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German Pages 256 [272] Year 1980
EHALT AUSDRUCKSFORMEN ABSOLUTISTISCHER HERRSCHAFT
SOZIAL- U N D
WIRTSCHAFTSHISTORISCHE
STUDIEN
Herausgegeben von A L F R E D H O F F M A N N und M I C H A E L
MITTERAUER
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Universität Wien
B A N D 14
HUBERT CH. EHALT
AUSDRUCKSFORMEN ABSOLUTISTISCHER HERRSCHAFT Der Wiener Hof im 17. und 18. Jahrhundert
R. OLDENBOURG VERLAG M Ü N C H E N 1980
Publiziert mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ehalt, Hubert Ch.: Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft : d. Wiener Hof im 17. u. 18. Jh. / H u b e r t Ch. Ehalt. — München : Oldenbourg, 1980. (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien ; Bd. 14) ISBN 3-486-42371-1
© 1980. Verlag für Geschichte und Politik Wien Druck: R. Spies & Co., 1050 Wien Umschlagentwurf: Renate Uschan-Boyer ISBN 3-486-42371-1 Das Buch erschien auch im Verlag für Geschichte und Politik Wien (mit der ISBN 3-7028-0153-7)
INHALT EINLEITUNG 1. D E R A B S O L U T I S M U S IN DER F O R S C H U N G 1.1. 1.2. 1.3.
Der A b s o l u t i s m u s in der deutschen verfassungsgeschichtlichen F o r s c h u n g Der A b s o l u t i s m u s , der Hof u n d sein A m b i e n t e in der Kulturgeschichte Der A b s o l u t i s m u s in der sozialgeschichtlichen Forschung
2. D I E S O Z I O G E N E S E DES ABSOLUTISMUS IN DEN HABSBURGISCHEN LÄNDERN 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Die allgemeine E n t w i c k l u n g s t e n d e n z : Zivilisierung, Disziplinierung, Rationalisierung Das Verhältnis zwischen Kaiser u n d Adel am Wiener Hof S t r u k t u r u n d personelle E n t w i c k l u n g des Wiener Hofes Kosten
3. D I E H Ö F I S C H E R A T I O N A L I T Ä T 3 . 1 . Repräsentativer A u f w a n d u n d Prestigeverbrauch 3 . 2 . Intrige u n d Diplomatie - R a n g o r d n u n g k o n t r a Wertordnung 3 . 3 . S e l b s t b e o b a c h t u n g u n d Selbstbeherrschung, Menschenkenntnis und Menschenbehandlung 3 . 4 . Publizistik, Wissenschaft, K u n s t p r o d u k t i o n u n d K u n s t r e z e p t i o n im Absolutismus E x k u r s : Die Heirat Kaiser Leopolds I. m i t der spanischen I n f a n t i n Margareta Theresia - Ein Musterbeispiel h ö f i s c h e r Politik 4. SCHLOSS- U N D G A R T E N A R C H I T E K T U R 4 . 1 . V o m F e s t u n g s - z u m Schloßbau
7 11 13 16 19 22 22 25 32 55 63 64 71 75 77
80 83 84
Inhalt
6 4.2. 4.3. 4.4.
Das S c h l o ß als O r t repräsentativer Ö f f e n t l i c h k e i t Das Schloß, „ T h e a t r u m " der Selbstdarstellung Herrschaftsarchitektur
4.5.
Z u m a r c h i t e k t o n i s c h e n A u s d r u c k der Stellung v o n M a n n u n d Frau in der Hofgesellschaft
4.6. S c h l o ß - u n d Sakralarchitektur 4.7. G a r t e n a r c h i t e k t u r 4.8. Materialien u n d K o s t e n 4.8.1. Der Leopoldinische T r a k t der H o f b u r g 4 . 8 . 2 . Der Gartenpalast Liechtenstein 4.8.3. Der Gartenpalast Schwarzenberg 4.9. H o f k u n s t u n d Künstler 5. Z E R E M O N I E L L 5.1. Das Zeremoniell als Ranganzeiger 5.2. 5.3.
Das Zeremoniell als Mittel kultischer Ü b e r h ö h u n g der M a c h t Das Zeremoniell als Herrschaftsmittel
6. ZUM H E R R S C H E R I D E A L IM A B S O L U T I S M U S 6.1. G o t t e s g n a d e n t u m 6.2. 6.3. 6.4. 6.5.
99 101 103 107 107 108 109 111 114 116 126 129 133 134
Herrschertugenden 137 R a t i o n a l e Legitimierung absolutistischer H e r r s c h a f t : B o d i n , Grotius, H o b b e s 139 Das Herrscherideal des „aufgeklärten A b s o l u t i s m u s " . 1 4 1 Herrscherideal u n d H e r r s c h e r p o r t r ä t 144
7. O P E R , T H E A T E R U N D F E S T 7.1. Spielort u n d - z e i t , Darsteller u n d P u b l i k u m 7.2.
88 92 95
Inhalte
147 148 154
ANMERKUNGEN
161
ANHANG
213
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
225
V E R Z E I C H N I S UND NACHWEIS D E R A B B I L D U N G E N . . . . 2 4 1 PERSONEN- UND SACHREGISTER
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EINLEITUNG Eine wichtige Funktion der Geschichte als wissenschaftlicher Disziplin und als Unterrichtsfach liegt zweifellos im Aufzeigen des Gewordenseins der sozialen und politischen Gegenwart. Die Konfrontation mit weit zurückliegenden und andersartigen Lebensformen vermittelt die Einsicht in langfristig wirkende Veränderungen und schärft damit den Blick für das Gegenwärtige. Gerade aus der Erkenntnis der Wandlungsfähigkeit gesellschaftlicher Organisationsformen aber wird deren prinzipielle Veränderbarkeit deutlich. Für eine Geschichtsforschung und -lehre, die als ein Grundanliegen die kritische Bestimmung des eigenen Standorts ansieht, wird die Betrachtung der Vergangenheit im Licht der Gegenwart ein legitimes Motiv sein. Die historische Analyse von Gegenwartsproblemen - eine Möglichkeit des Gegenwartsbezuges - deckt deren Ursachen u n d Entwicklung auf und macht so eine sachliche, praktische Behandlung möglich. Gegenwartsbezug kann aber auch durch das Aufzeigen von Strukturähnlichkeiten oder Problemverwandschaft über die Zeiten hinweg hergestellt werden. Unter beiden Aspekten ist die Untersuchung der Hofgesellschaft, ihrer Kommunikationsund Ausdrucksformen ergiebig. Sie schärft den Blick für Entsprechungen in der gegenwärtigen Industriegesellschaft und ermöglicht eine klarere begriffliche Fassung von Strukturverwandtschaften und Strukturunterschieden. Eine andere Aufgabe des Historikers, der sich mit Riten, Zeremoniellen und Symbolen beschäftigt, ist die eines „Mythenjägers" (1). Uberall dort, wo Mythen, historische Argumente u n d unaufgeklärte Erinnerungen bei der Rechtfertigung und inhaltlos gewordene Formen bei der Aufrechterhaltung bestehender Verhältnisse eine Rolle spielen, wo egozentrische und ethnozentrische Phantasien die bestimmenden Faktoren des Wahrnehmens, Denkens u n d Handelns sind, hat diese ideologiekritische Arbeit des Historikers unersetzliche Bedeutung.
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Einleitung
Hof u n d höfisches Verhalten leben als verbale Überreste, stärker noch als abgesunkenes Kulturgut, nicht nur auf dem Boden der ehemaligen Haupt- und Residenzstadt Wien in vielfältiger Gestalt weiter. Die historische Untersuchung der Funktion höfischer Rationalität und Formen kann aufzeigen, daß noch aktuelle Verhaltensweisen, die als „gutes Benehmen" oder „feine Manieren" weitgehend positiv sanktioniert und zudem häufig durch sprachliche Etiketten wie „vornehm", „nobel", „distinguiert" vor Kritik geschützt werden, zu einem großen Teil Handlungsreste sind, die einst als Gesten des Herrschens oder Dienens ihre Bedeutung besaßen. Sie sind fast durchwegs Ausdruck eines Statusverhältnisses, eine symbolhafte Pantomime zwischen Herr und Knecht. Eine Aufgabe des Historikers ist es überdies zu zeigen, daß dort, wo sich zeremonielle Formen bis heute erhalten haben, auch deren Funktionen ähnlich sind wie im ancien regime: Sie konservieren Hierarchien, verhindern Diskussion, nähren Devotion u n d Untertanengeist und erweisen sich als starke Kommunikationsbarriere. Von den skizzierten Postulaten ausgehend wird in dieser Arbeit eine Analyse der Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft versucht. Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf Denk- und Handlungsweisen, die in irgendeiner Form auch heute noch wirksam sind. Es geht dabei vor allem darum, den Zusammenhang zu untersuchen, der zwischen den Funktionen bestimmter Verhaltensformen und der Gesellschaftsstruktur besteht, in der diese Formen sich entfalten. Die Herstellung dieses Zusammenhangs zwischen Sozialstruktur u n d Symbolsystem, die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen von rituellem oder formalisiertem Verhalten bringt uns das Vergangene näher, rückt aber auch das Vertraute auf die Distanz, die für die Entfaltung von Kritik notwendig ist. Die Kenntnis der geschichtlichen Bedingtheit nimmt noch aktuellen höfischen Formen den Nimbus des Selbstverständlichen und Natürlichen und eröffnet so die Möglichkeit, Riten, Formen und Symbole durch praktische Aufklärung dort zu bekämpfen, wo sie der AbStützung erstarrter institutioneller Hierarchien und der Bewahrung überholter Rollenbilder dienen. Die Einsicht, daß „Gesellschaftszusammenhänge sich besser verstehen und erklären lassen, wenn man sie gedanklich nicht einfach als von bestimmten einzelnen, namentlich bekannten Personen geschaffenen Zusammenhänge verarbeitet, sondern als unpersönliche,
Problemstellung und Methode
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zum Teil sich selbst regulierende Zusammenhänge von Geschehnissen" (2), war die methodische Grundlage der Arbeit. Nur eine Geschichtswissenschaft, die von dieser methodischen Voraussetzung ausgeht, kann überdies der berechtigten Forderung nach gesellschaftlicher Relevanz genügen (3); denn so lange man glaubt, daß Ereignisse und kulturelle Objektivationen das Ergebnis von mehr oder weniger willkürlichen Absichten und Plänen hochgestellter Personen oder übernatürlicher Wesen sind, kann es nicht als besonders sinnvoll erscheinen, den Problemen durch Beobachtung und Analyse auf den Grund zu gehen. Das bedeutet jedoch nicht, daß man soziale Prozesse als unbeeinflußbare Naturabläufe nur feststellen, aber nicht verändern kann; denn „Invarianten" im gesellschaftlichen Prozeß sind nicht Naturgesetze, sondern unrevidierte Normen, die überwiegend akzeptiert werden, oder hinter denen potente Interessensgruppen stehen. Der Erlanger Philosoph Schwemmer hat einen Aspekt dieses Sachverhaltes charakterisiert: „Daß man z.B. in Teilen der Ökonomie das Handeln der wirtschaftenden Subjekte wie Naturverläufe behandeln kann, hängt ab von der Stabilität einiger Grundnormen und der dafür relevanten Situation. Bei allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen z.B. kann man durchaus nicht mehr davon ausgehen, daß diese wirtschaftlichen G r u n d n o r m e n oder die dafür relevante Situation gleichbleibt" (4). Geschichte als kritische historische Sozialwissenschaft wird ebenfalls Gesetzeswissen und Wissen über den Ablauf sozialer Prozesse hervorbringen; darüber hinaus wird sie aber zu prüfen haben, wann ihre Aussagen „Gesetzmäßigkeiten des sozialen Handelns überhaupt und wann sie . . . festgefrorene, im Prinzip aber veränderliche Abhängigkeitsverhältnisse erfassen" (5). Hierin liegt auch ihre Hauptaufgabe: zu zeigen, daß die Regelmäßigkeiten des gesellschaftlichen Lebens - Normen, Werte, Gewohnheiten, Institutionen -, die intentional als kulturelle Objektivationen im Verlaufe eines einmaligen historischen Bildungsprozesses entstanden sind, von Menschen gemacht wurden, insofern aber kritisierbar und veränderbar sind (6). Aus diesen Einsichten ergeben sich notwendig methodische Konsequenzen. Zu der hermeneutischen Verfahrensweise, mit der der Bannkreis der Traditionen nicht zu durchbrechen ist, müssen in der Geschichtswissenschaft empirisch-analytische Verfahrensweisen treten; denn die hermeneu tische Methode allein muß der gegenwärtigen sozialen Realität zwangsläufig verhaftet bleiben. Daraus
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Einleitung
legitimiert sich die Komplementarität von „Verstehen" u n d „Erklär e n " (Habermas), mit der eine Ergänzung des subjektiven Zugangs der hermeneutischen Verfahrensweise durch analytische Methoden erreicht werden soll. Den Methoden fällt dabei die Aufgabe zu, sich gegenseitig zu kritisieren. Brunner hat die Sozialgeschichte, „bei der der innere Bau, die Struktur der menschlichen Verbände im Vordergrund steht", der politischen Geschichte gegenübergestellt (7). Sozialgeschichtlich im Sinne eines Primats der Struktur- vor der Ereignis- und Personengeschichte sind auch Themenstellung u n d Behandlungsmodus der vorliegenden Arbeit, in der es um die Offenlegung der Struktur der Hofgesellschaft im Absolutismus geht. Während aber z.B. LéviStrauss in den Strukturen den überzeitlichen Rahmen für menschliches Handeln gesehen hat, werden sie hier als historisch wandelbar, als veränderbar und machbar aufgefaßt (8). Mit ähnlichen Prämissen hat Groh Braudels Begriff der „longue durée" (9) kritisiert und vor der Hypostasierung der Strukturen gewarnt, die nicht mehr sein sollen als analytisches Werkzeug (10). Für die vorliegende Analyse der Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft wurden neben den einschlägigen Quellen- und Literaturbeständen die Ergebnisse der Nachbardisziplinen - soweit sie für die Themenstellung interessant waren - ausgewertet. Von Verhaltensforschung, Sozialpsychologie u n d Theologie, vor allem aber von Soziologie und Ethnologie kamen wichtige Denkanstöße, die nicht immer konsequent verfolgt werden konnten, die Arbeit aber immer von neuem interessant machten.
1. DER ABSOLUTISMUS IN DER FORSCHUNG Wittram hat zu Recht betont, daß „die Geschichte des europäischen Absolutismus so viel von unserem Schicksal in sich birgt, daß wir Grund genug haben, ihr immer von neuem denkend nachzugeh e n " (1). Bei der Beschäftigung mit dem Absolutismus interessieren heute vor allem die Nachwirkungen dieses historischen Phänomens; denn umgesetzt in Denk- und Verhaltensmuster, Gesinnungen u n d Einstellungen lebt der Geist der absoluten Monarchie, den rezenten Interessensstrukturen angepaßt, in vielfältiger Form weiter. In den letzten hundert Jahren hat sich die Geschichtswissenschaft immer wieder mit großem Interesse mit dem europäischen Absolutismus, seinen Formen und Wandlungen beschäftigt. Bei der Durchsicht der umfangreichen Literatur zum Thema Absolutismus zeigt sich ein deutlicher Unterschied in den Fragestellungen, den Schwerpunktsetzungen und den Methoden. Die Frage nach der historisch-politischen Situation, in der eine Forschergeneration oder einzelne Forscher stehen, nach den jeweils aktuellen Leitbildern und Idealen und nach dem Niederschlag, den diese Faktoren in den wissenschaftlichen Ergebnissen gefunden haben, steht mit dem Blick auf die Absolutismusforschung im Mittelpunkt dieses Kapitels. In der gegenwärtigen Diskussion um Ideologie u n d Interesse in den Geisteswissenschaften wird immer wieder die für weite Bereiche der empirischen Sozialwissenschaften charakteristische Meinung geäußert, alles Interesse trete von außen an die Wissenschaft heran und beeinträchtige die Wissenschaftlichkeit. Tatsächlich aber bietet gerade das bewußte, das offen deklarierte Interesse, „das Interesse nämlich, aus der Geschichte den Inhalt einer möglichen gleichen Vernunft u n d Freiheit zu deduzieren" (2), das Interesse, Egalität der Lebenschancen als Sinn der menschlichen Geschichte hermeneutisch zu erschließen, eine Chance der Emanzipation von einem
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Absolutismus in der Forschung
Wissenschaftsimmanentismus, für den ein Denken, das den Gegenstand „menschliches Handeln" in interessierter Beteiligungsperspektive hat, „ideologiebedrohtes D e n k e n " (3) ist. Vertreter eines solchen „wertfreien" Wissenschaftskonzepts, in dem deutlich zwischen Erkennen (Bereich der Wissenschaft) und Verändern (Bereich der Politik) unterschieden wird, verbieten sich damit jede Kritik an der gegebenen Wirklichkeit (4). Dieser besonders für die Historiographie charakteristische Wissenschaftsimmanentismus ist verantwortlich für eine Geschichtsbetrachtung, die Wissenschaftlichkeit mit dem Fehlen von Engagement gleichsetzt. Überall dort, wo das Interesse im Umgang mit Geschichte nicht deklariert und diskutiert wird, wo bei vorgegebener Wertfreiheit praktisches und technisches Erkenntnisinteresse - meistens - unbewußt leitende Interessen sind, dient Geschichte notwendig der Rechtfertigung des Bestehenden. Die Analyse früherer Geschichtsbetrachtung zeigt deutlich, daß die Unsicherheit und Emotionsgeladenheit, die die heutige Diskussion um die Abhängigkeit sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse von bewußt oder unbewußt leitenden Erkenntnisinteressen kennzeichnen, Resultat einer Entwicklung sind, die in der Aufklärung einsetzte. Die Geschichtsschreibung vorher kannte diese Unsicherheit nicht; ihr inhaltskonstitutives vorgegebenes Interesse stand außer Diskussion. So gab in ständischen Gesellschaften die Geschichtsschreibung vor allem den Fürstenhäusern und dem Adel Identität. Biographie, Staatsaktion und Schlachtverlauf standen hier notwendig im Zentrum historischer Betrachtung. Für eine Kritik an diesem partikularen Interesse zugunsten eines gemeinsamen Interesses der Vernunft fehlte noch die ökonomische Basis (5). Der Ausbau der neuzeitlichen Landesuniversitäten machte die Universitätshistoriker zu Beamten u n d vertiefte dadurch ihre Bindung an einen nun transpersonal gedachten Staat und an das Herrscherhaus (6); Kern des von den Historikern konstatierten „Geschichtsverlaufes" blieben so weiter die politischen und militärischen Unternehmungen der Leiter des Staatsgeschickes. Mit der Änderung jahrhundertealter Interessens- u n d Machtstrukturen im 18. und 19. J a h r h u n d e r t , die ihren Ausdruck in den bürgerlichen Revolutionen fand, konnte im Sinne von Freiheit, Gleichheit und Vernunft bei der Erstellung historischer Identität nicht mehr von einem Menschenbild ausgegangen werden, dessen Kern die ständische Ungleichheit der Menschen bildete. Der theoretischen Forderung des
Geschichtswissenschaft seit der Aufklärung
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Bürgertums, daß es kein partikulares Interesse geben dürfe, stand u n d steht seither eine gesellschaftliche Praxis gegenüber, aus der Ungleichheit, Hierarchie u n d Unfreiheit nicht verbannt sind. Der auch für unsere Situation charakteristische - Gegensatz zwischen geforderter Gleichheit u n d einer Praxis, die diesem Postulat nicht entspricht, verhindert die E n t f a l t u n g einer gemeinsamen V e r n u n f t auf der Basis eines - eben nicht vorhandenen - allgemeinen Interesses. Einer kritischen Geschichtswissenschaft e r ö f f n e t die Erkenntnis der Interessensbedingtheit des Wissens über soziales Verhalten u n d soziale Verhältnisse in Vergangenheit u n d Gegenwart einen wichtigen Arbeitsbereich. Das Aufzeigen der Bedingtheit eines bestimmten Wissensbestandes n i m m t den e r k a n n t e n gesellschaftlichen „Tatb e s t ä n d e n " , „ G e s e t z e n " u n d „ T r e n d s " den Anschein von Ausschließlichkeit u n d Endgültigkeit; die Aufklärung, daß die Erkenntnisse, die die Wissenschaft über ein soziales Feld gewinnt u n d als objektiv, das heißt auch als allgemein gültig ausgibt, nicht für alle gültig sind, weil sie nicht selten kritiklos eine Wirklichkeit wiedergeben, in der nur die Befriedigung partialer Interessen gewährleistet ist, s c h a f f t ein Bewußtsein der O f f e n h e i t für emanzipatorische Möglichkeiten in der Gegenwart.
1.1. Der Absolutismus Forschung
in der deutschen
verfassungsgeschichtlichen
Das Interesse an der „deutschen Sache", an d e m zu verwirklichenden Nationalstaat, konzentrierte die historische Forschung im 19. J a h r h u n d e r t auf die Gebiete der Verfassungs- u n d Rechtsgeschichte. Während die m o d e r n e n Staatsformen in Frankreich u n d Amerika als Endresultat von Revolutionen u n t e r s u c h t w u r d e n , erschienen sie den deutschen Historikern weitgehend als Werk des „aufgeklärten Absolutismus", den sie als Basis des Erreichten u n d des noch zu Erreichenden darzustellen wünschten. Sie n a h m e n an, daß die Aufklärung einen neuen R e g e n t e n t y p gebildet habe, der gekennzeichnet durch einen n e u e n Regierungsstil u n d besondere Aufgeschlossenheit gegenüber den aktuellen Regierungsaufgaben die Wohlfahrt des Landes ganz besonders gefördert habe. Mit dieser Auffassung, die vor allem das Geschichtsbild der liberalen deutschen Historiker des 19. J a h r h u n d e r t s f o r m t e , verband sich zugleich eine
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Absolutismus in der Forschung
politische Wunschvorstellung: Die konservativen Regenten der napoleonischen Nachkriegszeit sollten von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt werden, die schon im 18. Jahrhundert zum Programm ihrer ruhmreichen Vorfahren gehört hätte. Auf der Suche nach den Anfängen des modernen Machtstaates wurde immer wieder die Schaffung des stehenden Heeres und der bürokratischen Verwaltung betont. Die Absolutismusforschung nach Ranke im Zeitalter der Nationalstaaten hat mit besonderem Interesse diese beiden Institutionen untersucht, als die Herrschaftseinrichtungen, die der neue konstitutionelle Staat von seinem Vorgänger übernahm und bejahte. Was unterhalb der zentralen Regierungs- und Verwaltungssphäre geschah, beschäftigte die Historiker gleichsam nur aus dialektischem Interesse - insoweit es den souveränen Machtstaat unterstützte oder ihm feindlich gegenübertrat (7). Die innenpolitische Absolutismusforschung blieb bei der Untersuchung des Entstehungsprozesses der Bürokratie und bei der Beschäftigung mit Fragen von Regierung und Verwaltung stehen. In einer Forschung mit den skizzierten Erkenntniszielen unterblieb aber auch die Analyse des absolutistischen fürstlichen Hofes und der durch das Hofleben geprägten Menschen. Die Reichsgründung Bismarcks und dessen Bündnis mit den nun konservativen Nationalliberalen machte ein modifiziertes Geschichtsbild über den Ursprung der konservativen Monarchie notwendig, in dessen Zentrum das „monarchische Prinzip" rückte (8). Diese staatsrechtliche Formel, der im Gegensatz zum Gottesgnadentum eine sakrale Fundierung fehlte, zielte auf die Legitimierung des Monarchen als Träger der einheitlichen Staatsgewalt. Das monarchische Prinzip meinte nur noch das christliche Prinzip, wonach jede rechtmäßige Obrigkeit von Gott sei (9); zudem sollten alle verfassungsmäßigen Rechte des Volkes nur als Mitwirkung an der Ausübung der Staatsgewalt qualifiziert werden. Dieses Verfassungsideal, das die Historiker aus der eigenen Geschichte zu belegen und zu begründen suchten, orientierte sich nun ganz am anstaltlichen Staat, an der souveränen Herrschaftsgewalt über einen nivellierten Untertanenverband (10). Um 1 8 7 4 entwarf der Jurist und Nationalökonom Wilhelm Roscher eine Stufentheorie über die staatsrechtliche Entwicklung des Absolutismus, die noch heute die einschlägige Forschungspraxis prägt (11). Roscher ging davon aus, daß die Entwicklung des
Deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung
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Absolutismus sich etappenweise vollzogen habe, wobei jede der Etappen an die dominierende staatspolitische Idee ihres Zeitalters geknüpft gewesen sei. Der „konfessionelle" Absolutismus des 16. Jahrhunderts schien ihm durch den Grundsatz ,,cuius regio, eius religio" gekennzeichnet u n d vor allem durch Philipp II. von Spanien verkörpert worden zu sein; dagegen sei der höfische Absolutismus des 17. Jahrhunderts an die Person des Herrschers gebunden gewesen; in Ludwig XIV. und dem legendären Satz „L'etat, c'est m o i " habe diese Stufe ihren treffendsten Ausdruck gefunden. Nach dem Durchbruch naturrechtlicher Ideen im 18. J a h r h u n d e r t habe sich schließlich in dem Grundsatz Friedrichs II. von Preußen, der Fürst sei der „erste Diener des Staates", der neuzeitliche „aufgeklärte Absolutismus" manifestiert. Es ist leicht erkennbar, daß dieses denkbar unhistorische Schema nicht Resultat geschichtswissenschaftlicher Arbeit ist. Roscher wollte vielmehr mit seiner aus der allgemeinen Staatslehre stammenden Stufentheorie den Absolutismus als Aufwärtsentwicklung, die ihren - vor allem auch moralischen - Höhepunkt in der dritten und letzten Phase fand, darstellen. Auf der Basis eines ähnlichen Erkenntnisinteresses wie Roscher 1874 stand auch noch Reinhold Koser 15 J a h r e später. Er konstatierte, daß der „aufgeklärte Absolutismus" eine Rückbildung des „Hochabsolutismus" gewesen sei, insofern er auf die einseitige Betonung seiner Rechte durch die Voranstellung seiner Pflichten u n d durch die Anerkennung des Naturrechtes als Grundlage des Herrschaftsanspruches verzichtet habe (12). Fritz Härtung hat 1932 die Kosersche Auffassung wie überhaupt den Versuch, im Absolutismus Formen oder Stadien zu erkennen, in Frage gestellt. Dem gegenüber betonte er die Einheitlichkeit dieses historischen Phänomens vom 16. J a h r h u n d e r t bis zur französischen Revolution (13). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Diskussion zunächst in Frankreich wiederaufgenommen. Dabei vertraten Moraze, Lefebvre und Lousse die Auffassung, daß der „aufgeklärte Absolutismus" nur ein Täuschungsmanöver der Fürsten gewesen sei. An diese These hat vor allem auch die marxistische Geschichtswissenschaft angeknüpft, die den „aufgeklärten Absolutismus" als den „Versuch des sterbenden Feudalabsolutismus" bewertete, „sich weiterhin durch Ausnützung der bürgerlichen Lehren und Errungenschaften zu behaupten und die Herrschaft der Feudalklasse zu bewahren" (14).
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Absolutismus in der Forschung
1.2. Der Absolutismus, schichte
der Hof und sein Ambiente
in der
Kulturge-
Die verfassungsgeschichtliche Forschung des 19. Jahrhunderts, deren mehr oder weniger offen deklariertes Interesse der Verwirklichung eines deutschen Nationalstaates galt, unterließ die Beschäftigung mit dem fürstlichen Hof des 17. und 1 8. Jahrhunderts; denn ihr Maßstab, an dem die Hofhaltungen absolutistischer Fürsten gemessen wurden, war das säkularisierte Herrscherideal des 19. Jahrhunderts. Von einem moralisch-erhabenen Pult bot sich hier eine willkommene Zielscheibe. Die Historiker verurteilten den bombastischen Aufwand, mit dem sich ohnedies kein Fürst mehr identifizierte, weil er als Machtmittel an Wirksamkeit eingebüßt hatte, als Luxus und Verschwendung. Die durch das Ressentiment des gesellschaftlich so lange diskriminierten Bürgertums geprägte Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts übernahm weitgehend das „Verschwendungsargument". Franz Oppenheimer hat ein für diesen Argumentationshorizont typisches Urteil über die Hofhaltungen absolutistischer Fürsten abgegeben: „Die präkapitalistischen, sehr prächtigen und sehr verschwenderischen Hofhaltungen, vor allem die der englischen Stuarts und der französischen Bourbonen, aber in kleinerem Maß auch die der deutschen und slawischen Dynastien, waren dank ihrem großen Domänenbesitz und den daraus fließenden Naturalabgaben ihrer ,Kronbauern' überreich mit allen Mitteln des groben Behagens ausgestattet. Aber sie begehrten die Befriedigungsmittel des verfeinerten Geschmacks und des perversen Luxus und hatten daher erstens das Interesse, im Lande selbst ein starkes Gewerbe heranzuziehen und zweitens, das bare Geld zu erhalten, das gebraucht wurde, um die Hofhaltung selbst in ihrer raffinierten Pracht aufrecht zu erhalten, um die adeligen Parasiten zu füttern, die keine andere Existenzquelle hatten als ihre Pensionen, und nicht zuletzt, um die endlosen Kriege zu führen, in die das Gloriabedürfnis, die dynastischen Familieninteressen und die konfessionellen Superstitionen die Reiche verwickelten" (15). Neben der Beschäftigung mit der Außenpolitik, der ein klarer Primat in der historischen Forschung des 19. Jahrhunderts zufiel, wandte sich die innenpolitische Forschung mit der Bürokratie und dem Heer Institutionen zu, die damals eine entscheidende Rolle spielten (16). Eine kritische Analyse der sozialen Funktionen des
Absolutismus in der Kulturgeschichte
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gesteigerten Aufwands, aber auch der Entwicklung , in deren Verlauf die Höfe ihre Bedeutung verloren und die Fürsten gezwungen waren, ihre Herrschaft auf neue F u n d a m e n t e zu bauen, unterblieb; denn eine solche Untersuchung hätte sehr wohl auch zur Erschütterung der Grundlagen der Monarchie im 19. Jahrhundert beigetraggen. Eine über die kurze moralische Verdammung hinausgehende Beschäftigung mit den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts wurde einer Kulturgeschichte übertragen, in der das Interesse am Anekdotischen, Kuriosen u n d Grotesken den Ausschlag gab. Gerade u n d vor allem die Kulturgeschichtsschreibung brachte einen Historikertyp hervor, der - mehr Künstler als Wissenschafter - seine Aufgabe nicht selten in der Vermittlung eines schönen Bildes von der Vergangenheit erblickte. Nicht kritische Analyse, vielmehr künstlerische Gestaltung des Formlosen, „Sinngebung des Sinnlosen" (Theodor Lessing) sahen die Historiker als den zentralen Aspekt ihrer Tätigkeit. Für Leopold von Ranke war Geschichte zugleich Wissenschaft u n d Kunst; Spengler sah eine Verwandtschaft zwischen Geschichte und Dichtkunst, und Brandi konstatierte, daß kein Geschichtsschreiber gut ist, der nicht auch Künstler ist. Humboldt schließlich stellte in einem Brief .an Schiller fest, daß „Geschichtsschreibung ein Talent ist, das mit der Poesie und der Philosophie eng verwandt ist". Auf der Basis eines Selbstverständnisses als Künstler bemühten sich vor allem die Kulturhistoriker, ein schönes Bild einer Epoche zu entwerfen. Einen starken Impuls erhielten sie dabei von einer ästhetisierenden Kunstgeschichte, deren Begriffe sie übernahmen. So bezeichnete die Kulturgeschichte mit den Stilbegriffen „ G o t i k " oder „Renaissance" nicht nur die künstlerische Erscheinung, vielmehr häufig den gesamten gesellschaftlichen Kontext. Für den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Zeitraum wählten zahlreiche Autoren den kunsthistorischen Stilbegriff „Barock" als Epochenbezeichnung. Die präziseren Begriffe „Absolutismus", „Gegenreform a t i o n " u n d „Merkantilismus" kamen dem ästhetischen Bedürfnis, die Vielfalt einer Epoche zu umschreiben, nicht entgegen (17). Dagegen schienen so diffuse Kategorien wie „Barockmensch", „barockes Verhalten", „Barock-Typus", „barockes Lebensgefühl" usw. eher geeignet, dem Postulat nach einer Geschichtsdarstellung als Kunstwerk zu genügen. So bemüht sich etwa ein im J a h r e 1957 er-
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Absolutismus in der Forschung
schienener Sammelband „Aus der Welt des B a r o c k " (18) „den gesamten Lebensbereich einer glänzenden E p o c h e " zu unschließen. Flemming sieht in der „eigentümlichen Artung des Barockmenschen" den Ansatzpunkt für eine „Zusammenschau all der einzelnen Lebensäußerungen auf den verschiedenen Gebieten des Kulturschaffens" (19). Voll Pathos sind auch die Arbeiten von Alewyn, der in seinem Aufsatz „Feste des B a r o c k " schreibt: „Bis hinüber nach Warschau und Stockholm und Petersburg verwandeln sich alle Höfe in die Trabanten eines Sonnensystems, das nicht um die staatliche Macht, das um den festlichen Glanz von Versailles kreist" (20). An anderem Ort sieht dieser Autor das Leben im 17. und 18. Jahrhundert durchdrungen von Theater als „totales F e s t " (21). Auch die meisten anderen kulturgeschichtlichen Beobachter bleiben an der Erklärungsoberfläche. So stellt Karl Biedermann, ein Historiker des 19. Jahrhunderts, fest, daß das höfische Leben „einem ewigen R a u s c h e " geglichen habe (22), und Rüstows Formulierungen zeigen musterbeispielhaft, zu welchen krausen Folgerungen eine Geschichtsbetrachtung führen kann, die die Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft nicht als politisches Mittel erkennt, sie vielmehr ästhetisch und moralisch begründet sieht: „Barock ist sozusagen die vom gegenreformatorischen Absolutismus grandios vergewaltigte, in seiner Umarmung sich heroisch windende üppige Renaissance. Daher das Düster-Prächtige, Schwüle, Überfüllte, Überwuchtete, Überschmückte, die Tendenz zu Schwulst, Bombast, Maßlosigkeit, Häufung, Übersteigerung, Überspannung . . . " (23). Den kultur- und geistesgeschichtlichen Arbeiten, die mit dem nie verbindlich definierten „barocken Lebensgefühl" operieren, mangelt vor allem die Einsicht, daß alle Ausdrucksformen abhängig vom jeweiligen sozialen Kontext sind, in dem sie geschaffen wurden, in dem sie geübt werden und wirken. Ebenso untauglich und unpräzis wie der Begriff „ B a r o c k " sind die zeitlichen Grenzen, die die Kulturhistoriker dieser „ E p o c h e " geben. So zeichnet Richard Benz in seinem Werk „Deutscher B a r o c k " (1949) ein Bild der „Kultur des 18. Jahrhunderts". Johannes Bühler überschreibt den vierten Band seiner „Deutschen Geschichte" ( 1 9 5 0 ) mit dem Titel „Das Barockzeitalter", dessen zeitliche Grenzen er mit 1 5 5 5 bis 1 7 4 0 absteckt. Für Carl J . Friedrich wieder sind die 5 0 J a h r e von 1 6 1 0 bis 1660 „Das Zeitalter des B a r o c k " ( 1 9 5 2 ) . Es ist müßig, die Abgrenzungskriterien der diversen Autoren zu untersuchen, deren
Absolutismus in der Sozialgeschichte
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Epochenbildung häufig m e h r Programm als Ergebnis ihrer Arbeit ist. Die scheinbare Opposition der Kultur- u n d Kunstgeschichte ist stets zutiefst loyal: „Die Gegenherrschaft des Ästhetischen . . . bleibt ein Reich der folgenlosen Sinnlichkeit"; der Protest ist im Kern ein , J a . . . zur eigenen O h n m a c h t , zum Isoliert-Sein von der G e s c h i c h t e " (24).
1.3. Der Absolutismus
in der sozialgeschichtlichen
Forschung
Im Gegensatz zu den traditionellen Forschungsansätzen in Verfassungs-, Kultur- u n d diplomatischer Staatengeschichte wird der Absolutismus in jüngerer Zeit stärker aus sozialgeschichtlicher Sicht behandelt. Dabei fallen besonders zwei R i c h t u n g e n auf. Die eine entstand vor allem als Gegenpol zu einer Verfassungsgeschichte, die - das Idealbild eines straff zentralisierten, nationalen Machtstaates vor Augen - mit einem aus der zentralen Herrschaftssphäre hergeleiteten bürokratischen Geschichtsbild im Absolutismus „das Werdend e " , „ Z u k u n f t s w e i s e n d e " u n d „ F o r t s c h r i t t l i c h e " - im Hinblick auf ihr Ideal - suchte. Die Vertreter dieser sozialgeschichtlich orientierten Richtung arbeiten im Gegensatz dazu im Absolutismus das Gebliebene heraus (25). Sie beschäftigten sich mit den mannigfachen F o r m e n ständischen u n d k o m m u n a l e n Lebens der traditionellen Gesellschaftsordnung, die im Absolutismus erhalten blieben, mit der Vielfalt und Eigenständigkeit der von der absoluten Monarchie u n b e r ü h r t e n Sphären in Staat u n d Gesellschaft (26). Auch die Verfechter dieses Ansatzes wählen wie die Verfassungshistoriker, w e n n auch mit anderen Inhalten, einen institutionellen Ausgangspunkt. Dagegen plädieren die Vertreter der anderen Richtung sozialgeschichtlich orientierter Absolutismusforschung für eine v o m administrativ-institutionellen D e n k e n gelöste Sichtweise. Unter diesem Blickwinkel erscheint der Absolutismus als Prozeß u n d nicht als abgeschlossener Endzustand. N o r b e r t Elias, ein H a u p t e x p o n e n t dieses Ansatzes, konstatiert in seiner Theorie der Zivilisation (27) einen umfangreichen Transformationsprozeß, in dessen Verlauf sich die europäische Gesellschaft seit dem Ende des Mittelalters grundlegend veränderte. Als wesentliche K o m p o n e n t e in diesem Prozeß be-
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Absolutismus in der Forschung
schreibt Elias die Machtverlagerung innerhalb der Oberschicht zugunsten der Fürsten. Der frühmoderne absolutistische Staat - das Ergebnis dieser Machtverschiebung - habe disziplinierend auf den Gebieten der Verwaltung, des Heerwesens und der Wirtschaft eingegriffen. Wesentlicher und nachhaltiger als der Wandel auf dem politisch-administrativen Sektor seien, so Elias, die sozialpsychologischen Veränderungen gewesen, die der Absolutismus im Leben des einzelnen bewirkte (28). Von ähnlichen Prämissen wie Elias ist in letzter Zeit Gerhard Oestreich ausgegangen, wenn er den monarchischen Absolutismus in Europa als umfassenden Strukturwandel charakterisiert und als Prozeß der „Sozialdisziplinierung" beschreibt, der Haltung und Handlung auch des einfachsten Untertanen formte, bestimmte und reglementierte und in allen Schichten mehr oder weniger gewaltsam eine strukturelle Veränderung hervorrief (29). In einem jüngeren Werk hat Elias mit dem Blick auf die höfische Gesellschaft die Thesen seines Entwurfes einer allgemeinen Theorie der Zivilisation wieder aufgenommen und präzisiert (30). Die Schwerpunktsetzung - der Hof als zentrales Objekt seiner Analyse rechtfertigt Elias mit der repräsentativen und dominierenden Stellung, die die Fürstenhöfe in den europäischen Gesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts einnahmen. Elias untersucht Werden und Wandel der höfischen Gesellschaft Frankreichs als Ergebnis gesamtgesellschaftlicher Machtverlagerungen, das Abhängigkeitsverhältnis, in das der Herrscher wie jeder Hofadelige eingebunden ist, und die Verkettung des Königs durch Etikette und Prestigechancen. In seiner Dissertation versucht Jürgen Kruedener die Funktion des Hofes für das Herrschaftssystem des Absolutismus durch ein theoretisches Modell zu erklären (31). Am Gegenstand des bayerischen Hofes untersucht Kruedener den Zusammenhang zwischen Hof und Absolutismus. Bei Kruedener, der den absolutistischen Hof als eine durch die Jahrhunderte im Grundriß konstante Einheit auffaßt, bleibt die Kategorie der Entwicklung weitgehend ausgeklammert. Eine Schwäche, die der Autor dieser wichtigen Arbeit nicht bestreitet und auf die enge methodologische Anlehnung an Max Weber zurückführt (32). Dadurch bleibt bei ihm auch der Prozeß, in dessen Verlauf als Ergebnis eines gesamtgesellschaftlichen Strukturwandels die höfische Rationalität durch eine bürgerliche Vernunftauffassung überlagert und schließlich verdrängt wird, da-
Absolutismus in der Sozialgeschichte
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mit aber auch die repräsentativen Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft als Machtmittel obsolet werden, unberücksichtigt. Einen wichtigen Beitrag zur Analyse der in der vorliegenden Arbeit behandelten Probleme hat Jürgen Habermas in seinem „Strukturwandel der Öffentlichkeit" geleistet (33). Habermas läßt seinen T y p „bürgerlicher Öffentlichkeit" einem Gesellschaftszustand folgen, in dem die für die bürgerliche Gesellschaft seit dem späten 18. Jahrhundert charakteristische Opposition von „ ö f f e n t l i c h " und „privat" noch nicht in derselben Schärfe bestand. Bei dieser „repräsentativen Öffentlichkeit" handelt es sich nicht um eine Volksvertretung durch gewählte Mandatare, sondern um Repräsentation des herrschaftlichen Status durch Insignien, Habitus, Gestus und einen Komplex rhetorischer Formen vor dem Volk, das bei dieser Selbstdarstellung fürstlicher und adeliger Macht den notwendigen, aber rechtlosen Zuseher abgibt. In seiner Arbeit untersucht Joachim Lampe die Herkunft und soziale Stellung der kurhannoverschen Zentralbeamten und Hofchargen während der Regierungszeit der Könige Georg I. und Georg II. Bei der Durchsicht der genealogischen Fakten ordneten sich dem Autor Beamtenschaft und Hof in drei Adelsstände: die regierende Aristokratie, der Hofadel, das Staatspatriziat. Dabei konzentrierte Lampe seine Aufmerksamkeit vor allem auf den höfischen und auf den Amtsadel. Lampes Arbeit zeigt, daß der höfische Adel Kurhannovers vom rittermäßigen Geburtsadel des Landes vor allem durch seine ausschließliche Bezogenheit auf den barocken Hof und durch seine ideelle und materielle Abhängigkeit vom Monarchen geschieden ist (34). Otto Brunner befaßt sich im Kontext unterschiedlicher Fragestellungen mit dem Veränderungsprozeß des abendländischen Königtums und der Aristokratie (35). Einen wichtigen Beitrag zur Klärung der auch in der vorliegenden Arbeit behandelten Probleme liefert Thorstein Veblen, der mit den für seine „Theory of the Leisure Class" zentralen Begriffen des „demonstrativen Müßiggangs" und des „demonstrativen Konsums" wohl zum ersten Mal Probleme des Statusverbrauchs unter soziologischem Aspekt behandelt hat (36).
2. DIE SOZIOGENESE DES ABSOLUTISMUS IN DEN HABSBURGISCHEN LÄNDERN 2.1. Die allgemeine Entwicklungstendenz: rung, Rationalisierung
Zivilisierung,
Disziplinie-
In dem umfangreichen T r a n s f o r m a t i o n s p r o z e ß , der die europäische Gesellschaft am Ausgang des Mittelalters veränderte, vollzog sich eine entscheidende Machtverlagerung innerhalb der Oberschicht (1). Die starke Inflation bei wachsendem Geldumlauf u n d z u n e h m e n d e r Handelstätigkeit steigerte die Einnahmen der bürgerlichen Schichten und n u t z t e damit den Zentralherren, die mit ihren Steuerapparaten an dem wachsenden Reichtum partizipierten. Ein wesentlicher Bedingungsfaktor dieser Entwicklung war der Z u s t r o m von Edelmetallen nach E u r o p a , der während des 16. J a h r h u n d e r t s entscheidend zur Vermehrung der U m l a u f m i t t e l beigetragen h a t t e . Daraus resultierten eine außerordentliche G e l d e n t w e r t u n g u n d entsprechende Preissteigerungen (2). Die beschleunigte Geldentwertung traf vor allem den Feudaladel, der von seinen Gütern feste R e n t e n bezog; ein Einkommen, das nominell zwar gleichblieb, dessen Kaufk r a f t jedoch immer geringer wurde. Mit der Entwicklung u n d Einsetzung von Feuerwaffen vollzog sich überdies ein Wandel in der Kriegstechnik, der die Infanterie der adeligen Reiterei überlegen m a c h t e . Das b e d e u t e t e einen Bruch des W a f f e n m o n o p o l s , das der Kriegerstand besessen h a t t e . Die Adeligen, die zuvor allein und ausschließlich die militärische F u n k t i o n ausgefüllt h a t t e n , waren nun bestenfalls Offiziere einer plebejischen Truppe, die bezahlt werden m u ß t e (3). Die Könige k o n n t e n bei steigenden Steuereinnahmen m e h r Söldner mieten und wurden so relativ unabhängig von den Kriegsdiensten der Gefolgsleute. Die Machtverschiebungen zugunsten der Fürsten verurteilten die Edelleute zu einem einfacheren, halb bäuerlichen Leben ohne jegliche politische Machtchancen. Der Prestige- u n d Einkommensverlust trieb einen Teil von ihnen zu R a u b u n d Gewaltanwendung (4). Ein
Zivilisierung des Kriegerstandes
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anderer, nicht unerheblicher Teil des Adels trat, durch die Umstände gezwungen und die neuen Chancen angezogen, in den Dienst der Könige und Fürsten. Die Abhängigkeit vom Fürsten, als dem Verteiler von ökonomischen, vor allem aber von Prestige- u n d Statuschancen, ließ den Hofadel als Opposition ausscheiden. Die Unfähigkeit, sich von überkommenen Verhaltensweisen zu lösen, sowie mangelnde Flexibilität u n d Anpassungsfähigkeit vergrößerten noch die Angewiesenheit der Aristokratie auf den Herrscher, für den die Erhaltung des Adels trotzdem eine machtpolitische Notwendigkeit war (5). Die Auflösung der Ordnung des ganzen Hauses, die über weite Strecken die erste Stufe öffentlicher Gewalt war, und die In-Frage-Stellung oder Aufhebung kirchlicher Macht im Konfessionskrieg schufen ein Vakuum, in das der frühmoderne absolutistische Staat als neue Ordnungsmacht stoßen konnte (6). Ordnend u n d manipulierend griff der Absolutismus zunächst in das Leben der Hofadeligen ein, um in der Folge immer weitere Bereiche zu bestimmen. Bürokratismus, Militarismus u n d Merkantilismus sind die Ausdrucksformen dieses Disziplinierungsprozesses auf den Gebieten der Verwaltung, des Heerwesens u n d der Wirtschaft. Zugleich aber griff dieser allgemeine Diszplinierungsprozeß in das Leben auch der einfachsten Untertanen formend ein (7). Mit der Machtverlagerung in der Oberschicht, die dem Königtum gegenüber dem Adel ein immer stärkeres Gewicht verlieh, war ein Anwachsen der herrschaftlichen Lebensansprüche verbunden. Damit wuchsen auch in fast allen europäischen Ländern seit der Renaissance Umfang und Bedeutung der Höfe. Am burgundischen Hof ist dieses Wachstum schon im Spätmittelalter, an den italienischen Höfen im 15. und 16. Jahrhundert konstatierbar (8); in Spanien erreichte es im 16. J a h r h u n d e r t einen ersten Höhepunkt; in Versailles, in Wien und in den deutschen Fürstentümern brachte das 17. J a h r h u n d e r t den Kulminationspunkt dieses Prozesses. Dabei war der westfälische Friede auch für das beschleunigte Wachstum der Höfe die maßgebliche Zäsur. So umfaßte der kaiserliche Hofstaat unter Karl VI. nicht weniger als 2175 Personen (9); zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren es nicht ganz 500 gewesen (10). Der große personelle Zuwachs ist ein S y m p t o m für die repräsentative u n d zentrale Bedeutung, die der Hof in den meisten w e s t europäischen Ländern im 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t gewann. Er wurde zum Prägstock mit der weitaus größten Fernwirkung, zur modell-
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Soziogenese des Absolutismus
gebenden und formenden Institution, in der jene Verhaltensweisen ausgebildet wurden, die dann in modifizierter Form zu immer weiteren Funktionskreisen wanderten. Der Kriegeradel wurde an den Höfen zivilisiert, diszipliniert und zu einem rationalen Verhalten gezwungen, in dem langfristige, realitätszugewandte Überlegungen über momentane Affekte dominierten (11). Der Umgang mit den fürstlichen Herrschaften, vor allem mit der Herrin des Hofes, zwang die Krieger zu einer größeren Zurückhaltung ihrer Affekte. Im Hofleben wurden die rauheren Gewohnheiten der kriegerischen Oberschicht des Mittelalters „poliert" und „zivilisiert". Die Adeligen standen hier nicht mehr, wie ehemals die Ritter, in freier kriegerischer Konkurrenz miteinander. Sie k ä m p f t e n am Hof mit friedlichen Mitteln um die Chancen, die der Fürst monopolistisch zu vergeben hatte. Deutlich spiegelt sich der Prozeß der Verhofung der Krieger im Bedeutungswandel des Turniers. Das mittelalterliche Turnier war ein Wettkampf gewesen und diente neben anderen als wesentliches Kriterium bei der Aufstellung der Rangordnung ritterlicher Tugend. Es bestand hier immerhin die Möglichkeit, daß der König einem der Ritter im Kampfspiel weichen mußte, obwohl die schöne Illusion, daß der König der Beste sei, sicher ungern geopfert worden sein wird. Im 16. Jahrhundert erlebte das Turnier eine romantische Wiedergeburt, entsprach aber nun keiner militärischen Realität mehr. Von vornherein stand nun der Ausgang - Sieger ist der vornehmste Teilnehmer, gleichrangige Gegner werden als ebenbürtig erklärt - fest. Der Ablauf des Turniers wurde bis ins kleinste Detail genau durchgeplant. Geschicklichkeit und Eleganz verdrängten Mut und Kraft als die vorzüglichen Eigenschaften, die der adelige Teilnehmer mitbringen mußte; der „ R i t t e r " wich dem „Kavalier" (12). Diese inhaltliche Verschiebung brachte das Turnier in die Nähe von Ballett u n d Theater. Bei den großen Reitfesten - den Karussells von Versailles und den Roßballetten in Wien - wurden die agierenden Edelleute wie Tänzergruppen in Reihen oder Trupps geteilt und nach Farben und Kostümen unterschieden. Die Turniere im Absolutismus dienten nicht mehr zur Ermittlung der Rangordnung im physischen Wettkampf; die höfische Hierarchie, um deren Erstellung man an anderen Orten nicht mehr mit der Waffe kämpfte, wurde nur noch dargestellt. Das Kampfspiel, die sportliche Übung war zum Theater geworden.
Zivilisierung des Kriegerstandes
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Die Tatsache, daß die Höflinge in ihrem Rang, ihrem Unterhalt, ihrem Auf- u n d Abstieg in b e s t i m m t e n Grenzen vom König abhängig waren, u n d die spezifischen Zwänge, die sie im Wettbewerb u m Prestige- u n d Statuschancen auf einander ausübten, prägten das Leben des höfischen Menschen. Es gab keinen disziplinierteren Dienst als den bei Hof. Eine mehr oder weniger feste Rangordnung u n d eine genaue E t i k e t t e beugten jeder S p o n t a n e i t ä t vor (13). Ein Zeremoniell, das das Verhalten jedes einzelnen reglementierte u n d f o r m t e , machte den gewaltigen H o f s t a a t überschaubar u n d kontrollierbar. Zugleich war es eine A r t Signalmechanismus, der jedes „aus der Reihe T a n z e n " , jeden Eigenwillen eines Höflings ö f f e n t lich sichtbar, dajnit aber auch dem Herrscher b e k a n n t m a c h t e . Der Disziplinierungsprozeß, in dessen Verlauf zuerst das Leben der höfischen Menschen g e f o r m t u n d reguliert wurde, der in der Folge Militär u n d Bürokratie e r f a ß t e u n d prägte, schließt die Rationalisierung als wesentliche K o m p o n e n t e mit ein. Das Ubergewicht langfristiger Überlegungen über m o m e n t a n e A f f e k t e u n d die Umf o r m u n g von Fremdzwängen in Selbstzwänge - die beiden zentralen Aspekte des höfischen V e r n u n f t t y p s - waren für die Entwicklung der Aufklärung von größter B e d e u t u n g (14). Das war die wesentliche, in vielen Aspekten nicht beabsichtigte Begleiterscheinung des absolutistischen Herrschaftssystems, in dem mit der Ableitung der Gehorsamspflicht v o m G o t t e s g n a d e n t u m vor allem auch irrationale u n d mystische Kategorien eine entscheidende Rolle spielten (15). Die Manipulierung der adeligen Lebensweise an den H ö f e n , die Funktionalisierung des Adelsstandes - z u m machtpolitischen Vorteil des Fürsten - schufen die ersten Voraussetzungen seiner späteren Eingliederung in den bürokratisch-kapitalistischen Nationalstaat.
2.2. Das Verhältnis zwischen
Kaiser und Adel am Wiener Hof
Neben den oben genannten F a k t o r e n (16), die im E u r o p a der f r ü h e n Neuzeit eine Machtverschiebung innerhalb der Oberschicht zugunsten der Zentralgewalten b e w i r k t e n , begünstigten in den österreichischen Ländern eine Reihe von Umständen die Ausbildung des Absolutismus. Bereits u n t e r Maximilian I. garantierten allein das Landesfiirstentum u n d seine Behörden die Bewahrung des Friedens
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Soziogenese des Absolutismus
und die Einhaltung der Rechtsordnung (17). Die Verkündung des Landfriedens, mit dem ein völliges Fehdeverbot ausgesprochen wurde, war der erste Versuch einer staatlichen Gesetzgebung im modernen Sinn. Die Rechte der Stände waren „prekär" geworden; es war bezeichnend für diese Situation, daß die Frage diskutiert wurde, ob die Bestätigung der ständischen Rechte und Freiheiten vor oder nach der Erbhuldigung erfolgen solle (18). Das Wiener Neustädter Blutgericht vom J a h r 1522, das die Führer des opponierenden Adels und der Stadt Wien, die in die fürstliche Rechtssphäre eingegriffen hatten, aufs Schafott brachte, war eine Machtdemonstration des weiter erstarkenden Landesfürstentums. Nach dem T o d Kaiser Maximilians II., unter dessen Regierung es für kurze Zeit zu einem Waffenstillstand mit den Ständen gekommen war - nicht zuletzt, weil die letzteren eine hohe Türkensteuer bewilligt hatten verschärfte sich mit dem Einsetzen der Gegenreformation erneut der Konflikt. Unter Kaiser Ferdinand II. erreichte die Rekatholisierung der habsburgischen Länder ihren Höhepunkt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte die Gegenreformation nicht nur im Bereich des Kammergutes, der geistlichen Herrschaften u n d der landesfürstlichen Städte an Boden gewonnen; in Niederösterreich war nun auch ein großer Teil des Adels katholisch, darunter die Liechtenstein und die Breuner. Die Position Ferdinands, der nach dem Tode seiner Cousins Maximilian und Matthias die Führung der Casa d' Austria übernahm, war jedoch noch keineswegs gefestigt. Trotzdem wurde er am 28. August 1619 einstimmig zum Kaiser gewählt. Kurioserweise votierte auch der Kurfürst Friedrich von der Pfalz für ihn, der zwei Tage vorher von den Aufständischen nach Absetzung Ferdinands zum König von Böhmen gewählt worden war (19). Am 20. November 1620 vernichtete der Sieg der kaiserlichen Truppen am Weißen Berg die Herrschaft des „Winterkönigs", dem sich auch die oberösterreichischen Stände unter dem Einfluß Georg Erasmus von Tschernembls angeschlossen hatten (20). Der aufständische Adel, der in dieser Schlacht eine entscheidende Niederlage erlitten hatte, verlor in der Folge seine ständischen Freiheiten und damit das Recht auf freie Religionsausübung. In Böhmen und Mähren wurden Ausschüsse unter der Führung Karls von Liechtenstein u n d des Kardinals Dietrichstein eingesetzt (21). Über die Edelleute, die die Huldigung verweigert hatten und mit ihren Truppen zum Feind überge-
Sieg der Gegenreformation
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laufen waren, wurde die Acht verhängt, ihre Güter wurden konfisziert (22). Viele Protestanten verließen das Land. Mit der „Verneuerten Landesordnung" von 1627 wurde Böhmen und seine Nebenländer zum Erbkönigreich des habsburgischen Hauses, der geistliche Stand wurde zum ersten im Land erklärt (23), die Stände verloren das Recht auf Standeserhebung und die Erteilung des Inkolats (24). Dadurch verloren die Landtage ihre politische Bedeutung u n d zugleich an Anziehungskraft für einen ehrbegierigen Adel. Klar und deutlich hieß es in diesem Gesetz, daß durch „die von G o t t verliehene Victori . . . in diesem unserem Erbkönigtum" alle „bey vorgehenden Zeiten erlassenen" die Selbständigkeit des Landes „präjudizierende Majestäts-Briefe und Landesordnung jetzt und zu ewigen Zeiten cassiret seyn" sollen (25). „Zur Verhütung dergleichen hochschädlichen Trennungen" wurde in der „Verneuerten Landesordnung" verfügt, daß „alles was Unserer Heiligen Catholischen Religion zu Abbruch, Nachteil und Präjudiz" gereiche, „zu ewigen Zeiten cassirt seyn und bleiben" solle (26). Der Einflußbereich des Landtages wurde auf den Finanzsektor reduziert, die Böhmische Hofkanzlei, das Durchführungsorgan des Königs, erhielt - als Ausdruck der neuen Abhängigkeit - ihren Sitz in Wien (27). Wenige J a h r e später standen die Nichtkatholiken in Böhmen (seit J u n i 1627) und in Mähren (seit März 1628) vor der Alternative, den Glauben zu wechseln oder ihren Besitz zu verlieren und das Land zu verlassen (28). Zur selben Zeit ergangene kaiserliche Patente für Ober-, Nieder- und Innerösterreich stellten auch den bisher von durchgreifenden gegenreformatorischen Maßnahmen verschont gebliebenen protestantischen Adel dieser Länder vor die Entscheidung, zum Katholizismus zurückzukehren oder zu emigrieren (29). Die entscheidende Stärkung der landesfürstlichen Gewalt seit dem Sieg der kaiserlichen Truppen am Weißen Berg bewirkte, daß auch die alte Pluralität der Residenzstädte im Herrschaftsbereich der Habsburger hinfällig wurde. Prag und Graz verloren ihre Funktion als Herrschaftssitze (30). Wien wurde das alleine Zentrum der Macht u n d der Ehrenstellen, der Ort, an dem die ehrgeizigen Adelsgeschlechter sich aufhalten mußten, wenn sie an dem wachsenden Prestige, das mit einem Aufenthalt bei Hof verbunden war, teilhaben wollten. Nur wer katholisch war oder wurde, galt als loyaler Untertan und konnte Rang und Ansehen erlangen. Die mächtige
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Soziogenese des Absolutismus
Protektion der Orden - vor allem des Jesuitenordens -, deren Einfluß unter Leopold I. einen Höhepunkt erreichte, konnte durch feierlichen Übertritt zur katholischen Kirche gewonnen werden (31). Der Glaubenswechsel vollzog sich seit dem Ende der zwanziger Jahre innerhalb weniger Jahrzehnte. Im Jahr 1676 trat der spätere Hofkanzler Seilern mit 68 anderen protestantischen Adeligen zum Katholizismus über. Sieben J a h r e später konvertierten Graf Windischgrätz und Graf Dietrichstein (32). Die umfangreichen Güterkonfiskationen nach der Schlacht am Weißen Berg setzten den Kaiser in die Lage, die im Land gebliebenen katholischen und loyalen Adeligen, aber auch die ausländischen Edelleute, die ihm als Offiziere oder Beamte gedient hatten, durch Landvergebungen noch fester an sich zu binden (33). Die neue katholische Aristokratie, die die Habsburger sich so geschaffen hatten, bestand aus den verschiedensten Elementen. Den Kern bildeten die wenigen treu gebliebenen Adelsgeschlechter. An deren Seite trat im 17. Jahrhundert eine große Zahl ausländischer Edelleute - Italiener, Spanier, Wallonen (34) -, von denen die meisten im kaiserlichen Heer ihr Glück gemacht hatten (35). Diese neue internationale Aristokratie war von Anfang an mit dem katholischen Hof befreundet u n d von ihm abhängig. Gegenüber dem protestantischen Adel in Böhmen und Mähren verfolgten die habsburgischen Kaiser eine konsequente Katholisierungspolitik. Nicht selten wurden unmündige Kinder der Obhut ihrer protestantischen Eltern entzogen und katholisiert (36). Während im 16. Jahrhundert für den Adel die Muttersprache Tschechisch auch die Unterrichtssprache war, trat an deren Stelle im Zeitalter der Gegenreformation die internationale Sprache der triumphierenden Kirche, das Latein (37). Es verblieb wohl eine ständisch-nationale tschechische Opposition unter der Führung Slavatas, die sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Die Regierung in Wien, die sich auf den zugewanderten Adel stützte, war stärker (38). Im J a h r 1680, zu einem Zeitpunkt, da der Absolutismus in den habsburgischen Ländern voll zur Entfaltung kam, erging ein kaiserliches R o b o t p a t e n t für Böhmen. Dieses Gesetz, dem unter Kaiser Karl VI. ähnliche folgten, zeigt deutlich, daß der Machtanspruch des absolutistischen Herrschaftsapparates auch vor der Sphäre der autonomen Grundherrschaft nicht haltmachte (39). Auch in Ungarn wurde rekatholisiert. Durch die kaiserliche Politik fühlte sich jedoch sehr bald nicht nur der protestantische Teil
Rekatholisierung in Ungarn
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des Adels bedroht. So schloß sich unter der Führung Nikolaus Zrinyis und des Palatins Franz Wesselenyi eine Gruppe von Magnaten zusammen, deren Ziel es war, die habsburgische Herrschaft abzuschütteln (40). Nach dem Tod Zrinyis (1664) und Wesselenyis (1667) trat der Hofrichter Franz Nadasdy an die Spitze der Rebellion gegen die Casa d'Austria (41). Die Aufdeckung der schlecht organisierten „Magnatenverschwörung" kam den Verfechtern einer Politik der Stärke gegenüber Ungarn sehr gelegen. Wie 50 J a h r e vorher in Prag konnte nun auch in Ungarn ein „reinigendes" Strafgericht als Beginn einer gewaltsamen Rekatholisierung stattfinden. Zrinyi, Frangepany, Nadasdy und Tattenbach wurden zum T o d verurteilt und hingerichtet (42). Franz I. Räkoczi konvertierte, stiftete 200.000 Gulden für den Jesuitenorden und rettete so seinen Kopf; Graf Tököly floh zu den Türken (43). In den folgenden 10 „dunklen J a h r e n " (1671 - 1681) trat ein Großteil des ungarischen Adels zum Katholizismus über. Erst als in den späten siebziger J a h r e n der Druck des osmanischen Reiches gegen die Ostgrenze der habsburgischen Länder immer stärker wurde, brach Wien die zuvor mit äußerster Konsequenz betriebene Rekatholisierung ab. Die österreichischen Türkensiege in den achtziger Jahren stärkten neuerlich die Position des Kaisers gegenüber den ungarischen Ständen. Auf dem Landtag zu Preßburg (1687) kam es zu einem Vergleich zwischen dem König u n d dem Adel. Der letztere verzichtete auf sein vorher so beharrlich verteidigtes Insurrektionsrecht, das er seit dem J a h r 1222 besessen hatte. Gleichzeitig wurde nun auch Ungarn zu einem Erbkönigreich der Casa d'Austria erklärt (44). Der Besitz der Kaiserkrone brachte den Herrschern aus dem Haus Österreich eine Reihe von Vorteilen in ihrem Kampf gegen ständische Freiheiten. So hatte der Kaiser das Recht, sich unter dem Vorwand seiner imperialen Stellung in Streitigkeiten zwischen den Ständen u n d den benachbarten Potentaten einzumischen; weiters konnte er einen großen Teil seines Heeres auf Kosten der Stände unterhalten. Als oberster Herr des in Wien ansässigen Reichshofrates war der Kaiser zugleich oberster Richter in Lehens- u n d anderen Streitigkeiten zwischen den Ständen (45). In seiner Position als Anwalt der römischen Kirche war der Kaiser legitimer Verteidiger des Glaubens und hatte als solcher das Recht, gegen jeden, der aus der katholischen Kirche austrat, vorzugehen. Ein mit dem Besitz der Kaiserkrone verbundener Hauptvorteil bestand schließlich da-
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Soziogenese des Absolutismus
rin, „daß der Kaiser der Ursprung und Brunnquell aller Dignitäten im Reich ist und keiner durch ganz Deutschland in eine höhere Condition und Stand gesetzet werden kann, als allein durch den Kaiser, wodurch er denn viele Creaturen machet u n d diejenigen, so von Ambition u n d Ehrgeiz stark getrieben werden, an sich zeugt u n d zu Wege bringet, absonderlich wenn regina pecunia ein wenig mit darzu k o m m t , daß sie öfters nicht nur ihre eigene Herren, sondern andere, bei denen sie einigen Credit haben, zu dergleichen Consilien verleiten, welche ihrer Freiheit u n d Interesse directe zuwider sind, dem Kaiser aber Mittel suppeditieren, ihnen insgesamt das Netz über den Kopf zu ziehen" (46). Mit dem Sieg der Gegenreformation, der in den habsburgischen Ländern im 17. Jahrhundert das Machtverhältnis zwischen den Ständen u n d dem Landesfürsten zugunsten des letzteren veränderte, vollzog sich auch ein grundlegender Wandel des Reichsgedankens. Während die habsburgischen Herrscher des 16. Jahrhunderts das Reich noch als übergeordnete Einheit sahen, begannen sie im Lauf des 17. Jahrhunderts, ihre Dynastie, die Casa d'Austria, damit zu identifizieren. Einen deutlichen Ausdruck fand diese Entwicklung im späten 17. Jahrhundert mit der Ausbildung eines Reichsstils, bei dem die Darstellung von Ruhm u n d Tradition des Hauses Österreich den zentralen Inhalt ausmachte (47). Unter Kaiser Karl VI. entstanden mit der Karlskirche u n d der Hofbibliothek in Wien und mit den Kaisertrakten in den donauaufwärts gelegenen Stiftspalästen die paradigmatischen Schöpfungen dieses Stils. Ein wichtiges Ereignis in diesem Zusammenhang war die Verselbständigung der österreichischen Abteilung der Reichskanzlei als österreichische Hofkanzlei im J a h r 1620 (48). Die Reichskanzlei wurde seither langsam zurückgedrängt. Trotzdem gelang es den Reichsvizekanzlern in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts, noch einmal großen Einfluß und Ansehen zu erlangen. Das lag jedoch nicht an der Restauration eines von der Casa d'Austria isoliert gedachten Reiches, sondern an der geschickten Diplomatie der Reichsvizekanzler am Hof Leopolds I., die ihre Haltung auf die böhmischösterreichischen Interessen abzustimmen wußten (49). Der im 17. Jahrhundert immer häufiger realisierte Wunsch zahlreicher Adelsfamilien, ihren Besitz durch die Schaffung eines Fideikomisses zu sichern, verstärkte deren Abhängigkeit vom Landesfürsten. Das Fideikommiß war eine zuerst (seit Ende des 14. Jahr-
Schaffung von Fideikommissen
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hunderts) vom niederen Adel gepflegte Vermögensform, bei der ein genau definierter Besitz für unveräußerlich und unteilbar erklärt und einer vom Stifter bestimmten Erbfolge - meistens Majorat und Primogenitur - unterworfen wurde. In Mitteleuropa waren die ersten Fideikommisse nach spanischem Vorbild zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstanden. Die Umwandlung eines Gutes in ein Fideikommiß war ein Mittel, einen flächenmäßig bereits konsolidierten Grundbesitz in einer Familie zu erhalten, gleichsam die „Versicherung des Geschlechts und des gesamten Besitzstandes gegen den Lauf der Zeit" (50). Der jeweilige Inhaber hatte nur Nutzungsrechte, für seine Schulden konnte das Fideikommiß nicht zur Zwangsvollstreckung herangezogen werden. Die Errichtung eines Fideikommisses durfte nur mit Zustimmung des Landesfürsten erfolgen (51), der zugleich die Einhaltung der mit einer solchen Stiftung verbundenen Rechtsnormen garantierte und ohne dessen Zustimmung nicht verkauft oder mit Schulden belastet werden durfte. Dadurch gerieten insbesondere die Geschlechter, die ihren Fortbestand materiell und rechtlich durch die Errichtung eines Fideikommisses sichern wollten, in große Abhängigkeit vom absoluten Herrscher (52). In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zielte die Politik der habsburgischen Monarchen vor allem darauf ab, die althergebrachten ständischen Freiheiten und Rechte zu eliminieren oder wenigstens stark zu beschneiden, den Adel an den Hof zu ziehen und ihn eng an die Interessen der Casa d'Austria zu binden. In der Folgezeit ging es den Herrschern vor allem darum, den Einfluß des an den Wiener Hof gezogenen Adels in überschaubaren Grenzen zu halten und nirgends autonome, ihrer Ingerenz entzogene Entscheidungsbereiche entstehen zu lassen. Eine Hauptstrategie zur Erreichung dieser Ziele bestand unter Leopold I. und seinen Söhnen darin, daß die Kompetenzbereiche der Hof- u n d Verwaltungsämter nur unklar abgegrenzt wurden. Der Kaiser verhinderte jede Kontinuität in der Amtspraxis, indem er die Struktur der Regierungsgremien und deren Personalstand laufend veränderte und neue Kompetenzverhältnisse schuf; häufig fällte er wichtige-Entscheidungen, ohne den zuständigen Ressortbeamten zu konsultieren. Immer wieder rief Leopold I. ad hoc Kommissionen ins Leben, in die er Personen seiner Wahl sandte. Die Macht der traditionellen Regierungsbehörde, des Geheimen Rates, schwächte er, indem er den Personalstand dieses
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Soziogenese des Absolutismus
G r e m i u m s versechsfachte (im J a h r 1678 fungierten 20 Geheime Räte; 20 J a h r e später waren es 114) (53). N u r wenige aus dieser großen Zahl von Würdenträgern h a t t e n n u n m e h r das R e c h t , an allen Sitzungen des Geheimen Rates teilzunehmen. Als Gegengewicht zu dieser Behörde schuf der Kaiser nach dem Vorbild Ferdinands II. im J a h r e 1670 - knapp vor dem Sturz des Premierministers Auersperg - einen sogenannten K o n f e r e n z r a t (54). In diesem Gremium, das auf Wunsch des Monarchen z u s a m m e n t r a t - b e s t i m m t e Tagungszeiten wurden für den Konferenzrat nicht festgelegt - u n d in das Leopold I. nur wenige vertraute Personen zog, w u r d e n die geheimsten Angelegenheiten beraten u n d beschlossen. Nach d e m Fall des Fürsten L o b k o w i t z (Oktober 1674) bildeten fünf Männer den Kern dieser Kommission: der Hofkriegsratspräsident Fürst Montecuculi, der H o f k a m m e r p r ä s i d e n t Graf Sinzendorf, der O b e r s t h o f m e i s t e r Graf Lamberg, der Reichshofratspräsident Fürst Schwarzenberg u n d der Hofkanzler Hocher (55). Den Vorsitz f ü h r t e seither der Kaiser selbst u n d später neben ihm der römische König (56). In den 70 J a h r e n nach dem Sturz der Fürsten Auersperg (1670) u n d Lobkowitz (1674) (57), die u n a n g e f o c h t e n an der Spitze des Hofstaats gestanden waren, gelang es in Österreich keinem Minister, in eine ähnliche Machtposition zu gelangen (58). Die von den Herrschern aus der Casa d'Austria gegenüber dem Adel betriebene Politik der Stärke kam in diesem Zeitabschnitt voll z u m Tragen. A u c h die österreichische Aristokratie verwandelte sich in eine Hofgesellschaft, allerdings in eine besonders geartete. Sie behielt auch nach 1620, da durch kaiserliche Gunst viele ausländische Adelsfamilien, aber auch nobilitierte Bürger in sie aufstiegen, immer die Verbindung mit ihren Herrschaften und den Ländern, in denen sie die Landstandschaft besaß. A u f n a h m e k o n n t e nur f i n d e n , wer eine Herrschaft erwarb und von den L a n d s t ä n d e n rezipiert w u r d e (59).
2.3. Struktur und personelle
Entwicklung
des Wiener Hofes
Der oben beschriebene Prozeß der Machtverlagerung innerhalb der Oberschicht zugunsten der Fürsten bedingte, daß in fast allen europäischen Ländern die H ö f e in steigendem Maß an Bedeutung gewannen. Sie, deren Wachstum zunächst nur Teilergebnis eines umfassenden gesellschaftlichen Strukturwandels war, w u r d e n immer
Hofämter, Reichsämter, Landes-Erbämter
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stärker selbst zu einer aktiven Kraft bei der Etablierung und Festigung des Absolutismus. Die Hof- und Staatskalender, die im 18. J a h r h u n d e r t von fast allen Höfen publiziert wurden, sind unter anderem (60) eine ergiebige Quelle bei der Analyse der personellen Entwicklung dieser sozialen Gruppen. Die jährliche Veröffentlichung solcher Verzeichnisse zeigt jedenfalls deutlich, daß die Höfe so groß geworden sind, daß sie selbst von den Beteiligten nur mehr schwer überschaut werden können (61). Außerdem schuf der Gegensatz zwischen der in den Schematismen festgelegten Hierarchie und dem Ist-Zustand der höfischen Rangordnung, der sich ja nach dem Willen des Herrschers ständig veränderte, mit das Spannungsfeld, auf dem der Kaiser seine gewaltige Überlegenheit gegenüber dem Adel so eindrucksvoll demonstrieren konnte. Daneben dokumentierten diese Hofkalender - als Forum der vornehmen Namen und Titel die Bedeutung eines Hofes, damit aber des Monarchen gegenüber einem größeren Personenkreis und vor allem gegenüber anderen Höfen (62). Zuletzt aber boten diese Publikationen ausländischen Diplomaten, jungen reisenden Adeligen, Projektemachern u n d den zahlreichen anderen Besuchern eine wichtige Orientierungshilfe, die die für einen Kontakt mit dem Hof notwendigen Informationen über Stand und Rang der zugehörigen Personen lieferte (63). Die vier fränkischen Hofämter - Marschallamt, Kämmereramt, Truchsessenamt und Schenkenamt (64) - waren das Vorbild für die Einrichtung von Hofstaaten in Mitteleuropa. Neben den vier großen Chargen gab es um den fränkischen König noch eine Reihe von Ämtern mit geringerer Bedeutung (Waffenträger, oberster Türwärter, Quartiermeister etc.). Der durch Dienstversprechen in den Hofdienst Aufgenommene war zur persönlichen Dienstleistung ebenso verpflichtet wie zur Hilfestellung in Regierungsangelegenheiten. Eine prinzipielle Trennung zwischen diesen beiden Bereichen gab es im patrimonialen Staat ja nicht (65). Die vier Hofämter wurden von vornehmen Reichsfürsten bekleidet, die ursprünglich tatsächlich die damit verbundenen Dienste am Königshof leisteten (66). In der Folge wurden die Hofämter jedoch immer stärker mit Ämtern in der Provinz - seit dem 13. Jahrhundert in bestimmten Territorien - verbunden. Die nominellen Hofamtsträger wurden bloße Hofwürdenträger und versahen als „Erzämter des Reiches" nur noch bei „Staatsakten" (67) symbolisch ihre ursprüng-
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Soziogenese des Absolutismus
liehen Dienste. Die politische Macht der vier „Reichs-Erzämter", die nach dem Lehenswesen vom Reichsoberhaupt verliehen wurden, wuchs noch, als auf ihre Träger das Recht der Königswahl überging. Diese Würden wurden nur von den höchstgestellten Reichsfursten bekleidet: dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen, dem Markgrafen von Brandenburg u n d dem König von Böhmen (seit 1289 als siebenter Wähler). Der wirkliche Dienst bei Hof wurde zuerst von Stellvertretern der Erzbeamten, dann von Ministerialen geleistet, bis sich auch aus diesen Hofämtern - bald erbliche - „Reichsämter" entwickelten, deren Hofdienstpflicht auf die allgemeinen Pflichten des Lehensmannes reduziert war (68). Den tatsächlichen Hofdienst versahen seither stellvertretende Unterhofbeamte. Ähnlich wie auf der Reichsebene vollzog sich die Entwicklung in fast allen deutschen Fürstentümern. Die weltlichen u n d geistlichen Reichsfürsten u n d Stände führten die „quatuor officia principalia" bei ihren eigenen Sitzen ein u n d belehnten damit ihre angesehensten Vasallen. Aus diesen Erbämtern an den Hofhaltungen der einzelnen Reichsfürsten entwickelten sich langsam die LandesErbämter; ein Wandel, der sich in Österreich in der Mitte des 13. J a h r h u n d e r t s vollzog (69). Als Albrecht im J a h r 1282 von seinem Vater Rudolf I. von Habsburg mit Zustimmung der Kurfürsten mit dem Herzogtum Österreich belehnt wurde, fand er die „quatuor officia prineipalia" als ausgebildete Landes-Erbämter vor (70). Die Inhaber dieser Würden übten die alten Hofdienste in symbolischer Weise nur mehr bei feierlichen Gelegenheiten - Huldigungen, Belehnungen, Hochzeiten - aus (71). Für die täglichen Dienstleistungen mußte der Herzog sich eigene Hofdiener bestellen. Tatsächlich finden sich seit dem Ende des 13. Jahrhunderts in den Urkunden Personen, die nicht zu den die Landes-Erbämter bekleidenden Familien gehören, mit den Titeln einzelner jener vier Ämter. Sie erschienen in den Quellen auch stets ohne das Beiwort „Austriae" (72); in ihrer Amtswirksamkeit hingen diese Hofdiener vollkommen vom Willen des Monarchen ab. Für die weitere Entwicklung der habsburgischen Hofämter wurde der burgundische Einfluß entscheidend. Karl der Kühne von Burgund war nach dem römischen Kaiser und dem König von Frankreich der mächtigste Fürst Mitteleuropas. Sein Reich u m f a ß t e neben dem Herzogtum Burgund die Franche Comte, Luxemburg
Burgundischer Einfluß
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u n d jene Herzogtümer und Grafschaften, die ungefähr mit dem Gebiet der heutigen Königreiche Belgien und Niederlande übereinstimmen (73). Der Zusammenhang zwischen diesen Gebieten, die keinen geschlossenen Länderblock bildeten, war allerdings nur durch die Person des Herzogs gegeben, der Lehensmann des französichen Königs und des römischen Kaisers war. Kurze Zeit bevor Karl der Kühne am 5. Januar 1477 in der Schlacht bei Nancy fiel, waren die Verhandlungen Kaiser Friedrichs III. über die Vermählung seines Sohnes Maximilian mit der burgundischen Erbtochter Maria zu einem positiven Abschluß gebracht worden. Die Hochzeit fand aber erst am 19. August 1477 statt. Während der französische König seine Lehen einzog, fiel der Großteil des burgundischen Reiches an die Habsburger. Der Hofstaat Herzog Karls des Kühnen von Burgund war nicht nur groß und prächtig, sondern auch schon ausgezeichnet organisiert. Das hatte seinen Grund sicher vor allem darin, daß in dem lose zusammengefügten burgundischen Reich die Funktion des Hofes als Machtmittel stark in den Vordergrund trat. Eine praktischpolitische Bedeutung hatte wahrscheinlich auch die Gründung des Ordens vom Goldenen Vlies durch Herzog Philipp den Guten am 10. Januar 1429: Der Adel Burgunds sollte stärker an die Person des Herzogs gebunden werden (74). Der Hofstaat Karls des Kühnen war in vier „Etats", Stäbe, gegliedert, deren Vorsteher der „Groß-Hofmeister" (Grand maitre d'Hotel) war; als dessen Stellvertreter fungierte der „Erste Hofmeister"; es folgten an der Spitze der anderen Stäbe: der Oberst-Kammerherr, der Ober-Mundschenk u n d der Ober-Stallmeister (zugleich Marschall) (75). Erzherzog Maximilian, der seinen Wohnsitz zunächst in der Residenz Karls des Kühnen in Gent nahm, behielt den gut durchorganisierten Hofstaat seines Schwiegervaters bei. Maximilian erließ später als Kaiser nach burgundischem Vorbild die erste bedeutende Hofordnung, deren Ausführung durch den Tod des Kaisers jedoch verhindert wurde. Die für die folgenden J a h r h u n d e r t e grundlegenden Hofordnungen entstanden dann erst unter Ferdinand I. in den Jahren 1527 und 1537. Von entscheidendem Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung dieser Ordnungen war die Erziehung Ferdinands am spanischen Hof, den sein Vater Philipp der Schöne nach burgundischem Vorbild reformiert hatte (76). So gewann das in den spanischen Traditionen gebrochene Burgundische einen ent-
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Soziogenese des Absolutismus
scheidenden Einfluß beim Zustandekommen der Hofordnungen Ferdinands. Ein Diplom vom 1. November 1518 dokumentiert die Ernennung des ersten „Oberst-Hofmeisters". In dieser Urkunde wurde der österreichische Freiherr von Roggendorf zum „Premier maistre d'Hostel" Ferdinands ernannt (77). Die Hofordnung vom 1. J a n u a r 1527 - „Kgl. M-t zu Hungern und Behaim etc. deutscher hofstat durch ir kgl. M-t anno domini etc. im sibenundzwanzigisten am ersten tag ianuarii aufgericht, dem also auf kgl. M-t ferrer befelh gelebt u n d nachkumen werden soll" - betraf sowohl die eigentlichen Hofämter als auch die Hofbehörden. Sie gliederte sich in folgende Abschnitte: ,,Präsident des Geheimen Rates (Bernhard, Kardinal von Trient. Hofmeister. Ordnung der canzlei. Postmaister. Hofmarschalhambt. Hofprovoss. Schatzmaister und hofkamer. Hofräte. Ordnung der rathaltung. Ordnung kgl. M-t. camer. Arzt. Türhiieter. Leibweschin. Kgl. M-t. tischordnung. Silberkamer. Schenk. Kuchenmaister. Muntkoch. Liechtkamer. Stalmaisterordnung. Wägen. Capelordnung. Contralor. Ainspenigen. Ernholden. Lackeien. Portir. Trumeter. Furier. Tapisiermaister. Falken- und jegermaister" (78). J e d e r Abschnitt enthält die Aufgabenbereiche der verschiedenen Hofdiener und deren Besoldung (nach Pferden bemessen). Ferdinand I. erließ genau zehn J a h r e später, 1537, als er bereits römischer König war, eine Hofordnung, die nur die Hofämter im engeren Sinn zum Gegenstand hatte, für die sie Detailinstruktionen enthielt. Die beiden Hofordnungen Ferdinands von 1527 und 1537 blieben über alle Veränderungen hinweg auch unter seinen Nachfolgern als grundlegende Norm aufrecht (79). Eine Hauptaufgabe fürstlicher Hofhaltungen lag in der Befriedigung der elementaren Bedürfnisse nach Wohnung, Nahrung und Kleidung: Der Hofstaat war zunächst Haushalt des Fürsten und des Herrscherhauses. An diese Funktion schlössen noch eine Reihe von Einrichtungen an, die der „sonstigen leiblichen und geistigen Wohlf a h r t " (80) der Hausmitglieder dienten. Hierher gehörten die Hofämter, deren Aufgabe im Schutz der persönlichen Sicherheit des Monarchen und seiner Familie lag (Wachen, Garden), dann die, die die Aufgabe hatten, Ruhe und Ordnung bei Hof zu bewahren (Hofpolizei), weiters Hofdiener, denen die Besorgung der Rechtspflege
Funktionen fürstlicher Höfe
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oblag (Hofmarschallgericht), dann die Geistlichen, die den Seelsorge- und Kirchendienst versahen, die Stallungen, die Wagenburg, die Verwaltung der Schlösser und Gärten und schließlich der K o m p l e x von Ämtern, deren Aufgabenbereich in der Planung und Durchführung der zahlreichen Opern- und Theateraufführungen, der Feuerwerke, der Triumphzüge und der Feste, die im höfischen Alltag eine immer größere Rolle spielten, lag ( 8 1 ) . Solange der Herrscher und sein „Haus" unter zentralen Aspekten mit dem „ S t a a t " ident gedacht wurden, gab es auch keine klare Trennung zwischen Hof-
und Zentralverwaltung ( 8 2 ) . Die fürst-
liche Herrschaft war im Absolutismus patrimonial strukturiert; das heißt, daß der Fürst seine politische Macht über den gesamten Untertanenverband im Prinzip ebenso organisierte wie die Ausübung seiner Hausgewalt (83). Seine Herrschaft beruhte daher ihrem Wesen nach „nicht auf der Dienstpflicht für einen sachlichen, unpersönlichen .Zweck' und der Obedienz gegenüber abstrakten Normen, sondern gerade umgekehrt auf streng persönlichen Pietätsbeziehung e n " ( 8 4 ) . Der Verwaltungsbeamte war selbstverständlich auch Diener des Fürsten; dementsprechend war die Zentralverwaltung - bis in die Zeit Karls VI. - nahtlos in den Hofstaat eingegliedert. In dieser Verwaltungsfunktion lag eine zweite Hauptaufgabe fürstlicher Hofhaltungen ( 8 5 ) . Schließlich war der Hofstaat das wichtigste Instrument, um Größe, Würde und Ansehen des Herrschers und seines Hauses sinnfällig darzustellen ( 8 6 ) . Diese Funktion erfüllten vornehmlich die zahlreichen Ehrendienste, denen die persönliche Bedienung des Herrschers oblag. Zugleich waren an den Höfen die oben erörterten Funktionen - Nutzfunktionen, Prestigefunktionen, Herrschafts- und Staatsfunktionen - zu einem untrennbaren Komplex verschmolzen. Bei der Analyse dieses Phänomens erweist sich auch die von Max Weber postulierte Polarität von Zweckrationalität und Wertrationalität als nicht angemessen (87). Die zentrale Bedeutung dieser zuletzt dargestellten Funktion erklärt sich aus der Tatsache, daß das Verhältnis von Machtausübung und Machtdarstellung, bedingt durch eine andere Wirtschaftsordnung und eine andere Rationalität, im ancien re'gime viel stärker noch als heute ein dialektisches war: Mit der Ostentation waren stets zugleich bestimmte Erwartungen und Ansprüche verbunden - in ihr kam deutlich das Streben nach Machtprestige zum Ausdruck ( 8 8 ) .
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Soziogenese des Absolutismus
Aus den oben genannten drei Hauptfunktionen ergab sich eine Gliederung der Hofbediensteten in drei Gruppen: die Träger der Hofverwaltung, denen die technische Abwicklung des täglichen Lebens oblag, die Beamten der Zentralverwaltung, die sich im Status als persönliche Diener nicht von den Hofbeamten unterschieden, und die Ehrendienste, die für die persönliche Bedienung des Herrschers zuständig waren. Die erwähnte Verschmelzung von Nutz-, Prestige- und Herrschaftsfunktionen in vielen Bereichen des höfischen Lebens machen allerdings eine klare Grenzziehung zwischen diesen Gruppen unmöglich. Dazu k o m m t noch, daß Hof-, Regierungs- u n d Verwaltungsdienst häufig in Personalunion geleistet wurde. So fungierten die Inhaber der obersten Hofchargen immer zugleich auch in höchsten Regierungsämtern. Fürst Wenzel Eusebius Lobkowitz war zugleich Obersthofmeister, erster Geheimer Rat und seit 1670 Präsident der Geheimen Konferenz (bis zu seinem Sturz 1674) (89). J o h a n n Maximilian Graf Lamberg war Oberstkämmerer, dann Obersthofmeister und zugleich Geheimer Rat (90). Franz Augustin Graf Waldstein war Hartschierenhauptmann und Geheimer Rat (91). Im J a h r 1705 wurde die Geheime Konferenz die erste Regierungsbehörde - aus 13 Mitgliedern gebildet. Darunter waren unter anderen: der Obersthofmeister Ferdinand Bonaventura Graf Harrach, der Oberstkämmerer Heinrich Fürst Mansfeld, der Obersthofmeister des römischen Königs J o s e p h I., Fürst Salm und der Obersthofmarschall Georg Adam Graf Martinitz (92). Die Personalunion in der Ausübung von Hof- u n d Verwaltungsämtern hatte einen Hauptzweck in der Herstellung eines engen, bequemen und ständigen Kontaktes zwischen dem Kaiser u n d den Regierungsbehörden. Eine zweite wichtige Aufgabe dieser Funktionenverbindung hatte ihre Ursache darin, daß Politik im ancien regime per definitionem Außenpolitik war. Das spiegelt sich deutlich in den Aufgabenbereichen der wichtigsten Regierungsbehörden, die sich zu einem Hauptteil mit auswärtigen Angelegenheiten zu befassen hatten. Da der Hof der Ort war, an dem die zahlreichen Botschafter, Gesandten, Residenten und Agenten sich am häufigsten trafen, an dem sie ihre Rangstreitigkeiten austrugen u n d mit Intrige u n d Bestechungen die wichtigsten Werkzeuge absolutistischer Politik handhabten, war es für die Regierungsämter notwendig, auf höchster Ebene an allen Formen des höfischen Lebens teilzunehmen (93).
Kämmerer
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Das gewaltige Wachstum, das die Entwicklung des Wiener Hofes von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18.Jahrhunderts kennzeichnet, betraf alle Sparten des Hofdienstes, insbesondere aber den Ehrendienst. Am deutlichsten spiegelt sich dieser Prozeß in der Vergrößerung der Zahl der Hofdiener, die den Titel eines Kämmerers führten. Im Todesjahr Maximilians I. wurden im „stat des hofgesinds" nur sechs „officier" angeführt, „die in der camer" Dienst versahen (94). Im J a h r e 1566 erschien Kaiser Maximilian II. beim Reichstag in Augsburg mit acht Kämmerern u n d drei Kammerdienern (95). Auch Kaiser Rudolf II. wurde zum Reichstag in Regensburg im Jahre 1594 nur von 12 Kämmerern begleitet (96). Dagegen wurden im Hof- u n d Staatsschematismus, der im Todesjahr Ferdinands II. 1533 erschien, bereits 33 wirkliche und 62 außerordentliche Kämmerer genannt (97). Außerdem gehörten in diesem J a h r noch 21 Personen zum Kammerdienst: 10 Kammerdiener, 2 Kammer-Türsteher, 1 Kammer-Einheizer, 4 Kammer-Trabanten, der lustige Rat J o n a s Schissel und drei Hofnarren. Im J a h r 1678 unter dem Oberstkämmerer Graf Lamberg gab es schon 340 Kammerherren, unter dem Oberstkämmerer Graf Mansfeld im Todesjahr Kaiser Leopolds I. 1705 waren es 423 (98). Die Diener mitgerechnet, wird die Zahl der Kämmerer noch weit größer gewesen sein. So berichtet der Abbé Pacichelli, der den Kaiser und seinen Hof genau beschrieben hat, daß es unter Leopold I. 600 Kämmerer gab (99). Unter Kaiser Karl VI. wurden allein im Jahr 1732 in sieben verschiedenen Promotionen 226 Kammerherren ernannt. Vier J a h r e später bei der Hochzeit Maria Theresias erhielten 168 Aspiranten die begehrte Würde (100). In der Regierungszeit Maria Theresias stieg die Zahl der Kämmerer noch weiter an; bei ihrem T o d waren nicht weniger als 1500 Personen Inhaber dieser Hofwürde (101). Dieser neuerliche Zuwachs war jedoch bereits ein Zeichen der Abwertung dieses Ehrenamtes und damit ein Indiz dafür, daß die Verleihung der Kämmererwürde ihre Bedeutung als Machtinstrument in der Hand des Herrschers zu verlieren begann; insbesondere auch deshalb, weil die Kammerherrenwürde immer mehr zu einem bloßen Ehrentitel wurde, der nicht mehr mit einem tatsächlichen Dienst in der Nähe des Herrschers verbunden war u n d so auch nicht mehr die begehrte Thronnähe gewährleistete. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, war es bereits im frühen 17. Jahrhundert zu einer Trennung zwischen wirklichen (solche, die sich tatsächlich im Dienst befan-
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Soziogenese des Absolutismus
den) und außerordentliche Kammerherren (die nur den Ehrentitel führten) gekommen. Während die Zahl der Ehrenkämmerer ständig stieg, blieb die der wirklichen Kämmerer - bei einer Höchstgrenze von 50 - immer annähernd konstant. Über die Diensteinteilung der wirklichen Kammerherren gab es in den Hofschematismen einen Passus, der bis in die Zeit Maria Theresias gleichlautend wiederkehrte: „Die Kämmerer sind unterschiedliche Fürsten, Grafen und Freiherren aus den vornehmsten Reichs-, böhmischen, österreichischen, ungarischen, neapolitanischen, spanischen und niederländischen Geschlechtern, die ihre Majestät bedienen, drei und drei, in der gewöhnlichen Hofkleidung, acht Tage in dem Vordienste und acht Tage in dem Hauptdienste, sodaß allezeit sechs Kämmerer bei Hofe sind". Der Kammerdienst wurde demnach turnusweise von den wirklichen Kämmerern geleistet. Es ist jedoch anzunehmen, daß der stereotypen Formulierung in den Hofschematismen keine ebensolche Wirklichkeit entsprochen hat. Als Zeichen ihrer Würde trugen die Kämmerer während der Zeit, in der sie sich im Dienst bei Hof befanden, einen großen, prächtig verzierten Schlüssel aus vergoldetem Kupfer oder Eisen an der Öffnung der Tasche des Hofkleides (102). In ganz ähnlicher Weise vollzog sich die personelle Entwicklung des Geheimen Rates - die erste Regierungsbehörde - im 17. und 18. Jahrhundert. Im Jahr 1678 fungierten unter Leopold I. 20 Geheime Räte. Am Ende des Jahrhunderts (1698) waren es 114, beim T o d des Kaisers im J a h r 1705 bereits 164 (103). Kaiser Joseph I. ernannte bei seinem Regierungsantritt nur 32 Geheime Räte, eine Zahl, die sich jedoch bald vergrößerte (104). So gab es im J a h r 1735 unter Karl VI. wieder 77 Würdenträger mit diesem Titel (105). Der große personelle Zuwachs, der die Entwicklung des Geheimen Rates in der Folgezeit kennzeichnete - im J a h r 1825 gab es noch über 250 wirkliche Geheime Räte -, vollzog sich gleichzeitig mit dem Bedeutungsverlust dieser Institution. Einen nicht unerheblichen Anteil an dem Wachstum der Höfe hatte schließlich der Apparat, der die zahlreichen Triumphzüge, Theater- und Opernaufführungen hervorbrachte: Musiker, Sänger, Komödianten, Theaterarchitekten, Opernmaler, Bühnenbildner, Kulissenschieber etc. Im J a h r 1670 kosteten die „Hofmusici" bereits 43.702 Gulden (106). Unter Kaiser Karl VI. waren die Ausgaben für die Kapelle gar auf 200.000 Gulden gestiegen (107).
Dienstverhältnis der Hofdiener
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Das Dienstverhältnis der Hofdiener zum Fürsten war „das auf der patrimonialen Stellung des Herrn beruhende, patriarchalisch geordnete Familiaritätsverhältnis" (108). Der Hofstaat erschien als „Hoffamilie"; die Wurzeln der fürstlichen Herrschaft über diesen Verband lagen in der Autorität des Hausherrn innerhalb der häuslichen Gemeinschaft. Diese patriarchalische Herrschaft der Fürsten legitimierte sich aus der Tradition, aus „dem Glauben an die Unverbrüchlichkeit des immer so Gewesenen als solchen" (109). Nicht die gesatzte Norm, sondern die persönliche Unterwerfung unter den Herrscher garantierte die Legitimität der von diesem gegebenen Befehle u n d gesetzten Regeln (110). Das Dienstverhältnis war demnach persönlicher Natur. Es basierte auf dem zwischen dem Herrscher u n d dem Hofdiener abgeschlossenen Dienstvertrag (111). Der neu aufgenommene Diener mußte beschwören, „Nutz u n d F r o m m e n " des Fürsten „zu fürdern, Schaden u n d Nachteil aber zu wahren u n d zu w e n d e n " (112). Dieser Passus war in allen Eidesformeln für den Dienst bei Hof enthalten. Mit dem Tod des Fürsten endete das Dienstverhältnis. So wurde der gesamte Hofstaat J o sephs I. am 30. September 1711 nominell entlassen; ein großer Teil der alten Hofdienerschaft wurde am 1. Oktober 1711 wieder aufgenommen (113) und mußte das „jurament nachfolgender gestalt von n e u e m " ablegen (114). Unter der Regierung Kaiser Karls VI. wurden die Reichshofräte nicht mehr in die Hofkalender aufgenommen (115). Hier kam bereits die in dieser Zeit sich anbahnende Unterscheidung zwischen dem Hofbeamten, der dem Fürsten bis zum T o d diente, und dem Staatsbeamten, an dessen Stellung auch der T o d des Monarchen nichts änderte, zum Ausdruck. Die Möglichkeit der standesmäßigen Versorgung durch ein besoldetes H o f a m t , vor allem aber die Teilhabe am Prestige des Herrschers, verlieh dem Hofdienst immer größere Anziehungskraft auf den Adel. Der Andrang auf die Hofämter war so groß, daß viele Adelige den Ehrendienst ohne Besoldung leisteten. Häufig wurden auch „Expektanzen" auf noch besetzte Stellen vergeben. Auch in den niedrigeren Ämtern wurde der Dienst manchmal ohne Besoldung von „supernumerarii" geleistet. Das Prestige, das der Dienst in der Nähe des Fürsten diesen Handwerkern, Künstlern, Juristen etc. brachte, vergrößerte deren Auftrags- und Karrierechancen auch außerhalb des Hofes. Der Hofdienst war so begehrt, daß der Obersthofmeister allzu eifrigen Bittstellern mit dem Hofprofoß drohen ließ.
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Soziogenese des Absolutismus
Ein junger Adeliger konnte seine Laufbahn im Hofdienst als Edelknabe beginnen. Diesen Ehrendienst leisteten die jungen Kavaliere durchschnittlich zwei bis drei Jahre (116). Für eine kleine Zahl von Adeligen - im Jahr 1678 waren es 18 - bot sich hier die Möglichkeit der Vorbereitung auf ihre künftige Laufbahn. Da die Landschaftsschulen für den Adel bis Anfang des 17. Jahrhunderts verschwunden waren und die Planung einer Ritterakademie erst gegen Ende des Jahrhunderts in ein konkretes Stadium trat (117), machte der Adel von dieser Möglichkeit umso lieber Gebrauch. Zugleich war die Erziehung bei Hof eine Alternative zu der kostspieligen Kavalierstour, bei der der Zögling mit seinem Hofmeister einige J a h r e im Ausland an fremden Höfen zubrachte (118). Unter Kaiser Ferdinand I. bildeten die Edelknaben eine regelrechte schola regia. Unter der Leitung eines „Zuchtmaisters" (Edelknaben-Hofmeister) und eines „Schuelmaisters" (Edelknaben-Präzeptor) wurden sie zu Gottesfurcht, Zucht und guten Sitten erzogen und „in allerlei ritterliche Sachen, auch in Künsten, der lateinischen und anderen Sprachen - im Schreiben und Sprechen" unterrichtet (119). Als Lehrer in diesen Fächern fungierten unter Kaiser Leopold I. im J a h r 1678: ein Hofmeister, ein Tanzmeister (Augustinus Santini), ein Sprachmeister, ein Lautenist (Franz Zürcher) und ein „Trinschiermeister" (120). Für einen jungen Adeligen, der als Edelknabe gedient oder auf einer Kavaliersreise fremde Höfe kennengelernt hatte, bestand Aussicht auf Ernennung zum Truchsessen. Wie der Dienst als Edelknabe oder Kämmerer war auch der als Truchseß ein Ehrendienst „von Haus a u s " (121) und nicht mehr mit der Pflicht zu ständiger Dienstleistung am Hof verbunden. Die Zahl der Hofwürdenträger, die das Amt eines Truchsessen innehatten, war niemals auch nur annähernd so groß wie die der Kämmerer. So wurden im Schematismus von 1704 18 Truchsessen angeführt; unter Kaiser Karl VI. waren es acht bis zwölf (122). Unter Führung des Stabelmeisters hatten die Truchsessen in der Küche die Speisen zu nehmen, in den Speisesaal zu tragen und, nachdem der Vorschneider das Fleisch geschnitten hatte, auf den Tisch zu setzen (123). Ein Truchseß hatte die Chance auf Beförderung zum Vorschneider oder zum Mundschenk. Im Jahr 1704 gab es sechs Mundschenken und zwei Vorschneider; in der Regierungszeit Kaiser Karls VI. waren je vier Würdenträger in diesen beiden Ehrenämtern tätig. Seit dem Jahr 1812 wurde in den
Karrieren im Hofdienst
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Schematismen die Rubrik „Mundschenken u n d Vorschneider" mit dem Vermerk „unbesetzt" versehen und kam später überhaupt nicht mehr vor. Hatte ein Kavalier in den niedrigeren adeligen Ehrendiensten als Truchseß, als Vorschneider und als Mundschenk gedient, konnte er auf ein Avancement zu einer höheren Hofwürde hoffen. Er hatte, besonders wenn er die Grafenwürde besaß, die Chance, zum Silberkämmerer (124), zum Oberststabelmeister, zum Hartschierenhauptmann, zum Oberstküchenmeister oder zum Kämmerer befördert zu werden. An der Spitze der vier obersten Hofämter standen Adelige aus dem Kreis der einflußreichsten Familien. Die reichsten und mächtigsten Adeligen konkurrierten in der Residenzstadt um diese höchsten Ehrendienste, die zugleich einen Sitz im Geheimen Rat garantierten (125). Nur wer katholisch war oder wurde, hatte in der Habsburger-Monarchie die Chance, an eine dieser höchsten Stellen im Hof- und Regierungsdienst zu gelangen (126). Dabei stützte sich der Kaiser in Böhmen vor allem auf den aus den deutschen Ländern zugewanderten Adel: die Taxis, Salm, Fürstenberg, Auersperg, Windischgrätz, Dietrichstein, Liechtenstein usw. (127); aber auch italienische, spanische und niederländische Adelige, die in Heer und Verwaltung treu gedient hatten, kamen immer häufiger zum Zug. Ein Adeliger konnte seine Laufbahn im Dienst des Kaisers mit gleichen Chancen als Höfling, als Soldat, als Diplomat oder als Beamter in einer Regierungsbehörde - hier hatten auch Bürgerliche eine Chance - beginnen. Es ist charakteristisch für alle Spitzenkarrieren unter den Kaisern Leopold I., J o s e p h I. und Karl VI., daß sie nicht ausschließlich in einem der genannten Sektoren verliefen. So wurde beispielsweise ein H o f a m t zur Basis einer diplomatischen Laufbahn, die wiederum ihre Krönung in der Übernahme eines höchsten Regierungsamtes fand. Die folgende Darstellung einiger Spitzenkarrieren in der Blütezeit des Absolutismus zeigt exemplarisch diesen Sachverhalt.
44 Raimund
Soziogenese des Absolutismus Graf
1608
1664 1668 - 1681 1668 1679 1681
Johann
geboren Militärdienst unter dem Fürsten Hannibal Gonzaga Studium in Italien Übernahme des Kürassierregiments des verstorbenen Ottavio Piccolomini Beförderung zum Generalfeldmarschali und Gouverneur(Raab) Präsident des Hofkriegsrates, Mitglied der um 1670 gegründeten Geheimen Konferenz Promotion zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies Erhebung in den Reichsfürstenstand gestorben (128)
Maximilian
1608
1641 1643 - 1648 1650
1661 1665
1675 1682
Heinrich
Montecuculi
Graf
Lamberg
geboren Studien, Reisen Kammerherr Ferdinands II. Erhebung in den Reichsgrafenstand Bevollmächtigter Minister bei den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück Oberhofmeister bei Erzherzog Leopold Werbungsreise um Ferdinands III. dritte Gemahlin Eleonora Gonzaga kaiserlicher Botschafter in Spanien Promotion zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies Oberstkämmerer Kaiser Leopolds I. nochmals Botschafter in Madrid Lamberg bringt die Verhandlungen über die Vermählung Kaiser Leopolds I. mit der spanischen Infantin Margareta Theresia zum Abschluß Nachfolger des Fürsten Lobkowitz im Obersthofmeisteramt gestorben (129)
Franz Fürst Mansfeld
1640
168 0 - 168 3 1682
und
Fondi
als Sohn des Grafen Bruno Mansfeld, der Kammerherr, Oberststallmeister und Oberstjägermeister war, geboren Studium, Reisen Diplomat an verschiedenen deutschen und italienischen Höfen Sonderbotschafter in Paris Kammerherr und Geheimer Rat
Karrieren im Hofdienst 1683 1683 1689
1690 1691 1694 1694 1701 - 1702 1702 - 1705 1705 1715
Philipp 1671
1687 1687 1694 1705
1711 1712 1713 1735 1738 1742
Ludwig
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Kapitän der kaiserlichen Trabanten kaiserlicher Botschafter in Spanien Mansfeld geleitet die Prinzessin Maria Anna von Pfalz-Neuburg, die die zweite Gemahlin des spanischen Königs Karl II. wird, nach Madrid Erhebung zum Granden Promotion zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies Erhebung zum Fürsten von Fondi Erhebung in den Reichsfürstenstand (Dekrete von 1691 und 1696; 1709 Bestätigung durch Kaiser Joseph I.) Obersthofmarschall Generalfeldmarschall und Gouverneur von Komorn General-Erb-Land- und Haus-Zeugmeister Nachfolger Staxhembergs als Hofkriegsratspräsident Oberstkämmerer mit der Versicherung auf das Obersthofmeisteramt Mansfeld bleibt auch nach dem Tod Kaiser Leopolds I. Mitglied des Konferenzrates und des Geheimen Rates gestorben (130)
Graf
Sinzendorf
als Sohn des Hofkammerpräsidenten Georg Ludwig geboren; für den geistlichen Stand bestimmt Domherr in Köln Philipp Ludwigs älterer Bruder fällt gegen die Türken Kriegsdienst kaiserlicher Kammerherr in diplomatischer Mission nach München, Brüssel, Paris und zu dem in Polen stehenden Schwedenkönig Karl XII. Kaiser Joseph I. macht ihn zum Obersthofkanzler; gemeinsam mit Graf Seilern, der für die Rechtssachen zuständig ist, steht er an der Spitze der Geheimen Hofkanzlei als Leiter des Ressorts für Staatssachen als Diplomat bei den Friedensverhandlungen mit Frankreich in Den Haag nach dem Tod Kaiser Josephs I. ging Sinzendorf Karl VI., der aus Spanien kam, bis Mailand entgegen Promotion zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies Gesandter bei den Utrechter Friedensverhandlungen Geheimer Konferenzminister Sinzendorf verhandelt nach dem polnischen Thronfolgekrieg mit Frankreich Leiter der kaiserlichen Fraktion beim Friedensschluß von Wien gestorben (131)
46 I m Verlauf an politischer M a c h t an den den B e h ö r d e n
Soziogenese des Absolutismus des 18. J a h r h u n d e r t s verloren die H o f ä m t e r langsam B e d e u t u n g . Dagegen s a m m e l t e sich i m m e r m e h r Spitzen d e r von der Person des Herrschers sich lösen(132).
A n der Spitze des mittelalterlichen H o f s t a a t e s s t a n d bis in die Zeit Kaiser Friedrichs III. der H o f m a r s c h a l l , in dessen Wirkungsbereich n e b e n der Aufsicht über den gesamten H o f s t a a t G e s c h ä f t e der L a n d e s v e r w a l t u n g fielen (133). Als o b e r s t e r H o f d i e n e r h a t t e er richterliche Befugnisse über die z u m Hof g e h ö r e n d e n P e r s o n e n ; zugleich trug er die V e r a n t w o r t u n g für die V o r b e r e i t u n g u n d L e i t u n g der fürstlichen Reisen u n d f ü r die E i n q u a r t i e r u n g des H o f s t a a t e s (134). Er h a t t e die A u f s i c h t über die Stallungen u n d war damit a u c h A n f ü h rer des b e r i t t e n e n Gefolges des Fürsten. In der Schlacht t r u g er das B a n n e r , u m das sich die gesamte R i t t e r s c h a f t sammelte. Ganz ähnlich wie im Reich, wo sich aus den H o f ä m t e r n zuerst d i e „ E r z ä m t e r " , d a n n bis ins 12. J a h r h u n d e r t die „ R e i c h s ä m t e r " als erbliche L e h e n herausgebildet h a t t e n , vollzog sich die E n t w i c k l u n g in den geistlichen u n d weltlichen F ü r s t e n t ü m e r n . In den österreichischen Ländern war sie bereits u n t e r den Babenbergern zum A b s c h l u ß gekomm e n , als Herzog L e o p o l d VI. das Marschallamt der Familie d e r K u e n ringer erblich verlieh (135). H u n d e r t J a h r e später w u r d e u n t e r den H a b s b u r g e m das Marschallamt neuerlich zerlegt. W ä h r e n d der „Marschall in Ö s t e r r e i c h " Verwaltungsaufgaben ü b e r n a h m , blieben dem H o f m a r s c h a l l jene F u n k t i o n e n , die den fürstlichen Haushalt betraf e n . N e b e n dieser F u n k t i o n s a b g a b e b e w i r k t e eine Reihe von anderen F a k t o r e n einen Bedeutungsverlust des H o f m a r s c h a l l a m t e s . I n dem oben dargestellten Prozeß der Entmilitarisierung des Adels w u r d e der Marschall in seiner F u n k t i o n als O b e r b e f e h l s h a b e r des H e e r b a n n s bei kleineren U n t e r n e h m u n g e n u n d als Bannerträger des Fürsten in der Schlacht i m m e r m e h r a b g e w e r t e t . Mit der A u s ü b u n g der Herrschaftsgewalt v o n festen R e s i d e n z s t ä d t e n aus verlor er zudem als Organisator der fürstlichen Reisen einen wichtigen Aufgab e n b e r e i c h . Dieser Verlust von vormals zentralen F u n k t i o n e n s c h w ä c h t e seine Position u n d Rangstellung. War der Marschall im Mittelalter noch an der Spitze des H o f s t a a t s gestanden, m u ß t e er am Ausgang des 15. J h d t s . diesen Rang an d e n H o f m e i s t e r a b t r e t e n ( 1 3 6 ) . Im S c h e m a t i s m u s vom J a h r 1619 rangiert der O b e r s t h o f m a r schall h i n t e r dem O b e r s t k ä m m e r e r n u r noch an dritter Stelle (137). T r o t z dieses Bedeutungsverlustes blieb dem Hofmarschall mit der
Hofmarschall
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Ausübung der Gerichtsbarkeit über alle bei Hofe anwesenden Personen eine wichtige Funktion. Seine Jurisdiktion erstreckte sich nicht nur auf die gesamte Hofdienerschaft u n d die Angehörigen des „Kanzleistaates", sondern auch auf alle Personen, die nur vorübergehend bei Hof anwesend waren (Gesandte, Agenten, Ehrenräte u n d Ehrenkämmerer usw.) (138). Als in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Hofgerichtsbarkeit in Abhängigkeit von der Hofkanzlei geriet, bedeutete das für den Obersthofmarschall einen neuerlichen Verlust an Einfluß (139). Hundert J a h r e später unter der Regierung Josephs II. ging die richterliche Gewalt des Obersthofmarschalls über die Hofdienerschaft endgültig auf die allgemeinen Gerichte über (140). In seiner F u n k t i o n als Quartiermeister war der Obersthofmarschall der erste, der mit den Gästen des Hofes in Berührung kam. Aus diesem Grund bestand eine seiner wichtigsten Aufgaben im zeremoniellen Empfang der Gesandtschaften u n d anderer hoher Gäste (141). Nachdem der Tag des Einzuges und die Modi des Zeremoniells festgelegt worden waren, erwartete der Obersthofmarschall die Gesandtschaft vor den Toren der Stadt und geleitete sie dann in feierlichem Zug in das Quartier (142). In dem skizzierten Prozeß, in dessen Verlauf der Hofmarschall immer mehr an Einfluß verlor, verringerte sich auch der Anteil der ihm unterstellten Personen an der gesamten Hofdienerschaft. Vor allem der Obersthofmeister und der Oberststallmeister profitierten vom Funktionsverlust des einst einflußreichsten Amtes. So wurde unter anderem der Stabelmeister, der das Tafelzeremoniell leitete, dem Obersthofmeister unterstellt (143), während der Oberststallmeister die Verwaltung der Stallungen und die Organisation der Hofreisen übernahm. Neben den zeremoniellen Funktionen des Empfanges und der Begrüßung der Gesandten und hochgestellten Gäste des Hofes blieb dem Obersthofmarschall an wichtigen Aufgaben nur die Handhabung der richterlichen u n d der polizeilichen Gewalt über das Hofgesinde. Bei der Erfüllung seiner richterlichen Pflichten unterstützten ihn seiner Befehlsgewalt unterworfene Assessoren u n d Kanzleibeamte. Als Chef der Hofpolizei befehligte er den H o f p r o f o ß , dem wiederum ein „Steckenknecht" unterstellt war. Der H o f p r o f o ß hatte bei Amtsantritt zu geloben, „ungehorsame u n d strafmäßige Diener, so von ihrer May. oder Dero Obristen und Vice-Hofmaister (Hofmarschall) ihm zur Verwahrung u n d Ver-
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haftung befohlen werden, solchen Befehl gestracks Vollziehung zu t u n und gegen denselben mit gebührender Straff furzugehen und unzüchtige und ärgerliche Personen, so sich bey dem Hofgesindt aufhalten mochten, neben gebührlicher Bestraffung mitt Ernst alssbaldt weeg zuschaffen" (144). Außerdem unterstanden dem Obersthofmarschall die Amtstrabanten, die „Ainspänniger" (145) und die Furiere (146). Im „Stat des hofgesinds" Maximilians (147) war noch der Hofmarschall an erster Stelle genannt worden. Schon kurze Zeit später, nach den Hofreformen Ferdinands I., hatte diesen Rang der Obersthofmeister - der als „erst person bei kgl. Mt. g e a c h t u n d g e ert werden" soll - inne (148). Ihm kam das Aufsichtsrecht über die gesamte Hofdienerschaft zu, die er zugleich in Evidenz hielt (149). Gemeinsam mit den anderen obersten Hofchargen, vor allem dem Hofmarschall, wachte er über die Einhaltung der erlassenen Instruktionen. Direkt unterstanden dem Obersthofmeister der Oberstküchenmeister, der Oberststabelmeister, der Ober- u n d der Untersilberkämmerer (150). Im Aufgabenbereich dieser Ämter traten im Verlauf des 16. und 1 7. Jahrhunderts an die Stelle von Verwaltungsgeschäften, die in der Folge von untergeordneten Hofdienern besorgt wurden, zeremonielle Obliegenheiten. Dem Oberststabelmeister, der das Tafelzeremoniell leitete u n d als Insigne einen schwarzen Stab trug, unterstanden die Truchsessen, die Vorschneider und die Mundschenken, Ehrendienste, die nur von Adeligen geleistet wurden. Die faktische Verwaltungsarbeit in Küche, Keller, Silber-, Licht-, Wäsche-, Speise-, Brennholz- und Kohlenkammer wurde von nichtadeligen Sekretären, die dem Hofkontrollor unterstanden, geleistet (151). Im Jahr 1678 gehörten zum Obersthofmeisterstab: die „Hof-Capellen", die Musik, die „Zeergartten-Partey", „Offiziere u n d andere Bediente", die „Keller- und Kuchel-Partey", die Hartschieren-und die Trabantengarde (152). Außerdem unterstanden dem Obersthofmeister die Bibliothek, die Geschichtsschreiber, die Architekten u n d Garteningenieure, der Theatralstaat, zu dem Dichter, Komponisten, Sänger, Tänzer, Theatral-Ingenieure, Musiker u n d viele andere gehörten (153), verschiedene Kunsthandwerker (Bildhauer, „Silber-Traxler", ,Jubelierer", Vergolder, „Edelgestein-Bohrer", Goldschlager), die für das Hofpersonal angestellten „Hofmedici", Hofärzte, Hofapotheker und „Hofchyrurgen" und zahlreiche ande-
Obersthotmeister
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re Hofdiener mit unterschiedlichsten Berufen (154). Neben seiner Aufgabe als Chef der gesamten Hofdienerschaft besaß der Obersthofmeister vor allem repräsentative und zeremonielle Funktionen. So hieß es in der Instruktion für den Träger dieses Amtes, daß sich dieser bei allen feierlichen Gelegenheiten in der Nähe des Herrschers befinden solle (155). Als ranghöchster Hofbeamter besaß der Obersthofmeister auch die Aufgabe, im Namen des Kaisers fremde Fürsten zu empfangen. Es gab jedoch eine Reihe von Angelegenheiten (vor allem Rechts- und Finanzsachen), die er nur im Einvernehmen mit dem Obersthofmarschall und dem Oberstkämmerer erledigen konnte. Die unklaren Kompetenzverhältnisse in diesen Bereichen führten immer wieder zu Rangstreitigkeiten zwischen den Inhabern der obersten Hofämter, deren Schlichtung dem Kaiser vorbehalten war. Diesem bot sich unter anderem hier eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Hierarchie der Hofgesellschaft auch an ihrer Spitze labil zu halten (156). Trotzdem festigte sich im 16. u n d 17. J a h r h u n d e r t die Position des Obersthofmeisters als die des ranghöchsten Beamten am Wiener Hof; im selben Zeitraum entwickelte sich das Obersthofmeisteramt allmählich zu einer umfassenden Zentralstelle der Hofverwaltung, die für alle Agenden zuständig war, die nicht ausdrücklich in den Kompetenzbereich eines anderen Hofstabes gehörten (157). Der Oberstkämmerer hatte die Pflicht, sich stets in der Nähe des Kaisers aufzuhalten und für dessen geistiges und leibliches Wohl zu sorgen. „Die Würde eines Obrist-Cämmerers, oder Ober-CammerHerrns ist", so Moser in seinem Hofrecht, „sehr wichtig, da mit derselben der beständige freye Zutritt zu der Person des Herrn und zwar in solchen Stunden, da aller übrige Hof sich noch e n t f e r n t halten m u ß , verbunden ist, u n d dahero wohl als der Posten des Favoriten geachtet werden k a n " (158). Die für den Absolutismus charakteristische starke Distanzierung des Herrschers vom Adel bedeutete für das Oberstkämmereramt, das seinem Träger „die geheimste und freieste Entree bei der Person des Herrn" (159) gestattete, eine entscheidende Aufwertung. So rangierte der Inhaber dieses Amtes schon zu Beginn des 1 7. Jahrhunderts vor dem Obersthofmarschall. Während der letztere die Gesandten und hohen Gäste des Hofes empfing, hatte der Oberstkämmerer die Aufgabe, dieselben zu den Audienzen beim Kaiser zu geleiten (160). Vor allem das gewaltige Prestige, das mit dem ständigen Aufenthalt in der Nähe des Kaisers
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v e r b u n d e n war, machte das O b e r s t k ä m m e r e r a m t so begehrenswert. Zugleich waren jedoch mit dieser Position auch große materielle Vorteile verbunden. So war es üblich, daß der Oberstkämmerer v o n j e d e m neu ernannten K a m m e r h e r r n 200 D u k a t e n erhielt (161). Dieses Gewohnheitsrecht b r a c h t e im J a h r 1710, als der Kaiser 47 n e u e K ä m m e r e r ernannte, d e m Grafen Waldstein Einnahmen von m e h r als 9 . 0 0 0 D u k a t e n (162). Da sich jeder, der vom Kaiser in Audienz empfangen werden wollte, beim Oberstkämmerer anmelden m u ß t e , erwuchs d e m letzteren aus diesem mit seinem A m t verbundenen Prärogativ großer Einfluß bei H o f ; ob ü b e r h a u p t u n d wann m a n v o m Kaiser e m p f a n gen wurde, hing vollkommen vom Wohlwollen dieses Würdenträgers ab. Während Ludwig XIV. in Versailles die Konkurrenz der Höflinge u m seine Gunst in allen Phasen selbst steuerte, delegierten die habsburgischen Monarchen diese strategischen Belange z u m Teil an ihre obersten H o f b e a m t e n ; insbesondere d e m O b e r s t k ä m m e r e r fiel dabei eine wichtige Rolle zu. Als Chef der Kammerdiener, die den A u f t r a g h a t t e n , auf alle Gespräche u n d Gerüchte am Hof zu a c h t e n , besaß er die für diese Aufgabe notwendigen I n f o r m a t i o n e n über alle aktuellen Intrigen und Rangstreitigkeiten (163). Nach dem Obersthofmeister- u m f a ß t e der O b e r s t k ä m m e r e r s t a b das meiste Personal. Neben den wirklichen und den außerordentlichen Kammerherren, deren Zahl im 1 7. u n d 18. J a h r h u n d e r t sprungh a f t anstieg (164), gab es noch eine Reihe von K a m m e r d i e n e r n - im J a h r 1678 waren es 16, u n t e r Karl VI. d a n n 15 bis 18 (165) -, die ebenfalls zur persönlichen Bedienung des Kaisers bestimmt waren. Während die Kammerherren die für die zeremonielle Repräsentation der Grandeur des Herrschers notwendige Komparserie bildeten, fielen in d e n Wirkungsbereich der Kammerdiener alle Tätigkeiten, die zur A u f r e c h t e r h a l t u n g der K o n t i n u i t ä t im Alltag des Kaisers n o t w e n d i g waren. Die letzteren h a t t e n aber vor allem auch die Aufgabe, I n f o r m a t i o n e n über alle Personen a m Hof zu sammeln u n d an den Kaiser weiterzugeben. Der ständige Aufenthalt in der Nähe des Monarchen m a c h t e den Dienst als Kammerdiener zu einem Sprungbrett für n o c h einflußreichere Positionen; nicht selten w u r d e n die Inhaber dieser Charge sogar in den Adelsstand e r h o b e n (166). Z u m Oberstkämmererstab gehörten a u ß e r d e m die Beichtväter, die Leibärzte, Leibapotheker, „Leibbalbierer", Kammertürhüter,
Oberstkämmererstab
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Kammerfuriere, Kammertrabanten, „Guardarobba", Kammerzwerge, Kammer-,,Laggaien" u n d viele andere (167). Da die Kaiser aus dem Haus Habsburg auch den Künsten u n d Wissenschaften großes Interesse schenkten, erfuhr der Aufgabenbereich des Oberstkämmereramtes auch von dieser Seite eine wesentliche Erweiterung. Bereits in der Instruktion vom 1. Januar 1537 wird der Oberstkämmerer verpflichtet, darauf zu achten, daß „alle cleinoter, Silbergeschirr, Verehrungen, cosstliche Puecher, antiquiteten, instrumenta, kunststuck . . . mit allem vleis aufgehebt, bewart, in ain ordentlich Inventar» gestellt u n d dabey aufgezeichnet werden, von waspersonen,zu was Zeit uns solches gegeben oder sonst e r k a u f f t worden" (168). Im gleichen Maß, in dem Kunst und Wissenschaft im Absolutismus als Repräsentationsmitte] kaiserlicher Grandeur an Bedeutung gewannen, rückte die Verwaltung dieser Bereiche in den Mittelpunkt des Wirkungskreises des Oberstkämmereramtes. Hierher gehörten der Galerie- u n d Kunstkammerinspektor, der Antiquitäten- u n d Medailleninspektor, die Kammermaler, von denen die berühmtesten nicht nur für den kaiserlichen Hof gearbeitet haben, die Kupferstecher, Spiegelmacher, „Cammer-Jubilierer" u n d Goldarbeiter, die Edelstein-, Kristall-, Wappen-, Siegel- und Steinschneider, die Bildhauer, ein Opticus, ein Beinschneider (169). Die Burg- und Schloßhauptleute mit den ihnen unterstellten Zimmerwärtern, Torwärtern u n d Gärtnern bildeten eine weitere Gruppe von Hofdienern, die dem Oberstkämmerer unterstellt waren (170). Der letztere, dem bis zum Ende der Monarchie die im Eigentum des Herrscherhauses befindlichen Sammlungen unterstanden, hatte noch im 16. J a h r h u n d e r t großen Einfluß auf die Verwaltung des Gesamtvermögens des Herrschers. In der Folge entwickele sich jedoch die Hofkammer zu einer vom Oberstkämmereramt deutlich getrennten Behörde. Der Oberstkämmerer blieb jedoch Chef des „Cammer-Zahl-Amts" (171), das von einem K a s s i e r u n d einem Kontrollor geführt wurde (172). Aus dieser Leibkammerkasse wurde im 18. und 19. J a h r h u n d e r t immer mehr eine private Kasse des Monarchen (173). Eine große Gruppe von Hofbedienten unterstand dem Oberststallmeister, der in den Schematismen nach den anderen obersten Chargen an vierter Stelle rangierte. Er trug die Verantwortung für den Marstall, die Sattel- u n d Rüstkammer u n d die Wagenburg (1 74). Wenn der Kaiser aufs Pferd stieg, war ihm der Oberststallmeister
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behilflich. Aber auch sonst verschaffte diese Würde ihrem Träger die so begehrte Nähe zum Kaiser; besonders auf Reisen, wenn der Oberststallmeister den Platz einnahm, der sonst dem Oberstkämmerer zustand, und zudem der Kreis derer, die um die Gunst des Monarchen konkurrierten, viel enger war. „Die Würde . . . des ObristStallmeisters . . . ist", so stellt Moser fest, „eine der ältesten und vornehmsten und wird nur Personen von echtem alten Adel anvertraut. Sie attachiert stark an die Person des Regenten, wie dann, wann der Kaiser allein außer der Stadt fährt, der Ober-Stallmeister mit im Wagen, jedoch mit entblößtem Haupt, sitzet" (175). Prestige und Einfluß, die mit dem Oberststallmeisteramt verbunden waren, machten diese Stelle zu einer der gesuchtesten Hof Chargen überhaupt, die häufig auch mit großen Unkosten angestrebt wurde (176). In den Aufgabenbereich des Oberststallmeisters gehörte außerdem die Futterversorgung der Hofstallungen. Ihm unterstand der Futtermeister, der wiederum der Vorgesetzte des Futteramtsinspektors und mehrerer Diener und Schreiber war (177). Zahlreiche Untergebene hatte der Oberststallmeister im Marstall. In den Hofkalendern werden neben den Ober- und Unterbereitern, Sattelknechte, „Sattelübergeher", „Pastin-Bereiter", ein Heumeister, ein Roßarzt, ein Büchsenspanner, ein Wagen- und ein Sänftenmeister, zwei Schmiede, ein Sattler mit seinen Gehilfen und viele andere Handwerker genannt. Schließlich war der dem Oberststallmeister unterstellte Teil des Hofstaates die Werkstätte, in der die bei den zahlreichen festlichen Ein- und Umzügen demonstrierte Pracht hergestellt wurde. So war ein Großteil des Personals, das hierher gehörte, ausschließlich für Repräsentationsaufgaben bestimmt (Trompeter, Lakaien, Vorreiter u.a.) (178). In seiner Funktion als Oberaufseher des Marstalls hatte der Oberststallmeister schon im Mittelalter großen Einfluß. Aus diesem Grund waren ihm bereits in der Hofordnung Ferdinands I. die Edelknaben unterstellt, denen „Edelknaben-Professoren" und Exerzitienmeister Unterricht in höfischem Benehmen und ritterlichen Diensten erteilten (179). Im 17. Jahrhundert verlor das Edelknabeninstitut als Ausbildungsstätte junger Adeliger immer mehr an Bedeutung u n d wurde zu einem Repräsentationsmittel kaiserlicher Macht und Herrlichkeit. Die große Jagdleidenschaft der Habsburger des 17. u n d 18. Jahrhunderts, vor allem Karls VI., führte zu einer gewaltigen Ausweitung
Jäger- und Falkenmeister
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der mit dem Weidwerk befaßten Dienerschaft und zu einer Aufwertung der Hofämter aus diesem Bereich. Da mit dem Obersthof- und Landjägermeisteramt der ständige Aufenthalt in der Nähe des Kaisers verbunden war, wurde diese Charge, aber auch die des Oberstfalkenmeisters, den anderen obersten Hofämtern gleichgestellt. Später verloren diese Positionen ihre Selbständigkeit und wurden dem Obersthofmeisteramt einverleibt (180). Der Obersthof- und Landjägermeister hatte die Aufgabe, für die zu zeremoniellen Schauspielen stilisierten Jagden das Programm zu entwerfen, aber auch auf die Pflege des Wildes zu achten. Ihm unterstanden zur Zeit Kaiser Karls VI. ein Landunterjägermeister, ein Schreiber, ein Sekretär, ein Kaplan, ein ,Jägerei-Physikus", die Rüden- und die Geschirrmeister, ein Schmied, ein , Jägerei-Feldbarbier", die „Hofreisjäger", die Forstmeister der Güter, auf denen der Kaiser regelmäßig zur Jagd weilte (Prater, Auhof, Wolkersdorf, Ebersdorf, Neustadt und Baden), und zahlreiche Jagdgehilfen (181). Als Erbstück des Mittelalters gab es schließlich noch das Oberstfalkenmeisteramt, das noch zur Zeit Kaiser Karls VI. im Rang über dem Oberstjägermeisteramt notiert wurde, obwohl die Bedeutung des letzteren schon lange überwog (182). Unter dem Oberstfalkenmeister diente ein Sekretär, der die Agenden des Amtes führte. Die vier Falkenmeister - Reiher-, Krähen-, Milan- und Revierfalkenmeister -, von denen jeder an der Spitze einer „Partey" stand, hatten die Dressur der Falken zu besorgen; jedem von ihnen war eine Reihe von Gehilfen unterstellt. Außerdem gehörten zu diesem Hofamt noch vier Falken- u n d Reiherwärter mit zwölf Jungen und zwei Knechten (183). In der Blütezeit des Absolutismus fand die Falkenbeize nur mehr geringes Interesse bei den Monarchen. So war es unter Kaiser Karl VI. zur Mode geworden, in den Zelten zu plaudern oder Karten zu spielen, während draußen die Falkenmeister ihres Amtes walteten. Im J a h r 1793 wurde das Falkenmeisteramt schließlich aufgelöst (184). Neben den Hofämtern gab es eine Reihe von Verwaltungsbehörden, die im 17. und 18. Jahrhundert im Verlauf eines immer weiter fortschreitenden Differenzierungsprozesses immer klarer abgegrenzte Aufgabenbereiche erhielten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde der „Civilstaat" aus vier ständigen Ratskollegien gebildet. An deren Spitze stand der Geheime Rat, der in allen Angelegenheiten die höchste Instanz war und in dem vor allem außenpolitische Fragen beratschlagt wurden (185). In diesem Gremium fungierten
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u n t e r Kaiser Ferdinand II. 14 Mitglieder u n d vier Referendare (186). Die zweite Behörde war der Reichshofrat, der für alle rechtlichen Belange zuständig war. Die Kanzlei dieses Kollegiums, zu dem zu Beginn des 17. Jahrhunderts insgesamt 30 Räte gehörten, bestand aus einer deutschen und aus einer lateinischen Abteilung. Den Vorsitz führte der Reichshofratspräsident, in dessen Abwesenheit ein Vizepräsident; außerdem gehörte auch das Reichsvizekanzleramt hierher (187). Als dritte Behörde scheint im „Status particularis Regiminis S. Caesareae Majestatis Ferdinandi I I " des Jahres 1637 der Hofkriegsrat auf, in dessen Kompetenzbereich alle militärischen Angelegenheiten fielen (188). Die Finanzverwaltung schließlich war Sache der seit 1498, endgültig seit 1527 bestehenden Hofkammer, die, da es eine klare Trennung zwischen den Staatsfinanzen und dem Privatvermögen des Monarchen zu dieser Zeit noch nicht gab, nicht nur Verwaltungsbehörde sondern auch Interessensvertreterin des Herrschers war (189). Unter dem Hofkammerpräsidenten fungierten im J a h r 1637 sechs Räte, drei Hofkammersekretäre u n d 27 Kanzleibeamte (190). Aus diesen Kollegien büdete sich im Verlauf des ^ . J a h r h u n derts ein komplexerer Apparat. Zur Zeit Kaiser Ferdinands II. gab es außer den genannten noch zwei geistliche Behörden u n d als temporär eingesetztes Gremium den Konfiskationsrat, in dem über die Verteilung der Güter Wallensteins, Kinskys, Terzkys und Illos entschieden wurde (191). Unter Kaiser Leopold I. wurde die Reichskanzlei bereits als vom Reichshofrat unabhängige Behörde geführt (192). Schon im Jahr 1620 hatte sich die österreichische Abteilung der Reichskanzlei verselbständigt und scheint in der Folge als „österreichische Hofkanzlei", später als „Geheime Hofkanzlei" auf (193). An der Spitze dieser Behörde stand seit 1742 der Staatskanzler (194). Zum „Civilstaat" Leopolds I. gehörten außerdem die Ungarische Hofkanzlei und der Böhmische Hof- und Kanzleirat (195). Als oberste Behörde war im J a h r 1669 vom Kaiser ein Konferenzrat eingesetzt worden, der nie viel mehr als 10 Mitglieder zählte (196). Dagegen verlor der Geheime Rat mit dem Anwachsen der Mitgliederzahl seine Bedeutung als wichtiges politisches Ratskollegium. Der Dienst in diesem Gremium wurde immer mehr zu einem Ehrena m t , der Titel „Geheimer R a t " zu einer bloßen Hofwürde.
Finanzverwaltung der habsburgischen Länder
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2.4. Kosten Das gewaltige Wachstum des habsburgischen Hofes im 17. und 18. Jahrhundert fand einen deutlichen Ausdruck auch in der Entwicklung der Ausgaben für diesen Bereich. Der markante Kostenanstieg zeigt sich klar - dort wo es in den Quellen für einen längeren Zeitabschnitt vergleichbare Zahlen gibt - in allen den Hofstaat betreffenden Sektoren des Finanzhaushaltes. Da die Grenzen dessen, was Staatssubstanz und was Privateigentum des Herrschers war, im Absolutismus noch vollkommen ineinander flössen, die geschätzten und die tatsächlichen Werte bei den Einnahmen und Ausgaben stark differierten und gerade die Kassenhaltungen am undurchsichtigsten sind, deren Untersuchung für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit am interessantesten wäre, ist es allerdings unmöglich, einigermaßen exakte Zahlen für die Gesamtkosten des Aufwands des Wiener Hofes zu ermitteln (197). Interessanterweise sind die Voranschläge immer auffallend niedrig gehalten. Das hat seinen Grund vor allem darin, daß Budgets und Bilanzen noch unter Maria Theresia zu einem nicht unerheblichen Teil fiktiv oder bewußt verschleiert waren (198). Die theoretische Basis finanzpolitischen Handelns bildete die in Österreich erst unter Leopold I. richtig ausgebildete Kameralistik, die Lehre, „wie die landesfürstlichen Einkünfte mögen erhoben, von Zeit zu Zeit verbessert und zur Erhaltung des gemeinsamen Wesens dergestalt angewendet werden, daß jährlich ein Überschuß verbleibt" (199). Die Finanzverwaltung der habsburgischen Länder zerfiel unter Leopold I. in drei Ländergruppen (200). Die seit 1498 bestehende Hofkammer war die oberste Finanzbehörde für die erste und bedeutendste dieser Gruppen, zu der Böhmen, Mähren, Schlesien, Österreich ob und unter der Enns und zeitweise auch Ungarn gehörten. Sie bestand aus mehreren Abteilungen, von denen jede für einen bestimmten Sachbereich oder Länderkomplex zuständig war. Im Jahr 1702 gab es sechs solcher „Expeditionen" der Hofkammer: die böhmisch-, mährisch-, schlesische Expedition, die ungrische und bergstädtische Expedition, die Hof- und oberösterreichische Expedition, die Reichs-, ungrische und niederösterreichische Expedition, die Expedition für Proviant, Grenz- und Zeugangelegenheiten und schließlich die Expedition für die Stadtguardia, Gratialien und NeuAcquisiten (201).
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Der Hofkammer waren die Landeskammern unterstellt (202). Sie besaß allerdings keinerlei Befehlsgewalt u n d konnte zur Abrechnung und Zahlung nur auffordern (203). Zur Entlastung der Hofkammer wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Universalbankalität, eine Art Staatsbank gegründet (204) und zu deren Leitung eine kaiserliche Ministerialbankodeputation bestellt (205). Diese Institution, die nie mehr als eine Staatskasse war, blieb bedeutungslos u n d wurde schließlich von Maria Theresia aufgehoben (206). Mit der Gründung des „Directorium in publicis et cameralibus" wurden ähnliche Ziele verfolgt; der Kompetenzbereich der H o f k a m m e r wurde vorübergehend auf das ungarische und das Reichs-Camerale eingeschränkt. Aber auch diese Gründung bestand nur bis zum Jahr 1761. In der Folge übernahm die Hofkammer wiederum die Funktionen, die sie für kurze Zeit abgegeben hatte, und behielt bis 1848 die Stellung eines gesamtstaatlichen Finanzministeriums (207). Die bedeutenden Geldmittel, die „zu underhaltung unsers hofstats" erforderlich waren, wurden aus dem Camerale bestritten, zu dem „sowohl privatrechtlich erworbenes Vermögen, als auch alle aus dem Titel des Herrscherrechtes einfließenden Einnahmen und Gefälle" gehörten (208). Die habsburgischen Monarchen verfügten über dieses Kammergut wie über ihren persönlichen Besitz (209). Die eigentlichen Domäneneinkünfte waren dagegen, abgesehen von den ungarischen, von geringerer Bedeutung (210). Wenn die Einkünfte aus dem Camerale nicht ausreichten, um dem „hofstat und wesen zu helfen", wurden Steuerbewilligungen der Stände in Anspruch genommen. Die Länderkammern waren außerdem verpflichtet, an die Hofkammer die „Hof-" oder „ K a m m e r q u o t e n " - Restbeträge, die nach Abzug der eigenen Verwaltungsauslagen von den Einnahmen übrigblieben - zu zahlen. Auch diese Gelder waren zur Finanzierung des Hofstaats, der Zentralverwaltung und - soweit ein Überschuß blieb - auch des Kriegswesens bestimmt (211). Außerdem gab es in Böhmen und Ungarn die unveräußerlichen „Kronund Tafelgüter", deren Erträge ebenfalls für Zwecke der Hofhaltung verwendet werden sollten (212), die aber nur mit dem Einverständnis der Stände verpfändet oder verkauft werden durften. Die Etablierung des Absolutismus bedeutete eine Verringerung des ständischen Einflusses auch auf diesem Gebiet. Im 17. Jahrhundert erteilten die Stände noch einige Male ihre Zustimmung beim Verkauf von Krongütern; im 18. Jahrhundert wurden sie von derartigen Ge-
Finanzierung des höfischen Aufwands
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Schäften nur noch nachträglich in Kenntnis gesetzt (213). Die Tatsache, daß die habsburgischen Monarchen nun die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die Krongüter besaßen, führte de facto zu einer Verschmelzung der letzteren mit dem Kammergut (214). Die Verwaltung dieser für die Finanzierung des höfischen Aufwands bestimmten Geldmittel war die Hauptaufgabe der Hofkammer. Dieser Schwerpunkt in der Tätigkeit der österreichischen Finanzverwaltungsbehörde im Absolutismus war die natürliche Konsequenz aus einer Situation, in der es „wohl einen Hof, aber keinen Staat gab" (215). Zur ausschließlichen und höchstpersönlichen Verfügung des Monarchen war das geheime Kammerzahlamt bestimmt, das ebenfalls aus den Erträgen des Kammergutes dotiert wurde. Im Artikel 27 der Hofkanzleiinstruktion vom 30. Dezember 1717 wurde verfügt, daß an das „Camer-Zahlamt" „aus unserem aerario" monatlich 25.000 fl zu bezahlen seien (216). Im Jahr 1537 betrugen die Ausgaben König Ferdinands für den etwa 286 Personen umfassenden Hofstaat 71.440 fl. Dazu kamen noch die Kosten für den Hof seiner Gemahlin (16.526 fl) u n d die für die Hartschieren- und Trabantengarden (217). Maximilian II. gab für seinen Hofstaat bereits 224.277 fl (218) aus. In der Folgezeit wuchs dieser Budgetposten und dessen Anteil an den Gesamtausgaben kontinuierlich an. Der Regierungsantritt Leopolds I. setzte eine entscheidende Zäsur in diesem Wachstumsprozeß. Seither stiegen die Kosten für den höfischen Aufwand von J a h r zu J a h r sprunghaft an (219). Ende der sechziger Jahre betrugen die Gesamthofausgaben im Durchschnitt etwa 500.000 fl, zehn Jahre später doppelt so viel (220). In einem Handbuch für kaiserlich-königliche Hofkammerräte aus dem J a h r 1672 sind unter anderem die Ausgaben für den Hofstaat detailliert angeführt: Reichshofrat Obrister Hofmeisterstab Hartschier Trabanten Obrist-Cammerstab Hofmarschall der ICaiserin Hofstaat der Königin von Ungarn Hofstaat des Erzherzogs von Österreich Hofstaat
in fl 36.420 62.962 24.396 13.932 12.638 2.928 12.533 9.861 2.562
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Soziogenese des Absolutismus
d e r Kaiserl. Prinzessin H o f s t a a t Cammer-Fourier Cammer-Provisoner Quardaroba Liverea B o t s c h a f t e r , Residenten etc. Hochzeitspräsente A b f e r t i g u n g s g e l d e r für die H o f f r ä u l e i n B e y s t e u e r u n d Allmossen G e h e i m e Cammer-Ausgaben D e p u t a t für I h r o Kaiserl. Majestät Zeugsnotturften der verwitweten Kaiserin D e p u t a t des Erzherzogs zu Österreich D e p u t a t Hof-Controlloramt Hof-Küchenschreiber Hof-Kellermeister Hof-Sumilier Hof-Futtermeister Hof-Lichtkammeramt Hof-Kuriere O r a t o r bei der O t t o m a n i s c h e n P f o r t e n f ü r die G e s a n d t e n nach Moskau u n d der Tartarei O r a t o r am päpstlichen Stuhl Spanischer A m b a s s a d e u r R e s i d e n t e n zu R o m , K o n s t a n t i n o p e l , F r a n k r e i c h , E n g l a n d , Polen, Brüssel, H a m b u r g u n d in den Seestädten T ü r k i s c h e Chians oder Aga (221).
2.744 3.000 3.818 15.000 36.000 100.000 2.000 6.000 6.300 30.000 20.000 70.000 85.000 100.000 5.243 154.040 38.421 20.506 135.946 30.000 6.445 75.000 20.000 10.000 20.000
27.000 10.000
Als G e s a m t s u m m e aller H o f a u s g a b e n scheint im H a n d b u c h ein B e t r a g von 1.215.865 fl auf. In den n ä c h s t e n J a h r z e h n t e n stiegen die K o s t e n weiter rapid an. So w u r d e n im T o d e s j a h r L e o p o l d s I. f ü r H o f s t a a t , R e p r ä s e n t a t i o n s z w e c k e , Dikasterien u n d Gesandts c h a f t e n bereits 2 . 8 6 6 . 9 0 8 fl, in den folgenden J a h r e n u n t e r J o seph I. durchschnittlich fast 4 Millionen fl ausgegeben. Nach einer k u r z e n Stagnationsphase, die bis z u m E n d e der zehner J a h r e des 18. J a h r h u n d e r t s währte, n a h m e n die H o f a u s g a b e n allmählich weiter zu: Im J a h r 1724 waren es 4 . 2 8 5 . 3 28 fl, im J a h r 1 7 2 9 waren es
Gehälter
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4.745.441 fl und Ende der dreißiger Jahre waren es fast 5 Millionen fl (222). Zu Beginn der siebziger Jahre des 17. Jahrhunderts bekam der Obersthofmeister Fürst Lobkowitz ein Gehalt von 6.200 fl und für die Freitafel 12.000 fl. Weiters erhielten der Jahresgehalt in fl Oberstkämmerer 4.700 Obersthofmarschall 2.362 Oberststallmeister 2.000 Oberstküchenmeister 1.000 Oberstsilberkämmerer 1.000 Untersilberkämmerer 480 (223). Bis zum Tod Kaiser Leopolds I. ergab sich kaum eine Veränderung in der Höhe der Jahresgehälter der obersten Hofbeamten; aber auch die Bezüge aller anderen Hof diener waren weitgehend unverändert geblieben. Im Jahr 1705 bezogen ein Jahresgehalt in fl Hofmedicus 360 Hoftrompeter 200 Leibkutscher 150 Meisterkoch 120 Saaltürhüter 24 (224). Fünfzig Jahre später erhielten: Jahresgehalt in fl der Obersthofmeister Corfiz Graf Ulfeid neben 30.000 fl Pension und weiteren Sondereinkommen 12.000 der „Ajo oder Obrist Hofmeister" des Erzherzogs Joseph Carl Graf Batthyäny, neben Tafelgeldern und Wohnung bei Hof 8000 die „Aja der Jungen Herrschaft", Katharina Gräfin Saurau, neben 120 fl Wäschegeld 5.120 der Oberstjägermeister Karl Graf Harrach, der zugleich das Falkenmeisteramt bekleidete, neben 1.000 fl Pension insgesamt 5.000 die Obersthofmeisterin Josepha Leopoldine Gräfin Paar insgesamt 4.120 der erste Leibmedicus Elias von Engel 4.000
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Soziogenese des Absolutismus
„Anderter Obrist Hofmeister" Johann Wilhelm Fürst Trautson neben 2 . 0 0 0 fl Pension der Musikdirektor der Poeta Pietro Metastasio der Oberstkämmerer Joseph Graf Khevenhüller der Historiographus Aloysius Joseph Leporini für den Unterricht des Erzherzogs der erste Kämmerer Marquis de Boal der Oberstküchenmeister J o s e p h von Guiarde
3.000 3.000 3.000 2.500
Graf St. Julien neben 800 fl Pension der erste Kapellmeister Lucas Predieri der Obersthofmarschall Joseph Fürst Schwarzenberg
2.000 1.500 1.200
die wirklichen Kammerherren je der Oberstsilberkämmerer Albrecht Graf Althann der Hofoberzuckerbäcker J o h a n n Michael Peyerl der Theatral-Ingenieur Anton Bibiena ein Kammerdiener neben 2 0 0 fl Pension eine Leibwäscherin der Beichtvater der Kaiserin, der Jesuitenpater Ignaz Kampmüller, neben Diener und „zu Unterhaltung eines in Praxi Consistoriali erfahrenen
1.000 1.000 1.000 1.000 800 800
Rechtsgelehrten" ein Mundkoch ein Sommelier der Zöhrgadner der Hofkellermeister der Hofkaplan Johann Anton Zanna der Dolmetsch der englischen Sprache Joseph Alexander
2.000 2.000
709 600 550 500 500 500
Gordon
500
eine Hofdame ein Silberdiener ein Meisterkoch der Zöhrgadner-Schreiber der Hofkeller-Gegenschreiber
450 450 450 400 400
ein Lichtkämmerer neben 5 0 fl Pension eine Kammerfrau der Hofmedicus Johann von Hetschl neben 2 0 0 fl
400 400
Pension
360
eine Kammerdienerin
300
Gehälter eine Haubenhefterin ein Hofeinkäufer neben 200 fl Pension ein Hofkoch ein Lichtkammeramtsschreiber eine Mundköchin ein Silberwäscher ein Silberjunge ein Kammerweib ein Kammermensch ein Lichtkammerträger ein Hofeinkäufers-Junge ein Abwaschjunge ein Lichtaufstecker ein Holzhacker (225).
61 300 300 300 240 230 200 182 150 150 146 146 127 114 24
Aus dieser Gehälterliste geht unter anderem deutlich hervor, daß die Nähe zum Monarchen nicht nur günstige Karrierechancen bot, sondern auch mit großen finanziellen Vorteilen verbunden war. So bezogen beispielsweise die Kammerdiener, die Leibwäscherinnen (226), die Mundköche und der Beichtvater ein im Vergleich zu der Dotierung wichtiger Hofverwaltungsposten (Zöhrgadner, Hofkellermeister, Hofeinkäufer, Lichtkämmerer) unverhältnismäßig hohes Gehalt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Staat immer mehr als vom Herrscher abgehobenes Abstraktum aufgefaßt. Die höchsten Verwaltungsstellen wurden dementsprechend nun auch kaum mehr von den Inhabern der obersten Hofämter bekleidet (227). Der wachsende Einfluß, den die Chefs der Verwaltungsbehörden schon unter Kaiser Karl VI. gewannen, spiegelt sich unter anderem deutlich in der Entwicklung ihrer Gehälter. Im Jahr 1677 bezog der Präsident des Reichshofrates ein Jahresgehalt von 2.600 fl, ein Geheimer Rat erhielt 2.000 fl, ein Hofrat 1.300 fl und der Präsident des Hofkriegsrates ebenfalls 1.300 fl (228). Achtzig Jahre später waren die Bezüge der obersten Verwaltungsbeamten rund zehnmal so hoch. So erhielten um die Mitte der fünfziger Jahres des 18. Jahrhunderts: Jahresgehalt in fl der Geheime Hof- und Staatskanzler Wenzel Anton Graf Kaunitz-Rittberg 30.000
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Soziogenese des Absolutismus
der Präsident des „Directoriums in publicis et cameralibus" und Oberste Kanzler Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz der Vizepräsident des Directoriums und Kanzler der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei Johann Carl Graf Chotek der Präsident des Hofkriegsrates Joseph Graf Harrach der Vizekanzler Freiherr Johann Christoph von Bartenstein der Reichshofratspräsident Ferdinand Graf Harrach neben 12.000 fl Pension
24.000
16.000 12.000 8.880 8.000
In der Besoldung der Hofdienerschaft hatten sich im selben Zeitraum kaum Veränderungen ergeben (229).
3. DIE HÖFISCHE RATIONALITÄT Will man verstehen, daß die Fürsten an den gewaltigen höfischen Aufwand hochgespannte, in Hinblick auf Erfolg aber durchaus realistische politische Erwartungen knüpften, muß man sich die für die absolutistischen Höfe charakteristische Rationalität vergegenwärtigen. Was jeweils als „vernünftig" u n d „richtig" gilt, ist stets abhängig von der Struktur einer Gesellschaft, in der man mit diesen Begriffen meistens auf die Effektivität von Verhaltensformen hinweist. „Rationalität" ist eine historische Größe, deren Determinanten in der Binnenstruktur einer Gruppe u n d in den Verflechtungen liegen, durch die diese Gruppe in der Gesellschaft verankert ist. So können z.B. Verhaltensweisen und Praktiken von Menschen „einfacher" Gesellschaften, die im Horizont des kausal-naturwissenschaftlichen Weltbildes, das sich in Europa seit der Aufklärung immer stärker durchgesetzt hat, als magisch und irrational erscheinen, im Denken der so Handelnden einen hohen Grad an Vernünftigkeit haben, eine notwendige Form der Wirklichkeitsbewältigung sein (1). Den Verhaltensweisen, die durch Begriffe wie „vernünftig" u n d ,Rational" charakterisiert werden, ist in allen Gesellschaften gemeinsam, daß sie das Ergebnis langfristiger realitätszugewandter Überlegungen sind (2). Während aus berufsbürgerlicher Sicht vor allem jenes Verhalten vernünftig erscheint, das zum Gewinn finanzieller Machtchancen führt, die Kalkulation von Gewinn u n d Verlust ökonomischer Werte das wichtigste steuernde Element ist, war das Verhalten der Höflinge im ancien regime durch die Konkurrenz um Prestige und um Statuschancen - Ehrenämter, Titel, andere Gunstbeweise -, die vom Monarchen monopolistisch vergeben wurden, geprägt. Der Adelige war gezwungen, seine Ausgaben nach den Erfordernissen seines aktuellen Ranges oder der Position zu richten, die er innerhalb der Hofgesellschaft einzunehmen wünschte. Dabei wurden häufig finanzielle Einbußen in Kauf genommen. So berichtet das „Theatrum
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Höfische Rationalität
E u r o p a e u m " , daß sich Fürst Schwarzenberg 1711 die Würde eines Oberststallmeisters am Wiener Hof mit 100.000 fl. an Geschenken u n d 5 0 0 . 0 0 0 fl. an Darlehen e r k a u f t e (3). Das überrascht u m s o m e h r , wenn man erfährt, daß diese Charge vergleichsweise niedrig m i t 2.000 fl. jährlich dotiert war (4). Was dieses H o f a m t so begehrt m a c h t e , war die Nähe zum Kaiser, die es besonders auf Reisen gewährleistete. Die Nähe zum T h r o n ließ den Hofadel teilhaben an der Grandeur des Herrschers von G o t t e s Gnaden, verpflichtete ihn jed o c h zugleich zu einem aufwendigen, repräsentativen Lebensstil. In seiner „Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Person e n " (1728) gibt Julius Bernhard von R o h r einem jungen Adeligen, der sich u m ein H o f a m t bemüht, den Rat abzuwägen, „ o b er so viel E i n k ü n f t e . . . habe, . . . als wohl erforderlich wird, diesen Charakter mit E h r e n zu b e h a u p t e n " ; er soll aber „seine Gedanken nicht allein auf das Gegenwärtige, sondern auch auf das Zukünftige richt e n " u n d überlegen, „ o b er, ohne das seinige zu verzehren u n d die Kapitalien anzugreifen, die Ausgaben seinem Herrn oder seinem Titul zu Ehren beständig fortsetzen k ö n n e " (5). Auch ein „ T i t u l a i r " (6), der nicht ,,in einem würklichen A m t e " stand, m u ß t e sich „so bezeigen, daß er seinem Prädikat gemäß lebet u n d bei manchen Gelegenheiten, da es seines Herrn Ehre u n d Respekt erfordert, dem würklichen wenig oder nichts nachgeben u n d also erweisen, daß er im Stande wäre, wenn er wollte oder es nötig wäre, denen andern, die in würklichen Diensten stünden, sich bei seinen Ausgaben gleich a u f z u f ü h r e n " (7). Diese Beispiele zeigen deutlich, daß Handlungen, die aus berufsbürgerlicher Sicht unvernünftig u n d unrealistisch erscheinen, für den höfischen Menschen einen h o h e n Grad an Zweckmäßigkeit besitzen konnten.
3.1. Repräsentativer
Aufwand
und
Prestigeverbrauch
Wie im ersten Kapitel gezeigt w u r d e , hat sich die bisherige Geschichtsschreibung kaum mit der Frage b e f a ß t , welche Rolle der Hof bei der Ausbildung und Festigung des m o d e r n e n Machtstaates gespielt hat. Gemessen am Motivationshorizont berufsbürgerlicher Schichten erschienen die für die H ö f e charakteristischen h y p e r t r o p h e n Repräsentationsformen, die einen wesentlichen F a k t o r bei der Aufrechterhaltung der sozialen Existenz des Adels im Absolu-
Zur historiographischen Einschätzung des Luxus
65
tismus bildeten, überflüssig (8). Die Möglichkeit einer Analyse dieses Phänomens, damit aber auch der Erklärung einer wichtigen Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft - des Statussymbolbereichs -, blieb dadurch ungenützt (9). Der gesamte auf den Hof bezogene Fragenkomplex wurde einer als Sammelsurium von Anekdoten und Kuriosa betrachteten Kulturgeschichte zugeschoben. Mit seiner These, daß im großen Luxusbedarf der Höfe die Ursache für die Errichtung der kapitalistischen Organisationsformen in Handel und Gewerbe zu suchen sei, ging Werner Sombart über das „Verschwendungsargument", für dessen Verfechter der bombastische Aufwand der Höfe immer ein irrationales Phänomen blieb, hinaus. Er verwies auf die kapitalbildende Kraft der Güterproduktion für den höfischen Bedarf, überschätzte dabei aber zweifellos „die revolutionierende Kraft des Luxuskonsums" als ökonomisches Stimulans (10). Vor allem aber übersah Sombart, daß dem höfischen Aufwand in einer Gesellschaft, deren ständische Struktur einer freien Marktbildung im Wege stand, „ökonomisch irrationale Konsumbedingungen" zugrunde lagen (11). In der an Zeremonienbüchern reichen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts wird immer wieder die Funktion prachtvoller Repräsentation als Herrschaftsmittel betont. So schreibt Julius Bernhard von Rohr in seiner „Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren" im ersten Kapitel, das „von dem Staats-Ceremoniel überhaupt" handelt: „Sollen die Untertanen die Majestät des Königs erkennen, so müssen sie begreifen, daß bei ihm die höchste Gewalt und Macht sei und demnach müssen sie ihre Handlungen dergestalt einrichten, damit sie Anlaß nehmen, seine Macht und Gewalt daraus zu erkennen. Der gemeine Mann, welcher bloß an den äußerlichen Sinnen hangt und die Vernunft wenig gebrauchet, kann sich nicht allein recht vorstellen, was die Majestät des Königs ist, aber durch die Dinge, so in die Augen fallen und seine übrigen Sinne rühren, bekommt er einen klaren Begriff von seiner Majestät, Macht und Gewalt" (12). Über den „Endzweck oder den Nutzen" des gewaltigen höfischen Aufwands sagt J o h a n n Christian Lünig in seinem „Theatrum ceremoniale": „Große Herren sind zwar sterbliche Menschen, wie andere Menschen; weil sie aber Gott selbst über andre in dieser Zeitlichkeit erhoben und zu seinen Statthaltern auf Erden gemacht, also daß sie von der Heiligen Schrift in solchem Verstände gar Götter genennet werden, so haben sie freilich Ursa-
66
Höfische Rationalität
che, sich durch allerhand äußerliche Marquen von anderen Menschen zu distinguieren, um sich dadurch bei ihren Untertanen in desto größern Respekt und Ansehen zu setzen. Denn die meisten Menschen, vornehmlich aber der Pöbel, sind von solcher Beschaffenheit, daß bei ihnen die sinnliche Empfind- und Einbildung mehr als Witz und Verstand vermögen, u n d sie daher durch solche Dinge, welche die Sinne kützeln und in die Augen fallen, mehr als durch die bündig- und deutlichsten Motiven commoviret werden. Wenn man dem gemeinen Volk hundert und aber hundert mal mit auserlesensten Worten und Gründen vorstellete, daß es seinem Regenten deswegen gehorchen sollte, weil es dem göttlichen Befehl und der gesunden Vernunft gemäß wäre, dieser sich aber in Kleidung und sonsten in allem so schlecht als ein gemeiner Bürger aufführete, so würde man wenig ausrichten. Allein man stelle demselben einen Fürsten vor, der prächtig gekleidet, mit vielen Hofleuten umgeben, von verschiedenen auswärtigen Prinzen mit Gesandtschaften verehret, auch von einer ansehnlichen Guarde bedecket ist, so wird es anfangen, sich über dessen Hoheit zu verwundern, diese Verwunderung aber bringet Hochachtung und Ehrfurcht zuwege, von welchen Untertänigkeit u n d Gehorsam herkommen. . . . Und aus dieser Raison haben sich die frömmsten Könige unter dem Volke Gottes nicht enthalten, ihren Hofhaltungen durch angeordnete Ceremonien u n d prächtige Solennitäten ein Ansehen zu m a c h e n " (13). Während bei Rohr und Lünig der höfische Aufwand als Herrschaftsmittel vor allem gegenüber den Untertanen charakterisiert wird, verweist der „Mundus Christiano-bavaro-politicus . . . " auch auf dessen außenpolitische Bedeutung: ,, . . . das vornehme Geschlecht u n d die Tugend scheinen alleine zur Hoheit nicht genug beizutragen, und werden die Fürsten nicht für groß gehalten, außer sie mögen auch größere Dinge wirken als andere: daher die Magnifizenz u n d die Pracht die mehrste Zierde der Herrlichkeit einem fürstlichen Hof erteilt, u n d ist solches das einzige Mittel so die Fürsten berühmt macht bei den Ausländern und auch einen mehrern Gehorsam und Respekt bei den Untertanen verursacht" (14). Die ähnliche Stellungnahme einer Reihe anderer Quellen aus dieser Zeit läßt annehmen, daß diese Auffassung politisches Allgemeingut war. Die machtpolitische Wirkung des Hofes war demnach den Zeitgenossen wenigstens zum Teil bereits bewußt. So versteht man auch, daß Konflikte unter den absolutistischen Höfen neben dem
Höfischer Aufwand als Herrschaftsmittel
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Schlachtfeld auf dem Gebiet der festlichen Kunst ausgetragen wurden. „Invention" und Ausstattung höfischer Feste und Prunkopern, reiche Gemäldegalerien und Kunstkammern, ein Zeremoniell, das alle Bereiche des Lebens formte, und ein Schloß- und Gartenbau, der die eindrucksvollste und dauerhafteste Repräsentation von Rang und Tugend ermöglichte, wurden zu wichtigen Gradmessern der Macht. Die Tatsache, daß der gesteigerte Aufwand mit großem Erfolg als Herrschaftsmittel gegenüber Untertanen und fremden Höfen eingesetzt wurde, kann nur im Zusammenhang mit der ständisch-hierarchischen Struktur der europäischen Gesellschaft des 17. u n d 18. Jahrhunderts und der spezifischen höfischen Rationalität, die sich hier ausbildete, verstanden werden. Um bei Hof Ansehen zu erwerben und zu erhalten, genügte es nicht, Reichtum oder Macht zu besitzen. Beide m u ß t e n auch sinnfällig präsentiert werden, denn Hochachtung wurde erst ihrem Erscheinen gezollt. In einer Gesellschaft, in der Rang und sozialer Status eine so große Rolle spielten, mußte notwendig den Dingen, die über die Position des einzelnen informierten - im Verhalten Zeremoniell und Etikette, im Objektbereich die Statussymbole -, große Bedeutung zukommen (15). Wichtigstes Kennzeichen der Macht war hier der sichtbare Besitz an Schlössern, Kleidern u n d Schmuck. Solange Fürst und Adel ihre Herrschaft nicht für die Untertanen ausüben, sondern vor einem Volk repräsentieren, dem nur ritualisierte Teilnahme als Publikum, kritiklose Zustimmung gestattet ist, liegt die Glaubwürdigkeit, die Überzeugungskraft, ja die Gewähr des Wertes einer Person oder Sache in deren sichtbarer Erscheinung (16). Max Weber hat darauf hingewiesen, daß der „ ,Luxus' im Sinne der Ablehnung zweckrationaler Orientierung des Verbrauchs . . . für die feudale Herrenschicht nichts ,Überflüssiges' " war, „sondern eines der Mittel ihrer sozialen Selbstbehauptung" (17). Damit lenkt er - wie bereits vor ihm Veblen in seiner „Theory of the Leisure Class" (1899) (18) - den Blick auf den zentralen Aspekt hofadeliger Gesinnung, auf das Ethos des „Statuskonsums". Veblen hat das, was retrospektiv heute gewöhnlich als Luxus erscheint, als „conspicuous consumption", als „Verbrauch um des Auffallens willen" charakterisiert (19). Repräsentativer Aufwand und demonstrativer Konsum wertvoller Güter waren u n d sind in allen streng hierarchisch gegliederten Gesellschaften ein wichtiges Mittel, Prestige zu erwerben und zu er-
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Höfische Rationalität
halten. Da in der Hofgesellschaft jede zu einem Menschen gehörige Form von den anderen auf ihren Repräsentationswert geprüft wurde, herrschte hier ein unerbittlicher Zwang zur sinnfälligen Darstellung des Ranges. Der Hofadelige wurde dadurch zu Prestige- und Repräsentationsausgaben größten Ausmaßes gezwungen. Fehlte ihm das Geld, die an seine Position gebundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen zu erfüllen, hatte auch sein Rang, damit aber seine soziale Existenz, nur noch eine sehr geringe Realität (20). Das für höfische Gesellschaften des ancien regime charakteristische Phänom e n des Statuskonsums, des Verbrauchs wertvoller Güter unter dem Druck einer Prestigekonkurrenz, ist dem Kenner außereuropäischer Kulturen nicht fremd. Wohl am bekanntesten in diesem Zusammenhang ist die Einrichtung des Potlatsch (eine Zeremonie der Kwakiutl-Indianer), bei dem ein Stammesmitglied vor allem an Status* und Prestigerivalen Geschenke verteilt, um sein Ansehen zu vergrößern (21). Durch repräsentativen Lebensstil u n d demonstrativen Konsum wertvoller Güter erwirbt der vornehme Herr Prestige. J e reicher und mächtiger er ist, umso weniger kann er aus eigener Kraft seinen gewaltigen Besitz sinnfällig zur Schau stellen. Er nimmt deshalb seine Zuflucht zu Untergebenen, Freunden u n d Rivalen, denen er Geschenke macht und für die er Feste gibt, bei denen sie stellvertretend für ihn konsumieren und so sein Ansehen und seinen Rang steigern. Die geladenen Gäste - als Angehörige des gleichen Standes Statusrivalen des Gastgebers - werden zu Zeugen eines prächtigen Schauspiels u n d einer vollendeten Handhabung der Etikette, was sie widerwillig bewundern müssen, worin aber zugleich ein Anreiz für sie liegt, ihren Gastgeber zu übertreffen. In dem hier idealtypisch dargestellten Bedingungszusammenhang, in dem repräsentativer und stellvertretender Konsum stattfanden u n d der im Absolutismus einen der Mechanismen bildete, der das Funktionieren des Herrschaftssystems gewährleistete, lag eine der Wurzeln für das Wachstum der Höfe im 17. u n d 18. Jahrhundert. Der gewaltige personelle Aufwand repräsentierte die Macht u n d die politische Stellung des Fürsten und seines Hauses. J e vornehmer der Adel war, der sich an einem Hof zusammenfand, umso größer war das Ansehen des Monarchen, der ihn bewirtete. So schrieb zum Beispiel J o h a n n Basilius Küchelbecker in seiner „Allerneuesten Nachricht vom Römisch-Kaiserlichen H o f e " : „Denn
Hoffeste
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wenn man die große Anzahl derer Fürsten, Grafen und Herren, welche in kaiserlichen Hofdiensten stehen, erwäget und die überaus starke Menge derer übrigen niedrigen Hofbedienten betrachtet, so wird man nicht leicht anderswo einen solchen nombreusen Hof find e n " (22). An anderer Stelle verweist der Autor, derauf seinen Reisen die großen Höfe Europas besuchte, noch einmal ausdrücklich auf diesen Zusammenhang: ,,. . . so wird man doch seine Augen nicht wenig ergötzen, wenn man um Ihro kaiserliche Majestät u n d bei Hof überhaupt lauter große Prinzen, Grafen und Herren sieht, welche nicht nur ganz außerordentliche Meriten haben, sondern auch große Länder u n d vieles Reichtum besitzen und dahero mit ihren zahlreichen Train und kostbaren Equipages die Magnificence des kaiserlichen Hofs sehr vermehren" (23). An Gelegenheiten, bei denen der Hofadel seinen Rang und seine Stellung repräsentieren konnte, bestand in der Residenzstadt Wien kein Mangel. Die zahlreichen Festlichkeiten, die zu bestimmten gleichbleibenden Anlässen stattfanden und lange vorher geplant wurden, bestimmten das Leben der höfischen Gesellschaft. ,,Es ist", so berichtet Küchelbecker, „der kaiserliche Hof in allen Stücken über die Maßen ordentlich eingerichtet u n d fast jede Stunde des Tages zu gewissen Verrichtungen bestimmt und ausgesetzet. Dahero sich um so viel weniger zu verwundern, wenn man ein ganzes Jahr vorher sagen kann, was diesen oder jenen Tag bei Hofe vor eine Solennität, Lustbarkeit oder Andacht passieren werde, dergestalt, daß man darauf ganz gewiß rechnen und trauen k a n n " (24). Über die „gewöhnlichen Solennitäten u n d Andachten des kaiserlichen H o f s " schreibt der Autor, daß man „dieselben in drei Klassen einteilen" kann, „nämlich 1. in ordentliche Galatage, 2. in Toisonfeste, 3. in die gewöhnlichen Andachten u n d anderen Zeremonien" (25). Küchelbecker, der in den zwanziger J a h r e n des 18. Jahrhunderts in Wien weilte, berichtet, daß während eines Jahres 21 Gala-, 32 Toisontage und 104 „Andachten u n d gewöhnliche Solennitäten" gefeiert wurden (26). Wenn man dazu noch die zahlreichen Feste rechnet, die anläßlich des Besuches fremder Fürsten, des Empfanges großer Gesandtschaften, der Krönungen u n d Erbhuldigungen gegeben wurden, „siehet man zur Genüge, wie die allerhöchste kaiserliche Herrschaft fast täglich occupieret ist und sowohl mit Andachten als auch andern weltlichen Zeremonien und Solennitäten viele Zeit zubringen m u ß " (27).
70
Höfische Rationalität
Der skizzierte Mechanismus der Repräsentation konnte seine Wirkung als Herrschaftsinstrument nur entfalten, wenn jeder Hofadelige seinem Rang gemäß auftrat, alle Attribute seiner Position Habitus, Gestus und Insignien - deutlich präsentierte. Jede Form des Understatements war in dieser gesellschaftlichen Situation eine Unmöglichkeit. Ein Passus bei Küchelbecker zeigt das deutlich: )rA.n Galatagen . . . erscheinet jedermann bei Hofe in kostbaren und prächtigen Kleidern, ingleichen mit schönen Karossen u n d herrlicher Equipage, dergestalt, daß es ein Vergnügen ist, die Pracht des kaiserlichen Hofs zu solcher Zeit anzusehen. Es ist dahero gar nicht zu vermuten, daß sich jemand erkühnen werde, an solchen Tagen in schlechter Kleidung nach Hofe zu kommen. Unterdessen ist es dennoch geschehen, daß dergleichen Unbesonnene in Surtouts oder andern schlechten Kleidern erschienen sind. Sie haben sichs aber müssen gefallen lassen, daß sie von dem Türhüter oder Cammer-Fourier sind zurückgewiesen worden u n d eclipsiren müssen" (28). Wie gezeigt werden konnte, war die Repräsentation von Macht im ancien régime nicht Selbstzweck und diente auch nicht nur der Stabilisierung des Status quo; ihr Ziel lag vielmehr darin, immer höher geschraubte Herrschaftsansprüche zu legitimieren. Erst als die Elemente des kapitalistischen Verkehrszusammenhangs - Waren- und Nachrichtenverkehr - mit der Herausbildung des modernen Staates ihre revolutionäre Kraft erwiesen, verlor die höfische Repräsentation ihre suggestive Wirkung. Im Zug der Gesamttransformation der Gesellschaft im Prozeß der Industrialisierung zerbrachen die ständisch-feudalen Strukturen; zugleich verringerten sich langsam - wenigstens in Europa - die Machtdifferentiale zwischen allen Gruppen u n d Schichten (29). In der bürgerlichen Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, in der der Mensch einer Vielzahl von Gruppierungen angehört, hat die sinnfällige Statusdemonstration immer stärker ihre existentielle Bedeutung eingebüßt. Der soziale Status einer Person ist nun viel stärker das Ergebnis dessen, was eine Person tut, u n d nicht mehr dessen, was sie repräsentiert. Sicherlich haben Statussymbole auch in der bürgerlichen Gesellschaft unserer Zeit noch große Bedeutung, ihre existenzbegründende Funktion haben sie jedoch verloren. Nur in den Bereichen, wo sich feudale Strukturen bis heute erhalten haben, sind auch die Statussymbole immer noch von eminenter Wichtigkeit. Interessanterweise entstanden in jüngster Zeit auf Gebieten, die eng an die Pro-
Konfliktaustragung an den Höfen
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duktions- u n d Kommunikationsbedingungen des m o d e r n e n Kapitalismus gebunden sind - in der Film- u n d S h o w b r a n c h e - quasifeudale Phänomene. So ist für den Filmschauspieler die Repräsentation seiner Person, auch seines privaten, selbst intimen Bereiches, durch die Medien eine existentielle Notwendigkeit geworden. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden eines G r o ß k o n z e r n s wird es eher möglich sein, auf die suggestive Wirkung von Statussymbolen zu verzichten als dem Showstar, die Medien, die über ihn berichten, zu vernachlässigen. Sicherlich ist j e d o c h in den gegenwärtigen westlichen Industriegesellschaften das „Ethos des S t a t u s k o n s u m s " nicht mehr leicht zu verstehen, da es hier möglich geworden ist, einen h o h e n sozialen Rang zu b e h a u p t e n , ohne ihn ständig durch eine aufwendige Lebensführung zu demonstrieren.
3.2. Intrige
und Diplomatie
- Rangordnung
kontra
Wertordnung
Der K o n k u r r e n z k a m p f an den H ö f e n u m die Gunst der Fürsten, von der es abhing, o b ein Adeliger in der Hierarchie der Hofgesellschaft stieg oder fiel, wurde nicht m e h r m i t dem Degen ausgefochten. Da die A n w e n d u n g körperlicher Gewalt als Entscheidungsmittel zurücktrat, entstand am Hof eine Vielfalt anderer F o r m e n von Zwangs- u n d Gewaltausübung. An die Stelle des Duells, das verboten w u r d e , trat die Auseinandersetzung m i t friedlichen Mitteln: Intrige u n d Diplomatie. Die Intrige, bei der mit Worten u m den sozialen Erfolg gestritten wurde, verdrängte den Kampf m i t dem Degen. Der Austragungsmodus bei den für die Höfe charakteristischen K o n f l i k t e n (Affairen, Rang- u n d Gunststreitigkeiten) war so beschaffen, daß alle F a k t o r e n , die der Beeinflussung durch den Fürsten n i c h t unterlagen, als Entscheidungsmittel e n t w e r t e t u n d ausgeschaltet waren. Das ist auch der G r u n d , weshalb es bei Hof niemals auf die Sache a n k a m , sondern immer darauf, was diese in Beziehung auf bestimmte Personen bedeutete. Während das Denken u n d Handeln der Menschen in berufsbürgerlichen Gesellschaften durch Versachlichung u n d Verdinglichung, auch des Persönlichen, durch einen klaren Primat des „Was" vor dem „Wie" gekennzeichnet ist, wurde am Hof genau u m g e k e h r t akzentuiert (30). Die Eigendynamik der sachlichen Erörterung, der Diskussion, in der das bessere A r g u m e n t triumphiert, blieb in der höfischen Gesellschaft u n e n t f a l t e t ; denn
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Höfische Rationalität
autonome Kritik, sachorientierte Argumente stellen immer Anforderungen an die Wirklichkeit und hätten so ein gesellschaftliches System relativiert, in dem das entscheidende Kriterium für die höhere Vernunft stets der höhere Rang war. Kommunikation basierte an den Höfen nicht auf sachlicher Analyse. Es kam nicht darauf an, einer Sache „auf den G r u n d " zu gehen; wer das tat, wurde für einen „Pedanten", einen „Schulfuchs" (31) gehalten. Ein Bonmot, eine geistreiche Wendung galt am Hof weit mehr als eine Tatsache, die Abhilfe verlangt. Sachliche Argumentation und die Berufung auf fachliche Kompetenz waren als bürgerliche Eigenschaften am Hof verpönt. Hier kam es vielmehr darauf an, einen „manierlichen Diskurs zu führen, um sich bei der Herrschaft, bei den Dames, bei den Ministres und allenthalben gefällig zu erweisen". So „befleißiget sich" ein guter Hofmann „solcher Erzählungen, Kuriositäten und Merkwürdigkeiten, die entweder neu oder doch sonst anmutig u n d sonderbar sind" (32). „Da die Rede", so stellt Rohr in dem Kapitel, das „von der Konversation" handelt, fest, „ein ziemlich gewisses Merkmal, daraus man einen Menschen kann erkennen lernen, suchet ein junger Mensch alle Sorgfalt anzuwenden, damit er seine Worte so setzen möge, daß andere, insonderheit aber die Höhern, ein zu seiner Ehre gereichendes Urteil davon fällen mögen" (33). Beim Führen einer Konversation mußte der Hofmann darauf achten, daß er „die Grenzen der Erkenntnis derjenigen . . . beurteilet . . . , mit denen er redet" und nichts vorbringt, „was sich über ihren Horizont erstreckt" (34); denn alles, was man in der höfischen Gesellschaft nicht verstand, beleidigte (35). Außerdem m u ß er wissen, daß es „überhaupt eine unangenehme Sache" ist, „andern Leuten zu widersprechen" (36). Denn „es ist", so Rohr, „nichts so unangenehm u n d verdrießlich, als die Diskurse gewisser Leute, welche sich befleißigen und gleichsam eine Ehre darinnen suchen, daß sie alles sagen, was sie gedenk e n " (37). In der höfischen Gesellschaft war die Sprache nicht nur praktisches Instrument sachorientierter Kommunikation. Zur repräsentativen Öffentlichkeit gehörten Wortarabesken und rhetorische Formeln ebenso wie Argumentation und Diskussion zur bürgerlichen (38). Für Anrede und Gespräch stand eine große Zahl von Formeln bereit, die der Höfling ebenso beherrschen mußte wie die Kunst, sich gewandt zu bewegen. Vom Rang des Gesprächspartners hing es
Soziale Hierarchie als Denkform
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ab, welches „Compliment" zur Anrede aus dem großen Fundus rhetorischer Wendungen gewählt wurde. „Wenn man also zum Exempel, bei einem großen Minister um eine gewisse Gnade Ansuchung tut, so kann man alsobald anfangen: Mit Ewr. Exzellenz Gnädigen Erlaubnis, bitte mir die untertänige Freiheit aus, dieselben gehorsamst zu ersuchen, die besondere Gnade mir zu erzeigen, und eben diese hohe Gnade werde Zeit meines Lebens mit aller Devotion erkennen etc," (39). Bombastisch waren die Reden, mit denen der Adel dem Landesfürsten seine Untertanenpflicht versicherte. So begrüßten die niederösterreichischen Stände den neuen Kaiser Karl VI. mit folgender überschwenglicher Anrede: „Des Himmels Fürstenlicht erstarret ob Allerhöchstderoselben niemals gesehenem Glänze. Der Erdkreis wird zu klein zum Schauplatz solcher Werke, wobei die treugehorsamsten Stände vermeinen, den Gipfel ihres Glücks erstiegen zu haben, da sie sich zu Ew. Majestät Füßen legen dürfen. Vorige goldene Zeiten sind gegen diese eiserne, da die Sonne unserer lebendigen Glückseligkeit vor Augen schwebet" (40). Nicht nur der Primat des besseren Arguments hatte bei Hof keine Geltung; auch alle anderen Werthierarchien - moralische, ästhetische usw. - wurden der höfischen Rangordnung unterworfen und hatten jedenfalls keine Chance, sich autonom zu entfalten, da die Voraussetzung dafür, der freie Markt der Meinungen, fehlte. Der unerbitüiche Zwang, die Deklaration dessen, was man für gut, schön und wahr hielt, vom Rang des Gesprächspartners u n d von taktischen Überlegungen abhängig zu machen, führte schließlich dazu, daß an die Stelle der persönlichen Wertordnung die soziale Rangordnung trat. Die Menschen bei Hof wurden in allen ihren Äußerungen, aber auch in ihrem Denken, stilisiert, zugunsten einer allgemeingültigen Lebensform gebrochen und nivelliert (41). Als immer gleichbleibende Spitze der Hierarchie war der absolutistische Herrscher die letzte Instanz für das, was richtig ist. Ihm gegenüber gab es keine Diskussion, nur absoluten Gehorsam. D'Aubigne ließ seinen Politiker säuberlich zwischen Innen und Außen scheiden: Der Kluge soll sich in die Geheimkammer seines Herzens zurückziehen u n d hier sein eigener Richter sein; seine äußeren Taten aber m u ß er dem Urteil und Gericht des Herrschers unterwerfen, und nie darf die Stimme des Gewissens nach außen dringen (42). Der Höfling muß, um seine soziale Existenz zu sichern, das Gewissen verstecken.
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Höfische Rationalität
Sorgfältigste Ausbildung u n d ständige Übung, die schon in frühester Kindheit einsetzen mußten, waren die Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Verhaltensideals. Die Erziehung sollte den Knaben zu einem Edelmann heranbilden, der für die Armee, den Zivil- u n d den Hofdienst gleichermaßen geeignet war. Die Kardinaltugend der Selbstbeherrschung konnte nur üben, wer von klein auf zu maskenhafter Unzugänglichkeit und Zurückhaltung aller Gefühle erzogen worden war. In einer Gesellschaft, in der der Erfolg vor allem auch von der Fähigkeit, Menschen zu durchschauen und durch persönliche Bemühungen zu gewinnen, abhing, mußte die größte Sorgfalt auf die Anleitung zur Menschenkenntnis gelegt werden. A m Ende des ancien regime verloren mit dem höfischen Ideal des galant h o m m e auch diese Erziehungsmaximen ihre Gültigkeit. Eine Reflexion über diesen Wandel aus der Sicht der feudal-konservativ Gesinnten findet sich z.B. bei Brandes: ,,In neueren Zeiten ist in manchen Erziehungen der Grundsatz herrschend geworden, daß die Eltern in allen Stücken die Vertrauten der Kinder sein müßten, von ihnen die Beichte aller jugendlichen Torheiten und Fehler zu empfangen hätten . . . " (43). Im 18. Jahrhundert kam es in den Salons zu einer Konfrontation der ökonomisch unproduktiven und politisch funktionslosen Stadtaristokratie mit den oft bürgerlichen Gelehrten, Schriftstellern u n d Künstlern; aber trotz des sich anbahnenden gesellschaftlichen Wandels war hier das Klima der hónneteté, das durch die Autorität der jeweils Ranghöheren geprägt war, noch ungebrochen (44); dort, wo der Rang der adeligen Gastgeber die Entfaltung analytischer Vern u n f t hemmte, konnte der Geist noch nicht die Autonomie erlangen, die Konversation in Kritik und Bonmots in Argumente verwandelte. Erst das A u f k o m m e n des nationalen Machtstaates u n d der modernen kapitalistischen Wirtschaft führte zu einem entscheidenden Funktionsverlust des Adels. Die Aristokratie verlor ihre privilegierte Stellung als Herrenstand und wurde zu einer sozialen Schicht innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft (45). Damit verloren aber auch die überkommenen Maßstäbe der an der sozialen Hierarchie orientierten Vernunft ihre Wirksamkeit.
Primat des Äußeren 3.3.
Selbstbeobachtung und Selbstbeherrschung, nis und Menschenbehandlung
75 Menschenkennt-
Im „VI. Capitul" seiner „Ceremoniel-Wissenschafft der Privatpersonen" schreibt Julius B. von Rohr: ,,An einer manierlichen Gebärdung und guten äußerlichen Stellung ist in der Tat sehr viel gelegen, sintemal das äußerliche einem andern zuerst in die Augen fällt u n d einen Eindruck in seinem Gemüte macht. Es haben viele von den Höhern beiderlei Geschlechts die Gewohnheit, daß sie einem jungen Menschen, an dessen Erkenntnis ihnen etwas gelegen, wenn sie ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekommen, scharf in die Augen sehen, hernach seine ganze Person nach seiner Kleidung und Stellung des Leibes von oben bis unten an genau betrachten u n d ihn alsdenn nach dem Portrait, das andere von ihm gemacht, und nach deren Anmerkungen, die sie sich selbst durch die Erfahrung wollen zu Wege gebracht haben, beurteilen . . . Hat er nun das Glück, ihnen nach seinem äußerlichen Wesen zu gefallen, so wird er ungemein erhoben und vor einen feinen, manierlichen, angenehmen u n d artigen Menschen angesehen, der ein recht galant homme sei u n d wohl zu leben wisse, wo aber nicht, so achtet man ihn, ob er schon im übrigen noch so weise u n d tugendhaft wäre, vor einen schlechten Menschen, vor einen Schulfuchs und ich weiß selbst nicht vor was" (46). Dieser von Rohr so treffend charakterisierte Primat des Äußeren, der in der Hofgesellschaft uneingeschränkt Gültigkeit besaß, zwang den Höfling zu einer genauen Kontrolle seines Verhaltens. Man fragte bei einem Menschen am Hof nicht nach seiner moralischen Qualität, auch nicht nach seinen Fähigkeiten und Kenntnissen auf irgendeinem Sachgebiet; man beurteilte ihn vielmehr nach seinem Auftreten und seinen Bewegungen, nach seiner Mimik und Gestik. Der fortwährende Zwang, sich im Hinblick auf Formen zusammenzunehmen, erzeugte an den Höfen eine „Seinsdisziplin", die, gemessen an der Intensität, mit der sie in das Leben der Menschen eingriff, der Leistungsdisziplin moderner Industriegesellschaften vergleichbar ist. Wer sich diesem Zwang nicht fügte, setzte seine soziale Existenz aufs Spiel, denn „wenn sich einer . . . mit ungezogenen Externis vor wackern oder auch kapriziösen Leuten präsentieret, hätte man einen solchen Degout vor ihm bekommen, daß man nicht einmal nach seinen andern Qualitäten gefragt h ä t t e " (47).
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Höfische Rationalität
„ D a a n d e n Gebärden so sehr viel g e l e g e n " (48) u n d das „manierliche Wesen n i c h t auf einmal u n d d u r c h e i n e n jählingen S p r u n g einer g e w a l t s a m e n N a c h a h m u n g , s o n d e r n " n u r „ d u r c h fleißige Ü b u n g u n d A p p l i k a t i o n e r l e r n t " (49) w e r d e n k ö n n e , „ s o täte es nötig, daß sich m a n c h e r in seinem Z i m m e r e ü i c h e S t u n d e n lang vor d e n Spiegel stellte u n d Lectiones gäbe, auf was vor A r t er sein Gesicht in die gehörigen Falten richten m ö c h t e , d a m i t er gute Mine m a c h t e " (50). Um sich in der Hofgesellschaft d u r c h z u s e t z e n , m u ß t e ein Adeliger z u e r s t lernen, sein Äußeres v o l l k o m m e n in den Griff zu b e k o m m e n . Ein großes Repertoire an G e s t e n , m i t denen man A c h t u n g , V e r a c h t u n g , Freude, T r a u e r , Mißbilligung, Z u s t i m m u n g u n d alle a n d e r e n Gefühle in vielen feinen A b s t u f u n g e n z u m A u s d r u c k bringen k o n n t e , unabhängig davon, was tatsächlich in einem vorging, war G r u n d v o r a u s s e t z u n g , u m hier E r f o l g zu h a b e n . Man m u ß t e lern e n , „ d e n im Herzen verborgen liegenden A f f e k t , u n d der sich gerne in den Zügen des Gesichts zu ä u ß e r n p f l e g t , künstlich verbergen u n d solche Minen an sich zu n e h m e n , die ihm e n t g e g e n g e s e t z t " (51). „Diese Regeln gehören zu der Verstellungs-Kunst, die allenth a l b e n , insonderheit aber an den H ö f e n , so gar sehr nötig i s t " (52). A f f ä r e n , Rang- und G u n s t s t r e i t i g k e i t e n , die den Alltag des Hoflebens a u s m a c h t e n , zwangen zu ständiger Vorsicht u n d zu einem g e n a u e n A b w ä g e n alles dessen, was m a n sagte u n d tat, zu einer genau b e r e c h n e t e n und d u r c h n u a n c i e r t e n H a l t u n g im V e r k e h r m i t den M e n s c h e n . In engem Z u s a m m e n h a n g m i t den für den H o f m a n n u n e n t b e h r l i c h e n Fähigkeiten der S e l b s t b e o b a c h t u n g u n d Selbstbeh e r r s c h u n g (nuancierte Mimik u n d K ö r p e r s p r a c h e , Bändigung der A f f e k t e ) stand die Kunst der M e n s c h e n b e o b a c h t u n g , die w i e d e r u m u n a b d i n g b a r e Voraussetzung für den E r w e r b von M e n s c h e n k e n n t nis u n d für die erfolgreiche M e n s c h e n b e h a n d l u n g war. „Ein vernünftiger Mensch l ä ß t " daher, so rät R o h r , „an einem f r e m d e n H o f e dieses seine erste Sorge m i t sein, daß er die Neigungen der Cavaliers u n d D a m e s erkennen u n d b e u r t e i l e n l e r n t , d a m i t er wisse, wie er e i n e m j e d e n nach der B e s c h a f f e n h e i t seines H u m e u r s begegnen soll. Er m a c h t sich nach den Merkmalen, was er von einer j e d e n Person siehet, h ö r e t u n d observieret u n d nach d e n Regeln der K u n s t , der M e n s c h e n G e m ü t e r zu e r f o r s c h e n , ihre moralischen Portraits bek a n n t , läßt sich aber doch von diesem allen nicht das geringste merk e n " . Vor allem aber m u ß t e ein H o f m a n n t r a c h t e n , „ d e n H u m e u r seiner H e r r s c h a f t " , von der es abhing, o b er in der labilen Hierar-
Menschenbeobachtung und Menschenbehandlung
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chie der Hofgesellschaft stieg oder fiel, „auszuforschen, ihre Neigungen kennenzulernen und sich in allen seinen Worten und Handlungen . . . seiner Herrschaft gefällig zu erweisen" (53). Zur Kunst der Menschenbehandlung gehörte die richtige Gesprächsführung (54). Dabei ging es nicht um den Austausch von Meinungen über Sachen, nicht darum, die Wirklichkeit zu analysieren und zu erkennen. Rangfragen und nicht Sachzwänge bestimmten den Verlauf des Gesprächs, in dem der Höfling durch die Wahl des sprachlichen Ausdrucks seine Beziehung zu jedermann nach oben und nach unten genau markierte. Wie gezeigt werden konnte, wurden in der höfischen Gesellschaft Eigenschaften prämiert, die aus berufsbürgerlicher Sicht als Äußerlichkeiten erscheinen. Den Kern dieser für den Höfling lebensnotwendigen Eigenschaften bildeten die Elemente des Aussehens (Kleidung, Haartracht, Insignien, Waffen, Schmuck, Mimik und Gestik), die äußerlichen Gewohnheiten (Manieren, Höflichkeit, Anstand, kurz das gesamte formelle und zeremonielle Verhalten) und körperliche Geschicklichkeiten (Tanzen, Reiten, Fechten usw.). Dazu kam eine Reihe anderer Kenntnisse und Fähigkeiten, deren permanente Vervollkommnung und Übung soviel Zeit in Anspruch nahm, daß nur der Adel sich ihnen widmen konnte (Beherrschung von Grammatik u n d Versmaßen, Hausmusik, Informiertheit über Mode, Hunde- u n d Pferdezucht usw.). In einer gesellschaftlichen Konstellation, in der die Grundvoraussetzung der Wohlanständigkeit darin bestand, daß man nicht arbeitete, eigneten sich die zitierten Fertigkeiten vorzüglich als Beweise einer unproduktiven Zeitverwendung (55).
3.4.
Publizistik, Wissenschaft, tion im Absolutismus
Kunstproduktion
und
Kunstrezep-
Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts blieb das alte Kommunikationssystem der „repräsentativen Öffentlichkeit", in dem Fürst u n d Adel das Land waren und ihre Herrschaft vor dem Volk darstellten, unangetastet. Politische Kommunikation im Sinne eines Feedback zwischen Regierenden und Regierten gab es hier nicht. Wenn das Volk in zeremonialisierter Form an der Sphäre der Repräsentation - der Selbstdarstellung des Fürsten und des Adels - als Zuschauer
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Höfische Rationalität
teilnahm, so unterstrich das nur die Stellung weniger Privilegierter gegenüber der großen Masse der Rechtlosen. Es gab zwar seit dem 14. Jahrhundert den kaufmännischen Briefverkehr, der eine Art berufsständisches Korrespondenzsystem war; solange jedoch diesem Infomationssystem das entscheidende Moment „Publizität" fehlte, wurde es von der alten Herrschaftsordnung noch mühelos integriert (56). Zur traditionellen Form der Herrschaft, deren Rechtmäßigkeit sich nicht in der Diskussion, sondern aus der heiligen Tradition erwies, gehörte auch die Kompetenz, jeweils das darzustellen u n d zu deuten, was als „die alte Wahrheit" galt. Dieses Traditionswissen war das Bezugssystem, von dem aus Mitteilungen über historische u n d natürliche Geschehnisse gesehen wurden. In den zahlreichen Annalen und Diarien des 17. Jahrhunderts finden sich unterschiedslos geschichtliche Ereignisse und Naturkatastrophen, denn man hatte zu beiden keinen wissenschaftlichen Zugang; sie verbreiteten die Kunde von fürstlichen Hochzeiten, Prunkopern u n d Schlachten, ebenso wie von Mißgeburten, Kometen, Heuschreckenplagen und Feuerregen; von Krönungen, Reichstagen, Wahlkapitulationen und Entdeckungen, ebenso wie von Hexen Verbrennungen, J u d e n taufen u n d Gottesurteilen. Überschritt ein Ereignis die sehr enge Grenze des Gewöhnlichen und Alltäglichen, wurde es zum „Ausgezeichnet e n " , zum Wunder (57). Auch die ersten Zeitungen, die u m die Mitte des 17. Jahrhunderts schon täglich erschienen, waren kein Forum der Diskussion, kein freier Markt der Meinungen. Ihre inhaltliche Gestaltung war Ausdruck der Transponierung des höfischen Repräsentationstyps in das neue Medium. Sie präsentierten Nachrichten über die Kirchenbesuche, Jagden, Feste und Feiern der Fürsten, über A n k u n f t und Abreise auswärtiger Standespersonen, über Emennungen usw. Die „Neuen Zeitungen" des 16. J a h r h u n d e r t s von Fall zu Fall erscheinende Einblattdrucke - waren dementsprechend häufig in Lied- oder Gesprächsform gehalten u n d zu Vortrag u n d Vorsingen oder zum gemeinsamen Absingen bestimmt (58). Das Prinzip der Darstellung prägte auch die Wissenschaft im Absolutismus. Vor allem das Außergewöhnliche und Merkwürdige rückte in den Blickpunkt des Interesses. Wissenschaftliche Kompendien wurden schon im Titel als „ T h e a t r u m " , als Schaubühne, vorgestellt, auf der dem Leser eine Vielzahl von „Mirabilia" u n d Kuriositäten vorgeführt wurden. Da findet sich neben dem „Theatrum Ce-
Kunst und Wissenschaft im Absolutismus
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remoniale" ein „Theatrum Architecturae", ein „Theatrum Medicinae", ein „Theatrum Mathematicum" usw. Die Geschichte faßte man als Weltbühne auf: „Weil die Historie gleichsam ein großes Welt-Schauspiel ist, da immer eine Person nach der anderen auftritt und ihre Angelegenheiten von sich redet . . . " (59). Im J a h r 1629 begann J o h a n n Philipp Abelinus das „Theatrum E u r o p a e u m " , jene Chronik, die dann durch fast ein J a h r h u n d e r t fortgesetzt wurde. J o h a n n Chr. Beer nannte sein Werk „Neueröffnete Trauerbühne", da die Weltgeschichte eine immerwährende Tragödie sei. Geschichte wurde noch nicht aus ihren Bindungen an andere Wissenschaften herausgelöst. Idealtyp war der Polyhistor, der über die unterschiedlichsten Dinge Bescheid wußte (60). Dementsprechend unterschieden sich historische Darstellungen von anderen wissenschaftlichen Werken in ihrer formalen, aber auch in ihrer inhaltlichen Gestaltung nicht grundlegend. Unter Leopold I. gewann die Geschichtsschreibung große Bedeutung als Propagandamedium. Der klar definierte Auftrag schuf für den Historiker eine Arbeitssituation, in der die Bejahung der gegenwärtigen Welt u n d der geforderte starke Gegenwartsbezug einen problemlosen Umgang mit Geschichte möglich machten. Die durch den Widerspruch zwischen dem Wunsch nach einer allgemeingültigen (für alle gültigen) Reflexion über Vergangenes u n d der Wirklichkeit, in der die realen Ungleichheiten eine einheitliche und eindeutige Wissenschaft vom Menschen nicht zulassen, geschaffene Kluft, existierte hier noch nicht. Die Bereiche des Theaters, der bildenden Kunst u n d der Dichtung traten im Absolutismus in den Dienst der „repräsentativen Öffentlichkeit" der Mächtigen. Im höfischen Fest, im Theater u n d in der Oper wurde nicht eine erfundene, neue, prinzipiell andere Wirklichkeit präsentiert. Fürst und Adel, die häufig selbst agierten, stellten vielmehr ihre eigene Realität, die hier idealtypisch und paradigmatisch gefaßt wurde, dar. Wo der Unterschied zwischen Darsteller u n d Zuschauer nicht existierte, war auch das Theater keine Produktionsstätte von Scheinwirklichkeiten, sondern ein Teil der höfischen Realität. Die Bauweise des Barocktheaters ist charakteristisch für diese spezifische Wirklichkeit. Die Ränge spiegeln die hierarchische Struktur der Hofgesellschaft, die Einheit von Bühne u n d Zuschauerraum bringt zum Ausdruck, daß das Theater F o r u m der Selbstdarstellung ist. Auch bildende Kunst u n d Dichtung erhielten die Aufgabe, Glanz u n d Anziehungskraft der Höfe zu steigern. Sie sollten
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Höfische Rationalität
n i c h t in Frage stellen u n d problematisieren; die Aufgabe der Künste war vielmehr, zu werben, zu repräsentieren u n d zu imponieren. Die Entwicklung des Kapitalismus, die immer stärker ein an Inf o r m a t i o n e n rational orientiertes Verhalten verlangte, bedingte auch die Herstellung von Kunstwerken für den Markt u n d die Verm i t t l u n g durch ihn. Dadurch verlor das K u n s t w e r k seinen Charakter als Bestandteil der Repräsentation höfischer Öffentlichkeit u n d wurde im Prinzip allgemein zugänglich. Kultur wurde in diesem Prozeß zur Ware, damit aber auch zur Angriffsfläche von Kritik, z u m I n h a l t einer Diskussion, an der ein immer breiteres, prinzipiell unabgeschlossenes Publikum teilnimmt (61).
Exkurs:
Die Heirat Kaiser Leopolds I. mit der spanischen Margareta Theresia - Ein Musterbeispiel höfischer
Infantin Politik
Die Ereignisse vor der Heirat Kaiser Leopolds I. mit der spanischen I n f a n t i n Margareta Theresia, die im folgenden kurz dargestellt w e r d e n , zeigen exemplarisch Eigenart u n d Verlauf einer höfischen Intrige (62). Gegen Ende des J a h r e s 1662 wurde Graf Eusebius von Pötting mit dem Auftrag an den Madrider Hof gesandt, den Ehek o n t r a k t auszuarbeiten und die Eheschließung zwischen dem Kaiser u n d der Infantin in die Wege zu leiten. Es wurde auch tatsächlich ein J a h r später (18. Dezember 1663) der Ehe vertrag in Gegenw a r t einer großen Anzahl von Würdenträgern feierlich verlesen. In Madrid gab es jedoch eine große Zahl von Gegnern dieser Verbindung, deren Aktionszentrum die französische Partei am Königshof war. Leopold, der befürchtete, die letztere k ö n n t e - insbesondere im Fall des T o d e s Philipps IV. - an Macht gewinnen, drängte Pötting unablässig, die Abreise der I n f a n t i n zu f ö r d e r n . Die Berichte des kaiserlichen Gesandten lauteten jedoch immer ungünstiger. So schrieb dieser im November 1664, daß die Reiseangelegenheit denkbar schlecht stünde und daran vor allem Penneranda, der ein entschiedener, aber nicht offener Gegner der Heirat war, schuld sei. Pötting e r k a n n t e zwar die Notwendigkeit energischen Handelns, besaß aber selbst nicht die Fähigkeit, sich in dem komplizierten Kraftfeld, das der spanische Hof bildete, durchzusetzen. Wer hier erfolgreich agieren wollte, m u ß t e sich ein genaues Bild aller einflußreichen Persönlichkeiten am Hof machen, u m jeden taktisch richtig
Heirat Leopolds I.
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zu b e h a n d e l n : da war der t o d k r a n k e , energielose König, die von den J e s u i t e n v o l l k o m m e n abhängige Königin, schließlich die stolzen, s e l b s t b e w u ß t e n u n d h o c h m ü t i g e n Höflinge. Sie alle k o n n t e n zu einem E n t s c h l u ß nicht auf dem Wege o f f e n e r V e r h a n d l u n g e n geb r a c h t w e r d e n . Um hier E r f o l g zu h a b e n , b e d u r f t e es anderer Mittel. Bitten, D r o h u n g e n , List, Verstellung u n d Lüge m u ß t e m a n aufw e n d e n , u m ans Ziel zu gelangen. Gegen E n d e des J a h r e s 1 6 6 4 schickte L e o p o l d I. Franz von Lisola, der in ähnlichen Missionen seine hervorragenden Fähigkeiten auf dem Gebiet v o n Diplomatie u n d Intrige u n t e r Beweis gestellt h a t t e , nach Spanien. In kürzester Zeit überschaute Lisola die ihm bis dahin völlig f r e m d e n Verhältnisse. N a c h k a u m m e h r als einer Woche nach seiner A n k u n f t h a t t e er am Madrider Hof V e r t r a u t e , die ihm die geheimsten A b m a c h u n g e n der verschiedenen Parteien verrieten. In seinem ersten Bericht urteilte Lisola über den S t a n d seiner Mission: „ D a der König u n d die Königin so wie Medina u n d dessen Partei alles t u n , u m die Abreise der Braut des Kaisers zu beschleunigen, u n d für die Heirat e i n g e n o m m e n sind, bleibt für die Gegner der Heirat kein anderes Mittel, als die Abreise zu verzögern, u m , w e n n dem König etwas Menschliches z u s t o ß e n sollte, die Maske a b z u n e h m e n u n d laut eine andere K r ä f t i g u n g für ihre Monarchie zu f o r d e r n " (63). Mit g r o ß e m Geschick suchte er in der Folge die Partei des Kaisers in Spanien zu stärken. Über seine Gegner sammelte er Inf o r m a t i o n e n , u m jedem taktisch klug begegnen zu k ö n n e n . Die N a c h r i c h t v o m T o d Erzherzog Sigismunds gab Lisola die gewünschte Gelegenheit, neuerlich alle G r ü n d e a n z u f ü h r e n , die für die rasche Abreise der I n f a n t i n sprachen (64). Es gelang i h m , in A u d i e n z bei König Philipp IV. e m p f a n g e n zu w e r d e n . V o n diesem w e n d e t e er sich an die Königin, dann an die Minister, vor allem an P e n n e r a n d a , Castrillo u n d Medina. Er, der die Charaktere aller Höflinge seit seiner A n k u n f t in Madrid eingehend studiert h a t t e , k a n n t e ihre Neigungen, ihre Pläne u n d S c h w ä c h e n . P e n n e r a n d a versuchte vergeblich, seine feindliche Gesinnung zu verbergen. Lisola reizte ihn so lange, bis er sich als Gegner b e k a n n t e . Der kaiserliche Gesandte schürte die E i f e r s u c h t Medinas u n d Castrillos gegen P e n n e r a n d a ; er schilderte die verderblichen Folgen, die der weitere Aufstieg des letzteren für ihre Stellung m i t sich bringen m u ß t e , u n d f o r d e r t e sie eindringlich a u f , sich m i t allen K r ä f t e n f ü r die Abreise der I n f a n t i n einzusetzen.
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Höfische Rationalität
Die Sache schien bereits für Lisola u n d die kaiserliche Partei gew o n n e n , da starb König Philipp IV. (65). Damit war plötzlich nicht n u r die Abreise der Prinzessin, sondern die Heirat ü b e r h a u p t , j a die ganze Verbindung der beiden Linien des habsburgischen Hauses in Frage gestellt. Lisola setzte n u n ganz auf die Königin. E r riet ihr, so o f t wie möglich Männer, die nicht zu den ständigen Ratgebern zählten, zu den Verhandlungen über wichtige Angelegenheiten zu b e r u f e n , u m so diejenigen, die bei der E r n e n n u n g zu ständigen Beratern übergangen worden waren, zu gewinnen; vor allem aber sollte auf diese Weise der Einfluß Pennerandas, gegen den Lisola auch sonst, w o es ging, S t i m m u n g m a c h t e , gemindert w e r d e n . Als Term i n für die Abreise der Infantin wurde schließlich der 10. April festgesetzt. T r o t z d e m gab die Opposition nicht auf. Castrillo vers ö h n t e sich mit Penneranda, u n d beide wirkten n u n gemeinsam gegen die Bestrebungen der kaiserlichen Partei. Über Leopold, die Königin u n d die ganze österreichisch gesinnte G r u p p e w u r d e n Gerüchte verbreitet. T r o t z d e m fand am 25. April 1666 die Vermählung Margareta Theresias mit Leopold I., der durch den Herzog von Medina vertreten wurde, statt, u n d am 28. April erfolgte die Abreise.
4. SCHLOSS- UND GARTENARCHITEKTUR Eine in den letzten Jahren immer stärker werdende Kritik an den Lebensmöglichkeiten in der Großstadt hat in den Sozialwissenschaften zu einer Aktivierung architektursoziologischer Forschung geführt (1). Bei der Durchsicht sozialwissenschaftlicher Aussagen über das Mensch-Umwelt-Verhältnis findet sich als gemeinsamer Nenner der Hinweis auf die Interdependenz der beiden Größen. So sieht Bahrdt Soziales durch Räumliches definiert „ . . . teils unmittelbar erzwingend, indem nur bestimmte soziale Verhaltensweisen möglich, andere unmöglich gemacht sind, teils mittelbar durch Symbole, deren normative Qualität erlebt u n d eventuell internalisiert" wird (2). Adorno konstatiert „zwischen den Zwecken, dem Raum und dem Material" eine „Wechselwirkung; nichts davon ist ein Urphänomen, auf das zu reduzieren w ä r e " (3). Herlyn schließlich verweist auf die emanzipationsfördernde oder -hemmende Wirkung von räumlichen Strukturen: „Das materielle Substrat als sozial-kulturelles Produkt scheint selbst auf den gesellschaftlichen Prozeß zurückzuwirken, indem nicht nur Handlungs- und Kommunikationschancen für soziale Gruppen erweitert bzw. eingeschränkt werden können, sondern auch die symbolische Verfestigung bestehender Gesellschaftsstrukturen durch Architektur bzw. Stadtplanung geleistet werden k a n n " (4). Die Erkenntnis der dialektischen Verflechtung von sozialem und baulichem System, deren Qualität entscheidend davon abhängt, ob und in welcher Form die Menschen Einfluß auf Standort und Gestaltung ihres Wohnbereiches ausüben können, eröffnet dem Historiker eine wichtige Perspektive (5). Denn die von der Kunst- und Kulturgeschichte entwickelten formalästhetischen u n d stilkritischen Bewertungen reichen zur Erklärung des „Wie" architektonischer Gestaltung nicht aus; erst die Analyse der Bedingungen u n d Funktionen einer bestimmten „Formensprache" macht diese verständlich. In dieser theoretischen Annahme fundiert gehen die folgenden
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Schloß- und Gartenarchitektur
Betrachtungen über den Schloß- u n d Palastbau des Absolutismus von der Voraussetzung aus, daß soziale Einheiten stets auch durch T y p e n der Raumgestaltung charakterisierbar sind (6). So signalisieren die Raum- u n d Ausstattungsformen eines Schlosses m e h r als die S u m m e von Nachrichten über Stilelemente u n d deren Bewertung nach ästhetischen Kriterien. Sie geben zugleich A u s k u n f t über die Menschen, die sie geschaffen u n d b e w o h n t h a b e n , über die Art ihres „ B e i s a m m e n " , über ihre spezifische Rationalität, Die bisherigen Ausführungen haben deutlich die machtpolitische Wirkung des höfischen A u f w a n d s gezeigt. Zeremoniell, h ö f i sche Feste, Prunkopern, prächtige Einzüge, reiche Gemäldegalerien u n d K u n s t k a m m e r n waren wichtige Gradmesser der Macht. Der größte Trumpf in dem Kampf u m Machtprestige a b e r l a g im Schloßu n d Gartenbau (7). Hier k o n n t e ein Fürst am eindrucksvollsten u n d dauerhaftesten Rang u n d T u g e n d repräsentieren (8). So war die Schloßbaubewegung ein deutlicher Ausdruck des Konsolidierungsprozesses, der die Entwicklung des europäischen Königtums im 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t kennzeichnete. Versailles u n t e r Ludwig XIV. markierte den H ö h e p u n k t der Macht französischer Herrscher. A u c h in Wien f ü h r t e der endgültige Sieg über die Türken, damit verbunden die Festigung der H a u s m a c h t der Casa d'Austria, zu reger Bautätigkeit des Hofes.
4.1. Vom Festungs- zum
Schloßbau
Eine wesentliche Begleiterscheinung des Prozesses, in dessen Verlauf sich am Ausgang des Mittelalters die Machtverteilung innerhalb der europäischen Oberschicht zugunsten der Könige u n d Fürsten verschoben h a t t e , war die Entmiütarisierung des Adels. Die Territorialherren monopolisierten m i t der Einrichtung stehender Heere bezahlter Söldner die Gewaltausübung. Damit verlor der ritterliche Dienst seine Bedeutung als vorzügliches Betätigungsfeld des Adels (9). Die Befriedung der Länder durch das System des Absolutismus veränderte auch den Zweck der adeligen Wohnung: Das repräsentative Schloß ersetzte die w e h r h a f t e Burg (10). Die vorwiegend fortifikatorische Bestimmung zwang den mittelalterlichen adeligen Bauherren, seiner Behausung eine Form zu geben, die bei größter Geräumigkeit eine möglichst geringe Angriffsfläche b o t . Dieser A n f o r -
Funktionswandel und Formveränderung
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derung wurden am ehesten kubische und zylindrische Raumformen gerecht; sie boten der Verteidigung den kleinsten Radius. Die Baumasse wurde zu einem Block zusammengefaßt, an dessen Kanten noch Türme treten konnten. Dieser Gestaltungsmodus blieb im wesentlichen für das ganze 16. und frühe 17. J a h r h u n d e r t bestimmend (11). Der französische Schloßbau des 16. Jahrhunderts, der unter Franz I. eine erste Blüte erlebte, wurzelt noch ganz in der mittelalterlichen Welt des feudalen Territorialstaats. So ist der Kernbau des 1519 begonnenen Jagdschlosses Chambord aus dem Donjon der mittelalterlichen Burg entwickelt; ebenso die Rundtürme an den Ecken. Die Gartenfront in ihrer regelmäßigen u n d offenen horizontalen Ausbreitung hat dagegen den festungsartigen Charakter bereits weitgehend verloren (12). Auch das 1558 im Osten des Schweizertraktes für Erzherzog Maximilian errichtete Wohngebäude (Stallburg) trug noch wehrhaften Charakter (13). Die Schmucklosigkeit der Fassade des über annähernd quadratischem Grundriß errichteten Bauwerks ließ noch einmal deutlich die Wehr- vor die Prestigef u n k t i o n treten. Nur ein repräsentativer dreigeschoßiger Arkadeninnenhof dokumentierte den - noch nicht öffentlich zur Schau gestellten - Rang des Bewohners (14). Das Titelkupfer von Julius Bernhard von Rohrs „Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen" beschreibt den skizzierten Wandel im Interdependenzgeflecht der Oberschicht auf anschauliche Weise (Abb. 1). Alter und neuer Adel werden einander gegenüber gestellt, dahinter wird jeweils das architektonische Korrelat sichtbar. Links sieht man zwei Herren in der im 16. und 17. J a h r h u n d e r t üblichen spanischen Hoftracht in einem Gespräch. Sie stehen bequem, ihre Haltung ist frei von Devotion. Die beiden Kavaliere rechts sind nach der neuesten Mode des frühen 18. Jahrhunderts gekleidet. Der Bart als Persönlichkeitsmerkmal ist verschwunden. Die Haare werden von der Allongeperücke verdeckt, die - Kleidungsstück, nicht Haarersatz - zum notwendigen Attribut des Höflings wurde (15). An die Stelle des formlosen Meinungsaustausches der beiden Edelleute links ist ein Zeremoniell getreten, das jede Handbewegung u n d Nuance der Mimik, die Tiefe der Verbeugung und die Wahl der Anrede genau reglementiert (16). Diese Verhaltensweisen, die in den berufsständischen Gesellschaften viel an Bedeutung eingebüßt haben, sind hier wichtige Anzeiger des Ranges, den ein Edelmann in der labilen Hierarchie des Hofes einnimmt.
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Schloß- und Gartenarchitektur
Dahinter als räumliches Ambiente links die winkelige, enge Bauweise des Mittelalters (17), rechts als Symbol des Absolutismus die ausladende, streng symmetrische Fassade eines Schlosses, dem ein typischer architektonischer Garten vorgelagert ist. Ein erstarktes Königtum, das sich mit einer immer aufwendigeren Hofhaltung umgab, stellte auch dem Architekten neue Aufgaben. Sinnenfälligster Beweis der außergewöhnlichen Machtstellung wurde der Schloßbau. Die neuen Bauwerke haben die Gedrungenheit mittelalterlicher Festungen verloren (18). Wichtig wurde eine ausgedehnte repräsentative Schauseite (Abb. 1, 2, 3), die dem Betrachter in jedem Detail die Grandeur des Herrschers von Gottes Gnaden demonstrierte. Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein schreibt in seinem Architekturtraktat: „Denn was brachtig ist in einem Gebäu, wil ein Lang haben - und jehe lenger jehe vornehmer - dann dieses ist das greste Ansehen und Herrlichkeit, eine große Anzahl der Fenster und der Seilen zu sehen" (19). Der bislang unsichtbare Hof wurde durch einen weiten Ehrenhof vor der Vorderf r o n t abgelöst (Fig. 1, 2; Abb. 4, 5) (20). Aus den der Verteidigung dienenden Wassergräben sind kunstvoll angelegte Zierteiche geworden, die den Eindruck, den die prachtvolle Fassade beim Betrachter hinterläßt, noch steigern (21). Mit der Ausbildung der dreiseitigen Ehrenhofanlage, für die Salomon de Brosses Palais du Luxembourg und Lemerciers Schloß Richelieu wichtige Zwischenstufen bedeuteten, fand der europäische Schloßbau des Absolutismus seine zweifellos charakteristischste Ausprägungsform. Aber auch das im Festungsbau wurzelnde Schema der Vierflügelanlage wurde weiterentwickelt und für die Schloßarchitektur fruchtbar gemacht. So entstand im Zuge der von Franz I. eingeleiteten u n d von Ludwig XIII. 1624 fortgeführten Erneuerung des Louvre ein vergrößerter, einheitlicher Hof, den vier mächtige Flügel einfassen. In der kastellartigen Geschlossenheit des Außenbaues ist die Kontinuität zu mittelalterlichen u n d frühneuzeitlichen Bauformen unübersehbar. Neu jedoch ist die „Konzentration architektonischer Möglichkeiten, die trotz künstlerischer Eigenartigkeit doch Teile eines übergeordneten Ganzen sind" (22). Die Tatsache, daß die großen Vierflügelanlagen im Schloßbau überall dort entstanden, wo das Herrschaftssystem des Absolutismus fest verankert war, zeigt, daß sich auch dieser Bautypus zur Verkörperung weitgesteckter Machtansprüche ausgezeichnet eignete (23).
Funktionswandel und Formveränderung
Fig. 1: S c h l o ß Versailles P l a n s c h e m a d e r R a u m f o l g e n a c h a Große Gesandtentreppe b „Salon de Vénus" c „Salon de Diane" oder Billardraum d „Salon de Mars" oder Konzertund Ballraum e „Salon de Mercure" oder „Chambre de Parade ou du Lit" f „Salon d'Apollon" oder „Chambre du Trône" g „Salon de la Guerre" h „Salon de l'Abondance" i „Salon d'Hercule" j Vestibül vor der Kapelle k Gardensaal
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1701
1 „Antichambre" oder „Salle du Grand Couvert" m „Salon de l'OEil-de-Boeuf" n „Chambre du Roi" (Schlafzimmer des Königs) o „Grand Cabinet" oder „Cabinet du Conseil" p „Cabinet des Termes" A Treppe der Königin B Großer Gardensaal C Gardensaal der Königin D „Antichambre" E „Grand Cabinet" F „Chambre de la Reine" G „Salon de la Paix"
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Schloß- und Gartenarchitektur
In Z u s a m m e n h a n g mit d e m Bautypus der Vierflügelanlage m u ß auch der u n t e r anderem in Wien verwirklichte Gedanke, weit auseinanderliegende Bauten durch T r a k t e , Galerien und Mauern zu einem geschlossenen Hofsystem zusammenzufassen, gesehen w e r d e n . Um die Mitte des 17. J a h r h u n d e r t s bestand der kaiserliche Palast in Wien aus drei festungsartigen Vierflügelbauten - Schweizerhof, Stallburg u n d Amalienburg -, zwischen denen es noch keine V e r b i n d u n g gab. Der von 1660 bis 1666 errichtete Leopoldinische T r a k t f a ß t e Schweizerhof und Amalienburg zu einem m o n u m e n t a l e n , gleichgewichtigen Komplex z u s a m m e n (24). D a m i t trat die Bautätigkeit u n t e r Leopold I. in eine neue Phase (25). Die Gestaltung des Neubaus, der seit dem 19. J a h r h u n d e r t als „Leopoldinische Burg" bezeichnet wurde, war den n e u e n A n f o r d e r u n g e n , die an ein fürstliches Schloß gestellt w u r d e n , angepaßt. Der Bau erreichte - vor der d u r c h einen Brand n o t w e n d i g gewordenen Wiederherstellung u n d E r n e u e r u n g - die gewaltige Länge von 4 4 Fensterachsen (26). Die gegen die Vorstadt gerichtete F r o n t des Gebäudes zeigte eine reich gegliederte Fassade, bei der die dekorative K o m p o n e n t e eine zentrale Bedeutung erhielt (Abb. 2). Nach den Siegen über die Türken n a c h 1683 blieben zwar die S t a d t m a u e r n Wiens weiterhin erhalten, die Stadt aber war seit damals o f f e n u n d bot die Möglichkeit zu einem „ s u b u r b a n e n " Vorstadtpalastbau. Die bisherigen Paläste waren Blockbauten mit Innenh ö f e n u n d zeigten ein geschlossenenes Äußeres. Das neue Palais ist ein grundsätzlich freistehendes Gebäude, das einen auf sich bezogenen Freiraum verlangt. Der davor liegende Raum - Hof beziehungsweise Garten - wird in die Anlage einbezogen. Dieser A u ß e n r a u m wird achsial gegliedert; als F i x p u n k t wird ein Belvedere gegenüber der Gartenfassade des Palais angelegt (Abb. 5) (27).
4.2. Das Schloß als Ort repräsentativer
Öffentlichkeit
J ü r g e n Habermas h a t gezeigt, daß der für bürgerliche Gesellschaften seit dem späten 18. J a h r h u n d e r t charakteristische Gegensatz zwischen offentlicher u n d privater Sphäre nicht in das ancien regime projiziert werden darf (28). Die Hofgesellschaft des 17. J a h r h u n derts kannte noch keinen anhand institutioneller Kriterien nachweisbaren Bereich der Öffentlichkeit. Fürst u n d Landstände waren
Repräsentative Öffentlichkeit
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nicht A b g e o r d n e t e des V o l k e s oder Vertreter eines transpersonal gedachten S t a a t e s , sie „ w a r e n " das L a n d u n d stellten ihre Herrschaft „ v o r " einem V o l k dar, dem nur kritiklose Z u s t i m m u n g gestattet war ( 2 9 ) . Diese „ r e p r ä s e n t a t i v e Ö f f e n t l i c h k e i t " war keine S p h ä r e politischer K o m m u n i k a t i o n auf der Basis argumentativer Kritik; sie war vielmehr eine A r t S t a t u s m e r k m a l des Fürsten u n d der F e u d a l h e r r e n . S o definiert J u l i u s Bernhard von R o h r den Unterschied zwischen der „ S t a a t s - C e r e m o n i e l - " u n d der „Privat-Cerem o n i e l - W i s s e n s c h a f f t " : , J e n e gibet soviel als möglich allgemeine L e h r s ä t z e , in A n s e h u n g der Handlungen, die unter großen Herren vorfallen, diese aber reguliert die Handlungen der P r i v a t p e r s o n e n " (30). Daraus erhellt, daß im Horizont höfischer Menschen
alle,
selbst die intimsten Verrichtungen hoher S t a n d e s p e r s o n e n , in die S p h ä r e der Ö f f e n t l i c h k e i t , das heißt zeremonieller Darstellung, gerückt waren ( 3 1 ) . Die p e r m a n e n t e Selbstdarstellung b a n d den H o f adeligen an einen strengen V e r h a l t e n s k o d e x . E r beherrschte G e s t i k , Mimik
und
Rhetorik
in
Vollendung;
Insignien u n d
Kleidung,
A l l o n g e p e r ü c k e , hohe A b s ä t z e u n d ein prächtiges Gepränge sicherten seinen R a n g gegenüber d e m adeligen K o n k u r r e n t e n um Prestigechancen
u n d garantierten ihm bei den Untertanen
Autorität.
Hatte der mittelalterliche F e u d a l h e r r noch die eigene Grundherrs c h a f t repräsentiert, diente der H o f a d e l der R e p r ä s e n t a t i o n des absoluten Monarchen (32). Mit diesem spezifischen T y p der Ö f f e n t lichkeit m u ß m a n vertraut sein, wenn m a n S c h l o ß b a u t e n des A b s o lutismus d e u t e n will. D a s Schloß war Wohn- u n d Regierungssitz des K ö n i g s ( 3 3 ) . Die Einbeziehung der Verwaltungs- und Regierungsstellen in die Wohnung des Herrschers b e d i n g t e ein beträchtliches A n w a c h s e n des R a u m b e d a r f e s (34). In Versailles waren im J a h r 1 7 4 4 - die Dieners c h a f t mit eingerechnet - 1 0 . 0 0 0 Menschen untergebracht ( 3 5 ) ; unter Karl V I . b e f a n d e n sich a n n o 1 7 3 0 über 2 0 0 0 Personen im H o f dienst ( 3 6 ) , die ebenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil in der kaiserlichen B u r g u n t e r g e b r a c h t werden m u ß t e n . Die Identifizierung des S t a a t e s mit der Person des Fürsten erklärt hinlänglich, daß H o f - u n d Regierungsämter im 1 7 . J a h r h u n dert n o c h häufig in Personalunion bekleidet w u r d e n : S t a a t s d i e n s t war Dienst a m Fürsten, gleich o b er bei der T a f e l , beim Lever o d e r in einem R a t s k o l l e g i u m geleistet wurde ( 3 7 ) . Bei der völligen Verm e n g u n g von Haus- u n d Staatsangelegenheiten waren d e m e n t s p r e -
90
Schloß- und Gartenarchitektur
chend auch die Grenzen zwischen Staatsbesitz und Privateigentum des Herrschers lange nicht zu ziehen (38). Die für uns vorerst fast unvorstellbare Verschmelzung von Funktionen, die der Herrscher als Hausherr, mit solchen, die er als Staatsoberhaupt innehatte, macht die Feierlichkeit verständlich, mit der die profanen Verrichtungen des täglichen Lebens vollzogen wurden (39). Mittelzimmer des ersten Stockes von Versailles war das Schlafzimmer des Königs. Es war Schauplatz des „Lever", bei dem unter Anwesenheit des Hofadels das Aufstehen und Ankleiden des Königs als Staatsakt zelebriert wurde (40). Das Bett stand auf einem Podest (Abb. 18), davor waren Balustraden angebracht, die die Zuschauer dieses „Theat r u m s " auf Distanz hielten (41). Das Vorrecht einer Teilnahme am Lever war rangmäßig genau abgestuft (42). Sechs verschiedene Personengruppen durften nacheinander eintreten. Durch flexible Handhabung erhielt sich der König jedoch einen Spielraum, innerhalb dessen er durch Überschreitung dieser Regelung Gunst- und Mißgunstbeweise austeilen konnte. Damit hielt er die Machtbalance zwischen den Höflingen labil (43). Die so o f t beschriebenen Zeremonien im Schlafzimmer Ludwigs XIV. sind kein Kuriosum; sie sind paradigmatisch für die Stellung des Herrschers im Absolutismus. So speiste Karl VI. regelmäßig viermal im J a h r öffentlich im Rittersaal der Burg (Fig. 3; Abb. 10) (44). Der Tisch stand auf einer Estrade unter einem Thronhimmel. Hartschiere und Trabanten hielten Ehrenwache. Inhaber hoher Hofämter trugen die Speisen auf, kredenzten kniend die Becher und präsentierten nach der Tafel das Waschwasser. Bevor ein Teller zum Kaiser gelangte, wanderte er durch vierundzwanzig Hände (45). Über den zugelassenen Personenkreis sagt Julius Bernhard von Rohr: „ . . . wenn offene Tafel gehalten wird, ist jedermann vergönnt, in das Tafelzimmer zu treten; jedoch müssen sie in sauberer u n d reinlicher Kleidung erscheinen Es werden auch diejenigen, so kränklich u n d ungesund aussehen, um der Herrschaft bei der Tafel durch deren üblen Anblick den Appetit zum Essen nicht zu verderben, zurückgehalten." (46). Bei der Durchsicht von Grundrissen barocker Schlösser und Palais findet man fast immer die „chambre de parade" (Fig. 2) (47). Dieser Raum ist Symbol der öffentlichen Stellung, die hohe Standespersonen des ancien regime einnahmen, auch wenn sie kein Amt bekleideten (48). Hier wurden die Angelegenheiten des höfischen
Repräsentative Öffentlichkeit
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Fig. 2: Schloß Schönbrunn (Hauptgeschoß) vor dem Umbau durch Pacassi 1 „Grand escalier et pente pour l'entrée des carosses" 2 „Escalier pour sa Maj. l'Imperatrice" 3 Großes Vestibül 4 Saal 5 „Chambre de parade" 6 „Salle à manger" (auch kleiner Saal oder Spiegelsaal) 7 „Chambre à coucher" 8 Kammerkapelle
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Schloßkapelle „Antichambre" „Grand Retirade" Retirade „Apartemens pour les Princes étrangers" „Cabinet" Stallungen „Remise des carosses" „Offices et quartiers des officiers" Brunnen
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Schloß- und Gartenarchitektur
Lebens behandelt, die den Hofadeligen mit Standesgenossen zusamm e n b r a c h t e n , die nicht seinem engeren Verkehrskreis angehörten. Hier empfing er als Repräsentant des Hauses seine Besucher. Die ständige Konkurrenz u m Prestigechancen zwang den Hausherrn, den eigenen Rang in entsprechender Weise darzustellen u n d mit jeder Nuance des eigenen Verhaltens den Rangunterschied zum Gast auszudrücken. Das gab dem Besuch im Leben der höfischen Menschen eine Bedeutung, wie sie in berufsbürgerlichen Gesellschaften nur geschäftliche Z u s a m m e n k ü n f t e h a b e n . I m bürgerlichen 19. J a h r h u n d e r t h a t t e die höfische Repräsentation ihre suggestive Kraft fast völlig verloren; ihre Bedeutung als wesentlicher Faktor der Herrschaftslegitimierung war obsolet gew o r d e n . Gemäß der neuen T r e n n u n g von Haus- u n d Staatsinteressen war der Fürst nun „Diener" u n d Vertreter des transpersonalen Staates (49). Mit dem Wandel der Position des Monarchen war ein Funktionsverlust der fürstlichen Behausung v e r b u n d e n . Der Verwaltungsapparat wurde in eigenen Ministerien u n d Ämtern untergebracht u n d auch der eigentliche H o f s t a a t stark eingeschränkt. D a m i t gewannen die Schlösser immer m e h r den Charakter eines privaten Refugiums, das nicht zuletzt Bequemlichkeit u n d K o m f o r t bieten m u ß t e (50).
4.3. Das Schloß, ,,Theatrum"
der
Selbstdarstellung
In dem Kapitel, das „von den Manieren bei den Gebärden u n d Stellungen des Leibes" handelt, schreibt Julius Bernhard von R o h r über einen jungen Höfling: „ H a t er n u n das Glück, nach seinem äußerlichen Wesen zu gefallen, so wird er ungemein erhoben u n d vor einen feinen, manierlichen, angenehmen u n d artigen Menschen angesehen, der ein recht galant h o m m e sei u n d w o h l zu leben wisse; wo aber nicht, so achtet man ihn, ob er schon im übrigen noch so weise u n d tugendhaft wäre, vor einen schlechten Menschen, vor einen Schulfuchs und ich weiß selbst nicht vor w a s " (51). Dieser Primat des Ä u ß e r e n zwang den Hofadeligen zu einer genauen Kontrolle seines Verhaltens. Form u n d Inhalt seiner Rede waren weitgehend vorgegeben (52). Der Rang des Gesprächspartners bestimmte den Verlauf der Unterhaltung u n d den Grad der Höflichkeiten, die ausgetauscht wurden. Das bewirkte eine starke R e d u k t i o n der
Schauplatz der Selbstdarstellung
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S p o n t a n e i t ä t bei Hof (53). Diese spezifischen Zwänge m a c h t e n das Leben des h ö f i s c h e n Menschen zu dem eines Schauspielers, der seine Rolle nie ablegt. T e x t u n d Choreographie dieses „ T h e a t r u m s " lieferte das H o f z e r e m o n i e l l ; ewiger Protagonist, aber auch Spielleiter, der s t e u e r n d eingreifen kann, war der Herrscher (54). Dieses p e r m a n e n t e „ S p i e l " f o r d e r t e v o n der ö r t l i c h k e i t , in der es s t a t t f a n d , ähnliche räumliche V o r a u s s e t z u n g e n , wie sie ein Theater b i e t e t . B e z e i c h n e n d dafür ist, daß häufig derselbe Künstler m i t den A u f g a b e n eines Festregisseurs, Bühnenbildners u n d Architekten b e t r a u t w u r d e (55). Giovanni u n d Ludovico Burnacini h a b e n am Wiener Hof n i c h t n u r die großen Feste u n d P r u n k o p e r n inszeniert, sie haben hier auch als Baumeister gewirkt ( 5 6 ) . J o h a n n Bernh a r d Fischer von Erlach, der u n t e r J o s e p h I. u n d Karl VI. Hofarc h i t e k t war, h a t auch F e u e r w e r k e konzipiert u n d die T r i u m p h b ö gen anläßlich der festlichen Einzüge J o s e p h s I. in Wien - in den J a h ren 1 6 9 0 u n d 1 6 9 9 - e n t w o r f e n (57). Der Künstler am Hof eines absolutistischen Fürsten h a t t e - gleich, o b er Schloß-, Theater-, G a r t e n a r c h i t e k t o d e r Festregisseur war - die zentrale A u f g a b e , den R a h m e n für die zeremonielle Selbstdarstellung des Herrschers zu s c h a f f e n (58). Diese F o r d e r u n g ließ m i t dem Schloß einen Gebäud e t y p e n t s t e h e n , dessen wesentlichste F u n k t i o n weder das Wohnen n o c h das W i r t s c h a f t e n war, s o n d e r n das Fest als D e m o n s t r a t i o n s m i t t e l fürstlicher G r a n d e u r (59). Diesem zentralen Z w e c k w u r d e n im E i n f l u ß b e r e i c h des Wiener H o f e s - die R ä u m e im M i t t e l p u n k t des Hauses zugewiesen (60). Die Valenz, die der Besuch im Leben der Hofgesellschaft h a t t e , m a c h t e A n k u n f t u n d E m p f a n g von Gästen zu einem p r u n k v o l l e n Schauspiel (Abb. 9) (61). Der Ehrenhof u n d ein Portal, das den H a u p t a k z e n t der Fassade trug, verwiesen durch eine Vielzahl allegorischer Anspielungen auf die Tugenden u n d den R a n g des fürstlichen Gastgebers (Abb. 11) (62). Vestibül u n d T r e p p e n h a u s waren die Kulissen, vor denen m a n sich das Spalier der livrierten u n d unlivrierten D i e n e r s c h a f t u n d die feierliche Begrüßung der Gäste d e n k e n m u ß ( A b b . 12) (63). Über die Anlage mächtiger Stiegenhäuser im Mittelteil fürstlicher S c h l o ß b a u t e n schreibt Moser in seinem „ T e u t s c h e n H o f - R e c h t " : „Die T r e p p e n dienen . . . nach A b s c h a f f u n g der beschwerlichen Wendel- wie auch anderer u n b e q u e m e n T r e p p e n nicht nur zur V e r g r ö ß e r u n g der P r a c h t . . . s o n d e r n sie h a b e n auch n i c h t geringen E i n f l u ß in das Zeremoniell bei Hof ü b e r h a u p t u n d gegen F r e m d e i n s b e s o n d e r e " (64).
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Schloß- und Gartenarchitektur
Aus dem Stiegenhaus gelangt man in das Herz des Gebäudes, in den großen Saal, der häufig Tiefe und Breite zweier Stockwerke einnimmt (65). Nicht einmal die gewaltigen Dimensionen dieser mit Marmor, vergoldetem Stuck u n d plastischem Dekor reich ausgestatteten Räume reichten aus, um die Größe des Herrschers und zugleich den Abstand zwischen ihm u n d der Hofgesellschaft auszudrücken. Mit den Mitteln der Illusion wurde der Raum über seine tatsächlichen Ausmaße nach allen Seiten hin erweitert. Die Technik der Bühnenperspektive, die dem Zuschauer den Eindruck unendlicher Raumtiefe vermitteln will, wurde hier für den Schloßbau fruchtbar gemacht. Die gebaute Architektur des Festsaals wurde durch eine gemalte Architekturzone fortgesetzt, die eine scheinbare Ö f f n u n g des Raumes zum Himmel vortäuscht (Abb. 8, 13) (66). Mit dem Deckenfresko entstand ein neues Forum der Glorifizierung des Fürsten (67): Daniel Grans Deckengemälde der Hofbibliothek feiert Kaiser Karl VI. in groß angelegtem allegorischen Programm als „Hercules musarum" (68); im Stiegenhaus des Kaisertraktes des Stiftes Göttweig wird Karl VI. in dem Gemälde Paul Trogers als Gott Apoll verherrlicht (Abb. 15); das große Deckenbild im ehemaligen Speisesaal von Schloß Schönbrunn zeigt J o s e p h I. als Lichtgott, siegend über die Mächte der Finsternis (69); die Festsäle der beiden Belvedereschlösser sind mit Fresken bekrönt, die den Prinzen Eugen als Türkensieger u n d Kunstmäzen zeigen (70). Auch in der horizontalen Dimension wurde der Festsaal erweitert: Auf beiden Seiten strahlen Zimmerfluchten aus (71); die in Fensternähe gelegenen Verbindungstüren liegen in einer Achse (72); durch Spiegel, die an den die Achse beschließenden Wänden angebracht sind, scheint sich die Reihe der Zimmer ins Unendliche fortzusetzen (73); manchmal werden die Türen zu den Enden der Achse hin jeweils u m eine Nuance verkleinert; solche u n d ähnliche perspektivische Tricks verstärken noch den Eindruck der unermeßlichen Größe des Palastes; an den Wänden gewähren gemalte Fenster, Türen und Mauernischen den scheinbaren Einblick in neue Räume (Abb. 8) (74). Die reiche Ausstattung der Schlösser und Palais täuscht häufig - ähnlich der Fest- und Bühnendekoration - die Verwendung kostbarer Materialien nur vor (75). Im Gegensatz zum Theater bietet das Schloß eine stabile Kulissenlandschaft, da ja der Inhalt - Demonstration fürstlicher Macht und Größe - immer derselbe ist.
Schauplatz der Selbstdarstellung
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Hinter den geräumigen Gemächern der adeligen Herrschaft liegt, durch unsichtbare Tapetentüren zugänglich, ein Netz schmaler Gänge u n d K a m m e r n (76). Diesen Räumlichkeiten kam eine ähnliche F u n k t i o n zu wie dem Platz hinter den Kulissen auf der b a r o c k e n Bühne. Von hier aus gewährleistete ein Heer von Lakaien u n d D i e n s t b o t e n die Kontinuität des täglichen „Repräsentationsspiels" der Hofgesellschaft (77). Der Charakter des Schlosses als Schauplatz fürstlicher Selbstdarstellung ließ die Prestige- klar vor die N u t z f u n k t i o n treten. Dieser Primat galt für alle Architektur, die im A u f t r a g absolutistischer Fürsten geschaffen wurde. So b e s t i m m t e n bei der Planung des Hofbibliotheksgebäudes nicht von den Aufgaben u n d F u n k t i o n e n einer Büchersammlung diktierte Sachzwänge die Arbeit J o h a n n Bernhard Fischer von Erlachs, sondern vielmehr die Notwendigkeit, einen Tempel der Wissenschaften, eine m o n u mentale Stätte der Verherrlichung für Kaiser Karl VI. zu schaffen (78). Die für die notwendigen häuslichen Verrichtungen bestimmten R ä u m e (Küche, V o r r a t s k a m m e r n , diverse Depots usw.) w u r d e n im absolutistischen Schloßbau deutlich von den repräsentativen Herrschaftszimmern abgesondert. Die zahlreichen T r i u m p h p f o r t e n (Abb. 14) u n d Trauergerüste, der erste Entwurf für Schloß S c h ö n b r u n n (Abb. 9), die Karlskirche (Abb. 17) u n d die H o f b i b l i o t h e k wurden zum Schauplatz der Allegorien u n d Traditionen, der M y t h e n , S y m b o l e u n d Stile, die in selt e n e m Gleichklang u n d in feierlicher M o n o t o n i e immer wieder die lapidaren Rühmungen verkündeten: ein gewaltiges „ T h e a t r u m arc h i t e c t u r a e " , das einen ganzen architektonischen „ K o s m o s " präsentiert (79).
4.4.
Herrschaftsarchitektur
Gestaltung u n d Ausstattung der S c h l o ß b a u t e n absolutistischer Fürsten waren Ausdruck einer in allen ihren Äußerungen hierarchisch gegliederten Gesellschaft. Die Gestaltung des E h r e n h o f e s u n d der Fassade, die Anzahl der Stockwerke des Gebäudes, die Ano r d n u n g der Zimmer u n d deren Interieur waren darauf berechnet, die komplizierte Rangordnung des Hofadels u n d sein Verhältnis z u m Herrscher zum A u s d r u c k zu bringen (80). K o m m u n i k a t i o n bei Hof diente vor allem der D e m o n s t r a t i o n von Rangunterschieden,
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Schloß- und Gartenarchitektur
beziehungsweise dem Kampf um den Vorrang. Der Fürst hatte die Möglichkeit, durch Bevorzugung und Benachteiligung diese Auseinandersetzung entscheidend zu beeinflussen. Die Vergabe von Prestigechancen begann bereits bei der A n k u n f t bei Hof. Der Obersthofmarschall Graf Windischgrätz ließ 1693 eine kaiserliche Verordnung anschlagen, die das Vorrecht, mit der Karosse in den inneren Schloßhof zu fahren, rangmäßig genau festlegte (81). Erschien ein Höfling oder ein adeliger Gast beim Fürsten in Audienz, führte ihn der Weg - gleich, ob er in der „chambre de parade", der Retirade oder im Schlafzimmer empfangen wurde - durch ein oder mehrere Antichambres (Fig. 1, 2, 3). Dieser Raum, die Antichambre, ist Musterbeispiel für den hierarchischen Charakter der Hofgesellschaft des ancien regime (82). Hier warteten die Diener auf Befehle der Herrschaft; hier hielten sich die adeligen Standespersonen auf. Es war rangmäßig abgestuft, in welchem der in einer Reihe vor der kaiserlichen Retirade liegenden Vorzimmer (Fig. 3) sich jeder einzelne aufhalten durfte (83). Die Rangliste derer, für die die Ratsstube bestimmt war, reichte von den Botschaftern gekrönter Häupter über die Kur- und regierenden Reichsfürsten bis zum „Leibmedicus"; in die große oder zweite Antichambre durften unter anderem die Grafen, die Freiherren, die Prälaten, die Domherren usw.; in die erste oder kleine Antichambre gehörten die Kavaliere der Botschafter und Kardinäle, die kaiserlichen Edelknaben usw.; der Aufenthalt in der Ritterstube schließlich war folgenden Personen gestattet: „1. Alle der Botschaftere, Gesandten, Geheimden Räten und Minister, Offiziers und Pagen, mit Ausschließung aller Lakaien. 2. Alle geringere Adels-Personen. 3. Alle Doctores und sonst nobilierte Personen. 4 . An Fest- und Feiertägen publiken Funktionen oder, wann es sonst der Dienst erfordert, die kaiserliche Hartschier und Trabanten" (84). In der Nähe der kaiserlichen Retirade durften sich die höchsten Würdenträger u n d Günstlinge aufhalten; zugleich waren diese Zimmer auch kostbarer ausgestattet: , J e näher die Vorgemächer den herrschaftlichen Gemächern kommen, je mehr nehmen die Meublen an Kostbarkeit z u " (85). Die Anzahl der Schritte, die der Herrscher dem Gast entgegenging (86), die Weise, in der er ihn begrüßte u n d verabschiedete (87), die Art der Sitzgelegenheit, die er ihm zuwies - Kanapees, Lehnstühle mit und ohne Armlehnen, kleine Stühle ohne Rückenlehne
GROSSE STIEGE
97 TRABANTEN WACHTET ÜBE
2 ANTIK AMMER
AUDIENZ ZIMMER
SPIEGEL ZIMMER
KABINETT
KAMMER
KABINETT
1 1
RETIRAOE
h —
GROSSE
ODER 2 ANTIKAMMER
_ L KLEINE ODER 1 ANTIKAMMER
T
HARTSCHlEft - KAMMERHERREN ODER TRABANTEN- OIENSTZIMMER WACHTSTUBt
Fig. 3: Planschema der Zeremonial- und Wohnräume des Herrscherpaares im 1. Stock des Schweizerund Leopoldinischen Traktes zu Beginn der Regierung Maria Theresias
98
Schloß- und Gartenarchitektur
(88) - , all das wurde zu wichtigen Anzeigern des Ranges, den eine Person bei Hof hatte (89). Nicht nur die Anordnung der Zimmer, auch die Zweckbestimmung des Schlosses im Vertikalen war rangbedingt: Im Erdgeschoß befand sich Küche, Konditorei, Silber-, Licht- u n d Speisekammer, Hofapotheke usw. (90). Die große Treppe mündete in das erste Stockwerk. Dieses Geschoß war das „piano nobile"; hier lagen die Appartements der Herrschaft (91). Im zweiten Stockwerk wohnten die bei Hof logierenden adeligen Gäste. Unter dem Dach war die Dienerschaft untergebracht (92). Wie gezeigt werden konnte, war ein wichtiger Faktor der höfischen Rationalität die Ausschaltung kritischer Vernunft. Entfaltung von Kritik setzt eine Gesprächssituation voraus, die durch relative Ranggleichheit der Gesprächspartner, zumindest aber durch den momentanen Verzicht auf Honorierung des eigenen Ranges zugunsten der besseren Argumentation gekennzeichnet ist. Gerade die räumlichen Voraussetzungen für eine egalitäre Diskussionsatmosphäre fehlten in den Schlössern, Palais u n d Gärten des Absolutismus vollkommen. Das räumliche Ambiente der sozialen Gruppe „ H o f " sollte vielmehr eine Verfestigung der hierarchischen Kommunikationsstruktur bewirken. Diese Architektur bildete den adäquaten Rahmen für eine Gemeinschaft von Menschen, deren soziale Existenz davon abhing, in jedem kommunikativen Akt ihren Rang zu repräsentieren und zugleich die - positive oder negative Sanktionierung des Herrschers oder der Standesgenossen zu erhalten. Der Unerreichbarkeit des Herrschers an der Spitze der Hierarchie der Hofgesellschaft entsprach die Unfehlbarkeit seines Urteils, das über Aufstieg oder Fall eines Höflings entschied (93). Diese Situation hat Elias in einem Vergleich mit der Börse charakterisiert: Bei Hof wird nicht der Wert von Geschäftshäusern in der Meinung von Geldanlegern notiert, sondern der Wert der interagierenden Höflinge in der Meinung der zum Hof gehörigen Personen. Gliederung u n d Ausstattung der Schlösser u n d Gärten m u ß t e n dementsprechend eine Fülle von Möglichkeiten bieten, den aktuellen Wert eines Menschen im Verhältnis zum jeweiligen Wert seines Standesgenossen zum Ausdruck zu bringen (94).
Emanzipation der Frau in der Hofgesellschaft 4.5.
Zum architektonischen Ausdruck Frau in der Hofgesellschaft
99
der Stellung von Mann und
In der berufsbürgerlichen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts fand die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte einen Ausdruck in der Formierung u n d im Begriff der „Familie" zur Bezeichnung der legitimen Beziehung zwischen Mann u n d Frau. In der Hofgesellschaft des ancien regime wurde diese Beziehung mit dem Begriff des „Hauses" umschrieben. Sprach man von der „Casa d ' Austria", so bedeutete das Einheit u n d Kontinuität der herrschenden Dynastie; aber auch jeder Adelige sprach von seinem Haus u n d meinte damit das über Generationen reichende Ansehen seines Geschlechtes (95). Der unerbittliche Zwang zu ranggemäßem Auftreten bestimmte die Qualität der Ehe in der Hofgesellschaft. Der Adelige mußte bei einer Verehelichung in erster Linie daran denken, das Prestige seines Hauses zu wahren oder zu vergrößern. Dementsprechend wurden Mann u n d Frau von der Gesellschaft fast ausschließlich in ihrer Rolle als Repräsentanten ihres Hauses kontrolliert (96). Charakteristisch für das sachliche Wesen dieses Ehetyps war die getrennte Anlage der Appartements des Herrn u n d der Dame des Hauses (97). Die räumliche Distanzierung ermöglichte den Ehegatten gesellschaftliche Kontakte zu Standesgenossen, die unterschiedlichen Zirkeln angehören konnten. Die Umwandlung des kriegerischen Feudaladels in einen dekorativen Hofadel führte zu einer weitgehenden Annäherung der Rollen von Mann und Frau in der Hofgesellschaft. Die Frauen übten Hofämter aus u n d waren Inhaberinnen von Ehrenämtern. Hochadelige Damen geboten wie ihre männlichen Standesgenossen über einen Hofstaat (98). Diese neue Gleichberechtigung der Frau in der Hofgesellschaft ließ sie selbst an Bereichen teilhaben, die einst Hochburgen männlicher Betätigung gewesen waren. Der inhaltliche Wandel des Turniers liefert ein anschauliches Beispiel für diese Entwicklung. Hatte im Mittelalter der Ausgang der kämpferischen Auseinandersetzung im Turnier seinen Niederschlag in der höfischen Rangordnung gefunden, so stand nun von vornherein der vornehmste Teilnehmer als Sieger fest. Diese Veränderungen ließen das Turnier zu einer Veranstaltung werden, die große Ähnlichkeit mit einem Ballett hatte (99). Das Publikum eines mittelalterlichen Turniers wurde durch die Ungewißheit über den Ausgang des Kampfes in
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Schloß- und Gartenarchitektur
S p a n n u n g versetzt; an den Spielen des A b s o l u t i s m u s fesselten dagegen vor allem die prunkvolle A u s s t a t t u n g u n d die i m m e r n e u e n Einfälle der Theatralingenieure, Festarrangeure u n d C h o r e o g r a p h e n . Die Wandlung vom K a m p f - zum Schauspiel m a c h t e die Frau zu einer gleichberechtigten A k t e u r i n ; o b es R o ß b a l l e t t e , Schlittenfahrt e n , „Ringel- oder K o p f s t e c h e n " ( 1 0 0 ) , o b es J a g d e n , das Billardo d e r das Bowlingspiel waren, die H o f d a m e n n a h m e n aktiv daran teil. Die E m a n z i p a t i o n der adeligen F r a u , die in das R e p r ä s e n t a tionsspiel der Hofgesellschaft voll integriert war, f a n d ihren Ausd r u c k a u c h darin, daß ihr A p p a r t e m e n t fast völlig gleich a u f g e b a u t w a r wie das ihres Mannes (101). Die D a m e n h a t t e n ihre eigenen A u d i e n z - u n d Paradezimmer u n d d a v o r eine Anzahl von A n t i c h a m bres, d e r e n Zahl von ihrem Rang abhing. Da es in der Hofgesells c h a f t des Absolutismus keine geschlechtsspezifischen Betätigungsf e l d e r gab, f e h l t e n hier auch R ä u m l i c h k e i t e n , die ausschließlich M ä n n e r n oder Frauen v o r b e h a l t e n w a r e n . Die N a m e n d e r Z i m m e r w a r e n d e m e n t s p r e c h e n d unverbindlich u n d r i c h t e t e n sich weit eher n a c h E l e m e n t e n der A u s s t a t t u n g als n a c h der F u n k t i o n des Raum e s ( 1 0 2 ) ; es gab zum Beispiel einen „gemalten S a a l " , nach den F r e s k e n b e n a n n t , die sich hier b e f a n d e n , einen r o t e n o d e r blauen Saal n a c h der Farbe der T a p e t e n o d e r Tapisserien, einen Marmorsaal, einen Spiegelsaal, einen Jagdsaal n a c h dem T h e m a d e r Gemälde, die in die Vertäfelung eingelassen w a r e n , oder ein K u r f ü r s t e n z i m m e r nach dem Repräsentationsbild eines K u r f ü r s t e n , das sich dort befand. In allen Gesellschaftsformen u n d -schichten, in d e n e n die Frau o d e r der Herr des Hauses ein Interesse daran h a t , die D i e n e r s c h a f t selbst zu überwachen, liegen die Bedienungsräume n a h e bei den H e r r s c h a f t s r ä u m e n (103). Die A b s o n d e r u n g der Küche, der Vorr a t s k a m m e r n u n d anderer N u t z r ä u m e in einem N e b e n t r a k t o d e r ein anderes Geschoß des Gebäudes war ein klares Indiz dafür, daß die H e r r s c h a f t an den Verrichtungen h i n t e r d e n Kulissen n u r wenig Anteil n a h m . Das beleuchtet einen wichtigen A s p e k t der Rolle der adeligen Frau im Absolutismus: Die h ö f i s c h e D a m e war keine Hausf r a u ; auf dem Feld der R e p r ä s e n t a t i o n j e d o c h k o n n t e sie mit dem M a n n d u r c h a u s konkurrieren (104).
Das Schloß als Kultstätte 4.6. Schloß- und
101
Sakralarchitektur
Die permanente Selbstdarstellung und Verherrlichung des Fürsten bedeutete im Horizont der höfischen Gesellschaft weit mehr als geistreiche Unterhaltung (105). Die Könige des ancien regime waren zur Herrschaft nicht durch das Votum des Volkes, sondern direkt von G o t t berufen. Auserwählt durch Geburt und Salbung, übten sie ihre Macht „Dei gratia" aus, als sichtbare Stellvertreter Gottes. Da der Fürst den Staat nicht nur regierte, ihn vielmehr auch verkörperte und vollzog, war das Königreich durch ihn mit Gott verbunden (106). Diese mystische Verleiblichung des Staates in der Person des Herrschers, verbunden mit der Idee einer ausschließlich transzendenten Sanktion war nur symbolisch ausdrückbar und wurde so zu einem Inhalt kultischen Vollzugs (107). Zwar bedeutete das Gottesgnadentum schon immer eine sakrale Fundierung der Herrschaft, im Absolutismus hatte es jedoch seinen ursprünglichen Inhalt - als Ausdruck der Demut - fast gänzlich verloren und war zu einer grenzenlosen Überhöhung geworden, durch die der Fürst nur Gott gegenüber verantwortlich war (108). Seit der Aufklärung bildete sich ein immer stärkerer Unterschied in den Denk- und Handlungsformen zwischen der sakralen u n d der profanen Sphäre heraus. Die für uns gängigen Zuordnungspaare Zweckrationalität: weltlicher Bereich; Irrationalität: geisdicher Bereich - lassen sich nicht in die höfische Gesellschaft des ancien regime übertragen. Vielmehr existierten hier, wie Sedlmayr zu Recht betont hat, zwei sakrale Sphären: eine imperiale und eine kirchliche (109). Die Ähnlichkeit der zentralen Inhalte - hier die Verehrung Gottes, dort die des „Divino", des göttlichen Menschen führte zu einer bemerkenswerten Annäherung und gegenseitigen Befruchtung der Ausdrucksformen der beiden Bereiche. Kaiser und Kirche bauten gleichermaßen auf die suggestive Kraft des repräsentativen Aufwands. So bestand zwischen Liturgie und Zeremoniell eine deutliche Analogie. Dem Kaiser gebührte die spanische Reverenz - eine Kniebeuge - auch wenn nur sein Name genannt wurde (110). Man näherte sich ihm nur entblößten Hauptes, wendete ihm nie den Rücken zu; das Audienzzimmer verließ man, das Gesicht dem Kaiser zugewendet, rückwärtsgehend mit dreimaliger Kniebeuge. Die Bedienung des Kaisers, vor allem bei den persönlichen Verrichtungen des An- und Auskleidens, des Speisens usw., erhob den
102
Schloß- und Gartenarchitektur
Hofmann - wie der Gottesdienst die Priester und Ministranten -, denn der Glanz der Göttlichkeit des Herrschers überstrahlte den ganzen Hofstaat. In der architektonischen Annäherung von Schloß- und Sakralbauten dokumentiert sich die Verschränkung der beiden Sphären am sinnfälligsten (111). Bei der bloßen Übernahme von baulichen Motiven wurde jedoch nicht haltgemacht. Vielmehr bewirkte die skizzierte Interpretation des Gottesgnadentums eine Belebung des mittelalterlichen Gedankens, Residenz und Kloster zu verbinden (112). Dabei stand die Absicht des Kaisers im Vordergrund, am Machtprestige der Kirche zu partizipieren. Gottesdienst und Gotdeshaus sollten zu einem guten Teil immer auch der Verherrlichung des Kaisers und seiner Dynastie dienen. Damit erhielt die gewaltige, letztlich aber doch lokal begrenzte Wirkung des Hofes die bezweckte Multiplikation. Wenn Karl VI. auf die Kuppeln Klosterneuburgs seine Kronen setzen ließ (Abb. 16), wenn die beiden Säulen der Karlskirche (Abb. 17) seine Devise „Constantia et fortitudo" aussprachen und zugleich seinen Anspruch auf die Herrschaft in Spanien bekundeten (113), wenn der Kaiser sich schließlich im Kaisertrakt des Stiftes Göttweig als mythologische Gottheit darstellen ließ (Abb. 15), sind das sichtbare Hinweise dafür, daß der Kaiser der irdische Stellvertreter Gottes war und als solcher unumschränkte Autorität besaß. Die Ähnlichkeit der zentralen Interaktionsformen von Hof und Kirche (Zeremoniell und Liturgie) (114) führte zu vielen Parallelen in der Innenraumgestaltung. Durch Balustraden oder estradenartige Erhöhungen wurden die Räume des Herrschers - wie die Hallen der Gotteshäuser - zweigeteilt (115). Hier ist mit Thron oder Paradebett (116) der Platz für den Herrscher und die diensthabenden Hofchargen - in der Kirche für den Altar mit dem Allerheiligsten und die zelebrierende Geistlichkeit -, dort der Raum für die Hofgesellschaft - für die andächtige Gemeinde im Gotteshaus. So müßte etwa Paul Deckers Entwurf für ein fürstliches Schlafzimmer (Abb. 18) nur geringfügig verändert werden, um den Apsisraum einer barocken Kirche darzustellen. Die Übernahme des Deckengemäldes zur Ausstattung absolutistischer Schloßbauten ist ein weiterer eindrucksvoller Beweis dieser Annäherung. Es wurde zu zeigen versucht, daß das Schloß eines absolutistischen Fürsten Theater und zugleich Kultstätte war. Wie die Schau-
Gartenarchitektur
103
bühne verfugte es über einen Fundus an Mitteln, um die fürstliche Herrschaft möglichst wirkungsvoll darzustellen; wie in der Kirche umgab alle Handlungen ein feierlicher und weihevoller Ernst, der jede Kritik von vornherein ausschloß.
4.7.
Gartenarchitektur Seit der Industrialisierung haben sich die Begriffe Zivilisation
und Natur immer mehr zu einem Gegensatzpaar entwickelt. Heute soll der Besuch von Parks und Gärten gleich einem Ausflug in die Natur die Möglichkeit geben, in der Freizeit den Realitäten der Berufswelt zu entfliehen. Hier kann man „sich erholen", „sich gehen lassen"; hier ist die Wirksamkeit der Normen, Symbole und Konventionen unserer Gesellschaft ein wenig herabgesetzt: hier kann auf eine für Existenz und Produktivität des Systems ungefährliche Weise - Distanz gewonnen werden von einem Dasein, in dem Arbeit nicht selten Zerstörung statt Findung der Identität bedeutet. Dieses - vor allem durch die Entwicklung des modernen Kapitalismus bedingte - Verständnis von Natur als Rekreationsraum liefert keinen Ansatz zur Erklärung barocker Gartenanlagen. Wie beim Schloßbau erschließt sich auch hier ein Zugang über die Frage nach den spezifischen Bedürfnissen der Hofgesellschaft. Fürstliche Selbstdarstellung und Herrscherkult brauchten mehr Platz, als das S c h l o ß b o t ; so wurde die weitere Umgebung einbezogen, der Garten entsprechend gestaltet. Der Schlcßgarten eines absolutistischen Fürsten war keine Kopie nach der Natur, keine nachgebildete Landschaft ( 1 1 7 ) . Der Gartenarchitekt hatte vielmehr die Aufgabe, eine Ideallandschaft zu schaffen, die der Natur gegenüber genauso selbständig war wie ein Gebäude. Der Garten war das Ergebnis architektonischen Gestaltens, das auf eine Erweiterung der Räumlichkeiten des Palastes ins Freie abzielte. In der Bestrebung, einen repräsentativen Außenraum zu schaffen, der wie das S c h l o ß Gelegenheit für ein ostentatives Auftreten des Hofes bot, entstand eine aus streng gestutzten Hecken und Baumwänden geformte Naturarchitektur ( 1 1 8 ) . Wie in den Festsälen und Stiegenhäusem der Schlösser wurden in den Nischen der lebenden Wände Plastikgruppen angebracht, die Tugenden und Taten des fürstlichen Hausherrn allegorisch verherrlichten. Das Aufstellen von Steinskulpturen soll-
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Schloß- und Gartenarchitektur
te den Architekturcharakter der Gärten betonen und dadurch eine noch engere Bindung zum Gebäude herstellen (Abb. 19) (119). Bruchlos fanden so die durch mannigfaltige Architekturmalereien scheinbar geöffneten Innenräume des Schlosses ihre Fortsetzung im großen Innenraum des Gartens (120). Die luftigen Pavillons und Belvederes, die an zentralen Punkten des Gartens errichtet wurden, förderten die Integration von gebauter u n d gewachsener Architektur. Wenn - wie beim Oberen Belvedere - der große Parterresaal (Sala terrena) im Sommer tatsächlich gegen den Garten völlig offen war und im Vestibül die gestutzten kleinen Bäumchen aufgestellt wurden, dann war die Illusion einer monumentalen Festlandschaft perfekt (Abb. 7) (121). Die mit dem Mitteltrakt - in dem sich meistens der große Festsaal befindet - betont vorschwingende Gartenfassade der Schlösser verlangt die Fortsetzung ins Freie (122). Am Mittelrisalit setzt auch die Hauptachse an, die das Rückgrat jedes barocken Gartens und zugleich zentrales Element seiner Symmetrie ist (Fig. 4; A b b . 5) (123). Dem Gebäude am nächsten liegt das Blumenparterre, das aus ornamentförmig angelegten Beeten besteht (Fig. 4) (124). Hier verkündete die Natur durch Embleme, Wappen u n d Monogramme die Größe des Hausherrn. In Schönbrunn bildet der Parterregarten einen riesigen Festraum, der im Süden durch den Neptunbrunnen, im Westen und Osten durch riesige, mit Steinskulpturen geschmückte Baumwände begrenzt wird. An die Parterres schließen die Boskette - gestutzte Heckengänge mit Nischen und Kammern - an. Alleen, die einander rechtwinkelig schneiden oder von zentralen Punkten sternförmig ausstrahlen, teilen diese stilisierten Wäldchen in Kompartimente, deren Grundrisse den geometrischen Grundformen Rechteck, Dreieck, Kreis, Ellipse entsprechen (Fig. 4; Abb. 5, 19). Es entstand so als Ergänzung und Erweiterung des Schlosses eine große Zahl von Sälen und Kammern, deren Innenraumcharakter auch durch ihre Namen zum Ausdruck gebracht werden sollte. Es gab hier eine salle verte, eine salle de danse, eine salle du conseil etc. (125). Wie gezeigt werden konnte, bestand - bedingt durch die Struktur der Hofgesellschaft - eine Vielzahl von Analogien zwischen Schloß u n d Theater. Noch deutlicher als im Schloßbau fand der permanente Zwang zur Selbstdarstellung seinen Niederschlag in der Gartenkunst. Bühne und Garten beeinflußten einander wechselseitig. In
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1 Schloßhof 2 Reitschule 3 Stallungen 4 Glashäuser 5 Blumenparterre 6 Kastanienallee 7 Boskett 8 Bowling-green 9 Kaskade der Diana 10 Kaskadenteich 11 Reservoirs 12 Großer Teich 13 Küchengarten
Fig. 4 : G r u n d r i ß des S c h w a r z e n b e r g - G a r t e n s i n Wien
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Schloß- und Gartenarchitektur
Wien wählten die führenden Theatralarchitekten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mit Vorliebe die barocke Gartenlandschaft als Schauplatz der Bühnenhandlung und als Spielort (Abb. 20) (126). In Schönbrunn, in der , A l t e n Favorita" (Augarten), später in der kaiserlichen Sommerresidenz auf der Wieden - der „Neuen Favorit a " (Abb. 3) - dienten die Kreuzungen der Alleen als Festplatz u n d Bühne, bis dann in den Bosketten eigene Heckentheater geschaffen wurden (127). Dabei wurde nicht einfach die Saalbühne im Freien aufgebaut; es wurden vielmehr die Hecken zu Kulissen geschnitten, die Natur zur Dekoration reduziert (128). Wenn nicht in den Gärten selbst gespielt wurde, verlegten die Kulissen den Schauplatz der Handlung dorthin. Denn die Gartenanlagen waren der einzige passende Rahmen für diese Gesellschaft im Freien - in ihrer realen, aber auch in ihrer gewünschten Existenz auf der Bühne. Zugleich konnte sich in der zu strenger Geometrie stilisierten Natur nur die Hofgesellschaft bewegen (129). Nur sie besaß die Haltung und die Würde, die diese Gärten von den Menschen verlangten, die sich in ihnen bewegten. Die Angehörigen der Hofgesellschaft, deren Verhalten in strenge Formen gegossen war, deren A f f e k t e gezügelt waren, bedurften eines gestalteten Raumes, der die Weise ihrer Existenz bejahte u n d sie selbst hier unter das höhere monarchische Gesetz stellte (130). Wie das Verhalten der höfischen Menschen, wurde auch die Natur in feste, übersichtliche Formen gebracht, dem Willen des Monarchen unterworfen. Dadurch wurde der Aufenthalt in der Natur seiner emanzipationsfördernden Potenz beraubt; denn Aufenthalt in der freien Natur fordert immer Bewältigung, fordert durch die Existenz von Alternativen - Entscheidungsfähigkeit. Dagegen wurden in den architektonischen Gärten Individualismus u n d Entscheidungsspielraum auf ein Minimum reduziert. Die Landschaftsgärten - die mit der Aufklärung im 18. und 19. J a h r h u n d e r t immer mehr Verbreitung fanden - forderten von den Menschen, für die sie geschaffen wurden, ein viel höheres Maß an sozialer Kreativität, an Fähigkeit, auf das strenge Rangzeremoniell zu verzichten. Diese der Natur nachgeschaffenen Gärten forderten eine - vom Rang unabhängige - offenere Äußerung von Gefühlen und Überzeugungen, die nun eine größere Vielfalt von Werten zur Grundlage haben konnten. Die englischen Parks überhöhten nicht mehr das Dasein der adeligen Gesellschaft wie die architektonischen Gärten des Absolutismus. Verbunden mit einer Fülle pittoresker
Materialien und Kosten
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Bauten - römische R u i n e n , gotische Burgen, türkische Minaretts, indische Tempel, chinesische Pagoden - bildete die N a t u r nun eine neue Welt der Illusion, in der der Adel den sozialen u n d wirtschaftlichen Realitäten der Zeit zu entfliehen suchte (131).
4.8. Materialien
und
Kosten
4.8.1. Der Leopoldinische T r a k t der H o f b u r g Im J a h r 1660 f a ß t e Kaiser L e o p o l d I. den Beschluß, die H o f b u r g durch einen N e u b a u zwischen Schweizerhof u n d Amalienburg zu erweitern (132). D e m zum „ B a u d i r e k t o r " ernannten H o f k a m m e r rat Clemens Edler v o n R a d o l t w u r d e n 500 fl Baukosten wöchentlich zugesichert. Der Hofbauschreiber J o h a n n Philipp Quenzer wurde angewiesen, den A n o r d n u n g e n Radolts Folge zu leisten u n d die notwendigen Baumaterialien rasch zu liefern. Finanziert w u r d e das P r o j e k t von der verwitweten Kaiserin Eleonora von Mantua, die aus ihrem U n t e r h a l t s d e p u t a t 25.000 fl zur Verfügung stellte. Die S u m m e von 12.000 fl, die die Prager J u d e n für die Bestätigung ihrer Privilegien zahlten, w u r d e ebenfalls für den N e u b a u v e r w e n d e t . Die Pläne für den Bau erstellte der kaiserliche Ingenieur Philibert Luchese. Ausgeführt wurden die Bauarbeiten von den italienischen Baumeistern Carl Martin Carlone u n d Dominico Carlone (133). Sie sollten den Bau m i t Kellerräumen u n d Stiegen versehen u n d bis unter das Dach a u f f ü h r e n , wofür ihnen eine E n t l o h n u n g von 21.000 fl zugesichert wurde. Im Herbst 1663 waren die „auf d e m grundt gef ü h r t e n gemeüer" fertiggestellt, w o f ü r das H o f z a h l a m t über 53.000 Gulden zahlte. Im nächsten J a h r entrichtete Hofzahlmeister Carl Miglio 540 fl für 150 venezianische Spiegel; für 9 0 . 0 0 0 Stück Glasscheiben von den Glashütten der Herrschaft Gföhl wurden 900 Gulden aus den E i n n a h m e n des Weinaufschlages Sarmingstein bezahlt. I n einem Bericht über den S t a n d der Bauarbeiten, den der Burgbauzahlmeister Lucas Ehrlinger im Februar 1665 vorlegte, wurden die restlichen Steinmetzarbeiten von Luchese auf 3 . 0 0 0 fl geschätzt. 90 Z e n t n e r K u p f e r wurden mit 3 . 1 5 0 fl errechnet. Der Maler Carp o f e r o Tencalla erhielt im J a h r 1667 für die Ausstattung eines Zimmers mit Fresken 250 Gulden (134). Der kaiserliche Hofmaler J a k o b Bonvicini bekam 1665 einen Teilbetrag von 3 0 0 fl ausbe-
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zahlt. Im Herbst des Jahres 1667 ersuchte Burgbauzahlmeister Ehrlinger um Pensionierung. Während seiner Dienstzeit vom 12. Juli 1660 bis Ende Oktober 1667 hatte er für den Bau des Leopoldinischen Traktes 53.3 73 fl 29 kr ausbezahlt (135). Eine Spezifikation vom Beginn des Jahres 1668 bietet Einblick in die Geldforderungen der am Bau beteiligten Meister und Handwerker: Die beiden italienischen Steinmetzmeister Camilio Räz und Ambrosio Ferret hatten zu diesem Zeitpunkt noch Restforderungen von 397 fl 57 1/2 kr, nachdem sie in den Jahren vorher insgesamt 11.900 fl empfangen hatten. Der Kammermaler Franz Leuxen, der um 400 fl zwei Altarbilder gemalt hatte, sollte noch 150 fl erhalten; schließlich mußten noch für 210 Stück venezianische „Spiegel- oder Taflglaß" 882 fl 30 kr bezahlt werden (136). Die künstlerische Innenraumgestaltung leisteten vor allem die Maler Carpofero Tencalla und Franz Leuxen. Im J a h r 1665 malte Tencalla die Decken von zehn Zimmern mit Fresken historischen Inhalts. Für die Ausmalung zweier Räume bekam er im selben J a h r 800 fl. Leuxen wurde als Kammermaler unter Kaiser Ferdinand III. mit 50 fl monatlich honoriert u n d von Kaiser Leopold I. in dieser Funktion übernommen. Für Arbeiten in der kaiserlichen „geheimen Camer" im J a h r e 1647 sowie für „ C o n t r o f e t e n " wurden ihm 1651 insgesamt 762 fl angewiesen. Für zwei Altarbilder, die er für die Kapelle des Leopoldinischen Traktes 1667/68 malte, erhielt er 400 fl (137). Nach der Fertigstellung wurde der Leopoldinische Trakt von der Kaiserin-Witwe Eleonora mit ihrem Hofstaat und von Kaiser Leopold I. bezogen (138). Im Februar 1668 zerstörte ein Brand den Trakt bis an das erste Stockwerk. Mit den umfangreichen Wiederherstellungsarbeiten der Jahre 1672 - 81 erreichte der Bau sein gegenwärtiges Aussehen.
4.8.2. Der Gartenpalast Liechtenstein Am 4. Juli 1689 schloß Fürst J o h a n n Adam Andreas von Liechtenstein mit dem Steinmetzmeister Michael Mitschke einen Vertrag über die Lieferung von Säulen, Staffeln, Postamenten u n d Gesimsen um einen Betrag von fast 50.000 fl ab. Im Dezember 1691 wurde der kaiserliche Hofmaurermeister Lorenz Laher in einem Kontrakt verpflichtet, die Pläne Domenico Martineiiis auszuführen. In
Materialien und Kosten
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den J a h r e n von 1691 bis 1711 erhielt Laher für seine Arbeiten 14.542 fl 40 kr (139). Im J a h r 1704 war der Gartenpalast im Rohbau vollendet. Nach Verträgen aus den J a h r e n 1693 und 1701 verpflichteten sich die Steinmetzmeister J o h a n n Pernegger und Josef Eigner in Salzburg, für 4.060 fl die Staffeln der Treppen, und Nicolaus Wendlinger in Hallein, die Treppenbalustrade für 1.000 fl zu liefern. Im J a h r 1702 übernahmen die Salzburger Steinmetzmeister Andreas u n d Georg Dobler für 7.005 fl die Herstellung von Türrahmen aus weißem Salzburger Marmor, sechs J a h r e später die Lieferung der beiden Kamine im Marmorsaal für 1.577 fl. Santino Bussi stuckierte im J a h r 1706 die beiden Treppenhäuser, den Marmorsaal, den Galericsaal und die übrigen sechs Säle des Hauplgeschoßes für 2.200 fl und 20 Eimer Wein. Andrea Pozzo quittierte im Oktober 1708 die Summe von 7.500 fl, die er für das Deckenfresko im Marmorsaal in Raten erhalten hatte. Rottmayr bestätigte den Empfang derselben Summe für seine Freskenarbeit. Im J a h r 1709 erhielt Giuliani für seine Kaminbekrönung des großen Saales und für Steinvasen 1.128 fl. Die Aufführung der Nebengebäude wurde im J a h r 1705 in Auftrag gegeben. Sie waren 1711 vollendet (140).
4.8.3. Der Gartenpalast Schwarzenberg Am 3. Oktober 1697 kaufte der kaiserliche Obersthofmarschall Graf Mansfeld Fürst Fondi Gründe von dem Wiener Jesuitenkollegium. Joseph Trehet wird als Garteningenieur genannt, Lucas von Hildebrandt als Architekt. Am 8. J u n i 1715 starb der Bauherr, dessen Töchter den in seiner Innenausstattung nur teilweise vollendeten Palast am 14. J u n i 1716 um 50.000 fl an Fürst Adam Franz Schwarzenberg verkauften. An die Stelle Hildebrandts trat nun J o hann Bernhard Fischer von Erlach. Die Vollendungsarbeiten am Palast wurden gegen Ende des Jahres 1723 zum Abschluß gebracht (141). Eine Beschreibung des Palastes aus dem J a h r 1715 gibt die teilweise Antwort auf die Frage nach der damaligen Beschaffenheit des Gebäudes: Die Antichambre zur rechten Hand war mit grünem oder goldfarbigem Brokat tapeziert; sie enthielt einen Teppich, ein Tafelbett, 12 Sessel - die mit demselben Stoff tapeziert waren wie die
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Schloß- und Gartenarchitektur
Wände -, einen Marmorkamin und sechs Blumenstilleben über den Türen. An diese Antichambre schloß das sogenannte „weiße Zimm e r " an; es war mit „geblümtem Parterrezeug" tapeziert und enthielt 14 englische Sessel, weiße Lambris (142) mit Goldleisten, einen Kamin aus Marmor, einen Fußboden aus Nußbaumholz und sechs Blumenstilleben über den Türen. Das Paradezimmer war mit achatfarbenem Damast tapeziert; es befanden sich hier 12 Sessel mit Damastüberzug ohne Gestell, ein Bett „ a 1' Imperial" mit einem Überzug von rot und weiß gestreiftem Taffet, ein Kamin aus weißem Marmor mit einem großen Spiegel darüber, weiße Lambris, ein eingelegter Tafelfußboden aus Nußbaumholz und über den Türen sechs von Strudel gemalte Kindergruppen (143). Der neue Besitzer, Adam Franz Schwarzenberg, machte den Bereiter Andreas Mayer zu seinem Vertrauten in allen Garten- und Bauangelegenheiten (144). Mayer schloß am 1. September 1721 einen Vertrag mit dem Steinmetzmeister Andreas Steinpöck über die Anfertigung eines Steingeländers mit Fuß, Postament und Brustgesims aus Eggenburger Stein zur Kaskade im Garten. Für jeden Klafter sollten 17 fl bezahlt werden. Am 11. Februar 1722 folgte diesem Vertrag ein zweiter mit demselben Steinmetzen über die Herstellung eines Geländers im Garten an der Auffahrt des Gebäudes bis Mitte Mai; für jeden Klafter sollte der Meister 20 fl erhalten. Am 17. Jänner 1725 verpflichtete Mayer die „Marmorirer Gebrüder Johann und Balthazar Haggenmüller aus Wien" zur Verkleidung der Galerie mit „ausgesuchtem Marbel" um einen Preis von 1.800 fl. Am 29. Mai 1727 wurde ein weiterer Vertrag mit dem kaiserlichen Hof- und Bauamtsmaler Johann Franz Hörl über die Vergoldung und Firnissung der Galerie im Gartenlusthaus um ein ratenweise zu bezahlendes Honorar von 1.550 fl geschlossen. In einer Vereinbarung, die Mayer im Auftrag des Fürsten mit Daniel Gran schloß, verpflichtete sich der Künstler, „den oberen Boden der neuen Galerie im Garten bis auf das Hauptgesims" mit Figurenund Architekturmalerei auszustatten. Farben, Pinsel, Papier und Gold wollte Gran selbst beschaffen, die anderen Materialien sowie Maurer und Taglöhner sollten vom Fürsten beigestellt werden. Für die Ausführung wurde dem Meister ein in drei Raten auszuzahlendes Honorar von 2.500 fl zugesagt (145). In einer - allerdings sehr unvollständigen - Zusammenstellung der für den Gartenpalast in den Jahren 1716 bis 1731 aufgewendeten
Materialien und Kosten
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Bau- u n d Einrichtungskosten scheint auch der Name des Bildhauers Mattielli auf. Danach hat er für die Fertigung von Brunnenskulpturen 60 fl erhalten - an Materialkosten sind 450 fl vermerkt. Für die Statuen im Garten hat Mattielli 290 fl bekommen. Diese Zusammenstellung enthält auch einen Posten von 14.9 75 fl 46 kr für den Ankauf ausländischer Gewächse und die Herrichtung des Gartens bis 1721 (146). Die Kosten einer Dampfmaschine - alle älteren Beschreibungen Wiens erwähnen sie -, eines Wasserreservoirs u n d der Leitungen für den Betrieb der Wasserkünste des Gartens beliefen sich auf 7.080 fl (147). Im J a h r 1747 wurde der Bau einer neuen Reitschule projektiert. Mit der Erstellung eines Planes wurde der Architekt Altomonte beauftragt. Die Kosten wurden von ihm auf 17.000 fl veranschlagt. Ausgeführt wurde der Bau erst 1751 nach den Entwürfen Altomontes (148). Zu erwähnen ist, daß die Handwerker für das vereinbarte Honorar zumeist auch die Materialien beschaffen mußten. Um die Größenordnung zu veranschaulichen, in der die genannten Beträge sich bewegten, werden im folgenden einige Lebensmittelpreise angeführt. Im J a h r 1679 kosteten in Prag: ein Pfund Mastochsenfleisch 3 kr; ein Pfund von „guten, fetten Kälbern" 4 1/2 kr; ein P f u n d Schweinefleisch 3 1/2 kr; ein Pfund Lammfleisch 5 kr; ein P f u n d Karpfen 4 kr (149).
4.9. Hofkunst und Künstler Die Betrachtungen über Schloß- und Gartenarchitektur haben den instrumentalen Charakter höfischer Kunst gezeigt (150). Der Fürst war der von Gott eingesetzte Mittelpunkt des irdischen Koordinatensystems. Das machte die höfische Kultur zu einer Autoritätskultur, in der der Herrscher die Unfehlbarkeit des Papstes besaß. Was als vernünftig, richtig u n d moralisch, ja selbst, was als ausgewogen u n d schön galt, hing allein vom Urteil des Monarchen u n d der seine Grandeur repräsentierenden Gruppe ab. Der Herrscher war „lebendes Gesetz", das in allen Bereichen Gültigkeit besaß. Der Darstellung und Verherrlichung fürstlicher Macht und Größe dienten die Künste. Das macht deutlich, daß der l'art pour l'art-Begriff einer zweckfreien Kunst hier nicht anwendbar ist (151). Bei Hof beurteilte man ein Kunstwerk vielmehr nach seiner Fähigkeit, als
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Schloß- und Gartenarchitektur
Repräsentationsmittel eingesetzt zu werden. Damit war die Aufgabe des Hofkünstlers klar definiert; Er hatte für eine wirkungsvolle Propaganda zu sorgen, Glanz und Anziehungskraft des Hofes zu steigern. Er wurde gewissermaßen Public Relations-Manager und Werbeleiter des Fürsten, mit der A u f g a b e , das System mit seinen charakteristischen Interdependenzen als die einzig denkbare F o r m der Ordnung, der Vernunft, ja eines menschenwürdigen Daseins schlechthin darzustellen. Das bedeutete für die Künstler einen Verlust an A u t o n o m i e ; aber auch für ihre Werke, die mehr oder weniger zu Teilen einer monumentalen Dekoration wurden (Abb. 6, 13, 15, 18). J e d e s Kunstwerk wurde so konzipiert und präsentiert, daß es den zentralen Inhalt - Verherrlichung fürstlicher Grandeur - zum A u s d r u c k brachte; Bilder wurden über den Türen als Supraporten angebracht oder in Gruppen streng symmetrisch angeordnet (Abb. 6, 13) ( 1 5 2 ) . Ungeachtet ihres Wertes oder ihrer Größe wurden sie verkleinert oder vergrößert und dem übergeordneten System eingegliedert. Das Bildindividuum wurde untergeordnet, objektiviert und so seiner dialektischen Potenz beraubt: denn die Darstellung kaiserlicher Macht und Größe bedurfte keiner Antithese; sie war bereits dernière raison und letzte Synthese. Die Künste sollten nicht in Frage stellen und problematisieren, sie sollten keine Diskussion provozieren, die notwendig Argumente auf den Plan gerufen hätte; denn argumentativ-rationale Erwägungen erschüttern in jedem Fall die geistigen Fundamente absolutistischer Herrschaft, sogar wenn sie zu ihren Gunsten ins Treffen geführt werden (153). Die Künste wollten nicht rühren; ihre A u f g a b e war vielmehr zu werben, zu repräsentieren und zu imponieren. Der Gesamteindruck, der durch die streng symmetrische Anordnung der Gemälde in einer Vertäfelung entstand, war zur Verherrlichung kaiserlicher Macht und Größe außerordentlich geeignet. In dem dekorativen Gefüge blieb das einzelne Werk untergeordnet; gerade dadurch aber wurde der Eindruck gewaltigen und unermeßlichen Reichtums hervorgerufen, ,,in dem das Einzelne zwar untergeht, aber gerade durch diese Art von Nicht-geachtet-werden die ihm übergeordnete G r ö ß e " u m s o deutlicher zur Geltung kam ( 1 5 4 ) . Schloß, Fest und Prunkoper bildeten den Rahmen, innerhalb dessen einem Ensemble von Künstlern Gelegenheit geboten wurde, in einer damals in ganz Europa verständlichen Sprache der Allego-
Abb. 1. Gegenüberstellung
des alten und des neuen
Abb. 2. Der Leopoldinische
Trakt der Wiener
Adels
Hofburg
Abb. 3. Die kaiserliche Sommerresidenz
Abb. 4. Schloß Versailles im Jahr 1722
Favorita
Abb. 6. Audienzsaal
im Oberen
Belvedere
Abb. 7. Sala terrena im Oberen
Abb. 8. Gartensaal
im Oberen
Belvedere
Belvedere
m«'» % w t i s i * A V ^ f t t » * Mui »5rt*.
fpSTSST Abb. 9. Erster
m Entwurf
Fischers v. Erlach für Schloß
Abb.
10. Öffentliche
Tafel
Schönbrunn
des
Kaisers
Abb. 11. Der Reichskanzleitrakt
Abb. 12. Das Stiegenhaus
der Wiener
von Schloß
Hofburg
Pommersfelden
Abb.
13. Marmorsaal
des Gartenpalastes
Abb.
Liechtenstein
14. Triumphpforte
in
Wien
für Joseph
1.
Abb. 15. Stiegenbaus
Abb. 16. Gesamtansicht
im Kaisertrakt
des Stiftes
der projektierten
Göttweig
Anlage des Stiftes
Klosterneuburg
Abb. IS. Entwurf
für ein fürstliches
Schlafzimmer
Abb. 20. Bühnenbild von Filippo Juvara
jìle majet;tiieu.\