „effektives“ Maß von demokratischer Legitimation gegeben ist. Ein umfassendes Konzept, welche zusätzlichen Elemente in welchem Maße vorliegen müssen, damit die EU ausreichend demokratisch legitimiert ist, gibt es unter dem konstruktiven Ansatz nicht. II. Kritik: Entkernung des Begriffs demokratischer Legitimation Sofern Teile des konstruktiven Ansatzes das formale System der Legitimationsvermittlung vollständig ablehnen, wird ihnen der Einwand entgegengebracht, dass sie keine umfassenden Alternativmodelle mit klaren, überprüfbaren Voraussetzungen für die Legitimationsvermittlung vorlegen, die demokratisch-rechtstaatlichen Grundsätzen genügen.408 Es reiche nicht aus, die zunehmenden Interdependenzen politischen Entscheidens im Mehrebenensystem der EU mit abstrakten Begriffen zu umschreiben und auf die Komplexität dieses Systems hinzuweisen, das mit dem traditionellen, formalen Zurechnungsschema nicht vereinbar sei.409 Wie in Bezug auf den 1997, 289, 294 ff. Schuppert, in: Ipsen, FS Rauschning, 2001, 201, 207, benennt eine „Pluralität von Legitimationsbausteinen“. Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673, 676, fordern lediglich, dass „ein Mindestmaß an originär demokratischer Legitimation gewahrt bleibt“. 408 Pechstein/König, Die Europäische Union, Rn. 569. Nach Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 191 ff., setzen die funktionalistische Integrationstheorie und das Zweckverbandskonzept aus den Anfangsjahren der Integration den Bedarf demokratischer Legitimation auf Gemeinschaftsebene einfach geringer an. Vgl. auch Bauer, in: ders., Demokratie in Europa, 2005, 1, 9 f. 409 Di Fabio, Mehrebenendemokratie in Europa, FCE 10/01, 1 ff.
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
pragmatischen Ansatz hohe Komplexität die sches Modell gebracht mationsvermittlung – schwächt.410
103
bereits kritisiert, werde durch den Hinweis auf die defizitäre gegenwärtige Praxis nur in ein theoretiund die Anforderungen an eine angemessene Legitian demokratischen Maßstäben gemessen – abge-
Sofern Teile des konstruktiven Ansatzes lediglich eine Ergänzung des formalen Systems der Legitimationsvermittlung durch andere Legitimationsarten und -quellen befürworten, richten sich die Einwände unmittelbar gegen die einzelnen vorgeschlagenen Legitimationselemente. So wende sich z. B. mit dem output-orientierten Kriterium der Akzeptanz der Begriff der Legitimation von seinem normativen Bedeutungsgehalt als Rechtfertigung von Herrschaft ab und dem sozialwissenschaftlichen Bedeutungsinhalt als Hinnahme von Herrschaft zu. Die mit der Suche nach Konsenssicherung verbundenen Fragestellungen seien von hoher praktischer und auch verwaltungsrechtlicher Bedeutung, fügten sich aber nicht zu einem normativen Legitimationsmodell zusammen. Die Suche nach Kriterien und Vorkehrungen, die lediglich die Akzeptanz der Ausübung von Herrschaftsgewalt erhöhen sollten, wie z. B. Sachkompetenz, konsensbildende Verfahren, Sach- oder Verfahrensrichtigkeit, Wert- oder Gemeinwohlverwirklichung, führe daher nicht weiter.411 Ein gemeinsames Problem der meisten der genannten output-orientierten Legitimationselemente sind fehlende anerkannte Bewertungsmaßstäbe, die eine Überprüfung des „Outputs“- auf welche Art und Weise und durch wen auch immer – sehr schwierig machen. Auch gegen die Heranziehung der partizipativen Demokratie werden Einwände erhoben. Formen demokratischer Partizipation würden sich im politischen Meinungsbildungsprozess bewähren, seien aber von den Entscheidungsverfahren der organisierten Ausübung hoheitlicher Gewalt strikt zu trennen. Formen schlichter Mitwirkung wie Information, Anhörung und Kooperation, die keinerlei Rechtsbindungen erzeugen, könnten durchaus legitimatorische Bedeutung aufweisen. Diese lägen aber in einer immanenten Verbesserung des traditionellen demokratischen Legitimationsschemas und nicht in der Schaffung zusätzlicher, neuartiger Legitimationsformen.412 Als selbständiges Legitimationsmodell könne Partizipation nur im Sinn einer Mitentscheidung als unmittelbares Demokratieelement konstruiert werden. Partizipative Legitimation stünde dann in Konkurrenz zu repräsentativer Legitimation.413 Die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten beträfe als Ausdruck bürgerlicher Mitwirkung allein den gesellschaft410 411 412 413
Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 63. Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 369 ff. Bauer, in: ders., Demokratie in Europa, 2005, 1, 7. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 373 ff.
104
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
lichen Bereich der Meinungsbildung und habe keinerlei legitimierende Funktion.414 III. Stellungnahme: Der konstruktive Ansatz als Ausgangspunkt des 2. Teils der Untersuchung Die unter den Oberbegriffen des konservativen, offensiven und pragmatischen Ansatzes zusammengefassten Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten bei der Verwirklichung von Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation sind Gegenstand einer unübersehbaren Anzahl an Untersuchungen und Veröffentlichungen, die sowohl ganzheitliche Modelle als auch punktuelle Vorschläge betreffen. Wie der grundsätzlich gegen den konstruktiven Ansatz vorgebrachte Einwand betont, gibt es kein umfassendes klares Alternativmodell zum formalen, dualistischen System der Legitimationsvermittlung in der EU. Ein solches will die vorliegende Arbeit nicht entwerfen. Sie beschränkt sich im zweiten Teil auf die Untersuchung, ob ein offenes, partizipatives Demokratieverständnis eine geeignete und ausreichende dogmatische Grundlage bilden kann, Formen der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU die Fähigkeit zur Vermittlung demokratischer Legitimation zuzusprechen und auf diesem Wege dazu beizutragen, die Defizite des etablierten dualistischen Legitimationssystems zu reduzieren. Die Arbeit wird nicht die weiteren im Rahmen der Vorstellung des konstruktiven Ansatzes unter dem Begriff der „Output-Legitimation“ genannten potentiellen Elemente auf ihre Eignung zur Vermittlung demokratischer Legitimation untersuchen. Daher wird am Ende der Untersuchung auch keine Schlussfolgerung dergestalt gezogen, dass ein fest umrissenes Zusammenspiel bestimmter Elemente die Schwächen des klassischen dualistischen Legitimationssystems ausgleichen kann. Der zweite Teil dieser Arbeit beschränkt sich jedoch nicht auf die Untersuchung, ob und unter welchen Voraussetzungen Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess als ein Element demokratischer Legitimationsvermittlung anerkannt werden kann. Er stellt auch dar, auf welche Art und Weise die EU-Organe die gesellschaftlichen Kräfte einbeziehen, wie sich die Einbeziehung der gesellschaftlichen Kräfte in den Rechtsetzungsprozess im Verlauf der europäischen Integration entwickelt hat und welche Maßnahmen auf europäischer Ebene vorgeschlagen werden, um die Bürgerbeteiligung zu stärken.
414 Schmitt Glaeser, § 38 Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 31.
3. Kap.: Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
105
E. Ergebnis Der konservative Ansatz, der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und einen Teil der deutschen Staatsrechtslehre widerspiegelt, sieht die EU kurz- und mittelfristig als nicht demokratiefähig an. Eine entscheidende Voraussetzung lebendiger Demokratie, die Existenz einer relativen Homogenität, könne nur auf nationaler Ebene, innerhalb des Staatsvolkes, erfüllt sein. Demokratische Legitimation in der EU sei somit nur über den verknüpfenden Legitimationsstrang von den Staatsvölkern, allenfalls ergänzend über das Europäische Parlament zu vermitteln. Solange bis die übrigen vorrechtlichen Voraussetzungen lebendiger Demokratie auf europäischer Ebene in angemessener Weise erfüllt sein werden, müsse die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf Unionsebene und die Stärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments gestoppt werden. Gegen den konservativen Ansatz wird vor allem der Einwand erhoben, auf den Begriff des Staatsvolkes im ethnisch-kulturellen Sinn als einzig möglicher Demos eines Gemeinwesens fixiert zu sein. Zudem sei aufgrund der Kompetenzfülle der EU Demokratie nicht mehr nur allein auf Ebene der Mitgliedstaaten zu verwirklichen, sondern müsse unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments auch auf europäischer Ebene optimiert werden. Der offensive Ansatz fordert keinen Integrationsstopp sondern eine Intensivierung der Integration. Durch den konsequenten Ausbau des eigenständigen Legitimationsstranges mittels stetiger Stärkung der Rechtsstellung der Unionsbürger und des Europäischen Parlaments entwickle sich parallel auch der demokratische Unterbau in der EU. So realisiere sich auch auf europäischer Ebene eine lebendige Demokratie. Gegen den offensiven Ansatz wird der Einwand erhoben, dass die Gestaltungs- und Steuerungskraft des Rechts überschätzt werde. Die letzten beiden Jahrzehnte hätten gezeigt, dass institutionelle und strukturelle Reformen nicht zur Herausbildung der vorrechtlichen Voraussetzungen lebendiger Demokratie in der EU führen. Der pragmatische Ansatz sieht das Niveau demokratischer Legitimation und die Ausgestaltung des demokratischen Unterbaus in der EU angesichts deren Eigenart als supranationale Organisation als ausreichend an. Er verneint das Erfordernis weitreichender Veränderungen, wie sie der konservative und offensive Ansatz vorschlagen. Gegen den pragmatischen Ansatz wird der Einwand erhoben, dass er die Mängel des faktischen Status quo akzeptiere und zur Norm für die EU erhebe. Damit verharmlose er die Defizite, die sich mit jedem weiteren Integrationsschritt verstärkten. Der konstruktive Ansatz sucht Lösungen außerhalb des traditionellen dualistischen Legitimationssystems und fordert eine Ergänzung durch andere Legitimationskomponenten. Durch die Konzentration auf den punk-
106
1. Teil: Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung
tuellen Wahlakt spreche das dualistische Legitimationssystem jeglicher anderer Beteiligungsform der Bürger an der hoheitlichen Willensbildung legitimatorische Wirkung ab. Zudem ignoriere sie neben bürgerschaftlicher Aktivität andere Legitimationselemente wie z. B. Akzeptanz, Sachkunde, Sachund Verfahrensrichtigkeit. Gegen den konstruktiven Ansatz wird der grundsätzliche Einwand erhoben, dass ein umfassendes stringentes Alternativmodell zur Vermittlung demokratischer Legitimation fehle. Die einzelnen Legitimationselemente könnten nur in beschränktem Maße innerhalb des traditionellen Systems demokratischer Legitimationsvermittlung Berücksichtigung finden. Der zweite Teil dieser Arbeit knüpft an den konstruktiven Ansatz an und untersucht insbesondere, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess als Element demokratischer Legitimationsvermittlung anerkannt werden kann.
2. Teil
Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU als komplementäre Legitimationsquelle Lange Zeit spielte in der Debatte um die Legitimations- und Demokratiedefizite der EU die unmittelbare Einbindung der Bürger als Individuen, als Teile der Zivilgesellschaft oder als Mitglieder organisierter Gruppen keine Rolle. Den Formen der partizipatorischen Demokratiekonzeption wurde keine legitimatorische Wirkung beigemessen. Die traditionellen Vorschläge setzen ausschließlich bei institutionellen Veränderungen im politischen Entscheidungssystem der EU an. Im Zentrum des Interesses stehen seit jeher das Europäische Parlament und dessen interinstitutionelles Zusammenspiel mit den anderen Rechtsetzungsorganen der EU, dem Rat und der Kommission. Trotz der teilweise gegenteiligen Stoßrichtung beharren diese Vorschläge, ob sie zum konservativen, offensiven oder pragmatischen Ansatz gehören, auf dem klassischen Modell der dualen Legitimation der EU. Demokratische Legitimation wird demnach, vom Bürger bzw. Staatsvolk ausgehend, ausschließlich durch den Wahlakt über die Parlamente vermittelt – einerseits über die nationalen Parlamente und Regierungen zum Rat hin und andererseits unmittelbar zum Europäischen Parlament hin. Bei der Suche nach Lösungsvorschlägen außerhalb dieses klassischen Systems der Legitimationsvermittlung richtet sich die aktuelle Diskussion vermehrt auf die unmittelbare Beteiligung von einzelnen Bürgern, von organisierten Gruppen und von der Zivilgesellschaft an den Rechtsetzungsverfahren in der EU. Ziel des zweiten Teils der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung, ob eine verstärkte Bürgerbeteiligung die demokratische Legitimation der Rechtsetzung in der EU erhöht und somit zur Kompensation oder zumindest zur Reduzierung der im ersten Teil der Arbeit festgestellten Legitimationsdefizite beitragen kann. Im ersten Kapitel werden Entwicklung und Arten der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung in der EU untersucht. Dabei wird auch auf die an den Rechtsetzungsverfahren beteiligten EU-Organe und ihre Rolle im Rahmen der Bürgerbeteiligung eingegangen. Im zweiten Kapitel werden die im Rahmen des Governance-Prozesses und des Verfassungsvertrages gemachten Vorschläge dargestellt und bewertet. Im dritten Kapitel werden die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung als Legitimationselement formuliert. Dabei wer-
108
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
den konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung eines rechtlichen Rahmens für die Bürgerbeteiligung aufgestellt. 1. Kapitel
Entwicklung und Status quo der Bürgerbeteiligung Im ersten Kapitel erfolgt die Darstellung der Entwicklung und des Status quo der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung in der EU. Vorab wird der Begriff der Bürgerbeteiligung für diese Arbeit bestimmt (unter A.). Danach wird die Entwicklung der Bürgerbeteiligung in der EU nachgezeichnet (unter B.). Anschließend werden die EU-Institutionen vorgestellt, welche die vorrangigen Kommunikationspartner für die Bürger sind (unter C.). Zuletzt werden die verschiedenen Arten der Bürgerbeteiligung systematisiert (unter D.).
A. Zum Begriff der Bürgerbeteiligung Das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis von Beteiligung als Mitwirkung am Prozess der Vorbereitung hoheitlicher Entscheidungen im Rechtsetzungsverfahren wird zunächst auf der Grundlage allgemeiner Begriffsbestimmungen (unter I.) herausgearbeitet und im Folgenden gegenüber den Formen der Entscheidung (unter II.) und der Mitwirkung am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess (unter III.) abgegrenzt. I. Beteiligung an der Ausübung legislativer Hoheitsgewalt Auch wenn der Partizipationsbegriff in der normativen Gesellschaftstheorie enger und anspruchsvoller ist als der Beteiligungsbegriff, werden beide Begriffe im Rahmen der vorliegenden Arbeit synonym verwendet.1 Die Begriffe der Partizipation und der Beteiligung sind – wie die der Demokratie und Legitimation – Gegenstand der Politik-, Sozialwissenschaft und der Rechtswissenschaft.2 Da beide Begriffe sowohl der Alltagssprache als auch der Fachsprache – zudem verschiedener Wissenschaften – entstammen ist die Anzahl an Begriffsbestimmungen riesig. Die dieser Arbeit zugrundeliegende Definition wird schrittweise durch Einschränkung umfassenderer Begriffsbestimmungen erarbeitet. 1 So Püttner, Bürgerbeteiligung, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 1, 889. Ebenso von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 66 m. w. N. 2 Zur partizipatorischen Demokratietheorie – als ein Haupttypus „beteiligungsorientierter Demokratietheorien“ – näher Schmidt, Demokratietheorien, 2000, 251 ff., und 2008, 236 ff. m. w. N.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
109
In den siebziger Jahren wurde in Deutschland intensiv die sog. Partizipationsdebatte geführt, die der Frage nachging, ob sich das Demokratiegebot nur auf die Ausübung von Hoheitsgewalt beschränkt oder auf den – u. U. gesamten – gesellschaftlichen Bereich zu übertragen sei.3 Damalige Definitionsversuche, wonach Partizipation allgemein die Teilnahme an Entscheidungsprozessen4 bzw. die Teilnahme am Willensbildung- und Entscheidungsprozess in allen Lebensbereichen5 umfasst, sind für die vorliegende Arbeit zu weit. Nach einer im Staats- und Verwaltungsrecht gebräuchlichen Definition bezeichnet Beteiligung die Teilhabe des Bürgers, bestimmter Gruppen oder Organisationen an hoheitlicher Herrschaftsausübung.6 Diese Definition schließt schon einmal die Beteiligung an Entscheidungsprozessen in gesellschaftlichen Subsystemen wie Unternehmen aus. Auch Personalkörperschaften wie Universitäten und sonstige funktionale Selbstverwaltungskörperschaften sind auszugrenzen. Da sich diese Arbeit auf die Beteiligung am Rechtsetzungsprozess, also auf die Ausübung legislativer Hoheitsgewalt, unter Ausschluss des Rechtumsetzungsprozesses, also der Ausübung exekutiver Hoheitsgewalt, konzentriert, ist der Begriff der Beteiligung noch enger zu fassen. Bürgerbeteiligung im Sinne dieser Arbeit zielt auf die über den Wahlakt hinausgehende Mitwirkung am Verfahren der Rechtsetzung ab7 und grenzt den weiten Bereich der Verwaltung aus.8 Dies betrifft vorrangig den auf lokaler und kommunaler Ebene bedeutsamen Bereich der Beteiligung am Verwaltungsverfahren.9 Aber auch die zahlreichen Formen der unmittelbaren Beteiligung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung sind nicht erfasst.10 Ebenso ausgeschlossen ist die Bürgerbeteiligung bei raumwirk3
Aus dieser Zeit stammen zahlreiche staats- bzw. verwaltungsrechtliche und politikwissenschaftliche Abhandlungen; z. B. Adrian, Demokratie als Partizipation, 1977; Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975; Hollihn, Partizipation und Demokratie, 1978; Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980. 4 Adrian, Demokratie als Partizipation, 1977, 53. 5 Hollihn, Partizipation und Demokratie, 1978, 13. 6 Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, 80. 7 Vgl. Püttner, Bürgerbeteiligung, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 1, 889, 890. 8 Nach Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, 76 f., erfasst „Partizipation“ in der Rechtswissenschaft hingegen gerade unterschiedliche Formen der Teilhabe an staatlichen Entscheidungsprozessen in der Verwaltung. Bemerkenswerterweise werden Formen der bloß faktischen Einflussnahme der Bürger auf die Ausübung von Staatsgewalt ausgenommen und nur rechtsförmliche, typischerweise gesetzlich geregelte als sog. institutionalisierte Teilhabearten einbezogen. 9 s. dazu Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, 111 ff.: „Das Verwaltungsverfahren wird zum Hauptanwendungsbereich der Partizipation.“
110
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
samen Planungsprozessen wie in der Bauleitplanung und im Planfeststellungsverfahren, die einen erheblichen Grad an Institutionalisierung und rechtlicher Verbindlichkeit erlangt hat.11 Die Konzentration auf die Ausübung legislativer Herrschaftsausübung grenzt den politisch-gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess nicht vollständig aus, sondern umfasst die Kommunikation mit den Institutionen und Organen der EU als den hoheitlichen Entscheidungsträgern, die auf Unionsebene für die Ausarbeitung der Entwürfe und für die Beratungen und Verhandlungen über die Entwürfe verantwortlich sind. Der Begriff der Beteiligung wird nicht auf die Teilnahme am eigentlichen Rechtsetzungsverfahren, das formell mit dem Einbringen eines Entwurfes eines Rechtsakts beginnt, begrenzt. Gerade der dem formellen Rechtsetzungs- und Entscheidungsverfahren vorgelagerte und vorbereitende Prozess steht im Mittelpunkt, in dem die Bürger ihre Meinungen und Interessen gegenüber den hoheitlichen Entscheidungsträgern in der EU artikulieren und kanalisieren.12 Dieser Prozess, in dem der politisch-gesellschaftliche Meinungsbildungsprozess mit dem hoheitlichen Willensbildungsprozess aufs engste verknüpft ist, stellt das Untersuchungsfeld dieser Arbeit dar. II. Abgrenzung zur Entscheidung Bürgerbeteiligung im Sinne dieser Arbeit schließt jegliche Art der Entscheidung durch den Bürger aus. Das bezieht sich zum einen auf alle traditionellen Formen der direkten Demokratie, wonach die Bürger formell die Entscheidung allein – ohne Mitwirkung hoheitlicher Institutionen – treffen (unter 1.). Zum anderen finden ebenfalls die Formen der Mitentscheidung der Bürger im Verbund mit hoheitlichen Institutionen bzw. Amtsträgern keine Berücksichtigung (unter 2.).
10 Püttner, Bürgerbeteiligung, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 1, 890; s. auch Schmitt Glaeser, Bürgermitwirkung (Kommunalrecht), in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 1, 895. 11 Püttner, Bürgerbeteiligung, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 1, 890. Eingehend dazu Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002. 12 Vgl. die Stellungnahme des EWSA „Die organisierte Zivilgesellschaft und europäische Governance – Beitrag des Ausschusses zur Erarbeitung des Weißbuchs“, 2001/C 193/21, ABl. C 193/117 v. 10.7.2001, Punkt 3.4: „Partizipation bedeutet die Möglichkeit, in einen nach demokratischen Grundsätzen ablaufenden Meinungsund Entscheidungsbildungsprozess gestaltend eingreifen zu können.“ Ähnlich die Stellungnahme des EWSA „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, 1999/C 329/10, ABl. C 329/30 v. 17.11. 1999, Punkt 5.2.1.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
111
1. Alleinentscheidung Wenn Bürger im Rahmen von Abstimmungen zu verbindlichen politischen Entscheidungen in einem Gemeinwesen berufen sind, ist dies Ausdruck unmittelbarer Demokratie, die einerseits einen eigenständigen Gegenentwurf zum Modell repräsentativer Demokratie bilden kann13 und andererseits lediglich ein komplementäres Element mittelbarer Demokratie darstellt.14 Während das Grundgesetz Volksbefragungen und -entscheide nur in einzelnen Fällen vorsieht15, stellen Referenden in vielen Mitgliedstaaten der EU eine bedeutende plebiszitäre Ergänzung der repräsentativen Demokratie dar.16 Auf kommunaler Ebene sind solche plebiszitären Elemente in der Form des Bürgerentscheids in zahlreichen Bundesländern institutionalisiert.17 Auf der Ebene der Bundesländer finden sie als Volksbegehren und Volksentscheid seltener Anwendung.18 Wenn auch der Ausgleich von Repräsentationsdefiziten ein übergreifendes Motiv darstellt, sind die mit der Durchführung der plebiszitären Elemente verbundenen Ziele durchaus unterschiedlich.19 Die Argumente, die für bzw. gegen die Einbindung plebiszitä13 Kern dieser Identitäts- und Unmittelbarkeitstheorien bildet die unmittelbare Selbstherrschaft der Bürger, nicht die Konstituierung und Legitimierung hoheitlicher Entscheidungsträger. Jegliche Form repräsentativer Theorie wird als defizitär empfunden und erfährt ihre Rechtfertigung nur aus den tatsächlichen Gegebenheiten großer Territorialstaaten. Gegen identitär-unmittelbare Demokratiemodelle sprechen sowohl theoretische wie praktische Gründe, s. Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 3, 6 ff.; Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG-Komm., C Art. 20 Rn. 6. 14 Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 23 f.; Dreier, JURA 1997, 249, 251. 15 Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ermöglicht die Durchführung von Abstimmungen, welche die praktisch kaum relevanten Fällen einer territorialer Neugliederung in den Art. 29, 118 und 118a GG betreffen. 16 Vgl. z. B. Art. 11 Abs. 1 der französischen Verfassung, der die Gegenstände nationaler Referenden abschließend aufzählt. Auf Grundlage dieses Artikels fanden beispielsweise die Referenden über die Direktwahl des Präsidenten (28.10.1962) und über den Vertrag von Maastricht (20.9.1992) statt. 17 Davon wird reger Gebrauch gemacht, s. Muckel, NVwZ 1997, 223 ff. Bürgerbegehren bzw. Bürgerinitiativen enthalten keine Entscheidungsbefugnisse der Bürger und können daher grundsätzlich vom Begriff der Beteiligung umfasst werden, vgl. Schuppert, AöR (102) 1977, 369, 379 ff. 18 Mittlerweile enthalten alle Landesverfassungen Rechtsgrundlagen für die Durchführung von Volksentscheiden; s. den Überblick bei Krause, § 35 Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 29. 19 Punktuelle Kontroll- und Oppositionsfunktion auf lokaler und regionaler Ebene; (Rück-)Übertragung von Entscheidungen mit herausragender Bedeutung auf die Bürger auf nationaler Ebene; s. Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 24.
112
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
rer Elemente in das repräsentative Entscheidungssystem sprechen, sind weithin ausgetauscht.20 Sinnvoll eingesetzt können direkt-demokratische Elemente ein belebendes Element für die demokratische Ordnung sein.21 Neue Impulse für Formen direkter Demokratie gehen von den wachsenden Möglichkeiten der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie aus, die nicht nur die Durchführung elektronischer Wahlen und Referenden sondern auch dialogische Verfahren betreffen, die eine Einbindung der Bürger in die Entscheidung über parlamentarische Entscheidungen ermöglichen.22 2. Mitentscheidung Im Rahmen der Mitentscheidung wird Bürgern die Möglichkeit eingeräumt, eine formelle Bindung des hoheitlichen Entscheidungsträgers an ihre Auffassungen zu begründen und somit den Inhalt der Entscheidung mitzubestimmen. Dies kann auch dadurch geschehen, dass einzelne Entscheidungsalternativen rechtlich bindend ausgeschlossen werden.23 Den im Rahmen von Anhörungen oder in schriftlicher Form erfolgenden Stellungnahmen von Sachverständigen und Beratern fehlt jegliche rechtliche Verbindlichkeit. Die formelle Entscheidungsverantwortung obliegt in den Rechtsetzungsverfahren allein dem hoheitlichen Entscheidungsträger. Daher fällt die Beratung und Bereitstellung von Informationen unter den Begriff der Beteiligung, nicht unter den der Entscheidung.24 Anders kann dies in 20 Die Befürworter erhoffen insbesondere eine stärkere Aktivierung der Bürger für die Belange des Gemeinwesens, vgl. Maurer, Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie, 1997; Dreier, JURA 1997, 252 f.; Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das GG, 1999. Die Gegner führen überwiegend historische, geistig-gesellschaftliche und gemeinwohlorientierte Einwände an, die auf einer Überhöhung des Repräsentativsystems beruhen; vgl. Krause, § 35 Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 46 ff. 21 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 58. 22 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 185, warnt vor einer Partizipationseuphorie. Um argumentativ vermittelbar und praktikabel zu sein, führe eine plebiszitäre „Demokratie per Knopfdruck“ zur Fragmentierung komplexer Entscheidungszusammenhänge. Eine verantwortliche Wahrnehmung von Entscheidungsrechten setze eine für die Reichweite der Entscheidungen und die Gefahr populistischer Einflussnahmen sensibilisierte Aktivbürgerschaft voraus sowie technische Fertigkeiten beim Umgang mit den neuen Medien und den Willen zu deren Gebrauch. 23 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 67; vgl. auch Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, 83. 24 Kritisch gegenüber diesem sog. „dezisionistischen“ Entscheidungsmodell Voßkuhle, § 43 Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 21; a. A. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, 22 f., 45 ff., 70 ff. Ausübung
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
113
speziellen Verwaltungsverfahren sein, in denen Beiräte und Gremien, die aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zusammengesetzt sind und die in die Vorbereitung hoheitlicher Entscheidungen einbezogen werden, verbindlich ein Mitentscheidungsrecht eingeräumt ist.25 In der realen Beratungspraxis beeinflussen sich Berater und hoheitliche Entscheidungsträger im Verlauf des Entscheidungsprozesses wechselseitig. Auf allen Stufen dieses Entscheidungsprozesses, so beispielsweise schon bei der frühzeitigen Festlegung der Ziele, aber auch bei der ständigen Suche nach Handlungsalternativen, werden die Vorstellungen des Entscheidungsträgers durch die Hinweise der Berater auf Interessenkonflikte, Interdependenzen, Handlungsmöglichkeiten und Realisierungsmöglichkeiten laufend neu präzisiert und modifiziert. Diese tatsächlichen Umstände finden aber keinen Eingang in die Bestimmung des Begriffes der Mitentscheidung, da die Entscheidung als Beschlussfassung ein punktueller Willensakt bleibt und nicht sämtliche Phasen umfasst, die bis zur tatsächlichen Beschlussfassung und Verkündung der Entscheidung führen.26 Einen Sonderfall stellt der soziale Dialog gemäß § 139 EG dar. Die auf Gemeinschaftsebene versammelten Sozialpartner haben im Rahmen autonomer Kollektivverhandlungen die Möglichkeit, als Entscheidungsträger in bestimmten Bereichen der Sozial- und Arbeitspolitik Vereinbarungen zu treffen, die in die gemeinschaftliche Sozialgesetzgebung übergehen.27 III. Abgrenzung zur Mitwirkung am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess Der Begriff der Mitwirkung hat gegenüber dem der Entscheidung Auffangcharakter. In allen Fällen, in denen Bürger nicht allein oder gemeinsam von Hoheitsgewalt sei in der Rechtsprechung des BVerfG „alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter“. Bloß vorbereitende und rein konsultative Tätigkeiten von Gremien seien davon grundsätzlich ausgeschlossen, da sie hoheitliche Herrschaft nicht „steuern“. Eine Steuerung sei zu bejahen, wenn die vorbereitende Tätigkeit den Inhalt eines Rechtsakts prägt und nur noch von Hoheitsorganen und Privaten gemeinsam geändert werden kann. Schwierig zu beurteilen seien „normvorbereitende Kooperationen“, z. B. das Aushandeln von Gesetzesentwürfen zwischen Regierung und Privaten. 25 Hartisch, Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip, 1975, 83 f., nennt z. B. Fernseh- und Rundfunkräte sowie Körperschaften der funktionalen Selbstverwaltung. 26 Nach dem „behavioristisch-rationalen“ Entscheidungsmodell bedeutet hingegen Beratung zugleich inhaltliche Mitentscheidung; vgl. Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, 86 f.; Voßkuhle, § 43 Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 22. 27 Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, § 139 EGV Rn. 1 ff.
114
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
mit einem Hoheitsträger Entscheidungen treffen, liegt eine Mitwirkung vor. Mitwirkung umfasst zum einen die Teilnahme der Bürger am gesellschaftlich-politischen Meinungsbildungsprozess, bei dem Bürger lediglich untereinander auf horizontaler Ebene kommunizieren. Zum anderen umfasst Mitwirkung die Teilnahme der Bürger am Prozess hoheitlicher Entscheidungsbildung und Entscheidungsvorbereitung, bei dem die Bürger – einzeln oder in Gruppen zusammengeschlossen – mit den am Rechtsetzungsverfahren beteiligten hoheitlichen Institutionen auf vertikaler Ebene kommunizieren. Die Mitwirkung am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess fällt nicht unter den Beteiligungsbegriff dieser Arbeit, da die direkte Kommunikation mit einem hoheitlichen Entscheidungsträger und somit die direkte Teilhabe am hoheitlichen Entscheidungsprozess fehlt.28 Rechtliche Grundlage der Mitwirkung am politischen Meinungsbildungsprozess sind die auf nationaler wie auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene verbürgten Grundrechte, insbesondere die sog. demokratischen Grundrechte der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.29 Sie führen zur Formung einer öffentlichen Meinung und stellen als horizontale Kommunikations- und Interaktionsprozesse eine unabdingbare Voraussetzung einer lebendigen Demokratie dar.30 Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Beteiligung als Mitwirkung am hoheitlichen Prozess der Entscheidungsvorbereitung. Sie zielt auf unmittelbare Teilhabe am Rechtsetzungsverfahren ab und zwar auf den Prozess, der die formale Entscheidung vorbereitet. Entscheidend ist die unmittelbare Kommunikation zwischen Bürger und hoheitlichem Entscheidungsträger. Gesellschaftlicher und hoheitlicher Raum überschneiden sich bei diesem Kontakt. Zum Entscheidungsvorbereitungsprozess zählen die Phasen vom Erkennen des Problems bzw. des Regelungsbedarfs und seiner Definition über die Situationsanalyse, die Informationssammlung und -verarbeitung, den Entwurf eines (Lösungs-)Konzepts, die Formulierung von Alternativen einschließlich deren Bewertung, die gegenseitige Abwägung verbunden mit Rückfragung und abschließend die Formulierung der Wortlauts, über den letztlich entschieden wird.31 Für eine unmittelbare Kommunikation zwischen Bürger und Gesetzgeber bieten sich sämtliche Phasen der Entscheidungsfindung, insbesondere die der Informationssammlung an.32 28 Auch nach Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, 81, umfasst Partizipation nur das unmittelbare Einwirken auf hoheitliche Entscheidungsprozesse, so dass die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung nicht umfasst ist; ebenso Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), 179, 210. 29 Art. 5 und 9 GG (vgl. auch Art. II-71 und II-72 VV). 30 s. o. 1. Teil, 2. Kap., D. II. 31 Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, 87 f. 32 Hartisch, ebd., 88 f. m. w. N.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
115
IV. Ergebnis Die Begriffe Beteiligung und Partizipation werden hier synonym verwendet. Beteiligung bezeichnet im Rahmen dieser Arbeit die Mitwirkung der Bürger am Prozess der Entscheidungsvorbereitung im Rechtsetzungsverfahren. Durch die Beschränkung auf die Mitwirkung an der Ausübung legislativer Hoheitsgewalt werden der gesamte gesellschaftliche Bereich und die Ausübung exekutiver Hoheitsgewalt im weiten Bereich der Verwaltung ausgegrenzt. Beteiligung schließt jegliche Art der Entscheidung durch den Bürger in Form der Alleinentscheidung als Ausdruck direkter Demokratie oder in Form der Mitentscheidung aus. Da Beteiligung auf die direkte Kommunikation des Bürgers mit den hoheitlichen Entscheidungsträgern im Rechtsetzungsverfahren abzielt, umfasst sie auch nicht die Mitwirkung am bloßen gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess, der sich auf horizontaler Ebene zwischen den Bürgern abspielt.
B. Entwicklung der Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene Die Idee, die Bürger unmittelbar am Rechtsetzungsverfahren der EU zu beteiligen, ist nicht neu. Schon seit Anbeginn der europäischen Integration stehen Vertreter organisierter Personengruppen mit der Kommission, später auch mit dem Europäischen Parlament, auf unterschiedliche Weise – beispielsweise im Wege von formellen Anhörungen oder durch informelles Lobbying – in ständigem Kontakt und versuchen, dadurch auf den Inhalt des geplanten Rechtssatzes Einfluss zu nehmen. Der einzelne Bürger, dem naturgemäß sowohl die organisatorischen und finanziellen Mittel als auch das Know-how für eine selbständige, effektive Einflussnahme fehlt, wurde lange Zeit nicht als geeigneter Kommunikationspartner für die EU-Institutionen angesehen. Erst in den letzten Jahren bemühen sich vor allem die Kommission und der EWSA um die Einbindung von Bürgern als Individuen und als Mitglied von Gruppen in den Prozess der Setzung und des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts. Zudem zielen Vorschläge häufig auf die (organisierte) Zivilgesellschaft bzw. auf Organisationen der Zivilgesellschaft ab. Zusätzlich gibt es noch eine Vielzahl von Begriffen wie Interessenvertretungen, Lobbygruppen, Nichtregierungsorganisationen und Verbände, die ebenfalls in diesem Kontext als Arten organisierter Personengruppen verwendet werden, die sich jedoch jeweils untereinander mit Blick auf Zusammensetzung, Organisation und Funktion unterscheiden. Die Terminologie ist auch in den von den EU-Institutionen veröffentlichten Dokumenten nicht einheitlich. Der folgende Abschnitt strukturiert diese Begriffsvielfalt und stellt die Entwicklung der Beteiligung von Bürgergruppen (unter I.) und von der Zivilgesellschaft bzw. einzelnen Bürgern (unter II.) dar.
116
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
I. Beteiligung von Zusammenschlüssen von Bürgern Der historischen Entwicklung und der praktischen Bedeutung folgend, beginnt die Darstellung der Entwicklung der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsverfahren der EU mit der Beteiligung von Organisationen, Interessengruppen und sonstigen Zusammenschlüssen von Bürgern. In einem ersten Schritt werden dabei die verschiedenen Arten von Zusammenschlüssen von Bürgern anhand einiger wesentlicher Kriterien unterschieden (unter 1.). In einem zweiten Schritt folgt ein Überblick über die Beteiligung der organisierten Interessenvertretung am Rechtsetzungsprozess in der EU (unter 2.). 1. Arten von Zusammenschlüssen von Bürgern Zusammenschlüsse von Bürgern weisen erhebliche Unterschiede in Hinblick auf Zielsetzung, Betätigungsfeld und Organisationsgehalt auf. Im Folgenden wird zwischen organisierten, in den hoheitlichen Bereich wirkenden Gruppen [unter a)] und losen, auf den gesellschaftlichen Bereich beschränkten Bewegungen [unter b)] unterschieden. a) Organisierte, in den hoheitlichen Bereich wirkende Gruppen Entstehungsgrund und Ziel jedes Zusammenschlusses von Personen ist die Verfolgung eines Interesses. Der Begriff des Interesses ist weit zu verstehen.33 Er umfasst soziale, wirtschaftliche, politische, kulturelle und religiöse Belange. Die Vertretung eines Interesses kann auf den gesellschaftlichen Bereich beschränkt sein oder gegenüber hoheitlichen Entscheidungsträgern erfolgen. Für die vorliegende Arbeit sind allein organisierte Bürgergruppen von Bedeutung, die eine Einflussnahme auf hoheitliche Entscheidungsträger mit dem Ziel bezwecken, dass die von ihnen repräsentierten Interessen in der Entscheidung berücksichtigt werden.34 Damit scheiden aus dem Begriff der Interessengruppe die Personenzusammenschlüsse aus, deren Wirken auf den gesellschaftlichen Bereich beschränkt ist und die keinerlei Berührungspunkte mit dem politisch-administrativen System haben. 33 Zum Begriff des Interesses auch Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, 37 f., der zwischen materiellen und immateriellen sowie partikularen und allgemeinen Interessen unterscheidet. 34 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, 36 m. w. N., benutzt dafür den Begriff „aktivierte Interessen“.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
117
Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist der Organisationsgrad des Zusammenschlusses. Das Ziel einer nicht nur punktuellen Einflussnahme auf hoheitliche Entscheidungsträger erfordert eine konsolidierte Organisation. Dadurch unterscheiden sich solche Interessengruppen grundsätzlich von adhoc Vereinigungen und Aktionsgruppen wie Bürgerinitiativen. Die Abgrenzung ist oftmals fließend. Im Folgenden werden einige Bezeichnungen für Gruppierungen erläutert, die beide Merkmale der Einflussnahme auf hoheitliche Entscheidungsträger und des Organisationsgehalts aufweisen. Der in der deutschen Staats- und Verfassungslehre sowie in Politik- und Sozialwissenschaften als Fachbegriff etablierte Verband definiert sich über das Merkmal der Einflussnahme auf politische Institutionen. Verbände sind nicht-hoheitliche Vereinigungen, die wirtschaftliche, soziale, kulturelle oder politische Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen und die hoheitlichen Entscheidungsträger zur Berücksichtigung der von ihnen vertretenen Interessen zu beeinflussen versuchen. Ein Verband weist einen sehr hohen Organisationsgrad auf, ist auf Dauer angelegt und verfügt über eine innere Ordnung in Gestalt einer Satzung bzw. eines Statuts.35 Handelt es sich um einen europäischen Dachverband, sind die einzelnen Mitglieder nationale Organisationen, die über eine ausdifferenzierte interne Organisationsstruktur verfügen können.36 Der Dachverband selbst verfügt ebenfalls über eine eigene gefestigte Organisationsstruktur37 und teilweise beachtliche finanzielle und personelle Ressourcen.38 Der amerikanische Begriff der pressure group bezeichnet ursprünglich die als Verbände organisierten Interessengruppen. Vom Wortlaut her liegt die Betonung auf der Aktivität der Einflussnahme auf die hoheitlichen Entscheidungsträger und nicht auf die Vertretung von Interessen wie bei dem ähnlichen Begriff der interest group. Der Begriff der „Lobbygruppe“ leitet sich von Lobbyismus ab, der „eine Technik der Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch Außenstehende bezeichnet“39. Somit liegt die 35
Schmitt Glaeser, Verbände, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, 4397; Horn, § 41 Verbände, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 5. Zur Rechtsnatur des Verbandes in der deutschen Rechtsordnung, s. Grimm, § 15 Verbände, in: Benda, Hdb VerfR, Rn. 1; vgl. für Frankreich das Verbandsgesetz vom 1. Juli 1901 (loi relative au contrat d’association in der konsolidierten Fassung vom 29. Juli 2005 unter http://www.legifrance.gouv.fr/texteconsolide/AAEBG.htm), Art. 5 Abs. 2 S. 3. 36 Zur komplizierten internen Willensbildung bei europäischen Dachverbänden s. Platzer, in: Weidenfeld (Hrsg.), Europa-Handbuch, 2002, 410, 416 f. 37 s. Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 23 (1992), 81, 95. 38 Die Bandbreite reicht vom Ein-Mann-Büro bis zum 50-Mitarbeiter starken Sekretariat in Brüssel. 39 Schmitt Glaeser, Lobbyismus, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, 2758. Der Begriff der Lobby (Vorhalle) bezeichnet im parlamentarischen
118
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Betonung auf der Aktivität des Einwirkens auf hoheitliche Entscheidungsträger. Ebenso erfolgt diese Einwirkung allein mit dem Ziel, den von ihnen vertretenen Interessen mehr Gewicht im Rechtsetzungsprozess zu verleihen. Daher sind die beiden Begriffe der Lobbygruppe und der pressure group synonym zu gebrauchen. Auch wenn der Begriff des Lobbyismus ursprünglich allein die Beeinflussung von Parlamentsabgeordneten meint, umfasst er heutzutage auch die Einwirkung auf die den Entwurf eines Rechtsatzes ausarbeitenden Institutionen wie die Ministerien auf nationaler Ebene und die Kommission auf der EU-Ebene.40 Als Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organisations) werden Personengruppen bezeichnet, die uneigennützig immaterielle, allgemeinwohlorientierte – spezifische oder universelle – Interessen vertreten und nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind. Sie sind vor allem in den Bereichen der Entwicklungs- und humanitären Hilfe, Menschenrechte und des Umweltschutzes tätig, unterstützen aber auch die Anliegen von Familien, Rentnern, Arbeitslosen, Jugendlichen oder sozial Benachteiligten wie beispielsweise Obdachlosen.41 In der Regel sind ihre Aufgaben, Ziele und Tätigkeiten in einer Satzung, einem Statut oder einem ähnlichen Dokument festgelegt.42 b) Abgrenzung loser, gesellschaftlicher Bewegungen Von den genannten Personenzusammenschlüssen sind solche zu unterscheiden, welche die beiden Merkmale des Organisationsgehaltes oder des Einwirkens auf hoheitliche Entscheidungsträger nicht aufweisen. Personenzusammenschlüsse, die soziale Interessen verfolgen, werden unter dem Begriff der sozialen Bewegungen43 zusammengefasst. Sie gründen sich zumeist auf einer sozialen Konfliktsituation und besitzen einen ausgeprägten sozialen Gestaltungswillen, der mit einem weitreichenden bis totalen Veränderungsanspruch verbunden sein kann. Dabei sind sie durch ein lockeres Sprachgebrauch die Wandelhalle im Parlamentsgebäude, in der man die Abgeordneten treffen und auf sie einwirken konnte. 40 Schmitt Glaeser, Lobbyismus, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, 2758. Vgl. Crombez, EUP 2002, 7, 10 ff. 41 Furtak, NGOs im politischen System der EU, 2001, 71. 42 In dem Diskussionspapier „Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Nichtregierungsorganisationen“ KOM(2000) 11 endg. v. 18.1.2000, 3 f., listet die Kommission typische Merkmale von Nichtregierungsorganisationen auf, wobei sie deren sehr unterschiedlichen Ziele und Strukturen betont. 43 Zum Ursprung des Wortes s. Rucht, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 51 f.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
119
Mobilisierungsgeflecht gekennzeichnet, ohne einen gesteigerten Organisationsgehalt aufzuweisen.44 Soziale Bewegungen beschränken ihre Aktivität auf den gesellschaftlichen Wirkungskreis.45 Bürgerbewegungen, die auch kulturelle oder politische Ziele verfolgen, können auch auf direkte Kommunikation mit hoheitlichen Entscheidungsträgern abzielen, vorrangig auf kommunaler und lokaler Ebene. Non-profit groups werden begrifflich zum „Dritten Sektor“ zusammengefasst, der private Organisationen umfasst, die wie der Staat Güter und Leistungen im öffentlichen Interesse erstellen und somit „primär als institutionelle Alternative zu einer staatlichen Wohlfahrtsproduktion“ erscheinen.46 In jüngerer Zeit rückt die Fähigkeit dieser Organisationen in den Vordergrund, gesellschaftliche Partizipationschancen in Form bürgerschaftlichen Engagements zu eröffnen und durch die Weitergabe bestimmter Werte und Normen Sozialisationsfunktionen zu übernehmen.47 Der Organisationsgehalt dieser Gruppen ist von höchst unterschiedlicher Intensität. Entscheidend ist, dass die Einwirkung auf die hoheitlichen politischen Entscheidungsträger kein Ziel ihrer Tätigkeit darstellt. Dem Charakter als Dienstleister entsprechend bleibt ihr Wirkungskreis auf den gesellschaftlichen Bereich beschränkt. Diese losen, gesellschaftlichen Bewegungen unterfallen ausnahmsweise dem Begriff der Bürgerbeteiligung, falls sie das Ziel verfolgen, ein Rechtsetzungsvorhaben zu verhindern oder zu unterstützen und zu diesem Zweck Einfluss auf hoheitliche Entscheidungsträger ausüben und z. B. mit der Kommission in Kontakt treten. c) Ergebnis So unterschiedlich die Terminologie der Bürgergruppen auch ist, lassen sich die für die vorliegende Arbeit relevanten Personenzusammenschlüsse anhand zweier Hauptkriterien bestimmen: Gruppen, die einen gewissen Organisationsgehalt besitzen und die Einflussnahme auf hoheitliche Entscheidungsträger zur Durchsetzung ihrer Interessen beabsichtigen. Lose, auf den gesellschaftlichen Bereich beschränkte Bewegungen weisen diese beiden Merkmale in der Regel nicht auf.
44
Rucht, ebd., 51, 58. Rucht, ebd., 51, 55, 58, bezeichnet sie als „Außenseiter“, die kaum über institutionalisierte Zugänge zum Entscheidungssystem verfügen. 46 Anheier/Priller/Zimmer, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 71 m. w. N. 47 Anheier/Priller/Zimmer, ebd., 71 f. 45
120
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
2. Entwicklung der Beteiligung der organisierten Interessenvertretung Von Anbeginn der europäischen Integration haben Personenzusammenschlüsse versucht, ihre Interessen unmittelbar in die politischen Entscheidungsprozesse der Europäischen Gemeinschaften einzubringen. Die voranschreitende wirtschaftliche und politische Integration, die mit der Vergemeinschaftung zahlreicher Politikbereiche einherging, sowie die besondere Aus- und Umgestaltung des politisch-institutionellen Entscheidungssystems hatte eine beständige Anpassung der Strukturen, Ebenen und Aktivitäten organisierter Interessenvermittlung zur Folge.48 Während sich die Rechtswissenschaft für dieses Phänomen aufgrund fehlender normativer Grundlagen kaum interessierte und sich auf die parlamentarische Interessenrepräsentation konzentrierte, zeigten die Politikwissenschaften wegen der faktischen Relevanz des Phänomens für das politisch-administrative Entscheidungssystem seit längerem ein reges Interesse.49 Die meisten Studien sind empirischer, deskriptiver Natur. Die wenigen analytischen Untersuchungen beschränken sich auf ausgewählte sektorale Bereiche mit wechselnden theoretischen Perspektiven.50 Aus historischer Perspektive passte sich die organisierte Interessenvertretung an die Gründung der Europäischen Gemeinschaften und ihre Kompetenzzuwächse an [unter a)]. Parallel bildete sich eine doppelte Vertretungsstruktur auf europäischer Ebene heraus, die aus europäischen Dachorganisationen und individuellen Vertretungsbüros bestand [unter b)]. Organisationsgrad und Arbeitsfelder der organisierten Interessenvermittlung wurden kontinuierlich ausgebaut [unter c)]. Strukturell sind Produzenteninteressen traditionell am stärksten vertreten [unter d)]. 48
Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410. s. z. B. Bär, Einflussmöglichkeiten von Umweltverbänden, 1996; Buholzer, Legislatives Lobbying in der EU, 1998; Cassidy, European Lobbying Guide, 1999; Clamen, Le Lobbying et ses secrets, 2000; Clayes u. a., Lobbying, Pluralism and European Integration, 1998; Farnel, Le lobbying, 1994; Fischer, Lobbying und Kommunikation in der EU, 2005; Furtak, NGOs im politischen System der EU, 2001; Greenwood, Representing interests in the EU, 2003; Gündisch/Mathijsen, Rechtsetzung und Interessenvertretung in der EU, 1999; Joos, Interessenvertretung deutscher Unternehmen bei den Institutionen der EU, 1998; Lahusen, Lobbying als Beruf, 2001; Pfeiffer, Eurolobbyismus, 1995; van Schendelen, The Art of Lobbying the EU, 2002; Teuber, Interessenverbände und Lobbying in der EU, 2001; Vayssière, Groups de pression en Europe, 2002. 50 Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 23 (1992), 81 f., begründet das Fehlen eines Gesamtbildes der europäischen Interessenvertretung in der Politikwissenschaft damit, dass dieses Phänomen zwischen zwei verselbständigten Teilgebieten liege – der Integrationsforschung als Spezialfall der Internationalen Beziehungen sowie der mit der vergleichenden Regierungslehre verbundenen Verbandsforschung. 49
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
121
a) Strukturelle Anpassung an das wachsende Machtzentrum Brüssel Das Phänomen, dass die Interessenorganisationen ihre Strukturen den für sie maßgeblichen politischen Entscheidungsorten anpassen51, zeigte sich schon mit Gründung der EGKS 1951, woraufhin sich die nationalen Stahlverbände der sechs Gründerstaaten zum Klub der Stahlhersteller zusammenschlossen.52 Auch die Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 setzte eine Welle von Gründungen zahlreicher Dachverbände in den Bereichen Industrie, Landwirtschaft, Handel und dem produzierendem Gewerbe allgemein in Gang und verdeutlicht die organisatorische und geographische Sogwirkung, die von der europäischen Integration auf die Interessenvermittlung ausging.53 Die Ausweitung der gemeinschaftlichen Politikbereiche auf beispielsweise den Verbraucher- und Umweltschutz führte zur Gründung entsprechender europäischer Organisationen (Europäischer Verbraucherbund BEUC und Europäisches Umweltbüro EEB 1974) in den siebziger Jahren.54 In den Zeitraum der ersten Hälfte der siebziger Jahre fiel auch der durch die Vollendung der Zollunion mit dem Übergang zur „positiven Integration“ ausgelöste zweite politisch-institutionelle Entwicklungsschub für die Fortentwicklung der organisierten Interessenvermittlung auf europäischer Ebene.55 Die wirtschaftlich-politische Intensivierung der europäischen Integration in den achtziger Jahren, die durch die Einheitliche Europäische Akte mit der Zielsetzung der Vollendung des Binnenmarktes ausgelöst wurde, führte als dritter politisch-institutioneller Entwicklungsschub einerseits wiederum zu zahlreichen Gründungen neuer europäischer Interessenorganisationen, andererseits auch zu einer erheblichen Ausweitung der personellen und räumlichen Ressourcen existierender europäischer Interessenorganisationen.56 51 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 414; Kohler-Koch, PVSSonderheft 23 (1992), 81, 107 f.; eine Darstellung über französische Wirtschaftsbände gibt Quittkat, ZPol 2003, 1961 ff. 52 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 412. 53 Platzer, ebd., 410, 412. So entstanden von den gegenwärtig über 400 auf europäischer Ebene zusammengeschlossenen Organisationen der Privatwirtschaft allein 255 im Zeitraum zwischen 1958 und 1968; die Hälfte davon in den ersten beiden Jahren nach Gründung des Gemeinsamen Markts. 54 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 413. 55 Kohler-Koch, in: dies./Jachtenfuchs, Regieren im Mehrebenensystem, 1996, 193, 198. 56 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 413; ebenso Eising/ Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 25 (1994), 175; vgl. auch Gündisch/Mathijsen, Rechtsetzung und Interessenvertretung in der EU, 1999, 172 ff.; eine Übersicht bei Gray, in: Claeys, Lobbyisme, Pluralisme et intégration européenne, 1998, 281, 282 ff.
122
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
b) Zwischen Konzentration und Fragmentierung Die von Brüssel ausgehende Sogwirkung führte zunächst allein zum Zusammenschluss von bereits auf nationaler Ebene zu Verbänden geeinten Unternehmen zu transnationalen Dachverbänden wie Fach- und Branchenverbänden der Wirtschaft, Agrar-, Umweltschutz- und Verbraucherverbänden sowie Gewerkschafts- und Wohlfahrtsverbänden.57 In einer zweiten Phase setzte der noch immer anhaltende Trend ein, dass einzelne international tätige Unternehmen, aber auch nationale Verbände oder infranationale Gebietskörperschaften eigenständige Verbindungsbüros in Brüssel aufbauen.58 Ein weiteres, nunmehr schon zwei Jahrzehnte altes Phänomen ist die Niederlassung kommerzieller Lobbyagenturen und Beratungsunternehmen, die sich ausschließlich auf die Vermittlung individueller Interessen und den wechselseitigen Austausch von Informationen zwischen EU-Institutionen und den Klienten der consultancies – zumeist wirtschaftliche Unternehmen und Organisationen – spezialisiert haben.59 Die Gründung sog. Verbindungsbüros einzelner Unternehmen und Organisationen sowie spezifischer Beratungsunternehmen führte zu einer zunehmenden Pluralisierung und Individualisierung der Interessenvertretung auf europäischer Ebene.60 Die doppelte Vertretungsstruktur wird beständig ausgebaut. Zum einen erhöhen die Dachorganisationen nationaler Interessengruppen ihre Ressourcen und ihren Aktionsgrad61, zum anderen entscheiden sich immer mehr nationale Unternehmen und Organisationen zur Gründung und zum Ausbau eigener Verbindungsbüros in Brüssel.62 Teilweise kommt es auch wieder zu einer Konsolidierung und Konzentration der ausdifferenzierten Interessengruppenlandschaft63, da eine zu fragmentierte Struktur der Interessenvertretung einer effektiven Einflussnahme auf die EU-Institutionen entgegensteht. Allerdings kann die ausgeprägte Heterogenität von Organisationen und Unternehmen mit ähnlicher Interessenlage Zusammenschlüsse in einem Dachverband erschweren.64 Die durch ein eigenes Verbindungsbüro gesicherte 57
Vgl. Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 412. Eising/Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 25 (1994), 175. 59 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, spricht von rund 250 solcher Beratungsbüros; s. auch Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 23 (1992), 81, 107, und Lahusen, JEPP 2002, 695 ff. 60 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 420; Eisig/Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 25 (1994), 175. 61 Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 23 (1992), 81, 94, stellt aber auch eine Abnahme der Organisationsbereitschaft nationaler Verbände auf europäischer Ebene fest. 62 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 421. 63 Eising/Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 25 (1994), 175, 178. 58
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
123
individuelle Interessenvermittlung erlaubt hingegen dem betroffenen Unternehmen eine speziell auf seine Interessen abgestimmte Vorgehensweise, die aufgrund der im Detail divergierenden Interessen teilweise als notwendig angesehen wird. Als eine Alternative bilden sich in der Praxis projektbezogene Kooperationen einzelner Akteure (Unternehmen, nationale Verbände) an den umfassenden europäischen Dachverbänden vorbei.65 Diese Vorgehensweise erlaubt den beteiligten Organisationen eine punktuelle, nachhaltige und homogene Interessenvertretung gegenüber den EU-Institutionen. Schwankenden Schätzungen zufolge verfügen mehr als 2600 Interessengruppen über ein eigenes permanentes Verbindungsbüro in Brüssel.66 c) Ausbau von Organisationsgrad und Arbeitsumfang Die mit dem dynamischen wirtschaftlichen und politischen Integrationsprozess einhergehende Entwicklung der Arbeitsweise und des Organisationsgrades der Interessenvermittlung auf europäischer Ebene kann in vier Stufen nachgezeichnet werden.67 In den fünfziger und sechziger Jahren herrschte der Typus des round table vor, der sich im Wesentlichen auf einen multilateralen Informationsaustausch unter den teilnehmenden Organisationen beschränkte. Die siebziger und achtziger Jahre waren durch den Typus der Allianz geprägt, der zusätzliche Aufgaben der Koordination und Kooperation ohne aktive Einflussnahme erfüllte. Im Prozess der Vollendung des Binnenmarktes formten sich in einzelnen Interessenorganisationen der Typus der transnational pressure group heraus, der spezielle Interessen auf europäischer Ebene bündelte und aktiv durch gemeinsame Aktionen gegenüber den EU-Institutionen vertrat. Inzwischen tritt zunehmend der Typus der transnationalen intermediären Organisation hervor, der als weitgehend autonomer transnationaler Akteur die nationalen Suborganisationen führt und kontrolliert.68 Die Aufgabenstellung der in Brüssel ansässigen Verbindungsstellen hat sich parallel weiterentwickelt. Die traditionelle, als service function bezeichnete Aufgabe ist die möglichst frühzeitige Information der nationalen 64 Zu den Kriterien, die eine Interessenvertretung durch kollektives Handeln begünstigen oder behindern, s. Kohler-Koch, in: dies./Jachtenfuchs, Regieren im Mehrebenensystem, 1996, 193, 194 f. 65 Eising/Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 25 (1994), 175, 188. 66 Europäisches Parlament, Lobbying in the EU, 2003, iii. 67 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 415. 68 Platzer, in: Weidenfeld, Europa-Handbuch, 2002, 410, 415; s. auch die Untersuchung von Bouwen, JEPP 2002, 365 ff.
124
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Mitglieder der Dachorganisation oder des einzelnen Unternehmens über die für sie relevante, geplante und laufende Rechtsetzungs- und Rechtumsetzungsaktivität der Europäischen Gemeinschaft. Daran schließt sich nunmehr die als lobbying function bezeichnete Aufgabe an, politische Positionen zu formulieren und sie gegenüber den EU-Institutionen zwecks Einflussnahme auf die Entscheidungsprozesse in der EU zu vertreten.69 d) Segmentierung der Politikbereiche – Vorrang von Produzenteninteressen Die Politikbereiche, die in der Zuständigkeit der EU liegen, sind durch eine starke, funktional gegliederte Segmentierung gekennzeichnet.70 Rechtsgrundlage, Umfang der Rechtsetzungsbefugnisse, Natur der Rechtsakte und Art des Rechtsetzungsverfahrens71 variieren von Politikbereich zu Politikbereich. Die Aktivität von Interessengruppen variiert je nach Politikbereich. Produzenteninteressen, insbesondere die der Industrie, sind weiterhin – wenn auch mit abnehmender Tendenz – stark überrepräsentiert. Demgegenüber steht die verhältnismäßig schwache Vertretung von sozialen und gesellschaftlichen Interessen, die auch durch die spätere Übertragung der entsprechenden Kompetenzen auf die europäische Ebene begründet ist. Ein weiterer zentraler Grund für dieses Missverhältnis ist die schwache Organisationsfähigkeit sozialer Interessen. Neben dem bedeutenden zahlenmäßigen Übergewicht wiegt die bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Produzenteninteressen bei den Bemühungen um eine effektive Einflussnahme auf die EU-Institutionen schwer.72 Die Voraussetzungen bei der Interessenvertretung vor den EU-Institutionen sind somit höchst ungleich. Jedoch bestimmt die bloße Leistungsstärke der Organisationen nicht allein die potentielle Effektivität und Effizienz ihrer Einflussnahme. Dies hängt von zahlreichen Kriterien in Vorbereitung und Verlauf der Tätigkeit der Einflussnahme ab.73 69 Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 23 (1992), 81, 96; Europäisches Parlament, Lobbying in the EU, 2003, iii. 70 Kohler-Koch, in: dies./Jachtenfuchs, Regieren im Mehrebenensystem, 1996, 193, 210. 71 Dadurch variiert auch die Rolle der am Rechtsetzungsverfahren beteiligten EUInstitutionen, zuvörderst ist das Europäische Parlament zu nennen. 72 Kohler-Koch, PVS-Sonderheft 23 (1992), 81, 96 f.; Schneider/Baltz, ZSE 2003, 199, 202 ff. 73 Über die Wirksamkeit der Interessenvermittlung wurden zahlreiche Studien angefertigt, die teilweise ausdrücklich als „Lobby-Guide“ tituliert sind; s. Burson-Marsteller, A Guide to Effective Lobbying of the European Commission, 2003; dies., A Guide to Effective Lobbying of the European Parliament, 2001; Cassidy, European
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
125
e) Ergebnis Der historisch-strukturelle Überblick hat drei prägende Entwicklungsstränge der organisierten Interessenvermittlung auf europäischer Ebene nachgezeichnet. Erstens richten sich Ort und Struktur der Interessenvermittlung auf Brüssel als Zentrum des politischen Entscheidungssystems der EU und Sitz der Institutionen aus. Zweitens bewegt sich die organisierte Interessenvermittlung zwischen einer einheitlichen Vertretung durch den Zusammenschluss nationaler Verbände und Organisationen zu einem europäischen Dachverband und einer individuellen Vertretung durch die Eröffnung zumeist zusätzlicher eigener Verbindungsbüros in Brüssel. In diesem Spannungsfeld gründen sich zunehmend selbständige Lobbyagenturen und Beratungsunternehmen sowie punktuelle, auf ein konkretes Projekt bezogene Zusammenschlüsse von nationalen Verbänden und Unternehmen. Mit dem Kompetenzzuwachs der EU wachsen die Aufgabenfelder der in Brüssel ansässigen Vermittlungsbüros und damit auch ihr Personalbestand an. Der Organisationsgrad der Interessenvertretung hängt stark von dem jeweiligen Politikbereich ab. Traditionell sind Produzenteninteressen gegenüber sozialen Interessen überrepräsentiert. II. Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger Auf die Darstellung der Beteiligung organisierter Bürgergruppen am Rechtsetzungsverfahren der EU folgt nun die Darstellung der Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger als Individuen. Vorab wird der Begriff der Zivilgesellschaft bestimmt (unter 1.). Anschließend folgt ein Überblick über die Entwicklung der Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger als Individuen am Rechtsetzungsprozess in der EU (unter 2.). 1. Zum Begriff der Zivilgesellschaft Der Begriff der Zivilgesellschaft war ursprünglich Gegenstand der Sozialwissenschaften.74 In der Rechtswissenschaft spielte der Begriff lange Lobbying Guide, 1999; Clamen, Le Lobbying et ses secrets, 2000; Farnel, Le lobbying, 1994; van Schendelen, The Art of Lobbying the EU, 2002. 74 s. zum Begriff der Zivilgesellschaft allgemein z. B. Cohen/Arato, Civil Society and Political Theory, 1992; Seligman, The Idea of Civil Society, 1992; Ehrenberg, Civil Society, 1999; Chambers/Kymlicka, Alternative Conceptions of Civil Society, 2002; Baker, Civil Society and Democratic Theory, 2002. s. zur Entstehung einer globalen Zivilgesellschaft z. B. Walzer, Towards a Global Civil Society, 1995; Salamon, Global Civil Society, 1999; Florini, The Rise of Transnational Civil Society, 2000; Colás, International Civil Society, 2002.
126
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Zeit keine Rolle, tauchte in den letzten Jahren aber zunehmend im Kontext der EU auf.75 Die Vielschichtigkeit des Begriffes begünstigt seine Popularität und Gebräuchlichkeit, macht aber eine allgemein akzeptierte, knappe Begriffsbestimmung unmöglich.76 So hat Ehrenberg festgestellt77: „Part of the problem is that civil society is an unavoidably nebulous and elastic conception that does not easily lend itself to a great deal of precision.“
Man kann sich dem Begriff der Zivilgesellschaft aus unterschiedlichen Blickwinkeln nähern.78 Die folgenden Ansätze verbinden drei Perspektiven miteinander, die jedoch nicht isoliert nebeneinander stehen.79 Erstens kann man sich der Zivilgesellschaft aus einer historischen-soziologischen Perspektive nähern und sie als einen gesellschaftlichen, nicht-hoheitlichen Raum betrachten [unter a)]. Zweitens kann man einer deskriptiv-assoziativen Betrachtungsweise folgend die Gesamtheit an Bürgergruppen als personelle Komponenten der Zivilgesellschaft bestimmen [unter b)]. Drittens kann man die funktionale Rolle der Zivilgesellschaft als Vermittlerinstanz im sozio-politischen System untersuchen [unter c)]. a) Zivilgesellschaft als nicht-hoheitlicher Raum Ihren Ursprung findet das Konzept der Zivilgesellschaft bei den Philosophen Aristoteles und Cicero, denen zufolge die Zivilgesellschaft den gesamten Bereich der politischen Gesellschaft umfasste, die von den in einer Gemeinschaft zusammenlebenden Menschen gebildet wurde.80 Der Begriff der Zivilgesellschaft war zu jener Zeit noch eins mit dem politischen, öffentlichen Raum und eng mit dem Begriff des Gemeinwohls verbunden. Ausgeschlossen wurde nur der heute als Privatsphäre gekennzeichnete Raum der Haushalts- und Familienführung.81 75
So organisierte z. B. das Europäische Hochschulinstitut in Florenz im Juni 2002 einen Workshop zum Thema Law and Transnational Civil Society, dessen Ergebnisse in einer Sonderausgabe des European Law Journal veröffentlicht wurden, s. ELJ Vol. 9, No. 4, September 2003. 76 Anheier/Priller/Zimmer, in: Klingemann/Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie, 2000, 71, 74 f., mit einer Anzahl von Definitionsversuchen. 77 Ehrenberg, Civil Society, 1999, 234. 78 Curtin, Social & Legal Studies 2003, 55, 56. 79 Die folgende Einteilung geht ihrer Begrifflichkeit nach zurück auf Armstrong, ELJ 2002, 102, 106 ff., der aber diesen Begriffen inhaltlich teilweise andere Konzepte zuordnet. 80 Curtin, Social & Legal Studies 2003, 55, 57; vgl. auch EWSA, Stellungnahme „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, 1999/C 329/10, ABl. C 329/30 v. 17.11.1999, Punkt 3.2. 81 Goehring, in: Warleigh/Fairbrass, Influence and Interests in the EU, 2002, 118, 119.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
127
Ende des siebzehnten, Anfang des achtzehnten Jahrhunderts etablierte sich die Gegenüberstellung der öffentlichen, hoheitlichen Sphäre des sich herausbildenden politischen Gemeinwesens Staat und der privaten Sphäre, die alles Nichtstaatliche umfasste.82 Die Unterscheidung zwischen der öffentlichen – im Sinn von hoheitlichen – Sphäre einerseits und privater Sphäre andererseits hat einen liberal-normativen Anknüpfungspunkt in der Vorstellung, die Bürger durch Anerkennung von Grundrechten vor Angriffen bzw. Einmischung in die private Sphäre durch den Staat zu schützen.83 So werden die demokratischen Grundrechte der Meinungs-, Versammlungsund Vereinigungsfreiheit als normatives Gerüst einer Bürgergesellschaft angesehen.84 Die Zivilgesellschaft wurde von den Anhängern des Liberalismus als „Hort der individuellen Freiheit“ angesehen und sollte einen von Politik und Staat abgegrenzten gesellschaftlichen Bereich markieren.85 Gleichzeitig umfasste die Zivilgesellschaft nicht vollständig den privaten Raum, sondern löste sich – in Anlehnung an die antike Vorstellung – vom Individuum und der Familie ab. Die Zivilgesellschaft entwickelte sich zu einem Bindeglied mit mehr oder weniger ausgeprägtem Organisationsgehalt zwischen der dem Individuum vorbehaltenen Privatsphäre und dem hoheitlichen Raum.86 Umstritten war und ist die Frage nach der Einbeziehung der wirtschaftlichen Sphäre in die Zivilgesellschaft.87 Sieht man die Zivilgesellschaft konsequent als einen Raum an, der alles Nichthoheitliche umfasst, zählen neben sozialen auch wirtschaftliche Interessen dazu.
82
Armstrong, ELJ 2002, 102, 107. Armstrong, ebd. 84 EWSA, Stellungnahme „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, 1999/C 329/10, ABl. C 329/30 v. 17.11.1999, Punkt 3.7. 85 EWSA, ebd., Punkt 3.5 und 3.3. 86 A. A. Cohen/Arato, Civil society and political theory, 1992, 114 f. Den Autoren zufolge umfasst die Zivilgesellschaft als ein Raum der sozialen Interaktion zwischen Wirtschaft und Staat (civic space) neben dauerhaft organisierten Vereinigungen und losen bzw. spontanen Bürgerbewegungen auch den Intimbereich der Menschen (die Familie). Vgl. auch Curtin, Social & Legal Studies 2003, 55 (58). 87 Armstrong, ELJ 2002, 102, 108. Als ideologische Väter des wirtschaftlich-politischen Konzeptes der Zivilgesellschaft werden Marx und Gramsci angesehen, s. Boual, in: ders., Vers une société européenne, 1999, 13, 19. Curtin, Social & Legal Studies 2003, 55, 58, lehnt den Einschluss wirtschaftlicher Interessen ab. 83
128
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
b) Zivilgesellschaft und ihre Akteure Der deskriptive Ansatz geht von dem assoziativen Charakter der Zivilgesellschaft aus und stellt unmittelbar auf die lose oder dauerhaft zusammengeschlossenen Personengruppen ab, die in ihrer Summe die Zivilgesellschaft bilden. Dieser Ansatz geht auf den Grundsatz der Freiheit der Vereinigung (principle of association) zurück. Insbesondere in der amerikanischen politischen Theorie hat die Gruppenstruktur der Gesellschaft und die Bedeutung von Personengruppen für das Gemeinwesen eine lange Tradition. Die auf Bentley zurückgehende Gruppentheorie sieht in der Gruppe den natürlichen Ort der Aktivität eines jedes Individuums und teilt die ganze Gesellschaft in unterschiedliche Gruppen auf.88 Diesem Ansatz zufolge umfasst die Zivilgesellschaft nicht unmittelbar das Individuum und seine Aktivitäten, sondern nur die zu einer Gruppe zusammengeschlossenen Bürger. Häufig wird im aktuellen Diskurs auf die „organisierte Zivilgesellschaft“ Bezug genommen, die eine Einschränkung des assoziativen Ansatzes bedeutet. Umfasst werden davon lediglich solche Personengruppen, die eine gewisse dauerhafte Struktur aufweisen und somit über lose, spontane Zusammenschlüsse von Bürgern hinausgehen. Die Abgrenzung ist aber fließend, da auch eine Protestbewegung durchaus organisatorische Strukturen aufweisen kann. Curtin fasst unter dem Begriff der Zivilgesellschaft alle Organisationen zusammen, die Einfluss auf die hoheitlichen Entscheidungsträger ausüben.89 Diese Umschreibung greift auf die Merkmale zurück, die im vergangenen Abschnitt die für die vorliegende Arbeit relevanten Personenzusammenschlüsse kennzeichnete. Zivilgesellschaft wird in diesem Sinn weder als ein eigenständiger, übergreifender Raum aufgefasst, noch werden nicht organisierte Bürger und deren Interessen berücksichtigt. Fasst man unter diesem Begriff nur organisierte Bürgergruppen zusammen, ist die Zivilgesellschaft weder ein Synonym für die Gesamtbürgerschaft noch deren Repräsentant.
88 Steinberg, AöR (96) 1971, 465, 467, unter Hinweis auf das 1908 erschienende Werk Bentleys The Process of Government. Steinberg weist aber ebenfalls auf die Einwände hin, die gegen das Bemühen der Gruppentheorie erhoben werden, mit ihr alle politischen Erscheinungen zu erklären. 89 Curtin, Social & Legal Studies 2003, 55, 56: „organizations pressing government to act [. . .] lobby, political interest group, spezial interest group, voluntary association, pressure group, organized interest group, non-governmental organization, non-profit group, policy network, etc.“
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
129
c) Zivilgesellschaft als Vermittlungsinstanz Der funktionelle Ansatz bestimmt die Zivilgesellschaft über ihre Rolle als Vermittler zwischen Individuum und dem politisch-administrativen System in einem Gemeinwesen. Die Zivilgesellschaft ist der Vertreter der einzelnen Bürger gegenüber den hoheitlichen Entscheidungsträgern. Diese Betrachtungsweise knüpft einerseits an den assoziativen Ansatz an, da sich die Zivilgesellschaft aus Bürgergruppen bildet und nicht unmittelbar einzelne Individuen umfasst. Sie knüpft andererseits auch an den sphärischen Ansatz an, da die Zivilgesellschaft als eigenständiger Zwischenraum zwischen der Privatsphäre des Individuums und der öffentlichen Sphäre der hoheitlichen Entscheidungsträger vermittelt. Dabei stellt sie nicht die einzige Vermittlungsinstanz zwischen diesen beiden Sphären dar. So wird diese Funktion z. B. auch von politischen Parteien und Medien erfüllt.90 Aufgabe der Zivilgesellschaft ist es nicht nur, die in einer pluralistischen Gesellschaft existierenden vielfältigen Meinungen zu kanalisieren und sie in den hoheitlichen Entscheidungsprozess einzubringen. Diese Funktion erfüllen traditionell zuvörderst politische Parteien, die allerdings auf europäischer Ebene erst schwach ausgebildet sind.91 Die Zivilgesellschaft artikuliert vor allem Meinungen und Bedürfnisse der Bürger, die dann – durch Medien verstärkt – von Parteien aufgegriffen werden. Die Zivilgesellschaft ist mit anderen Worten Ort kollektiver Willensbildung und zugleich Verstärker und Transmitter dieser Meinungen, Bedürfnisse und Interessen der einzelnen Bürger. Die Zivilgesellschaft ist für die Durchdringung von gesellschaftlicher Meinungsbildung und hoheitlicher Willensbildung verantwortlich. So treten sie auch mit den hoheitlichen Entscheidungsträgern in direkten Kontakt und bringen das Anliegen der Bürger ohne die Vermittlung über die politischen Parteien in die politisch-administrativen Entscheidungsstrukturen ein. Die Zivilgesellschaft kommuniziert wechselseitig mit den einzelnen Bürgern und mit den hoheitlichen Entscheidungsträgern. d) Ergebnis Der Begriff der Zivilgesellschaft kann aus verschiedenen Perspektiven bestimmt werden. Der soziologischen Betrachtungsweise folgend stellt die Zivilgesellschaft einen gesellschaftlichen Raum dar, der einerseits von der Privatsphäre des einzelnen Bürgers und andererseits von der öffentlichen Sphäre des hoheitlichen Entscheidungshandelns abzugrenzen ist. Die per90 91
s. o. 1. Teil, 2. Kap., D. II. 2. s. o. 1. Teil, 2. Kap., B. II. 2.
130
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
sonelle Betrachtungsweise stellt auf Personengruppen als Bausteine der Zivilgesellschaft ab und fußt auf dem assoziativen, korporativen Charakter der Zivilgesellschaft. Die funktionelle Betrachtungsweise sieht die Zivilgesellschaft als Vermittler zwischen Individuum und den hoheitlichen Entscheidungsträgern im Gemeinwesen an mit der Aufgabe, die von den Bürgern gebildeten Meinungen zu bündeln und zu verstärken, um sie in das politisch-administrative System einzubringen. Die EU-Organe, insbesondere die Kommission und der EWSA, haben im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit den organisierten gesellschaftlichen Kräften jeweils ihre eigene Definition der Zivilgesellschaft entwickelt, die im Folgenden dargestellt werden. 2. Entwicklung der Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger Bei der Einbindung der Zivilgesellschaft und der Bürger als Individuen in die Rechtsetzungsverfahren in der EU, spielen zwei Organe eine herausragende Rolle: die Kommission [unter a)] und der EWSA [unter b)]. a) Konzept der Kommission In einzelnen Politikbereichen unterhält die Kommission seit der Binnenmarktsoffensive in den achtziger Jahren verstärkt regelmäßige, formelle wie informelle Kontakte mit einzelnen organisierten gesellschaftlichen Kräften.92 Erster Ausdruck der Bemühungen der Kommission, diese Kontakte zu stärken und zu regulieren, war die Mitteilung „Ein offener und strukturierter Dialog zwischen der Kommission und speziellen Interessengruppen“93 vom 2. Dezember 1992. In ihrem Bemühen, Interessengruppen in die Ausarbeitung der Gemeinschaftspolitiken einzubunden, um vor allem technische Informationen und Anregungen zu erhalten, beabsichtigte die Kommission die Beziehungen zu den Interessengrupper „mit Hilfe einer minimalen Struktur transparenter“ zu gestalten. Leitlinien für die künftigen Beziehungen sollten sein: erstens Offenheit nach dem Grundsatz der Bürgernähe, zweitens Bemühungen um die gleiche Behandlung aller Interessengruppen und die Gewährung der Möglichkeit zur Anhörung für alle Interessengruppen, drittens Klarstellung, welche Interessengruppe wen vertritt, viertens Flexibilität der Kommission bei möglicherweise notwendigen Anpassungen der Konsultationspraxis und fünftens Einfachheit der Verfahren. 92 s. auch den vorigen Abschnitt über die Entwicklung der Beteiligung organisierter Interessengruppen, 2. Teil, 1. Kap., B. I. 2. 93 Kommission, Mitteilung v. 2.12.1992, ABl. C 63 v. 5.3.1993.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
131
Als zentrale Maßnahmen schlug die Kommission zum einen die Aufstellung von Verhaltensleitlinien durch die jeweiligen Interessengruppen, welche die von der Kommission aufgestellten Mindestanforderungen enthalten sollte, sowie zum anderen die Erstellung eines Verzeichnisses, das Informationen über jede Interessengruppe enthalte, mit der jegliche Dienststelle der Kommission in Kontakt sei. Erst in den neunziger Jahren entwickelte sie unter dem Begriff des zivilen Dialogs ein umfassendes Konzept zur Einbindung dieser gesellschaftlichen Kräfte, in dem die Zivilgesellschaft als Gesamtvertretung der Bürger zunehmend eine zentrale Rolle einnehmen sollte. Dieses Konzept des zivilen Dialogs wurzelt in dem sog. Sozialen Dialog [unter aa)] und griff dann vom Bereich der Sozialpolitik auf andere Politikbereiche über [unter bb)]. Im Rahmen des „Governance-Prozesses“ wertete die Kommission die Beteiligung der Bürger und der Zivilgesellschaft u. a. am Rechtsetzungsverfahren weiter auf [unter cc)]. Gleiches gilt für die parallel verlaufende Ausarbeitung des Europäischen Verfassungsvertrages durch den Konvent zur Zukunft Europas [unter dd)]. aa) Ursprung: Sozialer Dialog Der soziale Dialog bezeichnet das Zusammenwirken der Sozialpartner, also der Tarifvertragsparteien als Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Auf europäischer Ebene wurde der soziale Dialog mit der Binnenmarktsoffensive Mitte der achtziger Jahre zwischen der Kommission und den auf Gemeinschaftsebene angesiedelten Sozialpartnern94 aufgenommen. Er wurde zunächst durch das Abkommen über die Sozialpolitik normiert und durch den Vertrag von Maastricht in das Gemeinschaftsrecht überführt.95 Für diesen begrenzten Bereich sind organisierte gesellschaftliche Kräfte sogar mit der Befugnis zur selbständigen Normsetzung ausgestattet worden.96 In Zusammenarbeit mit dem Ausschuss des Europäischen Parlaments für Soziales und Beschäftigung organisierte die Kommission 1996 das erste eu94
Die wichtigsten auf Gemeinschaftsebene angesiedelten Zusammenschlüsse nationaler Sozialpartner sind die Vereinigungen der privaten (UNICE) und öffentlichen (CEEP) Arbeitgeberverbände sowie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB); s. Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 138 EGV Rn. 5. 95 Ex-Art. 118 a und b E(W)G, nunmehr Art. 138 und 139 EG, die den zweiseitigen bzw. dreiseitigen Dialog ohne bzw. mit Einbindung der Kommission regeln. Ausführlich zu den jeweiligen Verfahren Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 138 EGV und Art. 139 EGV. 96 s. Art. 139 Abs. 1 EG. Allerdings verlangt Abs. 2 die Umsetzung von Sozialpartner-Vereinbarungen durch gemeinschafts- oder mitgliedschaftliche Rechtsakte.
132
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
ropäische Forum der Sozialpolitik mit mehr als 1000 Teilnehmern. Die an der Vorbereitung des Forums beteiligten 25 Organisationen bildeten die Plattform der europäischen sozialen Nichtregierungsorganisationen, die als ständiger Rahmen für Kooperation und Zusammenarbeit mit den europäischen Institutionen dienen sollte und sich als bevorzugter Partner der Kommission bei Konsultationen über die Politikgestaltung im Bereich Soziales erwies.97 Dieses Forum kann als Gründung eines weitergehenden Dialogs ansehen werden, der zur Ergänzung des sozialen Dialogs zwischen den Sozialpartnern einen umfassenden Austausch mit den organisierten gesellschaftlichen Kräften im Bereich der Sozialpolitik sichern sollte.98 bb) Ausbau und Institutionalisierung des zivilen Dialogs Die durch ein Urteil des EuGH im Jahr 1998 ausgelöste Finanzierungskrise zahlreicher auf Gemeinschaftsebene aktiver Nichtregierungsorganisationen führte endgültig zu einem übergreifenden zivilen Dialog. In dem Urteil Vereinigtes Königreich/Kommission vom 12. Mai 199899 annullierte der EuGH eine Entscheidung der Kommission, 86 europäische Projekte in der Sozialpolitik zu unterstützen. Der EuGH bestätigte die ständige Rechtsprechung, dass grundsätzlich jede Gemeinschaftsausgabe einer zweifachen Rechtsgrundlage bedürfe: die Ausweisung der für die Aufgabe vorgesehenen Mittel im Haushaltsplan und den in der Regel vorherigen Erlass eines Sekundärrechtsaktes zur Bewilligung der fraglichen Ausgabe (sog. Basisrechtsakt). Ausgenommen davon sei die Finanzierung von sog. „nichtbedeutenden“ Maßnahmen, nämlich von Modellstudien und vorbereitenden Maßnahmen zur Beurteilung des politischen Für und Wider eines Vorschlags eines Basisrechtsakts. Rechtsgrundlage hier sei das unmittelbar im Primärrecht verankerte Initiativrecht der Kommission.100 Da es sich in dem Fall nicht um eine nichtbedeutende Maßnahme handelte und lediglich eine Ausweisung der Mittel in der Haushaltslinie B3-4103 vorgesehen war, annulierte der EuGH die Entscheidung der Kommission, mit der sie Zuschüsse zu den europäischen Projekten angekündigt hatte. Nach Erlass dieses Urteils stellte die Kommission vorübergehend jegliche Finanzierung derartiger Projekte ein, bis Rechtssicherheit gewährleistet war. Die zeitweilig ausbleibende finanzielle Unterstützung der Kommission in Form von Zuschüssen zu den Betriebskosten löste bei vielen Orga97
Smismans, ELJ 2003, 473, 476. Smismans, ebd., 473, 475 f. 99 EuGH, Urteil vom 12. Mai 1998, C-106/96, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998, I-2729, 2745 ff. 100 EuGH, ebd., 2745, Rn. 22 ff. 98
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
133
nisationen existentielle Probleme aus und zwang sie zu einer Bündelung ihrer Kräfte, die auch zu einer übergreifenden Koordinierung mit Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich der Entwicklungshilfe, der Menschenrechte und des Verbraucherschutzes führte. Insbesondere die im vorigen Abschnitt angesprochene Plattform der europäischen sozialen Nichtregierungsorganisationen verband die Finanzierungskrise mit der Forderung nach einer allgemeinen Institutionalisierung des zivilen Dialoges, einschließlich einer Rechtsgrundlage im Primärrecht und der Erstellung einer Liste akkreditierter Nichtregierungsorganisationen, auf deren Grundlage die Kommission ihre Konsultationen bei der Ausarbeitung eines Rechtsaktsentwurfes durchführen sollte.101 Die Kommission baute auch Kontakte mit organisierten gesellschaftlichen Kräften außerhalb der genannten klassischen Politikbereiche auf, so z. B. in der Handelspolitik, und weitete diese Kontakte stetig von ad-hoc auf regelmäßige, von allgemeinen zu spezifischen Treffen aus.102 In dem Diskussionspapier „Die Kommission und Nichtregierungsorganisationen: eine stärkere Partnerschaft bauen“103 aus dem Jahr 2000 weitete die Kommission die Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen ausdrücklich auf alle Politikfelder aus und begrenzte sie endgültig nicht mehr auf die Sozialpolitik. Die Kommission unterteilte die damaligen Kontakte zu Nichtregierungsorganisationen in Ad-hoc-Treffen, regelmäßige Treffen und institutionalisierte Konsultationen und beabsichtigte, Grundsätze für einen strukturierten, kommissionseinheitlichen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen auszuarbeiten. Auch wenn die Kommission unmittelbar auf das Diskussionspapier folgend keine Leitlinien ausarbeitete, formulierte sie schon die wesentlichen Fragen, die sich dabei stellen.104 Detailliert sprach die Kommission auch die Probleme an, welche die Finanzierung der Nichtregierungsorganisationen betreffen.105 Die Kommission fördert Nichtregierungsorganisationen und andere Organisationen der Zivilgesellschaft grundsätzlich auf zwei Arten: erstens durch Finanzhilfen für konkrete Projekte, die sich auf ca. EUR 1 Milliarde jährlich belaufen und größtenteils den Bereich Außenbeziehungen (Programme zur Föderung der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe) aber auch die Bereiche Soziales, Bildung und Umwelt betreffen; zweitens durch Betriebskostenzuschüsse an Nichtregierungsorganisationen, deren Ziele „von allgemeinem europäischen Interesse oder Teile einer Politik der Europäischen Union“ 101 102 103 104 105
Smismans, ELJ 2003, 473, 478. Smismans, ebd., 473, 479. Kommission, KOM(2000) 11 endg. v. 18.1.2000. Kommission, ebd., 11 f. Kommission, ebd., 14 ff.
134
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
sind.106 Für eine Reihe nicht-wirtschaftlicher Organisationen machen diese Betriebskostenzuschüsse einen erheblichen Teil ihrer Finanzierung aus.107 Die Kommission führt kein umfassendes Verzeichnis aller Finanzhilfen der EU. Informationen zu den einzelnen Finanzhilfeprogrammen und Antragsverfahren finden sich auf der Homepage der verschiedenen Politikbereiche.108 cc) Aufwertung im Governance-Prozess Die Kommission kommunizierte fast ausschließlich mit Interessengruppen, bis der Governance-Prozess den Bürger und die Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt umfassender reformerischer Anstrengungen der Kommission rückte. Ausgangspunkt des Governance-Prozesses ist das Weißbuch „Europäisches Regieren“ der Kommission von Juli 2001.109 Um die Kluft zwischen den Bürgern und der EU zu überwinden schlägt die Kommission vor, die politische Entscheidungsfindung, also auch den Rechtsetzungsprozess, zu öffnen und mehr Menschen und Organisationen einzubinden.110 Dabei zählt die Einbindung der Zivilgesellschaft zu einem der Kernvorschläge des Weißbuchs.111 Ihr spricht die Kommission die Rolle zu, den Belangen der Bürger eine Stimme zu verleihen und Dienste zu erbringen, die den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenkommen.112 Damit spricht die Kommission dem funktionellen Ansatz folgend die Rolle der Zivilgesellschaft als Vermittlungsinstanz an.113 Letztlich biete die Zivilgesellschaft 106 Kommission, „Neue Fonds, bessere Regeln“, Informationsbroschüre: Übersicht der neuen Finanzregeln und Fördermittel – Möglichkeiten für die [sic!] Zeitraum 2007–2013, http://ec.europa.eu/budget/library/publications/financial_pub/pack_rules _funds_de.pdf, 7. Als Beispiele für zentral verwaltete Programme, die Betriebskostenzuschüsse für NRO vorsehen, werde genannt: Europa für Bürgerinnen und Bürger (Aktion 2: „Aktive Zivilgesellschaft in Europa“), Kultur 2007 (Aktionsbereich 2: „Förderung Europaweit tätiger kultureller Einrichtungen“), und PROGRESS (Unterstützung von Netzwerken auf EU-Ebene organisierte NRO, die im Bereich Sozialintegration, Nichtdiskriminierung und Gleichstellung der Geschlechter tätig sind). 107 Eising, Rainer/Kohler-Koch, Beate, in: dies., Interessenpolitik in Europa, 2005, 11, 24. 108 http://ec.europa.eu/grants/introduction_de.htm. 109 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001. 110 Kommission, ebd., 3 f., 10. 111 Die Zivilgesellschaft ist der einzige direkt angesprochene, nicht-hoheitliche Adressat des Weißbuchs. Die Kommission nennt im Übrigen alle Institutionen der EU, alle Mitgliedstaaten sowie die regionalen und lokalen Körperschaften; Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 11. 112 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 19. 113 s. o. 2. Teil, 1. Kap., B. II. 1. c).
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
135
die Chance, Bürger aktiver an der Verwirklichung der Unionsziele zu beteiligen und ihnen strukturierte Kanäle für Feedback, Kritik und Protest anzubieten.114 Der Begriff der Zivilgesellschaft wird sehr weit gefasst und umfasst sämtliche Personenzusammenschlüsse.115 Die Mitteilung der Kommission über die bei der Durchführung von Konsultationen zu beachtenden Grundsätze116 konkretisiert den im Weißbuch „Europäisches Regieren“ geäußerten Vorschlag, effektivere und transparentere Konsultationen in den Verfahren der Politikgestaltung – und somit auch im Rechtsetzungsverfahren – der EU durchzuführen. Konsultationsmechanismen gehören nach Ansicht der Kommission zu den Tätigkeiten aller EUOrgane im Rahmen des gesamten Rechtsetzungsprozesses und dienen dazu, u. a. Organisationen der Zivilgesellschaft und einzelne betroffene Bürger anzuhören.117 Für die Konsultationsverfahren soll die organisierte Zivilgesellschaft eine bedeutende Rolle spielen, da sie einen umfassenden politischen Dialog ermöglichen und somit dazu beitragen, dass sich alle gesellschaftlich wichtigen Interessengruppen einbringen können.118 Die besondere Rolle der organisierten Zivilgesellschaft ist nach Ansicht der Kommission eng mit dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit verbunden, da die Mitgliedschaft in einer Vereinigung dem Bürger eine weitere Möglichkeit biete, sich neben der Mitarbeit in politischen Parteien oder durch Wahlen aktiv zu beteiligen.119 Im Sinne des soziologischen Ansatzes bezeichnet die Kommission die Zivilgesellschaft als „Grundstruktur der Gesellschaft außerhalb der staatlichen und öffentlichen Verwaltung“.120 dd) Konvent zur Zukunft Europas Ein anschauliches Beispiel für den Ansatz, die organisierte Zivilgesellschaft und den einzelnen Bürger in Rechtsetzungsverfahren einzubinden, ist 114
Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 20. 115 Kommission, ebd., 19, Fn. 9: „Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände („Sozialpartner“), Nichtregierungsorganisationen, Berufsverbände, gemeinnützige Einrichtungen, gesellschaftliche Basisgruppen, Organisationen, über die sich die Bürger am lokalen und kommunalen Leben beteiligen, insbesondere Kirchen und Religionsgemeinschaften“. 116 Kommission, „Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission“, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12. 2002. 117 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 4. 118 Kommission, ebd., 5. 119 Kommission, ebd., 5. 120 Kommission, ebd., 6; vgl. oben 2. Teil, 1. Kap., B. II. 1. a).
136
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
die Ausarbeitung des Europäischen Verfassungsvertrages durch den Konvent zur Zukunft Europas.121 Die Einbindung der Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung des Europäischen Verfassungsvertrages wurde in der Erklärung des Europäischen Rats von Laeken122 vom 15. Dezember 2001 als ausdrückliches Ziel genannt. Die Kommunikation zwischen Zivilgesellschaft und Konvent fand auf zwei Wegen statt: zum einen über die Zusendung schriftlicher Stellungnahmen, zum anderen mit der punktuellen Durchführung von Anhörungen und Treffen mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft. Organisationen der Zivilgesellschaft konnten ihre schriftlichen Stellungnahmen an das sog. „Forum“123 senden, eine im Internet installierte Plattform. Einzelnen Bürgern stand eine vergleichbare Plattform zur Verfügung, das sog. „Futurum“, das über den Europäischen Konvent hinaus zu einer allgemeinen Dialogplattform ausgebaut wurde. Diese Form der Online-Konsultation stellt nunmehr die ständige Praxis der Kommission in den meisten Gemeinschaftspolitiken dar.124 Weitere Aktionen waren erstens eine der Zivilgesellschaft gewidmete Sitzung des Konvents am 24./25. Juni 2002, die von acht, verschiedene Bereiche der Zivilgesellschaft abdeckenden Kontaktgruppen vorbereitet worden war125, zweitens der sog. Konvent der Jugend Europas, der vom 9. bis 12. Juli 2002 in Brüssel stattfand und bei dem 210 Jugendliche über die Zukunft Europas debattierten126, sowie drittens ein vom EWSA organisierter Dialog des Präsidiums des Konvents mit Organisationen der Zivilgesellschaft. ee) Ergebnis Während die Kommission seit den achtziger Jahren verstärkt in einzelnen Politikbereichen mit organisierten gesellschaftlichen Kräften kommuni121 Daher wird an dieser Stelle ausnahmsweise in dieser Arbeit auf das Setzen von Primärrecht eingegangen. 122 Europäischer Rat, „Die Zukunft der Europäischen Union“ v. 15.12.2001, Anlage 1 zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes, SN 200/1/01 REV 1. 123 http://european-convention.europa.eu/forum.asp?lang=DE&Content=. 124 http://ec.europa.eu/yourvoice/index_de.htm. Bei den Stellungnahmen an das „Forum“ und „Futurum“ wurden die eingereichten Angaben (z. B. zur Existenz und Tätigkeit des Bürgerzusammenschlusses sowie zur Berechtigung, als Vertreter des Bürgerzusammenschlusses zu handeln) erkennbar ebenso wenig kontrolliert wie bei den laufenden Online-Konsultationen durch die Kommission. 125 http://register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00167d2.pdf. Auf welche Weise und nach welchen Kriterien diese Kontaktgruppen für die Teilnahme an dieser Konventssitzung ausgewählt wurden, ist leider nicht ersichtlich. 126 http://european-convention.europa.eu/youth.asp?lang=DE&content=intro.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
137
zierte, entwickelte sie erst in den neunziger Jahren ein umfassendes Konzept. Aufbauend auf die Zusammenarbeit mit den auf europäischer Ebene zusammengeschlossenen Sozialpartnern weitete die Kommission den Dialog vom Bereich der Sozialpolitik schrittweise auf sämtliche Politikfelder der EU aus. Während im Rahmen des zivilen Dialogs die Kommission vorwiegend noch mit Nichtregierungsorganisationen kommunizierte, stellte sie mit Beginn des Governance-Prozesses die Zivilgesellschaft als Vertreter der einzelnen Bürger bzw. der Gesamtbürgerschaft in den Mittelpunkt. Dieser Ansatz fand beispielhaft bei der Ausarbeitung des Verfassungsvertrages durch den Europäischen Verfassungskonvent Anwendung. b) Konzept des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses Der EWSA entwickelte sich vom Vertreter der Sozialpartner zum Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft [unter aa)]. Diesem Selbstverständnis als institutionelles Forum der organisierten Zivilgesellschaft entsprechend treten diese Organisationen regelmäßig im EWSA zusammen und nehmen an den vom EWSA ausgerichteten Konferenzen und Anhörungen teil [unter bb)]. aa) Ursprung: EWSA als Vertreter der Sozialpartner Der EWSA stellte seit jeher das einzige Organ der Europäischen Gemeinschaften dar, dessen in Art. 257 EG verankerte Aufgabe ausdrücklich die Vertretung von Interessen aus den wirtschaftlichen und sozialen Bereichen127 der organisierten Zivilgesellschaft im europäischen Rechtsetzungsprozess ist. Er hat 344 Mitglieder, die allesamt Vertreter der verschiedenen Bereiche der organisierten Zivilgesellschaft sind, wobei jeder Mitgliedstaat gemäß Art. 258 EG in Abhängigkeit von seiner Größe eine bestimmte Anzahl an Mitglieder entsendet. Gemäß Art. 259 Abs. 1 EG werden die Ausschussmitglieder von den jeweiligen nationalen Regierungen vorgeschlagen und vom Rat einheitlich ernannt. Dabei muss letztendlich in Übereinstimmung mit Art. 257 S. 2 EG gesichert sein, dass die Zusammensetzung des EWSA die verschiedenen Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen 127
Die Aufzählung in Art. 257 S. 2 EG ist nicht abschließend. So sitzen auch insbesondere Vertreter von umwelt- und bildungspolitischen Organisationen im EWSA; s. Burgi, in: Streinz, EUG/EGV, Art. 257 Rn. 8. Art. I-32 Abs. 3 VV berücksichtigt diese Praxis. Danach setzt sich der EWSA aus Vertretern der Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie anderen Vertretern der Zivilgesellschaft, insbesondere aus dem sozialen und wirtschaftlichen, dem staatsbürgerlichen, dem beruflichen und dem kulturellen Bereich zusammen.
138
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Lebens angemessen repräsentiert. Praktisch werde dies schon durch eine „repräsentative“ Zusammensetzung der nationalen Vorschlagsliste erreicht.128 Daran bestehen insofern Zweifel, als das nicht geregelt ist, nach welchen Kriterien die Kandidaten für die nationalen Vorschlagslisten ausgewählt werden und welche Voraussetzungen ein Bürgerzusammenschluss überhaupt erfüllen muss, um einen Vertreter vorschlagen (lassen) zu können. Der EWSA nutzte lange Zeit das umfassende Mandat zur Vertretung aller sozialen und wirtschaftlichen Interessen nicht, sondern beschränkte sich vorrangig auf die Vertretung der Sozialpartner. Einen ersten Versuch, das allgemeine Mandat zur Stärkung der eigenen Position auszunutzen, unternahm er Anfang der neunziger Jahre mit der Initiative „Europa der Bürger“ (Citizens’ Europe). Der EWSA beanspruchte für sich die Funktion, den wahren Stimmen der Bürger Europas Gehör zu verschaffen.129 Neben der schlechten Vermittlung der Initiative durch elitär organisierte Anhörungen und Treffen scheiterte dieser Versuch aber vor allem an der Konkurrenzsituation zum Europäischen Parlament, das mit Einführung des Mitentscheidungsverfahrens im Vertrag von Maastricht erheblich an institutionellem Gewicht im Rechtsetzungsprozess der Union gewonnen hatte. Erst Ende der neunziger Jahre unternahm der EWSA parallel zu dem von der Kommission aufgebauten zivilen Dialog einen weiteren Versuch, einer drohenden Marginalisierung zu entgehen, in dem er den Schwerpunkt auf die Repräsentation der Organisationen der Zivilgesellschaft setzte.130 Sein Selbstverständnis als institutionelles „Forum der organisierten Zivilgesellschaft“ auf europäischer Ebene spiegelt sich in dem durch den Vertrag von Nizza neu gefassten Art. 257 EG wieder, wonach der Ausschuss aus „Vertretern der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Bereiche der organisierten Zivilgesellschaft“ besteht. Mit der Bezeichnung als „organisierte“ Zivilgesellschaft tritt wiederum der assoziative Charakter der Zivilgesellschaft hervor. Der Kontakt zu der organisierten Zivilgesellschaft soll im Rahmen eines sog. zivilen Dialogs stattfinden, in dem aber allein der EWSA und nicht die Kommission aktiv ist. Damit zielt der EWSA vor allem auf die Durchführung von Anhörungen und die Treffen zu bestimmten Themenbereichen ab.131 Der EWSA sieht in der Zivilgesellschaft als Vertreter der Gesamtbürgerschaft der EU den notwendigen demokratischen Unterbau eines Europas der Bürger. Er verbindet das Konzept der Zivilgesellschaft mit der Idee der Stärkung partizipatorischer, nicht-parlamentarischer Strukturen. Zielvorstel128 129 130 131
So Burgi, in: Streinz, EUG/EGV, Art. 259 Rn. 2. Smismans, ELJ 2003, 473, 482. Smismans, ebd., 473, 482. Smismans, ebd., 473, 483.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
139
lung des EWSA ist eine institutionelle Aufwertung aufbauend auf einem Modell, in dem die Legitimation des Europäischen Parlaments auf der Wahl durch den einzelnen Bürger und die Legitimation des EWSA auf der Vertretung von Organisationen der Zivilgesellschaft gründet. bb) Entwicklung: EWSA als institutionelles Forum der Zivilgesellschaft Im November 1999 veröffentlichte der EWSA eine selbstinitiierte Stellungnahme, in der er Rolle und Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk hervorhebt.132 Dabei bestimmt der EWSA die Zivilgesellschaft als „Sammelbegriff für alle Formen sozialen Handelns von einzelnen oder Gruppen, die nicht auf Initiative des Staates zurückgehen und nicht von diesem gelenkt werden“. Dieser Definitionsversuch ähnelt dem soziologischen Ansatz, indem er die Unabhängigkeit des Einzelnen bzw. der Gruppe von der Hoheitsgewalt ausübenden Institutionen betont. Der Begriff „Lenken“ weist auf die Gefahr der Einflussnahme durch die Kommission mittels der Zahlung – z. T. beträchtlicher – Finanzhilfen hin. Fraglich ist, ob mit dem Begriff „soziales Handeln“ die wirtschaftliche Sphäre ausgegrenzt werden soll.133 In der gleichen Stellungnahme definiert der EWSA die organisierte Zivilgesellschaft als „Gesamtheit aller Organisationsstrukturen, deren Mitglieder über einen demokratischen Diskurs- und Verständigungsprozess dem allgemeinen Interesse dienen und welche auch als Mittler zwischen öffentlicher Gewalt und den Bürgern auftreten“134. Im Anschluss zählt der EWSA die Akteure der organisieren Zivilgesellschaft auf, wozu neben den schon erwähnten Sozialpartnern und Vertretungsorganisationen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich auch Religionsgemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen und CBO’s (community based organisations) zählen, wobei letztere alle Organisationen umfassen, über die die Bürger am Leben in den Kommunen teilnehmen, z. B. Jugendorganisationen und Familienverbände. Dabei wird das Bemühen des EWSA deutlich, durch weit gefasste Kriterien jeglichen Personengruppen die Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft zu eröffnen.135 132
EWSA, Stellungnahme v. 22.9.1999, 1999/C 329/10, ABl. C 329/30 v. 17.11.
1999. 133
EWSA, ebd., Punkt 5.1. Die Sozialpartner zählt der EWSA an anderer Stelle aber ausdrücklich zu den Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft zählt; s. ebd., Punkt 8.1. 134 EWSA, ebd., Punkt 7.1. Diese Definition entspricht dem assoziativen und funktionellen Ansatz. 135 EWSA, ebd., Punkt 8.1.
140
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Nach Ansicht des EWSA könne der Bürger in einer lebendigen Demokratie entweder durch den Wahlakt oder als Mitglied von Interessengruppen und Bürgerinitiativen an der Bildung einer gemeinsamen Vorstellung von Gemeinwohl mitwirken. Eine unmittelbare Kommunikation der Bürger bzw. Zivilgesellschaft mit den Entscheidungsträgern im europäischen Rechtsetzungsprozess lehnt der EWSA implizit ab, da es seinem Selbstverständnis als institutionelles Forum der organisierten Zivilgesellschaft widerspricht. Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme organisierte der EWSA im Oktober 1999 unter dem gleichnamigen Titel den ersten Konvent der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene, an dem ca. 300 Vertreter von Organisationen der Zivilgesellschaft teilnahmen und über ihre Beteiligung an den Entscheidungsprozessen in der EU allgemein diskutierten.136 Im November 2001 folgte unter Anknüpfung an das im Juli 2001 von der Kommission veröffentlichte Weißbuch „Europäisches Regieren“ eine zweite Konferenz mit dem Titel „Organised civil society in European Governance“. Im März 2004 führte der EWSA eine weitere Konferenz mit dem Titel „Participatory democracy: current situation and opportunities provided by the European Constitution“ in dem Bestreben durch, den Dialog mit den Organisationen und Netzwerken der europäischen Zivilgesellschaft zu stärken.137 cc) Ergebnis Wie die Kommission weitete auch der EWSA seine Kommunikation mit den organisierten gesellschaftlichen Kräften vom Sozialbereich auf alle Gemeinschaftspolitiken aus. Wiederum waren zunächst ausschließlich Organisationen seit den neunziger Jahren zunehmend die – organisierte – Zivilgesellschaft als Vertreter der Gesamtbürgerschaft zentraler Kommunikationspartner. Beide Entwicklungen spiegeln sich in der Neufassung von Art. 257 EG normativ wieder. Der EWSA ist ein institutionalisierter Vertreter der Zivilgesellschaft mit dem Ziel, deren Anliegen und Interessen an die Entscheidungsträger Kommission, Rat und Europäisches Parlament zu vermitteln. Zu diesem Zweck veranstaltet der EWSA regelmäßig Konferenzen und veröffentlicht Stellungnahmen.
136
„La société civile organisé au niveau européen“, s. Smismans, ELJ 2003, 473,
482. 137
Auf welche Weise und nach welchen Kriterien Vertreter von Organisationen für die Teilnahme an diesen Konferenzen ausgewählt wurden, ist leider nicht ersichtlich.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
141
C. Kommunikationspartner im Rechtsetzungsverfahren der EU Dieser Abschnitt stellt die an den Rechtsetzungsverfahren der EU beteiligten Organe dar, über die der Bürger als Individuum, als Mitglied einer Gruppe oder als Teil der organisierten Zivilgesellschaft versucht, Einfluss auf den Inhalt eines Rechtsaktes zu nehmen. Vier EU-Organe sind aufgrund ihrer Bedeutung als Adressat einer Kontaktaufnahme durch gesellschaftliche Kräfte von besonderem Interesse. Als formale Entscheidungsträger im Rechtsetzungsverfahren sind dies das Europäische Parlament und der Rat; dazu tritt die Kommission als alleiniger Inhaber des Initiativrechts bei der Rechtsetzung sowie der EWSA als primärrechtlich normiertes, institutionalisiertes Forum der Interessenvertretung.138 Diese vier EU-Organe werden in der Reihenfolge ihrer Bedeutung als Kommunikationspartner für den Bürger vorgestellt: zunächst die Kommission (unter I.) und das Europäische Parlament (unter II.); dann folgen Rat (unter III.) und EWSA (unter IV.). Bei der Vorstellung der einzelnen Organe wird jeweils in drei Schritten vorgegangen. Erstens wird die Stellung des Organs im Rechtsetzungsprozess der EU skizziert (unter 1.). Zweitens wird die interne Organisationsstruktur des Organs sowie dessen Arbeitsweise vorgestellt (unter 2.). Drittens wird die Motivation der Organe zur Kommunikation mit den gesellschaftlichen Kräften beschrieben (unter 3.). I. Europäische Kommission Die Kommission ist für die gesellschaftlichen Kräfte der wichtigste Kommunikationspartner.139 1. Initiativmonopol und Komitologie Das gemeinschaftsrechtliche Rechtsetzungsverfahren wird grundsätzlich durch einen Vorschlag der Kommission eingeleitet.140 Die Kommission ent138
Vgl. Lahusen, Lobbying als Beruf, 2001, 39. Gemäß Art. 7 Abs. 1 EG und Art. I-18 Abs. 2 VV sind formell lediglich Europäisches Parlament, Rat, Kommission, Gerichtshof und Rechungshof Organe der EG/EU. 139 Vgl. Europäisches Parlament, GD Forschung, Lobbying in the EU, 2003, 40. Ursache dafür ist neben der bedeutenden Stellung im Rechtsetzungsprozess auch die Funktion der Kommission als primäres Exekutivorgan der EU, das auf europäischer Ebene für die Ausführung des Gemeinschaftsrechts, vor allem von finanzkräftigen Förderprogrammen, verantwortlich ist. 140 s. Art. 250 Abs. 1 EG für die Fälle, in denen der Rat auf der Grundlage spezieller vertraglicher Kompetenzvorschriften auf Vorschlag der Kommission tätig
142
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
scheidet in eigenem pflichtgemäßen Ermessen darüber, ob sie überhaupt einen Vorschlag unterbreitet sowie über Form, Zeitpunkt und Inhalt dieses Vorschlags.141 In der Praxis wird sie bei der Ausarbeitung der Vorschläge häufig von Expertengruppen unterstützt, die sich aus Vertretern organisierter gesellschaftlicher Kräfte und nationaler Ministerien zusammensetzen.142 Über die Vorlage des Vorschlags hinaus wird die Kommission auch im weiteren Rechtsetzungsverfahren tätig.143 Sie kann den Vorschlag jederzeit ändern und sogar zurücknehmen, solange ein Beschluss des Rates nicht ergangen ist.144 Von dieser Änderungsbefugnis macht die Kommission in der Praxis durchaus Gebrauch, um die Ansichten des Europäischen Parlaments145 sowie des Rates zu berücksichtigen146 und auf diese Weise möglichst frühzeitig die Grundlagen für eine einvernehmliche Annahme des Rechtssatzes zu schaffen. Die Kommission kann sich u. U. auf die Abgabe einer Stellungnahme beschränken.147 Im ggf. stattfindenden Vermittlungsverfahren ergreift die Kommission alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Europäischen Parlaments und des Rates hinzuwirken.148 Eigenständige Rechtsetzungsbefugnisse besitzt die Kommission hauptsächlich im Rahmen der praktisch überaus bedeutsamen Komitologieverfahren.149 Die Komitologieausschüsse setzen sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzen, den Vorsitz hat aber jeweils ein Vertreter der Kommission inne.150 Der Einfluss der jeweiligen Komitologieausschüsse wird. Dies gilt für die Verfahren der Mitentscheidung- und Zusammenarbeit (s. Art. 251 Abs. 2 S. 1 und Art. 252 lit. a EG) und die nicht näher normierten Verfahren der Anhörung und Zustimmung sowie das vereinfachte Ratsverfahren, s. Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 250 EGV Rn. 2. 141 s. o. 1. Teil, 1. Kap., B. IV. 3. 142 Larsson, The world of expert groups, 2003, 38 f. 143 So bildet der Kommissionsvorschlag im Mitentscheidungsverfahren die Grundlage der Beratungen im Rat und Europäischem Parlament; vgl. Art. 251 Abs. 2 UAbs. 1 EG. 144 Vgl. Art. 250 Abs. 2 EG; Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 250 EGV Rn. 17. 145 s. die diesbezügliche Verpflichtung der Kommission in dem „Verhaltenskodex für die Beziehungen zwischen Parlament und Kommission“ vom 15. März 1995, ABl. C 89/69 v. 10.4.1995. 146 Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 250 EGV Rn. 18, Art. 251 EGV Rn. 17, 26. 147 Vgl. Art. 251 Abs. 2 UAbs. 2, 3. Gedankenstrich und Art. 251 Abs. 2 UAbs. 3 lit. c EG. 148 Vgl. Art. 251 Abs. 4 S. 2 EG. 149 s. o. 1. Teil, 2. Kap., C. II. Im Primärrecht sind der Kommission originäre Rechtsetzungbefugnisse konkret nur in Art. 86 Abs. 3 EG eingeräumt. 150 Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, vor Art. 250 EGV Rn. 20.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
143
auf den von der Kommission vorgelegten Vorschlag eines Rechtssatzes ist unterschiedlich groß.151 2. Hierarchische Untergliederungen der Generaldirektionen Innerhalb der Kommission haben die faktisch weitgehend autonomen Generaldirektionen jeweils eigene Politikstile entwickelt, welche die jeweilige Zusammenarbeit mit den Interessengruppen in Umfang und Intensität bestimmen.152 Die Kommission umfasst 23 Generaldirektionen, die jeweils für einen bestimmten Sachbereich bzw. eine Gemeinschaftspolitik zuständig sind, und 13 allgemeine und interne Dienste, die – wie z. B. der Juristische Dienst – Querschnittsaufgaben wahrnehmen.153 Sowohl die Generaldirektionen als auch die gleichgestellten Dienste sind in – zumeist vier bis sechs – Direktionen unterteilt, die sich wiederum in – zumeist drei bis vier – Referate gliedern.154 Kleineste Einheit innerhalb der internen Organisation der Kommission sind als Untergliederungen der Referate die Abteilungen. Erarbeitet wird jeder Vorschlag eines Rechtsakts von einem Kommissionsbeamten der federführenden Abteilung (chef de dossier).155 Da sich viele Vorschläge nicht allein auf einen Sachbereich begrenzen lassen, arbeiten andere Einheiten der federführenden Einheit beratend zu. Teilweise sind an der Ausarbeitung des Vorschlags mehre Generaldirektionen beteiligt.156 Der Weg vom ersten Entwurf des verantwortlichen Kommissionsbeamten bis zur endgültigen Verabschiedung des Vorschlags durch das Kollegium der Kommissare kann mehr als ein Jahr dauern, wenn nicht nur intensive Verhandlungen zwischen einzelnen Generaldirektionen, sondern auch informelle Diskussionen mit anderen Akteuren, insbesondere mit mitgliedstaatlichen Regierungen bzw. den zuständigen Ministerien, geführt werden. Die Vorlage des Vorschlags an das Kollegium erfolgt erst, wenn sich die verschiedenen Generaldirektionen geeinigt haben und auch grundsätzlich eine realistische Aussicht auf eine Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament auf 151
s. o. 1. Teil, 2. Kap., C. II. m. w. N. Kohler-Koch, in: dies./Jachtenfuchs, Regieren im Mehrebenensystem, 1996, 193, 210. Vgl. auch Europäisches Parlament, Lobbying in the EU, 2003, 39. 153 s. die Übersicht bei Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 218 EGV Rn. 8 ff., und die Webseite der Kommission unter http://ec.europa.eu/dgs_de.htm. 154 Art. 21 GO KOM, Beschluss der Kommission vom 15. November 2005, 2005/ 960/EG, Euratom, ABl. L 347/83 vom 30.12.2005; vgl. Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 218 EGV Rn. 6; und Greenwood, Representing Interests in the EU, 2003, 32. 155 van Schendelen, The art of lobbying the EU, 2002, 65. 156 Kritisch van Schendelen, ebd., 65. 152
144
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Beschluss eines endgültigen Rechtsakts besteht.157 Dann wird der Vorschlag letztlich von allen Mitgliedern der Kommission nach dem Kollegialitätsprinzip158, d.h. in gemeinsamer politischer Verantwortung, angenommen und an die anderen EU-Organe nach den für das jeweilige Rechtsetzungsverfahren einschlägigen Vorschriften weitergeleitet.159 3. Motivation zur Einbeziehung der Bürger Die Motivation der Kommission, die Bürger bei der Ausarbeitung eines Entwurfes eines Rechtsaktes in den Rechtsetzungsprozess einzubeziehen, ist dreifach.160 Erstens soll extern gewonnener Sachverstand die Qualität des Rechtsaktes steigern [unter a)]. Zweitens ist die Kommission bemüht, die Legitimation ihres Handelns durch die Förderung partizipatorisch-demokratischer Elemente zu stärken [unter b)]. Drittens soll die Bürgerbeteiligung die Herausbildung einer europäischen öffentlichen Meinung fördern, indem die Bürger zur aktiven Auseinandersetzung mit den Gemeinschaftspolitiken ermutigt werden [unter c)]. a) Höhere Qualität durch Heranziehung externen Sachverstands Der für die Ausarbeitung eines Vorschlags eines Rechtsaktes verantwortliche Kommissionsbeamte kann diesen Vorschlag aufgrund der immer größer werdenden Komplexität der Materie in der Regel nicht allein auf der Grundlage seines eigenen Kenntnisstandes ausarbeiten, sondern sammelt zusätzlich umfassend Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zusammen. Die im Verhältnis zur staatlichen und infrastaatlichen Ebene geringe Personalstärke der Kommission führte von Beginn der Integration an zu einem hohen Bedarf an externen Informationen und Sachverstand. Dieser Be157 Greenwood, Representing Interests in the EU, 2003, 32, hebt auch die Bedeutung der Kabinette hervor. Jeder Kommissar verfügt über ein Team von sechs Vertrauenspersonen, die den Kommissar über die Entwicklungen in seiner und in anderen GD sowie außerhalb der Kommission auf dem Laufenden halten. 158 Vgl. Kugelmann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 217 EGV Rn. 8. 159 Greenwood, Representing Interests in the EU, 2003, 33. 160 Diese Einteilung geht auf de Schutter, ELJ 2002, 198, 203 ff. zurück, der die drei Motive allgemein als die wesentlichen Ziele von Bürgerbeteiligung ansieht. Es finden sich auch andere Einteilungen in der Literatur, die teilweise nur terminologische und keine wesentlichen inhaltlichen Unterschiede beinhalten. So nannte schon Menzel Demokratisierung, Informationsbeschaffung und Konsenssicherung als die drei Hauptfunktionen der Partizipation, s. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft, 1980, S. 75 f.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
145
darf wächst mit der Übertragung weiterer Kompetenzen auf die EU und die daraus resultierende Ausweitung und Vertiefung der Gemeinschaftspolitiken beständig an. Die Kommission ist daher auf externen Sachverstand angewiesen und kommuniziert mit zahlreichen Akteuren; traditionell insbesondere mit den ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bzw. nationalen Ministerien161, aber eben auch mit den organisierten gesellschaftlichen Kräften, wie etwa Wissenschaftlern an Universitäten und privaten Forschungseinrichtungen, Organen der wirtschafts- und berufsständigen Kammern oder Verbänden. Sie besitzen häufig erhebliche theoretische Kenntnisse, praktische Erfahrungen und spezifisches Detailwissen über einen bestimmten Sachbereich, über ein bestimmtes geographisches Gebiet oder über bestimmte Bevölkerungsgruppen. Auch können die Ansichten unmittelbar betroffener oder interessierter Bürger einen erheblichen Mehrwert für den Vorschlag eines Rechtsakts bedeuten. In ihrem Weißbuch „Europäisches Regieren“ betont die Kommission, dass die dort vorgestellten Vorschläge, insbesondere die Anhörung von Experten, die Qualität ihrer „Initiativfunktion“ und „ihrer politischen Beratungen“ verbessern soll.162 In der Mitteilung über Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien weist sie darauf hin, dass die Zurechenbarkeit, Pluralität und Integrität des in Anspruch genommenen Expertenwissens gewährleistet sein muss.163 b) Höhere Legitimation durch partizipatorisch-demokratische Elemente Neben dem traditionellen Ziel, externen Sachverstand zur Steigerung der Qualität des Rechtsakts zu gewinnen, strebt die Kommission in letzter Zeit mit einer verstärkten Einbindung der gesellschaftlichen Kräfte eine erhöhte Legitimation ihrer Rechtsetzungstätigkeit an. Die Einbeziehung des Bürgers – als Individuum oder in organisierter Form als Zusammenschluss – soll als partizipatorisches Demokratieelement legitimatorische Wirkung entfalten. Praktisch will die Kommission die Legitimation des von ihr ausgearbeiteten Entwurfs eines Rechtsaktes für die weiteren Verhandlungen in den Rechtsetzungsverfahren mit dem Europäischen Parlament und dem Rat stärken. In ihrem Weißbuch „Europäisches Regieren“ betont die Kommission, dass sie ihre „Legitimität nur aus Teilhabe und Einbindung“ beziehe und dass die Gestaltung der Politik, also zuvörderst die Rechtsetzung, u. a. auf 161
Greenwood, Representing Interests in the EU, 2003, 32. Kommission, KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 10, 21. 163 Kommission, KOM(2002) 704 endg. vom 11.12.2002, 16. 162
146
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Partizipation beruhe.164 Partizipation stellt einen der fünf „Grundsätze des guten Regierens“ in dem Weißbuch dar: „Wie gut, sachgemäß und wirksam die Politik der Union ist, hängt davon ab, inwieweit die Akteure in den Politikgestaltungsprozess – von der Konzipierung bis hin zur Durchführung – einbezogen werden. Verstärkte Teilhabe bewirkt größeres Vertrauen in das Endergebnis und die Politik der Institutionen.“165
c) Förderung der Entwicklung einer europäischen öffentlichen Meinung Als drittes Ziel einer verstärkten Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU strebt die Kommission die Förderung der Herausbildung und Entwicklung einer europäischen öffentlichen Meinung an.166 Während die partizipatorische Demokratie grundsätzlich auf die Kommunikation von den Bürgern zu den hoheitlichen Entscheidungsträgern hin abzielt, formt sich die öffentliche Meinung in der Kommunikation zwischen den Bürgern im gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess. Im Weißbuch „Europäisches Regieren“ betont die Kommission, dass Demokratie von der Beteiligung der Menschen am öffentlichen Diskurs abhänge.167 Der Kommunikationsprozess kann jedoch auch von den hoheitlichen Entscheidungsträgern zu den Bürgern hin verlaufen. So äußerte die Kommission in ihrem Diskussionspapier über die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (2000) die Perspektive, dass jene als zusätzliche Kanäle für die EU-Institutionen dazu dienen können, die Vermittlung von Informationen über die Tätigkeiten in den Politikbereichen der Union an alle davon betroffenen Bürger zu gewährleisten.168 Auch in dem Weißbuch über Europäisches Regieren verlangt die Kommission, dass die Institutionen – aber auch die Mitgliedstaaten – aktiver mit der breiten Öffentlichkeit über Europafragen kommunizieren.169 Dieser Kommunikationsstrang dient der Konsenssicherung bei der Umsetzung des Rechtssatzes. Die Vermittlung von Informationen über Politikbereiche an die Bürger ist unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Bürger sich an dem ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung beteiligen können, der in den hoheitlichen Willensbildungsprozess einmündet. 164 Kommission, KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 14. 165 Kommission, ebd., 13. 166 Zum Begriff der öffentlichen Meinung, s. o. 1. Teil, 2. Kap., D. II. 167 Kommission, KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 15. 168 Kommission, KOM(2000) 11 endg. v. 18.1.2000, 6. 169 Kommission, KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 15.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
147
II. Europäisches Parlament Die Vertretung der Interessen der Bürger – individuell durch die einzelnen Abgeordneten und kollektiv durch das Parlament als Ganzes – ist die klassische Funktion des Parlaments. Das Modell der repräsentativen Demokratie beschränkt den Kontakt auf den Wahlakt als mittelbare Beteiligung am Rechtsetzungsprozess. Mit dem Aufstieg zum weitgehend gleichberechtigten Mitentscheidungsorgan neben dem Rat wurde das Europäische Parlament zunehmend als direkter Kommunikationspartner für die gesellschaftlichen Kräfte interessant. 1. Aufstieg zum gleichberechtigten Mitentscheidungsorgan Das Europäische Parlament hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine bemerkenswerte Aufwertung seiner Stellung im Rechsetzungsverfahren der EU erlebt. Während es bis zur Einheitlichen Europäischen Akte lediglich eine unverbindliche Stellungnahme gegenüber dem Rat abgeben konnte, ist das Europäische Parlament gegenüber dem Rat in dem in Art. 251 EG geregelten Mitentscheidungsverfahren gleichberechtigt, das in dem Entwurf des Verfassungsvertrages170 das „ordentliche Gesetzgebungsverfahren“ und auch nach dem geltenden Primärrecht in der Fassung des Vertrages von Nizza den „Regelfall der Rechtsetzung“171 darstellt. An den übrigen vier Verfahren der Rechtsetzung im Rahmen des EG-Vertrages ist es allerdings nur mit geringen Befugnissen beteiligt.172 Insgesamt ist das Europäische Parlament zum zweitwichtigsten Kommunikationspartner der gesellschaftlichen Kräfte aufgestiegen.173 2. Schlüsselrolle des Berichterstatters Die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments174 stellt in ihrem Kapitel VIII die parlamentsinterne Arbeitsweise bei der Ausübung legislativer Befugnisse dar, die die Kommunikation mit den organisierten gesellschaft170
Vgl. Art. I-33 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. III-302 VV. Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 251 EGV Rn. 2, 7. 172 s. o. 1. Teil, 2. Kap., B. II. 1. Bei der im Rahmen der Komitologieverfahren ergehenden Rechtsetzung durch die Kommission spielt das Europäische Parlament traditionell nur eine untergeordnete Rolle, die aber durch den zweiten KomitologieBeschluss aus dem Jahr 1999 gestärkt wurde; s. o. 1. Teil, 2. Kap., C. II. 173 Schaber, ZParl 1997, 266; vgl. auch Kohler-Koch, in: Claeys, Lobbyisme, Pluralisme et intégration européenne, 1998, 126, 134 ff. 174 Europäisches Parlament, GO EP, 16. Aufl. von Juli 2004, ABl. L 44 vom 15.2.2005. 171
148
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
lichen Kräften bestimmt. So werden sämtliche Vorschläge der Kommission und andere legislative Dokumente vom Präsidenten des Europäischen Parlaments an den zuständigen175 Ausschuss zur Prüfung der Rechtsgrundlage176 und der finanziellen Vereinbarkeit177 überwiesen.178 Sofern nicht das vereinfachte Verfahren179 durchgeführt wird, bei dem nach einer ersten Aussprache der Vorschlag ohne Änderung angenommen und zum Plenum zur Endabstimmung weitergeleitet werden kann, benennt der Ausschuss ein Mitglied oder dessen Stellvertreter als Berichterstatter für den Kommissionsvorschlag.180 Dieser Berichterstatter verfasst nun einen Bericht, der den Entwurf einer legislativen Entschließung181, etwaige Änderungsvorschläge zum Text des Vorschlags und ggf. eine Begründung enthält.182 Einen entsprechenden Bericht verfasst parallel dazu ein sog. Schattenberichterstatter, der einer politischen Gruppierung angehört, die in „Opposition“ zu der des Hauptberichterstatters steht. Über den Bericht des Berichterstatters stimmt der Ausschuss ab.183 Bei Annahme des Berichts bildet dieser die Grundlage der Prüfung des Legislativvorschlags durch das Plenum im Rahmen der ersten Lesung, die in jedem Rechtsetzungsverfahren mit Beteiligung des Europäischen Parlaments durchzuführen ist. Wird der Vorschlag der Kommission – auch in geänderter Form184 – vom Plenum angenommen, wird der Vorschlag in der vom Parlament gebilligten Fassung an Rat und Kommission übermittelt.185
175 Fällt der Kommissionsvorschlag in die Zuständigkeit mehrerer Ausschüsse, wird ein federführender Ausschuss ernannt, dem die Stellungnahmen anderer, mitberatender Ausschüsse übermittelt werden, Art. 154 Abs. 3, vgl. auch Art. 162 Abs. 1 GO EP, ebd. 176 Art. 63 GO EP, ebd. 177 Art. 63a GO EP, ebd. 178 Art. 60 Abs. 1 GO EP, ebd. 179 Art. 158 GO EP, ebd. 180 Art. 159 Abs. 2 GO EP, ebd.; wenn ein Ausschuss einen nicht-legislativen Bericht ausarbeitet, benennt er ebenfalls einen Berichterstatter, vgl. Art. 160 Abs. 1 GO EP, ebd. 181 Gemäß Art. 67 Abs. 2 GO EP, ebd., besteht eine legislative Entschließung ausschließlich aus der Erklärung, „ob das Parlament den Vorschlag der Kommission billigt, ablehnt oder Änderungen dazu vorschlägt, sowie Anträge zum Verfahren“. 182 Art. 159 Abs. 3 GO EP, ebd. 183 Vgl. Art. 161 Abs. 2, 3 GO EP, ebd. 184 Dann findet jedoch die komplizierte Regelung des Art. 69 GO EP, ebd., Anwendung, die auf eine Vermittlung der Standpunkte von Kommission und Europäischem Parlament abzielt. 185 Art. 67 Abs. 3 GO EP, ebd. Lehnt das Europäische Parlament hingegen den Vorschlag ab, wird dieser letztlich an den zuständigen Ausschuss zurücküberwiesen, vgl. Art. 68, 67 Abs. 2 GO EP, ebd.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
149
Da letztlich über die Stellungnahme des Parlaments zu einem Kommissionsvorschlag im Plenum abgestimmt wird, weist formell die Stimme jedes Abgeordneten das gleiche Gewicht auf. Somit stellen alle Abgeordneten ein potentielles Ziel für die Einflussnahme dar.186 Inhaltlich haben die einzelnen Abgeordneten zu diesem Zeitpunkt aber keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten mehr, da nur über die Annahme oder Ablehnung des Berichts des federführenden zuständigen Ausschusses entschieden wird. Diese Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Berichts wird zudem in der Praxis regelmäßig durch Faktoren, wie die für ein funktionsfähiges Parlament notwendige und aus dem mitgliedstaatlichen Parlamenten bekannte Fraktionsdisziplin, aber auch durch nationale Interessenlagen vorgeprägt oder gelenkt. Die Zusammensetzung der Ausschüsse gleicht proportional der Zusammensetzung des Plenums.187 In den meisten Fällen folgt das Plenum bei seiner Abstimmung der des Ausschusses.188 Ein größeres Gewicht kommt somit den Mitgliedern der mitberatenden und insbesondere federführenden Ausschüsse zu. Sie können die Änderungsanträge einbringen, die in den Bericht einfließen und die Stellungnahme des Parlaments zum Kommissionsvorschlag verändern können. Auf dieser Ebene sind inhaltliche Einflussmöglichkeiten gegeben.189 Entscheidende Anlaufstelle ist aber der Berichterstatter des federführenden zuständigen Ausschusses, der allein für die Ausarbeitung des Berichts zuständig ist und somit – ähnlich der Kommission im gesamten Gesetzgebungsverfahren – über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügt. Er stellt die Schlüsselfigur innerhalb des Parlaments dar, auf die sich die Bemühungen um eine effiziente Einflussnahme konzentrieren.190 Neben dem Berichterstatter sind auch die sog. Schattenberichterstatter, die Koordinatoren der Parteigruppen in dem Ausschuss sowie die Ausschussvorsitzenden bedeutsame Kontaktstellen innerhalb des Europäischen Parlaments.191 Die Koordinatoren der Parteigruppen werden als „Wachhund“ der jeweiligen Partei in dem Ausschuss bezeichnet und sind für eine geschlossene Position der Mitglieder der jeweiligen politischen Gruppe verantwort186 Gemäß Art. 2 GO EP, ebd., üben die Abgeordneten ihr Mandat frei aus und sind nicht an Aufträge oder Weisungen gebunden. 187 Vgl. Art. 152 Abs. 1 S. 2 GO EP, ebd. 188 Es gibt aber auch zahlreiche Fälle, bei denen die Abstimmung im Plenum wegen der besonderen Bedeutung und Brisanz der Thematik nicht durch das Ergebnis bei der Ausschussabstimmung vorbestimmt ist. Ebenso kann sich in dem Zeitraum von der Ausschussabstimmung bis zur Plenumabstimmung durch aktuelle Ereignisse und Entwicklung die Situation entscheidend ändern. 189 Greenwood, Representing Interests in the EU, 2003, 40. 190 Greenwood, ebd., 40. 191 Europäisches Parlament, Lobbying in the EU, 2003.
150
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
lich.192 Die Ausschussvorsitzenden verfügen als Inhaber der Organisationsgewalt in den Ausschüssen über erhebliche faktische Macht.193 3. Motivation: Sachverstand und Bürgerrepräsentation Das Europäische Parlament steht der unmittelbaren Kommunikation mit einzelnen Bürgern und den organisierten gesellschaftlichen Kräften aus mehreren Gründen grundsätzlich positiv gegenüber. Hauptgrund ist der Umstand, dass die Abgeordneten, insbesondere die Berichterstatter und die übrigen Ausschussmitglieder, in hohem Maße externen Sachverstand benötigen, um einen fundierten, ausgewogenen Bericht zu dem jeweiligen Kommissionsvorschlag erstellen und eine eingehende, inhaltliche Diskussion in der Auseinandersetzung mit entsprechenden Änderungsanträgen führen zu können. Diesen Sachverstand erhalten die Abgeordneten in der Regel nicht von einzelnen Bürgern, sondern von organisierten Interessenvertretungen, insbesondere Verbänden und Nichtregierungsorganisationen. Die Heranziehung externen Sachverstands ist auch für den Beitrag des Europäischen Parlaments zu einer hohen Qualität der Gesetzgebung unerlässlich. Ein weiterer Grund für die offene Haltung des Europäischen Parlaments und seiner Mitglieder zu unmittelbaren Kontakten mit Bürgern und Personenzusammenschlüssen ist die traditionelle Funktion, die ein Parlament als gewählter Vertreter der Bürger in einem politischen Gemeinweisen hat. Auch wenn die Legitimation formal nur in großen Zeiträumen punktuell über den Wahlakt vermittelt wird, ist das Parlament das Organ im Rechtsetzungsverfahren, dem die Repräsentation der Bürger obliegt. In diesem Bemühen nimmt es auch bei konkreten Anliegen die Ansichten und Interessen der Bürger auf und setzt sie, im gegenseitigen Ausgleich und auf das Gemeinwohl ausgerichtet, in einem Rechtssatz um. In diesem Sinn unterstützt das Europäische Parlament in begrenztem Umfang auch partizipatorische Elemente, ohne ihnen jedoch legitimatorische Wirkung zuzusprechen. Unter strikter Betonung des Grundsatzes repräsentativer Demokratie basiert seine Legitimation allein auf der Wahl durch alle Bürger und nicht zusätzlich auf dem Kontakt mit einzelnen Bürgergruppen.
192
Larsson, The World of Expert Groups, 2003, 47. Die Aussagen über die unterschiedliche Bedeutung der Kontaktstellen innerhalb des Europäischen Parlaments treffen grundsätzlich auch auf die zweite oder ggf. dritte Lesung zu, in denen sich die Ausschüsse und das Plenum wieder mit dem Kommissionsvorschlag bzw. Gemeinsamen Standpunkt des Rates beschäftigen, s. Greenwood, Representing Interests in the EU, 2003, 41. 193
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
151
III. Rat der EU 1. Abstieg zum gleichberechtigten Mitentscheidungsorgan Bis zur Einheitlichen Europäischen Akte war der Rat der alleinige Gesetzgeber in den Europäischen Gemeinschaften.194 Mit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens ist der Rat der EU dort zum bloßen Mitentscheidungsorgan neben dem Europäischen Parlament abgestiegen. In den vier übrigen Rechtsetzungsverfahren bleibt der Rat weiterhin das allein entscheidungsbefugte EU-Organ.195 Gemäß Art. 202 EG hat der Rat weiterhin die zentrale Stellung im politischen Entscheidungssystem der EU allgemein und im Rechtssetzungsverfahren inne.196 Dies betrifft insbesondere den zweiten und dritten Pfeiler der Union, die GASP und die PJZS.197 Bei der Rechtsetzung im Rahmen der Komitologieverfahren kann der Rat die Funktion einer Letztentscheidungsinstanz ausüben, wenn sich bei dem Verwaltungsverfahren und insbesondere bei dem Regelungsverfahren die Kommission und der entsprechende Ausschuss nicht einigen.198 Auch wenn der Basisrechtsakt im Mitentscheidungsverfahren angenommen wurde, überträgt ausschließlich der Rat der Kommission die Befugnisse zum Erlass von Durchführungsbestimmungen gemäß Art. 202, 3. Gedankenstrich EG. 2. Entscheidungszentrum Arbeitsgruppen und AStV Die interne Organisationsstruktur des Rates findet eine erste Regelung in Art. 203 und 207 EG. Nach Art. 203 S. 1 EG besteht der Rat „aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene“, die sich – zunehmend häufiger199 – in nunmehr neun nach Sachgebieten zusammengefassten Formationen200 zu Tagungen treffen. Diese Ratstagungen stellen die oberste Arbeitsebene des Rates der EU dar. 194
Hummer/Obwexer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 202 EGV Rn. 5. s. den letzten Abschnitt über die Stellung des Europäischen Parlaments im Rechtsetzungsprozess der EU. 196 Hummer/Obwexer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 202 EGV Rn. 24, 5, 7, wonach der Rat „nach wie vor das dominante rechtsetzende Organ“ ist. 197 Vgl. Art. 13 Abs. 3, 14 ff. und 34 EU. 198 Vgl. Art. 4 Abs. 4 bzw. Art. 5 Abs. 6 des Komitologiebeschlusses 1999/468 des Rates v. 28.6.1999, ABl. 1999 L 184/23 v. 17.7.1999. 199 Gegenwärtig 80 Tagungen pro Jahr, zumeist in der Formation des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ sowie „Landwirtschaft“ und „Wirtschaft und Finanzen“, s. Hummer/Obwexer, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 204 EGV Rn. 14. 200 s. Anlage 1 zur GO Rat, Beschluss v. 22. März 2004, 2004/338/EG, Euratom, ABl. L 106/22 vom 15.4.2004. 195
152
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Gemäß Art. 207 Abs. 1 EG hat der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (AStV)201 vorbereitende und ausführende Aufgaben gegenüber dem Rat inne. Der AStV ist das „Hilfsorgan“202 des Rates und soll die Tagesordnungspunkte der Ratstagungen vor- und aufbereiten sowie vor allem im Vorfeld der Ratstagungen Einvernehmen erzielen.203 Der AStV tagt in zwei Formationen: Der AStV I behandelt eher juristisch-technische Fragen, während der AStV II die politisch wichtigen Fragen berät.204 Die im AStV II versammelten Ständigen Vertreter sind die mit dem Rang eines Botschafters ausgestatteten Leiter der Vertretungen der Mitgliedstaaten in der EU in Brüssel205, die von ihren Regierungen ernannt und abberufen werden und ihnen gegenüber weisungsgebunden sind.206 Im AStV I tagen die Vertreter dieser Ständigen Vertreter. Der AStV stellt die zweite, mittlere Arbeitsebene innerhalb des Rates dar. Über die dritte, unterste Arbeitsebene des Rates trifft das Primärrecht keine Aussage. Detaillierte Regelungen dazu sowie zur Organisationsstruktur und Arbeitsweise des Rates allgemein finden sich in der Geschäftsordnung des Rates (GO Rat).207 Gemäß Art. 19 Abs. 3 GO Rat werden vom AStV oder mit dessen Zustimmung eingesetzte Arbeitsgruppen und Ausschüsse mit vorbereiteten Aufgaben für die Tätigkeit des AStV betraut. Diese Arbeitsgruppen setzen sich aus Abgesandten der nationalen Ministerien zusammen, die häufig ausschließlich für die jeweiligen Sitzungen nach Brüssel anreisen.208 Aus dieser dreistufigen Organisationsstruktur ergibt sich folgendes Arbeitsverfahren für die Behandlung von Kommissionsvorschlägen innerhalb des Rates.209 Arbeitsgruppen und Ausschüsse werden als ständige Untergliederungen des Rates für sämtliche Sachbereiche und Gemeinschaftspolitiken, in denen die EU legislativ tätig ist, eingerichtet. Jeder Kommissionsvorschlag wird von einem Ausschuss oder einer Arbeitsgruppe betreut. Insgesamt gibt es etwa 200 dieser Arbeitseinheiten.210 Derselbe nationale 201
In französischer Übersetzung Comité des représentants permanents (CORE-
PER). 202 EuGH, Urteil v. 19. März 1996, C-25/94, Kommission/Rat, Slg. 1996, I-1469, 1497, Rn. 26. 203 Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 91. 204 Hummer/Obwexer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 207 EGV Rn. 7. 205 Hummer/Obwexer, ebd., Rn. 6. 206 Hummer/Obwexer, ebd., Rn. 6. 207 Beschluss des Rates v. 22. März 2004, 2004/338/EG, Euratom, ABl. L 106/22 vom 15.4.2004. 208 Larsson, The World of Expert Groups, 2003, 43. 209 Vgl. Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 92.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
153
Abgesandte kann einen Mitgliedstaat in mehreren Ausschüssen bzw. Arbeitsgruppen vertreten.211 In den Arbeitsgruppen und Ausschüssen wird versucht, so weit wie möglich zu einer Einigung über die Rechtsetzungsvorschläge der Kommission zu kommen, so dass der AStV sich mit dem jeweiligen Dossier inhaltlich nicht mehr oder nur noch punktuell befassen muss.212 Der AStV versucht ebenso, möglichst viele Dossiers mit einer einvernehmlichen Lösung zu schließen, um die Tagungen des Rates zu entlasten. Gemäß Art. 19 Abs. 2 GO Rat werden alle Punkte auf der Tagesordnung einer Ratstagung vom AStV einer vorherigen Prüfung mit dem Ziel unterzogen, auf dieser Ebene zu einer Einigung zukommen und somit die entsprechenden Texte dem Rat zur Annahme im sog. A-Verfahren zu unterbreiten. Punkte, die in dem Teil A der Tagesordnung einer Ratssitzung angesetzt werden, nimmt der Rat in der Regel direkt ohne Aussprache und Abstimmung an.213 In der Praxis handelt es sich dabei um den größeren Teil der Texte. Lediglich die politisch brisanteren Fälle, über die auf Ebene des AStV keine Einigung erzielt werden konnte, werden vom Rat selbst als sog. B-Punkte verhandelt.214 Unter quantitativen Gesichtspunkten findet die inhaltliche Beschlussfassung in der weit überwiegenden Anzahl bereits auf den Arbeitsebenen unterhalb des Rates statt, zumeist schon auf der Ebene der Arbeitsgruppen und Ausschüsse. Kommunikationspartner der organisierten gesellschaftlichen Kräfte sind allein die Vertreter der Mitgliedstaaten, nicht der Rat als Kollektiv. Die Mitglieder der Ausschüsse und Arbeitsgruppen unterliegen als Abgesandte der nationalen Ministerien einer absoluten Weisungsbindung und verfügen in der Regel über keinen eigenen Gestaltungsspielraum. Auch auf der Ebene des AStV wird die Verhandlungsposition eines Mitgliedstaats von den nationalen Ministerien bestimmt. Eine Kommunikation muss also schon 210 Vgl. Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 92; Streinz, Europarecht, 2008, Rn. 313. Gemäß Art. 19 Abs. 3 UAbs. 2 GO Rat, Beschluss des Rates v. 22.7.2002, 2002/682/EG, ABl. L 230/7 v. 28.8.2002, bringt das Generalsekretariat ein Verzeichnis dieser Gremien heraus. 211 Dies ist insbesondere bei kleineren Mitgliedstaaten der Fall, deren Personalverwaltung nicht den personellen Umfang und damit ein so hohes Maß an Spezialisierung aufweist wie bei großen Mitgliedstaaten. 212 Vgl. Art. 21 Abs. 1 GO Rat, Beschluss des Rates v. 22. März 2004, 2004/ 338/EG, Euratom, ABl. L 106/22 vom 15.4.2004. 213 Vgl. Art 3 Abs. 6 GO Rat, ebd. In der Praxis wird die Liste der A-Punkte, über die der AStV Einvernehmen erzielt hat, als Ganzes in einem Akt angenommen. Es können auch Erklärungen zu den einzelnen Punkten für das Protokoll abgegeben werden. In Ausnahmefällen kann es auch zu einer Aussprache zu einem A-Punkt kommen, der dann als nicht angenommen gilt, Hummer/Obwexer, in: Streinz, EUV/ EGV, 2003, Art. 204 EGV Rn. 38. 214 Hummer/Obwexer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 204 EGV Rn. 39.
154
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
vor den Verhandlungen auf den verschiedenen Arbeitsebenen in Brüssel auf nationaler Ebene bei den jeweils zuständigen Ministerien in den Mitgliedstaaten erfolgen. 3. Fehlende Motivation: Kommunikation nur auf nationaler Ebene Die Motivation des Rates für eine unmittelbare Kommunikation mit den einzelnen Bürgern und den organisierten gesellschaftlichen Kräften ist gering. Als Kollektiv scheidet der Rat aufgrund der internen Organisationsstruktur und Arbeitsweise als Kontaktpartner aus. Kommunikation findet daher kaum in Brüssel im Umfeld von Ratssitzungen und Tagungen von AStV bzw. Arbeitsgruppen und Ausschüssen statt, sondern vielmehr im Vorfeld in den nationalen Hauptstädten, wenn in den nationalen Ministerien die inhaltliche Position für die Verhandlungen im Rat entscheidend festgelegt wird. Der für die Verhandlungen innerhalb des Rates notwendige Sachverstand kommt daher aus den nationalen Ministerien, die häufig Informationen von organisierten gesellschaftlichen Kräften auf nationaler Ebene erhalten.215 Der Rat hat auch kein besonderes Interesse, die unmittelbare Kommunikation zu einzelnen Bürgern oder Bürgergruppen zur Förderung eines partizipatorischen Demokratiemodells oder zur Stärkung der eigenen Position gegenüber dem Europäischen Parlament zu benutzen. IV. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss Ebenfalls unmittelbar am Rechtsetzungsprozess beteiligt sind die sog. Neben- oder Hilfsorgane216 des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) und des Ausschusses der Regionen (AdR), die gemäß Art. 7 Abs. 2 EG lediglich beratende Aufgaben und somit keine Mitentscheidungsbefugnisse innehaben.217 Der erst 1994 errichtete AdR, dessen Mitglieder gemäß Art. 263 Abs. 1 EG gewählte oder ernannte Vertreter regionaler und lokaler Gebietskörperschaften sind, versucht, die von ihm reprä215 Zur Einflussnahme auf die deutsche Verhandlungsposition im Rat s. Schneider/Baltz, ZSE 2003, 199 ff. 216 In Abgrenzung zu den fünf in Art. 7 Abs. 1 EG und Art. I-19 Abs. 1 VV genannten Hauptorganen der EG; s. Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 7 EGV Rn. 12. 217 Die übrigen in Art. 7 Abs. 1 EG genannten EU-Organe Gerichtshof und Rechnungshof sind nicht am Rechtsetzungsprozess beteiligt. Aus dem gleichen Grund können auch die übrigen im Primär- oder Sekundärrecht genannten Einrichtungen und Organe wie das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), die Europäische Zentralbank (EZB), die Europäische Investitionsbank (EIB), der Europäische Bürgerbeauftragte sowie die zahlreichen Agenturen für diese Untersuchung außer Betracht bleiben.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
155
sentierten hoheitlichen Interessen der lokalen und regionalen Ebene in den Rechtsetzungsprozess einzubringen. Auch wenn die Zusammensetzung und der Aufgabenbereich des AdR Kontakte mit organisierten gesellschaftlichen Kräften keineswegs ausschließen218, ist der EWSA kraft seiner Zusammensetzung und seiner vertraglich verankerten Funktion der geeignetere Kommunikationspartner.219 Aus diesem Grund konzentrieren wir uns im Folgenden allein auf den EWSA. 1. Keine Entscheidungsbefugnisse Art. 257 S. 1 EG stellt klar, dass der EWSA nur beratende Aufgaben erfüllt und nicht über (Mit-)Entscheidungsbefugnisse verfügt.220 Die Beratungsfunktion betrifft die Rechtsetzungstätigkeit221 und vollzieht sich in der in Art. 262 EG näher geregelten Form der (fakultativen oder obligatorischen) Anhörung durch Rat, Kommission und Europäischem Parlament. Der EWSA erarbeitet primär Stellungnahmen, die er Rat, Kommission und Europäischem Parlament zusammen mit dem Bericht der zuständigen Fachgruppe sowie einem Bericht über die Beratungen übermittelt.222 Vom Rat oder der Kommission muss der EWSA nach Art. 262 UAbs. 1 S. 1 EG in den vertraglich vorgesehenen Fällen angehört werden, die nicht mit einer bestimmten Art des Rechtsetzungsverfahrens verknüpft sind.223 Auch wenn die Stellungnahme die beiden Organe rechtlich nicht bindet, stellt das Unterlassen einer obligatorischen Anhörung einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, so dass der daraufhin erlassene Rechtsakt mit Erfolg 218 Auch Regional- und Kommunalbehörden haben sich auf nationaler und europäischer Ebene zu Verbänden zusammengeschlossen, die wiederum unmittelbarer Kommunikationspartner, insbesondere für Kommission und Europäisches Parlament sind. So schlägt die Kommission in ihrem Weißbuch „Europäisches Regieren“ vor, einen systematischen Dialog mit diesen Verbänden zu organisieren, um sie in die Politikgestaltung auf europäischer Ebene einzubinden, s. Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 17. 219 s. o. 2. Teil, 1. Kap., B. II. 2. b) bb). 220 An der Rechtsetzung durch die Komitologieverfahren ist er ebenso wie der AdR überhaupt nicht beteiligt. 221 Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 257 EGV Rn. 5. 222 Vgl. Art. 262 UAbs. 3 EG und ebenso Art. III-392 UAbs. 3 VV. Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 262 EGV Rn. 1, der auf Art. 29, 54 GO EWSA hinweist, CES 1103/2006, http://eesc.europa.eu/organisation/rules/docs/ces1103-2006_rev2_ d_de.pdf. 223 Vierlich-Jürcke, EWSA, 1998, 136, 143 f. Für eine Auflistung der insgesamt ca. dreißig Fälle der obligatorischen Anhörung s. Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 262 EGV Rn. 2. Nach Art. III-392 UAbs. 1 S. 1 VV ist der EWSA in diesen Fällen auch vom Europäischen Parlament obligatorisch anzuhören.
156
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
vor den europäischen Gerichten durch die Nichtigkeitsklage angegriffen werden kann.224 Der EWSA gibt eine Stellungnahme fristgerecht225 in der Phase der Beratung über den Kommissionsvorschlag ab, wenn der Willensbildungsprozess bei Kommission, Rat und Europäischem Parlament schon weit vorangeschritten oder gar abgeschlossen ist.226 Daher übt die Stellungnahme des EWSA in der Praxis häufig nur noch einen geringen Einfluss auf den Inhalt des Rechtsakts aus.227 Rat, Kommission und – seit dem Vertrag von Amsterdam – Europäisches Parlament können in allen anderen Fällen den EWSA nach Belieben anhören, wenn sie es für zweckmäßig erachten.228 Dies kommt in der Praxis häufig vor, insbesondere auf Initiative des Rates, der nicht über einen so umfangreichen Verwaltungsunterbau wie die Kommission und das Europäische Parlament verfügt.229 Auch im Rahmen der fakultativen Anhörung müssen die Organe die Stellungnahme abwarten, bevor der Rechtsakt erlassen wird. Über die Fälle der obligatorischen und fakultativen Anhörung hinaus kann der EWSA in Eigeninitiative Stellungnahmen abgeben. Dieses vom Rat bereits 1974 gewährte Selbstbefassungsrecht ist durch den Vertrag von Maastricht primärrechtlich verankert worden.230 Von dieser Möglichkeit macht er häufig Gebrauch in den Sachbereichen, in denen er über ausgewiesenen Sachverstand verfügt, um auf diese Weise einerseits intensiven Einfluss auf den Inhalt der Rechtsetzung und Politikgestaltung zu nehmen, andererseits abstrakt sein relativ bescheidenes institutionelles Gewicht zu erhöhen.231 Auch wenn die Stellung des EWSA im Rechtsetzungsprozess der EU im Vergleich zu den schon untersuchten Hauptorganen formal gering ist, stellt der EWSA aufgrund seiner Funktion als institutionalisierter Vertreter der 224 Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 262 EGV Rn. 4. Nach Burgi, in: Rengeling, Hdb. Rechtschutz EU, § 7 Rn. 20, dürfte für eine solche Nichtigkeitsklage des EWSA erstinstanzlich das EuG zuständig sein, da der EWSA weder zu den privilegierten noch zu den teilprivilegierten Klageberechtigten nach Art. 230 Abs. 2 und 3 EG gehört. 225 Vgl. Art. 262 Abs. 2 EG und ebenso Art. III-392 UAbs. 2 S. 1 VV; in der Praxis meist ein bis drei Monate, s. Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 262 EGV Rn. 8. 226 Vierlich-Jürcke, EWSA, 1998, 164 ff. Zu den Gründen sowie den Vor- und Nachteilen der späten Beteiligung s. Siebeke, Interessenvertretungen, 1996, 80 f. 227 Ebenso Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 20. 228 Art. 262 UAbs. 1 S. 2, UAbs. 4 EG; so auch Art. III-392 UAbs. 1 S. 2 VV. 229 Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 262 EGV Rn. 6. 230 Art. 262 UAbs. 1 S. 3 EG; so auch in Art. III-392 UAbs. 1 S. 3 VV. 231 Vgl. Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 262 EGV Rn. 7.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
157
organisierten Zivilgesellschaft praktisch einen wichtigen Kommunikationspartner dar. 2. Fachgruppen und Unterausschüsse Die interne Organisationsstruktur des nach der Osterweiterung 344 Mitglieder umfassenden EWSA ist in Art. 261 EG geregelt. Maßgebliche Untergliederungen des EWSA sind formell die nunmehr sechs „fachlichen Gruppen“, die für die „Hauptfachgebiete dieses Vertrags“232 eingerichtet wurden und parlamentarischen Ausschüssen vergleichbar sind. Den fachlichen Gruppen obliegt die Aufgabe, Stellungnahmen und Informationsberichte anzufertigen, welche die endgültigen Stellungnahmen des EWSA als Organ vorbereiten, über die das Plenum beschließt.233 Dabei wird – wie in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments – ein Berichterstatter ernannt, der für die Ausarbeitung dieser vorbereitenden Stellungnahme verantwortlich ist. Der EWSA kann auch in folgende drei Gruppen untergliedert werden, deren Charakter mit dem von Fraktionen in einem Parlament verglichen werden kann234: Arbeitgeber, Arbeitsnehmer und Sonstige, die die Vielzahl an unterschiedlichen Interessen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens bündeln.235 Neben den Fachgruppen können Unterausschüsse eingesetzt werden, die „über bestimmte Fragen oder auf bestimmten Gebieten Entwürfe von Stellungnahmen zur Beratung im Ausschuss“236 ausarbeiten. Diese in der Praxis eher selten eingesetzten ad-hoc Arbeitseinheiten befassen sich entgegen dem Wortlaut in der Praxis mit allgemeinen politischen Themen, die die Sachbereiche der Fachgruppen im Querschnitt betreffen können.237 Häufiger befasst sich mit fachübergreifenden Themen diejenige Fachgruppe, die schwerpunktmäßig für den Gegenstand zuständig ist, während Unterausschüsse eher für umfangreiche Fragen von allgemein politischer Bedeutung eingesetzt werden.238 Nach Abstimmung über den Entwurf der Stellungnahme im Plenum endet das Mandat des Unterausschusses. 232 Art. 261 UAbs. 1 EG; vgl. Art. 14 Abs. 1 GO EWSA, Für eine Auflistung der sechs Fachgruppen, die unter den Stichwörtern Landwirtschaft, Wirtschaft, Soziales, Außenbeziehungen, Binnenmarkt und Verkehr/Energie zusammengefasst werden können, s. Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 261 EGV Rn. 3. 233 Burgi, ebd., Rn. 2. 234 Burgi, ebd., Rn. 2. 235 Vgl. Art. 22 GO ESWA; jeder dieser Gruppen gehört ca. ein Drittel der Mitglieder des EWSA an, Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 257 EGV Rn. 8. 236 Art. 261 UAbs. 3 EG. 237 Burgi, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 261 EGV Rn. 6. 238 Burgi, ebd., Rn. 6.
158
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
3. Motivation: Stärkung der eigenen Legitimation Die hohe Motivation des EWSA zur Intensivierung der Kommunikation mit Bürgern und den organisierten gesellschaftlichen Kräften ergibt sich schon aus der Funktion des EWSA als institutionalisierter Vertreter der wirtschaftlichen und sozialen Bereiche der organisierten Zivilgesellschaft gemäß Art. 257 Abs. 2 EG. Der EWSA sieht sich nicht mehr nur – wie es lange Zeit der Fall war – als Vertreter der Sozialpartner, sondern ist seit über einem Jahrzehnt bemüht, als „Sprachohr der Zivilgesellschaft“ in allen Bereichen der Gemeinschaftspolitiken ihre Interessen im Rechtsetzungsprozess der EU zu vertreten.239 Auf diese Weise erhofft er sich eine Aufwertung seiner primärrechtlich schwach ausgestalteten Stellung im Rechtsetzungsprozess der EU. Hauptmotiv des EWSA für die Kommunikation mit Bürgern und Bürgergruppen ist somit die Stärkung der Legitimation des eigenen Handelns. Demgegenüber ist das Motiv der Erlangung von Informationen und Sachverstand, über den die Mitglieder des EWSA als Vertreter verschiedenster Organisationen häufig schon verfügen, von geringerer Relevanz. V. Ergebnis Die Kommission ist für den Bürger und die organisierte Zivilgesellschaft aufgrund ihres Initiativmonopols der wichtigste und erfolgversprechendste Kommunikationspartner unter den EU-Organen, um effektiven und substantiellen Einfluss auf den Inhalt von Rechtsakten auszuüben. Ebenso hat die Kommission eine sehr hohe Motivation, Bürger über unterschiedliche Beteiligungsformen in den Rechtsetzungsprozess einzubinden, um die Qualität des Rechtsakts durch Gewinnung externen Sachverstands und die Legitimation ihrer Rechtsetzungstätigkeit im Sinne des partizipatorischen Demokratiemodells zu erhöhen. Wichtigste Kontaktstelle ist innerhalb der Kommission der für die Ausarbeitung des Entwurfs eines Rechtakts verantwortliche Beamte in der zuständigen Generaldirektion. Mit der Aufwertung zum fast gleichberechtigten Mitentscheidungsorgan im Rechtsetzungsprozess hat das Europäische Parlament auch an Bedeutung 239 Vgl. EWSA, Stellungnahmen „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“ (ABl. C 329/30 v. 17.11.1999) sowie „La société civile organisé au niveau européen. Actes de la première Convention“, „Regierungskonferenz 2000 – Die Rolle des europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses“ (ABl. C 117/28 v. 26.4.2000); „Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Kommission und Nichtregierungsorganisationen“ (ABl. C 268/67 v. 19.9.2000); „Strategische Ziele 2000–2005 – Das neue Europa gestalten“ (ABl. C 14/133 v. 16.1.2001); „Die organisierte Zivilgesellschaft und europäische Governance – Beitrag des Ausschusses zur Erarbeitung des Weißbuchs“ (ABl. C 193/177 v. 10.7.2001).
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
159
und Attraktivität für die Bürger und die organisierte Zivilgesellschaft gewonnen. Auch das Europäische Parlament steht einer direkten Kommunikation sehr positiv gegenüber, da es zum einen ebenfalls externen Sachverstand benötigt, zum anderen traditionell die Funktion erfüllt, die Bürgerschaft zu repräsentieren, ihre Anliegen und Interessen aufzunehmen und in einem am Gemeinwohl orientierten Rechtsakt zum Ausgleich zu bringen. Entscheidende Bedeutung hat der Berichterstatter im federführenden Ausschuss, der sich zunächst mit einem Kommissionsentwurf befasst. Auch wenn der Rat weiterhin Hauptentscheidungsorgan der EU ist, stellt er aufgrund der internen Organisations- und Arbeitsstruktur das für die Bürgerbeteiligung unbedeutendste EU-Organ dar. Vielmehr findet die Kommunikation auf nationaler Ebene mit den zuständigen Ministerien statt, um die nationalen Verhandlungspositionen des in den Rat entsandten Vertreters zu beeinflussen. Der EWSA ist aufgrund seiner Zusammensetzung und primärrechtlich normierten Funktion als institutionalisiertes Forum der organisierten Zivilgesellschaft der ideale Kommunikationspartner für den Bürger und die organisierte Zivilgesellschaft. Entsprechend intensiv bemüht er sich um den Ausbau der Kommunikation durch die Veranstaltung von Konferenzen und die Einbeziehung bei der Ausarbeitung seiner Stellungnahmen. Mangels jeglicher Entscheidungsbefugnisse ist seine Stellung im Rechtsetzungsprozess insgesamt jedoch schwach.
D. Arten der Bürgerbeteiligung Die Kommunikation zwischen den EU-Organen und den gesellschaftlichen Kräften in der Vorbereitung und im Verlauf der Rechtsetzungsverfahren hat sich weitgehend unstrukturiert entwickelt. Dies hat zu einer unübersichtlichen Vielfalt an Beteiligungsarten geführt. Anhand der folgenden Kriterien lassen sich die Beteiligungsarten systematisieren. Die Bürger können auf verschiedene Weise unmittelbar mit EU-Organen kommunizieren. So kann grundsätzlich zwischen schriftlichen Eingaben einerseits, beispielsweise in Form von Briefen, Stellungnahmen oder Gutachten, sowie mündlichen Gesprächen oder Anhörungen andererseits unterschieden werden (Kriterium der Form, unter I.). Die Beteiligung kann auf Aufforderung des EU-Organs oder aus Eigeninitiative des Bürgers stattfinden (Kriterium der Veranlassung, unter II.). Sie kann einmalig oder regelmäßig durchgeführt werden (Kriterium der Häufigkeit, unter III.). Sie kann einerseits Gegenstand einer rechtlichen Regelung sein, z. B. der Geschäftsordnung eines Organs oder eines Verhaltenskodexes, andererseits kann die Kommunikation ohne jegliche Rechtsgrundlage erfolgen (Kriterium der
160
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Rechtsgrundlage, unter IV.). Die Bürgerbeteiligung unterscheidet sich zudem nach Organ und Politikbereich. So wird sie von der Kommission auf eine andere Weise organisiert und durchgeführt als vom Europäischen Parlament und vom EWSA. Zugleich hängt die Intensität der Kommunikation auch innerhalb der Kommission erheblich von der Eignung des Politikbereichs für die unterschiedlichen Arten der Bürgerbeteiligung ab (institutionelles und materielles Kriterium, unter V.). I. Form Die Kommunikation zwischen den EU-Organen und den Bürgern als Individuen oder als Gruppe kann schriftlich (unter 1.) oder mündlich (unter 2.) erfolgen.240 1. Schriftlich: Postalische oder Online-Eingaben Das klassische Beispiel einer schriftlichen Eingabe ist das postalisch verschickte Informationsschreiben, das auf wenige Seiten begrenzt ist, um dem Adressaten einen schnellen, prägnanten Überblick zu geben, indem es in konzentrierter Form Informationen und Ansichten zu einem bestimmten Vorschlag eines Rechtsakts zusammenfasst. Diese kurz gehaltenen Informationsschreiben schicken einzelne Bürger oder Bürgergruppen in der Regel nicht an den für die Ausarbeitung des Vorschlags zuständigen Kommissionsbeamten oder an Berichterstatter und Schattenberichterstatter im Europäischen Parlament, da diese Schlüsselfiguren umfangreichere Informationen erhalten. Solche Schreiben werden vielmehr an alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments – oder nur an alle Abgeordneten einer bestimmten politischen Gruppierung oder einer bestimmten Nationalität – kurz vor einer Abstimmung im Plenum versendet, um die Parlamentarier zu einem gewünschten Abstimmungsverhalten zu bewegen. Der Inhalt der schriftlichen Eingabe kann auch substantiierter sein und eine Vielzahl an Seiten umfassen. Da ein Abgeordneter nicht die Zeit hat, sich in jedes zur Abstimmung im Plenum gestelltes Vorhaben umfangreich einzuarbeiten, versenden einzelne Bürger oder Bürgergruppen diese umfangreicheren Schreiben gezielt, z. B. an Ausschussmitglieder. Als Beispiel für diese Form der schriftlichen Eingabe seien gutachterliche Stellungnahmen genannt, die vereinzelt von den Autoren selbst, zumeist aber von einer Interessenorganisation übermittelt werden, die das Gutachten in Auftrag gegeben hat. 240 Nach Furtak, NGOs im politischen System der EU, 2001, 93, sind Gespräche, Positionspapiere und Expertisen die häufigsten Formen der Einflussnahme.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
161
Die Kommission führt zunehmend internetgestützte Konsultationen über das Web-Portal „Ihre Stimme in Europa“241 durch.242 In diesem Web-Portal veröffentlicht die Kommission sämtliche laufenden (und abgeschlossenen) Konsultationen, die in den verschiedenen Politikbereichen der EU durchgeführt werden.243 Die Kommission lädt alle Beteiligten bzw. die Öffentlichkeit244 ein, ihr bis zum Ablauf einer mehrwöchigen Frist Beiträge zu dem jeweiligen Vorschlagsentwurf zuzusenden. Teilweise beschränkt die Kommission die „Zielgruppe“ auf „Wirtschaftsbeteiligte“, „Unternehmen“ oder „Unternehmensverbände“.245 Im Rahmen dieser Konsultationsverfahren können einzelne Bürger, aber auch jegliche Zusammenschlüsse von Bürgern – von Bürgerbewegungen über Nichtregierungsorganisationen bis zu Wirtschaftsverbänden – der Kommission schriftliche Eingaben elektronisch übermitteln. Die Eingaben werden intern an den für den oder die für den Rechtssatzvorschlag zuständigen Kommissionsbeamten weitergeleitet und dann bei der Ausarbeitung des Rechtssatzentwurfs nach dessen Belieben berücksichtigt. Der Umfang der Eingaben variiert von einer kurzen pauschalen oder punktuellen Stellungnahme bis hin zu umfassenden, tiefgehenden Auseinandersetzungen mit dem Vorschlagsentwurf. 2. Mündlich: Informelle Gespräche, öffentliche Anhörungen Mit dem Begriff des Lobbyismus assoziiert man typischerweise informelle Gespräche zwischen Interessenvertretern und hoheitlichen Entscheidungsträgern. Solche unmittelbaren Kontakte werden in der Regel von Vertretern organisierter, personell und finanziell gut ausgestatteter Gruppen und Verbänden durchgeführt, die sich entweder Reisen nach Brüssel zum Sitz der EU-Organe oder eine dortige dauerhafte Repräsentanz leisten können. Diese Vertreter führen die Gespräche nicht nur mit Abgeordneten in deren Büros in den Parlamentsgebäuden in Brüssel und Straßburg, sondern verabreden sich mit den Abgeordneten zu Treffen in Hotels, Restaurants oder 241
http://ec.europa.eu/yourvoice/index_de.htm. 2005 stieg die Zahl internetgestützter Konsultation auf 106 (+ 11 gegenüber 2004) an; s. Kommission, KOM(2006) 289 endg. v. 13.6.2006, 3. 243 Auf der Startseite des Web-Portals unter der Rubrik „Konsultationen“ sind zum einen die laufenden Konsultationen tabellarisch nach der Reihenfolge des Fristablaufs aufgeführt. Zum anderen kann man in der Kopfzeile für jedes einzelne Jahr von 2001 bis 2005 die abgeschlossenen Konsultationen aufrufen. 244 Zumeist werden als Zielgruppe „Alle Beteiligten“/„Interessenvertreter“ genannt, gelegentlich die „Öffentlichkeit“, ohne das die Abgrenzung klar wird. 245 So z. B. bei der Modernisierung der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Wertgutscheinen und damit zusammenhängenden Fragen (Schlusstermin: 12. Januar 2007); http://ec.europa.eu/yourvoice/consultations/index_de.htm. 242
162
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
am Ort der Repräsentanz in Brüssel. Informelle Gespräche werden ebenso mit Kommissionsbeamten durchgeführt. Die Treffen können sich von kurzen, zehnminütigen Gesprächen über Arbeitsessen bis hin zu mehrstündigen Diskussionen – gerade im Kreise mehrerer Interessenvertreter – reichen. Öffentliche Anhörungen sind die klassische formelle Beteiligungsform, bei der ein Fachausschuss eines Parlaments oder eine Untergliederung eines Ministeriums einer begrenzten Anzahl an Sachverständigen und Vertretern von Gruppen, Verbänden oder Organisationen die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme und zur Beantwortung von Fragen gibt. Gleiches gilt auf europäischer Ebene für die Ausschüsse des Europäischen Parlaments und Untergliederungen der Generaldirektionen. Die „Angehörten“ werden zuvor nach gewissen Kriterien, zumeist spezieller Sachverstand und Repräsentativität, ausgewählt und eingeladen. Die Anhörung dauert einen halben oder ganzen Tag, selten auch zwei oder mehr Tage. Die „Redezeit“ kann nur wenige Minuten, aber auch mehr als eine Stunde betragen. Zumeist wird das Thema vorab eingegrenzt, teilweise wird eine Liste von konkreten Fragen gestellt. Häufig schließt sich an den Beitrag des Vortragenden ein Gespräch an, in dessen Verlauf Ausschussmitglieder präzisierende oder weiterführende Fragen stellen können. Zu den öffentlichen Anhörungen zählen auch die von der Kommission organisierten „Workshops“ und „Foren“, die über den Zweck der Erlangung speziellen Sachverstandes hinaus auch die Funktion erfüllen, einen informellen, individuellen Austausch zwischen allen Teilnehmern zu ermöglichen. II. Veranlassung Die Kommunikation zwischen den EU-Organen und den Bürgern als Individuen oder als organisierte Personenzusammenschlüsse kann auf Aufforderung des EU-Organs (unter 1.) oder aus Eigeninitiative der Bürger stattfinden (unter 2.). 1. Aufforderung durch die EU-Organe Die Beteiligung erfolgt auf Aufforderung oder Initiative des EU-Organs, wenn das handelnde EU-Organ speziellen Sachverstand oder Informationen zur Aus- oder Bearbeitung des Rechtssatzvorschlags benötigt. Klassisches Beispiel sind die bereits erwähnten öffentlichen Anhörungen von Sachverständigen und Vertretern von Interessengruppen. Zunehmend fordert die Kommission auch alle „betroffenen“ bzw. „interessierten“ Parteien zur Beteiligung im Rahmen von elektronisch durchgeführten Konsultationsverfahren auf. Diese Konsultationsverfahren können zu verschiedenen Zeitpunkten
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
163
in Vorbereitung eines späteren formellen Rechtsetzungsverfahrens stattfinden. Praktisch alle politischen Initiativen der EU werden im Bereich der Gemeinschaftspolitiken durch Grün- und Weißbücher eingeleitet, die auf den Webseiten der Kommission einsehbar sind.246 Grünbucher sind von der zuständigen Dienststelle der Kommission verfasste Dokumente, die sich mit einem bestimmten Problem auseinandersetzen. Nach der eingehenden Darstellung des Problems führt die Kommission in allgemeiner Form die von ihr favorisierten Lösungsvorschläge auf. Ziel eines Grünbuchs ist es, die Bürger über eine angedachte, mögliche Initiative in einer Gemeinschaftspolitik zu informieren und ihnen die Möglichkeit zur Einbringung eigener Lösungsvorschläge innerhalb einer angemessenen Frist zu geben.247 Weißbücher gehen einen Schritt weiter und sind oftmals Nachfolger von Grünbüchern. Sie setzen das in allgemeiner Form präsentierte Rechtsetzungsprogramm der Kommission um und machen detailliertere Vorschläge zu einer konkreten Initiative der Kommission in einer Gemeinschaftspolitik. Das Ziel entspricht dem der Grünbücher. Die auf ein Weißbuch eingehenden Beiträge der einzelnen Bürger sowie den verschiedensten Gruppen und Verbänden berücksichtigt die Kommission nach eigenem Belieben bei der Ausarbeitung eines konkreten Vorschlag eines Rechtssatzes, der dann das formelle Rechtsetzungsverfahren einleitet und an die Entscheidungsorgane des Rates und des Europäischen Parlaments übermittelt wird.248 Neben Grün- und Weißbüchern veröffentlicht die Kommission noch sog. „SEK“/„SEC“-Dokumente, die ursprünglich nur interne, durch das Generalsekretariat der Kommission erstellt Arbeitsdokumente bezeichnete, nunmehr aber auch von anderen Dienststellen der Kommission stammen und auch unter dem „SEK“/„SEC“-Kürzel veröffentlicht werden. Von Inhalt und Funktion ähneln sie nunmehr Weißbüchern.249 Auch auf Initiative von EUOrganen findet ein kommunikativer Austausch mit den Bürgern als Individuen oder in Zusammenschlüssen auf Konferenzen, Tagungen, Seminaren, Workshops und Kongressen statt, die zu einem bestimmten Themenbereich entweder von dem EU-Organ allein organisiert und durchgeführt oder unter 246
s. http://ec.europa.eu/yourvoice/consultations/index_de.htm. Gündisch/Mathijsen, Rechtsetzung und Interessenvertretung in der EU, 1999, 159. s. für eine Übersicht sämtliche veröffentlichten Grünbücher: http://europa.eu/ documentation/official-docs/green-papers/index_de.htm. 248 Gündisch/Mathijsen, ebd., 159. s. für eine Übersicht über sämtliche veröffentlichte Weißbücher: http://europa.eu/documentation/official-docs/white-papers/index _de.htm. 249 Gündisch/Mathijsen, Rechtsetzung und Interessenvertretung in der EU, 1999, 159. 247
164
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
privater Trägerschaft organisiert und durchgeführt, aber von der Kommission finanziert werden.250 2. Eigeninitiative Beteiligungsarten, die auf Eigeninitiative der Bürger beruhen, werden oftmals mit dem Begriff des Lobbyismus bezeichnet, der das informelle Einwirken von Interessenvertretern auf hoheitliche Entscheidungsträger zur Beeinflussung des Inhalts von Rechtssätzen umfasst. Klassisches Beispiel ist das informelle Gespräch zwischen hoheitlichem Entscheidungsträger und dem Vertreter einer Interessengruppe. Je mehr die Kommission Konsultationsverfahren durchführt, in denen sie alle „Betroffenen“ und „Interessierten“ zur Beteiligung auffordert, umso geringer wird der Bereich für Beteiligungsverfahren, die auf Eigeninitiative der Bürger beruhen. So bleibt allenfalls das von Bürgern an die Kommission herangetragene Anliegen, überhaupt in einem Feld der Gemeinschaftspolitik eine Initiative zu starten. In Bezug auf das Europäische Parlament wird die formlose Kontaktaufnahme zwischen Abgeordneten und Bürgern (zumeist als Vertreter von Organisationen) weiterhin von erheblicher praktischer Bedeutung sein, da das Europäische Parlament bislang keine Online-Konsultationen durchführt, die Teilnahmekapazitäten an öffentlichen Anhörungen äußerst begrenzt sind, der Abgeordnete jedoch dem Wesen des Parlaments entsprechend das klassische „Sprachohr“ für die ihn wählenden Bürger ist. III. Häufigkeit Die Kommunikation zwischen den EU-Organen und Bürgern als Individuen oder als organisierte Personenzusammenschlüsse kann einmalig anlässlich der Ausarbeitung eines bestimmten Rechtssatzes (unter 1.) oder regelmäßig für die Ausarbeitung von Rechtssätzen in bestimmten Politikbereichen in institutionalisierter Form erfolgen (unter 2.). Der Übergang zwischen diesen beiden Beteiligungsarten ist fließend.251 1. Ad-hoc Beteiligung Die Kommunikation zwischen einem EU-Organ und einem einzelnen Bürger findet immer ad-hoc, also einmalig und für einen kurzen Zeitraum 250 Vgl. Gündisch/Mathijsen, Rechtsetzung und Interessenvertretung in der EU, 1999, 163. 251 Gündisch/Mathijsen, ebd., 161.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
165
anlässlich der Ausarbeitung eines bestimmten Rechtssatzes statt.252 Auch Vertreter von Gruppen, Organisationen und Verbänden kontaktieren Kommissionsbeamte und Abgeordnete des Europäischen Parlaments in keiner institutionalisierten Form, sondern je nach deren Rechtsetzungsaktivität in bestimmten Gemeinschaftspolitiken. Eine punktuelle Beteiligung findet auch in der Form statt, dass EU-Organe Beraterverträge über ein bestimmtes Projekt z. B. mit Sachverständigen, Beraterbüros oder wissenschaftlichen Einrichtungen wie Forschungsinstituten abschließen.253 Die Ausschreibungen solcher Verträge erscheinen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. 2. Institutionalisierte Beteiligung Mit institutionalisierter Beteiligung ist die Mitwirkung von Sachverständigen sowie von Vertretern von Gruppen, Organisationen und Verbänden in ständig eingerichteten, mindestens einmal pro Jahr tagenden Arbeitsgruppen, Komitees und Ausschüssen gemeint, die von der Kommission für spezielle Teilbereiche und Fragenkomplexe in den jeweiligen Gemeinschaftspolitiken eingerichtet wurden und regelmäßig von ihr bei der Ausarbeitung von Entwürfen von Rechtssätzen konsultiert werden. Diese Ausschüsse, deren Anzahl insgesamt in die Hunderte geht, wurden in sämtlichen Gemeinschaftspolitiken errichtet; insbesondere in Bereichen, in denen technische Details zu erörtern sind.254 Die Bedeutung eines jeden Ausschusses ist von Gegenstand, Arbeitweise und Geschlossenheit abhängig. Bei einer einstimmigen Beschlussfassung ist die Kommission eher geneigt, den Empfehlungen und Stellungnahmen eines Ausschusses zu folgen. Die Ausschüsse, die den Generaldirektionen Landwirtschaft, Verkehr und Telekommunikation zugeordnet sind, gelten als überproportional einflussreich. Zumeist sind die Ausschussmitglieder Vertreter von Organisationen und Verbänden aus Handel und Industrie sowie Wissenschaftler. Einen Überblick über die ca. 135 regelmäßig tagenden, förmlichen Beratungsgremien der Kommission, an denen „Organisationen der Zivilgesellschaft“ teilnehmen, findet sich in der Datenbank CONECCS.255 CONECCS umfasst nicht Ausschüsse, die nur 252 Geiger, EuZW 2003, 385, und Lahusen, JEPP 2002, 695, 701 ff., weisen darauf hin, dass sich zunehmenden Rechtsanwaltskanzleien in diesem Prozess engagieren. 253 Gündisch/Mathijsen, Rechtsetzung und Interessenvertretung in der EU, 1999, 163 f. 254 Vgl. Lequesne/Rivaud, JEPP 2003, 695, 705 ff. 255 Auf der Webseite http://ec.europa.eu/civil_society/coneccs finden sich zum einen in alphabetischer sowie nach Gemeinschaftspolitiken geordneter Reihenfolge Verzeichnisse aller institutionalisierter Beratungsgremien, an denen „Organisationen
166
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehen, Sachverständigengruppen, die nicht systematisch Organisationen der Zivilgesellschaft einbeziehen, sowie wissenschaftliche Ausschüsse, deren Mitglieder nicht ihre Organisation vertreten, sondern wegen ihres Fachwissens ernannt werden. Zu jedem Gremium finden sich in der Datenbank Basisinformationen wie offizieller Name, Zielsetzung, Gründungsjahr, Dauer des Mandats, Häufigkeit der Sitzungen, zuständige Generaldirektion, Sekretariat und Vorsitzender der Gruppe. Wenn der Ausschuss durch einen Beschluss der Kommission formell eingerichtet wurde, ist auch dieser Basisrechtsakt angegeben.256 Informationen über die Mitglieder der Beratungsgremien erhält man über einen Link auf eine gesonderte Webseite.257 Die meisten dieser Beratungsgremien sind im Bereich Beschäftigung und Soziales (36), Landwirtschaft (31), Unternehmen (25), Umwelt (18), Bildung (16), Verkehr (11) und Gesundheit (10) tätig.258 Diese Ausschüsse dürfen nicht mit den sog. Komitologie-Ausschüssen verwechselt werden, die mit Vertretern der Mitgliedstaaten – zumeist natioder Zivilgesellschaft“ teilnehmen. Zum anderen sind auf in CONECCS auch alle „Organisationen der Zivilgesellschaft“ aufgeführt, die eine freiwillige Registrierung vorgenommen haben (ca. 750). Bzgl. des Begriffs „Organisationen der Zivilgesellschaft“ wird auf die umfassende Definition des EWSA in der Stellungnahme (1999/C 329/10) vom 22.9.1999 zu der Rolle und dem Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk, ABl. C 329/30 v. 17.11.1999, zurückgegriffen. Die Einrichtung der Webseite CONECCS beruht auf der Selbstverpflichtung der Kommission, zum Zwecke der Transparenz die Ausschüsse und Arbeitsgruppen aufzulisten, die an förmlichen und strukturierten Konsultationsverfahren beteiligt sind und in denen Organisationen der Zivilgesellschaft mitwirken, vgl. Weißbuch der Kommission „Die Reform der Kommission“, KOM(2000) 200 v. 1.3.2000, sowie „Europäisches Regieren“, KOM(2000) 428 vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001. 256 So ist z. B. der 24-mal im Jahr tagende beratende Ausschuss für Fischerei und Aquakultur (Comité consultatif de la Pêche et de l’Aquaculture) durch Beschlüsse der Kommission errichtet und sein Bestehen um eine weiteres Mandat verlängert worden (s. Beschluss vom 14.7.1999, ABl. L 187/70 vom 20.7.1999). 257 Das zwei bis dreimal im Jahr tagende Beratungsgremium „Consultation with Business Organisations“ der Generaldirektion Unternehmen setzt sich z. B. aus 25 Organisationen, u. a. UNICE (Union of Industrial and Employers’ Confederations of Europe), Eurochambers (Association of European Chambers of Commerce and Industry) und CEPLIS (Conseil Européen des Professions Liberales) zusammen, über die weitere Informationen per Link einsehbar sind. 258 Einige Beratungsgremien sind nicht nur einem Politikbereich zugeordnet und damit nicht nur für eine Generaldirektion tätig. Die meisten Organisationen der Zivilgesellschaft sind in den Bereichen Unternehmen (230), Beschäftigung und Soziales (153), Umwelt (143), Binnenmarkt (133), Landwirtschaft (115), Gesundheit (107) und Verbraucher (103) tätig. Vgl. auch die empirische Untersuchung bei Mahoney, EUP 2004, 441, 445 ff.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
167
nalen Beamten der jeweiligen Fachministerien – besetzt sind und unter Vorsitz eines Kommissionsbeamten die Kommission beim Erlass von Durchführungsvorschriften unterstützen.259 IV. Rechtsgrundlage Die Kommunikation zwischen den EU-Organen und den Bürgern als Individuen oder als organisierte Personenzusammenschlüsse kann einerseits auf der Grundlage einer rechtlichen Regelung im Primärrecht (unter 1.) oder im Sekundärrecht (unter 2.) der Europäischen Gemeinschaften andererseits ohne jegliche Rechtsgrundlage erfolgen. 1. Primärrecht: Art. 138 EG, Subsidiaritätsprotokoll Im Primärrecht findet sich lediglich in dem Spezialbereich der Sozialpolitik mit Art. 138 EG eine Rechtsgrundlage für eine Bürgerbeteiligung in dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis. Art. 139 EG gesteht den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene eine eigene Rechtsetzungs- und somit Entscheidungsbefugnis in Form des Abschlusses vertraglicher Abmachungen zu, die Mitgliedstaaten und Europäische Gemeinschaft bindet und auf Normsetzung gerichtet ist.260 Nach Art. 138 Abs. 1 EG hat die Kommission allgemein die Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern und alle zweckdienlichen Maßnahmen zu erlassen, um in ausgewogener Weise den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern.261 Art. 138 Abs. 2 und 3 EG verpflichten die Kommission, die Sozialpartner vor der Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik zur generellen Ausrichtung von Gemeinschaftsaktionen sowie zum Inhalt eines konkreten Vorschlags anzuhören. Beteiligt werden allein die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene, also die in der Gemeinschaft organisierten und anerkannten Dachverbände der Arbeitgeberverbände oder Gewerkschaften der Mitgliedstaaten.262 Die Ausgestaltung des Anhörungs259
s. o. 1. Teil., 1. Kap., B. IV. 3. sowie 1. Teil., 1. Kap., C. II. Auf der Grundlage von Art. 139 EG können keine unmittelbar mit normativer Wirkung ausgestattete Regelungen von Arbeitsbeziehungen getroffen werden, da die nach Abs. 1 geschlossenen Vereinbarungen nach Abs. 2 durchzuführen sind, also durch selbständige gemeinschafts- oder mitgliedstaatliche Rechtsakte in Geltung zu setzen sind; Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 139 EGV Rn. 2, 6. 261 Im Gegensatz zu dem in Art. 139 EG normierten, zweiseitigen sozialen Dialog zwischen den Sozialpartnern regelt Art. 138 EG den dreiseitigen sozialen Dialog zwischen der Kommission und den Sozialpartnern. 262 Die wichtigsten Sozialpartner sind die Vereinigungen der privaten (UNICE) und öffentlichen Arbeitgeberverbände (CEEP) sowie der Europäische Gewerk260
168
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
verfahrens ist nicht genauer geregelt und liegt weitgehend unter Wahrung demokratischer und rechtsstaatlicher Mindestvoraussetzungen im Ermessen der Kommission. Das EuG hat den Sozialpartnern ein Recht auf Information und Konsultation durch die Kommission eingeräumt, bei dessen Verletzung ein erlassener Rechtsakt nichtig ist.263 Gemäß Art. 2 des dem Vertrag von Amsterdam beigefügten Protokolls Nr. 7264 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit265 soll die Kommission umfassende Anhörungen durchführen, bevor sie einen Gesetzgebungsakt vorschlägt, und in jedem geeigneten Fall Konsultationsunterlagen veröffentlichen. Auch die Ausgestaltung dieser Anhörungsverfahren ist nicht genauer geregelt. Aus dieser Bestimmung, die nur eine abstrakte, allgemeine Verpflichtung der Kommission festlegt, ist kein (subjektives) Recht der Unionsbürger auf Information und Anhörung abzuleiten.
2. Sekundärrecht: Geschäftsordnungen, Mitteilungen Während auf nationaler Ebene einfach-gesetzliche Rechtsgrundlagen für die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess existieren, z. B. in Deutschland in den Geschäftsordnungen von Bundesorganen und Bundesministerien,266 gibt es auf der Grundlage der in Art. 249 EG aufgezählten klassischen Handlungsformen der Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen keine Regelung der Bürgerbeteiligung. Zum Sekundärrecht zählen auch sog. atypische Rechtshandlungen, wie z. B. interinstitutionelle Vereinbarungen, Geschäftsordnungen der EU-Organe als organinternes Recht, Beschlüsse, Entschließungen, Mitteilungen und andere schaftsbund (EGB); s. Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 138 EGV Rn. 5 f.; Langenbucher, ZEuP 2002, 264, 266 f. 263 EuG, Urteil v. 17.6.1998, T-135/96, UEAPME, Slg. 1998, II-2338 Rn. 71 ff., 90. Zur Frage des Umfangs des Informations- und Konsultationsrechts, Eichenhofer, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 138 EGV Rn. 10. 264 Gemäß Art. 311 EG sind die dem Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolle dessen integraler Bestandteil, also ebenfalls Primärrecht. Dies gilt auch für die bei späteren Vertragsänderungen beigefügten Protokolle, s. Kokott, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 311 EGV Rn. 1. 265 ABl. C 340/105 v. 10.11.1997; ergänzt durch die Erklärung Nr. 43, ABl. 1997 C 340/140, v. 10.11.1997. 266 § 73 Abs. 3, § 74a Abs. 1 GO BT eröffnen den Bundestagsausschüssen, § 40 Abs. 3 GO BR den Ausschüssen des Bundesrates die Möglichkeit, Sachverständige, Interessenvertreter und andere Auskunftspersonen öffentlich anzuhören; s. auch § 23 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien II (GGO II) sowie §§ 61 f. 62 GGO I.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
169
Verwaltungsvorschriften.267 Sie weisen ebenfalls Rechtscharakter auf, sind aber teilweise rechtlich unverbindlich.268 Das Europäische Parlament hat als einziges EU-Organ eine ausdrückliche Regelung in Form eines Verhaltenskodexes für den Umgang mit Interessenvertretern in seiner Geschäftsordnung269 getroffen.270 Die Abgeordneten eines Parlaments sind die klassische Zielgruppe für die Versuche von Interessenvertretern zur Einflussnahme auf den Inhalt von Rechtssätzen. So ist der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments271 in Art. 3 der Anlage IX ein Verhaltenskodex für die Kontakte zwischen Vertretern von Interessengruppen und Mitgliedern des Europäischen Parlaments beigefügt. Rechtsgrundlage für diesen Verhaltenskodex ist Art. 9 Abs. 1 GO EP, wonach das Parlament für seine Mitglieder Verhaltensregeln beschließen kann. Gemäß Abs. 2 können Interessenvertreter mit häufigem Zugang zu den Parlamentsgebäuden personengebundene Ausweise272 erhalten, wenn sie sich nach dem Verhaltenskodex richten und wenn sie in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Register eingetragen sind. Eine Liste der akkreditierten Interessenvertreter wird auch auf der Webseite des Parlaments veröffentlicht, jedoch geht aus ihr nicht hervor, welche Interessen ein Lobbyist vertritt.273 267
Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 26 ff. Schroeder, ebd., Rn. 6 ff., der darauf hinweist, dass die Unterscheidung zwischen verbindlichen und unverbindlichen Rechtshandlungen lediglich für den gerichtlichen Rechtsschutz des Einzelnen gemäß Art. 230 Abs. 4 EG bedeutsam ist. 269 Zur komplexen Vorgeschichte (Galle-, Ford- und Nordmann-Bericht) s. Schaber, ZParl 1997, 266, 271 ff. Rechtsgrundlage der Geschäftsordnung ist Art. 199 Abs. 1 EG, wonach das Europäische Parlament wie die anderen EU-Organe die Autonomie besitzt, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Als Innenrecht entfalten Geschäftsordnungen grundsätzlich keine Außenwirkung. Sie sind jedoch wesentliche Formvorschriften i. S. v. Art. 230 Abs. 2 EGV, so dass Verstöße zur Nichtigkeit von Rechtsakte führen; Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 199 EGV Rn. 7. 270 In den Mitgliedstaaten der EU gibt es derzeit keine verbindlichen Verhaltenskodizes. Allein Kanada hat ein solches, das inhaltlich die gleichen Anforderungen wie die von der Kommission geforderten Mindestkriterien stellt. Besteht zudem hinreichend Grund zur Vermutung, dass ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex vorliegt, leitet der Registerführer eine Untersuchung ein und erstattet dem Parlament Bericht. Verstöße können mit Freiheitsentzug oder mit Geldstrafe bis zu 66.000 e geahndet werden. Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 10. 271 GO EP, 16. Aufl. von Juli 2004, ABl. L 44 vom 15.2.2005. 272 Die Ausweise enthalten Angaben wie den Namen der Person, des Unternehmens und der Organisation. 273 Innerhalb der EU ist der Deutsche Bundestag das einzige Parlament, das die Registrierung von Lobbyisten förmlich regelt. Jedes Jahr wird eine Liste aller Lobbygruppen im Internet veröffentlicht. Für die Registrierung einer Interessengruppe sind Angaben über Name und Sitz, Vorstand und Geschäftsführung, Interessenbereich, Mitgliederzahl, Namen der Vertreter und Anschrift der Geschäftsstelle not268
170
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Als maßgebliche Verhaltensregeln wird den Interessenvertretern auferlegt, die von ihnen vertretenen Interessen gegenüber Mitgliedern des Parlaments oder Beamten des Organs offen zu legen und den Mitgliedern des Parlaments für die Ausübung des Mandats keine Geschenke und Zuwendungen zukommen zu lassen. Im Falle des Verstoßes gegen den Verhaltenskodex droht allenfalls der Entzug des Ausweises für den Zugang zu den Parlamentsgebäuden. In dem ursprünglich der Geschäftsordnung der Kommission274 als Anhang beigefügtem „Kodex für gute Verwaltungspraxis in den Beziehungen der Bediensteten der Europäischen Kommission zur Öffentlichkeit“ wird den Kommissionsbediensteten aufgegeben, Unionsbürgern die Möglichkeit zur Äußerung zu geben, wenn das Gemeinschaftsrecht deren Anhörung als „Beteiligte“ vorsieht.275 Eine rechtliche Grundlage für die Anhörung an sich ist der Kodex somit nicht. Zudem hat auch die Geschäftsordnung der Kommission und somit auch der Kodex für gute Verwaltungspraxis keine rechtlich verbindliche Außenwirkung. In einer Mitteilung hat die Kommission allgemeine Grundsätze und Mindeststandards zur Durchführung der Anhörungsverfahren aufgestellt.276 Mit der Formulierung dieser Grundsätze und Mindeststandards konkretisiert die Kommission die im Subsidiaritätsprotokoll niedergelegte Verpflichtung zur Durchführung von Anhörungen. Auch diese Mitteilung ist keine eigenständige Rechtsgrundlage für Verfahren der Bürgerbeteiligung in Form von Konsultationen. Sie richtet aber einen kohärenten Rahmen für die Durchführung von Anhörungen in sämtlichen Gemeinschaftspolitiken ein. Mitteilungen stellen zudem grundsätzlich unverbindliche Rechtshandlungen dar, die durchaus revidiert und aktualisiert werden können.277 Die Kommission verfügt somit weder über einen wendig. Informationen zur finanziellen Situation werden nicht verlangt. Grundsätzlich können Interessenvertreter nur von parlamentarischen Ausschüssen angehört werden oder Zutritt von Parlamentsgebäuden erhalten, wenn sie registriert sind. Der Bundestag kann allerdings auch nicht registrierte Organisationen auffordern, jeweils im Einzelfall Informationen bereitzustellen. Einige Staaten wie die USA und Kanada haben ein obligatorisches Lobbyregister eingeführt, in dem die Interessengruppen offenlegen müssen, für wen sie arbeiten, mit welchen Themen sie sich befassen, und wie viel Geld sie für ihre Arbeit von den einzelnen Kunden erhalten. Darüber hinaus müssen die Lobbyisten regelmäßig einen Bericht vorlegen. Diese Informationen werden im Internet veröffentlicht; Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 7 f. 274 GO KOM, K(2000) 3614, ABl. L 308/26 v. 8.12.2000; nunmehr abrufbar unter: http://ec.europa.eu/civil_society/code/_docs/code_de.pdf. 275 Punkt 3, 1. UAbs. ebd. Punkt 4 widmet sich der Behandlung von schriftlichen und telefonischen Anfragen, insbesondere der Anforderung von Dokumenten, und betrifft eher – dem Titel des Kodex entsprechend – die klassische Verwaltungstätigkeit der Kommission und nicht ihre Rolle bei der Rechtsetzung in der EU. 276 Kommission, KOM(2002) 704 endg. vom 11.12.2002.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
171
verbindlichen Verhaltenskodex für Interessenvertreter noch über ein Akkreditierungssystem, noch führt sie ein verbindliches Register aller Organisationen, die mit ihr Kontakte pflegen.278 Mit der Einrichtung der Datenbank CONECCS, in der sich Interessengruppen freiwillig registrieren können, erfüllt die Kommission die Selbstverpflichtung, zum Zwecke der Transparenz die Ausschüsse und Arbeitsgruppen aufzulisten, die an förmlichen und strukturierten Konsultationsverfahren beteiligt sind und in denen Organisationen der Zivilgesellschaft mitwirken.279 Ein obligatorisches Registrierungssystem hält die Kommission für unangemessen und will es nur für den Fall in Erwägung ziehen, dass ein gestrafftes System der Selbstregulierung nicht funktioniert.280 Die Geschäftsordnung des EWSA widmet mehre Kapitel dem Kontakt mit den gesellschaftlichen Kräften. Art. 22 und 23 des Kap. VI GO EWSA sehen die Anhörung von „außenstehenden Persönlichkeiten“ und Sachverständigen vor. Nach Art. 24 (Kap. VII) GO EWSA kann der EWSA beratende Kommission einsetzen, die sich aus Mitgliedern des Ausschusses und Delegierten aus Bereichen der organisiserten Zivilgesellschaft zusammensetzt. Art. 25 des Kap. VIII GO EWSA bestimmt, dass der EWSA zu Wirtschafts- und Sozialräten, vergleichbaren Einrichtungen sowie wirtschaftlichen und sozialen Organisationen der Zivilgesellschaft der EU und von Drittlängern strukturierte Beziehungen unterhalten kann. Natur und Intensität dieses Dialogs sind jedoch in keiner Weise geregelt, so dass die Rechtsgrundlagen des EWSA für eine Bürgerbeteiligung oberflächlich bleiben. Rechtsgrundlagen, die konkret eine Bürgerbeteiligung für die Ausarbeitung von einem bestimmten Rechtssatz – oder von einem den Rechtssatz vorbereitendem Dokument – in einem bestimmten (Teil-)Bereich einer Gemeinschaftspolitik vorsehen, sind somit äußerst selten. Zu den atypischen Rechtsakten des Sekundärrechts zählen auch die Grün- und Weißbücher der Kommission, die eine politische Initiative begründen, die in ein formelles 277 Mitteilungen können ausnahmsweise Rechtswirkungen gegenüber Unionsbürgern entfalten, wenn sich die Kommission in klassischer Verwaltungstätigkeit bei der Ausübung von Ermessen selbst bindet; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 33. In der Mitteilung über Grundsätze und Mindeststandards für Konsultationen spricht die Kommission selbst von einem rechtlich unverbindlichen „politischen Dokument“; Kommission, KOM(2002) 704 endg. vom 11.12. 2002, 9. 278 Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 7. Vorschläge zur Schaffung solcher Strukturen wurden schon zu Beginn der 1990er Jahre diskutiert, s. McLaughlin/Greenwood, JCMS 1995, 143 ff. 279 s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. III. 2. 280 Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 11.
172
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Rechtsetzungsverfahren münden kann.281 Diese Grün- und Weißbücher sehen in letzter Zeit regelmäßig Konsultationsverfahren zur Erlangung von Sachverstand und Feedback vor, um einen konkreten Entwurf eines Rechtssatzes vorzubereiten. Sie sind als lediglich vorbereitende Akte ebenfalls rechtlich unverbindlich. Insgesamt ist festzustellen, dass Bürgerbeteiligung ein faktisches Phänomen ist, das sich bislang weitgehend einer rechtlichen Regelung durch das Gemeinschafts- und Unionsrecht entzogen hat und außerhalb der Rechtsordnung stattfindet. Die einzelnen EU-Organe und deren internen Untergliederungen entscheiden nach Belieben, ob, in welcher Form und in welchem Umfang sie die Bürger als Individuen und/oder im Zusammenschluss zu Interessengruppen, NROen und Verbänden beteiligen. V. EU-Organ und Politikbereich Die Kommunikation zwischen den EU-Organen und den Bürgern als Individuen oder als organisierte Personenzusammenschlüsse unterscheidet sich je nach EU-Organ (unter 1.) und Politikbereich (unter 2.).282 1. EU-Organe Aufbau, Organisation und Arbeitsweise der EU-Organe sowie ihre Befugnisse im Rechtsetzungsprozess und ihre Motivation zur Bürgerbeteiligung unterscheiden sich – wie dargestellt283 – erheblich. Die EU-Organe verfügen über keine internen einheitlichen geregelten Konzepte für die Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung. Dies gilt insbesondere für die Kommission, bei der jede Generaldirektion ihre eigenen Konsultationsmechanismen und -methoden hat. In der Mitteilung über allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien (2002)284, die einen der zentralen Vorschläge des Weißbuchs „Europäisches Regieren“285 um281
s. o. zur Bürgerbeteiligung auf Aufforderung durch die EU-Organe, 2. Teil, 1. Kap., D. II. 1. 282 Nach Kohler-Koch, in: Claeys, Lobbyisme, Pluralisme et intégration européenne, 1998, 126, 131 ff., 157, „we will not encounter the evolution of a uniform European system of interest intermediation“. 283 s. o. 2. Teil, 1. Kap., C. 284 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, „Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs – Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission“. 285 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001.
1. Kap.: Entwicklung und Status quo
173
setzt, effektivere und transparentere Konsultationen zur besseren Einbindung aller Akteure durchzuführen, will die Kommission diese Heterogenität nunmehr zunehmend vereinheitlichen und einen „kohärenten Konsultationsrahmen“ schaffen, der aber immer noch ausreichend „flexibel“ sein soll, „um die besonderen Erfordernisse aller verschiedener Interessen und die Notwendigkeit geeigneter Konsultationsstrategien für alle politischen Vorschläge zu berücksichtigen“.286 Das Europäische Parlament setzt nicht diese Vielfalt an Konsultationsmechanismen wie die Kommission ein. Das klassische Beteiligungsinstrument auf Veranlassung des Parlaments ist die öffentliche Anhörung, deren Organisation aber – im Gegensatz zu nationalen Rechtsordnungen – nicht in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments geregelt ist. 2. Politikbereiche Zugleich variiert die Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung auch je nach inhaltlichem Regelungsbereich des geplanten Rechtssatzes, also je nach Gemeinschaftspolitik erheblich. Einige Politikbereiche eignen sich aus unterschiedlichen Gründen eher für die Einbeziehung von Bürgern in den Rechtsetzungsprozess als andere. Maßgeblich ist zunächst einmal, ob die Beteiligung den Unionsbürger als Individuum und im organisierten Zusammenschluss, als Interessengruppe, NRO oder Verband betrifft. Ist der einzelne Unionsbürger nicht professionell sachverständig in einem bestimmten Bereich, erscheinen grundsätzlich Gemeinschaftspolitiken für eine Beteiligung eines einzelnen Bürgers weniger geeignet, die vertiefte Spezialkenntnisse erfordern. Letztlich entscheidet aber das Interesse eines Bürgers an dem jeweiligen Inhalt des geplanten Rechtssatzes. Demgegenüber ist die Beteiligung einzelner Bürger bei Themen, die ihre alltäglichen Lebensumstände oder auch allgemeine, institutionelle Fragen betreffen, häufiger und hängt ebenfalls von der Motivation und Aktivität des Einzelnen ab. Interessengruppen, NROen und Verbände engagieren sich traditionell schwerpunktmäßig in den Bereichen Unternehmen/Industrie/Binnenmarkt, Beschäftigung/Soziales, Umwelt, Gesundheit/Verbraucherschutz und Menschenrechte.287 Neben diesen „klassischen“ Bereichen, in denen die Intensität der Beteiligung von der Initiative der Gruppen abhängt, gibt es Gemein286
Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 3 f. Auf EU-Ebene kommen noch die Gemeinschaftspolitiken Landwirtschaft und Außenhandel, für die die Gemeinschaft die ausschließliche Kompetenz besitzt, sowie Verkehr, Kultur und Bildung, in denen die EU erhebliche finanzielle Förderprojekte unterhält, hinzu. Vgl. die Auflistung der Beratungsgremien und Organisationen der Zivilgesellschaft in der Datenbank CONECCS, s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. III. 2. 287
174
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
schaftspolitiken, bei denen die EU-Organe verstärkt eine Beteiligung der Bürger anregen. Die Kommission hat in dem Anhang zum Bericht „Bessere Rechtsetzung“ für das Jahr 2005288 festgestellt, dass (in absteigender Reihenfolge) die Generaldirektionen Justiz, Freiheit und Inneres, Umwelt, Landwirtschaft, Wirtschaft und Finanzen, interne Koordinierung der Tätigkeiten der Kommission, Informationsgesellschaft, Transport, Gesundheit und Verbraucherschutz, Entwicklung, Steuern, Beschäftigung und Soziales gemessen an der Anzahl der veröffentlichten Grün- und Weißbücher, Mitteilungen und Berichte am „aktivsten“ bei der Durchführung von Konsultationen und Bereitstellung von Informationen waren. Dies verdeutlicht, dass die Anzahl der von der Kommission durchgeführten Konsultationsverfahren je nach Generaldirektion sehr unterschiedlich ist. VI. Ergebnis Die Bürger kommunizieren unmittelbar mit Vertretern der EU-Organe auf unterschiedliche Art. Der Form nach kann die Kommunikation schriftlich oder mündlich erfolgen. Schriftliche Eingaben können postalisch oder online erfolgen. Abhängig vom Zweck der Eingabe, vom Absender und vom Empfänger haben sie einen unterschiedlichen Umfang – von einem kurzen Informationsschreiben bis zu umfangreichen gutachterlichen Stellungnahmen. Mündlicher Kontakt kann im Rahmen von informellen Gesprächen oder von öffentlichen Anhörungen erfolgen. Die Beteiligung kann des Weiteren entweder auf Veranlassung des EUOrgans oder aus Eigeninitiative der gesellschaftlichen Kräfte stattfinden. So lädt die Kommission zunehmend Bürger zur Teilnahme an online durchgeführten Konsultationsverfahren ein. Bei maßgeblichen politischen Initiativen fordert die Kommission durch die Veröffentlichung von Grün- und Weißbüchern zu einer intensiven Beteiligung auf. Trotz der Zunahme der Konsultationsverfahren wird weiterhin genug Raum bleiben für eine informelle Kontaktaufnahme auf Initiative der gesellschaftlichen Kräfte. Mit Blick auf die Häufigkeit der Kommunikation ist zwischen einmaligen oder regelmäßig stattfindenden Kontakten zu unterscheiden. Einmalige Kontakte werden anlässlich des Entwurfs eines bestimmten Rechtsakts in einem Bereich einer Gemeinschaftspolitik geknüpft und sind informeller Natur. Die Beteiligung kann aber auch institutionalisiert sein und im Kreis der zahlreichen Arbeitsgruppen und Ausschüsse stattfinden, die bei der Ausarbeitung von Rechtssätzen von den EU-Organen konsultiert werden. 288 Kommission, SEC(2007) 737, http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/ documents/sec_2007_0737_en.pdf, 34.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
175
Beteiligung an der Rechtsetzung kann auf einer Rechtsgrundlage oder ohne jegliche rechtliche Regelung erfolgen. Primärrechtliche Rechtsgrundlagen für die Bürgerbeteiligung finden sich allein für den Sozialen Dialog und im Subsidiaritätsprotokoll; im Übrigen finden sich vereinzelte Regelungen in Geschäftsordnungen von EU-Organen und in Mitteilungen der Kommission. Weitgehend erfolgt die Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung in der EU jedoch ohne Rechtsgrundlage und ohne verbindlichen Rechtsrahmen. Die Bürgerbeteiligung unterscheidet sich zudem nach dem EU-Organ, mit dem die Bürger kommunizieren, und nach dem Politikbereich. Die Kommission ist bemüht, Konsultationsverfahren bei Rechtssatzentwürfen in den meisten Politikbereichen durchzuführen und alle gesellschaftlichen Kräfte zur Beteiligung aufzufordern. Das Europäische Parlament und der EWSA führen öffentliche Anhörungen durch. Traditionell engagieren sich gesellschaftliche Kräfte besonders in den Gemeinschaftspolitiken Unternehmen/Industrie/Binnenmarkt, Beschäftigung/Soziales, Umwelt, Gesundheit/ Verbraucherschutz und Menschenrechte. 2. Kapitel
Vorschläge zur Stärkung der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung Zunächst werden die von der Kommission im Rahmen des GovernanceProzesses erfolgten sowie die vom Europäischen Verfassungskonvent ausgearbeiteten und im Europäischen Verfassungsvertrag aufgenommenen Vorschläge zur Stärkung der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung in der EU dargestellt (unter A. und B.). Anschließend werden diese Vorschläge miteinander verglichen und auf ihren Mehrwert, ihre Praktikabilität und ihre Auswirkungen hin untersucht (unter C.).
A. Governance-Prozess der Kommission Die Kommission leitete den Governance-Prozess durch die Veröffentlichung des Weißbuchs „Europäisches Regieren“ im Juli 2001 ein (unter I.). Ein Eckpunkt ihres Konzeptes ist die Stärkung der Zivilgesellschaft. Die im Rahmen des Weißbuchs weitgehend noch allgemein formulierten Vorschläge konkretisierte sie im Jahr 2002 in weiteren Mitteilungen, insbesondere in der Mitteilung über die Allgemeinen Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultationen betroffener Parteien durch die Kommission (unter II.). Schließlich schaltete sich die Kommission in die nach dem nega-
176
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
tiven Ausgang der Referenden zum Europäischen Verfassungsvertrag eingetretene Phase der Reflexion mit der Ausarbeitung des sog. „Plan D (für Demokratie, Dialog und Diskussion)“ ein und führte weitere Initiativen, insbesondere die Europäische Transparenzinitiative ein (unter III.). I. Weißbuch „Europäisches Regieren“ Die Kommission hatte die Reform „Europäisches Regieren“ (European Governance)289 Anfang 2000 zu einem ihrer vier strategischen Ziele erklärt. Beweggrund der Kommission zur Ausarbeitung des am 25. Juli 2001 veröffentlichten Weißbuchs290 ist die Überbrückung der zwischen den Bürgern einerseits sowie der EU, ihren Institutionen und deren Handeln andererseits bestehenden Kluft. Noch im Rahmen der aktuellen Verträge – und damit unabhängig von dem Konstitutionalisierungsprozess – sollen die Institutionen der EU angepasst und ihre Politik in den einzelnen Bereichen kohärenter, wirkungsvoller und sachgemäßer gestaltet werden. Zentrales Anliegen der Kommission ist es, die politische Entscheidungsfindung – und somit auch den Rechtsetzungsprozess – zu öffnen und mehr Menschen und Organisationen in die Gestaltung und Durchführung der EUPolitik einzubinden.291 Die EU könne ihre Legitimität nur aus Teilhabe und Einbindung beziehen.292 Im Mittelpunkt der Vorschläge steht daher die bessere Einbindung aller Akteure in den Politikgestaltungs- und Politikumsetzungsprozess.293 Dieser Vorschlag soll durch eine offenere Arbeitsweise der 289 Unter dem Begriff Governance (Regieren)“ versteht die Kommission die Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen, die die Art und Weise, wie auf europäischer Ebene Befugnisse ausgeübt werden, kennzeichnen, und zwar insbesondere in Bezug auf die fünf Grundsätze des „Guten Regierens“: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Wirksamkeit und Kohärenz; s. Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 5, Fn. 1. Die zahlreichen Definitionen aus der Politikwissenschaft, aus der dieser Begriff ursprünglich stammt, enthalten diese von der Kommission genannten Kriterien überwiegend nicht. 290 Die Grundlage des Weißbuchs bilden vor allem die Berichte von zwölf Arbeitsgruppen, die sich jeweils mit spezifischen Themen befassten. In diesen Arbeitsberichten werden die im Weißbuch häufig nur verkürzt und zusammengefasst dargestellten Vorschläge eingehend erläutert; http://ec.europa.eu/governance/prepa_ lb_en.htm. 291 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 3 f., 9 f. 292 Kommission, ebd., 14, wonach „die Politik“ nicht mehr von oben herab verkündet sondern mittels Rückkopplung, Netzwerken und Partizipation von unten nach oben gestaltet und durchgesetzt werden sollte. 293 Weitere Vorschläge betreffen die folgenden Punkte: erstens eine bessere Qualität und Durchsetzung der EU-Politik durch die Kombination unterschiedlicher
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
177
Union (unter 1.) und insbesondere durch eine effektivere und transparentere Konsultation im Politikgestaltungsprozess unter Einbindung der Zivilgesellschaft (unter 2.) realisiert werden.294 1. Offenere Arbeitsweise der Union Grundvoraussetzung für eine stärkere Bürgerbeteiligung ist, dass die Bürger über die Gemeinschaftspolitiken allgemein sowie über spezielle Vorhaben ausreichend informiert sind. Daher sei der ungehinderte Zugang zu verlässlichen Informationen darüber unerlässlich.295 Über die Beantwortung von Anfragen der Bürger nach speziellen Dokumenten hinaus, müssen die EU-Institutionen – und die Mitgliedstaaten – aktiver mit der breiten Öffentlichkeit über die Gemeinschaftspolitiken kommunizieren.296 Eine wichtige Rolle spiele dabei die moderne Kommunikationstechnologie. So werde sich die Webseite EUROPA zu einer interaktiven Plattform für Information, Feedback und Debatten entwickeln. Sämtliche Informationen müssen aber in allen Amtssprachen verfügbar sein, um nicht einen großen Teil der Unionsbürger auszuschließen. Mehr Information und eine effizientere Kommunikation seien Vorbedingungen für die Schaffung eines transnationalen Raums, in dem die Unionsbürger über Ziele, Aufgaben und Politiken der Politikinstrumente, die Beschleunigung des Rechtsetzungsprozesses, die Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts und die Stärkung des Vertrauens in die Nutzung von Expertenwissen; zweitens die Anwendung der Grundsätze des Guten Regierens auch im internationalen Rahmen und eine Stärkung der Wirksamkeit und Durchsetzungskraft internationaler Organisationen unter Betonung der Rolle der EU in der Welt; drittens die Neuausrichtung der Arbeitsweise der Institutionen unter Rückbesinnung auf die traditionelle Gemeinschaftsmethode, Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 5 ff., 24 ff. 294 Weitere Ansätze zwecks besserer Einbindung aller Akteure in die Prozesse der Politikgestaltung und -umsetzung sind erstens die Einbeziehung der Bürger über die demokratischen Strukturen auf regionaler und kommunaler Ebene sowie zweitens die bessere Strukturierung der Beziehungen der europäischen Institutionen zu europäischen und internationalen Netzen, die Unternehmen, Gemeinschaften, Forschungszentren sowie Regional- und Kommunalbehörden miteinander verknüpfen; Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 16 ff., 23 f. 295 Mit der VO 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, der Kommission und des Rates sei ein wichtiger Fortschritt erzielt worden; s. Kommission, KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 15 und den Bericht der Arbeitsgruppe II.b Guaranteeing transparency and autonomy of evaluation, s. http://ec.europa.eu/governance/areas/ group4/index_en.htm. 296 Die Kommission weist auf ihre Mitteilung über einen neuen Rahmen für Zusammenarbeit in der Informations- und Kommunikationspolitik der EU hin, Kommission, KOM(2001) 354 vom 27.6.2001.
178
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Union diskutieren können und in dem die Politiker Kontakt zur europäischen Öffentlichkeit halten können.297 2. Effektivere Konsultationen unter Einbindung der Zivilgesellschaft Die Kommission bezeichnet selbst die Durchführung effektiver und transparenter Konsultationen mit betroffenen Parteien als „Herzstück der EU-Politikgestaltung“.298 Ungeachtet der bestehenden Konsultationsmechanismen299 fordert die Kommission jedoch eine verstärkte und effektivere Konsultations- und Dialogkultur aller EU-Institutionen300, da die Konsultationen ihr (und den übrigen Institutionen) helfen, einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Forderungen und Prioritäten zu finden und eine längerfristige politische Perspektive zu entwickeln. Das aktuelle Konsultationssystem sei undurchsichtig, da unklar sei, wie die Konsultationen ablaufen und wen die Institutionen anhören.301 Da mit dem weiteren Kompetenzzuwachs der EU der weitere Bedarf nach Konsultationen steige, sei eine Rationalisierung und Strukturierung des Konsultationssystems erforderlich. Als erste Schritte schlägt die Kommission vor, ein Verzeichnis aller bestehenden sektorspezifischen Konsultationsgremien zu veröffentlichen – was mit Errichtung der Datenbank CONECCS mittlerweile erfolgte302 – und einen Verhaltenskodex mit Mindeststandards für die Durchführung von Konsultationen zu erstellen – was durch die Mitteilung über allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien umgesetzt wurde.303 Dies vermindere die Gefahr einer allzu einseitigen Informationsbeschaffung der Entscheidungs297 Die Arbeitsgruppe I.a. hatte in ihrem Bericht European public space, http://ec.europa.eu/governance/areas/group1/index_en.htm, festgestellt, dass die Kommunikationskanäle immer noch national verlaufen und daher europäische Themen nur unter nationalen Gesichtspunkten gesehen werden. 298 Kommission, KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 20. Grundlage dieses Abschnitts des Weißbuchs ist der Bericht der Arbeitsgruppe II.a Consultation and participation of civil society, http://ec.europa.eu./ governance/areas/group3/index_en.htm. 299 Vgl. auch Kommission, KOM(2002) 704 endg. vom 11.12.2002, 4. 300 Dabei betont sie die Rolle des Europäischen Parlaments im Konsultationsprozess, die Funktion der Parteien und die Einbindung nationaler Parlamente, Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 22. 301 Allein die Kommission stützt sich danach auf 700 beratende Adhoc-Gremien in vielfältigen Politikfeldern, Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10.2001, 22. 302 s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. III. 2. 303 s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. V. 1 und s. den folgenden Abschnitt.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
179
träger oder der Bevorzugung einzelner sektorspezifischen Interessengruppen, was die Schwäche der momentanen Methode punktueller Konsultation sei. In Politikbereichen mit bereits gefestigter Konsultationsstruktur könnte die Kommission weiterreichende Partnerschaften mit der Verpflichtung zu zusätzlichen Konsultationen entwickeln. Dadurch sollen Organisationen der Zivilgesellschaft auch Offenheit und Repräsentativität garantieren, ihre eigenen Strukturen straffen, und ihre Diskussionen mit den europäischen Organen strukturieren. Auch der Rat und das Europäische Parlament sollen auf der Grundlage der Mindeststandards Konsultationen durchführen.304 Nach Ansicht der Kommission soll die Zivilgesellschaft im Rahmen der Konsultationen in den Rechtsetzungsprozess eingebunden werden, da sie die Anliegen der Bürger artikuliert und einen umfassenden politischen Dialog ermöglicht.305 Ihre Organisationen mobilisieren Bürger, indem sie ihnen die Chance eröffnen, sich aktiver an der Verwirklichung der Unionsziele zu beteiligen, und bieten ihnen strukturierte Kanäle für Feedback, Kritik und Protest an. Eine umfassende Online-Datenbank mit Einzelheiten der auf europäischer Ebene tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft (CONECCS) soll der Transparenz und als Katalysator für Verbesserungen ihrer internen Organisation dienen.306 II. Konkretisierung durch Mindeststandards der Kommission für Konsultationen In der Mitteilung über allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission307 setzt diese den zentralen Vorschlag ihres Weißbuches „Europäisches Regieren“ um, effektivere und transparentere Konsultationen zur besseren Einbindung aller Akteure als unmittelbare Form der Bürgerbeteiligung durchzuführen, die die Beteiligung über das Europäische Parlament und die institutionalisierten 304 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 23. 305 Vgl. Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 5. Dabei stützt sich die Kommission auf die Definition der Zivilgesellschaft, die der EWSA in seiner Stellungnahme 1999/C 329/10 v. 17.11.1999 „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“, ABl. C 329/30 v. 17.11.1999, gegeben hat, s. Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 19. 306 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 19 f. 307 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, „Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs – AllgemeineGrundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission“.
180
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Beratungsgremien des EWSA und AdR ergänzt.308 Konsultation definiert die Kommission als die Verfahren, in deren Rahmen sie „die betroffenen externen Parteien vor einem Beschluss durch die Kommission in die Politikgestaltung einbeziehen möchte“.309 Zwar hört die Kommission traditionsgemäß externe Interessengruppen in nahezu allen Politikbereichen an, jedoch wendet jede Dienststelle ihre eigenen Konsultationsmechanismen in ihrem Zuständigkeitsbereich an. Die Mitteilung legt daher das erste kommissionsweit kohärente und systematische Konzept zur Durchführung transparenter und flexibler Konsultationen mit allen Parteien dar, die von dem jeweiligen Rechtsakt betroffen sind.310 Eine „vernünftige“ Konsultation dient nach Ansicht der Kommission sowohl der Verbesserung der Qualität der Politik als auch der Einbindung der betroffenen Parteien und der breiten Öffentlichkeit. Zudem ermöglichen Dokumente über Verlauf und Ergebnis der Konsultationen eine Kontrolle der legislativen Tätigkeit der Kommission. Zunächst werden die allgemeinen Grundsätze (unter 1.), anschließend die Mindeststandards (unter 2.) für Konsultationen der Kommission und abschließend erste Erfahrungswerte bei der Umsetzung der Mindeststandards (unter 3.) vorgestellt. 1. Allgemeine Grundsätze für Konsultationen Die allgemeinen Grundsätze für Konsultationen der Kommission orientieren sich an den im Weißbuch „Europäisches Regieren“ für die allgemeinen Tätigkeiten der Kommission ausgearbeiteten Grundsätzen. Sowohl die Kommission als auch die konsultierten Parteien sollen diese Grundsätze anwenden.311 308 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 4 f. Diese Mitteilung ist eine von insgesamt acht von Ende 2002 bis Anfang 2003 veröffentlichten Mitteilungen, die den Aktionsplan der Kommission zu dem globalen Rahmen und Ziel einer „besseren Rechtsetzung“ präzisieren; s. Kommission, KOM(2002) 275 v. 5.6.2002, und KOM(2002) 278 v. 5.6.2002. Eine Mitteilung betrifft die „Einholung und Nutzung von Expertenwissen durch die Kommission: Grundsätze und Leitlinien“, s. Kommission, KOM(2002) 713 v. 11.12.2002. 309 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 15. Ausgeklammert sind vertraglich vorgesehene besondere Konsultationsrahmen wie der soziale Dialog gemäß Art. 137–139 EG, die Komitologieverfahren sowie die Konsultation betreffende Bestimmungen internationaler Abkommen, ebd., 16. 310 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 3. Im Rahmen der Ausarbeitung dieser Mitteilung führte die Kommission eine Anhörung durch. Auf ihrem ersten Entwurf erhielt sie 88 Stellungnahmen von einzelnen Bürgern, der organisierten Zivilgesellschaft auf nationaler und europäischer Ebene, kommunalen und regionalen Behörden sowie Regierungen von Mitgliedstaaten; ebd., 8.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
181
Dem Grundsatz der Partizipation folgend hat sich die Kommission verpflichtet, bei Vorschlägen zur Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens möglichst umfassend zu konsultieren. Im Sinne des Grundsatzes der Offenheit und Verantwortlichkeit müssen sich sowohl die Kommission als auch die konsultierten Parteien der Transparenz gegenüber der breiten Öffentlichkeit verpflichten. Die Kommission muss offen legen, „welche Themen zur Debatte stehen, welche Mechanismen für die Anhörung angewendet werden, wer angehört wird und warum, wodurch die Entscheidungen bei der Politikgestaltung beeinflusst wurden“. Die konsultierten Parteien müssen offen legen, „welche Interessen sie vertreten [und] wie einschließend diese Vertretung ist“.312 Konsultationen müssen so früh einbezogen werden, dass deren Ergebnisse „noch Einfluss auf die Festlegung der wichtigsten Ziele, Umsetzungsmethoden, Leistungsindikatoren und ggf. die eigentlichen Grundzüge der Politik nehmen können“.313 Schließlich sieht die Kommission zum Zwecke der Kohärenz in ihren Konsultationsverfahren Feedback-, Evaluierungs- und Überprüfungsmechanismen vor. 2. Mindeststandards für Konsultationen Die Mindeststandards der Kommission umfassen fünf Punkte. Erstens muss jede Aufforderung zu Konsultationen „klar und präzise sein und alle notwendigen Informationen enthalten, um Antworten zu erleichtern“.314 Insbesondere sollen Hintergrund, Gegenstand und Ziele der Konsultation zusammengefasst, Ansprechpartner und Fristen angegeben sowie die Behandlung der Beiträge durch die Kommission (Feedback) und die folgenden Phasen des Entscheidungsprozesses erläutert werden. Zweitens will die Kommission bei der Bestimmung von Zielgruppen für Konsultationsverfahren gewährleisten, dass von der Politik betroffene und an der Umsetzung der Politik beteiligte Parteien Gelegenheit haben, ihren Standpunkt darzulegen. Darüber hinaus soll bei der Bestimmung der zu konsultierenden Parteien auch berücksichtigt werden, dass ein Politikfeld auf ein oder mehrere andere – wie z. B. auf den Umwelt- oder Verbraucherschutz – größere Auswirkungen haben kann, dass einschlägige Erfahrungen 311
Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 15. Kommission, ebd., 17. Die Informationen der konsultierten Parteien müssen über CONECCS einsehbar sein oder über besondere Informationsblätter zur Verfügung stehen. 313 Kommission, ebd., 17 f. Art und Umfang der Konsultationen sollen stets in einem angemessenen Verhältnis zu den Auswirkungen des betreffenden Vorschlags stehen. 314 Kommission, ebd., 18. 312
182
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
und Expertenwissen notwendig sein können, dass auch nicht organisierte gesellschaftliche Kräfte einzubeziehen sind und dass eine Ausgewogenheit zwischen den Vertretern der Organisationen zu erreichen ist.315 Drittens will die Kommission öffentliche Konsultationen zuvörderst über ihr Internetportal „Ihre Stimme in Europa“316 als zentrale Anlaufstelle veröffentlichen, um eine breite Öffentlichkeit anzusprechen, jedoch ggf. traditionelle Kommunikationsmittel wie Pressemitteilungen und Postsendungen beibehalten. Viertens begrenzt die Kommission den Zeitraum für Antworten zu schriftlichen öffentlichen Konsultationen grundsätzlich auf acht Wochen und für Sitzungen auf 20 Werktage. Durch diesen Zeitraum soll sowohl eine angemessene Beitragsabgabe als auch eine rasche Entscheidungsfindung möglich sein.317 Fünftens bestätigt die Kommission den Eingang von Beiträgen. Die Ergebnisse der öffentlichen Konsultationen werden auf Internetseiten veröffentlicht, die über einen Link mit der zentralen Anlaufstelle verbunden sind. In Abhängigkeit der Anzahl der eingegangenen Kommentare und des verfügbaren Personals erfolgt die Bestätigung individuell (per E-Mail oder Kontrollabschnitt) oder als Sammelantwort (per E-Mail oder abrufbar bei der zentralen Anlaufstelle im Internet). Darüber hinaus werden die Beiträge bei der zentralen Anlaufstelle so weit wie möglich veröffentlicht, auf jeden Fall bei Öffentlichkeitsbefragungen. Die Kommission sichert zu, dass die Beiträge sorgfältig analysiert werden, ob und inwieweit die vorgebrachten Ansichten in die politischen Vorschläge einbezogen werden können. Die Begründungen zu den Legislativvorschlägen oder zu den Mitteilungen der Kommission enthalten die Ergebnisse dieser Konsultationsverfahren sowie Erläuterungen zu ihrer Durchführung und zur Art und Weise der Berücksichtigung der Ergebnisse im Vorschlag.318
315 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 19. Die Kommission nennt z. B. einen Ausgleich zwischen sozialen und wirtschaftlichen Gremien, zwischen großen und kleinen Organisationen/Unternehmen, zwischen besonderen Zielgruppen wie z. B. Frauen, ältere Menschen, Erwerbslose sowie zwischen Organisationen in der EU und in Nichtmitgliedstaaten. 316 http://ec.europa.eu/yourvoice/index_de.htm. 317 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 20. In dringenden Fällen oder wenn die betroffenen Parteien bereits ausreichend Gelegenheit zu Stellungnahmen hatten, kann der Zeitraum verkürzt werden. Ebenso kann der Zeitraum z. B. wegen der Komplexität der Materie oder der Notwendigkeit für Organisationen, ihre Mitglieder vor einer konsolidierten Stellungnahme anzuhören, verlängert werden. 318 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 21.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
183
3. Umsetzung der Mindeststandards Die – nicht rechtsverbindlichen – allgemeinen Grundsätze und Mindeststandards werden seit dem 1. Januar 2003 angewendet319 – zunächst nur bei Initiativen, die eine ausführliche Wirkungsanalyse erfordern, und bei Grünbüchern.320 Gleichwohl wurden alle Generaldirektionen zu einer umfassenden Anwendung aufgefordert. Etwaigen fortgeschrittenen Praktiken einzelner Kommissionsdienststellen oder für bestimmte Politikbereiche zu entwickelnden Sonderbestimmungen sollte jedoch nicht vorgriffen werden. Ausweislich des „Berichts über eine bessere Rechtsetzung“ hatte die Kommission Ende 2005 mehr als hundert wichtiger Vorschläge und 26 Grünbücher angenommen, bei denen die Mindeststandards angewendet und in der Regel die Mindeststandards eingehalten wurden.321 Die Kommission erhielt im Rahmen einer weiteren, von Mai bis August 2006 durchgeführten Konsultation, in der sie um externes Feedback über die Anwendung der Mindeststandards bat, über 100 Stellungnahmen von organisierten gesellschaftlichen Kräften.322 Auch wenn das Feedback grundsätzlich positiv war, wurden einige Kritikpunkte geäußert: erstens veröffentliche die Kommission nicht alle öffentlichen Konsultationen über das WebPortal „Ihre Stimme in Europa“323; zweitens sei die Minimalfrist von acht Wochum zur Abgabe von Stellungnahmen zu kurz; drittens fehle es an einem Feedback seitens der Kommission, ob und wie die Stellungnahmen beim abschließenden Rechtssatzvorschlag berücksichtigt wurden; viertens sei die Repräsentativität der relevanten Sektoren in ausgewählten Konsultationen mangelhaft.324
319
Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 14. Kommission, ebd., 15. Ob eine solche Wirkungsanalyse notwendig ist, wird von der Kommission in der „jährlichen Strategieplanung“ oder spätestens in ihrem Arbeitsprogramm auf der Grundlage der vorläufigen Bewerbungserklärungen beschlossen; zu den Kriterien s. ebd. 321 KOM/2006/0289 endg., s. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do ?uri=CELEX:52006DC0289:DE:NOTund der Anhang zum Bericht SEC(2006)737, s. http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/documents/sec_2006_0737_en.pdf. Vgl. Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 12 f. 322 Die Stellungnahmen sind einsehbar unter http://ec.europa.eu/comm/eti/contri butions. htm. 323 http://ec.europa.eu/yourvoice/index_de.htm. 324 Kommission, SEC(2007) 737, Annex to the Report form the Commission „Better Lawmaking 2006“ – KOM(2007) 286 endg., http://ec.europa.eu/govern ance/better_regulation/documents/sec_2007_0737_en.pdf, 4 f. 320
184
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
III. Weitere Initiativen der Kommission Zum Governance-Folgeprozess zählen auch die folgenden Initiativen, die auf eine stärkere Bürgerbeteiligung am politischen Leben allgemein und am Rechtsetzungsprozess in der EU abzielen. In den Strategischen Zielen 2005–2009325 hat die Kommission Konsultation und Beteiligung der Bürger bei Gesetzgebungsinitiativen neben Transparenz und effektiver Kommunikation als unverzichtbare Bestandteile eines partnerschaftlichen Vorgehens aller europäischer Institutionen im Rahmen des Arbeitsprogramms für die laufende „Legislaturperiode“ der Kommission hervorgehoben.326 Zunächst werden der Plan D (unter 1.) und die Europäische Transparenzinitiative (unter 2.) als zentrale Programme der Kommission erläutert, bevor weitere einzelne Initiativen in diesem Bereich kurz vorgestellt werden (unter 3.). 1. Plan D Nach dem negativen Ausgang der Referenden zum Europäischen Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden forderten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten eine „Zeit der Reflexion“, die für eine umfassende und intensive Diskussion genutzt werden sollte, „an der die Bürger, die Zivilgesellschaft, die Sozialpartner, die nationalen Parlamente und die politischen Parteien teilnehmen“.327 Auch die EU-Organe sollten ihren Beitrag leisten. Die Kommission schlug daraufhin einen Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion vor328, der die Bürger dauerhaft stärker in die Gestaltung eines gemeinsamen Europas einbinden soll und nicht auf die Zeit der Reflexion begrenzt ist. Plan D soll die Union demokratischer machen, eine europäische Öffentlichkeit schaffen und einen neuen Konsens über die Zukunft der EU herbeiführen.329 Dazu schlägt die Kommission 325 Kommission, Mitteilung des Präsidenten in Absprache mit Vizepräsidentin Wallström, Europa 2010: eine Partnerschaft für die Erneuerung Europas, KOM (2005) 12 endg. v. 26.1.2005. 326 Kommission, ebd., 6; ähnlich Kommission, Mitteilung „Eine bürgernahe Agenda: konkrete Ergebnisse für Europa“, KOM(2006) 211 endg. v. 10.5.2006, 9. 327 Erklärung des Europäischen Rates zur „Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa“ v. 18. Juni 2005, http://europa.eu/rapid/pressReleases Action.do?reference=DOC/05/3&format=HTML&aged=1&language=DE&guiLangu age=en. 328 Kommission, Mitteilung „Der Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion“, KOM(2005) 494 endg. v. 13.10.2005. 329 Plan D fügt sich ein in den Aktionsplan der Kommission für eine bessere Kommunikationsarbeit zu Europa (SEK(2005) 985 v. 20.7.2005), der die Außendar-
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
185
dreizehn Initiativen vor. Neben einer umfassenden öffentlichen Diskussion330 will sie vor allem die Bürgerbeteiligung am demokratischen Leben durch vier Initiativen fördern. Daher zielt die erste Initiative auf die Förderung wirksamer Anhörungsverfahren ab. Ungeachtet der in den letzten Jahren erzielten Verbesserungen bei der Anhörung interessierter Gruppen mit Hilfe von Grün- und Weißbüchern mittels Internet-Befragungen will die Kommission ihre Anhörungsverfahren effizienter gestalten, um eine stärkere Beteiligung der nationalen und regionalen Teilnehmer zu erreichen.331 Zweitens sollen europäische Bürgerprojekte unterstützt werden. Die weiterhin noch unterentwickelte Beteiligung der europäischen Bürger an dem politischen Entscheidungssystem der EU müsse weiterhin auf allen Ebenen gestärkt werden. Ein Instrument sei das aktuelle Programm „Bürger für Europa“ zur Förderung der aktiven Unionsbürgerschaft. Zudem sollen europäische Bürgerkonvente unterstützt werden, in denen ein repräsentativer Querschnitt der Bürger aus europäischen Regionen bestimmte politische Themen diskutiert. Drittens sollen alle EU-Institutionen ihr Bemühen um effizientes, transparentes und dienstleistungsorientiertes Handeln fortsetzen. So habe die Kommission eine eigene „Europäische Transparenzinitiative“ gestartet. Ebenso sollen die Ratssitzungen bei legislativem Handeln des Rates transparenter werden. Schließlich soll viertens die Wahlbeteiligung bei Wahlen zum Europäischen Parlament und bei Volksabstimmungen in Mitgliedstaaten über europäische Themen erhöht werden, indem insbesondere junge Menschen und Minderheiten beteiligt sowie neue Techniken genutzt werden sollen. 2. Europäische Transparenzinitiative Im November 2005 hat die Kommission die „Europäische Transparenzinitiative“332 in das Leben gerufen, die auf bestehenden Initiativen aufbaut, stellung der Kommission und ihrer Tätigkeiten verbessern soll, sowie in das Weißbuch zur Kommunikationsstrategie und Demokratie, mit dem ein Konsultationsprozess über die Grundsätze der Kommunikationspolitik in der EU in Gang gesetzt wurde; Kommission, KOM(2005) 494 endg. vom 13.10.2005, 2 f. 330 Einzelne Initiativen betreffen z. B. Besuche von Kommissionsmitgliedern bei den Bürgern und nationalen Parlamenten in den Mitgliedstaaten sowie bürgerfreundliche Vertretungen. Der Dialog über europäische Themen soll insbesondere über das Internet geführt werden. Eurobarometer-Umfragen sollen die Meinungen und Erwartungen der Bürger im Hinblick auf die EU erfassen; Kommission, ebd., 8 ff. 331 Dabei verweist die Kommission auf den Aktionsplan über die Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit; Kommission, ebd., 9 f. 332 Kommission, SEK(2005), 1300; Grünbuch „Europäische Transparenzinitiative“, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006.
186
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
diese überprüft und weiterführt.333 Darüber hinaus umfasst die Transparenzinitiative drei Schwerpunkte, die durch eine Öffentlichkeitsbefragung im Rahmen eines Grünbuchs vertieft werden. Neben einer möglichen Offenlegungspflicht für Informationen über Empfänger von EU-Geldern im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung und dem Feedback zu den Mindeststandards für die Konsultationen steht die Debatte um die Notwendigkeit eines strukturierten Rahmens für die Lobbyarbeit334 im Vordergrund. Ziel ist es, der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Kontrolle der in den letzten Jahren zunehmend engeren Beziehungen zwischen der Kommission und den Interessengruppen zu geben.335 Der strukturierte Rahmen soll einen Verhaltenskodex für Lobbyisten einschließen. Kontrollmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit sollen zur Vermeidung unzulässiger Lobbymethoden beitragen. Die Interessengruppen sollen systematisch – z. B. durch einen Online-Fragebogen – aufgefordert werden, über ihre Ziele, Interessen und Finanzierung Auskunft zu geben. Als weiteres geeignetes Instrument sieht die Kommission die Einführung eines Internet gestützten Systems zur freiwilligen Registrierung aller Interessengruppen an, die an Befragungen zu EU-Initiativen teilnehmen möchten. Die Organisationen sollen angeben, wen sie vertreten, aus welchen Mitteln sie finanziert werden, welche Interessen sie verfolgen und in welchen Aufgabenbereichen sie tätig sind. Als Anreiz zur Registrierung soll die Aussicht dienen, von der Kommission immer automatisch informiert werden, wenn zu diesen Themen eine Konsultation stattfindet.336 Daneben können nach Ansicht der Kommission Vorschriften zur Gewährleistung der Integrität der Interessenvertretungen in Form eines Verhaltenskodex zur Transparenz der Lobbyarbeit beitragen.337 Der Aufforderung der Kommission aus dem Jahr 1992 folgend, haben manche Interessengruppen 333 Die Kommission nennt die Vorschriften über den Zugang zu unveröffentlichten Dokumente der EU-Organe (VO 1049/2001), die Einrichtung von Datenbanken mit Informationen über die Kommission beratende Gremien und Ausschüsse (CONECCS); die breite Befragung der interessierten Parteien und umfassende Folgenabschätzungen vor Erstellung von Legislativvorschlägen; den „Kodex für gute Verwaltungspraxis“ der Kommission, der berufsethische Regeln sowie die Beziehungen zur Öffentlichkeit betrifft; Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 2 f. 334 Mit „Lobbyarbeit“ bezeichnet die Kommission „alle Tätigkeiten, mit denen auf die Politikgestaltung und den Entscheidungsprozess der europäischen Organe und Einrichtungen Einfluss genommen werden soll“; Kommission, ebd., 5. Die weite Begriffsbestimmung deckt sich mit der dieser Untersuchung zugrunde liegenden Definition der Interessenvertretung. 335 Kommission, ebd., 4. 336 Kommission, ebd., 8 f. 337 Traditionell gibt es Verhaltenskodizes ausschließlich für Bedienstete der EUOrgane zur Sicherstellung ihrer Unparteilichkeit, die durch spezielle Kontroll- und
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
187
(vornehmlich Public Affairs Groups) freiwillige Verhaltenskodizes angenommen, die sich auf die von der Kommission vorgeschlagenen Mindeststandards stützen. Diese sehen vor, dass Interessengruppen keine missverständlichen Informationen verbreiten, keine finanziellen Zuwendungen zur Erlangung von Vorteilen anbieten und stets die von ihnen vertretenen Interessen angeben. Die Kommission schlägt die Errichtung eines von allen Interessengruppen getragenen Systems vor, das einerseits einen verbindlichen Verhaltenskodex andererseits einen Sanktionsmechanismus umfasst und mit einem von der Kommission verwalteten Registrierungssystem verbunden ist.338 3. Sonstige Initiativen Im November 2005 richtete die Kommission ein öffentliches Verzeichnis der ca. 1300 Expertengruppen ein, die an der Erarbeitung von Legislativvorschlägen mitwirken.339 Das Verzeichnis, das sowohl die formellen als auch die informellen Beratungsgremien umfasst340, enthält Informationen über die Aufgaben und Zusammensetzung der einzelnen Gruppen sowie darüber, welche Dienststellen innerhalb der Kommission über welche Gruppen Aufsicht führen. Das Verzeichnis ist eine Folgemaßnahme der Leitlinien der Kommission von 2002 über die Einholung und Nutzung von Expertenwissen341, die ebenfalls auf das Weißbuch „Europäisches Regieren“ zurückgehen. Das Verzeichnis teilt die Mitglieder der Expertengruppen in allgemeine Kategorien ein342, gibt aber keine Informationen über einzelne Experten. Der Rat beschloss im Januar 2004 ein „Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft (BürgerbeteiSanktionsmechanismen ergänzt werden; vgl. Art. 213 Abs. 2 EG und Art. 11, 16 Beamtenstatut. 338 Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 9 f. Diesen Vorschlag hat die Kommission im Jahr 2008 umgesetzt. Aufbauend auf der Mitteilung vom 21. März 2007 über Folgemassnahmen zu dem Grünbuch „Europäische Transparenzinitiative“ hat sie einerseits in der Mitteilung vom 27. Mai 2008, KOM(2008) 323 endg., Rahmen für die Beziehungen zu Interessenvertretern“, einen – sehr kurz gehaltenen – Verhaltenskodex für Interessenvertreter (Lobbyisten) veröffentlicht und andererseits am 23. Juni 2008 ein Register für Interessenvertreter eingerichtet, s. https://webgate.ec.europa.eu/transparency/regrin/welcome.do?locale=de. 339 s. Pressemitteilung IP/05/1382 vom 8.11.2005. Nicht umfasst sind die ca. 250 Komitologieausschüsse. 340 Die meisten Gruppen basieren auf keiner Rechtsgrundlage, sondern wurden von einer Kommissionsdienststelle mit dem Einverständnis des Generalsekretariats eingerichtet; s. http://ec.europa.eu/transparency/regexpert. 341 Kommission, KOM(2002) 713 v. 11.12.2002. 342 Z. B. Wissenschaftler, Hochschullehrer, Praktiker, Wirtschaft, NGOs.
188
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
ligung)“343, mit dem die im Bereich der aktiven europäischen Bürgerschaft tätigen Einrichtungen und Aktionen finanziell unterstützt werden. Ziel des Programms ist es vor allem, die EU und deren Organe den Bürgern näher zu bringen, sie zu häufigerem Kontakt mit den Einrichtungen der Union zu bewegen und sie eng in die Debatten über den Aufbau der Union einzubeziehen sowie die Initiativen der daran beteiligten Einrichtungen zu fördern.344 Die Förderung kann als Betriebskostenzuschuss zur Kofinanzierung des fortlaufenden Arbeitsprogramms einer solchen Einrichtung oder als Zuschuss zur Kofinanzierung einer punktuellen Maßnahme in diesem Bereich erfolgen. Unterstützt werden sollen Aktionen von Einrichtungen der Zivilgesellschaft, die u. a. Initiativen von Bürgern und Aktionen von Nichtregierungsorganisationen des sozialen Sektors fördern, die zur Ausarbeitung der EU-Politiken in diesem Bereich beitragen.345 IV. Ergebnis Ausgangspunkt des Governance-Prozesses ist das Weißbuch „Europäisches Regieren“ der Kommission aus dem Jahr 2001. Ein zentrales Anliegen der Kommission ist es, die Bürger vermehrt in die Gestaltung und Durchführung der Gemeinschaftspolitiken und somit auch in den Rechtsetzungsprozess einzubeziehen. Die EU soll den Bürgern – vor allem über ihre Webseite – ausführliche Informationen bereitstellen. Die Bürger sollen die Möglichkeit erhalten, sich untereinander und mit den EU-Organen über die Gemeinschaftspolitiken allgemein und speziell bei der Ausarbeitung von Rechtssätzen auszutauschen. Zentrales Anliegen des Weißbuchs ist die Einbindung der Zivilgesellschaft bei der Durchführung effektiver und transparenter Konsultationen vor Beginn der formellen Rechtsetzungsverfahren. Die Kommission konkretisierte ihre im Weißbuch zumeist noch allgemein formulierten Vorschläge im Jahr 2002 in einer Reihe von Mitteilungen. Insbesondere stellte sie übergreifend für alle Gemeinschaftspolitiken allgemeine Grundsätze und Mindeststandards auf, die bei der Durchführung von Konsultationsverfahren Anwendung finden und diese effektiver und transparenter machen sollen. Erstmals werden konkrete Anforderungen an die Bekanntgabe von Konsultationsverfahren, die Bestimmung von Zielgruppen, Frist und Feedback gestellt. Schließlich schaltete sich die Kommission in die nach dem negativen Ausgang der Referenden zum Verfassungsvertrag eingetretene Phase der 343 344 345
Rat, Beschluss 2004/100/EG v. 26.1.2004, ABl. L 30/6 v. 4.2.2004. Art. 1 Abs. 1 Beschluss 2004/100/EG v. 26.1.2004, ebd. Anhang Beschluss 2004/100/EG v. 26.1.2004, ebd.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
189
Reflexion mit der Ausarbeitung des sog. „Plan D (für Demokratie, Dialog und Diskussion)“ ein und führte weitere Initiativen, insbesondere die Europäische Transparenzinitiative ein. Letztere hat zum Ziel, einen strukturierten Rahmen für die informellen Beziehungen zwischen Kommissionsbeamten und Vertretern von Interessengruppen zu schaffen.
B. Konstitutionalisierungsprozess: Das demokratische Leben im Verfassungsvertrag Das Ziel einer verstärkten Bürgerbeteiligung an den Rechtsetzungs- und Entscheidungsverfahren der EU ist nicht nur wesentliches Element des Governance-Prozesses der Kommission, sondern auch des Konstitutionalisierungsprozesses auf europäischer Ebene, der nach dem Vertrag von Nizza einen einzigartigen Aufschwung erlebte (unter I.) und zur Annahme des Europäischen Verfassungsvertrages mit einem Titel über „das demokratische Leben der Union“ geführt hat (unter II.). I. Vom Vertrag von Nizza zum Verfassungsvertrag Seinen Ursprung fand der Europäische Verfassungsvertrag mittelbar in dem Vertrag von Nizza aus dem Jahr 2000. Da die institutionellen Reformen der Verträge von Amsterdam und Nizza angesichts der sich nähernden Osterweiterung im Jahr 2004 als nicht ausreichend für eine handlungsfähige EU angesehen wurde, forderten die Staats- und Regierungschefs in der „Erklärung über die Zukunft Europas“346 eine durchgreifende Reform der Gründungs- und Änderungsverträge auf der Grundlage einer „breiten und offenen Debatte“, die nicht nur Regierungen, sondern auch nationale Parlamente und die Zivilgesellschaft einbeziehen sollte und sich damit zum ersten Mal von einem rein völkerrechtlichen Vertragsänderungsverfahren abwendete. Für diese Debatte wurden im Interesse der „demokratischen Legitimation und der Transparenz der Union und ihrer Organe“ zentrale Themen vorgegeben.347 Die Erklärung des Europäischen Rats von Laeken348 vom 15.12.2001 fasste diese öffentliche Diskussion in Fragekomplexen zusammen. Die umfangreichste der vier Rubriken befasste sich mit der Fragestellung, wie „Demokratie, Transparenz und Effizienz“ in der EU gestärkt werden könne. Zugleich errichtete der Europäische Rat von Laeken den 346 23. Erklärung zum Nizza-Vertrag, BGBl. 2001 II, 1700. s. dazu Oppermann, DVBl. 2003, 1165. 347 Oppermann, DVBl. 2003, 1, 3. 348 Europäischer Rat, „Die Zukunft der Europäischen Union“ v. 15.12.2001, Anlage 1 zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes, SN 200/1/01 REV 1, 24.
190
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
„Konvent über die Zukunft der Europäischen Union“, der die nächste Regierungskonferenz 2003/2004 umfassend und transparent durch ein Abschlussdokument vorbereiten sollte, das die bisherigen Verträge fortentwickeln und vereinheitlichen sollte.349 Im Verlaufe der Arbeiten des Konvents von Februar 2002 an mehrten sich die Stimmen, die der Forderung nach einer demokratischeren Union durch eine ausdrückliche Normierung im Verfassungsvertrag mehr Gewicht verleihen wollten. So wurde schließlich ein neuer Titel „über das demokratische Leben in der Union“ in den Entwurf des Verfassungsvertrages eingeführt, der im Laufe der Diskussionen noch einigen Änderungen unterlag. Die Kommission schreibt dem Weißbuch „Europäisches Regieren“ und damit sich selbst eine maßgebliche Bedeutung insofern zu, als dass die zentralen Vorschläge des Weißbuchs schon in der Erklärung von Laeken auftauchen, im Rahmen des Konvents aufgegriffen und – gerade in Bezug auf die partizipative Demokratie und die Konsultationskultur – in dem Verfassungsvertrag aufgenommen wurden. Der vom Verfassungskonvent ausgearbeitete Entwurf für einen „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 18. Juli 2003 der italienischen Ratspräsidentschaft übergeben. Die im Herbst 2003 begonnene Regierungskonferenz änderte den Entwurf insgesamt nur geringfügig ab. Am 29. Oktober 2004 wurde der Verfassungsvertrag von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet und den Mitgliedstaaten zur Ratifizierung übergeben.350 Nach dem negativen Ausgang der Referenden in Frankreich am 29. Mai 2005 und in den Niederlanden am 2. Juni 2005 war das Schicksal des Verfassungsvertrages einige Zeit ungewiss.351 Unter der deutschen Ratspräsidentschaft einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten schließlich beim Europäischen Rat von Brüssel am 21. und 22. Juni 2007 darauf, gemäß des in Art. 48 EU festgelegten Verfahrens von einer Regierungkonferenz einen Reformvertrag ausarbeiten zu lassen, durch den im Wesentlichen der gesamte Inhalt des Verfassungsvertrages in den weiterbestehenden EU-Vertrag und EG-Vertrag integriert wird. Am 13. Dezember 2007 wurde dieser Vertrag von Lissabon352 unterzeichnet. Er nimmt einen neuen Titel II „Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze“ in den 349 Zur Zusammensetzung, Natur und Arbeitsweise des Europäischen Konvents s. Oppermann, DVBl. 2004, 1264, 1265 ff. Die Vorbereitung einer Regierungskonferenz durch eine öffentliche Debatte und einen „parlamentarisierten“ Konvent statt durch ein Expertengremium war die wesentliche Neuerung der Erklärung von Laeken. 350 ABl. C 310/1 v. 16.12.2004. 351 s. Geerlings, DVBl. 2006, 129, 131 ff.; Mayer, JZ 2007, 593 ff. 352 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. C 306/1 v. 17.12.2007.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
191
EU-Vertrag auf. Die konsolidierte Fassung des EU-Vertrags353 enthält nunmehr als Artikel 9–11 – inhaltlich wortgleich – die im Folgenden dargestellten drei zentralen Vorschriften des Titels über das demokratische Leben in der Union aus dem Verfassungsvertrag. II. Titel über das demokratische Leben in der Union Erstmalig wird das Primärrecht der EU einen eigenständigen Abschnitt über die Demokratie enthalten. In dem Titel VI (Art. I-45 bis I-52 VV) des Verfassungsvertrages waren noch Vorschriften enthalten, die im Titel II des Reformvertrages nicht mehr enthalten sind.354 Dieser Titel II des Reformvertrages soll nunmehr die drei fundamentalen demokratischen Grundsätze umfassen, die erstmalig ausdrücklich im Primärrecht der Gemeinschaften und der Union normiert werden. Neben Art. I-45 VV über den Grundsatz der demokratischen Gleichheit (unter 1.) sind für die vorliegende Untersuchung Art. I-46 VV und Art. I-47 VV von herausragendem Interesse, die die Grundsätze der repräsentativen (unter 2.) und partizipativen Demokratie (unter 3.) enthalten. 1. Grundsatz der demokratischen Gleichheit (Art. I-45 VV) Art. I-45 VV verpflichtet die Union in ihrem gesamten Handeln zur Beachtung des Grundsatzes der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, denen ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit seitens der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zuteil werden soll. Diese Vorschrift formuliert in ihrem ersten Halbsatz den vom EuGH frühzeitig als Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts anerkannten allgemeinen Gleichheitsgrundsatz355 in prägnanter Form. Die Formulierung des Zuteilwerdens von „Aufmerksamkeit“ durch die EU-Organe im zweiten Halbsatz bleibt rätselhaft und vage. Art. I-45 VV liefert keinerlei Anhaltspunkt für einen Anspruch des Bürgers auf Beteiligung an der Rechtsetzung. Sollte sich ein solcher Anspruch jedoch aus einem anderen Artikel ableiten lassen – was im Folgen353
Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl C 115/1 v. 9.5.2008. 354 So fanden sich in der zweiten Hälfte des Titels VI des Verfassungsvertrages Artikel über die Sozialpartner und den sozialen Dialog (Art. I-48 VV), den Europäischen Bürgerbeauftragten (Art. I-49 VV, vgl. Art. II-103 VV), die Transparenz der Arbeit der Organe (Art. I-50 VV, vgl. Art. II-101 VV, 102 VV), den Schutz personenbezogener Daten (Art. I-51 VV, vgl. Art. II-68 VV) sowie den Status der Kirchen (Art. I-52 VV). 355 s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. IV. 4.; vgl. die Konkretisierung durch die speziellere Vorschriften der Art. II-80 VV ff.
192
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
den untersucht wird, dann sichert dieser allgemeine Gleichheitssatz, dass ein solcher Anspruch allen Unionsbürgern gleichermaßen zusteht. 2. Grundsatz der repräsentativen Demokratie (Art. I-46 VV) Art. I-46 VV wurde erst nachträglich vom Konvent in den Entwurf des Verfassungsvertrages aufgenommen, um dem Eindruck entgegenzutreten, dass die partizipative Demokratie die repräsentative Demokratie ersetze oder einen höheren Stellenwert habe. Nunmehr stellt Art. I-46 Abs. 1 VV klar, dass die „Arbeitsweise der Union [. . .] auf dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie“ beruht und normiert die duale Legitimation der Union. Abs. 2 erläutert die Ausgestaltung dieses Grundsatzes auf europäischer Ebene in Form der beiden Legitimationsstränge: einerseits die unmittelbare Vertretung des Bürgers im Europäischen Parlament und andererseits die mittelbare Vertretung der Mitgliedstaaten im Rat durch ihre jeweilige Regierung, die sich vor ihrem nationalen Parlament bzw. ihren Bürgern in demokratischer Weise verantworten muss. Bemerkenswerterweise findet sich in Art. I-46 Abs. 3 S. 1 VV die Regelung, wonach alle Bürger das Recht haben, am demokratischen Leben teilzunehmen. Der Inhalt dieses Rechts wird jedoch nicht erläutert. Die Verankerung dieses Rechts in dem Artikel über den Grundsatz der repräsentativen Demokratie wirkt deplaziert, was durch die Verknüpfung mit S. 2 besonders auffällig wird, wonach Entscheidungen so offen und bürgernah wie möglich getroffen werden. Die Anforderung der Offenheit und Bürgernähe erinnert an die in Art. 1 Abs. 2 EU und Art. 5 EG ausdrücklich genannten Grundsätze der Transparenz und der Subsidiarität. Ein eigener Gehalt dieses zweiten Satzes ist nicht zu erkennen. In der ursprünglichen Fassung des Entwurfes des Konvents war Art. I-46 Abs. 3 S. 1 VV in den ersten Absatz von Art. I-47 VV über den Grundsatz der partizipativen Demokratie integriert. Erst nachträglich wurde diese Vorschrift in den neu geschaffenen Artikel über die repräsentative Demokratie verschoben.356 In Bezug auf den Grundsatz der repräsentativen Demokratie erschöpft sich das Recht in der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, das als aktives und passives Wahlrecht in Art. II-99 VV normiert ist. Eine eigenständige Bedeutung und einen wirkungsvollen Gehalt erhält dieses Recht im Zusammenhang mit dem Grundsatz der partizipati356 s. Europäischer Konvent, CONV 650/03 v. 2.4.2003 (03.04), 8, http://regis ter.consilium.eu.int/pdf/de/03/cv00/cv00650de03.pdf, und CONV 724/1/03, REV 1 v. 28.5.2003, 110, http://register.consilium.eu.int/pdf/de/03/cv00/cv00724-re01de03 .pdf.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
193
ven Demokratie.357 Die Anmerkungen zu diesem Titel im ersten Entwurf des Konvents belegen, dass mit diesem Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben der Union dem nunmehr in Art. I-47 Abs. 2 VV verankerten Dialog zwischen den EU-Organen und der Zivilgesellschaft ein Rahmen und ein Inhalt gegeben werden sollte.358 Damit wird die Verbindung dieses Rechts zur partizipativen Demokratie bestätigt. 3. Grundsatz der partizipativen Demokratie (Art. I-47 VV) Die Normierung des partizipativen Demokratiekonzepts im Verfassungsvertrag als „Grundsatz“ ist – gerade in unmittelbarer Gegenüberstellung mit dem traditionellen Grundsatz der repräsentativen Demokratie – bemerkenswert und markiert eine Erweiterung des traditionellen repräsentativ-demokratischen Legitimationssystems der EU um partizipativ-demokratische Elemente.359 Eine Definition des Begriffs der partizipativen Demokratie fehlt. Der normative Gehalt von Art. I-47 VV ist fraglich. Die Vorschrift erscheint als Sammelsurium bereits bekannter und neuartiger Formen der Bürgerbeteiligung an den Entscheidungsprozessen in der EU. Nach Art. I-47 Abs. 1 VV geben die Organe den Bürgern und den repräsentativen Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit, ihre Ansichten zu allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen. Gemäß Abs. 2 pflegen die Organe der Union einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft. Nach Abs. 3 führt die Kommission umfangreiche Anhörung der Betroffenen durch, um die Kohärenz und die Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten. Diese Bestimmungen zum Dialog und zur Konsultation entsprechen durchaus der existierenden Praxis.360 Unklar bleibt aber, welche Verbände „repräsentativ“ sind, wen die „Zivilgesellschaft“ alles umfasst und wer anhörungsberechtigter „Betroffener“ ist. Weitere unbestimmte Rechtsbegriffe sind der „offene, transparente und regelmäßige Dialog“ und „umfangreiche Anhörungen“. Allerdings sollten an eine primärrechtliche Normierung keine überhöhten Erwartungen bestimmter Begriffsbestimmungen gerichtet werden. Aus der 357 Ähnlich Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-46 Rn. 7. 358 Europäischer Konvent, CONV 650/03 v. 2.4.2003 (03.04), 8, http://register. consilium.eu.int/pdf/de/03/cv00/cv00650de03.pdf. 359 Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-47 Rn. 1; Kluth, in: Schulze/Zuleeg, Hdb. Europarecht, 223, spricht von der Ausgestaltung eines pluralen demokratischen Legitimationsprozesses. 360 Vgl. Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, VVE, Art. I-47 Rn. 2.
194
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Unbestimmtheit mancher Begriffe kann zumindest nicht ohne weiteres abgeleitet werden, dass die Vorschriften nicht unmittelbar anwendbar sind und keine subjektiven Rechte begründen.361 Anzumerken ist noch, dass nachträglich ein neuer vierter Absatz über die Möglichkeit eines Volksbegehrens auf europäischer Ebene, einer sog. Bürgerinitiative, in Art. I-47 VV aufgenommen wurde.362 Damit wird zum ersten Mal ein Element unmittelbarer Demokratie auf europäischer Ebene eingeführt und primärrechtlich gewährleistet. Danach können Unionsbürger363 aus einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten die Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, die nach Ansicht der Bürger zur Umsetzung der Verfassung eines Rechtsakts der Union bedürfen. Die konkrete Regelung des Verfahrens und der Bedingungen der Bürgerinitiative sollen ebenso wie die Mindestanzahl von Mitgliedstaaten, aus denen die Unionsbürger kommen müssen, durch ein Europäisches Gesetz festgelegt werden. III. Ergebnis Nicht nur der Governance-Prozess auch der durch den Vertrag von Nizza eingeleitete Verfassungsgebungsprozess in der EU hatte sich das Ziel gesetzt, die Bürgerbeteiligung an den Rechtsetzungs- und Entscheidungsverfahren der EU zu stärken. Der 2004 vom Europäischen Rat angenommene Verfassungsvertrag normiert ausdrücklich den Grundsatz der partizipativen Demokratie, wonach die EU-Organe in einen transparenten und regelmäßigen Dialog mit der Zivilgesellschaft, mit organisierten Gruppen und betroffenen Parteien treten. Dies soll innerhalb und außerhalb von Konsultationsverfahren erfolgen. Jedem Unionsbürger wird sogar ein Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben in der Union zuerkannt, das über das traditionelle Wahlrecht im Rahmen des ebenfalls erstmals normierten Grundsatzes der repräsentativen Demokratie hinausgeht.
C. Bewertung der Konzepte der Kommission und des Konvents Die Stärkung der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsverfahren der EU ist sowohl Anliegen des Governance-Prozesses als auch des Verfassungsver361
So aber Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, VEE, Art. I-47 Rn. 2. Ausführlich dazu Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-47 Rn. 14 ff. 363 Das Mindestquorum beträgt eine Million Unionsbürger. 362
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
195
trages; in einigen Punkten decken sich die Vorschläge, in vielen unterscheiden sie sich. Es gilt daher zunächst, die jeweiligen Anwendungsbereiche und Adressatenkreise abzugrenzen (unter I.). Während die Einwände gegen die von der Kommission ausgearbeiteten Vorschläge zur Stärkung der Bürgerbeteiligung zahlreich sind (unter II.), wird die Aufnahme des Kapitels über das demokratische Leben in der Union in den Verfassungsvertrag und die dortige Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung positiver bewertet (unter III.). I. Verhältnis der Konzepte von Kommission und Konvent Die von der Kommission in Weißbüchern und Mitteilung veröffentlichten Vorschläge unterscheiden sich von den im Verfassungsvertrag verankerten Regelungen des Europäischen Verfassungskonvents hinsichtlich Geltungsbereich (unter 1.) und Adressatenkreis (unter 2.). 1. Geltungsbereich Die Kommission hat im Weißbuch „Europäisches Regieren“ ausdrücklich erklärt, dass ihre im Rahmen des Governance-Prozesses gemachten Vorschläge im bestehenden institutionellen Rahmen auf Grundlage des derzeitigen geltenden Primärrechts, also auf dem Stand nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Nizza, zur Anwendung kommen sollen.364 Die vom Konvent im Rahmen des Konstitutionalisierungsprozesses gemachten Vorschläge bildeten in ihrer Gesamtheit den Entwurf einer Europäischen Verfassung, der von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten als Europäischer Verfassungsvertrag angenommen wurde und somit das Primärrecht selbst nach der (nunmehr ungewissen) Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten ändern sollte. Normenhierarchisch beanspruchen die im Europäischen Verfassungsvertrag als – zukünftiges – originäres Unions- und Gemeinschafts(primär)recht niedergelegten Regelungen einen Geltungsvorrang vor dem durch die Kommission erlassenen, abgeleiteten (Sekundär-)Recht in Form von Weißbüchern oder Mitteilungen. 2. Adressatenkreis Die im Europäischen Verfassungsvertrag enthaltenen Regelungen binden aufgrund ihres Ranges als Primärrecht, das an der Spitze der Normenhierarchie steht, umfassend sämtliche EU-Organe sowie die Mitgliedstaaten und 364 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 3.
196
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
ihre innerstaatlichen Untergliederungen. Art. I-47 Abs. 1 und 2 VV richten sich ausdrücklich an alle EU-Organe, die einerseits den Unionsbürgern und repräsentativen Verbänden die Möglichkeit zur Bekanntgabe und zum Austausch ihrer Ansichten geben, und die andererseits einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft führen sollen. Art. I-47 Abs. 3 VV wendet sich hingegen ausschließlich an die Kommission, die umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durchführen soll, um die Kohärenz und Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten. Die von der Kommission im Rahmen des Governance-Prozesses ausgearbeiteten Weißbücher und Mitteilungen entfalten keinerlei Rechtswirkungen und binden im Grundsatz rechtlich nicht einmal die Kommission selbst. Sie sind sog. atypische Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts, die im Primärrecht nicht ausdrücklich vorgesehen, insbesondere in der Auflistung der Rechtsakte in Art. 249 EG nicht aufgeführt sind. Sie sind Verwaltungsvorschriften vergleichbar, da sie im Bereich der Ermessensausübung zu einer Selbstbindung der Kommission führen und im Übrigen Vertrauensschutz begründen können.365 Als unverbindliche Rechtshandlungen können sie stets revidiert und aktualisiert werden. Dies relativiert den Anspruch der Kommission, dass die Vorschläge zur Reform Europäischen Regierens ein konzertiertes Mitwirken aller Institutionen der EU, aller Mitgliedstaaten, der regionalen und lokalen Körperschaften sowie der Zivilgesellschaft fordert, an die die Kommission das Weißbuch „Europäisches Regieren“ in erster Linie richtet.366 In Bezug auf effektivere und transparentere Konsultationen spricht die Kommission ausdrücklich neben der eigenen auch die Praxis des Europäischen Parlaments an.367 II. Kritik an den Vorschlägen der Kommission Viele der von der Kommission im Weißbuch „Europäisches Regieren“ vorgeschlagenen und in der Mitteilung über die Mindeststandards für Konsultationen und den übrigen Initiativen konkretisierten und teilweise schon umgesetzten Vorhaben sind sinnvoll und lobenswert. So finden sich kaum Stimmen, die Einwände gegen die allgemeinen Vorschläge eines ungehinderten Zugangs der Bürger zu Informationen, einer Strukturierung der bislang undurchsichtigen und ungeregelten Konsultationen sowie der übrigen Maßnahmen zur Herstellung höherer Transparenz erheben. Dennoch wird 365
Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 33. Kommission, KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 11. 367 Kommission, ebd., 21. 366
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
197
zahlreiche Kritik geäußert.368 Sie richtet sich in grundlegender Weise gegen Ziel und Konzept der Vorschläge (unter 1.) sowie gegen Praktikabilität und Gefahren bei deren Umsetzung (unter 2.). 1. Ziel und Konzept der Vorschläge Fundamentale Einwände werden sowohl gegen die unklare Motivation der Kommission für die Stärkung der Bürgerbeteiligung [unter a)] als auch gegen das den Vorschlägen zugrunde liegende Konzept [unter b)] erhoben.369 a) Ziel Ausdruck mangelnder Kohärenz der Vorschläge und einer fehlenden übergreifenden Strategie zur Bürgerbeteiligung sei das Sammelsurium an Zielen, die mit dem Instrument einer vermehrten Bürgerbeteiligung verbunden werden. Konsultationen und öffentliche Anhörungen sollen Sachverstand gewinnen und somit einer besseren Qualität der Vorschläge von Rechtsakten dienen.370 Sie sollen zugleich den EU-Organen helfen, konkurrierende, widerstreitende Forderungen und Interessen zu identifizieren und zu einem Ausgleich zu bringen.371 Eine stärkere Einbeziehung der Bürger in den Rechtsetzungsprozess allgemein soll zudem unter dem Grundsatz „Partizipation“ größeres Vertrauen in den letztlich erlassenen Rechtsakt bewirken.372 Damit soll die Akzeptanz der Bürger als Element der sog. Output-Legitimation in das Handeln der Union gestärkt werden. In ähnlicher Weise soll die Union ihre „Legitimität“ aus Teilhabe und Einbindung beziehen und nicht „die Politik von oben herab“ verkünden.373 Legitimation soll somit durch deliberative und partizipatorische Demokratieelemente gestärkt werden. 368 s. aus der Lehre z. B. Armstrong, Jean Monnet Working Paper No.6/01; Dutheil de la Rochère, RMCUE 2002, 10; Greenwood, The White Paper on Governance, 2002; Hayder, ZG 2002, 49; Hilp, ZG 2003, 119; Joerges, Integration 2002, 187; LSE Study Group on European Administrative Law, 2002; Magnette, Jean Monnet Working Paper No.6/01; Pech, European Integration 2003, 131; Radermacher, GLJ 2002, Vol. 3 No. 1, 1. 369 Vgl. Europäisches Parlament, GD Research, Arbeitspapier The new Europe: Governance in a Union of up to 30 Member States, Constitutional Affairs Series, AFCO 101 EN, 4-2002, 25 ff. 370 Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 21. 371 Vgl. Kommission, ebd., 21. 372 Kommission, ebd., 13. 373 Kommission, ebd., 14.
198
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
In der Einleitung des Weißbuchs spricht die Kommission davon, dass die Bürger leichter verstehen sollen, was die Union leistet und wofür sie eintritt, um die Kluft zwischen der EU und den Bürgern zu verringern.374 Um die Beseitigung bloßer Verständnis- und Kommunikationsprobleme scheint es sich nur zu handeln, wenn die Kommission im Rahmen einer offeneren Arbeitsweise der Union eine aktivere Kommunikationspolitik fordert375 und sich von einer Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft strukturierte Kanäle für Feedback, Kritik und Protest der Bürger verspricht.376 Nicht fernliegend ist schließlich auch das Motiv der Kommission, durch eine verstärkte Bürgerbeteiligung ihre Legitimation zu erhöhen, um Unterstützung für die Verhandlungen mit Rat und Europäischem Parlament im weiteren Rechtsetzungsprozess zu gewinnen. b) Konzept Zentraler Einwand gegen das Konzept, das den Vorschlägen zur verstärkten Bürgerbeteiligung zu Grunde liegt, ist die fehlende rechtliche Verbindlichkeit dieser Vorschläge. Die in einer Mitteilung der Kommission veröffentlichten Konsultationsleitlinien, die ein kohärentes und transparentes Konsultationssystem beschreiben, stehen grundsätzlich zur Disposition der Kommission.377 Die Kommission steht einem rechtsverbindlichen Rechtsakt aus zwei Gründen ablehnend gegenüber: Erstens will sie die von ihr initiierten Konsultationen vor Annahme eines Vorschlags von dem „sich anschließenden formellen und verbindlichen Beschlussfassungsprozess“378 eindeutig trennen; zweitens soll ein Vorschlag der Kommission nicht vor dem Gerichtshof mit der Behauptung angefochten werden können, dass angeblich keine Konsultation der betroffenen Parteien erfolgt sei. Eine eindeutige Trennung des formellen Beschlussfassungsprozesses von dem Konsultationsprozess dient zwar dem Grundsatz der Transparenz, stellt kein Argument dar, das gegenüber den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes Bestand haben kann. Ebenso gibt die Kommission mit dem zweiten Grund der Effektivität des Rechtsetzungsprozesses den Vorrang gegenüber den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes. So qualifiziert die Kommission ausdrücklich einen verbindlichen 374
Kommission, ebd., 3. Kommission, ebd., 15. 376 Kommission, ebd., 19 f. 377 Zum Rechtscharakter einer Mitteilung der Kommission s. o. den vorigen Abschnitt zum Adressatenkreis der Konzepte von Kommission und Konvent; 2. Teil, 2. Kap., C. I. 2. 378 Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 9. 375
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
199
rechtlichen Rahmen als einen übertriebenen legalistischen Ansatz, der eine möglichst zügige Umsetzung der Gemeinschaftspolitiken nur verzögere.379 Bemerkenswert ist, dass die Kommission aus dem gleichen Grunde der Effektivität des Rechtsetzungsprozesses den Umfang der Mindeststandards nicht allgemein auf alle durchzuführenden Konsultationen ausweitet.380 Weitere fundamentale Einwände gegen das Konzept einer verstärkten Bürgerbeteiligung betreffen die Gefahr der Herausbildung einer neuen Form eines korporativen Regimes auf europäischer Ebene, in dem vor allem Organisationen mit starken finanziellen und personellen Ressourcen ihre Interessen in den Rechtsetzungsprozess in der Union einbringen. Zumindest drohe die Gefahr, dass die Beteilung das Monopol organisierter Gruppen bleibt, während der normale Bürger faktisch ausgeschlossen bliebe.381 Des Weiteren gehe mit der Stärkung einer unmittelbaren Bürgerbeteiligung, insbesondere durch die Kommunikation mit der Kommission, eine Schwächung des Europäischen Parlaments als vorrangiger Ort für politische Debatten und zur Bestimmung der gesellschaftlichen Gemeinwohlbelange als Ausgleich von Partikularinteressen einher.382 Letztlich fehle dem ganzen Konzept des „Europäischen Regierens“ einschließlich der Vorschläge zur Stärkung der Bürgerbeteiligung ein kohärentes Modell einer Demokratie im supranationalen Raum. Legitimation bedeute mehr als nur Partizipation und Transparenz.383 2. Praktikabilität einzelner Vorschläge und Gefahren bei deren Umsetzung Neben grundlegenden Einwänden gegen die unklaren Ziele und das Konzept der Bürgerbeteiligung werden auch Einwände gegen die Praktikabilität einzelner Vorschläge [unter a)] und mögliche Gefahren bei deren Umsetzung [unter b)] erhoben.384
379 380 381
Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 10. Kommission, ebd. Magnette, Jean Monnet Working Paper No.6/01, 23; Hilp, ZG 2003, 119, 124,
129. 382
Europäisches Parlament, Verhandlung – Sitzung am 2. Oktober 2001, www. europarl.europa.eu/sidesgetDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+CRE+20011002+ITEM002+DOC+XML+V0//DE. 383 Radermacher, GLJ 2002, Vol. 3 No. 1, 1, 5; Dutheil de la Rochère, RMCUE 2002, 10, 13; Pech, European Integration 2003, 131, 140. 384 Vgl. Europäisches Parlament, GD Research, Arbeitspapier The new Europe: Governance in a Union of up to 30 Member States, Constitutional Affairs Series, AFCO 101 EN, 4-2002, 25 ff.
200
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
a) Praktikabilität der Vorschläge Unklar ist zunächst, ob der Zugang zum Konsultationsverfahren beschränkt und wie die Qualität der Eingaben bewertet wird. Einerseits soll jeder Bürger und jede gesellschaftliche Interessengruppen die Meinung äußern können.385 Daher soll es keine Beschränkung des Zugangs mittels Kriterien wie Repräsentativität geben. Andererseits will sich die Kommission aktiv an von dem Vorschlag betroffene Parteien wenden.386 Zudem ist – insbesondere bei beratenden Gremien oder Anhörungen – der Zugang zu Konsultationen aus praktischen Gründen begrenzt. Konkrete Auswahlkriterien nennt die Kommission aber erst, wenn sie von einer Beschränkung auf Ebene der Bewertung der Qualität der Kommentare spricht.387 Hier sei die Repräsentativität der Organisation nicht das einzige Kriterium. Im Übrigen verweist sie auf die Stellungnahme des EWSA zum Weißbuch „Europäisches Regieren“, in der folgende Auswahlkriterien für den Dialog mit der Zivilgesellschaft genannt sind388: Die Organisation müsse erstens auf Gemeinschaftsebene dauerhaft organisiert sein; zweitens einen direkten Zugriff auf die Expertise ihrer Mitglieder haben und damit rasche und konstruktive Konsultationen gewährleisten; drittens allgemeine Anliegen vertreten, die den Interessen der europäischen Gesellschaft entsprechen; viertens sich aus Organisationen zusammensetzen, die auf der Ebene des jeweiligen Mitgliedstaats als repräsentativ für die von ihnen vertretenen Interessen anerkannt sind; fünftens über Mitgliedsorganisationen in der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU verfügen; sechstens eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Mitgliedern der Organisation vorsehen, siebtens über ein Mandat zur Vertretung und Handlung auf europäischer Ebene verfügen; achtens unabhängig und weisungsungebunden von außen sein; und neuntens transparent sein, vor allem in finanzieller Hinsicht und in Bezug auf die Entscheidungsstrukturen. Nicht praktikabel erscheinen die Vorschläge zur verstärkten Bürgerbeteiligung inbesondere hinsichtlich der Kapazität der Kommission, die riesige Menge oft unübersichtlicher Informationen, die das Ergebnis der umfassenden Konsultationen sind, sinnvoll aufzuarbeiten und bei der Ausarbeitung des Vorschlag eines Rechtsakts zu berücksichtigen. Wenn die gesellschaftlichen Kräfte in einer Union der 27 Mitgliedstaaten 493 Millionen Bürgern auch nur in geringem Umfang (10%) der Einladung zur schriftlichen Kon385
Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 5, 11. Kommission, ebd., 11. 387 Kommission, ebd., 11. 388 EWSA, CES 357/2002 v. 20.3.2002, 6 f., http://eesc.europa.eu/sco/docs/ces 357-2002_ac_de.pdf. 386
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
201
sultation Folge leisten, droht die Gefahr eines information overload. Der Kommission fehlen sowohl die personellen Ressourcen als auch einfach die Zeit, um bei entsprechendem Gebrauch der Konsulationsmechanismen die eingehenden Informationen zu verwerten, ohne den weiteren Rechtsetzungsprozess erheblich zu verzögern. b) Gefahren bei der Umsetzung einzelner Vorschläge Im Rahmen der im Weißbuch „Europäisches Regieren“ genannten, weitergehenden Partnerschaften zwischen der Kommission und einzelnen organisierten gesellschaftlichen Kräften389 ist die Gefahr einer Bevorzugung bestimmter Organisationen bzw. bestimmter Interessen noch erheblich größer als bei der schon genannten Beschränkung des Zugangs zu gewöhnlichen Konsultationen. Da die Kommission als Gegenleistung für die Verpflichtung zu zusätzlichen Konsultationen eine Straffung der internen Strukturen der an der Partnerschaft beteiligten Organisationen sowie deren Offenheit, Repräsentativität und Fähigkeit zur Verbreitung von Informationen oder Leitung von Debatten erwartet, droht auch eine Gefährdung der organisatorischen Unabhängigkeit der Interessengruppen. Dies erscheint umso gravierender, als dass viele Organisationen finanziell bereits in nicht unbedeutendem Maße von der Kommission abhängig sind, da oftmals ein großer Teil des jährlichen Budgets insbesondere von im sozialen, umweltpolitischen und humanitären Bereich tätigen Nichtregierungsorganisation durch EUFördermittel finanziert wird.390 III. Bewertung der Vorschriften im Verfassungsvertrag Die Vorschriften über das demokratische Leben in der Union im Verfassungsvertrag sind positiver zu bewerten. Ein maßgebliches Defizit der Kommissionsvorschläge räumt der Verfassungsvertrag mit der ausdrücklichen Anerkennung eines Rechts der Unionsbürger auf Beteiligung aus (unter 1.). Teilweise decken sich die Vorschläge mit denen der Kommission (unter 2.). Mit der Bürgerinitiative führt der Verfassungsvertrag erstmalig ein plebiszitäres Element ein (unter 3.).
389
s. o. 2. Teil, 2. Kap., A. I. 2. Eising, Rainer/Kohler-Koch, Beate, in: dies., Interessenpolitik in Europa, 2005, 11, 24. 390
202
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
1. Recht der Unionsbürger auf Beteiligung Die Anerkennung eines Rechts der Unionsbürger auf Teilnahme am demokratischen Leben stellt eine große Errungenschaft dar [unter a)], unklar bleiben aber Umfang und Gehalt dieses Rechts [unter b)]. a) Einzigartige Anerkennung im Primärrecht der Union Art. I-46 Abs. 3 S. 1 VV besagt eindeutig, dass alle Unionsbürger das Recht haben, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Mit dieser Vorschrift wird erstmalig ein demokratisches Beteiligungsrecht im Primärrecht der EU normiert. Aus der Perspektive der Bürgerbeteiligung markiert Art. I-46 Abs. 3 S. 1 VV die zentrale Vorschrift im Titel über das demokratische Leben in der Union und im Verfassungs- bzw. Reformvertrag überhaupt. b) Unklarer Umfang und Gehalt des Rechts Versteht man dieses Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben in der Union in Anlehnung an das deutsche Verfassungs- und Verwaltungsrecht als ein subjektives Recht, stellen sich materielle wie prozessuale Fragen nach dem konkreten Umfang und dem Gehalt dieses Rechts sowie nach dessen Justiziabilität. Was ist der Inhalt dieses Rechts? In systematischer Auslegung umfasst das demokratische Leben die im Titel VI des ersten Teils des Verfassungsvertrages genannten Verfahren, Einrichtungen und Handlungsmöglichkeiten. Dazu gehören neben dem aktiven und passiven Wahlrecht als klassisches Beteiligungsrecht in einer repräsentativen Demokratie vor allem die im Rahmen des in Art. I-47 VV normierten Grundsatzes der partizipativen Demokratie genannten Beteiligungsmöglichkeiten der Unionsbürger. Während die Kommission die Schaffung eines rechtsverbindlichen Rahmens für seine Vorschläge zur Bürgerbeteiligung und somit jegliche Justiziabilität noch als übertrieben legalistischen Ansatz ablehnte, stellt der Verfassungsvertrag kurz und knapp fest, dass es ein Recht der Unionsbürger auf Teilnahme am demokratischen Leben gibt. Dazu zählen gerade die in Art. I-47 VV genannten Möglichkeiten zur öffentlichen Bekanntgabe und zum Austausch ihrer Ansichten, zum Dialog mit den EU-Organen und zur Anhörung durch die Kommission. Ob sich aus einer verbundenen Lesart der Art. I-46 Abs. 3 VV mit Art. I-47 Abs. 2 und 3 VV individuelle Ansprüche von einzelnen Bürgern oder Bürgerzusammenschlüssen auf einen Dialog mit den EU-Organen oder auf eine Teilnahme an einer konkreten
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
203
Anhörung oder Konsultation ableiten lassen, erscheint fraglich.391 Diesen Vorschriften lässt sich aber die Verpflichtung der EU-Organe entnehmen, Beteiligungsverfahren zu entwickeln und grundsätzlich in allen Gemeinschaftspolitiken mit dem Ziel anzuwenden, allen Unionsbürgern eine gleichberechtigte Teilnahme zu ermöglichen.392 2. Kohärenz mit dem Governance-Prozess Zahlreiche der von der Kommission im Governance-Prozess ausführlich ausgebreiteten Vorschläge zur stärkeren Bürgerbeteiligung finden sich auch im Verfassungsvertrag wieder. So widmet sich Art. I-47 VV über den Grundsatz der partizipativen Demokratie der Kommunikation [unter a)], dem Dialog [unter b)] und den Konsultationen [unter c)]. a) Kommunikation Die in Art. I-47 Abs. 1 VV geregelte Möglichkeit der Unionsbürger und der repräsentativen Verbände zur öffentlichen Bekanntgabe und zum Austausch ihrer Ansichten zielt auf die Veröffentlichung schriftlicher Eingaben in Foren, Internet-Chats und anderen virtuellen Plattformen der EU-Organe ab, wie es die Anmerkungen zum ersten Entwurf dieses Titels bestätigen.393 Die Möglichkeit zum Austausch von Ansichten bezieht sich – in systematischer Auslegung mit Abs. 2 dieser Vorschrift über den Dialog zwischen EU-Organen und den organisierten Bürgern – lediglich auf das horizontale Verhältnis von Bürger zu Bürger. Auch diese strukturierte Form der Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit soll zuvörderst durch die Benutzung virtueller Plattformen zum Ausdruck kommen, die auch dem Zweck dienen, den öffentlichen Diskurs zwischen den Unionsbürgern und somit letztlich eine europäische öffentliche Meinung zu fördern.394 Diesen Zielen dienen auch die Vorschläge der Kommission im Weißbuch Governance zu einer offeneren Arbeitsweise der Union.395
391
Ablehnend Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, VVE, Art. I-47 Rn. 2 und Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-47 Rn. 8. 392 So auch Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-47 Rn. 8. 393 Europäischer Konvent, CONV 650/03 v. 2.4.2003 (03.04), 8; http://register. consilium.eu.int/pdf/de/03/cv00/cv00650de03.pdf. 394 Vgl. Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-47 Rn. 7. 395 s. Kommission, KOM(2001) 428 endg. v. 25.7.2001, ABl. C 287/1 v. 12.10. 2001, 15.
204
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
b) Dialog Der in Art. I-47 Abs. 2 VV angesprochene offene, transparente und regelmäßige Dialog der EU-Organe mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft ist von dem speziellen Instrument formeller Anhörungen zu unterscheiden, dem der dritte Absatz dieses Artikels als Sonderregelung gewidmet ist. Es bleibt unklar, auf welche Formen der Kommunikation zwischen den EU-Organen und den organisierten Unionsbürgern der Verfassungsvertrag an dieser Stelle Bezug nimmt. Da ein Dialog immer die aktive Mitwirkung beider Seiten erfordert, ist auch die bloße Bekanntgabe von Ansichten der Unionsbürger gegenüber den EU-Organen auszugrenzen, die zudem in dem im vorigen Abschnitt erörterten ersten Absatz dieses Artikels geregelt ist. Übrig bleiben einerseits noch die vielfältigen informellen Kontakte zwischen den EU-Organen und Interessengruppen, die außerhalb der geregelten Konsultationsmechanismen stattfinden. Das Bemühen um die Schaffung eines rechtsverbindlichen Rahmens für die Vielfalt an Beteiligungsformen der Unionsbürger würde jedoch durch eine Verankerung dieser informellen Gespräche konterkariert. Andererseits zielt der Dialog daher beispielsweise auf die im Plan D der Kommission genannte Initiativen zur Förderung des europäischen Diskurses unter Einbindung der EU-Organe ab.396 Kritisch ist zudem die verfassungsrechtliche Verankerung des Begriffes der Repräsentativität in Bezug auf die Verbände, wie sie auch schon in Abs. 1 dieser Vorschrift zu finden ist. Unabhängig von der Frage, welche Kriterien eine Organisation aufweisen muss, um als repräsentativ zu gelten, kann die Kommission zukünftig diese Normierung als primärrechtliche Rechtsgrundlage und somit Rechtfertigung für eine mögliche Selektion der Organisationen heranziehen. c) Konsultationen Art. I-47 Abs. 3 VV übernimmt die bislang im Subsidiaritätsprotokoll normierte Aufgabe der Kommission zur Durchführung umfangreicher Anhörungen. Die Vorschrift wäre zukünftige primärrechtliche Grundlage der im Rahmen des Governance-Prozesses gemachten, insbesondere in der Mitteilung über die Mindeststandards für Konsultationen konkretisierten, Vorschlägen der Kommission. Sie ist im Wortlaut knapp gehalten, wie es für eine verfassungsrechtliche Formulierung angemessen ist, da die Ausgestal396
Vgl. die Vorschläge der Besuche von Kommissionsmitgliedern in den Mitgliedstaaten, der Einrichtung Europäischer runder Tische für Demokratie, der Unterstützung europäischer Bürgerprojekte und der Veranstaltung allgemeiner Diskussion mit europäischen „Goodwill Ambassadors“, s. Kommission, KOM(2005) 494 endg. v. 13.10.2005, 8 ff.
2. Kap.: Vorschläge zur Stärkung
205
tung gerade durch das einfache Recht, vorliegend durch die rechtsunverbindliche Mitteilung der Kommission, erfolgt. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Verfassungsvertrag als Zweck der Konsultationen die Gewährleistung der Kohärenz und Transparenz des Handelns der Union und somit ein von den bisher genannten Zielen völlig unterschiedliches Ziel nennt. Art. I-47 VV nennt als Zielgruppe der Konsultationen die „Betroffenen“, ohne diesen Begriff zu bestimmen. Es bleibt unklar, ob mit dieser Formulierung eine Einschränkung des umfassenden Teilnahmerechts aus Art. I-46 Abs. 3 VV beabsichtigt ist. 3. Einführung eines direkt-demokratischen Elements: Bürgerinitiative Für die vorliegende Untersuchung ist die Bürgerinitiative von geringerem Interesse, da der Begriff der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der vorliegenden Arbeit keine direkt-demokratischen Instrumente einbezieht.397 Auch wenn die Bürgerinitiative nicht die Möglichkeit eines Referendums, also eines Volks- bzw. Bürgerentscheides, eröffnet, bei dem die Bürger verbindlich über eine Frage durch Abstimmung entscheiden, ist die Einflussnahme auf eine Unterstützung oder Ablehnung der Initiative beschränkt und bietet keine inhaltliche Einflussmöglichkeit. Somit regt die Einführung der Bürgerinitiative als erstmaliges plebiszitäres Element auf europäischer Ebene zwar bürgerschaftliches Engagement an, geht jedoch über den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit hinaus. IV. Ergebnis Die im Rahmen des Governance-Prozesses einerseits und des Verfassungsvertrages andererseits gemachten Vorschläge zur Stärkung der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsverfahren der EU decken sich teilweise, unterscheiden sich aber auch teilweise. Was das grundlegende Verhältnis der Konzepte von Kommission und Verfassungskonvent zueinander angeht, so basieren die Vorschläge des Weißbuchs auf dem geltenden Primärrecht, das nach entsprechender Ratifizierung des Reformvertrages, der die wesentlichen Vorschriften des Verfassungsvertrages übernimmt, gerade geändert wird. Während die Vorschriften des Primärrechts alle EU-Organe, Mitgliedstaaten und unterstaatlichen Einheiten binden, stellen die im Rahmen des Governance-Prozesses von der Kommission veröffentlichten Rechtsakte unverbindliche Rechtshandlungen dar. 397
s. o. 2. Teil, 1. Kap., A. II.
206
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Die gegen das Weißbuch geäußerte Kritik ist zahlreich und richtet sich einerseits allgemein gegen die diffuse Vielzahl an Zielen und gegen grundlegende Mängel des Konzeptes des Governance-Prozesses, insbesondere die fehlende Rechtsverbindlichkeit der Rechtsakte. Auf Ablehnung stoßen auch einzelne Vorschläge bzw. offene Fragen, wie z. B. die Beschränkung des Zugangs zu Konsultationsverfahren, die qualitative Bewertung der Eingaben, die Gefährdung der Unabhängigkeit von teilnehmenden Gruppen und die Ressourcen zur zeitnahen Bewertung der Eingaben bei nicht ganz unwesentlicher Beteiligung durch die gesellschaftlichen Kräfte. Die in den Verfassungsvertrag aufgenommenen Vorschriften über das demokratische Leben sind demgegenüber positiver zu bewerten. Von maßgeblicher Bedeutung für eine Stärkung der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung in der EU ist dabei – trotz des unklaren Gehaltes – die Verankerung des Rechts der Unionsbürger auf Teilnahme am demokratischen Leben in der Union. Im Übrigen werden einige im Governance-Prozess genannten Vorschläge der Kommunikation, des Dialogs und der Konsultation der gesellschaftlichen Kräfte im Verfassungsvertrag normiert. Erwähnenswert ist auch die erstmalige Normierung eines Elements direkter Demokratie im Primärrecht der EU: die Bürgerinitiative.
3. Kapitel
Voraussetzungen für eine Anerkennung der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess als Legitimationsquelle In diesem Kapitel wird die These begründet, wonach die unmittelbare Beteiligung von Bürgern an der Entscheidungsvorbereitung im Rechtsetzungsprozess die demokratische Legitimation der Rechtsetzung in der EU stärken kann. Aufbauend auf dem ersten Teil der Untersuchung wird dargelegt, dass das für die Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU etablierte dualistische Modell durch Elemente partizipatorischer und pluralistischer Demokratie zu ergänzen und weiterzuentwickeln ist (unter A.). Für die Anerkennung einer legitimatorischen Bedeutung der Bürgerbeteiligung ist Grundvoraussetzung, dass der (Unions-)Bürger als Individuum und nicht ein nationales oder europäisches Volk als Kollektiv Ausgangspunkt und Subjekt demokratischer Legitimation ist (unter B.). Will Bürgerbeteiligung demokratisch legitimiert sein, muss der Grundsatz der Gleichheit der Bürger beachtet werden (unter C.). Dieses ist durch die Ausgestaltung eines angemessenen verfahrensrechtlichen Rahmens für die Bürgerbeteiligung zu gewährleisten (unter D.).
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
207
A. Erweiterung des dualistischen Legitimationsmodells Dem im 1. Teil der Arbeit vorgestellten konstruktiven Ansatz398 folgend, wird in diesem Teil der Arbeit dargelegt, dass eine inhaltliche Weiterentwicklung des etablierten supranationalen Legitimations- und Demokratiemodells dazu beitragen kann, die Defizite der rein repräsentativ-demokratischen Legitimation im europäischen Mehrebenensystem zu beseitigen. Daher wird in einem ersten Schritt das Erfordernis eines neuen, pluralen Legitimationsmodells für die Ausübung von – legislativer – Herrschaftsgewalt in der EU begründet und die Ausgestaltung dieses Modells vorgestellt (unter I.). In einem zweiten Schritt wird in entsprechender Weise das Erfordernis der Berücksichtigung neuerer Demokratietheorien, insbesondere der partizipatorischen Demokratie, in diesem Legitimationsmodell begründet (unter II.). In einem dritten Schritt wird dargelegt, wie die neuartigen supranationalen Legitimations- und Demokratiemodelle im Verfassungsvertrag eine positivrechtliche Normierung gefunden haben (unter III.). I. Plurales Legitimationsmodell Das etablierte dualistische Legitimationsmodell, das einerseits auf dem verknüpfenden Legitimationsstrang von den Staatsvölkern zum Rat und andererseits auf dem eigenständigen Legitimationsstrang von den Unionsbürgern zum Europäischen Parlament beruht399, lässt anderen potentiellen Legitimationselementen wie Formen der Bürgerbeteiligung oder output-orientierten Kriterien wie Akzeptanz, Transparenz, Effektivität, Sachkompetenz, konsensbildende Verfahren, Sach- oder Verfahrensrichtigkeit, Wert- oder Gemeinwohlverwirklichung keinen Raum. Das traditionelle Legitimationsmodell spricht potentiellen Legitimationselementen außerhalb der parlamentzentrierten repräsentativen Demokratie (und außerhalb von Formen direkter Demokratie) jegliche legitimatorische Bedeutung ab.400 Das plurale Legitimationsmodell erweitert hingegen das etablierte dualistische Legitimationsmodell, indem es den Begriff der Legitimation an die Ausübung von – legislativer – Herrschaftsgewalt in der EU anpasst und somit auch die dogmatische Basis der Legitimationsvermittlung in der EU verbreitert. Das plurale Legitimationsmodell ersetzt nicht die Anforderungen, die das etablierte dualistische Legitimationsmodell an die Vermittlung demokratischer Legitimation stellt, sondern erlaubt die Berücksichtigung von Legitimationselementen außerhalb des dualistischen Legitimationsmodells, die zu 398 399 400
s. o. 1. Teil, 3. Kap., D. I. s. o. 1. Teil, 1. Kap., B. IV. 1. und 2. s. o. 1. Teil, 3. Kap., D. I. und II.
208
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
einer Reduzierung der existierenden Defizite bei der Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU beitragen können. Der Begriff des „pluralen“ Legitimationsmodells geht auf Schliesky zurück, der in seiner Untersuchung über die Weiterentwicklung der Begriffe Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt im europäischen Mehrebenensystem Anforderungen für ein normatives Legitimationskonzept aufstellt, das an die plurale Herrschaftsstruktur im europäischen Mehrebenensystem angepasst ist.401 Der Verdienst Schlieskys ist es, erstmalig ein ganzheitliches normatives Modell der Legitimationsvermittlung in der EU zu konstruieren und dogmatisch zu begründen, welches das monistische Legitimationsmodell des Nationalstaats überwindet und es in Anpassung an das neuartige supranationale Herrschaftssystem der EU weiterentwickelt. In der historischen Entwicklung seit dem Mittelalter haben die Begriffe der Legitimation und Legitimität bereits entsprechende inhaltliche Wandel erlebt. Konstanter Fixpunkt ist immer die Frage nach der Rechtfertigung von Herrschaftsgewalt geblieben.402 Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen der sog. Input-Legitimation, die auf dem etablierten dualistischen Legitimationsmodell aufbaut, und der sog. Output-Legitimation. Diese beiden Begriffe und die dahinterstehenden Konzepte werden zunächst dargestellt (unter 1.). Danach werden die Gründe aufgeführt, die für eine Erweiterung der Input-Legitimation um partizipatorisch-demokratische Elemente sprechen (unter 2.). 1. Unterscheidung von Input- und Output-Legitimation Das in der Politikwissenschaft gebräuchliche Begriffspaar der Input- und Output-Legitimation wurde ursprünglich in der Politikwissenschaft zur Unterscheidung normativer Demokratietheorien entwickelt.403 Die demokratietheoretischen Überlegungen basieren auf der Modellvorstellung eines politischen Systems in einem Gemeinwesen, das politische Inputs (insbesondere artikulierte Interessen) aus seiner gesellschaftlichen Umwelt aufnimmt und zu politischen Outputs (insbesondere verbindlichen Entscheidungen) verarbeitet.404 Die input-orientierte Perspektive betone die „Herrschaft durch das Volk“. Politische Entscheidungen seien legitim, wenn und weil sie den Willen der Mitglieder eines Gemeinwesens widerspiegeln. 401
Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 588 ff. Schliesky, ebd., 590. 403 Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970; ders., Regieren in Europa, 1999. 404 Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, 21. 402
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
209
Die output-orientierte Perspektive betone hingegen die „Herrschaft für das Volk“. Danach seien politische Entscheidungen legitim, wenn und weil sie wirksam das Allgemeinwohl im Gemeinwesen fördern. Beide Perspektiven seien komplementär, beruhten aber auf unterschiedlichen Vorbedingungen.405 Nach Scharpf beschreibt der input-orientierte Ansatz das politische System von den in den politischen Prozess eingehenden Willensäußerungen und artikulierten Interessen her. Leitbild sei die Ausgestaltung eines politischen Systems in einem Gemeinwesen in der Weise, dass Entscheidungen möglichst unverfälscht aus der gleichen Partizipation aller Mitglieder des Gemeinwesens hervorgehen.406 Der input-orientierte Ansatz stützt sich primär auf Partizipation als Teilnahme aller Individuen am politischen Entscheidungsprozess. Der Grad an Input-Legitimation bestimme sich nach dem Maße, in dem die Bürger an dem politischen Entscheidungsprozess beteiligt sind. Die Output-Perspektive rechtfertigt Herrschaft hingegen über die Fähigkeit zur Lösung von Problemen in einem Gemeinwesen und über die Qualität des hoheitlichen Entscheidungshandelns. Der output-orientierte Ansatz ist ergebnisorientiert und beschreibt die Leistungsdimension von Herrschaftsgewalt. Auf den Bereich der Rechtsetzung bezogen umfasst Input alles das, was zu dem Erlass einer Norm führt, und Output alles das, was eine Norm nach ihrem Inkrafttreten leistet.407 In den letzten Jahren fand der Ansatz auch Eingang in die Rechtswissenschaft im Rahmen normativer Legitimationskonzeptionen. So fanden zunehmend einzelne output-orientierte Legitimationselemente unter dem Blickpunkt einer „besseren“ Rechtsetzung Berücksichtigung – wie z. B. das Instrument der Folgenabschätzung408, das die Notwendigkeit einer Regelung, ihre Wirksamkeit und Folgen sowohl vor als auch nach deren Erlass bewertet. Eine ganzheitliche Integration des Ansatzes in eine normative Legitimationskonzeption gelang Schliesky im Rahmen einer Weiterentwicklung der Begriffe der Legitimität und Legitimation im supranationalen Kontext.409 Die im europäischen Mehrebenensystem zu rechtfertigende Herrschaftsgewalt erfordere ein strukturadäquates Legitimationskonzept, das an die 405
Scharpf, Regieren in Europa, 1999, 16. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, 25. 407 Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, 517, 521. 408 Vgl. Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 49. Ausführlich zu Begriff, Erscheinungsformen, Rechtsrahmen und Praxis der Folgenabschätzung, ebd., 334 ff.; s. auch Ennuschat, DVBl. 2004, 986, 992 f. 409 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 594 ff., der Input- und Output-Legitimation zunächst als „formelle“ und „materielle“ Komponenten eines Legitimationskonzeptes bezeichnet. 406
210
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
plurale Herrschaftsstruktur angepasst sei. Eine schablonenhafte Betrachtung durch das Raster der monistischen Legitimationskonstruktion mit ihrem Schwerpunkt auf der Wahrung einer ununterbrochenen Legitimationskette werde dem komplexen Zusammenwirken mehrerer Herrschaftsgewalten im europäischen Mehrebenensystem nicht gerecht.410 Ebenfalls unter Rückgriff auf den Grundsatz der Volkssouveränität unterscheidet Schliesky zwischen der Herrschaft durch das Volk einerseits und der Herrschaft für das Volk andererseits als Ausgangspunkte für Input- und Output-Legitimationsverfahren.411 Wenn Herrschaftsgewalt durch das Volk ausgeübt werden soll, dürfe diese nicht nur in formeller Weise vom Volk abgeleitet werden und sich dem einmaligen Akt der Wahl des Parlaments erschöpfen. Der Input müsse ausgeweitet werden. Herrschaft für das Volk bedeute die Ausübung von Herrschaftsgewalt im Interesse des Volkes, orientiert an materiellen Herrschaftszielen und -zwecken, die die Erfüllung gemeinwohlbezogener Aufgaben beinhalten.412 Input- und Output-Legitimationsverfahren ergänzen sich gegenseitig und tragen gemeinsam zu einem möglichst hohen, effektiven Legitimitätsniveau413 bei.414 Nicht weiter Gegenstand dieser Untersuchung ist die Output-Legitimation, die keinen unmittelbaren Bezugspunkt zur Bürgerbeteiligung aufweist und nur in dem Umfang dargestellt wurde, wie es für das Verständnis des pluralen Legitimationsmodells notwendig ist.415 2. Erweiterung der Input-Legitimation Der Grundsatz der Volkssouveränität verlangt als Kern demokratischer Anforderung, dass Herrschaft dem Volk gehört und durch das Volk ausgeübt wird.416 Wenn Herrschaftsgewalt nicht von dem Volk selbst – in Form direkt-demokratischer Instrumente – ausgeübt wird, sondern an besondere Träger delegiert und von diesen ausgeübt wird, erfordert die Rechtfertigung solcher Herrschaftsgewalt eine Zurechnung zum Volk, die sich in einem 410
Schliesky, ebd., 656 f. Schliesky, ebd., 594 m. w. N. 412 Schliesky, ebd., 591. 413 Zu Begriff, Bedeutung und Kritik an dem Konzept des Legitimationsniveaus s. Schliesky, ebd., 715 ff. 414 Schliesky, ebd., 604 f., 662 f. 415 Ausführlich zur Rolle der Output-Legitimation im pluralen Legitimationsmodell Schliesky, ebd., 659. 416 Im Folgenden wird der Begriff „Volk“ in demokratietheoretischem Sinn inhaltlich neutral verwendet, und umfasst alle Mitglieder eines politischen Gemeinwesens, in dem Herrschaftsgewalt ausgeübt wird. 411
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
211
Ableitungs- und Verantwortungszusammenhang zwischen dem Volk und dem Träger der Herrschaftsgewalt ausdrückt.417 Das dualistische Legitimationsmodell stellt mit dem Erfordernis einer ununterbrochenen Legitimationskette im Rahmen der personellen Legitimation den Ableitungszusammenhang in den Vordergrund, der eine Beteiligungsmöglichkeit des Volkes nur allein durch den Wahlakt vorsieht. Der im Rahmen der sachlich-inhaltlichen Legitimation erforderliche Zurechnungs- und Verantwortungszusammenhang wird über die klassischen Instrumentarien der parlamentarischen Verantwortlichkeit sichergestellt. Das dualistische Legitimationsmodell stößt auf supranationaler Ebene bei der Verwirklichung der personellen und der sachlich-inhaltlichen Legitimation an Grenzen: in Bezug auf die ununterbrochene Legitimationskette wegen der – mittlerweile die Regel darstellenden – Mehrheitsentscheidungen im Rat418 und in Bezug auf den Zurechnungs- und Verantwortungszusammenhang wegen der defizitär ausgestalteten Verantwortlichkeit der europäischen Exekutive vor dem Europäischen Parlament.419 Die Input-Legitimation der Rechtsetzung in der EU bedarf daher einer doppelten Stärkung. Zum einen muss die Verantwortlichkeit der an der Rechtsetzung beteiligten EU-Organe erhöht werden. Je größer die Transparenz der Entscheidungsprozesse ist, desto klarer wird die Zurechnung von Verantwortung, die aufgrund der Komplexität der Entscheidungsstrukturen im europäischen Mehrebenensystem eine höhere Bedeutung als im Staat hat.420 Eine möglichst hohe Transparenz der Entscheidungsprozesse ist als Entscheidungsmaxime der EU auch in Art. 1 Abs. 2 EU normativ verankert und durch zahlreiche Rechtsakte konkretisiert.421 Zum anderen darf sich die Beteiligung der Bürger nicht nur auf die Wahl der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments beschränken. An dieser Stelle eröffnet das plurale Legitimationsmodell Raum für eine angemessene Berücksichtigung der Bürgerbeteiligung, die zu einer erhöhten Input-Legitimation beitragen kann. Demokratische Legitimation erschöpft sich nicht in dem periodisch wiederkehrenden Legitimationsakt der Wahl, sondern bedarf einer ständigen Rückkoppelung zum Volk, für deren Ausgestaltung es kein alleiniges Organisationsmodell gibt. Maßgeblich ist für die Rechtsetzung als Ausübung legislativer Herrschaftsgewalt, dass das Volk ausreichend an der Meinungs- und Willenbildung einschließlich der Entschei417 418 419 420 421
Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 594 f. s. o. 1. Teil, 2. Kap., A. I. 2. s. o. 1. Teil, 2. Kap., A. II. 2. und B. II. 3. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 701. Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV-Vertrag, Art. 1 EUV, Rn. 35 ff.
212
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
dungsfindung beteiligt ist. Dies erfordert eine systemadäquate organisatorische und verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Beteiligung der Bürger an diesen Verfahren.422 Die traditionelle Fixierung auf die formelle Endentscheidung muss einer stärkeren Beachtung des inhaltlichen Zustandekommens der Entscheidung weichen, um die plurale Entstehungsrealität von Entscheidungen einzubeziehen. Eine solche Sichtweise eröffnet die Möglichkeit, dem faktisch-inhaltlichen Einfluss auf eine Entscheidung legitimatorische Bedeutung beizumessen. Insoweit ist der Begriff der Herrschaftsgewalt, der alles amtliche Verhalten mit Entscheidungscharakter umfasst, zu erweitern, um relevante vorbereitende und konsultative Tätigkeiten einzubeziehen, wenn die formal dem Herrschaftsorgan obliegende Entscheidung die inhaltliche Empfehlung nur nachvollzieht.423 Damit rücken die komplexen Meinungsbildung-, Willenbildungs- und Entscheidungsprozesse in den Mittelpunkt des Legitimationsinteresses. Eine wahrhafte Verantwortungszurechnung der Entscheidung zu den Legitimationssubjekten, die mit dem Legitimationsprozess erfolgen soll, ist nur möglich, wenn das Zustandekommen der Entscheidung legitimatorisch berücksichtigt wird. Nur so kann Komplexität und Verwobenheit heutiger Entscheidungs- und Politikprozesse angemessen erfasst werden. Für ein normatives, rechtswissenschaftliches Legitimationskonzept werden damit auch Verfahren relevant, die zu Entscheidungen führen, normativ vorgegeben sind und Input-Leistung erbringen. Sie sind auf jeweilige Rückführbarkeit und Möglichkeit der Verantwortungszurechnung zu den maßgeblichen Legitimationssubjekten zu überprüfen.424 Damit soll nicht die Legitimation der von den Bürgern gewählten Vertreter in den Parlamenten in Frage gestellt werden, denen allein die politische Verantwortlichkeit obliegt. Jedoch stärkt die Anerkennung eines neben dem Wahlrecht bestehenden Beteiligungsrechts die demokratische Substanz des Rechtsetzungsprozesses.425 Bürgerbeteiligung stellt in diesem Sinn einen wichtigen Input für das Funktionieren eines demokratischen Entscheidungssystems dar.426 In der klassischen parlamentarischen Demokratie findet die Übertragung gesellschaftlicher Interessen allein durch Wahlen statt. Wahlen entscheiden 422
Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 674, der insbesondere zur Stärkung der Verantwortungszurechnung (Responsivität) die Normierung verbindlicher, transparenter und strukturierender Verfahrensanforderungen vorschlägt; ebda, 677. Nach von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 76 f., verwirklichen Verfahrensgestaltungen, die in offener und nachvollziehbarer Weise die sektorale Öffentlichkeit in den hoheitlichen Willensbildungsprozess einbeziehen, die leitenden Prinzipien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Funktionalität. 423 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 695 f. 424 Schliesky, ebd., 696. 425 de Schutter, ELJ 2002, 198, 202 f. 426 Scharpf, Zwischen Utopie und Anpassung, 1970, 55.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
213
in der Regel jedoch keine Sachprobleme, sondern entscheiden, wer über diese verbindlich entscheidet. Sollen in einem demokratischen Herrschaftssystem die Ansichten und Interessen der Herrschaftsunterworfenen in die Entscheidungsprozesse aufgenommen und berücksichtigt werden, ist neben den Wahlen ein ständiger, umfangreicher Dialog zwischen den hoheitlichen Entscheidungsträgern und den Bürgern erforderlich.427 Die Bürger können als Individuen und in Zusammenschlüssen zu Gruppen partikulare Interessen unmittelbarer, offener und gezielter als Parteien ihre politischen Ansichten und Interessen in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einbringen.428 Bürgerbeteiligung trägt zur Verwirklichung des demokratischen Prinzips bei, da sie zwischen den Wahlen und zusätzlich zu den Parteien eine enge Verbindung zwischen der Regierung und den Bürgern herstellt. Diese Aufwertung der Bürgerbeteiligung entspricht zudem einer Würdigung der politischen Aktivität, des Engagements der Bürger für öffentliche Angelegenheiten. Einer allgemeinen Politikverdrossenheit, die sich durch die sinkende Wahlbeteiligung manifestiert, steht eine wachsende Bereitschaft der Bürger zur Beteiligung an der Ausarbeitung – und Umsetzung – zahlreicher konkreter politischen Initiativen gegenüber.429 3. Ergebnis Das plurale Legitimationsmodell entwickelt das klassische dualistische Legitimationsmodell weiter, indem es den Begriff der Legitimation mit Hilfe der Unterscheidung in Input- und Output-Legitimation an die Ausübung von pluraler Herrschaftsgewalt in der EU anpasst. Input-Legitimation umfasst Art und Umfang der Beteiligung der Bürger an dem Entscheidungsprozess in einem politischen Gemeinwesen. Output-Legitimation beruht auf der Fähigkeit des politischen Gemeinwesens, Probleme effizient und effektiv zu lösen. Die Input-Legitimation der Rechtsetzung in der EU bedarf insbesondere einer Stärkung durch eine Berücksichtigung der Beteiligung der Bürger an der Rechtsetzung, die über den bloßen Wahlakt hinausgeht und sich schon im Prozess der Entscheidungsvorbereitung verwirklicht.
427
Ein Überblick zu der Diskussion bei Hollihn, Partizipation und Demokratie, 1978, 115 f. Vgl. im übrigen Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, 1989, 249 ff.; Hartisch, Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, 95. 428 Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 281. 429 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 72.
214
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
II. Partizipatorisches, pluralistisches Demokratiemodell Eine stärkere Bürgerbeteiligung im Sinne dieser Untersuchung entspricht dem Verständnis des Demokratieprinzips als Strukturprinzip mit Optimierungsgebot430, den Grundforderungen partizipatorischer Demokratietheorie (unter 1.) und nimmt Gedankengut pluralistischer, assoziativer und deliberativer Demokratietheorie auf (unter 2.). 1. Bürgerbeteiligung als Element partizipatorischer Demokratietheorie Bürgerbeteiligung hat demokratische Qualität. Dieser Aussage liegt ein partizipatorisch-demokratietheoretisches Verständnis zugrunde, wonach ein politisches Gemeinwesen gegenüber Eingaben der Bürger offen ist. Danach dient jede Möglichkeit der Bürger, ihre Ansichten in den hoheitlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einzubringen, der demokratischen Funktion. Konsequenterweise sind verfahrensmäßig ausgestaltete Formen der Einflussnahme auf diese Prozesse ein Instrument zur Verwirklichung des demokratischen Prinzips.431 Das Konzept der participatory democracy bildete sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert heraus, um die klassische Idee der unmittelbaren Beteiligung des Bürgers an der Herrschaftsausübung an komplexe politische Gemeinwesen anzupassen. Dem Ursprung nach war das Konzept nicht auf die Teilhabe am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess beschränkt, sondern zielte auch auf eine Maximierung von Partizipationschancen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Sphären wie z. B. der Arbeitswelt, insbesondere Unternehmen, sowie dem Ausbildungssektor, insbesondere Hochschulen.432 Grundgedanke partizipativer433 oder partizipatorischer434 Demokratie – die Begriffe werden im Folgenden synonym ver430
s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. II. 1. lit. a). von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 85. 432 Schmidt, Demokratietheorien, 2008, 238 f. m. w. N.; Schaal/Heidenreich, Einführung in die Politischen Theorien der Moderne, 2006, 189 f., unter Verweis auf das Standardwerk von Pateman, Participation and Democratic Theory, 1970. Demokratie wird in diesem Sinne als Lebensform, als gesellschaftliches Ideal und nicht, wie in dieser Arbeit, als Rechtsbegriff verstanden, s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. I. Auch umfasst „Beteiligung“ in dieser Arbeit nicht die unmittelbare Entscheidung durch die Bürger im Sinne direkter Demokratie, s. o. 2. Teil, 1. Kap., A. I. 433 Der Begriff „partizipative Demokratie“ wird im Kontext der EU verwendet und ist in Art. I-47 VV normativ verankert. 434 Der Begriff „partizipatorische Demokratie“ ist in der Demokratietheorie etabliert, s. Schmidt, Demokratietheorien, 2000, 251 ff: Kapitel 2.6.: „Partizipatorische Demokratietheorie“ – in der überarbeiteten Neuauflage von 2008 fasst Schmidt die 431
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
215
wendet – ist die Beteiligung möglichst vieler Bürger an möglichst vielen Entscheidungsprozessen in möglichst intensiver Weise, um Interessen herauszuformen, zu artikulieren und zum Ausgleich zu bringen.435 Wenn auch das Ziel der Maximierung der Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger im Vordergrund steht, ist die Beteiligung kein Selbstzweck. Durch anspruchsvolle Verfahren der Beratung und Beschlussfassung sollen verallgemeinerungsfähige Interessen herausgearbeitet und mobilisiert werden, mit deren Befriedigung gemeinschaftliche Belange möglichst sachangemessen – und verfahrenskonform – geregelt und durchgesetzt werden.436 In diesem Sinne verknüpft sich die partizipatorische Demokratietheorie auch mit pluralistischen, assoziativen und deliberativen Demokratietheorien, die im folgenden Abschnitt aufgegriffen werden. Partizipatorischer Demokratietheorie liegt das Bild eines selbstbestimmten, mündigen und für Gemeinwohlbelange verantwortungsbewussten Bürgers zugrunde, dessen Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung zu maximieren sind.437 Zwar gründet sich die partizipatorische Demokratietheorie auf der Idee der freien Selbstbestimmung der Bürger, doch ist sie auch von der Leitvorstellung weitestmöglicher politischer und sozialer Gleichheit getragen. Politische Teilhaberechte der Bürger finden Ergänzung durch Bürgerrechte und soziale Rechte.438 Da der politische Wille jedes Bürgers nicht dem Willensbildungs- und Entscheidungsprozess vorgelagert sei, könne er durch eine entsprechende Verfahrensausgestaltung im öffentlichen Diskurs herausgebildet werden, was zu einem Höchstmaß an Beteiligung und Verständigung über Entscheidungsinhalte führen soll.439 Damit steht das Konzept der partizipatorischen Demokratie dem Modell der Diskurs- und Verhandlungsdemokratie näher als dem klassischen Modell der direkten Demokratie, das auf Mehrheitsentscheidungen beruht, denen sich die unterlegenen Bürger unterwerfen müssen.440 partizipatorischen und deliberativen Demokratietheorien zu den „beteiligungszentrierten Demokratietheorien“ zusammen (Kapitel 14); Schaal/Heidenreich, Einführung in die Politischen Theorien der Moderne, 2006, 189. 435 Schmidt, Demokratietheorien, 2000, 253. 436 Schmidt, ebd., 254. 437 Vereinzelt sei der Bürger schon zu intensiver Beteiligung befähigt; mehrheitlich soll sich die Befähigung durch Sensibilisierungs- und Aufklärungsprozesse ausbilden, Schmidt, ebd., 2000, 257 f. 438 Schmidt, ebd., 253 f. 439 Schmidt, ebd., 254. 440 Vgl. Smismans, ELJ 2003, 473, 494 (Fn. 78) m. w. N. Zum Konzept der Konkordanz- oder Verhandlungsdemokratie s. Schmidt, Demokratietheorien, 2008, 306 ff. Enge Bezüge weist das Konzept der partizipatorischen Demokratie zur Idee der Betroffenheitsdemokratie auf, wonach die Bürger, die von einem Rechtssatz betroffen sein werden, im Rechtssetzungsverfahren Einfluss auf den Inhalt dieses
216
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Die Grundannahmen der partizipatorischen Demokratietheorie sind nicht unumstritten. Kritisiert wird insbesondere, dass sie auf einem zu optimistischen Bürgerbild gründet. Tatsächlich würden die dem Bürgerbild zugrundeliegenden Anforderungen an gemeinwohlorientierte Kooperation, politische Kompetenzen sowie Informations- und Wissensstand nur von einem Teil der Bürgerschaft erfüllt.441 2. Bürgerbeteiligung im Licht pluralistischer, assoziativer und deliberativer Demokratietheorie Die partizipatorische Demokratietheorie kann für das plurale Legitimationsmodell nutzbar gemacht werden. Einer maßvollen Erweiterung der Bürgerbeteiligung, die über den Wahlakt hinausgeht und sich in direkter Kommunikation mit hoheitlichen Entscheidungsträgern ausdrückt und durch entsprechende Verfahrensregelungen ausgestaltet ist, kann legitimatorische Bedeutung zukommen.442 Die Prozesse der Artikulation und des Austausches von Interessen sowie der Formulierung, Erörterung und Kritik von Vorschlägen zur Problemlösung sollen in offenen Verfahren zwischen gesellschaftlichen Kräften und hoheitlichen Entscheidungsträgern stattfinden.443 Bei der Umsetzung dieser Prozesse in ein zusammenhängendes Legitimationsmodell werden normative Postulate aus mehreren Quellen kombiniert.444 Im Vordergrund steht die amerikanische Pluralismustheorie der fünfziger und sechziger Jahre, wonach grundsätzlich alle Interessen in einer Gesellschaft artikuliert und organisiert werden können, so dass Verhandlungen zwischen organisierten Gruppen auch zu gesamtgesellschaftlich optimalen Ergebnissen mit einem Gleichgewicht zwischen den Interessen führen müssten.445 Rechtsatzes nehmen können. Begünstigt werde diese Kommunikation zwischen Bürgern und hoheitlichen Entscheidungsträgern durch die moderne Kommunikationstechnik; vgl. Sarcinelli, Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, 1998; Marschall, ZfP 45 (1998), 282, 294 f., 297 f. 441 Schmidt, Demokratietheorien, 2000, 261 ff. 442 Vgl. Schmidt, Demokratietheorien, 2008, 273 ff, der Scharpfs Ansatz der Input- und Output-Legitimation als „komplexe Demokratietheorie“ bezeichnet, Scharpf selbst aber aufgrund seines verhaltenen Plädoyers für eine Stärkung der Bürgerbeteiligung durchaus als Vertreter partizipatorische Demokratieideen ansieht. Grundsätzlich zustimmend, aber zurückhaltend Sommermann, DÖV 2003, 1009, 1017. 443 Scharpf, Regieren in Europa, 1999, 26 f. 444 Vgl. Ruffert, in: Calliess/ders., Kommentar Verfassung EU, Art. I-47 Rn. 3 f. 445 Die Pluralistische Demokratietheorie war als Gruppenpluralismus-Konzept in Studien über die Politik in den USA von Bentley (1908) und Trumann (1951) entwickelt worden. Ablauf und Inhalt von Politik lassen sich danach auf Kooperation,
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
217
Angesichts der ungleichen Organisationsfähigkeit gesellschaftlicher Interessen und der sichtbaren Dominanz ressourcenstarker Organisationen, die bestimmte wirtschaftliche Interessen vertreten, fügt die assoziative Demokratietheorie dem Pluralismusmodell das weitere Erfordernis hinzu, dass mit hoheitlicher Unterstützung Vereinigungen geschaffen und unterhalten werden, die bislang unterrepräsentierte Interessen vertreten und sich für die Chancengleichheit zwischen den gesellschaftlichen Interessen einsetzen. Zudem müsse die Herrschaftsgewalt durch Organisations- und Verfahrensregeln sicherstellen, dass eine Vielzahl von Diskussionsforen und Verhandlungsarenen eingerichtet werden, damit möglichst viele einzelne Bürger und Bürgergruppen in Konsensfindungsprozesse und entscheidungsvorbereitende Verfahren einbezogen würde.446 Nach der deliberativen Demokratietheorie besitzen Bürger keine klaren politischen Präferenzen. Diese können folglich nicht durch den bloßen Wahlakt zum Ausdruck gebracht werden.447 Nicht die Entscheidung durch die Mehrheit, sondern durch institutionalisierte Verfahren gesicherte öffentliche Diskurse sollen Lösungen zur Verwirklichung „verallgemeinerungsfähiger Interessen“ erzielen.448 In den öffentlichen Verhandlungsprozessen zur Erörterung von Problemen soll nur die Überzeugungskraft von Argumenten, nicht der Einsatz von Verhandlungstaktiken oder -macht zählen. Deliberative Ideen stehen dem Grundsatz repräsentativer Demokratie ablehnend gegenüber und fordern statt einer kollektiv handlungsunfähigen Bürgerschaft die Einrichtung und Sicherung von Verfahren, die Meinungsartikulation und Meinungsaustausch zwischen Bürgern und Bürgergruppen gewährleisten. Deliberativen Ideen liegt somit ein „prozeduralistisch-demokratisches“ Verständnis zugrunde. Kennzeichen dieses prozeduralistischen Ansatzes sind u. a. die argumentative Form des Austauschs von Informationen und Begründungen, die öffentliche und alle Beteiligungsberechtigte einschließende Beratung (zumindest die formell und materiell gleiche Chance des Zugangs und der Teilnahme an der Beratung) und das Zusammenwirken von Aussprache und Willensbildung in der Öffentlichkeit einerKonflikt und Machtverteilung zwischen organisierten Interessen zurückführen; Schmidt, Demokratietheorien, 2008, 210. 446 Cohen/Rogers, Associations and Democracy, 1992. Zugleich soll die hoheitliche Unterstützung für demokratische Strukturen und Verfahren der Willensbildung innerhalb der Interessenorganisationen sorgen. Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 50; Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, 632 f. 447 Schaal/Heidenreich, Einführung in die Politischen Theorien der Moderne, 2006, 190 f. 448 Vgl. insg. Scharpf, Regieren in Europa, 1999, 27. Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 50; Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, 541 f. zur diskursiven Verfahrenslegitimation, auch 633 f. m. w. N.
218
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
seits sowie Beratung in den mit der Willensbildung und Entscheidung befassten Institutionen andererseits.449 Die Einrichtung von Verfahren, die diese Kombination normativer Erfordernisse annähernd erfüllen und trotzdem noch effektive Lösungen erzielen, erweist sich als außerordentlich schwierig. Allerdings sind im komplexen Gemeinwesen heutzutage sowohl zentralistische als auch dezentralistische (Mehrheits-)Entscheidungsstrukturen im Rahmen der repräsentativen Demokratie zunehmend weniger in der Lage, die Diversität und Variabilität von Interessen, Problemen und Lösungen zu erfassen.450 3. Ergebnis Mit dem pluralistischen Legitimationsmodell geht ein verändertes Demokratiemodell einher, das ebenfalls an die Herrschaftsordnung der EU angepasst ist. Zentraler, neuer Baustein ist die partizipatorische Demokratietheorie, die allgemein auf eine Maximierung der Partizipationschancen des Einzelnen als größtmögliche Selbstverwirklichung abzielt. Auf dieser Grundlage erhalten die unterschiedlichen Arten der Beteiligung von Bürgern am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsvorbereitungsprozess jenseits des Wahlakts demokratische Qualität. Weitere Demokratietheorien wie die pluralistische, die assoziative und die deliberative tragen dazu bei, diese theoretischen Überlegungen in ein normatives legitimierendes Konzept zu übertragen, welches das klassische dualistische Legitimationssystem ergänzt. III. Positiv-rechtliche Normierung im Verfassungsvertrag Im Verfassungsvertrag stärken die Mitgliedstaaten das anerkannte, auf dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie beruhende, dualistische Legitimationsmodell (unter 1.), ergänzen es jedoch zugleich durch die Normierung der Bürgerbeteiligung als Element partizipatorischer Demokratie (unter 2.). 1. Festigung des dualistischen Legitimationsmodells Das vom Leitbild einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie geprägte Modell der beiden Legitimationsstränge stellt das in der Europa449 Schmidt, Demokratietheorien, 2000, 259 f. Ebenso Schaal/Heidenreich, Einführung in die Politischen Theorien der Moderne, 2006, 192 ff. 450 Scharpf, Regieren in Europa, 1999, 28.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
219
rechtslehre Deutschlands und der Mitgliedstaaten anerkannte Modell zur Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU dar. Es bildete sich im Laufe der Integration mit den stetigen institutionellen Veränderungen heraus, insbesondere der Stärkung des Europäischen Parlaments in Bezug auf seine Direktwahl sowie seine zunehmenden Haushalts- und Rechtsetzungsbefugnisse. In dem Verfassungsvertrag – und dem von der Regierungskonferenz 2007 ausgearbeiteten Reformvertrag – wird dieses dualistische Legitimationsmodell explizit im Primärrecht verankert. Art. I-46 VV, der die Überschrift „Grundsatz der repräsentativen Demokratie“ trägt, stellt in Abs. 2 fest: „Die Bürgerinnen und Bürger sind auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten. Die Mitgliedstaaten werden im Europäischen Rat von ihrem jeweiligen Staats- und Regierungschef und im Rat von ihrer jeweiligen Regierung vertreten, die ihrerseits in demokratischer Weise gegenüber ihrem nationalen Parlament oder gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen müssen.“
Da gemäß Art. I-46 Abs. 1 VV auf diesem Grundsatz der repräsentativen Demokratie die Arbeitsweise der Union beruhen soll, ist im Verfassungsvertrag zugleich die Vorherrschaft des dualistischen Legitimationsmodells festgeschrieben. 2. Ergänzung durch partizipatorische Demokratieelemente Der erste Teil dieser Untersuchung hat die zahlreichen aktuellen Defizite des dualistischen Legitimationsmodells zusammengefasst und ganzheitliche Lösungsansätze vorgestellt.451 Mit der – ebenfalls erstmaligen – primärrechtlichen Verankerung des Grundsatzes der partizipativen Demokratie in Art. I-47 VV, dem in Art. I-46 VV normierten Grundsatz der repräsentativen Demokratie unmittelbar folgend, haben sich die Mitgliedstaaten implizit zum konstruktiven Lösungsansatz bekannt. Dieser Ansatz strebt eine Behebung der Defizite nicht ausschließlich innerhalb des dualistischen Legitimationsmodells an, sondern durch die Heranziehung anderer Legitimationsformen unter Rückgriff auf Elemente der partizipatorischen Demokratie. Zu berücksichtigen ist ebenfalls Art. I-46 Abs. 3 VV, der das Recht des Unionsbürgers auf Teilnahme am demokratischen Leben in der Union normiert.452 Die Mitgliedstaaten, die den Verfassungsvertrag anlässlich der Tagung des Europäischen Rates im Juni 2004 angenommen haben und die auch bei Inkrafttreten des von der Regierungskonferenz 2007 ausgearbeiteten Reformvertrags – nach einer älteren Bezeichnung des Bundesverfassungsgerichts – 451 452
s. o. 1. Teil, 2. und 3. Kap. s. o. 2. Teil, 2. Kap., B. II. 2.
220
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
die „Herren“ der EU- und EG-Verträge bleiben453, haben mit der Normierung des Grundsatzes der partizipativen Demokratie eine Ergänzung des repräsentativen, dualistischen Legitimationsmodells primärrechtlich anerkannt. Die unmittelbare Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der Union ergänzt somit das klassische System der Vermittlung demokratischer Legitimation. Die Entscheidungsbefugnisse der unmittelbar oder mittelbar gewählten EU-Organe sowie die formellen Rechtsetzungsverfahren sollen in keiner Weise beschränkt oder geändert werden. Lediglich in der Phase der Entscheidungsvorbereitung soll eine unmittelbare Beteiligung der Bürger ermöglicht werden, die ergänzend – demokratische – Legitimation vermitteln mag, aber lediglich komplementär. Vorrangige Legitimationsquelle bleibt die Parlamentswahl auf nationaler und europäischer Ebene. 3. Ergebnis In Art. I-46 Abs. 1 und 2 VV normieren die Mitgliedstaaten erstmals explizit das etablierte dualistische Legitimationsmodell, das auf dem Grundsatz der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie beruht. Ergänzend tritt – ebenfalls erstmalig primärrechtlich verankert – der Grundsatz der partizipativen Demokratie in Art. I-47 VV hinzu, der in Verbindung mit dem in Art. I-46 Abs. 3 VV verbürgten Recht des Unionsbürgers auf Teilnahme am demokratischen Leben in der Union die Abkehr vom rein parlamentszentrierten Legitimationsmodell und eine Ausweitung der Input-Legitimation manifestiert.
B. Rekonstruktion des Legitimationssubjekts Damit die Beteiligung von Bürgern – als Einzelne oder als Zusammenschluss – am Rechtsetzungsprozess in der EU demokratische Legitimation vermitteln kann, ist auch das Legitimationssubjekt zu rekonstruieren. Mittelpunkt des Demokratieverständnisses und Ausgangspunkt des pluralen Legitimationsgefüges ist kein wie auch immer geartetes Kollektiv, sondern das Individuum, der einzelne Bürger (unter I.). Darin liegt nur vordergründig eine Abkehr vom Prinzip der Volkssouveränität, das sowohl in den Verfassungen der Mitgliedstaaten als auch im Verfassungsverbund der EU den Legitimationsgrund darstellt, das aber durch den Volksbezug begrifflich fehlleitet (unter II.). Legitimationssubjekt und Bezugspunkt der Ausübung supranationaler Herrschaftsgewalt ist der Unionsbürger als Einzelner oder im Zusammenschluss mit anderen (unter III.). 453
Puttler, EuR 2004, 669, 673 ff.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
221
I. Individuum als Legitimationssubjekt Ausgangspunkt der Konstruktion des Individuums als Legitimationssubjekt ist die Menschenwürde (unter 1.). Darauf gründet sich die autonome Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen, die in komplexen Gemeinwesen in größtmöglichem Umfang zu bewahren ist (unter 2.). Beteiligung ist in diesem Verständnis Ausdruck freier Selbstbestimmung des Einzelnen (unter 3.). 1. Menschenwürde als Ausgangspunkt Diese Arbeit beruht auf dem demokratietheoretischen Verständnis, das der Ausgangs- und Bezugspunkt einer jeden demokratischen Herrschaftsordnung in der Menschenwürde des Individuums liegt. Träger demokratischer Herrschaftsgewalt sind die Bürger als mit Menschenwürde ausgestattete Individuen.454 Ausgangspunkt eines jeden und somit auch des pluralen Legitimationsmodells muss das vernunftgesteuerte, selbstverantwortliche und mit unveräußerlicher Menschenwürde ausgestattete Individuum sein, das sich mit anderen zusammengeschlossen hat und eine Herrschaftsordnung zur bestmöglichen Realisierung bestimmter Zwecke und Ziele begründet hat, diese trägt und akzeptiert.455 Es ist keine – wie auch immer bezeichnete – Personengesamtheit, wie es der Begriff des Volkes im Sinne des Grundsatzes der Volkssouveränität suggeriert und wie er auch in vielen Verfassungen der Mitgliedstaaten normiert ist.456 Zahlreiche Traditionen in der deutschen und allgemein europäischen Staatsphilosophie stellen die Menschenwürde in den Mittelpunkt der demokratietheoretischen Konzeption.457 Aus (staats-)rechtlicher Perspektive ist die positivrechtliche Verankerung dieses Gedankens noch bedeutsamer. Beispielhaft sei Art. 1 Abs. 1 GG genannt, der die Menschenwürde des Individuums an den Anfang der Verfassung stellt und dem in Art. 20 GG normierten Demokratieprinzip zu Grunde legt. Umso erstaunlicher ist, dass das 454 Augustin, Das Volk der EU, 2000, 348, 388 f.; Bryde, StWStP 1994, 305, 322; Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 43; Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, 658; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 683; ders., EuR 2004, 124, 130. 455 Maihofer, § 12 Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: Benda, Hdb VerfR, Rn. 100 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 625; ausführlich zur Individualisierung Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, 647 ff., 657 ff.; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2009, 295 ff. 456 Vgl. von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 31. 457 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 31; Calliess, in: ders./Ruffert, Kommentar Verfassung EU, Art. I-2 Rn. 22.
222
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
auf Art. 20 GG aufgebaute – monistische – Legitimationsmodell allein das Kollektiv „Volk“ als Subjekt ansieht, das zur Vermittlung demokratischer Legitimation fähig ist. Auch die anderen Mitgliedstaaten der EU sehen in der Menschenwürde ihren letzten Legitimationsgrund.458 In der EU findet sich die Anerkennung der Menschenwürde zunächst indirekt im 3. Erwägungsgrund der Präambel und in Art. 6 Abs. 1 und 2 EU wieder sowie nunmehr ausdrücklich im 2. Erwägungsgrund der Präambel459 und in Art. II-61 VV460 normiert.461 2. Wahrung der autonomen Freiheit und Selbstbestimmung Der Menschenwürde wohnt die Garantie der Selbstverantwortung und freien Selbstbestimmung eines jeden Einzelnen inne. Demokratie als Struktur- und Verfassungsprinzip mit Optimierungsgebot462 ermöglicht die größte Selbstbestimmung des Individuums in einem politischen Gemeinwesen.463 Damit fußt Demokratie auf der Idee der (politischen) Freiheit, die an den Gedanken der Selbstbestimmung anknüpft und ihn fortführt.464 Die Verbindung von Demokratie und Freiheit basiert auf dem modernen, auf die subjektive Freiheit im Sinne der Autonomie des Einzelnen bezogenen Freiheitsbegriff.465 Freiheit wird in diesem Sinne verstanden und gefordert als Freiheit des Individuums von Fremdbestimmung im Denken und Handeln. Idealtypisch soll der Einzelne „sein eigener Gesetzgeber sein, der die Bin458 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 14; Zu dem von den Aufklärung geprägten Menschenbild der Verfassungen aller Mitgliedstaaten, dem die Vorstellung gleicher Menschenwürde zugrunde liegt: Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2009, 291 ff.; Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 35. 459 „[. . .] gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen [. . .].“ 460 „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ Dieser Artikel leitet den Grundrechtekatalog im Verfassungsvertrag ein. 461 Die herausragende Stellung der Menschenwürde wird auch in bedeutenden völkerrechtlichen Verträgen betont, so z. B. im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (2. Begründungserwägung), wonach „sich diese [bürgerlichen und politischen] Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten“. 462 s. o. 1. Teil, 1. Kap., A., II. 1. lit. a). 463 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 13; Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 58; ebenso Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 252 f.; Zuleeg, JZ 1993, 1069, 1071 f.; vgl. auch BVerfGE 2, 1, 12; 44, 125, 142. 464 A. A. D’Atena, JöR 1999, 1, 8, der Freiheit als einen der Demokratie entgegensetzen Wert begreift. 465 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 35; Kirchhof, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 931, 940.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
223
dungen seines Handelns nicht (heteronom) von einer fremden Macht oder Autorität auferlegt erhält, sondern sich (autonom) selber gibt“.466 Die politische Herrschaftsordnung hat „ihren Grund und ihren Inhalt dementsprechend [. . .] allein in der Begründung und näheren Bestimmung durch diejenigen, die in und unter dieser Ordnung leben“.467 Die Realisierung dieser idealtypischen Vorstellung stößt in komplexen Gemeinwesen an Grenzen. Das Prinzip individueller Freiheit und Selbstbestimmung kann lediglich mittelbar verwirklicht werden. Diese individuell-autonome Freiheit des Individuums ist in einer „freiheitlich demokratischen Grundordnung“468 in größtmöglichem Umfang zu bewahren und zu verwirklichen. 3. Beteiligung als demokratische Mitwirkungsfreiheit Die individuell-autonome Freiheit des Individuums zur Gestaltung und Festlegung der gemeinsamen Ordnung des Zusammenlebens entwickelt sich fort zur demokratischen Mitwirkungsfreiheit des Bürgers als Mitglied eines Gemeinwesens. Die demokratische Mitwirkungsfreiheit realisiert sich auf verschiedenen Wegen. Zum einen wird sie – klassisch und vorrangig – durch das Wahlrecht verwirklicht, das für Wahlen auf kommunaler und supranationaler Ebene in Art. 19 Abs. 1 und 2 EG bzw. Art. II-99 und Art. II-100 VV normiert ist. Das etablierte dualistische Legitimationsmodell misst allein der Ausübung des Wahlrechts durch die Unionsbürger bzw. Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten legitimatorische Bedeutung zu. Zwar werde demokratische Mitwirkungsfreiheit zum anderen auch durch die Ausübung der sog. demokratischen Grundrechte469 verwirklicht, die das rechtliche Fundament für einen offenen Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung in einem demokratischen Gemeinwesen bilden.470 Doch komme dieser Dimension der Mitwirkungsfreiheit keine legitimatorische Bedeutung zu. Die durch die Verbürgung von Grundrechten gesicherte Freiheit des Einzelnen beschränkt sich danach auf den persönlichen und gesell466 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 35. 467 Böckenförde, ebd., Rn. 35 f. 468 Maihofer, § 12 Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: Benda, Hdb VerfR, Rn. 2. 469 Dazu werden insbesondere die Kommunikationsgrundrechte, wie Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gezählt, die für die Demokratie als „schlechthin konstituierend“ angesehen werden (so das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich im Hinblick auf die Meinungsfreiheit, BVerfGE 7, 198, 208; 61, 230, 247; 76, 196, 208 f.; 93, 266, 292 ff.). 470 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 37.
224
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
schaftlichen Raum. Das Verständnis des Demokratieprinzips als ein Optimierungsgebot enthaltendes Strukturprinzip verlangt jedoch eine Verwirklichung der Freiheit auch als politische Freiheit im öffentlichen, hoheitlichen Raum. Das System hoheitlicher Entscheidungsvorbereitung bedarf einer rechtlichen Ausgestaltung dergestalt, dass die Bürger einen Einfluss auf den Inhalt der hoheitlichen Entscheidungen ausüben können, der sich nicht im Wahlakt erschöpft.471 Diese Dimension der demokratischen Mitwirkungsfreiheit ist als Recht zur Teilhabe am demokratischen Leben der Union nunmehr in Art. I-46 Abs. 3 VV ausdrücklich normiert.472 In dieser Perspektive erscheint die Beteiligung der einzelnen Bürger an den hoheitlichen Verfahren der Entscheidungsvorbereitung dazu geeignet, sie nicht länger auf eine bloße Objekt- und Adressatenstellung gegenüber der hoheitlichen Herrschaftsgewalt zu beschränken473, die nur alle vier, fünf Jahre durch den einmaligen Wahlakt unterbrochen wird, sondern die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit dadurch zu fördern, dass sie die Möglichkeit zu direktem Kontakt mit den Entscheidungsträgern erhalten. Welche Möglichkeiten realistisch erscheinen, um eine Lähmung des politischen Entscheidungssystems durch eine unbestimmte Ausweitung der Beteiligungschancen oder eine Bevorzugung bestimmter, durch kleine, ressourcenstarke, gut organisierte Gruppen vertretene Partikularinteressen zu vermeiden, bleibt der weiteren Untersuchung vorbehalten.474 An dieser Stelle ist entscheidend, dass unter noch zu bestimmenden Voraussetzungen Partizipationsformen neben dem Wahlakt durchaus als mögliche Verwirklichungsformen des Demokratieprinzips angesehen werden können.475 Die der Menschenwürde innenwohnende Garantie der freien Selbstbestimmung jedes Einzelnen verlangt nach Rechtfertigung der Herrschaftsordnung insgesamt und nach Rechtfertigung ihm gegenüber ausgeübter Herrschaftsgewalt.476 Damit hat der einzelne (Unions-)Bürger auch einen Anspruch auf individuelle (Input-)Legitimationsteilhabe.477 Schon der Men471 Nach von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 32, bedeutet dies jedoch nicht, dass das Demokratieprinzip aus sich heraus ohne weiteres Partizipationsrechte generieren könnte. 472 s. o. 2. Teil, 2. Kap., B. II. 2. 473 Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft, 1980, 80; Schmitt Glaeser, VVDStRL 33, 224, 253. 474 Die politische Theorie erreicht zumeist nur die pauschale Forderung der Aufwertung von Partizipationsverfahren. 475 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 32. 476 Zuleeg, JZ 1993, 1069, 1072; Oeter, ZaöRV 1995, 659, 683; Kluth, Die demokratische Legitimation der EU, 1995, 43, 66; Pernice, Die Verwaltung 1993, 449 (478); Classen, AöR 119 (1994), 238, 241. 477 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 684.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
225
schenwürdebezug zwingt also dazu, dem Individuum ein subjektives Recht auf Legitimationsteilhabe und möglichst ergebniseffektive Legitimationsbewirkung zuzuerkennen.478 Diese menschenrechtliche, partizipationsorientierte Demokratiekonzeption findet sich in den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten der EU durchaus wieder.479 4. Ergebnis In jedem nach dem Grundsatz der Demokratie organisierten, politischen Gemeinwesen ist der Bürger der Ausgangspunkt aller Herrschaftsmacht und jeglicher Legitimationsvermittlung. Diesem Ansatz liegt das demokratietheoretische Verständnis zugrunde, dass die unantastbare und unveräußerliche Menschenwürde Grundlage der freien Selbstbestimmung jedes Individuums ist. Demokratie ermöglicht in einem politischen Gemeinwesen eine freie Selbstbestimmung des Einzelnen im größtmöglichen Umfang. Diese individuell-autonome Freiheit des Einzelnen transformiert sich zur demokratischen Mitwirkungsfreiheit des Bürgers als Mitglied eines politischen Gemeinwesens, die sich traditionell im Wahlrecht verwirklicht, aber darüber hinausgehende Beteiligungsrechte im politischen Entscheidungssystem fordert. II. Zu der Lehre von der Volkssouveränität Der Grundsatz der Volkssouveränität stellt den klassischen Leitgedanken für die Verwirklichung von Freiheit in einem politischen Gemeinwesen dar. Er ist in der Funktion des Legitimationsgrundes der Herrschaftsordnung in fast allen Verfassungen der Mitgliedstaaten verankert.480 Das Prinzip der Volkssouveränität steht einer Anerkennung der Bürgerbeteiligung als Legitimationsquelle nicht entgegen. Der Begriff der Volkssouveränität ist missverständlich. Er verlangt nicht, dass in einem politischen Gemeinwesen ein wie auch immer gebildetes Kollektiv namens Volk die Souveränität innehat. Ursprung und Entwicklung des Begriffs zeigen, dass der Idee der Volkssou478
Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 34 f.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 684. 479 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 32. So auch in der Rechtsprechung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts, der das demokratische Prinzip als „freie Selbstbestimmung aller“ versteht; s. BVerfGE 44, 125, 142. Demgegenüber hat der 2. Senat des BVerfG den Volksbegriff als zentralen Pfeiler des grundgesetzlichen Demokratieprinzips betont, s. BVerfGE 83, 37, 50; 83, 60, 71; 89, 155, 186. 480 s. o. 1. Teil, 1. Kap., A. II.; Ausnahme ist das Vereinigte Königreich (Grundsatz der Parlamentssouveränität).
226
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
veränität, die die Monarchensouveränität ablöste (unter 1.), der Gedanke der Selbstbestimmung und individuellen Freiheit zugrunde liegt (unter 2.). Historisch unterlag die Idee der Volkssouveränität mit der Umwandlung von individueller in kollektive Freiheit unter dem Primat der Gleichheit einer Umdeutung (unter 3.), die sich im modernen Staat durchsetzte und mit der Idee der Staatssouveränität verband (unter 4.). 1. Ursprung: Von der Monarchen- zur Volkssouveränität Der Begriff der Souveränität bezeichnet die höchste, unabgeleitete Herrschaftsgewalt in einem Gemeinwesen, die ihrerseits keiner fremden Bindung unterliegt.481 Er ist ein Schlüsselbegriff im Entstehungsprozess des modernen Staates. Die innere Souveränität hat die Staatsgewalt als Bezugspunkt.482 Die auf dem Naturrecht gründende Souveränitätslehre erlebt ihren Durchbruch unter Jean Bodin (1530–1596) im Zeitalter des absolutistischen Staates vor dem Hintergrund religiöser Auseinandersetzungen.483 Der Ursprung der Souveränitätslehre ist untrennbar mit der Existenz des Staates als alleiniges politisches Gemeinwesen verbunden, da die Herrschaftsgewalt als Territorialgewalt in eine räumliche Beziehung gesetzt und nicht mehr allein personal vermittelt wird.484 Zum Zweck der friedlichen Existenzsicherung innerhalb des Gemeinwesens fordert Bodin eine oberste, absolute, unteilbare und immerwährende Herrschaftsgewalt, die allein durch das göttliche Gebot und das Naturrecht begrenzt werde.485 Als Träger dieser Herrschaftsgewalt sieht er den Monarchen an, in dessen Person göttliche und irdische Herrschaft zusammenfließen. Inhaberschaft und Ausübung der Sou481 Schmitt Glaeser, Volkssouveränität, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechtslexikon, Bd. 3, 4661; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 57. 482 Die äußere Souveränität bezeichnet die Unabhängigkeit eines Staates von anderen Staaten, Schliesky, ebd., 57. 483 Der Ursprung des Souveränitätsbegriffes wird teilweise in der Antike, teilweise im frühen Mittelalter bei den Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst bzw. Kaiser und Stammesfürsten gesehen; s. Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 9; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 60 ff. Kielmansegg, Volkssouveränität, 1977, 18, weist zutreffend darauf hin, dass aus der wiederkehrenden Verwendung bestimmter gleicher Begriffe in der Geschichte nicht ohne weiteres auf deren identischen Inhalt geschlossen werden darf. 484 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 67, 69. 485 Schliesky, ebd., 74 ff. Die Souveränität des Herrschers konkretisiert sich vor allem in der unbegrenzten Gesetzgebungsbefugnis als maßgebliche Herrschaftsbefugnis, die es gegenüber den Herrschaftsansprüchen von Kirche und Ständen abzugrenzen gilt.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
227
veränität fallen in der Person des Herrschers noch zusammen.486 Souveränität bedeutet noch Monarchensouveränität. Johannes Althusius (1557–1638) ordnet die Souveränität erstmals dem Volk als Gesamtheit der Bürger zu.487 Das Volk wird als vereinigte Gesamtheit aller Glieder der staatlichen Gemeinschaft aufgefasst. Da Althusius solche Korporationen und nicht Individuen als Glieder seines zusammengeschlossenen Gemeinwesens ansieht, ist er noch kein Vertreter einer modernen, individualistischen bzw. pluralistischen Demokratietheorie.488 Da Herrschaftsgewalt praktisch nicht direkt durch das ganze Volk ausgeübt werden kann, wird sie dem Monarchen als Amtsträger zur Ausübung übertragen. Das Ziel der Friedenssicherung verbindet Althusius mit dem Ziel, Machtmissbrauch durch einen souveränen Monarchen zu verhindern, in dem er das Volk zum Inhaber der souveränen Herrschaftsgewalt auswählt. Der Übergang der Monarchensouveränität zur Volkssouveränität ist damit formell vollzogen.489 2. Grundlage: Autonome, individuelle Freiheit Erst unter Thomas Hobbes (1588–1679) findet das Bild des freien, selbständigen und autonomen Menschen Eingang in die (Volks-)Souveränitätslehre. Allerdings ist das Menschenbild Hobbes’ pessimistisch. Im Naturzustand frei, setze der Mensch seine Kräfte – auch Gewalt – ein, um die eigene Existenz zu sichern. Aufgrund der sozialen Bindungslosigkeit des Menschen stelle sich das Leben als ständiger Kriegszustand aller gegen alle dar, der zu völliger Instabilität des Gemeinwesens führe. Friedens- und ordnungsstiftende Funktion komme allein dem Monarchen zu, der zu diesem Zwecke über umfassende Herrschaftsbefugnisse verfügen müsse.490 Die unterschiedlichen anthropologischen Grundlagen der Souveränitätslehren Bodins und Hobbes’ haben folgende Auswirkungen. Bei Bodin folgt 486
Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 10 f., 13; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 77; Volkmann, JuS 1996, 1058, 1059. 487 Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 16. 488 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 81 f. 489 Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 16 f. Die Wahl des Volkes als Träger der Souveränität ist jedoch nicht aus der Freiheit der zum Volk zusammengefassten Bürger motiviert. Vielmehr sieht Althusius in Anhängerschaft des Naturrechts die Gefahr, dass die göttliche Macht durch die Souveränität des Monarchen verdrängt wird und ordnet die höchste irdische Gewalt dem Volk zu. Die Ausübung der Herrschaftsgewalt wird lediglich an den Monarchen delegiert. 490 Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 18; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 201 f.
228
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Souveränität rein funktionalen Prämissen. Herrschaft gründet sich allein auf dem Zweck der Sicherung von Frieden und Ordnung. Ursprung und Trägerschaft der Souveränität leiten sich implizit aus der allgemein anerkannten göttlichen Ordnung ab, so dass sie keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Bei Hobbes verlangt die Existenz von Herrschaftsgewalt, der sich die im Naturzustand freien Individuen in einem Gemeinwesen unterworfen haben, einer besonderen Rechtfertigung, die über die bloße Friedenssicherungsfunktion hinausgeht und sich auf den Willen der Einzelnen zurückführen lassen muss. Diese Rechtfertigung gelingt mittels der Idee des Gesellschaftsvertrages, der ein einmaliges, abstraktes Einverständnis der Menschen zur Gründung von bürgerlicher Gemeinschaft und Herrschaftsgewalt fingiert. Die auf diese Weise geschaffene höchste Herrschaftsgewalt im Gemeinwesen gründet auf der Autonomie und Selbstbestimmung des Individuums und nicht länger auf einer göttlichen Ordnung. Die Betonung des ursprünglich freien und autonomen Individuums markiert eine Abkehr von der Naturrechtslehre und präzisiert die Rolle des Volkes als Träger der Souveränität.491 Vernunftrechtlich schwer einsichtig bleibt die Ausgestaltung der Herrschaftsgewalt als absolut, d.h. umfassend und willküranfällig, wenn der Mensch ursprünglich frei gewesen ist und nur zum Zweck der Erlangung von Sicherheit Herrschaftsgewalt vertraglich begründet und rechtfertigt. John Locke (1632–1704) stellt neben den Zweck der Sicherheit die Freiheit der Person gleichberechtigt daneben. Herrschaftszweck ist die Erhaltung von Sicherheit, Freiheit und – das in einem weiten Sinn verstandene – Eigentum der Bürger. Zugleich begrenzt Locke die Herrschaftsgewalt, die nur soweit reichen soll, als es die Wahrung des gemeinsamen Wohls erfordere. Damit werden Herrschaftszwecke erstmals vorrangig auf das Individuum ausgerichtet.492 Eine Vertiefung des Autonomiegedankens in der Souveränitätslehre findet sich in den staatsphilosophischen Ausführungen Immanuel Kants (1724– 1804).493 Der Funktion des Rechts als Existenzbedingung der Freiheit folgend, beruhe der Rechtsstaat auf den drei Grundsätzen der Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit. Freiheit wirkt für Kant in zwei Richtungen. Horizontal finde die individuelle Freiheit ihre ultimative Grenze in der Freiheit 491
Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 18 ff., 22 f. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 204 f.; Kielmansegg, Volkssouveränität, 1977, 145, 148. Zusätzlich begründe und legitimiere der Gesellschaftsvertrag die Kompetenzen der ansatzweise gewaltenteilig organisierten Herrschaftsgewalt. Während für den Abschluss des Vertrages die Zustimmung aller Bürger erforderlich sei, wird darin zugleich die Anwendung des Mehrheitsprinzips für künftige konkrete Entscheidungen und Rechtsetzungsverfahren festgelegt. 493 Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 38 Fn. 131. 492
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
229
der anderen. Vertikal im Verhältnis zwischen Gemeinwesen und Individuum fließe aus der Selbstverantwortlichkeit des Individuums unmittelbar das Postulat der Selbstbestimmung. Der Mensch dürfe nicht zum Objekt fremden Willens, des Willens unabhängiger Regierenden werden. Freiheit eröffne erst den Raum für selbständiges Handeln. Gleichheit im Sinn von Rechtsgleichheit stelle das notwendige Korrelat der Freiheit dar. Beide Prinzipien verlangten die Möglichkeit, an der Gestaltung der Herrschaftsordnung mitzuwirken. Sie verbürgten ein entsprechendes Recht auf Teilnahme.494 Auch Kant greift auf die Idee des Gesellschaftsvertrages zur Organisation einer Gemeinschaft zurück. Zweck sei aber nicht mehr die Friedens- und Ordnungssicherung, sondern die Durchsetzung der Freiheits- und Selbstbestimmungsprämisse. Freiheit und Selbstbestimmung müssten aus dem natürlichen in den bürgerlichen Zustand ohne Verlust übertragen werden. Sie verlangten politische Mitbestimmung in der Form, dass der Bürger ein Recht auf Teilnahme an der Rechtsetzung im Gemeinwesen hat. Das auf dem Vernunftprinzip aufbauende Kantsche Modell des Rechtstaats hat die Teilhabe aller Individuen an der gemeinsamen Willensbildung und letztlich an der Gesetzgebung zum Ziel. Die Möglichkeit aller Bürger zur Beteiligung an den politischen Entscheidungen innerhalb eines Gemeinwesens gewährleiste die größtmögliche Verwirklichung des Grundsatzes der freien Selbstbestimmung.495 3. Umwandlung: Kollektive Freiheit Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) geht zwar wie Hobbes von der Freiheit und Unabhängigkeit des Menschen im Naturzustand aus. Bei Rousseau tritt als weiteres Merkmal des Naturzustandes die absolute Gleichheit der Menschen hinzu. Die Notwendigkeit des Zusammenschlusses von Einzelnen zu einer Gemeinschaft wird mit Hinweis auf die Ordnungsfunktion bedingungslos akzeptiert. Maßgeblich wird die Frage nach der Ausgestaltung der Gemeinschaft. Das Spannungsverhältnis zwischen Herrschaftsmacht verlangende Ordnung und Herrschaftsmacht relativierende Freiheit löst Rousseau wie Hobbes unter Rückgriff auf die Idee des Gesellschaftsvertrages (contrat social) als fiktiven Konsens der Bürger eines Gemeinwesens. Jedoch sieht Rousseau im Gegensatz zu Hobbes die einmalige Zustimmung der Menschen zur Begründung von Herrschaftsgewalt und dauerhaftem Gehorsam ihr gegenüber als nicht ausreichend an, um der Autonomie und dem Selbst494 Vgl. Maihofer, § 12 Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: Benda u. a., Hdb VerfR, Rn. 59 f. 495 Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 31 ff.
230
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
bestimmungsprinzip angemessen Rechnung zu tragen. Um die Freiheit aus dem Naturzustand auch in der Gesellschaft zu bewahren, müssten die Herrschaftsunterworfenen auch die Gesetzgebungsbefugnisse innehaben. Die Möglichkeit zur Gestaltung der Herrschaftsordnung durch Beteiligung an der Bildung des Gemeinwillens erhöhe die Bereitschaft der Bürger, die Umsetzung des Gemeinschaftswillens in der Form der Ausübung von Herrschaftsgewalt zu akzeptieren. Rousseau baut die Idee der Volkssouveränität zum Legitimationsgrund aus. Sie ist nicht mehr länger nur ein abstrakttheoretisches Prinzip, sondern konkret-praktischer Leitfaden für Aufbau und Organisation eines politischen Herrschaftssystems.496 Rousseau überführt aber auch die individuelle Freiheit mittels des Gesellschaftsvertrages in eine kollektive Freiheit. Souverän sei nicht mehr das Individuum, sondern allein und unteilbar die Gesamtheit der Mitglieder, die sich durch den Gesellschaftsvertrag zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen hätten und die sich in dem entsprechenden Gemeinwesen an der Willensbildung beteiligen könnten. Der Gesellschaftsvertrag konstituiere zugleich das Volk, das alle Vertragsschließenden umfasse und die Zugehörigkeit zum Souverän bestimme, damit zugleich Übrige von der Teilnahme am politischen Leben und bestimmten Bürgerrechten ausschließe.497 Der Gesellschaftsvertrag entäußere jedes Mitglied aller seiner Rechte und Freiheiten zugunsten des Gemeinwesens, damit sie für alle die gleichen seien.498 Durch den Vertragsabschluss verändere der Mensch sein Wesen und gehe in dem einheitlichen Körper „Volk“ auf. Rousseau gestaltet Volkssouveränität als absolute, totale Herrschaftsorganisation aus. Ziel und Zweck der Herrschaft sei letztlich nicht Freiheit, sondern – absolute, totale – Gleichheit. Die Fiktion, dass der Individualwille eines jeden Gemeinschaftsmitglieds mit dem Gemeinwillen, volonté général, identisch sein müsse, führe jedoch zu einer Mystifizierung des einheitlichen, unteilbaren, absoluten, unfehlbaren Gemeinwillens.499 496 Passadelis, Das Prinzip der Volkssouveränität, 2001, 23 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 209 ff. 497 Schliesky, ebd., 210 f. 498 Schliesky, ebd., 212 f. 499 Dieser Transformationsprozess ist von der traditionellen deutschen Staatsrechtslehre aufgegriffen worden, wonach sich die individuell-autonome Freiheit als demokratische Mitwirkungsfreiheit in die sog. kollektiv-autonome Freiheit des Volkes über den fingierten Kunstgriff des Gesellschaftsvertrages wandelt. Das Volk übt nun die Freiheit und Selbstbestimmung aus, die dem Einzelnen nur im Naturzustand zukam. Maßgeblich wird so ein monolithisch wirkender, kollektiv-souveräner Volkswille. Vgl. Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, Rn. 38. So wird das (Staats-)Volk, nicht der Mensch zum zentralen Begriff der Demokratie. Der Versuch, dieses Verständnisses im Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG zu verankern, erscheint sehr fragwürdig angesichts der in
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
231
4. Verknüpfung: Staatssouveränität Die Fixierung auf das Kollektiv (Staats-)Volk erklärt sich historisch aus dem nationalstaatlichen, souveränitätstheoretischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Rousseau’sche Verständnis von Volkssouveränität ist mit der Lehre der Staatssouveränität, die den Staat als übergeordnete juristische Person ansieht, vermischt und konsequent ausgebaut worden. Als Träger der Souveränität hat sich das Staatsvolk als homogene Masse, als einheitliches (Staats-)Organ durchgesetzt. Durch nationale und ethnische Elemente angereichert, ist das Volk zur politischen und rechtlichen Einheit geworden, die strikt von dem Zusammenschluss einzelner Menschen unterschieden wird.500 Das Staatsvolk erscheint als verfassungsrechtliches „trojanisches Pferd“, das die vorrechtliche, ethnisch ausgerichtete Nation, die allenfalls eine politische bzw. staatstheoretische Größe ist, in das „feste“ Verfassungsrecht überführt.501 Der Grundsatz der Volkssouveränität wird auf die Funktion des bloßen Legitimationstitels begrenzt.502 Für das europäische Mehrebenensystem, in dem sich Herrschaftsgewalt komplex zusammensetzt, ist diese Konstruktion nicht systemadäquat.503 Ursprung und Entwicklung der Lehre von der Volkssouveränität zeigen, dass Ausgangs- und Bezugspunkt jeglicher Herrschaftsordnung sowie der Schaffung und Ausübung von Herrschaftsgewalt das mit Menschenwürde ausgestattete, freie Individuum ist. 5. Ergebnis Demokratie und Volkssouveränität verlangen nicht ein Kollektivsubjekt als Ausgangspunkt der Herrschaftsgewalt. Der Grundsatz der Volkssouveränität ist als Legitimationsgrund in den meisten Verfassungen der Mitgliedstaaten verankert und knüpft zumeist an ein Kollektiv „Volk“ an. Die Verbindung der Begriffe Volk und Souveränität erfolgte in verschiedenen Etappen. Souveränität als höchste Herrschaftsgewalt in einem Gemeinwesen fiel dem Monarchen zunächst vollständig als Trägerschaft und zur Ausübung zu, dann nur noch zur Ausübung. Schließlich erlangte das Volk als Gesamtheit der Bürger vollständig Trägerschaft und Ausübung von Souveränität. Mit der Aufklärung rückte der Mensch als autonom-freies Individuum in den Art. 1 Abs. 1 GG manifestierten und somit der Verfassung vorangestellten, überragenden Bedeutung der Menschenwürde (des Individuums); Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 271 f. 500 Schliesky, ebd., 240 f. 501 Schliesky, ebd., 272 f. 502 Schliesky, ebd., 239. 503 Schliesky, ebd., 677 f.
232
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Mittelpunkt. Über die Fiktion des Gesellschaftsvertrages und eines Gemeinwillens wurde diese individuelle Freiheit in eine kollektive umgewandelt. Die Vertragsschließenden konstituieren das Kollektiv Volk und gehen in dieser Einheit auf. Gleichheit gewinnt Vorrang vor Freiheit. Im nationalstaatlichen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts wird dieses Verständnis von Volkssouveränität durch die Lehre von der Staatssouveränität vertieft, wonach das Volk zum Staatsorgan, zur politischen und rechtlichen Einheit wird. Für das europäische Mehrebenensystem ist jedoch an den autonom-freien Menschen als Ausgangspunkt jeglicher Herrschaftsordnung anzuknüpfen. III. Unionsbürger als Legitimationszusammenschluss Ist somit das Individuum und kein Kollektiv Legitimationssubjekt, muss dies auch in dem Legitimationsmodell des europäischen Mehrebenensystems zum Ausdruck kommen. Der einzelne Bürger wird zu unterschiedlichen, von der Stufe der ausgeübten Herrschaftsgewalt abhängigen legitimatorischen Einheiten zusammengefasst (unter 1.). Auf der jeweiligen Herrschaftsebene kann demokratische Legitimation vom Bürger als Einzelnem und als Zusammenschluss zu einer Gruppe ausgehend vermittelt werden (unter 2.). 1. Zusammenschluss von Bürgern zu Legitimationseinheiten Auch wenn das grundlegende Legitimationssubjekt der einzelne Bürger ist, wird er von den einzelnen Rechtsordnungen bzw. Verfassungsebenen zu Legitimationseinheiten zusammengefasst.504 Das Spannungsfeld zwischen subjektiv-individueller Freiheit und der Zusammenfassung von Bürgern zu einer kollektiven Einheit ist durch die jeweilige Herrschaftsordnung mit Hilfe – in Art und Gehalt durchaus unterschiedlicher – demokratischer Legitimationsverfahren zu lösen.505 Die EU ist ebenso wie der Staat und infrastaatliche Einheiten nur ein möglicher Zuschnitt der „menschlichen Gemeinschaft“ als Zusammenschluss von Bürgern. Die Organisation des Zusammenschlusses von Individuen zu einer legitimatorischen Einheit hängt von der jeweiligen Herrschaftsebene ab. In einer mehrdimensional gegliederten Herrschaftsordnung wie dem europäischen Mehrebenensystem gehört der einzelne Bürger mehrfach Legitimationszusammenschlüssen an. In diesem Verständnis erscheint das Volk als verfassungsrechtlicher Zusammenschluss individueller Legitimationssubjekte auf unterschiedlichen Ebenen: 504 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 685 m. w. N. 505 Schliesky, ebd., 685.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
233
Koexistenz und Koordination verschiedener Demoi sind möglich.506 Der einzelne Bürger gehört somit zugleich verschiedenen Völkern als Legitimationszusammenschlüssen an – der jeweiligen Herrschaftsebene entsprechend.507 Die rechtliche Konstituierung des Legitimationszusammenschlusses auf supranationaler Ebene leistet die Unionsbürgerschaft.508 2. Bürger als Legitimationseinheit auf supranationaler Herrschaftsebene Aus der Erkenntnis, dass das Individuum das grundlegende Legitimationssubjekt ist, folgt zudem, dass auf jeder Herrschaftsebene und somit auch in der EU demokratische Legitimation von dem (Unions-)Bürger als Einzelnem oder im Zusammenschluss als Gruppe ausgehend vermittelt werden kann. Damit ist noch keine Wertigkeit in Bezug auf den Legitimationsgehalt verbunden, so dass nicht die Beteiligung eines Personenzusammenschlusses automatisch eine höhere demokratische Legitimation aufweist als die Beteiligung eines Einzelnen. Der einzelne Bürger und die an Zielsetzung, organisatorischem Gehalt, personellen und finanziellen Ressourcen höchst unterschiedlichen Bürgerzusammenschlüsse bilden somit weitere Legitimationseinheiten innerhalb der im vorigen Abschnitt genannten Gemeinschaften aller Bürger auf der jeweiligen Herrschaftsebene, also auch auf supranationaler Ebene.509 Die Vielzahl der Ebenen, auf denen Herrschaftsgewalt ausgeübt wird, und die Vielzahl an horizontal und vertikal existierenden Legitimationseinheiten führt zu einem Legitimationssystem, das aus entsprechend vielen Bausteinen zusammengesetzt ist. 3. Ergebnis Ausgehend von der Prämisse, dass das Individuum Legitimationssubjekt ist, schließt sich der einzelne Bürger horizontal und vertikal zu Gemein506 Ein normativer Ansatzpunkt dieser individuenbezogenen Demokratie- und Legitimationsausrichtung ist Art. 19 Abs. 2 EG, der das Wahlrecht der Unionsbürger nach Maßgabe des jeweiligen Aufenthaltsortes regelt und somit wechselnde Legitimationszusammenschlüsse zulässt, die nicht mehr an die nationale Staatsangehörigkeit gebunden sind; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 686, Huber, in: Drexl, Europäische Demokratie, 1999, 27, 40; Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, 660; s. auch Art. II-99 und II-100 VV; s. o. 1. Teil, 2. Kap., D. I. 1. 507 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 688 f. 508 Pernice, in: Dreier, GG, Art. 23 Rn. 53; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 690. 509 Kadelbach, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 539, 574 f.
234
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
schaften und zu unterschiedlichen Legitimationseinheiten zusammen, die sich bausteinartig zu einer Gesamtlegitimation auf der jeweiligen Herrschaftsebene zusammenfügen. Diese Ausdifferenzierung führt zu einer Pluralität an Legitimationseinheiten im europäischen Mehrebenensystem. Auf vertikaler Ebene konstituiert sich die Gemeinschaft auf der jeweiligen Herrschaftsebene – EU, Staat, infrastaatliche Einheiten – als Zusammenschluss aller Bürger. Der einzelne Bürger gehört somit verschiedenen Legitimationseinheiten als Unionsbürger, Staatsbürger, Landesbürger, Gemeindebürger etc. an. Auf der horizontalen Ebene der Ausübung von Herrschaftsgewalt kann Legitimation wiederum von dem einzelnen Bürger oder einem Zusammenschluss von Bürgern zu einer Gruppe vermittelt werden.
C. Grundsatz der demokratischen Gleichheit der Bürger Eine Anerkennung der Bürgerbeteiligung als Legitimationsquelle beruht nicht ausschließlich auf der Verwirklichung des Grundsatzes der Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen, sondern erfordert auch die Wahrung des Grundsatzes der Gleichheit der (Unions-)Bürger. Klassische Ausprägung des Grundsatzes demokratischer Gleichheit ist die Wahlrechtsgleichheit (unter I.). Diese Arbeit ergänzt diese klassische Ausprägung um eine die Beteiligungsrechtsgleichheit (unter II.). Da sich nicht jeder Bürger in der gleichen Weise beteiligen kann bzw. will und Beteiligung insoweit in der Praxis differenzierend und privilegierend wirken kann, müssen die hoheitlichen Entscheidungsorgane einen gemeinwohlorientierte Entscheidungsinhalt unter größtmöglichem Ausgleich der Partikularinteressen gewährleisten (unter III.). I. Klassische Ausprägung: Gleiches Wahlrecht In einem ersten Schritt wird der grundlegende Zusammenhang zwischen den Begriffen der Demokratie und der Gleichheit erläutert (unter 1.), bevor in einem zweiten Schritt die Gewährleistung von Gleichheit bei der Ausübung des klassischen politischen Mitwirkungsrechts, des Wahlrechts, dargestellt wird (unter 2.). 1. Demokratie und Gleichheit Wie der Begriff der Freiheit ist auch der Begriff der Gleichheit eng mit dem der Demokratie verbunden. Zwischen Freiheit und Gleichheit besteht
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
235
ein natürliches Spannungsfeld.510 In einem demokratischen Gemeinwesen können Freiheit und Gleichheit nicht absolut gleichrangig verwirklicht werden. Dieser Arbeit liegt das Verständnis zugrunde, wonach der Freiheit in letzter Konsequenz Vorrang vor der Gleichheit einzuräumen ist.511 Grundlage dieses Verständnisses ist das aus der Menschenwürde hervorgehende „Urrecht“ des Einzelnen auf Selbstbestimmung. Erst durch Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in Form des Zusammenschlusses zu einer Gemeinschaft wird Raum für die Entfaltung des Grundsatzes der Gleichheit und ein Bedürfnis für die Gewährleistung dieses Grundsatzes geschaffen. Auch die Gleichheit durchläuft einen Transformationsprozess, wie es die Freiheit in der Entwicklung von einer ursprünglich individuell-autonomen Freiheit des Individuums zur demokratischen Mitwirkungsfreiheit des Bürgers als Mitglied eines Gemeinwesens getan hat. Ausgangspunkt ist die allgemeine Menschengleichheit im Naturzustand, die sich durch den Zusammenschluss zu einer Gemeinschaft in eine demokratische Gleichheit umwandelt. Alle Mitglieder eines politischen Gemeinwesens sind in gleicher Weise Inhaber der Herrschaftsgewalt. Anknüpfungspunkt der demokratischen Gleichheit ist allein das Bürger-Sein, die Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft, zu einer Legitimationseinheit, zu einem Volk als demos. Die Zugehörigkeit zu dieser politischen Gemeinschaft des Volkes wird je nach Herrschaftsstufe unterschiedlich vermittelt.512 2. Gegenstand demokratischer Gleichheit: Politische Mitwirkungsrechte Die Gleichheit, welche die Demokratie fordert und beinhaltet, bezieht sich vorrangig auf die Gewinnung und Behauptung politischer Macht, die in hoheitlichen Ämtern von hoheitlichen Organen ausgeübt wird. Demokratische Gleichheit will die gleiche Chance politischer Machtgewinnung gewährleisten. Demgemäß erstreckt sie sich auf alle Rechte, die politische Machtgewinnung eröffnen oder zum Gegenstand haben: die politischen Mitwirkungsrechte.513 510 Volkmann, in: Friauf/Höfling, GG, C Art. 20 Rn. 15; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20 Rn. 6 ff. 511 s. o. 2. Teil, 3. Kap., B. I. 512 Formell und rechtlich maßgebend für die Zugehörigkeit zu einem Staatsvolk ist die Staatsangehörigkeit, für die Zugehörigkeit zu der Gesamtheit der Unionsbürger ist es die Unionsbürgerschaft. 513 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, 279 f. Auf den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. Art. II-80 VV Gleichheit vor dem Gesetz) und das Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG, Art. II-81 VV) wird daher nicht eingegangen. Vgl. auch Art. I-45 VV Grundsatz der demokratischen Gleichheit, der als Gleichheit vor den
236
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Das klassische politische Mitwirkungsrecht ist das Recht zur Wahl der parlamentarischen Vertretung auf der jeweiligen Herrschaftsebene.514 In dem parlamentszentrierten, dualistischen Legitimationsmodell ist das Prinzip der politischen Gleichheit der Bürger bei der Ausübung des Wahlakts verwirklicht. Demokratische Gleichheit verwirklicht sich zum einen durch den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, der gebietet, dass alle Bürger unter den gleichen Voraussetzungen das aktive und passive Wahlrecht besitzen.515 Zum anderen verwirklicht sich demokratische Gleichheit durch den Grundsatz der Gleichheit der Wahl, dem eigentlichen demokratischen Postulat eines egalitären Wahlrechts, der die Gleichheit des Stimmrechts eines jeden Bürgers verlangt (one man, one vote).516 Parlamentarische Repräsentation setzt somit demokratische, bürgerliche Gleichheit voraus. In der repräsentativen Demokratie beruhe insbesondere das Mehrheitsprinzip auf der Gleichheit des Stimmrechts der Wähler, der die Gleichheit der Stimmen in der Repräsentativversammlung entspreche.517 Demokratische Gleichheit verwirklicht sich auch in den weiteren politischen Mitwirkungsrechten, den sog. demokratischen Grundrechten, wie der Kommunikations-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.518 3. Ergebnis Gleichheit ist der Freiheit nachrangig. Erst nach Ausübung des Rechts des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung in Form des Zusammenschlusses zu einer Gemeinschaft kommt der Grundsatz demokratischer Gleichheit in einem Gemeinwesen zur Anwendung. Der Grundsatz demokratischer Gleichheit findet auf das politische Mitwirkungsrecht Anwendung, über dessen Ausübung demokratische Legitimation vermittelt wird: das Wahlrecht.
EU-Organen umschrieben werden kann und wonach die Union in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürger achtet. 514 Vgl. Art. 38 Abs. 1 GG; Art. 19 Abs. 1 und 2 EG; nunmehr Art. I-99 und I-100 VV. 515 Nicht ausgeschlossen sind durch diesen Grundsatz hingegen Regelungen über das Wahlalter, die Verwirkung des Wahlrechts, die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und den Ausschluss entmündigter Personen. 516 Zu der problematischen Verwirklichung dieses Wahlgrundsatzes bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, s. o. 1. Teil, 2. Kap., B. I. 1. 517 Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, 251 f.; Scharpf, StWStP 1992, 293 296. 518 Vgl. Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1, 9 GG; Art. II-71 und II-72 VV.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
237
II. Neuartige Ausprägung: Gleiches Beteiligungsrecht Demokratische Gleichheit kann bei der Ausübung von Beteiligungsrechten nicht eine Gleichheit im Ergebnis gewährleisten (unter 1.). Gleichheit besteht vielmehr in der Möglichkeit zur Beteiligung (unter 2.). 1. Keine Gleichheit im Ergebnis Die Gewährleistung von Gleichheit bei der Ausübung von Beteiligungsrechten als politische Mitwirkungsrechte, die über die Ausübung des Wahlrechts hinausgehen und legitimatorische Bedeutung aufweisen, erscheint problematisch. Demokratische Gleichheit kann bei der Bürgerbeteiligung nicht wie im Rahmen des Stimmrechts bei der Wahl zur parlamentarischen Vertretung durch eine Gleichheit im Ergebnis im Sinne eines gleichen Zählwertes verwirklicht werden. Es kann naturgemäß nicht sichergestellt werden und ist in der Praxis auch niemals der Fall, dass jegliche Beteiligung die gleiche Berücksichtigung in der hoheitlichen Entscheidung, also im Inhalt des Rechtsakts, findet. Dafür sind die Beteiligungsarten und der mit ihnen vermittelte Sachverstand und Informationsgehalt zu unterschiedlich. Beteiligung widerspricht insoweit absoluter demokratischer Egalität, da der sein Beteiligungsrecht ausübende Bürger, der als Einzelner oder im Zusammenschluss Einfluss auf den Inhalt eines Rechtssatzes gewinnen mag, gegenüber dem sich nicht beteiligenden Bürger privilegiert ist. Das Demokratieprinzip verlangt jedoch über die politische Gleichheit hinaus ein hoheitliches Entscheidungssystem, das für die Präferenzen der Bürger offen ist. Das in ihm enthaltende Optimierungsgebot will den Mitgliedern einer politischen Gemeinschaft größtmögliche Einwirkungsmöglichkeiten über weitere Beteiligungsverfahren geben.519 Zu diesem Zweck ist das Prinzip politischer Gleichheit nur bei der personellen Besetzung der politischen Ämter des Gemeinwesens absolut zu verwirklichen. Dieser Arbeit liegt das Verständnis zugrunde, dass das Prinzip nicht ausnahmslos eine exakt gleiche Teilhabe an politischer Herrschaft verlangt520, sondern für den Bereich der Bürgerbeteiligung mit dem Optimierungsgebot des Demokratieprinzips in Einklang zu bringen ist.
519 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 76; Kadelbach, EuGRZ, 384, 387; Maihofer, § 12 Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: Benda, Hdb VerfR, Rn. 20, 82 f. 520 So aber Di Fabio, JZ 2004, 1, 6.
238
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
2. Gleichheit in der Möglichkeit Gleichheit kann sich daher nur auf die Voraussetzung als Chance zur Beteiligung beziehen. Jeder Bürger muss allein über die Möglichkeit verfügen, über die unterschiedlichen Beteiligungsarten Einfluss auf die konkrete politische Entscheidung in Form eines Rechtsakts auszuüben. Ob und wie er die Möglichkeit zur Beteiligung wahrnimmt, ist grundsätzlich der Freiheit eines jeden einzelnen Bürgers unterstellt. Dass die Fähigkeit, über die Beteiligung konkret Einfluss auf den Inhalt eines Rechtssatzes Einfluss auszuüben, von weiteren Faktoren abhängig ist, die nicht ohne weiteres von jedem einzelnen Unionsbürger bei jedem einzelnen Rechtssatz erfüllt werden, ist offensichtlich, aber vorliegend nicht maßgeblich. Entscheidend ist, dass sich die demokratische Gleichheit in der Möglichkeit zur Beteiligung, also als Beteiligungsrechtsgleichheit, verwirklicht. Eng verbunden mit dem Gebot der Chancengleichheit ist das ebenfalls auf dem Gleichheitsgrundsatz und Rechtsstaatsprinzip in Form des Grundsatzes des fairen Verfahrens beruhende Prinzip der Waffengleichheit, wonach jeder die Möglichkeit haben muss, seine Interessen mit den gleichen Mitteln und Chancen zu vertreten.521 Wenn man den Grundsatz der Waffengleichheit nicht nur auf die formale Verfahrensstellung von Parteien in einem verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Prozess, sondern auch auf die Beteiligung am Rechtsetzungsprozess bezieht, kann dies eine gewisse hoheitliche organisatorische und finanzielle Unterstützung von Bürgerzusammenschlüssen erfordern, um eine Vertretung bestimmter Partikularinteressen zu ermöglichen, die nicht durch finanzkräftige Gruppen und Verbände erfolgt. Eine solche Unterstützung kann angesichts der momentanen Bevölkerungszahl der EU von knapp 500 Millionen nicht von beträchtlichem Maße sein, ohne dass die EU finanziell überfordert würde. Nach welchen Kriterien, in welchen Verfahren und in welchem Ausmaß eine solche Unterstützung erfolgen könnte, muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. 3. Ergebnis Jeder Bürger hat das Recht, über die Ausübung des Wahlrechts in gleicher Weise Einfluss auf die allgemeine politische Willensbildung auszuüben. Jeder Bürger soll das Recht haben, über die Ausübung des Beteiligungsrechts seinen Einfluss auf die konkrete politische Entscheidung in Form eines Rechtsakts auszuüben. 521
Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, 344 m. w. N.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
239
III. Wahrung des Gemeinwohls unter Ausgleich der Partikularinteressen Da sich im Rahmen der Beteiligung der Grundsatz der Gleichheit nicht auf das Ergebnis der Beteiligung, sondern nur auf die Chance eines jeden Bürgers zur Beteiligung bezieht, kann Beteiligung in der Praxis zu einer ungleichen Artikulation von Interessen führen. Nach der Pluralismustheorie stellt sich das in der hoheitlichen Entscheidung zum Ausdruck kommende Gemeinwohl zwangsläufig als Ausgleich von Partikularinteressen dar (unter 1.). Die Praxis zeigt jedoch, dass aus unterschiedlichen Gründen regelmäßig bestimmte Partikularinteressen privilegiert werden (unter 2.). Daher ist zur Gewährleistung einer gemeinwohlorientierten Entscheidung, die einen Ausgleich unter sämtlichen Interessen darstellt, die Beachtung rechtstaatlicher und demokratischer Verfahren notwendig (unter 3.). 1. Pluralismustheorie: Gemeinwohl als Ausgleich von Partikularinteressen Interessenvielfalt ist ein konstitutives Element eines demokratischen Gemeinwesens. Lebendige Demokratie beruht auf der Anerkennung der unterschiedlichen, die Gesellschaft tragenden Gruppen und Interessen, die um Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger bemüht sind. Demokratie beruht daher auf einem funktionierenden Interessenpluralismus.522 In politischen Gemeinwesen wie der EU und ihren Mitgliedstaaten sind die politischen Meinungsbildungs-, Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse durch die sog. demokratischen Grundrechte der Meinungsäußerungs- und Vereinigungsfreiheit und durch die Garantie des Mehrparteiensystems pluralistisch ausgestaltet. In solchen pluralistisch verfassten Gemeinwesen ist das Gemeinwohl523 nicht als feststehende Größe in abstrakter Weise für alle oder einzelne Entscheidungen bzw. Rechtssätze vorgegeben, sondern muss für jede konkrete Entscheidung im Ausgleich der verschiedenen Interessen erst ermittelt werden.524 Das Gemeinwohl ist somit erst das Ergebnis eines Prozesses der Aggregierung, Kombinierung und Abgleichung von Partikularinteressen. 522 Vgl. für den deutschen Verfassungsstaat BVerfGE 5, 85, 232 ff.: Es ist „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass ‚Interessengruppen‘ auf Mitglieder des Parlaments einzuwirken suchen“. 523 Die Begriffe „Gemeinwohl“ und „allgemeines Interesse“ werden im Folgenden synonym benutzt. 524 Hartisch, Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip, 1975, 108, 115 ff.; s. auch Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, 145 f., der in dem Einfluss der gesellschaftlichen Interessen auf hoheitliche Entscheidungen gerade den Legitimationsmodus der Demokratie verortet.
240
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Die in den USA entstandene Pluralismustheorie lehnt die Rousseau’sche Idee eines homogenen Allgemeinwillens ab und unterstellt, dass im Prinzip alle Interessen in einer Gesellschaft artikuliert und organisiert werden können. Grundsätzlich ergebe sich daher ein Gleichgewicht zwischen allen Interessen von selbst.525 Das Gemeinwohl ergibt sich danach schon allein aus einem Ausgleich zwischen allen durch die Verfahren der Beteiligung der Bürger und Bürgergruppen eingebrachten Partikularinteressen. Ein breit angelegter, vielfältiger Pluralismus von organisierten Zusammenschlüssen von Bürgern ist erwünscht und notwendig, um die einzelnen Interessen zu artikulieren, zu strukturieren und in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einzubringen.526 Interessengruppen sind somit notwendige, in ihrer Einflussnahme auf die hoheitlichen Entscheidungsträger legitimierte Bestandteile des politischen Systems und bilden ein wichtiges Zwischenglied im Prozess der Umsetzung gesellschaftlicher Vielfalt in einzelne, einheitliche hoheitliche Entscheidungen. Dies gilt auf europäischer Ebene umso mehr, also dort die politischen Parteien(-bündnisse) ihre klassische Aufgabe, den Vorausgleich divergierender Interessen, ihre Umformung in politische Handlungsprogramme und Einleitung in die hoheitliche Willensbildung zu übernehmen, aufgrund der eigengearteten Funktionenteilung zwischen den EU-Organen nicht erfüllen können. Letztlich bieten Interessengruppen immer im Verhältnis zu Parteien zusätzliche Kommunikationswege für die Verfolgung spezieller Interessen.527 Die Repräsentation heterogener, gesellschaftlicher Interessen durch Gruppierungen aller Art im hoheitlichen Entscheidungsgefüge ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil demokratischer Herrschaftssysteme. 2. Praxis: Privilegierung von Partikularinteressen Geht die (Pluralismus-)Theorie davon aus, dass im Prinzip alle Interessen in einer Gesellschaft artikuliert und organisiert werden können und sich daher ein Gleichgewicht zwischen allen Interessen zwangsläufig herbeiführen lasse, offenbart die Praxis Defizite. Aus dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte ergibt sich nicht automatisch ein gerechter Interessenaus525 Grundlegend Bentley, Process of Government, 1908. Vgl. Schmidt, Demokratietheorien, 2008, 210 ff.; Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, 1986, 199 ff. Kritisch zum sog. „Laissez-faire-Pluralismus“ von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 151 ff. Pluralisten sehen die sog. demokratischen Grundrechte der Meinungsäußerungs- und Vereinigungsfreiheit als Fundament für den organisatorischen Zusammenschluss der Bürger zu Organisationen an, die partikulare Interessen artikulieren und vertreten, Schmidt, Demokratietheorien, 2000, 228. 526 Grimm, § 15 Verbände, in: Benda, Hdb VerfR, Rn. 4. 527 Grimm, ebd., Rn. 5.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
241
gleich.528 Das Gemeinwohl kann nicht einfach als Ergebnis aus den im Laufe der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse eingebrachten, oftmals widerstreitenden Partikularinteressen destilliert werden. Erstens sind nicht alle Interessen überhaupt artikulierbar und organisierbar. Gerade bestimmte benachteiligte spezielle Interessen sind kaum organisationsfähig. Auch lassen sich die nicht auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen begrenzten, sondern der Allgemeinheit zuzuordnenden Interessen wie etwa gesunde Lebensverhältnisse oder stabiler Geldwert gar nicht organisieren.529 Zweitens besitzen die widerstreitenden organisierten Interessen nicht, wie die Pluralismustheorie unterstellt, die gleiche Stärke. Es fehlen die personellen und finanziellen Ressourcen sowie das Know-how, einige Interessen adäquat gegenüber den hoheitlichen Entscheidungsträgern zu vertreten. Aus diesen Gründen können sich erhebliche Asymmetrien ergeben, die die Vorherrschaft einiger Interessen fördern. Die Fähigkeiten zur Interessendurchsetzung sind somit aufgrund unterschiedlicher Organisationsund Konfliktfähigkeit höchst unterschiedlich verteilt. Waffengleichgewicht zwischen Gesellschaftsgruppen und den von ihnen repräsentierten Gruppen gibt es nicht.530 Empirische Analysen haben nachgewiesen, dass nur bestimmte Interessenträger die gegebenen Beteiligungsmöglichkeiten ausschöpfen und dabei ihre Interessen artikulieren, wodurch diese im politischen Prozess vorrangige Bedeutung erhalten.531 Die Bereitschaft zur Mitwirkung am politischen Prozess kann nicht allgemein vorausgesetzt werden, so dass Partizipationsdefizite entstehen, die die politische Macht- und Einflussposition aktiver Minderheiten wiederum stärken.532 Die Gefahr der Instrumentalisierung hoheitlicher Institutionen besteht insbesondere durch finanzstarke Gruppierungen. Die Funktion der gemeinwohlverpflichteten hoheitlichen Entscheidungsträger ist daher nicht allein auf die des Ausgleichs von formulierten und strukturierten partikularen Interessen zu beschränken. Die hoheitlichen Entscheidungsträger sind nicht nur die Durchsetzungsinstanz des in gesellschaftlicher Autonomie ermittelten Gemeinwohls.533
528
Vgl. Olson, in: Steinberg, Staat und Verbände, 1985, 156, 165 ff. Grimm, § 15 Verbände, in: Benda, Hdb VerfR, Rn. 6. 530 Differenzierter Schmidt, Demokratietheorien, 2008, 222 f. 531 Vgl. Horn, § 41 Verbände, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, Rn. 35. 532 Vgl. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, 29 ff. m. w. N. 533 Eschenburg warnte schon 1956 vor der „Herrschaft der Verbände“ und der von ihnen vertretenen Interessen zulasten des Gemeinwohls und übrigen Partikularinteressen, s. Schneider/Baltz, ZSE 2003, 199 f. 529
242
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
3. Erfordernis: Rechtlicher Rahmen zur Sicherung des Gemeinwohls Wenn nun die Gefahr besteht, dass wenige, gut organisierte, nur bestimmte Interessen vertretende Gruppen über das Instrument der Beteiligung Einfluss auf die hoheitlichen Entscheidungsträger ausüben und somit auf den Inhalt des Rechtssatzes nehmen können, droht eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips und des Grundsatzes der politischen Gleichheit der Bürger, die eine Vermittlung demokratischer Legitimation durch das Instrument der Beteiligung ausschließt.534 Zur Vermeidung einer solchen unangemessenen Privilegierung einiger Partikularinteressen ist es unerlässlich, erstens transparente, verbindliche Beteiligungsverfahren zu schaffen und deren umfassende Durchführung zu sichern sowie zweitens eine umfassende, abwägende Gesamtschau der aus den Beteiligungsverfahren hervorgehenden Ergebnisse vorzunehmen.535 Die Beteiligungsverfahren müssen den Anforderungen genügen, welche die Grundsätze der Demokratie und der Rechtstaatlichkeit stellen.536 Um dem Demokratieprinzip zu entsprechen, müssen die Beteiligungsverfahren vor allem ein größtmögliches Maß an Transparenz und Offenheit aufweisen. Um dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zu entsprechen, müssen die Beteiligungsverfahren zumindest einfach-gesetzlich normiert und ausgestaltet sein. Das Recht auf Beteiligung muss zudem grundsätzlich justiziabel sein. Die umfassende, abwägende Gesamtschau soll es den hoheitlichen Entscheidungsträgern unter strikter Wahrung des Gebots hoheitlicher Entscheidungsautonomie und aus gemeinwohlorientierter Perspektive ermöglichen, gerade auf jene Bedürfnisse, Interessen, Probleme und Konflikte reagieren zu können, die innerhalb der pluralistischen Entscheidungsstrukturen nicht ausreichend berücksichtigt werden.537 Es liegt im alleinigen Verantwortungsbereich der hoheitlichen Entscheidungsträger in der EU, des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission als supranationale Rechtsetzungsorgane, die unterschiedlichen Interessen zum Ausgleich zu führen, zu synthetisieren und auch die nicht artikulierten und organisierten Interessen zu berücksichtigen.538 Während dieser Teilbereich durch die klassischen Rechtsetzungsverfahren sowie durch die eindeutigen Kompetenzzuweisungen an das jeweilige EU534
Vgl. von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 33. Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 282. Ausführlich zum sog. Due-Process-Pluralismus von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 183 ff. 536 Härtel, Europäische Rechtsetzung, 2006, 129. 537 Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, 75; Schmidt, Demokratietheorien, 2000, 233. 538 von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 84 f. 535
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
243
Organ gegenwärtig eindeutig geregelt und ausgestaltet ist, widmet sich der folgende Abschnitt ausführlich dem ersten Teilbereich, der Frage nach der Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren. 4. Ergebnis Demokratie fußt auf einer Vielfalt an Interessen, die im Verlauf des Rechtsetzungsprozesses in einer gemeinwohlorientierten Entscheidung zum Ausgleich gebracht werden. Die Pluralismustheorie geht von der Prämisse aus, dass sich grundsätzlich alle Interessen in einer Gesellschaft artikulieren und organisieren, so dass sich die gemeinwohlorientierte Entscheidung aus dem Gleichgewicht aller Interessen bildet. Als unerlässliche Bestandteile eines politischen Systems werden Gruppen und Organisationen angesehen, welche als Vermittler die vielfältigen Interessen gegenüber den hoheitlichen Entscheidungsträgern artikulieren. Einige Interessen sind jedoch nicht organisierbar oder schwer artikulierbar. Ebenso sind die personellen und finanziellen Ressourcen der Interessengruppen höchst ungleich. Daher führt die ungeregelte Interessenvertretung faktisch nicht zu einem Ausgleich aller Interessen. Daraus erwächst das Erfordernis, durch transparente und verbindliche Verfahrensregeln einen maximalen Interessenausgleich zu gewährleisten, der sich in einer gemeinwohlorientierten Entscheidung als Rechtssatz realisiert.
D. Demokratische Legitimation der Bürgerbeteiligung durch Verfahrensrecht Seit Beginn der europäischen Integration ist die Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung in der EU ein faktisches Phänomen, das sich weitgehend einer rechtlichen Regelung entzogen hat.539 In den letzten Jahren hat sich die Kommission um eine intensivere Einbeziehung der Bürger in den Rechtsetzungsprozess bemüht und den Anwendungsbereich der Bürgerbeteiligung durch eine zunehmende Anzahl von Konsultationsverfahren erheblich erweitert, ohne jedoch einheitliche, rechtsverbindliche verfahrensrechtliche Regelungen zu erlassen.540 Das Erfordernis der Schaffung eines umfassenden rechtlichen Rahmens ist mit den Vorschriften im Verfassungsvertrag zum demokratischen Leben in der Union, die einer konkretisierenden Regelung bedürfen, größer geworden.541 Die Anerkennung der Bürgerbeteiligung 539 540 541
s. o. 2. Teil, 1. Kap. s. o. 2. Teil, 2. Kap., A. s. o. 2. Teil, 2. Kap., B.
244
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
am Rechtsetzungsprozess als Quelle demokratischer Legitimation bedarf rechtsverbindlicher Regelungen, die demokratischen und rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügen, damit der am Ende des Rechtsetzungsverfahrens verabschiedete Rechtsakt einen das Gemeinwohl optimal verwirklichenden Ausgleich zwischen den in den Beteiligungsverfahren einfließenden Partikularinteressen darstellt.542 Eine angemessene verfahrensrechtliche Ausgestaltung kann sicherstellen, dass das erhebliche demokratische Potential der Bürgerbeteiligung genutzt wird.543 Die Schwierigkeiten, die sich bei einer Konkretisierung der allgemeinen Idee „Bürgerbeteiligung“ zu einem praktikablen Rechtsinstitut ergeben, sind zahlreich und können in dieser Arbeit nur angedeutet werden. Auf welcher Rechtsebene und in welcher Form eines Rechtsakts soll die Normierung erfolgen? Eine Regelung, die sich auf den Normtext der „Anhörung aller betroffenen und interessierten Parteien“ beschränkt, ließe die maßgeblichen Fragen, wer, wann, in welcher Form und in welchem Umfang sowie mit welchen Konsequenzen zu beteiligen ist, weitgehend offen. Entscheidend ist die Gewährleistung eines ausreichenden Maßes an Transparenz und Publizität, um den Verfahrensverlauf und die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung einer öffentlichen Kontrolle sowie einer Nachprüfung zugänglich zu machen.544 Die demokratische Funktion sieht sich gestärkt, wenn Beteiligungsverfahren dem Bürger zusichern, dass die hoheitlichen Entscheidungsträger seine Meinung in einem offenen, rationalen, d.h. nachvollziehbaren Verfahren einbeziehen, bewerten und ihm so die konkrete Chance der Gestaltung zukommt.545 Die Ausgestaltung eines rechtlichen Rahmens hat jedoch umsichtig und differenziert zu erfolgen, soll der Rechtsetzungsprozess nicht durch Rechtsstreitigkeiten negativ betroffener Kreise gelähmt werden. Soll die demokratische Legitimation der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess durch die Normierung eines rechtlichen Rahmens, also durch verfahrensrechtliche Gewährleistungen, gesichert werden, ist dies von der Luhmann’schen Theorie der Legitimation durch Verfahrensrecht abzugrenzen (unter I.). Einen ersten Ansatzpunkt zur Ausgestaltung eines verbindlichen rechtlichen Rahmens findet man in den Regelungen zur Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen in der Verwaltung im 542
s. o. 2. Teil, 3. Kap., A., B., C. Vgl. die eher pauschalen Vorschläge bei Linck, ZG 2004, 137, 145 ff. 544 Schuppert, Gute Gesetzgebung, ZG Sonderheft 2003, 1, 18. Grimm, § 15 Verbände, in: Benda, Hdb VerfR, Rn. 19 ff., weist darauf hin, dass eine durchgehende Verrechtlichung informeller Kooperation deren Vorteile aufzuheben droht, ohne den Bedarf dafür zu senken, da sich andere Ventile finden. Die Steuerungskraft des Rechts kann an Grenzen geraten. 545 Dies beinhaltet seine Anerkennung als Vernunftwesen, womit die Brücke zur Menschenwürde geschlagen ist; von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 86. 543
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
245
Bereich des Umweltrechts (unter II.). Die Anforderungen an einen verbindlichen, verfahrensrechtlichen Rahmen für die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess können daran anknüpfen, müssen aber darüber weit hinausgehen, um demokratischen und rechtsstaatlichen Standards zu genügen und zur Stärkung der demokratischen Legitimation der Rechtsetzung durch die Bürgerbeteiligung beizutragen (unter III.). I. Abgrenzung zur Theorie Luhmanns der Legitimation durch Verfahren Der in dieser Arbeit verfolgte Ansatz, demokratische Legitimation durch eine verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung zu gewährleisten, ist von der von Niklas Luhmann geprägten Variante der rechtssoziologischen Systemtheorie zu unterscheiden, die eine Legitimation allein durch Verfahren – nicht Verfahrensrecht – bewirken will. Luhmann wendet sich gegen das traditionelle Verständnis von Legitimität als rein faktisch verbreitete Überzeugung von der Gültigkeit des Rechts, von der Verbindlichkeit bestimmter Normen oder Entscheidungen oder von dem Wert der Prinzipien, an denen sich Normen und Entscheidungen rechtfertigen.546 Legitimität solle zwar im weiten Sinn die Anerkennung von Entscheidungen als verbindlich bedeuten. Anerkennung bedeute dabei jedoch nicht die „Überzeugung“ von der Richtigkeit der Werte, der Rechtfertigungsprinzipien oder der Inhalte von Entscheidungen im Einzelfall.547 Aufgrund der Komplexität moderner Gesellschaften, Themen und Entscheidungsprämissen sei die Anerkennung vielmehr zu generalisieren und formalisieren, so dass der Bürger die Entscheidung – aus welchen Gründen auch immer – als Prämisse des eigenen Verhaltens übernehme und seine Erwartungen entsprechend umstrukturiere.548 Legitimität beruhe somit gerade nicht auf „frei-williger“ Anerkennung, auf individueller Überzeugung der Richtigkeit einer Entscheidung, sondern im Gegenteil auf einem „sozialen Klima“, dass die Anerkennung verbindlicher Entscheidungen als Selbstverständlichkeit institutionalisiere.549 Die Legitimation von Entscheidungen sei demnach eine institutionalisierte Umstrukturierung sozialer Erwartungen durch einen faktischen Kommunikationsprozess. Dieser Prozess laufe zwar nach Maßgabe rechtlicher Regelungen ab, bedeute aber keine Legitimation durch Verfahrensrecht.550 Die Motivation der Bürger, auch Entscheidungen 546 547 548 549 550
Luhmann, Luhmann, Luhmann, Luhmann, Luhmann,
Legitimation durch Verfahren, 2001, 27. ebd., 32. ebd., 32 f. ebd., 34. ebd., 36 f.
246
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
der Herrschaftsgewalt anzuerkennen, die den eigenen Interessen zuwiderlaufen, solle durch die Durchführung gesetzlich vorgegebener Entscheidungsverfahren entstehen. Hochkomplexe politische Systeme gewönnen demnach ihre Stabilität nicht aus festen, allgemein verbreiteten Rechtsüberzeugungen, die eine gleichartige Motivationslage voraussetzen, sondern durch Heterogenität und individuelle Lösungen. Diese Variabilität müsse durch Strukturen und Prozesse in Stabilität transformiert werden, so dass die Bürger Entscheidungen letztlich durchgehend als verbindlich akzeptieren lassen.551 Luhmann geht es mithin um faktische Akzeptanz der in gesetzmäßig vorgegebenen Verfahren zustande gekommenen Entscheidungen. Wegen der fehlenden Wertorientierung des Legitimitätsbegriffs sei im Grunde gleichgültig, welchen Inhalt die Entscheidung habe. Maßgeblich sei allein die faktische Akzeptanz, die das politische System durch die verfahrensmäßige Umstrukturierung der Erwartungshaltung der Bürger zu bewirken habe, um seine eigene Legitimität zu sichern. Zwar mag die empirische Wahrnehmung zutreffend sein, dass die Bürger hoheitliche Entscheidungen heutzutage scheinbar motivationslos akzeptierten. Gegen Luhmanns Ansatz ist jedoch einzuwenden, dass diese Akzeptanz gerade auch auf einem gemeinsamen Grundkonsens der Herrschaftsunterworfenen über die Ziele der Ausübung von Herrschaftsgewalt beruht. Verfahren könnten nicht allein aus sich heraus legitimieren, sondern erst im Rahmen einer gemeinsamen, vom Großteil der Herrschaftsunterworfenen getragenen Richtigkeitsüberzeugung ihre Legitimationsfunktion entfalten.552 In der Systemtheorie spielt hingegen der Mensch als Individuum mit seinen Überzeugungen und seiner Menschenwürde keine Rolle. II. Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen in der Verwaltung Bei der Beantwortung der Frage nach der Ausgestaltung eines rechtlich verbindlichen Rahmens für die Bürgerbeteiligung am Rechsetzungsprozess kann auf die Beteiligung von gesellschaftlichen Kräften an Entscheidungsprozessen in der Verwaltung zurückgegriffen werden. Auf der Grundlage der dieser Untersuchung zugrunde liegenden Demokratie- und Legitimationsmodelle existieren in beschränktem Umfang auch Gemeinsamkeiten zwischen Rechtsetzungsverfahren einerseits und Verwaltungsverfahren andererseits in Bezug auf Funktion und demokratischen Gehalt der Bürgerbeteiligung (unter 1.). Daher kann der einzigartige rechtliche Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung an Verwaltungsverfahren im Umweltrecht gewinn551 552
Luhmann, ebd., 251 f. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, 158.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
247
bringend für ein Modell der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess herangezogen werden (unter 2.). 1. Vergleich Verwaltungs- und Rechtsetzungsverfahren Die Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen der Verwaltung stellt im deutschen Recht553 ein vertrautes, Jahrhunderte altes öffentlich-rechtliches Institut dar.554 Die Anhörung Beteiligter vor Erlass einer behördlichen Entscheidung ist Ausdruck des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs.555 Der Beteiligtenbegriff ist jedoch äußerst eng gefasst und bestimmt sich ausschließlich formell, insbesondere durch den Akt der Antragstellung eines Bürgers an eine Behörde oder die Eröffnung eines Verfahrens durch die Behörde gegen einen Bürger.556 Die darüber hinausgehende, umfassendere Beteiligung betroffener einzelner Bürger oder Gruppen im Rahmen von Einwendungsverfahren mit anschließendem Erörterungstermin für Planfeststellungsverfahren ist zentral in § 73 VwVfG geregelt.557 Betroffen kann über die formell Beteiligten hinaus auch jeder Bürger sein, der materiell in seinen Rechten berührt wird.558 Daneben sehen zahlreiche Fachgesetze im Rahmen von Genehmigungsverfahren für private Betriebe und Anlagen im Atom-, Immissionsschutz- und Abfallrecht sowie im Rahmen von Verfahren der Bauleitplanung spezielle Regelungen zur Beteiligung Einzelner oder Gruppen vor, die in Details von den Vorschriften des VwVfG abweichen.559 Diese Vorschriften verlangen zumeist keine eigene Betroffenheit, sondern erlauben jedem interessierten Bürger die Beteiligung am Verwaltungsverfahren.560 Die Bürgerbeteiligung am Recht553 Die nachfolgenden Aussagen beziehen ausschließlich auf das deutsche Recht, das für die weitere Untersuchung als Inspirationsquelle herangezogen wird. Ob die Aussagen auch auf die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten zutreffen, muss anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben. 554 Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, 1, 10 ff., der die historische Entwicklung der Öffentlichkeitsbeteiligung in Deutschland vom Ende des 18. Jahrhunderts bis heute nachzeichnet. 555 In Deutschland allgemein geregelt für Verwaltungsverfahren in § 28 VwVfG; für förmliche Verwaltungsverfahren in § 66 VwVfG; zu Inhalt und Funktion des Anhörungsrechts s. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 28 Rn. 1 ff, § 66 Rn. 1 ff.; zum Recht des Bürgers auf Teilnahme am Verwaltungsverfahren s. ebd. § 13 Rn. 1, 3. 556 Vgl. § 13 VwVfG; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 13 Rn. 8. 557 Das Planfeststellungsverfahren findet beispielsweise beim (Aus-)Bau öffentlicher Infrastrukturprojekte, insbesondere im Wasserstraßen-, Eisenbahn-, Straßenund Wegerecht Anwendung. 558 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 13 Rn. 9. 559 Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, 8 f., 176 ff. 560 Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 73 Rn. 1.
248
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
setzungsprozess deckt sich in Bezug auf das Beteiligungssubjekt zumindest teilweise mit der Öffentlichkeitsbeteiligung an Verwaltungsverfahren. Einige Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung an verwaltungsbehördlichen Entscheidungsprozessen, wie die der Interessenvertretung und des Interessenausgleichs, aber auch der Übermittlung von Informationen an die hoheitlichen Entscheidungsträger und der Steigerung von Effektivität, Transparenz und Akzeptanz der Entscheidungen561, stellen auch Funktionen der Bürgerbeteiligung an den Rechtsetzungsverfahren dar. Maßgeblich ist für diese Untersuchung jedoch, dass auch diese Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung auf der Grundlage einer partizipatorischen, pluralistischen Demokratietheorie Bestandteile demokratischer Entscheidungsfindung und demokratischer Entscheidungsprozesse sind.562 Ihnen kommt demokratische und legitimatorische Qualität in dreierlei Hinsicht zu. Erstens bringen Individuen oder Gruppen über die Beteiligungsverfahren eigene, partikulare Interessen in den verwaltungsbehördlichen Entscheidungsfindungsprozess ein und tragen somit zu einer dezentralen Gemeinwohlformung und -konkretisierung bei.563 Zweitens kompensiert die Öffentlichkeitsbeteiligung an Verwaltungsverfahren Defizite der parlamentsfixierten demokratischen Legitimation. So ermöglicht sie eine öffentliche Kontrolle des Verwaltungshandelns sowie einen ständigen auf der Ausübung der Grundrechte basierenden Kommunikationsprozess mit den Hoheitsträgern und eröffnet schließlich dem „aktiven Bürger“ Raum zur Mitwirkung an der Ausübung von Hoheitsgewalt über den Wahlakt hinaus.564 Drittens trägt die Öffentlichkeitsbeteiligung an Verwaltungsverfahren zur Verwirklichung des grundrechtsrelevanten Rechts auf Teilhabe am Verfahren bei. Danach kann der Bürger die Beteiligung an verwaltungsbehördlichen, rechtssatzkonkretisierenden Verfahren einfordern, deren abschließende Entscheidungen bestimmte Grundrechte des Bürgers verletzen können.565 2. Öffentlichkeitsbeteiligung an Verwaltungsverfahren im Umweltrecht Als Grundlage der Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU kann das im deutschen 561
Vgl. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, 209 ff. So schon Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Dritter, 1980, 84; auch Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, 156 f., 244 ff., 335 ff. m. w. N. 563 Fisahn, ebd., 156 f. 564 Fisahn, ebd., 244 ff. 565 Fisahn, ebd., 349. 562
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
249
Recht etablierte Rechtsinstrumentarium der Öffentlichkeitsbeteiligung an verwaltungsbehördlichen Entscheidungen und Verfahren im Umweltrecht herangezogen werden. Zunächst werden die Rechtsgrundlagen benannt [unter a)]. Im Folgenden wird die Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren dargestellt [unter b)] und auf die Justiziabilität des Beteiligungsrechts eingegangen [unter c)]. a) Rechtsgrundlage des Beteiligungsrechts Das am 25. Juni 1998 unterzeichnete und am 30. Oktober 2001 in Kraft getretene sog. Aarhus-Übereinkommen566 markiert einen bedeutsamen Schritt in der Entwicklung des Umweltrechts, indem es die Rolle der Öffentlichkeit bei der praktischen Durchsetzung des Umweltschutzes fundamental gestärkt hat.567 Neben der Verbürgung eines umfassenden Rechts568 auf Zugang zu Informationen über die Umwelt569, bilden das Recht der Öffentlichkeit auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten und das Recht auf Zugang zu Gerichten zur Durchsetzung des Informationszugangs- und des Beteiligungsrechts die weiteren zentralen Pfeiler dieses Übereinkommens.570 Die Entscheidungsverfahren, auf die sich das Beteiligungsrecht bezieht, betreffen zuvörderst konkrete Zulassungsverfahren, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern, insbesondere den Bau von Industrieanlagen sowie von Infrastruktureinrichtungen,571 aber auch die Aus566 UNECE (United Nations Economic Commission for Europe) Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Das Übereinkommen ist von fast allen EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet und (bis auf Irland) mittlerweile ratifiziert, genehmigt oder angenommen worden – in Deutschland erfogte die Ratifizierung am 15. Januar 2007. Weitere 18 Länder haben das Übereinkommen ebenfalls unterzeichnet (und zum größten Teil ratifiziert, genehmigt oder angenommen) oder sind ihm beigetreten; s. http://treaties.un.org/Pages/View Details.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVII-13&chapter=27&lang=en. Durch den Beschluss 2005/370/EG v. 17.2.2005, ABl. L 124/1 v. 17.5.2005, wird das Übereinkommen im Namen der Gemeinschaft genehmigt. Der Text des Übereinkommens ist in der nach Art. 22 authentischen englischen Fassung in ILM 38 (1999), 517 ff., abgedruckt; für eine deutsche Übersetzung s. http://www.unece.org/env/pp/docu ments/cep43g.pdf. 567 von Danwitz, NVwZ 2004, 272, 273. 568 Art. 1 des Übereinkommens spricht eindeutig von „Rechten“, die jede Vertragspartei den Bürgern gewährleisten muss. 569 s. Art. 4 des Übereinkommens; eine – weite – Definition des Begriffes „Information über die Umwelt“ findet sich in Art. 2, 3. des Übereinkommens. 570 Art. 6 bis 9 des Übereinkommens. 571 Im Anhang I zum Übereinkommen sind die Tätigkeiten aufgeführt, über die mit Öffentlichkeitsbeteiligung obligatorisch entschieden werden muss. Bei sonstigen
250
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
und Überarbeitung umweltbezogener Pläne und Programme.572 Die Richtlinie 2003/35/EG573 setzt diese beiden Pfeiler des völkerrechtlichen AarhusÜbereinkommens in Gemeinschaftsrecht um.574 Zum einen passt die Richtlinie 2003/35/EG in Bezug auf Anlagenzulassungsverfahren die UVP-Richtlinie 85/337/EWG575 und die IVU-Richtlinie 96/61/EG576 an und stellt somit die Übereinstimmung mit Art. 6 und 9 des Übereinkommens sicher.577 Zum anderen enthält sie für die Aus- und Überarbeitung umweltbezogener Pläne und Programme einheitliche gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zur Anpassung bestimmter Richtlinien und stellt somit die Übereinstimmung mit Art. 7 des Übereinkommens sicher.578 b) Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens Die Richtlinie 2003/35/EG verlangt, dass die Öffentlichkeit frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit zur Beteiligung sowohl an den Verfahren zur Aus- und Überarbeitung umweltbezogener Pläne und Programme als auch an den Anlagenzulassungsverfahren erhält.579 Bei der konkreten Tätigkeiten, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können, ist die Öffentlichkeit nur fakultativ zu beteiligen, vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. a und lit. b des Übereinkommens. 572 Vgl. Art. 7 des Übereinkommens. Art. 8 des Übereinkommens unterstellt eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und/oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente lediglich dem „Bemühen“ der Vertragsparteien. 573 Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten; ABl. L 156/17 v. 25.6.2003. 574 Der erste Pfeiler des Informationszugangsrechts wurde durch die Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. L 41/26 vom 14.2.2003, in Gemeinschaftsrecht umgesetzt. 575 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175/40 vom 5.7.1985; geändert durch die Richtlinie 97/11/EG, ABl. L 73/5 vom 14.3.1997. 576 Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 257/26 vom 10.10.1996. 577 Art. 1 lit. b und Art. 3 und 4 der Richtlinie 2003/35/EG. 578 Art. 1 lit. a und Art. 2 i. V. m. Anhang I der Richtlinie 2003/35/EG. 579 Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 3 Nr. 4 Abs. 4, Art. 4 Nr. 3 lit. a Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/EG.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
251
Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren bleibt den zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden mangels präziser Vorgaben durch die Richtlinie jedoch ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum.580 Im Folgenden werden die von der Richtlinie aufgestellten Vorgaben, also der gemeinschaftsrechtliche Rahmen für die Öffentlichkeitsbeteiligung, zusammengefasst. Erstens ist die Öffentlichkeit durch öffentliche Bekanntmachung oder auf anderem geeigneten Wege, wie durch elektronische Medien, über (Änderungs-)Vorschläge für umweltbezogene Pläne und Programme sowie über Zulassungsanträge für Anlagen zu unterrichten. Der Öffentlichkeit sind die einschlägigen Informationen über diese Vorschläge und Anträge, auch über ihr Beteiligungsrecht und die zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden, zugänglich zu machen. Die Öffentlichkeit hat dann zweitens das Recht, zu den Vorschlägen und Anträgen Stellung zu nehmen, und zwar zu einem frühen Zeitpunkt, in dem noch alle Optionen offen stehen und noch keine Entscheidungen getroffen sind. Dies kann durch schriftliche Eingaben oder im Rahmen mündlicher Anhörungen erfolgen. Diese Stellungnahmen und Meinungsäußerungen sind drittens bei der behördlichen Entscheidung angemessen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollen die zuständigen Behörden abschließend in angemessener Weise die Öffentlichkeit über die getroffenen Entscheidungen und die zugrunde liegenden Erwägungen sowie über das Beteiligungsverfahren unterrichten.581 Während das Recht zur Beteiligung bei umweltbezogenen Plänen und Programmen nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ gewährt wird, steht das Recht zur Beteiligung an Anlagenzulassungsverfahren allgemein der Öffentlichkeit zu, die jedoch von den zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden zu ermitteln ist.582 Unter den Begriff der Öffentlichkeit fallen „ein oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstattlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“.583 Demgegenüber gilt die Öffentlichkeit als betroffen, die von einer umweltbezogenen Entscheidungsverfahren über die Erteilung oder Aktualisierung einer Genehmigung oder von Genehmigungsauflagen betroffen oder wahrscheinlich betroffen ist oder ein Interesse daran hat.584 580 Werres, DVBl. 2005, 611, 615 f.; vgl. Art. 2 Abs. 3 UAbs. 2 der Richtlinie 2003/35/EG, wonach die Mitgliedstaaten die genauen Bestimmungen für die Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltbezogenen Plänen und Programmen zwecks einer effektiven Vorbereitung und Beteiligung der Öffentlichkeit festlegen. 581 Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Nr. 4 und 6, Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2003/35/EG. 582 Art. 2 Abs. 2 und 3, Art. 3 Nr. 4 Abs. 3, Art. 4 Nr. 3 lit. a Abs. 1; vgl. Art. 6 Abs. 2, 5, 6 und Art. 7 des Übereinkommens. 583 Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Nr. 1, UAbs. 1, Art. 4 Nr. 1 lit. b Nr. 13 der Richtlinie 2003/35/EG; vgl. Art. 2 Nr. 4 des Übereinkommens.
252
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
c) Geltendmachung des Beteiligungsrechts: Überprüfungsverfahren Zur wirksamen Durchsetzung des Beteiligungsrechts sieht die Richtlinie 2003/35/EG vor, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren erhalten. Entweder müssen die Kläger ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrens- bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies erfordert. Die Mitgliedstaaten bestimmen im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt. Die Klagebefugnis von Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, wird unwiderlegbar vermutet. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens ist die materiell- und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen. Das Verfahrensstadium, in dem die Anfechtung dieser Akte erfolgen kann, legen die Mitgliedstaaten fest. Die Richtlinie schließt die Möglichkeit eines vorausgehenden Überprüfungsverfahrens bei einer Verwaltungsbehörde nicht aus. Das Überprüfungsverfahren soll fair, gerecht, zügig durchgeführt werden und keine übermäßigen Kosten verursachen. Die Mitgliedstaaten machen der Öffentlichkeit praktische Informationen über den Zugang zu den verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren zugänglich.585 d) Ergebnis Die Ausarbeitung eines Rechtsrahmens für die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU kann sich an den Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung an verwaltungsbehördlichen Entscheidungen und Verfahren im Umweltrecht orientieren. Rechtsgrundlage ist das mittlerweile in Gemeinschaftsrecht transformierte Aarhus-Übereinkommen, das ein umfassendes Recht auf Zugang zu Informationen, ein Recht auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten sowie ein Recht auf Zugang zu Gerichten zur Durchsetzung der ersten beiden Rechte gewährt.
584 Art. 3 Nr. 1, UAbs. 2, Art. 4 Nr. 1 lit. b Nr. 14 der Richtlinie 2003/35/EG; vgl. Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens. Bemerkenswerterweise sehen die Bestimmungen die Fiktion vor, dass Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse haben. 585 Art. 3 Nr. 7, Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35/EG.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
253
III. Anforderungen an den rechtlichen Rahmen für die Bürgerbeteiligung Die folgenden Vorschläge über die Schaffung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens für die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU stellen nur eine grobe Skizzierung dar. Sie sollen lediglich einen Anstoß zu grundlegenden Diskussionen geben sowie weitergehende Überlegungen und Untersuchungen veranlassen. Bürgerbeteiligung darf nicht länger nur ein faktisches Phänomen bleiben, sondern bedarf einer verbindlichen, einheitlichen rechtlichen Regelung. Das Fundament eines Rechtsinstituts Bürgerbeteiligung muss eine solide Rechtsgrundlage sein, die allen gesellschaftlichen Kräften die Möglichkeit zur Beteiligung gewährt (unter 1.). Die Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren muss sich an den Grundsätzen der Transparenz und Nicht-Diskriminierung ausrichten (unter 2.). Im Fall eines Verstoßes gegen das Beteiligungsrecht muss den Bürgern eine Rechtsschutzmöglichkeit zustehen, die eine formelle Überprüfung des Beteiligungsverfahrens ermöglicht (unter 3.). Zu beantworten ist dabei auch die Frage, wie das Bemühen um die Schaffung eines verbindlichen Rechtsrahmens mit dem Bedürfnis nach praktikablen Beteiligungsverfahren und effizienten Rechtsetzungsverfahren einhergeht. 1. Rechtsgrundlage Es ist zwischen der Rechtsgrundlage für die Beteiligung, also für die Mitwirkung an einem Beteiligungsverfahren, einerseits [unter a)] und der Rechtsgrundlage für eine formelle Kontrolle der Durchführung des Beteiligungsverfahrens, also für den Zugang zu einem Überprüfungsverfahren, andererseits [unter b)] zu unterscheiden. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst [unter c)]. a) Primär- und sekundärrechtliches Recht auf Beteiligung Im geltenden Primärrecht ist die Bürgerbeteiligung nur für den Sozialen Dialog in Art. 138 EG sowie in dem Protokoll Nr. 7 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit geregelt. Der Anwendungsbereich ist beschränkt.586 Der Anforderung einer rechtsverbindlichen, alle Gemeinschaftspolitiken betreffenden und alle Beteiligungsarten umfassenden Regelung genügen diese Bestimmungen nicht. Eine sol586
s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. IV. 1.
254
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
che rechtsverbindliche Regelung, die allen Unionsbürgern – als Einzelnem oder als Mitglied von organisierten Gruppen – eine Rechtsstellung einräumt, die die Teilnahme an Beteiligungsverfahren in allen Gemeinschaftspolitiken ermöglicht und die im Falle der Nichtbeachtung auch justiziabel ist, sollte dem Grundsatz nach im Primärrecht selbst verankert sein. Die einzige, alle Gemeinschaftspolitiken umfassende Regelung im gemeinschaftlichen Sekundärrecht ist die Mitteilung der Kommission über allgemeine Grundsätze und Mindeststandards zur Durchführung von Konsultationsverfahren. Sie ist jedoch aufgrund ihres unverbindlichen Rechtscharakters keine ausreichende Rechtsgrundlage für Verfahren der Bürgerbeteiligung.587 Einen wichtigen Schritt in die Richtung einer primärrechtlichen Verankerung eines solchen Beteiligungsrechts läge in dem Inkrafttreten des Reformvertrages, der die Grundsätze der repräsentativen und partizipativen Demokratie des Verfassungsvertrages übernimmt. Das in Art. I-46 Abs. 3 VV verankerte Recht aller Unionsbürger, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen, bezieht sich nicht nur auf das in Art. I-46 Abs. 2 VV normierte Wahlrecht, sondern gerade auch auf die in Art. I-47 Abs. 1 bis 3 VV normierten Beteiligungsrechte, die in engem Zusammenhang mit Art. I-46 Abs. 3 VV zu lesen sind. Der Wortlaut von Art. I-47 Abs. 1 bis 3 VV lässt gegenüber dem allgemeinen, umfassenden Teilhaberecht aus Art. I-46 Abs. 3 VV gewisse Einschränkungen hinsichtlich Anwendungsbereich, Umfang und Adressatenkreis der Beteiligungsverfahren erkennen.588 Aus diesem Grunde ist die Normierung eines gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrechtsakts wünschenswert, der die Vorschriften des Verfassungsvertrages konkretisiert und klarstellt, dass alle Unionsbürger das Recht zur Teilnahme an Verfahren jeglicher Beteiligungsform in allen Gemeinschaftspolitiken haben. Problematisch ist in dieser Hinsicht allerdings, dass weder Art. I-46 Abs. 3 VV noch Art. I-47 Abs. 1 bis 3 VV eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Sekundärrecht beinhalten, wie es z. B. Art. 255 EG für den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der EU-Organe vorsieht. Aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 EG normierten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung erscheint es nicht unbedenklich, aus den Bestimmungen des Verfassungsvertrages eine ausreichende Ermächtigung zum Erlass von Sekundärrecht zu lesen. Aus diesem Grunde wäre die Aufnahme einer solchen ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage in das Primärrecht wünschenswert. 587 s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. IV. 2.; 2. Teil, 2. Kap., A. II. und 2. Teil, 2. Kap., C. II. 1. b). 588 s. o. 2. Teil, 2. Kap. B. II., C. III.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
255
Als ein solcher Akt des Sekundärrechts zur Konkretisierung der primärrechtlichen Bestimmungen kommt der Handlungsform nach allein eine Verordnung im Sinne von Art. 249 Abs. 2 EG in Frage. Erforderlich ist ein in doppelter Hinsicht verbindlicher Rechtsakt. Zum einen muss er in Abgrenzung zu einer Stellungnahme oder Mitteilung überhaupt unmittelbar Rechtswirkungen erzeugen und somit justiziabel sein. Zum anderen eignet sich eine Verordnung besser als eine Richtlinie zur Schaffung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens für Beteiligungsverfahren. Im Gegensatz zu Richtlinien können Verordnungen unmittelbar Rechte für Unionsbürger begründen. Sie bedürfen keiner Umsetzung in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, sondern sind aufgrund der unmittelbaren Geltung automatisch deren Bestandteil.589 Diese Charakteristika verdeutlicht die beispielhafte Verordnung 1049/ 2001590 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der EU-Organe, die Anwendungsbereich, Modalitäten und Grenzen des in Art. 255 EG verankerten Informationszugangsrecht konkretisiert.591 Diese Verordnung gewährt allen Unionsbürgern – sowie allen natürlichen und juristischen Personen mit Sitz bzw. Wohnsitz in einem Mitgliedstaat – das Recht, von Kommission, Rat und Europäischem Parlament grundsätzlich592 alle Dokumente593 zu verlangen, die einen Sachverhalt im Zusammenhang mit diesen EU-Organen betreffen und die unabhängig vom Urheber des Dokuments im Besitz dieser EU-Organe sind.594 Die VO 1049/2001 sieht ein detailliertes zweistufiges Antragsverfahren sowie ein Zugangsverfahren im Falle eines stattgegebenen Antrags in den Art. 6 bis 10 vor. Die bisherige 589
Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 56 ff. VO 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2001, ABl. L 145/43 v. 31.5.2001. Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 255 EGV Rn. 5, weist darauf hin, dass bei der Ausarbeitung dieser Verordnung die Vorschriften über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen des Aarhus-Übereinkommens (Art. 4, 9 Abs. 1) Berücksichtigung fanden; dazu s. o. 2. Teil, 3. Kap., D. II. 2. a); zur VO 1049/2001 allgemein s. Bartelt/Zeitler, EuR 2003, 487; de Leeuw, ELRev (2003) 28, 324; Wägenbaur, EuZW 2001, 680; zur Entwicklung allgemeiner sowie sektorspezifischer Dokumentenzugangsregelungen s. Nowak, DVBl. 2004, 272. 591 Dem Inhalt nach entspricht Art. 255 EG nunmehr Art. I-50 Abs. 2 und 3 VV, die auf Art. III-399 VV verweisen. Dazu gewährleistet Art. II-102 VV ebenfalls ausdrücklich das (Grund-)Recht aller Unionsbürger auf Zugang zu Dokumenten. Dieses als Informationsfreiheit bezeichnete Recht gilt als Ausdruck des Demokratieprinzips in der Form des Transparenz- und Öffentlichkeitsgrundsatzes (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 EU), s. 1. und 2. Erwägungsgrund der VO 1049/2001. 592 Ausnahmeregelungen sind in Art. 4 VO 1049/2001 aufgeführt. 593 Als Dokument gelten alle Inhalte unabhängig von der Form des Datenträgers, Art. 3 lit. a VO 1049/2001. 594 Art. 2 Abs. 1 und 3 VO 1049/2001. 590
256
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
Praxis zeigt die wirkungsvolle Anwendung dieser Verordnung als einheitlicher Rechtsrahmen für das Dokumentenzugangsrecht.595 b) Primär- und sekundärrechtliches Recht auf Überprüfung Der rechtliche Rahmen für die Bürgerbeteiligung darf sich nicht nur auf die Gewährung eines Beteiligungsrechts beschränken, sondern muss zu dessen effektiver praktischer Durchsetzung auch eine Kontrolle der Durchführung der Beteiligungsverfahren und somit der Achtung des Beteiligungsrechts vorsehen. Das geltende gemeinschaftsrechtliche Primär- und Sekundärrecht sieht kaum Rechtsschutz für Beteiligte vor. Für den Spezialfall des Sozialen Dialogs kann ein Rechtssatz lediglich angefochten werden, wenn gar kein Anhörungsverfahren im Sinne des Art. 138 EG durchgeführt worden ist. Das Europäische Gericht erster Instanz hat einen solchen Rechtsakt für nichtig erklärt.596 Das Subsidiaritätsprotokoll verpflichtet lediglich die Kommission zur Durchführung von Anhörungsverfahren, ohne an der Teilnahme interessierten Parteien eine Rechtsposition zu gewähren. Die Mitteilung der Kommission über allgemeine Grundsätze und Mindeststandards zur Durchführung von Konsultationsverfahren, ist nicht rechtsverbindlich.597 Sieht man in Art. I-46 Abs. 3 VV i. V. m. Art. I-47 Abs. 1 bis 3 VV eine hinreichend bestimmte Normierung eines Rechts der Unionsbürger auf Teilhabe am demokratischen Leben in der Union für die in Art. I-47 Abs. 1 bis 3 VV aufgezählten Formen der Beteiligung, ist den Unionsbürgern bei einem Verstoß gegen dieses Recht ebenfalls das justizielle (Grund-)Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gemäß Art. II-107 VV anzuerkennen.598 Nach Art. II-107 Abs. 1 und 2 VV hat jede Person, deren durch Primär- oder Sekundärrecht garantierte Rechte verletzt worden sind, ihrerseits das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, d.h. das Recht, dass die Sache von einem unabhängigen, unparteiischen, gesetzlich errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Damit sind aber weder Umfang noch Voraussetzungen des zu gewährenden 595 Kommission, KOM(2004) 45 endg., Bericht über die Anwendung der Grundsätze der VO (EG) Nr. 1049/2001, v. 30.1.2004, gemäß Art. 17 Abs. 2 VO 1049/2001. 596 EuG, Urteil v. 17. Juni 1998, T-135/96, UEAPME/Rat, Slg. 1998, II-2338; s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. IV. 1. 597 Kommission, KOM(2002) 704 endg. vom 11.12.2002. 598 Schon vor der Kodifizierung dieses Justizgrundrechts in der Grundrechtecharta wurde nach der Rechtsprechung des EuGH ein umfassender Schutz durch die Anerkennung eines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht gewährt, vgl. Streinz, in: ders., EUV/EGV, Art. 47 GR-Charta Rn. 1, 4 ff.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
257
Rechtsschutzes bestimmt. Das justizielle Grundrecht fordert auch nur ein gerichtliches, kein verwaltungsbehördliches Überprüfungsverfahren. Eine Verordnung, die allen Unionsbürgern ein umfassendes Beteiligungsrecht gewährt und die Durchführung aller Beteiligungsverfahren für sämtliche Gemeinschaftspolitiken regelt, sollte auch das (Grund-)Recht auf effektiven Rechtsschutz in Form eines verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahrens gewähren und ausgestalten. Wiederum kann auch das Beispiel der VO 1049/2001 aufgegriffen werden. So sehen Art. 7 Abs. 2 und 4 VO 1049/2001 vor, dass der Antragsteller im Fall einer Ablehnung des Erstantrags auf Dokumentenzugang binnen fünfzehn Arbeitstagen nach Eingang des ablehnenden Antwortschreibens oder im Fall des Ausbleibens einer Antwort innerhalb der vorgeschriebenen Frist einen Zweitantrag an das jeweilige EU-Organ richten kann, um eine Überprüfung der Entscheidung zu erreichen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 und 3 VO 1049/2001 kann der Antragsteller im Falle der erneuten, schriftlich zu begründenden und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Ablehnung oder im Fall eines erneuten Ausbleibens einer Antwort mögliche Rechtsbehelfe einlegen, vor allem Klage gegen das EU-Organ gemäß Art. 230 Abs. 4 EG oder Beschwerde beim Bürgerbeauftragten gemäß Art. 195 EG. c) Ergebnis Geeignete Rechtsgrundlage sowohl für das Beteiligungsrecht als auch das Überprüfungsrecht ist ein rechtsverbindlicher Gemeinschaftsrechtsakt in Form einer Verordnung, die die primärrechtlichen Vorgaben des Verfassungsvertrages konkretisiert und unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar ist. Die VO 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der EU-Organe dient dabei als Vorbild. 2. Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens Der Rechtsrahmen für die Durchführung von Beteiligungsverfahren muss auf allen Stufen die Grundsätze der Transparenz599 und der demokratischen Gleichheit600 in größtmöglichem Umfang verwirklichen. Die Nutzung der zahlreichen Kommunikationsformen, die über das Internet erfolgen kann, erweist sich aus Gründen der Praktikabilität und Effizienz als unentbehrlich. Ohne die Möglichkeit, Informationen in unbegrenzter Menge auf Webseiten 599 Für eine allgemeine und ausführliche Untersuchung zu Begriff und Funktion von Transparenz in den Rechtsetzungsverfahren der Union s. Sobotta, Transparenz in den Rechtsetzungsverfahren der EU, 2001. 600 s. o. 2. Teil, 3. Kap., C.
258
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
zu veröffentlichen sowie elektronische Nachrichten zu übermitteln und zu speichern, ist die Durchführung von Beteiligungsverfahren, die demokratische Qualität aufweisen, praktisch kaum durchführbar.601 Bei der rechtlichen Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren kann zwischen den folgenden Phasen unterschieden werden, die demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen genügen müssen. Zunächst muss allen Unionsbürgern jegliches Legislativvorhaben mit detaillierten Angaben zum Ablauf des jeweiligen Beteiligungsverfahrens bekannt gemacht werden [unter a)]. Alle Unionsbürger müssen mit der Abgabe ihres schriftlichen oder mündlichen Inputs offen legen, welche Interessen sie vertreten [unter b)]. Die Teilnahme an einem Beteiligungsverfahren muss registriert werden, wobei je nach Beteiligungsart unterschiedliche Anforderungen an die Form der Registrierung zu stellen sind [unter c)]. Für die Teilnahme an öffentlichen Anhörungen sind aufgrund der begrenzten räumlichen und zeitlichen Kapazitäten Auswahlkriterien zu bestimmen, die die Beachtung des Grundsatzes der demokratischen Gleichheit im größtmöglichen Umfang wahren [unter d)]. Die EU-Organe müssen nach Abschluss der Beteiligungsverfahren begründen, welcher Input in die Entscheidung einging und aus welchen Gründen dies geschah [unter e)]. Schließlich müssen sie den Ablauf des Beteiligungsverfahrens dokumentieren [unter f)]. a) Bekanntmachung Damit jeder Unionsbürger die Möglichkeit erhält, sich an der Ausarbeitung eines Rechtssatzes zu beteiligen und seine Überzeugungen und Interessen einzubringen, muss die Kommission frühzeitig die Durchführung von Konsultationsverfahren öffentlich bekanntgeben und alle relevanten Informationen mitteilen.602 Der zur Beteiligung berechtigte Personenkreis ist weit. Um alle Unionsbürger theoretisch zu erreichen, sind verschiedene Informationskanäle denkbar. Am praktikabelsten ist die Bekanntmachung über eine eigens für Konsultationsverfahren eingerichtete Webseite der Kommission.603 Diese Platt601
Die zunehmenden Möglichkeiten, die sich durch die Nutzung des Internets für die Beteiligung am Rechtsetzungsprozess, für die Errichtung eines öffentlichen Diskurses auf europäischer Ebene eröffnen, zeigen sich an der steigenden Anzahl an Untersuchungen und wissenschaftlicher Literatur zu dem Thema „e-democracy“. Allerdings begrenzen die technischen und intellektuellen Voraussetzungen für die Nutzung dieser Informationstechnologie momentan den Personenkreis noch stark. 602 Zur Verknüpfung des Begriffe Öffentlichkeit und Demokratie sowie zur Rolle der Öffentlichkeit bei der Rechtsetzung s. von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 72. 603 http://ec.europa.eu/yourvoice/index_de.htm.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
259
form hat sich für die bisherige punktuelle Durchführung von Anhörungsverfahren bewährt. Auf diese Weise können sämtliche relevanten Informationen kostengünstig, schnell und übersichtlich mitgeteilt werden. Zudem kann dem individuellen Bedürfnis nach weiterführenden Informationen über Links unmittelbar entsprochen werden. Dem Einwand, dass der flächendeckende Zugang aller Unionsbürger zum Internet auf absehbare Zeit nicht gesichert ist, ist entgegenzuhalten, dass dieses Problem auch andere Informationskanäle betrifft, beispielsweise die Bekanntmachung der Beteiligungsverfahren im Amtsblatt der EU in der Serie „C“ (Communications). Der Zugang zu dem Amtsblatt der EU dürfte für den durchschnittlichen Unionsbürger jedoch weitaus schwieriger als der Zugang zum Internet sein. Auch die Kostenpflichtigkeit eines Internetzugangs stellt heutzutage angesichts der zunehmenden Bereitstellung kostenloser Internetzugangsstellen in Rathäusern und vielen Gemeindeeinrichtungen keinen maßgeblichen Einwand dar. Eine Bekanntmachung ist schließlich auch über europäische, nationale oder regionale Zeitungen denkbar, jedoch aus Kostengründen und wegen der begrenzten veröffentlichbaren Informationsmenge unpraktikabel. Eine individuelle Benachrichtigung von Unionsbürgern oder organisierte Gruppen kann mittels E-Mail-Verteilern für registrierte Interessenten in bestimmten Bereichen der Gemeinschaftspolitik erfolgen. Die bekannt zu gebenden Informationen betreffen zum einen das Gesetzesvorhaben und zum anderen das Beteiligungsverfahren. Die Kommission muss hinreichend konkrete Angaben zu dem geplanten Gesetzesvorhaben machen und zusätzlich einen konkreten Katalog mit Fragen bzw. Punkten erstellen, zu denen die Kommission vorrangig an Stellungnahmen und Sachverstand interessiert ist. Die von der Kommission veröffentlichten Grün- und Weißbüchern, aber auch die Mehrzahl an Mitteilungen, die Konsultationsverfahren einleiten, genügen diesen Anforderungen. Da die Erarbeitung dieser zumeist sehr umfangreichen Dokumente erhebliche personelle Ressourcen beanspruchen, kann dieser Standard nicht erwartet werden, wenn Konsultationsverfahren zu jedem Vorschlag eines Rechtsakts bzw. dessen Änderung durchgeführt werden sollen. Die Kommission muss zudem Informationen zum konkreten Ablauf des Beteiligungsverfahrens machen, insbesondere zu Form, Frist und Adressat der erwünschten Eingabe. Auch hier erscheint die Praxis der Kommission bislang angemessen. Jedem an einer Beteiligung interessierten Unionsbürger muss ausreichend Zeit für die Einbringung des Inputs zur Verfügung stehen. Die Frist zur Einreichung schriftlicher Eingaben muss angemessen sein und mehrere Wochen betragen. Größere Gruppen wie nationale oder europäische Verbände haben in Bezug auf die Vorschläge der Kommission zu den Mindeststandards für Konsultationen angemerkt, dass eine Frist von sechs Wochen nicht ausreichend sei, eine Stellungnahme unter Mitwirkung aller Mitglieder zu erstel-
260
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
len.604 Die Bekanntmachung muss zudem zu einem frühzeitigen Zeitpunkt erfolgen, an dem noch die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Inhalt des Vorschlags besteht. Die zeitliche Begrenzung für Konsultationsverfahren soll eine übermäßige Verzögerung der Beteiligungsverfahren und somit des Rechtsetzungsverfahrens insgesamt vermeiden.605 b) Identifizierung Jede Person, die als Einzelner oder als Vertreter einer Gruppe an einem Beteiligungsverfahren teilnimmt, muss anzeigen, welche Interessen sie vertritt. Diese Verpflichtung zur Offenlegung ist unabhängig von der Beteiligungsart und bezieht sich auf die Abgabe schriftlichen wie mündlichen Inputs. Auf diese Weise erhält das die Beteiligung durchführende EU-Organ Klarheit über die Identität der Person bzw. der repräsentierten Organisation. Dies mag für die Eingabe durch eine Privatperson von geringer Bedeutung sein. Anders ist dies bei umfangreichen Stellungnahmen und wissenschaftlichen Gutachten, die objektiven Sachverstand zu vermitteln vorgeben, oder bei informellen Gesprächen zwischen Vertretern von EU-Organen und Vertretern von Interessengruppen. Eine Offenlegung der vertretenen Interessen ist für eine objektive Bewertung und Einordnung der schriftlichen oder mündlichen Eingabe durch das jeweilige EU-Organ unabdingbar. Sämtliche Organisationen, die unmittelbar über einen eigenen Repräsentanten oder mittelbar über einen externen Dritten in Kontakt mit EU-Organen treten, müssen zusätzlich ihre Aufgaben und ihre Finanzierung offen legen.606 Zum Zwecke einer optimalen Verwirklichung des Transparenzgrundsatzes ist diese Information auch der Öffentlichkeit in geeigneter Form bekanntzugeben. Der Beitrag, mit dem sich gerade Interessengruppen in den Rechtsetzungsprozess einbringen, muss transparent sein. Ob die bloße Darlegung der erforderlichen Angaben ausreicht und die EU-Organe auf die Richtigkeit dieser Angaben vertrauen oder ob irgendeine Form der Glaubhaftmachung und der Versicherung der Richtigkeit der Angaben zu fordern ist, muss die Praxis aufzeigen. Eine relativ hohe Anzahl an Fällen, in denen gegenüber den EU-Organen unrichtige Angaben gemacht werden, würde eine gewisse Kontrolle oder Sicherstellung der Korrektheit der Angaben erforderlich machen.
604
Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 12. Kommission, ebd., 10. Die Kommission betont, dass die Konsultationszeiträume einen Ausgleich darstellen müssen zwischen der Notwendigkeit eines angemessenen Inputs und der Notwendigkeit einer raschen Entscheidungsfindung. 606 Vgl. Kommission, KOM(2006) 194 endg. v. 3.5.2006, 5. 605
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
261
c) Registrierung Bei der Registrierung muss zwischen schriftlichen und mündlichen Eingaben unterschieden werden, da mit ihnen jeweils unterschiedliche Zwecke verfolgt werden. Jeder postalisch oder elektronisch übermittelten schriftlichen Eingabe ist mit Eingang bei dem EU-Organ eine Nummer bzw. ein Aktenzeichen zuzuordnen, um eine spätere Identifizierung der Eingabe zu ermöglichen und in einem ersten Schritt zu verhindern, dass die Eingabe ohne jegliche Beachtung und Bearbeitung verschwindet. Per E-Mail übermittelte Eingaben können automatisch bei Eingang in die Mailbox registriert werden. Postalisch übermittelte Eingaben sind von einer Registratur zu erfassen, vergleichbar mit dem Eingang eines Schriftstücks bei Gericht. Der Zweck einer solchen Registrierung würde durch eine an den Urheber gesendete Eingangsbestätigung verstärkt. Dies kann unproblematisch bei elektronisch übermittelten Eingaben durch eine standardisierte Bestätigung erfolgen, die automatisch nach Eingang und Registrierung der Eingabe an den Absender zurückgesendet wird. Diese Eingangsbestätigung zeigt auch die Nummer bzw. das Aktenzeichen an, unter dem die Eingabe registriert ist. Aufwendiger ist die Übermittlung einer Eingangsbestätigung bei postalischen Eingaben, die jedoch angesichts der steigenden Verbreitung elektronischer Konsultationsverfahren zukünftig geringere Bedeutung haben. In diesem Fall könnte die Eingangsbestätigung postalisch oder elektronisch erfolgen. Postalisch versendete Eingangsbestätigungen erzeugen erhebliche Porto-Kosten, wenn Konsultationsverfahren in sämtlichen Gemeinschaftspolitiken bei der Ausarbeitung eines jeden Gesetzesvorschlags durchgeführt werden. Auch werden bei der Erstellung postalisch versendeter Eingangsbestätigungen nicht unerhebliche personelle Ressourcen innerhalb des EUOrgans gebunden. Zumindest letzteren Nachteil hätte auch die elektronische Übermittlung von Eingangsbestätigungen. Die Registrierung mündlicher Eingaben erfolgt ebenfalls aus Gründen der Transparenz. Bei mündlichen Eingaben ist zwischen informellen Gesprächen zwischen EU-Bediensteten bzw. Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie Vertretern von Interessengruppen einerseits und öffentlichen Anhörung von Vertretern von Interessengruppen vor Dienststellen der Kommission oder Ausschüssen des Europäischen Parlaments oder des EWSA zu unterscheiden. Die im Rahmen von öffentlichen Anhörungen erfolgenden Eingaben in Form eines Vortrages oder einer Antwort auf eine punktuelle Frage werden zumeist protokolliert und liegen somit in elektronischer Schriftform vor. Auch sie sind mit einer Nummer bzw. einem Aktenzeichen zu versehen. Problematisch sind informelle Gespräche, da in der Regel jegliche Aufzeichnung fehlt. Zur Wahrung eines Mindestmaßes an Transparenz müssen sämtliche Gespräche, Treffen und sonstigen Kontakte unter Angabe
262
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
von Datum, Ort, Dauer und Thema dokumentiert werden. Bestehende Vorschriften zur rechtlichen Fassung des weit verbreiteten tatsächlichen Phänomens informeller Gespräche müssen ergänzt und rechtsverbindlich gemacht werden. Dies betrifft Akkreditierung und Verhaltenskodizes.607 Nicht vergessen werden darf, dass eine Vielzahl an informellen Gesprächen bei Treffen außerhalb von EU-Gebäuden stattfinden und nicht von den Vorschriften zur Akkreditierung erfasst werden. Schließlich sind alle Eingaben zum Zwecke der Transparenz der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Praktikabel ist eine umfassende Veröffentlichung nur über das Internet. Bei in elektronischem Format vorliegenden Dokumenten ist dies mit verhältnismäßig geringem personellem und zeitlichem Aufwand möglich, wie es die Kommission schon zurzeit im Rahmen punktueller Konsultationsverfahren praktiziert.608 Postalisch übermittelte Eingaben müssten erst in ein elektronisches Format gebracht werden. Dieser Vorgang des Einscannens bindet wiederum gewisse personelle Ressourcen, kann ansonsten aber problemlos erfolgen. d) Selektion Ein besonderes Problem besteht bei Ausschüssen und öffentlichen Anhörungen, an denen aufgrund organisatorischer, funktionaler, räumlicher und zeitlicher Zwänge nur eine begrenzte Anzahl an Personen teilnehmen kann. Die Dauer einer öffentlichen Anhörung liegt zwischen wenigen Stunden und einigen Tagen, die Dauer der Intervention eines Teilnehmers kann nur wenige Minuten, aber auch bis zu einer Stunde oder länger betragen. Aufgrund der Verschiedenheit von Anlass, Ziel, Umfang, Sachgebiet, Organisator und Adressatenkreis öffentlicher Anhörungen kann man keine durchschnittliche Teilnehmerzahl bestimmen. Damit Ausschüsse noch effektiv arbeiten können, ist die Mitgliederzahl ebenfalls auf eine niedrige zweistellige Zahl zu begrenzen. Um dem Grundsatz demokratischer Gleichheit zu gewährleisten, muss jede interessierte Partei, d.h. jeder einzelne Unionsbürger, jedes Unternehmen, jede Interessengruppe, die Möglichkeit haben, Mitglied eines Ausschusses zu werden und an einer öffentlichen Anhörung teilnehmen zu können.609 Daraus folgt zunächst einmal eine Pflicht des jeweiligen EU-Organs zur öffentlichen „Ausschreibung“ der Teilnahme an jeglicher öffentlichen 607 Vorschriften zur Vergabe von Zugangsberechtigungen zu Gebäuden von EU-Organen hat nur das Europäische Parlament erlassen; s. o. 2. Teil, 1. Kap., D. IV. 2. 608 Bsp. http://ec.europa.eu/yourvoice/index_de.htm. 609 So auch die Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 11.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
263
Anhörung. Die Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes schließt jedoch nicht die Möglichkeit des EU-Organs aus, zielgerichtet einen Personenkreis zu nennen, an dessen Input es besonders interessiert ist. Die Anforderungen an eine solche Bekanntmachung sind die gleichen wie die an die Bekanntmachung der Durchführung allgemeiner Beteiligungsverfahren anlässlich jeder Initiative der Kommission zum Erlass eines Rechtssatzes. Es gibt zahlreiche Kriterien, die bei der Auswahl der Teilnehmer an öffentlichen Anhörungen und der Mitglieder in Ausschüssen angewendet werden. Die Kommission misst der Repräsentativität einer Organisation bzw. Gruppe eine große Bedeutung zu, weist aber auch darauf hin, dass nationale/regionale oder sektorale Überzeugungen und Erfahrungen von Bedeutung sein können.610 Der EWSA hat eine ganze Reihe weiterer Selektionskriterien benannt.611 Da die Durchführung öffentlicher Anhörungen und die Heranziehung beratender Ausschüsse immer eine Vielzahl an interessierten Personen ausschließen und somit den Grundsatz demokratischer Gleichheit612 bei der Durchführung von Beteiligungsverfahren verletzen, sind sie nur in möglichst begrenztem Umfang durchzuführen. Die EU-Organe sollten bemüht sein, sich auf die Durchführung schriftlicher Konsultationsverfahren zu beschränken und durch eine sorgfältige und zielgerichtete Formulierung von Aufgaben- und Fragestellungen die erwünschten Informationen als Sachverstand, Erfahrungsbericht oder Meinungsäußerung zu erhalten. e) Bearbeitung und Berücksichtigung des Input-Feedback Nach Beendigung des Beteiligungsverfahrens fließt der von den Beteiligten eingebrachte Input in Form mündlicher oder schriftlicher Eingaben in die Ausarbeitung des jeweiligen Dokuments des EU-Organs, das ein Beteiligungsverfahren durchgeführt hat. Ein solcher Rechtsakt kann einerseits der Vorschlag eines Rechtssatzes durch die Kommission, der das formelle Rechtsetzungsverfahren einleitet und an Rat und Europäisches Parlament weitergeleitet wird, andererseits die Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und des EWSA zu einem Kommissionsvorschlag sein. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Eingabe eines jeden Beteiligten 610
Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 11. EWSA, Stellungnahme zum Thema „Europäisches Regieren – ein Weißbuch“ vom 20. März 2002, CES 357/2002, http://eesc.europa.eu/sco/docs/ces357-2002_ ac_de.pdf. 612 In Bezug auf den Grundsatz demokratischer Gleichheit ist die Vorfrage zu stellen, ob zu beteiligende Individuen und Gruppen, die über geringere finanzielle Mittel verfügen als andere Beteiligte wie z. B. Verbände, hoheitlich zu unterstützen sind, und nach welchen Kriterien und mit welchen Mitteln die Unterstützung durchgeführt werden soll. 611
264
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
inhaltlich in den Rechtsakt einfließt, obliegt ausschließlich dem jeweiligen EU-Organ, das die alleinige Verantwortung dafür innehat, durch einen Ausgleich der Vielzahl an Partikularinteressen zu einer gemeinwohlorientierten Entscheidung zu gelangen.613 Dieser materielle Abwägungs- und Entscheidungsvorgang entzieht sich einer unmittelbaren rechtlichen Regelung. Das Beteiligungsrecht der Unionsbürger umfasst nicht zugleich einen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Eingabe in dem auszuarbeitenden Rechtsakt. Damit das Beteiligungsrecht aber nicht bloß eine formelle, wirkungslose Hülle bleibt, sondern seine demokratische und legitimatorische Qualität entfalten kann, muss sichergestellt sein, dass jede Eingabe eines Unionsbürgers als Individuum oder als Mitglied bzw. Vertreter einer Gruppe Gegenstand einer ernsthaften Bearbeitung durch das EU-Organ ist, welches das Beteiligungsverfahren durchführt. Die bloße Registrierung der Eingabe sichert noch keine inhaltliche Befassung durch das EU-Organ. Um eine individuelle Prüfung und Bewertung jeder Eingabe zu garantieren, könnten die EUOrgane zu einer individuellen Rückmeldung an jeden Beteiligten verpflichtet werden, in dem zu der Eingabe und den Gründen ihrer Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung Stellung genommen wird. Diese Stellungnahme soll kurz und schlüssig, aber nicht standardisiert erfolgen. Sie soll eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Eingabe belegen. Eine angemessene Bewertung der Eingaben sowie zusätzliche individuelle Feedback-Erklärungen erfordern bei einer regen Beteiligung der Unionsbürger an den Beteiligungsverfahren, die Ziel und Legitimationsgrund der Bürgerbeteiligung ist, einen erheblichen personellen und finanziellen Aufwand. Wenn nur ein geringer Anteil der EU-Bürger an einem Konsultationsverfahren teilnimmt, müsste das jeweilige EU-Organ Millionen von Eingaben bearbeiten.614 Dies stellt eine völlig andere Größenordnung dar als die bisherigen Konsultationsverfahren, bei denen sich die Anzahl der Eingaben in der Regel im dreistelligen Bereich hält.615 Die EUOrgane wären personell überhaupt nicht in der Lage, eine solche Flut an Eingaben zu bearbeiten. Eine entsprechende Aufstockung des Personals würde erhebliche finanzielle Kosten bereiten. Zudem wäre der organisatorische Aufwand immens, um bei der Bearbeitung einer so großen Anzahl an Eingaben weiterhin ein zügiges und effektives Rechtsetzungsverfahren zu 613
s. o. 2. Teil, 3. Kap., C. III. Greenwood, The White Paper on Governance, 2002, 1, 10, spricht daher auch von der Gefahr eines „overload of the system“. 615 Eising, Rainer/Kohler-Koch, Beate, in: dies., Interessenpolitik in Europa, 2005, 11, 59, bezweifeln daher, dass die mehr als 11.500 Projektideen, die in der Umsetzung des 6. Rahmenforschungsprogramms eingingen, von der Kommission – wie angekündigt – systematisch und abgewogen beurteilt werden konnten. 614
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
265
gewährleisten.616 Schon bei der jetzigen geringen Anzahl an Konsultationsverfahren, bei denen die Kommission die Mindeststandards einhält, bemerken die verantwortlichen Dienststellen, dass die Bewertung der Eingaben einen erheblichen zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet.617 Welche personellen und finanziellen Ressourcen notwendig wären, um eine angemessene Bearbeitung der Eingaben aller Bürger und Bürgerzusammenschlüsse einschließlich von individiuellem Feedback zu gewährleisten, und wie eine solche Bearbeitung effektiv und zügig zu organisieren wäre, muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Letztlich steht die Praktikabilität der Vorschläge zur Gewährleistung einer umfassenden Bürgerbeteiligung unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit und Organisierbarkeit. Die legitimationsergänzende Funktion der Bürgerbeteiligung würde einen gewissen zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand sowie eine gewisse Einbuße bei der Effektivität des Rechtsetzungsverfahrens rechtfertigen. f) Begründung und Dokumentation Auch wenn sich die inhaltliche Entscheidung der EU-Organe über das „Ob“ und „Wie“ der Berücksichtigung der Eingaben in den abschließenden Rechtsakt einer rechtlichen Regelung entzieht, muss dieser komplexe Abwägungs- und Entscheidungsvorgang zur Achtung des Grundsatzes der Transparenz und Rechtsstaatlichkeit der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Jedes EU-Organ muss in einem Anhang zu seinem Rechtsakt auf die Ergebnisse der Beteiligungsverfahren Bezug nehmen und den Inhalt der getroffenen Entscheidung begründen. Dieser in Art. 253 EG nur für die abschließend angenommenen, verbindlichen Rechtsakte der Richtlinie, Verordnung und Entscheidung vorgesehene Begründungspflicht unterliegen auch die Kommission für den Vorschlag sowie das Europäische Parlament und der EWSA für ihre jeweiligen Stellungnahmen. Inhalt und Umfang der Begründungspflicht können nicht allgemein festgelegt werden, sondern hängen von Umfang und Ergiebigkeit des Beteiligungsverfahrens ab. Die Begründung muss aber die maßgeblichen Vorbringen enthalten und sich auch mit im Laufe der Beteiligungsverfahren geäußerten, gegenteiligen Ansichten und Einwänden auseinandersetzen. Neben die Verpflichtung der EU-Organe, 616 Die Gefahr, die Effektivität der Rechtsetzungsverfahren erheblich zu beeinträchtigen, stellte das wesentliche Argument der Kommission zur Ablehnung des Vorschlags individuellen Feedbacks dar; Kommission, KOM(2002) 704 endg. v. 11.12.2002, 12. 617 Kommission, SEC(2007) 737, Annex to the Report form the Commission „Better Lawmaking 2006“ – KOM(2007) 286 endg., http://ec.europa.eu/govern ance/better_regulation/documents/sec_2007_0737_en.pdf, 4.
266
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
den Beteiligten individuelles Feedback zu ihren Eingaben zu geben, tritt somit die weitere Verpflichtung, der Öffentlichkeit aus einer übergreifenden Perspektive die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens und deren Einfluss auf die innerorganschaftliche Willensbildung zu begründen. Eine Begründungspflicht trifft weiterhin auch „den gemeinschaftlichen Gesetzgeber“ zum Abschluss des Rechtsetzungsprozesses. In dem endgültig angenommenen Rechtssatz muss er in Übereinstimmung mit Art. 253 EG die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in verständlicher Form darlegen, die zum Erlass des Rechtssatzes geführt haben.618 Diese Begründungspflicht wird ergänzt durch eine Dokumentationspflicht. So müssen die EU-Organe den Ablauf der von ihnen durchgeführten Beteiligungsverfahren detailliert im Anhang zu ihrem im Verlaufe des Rechtsetzungsprozesses angenommenen Rechtsakt zusammenfassen. Sie müssen insbesondere anzeigen, von wem sie Input erhalten haben, d.h. sie müssen die Namen und Funktionen der beteiligten Personen und Gruppen mit Referenz auf deren schriftliche oder mündliche Eingabe auflisten. g) Ergebnis Der Rechtsrahmen für die Bürgerbeteiligung muss unter größtmöglicher Beachtung der Grundsätze der Transparenz und der demokratischen Gleichheit die folgenden Regelungen treffen. Jedes Legislativvorhaben ist mit detaillierten Angaben zum Ablauf des Beteiligungsverfahrens bekannt zu geben. Alle teilnehmenden Unionsbürger müssen die von ihnen vertretenen Interessen offen legen. Jeder Beitrag muss registriert werden, wobei die Anforderungen von der Beteiligungsart abhängen. Für die Teilnahme an öffentlichen Anhörungen müssen Auswahlkriterien Anwendung finden, die den Grundsatz der demokratischen Gleichheit beachten. Nach Abschluss der Beteiligungsverfahren müssen die EU-Organe im Anhang zu ihrem jeweiligen Dokument begründen, welche Eingaben und Inhalte in die Entscheidung Eingang fanden und aus welchen Gründen dies geschah. Der Ablauf des gesamten Beteiligungsverfahrens ist zudem ordnungsgemäß zu dokumentieren.
618 Eine übersichtliche Darstellung der durch die Begründungspflicht aufgestellten Anforderungen bei Gellermann, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 253 EG Rn. 4 ff.; der als Hauptzweck der Begründungspflicht die Erleichterung der Inanspruchnahme und Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes nennt, ebd., Rn. 2.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
267
3. Geltendmachung des Beteiligungsrechts: Rechtsschutzmöglichkeiten Der rechtliche Rahmen für die Bürgerbeteiligung darf sich nicht nur auf die Gewährung eines Beteiligungsrechts und die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren beschränken, sondern muss den Unionsbürgern auch Möglichkeiten geben, eine Kontrolle der Beteiligungsverfahren zu erreichen. Klassische Ausprägung des justiziellen (Grund-) Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht ist das Recht auf Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren [unter b)].619 Vorab wird auf das – obligatorisch durchzuführende – verwaltungsbehördliche Überprüfungsverfahren eingegangen [unter a)]. a) Verwaltungsbehördliches Verfahren Die Durchführung eines verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahrens gibt dem verantwortlichen EU-Organ die unmittelbare Gelegenheit, die formelle Rechtmäßigkeit der Durchführung des Beteiligungsverfahrens nachzuprüfen. Neben der Sicherung des Rechtsschutzes für den Unionsbürger und der Entlastung der europäischen Gerichtsbarkeit erlaubt das verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahrens den EU-Organen eine Selbstkontrolle der Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns. Der Antrag eines Unionsbürgers an das ein Beteiligungsverfahren durchführende EU-Organ auf Überprüfung dessen Handelns oder Unterlassens soll obligatorisch sein, so dass Zugang zum gerichtlichen Überprüfungsverfahren erst nach Erschöpfung des verwaltungsbehördlichen Rechtswegs erfolgen kann. Ein EU-Organ kann auf vielfältige Weise gegen die verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Durchführung eines Beteiligungsverfahrens und somit gegen das Beteiligungsrecht der Unionsbürger verstoßen. Grundsätzlich sind zwei Gruppen von Verstößen denkbar. Einerseits kann eine Handlung oder ein Unterlassen eines EU-Organs das Beteiligungsrecht aller potentiell an einer Teilnahme interessierten oder teilnehmenden Unionsbürger verletzen; so z. B. wenn die Kommission vor der Ausarbeitung eines Rechtsaktsvorschlags überhaupt kein Beteiligungsverfahren durchführt, wenn sie sich nur an eine beschränkte Zielgruppe wendet, wenn die Bekanntmachung des Beteiligungsverfahrens unvollständig ist, und wenn insbesondere die abschließenden Begründungs- und Dokumentationspflichten nicht vollständig erfüllt werden. Andererseits kann eine Handlung oder ein Unterlassen eines EU-Organs auch nur das Beteiligungsrecht eines einzelnen Unionsbürgers bzw. einer Gruppe oder Organisation verletzen, so z. B., wenn kein indivi619
s. o. 2. Teil, 3. Kap., D. III. 1. b).
268
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
duelles Feedback auf eine Eingabe erfolgt (wenn z. B. aufgrund einer fehlerhafte Registrierung die Bearbeitung überhaupt unterlassen wurde) oder wenn das Gesuch um Teilnahme an einer öffentlichen Anhörung bzw. Mitgliedschaft in einem Ausschuss abgelehnt wurde. Jegliche Missachtung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Durchführung eines Beteiligungsverfahrens, jegliche Beeinträchtigung des Beteiligungsrechts muss von den Unionsbürgern gerügt werden können. Ein zulässiger Antrag auf Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit des Beteiligungsverfahrens setzt nach der gerade vorgenommenen Unterteilung keinerlei qualifizierte Betroffenheit voraus, wenn ein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Bestimmungen gerügt wird, der in das Beteiligungsrecht aller Unionsbürger eingreift. Werden hingegen verfahrensrechtliche Regelungen verletzt, die lediglich in das Beteiligungsrecht einzelner Unionsbürger eingreifen, muss der Unionsbürger als Antragsbefugnis eine Betroffenheit behaupten. Dabei ist der Begriff der Betroffenheit in Übereinstimmung mit dem Ziel, den Unionsbürgern einen weiten Zugang zu Überprüfungsverfahren zu gewähren, großzügig auszulegen.620 Ausreichend ist es, dass der gerügte Verfahrensverstoß für den Antragsteller in objektiv nachvollziehbarer Weise von nicht ganz unerheblicher Bedeutung ist. Der Antrag auf Überprüfung ist an das EU-Organ zu richten, das für die Durchführung des Beteiligungsverfahrens verantwortlich ist, also die Kommission, das Europäische Parlament oder den EWSA. Entweder ist innerhalb eines jeden EU-Organs eine Dienststelle, vornehmlich das Generalsekretariat, für sämtliche Anträge zuständig oder jede Untergliederung eines EU-Organs, z. B. die Generaldirektionen bei der Kommission und die Ausschüsse beim Europäischen Parlament, sind für die Bearbeitung und Bescheidung der Anträge zuständig. Angesichts der Vielzahl an Beteiligungsarten und an möglichen Verfahrensverstößen erscheint eine einheitliche, übergreifende Behandlung durch die EU-Organe und somit die erste Alternative vorzugswürdig. Einer Beschwerde zum Bürgerbeauftragten, die jeder Unionsbürger gemäß Art. 21 Abs. 3 i. V. m. Art. 195 Abs. 1 UAbs. 1 EG zur Rüge jeglichen Missstandes als Popularbeschwerde einlegen kann, steht ein zentraler Einwand entgegen. Das Handlungsinstrument des Bürgerbeauftragten ist lediglich die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens. Er kann zunächst eine Stellungnahme des jeweiligen EU-Organs einfordern, anschließend einen Bericht erstellen, der das Ergebnis seiner Untersuchung zusammenfasst, und abschließend beiden Seiten eine einvernehmliche Lösung vorschlagen bzw. einen Empfehlungsentwurf an das EU-Organ richten. Aber der Unionsbürger erreicht selbst bei Feststellung des Bestehens 620 Vgl. zur Zulässigkeit von Petitionen an das Europäische Parlament, Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 194 EGV Rn. 10.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
269
eines Missstandes, also der formellen Unrechtmäßigkeit eines Beschwerdeverfahrens, keine Abhilfe. Um eine Verzögerung des Rechtsetzungsverfahrens durch das verwaltungsbehördliche Überprüfungsverfahren zu vermeiden, sollte der Antrag auf Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit des Beteiligungsverfahrens einem Fristerfordernis unterliegen. So sollte der Unionsbürger den Antrag auf Überprüfung bei dem jeweiligen EU-Organ innerhalb einer Frist von zwei Wochen oder maximal einem Monat ab dem Zeitpunkt stellen, an dem – in Abhängigkeit der gerügten Handlung oder des gerügten Unterlassens – entweder die Durchführung bzw. Beendigung des Beteiligungsverfahrens bzw. der Rechtsakt des jeweiligen EU-Organs im Amtsblatt der EU oder eine individuelle Handlung an den Unionsbürger bekanntgegeben worden ist. Der Antrag auf Überprüfung soll schriftlich, einschließlich elektronischer Form, in einer Amtssprache gestellt werden können. Als Begründung sollte nur gefordert werden, dass der Antragsteller den behaupteten Verstoß gegen das Beteiligungsrecht in substantiierter Weise unter Angabe des konkreten Beteiligungsverfahrens und der glaubhaft gemachten Tatsachen darlegt und sein Begehr der Überprüfung der formellen Rechtmäßigkeit des Beteiligungsverfahrens formuliert. Ggf. fordert das EU-Organ den Antragsteller zur Präzisierung auf und bietet dazu seine Unterstützung an. Die EU-Organe sollten rechtlich verpflichtet werden, die Unionsbürger über die Rechtsschutzmöglichkeiten zu informieren und ihnen bei der Antragstellung behilflich zu sein.621 Der Antrag sollte von dem jeweiligen EU-Organ unverzüglich innerhalb einer bestimmten Frist von beispielsweise 10 bis 20 Arbeitstagen zu bearbeiten und zu beantworten sein, die nur in Ausnahmefällen und bei besonderer Begründung verlängerbar ist. Eine negative Antwort muss eine Begründung sowie eine Belehrung über das Recht auf Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren enthalten. Eine Nichtbescheidung innerhalb der Frist soll als negative Antwort gelten. b) Gerichtliches Verfahren Nach der Durchführung eines verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahrens mit negativem Ausgang muss die Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung des Antrages gegeben sein.622 Die Er621 Vgl. Art. 6 Abs. 4 VO 1049/2001, wonach die Organe die Bürger darüber informieren, wie und wo Anträge auf Zugang zu Dokumenten gestellt werden können, und ihnen dabei Hilfe leisten. 622 Die Durchführung des verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahrens ist – wie im vorigen Abschnitt dargelegt – Sachurteilsvoraussetzung für eine Klage vor der europäischen Gerichtsbarkeit.
270
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
hebung einer Klage hat nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrages zu erfolgen. Die Klage richtet sich in der Regel gegen den Negativbescheid des jeweiligen EU-Organs, also gegen eine Entscheidung im Sinne von Art. 249 Abs. 4 EG. Sie ist auf Aufhebung dieses Bescheides gerichtet und ist ihrem Wesen nach eine Nichtigkeitsklage im Sinn von Art. 230 EG. Die Nichtigkeitsklage kann sich ausnahmsweise auch gegen den endgültig vom Gemeinschaftsgesetzgeber erlassenen Rechtssatz in Form der Verordnung oder Richtlinie richten, wenn ein Verstoß gegen die Begründungs- und Dokumentationspflicht bzgl. dieses Rechtssatzes gerügt wird.623 Des weiteren kann auch durch die Klage ausnahmsweise die Untätigkeit eines EU-Organs im Sinn von Art. 232 EG gerügt werden. Dann richtet sich diese Untätigkeitsklage gegen das Unterlassen des jeweiligen EU-Organs auf Bescheidung des Antrages im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahrens richten.624 Kläger ist der einzelne Unionsbürger oder eine Organisation, also eine natürliche oder juristische Person als nicht-privilegierter Kläger im Sinn von Art. 230 Abs. 4 EG. Zuständig für auf Art. 230 Abs. 4 EG gestützte Nichtigkeitsklagen ist erstinstanzlich als zentrale Gerichtsinstanz das EuG gemäß Art. 225 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EG i. V. m. Art. 51 EuGH-Satzung. In Abweichung von der allgemeinen Zuständigkeitsverteilung können bestimmte Kategorien von Klagen, die in besonderen Sachgebieten erhoben werden, der Zuständigkeit einer gerichtlichen Kammer für Entscheidungen im ersten Rechtszug zugewiesen werden.625 Eine Überlegung wäre die Errichtung einer speziellen gerichtlichen Kammer, die ausschließlich für Streitigkeiten über die Durchführung von Beteiligungsverfahren zuständig ist. Doch müsste erst die Praxis ein Erfordernis für eine solche Kammer belegen. Eine Spezialkammer gibt es bislang in Gestalt des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union lediglich für dienstrechtliche Streitigkeiten626, während die vorgesehene Errichtung eines Gemeinschafts623
s. o. 2. Teil, 3. Kap., D. III. 2. Zu den Voraussetzungen s. Art. 232 Abs. 1–3 EG. 625 Art. 225a Abs. 1 i. V. m. Art. 225 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 EG. Zur diffusen Stellung der gerichtlichen Kammern im Gerichtsaufbau der EU s. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 225a EGV Rn. 2. Gegen die Entscheidungen der gerichtlichen Kammer kann ein auf Rechtsfragen beschränktes oder auch Sachfragen betreffendes Rechtsmittel vor dem EuG eingelegt werden; vgl. Art. 225a Abs. 3 EG. 626 Beschluss des Rates, 2004/752/EG, Euratom, v. 2.11.2004 zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der EU, ABl. L 333/7 vom 9.11.2004. Dieses Fachgericht ist für alle Rechtssachen, die das Recht des öffentlichen Dienstes der EU betreffen, zuständig. Formal ist es als gerichtliche Kammer dem EuG beigeordnet; in institutioneller und organisatorischer Hinsicht ist es Teil des EuGH. 624
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
271
patentgerichts, d.h. einer gerichtlichen Kammer für das Patentrecht, bislang mangels Einigung der Mitgliedstaaten zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents noch nicht realisiert worden ist.627 Klagegegenstand ist in der Regel die Entscheidung im Sinne von Art. 249 Abs. 4 EG, mit der das jeweilige EU-Organ den Antrag des Unionsbürgers bzw. der Gruppe auf Überprüfung des konkreten Handelns oder Unterlassens im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens negativ bescheidet, oder ausnahmsweise der endgültig erlassene Rechtssatz in Form der Verordnung oder Richtlinie. Der Negativbescheid ist eine an den Kläger gerichtete Entscheidung im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EG. Als Adressat einer Entscheidung im Sinn von Art. 249 EG ist der Kläger problemlos klagebefugt. Es bedarf dann keiner Darlegung besonderer subjektiver Umstände; ausreichend ist die allgemeine Betroffenheit als Adressat einer belastenden Entscheidung eines EU-Organs. Dies gilt auch für rechtsfähige Vereinigungen, Verbände oder sonstige Gruppen und Organisationen.628 Richtet sich die Nichtigkeitsklage gegen eine Verordnung oder Richtlinie, sind die von Art. 230 Abs. 4 EG aufgestellten Anforderungen an einen tauglichen Klagegegenstand und an eine besondere Klagebefugnis für nichtprivilegierte Kläger erheblich. Die angegriffenen Rechtsakte dürfen nur das äußere Erscheinungsbild einer Verordnung oder Richtlinie haben, müssen dem materiellen Inhalt nach aber Entscheidungscharakter haben.629 Das maßgebliche Kriterium ist die Klagebefugnis, die nur vorliegt, wenn der Kläger von dem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffen ist.630 Auf Grundlage der gefestigten, restriktiven Rechtsprechung zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung der Nichtigkeitsklage von nicht-privilegierten Klägern dürften Klagen von Unionsbürgern gegen Verordnungen und Richtlinien wegen Verstoßes gegen die Begründungs- und Dokumentationspflicht mangels Klagebefugnis kaum zulässig sein. Dies spiegelt nur den Umstand wider, wonach der gerichtliche Rechtsschutz nach Art. 230 Abs. 4 EG bewusst nur ein eingeschränktes Maß an Individualklagen zulässt und bislang der Durchsetzung materieller, insbesondere wirtschaftlicher, Rechte und Interessen von Betroffenen dient.631 Eine „Aufweichung“ der Zulässigkeits627 Kommission, KOM(2002) 480 endg. v. 30.8.2002, Arbeitspapier der Kommission über das geplante Rechtssprechungssystem für das Gemeinschaftspatent;. Vgl. Art. 229a EG, der die Rechtsgrundlage für die Übertragung der Gerichtsbarkeit auf den EuGH bei Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes bildet. 628 Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 230 EGV Rn. 62. 629 Ehricke, ebd., Rn. 45 ff. 630 Ehricke, ebd., Rn. 52 ff.; Burgi, in: Rengeling, Hdb. Rechtsschutz EU, § 7 Rn. 54 ff. 631 Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 230 EGV Rn. 60 f.
272
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
voraussetzungen für die Individualklagen gegen abstrakte Rechtsakte ist daher notwendig und wünschenswert, um den Rechtsschutz der Unionsbürger bei Verstößen gegen das Beteiligungsrecht umfassend zu verwirklichen. Ein weiteres Argument für eine umfassende Verwirklichung des Rechtsschutzes bei Verstößen gegen das Beteiligungsrecht ist der zweite in Art. 230 Abs. 4 EG genannte „Mangel“ der Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Vorschriften „wesentlich“, die geeignet sind, den Inhalt des Rechtsakts zu beeinflussen oder die dem Schutz von dessen Adressaten dienen.632 Sieht eine Kompetenznorm für ein Rechtsetzungsverfahren institutionelle Anhörungs- und Beteiligungsrechte vor, wird aus deren Verletzung grundsätzlich die Nichtigkeit des angegriffenen Rechtsakts gefolgert, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass ohne die Verletzung der Rechtsakt inhaltlich anders ausgefallen wäre.633 Auch die Verletzung von Beteiligungsrechten zugunsten einzelner betroffener Personen, z. B. im Antidumping-, Kartell- und Fusionskontrollrecht, führt ebenfalls zur Nichtigkeit des Rechtsakts, wenn die Beteiligung des Klägers zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.634 Im Falle einer primär- und sekundärrechtlichen Verankerung eines umfassenden Beteiligungsrechts der Unionsbürger an der Ausarbeitung eines jeglichen Rechtssatzes, könnte dieses Beteiligungsrecht eine wesentliche Formvorschrift darstellen, deren Verletzung zur Aufhebung des Rechtssatzes führen könnte. Allerdings sinkt mit dem weiten Kreis der Beteiligungsberechtigten der Einfluss eines jeden einzelnen Unionsbürgers bzw. einer einzelnen Gruppe. Daher erscheint es zweifelhaft, ob ein Verstoß mit der Rechtswirkung der Nichtigkeit des Rechtsakts sanktioniert werden muss oder eine Nichtigkeit nur zu fordern ist, wenn die Beteiligung nachweislich zu einem geänderten Inhalt geführt hätte. Dieser Nachweis dürft jedoch praktisch nie vom Kläger geführt werden können. Die Missachtung von Be632 EuGH, Urteil v. 10. Juli 1980, 30/78, Distillers Company/Kommission, Slg. 1980, 2229, 2258, Rn. 26; Urteil v. 4. Februar 1982, 828/79, Adam, Slg. 1982, 269, 290 Rn. 17. Nach Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 230 EGV Rn. 73, entscheidet der EuGH damit über die Bedeutung der konkret verletzten Norm und unterscheidet – entgegen des Wortlauts – zwischen einer wesentlichen oder unwesentlichen Verletzung dieser Vorschrift. 633 Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 230 EGV Rn. 74 unter Hinweis auf die Missachtung der obligatorischen Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments am Rechtsetzungsprozess in Abgrenzung zu bloßen fakultativen oder rechtlich nicht vorgesehenen Beteiligungsrechten. 634 EuGH, Urteil v. 14. Februar 1990, C-301/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, 351, Rn. 31; Urteil v. 21. November 1991, C-269/90, Hauptzollamt München/TU München, Slg. 1991, I-5469, 5495, Rn. 28. Das ist nicht der Fall, wenn die im Verfahren nicht beachteten Stellungnahmen des Klägers keine neuen Informationen enthalten.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
273
teiligungsrechten bliebe ungesühnt. Nur eine mit Drohung der Aufhebung verbundene gerichtliche Kontrolle ist im Stande, die EU-Organe dazu anzuhalten, den verfahrensrechtlichen Anforderungen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Andererseits ist dagegen einzuwenden, dass Beteiligungsrechte überbewertet werden, wenn die Nichtberücksichtigung eines Beteiligungsberechtigten zur Unwirksamkeit des ganzen Rechtsakts führen würde.635 Bei Klagen gegen Negativbescheide der EU-Organe bestehen keine besonderen Form- und Fristerfordernisse. Die Klageschrift muss den in Art. 21 EuGH-Satzung und Art. 44 VerfO EuG aufgestellten Förmlichkeiten genügen.636 Die Klage ist gemäß Art. 230 Abs. 5 EG binnen zwei Monaten nach Mitteilung der Entscheidung an den Kläger, also nach der individuellen Bekanntgabe im Sinn von Art. 254 Abs. 3 EGV, oder Bekanntgabe der Verordnung bzw. Richtlinie durch Veröffentlichung im Amtsblatt zu erheben.637 Hat die Nichtigkeitsklage Erfolg, so erklärt der EuG den Negativbescheid gemäß Art. 231 EG für nichtig. Das Nichtigkeitsurteil hat die rechtsgestaltende Beseitigung des streitigen Rechtsakts zur Folge, so dass die Parteien in den Zustand zurückversetzt werden, der vor Erlass der streitigen Maßnahme bestand.638 Das EU-Organ muss den Antrag des Unionsbürgers auf Überprüfung der Handlung oder Unterlassens im Rahmen des Beteiligungsverfahrens somit erneut bescheiden. Der streitige Rechtsakt könnte in der Zwischenzeit jedoch schon erlassen worden sein, so dass eine Neubescheidung dann nicht mehr möglich ist. Wenn auf diese Weise lediglich die Verletzung des Beteiligungsrechts gerichtlich festgestellt würde, aber praktisch ungesühnt bliebe, wäre die effetive Durchsetzung des Beteiligungsrechts ebenfalls äußerst eingeschränkt. Die Frage, ob sich jeder festgestellte Verstoß automatisch zur Nichtigkeit führt, wenn eine anderweitige „Heilung“ nicht mehr in Betracht kommt, stellt sich in ähnlicher Form auch im deutschen Wahlprüfungsverfahren. Die Wahlprüfung sichert die Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung von (Parlaments-)Wahlen und somit der korrekten Zusammensetzung des Bundestages.639 Nach Art. 41 Abs. 1 GG ist die Wahlprüfung Sache des Bun635 Zur Verbindung zwischen der partizipativen Demokratie und der Klagebefugnis auch von Organisationen gemäß Art. 230 Abs. 4 EG s. de Schutter, MJ 2006, 9, 11 f. 636 Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 230 EGV Rn. 26. 637 Dazu kommt eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen, vgl. Art. 102 § 2 VerfO EuG. Der Fristbeginn berechnet sich nach Art. 230 Abs. 5 EG i. V. m. Art. 101, 102 VerfO EuG. 638 Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 231 EGV Rn. 1. 639 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 41 Rn. 7; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 41 Rn. 43.
274
2. Teil: Bürgerbeteiligung als komplementäre Legitimationsquelle
destages, gegen dessen Entscheidung gemäß Abs. 2 die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig ist. Hat der Bundestag oder das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Wahlrechtsvorschriften bei der Vorbereitung, Durchführung oder Ergebnisermittlung der Bundestagswahl festgestellt, führt dies nicht zwangsläufig zur Ungültigkeit der Wahl – weder teilweise noch vollständig. Das Wahlprüfungsrecht bringt vielmehr die Grundsätze des Interesses am Bestand des gewählten Bundestags und das Interesse an einem ordnungsgemäßen, für den Bundestag legitimationsspendenden Wahlerfolg zum Ausgleich. Dies geschieht durch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Ist ein Wahlfehler nicht zweifelsfrei nachzuweisen, wird die Gültigkeit der Wahl vermutet. Vorrang vor einer Ungültigkeitserklärung hat eine Berichtigung des Wahlergebnisses. Auswirkungen auf die Gültigkeit einer Wahl kann ein Wahlfehler überhaupt nur haben, wenn er sich auf die Sitzverteilung im Bundestag ausgewirkt hat oder haben könnte und somit Mandatsrelevanz aufweist. Die Möglichkeit muss nicht nur theoretisch, sondern auch nach allgemeiner Lebenserfahrung konkret und nicht ganz fernliegend sein (sog. potentielle Kausalität). Wenn ein solcher nicht zu berichtigender mandatsrelevanter Wahlfehler vorliegt, geht der Eingriff in den Bestand nur soweit, wie der festgestellte Wahlfehler es verlangt. Geringfügige, insbesondere bloße Formverstöße bleiben folgenlos; die (Teil-)Ungültigkeitserklärung der Wahl „ultima ratio“.640 Von prozessualem Interesse ist zudem die Vorschrift des § 48 Abs. 1 BVerfGG, wonach der Wahlberechtigte, dessen Einspruch vom Bundestag verworfen worden ist, nur berechtigt zur Einlegung einer Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist, wenn ihm mindestens einhundert Wahlberechtigte beitreten. Überlegungen, die eine Übertragbarkeit dieser Grundsätze und Abwägungsmaßstäbe auf die Überprüfung der Beteiligungsverfahren untersuchen, müssen jedoch folgendes bedenken. Von dem Zweck her, dass das Wahlprüfungsverfahren zuvörderst der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl und der korrekten Zsuammensetzung des Bundestages dient, steht der Schutz des objektiven Wahlrechts im Mittelpunkt.641 Verstöße gegen das in Art. 38 GG verbürgte, subjektive (aktive oder passive) Wahlrecht, die sich zugleich auf die Zusammensetzung des Bundestages auswirken und somit mandatsrelevant sind, können nicht im Wahlprüfungsverfahren gerügt werden.642 640
Morlok, in: Dreier, GG, Art. 41 Rn. 17 ff.; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 41 Rn. 45, 105 ff. 641 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 41 Rn. 47, nennt das Wahlprüfungsverfahren daher ein objektives Verfahren, dass nur mittelbar subjektivem Rechtsschutz dient. 642 Morlok, in: Dreier, GG, Art. 41 Rn. 7. Zur Diskussion, ob Verstöße gegen subjektives Wahlrecht ohne Mandatserheblichkeit Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein können, s. ebd., Rn. 8, 12 f. m. w. N.
3. Kap.: Voraussetzungen für eine Anerkennung
275
Sind sie ohne Mandatsrelevanz, können sie allenfalls im Tenor festgestellt werden, haben jedoch keine Konsequenzen für die Gültigkeit der Wahl.643 Sinn und Zweck der Vorschriften, die das Beteiligungsverfahren regeln, soll zuvörderst die Absicherung des subjektiven Rechts auf Beteiligung sein, auch wenn die ordnungsgemäße Durchführung der Beteiligungsverfahren unter größtmöglicher Einbindung der Bürger die demokratische Legitimation der Rechtsetzung der EU stärken soll. Ob vor diesem Hintergrund auch eine Einschränkung der Beschwerdeberechtigung durch ein Mindestquorum mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vereinbar ist, wäre zu hinterfragen.644 Diese Fragestellungen können hier nur angesprochen werden. Antworten müssen weitere Untersuchungen geben. c) Ergebnis Der Rechtsrahmen für die Bürgerbeteiligung muss neben der Gewährung eines Beteiligungsrechts und der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren auch den Unionsbürgern das Recht geben, im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei dem handelnden EU-Organ sowie insbesondere im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens vor der europäischen Gerichtsbarkeit eine Kontrolle der Beteiligungsverfahren zu erreichen. Ausreichend ist dabei, dass der Unionsbürger die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften rügt, die sein Recht auf Beteiligung gewährleisten. Sowohl das verwaltungsrechtliche als auch das gerichtliche Überprüfungsverfahren sollten durch angemessene Fristen unangemessene Verzögerungen der Rechtsetzungsverfahren vermeiden. Die Klage zum EuG richtet sich nach den in Art. 230 Abs. 4 EG genannten klassischen Voraussetzungen.
643
Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 41 Rn. 47 ff. m. w. N. Zur Frage, ob die Einschränkung der Beschwerdeberechtigung im deutschen Wahlprüfungsrecht verfassungsgemäß ist, s. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 41 Rn. 54 ff., 85. 644
Schlussfolgerungen und Ausblick Die Modelle, auf welche Weise in den Mitgliedstaaten der EU Demokratie verwirklicht und demokratische Legitimation vermittelt wird, sind nicht einheitlich. Für den in der EU zusammengefassten Verbund nationaler und supranationaler Herrschaftsgewalt haben sich Modelle herausgebildet, welche den Kern der nationalen Modelle auf die EU weitgehend übertragen und an ihre strukturellen Eigenarten anpassen. Dieser Kern ist der auf dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie beruhende parlamentarische Verfassungsstaat, in dem das Staatsvolk das alleinige Legitimationssubjekt ist. Die Verfassungen einiger Mitgliedstaaten der EU eröffnen zwar direkt-demokratischen Elemente einen punktuellen Anwendungsbereich. Doch beschränkt sich der von dem einzelnen Bürger ausgehende Legitimationsakt in der Regel auf die Wahl des Parlaments. Die Verwirklichung von Demokratie und die Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU weisen mit Blick auf die EU-Organe als legislative Entscheidungsträger erhebliche Defizite auf. Zur Minderung dieser Defizite gibt es eine unüberschaubare Anzahl an Vorschlägen aus dem Schrifttum und der Praxis. Die im Rahmen des Governance-Prozesses und des Verfassungsgebungsprozesses gemachten Vorschläge verfolgen das Ziel, die Bürger verstärkt am Rechtsetzungsprozess in der EU zu beteiligen. Die gesellschaftlichen Kräfte kommunizieren auf vielfältige Art und Weise mit den EU-Organen, zuvörderst mit der Kommission, aber auch mit dem Europäischen Parlament und dem EWSA. Sie versuchen auf den Inhalt eines Rechtssatzes im vorbereitenden Stadium Einfluss zu nehmen und partikulare Interessen einzubringen. Bürgerbeteiligung ist seit Beginn der europäischen Integration ein faktisches Phänomen, das sich bislang weitgehend einer rechtlichen Regelung entzogen hat. Diese unmittelbare Beteiligung der Bürger am Rechtsetzungsprozess in der EU hat demokratisches Potential und ist geeignet, demokratische Legitimation zu vermitteln. Das etablierte monistische Legitimationsmodell, das als Legitimationssubjekt allein das Volk ansieht, muss sich dafür zugunsten eines pluralen Legitimationsmodells öffnen, in dem der Bürger als Individuum Ausgangspunkt der Legitimationsvermittlung ist. Problematisch ist das Verhältnis der Bürgerbeteiligung zum Grundsatz der demokratischen Gleichheit. Zwar hat jeder Unionsbürger theoretisch die gleiche Möglichkeit, mit den EU-Organen zu kommunizieren und im Rahmen von Konsul-
Schlussfolgerungen und Ausblick
277
tationsverfahren sein Recht auf Beteiligung auszuüben. In der Praxis verfügen organisierte Interessengruppen jedoch über finanzielle und personelle Ressourcen, die es ihnen bei fast völligem Fehlen rechtlicher Regelungen ermöglichen, die Kommunikation mit den EU-Organen zu beherrschen. Bürgerbeteiligung als Ausübung des Rechts auf Teilnahme am demokratischen Leben in der EU kann eine eigenständige, ergänzende Legitimationsquelle neben der Ausübung des Wahlrechts zum Europäischen Parlament und zu den nationalen Parlamenten darstellen. Um die demokratische Legitimation der EU zu stärken, ist ein verbindlicher Rechtsrahmen für die Bürgerbeteiligung unerlässlich, der die Grundsätze der Transparenz und der demokratischen Gleichheit beachtet. Eine diesen Grundsätzen entsprechende Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren kann zwar den Rechtsetzungsprozess in der EU erheblich verlangsamen und vereinzelt auch blockieren. Soll das Recht auf Beteiligung jedoch nicht eine formale Hülle bleiben, die den EU-Organen, zuvörderst der Kommission, als demokratisches Feigenblatt dient, sind Minderungen bei der Effektivität der Rechtsetzungsverfahren nicht zu vermeiden. Die legitimationsergänzende Funktion der Bürgerbeteiligung rechtfertigt durchaus einen gewissen finanziellen, personellen und zeitlichen Mehraufwand. Angesichts des faktischen Ausmaßes der Bürgerbeteiligung stellt die Ausgestaltung eines verbindlichen Rechtsrahmens jedenfalls schon einen Gewinn dar.
Zusammenfassung in Thesen 1. Teil Demokratie und demokratische Legitimation der Rechtsetzung in der EU 1. Kapitel Status quo der Verwirklichung der Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU
Demokratie 1. Demokratie ist eine Organisationsform politischer Herrschaft, die eine Selbstherrschaft der Mitglieder eines Gemeinwesens optimal realisieren will. Die moderne Demokratie bildete sich als repräsentativ-parlamentarische Regierungsform im Verfassungsstaat heraus.1 2. In Deutschland kommt Demokratie als im Grundgesetz normiertes Strukturprinzip mit Optimierungsgebot zur Geltung. In den anderen Mitgliedstaaten der EU haben Rechtsprechung und Literatur kein an Umfang, Tiefe und Gehalt vergleichbares, dogmatisches Demokratiekonzept entwickelt.2 3. Auf der Suche nach einem europäischen Demokratiemodell führt das klassische Modell einer parlamentarischen, föderalen Demokratie nicht weiter. Der Demokratiebegriff muss aus der nationalstaatlichen Fixierung gelöst und auf die Eigenart der EU als supranationaler Herrschaftsverbund angepasst werden.3 4. Das Demokratieprinzip der EU fußt auf dem Primärrecht von EG und EU sowie auf den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten. Schon vor Normierung in Art. 6 Abs. 1 EU bestätigte der EuGH die Herausbildung eines Demokratieprinzips.4
1 2 3 4
s. s. s. s.
1. 1. 1. 1.
Teil, Teil, Teil, Teil,
1. 1. 1. 1.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
A. A. A. A.
I. II. III. IV.
Zusammenfassung in Thesen
279
Demokratische Legitimation 5. Legitimität bezeichnet das Ergebnis der Rechtfertigung von Herrschaftsgewalt; Legitimation demgegenüber das Verfahren der Herstellung legitimer Herrschaftsgewalt. Demokratische Legitimation fordert, dass die Ausübung von Herrschaftsgewalt aus Willensentscheidungen der Bürger hergeleitet wird.5 6. Die Verfassungen aller Mitgliedstaaten der EU schreiben kein bestimmtes Legitimationsschema vor. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Modell erschaffen, welches allein auf dem Zusammenspiel personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation beruht und welches das Staatsvolk als einziges Legitimationssubjekt anerkennt.6 7. Die EU übt legislative Hoheitsgewalt aus, die demokratischer Legitimation bedarf. Für die Sekundärrechtsetzung hat sich ein dualistisches Legitimationssystem herausgebildet, das aus zwei komplementären Legitimationssträngen besteht, die von den Staatsvölkern zum Rat und von den Unionsbürgern zum Europäischen Parlament führen.7 2. Kapitel Defizite der Verwirklichung von Demokratie und der Vermittlung demokratischer Legitimation in der EU
8. Rat, Europäisches Parlament und Kommission weisen unterschiedliche Niveaus an personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation, jeweils mit erheblichen Defiziten, auf. 9. Die Legitimationskette des Rates ist lang und kann bei Mehrheitsentscheidungen durchbrochen werden. Die kollektive Verantwortlichkeit des Rates ist ebenso wie die individuelle Verantwortlichkeit der einzelnen Fachminister beschränkt.8 10. Die personelle Legitimation des Europäischen Parlaments ist durch die unvollkommene Wahlrechtsgleichheit und das Fehlen eines einheitlichen Wahlverfahrens gemindert. Die Rechtsetzungsbefugnisse sind immer noch beschränkt, ebenso die Verantwortung von Rat und Kommission als Exekutive gegenüber dem Europäischen Parlament.9
5 6 7 8 9
s. s. s. s. s.
1. 1. 1. 1. 1.
Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,
1. 1. 1. 2. 2.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
B. I. B. II. B. III., IV. A. B.
280
Zusammenfassung in Thesen
11. Die demokratische Legitimation der Kommission ist aufgrund der Länge der Legitimationskette sowie bei Ausübung des Initiativrechts und der Komitologieverfahren defizitär.10 12. Die außerrechtlichen Voraussetzungen einer lebendigen Demokratie liegen in der EU weitgehend noch nicht vor. Eine kollektive Identität, die den akzeptanzstiftenden Rahmen für Mehrheitsentscheidungen bildet, ist schwach ausgeprägt. Eine europäische öffentliche Meinung bildet sich ebenfalls nur langsam heraus.11 3. Kapitel Lösungskonzepte zum Umgang mit den Defiziten
13. Der konservative Ansatz zur Lösung der Defizite bei der Verwirklichung von Demokratie und Vermittlung demokratischer Legitimation spricht der EU die Demokratiefähigkeit kurz- und mittelfristig ab und fordert ein Innehalten der europäischen Integration.12 14. Der offensive Ansatz fordert eine Intensivierung der europäischen Integration. Nur durch die stetige Stärkung der Rechtsstellung der Unionsbürger und des Europäischen Parlaments entwickle sich parallel auch der demokratische Unterbau in der EU.13 15. Der pragmatische Ansatz hält die Ausgestaltung der demokratischen Legitimation und des demokratischen Unterbaus in der EU als supranationale Organisation für angemessen und verneint das Erfordernis weitreichender Veränderungen.14 16. Der konstruktive Ansatz fordert eine Ergänzung des dualistischen Legitimationssystems, in dem auch Beteiligungsformen jenseits des punktuellen Wahlakts legitimatorische Bedeutung zugemessen wird.15
10 11 12 13 14 15
s. s. s. s. s. s.
1. 1. 1. 1. 1. 1.
Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,
2. 2. 3. 3. 3. 3.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
C. D. A. B. C. D.
Zusammenfassung in Thesen
281
2. Teil Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU als komplementäre Legitimationsquelle 1. Kapitel Entwicklung und Status quo der Bürgerbeteiligung
Begriff und Entwicklung der Bürgerbeteiligung 17. Die Begriffe Beteiligung und Partizipation werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Beteiligung bezeichnet die Mitwirkung der Bürger am Prozess der Entscheidungsvorbereitung im Rechtsetzungsverfahren der EU und umfasst alle Arten direkter Kommunikation der Bürger mit den EU-Organen als hoheitlichen Entscheidungsträgern.16 18. Untersucht wird die Beteiligung von einzelnen Bürgern, von Personenzusammenschlüssen und von der Zivilgesellschaft. 19. Personenzusammenschlüsse, die sich an Rechtsetzungsverfahren beteiligen, weisen zumeist einen gewissen Organisationsgehalt auf und nehmen auf die EU-Organe zur Durchsetzung ihrer Interessen Einfluss. Interessen wurden individuell oder kollektiv mit anderen Organisationen, teilweise über eigene Verbindungsbüros in Brüssel vertreten.17 20. Die Zivilgesellschaft nimmt eine Vermittlerfunktion zwischen den einzelnen Bürgern und den hoheitlichen Entscheidungsträgern wahr und bringt die von den Bürgern gebildeten Meinungen in das hoheitliche Entscheidungssystem ein. Sie umfasst die Gesamtheit der Bürger und Personenzusammenschlüsse.18 21. Die Kommission weitete den in den neunziger Jahren entstandenen Sozialen Dialog schrittweise auf sämtliche Politikfelder der EU aus. Mit Beginn des Governance-Prozesses führte sie den zivilen Dialog nicht allein mehr mit NGOs, sondern spricht nun die Zivilgesellschaft als Vertreter aller Unionsbürger an. Gleiches gilt für den EWSA.19 Kommunikationspartner 22. Die Kommission als wichtigster Kommunikationspartner der gesellschaftlichen Kräfte will durch die Einbindung der Bürger die Qualität 16 17 18 19
s. s. s. s.
2. 2. 2. 2.
Teil, Teil, Teil, Teil,
1. 1. 1. 1.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
A. B. I. B. II. 1. B. II. 2.
282
Zusammenfassung in Thesen
der Rechtsakte durch externen Sachverstand und ihre eigene Legitimation erhöhen. Wichtigste Kontaktstelle ist der für die Ausarbeitung eines Vorschlags verantwortliche Beamte in einer Generaldirektion.20 23. Als legislatives Mitentscheidungsorgan ist das Europäische Parlament nunmehr ein bevorzugter Kommunikationspartner, insbesondere der Berichterstatter im federführenden Ausschuss. An externem Sachverstand interessiert, sieht es sich auch in seiner traditionellen Funktion als Bürgerrepräsentant zu einer offenen Kommunikation verpflichtet.21 24. Auch wenn der Rat weiterhin Hauptentscheidungsorgan der EU ist, stellt er aufgrund der internen Organisations- und Arbeitsstruktur das für die Bürgerbeteiligung unbedeutendste EU-Organ dar. Die Kommunikation findet national mit den zuständigen Ministerien statt, um Einfluss auf die nationalen Verhandlungspositionen der Fachminister zu nehmen.22 25. Der EWSA ist aufgrund seiner Funktion als institutionalisiertes Forum der organisierten Zivilgesellschaft der ideale Kommunikationspartner für die gesellschaftlichen Kräfte. Mangels jeglicher Entscheidungsbefugnisse ist jedoch seine Stellung im Rechtsetzungsprozess insgesamt schwach.23 Arten der Bürgerbeteiligung 26. Die Bürger kommunizieren mit den EU-Organen auf unterschiedliche Weise. Der Form nach erfolgt die Kommunikation schriftlich – postalisch oder online – und mündlich im Rahmen von informellen Gesprächen oder von öffentlichen Anhörungen erfolgen.24 27. Die Beteiligung kann auf Veranlassung des EU-Organs oder aus Eigeninitiative der gesellschaftlichen Kräfte stattfinden. Trotz der Zunahme der von der Kommission durchgeführten Konsultationsverfahren finden weiterhin in beträchtlichem Umfang informelle Gespräche auf Initiative der gesellschaftlichen Kräfte statt.25 28. Die Kommunikation kann einmalig oder regelmäßig stattfinden. Einmalige, zumeist informelle Kontakte werden anlässlich eines Entwurfs eines bestimmten Rechtsatzes geknüpft. Institutionalisierte Beteiligung findet in Arbeitsgruppen und Ausschüssen statt, die bei der Ausarbeitung von Rechtssätzen von den EU-Organen konsultiert werden.26 20 21 22 23 24 25
s. s. s. s. s. s.
2. 2. 2. 2. 2. 2.
Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,
1. 1. 1. 1. 1. 1.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
C. I. C. II. C. III. C. IV. D. I. D. II.
Zusammenfassung in Thesen
283
29. Während es primärrechtliche Rechtsgrundlagen nur für den Sozialen Dialog und im Subsidiaritätsprotokoll gibt, wird die Bürgerbeteiligung vereinzelt in Geschäftsordnungen von EU-Organen und in Mitteilungen der Kommission geregelt. Weitgehend erfolgt sie jedoch ohne Rechtsgrundlage und ohne verbindlichen Rechtsrahmen.27 30. Die Bürgerbeteiligung unterscheidet sich zudem nach dem EU-Organ, mit dem die Bürger kommunizieren, und dem Politikbereich, in dem der Kontakt stattfindet.28 2. Kapitel Vorschläge zur Stärkung der Bürgerbeteiligung an der Rechtsetzung
31. Ausgangspunkt des Governance-Prozesses ist das Weißbuch „Europäisches Regieren“ der Kommission aus dem Jahr 2001. Zentrales Anliegen des Weißbuchs ist die Einbindung der Zivilgesellschaft bei der Durchführung effektiver und transparenter Konsultationen vor Beginn der formellen Rechtsetzungsverfahren.29 32. Auch der durch den Vertrag von Nizza eingeleitete Verfassungsgebungsprozess in der EU hatte zum Ziel, die Bürgerbeteiligung zu stärken. Der vom Europäischen Rat angenommene Verfassungsvertrag normiert ausdrücklich den Grundsatz der partizipativen Demokratie. Jeder Unionsbürger hat ein Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben in der Union.30 33. Die im Governance-Prozess gemachten Vorschläge sollen auf der Grundlage des geltenden Primärrechts realisiert werden, das nach entsprechender Ratifizierung durch den Verfassungsvertrag gerade geändert werden sollte. Im Gegensatz zum Primärrecht stellen die von der Kommission veröffentlichten Rechtsakte unverbindliche Rechtshandlungen dar.31 34. Daneben werden bei den Kommissionsvorschlägen vor allem die Beschränkung des Zugangs zu Konsultationsverfahren und die qualitative Bewertung der Eingaben kritisiert. Bei der Bewertung des Verfassungsvertrages ragen das Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben und der Grundsatz der partizipativen Demokratie heraus.32 26 27 28 29 30 31 32
s. s. s. s. s. s. s.
2. 2. 2. 2. 2. 2. 2.
Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,
1. 1. 1. 2. 2. 2. 2.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
D. III. D. IV. D. V. A. B. C. I. C. II., III.
284
Zusammenfassung in Thesen
3. Kapitel Voraussetzungen für eine Anerkennung der Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess als Legitimationsquelle
Erweiterung des dualistischen Legitimationsmodells 35. Das plurale Legitimationsmodell entwickelt das dualistische Legitimationsmodell mit Hilfe der Unterscheidung in Input- und Output-Legitimation weiter. Die Legitimation wird durch eine Beteiligung der Bürger an der Rechtsetzung gestärkt, die über den bloßen Wahlakt hinausgeht und im Prozess der Entscheidungsvorbereitung stattfindet.33 36. Das Demokratiemodell öffnet sich der partizipatorischen Demokratietheorie, die die Partizipationschancen des Einzelnen maximieren will. Auf dieser Grundlage erhalten die unterschiedlichen Arten der Beteiligung von Bürgern am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsvorbereitungsprozess jenseits des Wahlakts demokratische Qualität.34 37. Der Verfassungsvertrag normiert erstmals das etablierte dualistische Legitimationsmodell (Art. I-46 Abs. 1 und 2 VV). Der Grundsatz der partizipativen Demokratie (Art. I-47 VV) und das Recht auf Teilnahme am demokratischen Leben in der Union (Art. I-46 Abs. 3 VV) manifestieren jedoch die Abkehr vom parlamentszentrierten Legitimationsmodell.35 Rekonstruktion des Legitimationssubjekts 38. Ausgangspunkt jeder Legitimationsvermittlung in demokratischen Herrschaftsordnungen ist der mit Menschenwürde ausgestattete Bürger. Die individuell-autonome Freiheit des Individuums wandelt sich zur demokratischen Mitwirkungsfreiheit des Bürgers, die sich im Wahlrecht und darüber hinausgehenden Beteiligungsrechte verwirklicht.36 39. Demokratie und der Grundsatz der Volkssouveränität verlangen kein Kollektivsubjekt als Ausgangspunkt der Herrschaftsgewalt. Die Verbindung der Begriffe Volk und Souveränität erfolgte historisch mit der Umwandlung der individuellen in kollektive Freiheit über die Fiktion des Gesellschaftsvertrages und eines Gemeinwillens.37
33 34 35 36 37
s. s. s. s. s.
2. 2. 2. 2. 2.
Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,
3. 3. 3. 3. 3.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
A. I. A. II. A. III. B. I. B. II.
Zusammenfassung in Thesen
285
40. Der einzelne Bürger schließt sich horizontal und vertikal zu Legitimationseinheiten zusammen. Vertikal konstituiert sich die Gemeinschaft auf einer Herrschaftsebene – EU, Staat, infrastaatliche Einheiten – als Zusammenschluss aller Bürger. Horizontal wird Legitimation von dem einzelnen Bürger oder im Zusammenschluss zu Gruppen vermittelt.38 Grundsatz der demokratischen Gleichheit 41. Gleichheit ist der Freiheit nachrangig. Erst nach Ausübung des Rechts des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung in Form des Zusammenschlusses zu einer Gemeinschaft kommt der Grundsatz demokratischer Gleichheit in einem Gemeinwesen zur Anwendung.39 42. Jeder Bürger hat das Recht, über die Ausübung des Wahlrechts in gleicher Weise Einfluss auf die allgemeine politische Willensbildung auszuüben. Jeder Bürger soll das Recht haben, über die Ausübung des Beteiligungsrechts seinen Einfluss auf die konkrete politische Entscheidung in Form eines Rechtsakts auszuüben.40 43. Nach der Pluralismustheorie artikulieren und organisieren sich alle Interessen in einer Gesellschaft. Die Praxis zeigt, dass einige Interessen nicht organisierbar und artikulierbar sind oder mit ungleichen personellen und finanziellen Ressourcen vertreten werden. Eine ungeregelte Interessenvertretung führt nicht zu einem Ausgleich aller Interessen.41 44. Transparente und verbindliche Verfahrensregeln müssen einen maximalen Interessenausgleich gewährleisten, der sich in einem Rechtssatz als möglichst gemeinwohlorientierte Entscheidung realisiert.42 Demokratische Legitimation der Bürgerbeteiligung durch Verfahrensrecht 45. Der Rechtsrahmen für die Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der EU kann sich an den Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht orientieren, die ein Recht auf Zugang zu Informationen, auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren sowie auf Zugang zu Gerichten gewähren.43 38 39 40 41 42 43
s. s. s. s. s. s.
2. 2. 2. 2. 2. 2.
Teil, Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,
3. 3. 3. 3. 3. 3.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
B. III. C. I. C. II. C. III. 1., 2. C. III. 3. D. II.
286
Zusammenfassung in Thesen
46. Geeignete Rechtsgrundlage für ein solches Beteiligungs- und Überprüfungsrecht ist eine Verordnung, welche die primärrechtlichen Vorgaben des Verfassungsvertrages konkretisiert und unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar ist. Die VO 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der EU-Organe dient als Vorbild.44 47. Der Rechtsrahmen für die Bürgerbeteiligung muss sicherstellen, dass jedes Legislativvorhaben mit detaillierten Angaben zum Ablauf des Beteiligungsverfahrens bekannt gegeben wird. Alle teilnehmenden Unionsbürger müssen die von ihnen vertretenen Interessen offen legen. Jeder Beitrag muss registriert werden.45 48. Für die Teilnahme an öffentlichen Anhörungen müssen Auswahlkriterien gelten, die den Grundsatz der demokratischen Gleichheit beachten. Die EU-Organe müssen im Anhang zu ihrem jeweiligen Dokument begründen und dokumentieren, welche Eingaben und Inhalte in die Entscheidung Eingang fanden und aus welchen Gründen dies geschah.46 49. Der Rechtsrahmen für die Bürgerbeteiligung muss den Unionsbürgern auch das Recht gewähren, im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei dem handelnden EU-Organ sowie im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens vor der europäischen Gerichtsbarkeit eine Kontrolle der Beteiligungsverfahren zu erreichen.47 50. Ausreichend ist dabei, dass der Unionsbürger die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften rügt, die sein Recht auf Beteiligung gewährleisten. Die Klage zum EuG richtet sich nach den in Art. 230 Abs. 4 EG genannten Voraussetzungen.48
44 45 46 47 48
s. s. s. s. s.
2. 2. 2. 2. 2.
Teil, Teil, Teil, Teil, Teil,
3. 3. 3. 3. 3.
Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel, Kapitel,
D. D. D. D. D.
III. III. III. III. III.
1. 2. 2. 3. 3.
Literaturverzeichnis Abromeit, Heidrun: Democracy in Europe. Legitimising Politics in a Non-State Polity, 1998, Oxford. Adrian, Wolfgang: Demokratie als Partizipation: Versuch einer Wert- und Einstellungsanalyse, 1977, Meisenheim am Glan. Andenas, Mads/Türk, Alexander (Hrsg.): Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, Den Haag u. a. Anheier, Helmut K./Priller, Eckhard/Zimmer, Annette: Zur zivilgesellschaftlichen Dimension des Dritten Sektors, in: H.-D. Klingemann/F. Neidhardt (Hrsg.), Zur Zukunft der Demokratie, 2000, Berlin, 71–97. Armstrong, Kenneth A.: Civil society and the White Paper – Bridging or Jumping the Gaps?, Jean Monnet Working Paper Nr. 6/01, Symposium: Mountain or Molehill? A Critical Appraisal of the Commission White Paper on Governance, www.jeanmonnetprogram.org/papers/01/011601.html. – Rediscovering Civil Society: The European Union and the White Paper on Governance, in: ELJ 2002, Vol. 8 No. 1, 102–132. von Arnim, Hans Herbert: Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, Frankfurt am Main. Augustin, Angela: Das Volk der Europäischen Union, 2000, Berlin. Azpitarte-Sánchez, Miguel: Artikel 6 EU-Vertrag: Kodifizierung durch die Zeit, seine Bedeutung und Rechtsfolgen, in: JöR Bd. 51 (2002), 553–572. Badura, Peter: § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Verfassungsstaat, 3. Aufl. 2004, Heidelberg. Baker, Gideon: Civil Society and Democratic Theory, 2002, Oxford. Bär, Stefani: Die Einflussmöglichkeiten von Umweltverbänden in den Politikprozessen der Europäischen Union, 1996, Bern. Bartelt, Sandra/Zeitler, Helge Elisabeth: Zugang zu Dokumenten der EU, in: EuR 2003, 487–503. Bauer, Hartmut: Demokratie in Europa – Einführende Problemskizze, in: ders. u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 1–17. Becker, Joachim: Das Demokratieprinzip und die Mitwirkung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, in: DÖV 2004, 910–915. Becker, Jürgen: Gewaltenteilung im Gruppenstaat: ein Beitrag zum Verfassungsrecht des Parteien- und Verbändestaates, 1986, Baden-Baden.
288
Literaturverzeichnis
Beetham, David/Lord, Christopher: Legitimacy and the European Union, 1998, London. Bentley, Arthur F.: The Process of Government, 1908, Chicago. Benz, Arthur: Politikwissenschaftliche Diskurse über demokratisches Regieren im europäischen Mehrebenensystem, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 253–280. Biaggini, Giovanni: Ausgestaltung und Entwicklungsperspektiven des demokratischen Prinzips in der Schweiz, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 107–137. Biernat, Stanislaw: Demokratieprinzip im polnischen Verfassungssystem, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 79–106. Blanke, Thomas: Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: KritJ 1998, 452–471. Bleckmann, Albert: Das europäische Demokratieprinzip, in: JZ 2001, 53–58. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Verfassungsstaat, 3. Aufl. 2004, Heidelberg. – § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl. 2005, Heidelberg. von Bogdandy, Armin: Gubernative Rechtsetzung. Eine Neubestimmung des Regierungssystems und der Rechtsetzung unter dem Grundgesetz in gemeineuropäischer Perspektive, 2000, Tübingen. – Das Leitbild der dualistischen Legitimation für die europäische Verfassungsentwicklung. Gängige Missverständnisse des Maastricht-Urteils und deren Gründe (BVerfGE 89, 155 ff.), in: KritV 2000, 284–297. – Beobachtungen zur Wissenschaft vom Europarecht, in: Der Staat 40 (2001), 1–43. – Europäische Prinzipienlehre, in: ders. u. a. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Berlin, 149–204. – Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfassungsrecht, in: VVDStRL 62 (2003), 156–188. – Europäische Verfassung und europäische Identität, in: JZ 2004, 53–61. – Zur Übertragbarkeit staatsrechtlicher Figuren auf die Europäische Union, in: M. Brenner u. a. (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura, 2004, Tübingen, 1033–1052. Boual, Jean-Claude: Une société civile européenne est possible, in: ders., Vers une société européenne, 1999, La Tour d’Aigues, 13–51. Bouwen, Pieter: Corporate lobbying in the European Union: the logic of access, in: JEPP 2002, 365–390.
Literaturverzeichnis
289
Britz, Gabriele/Schmidt, Marlene: Die institutionalisierte Mitwirkung der Sozialpartner an der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft, in: EuR 1999, 467–498. Bröhmer, Jürgen: Das Europäische Parlament: Echtes Legislativorgan oder bloßes Hilfsorgan im legislativen Prozess?, in: ZEuS 1999, 197–213. Brosius-Gersdorf, Frauke: Die doppelte Legitimationsbasis der Europäischen Union, in: EuR 1999, 133–169. von Brünneck, Alexander: Die öffentliche Meinung in der EG als Verfassungsproblem, in: EuR 1989, 249–261. Bryde, Brun-Otto: Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: StWStP 1994, 305–330. Buholzer, René P.: Legislatives Lobbying in der Europäischen Union. Ein Konzept für Interessengruppen, 1998, Bern u. a. Burgi, Martin: § 7 Nichtigkeitsklagen, in: H.-W. Rengeling/A. Middecke/M. Gellermann, (Hrsg.): Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, München. Burson-Marsteller: A Guide to Effective Lobbying of the European Commission, 2003, Brüssel, http://www.bmbrussels.be/images/upload/guideeurcom.pdf. – A Guide to Effective Lobbying of the European Parliament, 2001, Brüssel, http://www.bmbrussels.be/images/upload/guideeurparl.pdf. von Buttlar, Christian: Das Initiativrecht der Europäischen Kommission, 2003, Berlin. Calliess, Christian: Das Demokratieprinzip im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund, in: J. Bröhmer u. a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. Festschrift für Georg Ress, 2005, Köln u. a., 399–421. Calliess, Christian/Ruffert, Matthias (Hrsg.): Kommentar zum EU-Vertrag und EGVertrag, 3. Aufl. 2007, Neuwied u. a. (zit.: Bearbeiter, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV). – Verfassung der Europäischen Union. Kommentar der Grundlagenbestimmungen (Teil I), 2006, München (zit.: Bearbeiter, in: Calliess/Ruffert, Kommentar Verfassung EU). Cassidy, Bryan: A Hawksmere Report: European Lobbying Guide, 1999, London. Chalmers, Damian: The Reconstitution of European Public Spheres, in: ELJ 2003, 127–189. Chambers, Simone/Kymlicka, Will: Alternative Conceptions of Civil Society, 2002, Princeton N. J. Claeys, Paul-H./Gobin, Corinne/Smets, Isabelle/Winand, Pascaline (Hrsg.): Lobbyisme, pluralisme et intégration européenne. Lobbying, Pluralism and European Integration, 1998, Brüssel. Clamen, Michel: Le Lobbying et ses Secrets. Guide des techniques d’influence, 3. Aufl., 2000, Paris.
290
Literaturverzeichnis
Classen, Claus Dieter: Europäische Integration und demokratische Legitimation, in: AöR 119 (1994), 238–260. Cohen, Jean L./Arato, Andrew: Civil Society and Political Theory, 1992, Cambridge/Mass. Cohen, Joshua/Rogers, Joel: Associations and Democracy, 1992, London. Colás, Alejandro: International Civil Society, 2002, Cambridge/Oxford. Craig, Paul: Democracy and Rulemaking within the EC: an empirical and normative assessment, in: ders./C. Harlow, Lawmaking in the European Union, 1998, London, 33–64. – The Nature of the Community: Integration, Democracy, and Legitimacy, in: ders./G. De Bfflrca (Hrsg.), The evolution of EU law, 1999, Oxford, 1–54. Craig, Paul/De Bfflrca, Gráinne: EU Law. Text, cases and materials, 3. Aufl., 2003, 4. Aufl., 2008, Oxford. Cremer, Hans-Joachim: Das Demokratieprinzip auf nationaler und europäischer Ebene im Lichte des Maastricht-Urteils des Bundesverfassungsgerichts, in: EuR 1995, 21–45. Crombez, Christophe: Information, Lobbying and the Legislative Process in the European Union, in: EUP 2002, Vol. 3 No. 1, 7–32. Curtin, Deirdre M.: Postnational democracy. The European Union in Search of a Political Philosophy, 1997, Den Haag. – Private Interest Representation or Civil Society Deliberation? A Contemporary Dilemma for European Union Governance, in: Social & Legal Studies 2003, 55–75. Czybulka, Detlef: Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, 1989, Heidelberg. D’Atena, Antonio: Das demokratische Prinzip im System der Verfassungsprinzipien, in: JöR Bd. 47 (1999), 1–14. Dahl, Robert A.: Democracy and its critics, 1989, New Haven. – On Democracy, 1998, New Haven. Dann, Philipp: Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, Berlin u. a. von Danwitz, Thomas: Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu Gerichten, in: NVwZ 2004, 272–282. Dederer, Hans-Georg: Korporative Staatsgewalt, 2004, Tübingen. Delbrück, Jost: Exercising Public Authority Beyond the State: Transnational Democracy and/or Alternative Legitimation Strategies?, in: IJGLS 2003, 29–43. Di Fabio, Udo: Mehrebenendemokratie in Europa. Auf dem Weg in die komplementäre Ordnung, FCE 10/01, www.whi-berlin.de/documents/difabio.pdf. – Grundrechte als Werteordnung, in: JZ 2004, 1–8. – Demokratie im System des Grundgesetzes, in: M. Brenner u. a. (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura, 2004, Tübingen, 77–95.
Literaturverzeichnis
291
Doehring, Karl: Demokratiedefizit in der Europäischen Union?, in: DVBl. 1997, 1133–1137. Dreier, Horst: Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, in: JURA 1997, 249–257. – (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar, Bd. 2 (Art. 20–82), 2. Aufl. 2006, Tübingen (zit.: Bearbeiter, in: Dreier, GG). Dutheil de la Rochère, Jacqueline: Quelques Réflexions à propos du Livre Blanc de la Commission „Gouvernance Européenne“, in: RMCUE 2002, 10–15. Eder, Klaus: Konstitutionsbedingungen einer transnationalen Gesellschaft in Europa. Zur nachholenden Modernisierung Europas, in: W. Heyde/T. Schaber (Hrsg.), Demokratisches Regieren in Europa?, 2000, Baden-Baden, 87–102. Ehrenberg, John: Civil Society: The Critical History of an Idea, 1999, New York/ London. Eising, Rainer/Kohler-Koch, Beate: Inflation und Zerfaserung: Trends der Interessenvermittlung in der Europäischen Gemeinschaft, in: PVS Sonderheft 25 (1994), 175–206. – Interessenpolitik im europäischen Mehrebenensystem, in: dies. (Hrsg.), Interessenpolitik in Europa, 2005, Baden-Baden. Emde, Ernst Thomas: Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, Berlin. Ennuschat, Jörg: Wege zu besserer Gesetzgebung – sachverständige Beratung, Begründung, Folgenabschätzung und Wirkungskontrolle, in: DVBl. 2004, 986–994. Eriksen, Erik Oddvar/Fossum, John Erik (Hrsg.): Democracy in the European Union – Integration through deliberation, 2000, London. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (Hrsg.): La société civile organisée au niveau européen. Actes de la première Convention, 1999, Brüssel. Europäisches Parlament (GD Forschung): Lobbying in the European Union: Current Rules and Practices, Brüssel 2003, www.europarl.eu.int/estudies/internet/work ingpapers/afco/pdf104_en.pdf. Farnel, Frank J.: Le Lobbying. Stratégies et techniques d’intervention, 1994, Paris. Fisahn, Andreas: Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, Tübingen. Fischer, Klemens H.: Lobbying und Kommunikation in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2005, Berlin. Fischer, Robert: Das Demokratiedefizit bei der Rechtsetzung durch die Europäische Gemeinschaft, 2001, Karlsruhe. Florini, Ann M. (Hrsg.): The Rise of Transnational Civil Society, 2000, Washington. Folz, Hans-Peter: Demokratie und Integration, 1999, Berlin u. a. Franzius, Claudio: Europäische Öffentlichkeit und europäische Verfassung, in: KritV 2003, 325–339.
292
Literaturverzeichnis
Friauf, Karl Heinrich/Höfling, Wolfram (Hrsg.): Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 2006, Berlin: – C Art. 20, 1. Erg.-Lfg II/01, – C Art. 23, 24. Erg.-Lfg. VIII/08 (zit.: Bearbeiter, in: Friauf/Höfling, GG). Fuchs, Dieter: Demos und Nation in der Europäischen Union, in: H.-D. Klingemann/F. Neidhardt (Hrsg.), Zur Zukunft der Demokratie, 2000, Berlin, 215–236. Furtak, Florian T.: Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im politischen System der Europäischen Union: Strukturen – Beteiligungsmöglichkeiten – Einfluss, 2001, München. Geerlings, Jörg: Der Europäische Verfassungsprozess nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden, in: DVBl. 2006, 129–133. Geiger, Andreas: Lobbyisten – des Teufels Advokaten?, in: EuZW 2003, 385. Gerkrath, Jörg: Die Bedingungen der Demokratie in der Europäischen Union/Ein französischer Standpunkt, in: EuGRZ 2006, 371–384. Gicquel, Jean: Droit constitutionnel et institutions politiques, 22. Aufl. 2008, Paris. Goehring, Rebekka: Interest Representation and Legitimacy in the European Union: The New Quest for Civil Society Formation, in: A. Warleigh/F. Fairbrass (Hrsg.), Influence and Interests in the European Union: The New Politics of Persuasion and Advocacy, 2002, London/New York, 118–137. Grams, Hartmut A.: Zur Gesetzgebung der Europäischen Union: eine vergleichende Strukturanalyse aus staatsorganisatorischer Sicht, 1998, Neuwied u. a. Grande, Edgar: Demokratische Legitimation und europäische Integration, in: Leviathan 24 (1996), 339–360. Gray, Oliver: The structure of interest group representation in the EU: some observations of a practioner, in: Claeys u. a. (Hrsg.), Lobbyisme, Pluralisme et intégration européenne, 1998, 281–302. Greenwood, Justin: The White Paper on Governance & EU Public Affairs – Democratic Deficit or Democratic Overload?, School of Public Administration & Law, The Robert Gordon University, Aberdeen. Paper prepared for presentation to the 52nd Annual Conference of the Political Studies Association, 2002, Aberdeen. – Representing Interests in the European Union, 3. Aufl. 2003, London. Grimm, Dieter: § 15 Verbände, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, Berlin/New York. – Braucht Europa eine Verfassung?, in: JZ 1995, 581–591. von der Groeben, Hans/Schwarze, Jürgen (Hrsg.): Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2004, Baden-Baden:
Literaturverzeichnis
293
– Bd. 1 (Art. 1–53 EU, Art. 1–80 EG), – Bd. 4 (Art. 189–314 EG) (zit.: Bearbeiter, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV). Grunauer, Alexander: Demokratie und Legitimation – Die Achillesferse der Europäischen Union, 2002, Zürich. Gündisch, Jürgen/Mathijsen, Petrus: Rechtsetzung und Interessenvertretung in der Europäischen Union. Verfahren – Mitwirkung – Qualität – Legitimation, 1999, Stuttgart u. a. Gusy, Christoph: Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften unter Berücksichtigung der EU, in: ZfP (45) 1998, 267–281. Häberle, Peter: Europäische Verfassungslehre, 6. Aufl. 2009, Baden-Baden. Habermas, Jürgen: Remarks on Dieter Grimm’s „Does Europe Need a Constitution?“, in: ELJ 1995, 303–307. Haibach, Georg: Komitologie nach Amsterdam – die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen im Rechtsvergleich, in: VerwArchiv 90 (1999), 98–111. Hanebeck, Alexander: Bundesverfassungsgericht und Demokratieprinzip, in: DÖV 2004, 901–909. Hansmeyer, Sandra: Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, Berlin. Härtel, Ines: Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, Berlin/Heidelberg. Hartisch, Andreas: Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip und Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, Berlin. Hayder, Roberto: Das Weißbuch „Europäisches Regieren“ der EU-Kommission, in: ZG 2002, 49–58. Heintzen, Markus: Hierarchisierungsprogramme innerhalb des Primärrechts der Europäischen Gemeinschaft, in: EuR 1994, 35–49. – Die Legitimation des Europäischen Parlaments, in: ZEuS 2000, 377–389. Held, David (Hrsg.): New forms of democracy, 1986, London. – Models of democracy, 2. Aufl. 2006, Cambridge. Herdegen, Matthias: Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, in: VVDStRL 62 (2003), 1–36. Heuschling, Luc: Krise der Demokratie und Krise der juristischen Demokratielehre in Frankreich, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 33–67. – Die Struktur der demokratischen Legitimität im französischen Recht: zwischen Monismus und Pluralismus, zwischen Subjekt-Symbolik und Gewaltenmechanik, in: EuGRZ 2006, 338–353. Hilf, Meinhard: Die rechtliche Bedeutung des Verfassungsprinzips der parlamentarischen Demokratie für den europäischen Integrationsprozess, in: EuR 1984, 9–40.
294
Literaturverzeichnis
Hilp, Ulrich: Weißbuch „Europäisches Regieren“ und Bürgerbeteiligung – Ein tauglicher Versuch auf dem Weg zu einem Europa aller Bürger?, in: ZG 2003, 119–129. Hollihn, Frank Armin: Partizipation und Demokratie. Bürgerbeteiligung am kommunalen Planungsprozess?, 1978, Baden-Baden. Horn, Hans-Detlef: § 41 Verbände, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl. 2005, Heidelberg. Hrbek, Rudolf: Der Vertrag von Maastricht und das Demokratiedefizit der Europäischen Union. Auf dem Weg zu stärkerer demokratischer Legitimation? in: A. Randelzhofer/R. Scholz/D. Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, München, 171–193. Huber, Peter M.: Die Rolle des Demokratieprinzips im europäischen Integrationsprozess, in: StWStP 3 (1992), 349–378. – Die parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der europäischen Integration, in: ders. u. a. (Hrsg.), Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, 1995, Tübingen, 105–133. – Die politischen Parteien als Partizipationsinstrumente auf Unionsebene, in: EuR 1999, 579–596. – Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? – Zur Demokratiefähigkeit der Europäischen Union, in: J. Drexl u. a. (Hrsg.), Europäische Demokratie, 1999, Baden-Baden, 27–57. – Das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, in: EuR 2003, 574–599. – Demokratie in Europa – Zusammenfassung und Ausblick, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 491–512. Hufschlag, Hans-Peter: Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?: Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und verfassungspolitische Konsequenzen direkter Demokratie im vereinten Deutschland, 1999, Baden-Baden. Hummer, Waldemar/Obwexer, Walter: Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze“ der EU – Rechtsfragen der „EU-Sanktionen“ gegen Österreich, in: EuZW 2000, 485–496. Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate (Hrsg.): Europäische Integration, 2. Aufl. 2003, Opladen. Jestaedt, Matthias: Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung: Entscheidungsteilhabe Privater an der öffentlichen Verwaltung auf dem Prüfstand des Verfassungsprinzips Demokratie, 1993, Berlin. – Demokratische Legitimation – quo vadis?, in: JuS 2004, 649–653. Joerges, Christian: Das Weißbuch der Kommission über „Europäisches Regieren“: Ein missglückter Aufbruch zu neuen Ufern, in: Integration 2002, 187–199.
Literaturverzeichnis
295
Joerges, Christian/Falke, Josef (Hrsg.): Das Ausschusswesen der Europäischen Union. Praxis der Risikoregulierung im Binnenmarkt und ihre rechtliche Verfassung, 2000, Baden-Baden. Joerges, Christian/Vos, Ellen: EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, Oxford. Joos, Klemens: Interessenvertretung deutscher Unternehmen bei den Institutionen der Europäischen Union: mit Beispielen aus der Versicherungs-, Energie- und Verkehrssicherheitsbranche, 1998, Berlin. Kadelbach, Stefan: Unionsbürgerschaft, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Berlin, 539–582. – Bedingungen einer demokratischen Europäischen Union/Ein deutscher Standpunkt, in: EuGRZ 2006, 384–388. Kamann, Hans-Georg: Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedstaaten an der europäischen Gesetzgebung, 1997, Frankfurt. Karlsson, Christer: Democracy, Legitimacy and the European Union, 2001, Uppsala. Kaufmann, Marcel: Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, BadenBaden. Kielmansegg, Peter Graf: Volkssouveränität: eine Untersuchung der Bedingungen demokratischer Legitimität, 1977, Stuttgart. – Lässt sich die Europäische Gemeinschaft demokratisch verfassen?, in: Europäische Rundschau 1994, 23–33. Kirchhof, Paul: Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Berlin, 893–930. – Europa auf dem Weg zu einer Verfassung?, in: ZSE 2003, 358–382. Klein, Hans H.: Europäischen Parteienrecht, in: J. Bröhmer u. a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. Festschrift für Georg Ress, 2005, Köln u. a., 541–556. Kloepfer, Michael: § 42 Öffentliche Meinung, Massenmedien, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl. 2005, Heidelberg. Kluth, Winfried: Die demokratische Legitimation der Europäischen Union: eine Analyse der These vom Demokratiedefizit der Europäischen Union aus gemeineuropäischer Verfassungsperspektive, 1995, Berlin. – Demokratie, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2006, Baden-Baden. Kohler-Koch, Beate: Interessen und Integration, Die Rolle der organisierten Interessen im westeuropäischen Integrationsprozess, in: PVS Sonderheft 23 (1992), 81–119.
296
Literaturverzeichnis
– Die Gestaltungsmacht organisierter Interessen, in: dies./M. Jachtenfuchs, Regieren im Mehrebenensystem, 1996, Opladen, 193–222. – Organized interests in the EU and the European Parliament, in: Claeys u. a. (Hrsg.), Lobbyisme, Pluralisme et intégration européenne, 1998, 126–158. Kokott, Juliane: Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, in: VVDStRL 63 (2004), 7–40. Kopp, Ferdinand/Ramsauer, 10. Aufl. 2008, München.
Ulrich:
Verwaltungsverfahrensgesetz
Kommentar,
Korioth, Stefan: Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfassungsrecht, in: VVDStRL 62 (2003), 117–152. Kotzur, Markus: Die Demokratiedebatte in der deutschen Verfassungsrechtslehre, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 352–388. Krause, Peter: § 35 Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl. 2005, Heidelberg. Lahusen, Christian: Lobbying als Beruf, 2001, Baden-Baden. – Commercial consultancies in the European Union: the shape and structure of professional interest intermediation, in: JEPP 2002, 695–714. Langenbucher, Katja: Zur Zulässigkeit parlamentsersetzender Normgebungsverfahren im Europarecht, in: ZEuP 2002, 265–286. Larsson, Tobias: Precooking in the European Union – the World of Expert Groups, 2003, www.regeringen.se/content/1/c6/03/63/05/17549c2a.pdf. Lecheler, Helmut: Der Beitrag der allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Europäischen Integration – Rückblick und Ausblick, in: ZEuS 2003, 337–352. de Leeuw, Magdalena Elisabeth: The Regulation on public access to European Parliament, Council and Commission documents in the European Union: are the citizens better off?, European Law Review (2003) 28, 324–348. Leinen, Jo/Schönlau, Justus: Auf dem Weg zur europäischen Demokratie. Politische Parteien auf EU-Ebene: neueste Entwicklungen, in: Integration 26 (2003), 218–227. Lenz, Christofer: Anmerkung zum Urteil des EGMR v. 18.2.1999 – 24833/94 (Denise Matthews/Vereinigtes Königreich), in: EuZW 1999, 311–313. Lepsius, Rainer M.: The ability of a European Constitution to forge a European Identity, in: H.-J. Blanke/S. Mangiameli (Hrsg.), Governing Europe under a Constitution, 2006, Heidelberg, 23–35. Lequesne, Christian/Rivaud, Philippe: The Committees of Independent Experts: expertise in the service of democracy?, in: JEPP 2003, 695–709. Linck, Joachim: Unmittelbare Bürgerbeteiligung am parlamentarischen Gesetzgebungsprozess, in: ZG 2004, 137–148.
Literaturverzeichnis
297
Lord, Christopher: Democracy in the European Union, 1998, Sheffield. LSE Study Group on European Administrative Law, Taking Governance Seriously. Response to the Commission White Paper on European Governance, 2002, www.ec.europa.eu/governance/contrib_lse_en.pdf. Lübbe-Wolff, Gertrude: Europäisches VVDStRL 60 (2001), 246–287.
und
nationales
Verfassungsrecht,
in:
Luhmann, Niklas: Legitimation durch Verfahren, 6. Aufl. 2001, Frankfurt am Main. Magiera, Siegfried: Das Europäische Parlament als Garant demokratischer Legitimation in der Europäischen Union, in: O. Due u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, Band I, 1995, Baden-Baden, 789–801. Magnette, Paul: L’Europe, l’État et la démocratie, 2000, Brüssel. – Appointing and Censuring the European Commission: The Adaptation of Parliamentary Institutions to the Community Context, in: ELJ 2001, 292–310. – European Governance and Civic Participation: Can the European Union be politicised? Jean Monnet Working Paper Nr. 6/01, Symposium: Mountain or Molehill? A Critical Appraisal of the Commission White Paper on Governance, www.jeanmonnetprogram.org/papers/01/010901.html. Mahoney, Christine: The Power of Institutions. State and Interest Group Activity in the European Union, in: EUP 2004, Vol. 5 No. 4, 441–466. Maihofer, Werner: § 12 Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, Berlin/New York. Majone, Giandomenico (Hrsg.): Regulating Europe, 1996, London. – The regulatory state and its legitimacy problems, 1998, Wien. von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, München (zit.: Bearbeiter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG). Marschall, Stefan: Parlamentarische Repräsentation in der Informationsgesellschaft, in: ZfP 45 (1998), 282–299. Maunz, Theodor/Dürig, Günter u. a. (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar, Loseblattsammlung, München: – Bd. 3, Art. 20, Lfg. 18, September 1980, – Bd. 4, Art. 41, Lfg. 43, Februar 2004 (zit.: Bearbeiter, in: Maunz/Dürig, GG). Maurer, Hartmut: Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie, 1997, Heidelberg. Mayer, Franz C.: Macht und Gegenmacht in der Europäischen Verfassung, in: ZaöRV 63 (2003), 59–75. – Wege aus der Verfassungskrise – Zur Zukunft des Vertrags über eine Verfassung für Europa, in: JZ 2007, 593–601.
298
Literaturverzeichnis
McLaughlin, Andrew M./Greenwood, Justin: The Management of Interest Representation in the European Union, in: JCMS 1995, Vol. 33 No. 1, 144–156. Mehde, Veith: Responsibility and accountability in the European Commission, in: CMLR 2003, 423–442. Mény, Yves: De la démocratie en Europe: Old concepts and new challenges, in: JCMS 2002 Vol. 41 No. 1, 1–13. Menzel, Hans-Joachim: Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater, 1980, Berlin. Meyer, Jürgen/Hölscheidt, Sven: Wie der Konvent Europa verfasst hat, in: ZSE 2003, 336–346. Mirabelli, Cesare: The religious element in the Constitution for Europe, in: H.-J. Blanke/S. Mangiameli, Governing Europe under a Constitution, 2006, Heidelberg, 133–143. Möllers, Christoph: Verfassunggebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Berlin, 1–57. Morlock, Martin: Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, in: VVDStRL 62 (2003), 37–84. Muckel, Stefan: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in der Gemeinde?, in: NVwZ 1997, 223–228. Müller-Franken, Sebastian: Unmittelbare Demokratie und Direktiven der Verfassung, in: DÖV 2005, 489–498. Musil, Andreas: Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, in: DÖV 2004, 116–120. Nass, Klaus Otto: Legitimität und Identität der Europäischen Union, in: DVBl. 2006, 1197–1201. Neidhardt, Friedhelm/Koopmans, Ruud/Pfetsch, Barbara: Konstitutionsbedingungen politischer Öffentlichkeit: Der Fall Europa, in: H.-D. Klingemann/F. Neidhardt (Hrsg.), Zur Zukunft der Demokratie, 2000, Berlin, 263–293. Nettesheim, Martin: EU-Recht und nationales Verfassungsrecht, in: J. Schwarze/ P.-C. Müller-Graff (Hrsg.), XX. FIDE-Kongress, EuR Beiheft 1/2004, 7–143. – Demokratisierung der Europäischen Union und Europäisierung der Demokratietheorie – Wechselwirkung bei der Herausbildung eines europäischen Demokratieprinzips, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 142–189. Nowak, Carsten: Informations- und Dokumentenzugangsfreiheit in der EU, in: DVBl. 2004, 272–281. Oeter, Stefan: Souveränität und Demokratie als Probleme in der „Verfassungsentwicklung“ der Europäischen Union, in: ZaöRV 1995, 659–707. – Souveränität und Legitimation staatlicher Herrschaft im europäischen Mehrebenensystem, in: A. Epiney/K. Siegwart (Hrsg.), Direkte Demokratie und Europäische Union, 1998, Freiburg (Schweiz).
Literaturverzeichnis
299
– Föderalismus, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Berlin, 59–119. Olson, Mancor: Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, in: R. Steinberg (Hrsg.), Staat und Verbände: zur Theorie der Interessenverbände in der Industriegesellschaft, 1985, Darmstadt. Oppermann, Thomas: Europarecht, 4. Aufl., München 2009. – Vom Nizza-Vertrag 2001 zum Europäischen Verfassungskonvent 2002/2003, in: DVBl. 2003, 1–10. – Eine Verfassung für die Europäische Union – Der Entwurf des Europäischen Konvents – 1. Teil, in: DVBl. 2003, 1165–1176. – Eine Verfassung für die Europäische Union – Der Entwurf des Europäischen Konvents – 2. Teil, in: DVBl. 2003, 1234–1246. – Europäischer Verfassungskonvent und Regierungskonferenz 2002–2004, in: DVBl. 2004, 1264–1271. Ott, Andrea: Die Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments gegenüber der Europäischen Kommission, in: ZEuS 1999, 231–248. Pache, Eckhard: Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfassungsrecht?, in: DVBl. 2002, 1154–1165. Papier, Hans Jürgen: Auf dem Weg zu einer Verfassung für Europa – eine vorläufige Bewertung des Konventsentwurfs, in: J. Bröhmer u. a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. Festschrift für Georg Ress, 2005, Köln u. a., 699–712. Passadelis, Nicolas: Das Prinzip der Volkssouveränität als Legitimitätsdeterminante der Europäischen Gemeinschaft, 2001, Basel u. a. Pateman, Carole: Participation and Democratic Theory, 1970, London. Pech, Laurent: La solution au „déficit démocratique“: une nouvelle gouvernance pour l’Union Européenne?, in: European Integration 2003, 131–150. Pechstein, Matthias/König, Christian: Die Europäische Union, 3. Aufl., 2000, Tübingen. Pernice, Ingolf: Maastricht, Staat und Demokratie, in: Die Verwaltung 1993, 449–488. – Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL 60 (2001), 148–193. Peters, Anne: Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, Berlin. – Europäische Öffentlichkeit im europäischen Verfassungsprozess, in: EuR 2004, 375–392. Pfeiffer, Georg: Eurolobbyismus: organisierte Interessen in der Europäischen Union, 1995, Frankfurt am Main u. a. Pieroth, Bodo: Plurale und unitarische Strukturen demokratischer Legitimation, in: EuGRZ 2006, 330–338.
300
Literaturverzeichnis
Platzer, Hans-Wolfgang: Interessenverbände und europäischer Lobbyismus, in: W. Weidenfeld (Hrsg.), Europa – Handbuch, 2002, Gütersloh, 410–423. Puttler, Adelheid: Sind die Mitgliedstaaten noch „Herren“ der EU? – Stellung und Einfluss der Mitgliedstaaten nach dem Entwurf des Verfassungsvertrages der Regierungskonferenz, in: EuR 2004, 669–690. Quittkat, Christine: Europäisierung der Interessenvermittlung: Anpassung französischer Wirtschaftsverbände an die EG, in: ZPol 2003, 1961–1978. Radermacher, Ludger: The European Commission’s White Paper on European Governance: The Uneasy Relationship Between Public Participation and Democracy, in: GLJ 2002, Vol. 3 No. 1, 1–8. Ress, Georg: Über die Notwendigkeit der parlamentarischen Legitimierung der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften, in: W. Fiedler u. a. (Hrsg.), Verfassungsrecht und Völkerrecht, Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck, 1989, Köln, 625–684. – Das Europäische Parlament als Gesetzgeber. Der Blickpunkt der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: ZEuS 1999, 219–230. Rhinow, René A.: Grundprobleme der schweizerischen Demokratie, in: ZSR n. F. 103 II (1984), 111–267. Riedel, Norbert K.: Gott in der Europäischen Verfassung? in: EuR 2005, 676–683. Rinken, Alfred: Demokratie und Hierarchie. Zum Demokratieverständnis des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, in: KritV 1996, 282–309. – Demokratie als Organisationsform der Bürgergesellschaft, in: A. Borenschulte u. a. (Hrsg.), Demokratie und Selbstverwaltung in Europa. Festschrift für Dian Schefold, 2001, Baden-Baden, 223–241. Rittner, Fritz: Demokratie als Problem: Abschied vom Parlamentarismus?, in: JZ 2003, 641–647. Röhl, Hans Christian: Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, in: DVBl. 2006, 1070–1079. Roller, Gerhard: Komitologie und Demokratieprinzip, in: KritV 2003, 249–278. Rucht, Dieter: Soziale Bewegungen und ihre Rolle im System politischer Interessenvermittlung, in: H.-D. Klingemann/F. Neidhardt (Hrsg.), Zur Zukunft der Demokratie, 2000, Berlin, 51–69. Ruffert, Matthias: Entformalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, in: DVBl. 2002, 1145–1154. Rumler-Korinek, Elisabeth: Kann die Europäische Union demokratisch ausgestaltet werden – Eine Analyse und Bewertung aktueller Beiträge zur „europäischen Demokratiedebatte“, in: EuR 2003, 327–342. Rummer, Anne: Die Europäische Union nach Amsterdam – Demokratie als Verfassungsprinzip der EU?, in: ZEuS 1999, 249–280. Salamon, Lester M./Anheier, Helmut K. (Hrsg.): Global Civil Society: Dimensions of the Nonprofit-Sector, 1999, Baltimore.
Literaturverzeichnis
301
Sarcinelli, Ulrich (Hrsg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, 1998, Bonn. Sartori, Giovanni: The Theory of Democracy Revisited, 1987, New Jersey. Schaal, Gary S./Heidenreich, Felix: Einführung in die Politischen Theorien der Moderne, 2006, Opladen & Farmington Hills. Schaber, Thomas: Transparenz und Lobbying in der Europäischen Union. Geschichte und Folgen der Neuregelung von 1996, in: ZParl 1997, 266–278. Scharpf, Fritz W.: Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, Konstanz. – Europäisches Demokratiedefizit und deutscher Föderalismus, in: StWStP 1992, 293–306. – Regieren in Europa: effektiv und demokratisch?, 1999, Frankfurt. van Schendelen, Rinus: Machiavelli in Brussels. The Art of Lobbying the European Union, 2002, Amsterdam. Schliesky, Utz: Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, Tübingen. – Der lange Weg von Athen nach Thessaloniki: Welchem Demokratiemodell folgt der Entwurf des Europäischen Verfassungsvertrages?, in: EuR 2004, 124–131. Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Eine Einführung, 3. Aufl. 2000, Opladen; 4. Aufl. 2008, Wiesbaden. – Geschichtliche Entwicklungslinien der Demokratie, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 21–32. Schmidt-Aßmann, Eberhard: Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, in: AöR 116 (1991), 329–389. Schmidtchen, Dieter: Demokratiedefizit in Europa? Über Dichtung und Wahrheit in der europäischen Verfassungsdebatte, in: J. Bröhmer u. a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. Festschrift für Georg Ress, 2005, Köln u. a., 787–804. Schmitt Glaeser, Walter: § 38 Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl. 2005, Heidelberg. – Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, in: VVDStRL 33 (1973), 224–265. Schmitter, Philippe C.: How to Democratize the European Union . . . and Why Bother?, 2000, New York. Schmitz, Thomas: Das europäische Volk und seine Rolle bei einer Verfassungsgebung in der Europäischen Union, in: EuR 2003, 217–243. Schneider, Gerald/Baltz, Konstantin: Am Gängelband der Verbände: Zum Einfluss von Partikularinteressen auf die deutsche EU-Politik, in: ZSE 2003, 199–219. Schorkopf, Frank: Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union? – Zur Zulässigkeit der „bilateralen“ Sanktionen gegen Österreich –, in: DVBl. 2000, 1036–1044.
302
Literaturverzeichnis
Schreiber, Wolfgang: Die Wahl zum Europäischen Parlament in der Bundesrepublik Deutschland, in: NVwZ 2004, 21–28. Schröder, Meinhard: Die Parlamente im europäischen Entscheidungsgefüge, in: EuR 2002, 301–317. Schroeder, Werner: Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Berlin, 373–414. Schuppert, Gunnar Folke: Bürgerinitiativen als Bürgerbeteiligung an staatlichen Entscheidungen, in: AöR (102) 1977, 369–409. – Anforderungen an eine Europäische Verfassung, in: H. D. Klingemann/F. Neidhardt, Zur Zukunft der Demokratie: Herausforderungen im Zeitalter der Globalisierung, 2000, Berlin, 237–262. – Überlegungen zur demokratischen Legitimation des europäischen Regierungssystems, in: J. Ipsen (Hrsg.), Recht – Staat – Gemeinwohl. Festschrift für Dietrich Rauschning, 2001, Köln, 201–224. – Gute Gesetzgebung. Bausteine einer kritischen Gesetzgebungslehre, in: ZG Sonderheft 2003, 1–102. de Schutter, Oliver: Europe in Search of its Civil Society, in: ELJ 2002, Vol. 8 No. 2, 198–217. – Public interest litigation before the European Court of Justice, in: MJ 2006, 9–34. Seeler, Hans-Joachim: Die Legitimation des hoheitlichen Handelns der Europäischen Gemeinschaft/Europäischen Union, in: EuR 1998, 721–733. Seligman, Adam: The Idea of Civil Society, 1992, New York. Siebeke, Simone: Institutionelle Interessenvertretungen in der Europäischen Union, 1996, Baden-Baden. – European Civil Society: Shaped by Discourses and Institutional Interests, in: ELJ 2003, Vol. 9 No. 4, 473–495. Smith, Gordon: The Structure of Democracy in the United Kingdom and Problems of Development, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 69–77. Sobotta, Christoph: Transparenz in den Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union, 2001, Baden-Baden. Sommermann, Karl-Peter: Verfassungsperspektiven für die Demokratie in der erweiterten Europäischen Union: Gefahr der Entdemokratisierung oder Fortentwicklung im Rahmen europäischer Supranationalität, in: DÖV 2003, 1009–1017. – Demokratiekonzepte im Vergleich, in: H. Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, Tübingen, 191–221. Steinberg, Rudolf: Pluralismus und öffentliches Interesse als Problem der amerikanischen und deutschen Verbandslehre, in: AöR 96 (1971), 465–505. – Grundgesetz und Europäische Verfassung, in: ZRP 1999, 365–374.
Literaturverzeichnis
303
Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, München. Streinz, Rudolf: Die demokratische Legitimation der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft, in: ThürVBl. 1997, 73–80. – (Hrsg.): EUV/EGV Kommentar, 2003, München (zit.: Bearbeiter, in: Streinz, EUV/EGV). – Europarecht, 8. Aufl. 2008, Heidelberg. Teuber, Jörg: Interessenverbände und Lobbying in der Europäischen Union, 2001, Frankfurt am Main u. a. Tiedtke, Andreas: Demokratie in der Europäischen Union, 2005, Berlin. Tietje, Christian: Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, in: DVBl. 2003, 1081–1096. Tilch, Horst/Arloth, Frank (Hrsg.): Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 1 A–F, Bd. 2 G–P, Bd. 3 Q–Z, 3. Aufl. 2001, München (zit.: Bearbeiter, in: Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd.). Tomerius, Stephan: Kooperatives Verwaltungshandeln und Demokratieprinzip – Verfassungsrechtliche Strukturvorgaben am Beispiel informeller Absprachen in Genehmigungsverfahren, in: StWStP 1997, 289–312. Vayssière, Bertrand: Groupes de pression en Europe. Europe des citoyens ou des intérêts?, 2002, Toulouse. Vedder, Christoph/Heintschel von Heinegg, Wolff (Hrsg.): Europäischer Verfassungsvertrag, Nomos Kommentar, 2007, Baden-Baden (zit.: Bearbeiter, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, VVE). Verhoeven, Amaryllis: The EU in search of a Democratic and Constitutional Theory, 2002, Den Haag. Vierlich-Jürcke, Katharina: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Gemeinschaften, 1998, Baden-Baden. Vitzthum, Wolfgang Graf: Die Identität Europas, in: EuR 2002, 1–16. Volkmann, Uwe: Relativität des Staates – Staatsbegriff und Staatsverständnis im Spiegel der jüngeren Geschichte, in: JuS 1996, 1058–1064. Voßkuhle, Andreas/Sydow, Gernot: Die demokratische Legitimation des Richters, in: JZ 2002, 673–682. – § 43 Sachverständige Beratung des Staates, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl. 2005, Heidelberg. Wägenbaur, Bertrand: Der Zugang zu EU-Dokumenten – Transparenz zum Anfassen, in: EuZW 2001, 680–685. Walzer, Michael (Hrsg.): Towards a Global Civil Society, 1995, Oxford. Weber-Panariello, Philippe A.: Nationale Parlamente in der Europäischen Union: Eine rechtsvergleichende Studie zur Beteiligung nationaler Parlamente an der in-
304
Literaturverzeichnis
nerstaatlichen Willensbildung in Angelegenheiten der Europäischen Union im Vereinigten Königreich, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Baden-Baden. Weiler, Joseph H. H.: Der Staat „über alles“, in: JöR 44 (1996), 91–135. – Democracy and Legitimacy, in: P. Craig/C. Harlow (Hrsg.), Lawmaking in the E.U., 1998, London, 3–32. – The Constitution of Europe: „Do the new clothes have an emperor?“, Cambridge 1999. Werres, Bettina: Information und Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten nach den Richtlinien 2004/4/EG und 2003/35 EG, in: DVBl. 2005, 611–619. Wolf, Sebastian: Das Demokratiedefizit der Europäischen Union aus Sicht der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: ZEuS 2003, 379–397. Wright, Anthony: The British political process: an introduction, 2000, London. Würtenberger, Thomas: Legitimationsmuster von Herrschaft im Laufe der Geschichte, in: JuS 1986, 344–349. Yvon, Yannic: Sprachenvielfalt und europäische Einheit – zur Reform des Sprachenregimes der Europäischen Union, in: EuR 2003, 681–695. Zacharias, Diana: Das Prinzip der demokratischen Legitimation, in: JURA 2001, 446–450. Zuleeg, Manfred: Demokratie und Wirtschaftsverfassung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, in: EuR 1982, 21–29. – Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, in: JZ 1993, 1069–1074. – Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? – Zur Demokratiefähigkeit der Europäischen Union, in: J. Drexl u. a. (Hrsg.), Europäische Demokratie, 1999, Baden-Baden, 11–25. – Zusammenhalt durch Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Europäischen Union, in: JöR 51 (2002), 81–96. – Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, Berlin, 931–957. Zürn, Michael: Über den Staat und die Demokratie im europäischen Mehrebenensystem, in: PVS (37) 1996, 27–55.
Sachverzeichnis Aarhus-Übereinkommen 249 f., 252 Akzeptanz 50, 98, 101, 103, 106, 197, 207, 246, 248 Anhörung (als Beteiligungsinstrument) 42, 103, 112, 115, 130, 136, 146, 159, 161 f., 164, 167 f., 170 f., 173 ff., 181, 185, 193, 196 f., 200, 202 ff., 244, 247, 251, 258, 261 ff., 266, 268 Arbeitsgruppe 151 ff., 165, 170, 175 Ausschuss – Ausschuss (Europäische Kommission) 165 ff. – Ausschuss (Europäisches Parlament) 148 ff., 162, 261, 268 – Ausschuss der Regionen (AdR) 154 – Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) 152 ff. – Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) 137 f., 154, 157 ff., 171, 261 – Komitologie-Ausschuss 78 f., 142, 151, 166 – Untersuchungsausschuss 76 – Vermittlungsausschuss 73 Autonomie (Individuum) 222, 228 f., 241 Begründung (Rechtsakt) 148, 182, 217, 265 ff., 269 ff. Berichterstatter 147 ff., 157, 159 f. Beteiligung (siehe auch Bürgerbeteiligung, Öffentlichkeitsbeteiligung, Partizipation) 12, 43, 51, 98, 108 ff., 112, 114 ff., 120, 125, 130 f., 140, 146 ff., 159, 162, 164 f., 173 ff., 179, 184 f., 191, 201 f., 206, 211 ff., 218, 220, 223 f., 229 f.,
233 f., 237 ff., 242, 244, 246 f., 249 ff., 253, 256, 258 ff., 264 f., 272, 275 ff. – Beteiligungsart (auch Beteiligungsform) 106, 158 f., 162, 164, 203, 237 f., 253 f., 258, 260, 266 – Beteiligungsrecht 43, 55, 79, 202, 212, 225, 237 f., 249, 251, 252, 254, 256 f., 264, 267 ff., 272 f., 275 – Beteiligungsverfahren 164, 203, 237, 242 ff., 248 f., 250 f., 253 ff., 263 ff., 272 ff., 277 Betroffenheit 247, 268, 271 Bürgerbeteiligung (siehe auch Beteiligung, Partizipation) 12, 18 f., 101, 104, 107 ff., 115 f., 119, 146, 159 f., 167 f., 171 ff., 175, 177, 179, 184 f., 189, 193 ff., 197 ff., 202 f., 205 ff., 210 ff., 216, 220, 225, 234, 237, 243 ff., 248, 252, 253 f., 256, 264 ff., 275 ff. Bürgerinitiative 32, 89, 117, 140, 194, 201, 205 f. Bundesstaat 24, 27, 34, 37 Bundesverfassungsgericht 49, 51, 55, 61, 85, 87, 91 f., 94, 105, 219, 274 CONECCS (Datenbank) 166, 171, 178 f. Demokratie (auch Demokratiebegriff) 20 ff., 45 ff., 52 ff., 57, 65, 80 ff., 87, 89 ff., 100, 104 f., 108 f., 114, 140, 146, 176, 184, 189, 191, 199, 222, 225, 231, 234 f., 239, 242 f., 277 – assoziative Demokratie 214 ff. – attische Demokratie 23 – deliberative Demokratie 214 ff.
306
Sachverzeichnis
– direkte Demokratie 33, 110, 112, 115, 206 f., 215 – föderale Demokratie 33, 35 ff. – mittelbare Demokratie 111 – moderne Demokratie 24, 29 – parlamentarische Demokratie 33 ff., 45, 95, 97, 99, 212, 218, 220 – partizipative (auch patizipatorische) Demokratie 17 f., 40, 55, 101, 103 f., 108, 145 f., 154, 158, 190 ff., 202 f., 206 f., 214 f., 218 ff., 248, 254 – pluralistische Demokratie 206, 214, 227, 248 – repräsentative Demokratie 17 f., 24, 32, 40, 111, 147, 150, 191 ff., 202, 207, 217 ff., 236, 254, 277 – unmittelbare Demokratie 25, 32, 96, 101, 103, 111, 194 – Verhandlungsdemokratie 215 Demokratiedefizit 17, 34, 36, 94, 108 Demokratiemodell (auch Demokratieform, Demokratiekonzept) 30, 32 f., 37, 41, 43, 55, 101, 193, 207, 214, 218, 225, 246 Demokratieprinzip 25, 28, 30 ff., 36, 38 ff., 45, 48, 55, 91 f., 214, 221, 224 , 237, 242 Demokratietheorie 23, 36, 58, 207 f., 214 ff., 227, 248 demokratischer Unterbau 23, 26, 28 f., 80, 91, 95 ff., 105, 138 Dokumentationspflicht 266 f., 270 f. Effektivität 101, 124, 198 f., 207, 248, 265, 277 Einheitliche Europäische Akte (EEA) 39, 42, 98, 121, 147, 151 Entscheidung 28, 50 ff., 62, 66, 68, 108, 110 ff., 181, 192, 208 f., 212, 217 f., 224, 228 f., 237 ff., 243, 245 f., 248 f., 251 f., 257 f., 263 f., 265 f., 270 ff. – Alleinentscheidung 111, 115
– Mehrheitsentscheidung 66, 69, 81, 89, 91, 211, 215 – Mitentscheidung 73, 96, 103, 110, 112 f., 115, 138, 147, 151, 154 Entscheidungsbefugnisse 63 f., 154 f., 159, 167, 220 Entscheidungsbildung (auch Entscheidungsfindung) 69, 114, 134, 176, 182, 248 Entscheidungsorgan 37, 147, 151, 158 f., 163, 234 Entscheidungsstruktur 58, 129, 200, 211, 218, 242 Entscheidungssystem 17, 26, 108, 112, 120, 125, 151, 185, 212, 224 f., 237 Entscheidungsträger 18, 87, 110, 112 ff., 128 ff., 140 f., 146, 161, 164, 178, 213, 216, 224, 239 ff., 248, 276 Entscheidungsverfahren (auch Entscheidungsprozesse) 47, 54, 94, 103, 109 f., 114, 120, 124, 129, 140, 147, 151, 181, 189, 193 f., 209, 211 ff., 239 ff., 246 ff., 251 f. Entscheidungsvorbereitung 114 f., 206, 213, 218, 220, 224 Erklärung von Laeken 29, 40, 136, 189 f. europäische Integration 34, 36 f., 57, 84, 91, 93, 95, 99, 104, 115, 120 f., 243, 276 Europäische Kommission 17, 19, 35, 45, 59, 63 ff., 67, 73 ff., 77 ff., 86, 90, 107, 115, 118 f., 130 ff., 138 ff., 141 ff., 153, 155, 158 ff., 175 ff., 193 ff., 242 f., 254 ff., 258 f., 261 ff., 276 f. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 28, 38 Europäischer Gerichtshof (EuGH) 27, 35, 38, 42 ff., 62, 98, 132, 191, 270, 272 f. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss siehe Ausschuss
Sachverzeichnis Europäisches Parlament 19, 35 f., 42 f., 45, 59, 61 ff., 69 ff., 82, 86, 90 ff., 95 ff., 105 f., 107, 115, 131, 138 ff., 145, 147 ff., 154 ff., 162 ff., 170 f., 173, 175, 179 f., 185, 192, 196, 198 f., 207, 211, 219, 242, 255, 261, 263, 265, 268, 276 f. Exekutive 31, 50, 53 f., 57, 59, 67 f., 72, 75, 77, 102, 109, 115, 211 Freiheit 32, 83, 88, 103, 114, 127 f., 135, 174, 203, 223 f., 228 f., 232, 234 ff., 238 – autonome Freiheit 221 ff., 225, 227, 235 – individuelle Freiheit 223, 225 ff., 230, 232, 235 – kollektive Freiheit 226, 229 f. – Mitwirkungsfreiheit 223 ff., 235 Gemeinwesen 23 f., 26 ff., 29, 80 ff., 87, 89, 93 f., 100, 105, 111, 127 ff., 208 f., 213 f., 218, 221 ff., 225 ff., 230 ff., 235 ff., 239 Gemeinwillen 230, 232, 240 Gemeinwohl 96, 101, 103, 113, 126, 135, 140, 150, 159, 199, 207, 209 f., 215 f., 234, 239 ff., 248, 264 Generaldirektion 64, 143, 158, 162, 165 f., 172, 174, 183, 268 Geschäftsordnung 159, 168 f., 175 – Geschäftsordnung der Europäischen Kommission 170 – Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments 147, 169, 173 – Geschäftsordnung des EWSA 171 – Geschäftsordnung des Rats 68, 152 Gesellschaftsvertrag 228 ff., 232 Gesetzgebung (auch Legislative) 27, 49, 113, 150, 168, 184, 229 – Gesetzgebungsbefugnis (auch Gesetzgebungskompetenz) 66 f., 72, 77, 230 – Gesetzgebungsverfahren (auch Gesetzgebungsprozess) 72, 147, 149
307
Gleichgewicht (Interessen) 216, 240 f., 243 – Institutionelles Gleichgewicht 35, 43 Gleichheit 23, 51 f., 69 f., 77, 81, 96, 100, 191 f., 206, 210, 217, 226, 228 ff., 232, 234 ff., 242, 257 f., 262 f., 266, 276 f. – Gleichheitsgrundsatz 44, 191, 238, 263 Governance 18, 107, 131, 134, 137, 140, 175 f., 184, 188 f., 194 ff., 203 ff., 276 Grünbuch 163, 183, 186 Grundgesetz 25, 27, 29, 33, 48, 52 f., 91 f., 111 Grundrechte 96, 101, 114, 127, 223, 236, 239, 248 – Grundrechtecharta 39, 96 Herrschaft 22 ff., 37, 46 ff., 57, 62, 80, 103, 109, 208 ff., 226, 228 ff. – Herrschaftsbefugnis 24, 227 – Herrschaftsgewalt 23, 27 f., 31, 47 f., 56 f., 103, 207 ff., 213, 217, 220 f., 224 ff., 246, 276 – Herrschaftsordnung (auch Herrschaftssystem) 22, 26, 28 f., 34, 36 f., 47 f., 56, 96, 208, 210, 213, 218, 221, 223 ff., 229 ff., 240 Hoheitsbefugnis 77, 92, 95, 105 Hoheitsgewalt 24, 47 ff., 52 ff., 58 f., 63 f., 67, 100 ff., 108 f., 115, 139, 248 Hoheitsorgan 29, 50 Hoheitsrecht 54, 95 Hoheitsträger 114, 248 Homogenität (relative) 82, 92 f., 105 Identität (kollektive) 29, 80 ff., 89, 97 ff. Initiativmonopol 63, 65, 67, 78, 141, 158 Initiativrecht 63, 77 f., 80, 132, 141
308
Sachverzeichnis
Interessenvertretung 115, 122 ff., 141, 186, 243, 248 – organisierte Interessenvertretung 116, 120, 150 Klagebefugnis 252, 271 Komitologie 78 f., 141 f., 166 – Komitologieverfahren 63 ff., 78 ff., 142, 151 Kommunikation 18 f., 44, 86 f., 89, 97, 110, 112, 114 f., 119, 136, 140 f., 146 f., 150, 153 f., 158 ff., 162, 164 f., 167, 172, 174, 177 f., 182, 184, 198 f., 203 f., 206, 216, 236, 240, 245, 248, 257, 277 – Kommunikationspartner 108, 115, 141, 147, 153, 155, 157 ff. Konstitutionalisierungsprozess (auch Verfassungsgebungsprozess) 27, 34, 97, 176, 198, 194 f., 276 Konsultation 17, 45, 130, 132 f., 135 f., 145, 161, 164, 168, 170, 172 ff., 176 ff., 184, 186, 188, 190, 193, 196 ff., 200 f., 203 ff., 259 – Konsultationsverfahren (auch Konsultationsprozess) 135, 161, 162, 164, 171 f., 174 f., 181 f., 188, 194, 200, 206, 243, 254, 256, 258 ff. Konvent (zur Zukunft Europas, auch Verfassungskonvent) 40, 131, 135 ff., 140, 175, 190, 192, 194 f., 205 Legitimation 46 ff., 53, 56, 58, 61, 64, 66, 81, 91 f., 101, 103, 108, 139, 144 f., 150, 158, 192, 197 ff., 207 ff., 212 f., 225, 230 f., 234, 244 f., 276 – demokratische Legitimation 17, 18, 20, 45 ff., 51 ff., 58 ff., 63, 65, 69, 77, 79, 89 ff., 95, 101 ff., 189, 206 ff., 211, 218, 220, 222, 233, 236, 243 ff., 248, 275 ff. – Input-Legitimation 208 ff., 213, 220
– Output-Legitimation 104, 197, 208, 210, 213 – personelle Legitimation 49 f., 62, 65, 69, 77 f., 90, 211 – sachlich-inhaltliche Legitimation 50 f., 64 ff., 69, 72, 77 f., 211 Legitimationsart (auch Legitimationsform) 50, 53, 80, 90, 100 f., 103 Legitimationsbedürftigkeit 56 Legitimationsdefizit 17 Legitimationseinheit 232 ff. Legitimationselement 103, 106 f., 207, 209 Legitimationskette 49, 52, 55, 60, 62 ff., 69, 78, 90 f., 101, 210 f. Legitimationsmodell (auch Legitimationsschema, Legitimationssystem) 51 f., 55, 57 ff., 91, 100, 102 ff., 193, 207 ff., 216, 218 ff., 232 f., 236, 246, 276 Legitimationsniveau 50, 98 Legitimationsprozess (auch Legitimationsverfahren) 47, 99, 210, 212, 232 Legitimationsquelle 20, 102, 107, 206, 220, 225, 234, 277 Legitimationsstrang 50, 59 ff., 63 ff., 69, 90 f., 95, 99 f., 105, 192, 207, 218 Legitimationssubjekt 51, 53, 55, 57, 61 f., 64, 66, 82, 99, 212, 220, 232 f., 275 Legitimationsvermittlung 48, 51, 54 f., 57 f., 65 f., 74, 80, 90 f., 95, 98 ff., 102 ff., 106, 207 f., 225, 276 Legitimationszusammenschluss 232 f. Legitimität 46 ff., 145, 176, 197, 208 ff., 245 f. Lobbying 18, 115, 124 Maastricht-Urteil 61, 91, 94 Mehrebenensystem 37, 56, 102, 207 ff., 231 f., 234 Mehrheitsentscheidung siehe Entscheidung
Sachverzeichnis Meinung (öffentliche) 29, 80, 84 f., 87 ff., 92, 97 f., 114, 144, 146, 203 Meinungsbildung 28, 44, 84, 89, 102, 129, 146, 211, 223 – Meinungsbildungsprozess 88, 103, 108, 110, 113 ff., 146, 212, 239 Medien 22, 32, 80, 87 ff., 96, 99, 129, 251 Menschenwürde 101, 221 f., 224 f., 231, 235, 246 Misstrauensvotum 76 Mitentscheidungsverfahren (zu Mitentscheidung siehe Entscheidung) 73, 96, 138, 147, 151 Mitwirkung 43, 60 f., 66, 80, 103, 108 ff., 113 ff., 165, 204, 241, 248, 253, 259 – Mitwirkungsbefugnis 42 – Mitwirkungsfreiheit 223 ff., 235 – Mitwirkungsrechte 43, 79, 234 ff. Naturrechtslehre 228 Nichtigkeitsklage 156, 270 f., 273 Nichtregierungsorganisation 115, 118, 132, 137, 139, 146, 150, 161, 188, 201, 252 Öffentlichkeitsbeteiligung (siehe auch Beteiligung) 246, 248 f., 251 f. Optimierungsgebot 25 ff., 33, 214, 222, 224, 237 Parlamentssouveränität 53, 55 Partei (politische) 30, 32, 44, 54, 74 f., 84, 85, 87, 92, 99, 129, 135, 149, 184, 213, 240 – europäische Partei 74 f., 96 Partikularinteressen 199, 224, 234, 238 ff., 244, 264 Partizipation (siehe auch Beteiligung) 19, 26, 50 f., 54, 103, 108 f., 115, 119, 146, 181, 197, 199, 209, 214, 218, 224 f., 241 Plan D 176, 184, 189, 204 Pluralismustheorie 216, 239 ff., 243
309
Politikgestaltungsprozess 17, 146, 176 f. Politikwissenschaft 18, 22, 26, 37, 120, 208 Primärrecht 17, 27 f., 38, 41, 43 ff., 56 f., 59, 83, 132 f., 147, 152, 167, 191, 195 f., 202, 205 f., 219, 253 f. Rechtsakt 42, 64, 66 ff., 72 ff., 77 ff., 81, 86, 90, 110, 124, 132 f., 141, 143 ff., 151, 155 f., 158 ff., 166, 168, 170, 174, 180, 194, 196 ff., 200, 205 f., 211, 237 f., 244, 254 ff., 257, 259, 263 ff., 269, 271 ff. Rechtsbehelf 256 f., 267, 275 Rechtsetzungsbefugnis 65, 72 f., 77, 90 f., 96, 124, 142, 219 Rechtsetzungsprozess (auch Rechtsetzungsverfahren) 18 ff., 42 f., 53, 59, 61, 63 ff., 67, 72, 78, 90, 104, 106 ff., 112, 114 ff., 118, 124 ff., 130 f., 134 f., 137 f., 140 f., 144 ff., 150 f., 154 ff., 158 ff., 163, 168, 172 f., 176, 179, 181, 184, 188, 194, 197 ff., 201, 205 f., 212, 220, 238, 242 ff., 247 f., 252 f., 260, 263 ff., 269, 272, 275 ff. Rechtsgemeinschaft 28, 82 ff. Rechtsgrundsatz 33, 41 f., 45, 83 Rechtsschutz 32, 198, 253, 256 f., 267, 269, 271 f. Rechtssicherheit 132, 198 Referendum 101, 205 Regierungsform 22 ff., 30 f. Regierungskonferenz 39 f., 62, 190, 219 Regierungssystem 24 f., 35, 96 Registrierung 171, 186, 258, 261, 264, 268 Richtlinie 57, 71, 88, 168, 250 ff., 255, 265, 270 f., 273 Sachkompetenz 101, 103, 207 Sachverständige 53, 112, 162, 165 f., 171
310
Sachverzeichnis
Sachverstand 144 f., 150 154, 156, 158 f., 162, 172, 197, 237, 259 f., 263 Sekundärrecht 17, 59, 62, 64, 66 f., 98, 132, 167 f., 171, 253 ff., 272 Selbstbestimmung 51, 81, 101, 215, 221 ff., 228 f., 234 ff. Selbstherrschaft 23 f. sozialer Dialog 113, 132, 175, 253, 256 Sozialwissenschaften 21 f., 103, 108, 117, 125 Sprache 82, 85 ff., 89 Staat 23 f., 26 f., 29, 34 ff., 39 f., 53 f., 56, 58, 62, 82, 87, 93 f. – Nationalstaat 33 f., 85, 92, 94 – Verfassungsstaat 24 f., 28, 31, 36, 48, 58 Staatsgewalt 27, 32, 48, 50, 55, 226 Staatssouveränität 26, 226, 231 f. Staatsvolk 51, 55, 59 ff., 64 ff., 70, 78, 81, 92 f., 95, 99, 105, 107, 207, 231, 276 Strukturprinzip 25 f., 28, 33, 36, 38 f., 45, 214, 224 Transparenz 68, 79, 101, 171, 179, 181, 184 ff., 189, 192, 196, 198 f., 205, 207, 211, 242, 244, 248, 253, 260 ff., 265 f., 277 Überprüfungsverfahren 252 f., 257, 267 ff., 275 Umweltrecht 245 f., 248 f., 252 Unionsbürger 61 f., 64 f., 77 f., 82 f., 86 f., 89, 92 ff., 95 ff., 105, 168, 170, 173, 177, 185, 192, 194, 196, 201, 206 f., 219 f., 223, 232 ff., 238, 254 f., 257 ff., 262, 264, 266 ff., 275 f. Untätigkeitsklage 76, 270 Verantwortlichkeit 18, 31, 50, 54, 61, 65 ff., 72, 75 f., 181, 211 f. Verantwortungszusammenhang 52, 211
Verband 84, 87, 89, 92, 115, 117, 121 ff., 125, 145, 150, 161 ff., 165, 167, 172 f., 193, 196, 203, 238, 259, 271 – Verbandseinheit 23, 56, 82 Verfassungsgebung (siehe auch Konstitutionalisierung) 34, 97, 194, 276 Verfassungsprinzip 25 ff., 41 f., 222 Verfassungsrecht 29 ff., 54, 231 Verfassungsvertrag (Vertrag über eine Verfassung Europas) 17, 34, 39 f., 45, 61, 96 f., 101, 107, 131, 136 f., 147, 175 f., 184, 188 ff., 201 ff., 218 f., 243, 254, 257 Verhaltenskodex 159, 169 ff., 178, 186 f. Verordnung 57, 75, 168, 255 ff., 265, 270 f., 273 Vertrag von Amsterdam 38 f., 68, 95, 156, 168, 189 Vertrag von Maastricht 39, 61, 93, 98, 131, 138, 156 Vertrag von Nizza 39, 63, 70, 95, 98, 138, 147, 198, 194 f. Verwaltungsverfahren 79, 109, 113, 151, 246 ff., 252 Volksbegehren 111, 194 Volksentscheid 30, 33, 111 Volksherrschaft 23 Volkssouveränität 33, 37, 52 ff., 59, 210, 220 f., 225 ff., 230 ff. Wahlprüfungsverfahren 268 f. Wahlrecht 17, 30, 54, 70, 91, 192, 194, 202, 212, 223, 225, 234, 236 ff., 254, 274, 277 – Wahlrechtsgleichheit 70, 77, 96, 234 Weißbuch 163, 171 f., 174, 185, 195, 259 – Weißbuch „Europäisches Regieren“ 17, 134 f., 140, 145 f., 172, 175 f., 179, 187 f., 190, 195 f., 198, 200 f., 203, 205 f.
Sachverzeichnis Wertegemeinschaft 83 Willensbildung 26, 47, 54, 60, 64, 80, 84 f., 100, 106, 109 f., 129, 146, 156, 213 ff., 217 f., 223, 229 f., 238 ff., 266
311
ziviler Dialog 17, 131 ff., 137 f. Zivilgesellschaft 17 f., 85, 87 ff., 96, 107, 115, 125 ff., 133 ff., 157, 159, 165 f., 171, 175, 177 ff., 184, 188 f., 193 f., 196, 198, 200, 204 Zustimmungsverfahren 73