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German Pages 192 Year 2009
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Euree Song
Aufstieg und Abstieg der Seele Diesseitigkeit und Jenseitigkeit in Plotins Ethik der Sorge
Vandenhoeck & Ruprecht
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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben
Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker
Band 180
Vandenhoeck & Ruprecht
Euree Song
Aufstieg und Abstieg der Seele Diesseitigkeit und Jenseitigkeit in Plotins Ethik der Sorge
Thomas J. Bata Library
TRENT
VLHö !TY PETERBOROUGH, ONTARIO
Vandenhoeck & Ruprecht
Verantwortliche Herausgeberin: Dorothea Frede
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-25290-1
Hypomnemata ISSN 0085- 1671 Umschlagabbildung: »Athena encouraging Heracles«, immagine anfora di Psiax. Per concessione dei Civici Musei d’Arte e Storia di Brescia.
© 2009 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH 8c Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte Vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vor¬ herigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: ® Hubert 8c Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Behold that great Plotinus swim, Buffeted by such seas; Bland Rhadamanthus beckons him, But the Golden Race looks dim, Salt blood blocks his eyes. Scattered on the level grass Or winding through the grove Plato there and Minos pass, There stately Pythagoras And all the choir of Love. - W.B. Yeats, The Delphic Oracle upon Plotinus
(pOövoq yap etß) Geiou yopob iotatai. - Platon, Phaidros 247a 7
Inhalt
Vorwort. 1 Einleitung
.
11
1.1 Aufgabe der Untersuchung.
11
1.2 Problemstellung.
13
1.2.1 Plotin als Platon ohne Sokrates?
..
13
.
18
1.2.3 Angleichung an Gott: Eine Ethik der Flucht?.
24
1.2.2 . Gnosis ohne Tugend?
1.2.4 Warum die Rückkehr in die Welt?
2
9
.
28
1.3 These: Eine Ethik der Sorge.
30
1.4 Methode und Aufbau der Arbeit.
33
Der Aufstieg der Seele: Die Sorge um sich selbst.
37
2.1 Eine Ethik des Glücks.
37
2.2 Die sokratische Sorge um das Selbst.
40
2.3 Die Tugend als Selbstvervollkommnung.
46
2.3.1 Die Tugend als Vervollkommnung der Vernunft.
46
2.3.2 Der Höhenflug der geistigen Erkenntnis.
50
2.4 Der Aufstieg zum Selbst.
52
2.4.1 Das Leben der Seele als Selbstbewegung.
53
2.4.2 Die geistige Erkenntnis als Selbstverwirklichung der Seele
55
3 Das vollkommene Leben
.
61
3.1 Das Glück als das Gute für den Menschen.
62
3.2 Die Homonymie des guten Lebens.
67
3.2.1 Die Homonymie des Lebens.
67
3.2.2 Die Homonymie des Guten.
69
3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben.
71
4 Das selbstgenügsame Leben.
77
4.1 Die Autarkie des Tugendmenschen.
77
4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These.
83
4.2.1
Der Ringkampf mit dem Schicksal: Was wir eigentlich wollen.
83
4.2.2 Das Laternenlicht im Sturm: Was wir eigentlich sind ...
85
4.2.3 Die schlaflose Weisheit: Was wir eigentlich können ....
88
4.3 Das Gefühl des Tugendmenschen.
90
Inhalt
8
5 Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere. 5.1 Die providentielle Sorge der Seele um den Körper. 5.2 Das Gesetz der Natur: Eine teleologische Perspektive.
95 95 98
5.3 Die natürliche Sorge.
102
6 Das gerechte Leben.
Das Recht der Natur. Das Gesetz der Vorsehung. Der Ort des Bösen. Die Kunst der Vorsehung.
107 107 111 119 122
7 Das freie Leben . 7.1 Die menschliche Verantwortung. 7.1.1 Die Schuld liegt beim Wählenden. 7.1.2 Schicksal und Freiheit. 7.2 Die Selbstbestimmung des Menschen. 7.2.1 Das, was bei uns liegt . 7.2.2 Die Tugend ist herrenlos. 7.2.3 Der Wille zum Guten. 7.3 Das freie Prinzip des Menschen.
129 129 129 135 141 141 146 149 153
Schluss
159
6.1 6.2 6.3 6.4
.
Literatur. 163 I Plotin . 163 A Gesamtausgaben, Übersetzungen und Kommentare .... 163 B Einzelausgaben, Übersetzungen und Kommentare.163 II Ausgaben, Übersetzungen anderer antiken Autoren. 164 III Sekundärliteratur. 165 IV Hilfsmittel. 179 Register
180
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2007/2008 vom Fachbereich Philosophie und Ge¬ schichtswissenschaft der Universität Hamburg angenommen wurde. Mein Dank gilt vor allem meiner Lehrerin Frau Prof. Dr. Dorothea Frede (Hamburg) für ihre Ermutigung und Unterstützung, ohne welche diese Arbeit nicht zustande gekom men wäre. Auch meinem Lehrer Herrn Prof. Dr. Dominic J. O’Meara (Freiburg/ Schweiz) bin ich für zahlreiche Anregungen und Hinweise zutiefst dankbar. Herzlich danken möchte ich darüber hinaus Herrn Prof. Dr. Christoph Horn (Bonn) für ertragreiche Gespräche über einzelne Aspekte dieser Arbeit, die er mit mir während meines Forschungsaufenthaltes in Gießen und Bonn geführt hat. Für die geduldige Korrektur meines deutschen Ausdrucks bin ich meinen deutschen und helvetischen Philosophenfreunden Herrn Dr. Burkhard Reis, Frau Dr. Anja Burghardt, Frau Dr. Julia Fischell, Herrn Dr. Damian Caluori, Frau Dr. Marlise Colloud, Frau Monika Kneubühler und Herrn Christoph Stritt zu Dank verpflichtet. An dieser Stelle möchte ich den Herausgebern der Hypomnemata, die meine Arbeit in diese Reihe aufgenommen haben, meinen Dank aussprechen. Besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Albrecht Dihle für seine wohlwollende Zustimmung. Ich danke herzlich Frau Dr. Ulrike Blech beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen für ihre gewissenhafte Kooperation. Ebenfalls danke ich dem Fonds für Altertumswissenschaft in Zürich und dem Institute of Humanities an der Seoul National University für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Bedanken möchte ich mich ferner bei der KonradAdenauer-Stiftung für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Zu guter Letzt darf ich von Herzen meinen Eltern und allen meinen Freunden danken, die mir durch all diese Lehrjahre hindurch persönlich beigestanden haben. Seoul, März 2009
Euree Song
1. Einleitung
1.1 Aufgabe der Untersuchung In der Philosophie Plotins wird kein anderer Bereich so kontrovers diskutiert wie die Ethik. Die Debatte entzündet sich bereits bei der Frage, ob Plotin überhaupt über eine Ethik verfügt, eine Frage, die wiederum auf eine tiefer gehende Frage zielt, nämlich die, was Ethik eigentlich sein sollte. In der vor¬ liegenden Arbeit wird nun ein Versuch unternommen, eine Ethik der Sorge bei Plotin nachzuweisen, wobei mit »Sorge« nicht Bekümmernis, sondern Für¬ sorge gemeint ist.1 Dieser Versuch mag bei vielen auf große Skepsis stoßen. Denn nach wie vor herrscht die Meinung vor, dass Plotin sich ganz und gar dem inneren Aufstieg zum jenseitigen Gott verschreibt, was, wenn es zuträfe, eine Abkehr vom Diesseits, ein Desinteresse an allen äußeren und menschli¬ chen Angelegenheiten nach sich zöge. Von einem derart weitabgewandten Philosophen wäre, wenn überhaupt, eine »Ethik der Flucht« zu erwarten, in der die Sorge um diese Welt und die Mitmenschen keinen Platz hätte.2 So bliebe nur noch eine Ethik der Sorge um die jenseitige Glückseligkeit der eigenen Person übrig. Die Annahme einer derart egozentrischen und jenseitsorientierten Ethik Plotins hat in der Forschung für Irritationen und Kontroversen gesorgt. Hierfür ist symptomatisch, dass Dillon dem spätantiken Weisen Plotin nicht einmal eine ethische Theorie zuerkennen will: »If we feel that an ethical theory should include an element of concern for others for their own sake, then, I think, Plotinus cannot be said to have an ethical theory.«3 Besonders um¬ stritten ist die Frage, ob und inwiefern Plotins ethische Reflexion über das »Leben auf der Flucht«, selbst wenn ihr der Titel »ethische Theorie« einge¬ räumt wird, mit seiner eigenen ethischen Praxis, dokumentiert in Porphyrios’ Vita Plotini (VP), in Einklang gebracht werden kann. Er wird dort als ein menschenfreundlicher, praktisch gewandter Denker porträtiert, der nicht in der abgeschiedenen Wüste, sondern im urbanen Zentrum des Römischen
1 2
Zum zweideutigen Ausdruck »Sorge« siehe Schnabl, S. 16 f.; Kranz, S. 1086. So z.B. Henry, S. 124: »Im Streben nach Glückseligkeit in der Suche nach Gott hat die Gesell¬ schaft keinen Platz. Der Weise ist eine Monade, grundsätzlich ohne jede Beziehung zu jeder anderen Monade. Es besteht keine Solidarität von Mensch zu Mensch, weder im Guten noch im Bösen.« Theiler (Vorbereitung, S. 124 f.) spricht von der plotinischen »Hinterweltsethik« und behauptet, eine »Ethik der Tat« bzw. eine Ethik der Lebensgestaltung, die Gebote oder Verbote
3
Dillon, Ethic, S. 331 ff.
aufstellt, könne es bei Plotin nicht geben.
12
1. Einleitung
Reichs »öffentlich« wirkt.4 Hervorzuheben ist ferner sein politischer Plan, eine Stadt namens »Platonopolis« zu gründen.5 Kann Plotin seine Lebensweise auf der Grundlage seiner philosophischen Überlegungen rechtfertigen? Wie sollte seine Rechtfertigung aussehen? Wie verhält sie sich zu eben jener »Ethik der Flucht«? Oder haben wir es bloß mit einer »tröstlichen Inkonsequenz« zwi¬ schen Theorie und Praxis zu tun, wie Jonas zu Ehren Plotins bemerkt?6 In der vorliegenden Untersuchung stellen wir uns die Aufgabe, aus dem Corpus Plotinianum eine ethische Theorie herauszuarbeiten, welche Plotins Lebensführung gerade in ihrer Weltzugewandtheit erklären kann, wobei das Konzept der Sorge um die Welt als Angelpunkt unserer Ausführungen dient. Zugleich gilt unser Bemühen der Suche nach einer übergreifenden Betrach¬ tungsweise, welche die Kluft zwischen zweierlei Arten von Stellungnahmen zur Welt bei Plotin, nämlich zwischen solchen, die eine Weltflucht, und sol¬ chen, die eine Weltbejahung ausdrücken, zu überbrücken ermöglicht. Dabei soll der paradoxe Charakter seiner Ethik nicht verschwiegen oder gar ver¬ wischt, sondern vielmehr in der ihm eigenen Schärfe gefasst und dargelegt werden. Auf diese Weise können wir unserem Philosophen gerecht werden, wenn er, wie Pohlenz meint, ein Philosoph ist, »der überall Probleme sieht und jede Schwierigkeit mit Mitteln des Denkens bis in die letzten Konsequenzen verfolgt«.7 Zu diesem Zweck scheint es angebracht, vorweg das Problemfeld der plotinischen Ethik aus der Vogelperspektive zu betrachten. Wir wollen hier al¬ lerdings keinen umfassenden Überblick über Plotins Ethik in der ganzen Breite ihrer Themen geben. Vielmehr werden wir uns darauf beschränken, einige grundlegende, insbesondere systematisch signifikante Aspekte seiner Ethik hervorzuheben, und daran zeigen, wie aus jenem Feld das in dieser Arbeit zu behandelnde Forschungsproblem erwächst.
4 5 6
7
Der Platoniker Longin bezeugt, dass Plotin und sein Schüler Amelius in Rom »öffentlich wirken (SrinoaiEÜovTEc;)« (VP 20, 32). Dazu vgl. Goulet-Caze, S. 231 -257, bes. S. 244 ff. VP 12. Jonas, Gnosis II, S. 280, Anm. 14. Auch McGroarty, Commentary, xviii: »Therefore it is not clear to me how Plotinus the philosopher can be reconciled with Plotinus the man, as he appears in Porphyry s Life. (...) If we are to regard Plotinus as a Spoudaios, it may be that we have to accept that he did not always preach what he practiced.« Pohlenz, Stoa, S. 389.
1.2 Problemstellung
13
1.2 Problemstellung 1.2.1 Plotin als Platon ohne Sokrates? In Plotin sieht Augustinus einen »wiederauferstandenen« Platon. Dabei hebt der Kirchenvater den »platonischen Philosophen« von den Akademikern ab.8 Plotin zählt nämlich nach dem antiken Sprachgebrauch zu den »Platonikern«, die sich nach der Auflösung der skeptischen Akademie an der Wiederher¬ stellung der wahren Lehre Platons versuchen.9 Unter diesen dogmatischen Nachfolgern Platons zieht Proklos wiederum eine Trennungslinie zwischen »allen neueren Platonikern, die mit Plotin beginnen« und »den Alten«.10 Demnach markiert Plotin einen Wendepunkt vom alten zum neuen Plato¬ nismus.11 Was ist es, das Plotin zu einer solch epochenbildenden Figur machen soll? Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass Proklos in der Platonischen Theologie Plotin und seine Nachfolger als »Exegeten der plato¬ nischen Epoptie, die uns über das Göttliche die heiligste Auslegung ermit¬ telten« bezeichnet (11,16 f.).12 Von daher ist es naheliegend anzunehmen, dass 8 Contra Academicos III 18: »in Plotino, qui Platonicus philosophus ita ejus similis judicatus est, [...] in hoc ille [Plato] revixisse putandus sit.«; De civitate dei VIII 12: » recentiores tarnen philosophi nobiüssimi quibus Plato sectandus placuit, noluerint se dici Peripateticos aut Aca¬ demicos, sed Platonicos. Ex quibus sunt valde nobilitati Graeci Plotinus, Iamblichus, Porphyrius«. 9 Zur Unterscheidung zwischen »Platonici« und »Academici« siehe Glucker, S. 206 ff. 10 Proklos, In Tim. II 88, 12-13: xcov Se vecoxspcov ol ootö IlZcoxivoo 7idvxsDu bist der Sohn Gottes; die anderen, die du immer bewundert hast, sind es nicht und ebenso wenig das, was man seit den Vorvätern traditionell verehrt; aber du bist sogar besser als der Himmel, ohne dass du dich anstrengen musstoffenbart< wird, sei es durch Boten oder Gesandte, die im Auftrag des wahren Gottes handeln, oder sei es schon durch die überlieferte Form des >MythosUrzeit< und >Endzeit5atpoviai; oüor|i;), welches ja nur an der Seele statt hat, da sie eine Aktivität von ihr ist - und zwar nicht von der ganzen Seele: Denn sie liegt natürlich nicht in der vegetativen Seele - sie müsste sich dann ja auch mit dem Körper befassen! Denn Größe und guter Stand des Körpers - das ist doch nicht Glück. Auch beruht sie nicht in besonders gutem Wahrnehmen.15 Hier spricht Plotin das Glück sowohl dem vegetativen Teil als auch dem wahrnehmenden Teil ab. So ist nichts anderes zu erwarten, als dass das Glück einem Teil zukommen wird, der besser als beide Seelenteile ist. Dafür kommt nur der rationale Seelenteil in Frage, wenn die gängige Dreiteilung der Seele in einen vegetativen, einen wahrnehmenden und einen rationalen Teil analog der scala naturae am Werk ist. Für diese Möglichkeit spricht, dass der glückliche Mensch bei Plotin sich als der Weise erweist, was darauf hindeutet, dass die glücksrelevante Aktivität es mit der Weisheit zu tun hat, welche die Voll¬ kommenheit der Vernunft bezeichnet (9, 16 f.). Die so aufgefasste intellektualistische Konzeption des Glücks erinnert an die oben zitierte Stelle aus Buch X 7 der Nikomachischen Ethik. Dort heißt, dass das Glück in der Aktivität des besten Seelenteils besteht, die sich als eine theoretische Aktivität erweist. Diese Auffassung scheint zur folgenden Be¬ merkung gut zu passen, die Aristoteles im Rahmen des Ergon-Arguments in Buch I 6 macht: Das menschliche Gute bestehe in der Aktivität gemäß der Tugend, wenn es aber mehrere Tugenden gebe, dann gemäß der besten und vollkommensten,16 allerdings nur dann, wenn mit der »besten und vollkom¬ mensten« Tugend Weisheit gemeint ist. Dagegen argumentiert jedoch Ackrill, dass die »beste und vollkommenste« Tugend sich nicht auf die Weisheit, sondern auf »total virtue, the combination of all virtues« beziehe.17 Damit weist er die sogenannte »monolithische« Doktrin zurück, wonach das Glück lediglich in der einzigen Aktivität, nämlich der Theoria, liegt. Sein Argument ist aber schwer vereinbar mit der Glückskonzeption in Buch X der Nikoma¬ chischen Ethik. Wir wollen aber nicht näher auf diese Kontroverse um Aristoteles’Konzeption des Glücks eingehen. Es genügt uns die Feststellung, dass Plotins Konzeption des Glücks in die Richtung jener »monolithischen« Doktrin weist. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass Plotin im obigen Text von der Gleichsetzung von Glück (sudcupovta) und gutem Leben (en^coia) ausgeht, einer Gleichsetzung, die Aristoteles in der Nikomachischen Ethik als Ge15 1 4 [46] 14,4-9. 16 Arist. EN I 6, 1098a 16-18. Dazu siehe Wolf, Aristoteles, S. 40 ff. 17 Ackrill, Eudaimonia, S. 56.
66
3. Das vollkommene Leben
meinplatz einführt.18 Allerdings geht es nur um das gute Leben des höchsten Seelenteils. Zur Rechtfertigung dieser Position könnte man das Ergon-Argument in Anspruch nehmen: Das gute Leben auf vegetativem oder sinnlichem Niveau zählt deswegen nicht zum menschlichen Glück, weil es nicht zur ei¬ gentümlichen Aktivität des Menschen gehört. Darauf basierend könnte man sagen, dass das Glück bei einem vernunftlosen Tier im guten Leben des wahrnehmenden Seelenteils besteht oder dass eine Pflanze glücklich sein kann, wenn ihre vegetative Seele gut funktioniert. Plotin glaubt jedoch nicht, dass ein vernunftloses Lebewesen, wie gut es auch leben mag, das Glück erreichen kann. Das gute Leben, sofern es für das Glück relevant ist, steht ihm zufolge nicht allen Lebewesen offen. Das gute Leben in diesem privilegierten Sinne schreibt Plotin schließlich dem Men¬ schen zu, sofern dieser das vernünftige Leben hat: »Diejenigen haben wohl recht, welche sagen, dass es [sc. das gute Leben] nur im vernünftigen Leben (sv ZoyiKfj ^cofj) besteht, nicht im Leben schlechthin (änX&q ^corj), und auch wenn das Leben wahrnehmungsfähig ist.«19 Folglich schließt er die vernunftlosen Tiere und die Pflanzen aus dem guten Leben und somit dem Glück aus. Dass allerdings die vernunftlosen Lebewesen nicht einmal gut leben können, klingt schier absurd. Denn alle Lebewesen müssen ja entweder gut oder schlecht leben. Demnach können alle Lebewesen im Prinzip glücklich sein. Gerade mit diesem Problem eröffnet Plotin Enn. I 4 [46]: »Wenn wir das gute Leben (xö eh i^fjv) mit dem Glücklichsein (tö ehöaipoveiv) gleichsetzen, werden wir dann nicht auch den anderen Lebewesen Anteil daran geben?« Er weist daraufhin, dass das gute Leben, gleichgültig ob es in der guten Affektion (simaüda) oder in der Erfüllung der eigentümlichen Funktion liegt, nicht nur uns Menschen, sondern auch den anderen Lebewesen zukommen kann. So lebt ein Singvogel wie z. B. die Nachtigall gut, insofern er seinen »musikali¬ schen« Gaben entsprechend singt. Ebenso führt ein Obstbaum entweder ein gutes Leben oder das Gegenteil, insofern er Frucht trägt oder nicht.20 Was hindert uns denn daran, ihnen das Glück zuzuerkennen, sofern sie gut leben? Himmerich zufolge handelt es sich hier um ein ad-hominem Argument, das gegen Aristoteles gerichtet ist.21 Nach seiner Interpretation will Plotin zeigen, dass Aristoteles’ Gleichsetzung von Glücklichsein und gutem Leben zu dem absurden Schluss führt, dass Glück nicht nur dem Menschen, sondern auch den anderen Lebewesen zuzurechnen ist, obwohl Aristoteles das Glück im eigentlichen Wortsinn keinem anderen Lebewesen außer dem Menschen (und 18 EN I 7, 1098a21. 19 I 4 [46] 2, 31 - 33. Vgl. Arist. EN I 6, 1098a 3-4. Auch SVF III 687. 20 14 [46] 1, 8 f., 23 f. 21 Vgl. Himmerich, S. 21: »Die Gleichung EÜSaigovetv und eu i^rjv ergibt schon einen Anhaltspunkt, dass die Erörterung ad hominem gerichtet ist: Offensichtlich bezieht sich Plotin auf Aristoteles’ Nikomachische Ethik, wo an zwei Stellen diese Gleichung vorgefunden wird, allerdings in der erweiterten Form von gut leben und sich gut verhalten (eu ^rjv Kai eu Ttparxeiv).« Vgl. Arist. EN I 1-2, 1095a 8-20; I 8, 1098b 20f.;X8, 1178b 8-28.
3.2 Die Homonymie des guten Lebens
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den Göttern) zuerkennt.22 Nach Himmerich lehnt Plotin in Wahrheit jene Gleichsetzung ab. Es gilt jedoch, Vorsicht zu üben. Plotin richtet sein Argument offenkundig auch gegen die Hedonisten (wohl die Epikureer) und die Stoiker. Er meint nämlich, dass dasselbe Argument gelte, auch wenn das gute Leben in der Lust oder in der Seelenruhe oder im Leben gemäß der Natur bestehe.23 Dazu ist noch zu berücksichtigen, dass die Gleichsetzung von glücklichem Leben und gutem Leben keine Sonderlehre des Aristoteles ist, sondern als Gemeinplatz in der antiken Ethik gilt.24 Insofern haben wir es nicht mit einem spezifisch aristotelischen Problem zu tun. Hier scheint es vielmehr darauf anzukommen, wie der Gemeinplatz zu verstehen ist. Meiner Ansicht nach ist Plotin der Auffassung, dass das Glück als das gute Leben im eigentlichen Sinne zu ver¬ stehen ist. Zur Klärung dieser Auffassung ist sein Konzept der Homonymie des guten Lebens heranzuziehen.
3.2 Die Homonymie des guten Lebens 3.2.1 Die Homonymie des Lebens Zur Annäherung an Plotins Konzept der Homonymie des guten Lebens lohnt es sich, einen kurzen Blick auf das aristotelische Begriffspaar von Synonymie und Homonymie zu werfen.25 Synonym sind nach Aristoteles die Dinge (nicht die Wörter), die den gemeinsamen Namen (övopa koivov) und die dazu ge¬ hörige Wesensbestimmung (Zoyoc; xfjq ouoiac;) teilen. Man nennt beispiels¬ weise sowohl den Menschen als auch das Rind »Lebewesen«, wobei »Lebe¬ wesen« für Mensch und Rind in beiden Fällen die gleiche Bedeutung hat. Homonym sind hingegen die Dinge, die nur gleich benannt werden, ohne die zum Namen gehörige Bedeutung zu teilen. Beispielsweise können der Mensch und der auf einem Bild gezeichnete Mensch zwar »Lebewesen« heißen, doch nicht im gleichen Sinne. Der Mensch auf einem Bild lebt ja nicht wie der Mensch, von dem das Portrait gemacht wurde. Allgemein gesagt, gehört zum
22 Arist. ENI 10, 1099b 32-1100a 1; X 8, 1178b 24-25. 23 14 [46] 1, 26 - 30. Die Hedonisten, die Plotin hier im Auge hat, können nicht die Kyrenaiker sein, wie Armstrong (Plotinus, S. 172 Anm. 1) andeutet. Denn die Kyrenaiker erblicken zwar das Ziel des Lebens in der Lust, aber nicht das Glück. Für sie ist das Lebensziel nicht das Glück. Sie sind also keine Eudämonisten. Plotin richtet sein Argument jedoch an diejenigen Hedonisten, von denen er die Behauptung erwartet, dass das Glück in der Lust bestehe. Nur dann kann er ihnen sinnvollerweise die Frage stellen, was uns daran hindert, anderen Lebewesen als uns Menschen das Glück zuzuerkennen, sofern sie gut leben, d. h. Lust haben. 24 Arist. EN I 2, 1095a 19-20; I 7, 1098a 21. Vgl. SVF III 17. 25 Vgl. Arist. Cat. la 1-8.
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3. Das vollkommene Leben
synonymen Begriff von X definitorische Einheit, wohingegen der homonyme Begriff von X Mehrdeutigkeit aufweist. In Enn. I 4 [46] nimmt Plotin, anders als Aristoteles, den homonymen Begriff des Lebewesens an. Ihm zufolge haben verschiedene Arten von Le¬ bewesen, wie z. B. der Mensch und das Rind, zwar den Namen »Lebewesen« gemeinsam, doch nicht im gleichen Sinne. Entsprechend spricht er von der Homonymie des Lebens: Da nun also »Leben« in vielfachem Sinne (noXXa%(bq) gebraucht wird und die Un¬ terschiede sich nach den Trägern ergeben, ob sie die Ersten im Range oder die Zweiten usf. sind, mithin »Leben« homonym (opwvupcoq) gesagt wird - brauchen wir es anders von der Pflanze, anders vom vernunftlosen Tier, [... ] so muss es sich analog auch mit dem Guten (ro ev>) verhalten.26 Hiernach leben der Mensch und das Rind nicht in ein und demselben Sinne. D.h.: Der Mensch und das Rind stehen zueinander nicht in einem synonymen, sondern in einem homonymen Verhältnis. Dabei handelt es sich um eine mehrdeutige Prädikation von »leben«. Diese Homonymie des Lebens führt zur Homonymie des guten Lebens: »Das gute Leben« wird nicht in ein und demselben Sinne vom Menschen und vom Rind ausgesagt. Zugleich wird behauptet, dass »gut« ein mehrdeutiges Prädikat ist: »Gut« wird also vom Menschen und vom Rind in unterschiedlichem Sinne ausgesagt. Zu beachten ist, dass die Homonymie des Lebens bei Plotin mehr als ein bloßer sprachlicher Zufall ist, wie etwa zwei Menschen per accidens »Sokrates« heißen. Es handelt sich um eine bestimmte Art von Homonymie, und zwar diejenige, die mit der Rangordnung verbunden ist. Plotin nimmt nämlich eine geordnete Reihe von Leben an, in der verschiedene Arten von Leben unter¬ einander nicht gleichrangig sind: »Arten von Leben meine ich nicht im Sinne gleichrangiger Begriffe (oby cbc, dvnSiRpripsvov rep Zöycp), sondern indem Sinne, wie wir ein Ding früher (jipoxspov), ein anderes später (uarspov) im Rang nennen« (3,16- 18). Gemäß der Ordnung von Früher und Später ist das Leben der Pflanze dem Leben des vernunftlosen Tiers untergeordnet, dieses wiederum dem vernünftigen Leben. So geht Plotin von einer scala vitae aus, die der scala naturae entspricht. Analog dazu ist »das Gute« (to eu) unterschiedlich abgestuft. In Verbin¬ dung mit dem Leben entsteht eine Hierarchie des Guten. So ist das Gute umso besser, je höher die betreffende Art des Lebens steht. Demnach ist das Gute für die höchste Art des Lebens das Beste (io apiorov). Dieses kommt demjenigen Lebewesen zu, welches das Leben »in höchstem Grad« (ayav: 3,26) besitzt. Mit »Glück« bezeichnet Plotin dieses gute Leben im Superlativ. Damit platziert er das Glück an die Spitze der Hierarchie des guten Lebens (xö en £fjv). Glück ist das gute Leben par excellence. Das Glück in diesem privilegierten Sinne kommt nur den Göttern und den vernünftigen Lebewesen zu. 26 I 4 [46] 3, 18-23.
3.2 Die Homonymie des guten Lebens
69
Plotin hebt hervor, dass man mit der synonymen Auffassung des Lebens nicht erklären kann, warum man das vernunftlose Lebewesen aus dem Glück im Sinne des guten Lebens ausschließen soll: Wenn wir alles Leben als synonym auffassten, allen Lebewesen eine Aufnahmefä¬ higkeit für das Glück zugeständen, [...] würden wir somit nicht etwa dem vernünf¬ tigen Lebewesen diese Fähigkeit zuerkennen und dem vernunftlosen nicht. Denn für beide ist Leben ein Gemeinsames (rö koivov), und eben dies müsste durch Emp¬ fänglichkeit für ein und dasselbe Ding zum Glück gelangen, wenn denn das Glück in einem bestimmten Leben besteht.27 Die Pointe liegt darin, dass Leben für die verschiedenen Lebewesen auf der scala naturaß kein Gemeinsames ist. »Leben« ist in diesem Sinne kein allge¬ meines Prädikat. Die Rangordnung des Lebens erlaubt keine eindeutige Prä¬ dikation von »leben«. Auf diese Art und Weise begründet Plotin anhand der aristotelischen Unterscheidung von Synonymie und Homonymie die Son¬ derstellung des vernünftigen Lebens in der Hierarchie des Lebens.
3.2.2 Die Homonymie des Guten Schroeder behauptet, dass Aristoteles in der Nikomachischen Ethik das Kon¬ zept der Homonymie gegen die platonische Lehre von der Idee des Guten einsetzt.28 Diesbezüglich verweist er auf zwei Argumente: (1) das so genannte Kategorienargument und (2) das Argument der Reihenfolge. Zwar ist dabei von der Homonymie des Guten nicht ausdrücklich die Rede, doch laufen beide Argumente darauf hinaus, dass das Gute nicht den Dingen, die »gut« heißen, gemeinsam ist. Zu (1): Aristoteles weist darauf hin, dass das Gute in den verschiedenen Kategorien auftritt: ...] »gut« wird in ebensoviel Bedeutungen ausgesagt wie >ist< - es wird in der Kate¬ gorie der Substanz ausgesagt, z. B. von Gott und der Vernunft, in der Kategorie der Qualität, z.B. von ethischen Vorzügen, in der Kategorie der Quantität, z. B. vom richtigen Maß, in der Relation, z.B. vom Nützlichen, in der Zeit, z.B. vom richtigen Augenblick, in der Kategorie des Ortes, z. B. vom gesunden Aufenthalt usw.29 27 I 4 [46] 3, 3-9. 28 Schroeder, Good Life, S. 212-213: »Aristotle’s criticism of the Platonic Idea of the Good consists chiefly in his denial that >good< admits of universal predication. It is rather predicable in homonymous (if related) senses in the different categories. As a supplementary argument, Aristotle demonstrates that the categories can show forth a succession exhibiting that priority and posteriority that would admit only for homonymous predication of >good< within the series.« Dazu vgl. Gadamer, Idee des Guten, S. 198-217; Flashar. Parallel zur Nikomachischen Ethik I 4 findet sich Aristoteles’ Kritik an der platonischen Idee des Guten in der Eudemischen Ethik I 8. 29 Arist. EN I 4, 1096a 23-28 (Übers. Dirlmeier). Vgl. EE I 8, 1217b 25-35. Dazu vgl. Buddensiek, S. 76 ff.; Woods, S. 65 ff.
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3. Das vollkommene Leben
Aus dieser kategorialen Vielfalt schließt er, dass das Gute nicht »etwas Ge¬ meinsames, Allgemeines und Eines« (kchvov ti KaGöZou Kai sv)3u sein kann, welches unter eine Idee fällt. Zu (2): Aristoteles bemerkt, dass die Vertreter der Ideenlehre keine Ideen solcher Dinge aufgestellt haben, bei denen sie von »Früher« und »Später« sprechen. So gibt es z. B. keine Idee der Zahl, da die Zahlen eine geordnete Reihe bilden. Auf dieser Grundlage behauptet er, dass es auch keine »gemeinsame« Idee des Guten geben kann, weil das Gute in verschiedenen Kategorien ausgesagt wird, die eine geordnete Reihe bilden.31 Aristoteles’ Kritik an der platonischen Annahme der Idee des Guten gibt zu erkennen, wie er die Idee des Guten versteht. Er versteht sie als etwas Ge¬ meinsames (koivov ti), Allgemeines und Eines.32 Interessant ist, dass Plotin die platonische Idee des Guten anders auffasst. In seinen Augen geht es dabei nicht um das Gute als etwas Gemeinsames. In Enn. VI 2 [43] vertritt er die These, dass das Gute keine Gattung (genos) darstelle, die als »etwas Gemeinsames« (koivov ti) an vielen Teilen des Seienden »sichtbar« wäre (17, 2f.).Zur Be¬ gründung weist er darauf hin, dass alle guten Dinge eine geordnete Reihe bilden: Nun, es [sc. das Gute] ist in all diesen Teilen [des Seienden] nicht dasselbe (on TauTÖv), sondern primär und sekundär und noch späteren Ranges; denn entweder stammt das eine Gute von dem anderen, das spätere von dem früheren, oder alles Gute stammt von dem Einen Jenseitigen ab, nimmt aber unterschiedlich je nach seiner Natur daran teil. Aber wollte man es auch als Gattung ansetzen, wäre es ein Späteres.33 Folglich sind alle Dingen, die »gut« heißen, nicht in ein und demselben Sinne gut. »Gut« ist also kein allgemeines eindeutiges Prädikat. Wenn man die platonische Idee des Guten so auffasst, dann sieht man, dass Aristoteles’ Platonkritik ins Leere läuft. Denn nach dieser Auffassung vertritt Platon keine solche Idee des Guten, welche etwas Gemeinsames darstellen würde.
30 Arist. EN I 4, 1096a 28. 31 Arist. EN I 4, 1096a 19-23. Vgl. EE I 8, 1218a 1-15. Woods, S. 70 ff. verweist darauf, dass Aristoteles das Argument der Reihenfolge in der EN als ein argumentum ad hominem vorbringt, wobei er darauf hinweist, dass Aristoteles die Auffassung, die er in der EN den Vertretern der Ideen zuschreibt, in der EE so einfürht, als wäre sie seine eigene Ansicht. Allerdings ist unklar, ob Aristoteles der Ansicht ist, dass die Kategorien eine geordnete Reihe bilden, oder ob er eine solche Lehre nur den Vertretern der Ideen unterstellt. In letzterem Fall übt er eine Ideenlehre¬ immanente Kritik. Er könnte jedoch selbst meinen, dass die Kategorien insofern eine geordnete Reihe bilden, als die Substanz im ontologlischen Sinne früher als anderen Akzidenzien sind: »Das, was für sich besteht, die Substanz, ist aber naturgemäß früher als das, was in Bezug auf etwas ist (denn das Letztere ist wie Seitentrieb und Akzidenz des Seienden)« (EN I 4,1096 a 2022: Übers. Wolf). 32 Vgl. Arist. EN I 4, 1096b 25-6. 33 Vgl. VI 2 [43] 17, 15-20. Bemerkenswert ist, dass Plotin das Gute selbst nicht als »Idee« des Guten bezeichnet.
3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben
71
An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass Plotin die Homonymie des Guten annimmt. Allerdings lehnt er eine zufällige Homonymie des Guten ab. Zur Erklärung der nicht zufälligen Homonymie des Guten zieht er drei Möglichkeiten in Erwägung: (1) Es besteht in der geordneten Reihe des Guten ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Früherem und Späterem. (2) Es gibt ein Gut, von dem alle anderen Güter stammen (jtap evoc) und an dem alle teil¬ nehmen (psiaZapßdvsi), allerdings in verschiedener Weise je nach ihrer ei¬ genen Natur. (3) Es gibt ein Gut, auf das sich alle anderen Güter beziehen (npcx; xö 8v).34 Er entscheidet sich jedoch nicht deutlich für eine Option. Es ist auch unklar, ob sich die drei Möglichkeiten gegenseitig ausschließen. Schroeder schlägt vor, die Homonymie des Guten bei Plotin mit Hilfe der aristotelischen Auffassung von der pros-hen-Prädikation zu erklären, wobei er den von Owen eingeführten Ausdruck »focal meaning« in Anspruch nimmt: Das Prädikat »gut« bei Plotin sei »a term predicable by focal meaning of different entities within a hierarchy«.35 Angesichts der Schwierigkeiten der Theorie des »focal meaning«36 sollten wir offenlassen, inwieweit jene Theorie auf den Fall des Guten bei Plotin anwendbar ist. Für unseren Zweck genügt die Feststellung, dass Plotin eine nicht zufällige Homonymie des Guten postuliert, die mögli¬ cherweise eine Art pros-hen-Beziehung aufweist. Also stellt das Gute selbst bei Plotin keine allgemeine Bedeutung dar, die allen Dingen, die »gut« heißen, gemeinsam ist. Es ist aber möglich, dass das Gute selbst etwas ist, worauf sich alle anderen Güter beziehen. Es ist natürlich nicht zu vergessen, dass das Gute selbst bei Plotin wie bei Platon kein bloßer Allgemeinbegriff ist, sondern ein metaphysisches Prinzip, welches allen naturgemäßen und wesenseigenen Aktivitäten zugrunde hegt, und vermöge dessen alle guten Dinge gut sind.
3.3 Das vollkommene, wahre und wirkliche Leben Wir haben gesehen, dass Plotin nicht nur eine Homonymie des Lebens, son¬ dern auch eine Hierarchie des Lebens annimmt. Signifikant ist, dass er die Hierarchie des Lebens durch die Homonymie von Urbild und Abbild erklärt, 34 VI 2 [43] 17, 25-29. Diesbezüglich nennt Aristoteles in EN 1096b 27-8 drei Möglichkeiten: Es gibt ein Gut, (i) von dem die anderen Güter abgeleitet werden (dtp’ tvoq); (ii) auf das sich die anderen beziehen (7ipo% f|pexepov).58 Aus diesem Zitat geht hervor, dass der Geist selbst als unser gelten kann, und zwar insofern, als wir ihn zusätzlich gebrauchen. Dieser zusätzliche Gebrauch des Geistes selbst besteht nach Plotin darin, »gemäß jenem« (Kax’sKstvov: 3, 31) zu überlegen und zu erkennen. Dabei sind wir selbst es, die überlegen und geistig erkennen. Plotin stellt klar, dass wir selbst nicht jener Geist, sondern »das Hauptstück der Seele« sind, nämlich der Verstand (Öiavoia, xd ötavor|xikov). Nun weist er darauf hin, dass wir in zweifachem Sinne »gemäß jenem« wirken, und zwar (i) in dem Sinne, dass jener Geist uns gleichsam »Gesetze« (vöpoiq) eingeschrieben hat; (ii) in dem Sinne, dass wir gleichsam von ihm 54 I 1 [53] 9, 13-14. 55 I 1 [53] 13, 5-8. 56 I 4 [46] 10, 3 f. Vgl. Z. 18: f| Stdvota Kal 6 voüq voei. In Platons Liniengleichnis werden voö«; und Sidvota als kognitive Zustände (7ra0f||rcn:a, g^eiq) der Seele eingeführt, die sich auf die geistigen Gegenstände (xot vorixd) beziehen. Genauer gesagt, hat der Geist die Ideen zum Gegenstand, während der Verstand sich auf die mathematischen Gegenstände (ra |.ia0T||i(mKd) bezieht. 57 V 3 [49] 2, 14; 3, 20-22. Aristoteles gebraucht in EN VI den Ausdruck voüq manchmal für den Verstand (Stdvoia, SiavorixiKOv). 58 V 3 [49] 3,23-29.
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3. Das vollkommene Leben
»erfüllt« werden (4, 2-4). Zu (i): »Gesetze« beziehen sich wohl auf »Regeln« (icavooiv), die der Verstand vom Geist her hat und zum Urteilen einsetzt (4, 15-17). So kann man sagen, dass wir »gemäß jenem« wirken, indem wir gemäß den Normen, die von jenem absoluten Geist herkommen, urteilen. Zu (ii): Plotin scheint sich uns als ein leeres Subjekt vorzustellen, das durch die Erkenntnis vom Objekt gefüllt wird. Demnach werden wir im gewissen Sinne zum Geist, indem wir ihn erkennen: Vermöge des Geistes erkennt man dann sich selber nicht mehr als Menschen, sondern man ist ein gänzlich anderer geworden, man hat sich selber in die Höhe entrückt, und nur das bessere Stück der Seele, welches allein zu geistiger Erkenntnis sich beflügeln vermag, zieht man mit hinauf, damit jemand die Schaunisse dort aufbewahren kann.59 Da der Verstand zur geistigen Erkenntnis befähigt ist, so ist anzunehmen, dass er »das bessere Stück der Seele« ist. Wie oben erwähnt, sind wir selbst gerade dieser Verstand, nämlich »das Hauptstück der Seele«. An dieser Stelle ist auf Plotins Bemerkung hinzuweisen, dass wir aktiv seien, wenn das geistige Er¬ kennende aktiv sei.60 Demnach liegt die Aktivierung bzw. Aktualisierung des menschlichen Selbst in der Aktivierung des geistig Erkennenden, nämlich des Verstandes und des Geistes. Da allerdings der Geist immer schon aktiv ist, so kommt es bei der Selbstverwirklichung des Menschen eigentlich auf die geistige Aktivität des Verstandes an. So ist das aktive oder aktualisierte Selbst des Menschen nichts anderes als der geistig erkennende Verstand. Durch die geistige Aktivität des Verstandes, d. h. die Verwirklichung des geistigen Selbst, nimmt der Mensch am glücklichen Leben teil, welches ansonsten nur den Göttern zukäme.
59 V 3 [49] 4, 10-15. Plotin spielt auf den Mythos des Höhenflugs in Platons Phaidros 246 c 1 an. 60 I 4 [46] 9, 29-30: rj 5s xou vooßvroq evepyeia- cocrxe evf.pyoüvxoc eicdvou cvEpyolpev av
4. Das selbstgenügsame Leben
4.1 Die Autarkie des Tugendmenschen Glücklich ist nach Plotin derjenige Mensch, der »das vollkommene Leben« aktuell besitzt. Ein derartiger Mensch ist, so Plotin, sich selbst genug. Also sucht der plotinische Glückliche nichts anderes mehr: »Was sollte er noch suchen ? Ein Geringeres natürlich nicht, und zu dem höchsten Gut (apicrccp) ist er bereits gesellt. Also ist die Lebensweise (ßloq) selbstgenügsam (abrapKripr|v) ablaufen und ihn doch nicht im Geringsten im Besitz des einmal erlangten Ziels erschüttern.20 Folgerichtig vertritt Plotin die Ansicht, dass das Glück nicht von den güns¬ tigen oder widrigen Zufällen abhängt. Damit widerspricht er eindeutig der aristotelischen Position, die besagt: »Ohne die äußeren Güter, wo der Zufall die entscheidende Rolle spielt, kann man nicht glücklich sein.«21 Mit den Stoikern behauptet er, dass der Weise auch im Priamosschicksal und im Stier des Phalaris glücklich ist, wie wir bald sehen werden.22 Mit seiner These von der Autarkie des Weisen sucht Plotin das Glück au¬ ßerhalb der Unsicherheit der condition humaine zu etablieren. Solange wir das Glück mit dem Besitz der äußeren Güter gleichsetzen, liefern wir unser Glück dem unabsehbaren Zufall aus. Damit machen wir unser Glück grundsätzlich vom Unverfügbaren abhängig. Diese Auffassung des Glücks ist in Plotins Augen illusorisch. Er bemüht sich daher um eine »realistische« Auffassung des 19 I 4 [46] 6,4-7. 20 14 [46] 7, 8-14. Vgl. 4, 30 f. 21 (Arist.), MM II 8, 1206b 33-34. Die Echtheit der MM ist allerdings umstritten. Man könnte vielleicht bestreiten, dass der Zufall bei Aristoteles »die entscheidende Rolle« für das Glück spielt. Sicher ist, dass Aristoteles den günstigen Zufall bzw. die Schicksalsgunst für das Glück für notwendig hält. Vgl. Arist. EN VII 14, 1153b 17- 19. 22 Vgl. Arist. EN I 10, 1100a 8-9, SVF III 585.
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4. Das selbstgenügsame Leben
Glücks, wonach dessen Verwirklichung im Prinzip bei uns liegt. Sein Evan¬ gelium besteht darin, dass es bei uns liegt, gut und glücklich zu sein, während alles, was nicht bei uns liegt, irrelevant für das Glück ist. Unter den antiken Platonikern ist die Autarkie-These allerdings nicht un¬ umstritten. So standen Plutarch und Taurus auf der Seite der Peripatetiker, während Alkinoos und Attikos mit den Stoikern übereinstimmten. Antiochos von Askalon, welchem sich Cicero anschließt, vertritt eine interessante Posi¬ tion, wonach die Weisheit allein hinreichend zum Glück ist, obwohl das Glück durch äußere Güter gesteigert werden kann. Demzufolge ist der Weise immer glücklich, aber nicht zwangsläufig am glücklichsten: Alle Weisen sind glücklich, während einer glücklicher als ein anderer sein kann.23 Plotin vertritt eine restriktive These, welche die Steigerungsmöglichkeit des Glücks durch äußere Güter verneint.24 Trotzdem schließt er damit die Stei¬ gerungsmöglichkeit des Glücks nicht völlig aus. In Enn. I 5 [36] hält er nämlich eine Steigerung des Glücks durch den Fortschritt in der Tugend für möglich: Wenn es aber auch hier etwas wie einen Zuwachs (emöoou;) gibt durch die längere Zeitdauer, derart, dass man in höherem Maße glücklich wird, weil man zu einer höheren Tugend aufwächst (paAAov euSaipoveiv de apexfiv dnöiöovxa fidCova), so bemisst man damit das Lob des Glücks noch nicht nach der Zahl der Jahre, sondern lobt die eingetretene Steigerung in dem Augenblick, wo sie eintritt.25 Man kann eigentlich vom Zuwachs des Glücks nicht sprechen, wenn man das Glück als das höchste Gut im strengen Sinne auffasst. Denn das Glück ist, sofern es den höchsten Wert darstellt, nicht zu übertreffen. Nun versucht Plotin Bedingungen festszulegen, unter denen man vom wachsenden Glück sinnvoll sprechen kann. Die Frage, ob das Glück wächst, macht er davon abhängig, ob man in eine höhere Stufe der Tugend aufsteigen kann. Wenn das Glücks von der Tugend zu bemessen ist (2, 4-5), wobei die Tugend selbst in unterschiedliche Grade eingeteilt ist, dann kann man von der Steigerung des Glücks sprechen. Nun nimmt Plotin die Theorie der Tugendgrade an. Insofern ist es durchaus möglich, bei Plotin vom Zuwachs des Glücks zu sprechen.26
23 Vgl. Cic. fin. V 81, 95. 24 I 4 [46] 15, 1-3. 25 I 5 [36] 6, 19-23. Zum moralischen Fortschritt (7tpOKOjrrj) bei Plotin vgl. I 9 [16] 1, 17, bei den Stoikern vgl. Luschnat; Kidd S. 164 f. 26 In dieser Schrift geht es hauptsächlich um die Frage, ob das Glück mit der Zeit zunehmen kann. Plotin geht davon aus, dass das Glück weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sondern gerade in diesem Augenblick, in dem man gut lebt, widerfährt da das Leben in der Gegenwart (rö jrapöv) stattfindet (vgl. I 5 [36] 2, 10 - 13). So kann das Glück nicht mit der Zeit zunehmen. Dazu ausführlich siehe Linguitis Introduction.
4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These
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4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These Bei der Argumentation für die Autarkie des Tugendmenschen in Enn. I 4 [46] setzt Plotin sich mit schwierigen Fällen auseinander. Besonders herausfor¬ dernd sind drei Extremfälle, und zwar in Bezug auf (1) das Schicksal, (2) die körperlichen Schmerzen und (3) den Bewusstseinsverlust. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, wie Plotin sich konzeptuell ausrüstet, um das Glück des Tugendmenschen in solchen Fällen zu verteidigen.
4.2.1 Der Ringkampf mit dem Schicksal: Was wir eigentlich wollen Im Hinblick auf das viel diskutierte Priamosschicksal sieht Plotin sich mit dem folgenden Einwand, dass der Tugendmensch mit einem solchen Schicksal nicht glücklich ist, konfrontiert: »Denn mag er solche Schicksalsschläge auch ertragen und selbst leicht tragen, sie wären doch immerhin nicht nach seinem Wollen. Das glückliche Leben aber muss nach dem Wollen (ßouZr|Tbv) sein« (5, 7-9). Das Argument lässt sich wie folgt rekonstruieren: (A) Das glückliche Leben ist etwas, das man will. (B) Man will aber kein Leben, das dem Schicksal des Priamos gleichkommt. (C) Das Leben mit dem Priamosschicksal ist kein glückliches Leben. Plotin stimmt dem Satz (A) zu. Allerdings unterscheidet er zwischen dem Wollen in (A) und dem Wollen in (B), um die Schlussfolgerung (C) zu ent¬ kräften. Zur Erläuterung dieser Unterscheidung ist der folgende Passus her¬ anzuziehen: Auf das Vorhandensein der notwendigen Dinge aber richtet sich kein Wollen (ßonA,r|ot^), wenn man »Wollen« im eigentlichen Sinne (lcuptcoi;) meint und nicht miss¬ bräuchlich verwendet. Gewiss, wir wertschätzen (a^ioüpev) auch das Vorhandensein dieser [notwendigen] Dinge, wie wir denn überhaupt dem Übel ausweichen; und dabei ist dieses Ausweichen (gKKAiogox;) doch nicht nach unserem Wollen (ßoiAr|röv); denn es wäre mehr nach unserem Wollen, eines solchen Ausweichens gar nicht erst zu bedürfen.27 Hier unterscheidet Plotin zwischen dem Wollen im eigentlichen Sinne und dem Wollen im uneigentlichen Sinne. Ihm zufolge ist das Ziel, auf das sich das eigentliche Wollen richtet, weder das Vorhandensein des Notwendigen noch das Vermeiden des Übels. Folglich richtet sich das eigentliche Wollen nicht darauf, dem Priamosschicksal zu entgehen. Plotins Ansicht nach wäre es eher wünschenswert, dass es ein solches Schicksal überhaupt nicht gäbe, sodass 27 I 4 [46] 6, 19-24.
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4. Das selbstgenügsame Leben
sich auch das Entgehen selbst erübrigen würde. Der springende Punkt liegt darin, dass das eigentlich Gewollte an sich »attraktiv« (CTaycoyov: 6, 26) ist. Zur Verdeutlichung verweist er darauf, dass die Schmerzlosigkeit und Ge¬ sundheit an sich nicht anziehend sind: Das bezeugen diese Güter selber, solange sie vorhanden sind, z. B. Gesundheit und Schmerzlosigkeit; denn welchen Reiz haben sie dann für uns? Gesundheit wird doch gering geachtet, solange sie vorhanden ist, und ebenso Schmerzlosigkeit. Dinge aber, welche, wenn sie vorhanden sind, nicht attraktiv sind und dem Glück nichts hin¬ zusetzen, wenn sie aber nicht vorhanden sind, nur deswegen gesucht werden, weil ihre Abwesenheit Schmerzen bereitet, die verdienen wohl den Namen der Notwen¬ digkeiten, nicht den der Güter. Sie sind also auch nicht dem Ziel einzurechnen, sondern auch wenn sie fehlen und ihr Gegenteil vorhanden ist, bleibt es dabei, dass das Ziel zu bewahren ist.28 Dieser Text macht deutlich, dass das Wollen im eigentlichen Sinne nicht auf das Notwendige, sondern auf das Gute abzielt.29 Das heißt, dass das Not¬ wendige nicht das Gewollte im eigentlichen Sinne ist. Daraus ergibt sich, dass das Vermeiden des Priamosschicksals nicht zum Ziel des eigentlichen Wollens gehört. Das Wollen in (B) ist also nicht das Wollen im eigentlichen Sinne. Eigentlich stellt der Wille bzw. Wunsch (ßouZr|otg) bei Plotin eine Art des Strebens, d. h. eine Art des Wollens im weiten Sinne, dar, und zwar das ra¬ tionale Streben, welches im Unterschied zur Begierde nicht auf das Ange¬ nehme, sondern auf das Gute gerichtet ist.30 Zu beachten ist, dass Plotin hier von dem Ziel spricht. Seit hellenistischer Zeit wird von to telos (mit dem definitiven Artikel), wie schon gesagt, ter¬ minologisch gesprochen, und zwar im Sinne eines Lebensziels, nicht im Sinne eines beliebigen Handlungsziels. Plotin nimmt an, dass es für das menschliche Leben ein einheitliches Ziel gibt: Wenn aber das Ziel (rö xeZoq) etwas Einheitliches (ev n) und nicht vieles sein soll (denn sonst würde man nicht das Ziel, sondern mehrere Ziele suchen), so gilt es, allein jenes eine zu ergreifen, welches das Letzte (ecxaiov) und Würdigste (tipuoxatov) ist, und welches die Seele trachtet, tief innen in sich einzubefassen.31 Dieses letzte und würdigste Ziel des menschlichen Strebens ist das Glück. Plotin vertritt die Position, dass diesem Ziel nicht die notwendigen Dinge, sondern nur die Dinge, die den Namen »Güter« verdienen, zuzurechnen sind. Zwar gibt er zu, dass der Tugendmensch auch auf die notwendigen Dinge 28 I 4 [46] 6, 24-32. 29 Vgl. Plat. Gorg. 468c; Men. 78a; Resp. IV 437b; Arist. De an. 433a 23 ff.; SVF 111 431. 30 Auf das Thema kommen wir in Kap. 7. 2. 3. zurück. Hier genügt es zu unterstreichen, dass die ßonLricnq keinen Willen im Sinne einer rein »psychischen Energie« darstellt, die nicht auf ein bestimmtes Objekt gerichtet ist. Dazu vgl. Pohlenz, Stoa, S. 124 ff.; Wolf, Aristoteles, S. 125; Dihle; Kahn; D. Frede, Wille; M. Frede, Free Will, S. 73 ff.; Tugendhat, Wille. 31 I 4 [46] 6, 10-13.
4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These
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»abzielt« (oToya^öpevo«;: 16, 15), er meint damit jedoch nicht, dass die not¬ wendigen Dinge dem Lebensziel zugehören: »Denn die Möglichkeit des Glücks besteht dann nicht, wenn man die Außendinge als >Gewolltes< (ßouXr|id) bezeichnet und behauptet, der Tugendmensch wolle sie« (11, 10-12). Hier will Plotin die Möglichkeit des Glücks durch Verinnerlichung des Wil¬ lensziels absichern. Entsprechend behauptet er, dass der Tugendmensch sei¬ nen Willen »nach innen« (eig io elaco) richtet (11, 16-17). Freilich plädiert Plotin damit keineswegs für einen totalen Verzicht auf die notwendigen Dinge. Sie sind ja »notwendig«. Hierzu sei daran erinnert, dass der Glückliche insofern das Vorhandensein der naturgemäßen Dinge will (sBsAst), als sie zum Sein - nicht zum Glück - etwas beitragen (7, 1 -3). Dabei ist aber nicht von Wollen »im eigentlichen Sinne« die Rede. Abschließend ist zu bemerken, dass Plotins Plädoyer für die innere Hin¬ wendung nicht zu einem passiven Quietismus hin führt. Gewiss ist Plotin der Meinung, dass man dem Lauf der Dinge im All Gefolgschaft leisten muss (87tsa0ai xpp), weil unser All nun einmal so angelegt ist, dass solche Schick¬ salsschläge sich ereignen (7, 40-42). Dennoch ist er kein resignierter Fatalist, der glaubt, dass das Schicksal schon alles vorgegeben hat, sodass nichts mehr verhindert oder verändert werden kann. Vielmehr ruft er uns dazu auf, Schicksalsschläge abzuwehren, und zwar »nicht laienhaft, sondern wie ein großer Wettkämpfer (oiov döArixfiv peyav)« (8, 24-27). Dazu noch fordert er auf zu erkennen, dass Schicksalsschläge, mögen sie auch » nicht erfreulich« (ouk apgaxa) sein, letztlich doch nur ein »Kinderschreck« sind. Sicher ist er sich darüber im Klaren, dass man sich eine solche souveräne und nüchterne Haltung gegenüber dem Schicksal schwer aneignen kann. Für den Tugend¬ menschen aber ist das, was man gewöhnlich für schrecklich hält, kein ernsthalftes Unteil. In der Tat ist es gerade Aufgabe der Tugend, die gewöhnliche Natur zum Besseren, Edleren hinzuleiten, hinaus über die Stufe der Menge (8, 21-22). So tritt der plotinische Spoudaios, gewappnet mit der Tugend, dem nicht gewollten Schicksalsschlag mit großer Gelassenheit gegenüber und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
4.2.2 Das Laternenlicht im Sturm: Was wir eigentlich sind Plotin ist sich mit den Stoikern wie den Epikureern darin einig, dass der Tugendmensch glücklich ist, selbst wenn er im notorischen »Stier des Phalaris« zu Tode geröstet wird. Allerdings macht Plotin daraus kein Hehl, dass sein Tugendmensch die Schmerzempfindung auf der Folterbank nicht ange¬ nehm finden wird: »Dies angenehm (f)5u) zu nennen ist töricht, möge man es auch zweimal oder noch öfter aussprechen« (13,7 — 8).32 Er weist jedoch darauf
32 Nach Ciceros Bericht in Tus. II 17 hat Epikur behauptet, er werde auch in jenem ehernen Stier
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4. Das selbstgenügsame Leben
hin, dass nicht der Mensch selbst, sondern sein Körper es ist, der dabei Schmerzen empfindet (13, 10). Dagegen kann man allerdings einwenden, dass Plotin das Wesen des Menschen zu Unrecht einseitig auf die der Seele beschränkt: »Doch ist der Tugendmensch nicht identisch mit der entsprechend beschaffenen Seele, ohne dass die körperliche Natur seinem Wesen eingerechnet würde« (5, 9-11). Dieser Einwand legt die Auffassung nahe, dass das Glück nicht allein im seelischen Teil des Menschen, sondern im ganzen Menschen zu suchen ist: »Andernfalls müsste man den Körper und die Wahrnehmung des Körpers ganz losreißen vom ganzen Menschen auf der Suche nach der Autarkie zum Glück« (5, 22-24). In seiner Erwiderung lehnt Plotin eben die anthropologische Annahme ab, dass »der Mensch« aus Seele und Körper besteht (14, 1 -2). Er betrachtet den Körper nicht als einen integralen Teil des Menschen. Was den Menschen ausmacht, ist für ihn die Seele. Daraus ergibt sich, dass die körperlichen Affektionen und Wahrnehmung nicht »dem Menschen« selbst zugehören (5, 9 f.). Also stellt er den Körper als etwas dem Menschen Äußerliches dar. Auf dieser Grundlage behauptet er, dass die körperlichen Schmerzen nicht bis in »das Innere« des Menschen dringen können: »Bemitleidenswert (cXceivc»;) wird er [sc. Tugendmensch] in seinem Schmerzen keinesfalls sein, sondern der Glanz in seinem Inneren (svöov cpsyyog) ist, wie das Licht in der Laterne, wenn es draußen gewaltig stürmt in Windgebraus und Unwetter« (8,2 - 5). Der Mensch kann also glücklich sein, auch wenn der Körper heftige Schmerzen hat, solange sein Inneres gut ist. Der Mensch ist im eigentlichen Sinne dieses Innere. Im Hinblick darauf bemerkt Plotin, dass der Tugendmensch sich durch »die Abtrennung vom Körper so wie die Verachtung (Karacppovriaic;) der angebli¬ chen Güter des Leibes« auszeichnet (14, 2-4).33 Denn es ist ihm angelegen, sich um sich selbst zu sorgen. Er will jedoch nicht darauf hinaus, dass der Tugendmensch seinen Körper und alles, was mit diesem zusammenhängt, völlig vernachlässigen würde. Vielmehr hält er es für natürlich, dass der Tu¬ gendmensch auch für seinen Körper sorgt, »denn er gibt diesem, soviel die Notdurft verlangt und er zu geben vermag, er selbst ist aber ein anderer (autcx; öseov aZZog)« (16,17- 18). Zu unterstreichen ist, dass der Tugendmensch sich selbst von seinem Körper zu unterscheiden weiss. Trotzdem kümmert er sich um den Körper. Daraus ergeben sich für den Tugendmenschen zweierlei Aufgaben: So zielen seine Aufgaben (epya) nur zum Teil auf das Glück ab, zum anderen Teil sind sie nicht um des Zieles willen da, überhaupt nicht um seinetwillen, sondern um des
Lust zu empfinden wissen und sagen: »Wie angenehm, wie wenig kümmert mich dies!« Vgl. SVF III 586. 33 Vgl. VI 7 [38] 31, 21; V 8 [31] 6, 11.
4.2 Plotins Verteidigung der Autarkie-These
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anderen willen, das mit ihm verkoppelt ist (rou Tipoae^euypevou), für das er sorgt und das er erträgt, solange es möglich ist, so wie ein Musiker seine Leier versorgt, solange sie gebraucht werden kann.34 Also trägt der Tugendmensch nicht nur für sich selbst Sorge, sondern auch für den Körper als das Andere. Auffallend ist, dass Plotin hier den Körper des Tugendmenschen nicht bloss mit einem Werkzeug, sondern mit einem Mu¬ sikinstrument, nämlich mit der Leier vergleicht. Das impliziert, dass der Tu¬ gendmensch mit einem Leierspieler vergleichbar ist. Dies erinnert an die harmonische Lenkung der Welt durch die Weltvernunft. Der Vergleich des Tugendmenschen als Leierspieler dürfte dementsprechend daraufhindeuten, dass der Tugendmensch auch mit dem Körper verbunden ein harmonisches Leben führt..35 Sicher verlässt jeder Mensch seinen Körper, wenn »die Stunde der Natur« angekommen ist. Allerdings unterwirft Plotins Tugendmensch sich nicht unbedingt dem Gebot der Natur. Er ist sein eigener »Herr« und somit selbst befugt, darüber Beschlüsse zu fassen, wann er weggeht (16, 18-20) Ihm steht die Selbstbestimmung (to aure^ouoiov) zu (8, 8 - 9). In dieser Auffassung folgt Plotin den Stoikern, die den »wohlerwogenen Freitod« (euZoyoc; s^aycoyri) als ein sittliches Recht des Weisen erklären.36 Zu betonen ist, dass man gute Gründe für den Freitod haben muss (vgl. euZöycoq: 7, 44). Es ist jedoch zu bemerken, dass der Freitod bei Plotin zwar nicht verboten ist, jedoch nur als Mittel in der Not in Frage kommt, d. h. nur in einer außergewöhnlichen Si¬ tuation (8K 7iepiGT(xoscothe other< would have been to totally alien to him, would be incorrect.«
4.3 Das Gefühl des Tugendmenschen
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wesens unterscheidet.61 Damit deutet er an, dass es eine Art von Freundschaft gibt, die zum rationalen Wesen des Menschen gehört. Allerdings ist festzu¬ halten, dass der plotinische Tugendmensch sein Glück auf keinem Fall von anderen abhängig macht: Wünschen mag er nämlich auch (sSe^oi yap av Kai), dass es allen Menschen gut gehe und niemanden irgendein Übel treffe; aber, auch wenn das nicht eintrifft, kann er trotzdem glücklich sein. Entgegnet man, dass ein derartiger Wunsch reinen Wider¬ sinn bedeuten würde - denn es sei ja unmöglich, dass es kein Übel gäbe - nun, so gibt man klärlich uns damit Recht, die wir seinen Willen (ßouM|oiv) ganz nach innen wenden.64
63 I 1 [53] 10, 15. 64 I 4 [46] 11, 12-17.
5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere
5.1 Die providentielle Sorge der Seele um den Körper1 Als guter Platoniker hält Plotin daran fest, dass die Seele als Prinzip der Bewegung nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst bewegt, wie es im Phaidros 245c 7-9 steht. Was die Selbstbewegung der Seele betrifft, so haben wir bisher ihre Aufstiegsbewegung vom sinnlichen Kosmos zum geistigen Kosmos betrachtet, welche die Selbstvervollkommnung der Seele ausmacht. Allerdings gibt es noch eine Abstiegsbewegung, bei der die Seele zur Ver¬ vollkommnung des sinnlichen, körperlichen Kosmos beizutragen hat. Wichtig ist, dass Plotin den Abstieg der Seele in diesen Kosmos auf ihre eigene sorgende Natur zurückführt: »Die Seelen sind ja gar nicht etwa herabgekommen, weil der Kosmos nun einmal da war. Schon ehe der Kosmos da war, lag es an ihnen, dem Kosmos zu gehören, sich um ihn zu sorgen (e7up£^sTa0ai) und ihn ins Dasein zu rufen (fxptoxdvai), zu durchwalten (SioiksTv) und zu schaffen (7108 iv).«2 Im Hinblick auf die Sorge der Seele um den Körper beruft Plotin sich wiederum auf Platons Phaidros 246b 6: »Und die Stelle im Phaidros ,Alle Seele kümmert sich um das Unbeseelte (xpxJXH Tiacra navToq 87up£keTxai xou av|/uXOu)‘? Nun, was anders soll es sein, das die Natur des Körpers durchwaltet, formt, ordnet oder schafft, als die Seele?«3 Das Ziel dieser Sorge liegt in der Mitteilung des Guten: Denn was die unbeseelten Gegenstände betrifft, so kommt ihnen die Gabe des Guten (toü dya0oö [...] f) 8ooic;) von einem anderen her zu; was dagegen Seele hat, bei dem sorgt das Streben dafür, dass sie sich selber darum bemüht, so wie den verstorbenen Körpern Pflege (gTupeZem) und Sorge (tcijSeuoi^) von den Lebenden zuteil wird, während die Lebenden für sich selber Fürsorge (jtpovoia) treffen.4 Hierbei gebraucht Plotin den Ausdruck 7ipovoia ganz allgemein im Sinne der Fürsorge, und zwar der wohlwollenden Sorge und Pflege. Entsprechend er¬ blickt er die Vorsehung der Seele für den Körper darin, »dem Körper die Möglichkeit zum Wohl wie zum Sein zu geben« (ocbpan 7iapex£iv xf|V xoü eu
1
Eine frühere Version ist erschienen in Song, Providentielle Sorge.
2 3 4
III 2 [47] 7, 23-25. IV 3 [27] 7, 12-5. VI 7 [38] 26, 7-12. Das Wort Kijöeuou; bedeutet allgemein »Sorge oder Fürsorge«, aber kann in diesem Kontext noch konkreter »Bestattung« bezeichnen (so Tornaus Übersetzung, S. 284). Dazu vgl. LSG, S. 946.
5. Der Abstieg der Seele: Die Sorge um andere
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öuvapiv Kat ton sivai).5 Eben in diesem Sinne steht die Seele bei Plotin in einem providentiellen Verhältnis zum Körper. Zu dem Guten, welches die Seele dem Körper zuteil werden lässt, gehört in erster Linie das Leben.6 Als Wohltäterin versorgt die Seele den Körper mit allem, was dieser zum Leben braucht. Eine derartige Vorsehung setzt offenbar ein ungleiches Verhältnis voraus, und zwar ein asymmetrisches Abhängig¬ keitsverhältnis, wonach der Körper ohne Seele nicht leben kann, aber nicht umgekehrt. Nun macht die Seele, wie gesagt, nicht nur den Körper lebendig, sondern führt auch ihr eigenes Leben.' Plotin zufolge führt die Seele in Reinform, d. h. frei von den körperlichen Einflüssen, ein »göttliches« Leben, worunter er ein »gutes und einsichtiges Leben« versteht.8 Dementsprechend hält er es für dringend geboten, unsere Seele zu reinigen. Eine solche Reinigung bewirke den Aufstieg zum geistigen Kosmos, der nichts anderes sei als der »Aufstieg zu sich selbst«.9 Damit deutet er an, dass unsere Seele ursprünglich »da oben« hingehört. Darüber hinaus weist Plotin darauf hin, welche Mühe es unserer Seele bereitet, für einen mangelhaften, unvollkommenen Leib zu sorgen: »Die Leiber bedürfen mannigfacher und beschwerlicher Vorsehung (npovoia), weil von außen viel Fremdes auf sie eindringt, weil sie unter dem ständigen Druck der Notdurft stehen, und weil ihre jämmerliche Gebrechlichkeit alle Hilfe erfordert.«10 Schließlich stellt er fest, dass die Gemeinschaft (Koivwvta) mit dem Körper für die Seele insofern als Ärgernis angesehen werden kann, als sie einerseits für das geistige Erkennen hinderlich ist, andererseits die Seele mit Lust und Schmerz sowie den anderen irrationalen Affekten erfüllt,11 »weshalb denn auch der Körper ihre Fessel und ihr Grab heißt, und dieser Kosmos ihre Höhle und Grotte.«12 Angesichts dieser Feststellung drängt sich die Frage nach dem Sinn und Zweck des hiesigen Lebens der Seele auf: Wozu ist die Seele hierher gekom¬ men, anstatt in der ihr eigenen heilen Welt zu bleiben? Warum kümmert sie sich um den Körper? In Enn. IV 8 [6] Über den Abstieg der Seele in die Körperwelt liefert Plotin dafür eine teleologische Erklärung: So also kommt die Seele, ob sie gleich ein Göttliches ist und von den oberen Räumen stammt, in den Leib, sie, ein späterer Gott im Range, schreitet hinab in diese Welt mit freigewollter Wendung (poTrfj anxe^onoicp), wegen ihrer Kraftfülle sowie zum Zweck
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IV I 1 IV IV IV
8 [6] 2,24-26. [53] 4, 1-4. 7 [2] 9,6-13. 7 [2] 10,4-7. 7 [2] 10, 14.
10 IV 8 [6] 2, 11 - 14. Vgl. IV 3 [27] 4, 21-37. 11 IV 8 [6] 2, 42 - 53. Vgl. Plat. Phaed. 66c 2-4. 12 IV 8 [6] 3,4-5. Vgl. 1,30-34. Empedocl.fr. Bl20 DK; Plat. Phaed. 62b2-5;67d 1; Resp. 514a 5.
5.1 Die providentielle Sorge der Seele um den Körper
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des Ordnens (Koopr|oei) des unter ihr stehenden Wesens [...] Sie hat ihre eigenen Kräfte ans Licht gebracht und ihr Wirken und Schaffen offenbart; im Bereich des Körperlosen ruhend wären diese Kräfte unnütze (pdxr|v), da sie ewig unverwirklicht blieben, und der Seele selbst bliebe unbewusst, was sie in sich trägt, wenn es nicht in Erscheinung träte, nicht aus ihr hervorginge. Denn überall bringt erst die Verwirk¬ lichung das Vermögen zutage, welches sonst durchaus verborgen bliebe und gera¬ dezu ausgelöscht wäre und nicht existent, da es niemals zu realem Sein käme (oÜk ouoav pr)5e7iox8 övxtoq ouaav).13 Es fällt auf, dass Plotin den Abstieg der Seele auf ihren Nutzen hin betrachtet. Offensichtlich ist bei dieser Betrachtung eine teleologische Perspektive am Werk, wonach alles Geschehen einem bestimmten Zweck dient. Plotins Hin¬ weis auf den Nutzen, den die Verwirklichung der latenten Vermögen abwirft, erinnert insbesondere an die aristotelische Teleologie der Natur (»Die Natur tut nichts umsonst.«).14 So steigt die Seele in den Körper ab, um ihre Kräfte zur Geltung zu bringen, und zwar gemäß ihrer eigenen Natur. Demnach gründet der Abstieg der Seele in der inneren Zweckmäßigkeit der Seele. Zu berücksichtigen ist, dass die innere Natur der Seele ihrerseits in die teleologische Ordnung der umfassenden Natur als Gesamtwirklichkeit inte¬ griert ist: Wenn die Natur denn in diese beiden Seiten zerfällt, die geistige und die sinnliche, so ist es gewiss besser für die Seele, im Geistigen zu weilen; allein sie muss notwendig auch am Sinnlichen teilhaben, da ihre Natur solcherart ist (xoiauxr|v (puoiv sxoüar]); und sie darf nicht mit sich selber hadern (oök aYOtvaicxrixeov aurr)v eaurr]), dass sie, wo nun einmal nicht alles auf der Stufe des Höheren ist, eine Mittelstelle in der Wirklichkeit einnimmt (pi