Atem des Lebens. Band 1: Das Gehirn: Die moderne Neurologie und die Frage nach Gott. Glauben in Freiheit, Band III/4/1 9783843603874

Hat Gott das Gehirn geschaffen oder erschafft das Gehirn Gott? Eugen Drewermanns Grundlagenwerk über das Verhältnis der

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German Pages 864 [865] Year 2014

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Inhalt
Einleitung oder: Was Philosophen und Theologen einst über die Seele des Menschen lehrten und Naturwissenschaftler herauszufinden
1. Die «klassische» Lehre der Theologie von der Seele oder: Aporien der Metaphysizierung eines mythischen Bildes
a) platonische Konzepte und ihre Schwierigkeiten
b) aristotelische Konzepte und ihre Schwierigkeiten
2. Der Empirismus des 18. Jahrhunderts und die Befreiung von antik-mittelalterlichen Vorstellungen oder: Von Galen zu Gall
3. Läsionsforschung und Tierexperimente im 19. und 20. Jahrhundert
4. DieWiederkehr der uralten Frage nach «Person» und «Seele» oder: Zwischen Dualismus, Buddhismus, Idealismus, Psychoanalyse und Materialismus
A Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie
1. Eine kleine Übersichtskunde vom Gehirn
2. Der Hirnstamm nebst dem Kleinhirn, den Nuclei der wichtigsten Neurotransmitter sowie den Basalganglien
a) Der Hirnstamm als Ursprungsort der Hirnnerven
b) Die anatomischen Strukturen des Hirnstamms
c) Die wichtigsten neurochemischen Systeme des Hirnstamms und andere für unser Verhalten entscheidende Strukturen
a) Das Dopamin-System
b) Die Basalganglien und ihre Bedeutung für die Steuerung der Willkürmotorik
c) Das Noradrenalin-System
d) Das Serotonin-System
e) Das Acetylcholin-System
f ) GABA und Glutamat
d) Der Hirnstamm und die Praxis der Folter
e) Vokabeln zum Hirnstamm
3. Zwischenhirn und limbisches System
a) Anatomie des Zwischenhirns
a) Der Thalamus
b) Der Hypothalamus
b) Die Strukturen des limbischen Systems
a) Die unterste Ebene des limbischen Systems
b) Die mittlere Ebene des limbischen Systems
c) Die dritte Ebene des limbischen Systems
c) Vokabeln zu Zwischenhirn und limbischem System
4. Das Endhirn
a) Die anatomischen Strukturen im Endhirn
a) Das Pallium des Endhirns
b) Die markhaltigen Fasersysteme des Endhirns
b) Die Großhirnrinde
a) Äußere Gestalt und funktionelle Gliederung
b) Der Parietallappen und seine somatosensorischen Funktionen
c) Der Frontallappen und seine motorischen Funktionen
d) Der Okzipitallappen und seine visuellen Funktionen
e) Der Temporallappen und seine auditorischen Funktionen
c) Arbeitsweise und funktionale Organisationsprinzipien im Isocortex
a) Brodmann-Areale
b) Die Arbeitsweise des Isocortex am Beispiel der Spracherzeugung
c) Zusammenarbeit und Spezialisierung der rechten und der linken Hirnhälfte
d) Bedeutung und Lage der Assoziationscortices
d) Vokabeln zum Endhirn
5. Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern
a) Evolutive Erinnerungen
b) Von Neuronen und Gliazellen
c) Von Reiz und Ruhe oder: Membran und Potentiale
d) Die Signalübertragung an den Synapsen
a) Die schnelle erregende chemische Synapse
b) Die schnelle hemmende chemische Synapse
c) Kompetitive Hemmung an Rezeptoren
d) Langsame synaptische Wirkungen: Das Second-Messenger-System
e) Die elektrische synaptische Übertragung
e) Von Neurotransmittern, Rezeptoren sowie der Funktion des autonomen (vegetativen) Nervensystems
a) Acetylcholin (ACh)
b) Aminosäuretransmitter
c) Catecholamintransmitter und ihre Rolle im peripheren autonomen (vegetativen) Nervensystem
Exkurs: Das sympathische und das parasympathische System
d) Serotonin
6. Entwicklung und Plastizität des Gehirns
a) Die Bedeutung des Erbguts und die Beeinflussung durch andere Zellen in der Entwicklung des jeweiligen Neurons
b) Wie eine Vorläuferzelle zur Nervenzelle wird und wie sie ihren Bestimmungsort im Nervensystem findet
c) Wie eine Nervenzelle mit anderen Zellen in Kontakt tritt oder: Von Leitmolekülen, Chemotropismus und der Konkurrenz zwischen
d) Vom Kampf zwischen Nervenzellen und dem Überleben der Fittesten
e) Die Plastizität des Gehirns oder: Wie Erfahrungen die neuronale Entwicklung bestimmen
B Von einigen Leistungen des Gehirns und einigen Fragen aus Philosophie und Theologie
1. Lernen und Erinnern
a) Nicht-assoziatives implizites Lernen oder: Von Habituation und Sensitivierung am Beispiel von Aplysia
a) Habituation – Verhaltensunterdrückung auf Grund von Gewöhnung
b) Sensitivierung – Allgemeine Zunahme der Reaktionsbereitschaft als Folge einer schmerzhaften Erfahrung
b) Assoziatives implizites Lernen oder: Die Frage der Kausalität und die Veranlagung zum Aberglauben
a) Iwan P. Pawlow und die klassische Konditionierung
b) Burrhus F. Skinner und die operante Konditionierung
c) Explizites Gedächtnis
a) Die Vorgänge im Hippocampus
b) Einspeicherung (Encodierung) und Abruf von Gedächtnisinhalten (Informationen)
c) Neuroanatomische Ursachen von Gedächtnisstörungen
d) Streß- und traumabedingte Amnesien
e) Altersbedingte Gedächtniseinschränkungen
2. Die Welt der Träume oder: Ein strittiges Thema als methodischer Testfall
a) Weshalb wir schlafen und wie wir träumen
b) Vom Zweck und Sinn des Träumens
3. Von Wahrnehmung und Wahrheit
a) Das Sehen
a) Zur Evolution der Augen
b) Das Verarbeitungssystem auf der untersten Ebene: Verschaltungen in der Retina
c) Das Verarbeitungssystem auf der nächsthöheren Ebene: Corpus geniculatum laterale und primäre Sehrinde
d) Noch eine Ebene höher:Weitere visuelle Felder – die Wahrnehmung von Bewegung, Farbe und Form
e) Das Corpus callosum und das räumliche Sehen
f) Das «Ich» und sein Gegenstand
b) Das Riechen
4. (An)Trieb und Motivation am Beispiel von Temperaturregulation und Nahrungsaufnahme
a) Homöostatische Regelkreisläufe
a) Die Temperaturregulation als Beispiel
b) Sollwerttheorien zur Gewichtsregulation
c) Anreiz- und Bezugspunkttheorie
b) Fehlgeleitete Triebe: Fettleibigkeit und Magersucht
5. Schmerz, Lust und Drogensucht
a) Schmerzbahnen und Schmerzwahrnehmungen
b) Körpereigene und künstliche Schmerzkontrolle
c) Sucht und Suchtmittel
d) Drogen als Volksseuchen: Nicotin, Alkohol, Coffein, Cannabis und Psychedelika
a) Nicotin
b) Alkohol
c) Coffein
d) Cannabis
e) Psychedelika: Vom aztekischen «Zauberpilz» zu LSD
6. Emotionen oder: Von Aggression, Beschwichtigung und Liebe
a) Von Tieren und Menschen
b) Emotionstheorien
a) Die Emotionstheorie von William James und Karl G. Lange
b) Die Emotionstheorie von Walter B. Cannon und Philip Bard
c) Noch einmal: James Papez und das limbische System
d) Die Emotionstheorie von Joseph E. Ledoux
e) Die Emotionstheorie von Jaak Panksepp
f) Die Emotionstheorie von Antonio R. Damasio
c) Neuronale Grundlagen emotionaler Reaktionen oder: Die zentrale Rolle der Amygdala
d) Und dann noch: die Liebe
a) Sexualität, Hormone und Hirnstrukturen
b) Jenseits der Sexualität oder: Ein bißchen Liebe
c) Sexuelle Abweichungen in Anatomie und Verhalten
7. Angst oder: Ein Fahrstuhl durch die Existenz
a) Die Angst der Tiere
a) Die Disgregations-Angst
b) Die Angst vor dem Beutegreifer
c) Die Schuldangst
d) Die Angst, zu verhungern
e) Die Misere des Menschseins
b) Die (kindliche) Angst der Neurotiker
c) Die Angst des Selbstseins
a) Geist, Angst und Verzweiflung in der Existenzbeschreibung Sören Kierkegaards
b) Furcht und Angst in der Ontologie Martin Heideggers
d) Biopsychologische Mechanismen der Angst
a) Die Bedeutung der frühen Kindheit
b) Die Rolle der Amygdala
c) Die Neurophysiologie der Angst
Anhang
Bibliographie
Bildnachweis
Register
Personen
Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte
Theologische Begriffe und Sachverhalte
Bibelstellen
Über den Autor
Über das Buch
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Atem des Lebens. Band 1: Das Gehirn: Die moderne Neurologie und die Frage nach Gott. Glauben in Freiheit, Band III/4/1
 9783843603874

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EUGEN DREWERMANN

Atem des Lebens Die moderne Neurologie und die Frage nach Gott Band 1: Das Gehirn

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2

Inhalt

Glauben in Freiheit, Band 3 Religion und Naturwissenschaft 4. Teil: Neurologie und Theologie 1. Band: Das Gehirn. Grundlagen und Erkenntnisse der Hirnforschung

Inhalt

Eugen Drewermann

Atem des Lebens Die moderne Neurologie und die Frage nach Gott 1. Das Gehirn. Grundlagen und Erkenntnisse der Hirnforschung Glauben in Freiheit, Band III, 4/1

Patmos Verlag

3

Inhalt

«Die Seelenkunde hat manches beleuchtet und erklärt, aber vieles ist ihr dunkel und in großer Entfernung geblieben. Wir glauben daher, daß es nicht zu viel ist, wenn wir sagen, es sei für uns noch ein heiterer unermeßlicher Abgrund, in dem Gott und die Geister wandeln. Die Seele in Augenblicken der Entzückung überfliegt ihn oft, die Dichtkunst in kindlicher Unbewußtheit lüftet ihn zuweilen; aber die Wissenschaft mit ihrem Hammer und Richtscheite steht häufig erst an dem Rande, und mag in vielen Fällen noch gar nicht einmal Hand angelegt haben.» adalbert stifter: Brigitta (1843), in: Werke, I 661

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Inhalt

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Inhalt

Einleitung oder: Was Philosophen und Theologen einst über die Seele des Menschen lehrten und Naturwissenschaftler herauszufinden suchten . . . .

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1. Die «klassische» Lehre der Theologie von der Seele oder: Aporien der Metaphysizierung eines mythischen Bildes . . . . . . . . . a) platonische Konzepte und ihre Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . b) aristotelische Konzepte und ihre Schwierigkeiten . . . . . . . . .

15 16 26

2. Der Empirismus des 18. Jahrhunderts und die Befreiung von antikmittelalterlichen Vorstellungen oder: Von galen zu gall . . . . . . .

30

3. Läsionsforschung und Tierexperimente im 19. und 20. Jahrhundert

38

4. Die Wiederkehr der uralten Frage nach «Person» und «Seele» oder: Zwischen Dualismus, Buddhismus, Idealismus, Psychoanalyse und Materialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

A. Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie . . . . . . . . . . . . . .

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1. Eine kleine Übersichtskunde vom Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Der Hirnstamm nebst dem Kleinhirn, den Nuclei der wichtigsten Neurotransmitter sowie den Basalganglien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Hirnstamm als Ursprungsort der Hirnnerven . . . . . . . . . . . b) Die anatomischen Strukturen des Hirnstamms . . . . . . . . . . . . . . c) Die wichtigsten neurochemischen Systeme des Hirnstamms und andere für unser Verhalten entscheidende Strukturen . . . . . . . . α) Das Dopamin-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die Basalganglien und ihre Bedeutung für die Steuerung der Willkürmotorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 69 72 75 75 77

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Inhalt

γ) Das Noradrenalin-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Das Serotonin-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ε) Das Acetylcholin-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ζ) GABA und Glutamat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Hirnstamm und die Praxis der Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vokabeln zum Hirnstamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Zwischenhirn und limbisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anatomie des Zwischenhirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Der Thalamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der Hypothalamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Strukturen des limbischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die unterste Ebene des limbischen Systems . . . . . . . . . . . . . β) Die mittlere Ebene des limbischen Systems . . . . . . . . . . . . . γ) Die dritte Ebene des limbischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . c) Vokabeln zu Zwischenhirn und limbischem System . . . . . . . . .

100 100 100 104 106 108 110 118 119

4. Das Endhirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die anatomischen Strukturen im Endhirn . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Das Pallium des Endhirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die markhaltigen Fasersysteme des Endhirns . . . . . . . . . . . . b) Die Großhirnrinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Äußere Gestalt und funktionelle Gliederung . . . . . . . . . . . . β) Der Parietallappen und seine somatosensorischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Der Frontallappen und seine motorischen Funktionen . . . . δ) Der Okzipitallappen und seine visuellen Funktionen . . . . . ε) Der Temporallappen und seine auditorischen Funktionen c) Arbeitsweise und funktionale Organisationsprinzipien im Isocortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) brodmann-Areale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die Arbeitsweise des Isocortex am Beispiel der Spracherzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Zusammenarbeit und Spezialisierung der rechten und der linken Hirnhälfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Bedeutung und Lage der Assoziationscortices . . . . . . . . . . . d) Vokabeln zum Endhirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern . . . . . . . . . . . . . a) Evolutive Erinnerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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133 135 137 140 144 144 148 154 161 164

Inhalt

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b) Von Neuronen und Gliazellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Von Reiz und Ruhe oder: Membran und Potentiale . . . . . . . . . . d) Die Signalübertragung an den Synapsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die schnelle erregende chemische Synapse . . . . . . . . . . . . . . . β) Die schnelle hemmende chemische Synapse . . . . . . . . . . . . . . γ) Kompetitive Hemmung an Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Langsame synaptische Wirkungen: Das Second-Messenger-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ε) Die elektrische synaptische Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Von Neurotransmittern, Rezeptoren sowie der Funktion des autonomen (vegetativen) Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Acetylcholin (ACh) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Aminosäuretransmitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Catecholamintransmitter und ihre Rolle im peripheren autonomen (vegetativen) Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Das sympathische und das parasympathische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Serotonin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192 204 219 221 225 226

6. Entwicklung und Plastizität des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bedeutung des Erbguts und die Beeinflussung durch andere Zellen in der Entwicklung des jeweiligen Neurons . . . . . . . . . . . b) Wie eine Vorläuferzelle zur Nervenzelle wird und wie sie ihren Bestimmungsort im Nervensystem findet . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wie eine Nervenzelle mit anderen Zellen in Kontakt tritt oder: Von Leitmolekülen, Chemotropismus und der Konkurrenz zwischen Synapsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vom Kampf zwischen Nervenzellen und dem Überleben der Fittesten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Plastizität des Gehirns oder: Wie Erfahrungen die neuronale Entwicklung bestimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Von einigen Leistungen des Gehirns und einigen Fragen aus Philosophie und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lernen und Erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht-assoziatives implizites Lernen oder: Von Habituation und Sensitivierung am Beispiel von Aplysia . . α) Habituation – Verhaltensunterdrückung auf Grund von Gewöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 231 233 237 242 245 247 254

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Inhalt

β) Sensitivierung – Allgemeine Zunahme der Reaktionsbereitschaft als Folge einer schmerzhaften Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Assoziatives implizites Lernen oder: Die Frage der Kausalität und die Veranlagung zum Aberglauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) iwan p. pawlow und die klassische Konditionierung . . . . . β) burrhus f. skinner und die operante Konditionierung . . c) Explizites Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Vorgänge im Hippocampus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Einspeicherung (Encodierung) und Abruf von Gedächtnisinhalten (Informationen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Neuroanatomische Ursachen von Gedächtnisstörungen . . . δ) Streß- und traumabedingte Amnesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . ε) Altersbedingte Gedächtniseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . 2. Die Welt der Träume oder: Ein strittiges Thema als methodischer Testfall . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Weshalb wir schlafen und wie wir träumen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vom Zweck und Sinn des Träumens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von Wahrnehmung und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Zur Evolution der Augen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Das Verarbeitungssystem auf der untersten Ebene: Verschaltungen in der Retina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Das Verarbeitungssystem auf der nächsthöheren Ebene: Corpus geniculatum laterale und primäre Sehrinde . . . . . . . δ) Noch eine Ebene höher: Weitere visuelle Felder – die Wahrnehmung von Bewegung, Farbe und Form . . . . . . ε) Das Corpus callosum und das räumliche Sehen . . . . . . . . . . ζ) Das «Ich» und sein Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Riechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. (An)Trieb und Motivation am Beispiel von Temperaturregulation und Nahrungsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Homöostatische Regelkreisläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Temperaturregulation als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Sollwerttheorien zur Gewichtsregulation . . . . . . . . . . . . . . . γ) Anreiz- und Bezugspunkttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlgeleitete Triebe: Fettleibigkeit und Magersucht . . . . . . . . .

294 299 299 304 309 309 323 329 333 337

342 342 358 373 375 375 388 402 414 430 439 459

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Inhalt

5. Schmerz, Lust und Drogensucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schmerzbahnen und Schmerzwahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . b) Körpereigene und künstliche Schmerzkontrolle . . . . . . . . . . . . . c) Sucht und Suchtmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Drogen als Volksseuchen: Nicotin, Alkohol, Coffein, Cannabis und Psychedelika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Nicotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Coffein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Cannabis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ε) Psychedelika: Vom aztekischen «Zauberpilz» zu LSD . . . . .

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6. Emotionen oder: Von Aggression, Beschwichtigung und Liebe . . . a) Von Tieren und Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Emotionstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Emotionstheorie von william james und karl g. lange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die Emotionstheorie von walter b. cannon und philip bard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Noch einmal: james papez und das limbische System . . . . . δ) Die Emotionstheorie von joseph e. ledoux . . . . . . . . . . . . ε) Die Emotionstheorie von jaak panksepp . . . . . . . . . . . . . . . ζ) Die Emotionstheorie von antonio r. damasio . . . . . . . . . c) Neuronale Grundlagen emotionaler Reaktionen oder: Die zentrale Rolle der Amygdala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Und dann noch: die Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Sexualität, Hormone und Hirnstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . β) Jenseits der Sexualität oder: Ein bißchen Liebe . . . . . . . . . . . γ) Sexuelle Abweichungen in Anatomie und Verhalten . . . . . . .

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7. Angst oder: Ein Fahrstuhl durch die Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Angst der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Disgregations-Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die Angst vor dem Beutegreifer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Die Schuldangst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Die Angst, zu verhungern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ε) Die Misere des Menschseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die (kindliche) Angst der Neurotiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Angst des Selbstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

α) Geist, Angst und Verzweiflung in der Existenzbeschreibung sören kierkegaards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Furcht und Angst in der Ontologie martin heideggers d) Biopsychologische Mechanismen der Angst . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Bedeutung der frühen Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die Rolle der Amygdala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Die Neurophysiologie der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Naturwissenschaftliche Begriffe und Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . Theologische Begriffe und Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung oder: Was Philosophen und Theologen einst über die Seele des Menschen lehrten und Naturwissenschaftler herauszufinden suchten

Geistig gesehen, leben wir in bewegt-bewegenden Zeiten. Jahrtausendelang, spätestens seit den Tagen der Alten Ägypter im 3. Jtsd., konnten Menschen sich trösten angesichts der Vergänglichkeit des Lebens mit dem Gedanken der Unsterblichkeit, angesichts der Widersinnigkeit und der Sinnlosigkeit des Geschichtsverlaufs mit der Hoffnung auf eine himmlische Gerechtigkeit, angesichts des Meers von Leid und Qual der irdischen Existenz mit der Erwartung weltjenseitiger Erfüllung. Im Zentrum all dieser Zuversicht stand die Lehre von der Seele des Menschen als der geistigen Trägerin von Bewußtsein und Selbstbewußtsein, von Individualität und Personalität, von Selbstidentität und Freiheit. Auf dieser Überzeugung basierten Religiosität und Moralität, hier fanden Humanität und Jurisprudenz ihre Wurzeln, nirgends sonst schienen die Würde und die Unverletzlichkeit des Menschen klarer begründet als eben in der Bestimmung jedes Einzelnen zu ewigem Leben auf Grund der Unzerstörbarkeit seiner Seele. Doch nun ist gerade dieser Glaube ins Wanken geraten. So wie man vor etwa 20 Jahren damit begann, das menschliche Genom systematisch nach standardisierten Verfahren zu entschlüsseln, so verfügen wir heute auf dem Gebiete der Neurologie über ein Spektrum methodisch gesicherter Vorgehensweisen, die es erlauben, vielleicht schon in den nächsten Jahrzehnten die wichtigsten Fragen der menschlichen Geistestätigkeit zu klären. Kein geistiges Zentrum, keine unsterbliche Seele, kein persönliches «Ich» muß mehr postuliert werden, um zu begründen, wie Erinnerungen, Träume, Wahrnehmungen, Bedürfnisse, Empfindungen, Gefühle und anderes mehr sich bilden, es genügt den Wissenschaftlern inzwischen vollkommen, die Wirkungsweise des neuronalen Netzes, das im Gehirn des Menschen etabliert ist, gründlich zu untersuchen. Vieles von dem, was Menschen bislang von sich glauben wollten beziehungsweise glauben sollten, steht offenbar dicht vor dem Einsturz, und es ist kaum ein Zweig der Anthropologie denkbar, der nicht auf das nachhaltigste von den zu erwartenden Umbrüchen wohl schon der nächsten Jahre betroffen sein wird. Am entschiedensten aber gilt das mit Gewißheit für die Theologie, diese eigentliche

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Hüterin der metaphysischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Die Seelenruhe jedenfalls ist schwer begreifbar, mit welcher die lehrstuhlinnehabenden Dozenten der Lehre von Gott dieser ihrer derzeit tiefsten Infragestellung gegenüberstehen. Bei der Lektüre der folgenden zwei Bände wird mancher Leser vielleicht ungeduldig werden, wenn er vor allem im ersten Teil eine Menge von Informationen verarbeiten soll, die mit der theologischen Frage nach Gott oder mit der Frage der Unsterblichkeit der Seele seiner Meinung nach nicht viel zu tun haben; und doch ist es gerade für Theologen und Philosophen unerläßlich, sich erst einmal mit den Grundlagen heutiger Neurologie und Biopsychologie vertraut zu machen, ehe sie in eine begründete Diskussion über die Bewertung einer Fülle von Ergebnissen eintreten können. Nachdem die Frage nach dem Seelenleben des Menschen mehr als 1800 Jahre lang eine unangefochtene Domäne der Theologie gebildet hat, scheint es heutigentags nur gerecht und billig, als Theologe erst einmal ein paar hundert Seiten über Neurologie aufmerksam zu lesen, ehe sich der Zusammenhang mit den uralten Menschheitsfragen dann unter neuen Denkvoraussetzungen wie von selber erschließen wird. Was insbesondere die Darstellung der anatomischen und neurologischen Grundlagen zum Verständnis der Funktionsweise des Gehirns im 1. Band dieser Arbeit angeht, so zeigen bereits die vielfältigen Literaturangaben, wie ergänzungsbedürftig dieses «Stenogramm» der Hirnforschung ist; vor allem didaktisch ist hier jeder Verbesserungsvorschlag hochwillkommen. Natürlich kann man sich auch gleich ungeduldig in die Passagen des 2. Bandes stürzen, die aufbauend auf den biologischen Voraussetzungen ihre theologische Relevanz schon in ihren Überschriften verraten. Wer aber auf ein Basiswissen in den Hauptthemen heutiger Neurologie nicht verzichten will, dem möchte dieses Buch auch darin ein brauchbarer Wegweiser und freundlicher Begleiter sein. Besonderer Dank sei gesagt Frau Beate Wienand, die mit großem Engagement meine nicht immer gerade leicht lesbare Handschrift in eine druckfertige Diskette verwandelt hat.

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1. Die «klassische» Lehre der Theologie von der Seele oder: Aporien der Metaphysizierung eines mythischen Bildes

Noch im Jahre 1949 war es, vier Jahre nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs, als martin buber (1878 –1965) Die Erzählungen der Chassidim veröffentlichte, darunter einen Ausspruch von Rabbi Bunam, wie er seine Schüler mit den Worten unterwies: «Jeder von euch muß zwei Taschen haben, nach Bedarf in die eine oder andere greifen zu können: in der rechten liegt das Wort: ‹Um meinetwillen ist die Welt erschaffen worden›, und in der linken: ‹Ich bin Erde und Asche›.» (Werke, III 633.) – Für des Menschen Größe galt seine Stellung im Mittelpunkt der Welt als Ziel und Zweck der Schöpfungswerke Gottes; und fragte man, woher eine solche Sonderstellung dem Menschen werde, so lautete die Antwort stets mit Gen 2,7: «Gott der Herr machte den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. So ward der Mensch ein lebendiges Wesen.» (Vgl. Hiob 33,4.) Beide Seiten, besagt dieses mythische Bild, besitzt die menschliche Existenz: göttliche Größe ebenso wie kreatürliche Kümmernis, und so gilt es, im Hochgefühl des Glücks die Gefährdung und Schwäche des Daseins nicht aus den Augen zu verlieren und angesichts des Elends des Menschen nicht blind zu werden für seine Würde und Schönheit. Wohlgemerkt wissen (so gut wie) alle heutigen Exegeten der Bibel, daß das hebräische Wort für «Seele» (näphäsch) nicht als eine geistige Substanz zu verstehen ist; das Wort ist verwandt dem deutschen «schnaufen», – es beschreibt als erstes die Atembewegung, ohne die tierisches und menschliches Leben nicht sein kann; es ist ein Bild für den «Sitz der elementaren Lebensbedürfnisse». (Vgl. hans walter wolff: Anthropologie des Alten Testaments, 31.) Wenn späte Teile des Alten Testamentes und vor allem dann das Neue Testament eine Hoffnung auf Leben gegen den Tod setzen wollen, so sprechen sie nicht von der Unsterblichkeit der Seele, sondern von der «Auferweckung» durch Gott oder von einer «neuen Schöpfung» aus Gottes Hand. Die protestantische Theologie im 20. Jh. hat, gestützt auf die Bibel, deswegen die Lehre vertreten, daß der Mensch im Tode als ganzer (mit Leib und Seele) stirbt und als ganzer von Gott aufs neue ins Dasein gerufen wird, und auch eine wachsende Zahl von katholischen Theologen stimmt in der Gegenwart dieser Ansicht zu (vgl.

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e. drewermann: Im Anfang . . . , 661–676); allerdings ist der absoluten Mehrheit der heute noch zum christlichen Glauben sich Zählenden dieser wichtige Meinungswandel kaum bekannt gemacht worden – wohl aus Angst der kirchlichen Institutionen vor einem völligen Glaubensverlust in der Öffentlichkeit. Nach jener (biblisch-protestantischen) «Ganztod»-Lehre liegt die Kontinuität der menschlichen Existenz in Zeit und Ewigkeit ganz und gar in den Händen Gottes; wir Menschen haben angesichts des Todes buchstäblich nichts in der Hand, – uns wird alles genommen, und so bleibt uns einzig, auf Gott zu vertrauen, wie es im Grunde das Sprechen von der Seele in der Schöpfungserzählung beschreibt. Am Ende des 2. Bandes werden wir noch einmal in aller Form auf diesen Punkt zurückkommen müssen. Doch anders, ganz anders griff die frühe griechisch sprechende Kirche die biblischen Aussagen von der menschlichen Seele auf.

a) platonische Konzepte und ihre Schwierigkeiten Statt an Bibelstellen wie der Schöpfungsgeschichte aus den mythischen Bildern Vertrauen zu lernen, legte die Theologie ihre ganze Gelehrsamkeit in den Nachweis einer göttlichen Offenbarung dieser Texte und verknüpfte sie mit der Idee der griechischen Philosophie von der Unsterblichkeit der Seele. Im Abschiedsgespräch mit seinen Schülern, kurz vor seiner Hinrichtung noch, hatte sokrates diese Lehre philosophisch begründet, – platon (428/27–348/ 47) referiert sie im Dialog Phaidon (LIV, S. 124): «‹Die Seele nimmt ein Wesen in Besitz›», sagt der griechische Weise dort, «heißt demnach stets: sie kommt an es heran und bringt das Leben mit.» (105 d) Wenn aber die Seele selbst das Leben ist, folgerte Sokrates, so ist sie selbst unsterblich und kann, «sobald der Tod an sie herantritt, unmöglich untergehen». (106 b, LV, S. 125) «Das heißt: sobald der Tod den Menschen antritt, stirbt also . . ., was sterblich ist an ihm. Doch das Unsterbliche geht heil und unzerstört von dannen; ganz leise hat es sich dem Tod entzogen.» (106 e, LVI, S. 126) In dieser Zuversicht ging Sokrates selbst in den Tod und wurde damit für den frühchristlichen Kirchenvater justin (gest. um 165 n. Chr.) zum Vorbild, ja, zum Inbild eines Christen. Denn, schrieb er, die, «welche mit Vernunft lebten, sind Christen, wenn sie auch (sc. von ihren Zeitgenossen, d.V.) für gottlos gehalten wurden». (1. Apologie, 46; S. 113) Die Unsterblichkeit der Seele war auf diese Weise schon im 2. nachchristlichen Jahrhundert zur unumstößlichen Gewißheit der «Vernunft» geworden, und strittig blieb nur noch, ob auch der Kör-

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per nach dem Tode trotz seines sichtbaren Verfalls zur Ewigkeit «auferstehen» werde. Daß dies der Fall sein müsse, demonstrierte der frühchristliche Apologet athenagoras (um 125–190/200) mit der ausreichenden «Macht» Gottes, die sich schon bei der «Entstehung» der Leiber gezeigt habe (Über die Auferstehung der Toten, 3, S. 330): «Die Teile (sc. des Körpers, d.V.)», meinte dieser griechische Verteidiger der kirchlichen Lehre, «werden wieder miteinander vereinigt und bekommen ihren alten Platz, damit wieder der nämliche Leib harmonisch sich zusammensetze und das Entseelte oder auch schon ganz Verweste zu neuem Leben auferstehe.» (8, S. 338) Diese Vorstellung, die sich bereits im 1./2. Jahrhundert verfestigte, erhielt sich als kirchliches Dogma bis in die Gegenwart und bildet mehr oder minder klar reflektiert den Kern der Zukunftshoffnung der in christlichem Sinne Gläubigen bis heute. Der Weltkatechismus der römisch-katholischen Kirche aus dem Jahre 1992 etwa schreibt rund 1 Mrd. Menschen zu glauben vor, daß im Tode die Seele sich vom Körper trenne; dann falle der Körper des Menschen der Verwesung anheim, während seine Seele Gott begegne, bis daß sie sich schließlich mit dem verklärten Leibe wiedervereinige. (Nr. 997, S. 214) Näherhin lehrt der Vatikan als unumstößliche Wahrheit des Glaubens, daß die Seele eines jeden Einzelnen «unmittelbar» bei der Zeugung «von Gott geschaffen», also «nicht durch die Eltern hervorgebracht wird»; «sie geht bei der Trennung vom Körper im Tode nicht zugrunde, und wird sich mit dem Körper aufs neue vereinen bei der endgültigen Auferstehung.» (Nr. 366, S. 84) An gleicher Stelle erfahren wir auch, daß das Wort Seele «das spirituelle Prinzip im Menschen» bezeichne und den Teil ausmache, der «auf besondere Weise das Bild Gottes» selbst darstelle. (Nr. 362, S. 83) Mit dem Konzil von Vienne aus dem Jahre 1312 wird eingeschärft, wie die Seele metaphysisch zu verstehen ist: Sie ist zu betrachten als «Form des Leibes». (Nr. 365, S. 84; vgl. denzinger: Enchiridion, Nr. 902, S. 391.) Deutlich wird an diesen lehramtlichen Aussagen über die menschliche Seele eine durch und durch kreationistische Weltsicht. Die Seele wird unmittelbar von Gott geschaffen – das heißt: sie entsteht nicht, sie bildet sich nicht durch Entwicklungsprozesse, sie wird vielmehr als eine «fertige» Substanz der Materie eingesenkt. Diese Auffassung hat sofort praktische Konsequenzen, zum Beispiel in der Problematik der Abtreibung. Wenn mit der Befruchtung einer weiblichen Eizelle «unmittelbar» die Schöpfung einer neuen Seele durch Gott verbunden ist, so entsteht im Moment der Zeugung ein vollständiger Mensch; jede befruchtete Eizelle muß demnach unter den vollen Rechtsschutz einer menschlichen Person gestellt werden.

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Doch selbst wer solch einem moralischen Rigorismus in der Abtreibungsfrage zustimmen wollte, kommt bei durchschnittlicher Schulbildung in Schwierigkeiten mit dem katholischen Dogma; denn es widerspricht kategorisch der Weltanschauung, die seit der Mitte des 19. Jhs. sich in den Naturwissenschaften methodisch etabliert hat: der evolutiven Sicht auf die Wirklichkeit. Nach wie vor folgt das kirchliche Lehramt der Position, die Papst pius xii. in seiner Enzyklika Humani generis vom 12. Aug. 1950 in der Frage der Abstammung des Menschen den Gläubigen vorschrieb: «Das Lehramt der Kirche», erklärte damals der Papst, «verbietet . . . nicht, daß die ‹Evolutionslehre› (insofern sie nämlich den Ursprung des menschlichen Leibes aus schon existierender und lebender Materie erforscht – daß nämlich die Seelen unmittelbar von Gott geschaffen werden, heißt uns der katholische Glaube festzuhalten –) gemäß dem heutigen Stand der menschlichen Wissenschaften und der heiligen Theologie in Forschungen und Erörterungen von Gelehrten in beiden Feldern behandelt werde . . .; dabei sollten alle bereit sein, dem Urteil der Kirche zu gehorchen . . . – Diese Freiheit der Erörterung überschreiten jedoch manche in leichtfertiger Vermessenheit, wenn sie sich so benehmen, als ob dieser Ursprung des menschlichen Leibes aus schon existierender und lebender Materie durch bis jetzt gefundene Hinweise und durch aus ebendiesen Hinweisen abgeleitete Vernunftschlüsse schon ganz und gar sicher und bewiesen sei und es aufgrund der göttlichen Offenbarung nichts gebe, was in dieser Sache größte Mäßigung und Vorsicht erfordert.» (denzinger: Enchiridion, Nr. 3896, S. 1097–1098) Die Herkunft der materiellen Seite der menschlichen Existenz darf demnach in Ontogenese wie Phylogenese evolutiv gedacht werden; die Frage nach der Herkunft der menschlichen Seele aber soll sich individual- wie stammesgeschichtlich nur durch einen positiven Schöpfungsakt Gottes beantworten lassen. Nur durch solch ein «unmittelbares Eingreifen» Gottes – die Verleihung einer menschlichen Seele – kann nach kirchlicher Vorstellung «Adam» entstanden sein, von dem dann streng monogenistisch auch alle anderen Menschen abstammen sollen. Denn, so schrieb der Papst weiter: «Wenn es sich aber um eine andere auf Vermutung gründende Ansicht handelt, nämlich um den sogenannten Polygenismus, dann genießen die Kinder der Kirche keineswegs eine solche Freiheit. Die Christgläubigen können diese Auffassung nämlich nicht gutheißen, deren Anhänger behaupten, (es) habe . . . nach Adam hier auf Erden wahre Menschen gegeben, die nicht von demselben als dem Stammvater aller durch natürliche Zeugung abstammten . . . es ist nämlich keineswegs ersichtlich, wie eine solche Auffassung mit dem in Übereinstimmung gebracht werden könnte, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit (sc. der «Sündenfallerzählung» in

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Gen 3,1–7, d.V.) und die Akten des Lehramtes der Kirche über die Ursünde vorlegen, die aus der wahrhaft von dem einen Adam begangenen Sünde hervorgeht.» (denzinger: Enchiridion, Nr. 3809, S. 1098) Kein geringerer als karl rahner (1904 –1984) «bewies» damals in einem wichtigen Aufsatz unter dem Titel Theologisches zum Monogenismus (in: Schriften zur Theologie, I 253 –322), daß «eine öftere Setzung der innerweltlichen Ursache durch Gott (sc. die den Menschen hervorgebracht hat, d.V.) . . . sein eigenes Handeln, insofern er Schöpfer, also meta-physische Bedingung der Möglichkeit des Endlichen ist, zu einem innerweltlichen Vorkommnis machen» müßte – zu einem «Wunder» also. «Solches Handeln wäre gegen das Sparsamkeitsprinzip.» (318) Immerhin hatte bereits vor dem sogenannten 2. Vatikanischen Konzil gerade karl rahner betont, daß «Seele» immer eine Aussage über den ganzen Menschen intendiere und daß die Schöpfung jeder einzelnen Seele «unmittelbar» von Gott so gedacht werden müsse, daß «in der Setzung des ersten Lebendigen dieser Art (sc. «Adams», d.V.) . . . die Setzung des Ganzen in seinem Ursprung» gemeint sei; die Zeugung eines einzelnen Menschen dann müsse «transzendental begriffen werden als das unersetzbare Entstehen . . . für das lebendige Einzelne als solches innerhalb einer Art.» (Theologisches zum Monogenismus, in: A. a. O., I 314) Demnach, wenn Worte einen Sinn machen, wird also die Seele jedes Einzelnen nicht «unmittelbar» von Gott geschaffen, sondern der Mensch ist als Gattung nach Leib und Seele, als ganzer, mit dem Ursprung der menschlichen Spezies von Gott geschaffen und wird als Individuum gezeugt, – die Unmittelbarkeit der Schöpfung seiner «Seele» ist nur noch «transzendental» (als Bedingung der Möglichkeit der Existenz des Menschen als Gattung wie als Individuum) zu verstehen. Was Papst Pius XII. mit der Lehre von der unmittelbaren Schöpfung der Seele durch Gott einschärfen wollte, erhielt in Rahners Interpretation den Sinn einer Wesensaussage über die Sonderstellung und Unableitbarkeit des Menschen inmitten der Schöpfung. In rahners Worten: «Der Mensch ist ein Wesen, das sich in einem streng metaphysischen Sinn von allem Untermenschlichen unterscheidet . . . so weiß der Mensch, weil er Geist, Person, Selbstbewußtsein, Transzendenz in Erkenntnis und Freiheit über das je einzelne seiner Umwelt hinaus auf das Unbegrenzte ist . . ., daß zwischen ihm und allem unter und neben ihm eine radikale Wesensgrenze liegt . . . Was er ist, kann nicht aufgefaßt werden als Abwandlung anderer Wirklichkeiten. Er hat ein von allem anderen wirklich unterschiedenes Wesen, das als eines und ganzes auf anderes unzurückführbar ist.» (A. a. O., I 316) Weiter als in solchen Überlegungen ist die metaphysische Anthropologie

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(der katholischen Dogmatik) eigentlich nie gekommen; mochte auch rahner selbst den «Monogenismus» später zurücknehmen und nunmehr den Polygenismus als Ausdruck des «Reichtums» der Schöpferkraft Gottes auffassen (e. drewermann: Der sechste Tag, 79), – das evolutive Weltbild der Naturwissenschaften in der darwinistischen Deutung hielt er für unvereinbar mit dem christlichen Glauben. (e. drewermann: A. a. O., 254) Auch sein Schüler johann baptist metz betonte zwar, «daß der Mensch nicht einfach aus Leib und Seele ‹zusammengestückt› ist, daß beide vielmehr zwei nur meta-physisch scheidbare Seinsprinzipien darstellten», doch hob auch er die «transzendentale Kausalität» Gottes bei der Zeugung jedes einzelnen Menschen hervor. (Lexikon für Theologie und Kirche, IX 571: Seele) Inzwischen ist selbst von diesen äußerst vorsichtigen und sprachlich wie gedanklich gewundenen Neuinterpretationen des Leib-Seele-Problems in der Zeit vor und nach dem 2. Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche kaum etwas geblieben, und so kann es nicht wundern, daß der Weltkatechismus am Ende des 2. Jts. n. Chr. immer noch (oder schon wieder) unverändert lehrt, daß die Erzählung vom «Sündenfall» zwar «eine bildhafte Sprache» benutze, «aber ein urzeitliches Ereignis» bezeichne, «ein Faktum, das am Anfang der Geschichte des Menschen stattgefunden hat». (Nr. 390, S. 88) Mit anderen Worten: die Menschheit stammt ab von einem einzelnen Menschen(paar), dessen Seele wie die eines jeden Menschen seither einer je speziellen Schöpfung Gottes entspringt; es mag – vielleicht! – der Körper des Menschen sich aus der Tierreihe entwickelt haben, die Seele des Menschen hat es nicht. Noch 1996, im Oktober, wandte sich Papst johannes paul ii. in einer Botschaft an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und erklärte erstmals, die Evolutionslehre darwins sei «mehr als eine Hypothese»; doch dann legte er unmißverständlich dar, wie «katholisch» zu glauben sei: «Nicht mit der Wahrheit über den Menschen vereinbar», stellte er fest, seien diejenigen Evolutionstheorien, die «den Geist für eine Ausformung der Kräfte der belebten Materie oder für ein bloßes Epiphänomen dieser Materie halten.» Vor diesem Hintergrund bedeutet es eher eine geistige Kapitulation als das Anzeichen einer gedanklichen Konversion, wenn der derzeitige Papst Benedikt XVI. noch als Vorsitzender der römischen Glaubenskongregation, Kardinal joseph ratzinger, im November 2004 ein Schreiben der Internationalen Theologenkommission des Vatikans mit dem Titel Gemeinschaft und Dienst unterzeichnete, in dem es hieß, die Big-Bang-Theorie zur Entstehung des Kosmos widerspreche nicht der Annahme, daß die Materie auch vor dem Urknall in anderer Form als Schöpfung Gottes existiert habe, und wenn die Materie

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sich nach dem Urknall in einer Weise organisiert habe, welche die Entstehung des Lebens begünstigte, so habe durch diese Entwicklung «Gott (verursacht), dass die Bedingungen verwirklicht werden, die für die Entstehung und den Bestand lebender Organismen notwendig waren». Selbst wenn der Selektionsprozeß der Evolution auf reinen Zufallsprinzipien beruhe, so könne dieser Prozeß nur zustande kommen, weil er von Gott geschaffen sei. Dasselbe gelte auch für die evolutive Entstehung des Menschen. Auch dieser «ontologische (sc. griech.: seinsmäßige, d.V.) Sprung» sei letztlich auf Gott zurückzuführen, der «indirekt über Kausalketten handelt, die seit Beginn des Universums am Werke sind.» (La Civilta Cattolica, Nov. 2004; Der Dom, Nr. 48, 28. Nov. 2004) Demnach steht also hinter allem, was geschieht, «indirekt» (besser wohl: «transzendental») Gott; ein solcher Gott aber ist weder «direkt» noch «indirekt» (weder naturwissenschaftlich noch metaphysisch) erkennbar, – man muß an ihn bereits glauben, um die Lehre von der Welt als einer Schöpfung Gottes aufstellen zu können; und vor allem: ein Gott, der in vollkommener Gleichgültigkeit eine ganze Welt dem Zufall überläßt, verrät keine einzige der Eigenschaften mehr, für welche die Gläubigen ihn in ihren «Gottesdiensten» preisen: Güte, Vorsehung, Weisheit . . . Ein solcher Gott ist reduziert auf eine einzige Behauptung: die der bloßen Macht und des absoluten Willens; mit einem Wort, ein solcher Gott ist die reine Projektionsgestalt einer kirchlich verwalteten Theologie, die (immer noch) glaubt (und glauben machen will), ihr gehöre nach wie vor die ganze Welt, obwohl diese sich in ihren Prinzipien längst als von ihr getrennt gezeigt hat. Dabei offenbart sich der Grundfehler in allem, daß der Glaube der Christen, damit er «lehramtlich» werde, in eine «Dogmatik» verwandelt wird und daß dann, mit sören kierkegaard (1813 –1855) zu reden, «die Dogmatik metaphysisch und die Metaphysik dogmatisch behandelt» werden muß. (Der Begriff Angst, Kapitel II § 1, S. 56, Anm. 1) Im Umkreis unserer Themenstellung bleibt es vor allem die Frage, ob das vatikanische Dogma von der unmittelbaren Erschaffung der «unsterblichen» «Geistseele» des Menschen angesichts heutiger Biologie, Paläontologie und Neurologie aufgegeben werden muß oder nicht. So viel jedenfalls steht fest: Man kann nicht gleichzeitig die Kirchengläubigen in aller Welt bezüglich der Grundlagen ihrer Existenz kreationistisch indoktrinieren und dann so tun, als sei die Evolutionslehre, egal in welcher Form, nur eine Art der Kostümierung, in welche die Gottheit sich zu (ver)hüllen beliebt habe. Der strittige Punkt lautet: Was ist gemeint mit dem Begriff von der «Seele» des Menschen, wenn eine Fülle von Leistungen des menschlichen Gehirns bereits bei den höheren Säugetieren ihre unleugbare Parallele, ja, evolutiv betrachtet, sogar ihre Begründung

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finden? Und was wird aus der Hoffnung auf Unsterblichkeit und Ewigkeit des Menschen (und auch der Tiere), wenn alles Seelische nur allzu deutlich seine kausale Abhängigkeit von den Strukturen neuronaler Verschaltungen im Gehirn erzeigt, – von materiellen Musterbildungen also, die ebenso sicher mit der Zeit zugrunde gehen werden, wie sie in der Zeit entstanden sind? Auf diese Probleme der «Ontologie» (der Seinsbegründung) der menschlichen Existenz gilt es zu antworten – ohne die Flucht in Abstraktionen durch ein Lehramt, das glaubt, keine Wirklichkeit mehr scheuen zu müssen, nur weil es buchstäblich alles für möglich und mit dem «Glauben» für vereinbar erklärt. Gleichwohl kann man die Beharrungskraft der tradierten Seelenlehre im Dogma der katholischen Kirche in gewissem Sinne verstehen: Indem die religiöse Doktrin die Existenz der Seele des Menschen für völlig unabhängig von allen körperlichen Vorgängen erklärte, verlieh sie der Seele zugleich die Eigenschaft, prinzipiell zeitenthoben, mithin ewigkeitszugehörig zu sein. Zudem unterschied sich die menschliche Seele nach dieser Auffassung essentiell von der Seele der Tiere, die als an den Körper gebunden galt und daher mit dem Körper zugrunde gehen sollte. «Den Reptilien» nämlich, «den Luft- und Wassertieren, überhaupt allen Vernunftlosen», schrieb in diesem Sinne bereits athenagoras Über die Auferstehung der Toten (12, S. 86– 87), «hat Gott ein kurzes Leben beschieden, dagegen hat er den Menschen, die das Bild des Schöpfers selbst in sich tragen und mit Vernunft und unterscheidendem Verstande begabt sind, ewige Fortdauer verliehen.» Der Mensch als Ebenbild Gottes, als begabt mit Vernunft, als berufen zur Ewigkeit, als wesenhaft unterschieden von den Tieren – all diese Vortrefflichkeiten ließen sich dem Menschen zuschreiben allein aufgrund der von Gott geschaffenen, vom Körper substantiell verschiedenen Seele. Ihre klassische Darstellung erlangte diese Anschauung in der Neuzeit mit der Philosophie rené descartes’ (1596 –1650). Seine Abhandlung über die Methode von 1637 enthält nicht nur das berühmte «ich denke, also bin ich» (4. Kap., S. 66), sondern auch die Feststellung, «daß sie (sc. die vernünftige Seele, d.V.) unmöglich . . . aus dem Vermögen der Materie herrühren könne, sondern daß sie ausdrücklich geschaffen sein müsse»; denn «nach dem Irrtum der Gottesleugnung», fuhr descartes fort, «. . . gibt es keinen, der schwache Gemüter mehr vom rechten Weg der Tugend entfernt, als wenn sie sich einbilden, die Seele der Tiere sei mit der unsrigen wesensgleich und wir hätten daher nach diesem Leben nichts zu fürchten noch zu hoffen, nicht mehr als die Fliegen und die Ameisen. Weiß man dagegen, wie sehr beide sich unterscheiden, so begreift man die Beweisgründe weit besser, wonach unsere Seele ihrer Natur nach vollkommen unabhängig vom Körper und also der Notwendigkeit nicht unter-

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worfen ist, mit ihm zu sterben; und da man weiter keine Ursachen sieht, welche die Seele zerstören, so kommt man zu dem Urteile, sie sei unsterblich.» (5. Kap., S. 81; vgl. ders.: Die Meditationen, II 99–106.) Dieser an platon orientierte Standpunkt entbehrt nicht der Logik: wäre die Seele vom Körper abhängig, so müßte sie mit ihm zugrunde gehen; die Seele kann demnach nur unsterblich sein, wenn sie eine eigene, vom Körper unabhängige Substanz darstellt. Wie aber hängt umgekehrt der Körper von der Seele ab? In welcher Weise soll etwas rein Geistiges Einfluß gewinnen können auf etwas Materielles? Die Schwierigkeiten des descartesschen Dualismus führten den niederländischen Philosophen arnold geulincx (1624 –1669) in seinem Buch Ethica (1665/75) sowie den französischen Oratorianer-Pater nicolas de malebranche (1638 –1715) in seinen Méditations chrétiennes et métaphysiques (1683) zu dem sonderbaren Konzept des Okkasionalismus, wonach weder die Seele ursächlich auf den Körper noch der Körper auf die Seele wirkt, sondern beide nur Werkzeuge bilden, die Gott von Fall zu Fall zueinander in Beziehung setzt. Damit wurde die philosophisch scheinbar unlösbare Leib-SeeleProblematik im Grunde wieder an die Theologie zurückgegeben. Noch einen Schritt weiter ging geistesgeschichtlich der Mathematiker, Physiker und Philosoph gottfried wilhelm leibniz (1646 –1716) in seiner kleinen Arbeit über die Monadologie (frz. 1714), wonach die Körper keine Substanzen, sondern nur Phänomene beziehungsweise Erscheinungsbilder sind, denen die Monaden als ebenso individuelle wie allgemeine Substanzen zugrunde liegen; «jede einfache Substanz», schrieb leibniz, sei «ein Abbild des Universums, . . . aber jeder Geist mehr als das, nämlich ein Abbild Gottes». (Ein Entwurf der Monadologie, 1714, S. 132) Die einfachen, beseelten Monaden können demnach nicht aufeinander wirken – sie haben «keine Fenster» (Monadologie, Nr. 7, S. 12) –, doch sind sie in ihrem Vorstellungsverlauf so aufeinander abgestimmt, daß sie sich in «prästabilisierter Harmonie» zueinander befinden. Nicht von Fall zu Fall, sondern vom Ursprung der Schöpfung her hat Gott sonach den Geist mit den passenden Vorstellungen von der Wirklichkeit ausgestattet, und dies bereits bei den «unvernünftigen Tieren», die auch leibniz als eine Art beseelter Maschinen betrachtete. «Der Leib, welcher einer Monade zugehört, die seine Entelechie oder Seele ist», notierte dieser letzte große Universalgelehrte der Barockzeit, «bildet mit der Entelechie das, was man ein Lebendiges nennen kann, und mit der Seele das, was man Tier nennt. Nun ist aber dieser Körper eines Lebendigen oder eines Tieres immer organisch; denn da jede Monade nach ihrer Weise ein Spiegel der Welt und die Welt nach einer vollkommenen Ordnung geregelt ist, so muß es auch eine Ordnung

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in dem Vorstellenden geben, d. h. in den Perzeptionen der Seele und folglich auch in dem Körper, gemäß welchem die Welt in der Seele vorgestellt wird.» (Monadologie, Nr. 63, S. 28) «Die Seelen», schrieb leibniz weiter, «wirken nach den Gesetzen der Finalgründe durch Begehrungen, Zwecke und Mittel. Die Körper wirken nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen oder der Bewegungen. Und diese beiden Reiche, das der bewirkenden Ursachen und das der Finalgründe, harmonieren miteinander.» (Nr. 79, S. 32) «Nach diesem System wirken die Körper so, als ob es . . . keine Seelen gäbe, und die Seelen so, als ob es keine Körper gäbe; beide zusammen wirken so, als ob eins auf das andere Einfluß ausübte.» (Nr. 81, S. 32) Im Grunde blieb dieser scharfsinnige Lösungsversuch des Leib-Seele-Problems im «als ob» erkennbar eine Verlegenheitsauskunft: Da wir nicht wissen (und auch nicht wissen können), wie die Seele (der Geist) den Körper beeinflußt, müssen wir annehmen, daß Gott beide, wie zwei exakt gehende Uhren, parallel zueinander sich entfalten läßt; – die Seele ist jeweils von den Bewußtseinsinhalten erfüllt, die den materiellen Gegebenheiten entsprechen, sowie umgekehrt der Körper sich just in dem Zustand befindet, der den geistigen Vorstellungen von ihm gemäß ist. Wer über die Seltsamkeit solcher Lehren leichthin zu lächeln beliebt, der möge bedenken, daß noch in der Mitte des 20. Jhs. die Konzeption des «psycho-physischen Parallelismus» auf eine ähnliche Ansicht hinauslief, die freilich nicht mehr im Rahmen einer anspruchsvollen philosophischen Spekulation, sondern mit einem rein pragmatischen methodischen Reduktionismus begründet wurde: Ohne sagen zu können, wie Psychisches und Physisches zusammenhängen, galt es doch als unerläßlich, allem seelischen Geschehen ein körperliches (hirnorganisches) Ereignis zuzuordnen sowie umgekehrt die Vorgänge im Gehirn in Entsprechung zu bestimmten psychischen Prozessen zu betrachten. Noch im Jahre 1951 empfahl harald schultz-hencke (1892 –1953), der Begründer der Neo-Psychoanalyse, in seinem Lehrbuch der analytischen Psychotherapie, das «Leib-Seele-Problem» als «ein Scheinproblem» zu betrachten; denn, so meinte er, man könne «sehr wohl nach der Beziehung zwischen den psychischen und den physischen Fakten . . . fragen. Aber es ergibt sich, daß eine einfache funktionale Abhängigkeit von Gleichzeitigkeitscharakter vorliegt. In besonderer Weise . . . folgt hieraus . . . die ‹parallelistische› Formel oder die der Wechselbeziehung. Jedenfalls handelt es sich nicht um ein Entweder-Oder.» «Was . . . in entscheidender Weise vermieden wird, weil es korrekterweise vermieden werden muß, ist alles Fragen und vermeintliche Antworten in Bezug auf alle ‹Verursachung› des einen durch das andere, alle ‹Wir-

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kung› des einen auf das andere, alle ‹Spiegelung› des einen im anderen usw. usw. Dies alles sind Fehlformeln, die Fehlfragen und höchst überflüssiges Bemühen kennzeichnen.» (S. 10 –11) Mit Hilfe eines solchen psycho-physischen Parallelismus schien es möglich, den Anteil des Seelischen gegenüber den Ansichten des Monismus (oder des Materialismus) zu bewahren, für den die Seele nur ein Epiphänomen körperlicher Vorgänge darstellt. Freilich, gerade auch diese Auffassung ist seit der Antike vertreten worden. Nach dem griechischen Philosophen demokrit (um 460– 380/370) sollte die Seele aus feinsten Atomen bestehen, die bei allen «geistigen» Akten mechanisch verändert würden. Auch diese Vorstellung klingt sonderbar; und doch: setzte man für feinste «Atome» das Wort «Neuronen» (Nervenzellen) ein und spräche man statt von «mechanischer Veränderung» von der elektro-chemischen Wirkung von «Neurotransmittern» an den Synapsen (den Verbindungsstellen zwischen Neuronen), so erwiese sich die Lehre des Philosophen aus Abdera (in Thrakien) als eine zumindest in der Perspektive richtige Ahnung eben der Einsichten, die von der heutigen Neurologie vermittelt werden. Nicht zuletzt zeigte epikur (341– 271), indem er demokrits Atomismus weiterentwickelte, daß eine «materialistische» Auffassung von der menschlichen Seele keineswegs mit Amoralismus und einer geistig niedrigen Gesinnung einhergehen muß, sondern im Gegenteil sich sehr wohl mit einer Ethik der Freude, der Freundschaft und der Freundlichkeit vereinbaren läßt. Gerade das allerdings bezweifelte entschieden bereits die Bibel. In dem (deuterokanonischen) Buch der Weisheit wird der Standpunkt der materialistischen Gottesleugner mit Worten wie diesen wiedergegeben: «Kurz und traurig ist unser Leben, und nicht giebt es ein Heilmittel beim Tode des Menschen, und nicht hat man gehört von einem Befreier aus der Unterwelt. Denn durch Zufall sind wir entstanden, und darnach werden wir sein, als wären wir nie dagewesen. Denn Dunst ist der Hauch in unserer Nase und das Denken ein Funke in der Bewegung unseres Herzens, nach dessen Erlöschen der Leib zu Asche wird, und der Atem wie feine Luft verfliegt. Und unser Name wird dann mit der Zeit vergessen, und niemand gedenkt mehr unserer Werke. Und unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke und wie ein Nebel wird es sich verflüchtigen, der vertrieben wird von den Strahlen der Sonne und von ihrer Wärme zum Sinken gebracht wird. Denn eines Schattens Vorüberziehen ist unsere Lebenszeit, und nicht giebt es eine Wiederholung unseres Endes, weil es versiegelt ist und keiner wiederkehrt. – Herbei denn, laßt uns genießen der vorhandenen Güter und laßt uns geschwind

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die Welt ausnutzen als in der Jugendzeit. Mit kostbarem Wein und Salben wollen wir uns füllen, und nicht möge eine Frühlingsblume uns entgehen. Bekränzen wir uns mit Rosenknospen, ehe sie verwelken . . . Niemand von uns entziehe sich unserem ausgelassenen Treiben.» (Weish 2,1–9; k. siegfried: Die Weisheit Salomos, in: Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, I 481– 482) Materialistische Lebensauffassung und hedonistische Lebensführung gelten in dieser Betrachtung als Einheit, beide ergeben sich scheinbar folgerichtig aus einer rein diesseitigen Weltsicht; umgekehrt scheint eine weltjenseitige Hoffnung gebunden an die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, vorausgesetzt, daß diese nicht länger rein spiritualistisch (gnostisch, manichäistisch) konzipiert ist.

b) aristotelische Konzepte und ihre Schwierigkeiten An dieser Stelle war es entscheidend aristoteles (384 –322/21), dessen Metaphysik der Seele den Theologen einen passablen Mittelweg zwischen Monismus und Dualismus zu weisen schien. Nach aristoteles bestimmt sich die Seele aus drei Merkmalen: aus Bewegung, Wahrnehmung und Unkörperlichkeit. (Über die Seele, 1. Buch, 405b, S. 34) Als «erster Akt» gilt sie als «Wirkprinzip», als «Formursache» beziehungsweise als «Entelechie» des Körpers, mit dem sie in einer substantiellen Einheit verbunden ist und dem sie ihre eigenen Bewegungen mitteilt. «Nun», heißt es bei aristoteles, «kann der Körper den Ort verändern, also müßte dies die Seele am Körper auch können, entweder als Ganzes oder indem sie mit ihren Teilen die Stellen wechselt. Und wenn sie das könnte, dann müßte sie auch aus- und eingehen können. Daraus würde dann die Auferstehung von den Toten folgen.» (406 b, S. 37) – Dieser letzte Satz dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach eine christliche Interpolation darstellen, doch zeigt er, wie geeignet die Gedanken des aristoteles zur Begründung des christlichen Auferstehungsglaubens erscheinen konnten. Insbesondere lehrte aristoteles, daß die sterbliche Seele als ihren höchsten Teil den unsterblichen Geist besitzt, der als das immer «Tätige» (als to poiou˜ n, als intellectus agens) wie von außen in die Seele eintritt und diese zu einer Möglichkeit befähigt, die nur dem Menschen zukommt: zu allgemeingültiger, übersinnlicher Erkenntnis. Erst diese «Vernunftseele», die nur dem Menschen eignet, darf, im Unterschied zu der Seele der «unvernünftigen Tiere», für unsterblich gelten. (Vgl. aristoteles: Metaphysik, Z 10, 1035b 10–15, S. 175.)

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Zu einem Kardinalpunkt der «Beweis»führung für die Unsterblichkeit der «Vernunftseele» wurde in der Scholastik von daher die Erkenntnistheorie (beziehungsweise die Erkenntnismetaphysik). Selbst noch im 20. Jh. griffen im Rahmen der «Neuscholastik» bedeutende katholische Theologen auf das «Argument» von der «Geistnatur» des Menschen zurück. So versuchte etwa karl rahner in seiner Promotionsarbeit Geist in Welt (1939; 2überarb. 1957) zu zeigen, daß das Abstraktionsvermögen des menschlichen Geistes nur zu verstehen sei als die Wirkung des intellectus agens, der immer schon, in jedem Erkenntnisakt, vorgreife auf das unendliche Sein (auf Gott) und so erst, vor dem Unendlichen, die Begrenztheit der Bilder endlicher Erkenntnis (der species intelligibilis) erkennbar mache. Die Erkenntnisfähigkeit des Menschen «bewies» mithin zugleich die Existenz Gottes wie die Unsterblichkeit der Seele. – emerich coreth (geb. 1919) ging in seiner Metaphysik (1964) denselben Weg, nur in umgekehrter Richtung: Als den ursprünglichsten Akt des Geistes betrachtete er das Fragen; für die Bedingung der Möglichkeit jedes Fragens aber hielt er transzendentalphilosophisch die Voraussetzung einer Beantwortbarkeit der Frage; wenn indessen alles Fragen ins Unendliche geht, so hat der Geist des Menschen selbst Teil am Unendlichen, dessen Sein er in allem Fragen stets schon als gegeben voraussetzt. – Bis ins letzte Drittel des 20. Jhs. wurden alle Theologen der katholischen Kirche rund um den Globus in solchen und ähnlichen Doktrinen und Argumentationsmustern der «neuthomistischen» Seelen- und Erkenntnislehre geschult und ausgebildet, und das «Beste», was sie zu lernen bekamen, waren diese Versuche, den Umkreis der «Neuscholastik» von innen heraus mit Hilfe der Reflexionsphilosophie des Deutschen Idealismus und der Phänomenologie des Existentialismus zur Moderne hin zu öffnen. Dabei wies das aristotelische Konzept in christlicher Absicht eine entscheidende Schwäche auf, die bereits der islamische Theologe averroës (Ibn Ruschd, 1126–1198) in seinen aristoteles-Kommentaren herausgearbeitet hatte: Wenn der tätige Geist (der intellectus agens) die Möglichkeit universeller Erkenntnis vermittelt, so stellt er offenbar nur die Allgemeinheit des Geistigen selbst dar; als solcher ist er selbstredend unsterblich; alles Individuelle aber ist sterblich. Im Tode gehen mithin Seele und Körper des Menschen gemeinsam zugrunde, und übrig bleibt nur – als der unterste der Sphärengeister – der tätige Intellekt, der für eine Weile dem Menschen einwohnt. (Vgl. max horten: Die Metaphysik des Averroës, 1912.) Dagegen hob thomas von aquin (1225 –1274) in De unitate intellectus contra Averroistas um 1270 die wesenhafte Hinordnung des endlichen Geistes auf die sinnliche Erfahrung hervor, die nicht von außen an ihn herangebracht wird,

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sondern wesensnotwendig zu ihm gehört. Zwar besitzt die Seele des Menschen die Fähigkeit zu universeller Erkenntnis, doch gilt als Grundlage aller Erkenntnis der Satz: nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu – nichts kann im Geist gedacht werden, was nicht zuvor mit den Sinnen wahrgenommen wurde. Mochte es für platon (oder später für die Neuplatoniker) ein wirkliches Problem bedeuten, warum überhaupt die Seele in die Gefangenschaft des Körpers gegeben wird, – die aristotelische Betonung der Sinnlichkeit erlaubte die Antwort: die Seele kann zur Erkenntnis nur kommen vermittels des Körpers; sie selber bedarf, um sich als unendlich zu vollziehen, des Endlichen, in dem sie ihre je eigene Individualität gewinnt. Faßt man die Vorstellungen zusammen, die in der neuscholastischen Theologie (unter dem Schutz des Dogmas und im Vollzug der Rückwendung auf die Lehrmeinungen des Mittelalters, verordnet durch die Enzykliken Aeterni Patris leos xiii. von 1879, Studiorum ducens pius’ xi. von 1923 und der schon erwähnten Enzyklika Humani Generis pius’ xii. von 1950) über die menschliche Seele offiziös verbreitet wurden – und deren Einhaltung jedem Dozenten bis in die 60er Jahre des 20. Jhs. unter Eid abverlangt wurde! –, so sind es vier Merkmale, die der Seele des Menschen als wesentlich zugeschrieben werden: 1) Die Seele besitzt Substantialität; denn sie ist der tragende (subsistierende) Grund aller geistigen Tätigkeiten, sie ist damit der Ursprung auch des Ich-Bewußtseins, des Selbstseins. 2) Die Seele ist der Grund der Personalität, das heißt: sie ist nicht ein reiner Geist, der den Körper als bloße Bewußtseinserscheinung betrachten könnte (wie im Idealismus platons oder im Spiritualismus leibniz’); sie ist auch nicht eine reine Potenz, ein individuelles Vermögen, das von dem aktuellen Geist, dem universellen intellectus agens, zum Erkennen befähigt und bestimmt werden müßte (wie im Universalismus des averroës); sie ist schließlich auch kein bloßes Epiphänomen physischer Prozesse (wie im Materialismus demokrits); vielmehr ist die Seele die Art, wie der individuelle, endliche Geist vermittels des Körpers, dem er sich zuordnet, die Welt erkennt und in Freiheit gestaltet, um sich selbst zu verwirklichen. Als eine immaterielle, nicht durch Zeugung weiterzugebende Substanz ist die geschaffene Seele essentiell auf ihre «Inkarnation» im Leibe hingeordnet und angewiesen. 3) Die Seele ist das Einheitszentrum aller geistigen, psychischen und vitalen Akte, gleichgültig, ob sie bewußt oder unbewußt sind, inklusive der Sinneswahrnehmungen und der leiblichen (vegetativen) Prozesse. Daher ist die Seele die einzige «Form» des Leibes; sie besitzt Simplizität.

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4) Die Seele ist unsterblich; sie besitzt Idealität. Denn obwohl sie im irdischen Leben auf den Leib angewiesen ist, zeigt sie sich als unteilbar und unzerstörbar gegenüber der Zerstörbarkeit und Auflösbarkeit des Körpers, und vor allem ihr Streben nach Vollendung und Wahrheit macht sie als ein Vermögen sichtbar, das alle innerweltliche Erfahrung ins Unendliche transzendiert. (Vgl. Stichwort Seele in: Herders kleines philosophisches Wörterbuch, 134 –135.) In dieser Reflektiertheit darf die Seelenlehre der abendländischen Philosophie- beziehungsweise Theologiegeschichte den Anspruch erheben, innere Kohärenz und Konsistenz zu besitzen. Ihre in Jahrhunderten ausgefeilten Begründungen zählen zu den bestdurchdachten Selbstvergewisserungen des menschlichen Geistes inmitten einer dem Verfall preisgegebenen Welt; in ihr atmet etwas von der Sehnsucht des menschlichen Herzens nach Unendlichkeit und Endgültigkeit; und vor allem: sie besitzt eine intuitive Evidenz – sie leuchtet unmittelbar ein. Jeder erlebt sich selbst als Lenker und Schöpfer seiner Gedanken und Entschlüsse; jeder fühlt sich selbst als das Subjekt, das alle Empfindungen aufnimmt und ordnet; jeder erfährt sich als identisch in all den wechselnden Gedankeninhalten und Vorstellungen des Geistes: er selber ist diese eine, individuelle und unvertauschbare Person, die sich an Begebenheiten vor vielen Jahrzehnten in ihrer Biographie zu erinnern vermag und sich in der Einheit des Bewußtseins durchhält. Also muß es ein Zentrum geben, eine innere Einheit, in der alle Sinneseindrücke und alle Gedanken verarbeitet und in der alle Willensentscheidungen getroffen werden. Und dieses seiner selbst bewußte Ich muß existieren vor allen Sinneseindrücken, Gedanken und Entschlüssen, – unmöglich deshalb, daß es von diesen abhinge; umgekehrt muß es als eine eigene geistige Wirklichkeit, als eine immaterielle Substanz diesen zugrunde liegen . . . Alles scheint intuitiv einleuchtend und logisch geradezu zwingend begründbar.

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2. Der Empirismus des 18. Jahrhunderts und die Befreiung von antik-mittelalterlichen Vorstellungen oder: Von galen zu gall

Und doch: Kaum ausgesprochen, beginnt schon wieder das Fragen. Besser als descartes es getan hat, läßt sich die Seele oder das denkende Bewußtsein («anima seu cogitatio») «als erstes Prinzip» aller geistigen Tätigkeiten nicht aufweisen. (Aus den Prinzipien der Philosophie. Vorrede zur französischen Ausgabe, S. 134) Aber ein paar einfache Erfahrungstatsachen genügen, um die gesamte metaphysische Konstruktion einer immateriellen Substanz, die als Seele Träger und Einheitszentrum aller geistigen Aktivitäten sei, in Zweifel zu ziehen. Die Einheit des Bewußtseins: sie kann zerfallen infolge von Läsionen des Vorderhirns, unter dem Einfluß von Drogen, in Zuständen psychiatrischer Erkrankungen; die Vorstellung eines Ichs als des Urhebers von Willensentschlüssen und Handlungen: sie erweist sich als ohnmächtig schon in Zuständen physischer Schwäche auf Grund von Müdigkeit, Hunger oder Kälte, und sie droht sich in nichts aufzulösen in der Selbstwahrnehmung zum Beispiel mancher Depressiver, die fühlen, wie ihnen ihre Gedanken von einer fremden Instanz entzogen oder wie sie selbst von einer bösen Macht besetzt gehalten werden; und schließlich die Identität der Person: sie hebt sich wie von selbst auf, sobald der Strom der Erinnerungen (das heißt des selbstgeschaffenen Konstrukts einer eigenen, ichzugehörigen Vergangenheit) unterbrochen wird; – das Zeitgefühl kann verlorengehen, die Fähigkeit des Gedächtnisses kann schweren Schaden erleiden, manche Erlebnisse mögen aus psychischen Gründen verdrängt sein. In all diesen Fällen der «Depersonalisation» regen sich Zweifel, ob es nötig oder auch nur möglich ist, eine einheitliche geistige Substanz, eine «Seele», anzunehmen, um das «Seelenleben» des Menschen erklären zu helfen. Gleicht nicht das ganze Gebilde der philosophisch-theologischen Lehre von der Seele einem gigantischen Hochhaus, errichtet über einem Morast aus Unwissenheit und erstellt aus kühnen Ersatzkonstruktionen und täuschenden Scheinargumenten? Statt die Seele zu einem Gespenst in einer Maschine zu machen, erklärte der französische Arzt julien offray de lamettrie (1709 –1751) die «Seele» für das Produkt der körperlichen Funktionen, indem er zum ersten Mal das me-

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chanizistische Denken der Naturphilosophie seiner Zeit auf die Frage nach dem Wesen des Menschen anwandte. In seinem berühmten Buch L’homme machine von 1748 (dt. 1875) behauptete er viel mehr, als er beweisen konnte, – aber es war der Empirismus des 18. Jhs., der dessen ungeachtet an den theologischmetaphysischen Deduktionskünsten der «rationalen Psychologie» (eines wichtigen Teils der Ausbildung katholischer Theologen weltweit bis in die 60er Jahre des 20. Jhs. hinein!) erste grundlegende Zweifel anmeldete. Im Jahre 1756 konzipierte johann gottlob krüger (1715 –1759) als erster den Versuch einer Experimental-Seelenlehre, und 1777 erklärte michael hißmann (1752 – 1784) in seinem Werk Psychologische Versuche: Seele ohne Gehirn gibt es nicht, frei nach dem Motto: nullus psychologus nisi physiologus – eine wissenschaftliche Psychologie ist nicht möglich ohne Physiologie, – ohne die Kenntnis der chemischen (und neurologischen) Vorgänge im Gehirn. 1782 edierte karl philipp moritz (1756 –1793) das Standardwerk der Psychologie seiner Zeit, das Magazin der Erfahrungsseelenlehre. immanuel david mauchart (1764 –1826) legte, noch bescheiden, 1789 seine Materialien-Sammlung zur künftigen Aufklärung in der Erfahrungs-Seelen-Lehre vor. Und so ging es jetzt Schlag auf Schlag. Doch natürlich blieb das alles zunächst eher ein methodisches Programm, es war selbst noch Philosophie. Von medizinisch-philosophischer Anthropologie sprachen denn auch johann daniel metzger (1739 –1805) und heinrich nudow (1752 –1810) um 1790. Ihre unbestreitbaren Erfolge erzielte die naturwissenschaftliche Untersuchung des Gehirns erst im nachfolgenden 19. Jh., und zwar zunächst durch die Elektrizitätslehre. Schon Ende des 18. Jhs. hatte der Italiener luigi galvani (1737–1798) bei Versuchen mit Froschschenkeln entdeckt, daß Stromdurchfluß unwillkürliche Muskelbewegungen verursachen kann; also sind Muskel- und Nervenzellen elektrisch erregbar. Darauf gestützt, begründete emil du bois-reymond (1818 –1896), aufbauend auf seinen Lehrer johannes peter müller (1801–1858) sowie den Physiker hermann von helmholtz (1821–1894), die Elektrophysiologie; – du bois-reymond untersuchte die bioelektrischen Erscheinungen in Muskeln und Nervenzellen genauer; müller formulierte um 1826 ein «Gesetz der spezifischen Sinnesenergien», wonach jede Nervenfaser nur von einem bestimmten Reiztyp (z. B. durch Schmerz oder durch mechanische Impulse) erregt wird; und helmholtz gelang es sogar, die physiologischen Vorgänge des Sehens und Hörens aufzuklären. Das eigentliche Problem der Forscher damals lag in der Begrenztheit ihres

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methodischen Ausgangspunkts. Wie selbstverständlich gingen sie bei ihren Untersuchungen von den Funktionsweisen des gesunden Gehirns aus. Bezeichnenderweise waren es aber nicht die «normalen» Abläufe im Gehirn, sondern eben jene pathologischen Störungen, die der naturwissenschaftlichen Forschung die ersten Hinweise auf die kausalen Grundlagen des menschlichen Geistes gaben. So hatte jacques-louis doussin-dubreuil (1762 –1831) im Jahre 1799 bereits eine Arbeit über die Epilepsie vorgelegt, in welcher er den griechischen Arzt hippokrates (460 – 377) für dessen «physiologische» Erklärung der Fallsucht lobte: nicht böse Geister, hatte hippokrates gelehrt, bewirkten den morbus sacer (lat.: die heilige – verfluchte – Krankheit), sondern eine «Verschleimung» (eine chemische Störung) im Hirn(Stoffwechsel). (Vgl. erhard oeser: Geschichte der Hirnforschung, 22 –24.) Und sogleich begann adolf kußmaul (1822 –1902) mit einer experimentellen Untersuchungsreihe zum Verständnis der Epilepsie; charles edouard brown-séquard (1817–1894) unternahm es in zahlreichen Tierversuchen, künstlich einen Anfall auszulösen. (Vgl. gottfried benn: Beitrag zur Geschichte der Psychiatrie, in: Ges. Werke, III 2046 –2053; ders.: Zur Geschichte der Naturwissenschaften, III 2054 –2058.) Das alles enthielt eine wichtige Lektion für das weitere Vorgehen: Offenbar war der Weg zur Erkenntnis der menschlichen Seele nur durch kontrollierte Veränderungen (Verletzungen) des Gehirns von Tieren und durch das Studium krankhafter Hirnläsionen bei Patienten zu beschreiten. Berühmt im 19. Jh. wurde die Geschichte von Phineas P. Gage aus Vermont, dessen Kopf im Sommer 1848 bei Sprengungsarbeiten von einer Eisenstange durchschlagen worden war und der den Unfall erstaunlicherweise überlebt hatte, freilich um den Preis einer dramatischen Persönlichkeitsveränderung. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 272– 273; antonio r. damasio: Descartes’ Irrtum, 25 –39.) Dr. John M. Harlow, der ihn behandelte, sprach davon, daß das «Gleichgewicht zwischen seinen geistigen Fähigkeiten und seinen animalischen Neigungen» gestört war. «Während er (sc. Gage, d.V.) sich in seinen geistigen Fähigkeiten und Äußerungen auf der Entwicklungsstufe eines Kindes befindet, hat er doch die animalischen Leidenschaften eines starken Mannes.» (Zit. n. antonio r. damasio: A. a. O., 31.) Der Neurologe antonio r. damasio referiert: «Seine (sc. Gages, d.V.) Ausdrucksweise war so gemein und abscheulich, daß man Frauen aus Rücksicht auf ihr Feingefühl riet, nicht zu lange in seiner Gegenwart zu verweilen.» (A. a. O., 31.) Entscheidend für die Forschung waren zwei unausweichliche Folgerungen aus Gages tragischem Unfall: 1) daß es das Gehirn sein muß, dessen Funktions-

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weise mit der Struktur der Persönlichkeit zu tun hat, und 2) daß es offenbar bestimmte Regionen im Gehirn sind, die ein angepaßtes Sozialverhalten ermöglichen. Beide Einsichten waren um 1850 alles andere als selbstverständlich. Für den großen aristoteles saß der Geist im Herzen und im Blut, und das Gehirn galt ihm lediglich als ein Kühlsystem der Körpersäfte: «Könnten», fragte er, «die Hohlräume des Kopfes beim Aufströmen der Ausdünstung sich abkühlen?» Seine Antwort war positiv. (Über Schlaf und Wachsein, 6, S. 88) Wenn solche Auffassungen erst einmal in Geltung sind, fällt es natürlich nicht leicht, zu erkennen, daß Hirnverletzungen die geistigen Leistungen eines Menschen auf Dauer stören können. Dabei hatte bereits der Pythagoreer alkmaion von Kroton (570 –500) Verbindungen zwischen den Augen und dem Gehirn gefunden und diese Region zum Sitz des Denkens erklärt (vgl. erhard oeser: Geschichte der Hirnforschung, 19– 20); und zwei ägyptische Anatomen: herophilos von Chalkedon (335 – 280) und erasistratos von Keos (304 – 250), hatten im 3. Jh. v. Chr. (wohl bei Vivisektionen an sogenannten Verbrechern) zum ersten Mal Nervenbahnen entdeckt, die vom Körper ins Gehirn führten (vgl. a. a. O., 34 –36). All das wies darauf hin, daß das Gehirn das Zentrum des Denkens war. (Vgl. auch susan a. greenfield: Reiseführer Gehirn, 18–19.) Doch Denken ist nicht einfach Seele. Der griechisch-römische Arzt galen (129 –199), der seine hirnanatomischen Kenntnisse aus Schädelverletzungen von Gladiatoren und aus Tierversuchen (z. B. der schichtenweisen Abtragung des Gehirns lebender Affen) gewann, wurde berühmt unter anderem wegen seiner Erklärung psychischer Eigenarten wie der des Melancholikers oder des Cholerikers durch bestimmte Körpersäfte. Auf galen und seine Schule ging die mittelalterliche Vorstellung zurück, als Sitz der Seele jene feinkörperliche Flüssigkeit anzunehmen, die die gesamte Oberfläche des Gehirns und des Rükkenmarks umgibt und als Liquor cerebro-spinalis (lat.: Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit) bezeichnet wird. Diese Flüssigkeit besteht aus Salzen, Zuckern (Trauben- und Milchzucker) und etlichen Proteinen und wird ständig erneuert; gebildet aber wird sie in eben den «Hohlräumen des Kopfes», von denen aristoteles gesprochen hatte, in den Ventrikeln, und dort lokalisierte die mittelalterliche Medizin nun den «Geist», die «Seele», mithin die Fähigkeiten zu Wahrnehmen und Denken. (Zu galen vgl. erhard oeser: Geschichte der Hirnforschung, 37–38; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 4– 6.) Insgesamt gibt es vier Ventrikel: je einen in der linken und rechten Großhirnhälfte (die Seitenventrikel), einen dritten im Zwischenhirn (im Diencephalon)

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und einen vierten im verlängerten Rückenmark (in der Medulla oblongata); alle stehen sie über «Kanälchen» miteinander in Verbindung. Im ganzen Mittelalter ging man jedoch von nur drei Ventrikeln aus, indem man die ersten beiden flüssigkeitsgefüllten Hohlräume (ohne weitere anatomische Überprüfung!) als einen Ventrikel betrachtete und damit der Dreiteilung der Seele bei platon in eine rationale, tierische und pflanzliche Seele besser entsprechen konnte. Dem ersten, vorderen Ventrikel (anatomisch also den beiden Seitenventrikeln) ordnete man den Gemeinsinn (den sensus communis) zu, – er sollte die Sinneseindrücke zu einem einheitlichen Wahrnehmungsbild (der species sensibilis) zusammenfügen. albertus magnus (um 1200 –1280), der als erster die Bedeutung der Naturerkenntnis für die Theologie erfaßte, gab dem Gemeinsinn zudem noch die Vorstellungskraft (die imaginatio) und die Bedeutungserfassung (die aestimatio) zur Seite. Das Denkvermögen (die phantasia und die cogitatio) siedelte man im mittleren Ventrikel an, und das Gedächtnis verlegte man in den hinteren Hohlraum. Doch blieben diese Zuordnungen unsicher; manche lokalisierten das Gedächtnis im mittleren Ventrikel und die Willenskraft bzw. die Motorik im hinteren Ventrikel (was den «wahren» Verhältnissen schon ein bißchen näher kommt). (Vgl. gerhard roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 88 –89.) Erst leonardo da vinci (1472 –1519) stellte die wirkliche Form der Ventrikel fest, indem er diese Hohlräume in einem Ochsengehirn mit Wachs ausfüllte und dann das ausgehärtete Wachs, nach Wegschneiden des Gehirns, als anatomischen Abguß in Händen hielt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 2.) Der fundamentale Widerspruch in jenen mittelalterlichen Konstruktionen schien niemanden zu stören, nämlich, daß die geistigen Tätigkeiten als durchaus materielle Prozesse betrachtet wurden. Insbesondere die sinnliche Wahrnehmung etwa, die man natürlich auch den Tieren nicht absprechen konnte, galt als eine Art Destillationsvorgang der geistigen Kräfte (der spiritu¯s) zu immer feineren (geistigeren) Zuständen; erst Einsicht und Vernunft (intellectus und ratio) galten als wirklich immateriell. (Vgl. gerhard roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 89.) Wie nun aber Materielles und «Immaterielles» miteinander in Verbindung stehen könnten, bildete frühestens für descartes ein wirkliches Problem. Dieser Vordenker der Neuzeit, dessen rationalistische Philosophie bis heute die Erziehung der Kinder in den französischen Schulen nachhaltig prägt, war naturphilosophisch der aristotelischen Substanz- und Lokalisationstheorie gefolgt und sah in der «Seele» vor allem ein Zentrum der Informationsverarbeitung sowie des willentlichen «Outputs»; als Sitz der Seele kam deshalb für ihn nichts in Frage, was im Gehirn paarig angelegt ist; – einzig

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die Epiphyse (die Zirbeldrüse), die tief drinnen im Gehirn liegt und sozusagen rittlings auf der Scheitellinie sitzt, schien ihm anatomisch das passende Integrationsorgan zu bilden. Wenig später erhob giovanni maria lancisi (1654 – 1720) den Hirnbalken (das Corpus callosum), der die beiden Hirnhälften miteinander verbindet, zum Seelenorgan, und zwar, weil seiner Beobachtung nach intensive Denktätigkeit zu Schmerzen just in dieser Region führe (vgl. erhard oeser: Geschichte der Hirnforschung, 72). Erst im 18.–19. Jh. setzte sich allmählich die Ansicht durch, daß es die graue Substanz im Gehirn sein müsse, die mit den physischen Aktivitäten des Wahrnehmens und Denkens zu tun habe. (Zu dem gesamten Thema vgl. ernst florey – olaf breidbach: Das Gehirn – Organ der Seele? Zur Ideengeschichte der Neurobiologie, Berlin 1993.) Damals, im Falle Gage, war es der englische Physiologe david ferrier (1843 –1928), der bereits andere Verhaltensänderungen infolge von Hirnschädigungen untersucht hatte und nun zu dem Schluß gelangte, die unglückselige Eisenstange müsse die Bewegungs- und Sprachzentren in Gages Gehirn unverletzt gelassen, dafür aber den präfrontalen Cortex geschädigt haben. ferrier selbst gab diesen Namen dem Teil des Gehirns, der, nach seiner Feststellung, für den Aufbau und die Selbstkontrolle der Persönlichkeit von besonderer Bedeutung war. (Vgl. antonio r. damasio: Descartes’ Irrtum, 38 –39.) Eine solche Theorie mußte damals für nichts weniger denn als revolutionär gelten; allenfalls die von franz joseph gall (1758 –1828) entwickelte «Phrenologie» hatte, neben einer Reihe irriger (aus heutiger Sicht obskurer) Ideen, auch die richtige Erkenntnis (oder Intuition) heraufgeführt, daß das Gehirn, als das Organ der Seele, aus vielen Teilen zusammengesetzt sei und daß diese verschiedenen Teile verschiedene Funktionen ausübten. (Vgl. a. a. O., 39 –43; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 6 –8; zu der Vorstellungswelt von franz joseph gall und seiner Zeit vgl. auch albrecht schöne: Als die Schädelform noch über ihren Inhalt Auskunft gab, in: Gehirn und Geist, 3/ 2002, 84– 87; ders.: Schillers Schädel, München 2002.) Doch ließ in den folgenden Jahrzehnten sich diese These besser untersuchen, indem man die Folgen von Hirnschäden vor allem durch Schlaganfälle und Unfälle genauer studierte. gall hatte geglaubt, das Gehirn in 27 Teilorgane zerlegen zu müssen, die seiner Meinung nach alle je für sich arbeiteten; indes untersuchte der Franzose marie jean pierre flourens (1794 –1867) diese Behauptung experimentell, indem er bei Versuchstieren verschiedene Teile des Gehirns entfernte, um zu sehen, ob dadurch diejenigen Funktionen ausfielen, die gall den jeweiligen Abschnitten zugeordnet hatte. Abgesehen von der Grausamkeit seiner Versuche scheinen «in der Retrospektive . . . viele Störungen, an denen seine Tiere litten,

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das Resultat eines postoperativen Schocks, einer Gehirnschwellung oder . . . (sc. anderer Ursachen, d.V.) zu sein.» (bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 8) Aber wie auch immer: Ein Ergebnis seiner Nachforschungen war die Äquipotentialtheorie, nach welcher der menschliche Geist eine gemeinsame Tätigkeit des gesamten Gehirns darstellen sollte und als solcher überhaupt nicht mit biologischen (materialistischen) Theorien erklärt werden könnte. Dann aber ereignete sich der Fall Gage, der wieder den Lokalisationstheoretikern Auftrieb verschaffte. (Zur Äquipotentialtheorie flourens’ vgl. erhard oeser: Geschichte der Hirnforschung, 130–136; zur Lokalisationstheorie galls vgl. a. a. O., 110 –130.) Zudem fand der britische Neurologe john hughlings-jackson (1835 –1911) bei Untersuchungen von epileptischen Krampfanfällen, daß unterschiedliche motorische und sensorische Phänomene in verschiedenen Teilen der Großhirnrinde lokalisiert sein müssen (vgl. eric r. kandel: Gehirn und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 8). Und so ging es jetzt weiter: Im Jahre 1861 beschrieb der französische Anatom pierre paul broca (1824 –1880) den Fall eines Mannes, dessen Sprechapparat (Zunge, Kehlkopf, Stimmbänder) völlig intakt war und der sich dennoch außerstande zeigte, grammatikalisch korrekt zu sprechen – ein Fall motorischer Aphasie (griech.: Sprachunfähigkeit); bei der Autopsie dieses Patienten hatte broca Läsionen in der linken frontalen Hirnrinde gefunden (dem heutigen brocaAreal). «Wir sprechen mit der linken Hirnhälfte», folgerte broca aus seinem Befund. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 8 –10.) Zur weiteren Stützung der Lokalisationstheorie trug die Arbeit des deutschen Physiologen gustav theodor fritsch (1838 –1927) und des Psychiaters eduard hitzig (1838 –1907) bei, die im Jahre 1870 durch die elektrische Stimulation bestimmter Bereiche im Gehirn eines Hundes spezifische Bewegungen der Vorder- und Hinterläufe auslösten. Nebenbei erwähnt, «äußerten die Hunde durch Schreien und charakteristische Reflexbewegungen lebhaften Schmerz» bei der Freilegung des Gehirns, und, obwohl festgebunden, erschwerten die Tiere «durch die gewaltigsten Sprünge die Schonung der Hirnsubstanz bei Abtragung dieser Membran (sc. der Dura mater, lat.: der harten Mutter, einer der drei Hirnhäute, d.V.)». (Zit. n. erhard oeser: Geschichte der Hirnforschung, 173; vgl. auch bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 11–12.) Mit der Kenntnis ausgestattet, daß die elektrische Reizung des motorischen Teils der Großhirnrinde zu Muskelkontraktionen der gegenüberliegenden Körperhälfte führt, machte sich im Jahre 1876 der Neurologe carl wernicke (1848 –1905) daran, einen anderen Typ von Aphasie zu beschreiben, bei der das

Der Empirismus des 18. Jahrhunderts

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Sprachverständnis, nicht so sehr die Artikulation der Sprache, gestört war: der Patient konnte sprechen, doch verstand er selbst nicht, was er sagte; als Ort der Schädigung fand wernicke ein nach ihm benanntes Areal im hinteren Teil des Schläfenlappens. Der deutsche Neurologe leitete aus seinen Untersuchungen die These ab, daß zwar die einfachen sensorischen und motorischen Funktionen an die Aktivität einzelner Bereiche der Großhirnrinde gebunden seien (die Lokalisationstheorie), daß aber die komplexeren geistigen Tätigkeiten nur durch das Zusammenwirken mehrerer verschiedener Hirnareale zustande kommen könnten. Diese Vorstellung von der verteilten Verarbeitung, von dem Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen zur Ermöglichung komplexen Verhaltens, bildete einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns. (Vgl. eric r. kandel: Gehirn und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 12–15.)

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3. Läsionsforschung und Tierexperimente im 19. und 20. Jahrhundert

Überhaupt war es das 19. Jh., das die entscheidenden geistigen Veränderungen im Denken über den menschlichen Geist einleitete, indem es von allen finalistischen (oder teleologischen) Konzepten der Weltdeutung im theologischen Sinne Abschied nahm und auf alle Erscheinungen des Daseins seinen eigentlichen Triumph: das historische Denken, anwandte; – die Evolutionstheorie bildete um 1850 nur die logische Konsequenz dieses Ansatzes. Nicht Ziele, – Ursachen, nicht Zwecke, sondern die Mechanismen kausaler Wirkungen galt es zu erforschen. «Jedes Erhitzen in religiöser oder ethischer Beziehung fiel fort», schrieb im Jahre 1911 bereits der Arzt und Dichter gottfried benn (Zur Geschichte der Naturwissenschaften, Ges. Werke, III 2056– 2057). «Wenn Flechsig (sc. paul emil flechsig, 1847–1929, d.V.) und Fritsch mit der Elektrode die Großhirnrinde abtasteten und Bewegungen auslösten, die als Ausdruck seelischer Regungen galten, so war das für sie absolut nicht gefühlsbetonter, als wenn Pawlow (sc. der russische Physiologe iwan petrowitsch pawlow, 1849 –1936, d.V.) seinem Hund eine Magenfistel anlegte, um das Drüsensekret zu untersuchen. Es interessierte am Gehirn gar nicht mehr der Sitz und das Ergehen der Seele; es war viel wichtiger, daß beim Stich in den vierten Ventrikel Zucker im Harn auftrat und daß bei einer enthirnten Taube bestimmte psychische Funktionen ausfielen und andere bestehen blieben.» Speziell diese «Gefühllosigkeit» bei der Betrachtung menschlicher Gefühle, diese subjektive Unbeteiligtheit beim Studium des Leids von Tier und Mensch zugunsten des methodischen Ideals reiner Objektivität, war bereits von jean paul (1763 –1825) in seinem Roman D. Katzenbergers Badereise (erw. 1823) als eine geradewegs zynische «Kunst», allerorten das Ekelhafte wahrzunehmen und für die Wahrheit der Dinge zu halten, kritisiert worden. Doch wie sonst sollte der Unheimlichkeit psychischer Erkrankungen beizukommen sein, und wie anders sollte man glauben, ihr mit medizinischen Mitteln jemals steuern zu können? Es war gerade der Eindruck der schier endlosen Qual und des unaufhörlichen Schmerzes der Kreaturen, der schon infolge der offenbaren Ratlosigkeit aller theologischen Auskünfte zu einer vorurteilsfreien, ehrlichen und ex-

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akten Erforschung des Geflechts von Ursache und Wirkung in den Nerven und Gehirnen von Tieren und Menschen nötigte. Insbesondere die Psychiatrie machte am Anfang des 20. Jhs. einen bedeutenden Sprung nach vorn, als eine Gruppe von Münchener Ärzten: emil kraepelin (1856 –1926), franz alexander nissl (1860 –1919) und korbinian brodmann (1868 –1918), die Grundlagen der wissenschaftlichen Erforschung psychopathologischer Phänomene legte; kraepelin schuf eine bis heute gültige Systematik der seelischen Erkrankungen, nissl gelang es, mit Hilfe von Methylenblau neuronale Gewebe zu färben und so Veränderungen im Gehirn nachzuweisen, und brodmann war es, der nach rein anatomischen Gesichtspunkten eine Neuronenkarte der Großhirnrinde anlegte, die zur Lokalisation funktionaler Einheiten des Cortex sich als sehr hilfreich erweisen sollte. Mit Hilfe der nisslschen Färbungstechnik zur Sichtbarmachung von Neuronen stellte der Pathologe alois alzheimer (1864 –1915) fest, daß im Gehirn von Patienten mit speziellen Gedächtnisproblemen und Persönlichkeitsveränderungen im Alter manche Neuronenproben wie Faserknäuel aussahen und sich dazwischen Zonen von schlammartigen Ablagerungen (den sogenannten Plaques) gebildet hatten. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, Farbtafel X.) kraepelin nannte diese Erkrankung älterer Menschen die «alzheimersche Krankheit», ein Name, der bis heute verwendet wird. In all dem blieb der Fortschritt der Neurologie und Psychiatrie freilich entscheidend an die Läsionsforschung und an die Untersuchung von Hirnproben toter Patienten gebunden, – erst die «bildgebenden Verfahren» des letzten Jahrzehnts erlauben einen «nicht-invasiven» (lat.: nicht – in das Gehirn – «eindringenden») Blick in das lebende Gehirn. Bis zu diesem Zeitpunkt waren es – und sind es leider immer noch – vor allem millionenfache «Versuche» an Tieren, aus deren mutwillig herbeigeführten Hirnverletzungen man genauere Kenntnisse über die Funktionsweise des Wirbeltiergehirns zu gewinnen hofft(e). Noch im Jahre 2004 wurden allein in Deutschland – nach offiziellen Angaben, die Dunkelziffer vor allem bei den militärischen Versuchen wird weit höher liegen! – 2 265 489 Tiere der wissenschaftlichen Forschung geopfert (das sind über 153 000 mehr als im Jahr 2003); – alle 14 Sekunden stirbt in Deutschland in irgendeinem Labor ein Tier in den Händen eines Experimentators auf dem Gebiete der Neurologie, der Pharmakologie und der Chirurgie. Was die «Grundlagenforschung» angeht, so sind die Zahlen von 2002 auf 2003 gestiegen: von 826 729 registrierten Tieren in 2002 auf 850 710 in 2003; für das Jahr 2004 lassen sich hierzu keine Aussagen treffen, da die Bundesregierung die Angaben zu den Versuchszwecken aus der Versuchstierstatistik ausgegliedert hat. (Vgl. Ver-

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suchstierstatistik für das Jahr 2004 des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.) (Associated Press vom 16./17.10.04) Wenn Forscher wie wolf singer betonen, «daß . . . die moderne Hirnforschung auf Tierversuche nicht verzichten» könne, um «Mikroelektrodenableitungen an wachen, verhaltenstrainierten Primaten» vorzunehmen – diese Verfahren seien zudem «schmerzfrei» und ähnelten «den Verfahren zur Implantation von Herzschrittmachern» (Auf dem Weg nach innen, in: Der Beobachter im Gehirn, 9– 33, S. 30) –, so geht dabei das unsägliche Leid, das den Tieren, zu 80 Prozent Ratten und Mäusen, aber auch Katzen, Hunden, Kaninchen und sogar Primaten, zugefügt wird, vollkommen unter. Wir werden auf die Psychologie der Wahrnehmung noch zu sprechen kommen; vorerst genügt ein Blick in jedes beliebige Lehrbuch der modernen Neurologie, um zu sehen, daß es so harmlos, wie wolf singer und Kollegen glauben (machen) wollen, sich bei den Tierexperimenten nicht verhalten kann. Denn was für Verfahren sind da üblich? Da ist zum ersten die große Gruppe von Eingriffen im Rahmen der stereotaktischen Chirurgie zu nennen, also das Implantieren von Elektroden im Gehirn von sogenannten «Versuchstieren», auf das singer selber Bezug nimmt. – Wie derlei Eingriffe durchgeführt werden, läßt sich bei john p. j. pinel: Biopsychologie, 123 –124, am Beispiel der Implantation einer Elektrode in die Amygdala einer Ratte nachlesen, – was es mit der Amygdala auf sich hat, werden wir später noch genauer kennenlernen. Wird über solch eine Elektrode der Ratte «einmal pro Tag ein schwacher elektrischer Reiz verabreicht», so wird eine «progressive Entwicklung und Verstärkung von Krämpfen» ausgelöst, mit «stets» der «gleichen Abfolge von Symptomen: Gesichtstremor, rhythmische Kieferbewegungen, rhythmisches Kopfnicken, Clonus (sc. griech.: der klónos – heftige, verworrene Bewegung, d.V.) der Vorderbeine, Aufrichten auf die Hinterbeine und Umfallen». (A. a. O., 161) Neben der elektrischen Stimulation sind auch invasive Ableitungsmethoden von Bedeutung. Die meisten Experimente, bei denen die elektrophysiologischen Antworten einzelner Nervenzellen mittels intrazellulärer Ableitung untersucht werden, «werden an chemisch immobilisierten Tieren durchgeführt, denn es ist bei einem frei beweglichen Tier nahezu unmöglich, die Spitze einer Mikroelektrode im Neuron (sc. in der Nervenzelle, d.V.) fixiert zu halten» (a. a. O., 126–127); – was das für das Tier heißen will, bleibt der Phantasie, wo nicht der Sachkenntnis des Lesers anheimgestellt. Zum zweiten sind die psychopharmakologischen Versuche zu nennen, bei denen die Tiere psychoaktive Substanzen, zum Beispiel Drogen, verabreicht be-

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kommen, – sei es mit dem Futter, sei es mit Magensonden, sei es per Injektion durch eine implantierte Kanüle direkt ins Gehirn (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 127; 387; niels birbaumer – robert f. schmidt: Biologische Psychologie, 676.) Erwähnenswert im Zusammenhang mit Suchtverhalten, Eßstörungen und der Biopsychologie des Essens und Trinkens sind auch Versuche, bei denen man Tieren den Magen chirurgisch abtrennt (john p. j. pinel: Biopsychologie, 269 –270), ihnen einen zusätzlichen Magen transplantiert (a. a. O., 275– 276), oder Experimente an extrem fettleibigen Mäusen (a. a. O., 293). Zur dritten großen Gruppe neurologischer Eingriffe in das Gehirn von «Versuchstieren» gehören die Läsionsversuche, bei denen Gehirnteile (mit Skalpell, Absaugmethode u. a. – vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 123 – 125) beschädigt («lädiert») werden. bryan kolb und ian q. whishaw (Neuropsychologie, 131) geben eine Übersicht darüber, wie aus einem «normalen Tier» wahlweise ein «decortiziertes», «decerebriertes» oder «spinales» Tier – diese Begriffe werden uns nach der Lektüre des nächsten Kapitels alle geläufig sein – experimentell hergestellt werden kann und wie sich ein solches Tier «ohne Hirnrinde», «ohne Großhirn» oder «reduziert auf sein Rückenmark» verhalten wird. Es bleibt dem Leser überlassen, sich in solch ein armseliges Geschöpf einzufühlen, – die Forscher werden es kaum tun . . . Läsionen im Bereich des Hypothalamus, einer Hirnstruktur, die wir im nächsten Kapitel kennenlernen werden, führen bei Katzen und Ratten zu Aphagie (griech.: Unfähigkeit zu essen) und Tod, – es sei denn, die Tiere werden «einige Zeit lang künstlich ernährt». Es läßt sich dann beobachten – eigentlich nicht überraschend –, «daß sich das Nahrungsaufnahmeverhalten in einer festgelegten Sequenz erholt: Zuerst fraßen die Tiere nur geringe Mengen flüssiger Nahrung und überlebten damit. Später fraßen sie auch wieder trockenes Futter und hielten sich durch feste Nahrung und Wasser am Leben.» (A. a. O., 457) – Aber mit dieser Quälerei noch nicht genug: «Viele Wissenschaftler konnten diese Erholungsschritte bei verschiedenen Spezies beobachten, die hypothalamische Läsionen oder andere Gehirnschädigungen aufwiesen.» (A. a. O., 457) Da experimentelle Läsionen der Amygdala sozial unangepaßte Verhaltensänderungen verursachen und «zu extrem aggressiven Attacken auf lebende und unbelebte Objekte führen» können, läßt sich leicht ausmalen, welch einen sozialen Streß solche Eingriffe in der Hierarchie etwa einer Affenhorde (mit dem dazugehörenden Leid für jedes einzelne Gruppenmitglied) auslösen werden. (Ein entsprechender Versuch ist bei niels birbaumer und robert f. schmidt: Biologische Psychologie, 674, dargestellt.)

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Immer wieder muß es den Außenstehenden bis heute wundern, mit welch einer Nonchalance und Selbstverständlichkeit Versuche an fühlenden Tieren – zumal an Affen – geplant und genehmigt werden. Bis in die späten 80er Jahre des 20. Jhs. wollte man mit Läsionsversuchen die Bedeutung von Amygdala und Hippocampus (einer weiteren Hirnstruktur, die wir im nächsten Kapitel kennenlernen werden) für das Gedächtnis ermitteln; «die Wissenschaftler, die sich mit dem Affenmodell beschäftigten», machten sich aber «kaum Gedanken über eine mögliche Beteiligung der darunterliegenden Struktur des Riechhirns . . ., das bei der Präparation immer entfernt wurde, um die Hippocampusund Amygdalastrukturen für die Aspiration (sc. lat.: das Absaugen, d.V.) freizulegen.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 410) Daß Versuchsplanungen dieser Güte noch in den 90er Jahren nicht nur durchgeführt, sondern auch ohne jedes Schuldbewußtsein veröffentlich wurden, zeigen allan rechtschaffen und bernard m. bergmann (Sleep deprivation in the rat by the disk-over-water method, in: Behavioural Brain Research, 69/1995, 55 –63). Wie es diese Forscher fertigbrachten, im Rahmen von Schlafexperimenten, die eigentlich recht harmlos durchgeführt werden können, ohne jegliches aussagekräftiges Versuchsergebnis Ratten innerhalb weniger Tage so zu Tode zu quälen, daß ihre kleinen Körper anschließend «geschwollene Nebennieren, kollabierte Lungen, Wasser in den Lungen, Magengeschwüre, innere Blutungen, Hautverletzungen, Verletzungen des Skrotums (sc. lat.: des Hodensackes, d.V.), geschwollene Gliedmaßen und vergrößerte Harnblasen» aufwiesen, läßt sich gleichfalls nachlesen bei john p. j. pinel (Biopsychologie, 340– 341). Damit wird nur eine kleine Auswahl von Experimenten geboten, die dem Leser beim Durchblättern gängiger Neurologiebücher unvermeidbar auffallen werden. Es steht freilich kaum zu erwarten, daß in Zeiten heftigster Konkurrenz um Forschungsgelder die Achtung ausgerechnet vor Tieren oder wenigstens das Mitleid mit ihrem Schmerz zu einer ethisch verantwortlicheren Genehmigungspraxis und sorgfältigeren Planung der Tierversuche führen wird. Wie aber soll man, gerade weil das Gehirn der Wirbeltiere und insbesondere der Säugetiere einem gemeinsamen Bauplan folgt, Versuche, die aus ethischen Gründen an Menschen verboten sind, an Tieren unbedenklich finden? Wir müßten unsere Neugier nur eine Weile lang stoppen, bis uns Untersuchungsverfahren zur Verfügung stehen, die keine «invasiven» Eingriffe in das Leben gesunder, schmerzempfindender Lebewesen mehr voraussetzen. Wer den Vorschlag solch eines Moratoriums invasiver Forschungsmethoden in der Neurologie für «ganz unmöglich» erklären möchte, möge bedenken, daß wir etwa in

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der Archäologie viele Fundorte derzeit unangetastet lassen in der richtigen Vermutung, bald schon über Untersuchungsverfahren verfügen zu können, für deren Erkenntnisgewinn unsere heutigen Vorgehensweisen keinen Fortschritt, ja, sogar einen nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten müßten; der Respekt vor fühlenden Tieren sollte noch größer sein als der vor königlichen Grabhügeln. (Einen Überblick über die Möglichkeiten nicht-invasiver Untersuchungsmethoden – bildgebende Verfahren sowie psychophysiologische Messungen – gibt john p. j. pinel: Biopsychologie, 112 –122.)

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4. Die Wiederkehr der uralten Frage nach «Person» und «Seele» oder: Zwischen Dualismus, Buddhismus, Idealismus, Psychoanalyse und Materialismus

Doch in unserem Zusammenhang ist zugegebenermaßen die Tatsache von Bedeutung, daß das neurologische Wissen, das in den letzten 150 Jahren auf höchst qualvolle Weise den Tieren abgerungen wurde, die uralte philosophische oder theologische Frage erneut aufwirft: Wenn Hirnschäden identisch sein können mit Persönlichkeitsschäden, was ist es dann mit der Seele? Soll man denken, daß sie für gewöhnlich, wie ein geübter Pianist, auf dem «Klavier» des Neuroneninstrumentes Gehirn spiele, im Krankheitsfalle aber nur ein «verstimmtes» oder «verstummtes» musikalisches Gerät antreffe? Insbesondere der australische Neurophysiologe john carew eccles (1903 –1997), der 1963 den Nobelpreis für die Entschlüsselung der cholinergischen Übertragung von Signalen an den Synapsen von Motoneuronen erhielt, folgte dieser Vorstellung. «In allen materialistischen Philosophien», schrieb er, «einschließlich aller Varianten des Parallelismus, ist der sich seiner selbst bewußte Geist oder die Seele nichts weiter als ein durch die Evolution geschaffener Emporkömmling aus dem hochentwickelten Gehirn. Demgegenüber bin ich, als Vertreter des dualistischen Interaktionismus (sc. von Geist und Gehirn, d.V.), der Überzeugung, daß meine persönliche Einzigartigkeit, d. h. das von mir erlebte Bewußtsein meines Selbst sowie dessen Entstehung, sich nicht auf diese Weise erklären läßt.» «Infolgedessen bekenne ich mich zu der Überzeugung, daß es etwas gibt, was ich den übernatürlichen Ursprung meines einmaligen, sich seiner selbst bewußten Geistes oder meiner einmaligen Individualität oder Seele nennen möchte . . . Die Einzigartigkeit des von mir erlebten Selbst ist es, die diese Hypothese über einen unabhängigen Ursprung des Selbst oder der Seele erforderlich macht, dieser Seele, die sich dann auf eine Weise, über die wir nichts wissen (sic!, d.V.), mit einem Gehirn verbindet, das dadurch zu meinem Gehirn wird.» (john c. eccles – hans zeier: Gehirn und Geist, 190–192) Ganz offensichtlich handelt es sich bei diesen gegen den «neurologischen Reduktionismus» gerichteten Worten um ein – schon dem Stil nach – persönlich formuliertes Glaubensbekenntnis, nicht um eine wissenschaftlich begründbare These. Jedenfalls kann man auch anders denken: Wie, wenn es ein «Selbst» gar

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nicht gibt, sondern nur die Vorstellung von einem Ich, einem «Selbst», einem Subjekt, einem Integrations- und Aktionszentrum, das allen geistigen Tätigkeiten zugrunde liegt? Eine solche Position wäre nicht einmal «unreligiös» oder «materialistisch» zu nennen; sie bildet überraschender- oder konsequenterweise vielmehr die Grundlage einer der weisesten Religionsformen, welche die Menschheit (bis heute) hervorgebracht hat: des Buddhismus. Zu den Grundtexten des Buddhismus gehört das in Pali, der heiligen Sprache des Theravada-Buddhismus, abgefaßte Lehrgespräch aus dem 2. Jh. v. Chr. zwischen dem nordindisch-griechischen König Menandros (= Milinda), der im Jahre 155 auf den Thron kam und 130 starb, und dem magiegewaltigen buddhistischen Weisen Nagasena: Die Fragen des Königs Milinda, das «Milindapañha». Seit 2000 Jahren gilt dieses Buch als die volkstümlichste Einführung in die Schulungsmethoden von Zen, Vajrayana («Diamantenem Fahrzeug») und Theravada. Neben Fragen von Medizin, Ritus, Politologie und praktischer Lebensführung enthält das Buch auch Informationen über die Person und Lehre des Buddha; abgehandelt wird darin aber vor allem die metaphysische Frage nach dem «Ich», nach der «Seele» des Menschen. Die Antworten, die dieser Dialog erteilt, sind teils logischer, teils erkenntnistheoretischer Art, und sie sind von einer kaum zu widerlegenden Einfachheit. Da ist zum einen jenes Problem, das im abendländischen Mittelalter unter dem Namen «der Universalienstreit» bekannt wurde. Man mag sagen: «Das ist ein Wald»; aber in Wahrheit gibt es nichts, das ein «Wald» wäre, – es gibt nur eine Menge dicht zusammenstehender Bäume, die jeder ein einzelnes Wesen sind. «Wald» ist mithin nur ein Name, keine Wirklichkeit, – so die Auffassung des Nominalismus. – Im Milindapañha argumentiert Nagasena ganz ähnlich, wenn er König Menandros erklärt, er glaube zwar, mit einem Wagen hergekommen zu sein, doch in Wahrheit gebe es gar keinen «Wagen», es gebe nur die Deichsel, die Achse, die Räder, die Speichen, den Wagenkasten, das Joch, «denn der Wagen existiert ja gar nicht». «Gerade so aber auch, o König, entsteht in Abhängigkeit von Kopfhaaren, Körperhaaren, Zähnen, Nägeln usw. . . . das bloße Wort ‹Nagasena›. Im höchsten Sinne aber ist da eine Persönlichkeit nicht vorzufinden.» (1. Kap., S. 52) In der mittelalterlichen Philosophie des Abendlandes wurde der Nominalismus von der Kirche bekanntlich als Irrlehre verurteilt; man verbot ganz einfach per Dekret das Problem, statt es zu lösen. Nagasena indessen argumentierte so: Wenn die Wahrnehmungen der Sinne durch eine Seele zustande kämen, die «hinter» den Sinnen läge, gleich einem Beobachter in den Mauern eines Palastes, der nur ein paar Fenster und Türen nach draußen offen hielte, «müßte

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denn da, sobald die Sinnestore herausgenommen würden und sie (sc. die Seele, d.V.) gewissermaßen ihren Kopf herausstreckte, nicht wohl die Seele infolge des vollen Tageslichtes die Dinge besser wahrnehmen können?» (4. Kap., S. 116; vgl. 3. Kap., S. 81–82) Wäre wirklich eine immaterielle Seelensubstanz nötig, um die sinnlichen Wahrnehmungen zu begründen, so wäre dieses geistige Prinzip in den Körper eingesperrt wie in einen Kerker, und es würde ohne Körper die Dinge besser erkennen können als vermittels der schmalen «Sichtfenster», welche die Sinne ihm erschließen; oder es gibt eben gar keine «Seele», sondern nur einen Prozeß von Wahrnehmungen, die sich durch den Vorgang ihrer eigenen Entstehung selber konstituieren. Obwohl die buddhistische Gedankenwelt der «christlichen» Theologie bis zum 19. Jh. so gut wie gänzlich unbekannt blieb und bis heute keinerlei nennenswerten Einfluß auf sie genommen hat, scheinen im 3./2. Jh. v. Chr. in Indien gerade diejenigen psychologischen und erkenntnistheoretischen Probleme vorweggenommen (und vorwegbeantwortet?), die von der Neurologie der Gegenwart aufgeworfen werden. Im Abendland besaß einzig david hume (1711–1776) die innere Unabhängigkeit und Kongenialität, die Existenz der «Seele» zu bezweifeln. Für hume war die Person – wie im Milindapañha, von dem er nie etwas gehört hatte – nicht etwas objektiv Seiendes, sondern nur «ein Bündel von Perzeptionen» oder, besser, die Vorstellung von der Einheit der Perzeptionen. Aus rein erkenntnistheoretischen Gründen hielt er insbesondere die Lehre von der unsterblichen Seele für unbeweisbar. (Vgl. david hume: Die Naturgeschichte der Religion, 79– 87: Über die Unsterblichkeit der Seele.) Kennzeichnend dabei ist die Wirkungsgeschichte der humeschen Ideen: sie führten gerade nicht in den Materialismus, sondern im Gegenteil in eine spiritualistische Weltsicht, ganz so, wie man auch die buddhistische Leugnung des Ich philosophisch als eine Form des erkenntnistheoretischen Idealismus darstellen kann, der in etwa den Lehren des britischen Theologen george berkeley (1685 –1753) entspricht. Kein Geringerer als immanuel kant (1724 – 1804) war es, der auf seine Weise die Konsequenzen aus humes Einwänden gegen den tradierten Dogmatismus beziehungsweise gegen den erkenntnistheoretischen Realismus in der Seelenlehre zog. Zu den Paralogismen der reinen Vernunft zählte er alle vier Behauptungen, die von der Seele klassischerweise gemacht wurden: ihre Substantialität, Personalität, Simplizität und Idealität, und sein Einwand gegen diese «Fehlschlüsse» lautete, daß der Satz: «die Seele ist eine Substanz», «nur eine Substanz in der Idee, aber nicht in der Realität bezeichne». (Kritik der reinen Vernunft, I. Transzendentale Elementarlehre, 2. Teil. Die transzendentale Logik, 2. Abteilung. 2. Buch. 1. Hauptstück. Von

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den Paralogismen der reinen Vernunft (A), Werke, IV 363) Der Fehler in all den «Beweisführungen» von der immateriellen, unsterblichen Seele liegt nach kant darin, «daß die subjektive Bedingung des Denkens (sc. die Vorstellung eines Ich-denke, d.V.) vor die Erkenntnis des Objekts gehalten wird». (A. a. O., IV 393) Die Vorstellung von der Seele aber, machte kant geltend, sei eine bloße Vernunftidee, die man nicht in einen Gegenstand verwandeln könne, der sich mit Hilfe der Verstandeskategorie der Substanz erkennen lasse. Andererseits hielt kant die in theoretischer Absicht unerkennbare Unsterblichkeit der Seele für ein Postulat der reinen praktischen Vernunft, da der «unendliche Progressus» zu einer völligen «Angemessenheit der Gesinnungen zum moralischen Gesetz» als «die oberste Bedingung des höchsten Guts» «nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt) möglich» sei. (Kritik der praktischen Vernunft, 1. Teil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft, 2. Buch. Dialektik der reinen praktischen Vernunft, 2. Hauptstück. Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut, IV. Die Unsterblichkeit der Seele, als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft, Werke, VII 252) Gerade diese strenge Unterscheidung kants zwischen Wißbarem und zu Glaubendem wird uns bis zum Ende unserer Untersuchungen beschäftigen müssen. Doch zwingend ist auch sie anscheinend nicht. Gestützt auf kants Erkenntniskritik entwickelte bereits arthur schopenhauer (1788 –1860) eine antirationalistische, tragische Weltsicht. Was der Mensch erkennen kann, ist nach kant die Erscheinung eines Gegenstandes, den er sich entsprechend der Einrichtung seiner Sinne und seines Verstandes selbst konstruiert; was «das Ding an sich» selbst ist, vermag er nicht zu erkennen; einzig in dieser «noumenalen» bzw. «intelligiblen» (nur zu denkenden) Sphäre des «Dings an sich» aber könnte es, so folgerte kant, überhaupt so etwas geben wie die postulierte Existenz von Seele, Freiheit und Gott. schopenhauer nun schlug vor, als den eigentlichen Kern der Dinge, als das wahre «Ding an sich» im Hintergrund der Welt der Erscheinungen, den Willen zu betrachten. In den Ergänzungen zum zweiten Buch seines Hauptwerkes: Die Welt als Wille und Vorstellung (2 Bde., 1819) schrieb er unter dem Titel Transzendente Betrachtungen über den Willen als Ding an sich: «Schon die bloß empirische Betrachtung der Natur erkennt . . . einen stetigen Übergang, durch allmälige Abstufungen und ohne andere, als relative, ja meistens schwankende Gränzen. Das diese Ansicht verfolgende . . . Nachdenken wird bald zu der Überzeugung geführt, daß in allen jenen Erscheinungen das innere Wesen, das

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sich Manifestierende, das Erscheinende, Eines und das Selbe sei, welches immer deutlicher hervortrete; und daß demnach was sich in Millionen Gestalten von endloser Verschiedenheit darstellt und so das bunteste und barockeste Schauspiel ohne Anfang und Ende aufführt, dieses Eine Wesen sei, welches hinter allen jenen Masken steckt, so dicht verlarvt, daß es sich selbst nicht wiedererkennt, und daher oft sich selbst unsanft behandelt . . . Wir nun aber sind jetzt schon tiefer in das Geheimniß eingeweiht, indem wir . . . zu der Einsicht geleitet worden sind, daß, wo jenem, allen Erscheinungen zum Grunde liegenden Wesen, in irgend einer einzelnen derselben, ein erkennendes Bewußtseyn beigegeben ist, welches in seiner Richtung nach innen zum Selbstbewußtseyn wird, diesem sich dasselbe darstellt als jenes so Vertraute und so Geheimnißvolle, welches das Wort Wille bezeichnet.» (Werke, III 361– 362) Und mit direktem Bezug zu der Religiosität Indiens formulierte schopenhauer: «Jeder erkennt nur ein Wesen ganz unmittelbar: seinen eigenen Willen im Selbstbewußtseyn. Alles Andere erkennt er bloß mittelbar, und beurteilt es dann nach der Analogie mit jenem, die er, je nachdem der Grad seines Nachdenkens ist, weiter durchführt. Selbst Dieses entspringt im tiefsten Grunde daraus, daß es eigentlich auch nur ein Wesen giebt: die aus den Formen der äußern, objektiven Auffassung herrührende Illusion der Vielheit (Maja) konnte nicht bis in das innere, einfache Bewußtseyn dringen: daher dieses immer nur Ein Wesen vorfindet.» (A. a. O., III 366) Von daher gehört das Bewußtsein, indem es Individualität voraussetzt, bereits der bloß empirischen, der phänomenalen, nicht der noumenalen (intelligiblen) Welt an, bedingt durch Raum und Zeit. Man erkennt diese Tatsache nach schopenhauer an der Gleichgültigkeit, mit welcher die Natur «Millionen Organismen schafft, die nie zur Reife gelangen, und jedes Lebende tausendfältigen Zufällen ohne Schonung Preis giebt, . . . folglich Millionen ihr nichts mehr kosten als Eines; so leitet auch Dieses uns auf die Einsicht hin, daß die Vielheit der Dinge ihre Wurzel in der Erkenntnißweise des Subjekts hat, dem Dinge an sich aber . . . fremd ist; daß mithin Raum und Zeit, auf welchen die Möglichkeit aller Vielheit beruht, bloße Formen unserer Anschauung sind.» (Werke, III 367) Die «Seele», das Ich, das Selbst sind folglich ein Teil des Trugs der Maya, der Weltillusion im Hinduismus; unzerstörbar ist nicht das einzelne Wesen, sondern nur das wahre Wesen: der alles durchdringende, alles gestaltende, alles zerstörende Wille. (Vgl. Nachträge zur Lehre von der Nichtigkeit des Daseyns, in: Parerga und Paralipomena, 2. Bd., Werke, VI 301–308.) Illusionär ist nach schopenhauer desgleichen die Freiheit; sie kann nur sein in der Sphäre des «Dings an sich»; sie kann unmöglich sein in der Welt der Erscheinungen.

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Abb. V 1: Die Struktur der seelischen Persönlichkeit nach sigmund freud

Im Grunde bewegten schopenhauers Gedanken sich in einem Zwischenraum von Psychologie und Philosophie, von Introspektion und Projektion. Oft schon wurde in diesem Zusammenhang auf die sonderbare Affinität hingewiesen, die schopenhauers Weltsicht mit den Einsichten verbindet, die ein halbes Jahrhundert später sigmund freud (1856 –1939) der Psychoanalyse unterlegt hat. In Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse von 1932 entwickelte der Wiener Nervenarzt seine Lehre des Ich, das «in einer anspruchslosen Zeichnung» als über das System Wahrnehmung – Bewußtsein mit der Realität (der Außenwelt) verbunden sich darstellen läßt, während es über das Unbewußte mit der Welt des Es, mit den Affekten und Trieben, Gemeinschaft hält, die aus den Prozessen des Körpergeschehens aufsteigen. Auf dem Boden des Ich hat sich nach freuds Ansicht in Verinnerlichung der Elterngestalten und der von ihnen erzeugten Angst vor strafweisem Liebesverlust das Überich etabliert, dessen Mechanismen selber weitgehend unbewußt ablaufen und dazu führen, daß eine Reihe von Inhalten (Triebwünschen, Erinnerungen, unliebsamen Wahrnehmungen) aus dem Bewußtsein verdrängt werden. (Vgl. Abb. V 1, aus: Gesammelte Werke, XV 85.) Demnach gibt es in psychoanalytischer Sicht zwar ein Ich, doch ist es «an

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Einleitung

sich» unfrei, und es hat kein «intelligibles», nur ein psychisches (phänomenales) Sein. Allenfalls durch die mühsame Aufklärungsarbeit der Psychoanalyse, durch die Bewußtmachung der unbewußten Vorgänge des Psychischen, ist es möglich, den Radius der Selbstverfügung, der freien Stellungnahme zu sich selbst, zu erweitern. Als die «Absicht» der Psychoanalyse erklärte freud deshalb, «das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so daß es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden. – Es ist eine Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee.» (Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XV 86) Diese Parteinahme zugunsten des Ich hinderte den «Vater» der Psychoanalyse indessen nicht, ja, sie bewog ihn geradezu, ganz im Sinne schopenhauers (ohne doch von ihm wesentlich beeinflußt zu sein) das Ich zu schildern «als armes Ding, welches unter dreierlei Dienstbarkeiten steht . . ., von der Außenwelt her, von der Libido des Es und von der Strenge des Über-Ichs. Dreierlei Arten von Angst entsprechen diesen drei Gefahren . . . Als Grenzwesen will das Ich zwischen der Welt und dem Es vermitteln . . . (Aber, d.V.:) Es ist nicht nur der Helfer des Es, auch sein unterwürfiger Knecht . . . In seiner Mittelstellung zwischen Es und Realität unterliegt es nur zu oft der Versuchung, liebedienerisch, opportunistisch und lügnerisch zu werden, etwa wie ein Staatsmann, der bei guter Einsicht sich doch in der Gunst der öffentlichen Meinung behaupten will.» (Das Ich und das Es, in: Gesammelte Werke, XIII 286– 287) freud war sich selber wohl bewußt, daß er mit solchen Ansichten «in den Hafen der Philosophie schopenhauers eingelaufen» war. (Jenseits des Lustprinzips, Gesammelte Werke, XIII 53) Allerdings hatte die idealistische Unterscheidung zwischen «Wesen» und «Erscheinung», zwischen «Ding an sich» und «empirischem Objekt», mittlerweile eine sozusagen biologische Form angenommen. freud folgte der Zweiteilung von Soma (griech.: Körper) und Keimplasma, die der deutsche Zoologe august friedrich leopold weismann (1834 –1914) mit der Lehre von der Sterblichkeit der Körperzellen und der potentiellen Unsterblichkeit der Geschlechtszellen begründet hatte, indem er eine Trennung «zwischen Ichtrieben = Todestrieben und Sexualtrieben = Lebenstrieben» vornahm. (sigmund freud: Jenseits des Lustprinzips, in: Gesammelte Werke, XIII 57) In gewissem Sinne versuchen die Keimzellen durch den Drang der Sexualität, das Ich mit der Sterblichkeit zu versöhnen, die wegen der Mehrzelligkeit der Lebewesen, wegen der Trennung von Soma und Sperma (griech.: Samen), unausweichlich ist; doch dieser «Trost» der Libido ist eine

Die Wiederkehr der uralten Frage nach «Person» und «Seele»

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Täuschung; letztlich ist der individuelle Organismus und darin das sich selbst reflektierende Ich nur eine kurzzeitige Überlebensmaschinerie für die Weitergabe der Gene. Wenn das Ich also philosophisch wie biologisch sich als eine Illusion darstellt, existiert es dann wenigstens als eine psychische Realität? Der prominenteste Vertreter in der Schar derer, die diese Frage verneinen, war der französische Psychoanalytiker jacques lacan (1901–1981). Schon in den Seminarübungen von 1954–1955 versuchte er zu erläutern, daß freud in Jenseits des Lustprinzips «um jeden Preis einen Dualismus» von Ich und Es habe «retten wollen, in dem Moment, da dieser Dualismus sich unter seinen Händen auflöste und das Ich, die Libido usw., all das so etwas wie ein gewaltiges Ganzes bildete, das uns zurückführte zu einer Philosophie der Natur». (Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, 52) Tatsächlich aber, meinte lacan, ergebe sich dieser «Dualismus» aus der «Autonomie des Symbolischen»; denn es sei der Mensch, der «den Formen, die in der Natur sind, symbolischen Wert und symbolische Funktion verleiht . . . – das Ich als Funktion und als Symbol. Da spielt die Ambiguität. Das Ich als imaginäre Funktion greift in das psychische Leben nur als Symbol ein. Man bedient sich des Ich, wie der Bororo (sc. ein indianischer Eingeborener im Amazonas-Urwald, d. V.) sich des Papageis bedient. Der Bororo sagt, ich bin ein Papagei, wir sagen, ich bin Ich. All das hat keinerlei Bedeutung. Die Hauptsache ist die Funktion, die das hat.» (A. a. O., 52; 54) Das Ich ist demnach nichts anderes «als eine imaginäre Funktion», die allerdings «auf einem bestimmten Niveau die Strukturierung des Subjekts bestimmt.» (A. a. O., 70) «Von dem Moment an, da die symbolische Welt gegründet ist, kann es selbst als Symbol dienen, und das ist das, womit wir’s zu tun haben. – Da man möchte, daß das Ich das Subjekt sei, . . . haben wir uns . . . darum bemühen müssen, es seines symbolischen, faszinierenden Status zu entkleiden, das bewirkt, daß wir daran glauben.» (A. a. O., 71) Die Überlegungen lacans spielen in einem Diskussionsraum, der von descartes, vom Deutschen Idealismus, vom Existentialismus und vom Strukturalismus des Ethnologen claude gustave lévi-strauss (geb. 1908) geprägt ist und innerhalb dessen man mit Hilfe von philosophischen und sozialwissenschaftlichen Reflexionen den freudschen Ansatz weiterzuführen suchte. Entgegen der Interpretation des Existentialismus als eines atheistischen Humanismus, die jean-paul sartre (1905 –1980) in seinem berühmten Essay Ist der Existentialismus ein Humanismus? im Jahre 1946 vorgetragen hatte, erklärte lacan ausdrücklich: «Die Psychoanalyse ist kein Humanismus» (Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, 86), und er begrün-

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Einleitung

dete diese Ansicht damit, daß freud «von einer Konzeption des Nervensystems ausgegangen» sei, «derzufolge dieses immer danach strebt, zu einem Punkt des Gleichgewichts zurückzukehren . . . Freud hat versucht, auf dieser Basis eine Theorie des Funktionierens des Nervensystems aufzubauen, indem er zeigte, daß das Gehirn als Puffer-Organ zwischen dem Menschen und der Realität wirkt, als Homöostat-Organ.» (A. a. O., 101) Wenn dem so ist, wird es in der Tat hohe Zeit, die Hirnforschung, die Neurologie einzusetzen, um die Spekulationen der Psychoanalyse endlich auf ihren Realitätsgehalt hin zu überprüfen. Was dabei auf dem Spiel steht, ist freilich von höchster Bedeutung für das Selbstverständnis des Einzelnen nicht minder als für das Verständnis des menschlichen Zusammenlebens in Kultur und Gesellschaft. Es entbehrt nicht eines selbstironischen Zugs, wenn lacan gerade den naturwissenschaftlichen Symbolismus der Diktion freuds – sein Sprechen von Energie, Besetzung, Verschiebung usw., kurz: seine semantischen Anleihen bei Thermodynamik und Elektromechanik – dazu benutzte, das Ich des Menschen in der Psychoanalyse selbst als Symbol zu interpretieren und damit der Psychoanalyse den Humanismus abzusprechen; denn gerade darin darf man die eigentliche Leistung der psychoanalytischen Therapie im 20. Jh. erblicken, daß sie unter dem Druck des naturwissenschaftlichen Denkens nicht aufgehört hat, Partei zu ergreifen für «das arme Wesen Ich». Denn wohl hielt freud es für möglich, daß man eines Tages die gesamte Psychoanalyse in (Bio)Chemie werde übersetzen können; doch schreibt er in Die Widerstände gegen die Psychoanalyse bereits im Jahre 1925 davon, daß die «Mediziner . . . in der alleinigen Hochschätzung anatomischer, physikalischer und chemischer Momente erzogen worden» seien und deshalb für «die Würdigung des Psychischen (sc. in der Psychoanalyse, d. V.) . . . nicht vorbereitet» (gewesen) seien. «Offenbar bezweifelten sie, daß psychische Dinge überhaupt eine exakte wissenschaftliche Behandlung zulassen . . . Sie begnügten sich damit, die Buntheit der Krankheitserscheinungen zu klassifizieren und sie, wo immer es nur anging, auf somatische, anatomische oder chemische Störungsursachen zurückzuführen. In dieser materialistischen oder besser: mechanistischen Periode hat die Medizin großartige Fortschritte gemacht, aber auch das vornehmste und schwierigste unter den Problemen des Lebens in kurzsichtiger Weise verkannt.» (Gesammelte Werke, XIV 102–103) Nachdem die Frage nach der Seele (dem Selbst, dem Ich) von der Theologie erst an die Philosophie weitergereicht wurde, um dann an die Psychologie delegiert zu werden, scheint es nur folgerichtig, wenn das Problem heute in der Neurologie abgehandelt wird – lacans Psychoanalyse ohne Ich markiert im

Die Wiederkehr der uralten Frage nach «Person» und «Seele»

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Rückblick von rund 50 Jahren nur einen ersten Schritt auf dem Wege dahin. Doch um so dringlicher erhebt sich die Schwierigkeit, ob und wie es gelingen kann, das menschliche Subjekt in seiner Eigenständigkeit zu bewahren. Die drei Fragen, die immanuel kant als die zentralen Themen aller Philosophie betrachtet hatte: Was bin ich selbst? Was muß ich tun? Was darf ich hoffen?, hatte er selbst letztlich mit den drei Postulaten von der Unsterblichkeit der Seele, der Existenz der Freiheit und dem Dasein Gottes beantwortet. Sind diese Postulate nachweisbar leere Illusionen? Oder sind sie womöglich im Zeitalter der Neurologie einer quasi empirischen Nachprüfung zugänglich? Oder finden sie, wie mancher meint, womöglich sogar endlich ihre – auch naturwissenschaftliche – Bestätigung? Fest steht vorerst nur, daß es für die Theologie derzeit kaum etwas Wichtigeres gibt, als sich Fragen wie diesen zu stellen. In seinem Buch So Human an Animal schrieb rené dubos (1901–1982) bereits 1968 die Sätze: «Das drängendste Problem modernen Lebens ist wahrscheinlich das Gefühl des Menschen, daß das Leben seine Bedeutung verloren hat. Die althergebrachten religiösen und sozialen Glauben(sformen, d.V.) sind durch wissenschaftliche Kenntnisse und die Absurdität weltlicher Vorgänge ausgerottet worden. Als Resultat wird der Ausdruck ‹Gott ist tot› sowohl in philosophischen als auch weltlichen Kreisen gebraucht. Da das Konzept Gottes die Totalität der Schöpfung symbolisiert, ist der Mensch nun ohne Anker. Die, die den Tod Gottes bestätigen, deuten damit den Tod des traditionellen Menschen an, dessen Leben durch seine Bezeichnung (= Beziehung? d.V.) zum Rest des Kosmos Bedeutung bekam. Die Suche nach Bedeutung, die Formulierung neuer Bedeutungen für die Worte Gott und Mensch mögen die lohnendste Aufgabe in diesem Zeitalter der Angst und Entfremdung sein.» (Zit. n. john carew eccles: Gehirn und Seele, 262– 263.) Inmitten einer seelenlosen Zeit scheint keine Aufgabe vordringlicher, als auf die Suche zu gehen nach der Seele. Vielleicht gibt es sie ja doch, – nur: in welchem Sinne? Die mühevolle Arbeit, im folgenden die Gebirgszüge aufgehäuften neurologischen, psychiatrischen und psychoanalytischen Wissens zu erklimmen, sollte dabei nicht schrecken, wird sie doch durch sich selbst belohnt von dem Glück tiefer Einblicke und weiter Ausblicke.

A Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

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1. Eine kleine Übersichtskunde vom Gehirn

Nicht geringe Mühe wird es kosten, sich eine zumindest grobe Übersicht über Aufbau und Funktionsweise desjenigen Gebildes zu verschaffen, das manche für das komplexeste und komplizierteste im ganzen Weltall halten: des menschlichen Gehirns. Doch diese Mühe ist unvermeidbar, und sie ist lohnend. Denn so viel haben wir soeben schon gesehen: Es ist in unseren Tagen ein für allemal unmöglich geworden, sich ernsthaft Gedanken über Geist, Seele und Person, über Bewußtsein, Gefühl und Gedächtnis, über Trieb, Freiheit und Moral – über Mensch, Gott und Welt zu machen, ohne sich mit dem Gehirn: seiner Herkunft, seiner Organisation, seinen Verschaltungen, seinen Fähigkeiten und seinen Gefährdungen vertraut zu machen. Mag auch bei den «Inhabern» theologischer «Lehrstühle» die Neigung nach wie vor fest etabliert sein, über den Heiligen Geist – seinen innertrinitarischen Hervorgang, seine Mitwirkung bei der Inkarnation des Logos und seine Aussendung über die Menschen bei der Inspiration heiliger Texte, im Akt der Taufe sowie bei der Vergabe innerkirchlicher Amtsgnaden – zu dozieren und zu spekulieren, – schon das Wort «Geist» kann metaphysisch nur in analoger Bedeutung auf Gott bezogen werden, und es macht keinen Sinn, wenn nicht einmal klar ist, welch eine erfahrbare menschliche Wirklichkeit man unter diesem Begriff mit einer im Grunde unbegreifbaren göttlichen Wirklichkeit in Vergleich (zwischen Endlich und Unendlich!) setzen will. Mag man auch in der dogmatischen Theologie (der katholischen Kirche) nach wie vor unbeirrt und unbeeindruckt weiter jenes Konzil von Vienne aus dem Jahre 1312 mit seiner Meinung zitieren, es sei die Seele die Wesensform des Leibes, – klar ist, daß ganz sicher nicht eine individuelle Seele die Architektur des menschlichen Gehirns formt oder geformt hat; vielmehr muß man nur einen Blick in einen Anatomieatlas oder auch nur auf ein aufklappbares Hirnmodell für den biologischen Schulunterricht werfen, und es drängt sich die «Analogie» des Gehirns zu einem Tempel, einer Kathedrale auf, die im Verlaufe von Jahrhunderten in immer neuen Anläufen erweitert, überbaut und umgestaltet wurde, nur daß die Vorgehensweise der Natur bei der Entwicklung des Gehirns von vornherein einen wichtigen Unterschied zu all den Bauleistungen der Kulturgeschichte aufweist: Ein Bauwerk wie der Dom zu Paderborn

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

konnte, wenn auch am gleichen Ort, zum gleichen Zweck und nach stets ähnlichem Konzept, nach jeder größeren Feuersbrunst auf den Ruinen des Alten neu und schöner denn je noch einmal aufgeführt werden. In der Evolution des Lebens ist so etwas unmöglich. Die Natur kann nur mit dem weitermachen, was sie hervorgebracht hat, und sie erhält ihre Hervorbringungen nur so lange, wie sie mit ihnen weitermachen kann; sie hört – anscheinend ohne jedes Bedauern – sofort damit auf, wenn es nicht mehr weitergeht. Das «Weitergehen» kann bedeuten, daß über viele Jahrmillionen sich bestimmte bewährte Strukturen unverändert erhalten, sozusagen als lebende Fossilien, wie zum Beispiel der Nautilus oder der Quastenflosser (vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 60; 103–104; 510), die das Glück haben, daß sich ihre Lebensräume in den Tiefen des Meeres bis heute nicht wesentlich geändert haben; das «Weitergehen» kann aber auch ein Weiterentwickeln bedeuten, dann nämlich, wenn bestimmte Umweltveränderungen sich von Fall zu Fall, rein opportunistisch, durch Anpassungen im Verhalten und in der Morphologie einer bestimmten Lebensform beantworten lassen. Wie in alten Gemäuern ein ehemaliger Empfangsraum am Eingang sich umbauen läßt in ein Schlafgemach, so ist im menschlichen Gehirn zum Beispiel das ehemalige lichtempfindliche Parietalauge primitiver Wirbeltiere zu descartes’ Epiphyse umgestaltet worden, die heute im Zwischenhirn (im Diencephalon) liegt und eine Art innerer Uhr darstellt, abgestimmt auf das Tageslicht; zudem gibt diese innersekretorische Drüse bei Dunkelheit das Hormon Melatonin ab, das nach Ausschüttung ins Blut auf die biologische Uhr zurückwirkt; außerdem soll Melatonin den Schlaf steuern und Müdigkeit auslösen sowie die Geschlechtsorgane vor der Pubertät hemmen. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 404– 405; 549– 550.) Funktionswandel alter Organteile und deren Indienstnahme durch neuentwikkelte Strukturen, – das stellt die flexibelste und im Grunde einzig mögliche Antwort dar, wie die Evolution auf Umweltveränderungen zu reagieren vermag. Und eben: das Archiv, die Schauvitrine der Geschichte seines eigenen Werdegangs, ist das menschliche Gehirn selbst. Was der erste Blick zeigt, verrät bereits eine sehr wichtige Tatsache: Das menschliche Gehirn, der Träger des Geistes, ist gerade nicht das Resultat einer überlegenen planenden Vernunft, es ist das Ergebnis einer Serie unverhoffter Notbehelfe, deren Abfolge sich in ihm niedergeschlagen hat. Schon diese Einsicht, die bei einer bloßen Ansicht des Organs Gehirn sich gewinnen läßt, ist kostbar. In der Neurologie beschäftigt sich, wenn man so will, das menschliche Gehirn mit sich selbst, und das erste, was es dabei zu lernen gibt, ist die Relativierung der eigenen Vorstellung von «Vernunft» im Sinne einer linearen Pla-

Eine kleine Übersichtskunde vom Gehirn

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Abb. A 1: Pikaia, das erste bekannte Chordatier der Welt

nungseffizienz. Das wirkliche Leben ist anders als gedacht; wäre es nicht so, wir hätten vermutlich das Denken niemals gelernt. Die ganze Spannung der Frage nach der Wahrheitsfähigkeit unseres Erkenntnisorgans steckt verschlüsselt bereits in seiner Architektur. Von der «Paläontologie der Seele» sprach deshalb hoimar von ditfurth (Der Geist fiel nicht vom Himmel, 47), und er wies zur Rechtfertigung dieser These darauf hin, daß, ganz «wie bei . . . jener Wissenschaftsdisziplin, die sich der Auffindung und Untersuchung vorzeitlicher Lebensspuren (Fossilien) verschrieben hat (sc. der Paläontologie, d.V.), . . . auch in unserem Gehirn Schicht über Schicht, das Jüngere jeweils auf dem Alten» liegt (a. a. O., 50). Tatsächlich sind alle Gehirne der Wirbeltiere einander gleich aufgebaut, oder anders ausgedrückt: die Geschichte des menschlichen Gehirns ist identisch mit der Geschichte der Wirbeltiere; das heißt, sie ist so alt, wie der Stamm der Wirbeltiere selbst. Doch an dieser Stelle fängt die Biologie an, eine beinahe unheimliche Wissenschaft zu werden. Denn es leidet keinen Zweifel, daß es die Entwicklung der Wirbeltiere wohl niemals gegeben hätte, wenn nicht im Kambrium, vor über 500 Mio. Jahren, ein Wesen existiert hätte wie Pikaia. (Vgl. Abb. A 1.) Pikaia ist das erste uns bekannte Chordatier der Welt. Deutlich zeigt die Abbildung bereits die Merkmale des gesamten Stammes der Wirbeltiere: die Rückensaite (die Notochorda, von griech.: der nõtos – Rücken, die chórda – Darmsaite, Saite; griech./lat.: die Chorda dorsalis), den versteiften Strang am Rücken, aus dem sich die Wirbelsäule entwickelte, und die Zickzackstreifen der Anlagen der Muskelbänder (der Myotome, griech.: der mys – Muskel, die tome¯ – Schnitt).

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In gewissem Sinne ähnelt Pikaia dem noch heute lebenden Lanzettfischchen (Amphioxus). (Vgl. Abb. 41 in: e. drewermann: . . . und es geschah so, 118.) Die ersten echten Wirbeltiere waren die kieferlosen Fische (griech.: die Agnatha) im mittleren Ordovizium vor 460 Mio. Jahren, die noch keine paarigen Flossen besaßen; selbst das heute lebende Neunauge (Petromyzon) weist nur zwei Rückenflossen und zwei Schwanzflossen auf. (Zu der weiteren Entwicklung von den Kiemenatmern zu den Lungenfischen und zu den ersten Amphibien und Reptilien vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 100 – 106.) Schaut man sich einmal den typischen Aufbau des Wirbeltiergehirns zu Beginn seiner Entwicklung an, wie er in der Embryonalentwicklung jedes einzelnen Angehörigen dieses Stammes nach wie vor repetiert wird (vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 363– 368), und stellt diesen «Grundriß» der schematischen Darstellung des ausgewachsenen Gehirns eines Amphibiums (eines Salamanders) sowie eines Menschen gegenüber, so ergibt sich ein Aufriß wie in Abb. A 2. Deutlich wird, daß sich alle Wirbeltiergehirne aus dem Vorderende des sogenannten Neuralrohres entwickeln, dessen Hohlraum die vier Ventrikel bilden und aus dessen Wänden die Hirnmasse entsteht; die ursprüngliche Röhrenartigkeit der Anlage, die in der Rückensaite der Chordatiere vorgebildet ist, erscheint noch in Gestalt des Rückenmarks (lat.: der Medulla), das die Wirbelsäule durchzieht; das Gehirn bildet «eigentlich» nur den vorderen Teil dieser Röhre. Bei fortschreitender Entwicklung von der Hirnanlage über das Säugetiergehirn zum menschlichen Gehirn ergeben sich fünf Hirnteile, deren Bezeichnungen die im Griechischen und Lateinischen ungeübten Leser nicht schrecken sollten. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 37– 38.) Um die griechischen Fachausdrücke zu verstehen, genügt es erst einmal, auf immer wiederkehrende Wortbestandteile zu achten: das encéphalon zum Beispiel setzt sich zusammen aus griech.: en – innen, drin und die kephale¯ – Kopf, und bedeutet: was im Kopf ist, das Gehirn. Im Lateinischen heißt Gehirn das cerebrum, in der Verkleinerungsform das cerebellum – das Kleinhirn. – Abb. A 3 versucht, einen ersten Überblick über die Entwicklungsstufen des Gehirns zu geben. Wie zu sehen, sind die fünf Hirnteile: das Myelencephalon (griech.: der myelós – Mark; das Mark- oder Nachhirn), das Metencephalon (griech.: metá – nach; das Hinterhirn), das Mesencephalon (griech.: mésos – mittlerer; das Mittelhirn), das Diencephalon (griech.: diá – zwischen; das Zwischenhirn) und das Telencephalon (griech.: das télos – Ende; das Endhirn, Großhirn). (Vgl. bryan

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Abb. A 2: Aufbau des Wirbeltiergehirns zu Beginn der Entwicklung (oben links) und Aufriß eines Amphibium-Gehirns (oben rechts) sowie eines menschlichen Gehirns (unten)

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Abb. A 3: Entwicklungsstufen des Gehirns über Hirnanlage (oben) und Säugetiergehirn (mitte) zum menschlichen Gehirn (unten)

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kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 38– 39; john p. j. pinel: Biopsychologie, 69–70.) Dabei lohnt es sich, schon einmal in Abb. A 4 die Unterteilung des Gehirns sich anzuschauen, ergänzt durch wesentliche Strukturen des voll entwickelten menschlichen Gehirns; die lateinischen bzw. griechischen Fachausdrücke sind hier zunächst nichts weiter als reine Vokabeln, doch werden wir deren Bedeutung natürlich Stufe für Stufe kennenlernen. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 39; john p. j. pinel: Biopsychologie, 79.) Ausgehend vom Rückenmark lassen sich entsprechend den genannten fünf Hirnteilen fünf grundlegende Hirnstrukturen voneinander unterscheiden. Da ist 1) das Verlängerte Mark (lat.: die Medulla oblongata), das das Rückenmark nach vorn hin fortsetzt. 2) Das Kleinhirn (lat.: das Cerebellum, die Verkleinerungsform von Cerebrum – Gehirn), das auf der Brücke (lat.: dem Pons) aufsitzt. Die Brücke wird bei Vögeln und Säugern als eigener Hirnteil unterschieden und ist eigentlich ein besonderer Teil des Mittelhirns, genauer: des Mittelhirnbodens (lat.: des Tegmentum – der Haube); sie hat keine Entsprechung bei den anderen Wirbeltierklassen. 3) Das Mittelhirn (griech.: das Mesencephalon), das zusammen mit Brücke und Verlängertem Mark den Hirnstamm bildet. (Je nach Literatur wird zum Hirnstamm auch das Kleinhirn hinzugezählt.) Nach vorn schließen sich an 4) das Zwischenhirn (griech.: das Diencephalon) und 5) das Groß- oder Endhirn (griech.: das Telencephalon) einschließlich der Großhirnrinde (lat.: des Cortex cerebri); das Großhirn ist bei allen Wirbeltieren in seinem vorderen Teil in zwei paarigen Halbkugeln (griech.: die he¯mi-sphairai – Hemisphären) angelegt, die durch den sogenannten Balken (lat.: das Corpus callosum – den rauhen Körper) miteinander verbunden sind. (Vgl. eric r. kandel: Gehirn und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 10 –11.) Die Abb. A 2 und A 5 zeigen, wie der Aufbau des Salamander-Gehirns in der Anlage des menschlichen Gehirns wiederkehrt. Abbildung A 5 stellt detailreicher noch das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen in sieben Hauptteilen dar, indem sie neben dem Rückenmark auch die Brücke mitzählt. Natürlich haben all diese Hirnteile verschiedene Funktionen. Da ist zum einen das Rückenmark (die Medulla spinalis, von lat.: die medulla – Mark, spinalis – auf das Rückgrat bezogen), das sich aus dem hinteren Teil des Neuralrohres entwickelt; es empfängt und verarbeitet die sensorischen Informationen von der Haut sowie von den Gelenken und Muskeln des Rumpfes und der Extremitäten, deren Bewegungen es kontrolliert.

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Abb. A 4: Die Unterteilung des Gehirns

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Abb. A 5: Längsschnitt durch das Zentralnervensystem des Menschen

Direkt über dem Rückenmark liegt das Verlängerte Mark (lat.: die Medulla oblongata), das zum Beispiel verschiedene Zentren für Verdauung, Atmung und Herzschlag umfaßt; die Brücke (lat.: der Pons) übermittelt Bewegungsinformationen von der Großhirnrinde (lat.: vom Cortex cerebri) zum Kleinhirn (lat.: zum Cerebellum), das durch starke Faserstränge (lat.: die Pedunculi – Stiele) mit dem Hirnstamm verbunden ist; es kontrolliert die Stärke und das Ausmaß von Bewegungen, es plant deren zeitliche Abfolge und ist zudem für das Erlernen motorischer Abläufe von großer Bedeutung. Medulla oblongata, Cerebellum und Pons entwickeln sich aus dem Rautenhirn (dem Rhombencepha-

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lon, griech.: der rhómbos – Kreisel, Raute) und sind mit dem vierten Ventrikel verbunden. Zusammen mit dem Mittelhirn (griech.: dem Mesencephalon) bilden sie den Hirnstamm. Das Mittelhirn, das mit dem Aquaeductus cerebri (dem cerebralen Aquaedukt, lat.: der aquaeductus – Wasserleitung; genauer: Aquaeductus mesencephali cerebri) verbunden ist, steuert zahlreiche sensorische und motorische Funktionen wie die Augenbewegung, und es koordiniert visuelle und auditorische Reflexe. Grob gesagt, kommt dem Hirnstamm die Steuerung der vegetativen (dem Willen nicht unterliegenden) Funktionen zu (wie essen, frieren, schlafen, trinken), wobei bestimmte vegetative Zentren über Rückkopplungsschleifen im Thalamus (griech.: Ehebett) auf interne Bedarfssituationen des Körpers reagieren. Das Zwischenhirn (griech.: das Diencephalon), das mit dem dritten Ventrikel verbunden ist, gehört bereits zum Vorderhirn (griech.: zum Prosencephalon); es umfaßt den Thalamus, der fast alle Informationen verarbeitet, die vom Zentralnervensystem (besonders auch von den Seh- und Gehörnerven) zur Großhirnrinde gelangen; auch die Wachheit und die emotionalen Aspekte von Empfindungen werden vom Thalamus kontrolliert. Unterhalb des Thalamus liegt der Hypothalamus (griech.: unter dem Ehebett), der das autonome (griech.: nach eigenem Gesetz lebende) bzw. das vegetative Nervensystem kontrolliert, von dem wir später noch hören werden, und der über die Hypophyse auch die Abgabe bestimmter Hormone (also «endokrine Funktionen») regelt. Zum Vorderhirn gehört schließlich auch das Endhirn (griech.: das Telencephalon), das mit den Seitenventrikeln verbunden ist und die Großhirnrinde (lat.: den Cortex cerebri), die Basalganglien, den Hippocampus (griech.: das Seepferdchen), die Amygdala (griech.: den Mandelkern; genauer: das Corpus amygdaloideum – lat./griech.: den mandelkernartigen Körper) und den Bulbus olfactorius (lat.: den bulbus – Zwiebel, Knolle, anatomisch: Anschwellung; olfacere – riechen; Riechkolben) umfaßt, – Strukturen, auf die wir in aller Ausführlichkeit noch zu sprechen kommen werden; das Großhirn gilt als Zentrum aller höheren geistigen Tätigkeiten wie Lernen, Erinnern, Wahrnehmen, Erkennen und Denken. (Vgl. eric r. kandel: Gehirn und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 10 –11; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 38– 39.) An dieser Stelle scheint es sinnvoll, unsere räumliche Vorstellung vom Gehirn durch die Anordnung der vier mit Liquor cerebrospinalis (lat.: der liquor – Flüssigkeit, das cerebrum – Gehirn, spinalis – zum Rückenmark gehörend; also: Gehirnrückenmarksflüssigkeit) gefüllten Ventrikel (lat.: der ventriculus – kleiner bauchiger Raum; Hirnkammer) zu ergänzen. Die Cerebrospinalflüssigkeit schützt das Gehirn vor mechanischen Schäden. (Vgl. john p. j. pinel:

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Abb. A 6: Das Ventrikelsystem des Gehirns

Biopsychologie, 57– 58.) Abb. A 6 zeigt die Ventrikel von der Seite und von oben. Aus der anscheinend hierarchischen Organisation des Gehirns zog der schon erwähnte britische Neurologe john hughlings-jackson (1835 –1911) als erster eine psychologisch bedeutsame Konsequenz; er nahm an, daß die primitiveren Triebe durch höhere Hirnfunktionen gehemmt würden und daß im Verlauf der Evolution die letzteren speziell beim Menschen immer feiner und komplexer geworden seien. Krankheitsfälle der Psychopathologie und der Psychiatrie ließen sich von daher als Ausfall der funktionalen Kontrolle über die primitiven Antriebe deuten; und sogar in die Soziologie der Gesellschaft glaubte man dieses Schema von primitiven Neigungen (im einfachen Volke) und der Notwendigkeit einer elitären Kontrolle (durch Adel, Kirche und Militär) übertragen zu können. Auch in der «Topologie» der Psyche, die sigmund freud (1856 –1939) zwischen Es, Ich und Überich vornahm, schimmert der Gedanke der Kontrolle der primitiven, unbewußten Triebimpulse des Es durch die steuernde Funktion des Bewußtseins nach; allerdings kontrolliert bei freud das Überich, als ein Abkömmling des Es, seinerseits weitgehend unbewußt das Ich. Wir werden noch zu prüfen haben, wieweit dieses Konzept sich mit den Einsichten der modernen Neurologie verträgt oder nicht. Vorwegnehmend gesagt, liegt die Hauptschwierigkeit darin, daß es ein einzelnes Kontrolloder Exekutivzentrum, wie die Phrenologen des 19. Jhs. in der Lokalisations-

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theorie es sich vorstellten, nicht gibt; aber man muß freud zugute halten, daß sein Modell der psychischen Instanzen nicht als eine hirnanatomische Theorie über die Lokalisation bestimmter Hirnfunktionen gedacht war, sondern eine psychodynamische Beschreibung der Konflikte zu geben versuchte, die ein Wesen hat, das aus der «Natur» kommt und in der «Kultur» leben muß. Gerade im Sinne des Evolutionsgedankens deutete der Neurobiologe paul donald maclean (geb. 1913) in den 40er Jahren des 20. Jhs. die Schichtung des Gehirns. maclean betrachtete das Gehirn ebenfalls als hierarchisch aufgebaut, bestehend aus drei Schichten: dem primitiven «Reptiliengehirn», das er dem Hirnstamm zuordnete und für das Instinktverhalten zuständig machte, dem «alten Säugetiergehirn», das er in Gestalt des «limbischen Systems» im Bereich des Mittelhirns für die Kontrolle des emotionalen Verhaltens verantwortlich erklärte, insbesondere für das Sexual- und Aggressionsverhalten, sowie dem «neuen Säugergehirn», dem Neocortex (griech.: néos – jung; lat.: der cortex – Rinde), in dem die rationalen Denkprozesse ablaufen sollten. (Vgl. gerhard roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 195; susan a. greenfield: Reiseführer Gehirn, 28 –29; carl sagan: Die Drachen von Eden, 63– 92, S. 68.) Diese Theorie von dem «dreieinigen Gehirn» stellt eine geniale Vereinfachung der so schwer verständlichen Abläufe im Gehirn dar, und sie entspricht außerdem der evolutiven Sicht der biologischen Anthropologie; von daher ist es kein Wunder, daß gern und oft bis in die Gegenwart hinein auch in ernst zu nehmenden Arbeiten über das menschliche Gehirn macleans Vorstellungen zustimmend referiert oder sogar weitergehenden Folgerungen unterlegt werden. Neurologisch aber sind diese Ansichten so nicht zu halten, und zwar schon deshalb nicht, weil alle wesentlichen Teile des Wirbeltiergehirns nicht nacheinander, sondern gleichzeitig entstanden sind und weil «Hirnstamm, limbisches System und Neocortex anatomisch und funktional aufs engste miteinander verbunden sind». (gerhard roth: A. a. O., 197) Wie zum Beispiel hätten wohl die Reptilien ihr Revier verteidigen und ihre Weibchen gewinnen wollen, wenn Aggressivität und Sexualität erst nach ihnen zur Welt gekommen wären? Wohl gibt es im Gehirn eine Fülle von Kontrollfunktionen, doch wir werden sogleich sehen, wie weit verteilt sie anatomisch sind und in welch einem ständigen Wechselspiel von Rückkopplungsprozessen und vielfältig voneinander abhängigen Steuervorgängen sie zueinander stehen. Es ist daher für alles weitere sehr wichtig, sich die grundlegenden Funktionsweisen der einzelnen Hirnteile einmal der Reihe nach klarzumachen. Den Anfang bilden können dabei die hirnanatomischen Regionen für die fundamentalen Funktionen des Lebenserhalts.

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2. Der Hirnstamm nebst dem Kleinhirn, den Nuclei der wichtigsten Neurotransmitter sowie den Basalganglien

a) Der Hirnstamm als Ursprungsort der Hirnnerven Eine Hauptaufgabe des Hirnstamms wird deutlich, wenn wir uns das menschliche Gehirn einmal von der Grundfläche, von der Basis, aus betrachten, wie es Abb. A 7 wiedergibt. Deutlich wird, daß dem Hirnstamm die 12 paarigen Gehirnnerven entspringen, als da sind: I. der Riechnerv (der Nervus olfactorius), den man – seiner archaischen Bedeutung eingedenk – als Vorstülpung der Unterseite der Großhirnhemisphären ansehen kann, II. der Sehnerv (der Nervus opticus), der ebenfalls eine Vorstülpung des Gehirns bildet und im Thalamus endet, III. der Augenbewegungsnerv (der Nervus oculomotorius, lat.: der oculus – Auge, motorius – bewegend; den Augapfel bewegend) und IV. der Augenrollennerv (der Nervus trochlearis, lat.: trochleáris – zur Rolle gehörend), die beide im Mittelhirn entspringen. In Verlängerung des Rückenmarks bildet der Hirnstamm zudem im Gebiet der Medulla oblongata die Übergangsstelle für den Eintritt und Austritt des 5. bis 12. Hirnnervenpaares; das sind der Reihe nach: V. der Drillingsnerv (der Nervus trigeminus), der größte Gehirnnerv, der die Sensibilität des Gesichtes und die Motorik der Kaumuskeln ermöglicht, VI. der seitliche Abzieher des Auges (der Nervus abducens, lat.: abducens – wegführend), VII. der motorische Gesichtsnerv (der Nervus facialis, lat.: facialis – zum Gesicht gehörend), VIII. der Hör- und Gleichgewichtsnerv (der Nervus statoacusticus, griech.: statós – stehend, akustós – hörbar; auch Nervus vestibulocochlearis genannt, von lat.: das vestibulum – Vorhof, die cochlea – Schnecke; dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr angehörend), IX. der Zungen-Schlund-Nerv (der Nervus glossopharyngeus, griech.: die glõssa – Zunge, die phárynx – Schlund),

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 7: Das menschliche Gehirn von der Basis aus gesehen

X.

der umherschweifende Nerv (der Nervus vagus), der den Kehlkopf und die unteren Schlundbereiche innerviert, aber auch einen Teil des (psychosomatisch wichtigen) autonomen bzw. vegetativen Nervensystems (des Parasympathicus) bildet; zudem versorgt der Vagusnerv die meisten inneren Organe mit sensiblen, motorischen und sekretorischen Nervenfasern; der Vagusnerv reicht bis in die Mitte des Dickdarmes; er ist der Nerv, über den das Gehirn die Eingeweide beeinflußt; XI. der Beinerv (Nervus accessorius, lat.: accessorius – hinzutretend, unterstützend) und schließlich XII. der Unterzungennerv (Nervus hypoglossus, griech.: hypó – unter, die glõssa – Zunge).

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An dieser Stelle mag es zum leichteren Verständnis des Folgenden hilfreich sein, sich einige immer wiederkehrende Fachbegriffe aus der lateinischen und griechischen Sprache abzuleiten. Nebenbei gesagt, wurden das Lateinische und das Griechische zu Pflichtsprachen an den Schulen, die in der Reformationszeit von philipp melanchthon (1497–1560) gegründet wurden. Merken wir uns also jetzt schon die Lagebezeichnungen: «ventral»; das Wort kommt von lat.: der venter – Bauch; es bezeichnet demnach die Unterseite; so als wäre das Gehirn ein hockendes Tier, nennt man etwas, das sich an der Oberseite befindet, dementsprechend «dorsal», von lat.: das dorsum – Rücken; etwas, das vorn liegt, heißt «rostral», von lat.: das rostrum – Schnabel; etwas, das hinten liegt, nennt man «caudal», von lat.: die cauda – Schwanz; «rostral» ist sachlich dasselbe wie lat.: «anterior» – der vordere, «caudal» ist dasselbe wie lat.: «posterior» – der hintere; statt «dorsal» kann man auch sagen «superior» – der obere und statt «ventral» auch «inferior» – der untere; durch den aufrechten Gang ist die Position der Teile des Zentralnervensystems von Rückenmark bis Zwischenhirn beim Menschen gegenüber den übrigen Wirbeltieren um 90° nach oben gedreht; man sagt also zum Beispiel: Das Mittelhirn sitzt rostral – nicht: dorsal – auf dem Verlängerten Mark. Zu diesen lateinischen Lagebezeichnungen kommt noch «median» – genau in der Mitte liegend, «medial» – zur Mitte hin und «lateral» für seitlich sowie «sagittal» für den Querschnitt von ventral nach dorsal (von lat.: die sagitta – Pfeil) hinzu. Worte wie hypoglossus und glossopharyngeus sind griechisch-lateinisches Kauderwelsch: hypó ist griechisch «unter» und glõssa heißt «die Zunge», angefügt ist dann die Endung – us, – die im Lateinischen männliche Adjektive im Nominativ singular bezeichnet; die phárynx heißt griechisch «der Schlund», «die Speiseröhre». An das Mischmasch der Fachsprache der Mediziner kann und muß man sich gewöhnen wie an das Wort Automobil, das von griechisch autós – selbst und lateinisch mobile – das Bewegliche kommt. Kehren wir von diesem kleinen Ausflug in die Altphilologie zur Neuroanatomie zurück. Auf den archaischen Charakter des Hirnstamms weist die Tatsache hin, daß seine motorischen und sensorischen Nerven von Kerngebieten (den sogenannten Hirnnervenkernen, lat.: Nuclei, von Singular: Nucleus – Kern) aus gesteuert werden; auf dieser Stufe der Entwicklung ist der intuitiv «richtige» Gedanke einer Zentrale zur Verarbeitung zuführender (afferenter, von lat.: afferens – hinführend) Signale und zur Weiterleitung wegführender (efferenter, von lat.: efferens – herausführend) Signale tatsächlich realisiert; obwohl die Verhältnisse bereits im Hirnstamm derart kompliziert sind, daß wir vermutlich überhaupt nur erst einen Bruchteil seiner wirklichen Funktionen erfaßt haben, ist mit ei-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

nem solchen Schaltungssystem auf dieser Ebene offenbar immer noch gut auszukommen; es wird freilich versagen, sobald wir auf den Neocortex zu sprechen kommen. Die Kerngebiete der zuletzt genannten acht Hirnnervenpaare (des 5. bis 12. Hirnnervenpaares) werden von einer netzwerkartigen («retikulären», von lat.: das reticulum – kleines Netz), in lose Kerne (lat.: Nuclei) gegliederten Struktur umgeben, die den lateinischen Namen Formatio reticularis trägt; sie zieht sich von der Medulla oblongata über die Brücke bis zum vorderen Mittelhirn; zusammen mit dem Hypothalamus, der schon zum Zwischenhirn gehört, bildet diese Struktur «die Grundlage unserer biologischen Existenz». (gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 18)

b) Die anatomischen Strukturen des Hirnstamms Wie in Abb. A 5 zu sehen, geht die Medulla oblongata nach oben (oder bei vierbeinigen Tieren nach vorn) in die Brücke (lat.: den Pons) über, die, wie gesagt, eine Reihe wichtiger motorischer und sogenannter «limbischer» Kerne enthält (von lat.: der limbus – Saum); den Ausdruck erklären wir später noch ausführlich, wenn von dem für die Psychologie so wichtigen «limbischen System» die Rede ist, also von den Gehirnstrukturen, die einen starken Einfluß auf unsere Emotionen haben. Die Brücke stellt die Verbindung zwischen der Großhirnrinde (lat.: dem Cortex cerebri) und dem Kleinhirn (lat.: dem Cerebellum) dar, das vom Großhirn durch das Kleinhirnzelt (lat.: Tentorium cerebelli, kurz: Tentorium – Zelt) getrennt ist. Von seinen Funktionen und von seinem Aufbau her gliedert sich das Kleinhirn in drei Teile: 1) das sog. Vestibulo-Cerebellum (von lat.: das vestibulum – Vorhof); dieser Hirnteil ist wesentlich für die Steuerung des Gleichgewichts und der Augenfolgebewegung; 2) das sog. Spino-Cerebellum (von lat.: die spina – Dorn, Rückgrat), das über das Rückenmark Eingänge von den Muskeln erhält und an der Koordination des Bewegungsapparates beteiligt ist; und 3) das sog. Cerebro-Cerebellum (lat.: das Kleinhirn für das Großhirn), das eng mit der Großhirnrinde verbunden ist und mit der feinen Willkürmotorik zu tun hat. Es wird nach der Brücke als dem Ursprungsort seiner Afferenzen auch Ponto-Cerebellum geheißen. Vor allem das motorische Lernen wird durch diesen Teil des Kleinhirns ermöglicht; sogar an der Sprache und an kognitiven Leistungen ist das Cerebro-Cerebellum beteiligt; freilich bleibt dieser Zusammenhang uns beim Sprechen oder Lernen vollkommen unbewußt; «wahrscheinlich», meint

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Abb. A 8: Gehirne von Säugern, im gleichen Maßstab gezeichnet

gerhard roth (Aus Sicht des Gehirns, 18), «geht es immer um die Feinkoordination von zeitlichen Abläufen, seien dies Bewegungen, Sprachlaute oder Gedankenketten.» «Das Cerebellum dürfte auch teilnehmen, wenn Aufmerksamkeit beziehungsweise eine Kontrolle impulsiven Verhaltens gefragt ist, oder wenn Handlungen geplant und durchgeführt werden. Manche Forscher vermuten sogar, dass bei Phänomenen wie Schizophrenie, Autismus, Legasthenie und Hyperaktivität Störungen in diesem Hirnteil eine Rolle spielen.» (james m. bower – lawrence m. parsons: Rätsel Kleinhirn, in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier: Die Welt im Kopf, 4/2005, 30; vgl. auch jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 510 –511; 515; martin trepel: Neuroanatomie, 151; 162–164.) – Wenn wir uns in Abb. A 8 einmal sechs verschiedene Säugetiergehirne anschauen, wird nicht nur die enorme Zunahme des Großhirns und der Großhirnrinde beim Menschen deutlich, wir sehen mit Staunen auch, daß es Wesen gibt wie unsere Hauskatze, deren Gehirn zu etwa einem Viertel aus dem Kleinhirn besteht, und wir glauben auf einen Blick, ihre

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

überaus grazile Sprungtechnik und die exakte Kalkulation ihrer raschen Bewegungen bei Spiel und Beutefang zu verstehen. Zum Hirnstamm gehört auch das Mittelhirn (griech.: das Mesencephalon), das sich in zwei Teile gliedert: Den oberen Teil bezeichnet man als das (Mittelhirn)Dach (lat.: das Tectum mesencephali, kurz: Tectum) oder als die Vierhügelplatte. Diese wiederum besteht aus den (bei einer vierbeinigen Katze) vorderen bzw. (bei uns aufrecht gehenden Menschen) oberen Hügeln (lat.: Colliculi superiores) und den hinteren bzw. unteren Hügeln (lat.: Colliculi inferiores). Was hier als ein rein anatomisches Detail erscheint, kann in Wahrheit bereits als Beispiel für die gerade erwähnte funktionale Weiterentwicklung eines Organs in der Evolution verschiedener Klassen herhalten: Noch bei den Fischen, Amphibien und Reptilien stellen die Colliculi superiores das wichtigste Zentrum für die Integration von – insbesondere visuellen – Sinneseindrücken dar; bei Vögeln und Säugetieren indessen dienen die Colliculi superiores auch den Blickund Kopfbewegungen, die visuell ausgelöst werden, den gerichteten Handund Armbewegungen sowie der entsprechenden Orientierung; die Colliculi inferiores hingegen bilden ein Zentrum für die (unbewußte) Verarbeitung akustischer Informationen. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 19.) Den unteren Teil des Mittelhirns bezeichnet man als das Tegmentum mesencephali, kurz: Tegmentum (lat.: die Haube), das Anteile der Formatio reticularis enthält sowie Zentren, die für die Handlungssteuerung und Handlungsbewertung von größter Bedeutung sind. Da ist einmal der Nucleus ruber (lat.: der rote Kern), von dem aus der Tractus rubrospinalis das Rückenmark hinabsteigt; er ist die Schaltstelle für die motorischen Impulse des Kleinhirns und der Großhirnrinde; Muskeltonus, Körperhaltung und Gehbewegung werden von diesem Kern aus gesteuert. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 132–133.) Hinzu kommt der Nucleus interpeduncularis (lat.: der zwischen den Stielen liegende Kern), ein Kern des limbischen Systems, der im Tectum auf der Höhe der Colliculi inferiores an der Untergrenze zum Tegmentum gelegen ist und mit verschiedenen Kernen der Formatio reticularis in Verbindung steht. (Vgl. werner kahle: Taschenatlas der Anatomie, III 176.)

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c) Die wichtigsten neurochemischen Systeme des Hirnstamms und andere für unser Verhalten entscheidende Strukturen α) Das Dopamin-System Vom ventralen Tegmentum gehen auch zwei der drei Systeme aus, die Dopamin (DA) als ihren wesentlichen Neurotransmitter benutzen: nämlich das mesolimbische System und das nigrostriatale System (im Gegensatz dazu handelt es sich beim dritten Dopamin-System um eine lokale Verschaltung im Hypothalamus, also im Zwischenhirn). Neurotransmitter sind Botenstoffe, die von den Nervenzellen produziert werden, um, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, mit anderen Nervenzellen zu kommunizieren; ein Verbund von Nervenzellen, die den gleichen Transmitter verwenden, bildet ein Transmittersystem. Abb. A 9 sucht entsprechend das Dopamin-System schematisch darzustellen. Beginnen wir mit dem einfachsten Dopamin-System: der lokalen Verschaltung im Hypothalamus (griech.: unter dem Ehebett). Die Zellkörper der beteiligten dopaminergen (griech.: das érgon – Werk) Nervenzellen liegen im Hypothalamus selbst, entsenden aber von dort ihre Fortsätze als Nervenbahnen zur nicht weit entfernten Hirnanhangdrüse (zur Hypophyse); wie anderen Teilen des Hypothalamus-Hypophysen-Systems obliegt diesem System die Kontrolle der endokrinen Drüsen: Der Hypothalamus bildet selbst Hormone, die er in seinen Nervenendigungen in der Hypophyse bis zur Freisetzung speichert, und er löst die Ausschüttung von Hormonen in Hypophysen-Zellen aus. Das zweite, sogenannte mesolimbische System schickt Nervenbahnen von dopaminergen Zellkörpern im ventralen Tegmentum, vor allem im Ventralen Tegmentalen Areal (VTA, lat.: Area tegmentalis ventralis), zur Großhirnrinde und zu Regionen des limbischen Systems, insbesondere zum präfrontalen Cortex, zur Area septalis (lat.: die area – Feld, Region; das septum – Scheidewand, nämlich die mediale Wand der sog. Vorderhörner beider Seitenventrikel; diese Scheidewand geht in das Septumkerngebiet – die Area septalis, kurz: Septum genannt – über), zum Nucleus accumbens, der für das «Belohnungssystem» entscheidend ist und an die Septumregion grenzt (deshalb lat.: accumbens – daneben liegend), zum entorhinalen Cortex (griech.: innerhalb des Riechhirns) und zur Amygdala (griech.: Mandelkern). Vom entorhinalen Cortex führen Verbindungen zum Hippocampus (griech.: Seepferdchen). Das dritte System ist das sogenannte nigrostriatale System. Am wichtigsten

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Abb. A 9: Das Dopamin-System

in diesem Dopamin-System ist wohl die Substantia nigra (lat.: die schwarze Substanz, bestehend aus der pars compacta und der pars reticulata), die von der Brücke bis zum ventralen Tegmentum im Mittelhirn reicht und eine hohe Konzentration dopaminhaltiger Kerne aufweist; ihre DA-haltigen Nervenzellen senden ihre Fortsätze zu den Basalganglien, auf die wir sogleich zu sprechen kommen werden. Die meisten dopaminergen Neuronen des Gehirns gehören dem System zwischen Substantia nigra und Basalganglien an. – Auf die zentrale Bedeutung des Dopamin als Neurotransmitter werden wir noch im Zusammenhang mit den Problemen der Schizophrenie und der Parkinson-Erkrankung sowie der Sucht zu sprechen kommen; hier genügt es vorerst zu betonen, daß von der Substantia nigra aus Nervenbahnen zum Nucleus caudatus (lat.: dem schwanzförmigen Kern) und zum Putámen (lat.: der Schale) gehen und die sogenannte nigrostriatale Bahn bilden. (Zu dem Dopamin-System im Gehirn vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 138–140; john p. j. pinel: Biopsychologie, 384– 385; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 73 –74; nancy andreasen: Brave new Brain, 94– 96.)

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β) Die Basalganglien und ihre Bedeutung für die Steuerung der Willkürmotorik Der Name Basalganglien setzt sich zusammen aus «basal» (griech.: die básis – Grundlage), weil unterhalb der Großhirnrinde liegend, und aus «Ganglion» (griech.: Überbein, Knoten), womit ein Nervenknoten bezeichnet wird. Es sind also jene Strukturen, die am Grunde der beiden Hirnhälften die Kerne des Endhirns (griech.: des Telencephalon) bilden. Der Begriff der Basal- oder Stammganglien ist nicht ganz eindeutig definiert: Immer werden zu ihnen der Nucleus caudatus (lat.: der schwanzförmige Kern) und das Putámen (lat.: die Schale) sowie der Globus pallidus (lat.: die bleiche Kugel, kurz: das Pallidum) gezählt. Die meisten Autoren rechnen aber auch den Nucleus subthalamicus (lat.: den unter dem Thalamus liegenden Kern) und die Substantia nigra (lat.: die schwarze Substanz) mit hinzu, einige auch die Amygdala (griech.: den Mandelkern). (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 19 –20; john p. j. pinel: Biopsychologie, 78.) Abb. A 10 zeigt die Lage der Basalganglien. Wie man sieht, ist der Nucleus caudatus eine c-förmig gebogene Ansammlung von sog. grauer Substanz, deren Spitze an die seitliche Begrenzung der Vorderhörner der Ventrikel reicht; sie wölbt sich bogenförmig nach hinten, ringelt sich dann wieder nach vorn und läuft an den beiden Seiten des Mandelkerns (der Amygdala) aus. Nucleus caudatus und Putámen bilden zusammen das Corpus striatum (lat.: den Streifenkörper, kurz: Striatum), das die größte subcorticale Struktur des Großhirns darstellt («subcortical« heißt jede Region grauer Substanz unterhalb der Hirnrinde). Zum Striatum, genauer zum Striatum ventrale, gehört auch der Nucleus accumbens, der also selbst ein Teil der Basalganglien ist. (Vgl. alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 513.) Eng daneben liegt der Globus pallidus, der bereits zum Zwischenhirn gehört. «Putamen und Pallidum . . . werden zuweilen als Ncl. lentiformis (sc. lat.: der Nucleus lentiformis – linsenförmiger Kern, d.V.) zusammengefasst, was jedoch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Funktion und embryonalen Herkunft der beiden Kerne nicht sehr sinnvoll ist.» (martin trepel: Neuroanatomie, 193) An dieser Stelle wird es Zeit zu erklären, was es mit der grauen Substanz (lat.: der Substantia grisea) und im Unterschied dazu mit der weißen Substanz (lat.: der Substantia alba) auf sich hat: Die graue Substanz wird von den Gebieten gebildet, in denen die Zellkörper von Nervenzellen und Blutgefäße vorherrschen. Die weiße Substanz ist reich an Fortsätzen, die die Nervenzellen zur Kom-

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Abb. A 10: Die Lage der Basalganglien

munikation mit anderen Zellen ausbilden; sie scheint weiß, da diese Nervenfasern von einer isolierenden Hülle aus Fettsubstanzen umgeben sind – so wie die Farbe von Milch ebenfalls von ihrem Fettgehalt herrührt. Gebiete, in denen «graue» Zellkörper und «weiße» Zellfortsätze etwa gleich häufig vorkommen, bilden die retikuläre Substanz (lat.: das reticulum – kleines Netz). (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 35– 36.) Die Basalganglien stellen die wichtigste Verbindung zwischen den Assoziationsfeldern der Großhirnrinde (das heißt den Feldern, wo Sinneseindrücke und motorische Befehle verknüpft werden, wo also zum Beispiel die ursprüngliche Entscheidung fällt, eine Bewegung auszuführen) und dem motorischen Cortex (das heißt dem Bereich der Großhirnrinde, der an der Bewegungssteuerung mitwirkt) her. Sie werden von weißer Substanz umgeben, also von den Fasermassen, die zum und vom Cortex ziehen. Abb. A 11 versucht, einen Überblick zu geben.

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Abb. A 11: Verbindungen zwischen Basalganglien und Cortex

Man glaubte früher, daß die Basalganglien wesentlich die Aufgabe hätten, motorische Aktivitäten zu steuern; das trifft auch zu; doch spielen diese wichtigen Strukturen ebenfalls eine Rolle bei Kognition und Emotion. Die parkinson-Erkrankung (nach james parkinson, 1755–1824) zum Beispiel geht zurück auf den Verfall pigmentierter Nervenzellen in der Substantia nigra und damit auf den Verlust von motorischen Aktivitäten. Tremor, Ausdruckslosigkeit der Mimik und ein schlurfender Gang sind die sichtbaren Symptome dieser Erkrankung; aber auch geistige Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und des Willens sind die Folge. (Zur parkinson-Erkrankung vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 515– 518.) Einen ersten Blick auf die Bedeutung der Basalganglien bietet Abb. A 12, die die Steuerung der Willkürmotorik aus didaktischen Gründen schematisch vereinfacht darzustellen sucht.

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Abb. A 12: Der motorische Schaltkreis der Basalganglien

Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei den Prozessen, die eine Handlung auslösen. Die dafür zuständigen Teile der Großhirnrinde werden wir später noch ausführlicher besprechen; es genügt, wenn wir an dieser Stelle nur erst ihre Existenz zur Kenntnis nehmen. Die einzelnen Muskeln, die nötig sind, eine willkürliche Bewegung durchzuführen, werden vom motorischen Cortex gesteuert; für den gesamten Handlungsablauf ist der prämotorische Cortex, bestehend aus dem prämotorischen Areal (auch lateraler prämotorischer Cortex genannt) und dem supplementärmotorischen Areal (auch als medialer supplementärmotorischer Cortex bezeichnet), zuständig. Das supplementärmotorische Areal (das SMA und das prae-SMA) muß aktiviert werden, damit der sub-

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jektive Eindruck sich bilden kann, eine Handlung gewollt zu haben: das praeSMA löst Handlungen aus, die intern vorbereitet sind; SMA und lateraler prämotorischer Cortex sind zuständig für Handlungen, die von außen provoziert werden. (Vgl. john p. pinel, Biopsychologie, 239–240; claude ghez – jim gordon: Willkürmotorik, in: Neurowissenschaften, 560 –561; gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 172 –174.) Von diesen Großhirnrindengebieten aus zieht die größte und bedeutendste motorische Bahn: die Pyramidenbahn (lat.: der Tractus corticospinalis) durch den Hirnstamm zu den Abschnitten des Rückenmarks, von denen aus die jeweiligen Muskeln innerviert werden. (Zur Pyramidenbahn rechnen manche Autoren auch den Tractus corticonuclearis, der zu den motorischen Hirnnervenkernen führt.) Im Gegensatz dazu nennt man alle anderen aus dem Hirnstamm absteigenden Systeme, die die Motorik beeinflussen, extrapyramidale Bahnen. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 93– 95; 215.) Bei der gerade erwähnten parkinsonschen Krankheit wird durch Degeneration von Neuronen in der Substantia nigra des Hirnstammes entsprechend die Motorik des extrapyramidalen Nervensystems zerstört, während die Durchführung feinmotorischer und gezielter Bewegungen an sich nicht beeinträchtigt ist. (Vgl. martin trepel: A. a. O., 134.) Ob überhaupt eine Handlung bewußt geplant wird, entscheidet sich im hinteren Teil des Scheitellappens (im posterior-parietalen Cortex) und im präfrontalen Cortex; dort entstehen der Wunsch und die Festlegung einer Handlung; der Entschluß, diese auszuführen, wird dann zum prae-SMA, zum SMA und zum prämotorischen Cortex weitergeleitet, die den groben Handlungsablauf planen, sowie zum motorischen Cortex, der die Feinbewegungen abstimmt. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 172–174.) Bis dahin sieht alles so aus, als hätten wir es buchstäblich selbst «in der Hand», was wir tun oder lassen. Doch der Weg von den genannten corticalen Arealen zu den Motoneuronen (Nervenzellen zur Steuerung von Skelettmuskeln) des Rückenmarks ist weit; er führt als erstes über die corticostriären (vom Cortex zum Corpus striatum ziehenden) Fasern zum Putámen und von dort zum Globus pallidus, dann zu den Kernen des Thalamus: dem Nucleus mediodorsalis, dem Nucleus centromedianus und dem Nucleus ventralis lateralis; von dort führen Bahnen zurück zu dem präfrontalen und parietalen Cortex und ferner zu dem supplementärmotorischen, prämotorischen und motorischen Cortex; die Substantia nigra sowie der Nucleus subthalamicus sind mit dem Corpus striatum und dem Globus pallidus verbunden. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 173–174; claude ghez – jim gordon: Willkürmotorik, in: Neurowissenschaften, 560– 561.)

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Entscheidend ist nun, daß bewußte (im präfrontalen Cortex) geplante Handlungen über die Pyramidenbahn sich nur dann ausführen lassen, wenn die «dorsale Schleife» zwischen Cortex, Basalganglien und Thalamus durchlaufen wurde und wenn die Basalganglien zu der beabsichtigten Handlung gewissermaßen ihr Einverständnis geben. Der Erregungsfluß durch die Basalganglien anläßlich der Planung und Steuerung einer Handlung wird bestimmt durch ein Wechselspiel von erregenden und hemmenden chemischen Verbindungen – eine Mechanik, die wir im nächsten Abschnitt ausführlicher darstellen werden; überwiegend dabei ist sinnvollerweise die Hemmung, denn um eine bestimmte Handlung auszuführen, gilt es, eine enorme Menge möglicher Abläufe zu unterdrücken und nur einen einzigen Handlungsablauf «freizuschalten». In den Basalganglien ist die Erinnerung an alle Handlungen gespeichert, die wiederholt «erfolgreich» ausgeführt wurden. Doch was ist «erfolgreich»? Diese Frage enthält den springenden Punkt: denn um etwas als «erfolgreich» zu markieren, bedarf es eines Bewertungssystems, das nicht in den Basalganglien selbst liegt, sondern im limbischen System. Auch auf dieses überaus wichtige System kommen wir gleich noch genauer zu sprechen, wenn wir vom Hirnstamm zum Zwischenhirn übergehen; hier nehmen wir nur erst zur Kenntnis, daß das limbische System im wesentlichen aus dem Hippocampus (griech.: dem Seepferdchen), der Amygdala (griech.: dem Mandelkern) und dem mesolimbischen System besteht; vor allem in der Amygdala wird eine bestimmte Situation als beruhigend oder angstauslösend interpretiert, während der Hippocampus die Erinnerung festlegt. Erst wenn das limbische System eine geplante Handlung als unbedenklich oder als wünschenswert einstuft, wird das Dopamin, das in der Substantia nigra pars compacta produziert wird, in das Corpus striatum ausgeschüttet; über eine Reihe von Zwischenschritten bewirkt das Dopamin dort die Aufhebung der Hemmung, mit der Folge, daß die motorischen Umschaltkerne des Thalamus zusammen mit dem prämotorischen und parietalen Cortex fortan das supplementärmotorische Areal, das prämotorische Areal und den motorischen Cortex hinreichend erregen können, um die geplante Bewegung durchzuführen. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 174 –175; claude ghez – jim gordon: Willkürmotorik, in: Neurowissenschaften, 560 –561.) All das klingt überaus kompliziert und ist es auch; gleichwohl werden wir nach und nach immer wieder denselben Namen (und den entsprechenden Zentren und Hirnarealen) begegnen und uns dabei immer besser an die «Logik» der neuronalen Verschaltungen im Gehirn gewöhnen. Bereits hier aber sehen wir, wie selbst «einfach» scheinende Aktionen nur durch die Orchestrierung meh-

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rerer verschiedener Teile des Gehirns zustande kommen; und was am wichtigsten ist: wir sehen, wie tonangebend die «Mitsprache» des Hirnstammes dabei ist. Die Bedeutung dieser Feststellung erhellt sofort, wenn wir sie aus der Neurologie in die Psychoanalyse und in die Philosophie übersetzen. Zu den zentralen Lehren der Psychoanalyse gehörte von Anfang an die These, daß der Bereich des Bewußtseins nur einen kleinen Teil des psychischen Geschehens ausmache – etwa nur 1/7 schätzte man summarisch. Diese Theorie mochte aus mancherlei Gründen – etwa der Beobachtungen der Verhaltensforschung oder der Traumpsychologie wegen – plausibel scheinen, sie mußte in dieser Form gleichwohl hochgradig spekulativ bleiben. Wenn wir jetzt aber hören, daß wir willentlich nicht einmal den kleinen Finger bewegen können ohne die Beteiligung und die Zustimmung der Basalganglien, so scheint die psychoanalytische Sicht auf den Menschen geradewegs dramatisch bestätigt zu werden. Aber nicht nur die funktionalen Abläufe im Hirnstamm entziehen sich gänzlich dem Bewußtsein, sondern mehr noch: wenn die gespeicherte Erinnerung an Handlungen, die nach dem Urteil des limbischen Systems als «gelungen» zu betrachten sind, darüber entscheidet, welche Aktivitäten zugelassen werden, dann dürfte auch einer zweiten These der Psychoanalyse schwer zu widersprechen sein, die seit eh und je ihre Zweifel an der freien Selbstbestimmung unserer Handlungsweisen anmeldete und eher einem psychischen Determinismus das Wort redete. Natürlich werden wir noch zu prüfen haben, was es mit Begriffen wie «Bewußtsein» und «Willensfreiheit» auf sich hat und wie sich die Forschungslage heutiger Neurologie mit den Ansichten der Psychoanalyse verträgt. Für die philosophische Anthropologie aber ergibt sich an dieser Stelle bereits so etwas wie ein Präjudiz der Nachdenklichkeit. Es war nicolai hartmann (1882 –1950), der in einem seiner Hauptwerke (in: Der Aufbau der realen Welt, 1940) eine «Seinswissenschaft» entwickelte, in der er eine Schichtung der Wirklichkeit annahm; und zwar sollte jede Schicht ihren je eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen, die Bestimmungen der jeweils unteren Schicht aber sollten sich als «stärker» darstellen denn die Bestimmungen der nächst höheren Schicht, indem sie die Voraussetzungen für deren Existenz enthielten. Physik und Chemie zum Beispiel beschreiben das Verhalten der anorganischen Materie; das Leben folgt zwar durchaus eigenen, nicht mehr nur physikalischen oder chemischen Gesetzen, es bleibt aber unentrinnbar an diese gebunden; und genau so verhält es sich zwischen der Ebene des Lebendigen und des Geistigen: Leben ist nicht gebunden an Bewußtsein, wohl aber das Bewußtsein an die Prozesse des Lebens. Stets hält das Untere das Höhere in Abhängigkeit und legt den Spielraum seiner

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

möglichen Realisierung fest. Und jetzt sehen wir: Bei Betrachtung auch nur der Wirkungsweise des Hirnstamms scheint diese rein philosophisch formulierte Weltsicht der Wirklichkeit, wie wir sie neurologisch soeben kennenlernen, recht gut zu entsprechen. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn wir uns nicht speziell auf die Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin durch die Substantia nigra pars compacta beschränken, sondern uns bewußtmachen, daß alle zentralen Nervenzellen, die «Dopamin, Noradrenalin . . oder Serotonin als Transmitter verwenden, . . . ihre Zellkörper mit wenigen Ausnahmen im Tegmentum des Hirnstamms» haben. (alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 348)

γ) Das Noradrenalin-System Wenden wir uns also dem Neurotransmitter Noradrenalin (NA) zu, der eine der Antworten auf Streß darstellt und psychologisch wie psychosomatisch von großer Bedeutung ist. Ein paar kleine Ansammlungen im Hirnstamm enthalten Noradrenalin-Neuronen (also Noradrenalin-Nervenzellen), die ihre Fasern zu fast allen Strukturen und Regionen im Gehirn entsenden, obwohl Noradrenalin nur etwa 1 % des Gesamtgehalts an Neurotransmittern im Gehirn ausmacht. Daran zeigt sich, daß das Noradrenalin-System unspezifisch wirkt; es reguliert vielleicht Erregbarkeit und Wachsamkeit (vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 145), und so wird vermutet, daß es an der emotionalen Bewertung beteiligt sein könnte: ein Zuwenig an NA ginge dann möglicherweise mit einer Depression einher, ein Zuviel mit der Ausprägung einer Manie (vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 74). Viele Zellkörper von Noradrenalin-Neuronen liegen im Locus coeruleus (lat.: im himmelblauen Ort), einem Kerngebiet mit nur etwa 3000 Neuronen, das aber vermutlich mit einem Drittel oder gar der Hälfte aller Hirnnervenzellen in Verbindung steht (vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 147). Der Locus coeruleus bildet einen Teil der lateralen Formatio reticularis im Tegmentum, von dort geht das sog. dorsale noradrenerge Bündel (kurz: Dorsalbündel) aus, das zu den meisten höheren Hirnregionen zieht; die übrigen Noradrenalin-Nervenzellen im Hirnstamm liegen in der Nähe des Locus coeruleus; ihre Fortsätze bilden das ventrale noradrenerge Bündel (kurz: Ventralbündel), das zur Formatio reticularis und zum Hypothalamus führt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 145–146.) Auch den chemischen Einfluß von Noradrenalin, das zusammen mit Dopamin und Adrenalin zu den sogenannten Ca-

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Abb. A 13: Noradrenalin-System

techolaminen gehört (vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 351), werden wir später noch besprechen, wenn es um die Modulation neuronaler Aktivitäten gehen wird; hier brauchen wir nur erst darauf hinzuweisen, daß Noradrenalin eine wichtige Rolle bei der Regulation von Herzschlag und Blutdruck spielt; natürlich ist auch diese Aufgabe nur zu erfüllen mit einem entsprechend komplexen Fasersystem von Nervenbahnen, die diffus in das gesamte Gehirn ausstrahlen, wie es Abb. A 13 in einer sehr vereinfachten schematischen Darstellung wiederzugeben versucht.

δ) Das Serotonin-System Ein weiteres wichtiges System zum besseren Verstehen der menschlichen Seele ist das Serotonin-System, dessen Kerngebiet über den ganzen Hirnstamm ausgedehnt ist und das die mediane Zone der Formatio reticularis bildet; man spricht deshalb von den Raphe-Kernen (lat.: Nuclei raphes; griech.: die raphe¯ – Naht, an welcher die linke und rechte Hirnhälfte aneinander grenzen). Näherhin unterscheidet man zwischen dem Nucleus raphes dorsalis (lat.: dem oberen Raphe-Kern), dem Nucleus raphes pontis (lat.: dem Raphe-Kern der Brücke),

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 14: Das Serotonin-System

dem Nucleus raphes magnus (lat.: dem großen Raphe-Kern) und dem Nucleus raphes obscurus (lat.: dem verborgenen Raphe-Kern). (Vgl. unten Abb. A 16; vgl. auch jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 520; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 351.) Dieses schmale Band von Kernen, das im Hirnstamm von der Medulla oblongata zum Mittelhirn verläuft, sondert das so wichtige Serotonin (5-HT) ab, das man infolge seiner Fähigkeit, Blutgefäße zu verengen, entdeckte. Obwohl auch sie in nahezu alle Regionen des Gehirns ziehen, sind die Endigungen der Fortsätze der serotonergen Nervenzellen jedoch nicht ganz so weit verbreitet wie die der noradrenergen Nervenzellen. Die Serotoninfasern, die zum Hypothalamus ziehen, laufen zum Beispiel allein zu dem Nucleus suprachiasmaticus, einem Kern, der, wie der Name sagt, «oberhalb des Chiasma» opticum (griech.: Kreuzung, lat.: zum Auge gehörend; der Sehnervenkreuzung) liegt und die Rhythmen von Schlafen und Wachen kontrolliert. Andere Serotoninfasern ziehen zum Septum, zur Großhirnrinde, zu den Basalganglien, zur Amygdala und zum Hippocampus. Die Gehirnstruktur mit der höchsten Serotoninkonzentration ist die Zirbeldrüse (die Epiphyse, auch Corpus pineale oder Glandula pinealis, von lat.: das corpus – Körper, die glandula – kleine Eichel, pinealis – pinienzap-

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fenähnlich, genannt), die eigentlich gar nicht zum Gehirn gehört, da sie durch die Blut-Hirn-Schranke von ihm getrennt ist und nur aus dem peripheren autonomen (vegetativen) Nervensystem (nicht aus dem Gehirn) innerviert wird, wobei diese innervierenden Fasern übrigens NA als Transmitter verwenden. In der Epiphyse wird Serotonin in das Hormon Melatonin (griech.: mélas – schwarz, der tónos – Spannung, Ton) umgewandelt, das neben der Hautpigmentierung auch die weiblichen Keimdrüsen, d. h. den weiblichen Fortpflanzungszyklus, beeinflußt. Melatonin wie Serotonin unterliegen in der Epiphyse dem Tag-Nacht-Rhythmus über die sympathischen Nervenfasern. Eine Zerstörung der Raphe-Kerne führt zu Schlaflosigkeit, ebenso wie Medikamente, die die Serotoninspeicher entleeren. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 148 –151.) Abb. A 14 zeigt, wie die Raphe-Kerne Verbindungen zu einem ähnlich weiten Gebiet von Hirnregionen aussenden wie der Locus coeruleus. Man sieht auf dieser Darstellung, daß das gesamte Großhirn vom SerotoninSystem durchzogen wird – und so können wir hier die Bezeichnungen der vier Großhirnlappen wiederholen, die wir aus Abb. A5 bereits kennen: den Lobus frontalis (lat.: den Stirn- oder Frontallappen), den Lobus parietalis (lat.: den Scheitellappen), den Lobus occipitalis (lat.: den Hinterhauptslappen) und den Lobus temporalis (lat.: den Schläfenlappen); doch auch die Basalganglien, der Hypothalamus (griech.: das unter dem Ehebett Liegende), das Kleinhirn und der Hirnstamm sind betroffen. Dabei brauchen wir vorgreifend nur zu erwähnen, daß Serotoninmangel genau wie Noradrenalinmangel mit depressiven Gemütszuständen in Verbindung gebracht wird (so wie ein Überschuß an Dopamin mit schizophrenen Zuständen), und wir ahnen, jetzt fast schon erschrekkend, erneut die Abhängigkeit der menschlichen Psyche von den Funktionen des Hirnstamms. Ob wir depressiv sind (vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 148) oder ob wir an Ängsten verzweifeln, ob wir Zwangsstörungen entwickeln oder Süchten – wie Spiel- oder Arbeitssucht – erliegen (vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 74) oder ob wir uns zu heftigen Aggressionen hinreißen lassen und gar kriminell werden (niels birbaumer – robert f. schmidt: Biologische Psychologie, 676), könnte stärker mit der Serotoninkonzentration in unserem Zentralnervensystem zu tun haben, als wir es uns im Alltag mit unserem nahezu grenzenlosen Vertrauen in die Freiheit unseres Willens eingestehen mögen: zu groß scheint unsere schier unerschütterliche Überzeugung von der Selbstbestimmung unserer Person und von der Überlegenheit unserer selbstverantworteten Moral und Justiz.

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ε) Das Acetylcholin-System Doch auch das ist bei weitem noch nicht alles. Beachten müssen wir auch das cholinerge System, das den Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) verwendet. Ausgeschüttet wird Acetylcholin von den cholinergen Nervenzellen im sogenannten Nucleus basalis meynert (nach dem Anatomen theodor meynert, 1833 –1892), der im basalen Vorderhirn liegt und gleicherweise Verbindungen zur gesamten Großhirnrinde unterhält; eine zweite Gruppe cholinerger Nervenzellen fungiert als lokale Neuronen innerhalb der Basalganglien; eine dritte Gruppe geht von dem sogenannten Nucleus septi medialis (lat.: dem zur Mitte hin gelegenen Kern des Septums) und dem Kernkomplex im sogenannten Diagonalband (lat.: Stria diagonalis; auch diagonales Band von broca oder Bandeletta diagonalis – lat.: das diagonale Bändchen – genannt) aus und sendet Verbindungen zum Hippocampus und zum Gyrus cinguli (lat.: der Windung des «Gürtels»), der sich oberhalb des Corpus callosum (lat.: des rauhen Körpers; er verbindet die beiden Hirnhälften miteinander) erstreckt. Im Unterschied zu dieser (in der Literatur verbreiteten) Dreiteilung des ACh-Systems gehen manche Autoren von einem einzigen ausgedehnten Acetylcholin-Kernbereich im Vorderhirn aus, nämlich allein dem Nucleus basalis meynert. Ein weiterer Ursprungsort cholinerger Nervenzellen liegt im ponto-mesencephalen-tegmentalen Komplex des Hirnstammes. Acetylcholin, so viel sei hier bereits vorweg bemerkt, ist zentral bei der Speicherung von Gedächtnisinhalten, und so ist es bezeichnend, daß speziell bei alzheimer-Patienten sich ein Verlust von Acetylcholin-Nervenbahnen zur Großhirnrinde wie zum Hippocampus feststellen läßt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 126 –128; nancy andreasen: Brave new Brain, 98 –99; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 73; zur alzheimer-Erkrankung vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 518 –524.) Abb. A 15 versucht, das cholinerge System wiederzugeben. Aus all dem folgt etwas sehr Wichtiges: Wir können «die Großhirnrinde (sc. also den «Sitz» von Bewußtsein und Geist in Psychoanalyse und Philosophie, d.V.) nicht vom Rest des Gehirns absondern, und zwar vor allem deshalb nicht, weil vergleichsweise kleine Kerngebiete des Gehirns (sc. der Locus coeruleus, die Raphe-Kerne, die Substantia nigra pars compacta und der Nucleus basalis meynert, d.V.), in denen die . . . genannten Neuromodulatoren Noradrenalin, Serotonin, Dopamin und Acetylcholin produziert werden, diese äußerst wirksamen Stoffe über lange Fasern in den gesamten Cortex schicken und ihn so massiv beeinflussen. Die Produktionsstätten von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin sitzen in dem häufig gering eingeschätzten Hirnstamm, sie haben

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Abb. A 15: Das Acetylcholin-System

aber den Cortex ‹im Griff›. Die spannende Frage wird sein, wer oder was wiederum diese Neuromodulator-produzierenden Zentren kontrolliert – und damit indirekt den Cortex.» (gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 25)

ζ ) GABA und Glutamat Als «Neuromodulator« bezeichnet man die vier genannten Substanzen deshalb, weil sie langsamer – in Sekunden oder sogar Minuten – wirken als die schnellen Neurotransmitter GABA und Glutamat, deren Wirkung sie beeinflussen. Auf diese beiden Transmitter müssen wir noch zu sprechen kommen, um die Betrachtungen über die Bedeutung des Hirnstamms abschließen zu können. GABA ist die Abkürzung für Gamma-Amino-Butter-Säure (= engl.: acid) und stellt mit ihrer hemmenden (inhibitorischen) Funktion – zusammen mit dem Neurotransmitter Glycin – das Bremssystem des Gehirns dar. Die Chorea huntington (griech.: die choreı˜a – Tanz, nach george huntington, 1850 – 1904, der «Veitstanz», vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 325; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 511–512) zum Beispiel scheint mit einem erniedrigten GABA-Spiegel einherzugehen; auch an Angstneurosen könnte das GABAerge System beteiligt sein.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Die Zellkörper GABAerger Neuronen liegen in den Basalganglien, näherhin im Nucleus caudatus und im Putámen, von wo sie ihre relativ langstreckigen Nervenfasern zum Globus pallidus und zur Substantia nigra aussenden; solche langstreckigen GABAergen Neuronen finden sich zudem auch im Kleinhirn, von dem sie zum Hirnstamm hinüberreichen. Auch innerhalb der Großhirnrinde und des limbischen Systems existieren GABAerge Neuronen, dort allerdings zumeist in lokaler Verschaltung. GABA kommt also in nahezu allen Bereichen des Gehirns vor. (Vgl. nancy andreasen: Brave new Brain, 99 –100; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 75.) Das Gegenstück bildet der Neurotransmitter Glutamat, der erregend (exzitatorisch) wirkt und gleichfalls in nahezu allen Bereichen des Gehirns vorkommt; vor allem wird er in der gesamten Großhirnrinde und im Hippocampus produziert; Glutamat ist der entscheidende Neurotransmitter, der bei allen Lernprozessen eine Rolle spielt; freilich, liegt Glutamat im Übermaß vor, so wirkt es als ein Neurotoxin und kann zur Zerstörung von Zellen (zum Beispiel im Hippocampus) beitragen. Es wird mit dem Ausbruch von Psychosen und der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen in Zusammenhang gebracht. (Vgl. nancy andreasen: Brave new Brain, 100–101; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 75.) Wir werden auf die genannten Transmitter noch ausführlich zurückkommen.

d) Der Hirnstamm und die Praxis der Folter Alles in allem aber enthüllt bereits dieser erste Blick auf die Anatomie und Funktionsweise einer einzelnen Hirnregion, des Hirnstammes, daß es gar nicht möglich ist, irgendeine Struktur oder Aktivität im Gehirn zu erörtern, ohne die gesamte Landkarte des Gehirns vor sich auszubreiten. Wir werden im folgenden uns natürlich auch den Aufbau des Zwischenhirns und des Endhirns noch näher anschauen, doch war es hier bereits unvermeidlich, immer wieder von Nervenbahnen zu sprechen, die insbesondere von den Kernen der Formatio reticularis in alle Hirnteile hineinreichen. In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff der Projektionsbahnen gebräuchlich. Immer wenn Nervenzellen (Neuronen) mit ihren Zellfortsätzen Informationen auf weiter entfernte Regionen übertragen, heißen sie Projektionsneuronen. In Kurzform sagt man zum Beispiel, das Neuron projiziere ins Zwischen- oder Endhirn. Dabei ist deutlich geworden, wie fundamental für alle Lebensvorgänge die Funktionen des Hirnstammes sind, und auch die Folgerungen, die sich psychologisch daraus

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Abb. A 16: Formatio reticularis mit den wichtigsten Regulationszentren von Medulla oblongata, Pons und Mesencephalon (Ansicht von dorsal und lateral. Die römischen Zahlen bezeichnen die motorischen Kerngebiete der Hirnnerven, die mit der Formatio reticularis verschaltet sind.)

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ergeben, sind elementar. Abb. A 16 bietet eine ebenso eindrucksvolle wie übersichtliche Darstellung der Formatio reticularis mit den wichtigsten Regulationszentren von Medulla oblongata, Pons und Mesencephalon. In gewissem Sinne umspannt der Hirnstamm, wie man sieht, unser Gehirn mit einem funktionalen Netz, dem nicht zu entkommen ist; denn es sind die basalen Bedürfnisse der biologischen Existenz, die auf dieser Ebene reguliert werden. Man kann nicht sagen: dies ist das Leben, und: das ist der Hirnstamm; man kann nur sagen: die Funktionskreisläufe, die vom Hirnstamm ausgehen, sind das Leben! Daran liegt es, daß selbst eine Eisenstange im Großhirn, wie im Fall von Phineas P. Gage, nicht tödlich sein mußte, während eine Stecknadel im Hirnstamm durchaus tödlich sein kann. Einen geradewegs brutalen Beweis dieser Tatsache liefert die Praxis der Folter, die keineswegs nur in «unzivilisierten» Ländern geübt, sondern in der School of the Americas von US-Spezialisten systematisch ihren Günstlingen in der Dritten Welt beigebracht wurde und wird (heute benannt als Western Hemisphere Institute for Security Cooperation; vgl. howard zinn: Amerika, der Terror und der Krieg, 65– 66; richard herzinger: Aus der Unschuld aufgeschreckt, in: Welt am Sonntag, 11. 12. 05, S. 4; erich follath u. a.: Der Krieg der Bilder, in: Der Spiegel, 8/20. 2. 06, 92 –109). All diese Praktiken laufen in ihrer abscheulichen Grausamkeit, neurologisch betrachtet, darauf hinaus, die Ohnmacht der bewußten Steuerung des Verhaltens gegenüber den so «einfachen» Bedürfnissen des Hirnstamms zu demonstrieren. Ein Mensch zum Beispiel muß atmen. Also genügt die Technik des Waterboarding, um ein Folteropfer gefügig zu machen: man braucht den Kopf eines Häftlings nur oft genug und lange genug unter Wasser zu halten, und die bloße Angst, zu ertrinken oder zu ersticken, wird vom limbischen System her über die Basalganglien jeden Befehl, der vom präfrontalen Cortex ausgeht und der als «lebensgefährlich» interpretiert werden soll und muß, blockieren. Die Methode des Untertauchens ist für Geheimdienstler und Militärs nicht nur «effizient», sie bietet zudem den Vorteil, daß sie keine äußerlich sichtbaren Spuren hinterläßt. Oder: Hunger und Durst. Oder: Schlafentzug, – wie Übermüdung wirkt, weiß ansatzweise wohl ein jeder auf Grund eigener Erfahrung. (Vgl. auch die bereits erwähnten Schlafentzugsexperimente an Ratten bei john p. j. pinel: Biopsychologie, 340– 341.) Oder: die Folter durch Hitze und Kälte! Dem Hirnstamm eignet nicht nur die Aufgabe, das Freß- und Trinkverhalten sowie den Schlaf- und Wachrhythmus zu kontrollieren, sondern auch die Körpertemperatur. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 41.)

Der Hirnstamm

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Temperatursignale werden «vor allem in die Formatio reticularis des Hirnstamms und in den Thalamus (sc. auf den wir in Kürze zu sprechen kommen, d.V.) . . . geleitet». (alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 537) Dort gibt es thermosensitive (griech./lat.: wärmeempfindliche) Nervenzellen, die als zentrale Temperaturfühler wirken (a. a. O., II 443); sie liegen vor allem im vorderen Hypothalamus, im Mittelhirn und in der Medulla oblongata sowie im Rückenmark. (Vgl. niels birbaumer – robert f. schmidt: Biologische Psychologie, 212.) Eine lokale Abkühlung oder Erwärmung dieser Gehirnregion (die normalerweise die Temperatur des zugeführten Blutes aufweist) zum Beispiel über eine erwärmbare Sonde, die in das temperaturempfindliche Areal des Hypothalamus von Affen implantiert wurde, ruft reflektorische Reaktionen zur Temperaturkontrolle hervor: bei Abkühlung dieses Steuerzentrums beginnen die Versuchstiere zu frieren – ganz unabhängig von der wirklichen Raumtemperatur, wobei neurologisch erneut eine Vielzahl von Mechanismen zusammengeschaltet werden müssen. Zu der Empfindung, die das Frieren auslöst, gehört die Kontraktion der Hautkapillaren, damit der Wärmetransport an die Körperoberfläche vermindert wird, gehört das unwillkürliche Zittern – eine ungerichtete Muskelarbeit, die allein der Wärmeproduktion dient –, es gehören dazu besonders die Reaktionen der Schilddrüse, deren Hormone das Tempo der Stoffwechselvorgänge (der «Verbrennung») steigern, es gehört dazu auch die «Gänsehaut», die eigentlich den Zweck hat, die Haare des Fellbesatzes aufzurichten, der einmal unseren Körper umgab. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 226 –228; hoimar von ditfurth: Der Geist fiel nicht vom Himmel, 70–73.) All das bildet für das Überleben einen wichtigen Reaktionsmechanismus auf Kälte, und ganz entsprechend bilden die Erweiterung der Blutgefäße in der Haut, das Hecheln und das Schwitzen Reflexe auf Hitze, um den Körper abzukühlen. Wie aber, man konstruiert in Militärgefängnissen wie in Guantanamo-Bay auf Kuba sog. Temperatur-KontrollRäume, in denen man die Temperatur innerhalb kurzer Zeit von, sagen wir, plus 50 °C auf minus 10 °C herunter- und wieder herauffahren kann? Dann wird ein ständiger Alarm den Körper des Folteropfers durchlaufen: von Voralarm zu Vollalarm bis zu Entwarnung und wieder umgekehrt in die Gegenrichtung, bis nur noch Angst und physische Erschöpfung das Gesetz des Denkens und Handelns bestimmen. Auch so kann man Menschen, wie denn auch der Ausdruck lautet, «weichkochen», ohne daß später Beobachter des Internationalen Roten Kreuzes oder von Human Right Watch oder von Amnesty International irgendwelche körperlichen Folterspuren an den solcherart Gequälten nachweisen könnten.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 17: Der Aquaeductus cerebri und die Lage des Hirnstamms sowie einiger anderer wichtiger Hirnstrukturen

Oder: die Folter durch Schmerz; denn natürlich kann man auch auf direktem Wege physische Qual zufügen – und auch dabei sind bestimmte Strukturen im Hirnstamm beteiligt. Wir sahen schon in Abb. A 6, daß sich zwischen dem dritten Ventrikel etwa in der Mitte des Gehirns und dem vierten Ventrikel im Hirnstamm der sogenannte Aquaeductus cerebri (lat.: aquaeductus – Wasserleitung) erstreckt. Abb. A 17 stellt noch einmal die Lage des Aquaeductus cerebri und anderer wichtiger Hirnstrukturen dar. Um dieses Aquädukt, das, wie wir hörten, mit Cerebrospinalflüssigkeit (lat.: Liquor cerebrospinalis) gefüllt ist, liegt das Zentrale Höhlengrau (lat.: das Griseum centrale, auch periaquaeductales Grau – PAG – genannt). «Dieser Name rührt daher, dass hier zahlreiche Zellkörper (also graue Substanz) den zentral gelegenen Aquädukt – die Fortsetzung des Rückenmarkskanals im Hirnstamm – umhüllen. Das zentrale Höhlengrau ist für Schmerzempfindung und -kontrolle äußerst wichtig und mag auch an erlernter Furcht und Angst entscheidend beteiligt sein. Die . . . Schmerzbahn zieht von dort zum Hypothalamus, (zum) . . . Thalamus und zu Teilen des limbischen Systems, etwa der Amygdala.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 166) Diese übergeordneten Gehirnstrukturen sind wohl an den emotions- und motivationsgebundenen Aspekten des Schmerzes beteiligt und prägen somit die subjektive Schmerzerfahrung, –

Der Hirnstamm

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und genau an dieser Stelle greift die Folter: Gefühle von Streß, Wut, Ohnmacht, Verzweiflung lassen sich deshalb allein über die Zufügung von Schmerz auslösen, und zwar mit eben der Macht, die allen elementaren Regungen und Regelungen des Lebens zukommt. Abschließend können wir festhalten, daß in «der Formatio reticularis und dem zentralen Grau . . . wesentliche Anteile jener neuronalen Netzwerke lokalisiert (sind), welche lebenswichtige Funktionen regulieren: Atmung, Kreislauf, Schlaf-Wach-Zyklus und Bewusstseinslage sowie Grundmotorik . . . Auch spezialisiertere, jedoch nicht minder wichtige Funktionen werden dort integriert, wie Schlucken und Erbrechen, Miktion (sc. lat.: die mictio – Harnlassen, d.V.), Schutzreflexe, bei denen Hirnnerven involviert sind . . ., und Abwehrverhalten . . . Bei all diesen Vorgängen spielen die monoaminergen (sc. die mit den Monoaminen Dopamin, Noradrenalin sowie Serotonin arbeitenden, d.V.) und cholinergen Systeme, welche ja als ‹chemisch definierte› Komponente der Formatio reticularis angesehen werden können, eine entscheidende Rolle.» (alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 359) Was aber ist es dann mit der Seele des Menschen? Diese Frage stellt sich schon hier um so dringlicher, als es offenbar möglich ist, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns mit einfachsten Mitteln dahin zu verkehren, daß die «Entseelung» des Menschen, seine Auslieferung an die verobjektivierende Zwecksetzung seiner Peiniger, zu einem rasch erreichbaren Ziel wird. Dabei reden wir noch gar nicht von all den Möglichkeiten, welche die heutigen Psychopharmaka etwaigen Folterern an die Hand geben, indem sie die Wirkungsweise der erwähnten Neurotransmitter nach Belieben zu verändern erlauben . . . Alles Wissen bleibt gefährlich, solange es nicht von Weisheit begleitet und getragen wird, und es wird sehr die Frage sein, wie die erweiterten Kenntnisse der Neurologie vor ihrer mißbräuchlichen Verwendung geschützt werden können; diese Problemstellung richtet jedenfalls eine schwere Hürde für das Projekt mancher Neurologen auf, die aus ihrem Wissenschaftsgebiet eine Art Totalanschauung machen möchten, innerhalb derer der Unterschied von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften sich prinzipiell aufheben lasse. Doch auch davon später. Einstweilen scheint es nützlich, wenn wir uns eine Art dreispaltiges «Vokabelheft» anlegen, indem wir die bisher benutzten neuroanatomischen Termini zum Hirnstamm nach philologischer Herkunft und funktionaler Bedeutung beziehungsweise nach ihrer Lage übersichtlich zusammenfassen und uns entsprechend einprägen.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

e) Vokabeln zum Hirnstamm Lagebezeichnungen rostral = anterior

lat.: das rostrum – Schnabel

vorne, vorderer

caudal = posterior

lat.: die cauda – Schwanz

hinten, hinterer

dorsal = superior

lat.: das dorsum – Rücken

oben, oberer

ventral = inferior

lat.: der venter – Bauch

unten, unterer

lateral

lat.: das latus – Seite

seitlich

medial

lat.: das medium – Mitte

zur Mitte hin, nach der Mittelebene des Gehirns zu gelegen, im Längsschnitt

median

lat.: das medium – Mitte

genau in der Mitte gelegen

sagittal

lat.: die sagitta – Pfeil

in Pfeilrichtung von ventral nach dorsal, im Querschnitt

Der Hirnstamm

Steuerung der vegetativen Funktionen; Ursprungsort der 12 paarigen Hirnnerven in den Hirnnervenkernen

das Rhombencephalon

griech.: der rhómbos – Kreisel, Raute; der enképhalos – Gehirn

Rautenhirn, aus Mark- oder Nachhirn (Myelencephalon) und Hinterhirn (Metencephalon) bestehend

das Myelencephalon

griech.: der myelós – Mark; der enképhalos – Gehirn

Mark- oder Nachhirn

das Metencephalon

griech.: metá – nach; der enképhalos – Gehirn

Hinterhirn

die Medulla oblongata

lat.: das Verlängerte Mark

Teil des Hirnstamms; Sitz wichtiger Kerne; Zentren für Verdauung, Atmung und Herzschlag

der Pons

lat.: die Brücke

Teil des Hirnstamms; dorsal vom Kleinhirn überdeckt; leitet zur Medulla oblongata über; Sitz wichtiger motorischer und limbischer Kerne; übermittelt Bewegungsinformationen von der Großhirnrinde zum Kleinhirn (Cerebellum)

das Cerebellum

lat.: das Kleinhirn

durch starke Faserstränge (Pedunculi) mit dem Hirnstamm verbunden; motorische Steuerung; kontrolliert Stärke und Ausmaß von Bewegungen; plant deren zeitliche Abfolge; Erlernen motorischer Abläufe; Koordination von Bewegung, Denken und Fühlen; erhält alle möglichen sensorischen Informationen

das VestibuloCerebellum

lat.: das vestibulum – «Vorhof»-Kleinhirn

Steuerung des Gleichgewichts und der Augenfolgebewegung

das SpinoCerebellum

lat.: die spina – Dorn, Rückgrat; das «Rückgrat»Kleinhirn

Koordination des Bewegungsapparates; erhält über das Rückenmark Eingänge von den Muskeln

Der Hirnstamm

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das CerebroCerebellum, auch Ponto-Cerebellum genannt

lat.: das cerebrum – Gehirn; das cerebellum – Kleinhirn; das «Großhirn»-Kleinhirn, auch Brücken-Kleinhirn genannt

feine Willkürmotorik; ermöglicht das motorische Lernen; beteiligt an Sprache und an kognitiven Leistungen; wahrscheinlich Feinkoordination von zeitlichen Abläufen wie Bewegungen, Sprachlauten, Gedankenketten

die Ventrikel

lat.: der ventriculus – kleiner bauchiger Raum

Hirnkammern; gefüllt mit Cerebrospinalflüssigkeit; schützen das Gehirn vor mechanischen Schäden

der Liquor cerebro-spinalis

lat.: der liquor – Flüssigkeit; das cerebrum – Gehirn; spinalis – zum Rückenmark gehörend

Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit; besteht aus Salzen, Zuckern, Proteinen; schützt das Gehirn vor mechanischen Schäden

die Substantia grisea

lat.: griseus – grau; die substantia – Substanz, Stoff

die graue Substanz; «graue» Zellkörper von Nervenzellen sowie Blutgefäße überwiegen

die Substantia alba lat.: albus – weiß; die substantia – Substanz, Stoff

die weiße Substanz; «weiße» Zellfortsätze von Nervenzellen überwiegen

die retikuläre Substanz

lat.: das reticulum – kleines Netz

«graue» Zellkörper und «weiße» Zellfortsätze etwa gleich häufig

das Tentorium (cerebelli)

lat.: das Zelt; Kleinhirnzelt

Trennung zwischen Großhirn und Kleinhirn

das Mesencephalon

griech.: mésos – mittlerer; der enképhalos – Gehirn

Mittelhirn; steuert zahlreiche sensorische und motorische Funktionen wie die Augenbewegung; es koordiniert visuelle und auditorische Reflexe

das Tegmentum (mesencephali)

lat.: die Haube

Teil des Mittelhirnbodens; enthält Anteile der Formatio reticularis; Handlungssteuerung und Handlungsbewertung

die Formatio reticularis

lat.: die formatio – Formation, Anordnung; reticularis – zu dem kleinen Netz gehörend

Retikulärformation; im Hirnstamm gelegene netzartige Struktur mit eingestreuten Kernen mit sensorischen, vegetativen und motorischen Funktionen; umgibt die Kerngebiete des 5. bis 12. Hirnnervenpaares; zieht sich von der Medulla oblongata über die Brücke bis zum vorderen Mittelhirn; bildet zusammen mit dem Hypothalamus die Grundlage unserer biologischen Existenz

die Area tegmentalis ventralis

lat.: das «untere HaubenKontrollstelle der vegetativen Zentren areal»; das Ventrale Tegmen- des Hirnstamms; Zentrum dopaminertale Areal (VTA) ger Zellkörper

das Griseum centrale

lat.: das Zentrale Höhlengrau; im Mittelhirn gelegen; wichtig für die auch periaquaeductales Grau Schmerzempfindung und -kontrolle – PAG – genannt

der Aquaeductus mesencephali cerebri

lat.: der aquaeductus – Wasserleitung; die Wasserleitung des Gehirns

im Zentralen Höhlengrau gelegen, gefüllt mit Cerebrospinalflüssigkeit

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

das Tectum (mesencephali)

lat.: das Mittelhirn-Dach

die Vierhügelplatte

die Colliculi

lat.: die Hügel

die Colliculi inferiores

lat.: die unteren Hügel

Teil der Vierhügelplatte im Mittelhirn; akustische Schaltstelle; unbewußte Verarbeitung akustischer Informationen

die Colliculi superiores

lat.: die oberen Hügel

Teil der Vierhügelplatte im Mittelhirn; Integration visueller Sinneseindrücke; Blick-, Kopf- und Handbewegungen, die visuell ausgelöst werden

die Nuclei

lat.: die Kerne

Ansammlung von Zellkörpern im Zentralnervensystem

der Nucleus ruber

lat.: der rote Kern

von ihm zieht der Tractus rubrospinalis das Rückenmark hinab; Schaltstelle für motorische Impulse des Kleinhirns und der Großhirnrinde; Steuerung von Muskeltonus, Körperhaltung und Gehbewegung

der Locus coeruleus

lat.: der himmelblaue Ort

Zentrum noradrenerger Nervenzellen; bildet einen Teil der lateralen Formatio reticularis im Tegmentum

die Nuclei raphes

lat.: die Kerne; griech.: die raphe¯ – Naht

die Raphe-Kerne; Zentrum serotonerger Nervenzellen; bildet die mediane Zone der Formatio reticularis; über den gesamten Hirnstamm ausgedehnt

Ncl. raphes dorsalis

lat.: der obere Raphe-Kern

Ncl. raphes pontis

lat.: der Raphe-Kern der Brücke

Ncl. raphes magnus

lat.: der große Raphe-Kern

Ncl. raphes obscurus

lat.: der verborgene RapheKern

der Nucleus basalis MEYNERT

lat.: «MEYNERT scher Basalkern»

der Nucleus septi medialis

lat.: der zur Mitte hin gelegene Zentrum acetylcholinerger Nervenzellen Kern des Septums, septaler Kern

der Nucleus interpeduncularis

lat.: der zwischen den Stielen liegende Kern

Zentrum acetylcholinerger Nervenzellen, im basalen Vorderhirn gelegen

an der Unterseite des Tegmentum gelegener Kern; steht mit verschiedenen Kernen der Formatio reticularis in Verbindung; Kern des limbischen Systems

Der Hirnstamm

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die Basalganglien

lat./griech.: die tieferliegenden Nervenknoten

Kernstrukturen am Grund der Hemisphären; die wichtigsten Verbindungen zwischen motorischer Rinde und den Assoziationsfeldern; steuern motorische Aktivitäten; ebenfalls für Kognition und Emotion bedeutsam

der Nucleus caudatus

lat.: der schwanzförmige Kern c-förmig gebogene Ansammlung von grauer Substanz; läuft an beiden Seiten der Amygdala aus

das Putámen

lat.: die Schale

motorische und emotionale Regulation

das Corpus striatum, kurz: Striatum

lat.: der Streifenkörper

aus Nucleus caudatus und Putámen gebildet; größte subcorticale Struktur des Großhirns; wichtigste subcorticale Schaltstelle des extrapyramidalen Systems; motorische und emotionale Regulation

der Nucleus accumbens

lat.: der daneben liegende Kern

neben der Septumregion gelegen; gehört zum Striatum; viele Verbindungen zum limbischen System; Teil des Belohnungssystems; für Suchtverhalten entscheidend

der Globus pallidus, kurz: Pallidum

lat.: die bleiche Kugel

motorische und emotionale Regulation

das Corpus amygdaloideum, kurz: Amygdala

lat.: der Mandelkern

koordiniert vegetative und endokrine Reaktionen in Verbindung mit emotionalen Zuständen; zentrales Organ des limbischen Systems

die Substantia nigra

lat.: die schwarze Substanz

reicht von der Brücke bis zum ventralen Tegmentum im Mittelhirn; hohe Konzentration dopaminerger Kerne; Zellverfall bei Parkinson-Erkrankung

die Substantia nigra pars reticulata

lat.: der vernetzte Teil der Substantia nigra

Verbindung zum Putámen

die Substantia nigra pars compacta

lat.: der kompakte Teil der Substantia nigra

Konzentration dopaminhaltiger Nervenzellen

der Nucleus subthalamicus

lat.: der unter dem Thalamus liegende Kern

großer grauer Komplex in der Tiefe der Hemisphäre

Einprägen sollte man sich zudem die Übersicht über die zwölf Gehirnnerven, auch wenn diese im folgenden keine größere Rolle mehr spielen werden. Eine Reihe wichtiger Begriffe zur Beschreibung der Anatomie auch von Zwischenhirn und Großhirn haben wir damit bereits kennengelernt, wir werden aber jede dieser Gehirnstrukturen noch einmal in den entsprechenden Kapiteln einführen. Kommen wir jetzt zu sprechen auf das Zwischenhirn und das schon häufig genannte limbische System.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

3. Zwischenhirn und limbisches System

Die vegetativen Funktionen unseres Körpers, wie Stoffwechsel und Kreislauf, aber auch korrespondierende Verhaltensweisen, wie Schlafen und Wachen, Essen und Trinken, Werbung und Paarung, Angriff und Flucht, nebst den dazugehörigen Affekten wie Befriedigung und Lust, Angst und Aggression, Wut und Schmerz, werden, so sahen wir gerade, im Hirnstamm geregelt, – die Formatio reticularis mit ihren Kernen und das Zentrale Höhlengrau spielen dabei eine Hauptrolle. Doch nicht nur sie. Wir stellten schon sehr früh fest, daß wir die Bedeutung des Hirnstammes nicht verstehen können, ohne ständig anderen, höheren Hirnstrukturen, wie zum Beispiel Thalamus, Hypothalamus, Hippocampus oder Neocortex, zu begegnen.

a) Anatomie des Zwischenhirns Beginnen wir mit der schematischen Darstellung des Zwischenhirns (griech.: Diencephalon) von Abb. A 18. (Was «myelinisierte Axone» sind, braucht uns jetzt noch nicht zu interessieren.) Das Zwischenhirn besteht, wie die Abbildung zeigt, aus Thalamus (griech.: Ehebett) und Hypothalamus (griech.: unter dem Ehebett). Namen wie diese klingen natürlich höchst seltsam, ja, wäre es nicht wirklich ungewöhnlich schwierig, die so sonderbar geformten Gebilde im Inneren des Gehirns mit irgend etwas zu vergleichen, das in der uns vertrauten äußeren Welt sich wahrnehmen läßt, – die Terminologie der Neuroanatomie könnte als ein Fall für freud durchgehen.

α) Der Thalamus Mit Thalamus wird jene große graue Kernmasse im Zwischenhirn bezeichnet, deren Kerne Faserverbindungen zur Großhirnrinde und zum Hirnstamm aufweisen und die als die zentrale subcorticale Umschaltstelle der meisten Sinnesbahnen fungiert. Von den thalamischen Kernen können wir uns an dieser Stelle

Zwischenhirn und limbisches System

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Abb. A 18: Das Diencephalon und seine Lage im Gehirn

schon einmal das Pulvinar (lat.: das Götterpolster, Kissen), das Corpus geniculatum laterale (lat.: den seitlichen Kniehöcker, CGL), das Corpus geniculatum mediale (lat.: den mittleren Kniehöcker) und den Nucleus ventralis posteromedialis (lat.: den unteren hinteren mittleren Kern) sowie den Nucleus ventralis posterior (lat.: den unteren hinteren Kern) zu merken versuchen. Der Thalamus gliedert sich (von oben nach unten) in den Epithalamus (griech.: den «darauf befindlichen» Thalamus), den dorsalen Thalamus und den ventralen Thalamus (oder Subthalamus). (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 404). Zum Epithalamus gehört die Epiphyse (auch: Corpus pineale oder Glandula pinealis genannt, von lat.: das corpus – Körper, die glandula – kleine Eichel, pi-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

nealis – pinienzapfenähnlich; wir wissen bereits, daß dieses Organ genau genommen gar nicht zum Gehirn gehört) sowie die Habenula (lat.: der kleine Zügel), ein Schaltsystem für olfaktorische (lat.: olfácere – riechen; olfactorius – den Geruchssinn betreffende) Informationen. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 183.) Die Epiphyse verdankt ihren Namen (griech.: auf dem Organ, dem Gehirn, liegend) der Tatsache, daß sie sich aus dem Zwischenhirndach nach dorsal entwickelt hat. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 549.) Zu ihrer Funktion sagten wir bereits: Indem die Epiphyse den Neurotransmitter Serotonin in das Hormon Melatonin umwandelt, nimmt sie Einfluß nicht nur auf die Hautpigmentierung, sondern auch auf die weiblichen Keimdrüsen. Serotonin wie Melatonin werden in der Epiphyse vom TagNacht-Rhythmus kontrolliert, indem diese kleine Drüse Nervenfasern vom sympathischen Teil des peripheren autonomen (vegetativen) Nervensystems erhält (das wir später noch ausführlich darstellen werden); das Schlafmuster wird von hier aus gesteuert. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 150–151.) Die Bedeutung des dorsalen Thalamus zeigt sich schon daran, daß er als der größte Kernkomplex des Zwischenhirns über ein System von Kernen und Kerngebieten mit sehr verschiedenen Funktionen verfügt und mit der Hirnrinde über aufsteigende und absteigende Fasern in dem sogenannten thalamocorticalen System verbunden ist. Die von Auge, Ohr, Gleichgewichtsorgan, Haut und Muskeln kommenden sensorischen Nervenbahnen (lat.: sensorius – die Sinnesorgane betreffend) enden im dorsalen Thalamus und werden von dort zur Großhirnrinde umgeschaltet; – später noch werden wir uns der Frage zuwenden, ob es so etwas wie eine «Wahrheit» der Erkenntnis geben kann, und dabei als Beispiel die optische Wahrnehmung untersuchen; dann werden wir auch Gelegenheit nehmen, die Bahnen, die vom Auge zum Thalamus (näherhin zum seitlichen Kniehöcker, zum Corpus geniculatum laterale, CGL, sowie zum Pulvinar) und vom Thalamus zur Großhirnrinde führen, genauer zu betrachten. Aber auch die motorischen Bahnen (lat.: der motus – die Bewegung, motorius – auf die Bewegung bezogen) nehmen ihren Weg über den Thalamus. (Vgl. alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 419.) Da der dorsale Thalamus über die Vigilanz (lat.: die Wachheit) und Aufmerksamkeit entscheidet, ist er auch an Lernprozessen mitbeteiligt. «In diesem Sinne ist der dorsale Thalamus das Ein- und Ausgangstor der Großhirnrinde.» (gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 21; vgl. wolf singer: Der Beobachter im Gehirn, in: Der Beobachter im Gehirn, 148.) Die Kerne des ventralen Thalamus (auch Subthalamus genannt) erhalten zwar Afferenzen (lat.: Zuleitungen) aus dem Cortex, projizieren aber selbst

Zwischenhirn und limbisches System

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Abb. A 19: Einige Kerngebiete des Thalamus

nicht direkt in die Großhirnrinde, sondern auf Umwegen über Schaltstellen, die meistens im Hirnstamm und im Zwischenhirn liegen. Auch die Bedeutung des ventralen Thalamus kann kaum überschätzt werden. (Vgl. alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 419; 523 –524.) Der Mit-Entdecker der DNA-Doppelhelix, francis harry compton crick (1916 – 2004), ging in seinem Buch Was die Seele wirklich ist im Jahre 1994 sogar so weit, den Thalamus, als das eigentliche Integrationsorgan aller kognitiven, limbischen, motorischen und vegetativen Funktionen, für den wahren Sitz des Bewußtseins, für den «Ort» des «Selbst», zu erklären. (A. a. O., 302– 312) Doch so wichtig der Thalamus zweifellos ist, – Bewußtsein und Selbstbewußtsein «produziert» er nicht; dafür zuständig sind anscheinend bestimmte Prozesse der Großhirnrinde, nicht die diencephalen Schichten des Gehirns. Da wir immer wieder auf bestimmte Kerngebiete des Thalamus zu sprechen kommen werden, dürfte es hilfreich sein, sich ihre Lage sowie ihre Namen und Funktionen zu vergewärtigen, wie es Abb. A 19 versucht.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Diesen Kernen sind die folgenden Funktionen zugeordnet: Das Corpus geniculatum laterale (lat.: der seitliche Kniehöcker) ist, wie gesagt, ein Relaiskern des optischen Systems, das Corpus geniculatum mediale (lat.: der mittlere Kniehöcker) ist ein Relaiskern des akustischen Systems, der Nucleus ventralis posteromedialis (lat.: der untere hintere mittlere Kern) dient der somatosensorischen Repräsentation des Gesichtes, während der Nucleus ventralis posterior (lat.: der untere hintere Kern) für die somatosensorische Repräsentation des übrigen Körpers zuständig ist. Das Pulvinar (lat.: das Götterpolster, Kissen) dient der Integration sensomotorischer Prozesse; es steht in Verbindung mit den sog. sekundären Rindenfeldern des optischen und akustischen Systems und hat auch mit Sprache und symbolischem Denken zu tun. Der Nucleus lateralis posterior (lat.: der seitliche hintere Kern) steht in Verbindung mit den Assoziationsfeldern im Parietalcortex; der Nucleus anterior (lat.: der vordere Kern) gehört zum limbischen System, und der Nucleus lateralis dorsalis (lat.: der seitliche obere Kern) unterhält Verbindungen zum limbischen Cortex, den wir in Kürze besprechen werden. Motorische Kerngebiete bilden der Nucleus ventralis lateralis (lat.: der untere seitliche Kern), der mit dem Motocortex (dem Gyrus praecentralis) Verbindungen unterhält, und der Nucleus ventralis anterior (der untere vordere Kern), der mit der extrapyramidalen Motorik in Verbindung steht. Ein «unspezifisches» Kerngebiet bildet der Nucleus medialis (lat.: der mittlere Kern), der mit Emotion und Motivation, mit Bewußtsein und Aktivierung zu tun hat. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, Anhang VI; jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 406 –410; gerhard roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 55 –56.) All diese Begriffe und Funktionen müssen wir an dieser Stelle nur erst einmal gehört haben, damit wir bei «Bedarf» darauf zurückgreifen können; die entsprechenden Zusammenhänge werden wir dann von Fall zu Fall näher kennenlernen.

β) Der Hypothalamus Mit Hypothalamus bezeichnet man eine Hirnstruktur, die für emotionale und motivationale Zustände höchst bedeutsam ist und die zugleich als der komplizierteste Teil des ohnehin schon äußerst komplizierten Gehirns gelten muß. Er bildet die unterste Etage und den Boden des Zwischenhirns; zu seinen Kernen zählen die Mamillarkörper (lat.: die Corpora mamillaria – die busenförmigen Körper).

Zwischenhirn und limbisches System

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Abb. A 20: Der Aufbau der Hypophyse aus Hypophysenvorder- und Hypophysenhinterlappen sowie umgebende Hirnstrukturen

Der Hypothalamus ist sozusagen das «Gehirn des Gehirns» und das höchste Regulationszentrum des autonomen (vegetativen) Nervensystems. Gerade mal erbsengroß, mit einem Gewicht von vier bis fünf Gramm (vgl. alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 419), ist der Hypothalamus die zentrale Region für die Steuerung der vegetativen Funktionen von Essen, Trinken, Schlafen und Wachen sowie für die Regulation vieler physiologischer Funktionen wie der Körpertemperatur und der Pulsfrequenz. Die homöostatischen (griech.: hómoios – gleich, die stásis – Stellung; für gleichbleibende Werte sorgenden) Mechanismen des Körpers regelt der Hypothalamus durch negative Rückkopplung; so wird zum Beispiel, wie wir schon hörten, die Körpertemperatur über die Bluttemperatur kontrolliert: ist das Blut zu kalt, schaltet der Hypothalamus die Funktionen der Wärmeerzeugung ein. Nicht minder bedeutsam ist die Tatsache, daß vom Hypothalamus aus die wichtigste Drüse des Gehirns, die Hirnanhangdrüse, auch Hypophyse (griech.: unter dem Gehirn-Organ liegend) genannt, mit ihrem Vorder- und Hinterlappen gesteuert wird; der Hypothalamus reguliert die Ausschüttung von Hormonen aus eben dieser Drüse. – Insbesondere die Sexualität, aber auch die Im-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

pulse zu Flucht und Angriff werden in einem komplizierten Mechanismus ausgelöst, für dessen (teilweise) Aufklärung die beiden Forscher roger charles louis guillemin (geb. 1924) und andrew victor schally (geb. 1926) im Jahre 1977 den Nobelpreis erhielten. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 17–18.) Der Hypophysenvorderlappen (die Adenohypophyse, griech.: der ade¯n – Drüse) steht im Zentrum der «Streßachse», indem er auf Streß mit der Sekretion von adrenocorticotropem Hormon (ACTH, Corticotropin, von griech.: der trópos – Wendung, Richtung) antwortet, das seinerseits die Nebennierenrinde veranlaßt, Cortisol auszuschütten. Auch Wachstumshormone und gonadotrope Hormone, die, wie ihr Name sagt (griech.: die gone¯ – Zeugung, der ade¯n – Drüse, tropeı˜n – wenden; die Keimdrüsen – Gonaden – beeinflussend), auf die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane wirken, werden von der Adenohypophyse abgegeben. Der Hypophysenhinterlappen (die Neurohypophyse) regelt die Wasserausscheidung, die Gebärmutterkontraktion und die Milchsekretion. All das werden wir uns natürlich noch näher ansehen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 177–183; 208; jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 546 –548.) Zum Zwischenhirn zählt auch noch das Chiásma opticum (griech.: Kreuzung, lat.: zum Auge gehörend; die Sehnervenkreuzung), das an der Unterseite des Hypothalamus liegt und von dem wir gleichfalls schon hörten. Abb. A 20 gibt abschließend eine Übersicht über Lage und Aufbau der Hypophyse und benachbarter Strukturen des Zwischenhirns.

b) Die Strukturen des limbischen Systems Eng mit dem Zwischenhirn – aber auch mit dem Hirnstamm sowie mit dem Endhirn – verbunden ist das limbische System, uns ebenfalls als Begriff schon geläufig. Seine Strukturen besitzen enge Verschaltungen mit Teilen des Thalamus, des Hypothalamus und der Großhirnrinde. Das Wort «limbisch» kommt, wie schon erläutert, von lateinisch: der limbus und heißt soviel wie «Saum» oder «Bordüre»; der französische Chirurg und Anthropologe pierre paul broca (1824 –1880) verfiel auf diesen Ausdruck, «um damit eine ringförmige Gewebestruktur zu bezeichnen, die den präfrontalen, parietalen und okzipitalen Neocortex ‹einzufassen› scheint, wenn man das Gehirn von der mittleren Schnittfläche her betrachtet.» (nancy andreasen: Brave new Brain, 84) Einen Eindruck von der Form und der Lage der verschiedenen Teile des limbischen Systems versucht in schematischer Darstellung Abb. A 21 zu vermitteln.

Zwischenhirn und limbisches System

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Abb. A 21: Teile des limbischen Systems (im medialen Gehirnschnitt)

Zum Begriff des limbischen Systems ist – erneut – keine eindeutige Definition verfügbar: Was im einzelnen zum limbischen System gerechnet wird, unterscheidet sich sozusagen je nach Autor. Zu den limbischen Strukturen im engeren Sinne zählen im allgemeinen: 1) der limbische Cortex mit dem Hippocampus (griech.: dem Seepferdchen), dem Gyrus cinguli (lat.: der Windung des Gürtels; einer Struktur im Großhirn, oberhalb des Balkens gelegen), dem Gyrus parahippocampalis (lat.: der Windung, griech.: am Hippocampus vorbei; nämlich der Windung zwischen Hippocampus und Amygdala), der Area entorhinalis (lat.: der Region, griech.: innerhalb des Riechhirns; auch entorhinaler Cortex genannt; innerhalb des Gyrus parahippocampalis gelegen), dem Gyrus dentatus (lat.: der gezähnten Windung) und dem Subiculum (lat.: der kleinen Unterlage, einer wichtigen Relaisstation für die Verbindungen des Hippocampus mit corticalen und subcorticalen Strukturen) als seinen wichtigsten Einheiten; sodann sind zu nennen 2) die limbischen Kerngebiete, als da sind: im Telencephalon die Area septalis (lat.: die area – Feld, Region; das septum – Scheidewand, nämlich die mediale Scheidewand der Vorderhörner beider Seitenventrikel; diese Scheidewand geht in das Septumkerngebiet – die Area septalis, kurz: Septum genannt – über; das Septum wiederum ist zwischen dem Balken und der Fornix – lat.: der Wölbung, dem Bogen; einem großen Nervenfaserbündel unmittelbar unter dem Balken – gelegen und enthält acetylcholinerge Nervenzellen) sowie die Amygdala

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

(griech.: der Mandelkern; genauer das Corpus amygdaloideum – lat./griech.: der mandelartige Körper); einige Autoren rechnen zu den limbischen Kerngebieten auch noch den Nucleus accumbens (septi, lat.: den neben der Septumregion liegenden Kern) mit dem benachbarten Striatum ventrale (lat.: dem unteren Streifenkörper), das im wesentlichen aus Nucleus caudatus (lat.: dem schwanzförmigen Kern) und dem Putámen (lat.: der Schale) gebildet wird, sowie andere ventrale Basalganglien; darüber hinaus werden im Diencephalon die thalamischen Nuclei anteriores (lat.: die vorderen Kerne) und die Nuclei intralaminares (lat.: intra – innerhalb, die lamina – Platte, Blatt, Schicht; die Kerne innerhalb der Schicht) und die hypothalamischen Corpora mamillaria (lat.: die busenförmigen Körper) sowie im weiteren Sinne noch die Mittelhirnkerne Nucleus interpeduncularis (lat.: der zwischen den Stielen liegende Kern) und Nucleus tegmentalis posterior dorsalis (lat.: der hintere obere zum Tegmentum – zur Haube – gehörende Kern) zu den limbischen Kerngebieten gezählt. (Vgl. alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 527; 502.) Funktional läßt sich das limbische System in drei Ebenen unterteilen. Die erste, unterste Ebene des limbischen Systems kontrolliert die vegetativen Zentren des Hirnstamms und damit die lebenerhaltenden Funktionen; die zweite, mittlere Ebene repräsentiert den Bereich unserer Gefühle; die dritte Funktionsebene schließlich ist für die Verhaltensüberwachung, Impulskontrolle und Fehlerkorrektur zuständig und wird entsprechend von Teilen der Großhirnrinde gebildet. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 145 –150.) Auf Grund der überragenden Bedeutung, die das limbische System für unsere Emotionen und für unsere Motivationen – und damit auch für unsere Suche nach der «Seele» – besitzt, ist es äußerst lohnend, alle drei Ebenen des limbischen Systems der Reihe nach kennenzulernen. Beginnen wir also mit der untersten Ebene des limbischen Systems.

α) Die unterste Ebene des limbischen Systems Diese Ebene besteht aus dem Ventralen Tegmentalen Areal (VTA, lat.: aus der Area tegmentalis ventralis), dem Zentralen Höhlengrau, dem Hypothalamus sowie der Amygdala; auf dieser Ebene werden die vegetativen Zentren des Hirnstamms kontrolliert und damit die lebenerhaltenden Funktionen: Atmung, Wärmehaushalt, Kreislauf, Schlaf, Energieversorgung, Fortpflanzung, Streßreaktionen – all diese Grundfunktionen werden hier ermöglicht; sie folgen bestimmten angeborenen auslösenden Situationen und gehen einher mit zugeordneten Reaktionsweisen sowie zugehörigen Lautkundgebungen (wie

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Schreien vor Angst, Jauchzen vor Glück, Brüllen vor Wut, Stöhnen vor Schmerz oder Lust usw.). Wenn wir über die Motivationen und die (An)Triebe unseres Verhaltens sprechen, werden wir auf diesen wichtigen Punkt noch einmal zurückkommen. Ein Stück weiter in Richtung «Seele» gelangen wir, wenn wir uns dem (bereits kurz erwähnten) mesolimbischen System zuwenden, das im wesentlichen aus dem Ventralen Tegmentalen Areal und dem ventralen Striatum (lat.: dem unteren Streifenkörper) einschließlich des Nucleus accumbens septi (lat.: des neben der Septumregion liegenden Kerns) besteht. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 145–146.) Der Nucleus accumbens wird uns wegen seiner Dopamin-haltigen Nervenzellen noch bei der Frage nach den Ursachen der Schizophrenie beschäftigen. Vorerst genügt es, das mesolimbische System als eine Art Belohnungsinstanz zu betrachten, in der endogene (griech.: im Inneren – im Körper selbst – entstehende) Opiate: Endorphine (endogene Morphine) und Enkephaline (griech.: en – innen, die kephale¯ – Kopf), hergestellt werden (wobei die Enkephaline von manchen Autoren auch zu den Endorphinen gezählt werden). Wie james olds und peter marshall milner (geb. 1919) im Jahre 1954 entdeckten, werden diese Stoffe als körpereigene «Wohlfühlsubstanzen» bis in die Großhirnrinde entsandt und erzeugen ein euphorisches oder gar ekstatisches Glücksgefühl – weswegen auf dieser Ebene auch von Lustzentren und Lust gesprochen wird. (Vgl. james olds – peter marshall milner: Positive reinforcement produced by electrical stimulation of septal area and other regions of rat brain, in: Journal of comparative and physiological Psychology, 47/1954, 419 –427; john p. j. pinel: Biopsychologie, 382 –383; richard f. thompson: Das Gehirn, 171–173.) Auch das Dopamin hielt man «bis vor kurzem» für einen hirneigenen «Belohnungsstoff, da seine Ausschüttung mit positiven Zuständen verbunden ist. Heute nimmt man eher an, dass Dopamin selbst kein Belohnungsgefühl vermittelt, sondern nur eine Belohnung durch die hirneigenen Opiate ‹in Aussicht stellt›». (gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 146) Wir werden darauf später noch im einzelnen zurückkommen, wenn wir uns mit den Themen von Lust und Sucht näher beschäftigen (vgl. Abb. B 75). Wenn man so will, ist es diese Struktur des Gehirns, die offenbar am meisten dem entspricht, was die Psychoanalytiker als Es bezeichnen: ein «psychischer Apparat» von Gefühlen unter der Herrschaft des «Lustprinzips». Auch der «archaische» Charakter von freuds «Es» scheint hier repräsentiert. Evolutiv nämlich hat sich das limbische System als erster Teil des Vorderhirns (des Prosencephalon) entwickelt; – bei den Krokodilen nimmt es noch heute «praktisch das gesamte Vorderhirn» ein. (richard f. thompson: Das Gehirn, 18)

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 22: Strukturen des limbischen Systems mit Opiat- oder Opioidrezeptoren; der uncus – lat.: Haken, heißt der vordere, nach hinten umgeschlagene Teil des Gyrus parahippocampalis

Abb. A 22 gibt die Strukturen des limbischen Systems wieder, die Opiat- oder Opioidrezeptoren enthalten. – Rezeptoren (lat.: der receptor – Empfänger) sind Eiweißmoleküle in der Oberfläche von Zellen, die eine bestimmte chemische Verbindung oder Verbindungsklasse erkennen und binden können; wir werden auch darauf noch ausführlich zu sprechen kommen. Bezeichnenderweise sind es gerade die Teile des limbischen Systems, in denen die Opiatrezeptoren sich verteilen, die das «Lust»- und das «Schmerz»-System des Gehirns repräsentieren.

β) Die mittlere Ebene des limbischen Systems Die wichtigste limbische Struktur dieser Ebene bildet die Amygdala (griech.: der Mandelkern), die ihrerseits mit dem Hypothalamus, dem mesolimbischen System und dem Hippocampus (griech.: dem Seepferdchen) eng verschaltet ist.

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Diesen Schichten des Gehirns fällt die Bewertung der Folgen unserer Verhaltensweisen und Erfahrungen zu, die sich in entsprechenden Gefühlen mitteilt. Für das Verständnis nicht nur der affektiven (triebgesteuerten), sondern jetzt auch der emotionalen Seite unseres Seelenlebens wird diese Tatsache von großer Bedeutung sein, werden doch die Grundgefühle aller Menschen auf Erden in diesen Hirnregionen: Amygdala, Hypothalamus und mesolimbischem System erzeugt, als da sind: «Furcht, Freude, Glück, Verachtung, Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung». (gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 146) Es wird also von größtem Interesse sein, sich speziell den Aufbau der Amygdala genauer anzusehen: Sie gliedert sich in drei Bereiche, die funktionell unterschiedlichen Aufgaben zugeordnet sind. Wenn wir noch einmal den Blick auf Abb. A 22 mit den Opiatrezeptoren werfen, wird die Beziehung des Bulbus olfactorius (lat.: des Riechkolbens) und des Trigonum olfactorium (lat.: des Geruchsdreiecks, einer Verbreiterung des Tractus olfactorius, der Verbindungsbahn zwischen Bulbus olfactorius und Cortex), durch welches der Geruchsnerv zieht (vgl. Abb. A 7 mit den Hirnnerven), zur Amygdala deutlich. Tatsächlich besteht bei «einfachen» Wirbeltieren, wie den gerade erwähnten Krokodilen, die Hauptaufgabe des limbischen Systems im Geruchssinn, mithin in der Analyse von Intensität, Qualität und Richtung von Gerüchen. Damit ist klar, worin die ursprüngliche Aufgabe der Amygdala einmal bestand: «Als sich das limbische Vorderhirn entwickelte, diente es zunächst dazu, eine präzise Auswertung von Geruchsreizen und angemessene Reaktionen auf solche Reize zu ermöglichen: Annäherung, Angriff, Paarung oder Flucht.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 18) So wundert es nicht, daß der erste Bereich der Amygdala, die corticomediale Amygdala (von einigen Autoren als oberflächliche Kerngruppe der Amygdala bezeichnet), auch heute noch mit der Verarbeitung von Gerüchen, insbesondere der für das soziale Zusammenleben wichtigen Gerüche, der Pheromone, zu tun hat; wie wichtig diese Funktion bei uns Menschen geblieben ist, zeigt sich immer wieder bei Untersuchungen zum Sexualleben: regelmäßig bestätigt sich die Annahme, daß auch bei der menschlichen Partnerwahl der Geruch von großer Bedeutung ist. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 350; 353 –357; john p. j. pinel: Biopsychologie, 224– 225.) Der zweite Teil der Amygdala, der Zentralkern (auch zentromediale Kerngruppe der Amygdala genannt), regelt gemeinsam mit dem Hypothalamus die vegetativen und affektiven Reaktionen; vor allem bei der Darstellung von Streß und Streßverhalten werden wir auf diesen Punkt noch eingehend zu sprechen kommen; vorwegnehmend sei hier schon gesagt, daß das Konzept der Psycho-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

analyse von der «Somatisierung» seelischer Erkrankungen in diesen Zusammenhängen seine Rechtfertigung findet. Am wichtigsten für unser Gefühlsleben und für unsere Erinnerung sowie für unser Lernverhalten ist indessen der dritte Teil der Amygdala: die basolaterale Amygdala. Sie ist – zusammen mit dem Hippocampus, mit dem sie enge Verbindungen unterhält – der Ort im Gehirn, von dem die Psychologie des 20. Jhs. fast immerzu geredet hat, ohne es zu wissen: Die Lehre iwan petrowitsch pawlows (1849 –1936) von den «bedingten Reflexen» und damit die gesamte «Verhaltenspsychologie» und «Verhaltenstherapie» hat ihre neurologische Grundlage in diesem winzigen Bereich eines kleinen Organs im limbischen System; und auch die psychoanalytische Lehre von «traumatischer Situation» und «Wiederholungszwang» basiert anscheinend auf Leistungen dieses Hirnareals. Wenn die Amygdala einmal der Empfangsraum von – im wesentlichen olfaktorischen – Sinneseindrücken war, so beschreibt allein schon ihr «Umbau», ihr Funktionswandel zu einem zentralen Organ des Seelenlebens von Säugetieren und Menschen, eine geradewegs dramatische Geschichte der Evolution. Die Folgen sind entsprechend gravierend. «Beidseitig amygdalalädierte Menschen haben Schwierigkeiten, dem Gesichtsausdruck anderer Menschen emotional und sozial relevante Informationen zu entnehmen. Sie können beispielsweise Furcht im Gesichtsausdruck nicht richtig interpretieren . . . Sie können offensichtlich dem visuellen Eindruck keine affektive Bedeutung beimessen.» (alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 517) Inzwischen nämlich ist die basolaterale Amygdala ein «Empfangsraum» für alle möglichen Signale aus dem somatosensorischen, auditiven und visuellen System geworden, und wichtiger noch: sie erhält zugleich Informationen von den «Bewertungsinstanzen» des limbischen Systems – vom mesolimbischen System, vom Hypothalamus und von den Zentren der Schmerzwahrnehmung, also vor allem vom Zentralen Höhlengrau; die Kopplung von Sinneseindrükken mit einem standardisierten, evolutiv vorgegebenen System der Bewertung nach «gut» (= lustvoll) und «böse» (= leidverursachend) geschieht offenbar an dieser Stelle im Gehirn. Dabei werden wir noch hören, daß die Sinneswahrnehmungen, die an die Amygdala gehen, über zwei Kanäle geschaltet werden können: in besonders dringlichen Fällen führt eine Expreßleitung (eine thalamoamygdaläre Verbindung) direkt über entsprechende Nervenbahnen im Thalamus zur Amygdala – sie verläuft völlig unbewußt und erzwingt augenblickliche (Schreck)Reaktionen noch vor der bewußten Wahrnehmung –, während ein längerer Weg (eine thalamo-cortico-amygdaläre Verbindung) zur genaueren

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Verarbeitung der sensorischen Inhalte vom Thalamus zur Großhirnrinde und von dort über den Temporallappen zur Amygdala geschaltet wird (die basolaterale Amygdala ist die Haupteingangshalle der Amygdala für Afferenzen aus dem Cortex); dieser zweite Weg führt dahin, daß wir uns einer plötzlichen Schrecksituation (im nachhinein) bewußt werden. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 147–148; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 516 –517.) Aber natürlich genügt es nicht, nur von Fall zu Fall schreckhaft zu reagieren, es ist im Überlebenskampf von großer Bedeutung, sich bestimmte Gefahrenund Unlustsituationen (sowie deren Gegenteil) gut zu merken; eben deshalb unterhält die Amygdala eine enge Verbindung zum Hippocampus. Bekannt wurde in den 50er Jahren des 20. Jhs. der Fall des Patienten Henry M., bei dem ein neurochirurgischer Eingriff (die Entfernung ganzer Teile beider Temporallappen einschließlich Hippocampus und Amygdala) zum Zwecke der «Heilung» von seiner Epilepsie dazu führte, daß er zwar kurzzeitig eine normale Datenmenge aufnehmen, sich aber nicht einprägen konnte; während sein Kurzzeitgedächtnis nach wie vor funktionierte, war sein Langzeitgedächtnis offenbar zerstört worden; dieser Befund traf übrigens nicht auf seine motorische Lernfähigkeit, zum Beispiel beim Tennisspielen, zu, von der wir bereits wissen, daß an ihr wesentlich das Kleinhirn beteiligt ist. Auch das Altgedächtnis von Henry M. war noch vollkommen intakt: an die Erlebnisinhalte ein paar Monate vor der Operation konnte der Patient sich einwandfrei erinnern. Gestört war offenbar «nur» die Fähigkeit, Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis zu übertragen, und eben diese Vermittlungsinstanz ist – nach den tragischen Erfahrungen mit Henry M. – augenscheinlich der Hippocampus. (Zur Fallgeschichte von Henry M. vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 301–303; john p. j. pinel: Biopsychologie, 394– 399.) Was neurologisch und biochemisch sich bei Lernvorgängen im Hippocampus abspielt, werden wir noch im Zusammenhang mit den assoziativen Fähigkeiten eines bestimmten Typs von Rezeptoren auf der Oberfläche von Nervenzellen im sogenannten Ammonshorn (CA) kennenlernen. Vorerst genügt es, darauf hinzuweisen, daß der Hippocampus aus drei Teilen besteht: dem Gyrus dentatus (lat.: der gezähnten Windung), dem Subiculum (lat.: der kleinen Unterlage) und eben dem Cornu ammonis (CA, lat.: dem Ammonshorn, auch Hippocampus proprius – lat.: der eigentliche Hippocampus – genannt); der Gyrus dentatus steht (über die sog. Moosfasern) in Verbindung zum Ammonshorn und bildet das wichtigste afferente System des Hippocampus; das Subiculum ist

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

eine wichtige Relaisstation für die Verbindungen des Hippocampus zur Area entorhinalis und damit zu einer Reihe von corticalen und subcorticalen Strukturen; es bildet einen Großteil des efferenten Systems des Hippocampus. Die Area entorhinalis (lat.: die Region; griech.: innerhalb des Riechhirns) liegt innerhalb des Gyrus parahippocampalis (lat.: die Windung; griech.: am Hippocampus vorbei); gemeinsam mit dem Hippocampus spricht man auch von der Hippocampusformation; über die Area entorhinalis bekommt der Hippocampus Afferenzen aus dem Riechhirn, der Amygdala und dem Neocortex. «So werden ihm unter anderem somatosensible, visuelle, auditorische und olfaktorische Informationen in modulierter Form vermittelt, die alle im Gyrus parahippocampalis konvergieren. Weiterhin erhält der Hippocampus afferente Fasern aus dem Thalamus, dem Gyrus cinguli und dem Septum.» (martin trepel: Neuroanatomie, 204) Über efferente Faserverbindungen steht die Area entorhinalis in Verbindung mit der Amygdala, dem Nucleus accumbens und dem Hippocampus. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 397– 398; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 502 –510; eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 699.) Die Bedeutung der Amygdala und des Hippocampus bei Lernvorgängen trat noch deutlicher hervor, als mortimer mishkin (geb. 1926) im Jahre 1979 und in Folgestudien mit den Mitteln der Neurochirurgie in Tierversuchen herausfand, daß «ein beidseitiges Entfernen des Hippocampus und verwandter Strukturen im Schläfenlappen (sc. der Amygdala und corticaler Bereiche im mittleren Schläfenlappen, d.V.) von Affen eine Amnesie» hervorruft, bei der auch das visuelle Kurzzeitgedächtnis empfindlich beeinträchtigt ist; die Ausfälle ließen sich hernach im Tierversuch testen, und sie ähnelten «dem Syndrom von H. M. (sc. Henry M., d.V.) . . . Das ist eine bemerkenswerte Übereinstimmung der Gehirnfunktionen von Menschen und Affen im Hinblick auf das Gedächtnis». (richard f. thompson: Das Gedächtnis, 403) Die Hirnläsionen, die man zur Gewinnung von Erkenntnissen dieser Art Affen meint(e) zufügen zu müssen, bilden die nie zu vergessende Schattenseite der medizinischen Forschung gerade auf dem Gebiet der modernen Neurologie. Generell kann die Beschäftigung mit dem limbischen System und dabei vor allem mit den Funktionen von Hippocampus und Amygdala dazu beitragen, ein einseitig rationales, logozentrisches Menschenbild zu korrigieren. Gewiß ist in der Evolution des Gehirns bei Affen und Menschen der Cortex hinsichtlich seiner Größe zu der dominierenden, schon rein anatomisch alles überwölbenden Struktur geworden – noch bei Ratten ist allein der Hippocampus fast so

Zwischenhirn und limbisches System

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Abb. A 23: Hippocampus und Amygdala in der Tiefe des Temporallappens bei Kaninchen, Affe und Mensch

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

groß wie die gesamte Großhirnrinde –, doch das darf nicht vergessen machen, welch eine überaus wichtige Bedeutung die Amygdala auch für unsere Emotionen und der Hippocampus auch für unsere Erinnerung und unser Lernen besitzen. – Abb. A 23 zeigt einmal Amygdala und Hippocampus in einem Größenvergleich bei einem Kaninchen, einem Affen und einem Menschen. Nach allem bisher Erläuterten ist es offensichtlich, daß Gefühle durch verschiedene miteinander verbundene Hirnstrukturen ermöglicht und gesteuert werden. Es war james wenceslas papez (1883 –1958), der im Jahre 1937 als erster zur Erklärung der Emotionen und ihrer strukturellen Begründung eine besondere Vernetzung mehrerer Gehirnregionen in Form eines Schaltkreises annahm, der nach ihm als papez-Neuronenkreis benannt ist. papez erkannte richtig – ganz im Gegensatz zu der «primitiven» Auffassung von der olfaktorischen Funktion des limbischen Systems –, daß der von ihm entdeckte Schaltkreis seine Eingaben nicht aus dem olfaktorischen Teil der Gehirns, sondern aus Informationen des Neocortex erhält; die Hauptaufgabe des limbischen Systems sollte es danach sein, Emotionen zu erleben, zu interpretieren und zu steuern. Näherhin gehen die Informationen der assoziativen Cortexareale nach papez zum Gyrus cinguli (lat.: zur Windung des Gürtels; einer Struktur im Großhirn, oberhalb des Balkens gelegen) und von dort zum Hippocampus (griech.: dem Seepferdchen). Über den Fornix (lat.: die Wölbung, den Bogen; ein großes Nervenfaserbündel, das bogenförmig vom Hypothalamus aufwärts zum Hippocampus führt und Teile des limbischen Systems, wie den Hippocampus und die Area septalis, miteinander verbindet) projiziert der Hippocampus in die Corpora mamillaria (lat.: die busenförmigen Körper), die im Hypothalamus liegen und ihrerseits in den Thalamus projizieren. Die beiden Thalami sind die Endstätten der meisten Sinnesbahnen und durch Faserbündel auch mit dem Kleinhirn, dem Globus pallidus, dem Striatum und dem Hypothalamus verbunden. Der Thalamus sendet Nervenfasern zurück zum Gyrus cinguli; und damit schließt sich der papez-Neuronenkreis. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 204 –205.) Abb. A 24 sucht ihn schematisch darzustellen. Während papez die Gefühle im Hippocampus und in anderen «tieferen» Strukturen lokalisierte, glaubte er, daß die bewußte Wahrnehmung der Gefühle im Gyrus cinguli ermöglicht werde. Im Grunde beschreibt der papez-Kreis, wie Gedanken (Informationen aus dem Neocortex) zu Gefühlen werden und wie Gefühle Gedanken beeinflussen. Wir haben schon gesehen, um wie vieles differenzierter heute, rund 70 Jahre danach, uns die Funktionen etwa von Thalamus, Hypothalamus, Amygdala, Hippocampus und Gyrus cinguli erschei-

Zwischenhirn und limbisches System

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Abb. A 24: Das limbische System im papez-Kreis a) Der papez-Kreis in schematischer Darstellung: Der Neuronenkreis zieht vom Gyrus cinguli (4) zum Hippocampus (1), von dort über den Fornix zu den Corpora mamillaria (2), von dort zum Thalamus (3), der anschließend wiederum zum Gyrus cinguli (4) projiziert, so daß der Kreis geschlossen ist. b) Die Anordnung der am papez-Kreis beteiligten Strukturen des limbischen Systems.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

nen. «Die Verschaltungen innerhalb des limbischen Systems», schreiben denn auch alfred benninghoff und detlev drenckhahn (Anatomie, II 529), «sind nach neuerer Datenlage . . . komplexer und lassen die Vorstellung vom papez-Kreis nur noch als vereinfachendes didaktisches Konzept gelten.» Doch richtig bleibt papez’ Ansatz, die Funktionen des Gehirns in Regelkreisläufen zu denken und speziell dem limbischen System den Bereich der Gefühle zuzuweisen. Insofern erfährt auch die Betrachtungsweise von paul donald maclean eine gewisse Rechtfertigung, wenn er in dem «limbischen System» die evolutive Anlage des «Säugetiergehirns» mit dem ganzen Reichtum seiner Emotionen zu erkennen meinte.

γ) Die dritte Ebene des limbischen Systems Vergleichen wir noch einmal Abb. A 21 mit Abb. A 23, so springt die Größenzunahme besonders des Frontallappens ins Auge. Auf ihm liegt der frontale Assoziationscortex, der sich in zwei Regionen unterteilen läßt: Da ist einmal der präfrontale Assoziationscortex, der sich über die dorsolaterale (lat.: obere seitliche) Hirnoberfläche des Frontallappens erstreckt und der für kognitives Verhalten und für die Bewegungsplanung von größter Wichtigkeit ist; und dann ist da der orbitofrontale Cortex (lat.: die orbita – Augenhöhle), der an der medialen und ventralen Oberfläche des Frontallappens liegt. (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 357.) Mit der Entfaltung des Großhirns hängt es zusammen, daß es eine dritte Ebene des limbischen Systems gibt, den sogenannten limbischen Assoziationscortex, der den orbitofrontalen Cortex, den Gyrus cinguli und die Hippocampusregion umfaßt und für Gefühle und Gedächtnis von entscheidender Bedeutung ist; der limbische Assoziationscortex steht mit anderen Cortexregionen, unter anderem mit dem präfrontalen Cortex, in Verbindung. (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 357.) Auch in diesen Arealen wird aus Erfahrung gelernt, doch jetzt nicht mehr nur unmittelbar nach Erfolg und Mißerfolg, «sondern durch Berücksichtigung der mittel- und längerfristigen Konsequenzen unseres Handelns». (gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 149) Eine solche Möglichkeit der Verhaltenssteuerung und Impulskontrolle scheint am ehesten menschlich zu sein; doch müssen wir nur hören, daß der orbitofrontale Cortex erst mit etwa 18 Jahren ausgereift ist, während der Zentralkern der Amygdala und der Hypothalamus schon vor der 10. Schwangerschaftswoche ausgebildet sein müssen, um die biologischen Grund-

Zwischenhirn und limbisches System

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funktionen zu steuern, und daß auch die emotionale Konditionierung bereits lange vor der Geburt beginnt (vgl. gerhard roth: A. a. O., 149 –150), – und wir werden erneut Zweifel an dem Spielraum unserer Freiheit bekommen. Gerade über das spezifisch Menschliche werden wir noch bei der Besprechung der drei für uns so wichtigen Assoziationscortices der Großhirnrinde nachdenken müssen. Einen abschließenden Überblick über die wichtigsten Zentren des limbischen Systems und ihre Funktionen bietet die folgende Zusammenstellung (martin trepel: Neuroanatomie, 207). Hippocampus:

Gedächtnis, Verhalten, emotionale und vegetative Funktionen

Gyrus cinguli:

vegetative Modulation, psycho- und lokomotorischer Antrieb

Gyrus parahippocampalis mit Area entorhinalis:

Gedächtnis, Zuleitung von Sinnesinformationen zu anderen Teilen des limbischen Systems

Corpus amygdaloideum:

Affektverhalten/Affektmotorik, «emotionales» Lernen, Beeinflussung vegetativer und sexueller Funktionen

Corpus mamillare:

Gedächtnis, Affektverhalten, Beeinflussung von Sexualfunktionen

Damit haben wir in etwa eine Übersicht auch über die anatomische Struktur des Zwischenhirns und des limbischen Systems gewonnen, und es ist wieder an der Zeit, unser «Vokabelheft» weiterzuführen. Deutlich vor Augen halten sollten wir uns freilich die Tatsache, daß sich das Diencephalon in der Evolution gemeinsam mit dem Endhirn stark vergrößert hat und daß es nicht nur tief in dieses eingebettet ist, sondern auch entsprechend intensiv mit ihm verschaltet ist. Die Termini zur anatomischen Beschreibung des Großhirns werden wir im folgenden Abschnitt noch einmal gesondert besprechen und zusammenstellen. Vorerst lohnt es, die untenstehenden Worte unserem eigenen Langzeitgedächtnis einzuprägen.

c) Vokabeln zu Zwischenhirn und limbischem System Zunächst ist es nützlich, weiter Griechisch zu lernen. So wie für Physiker die Kenntnis der Groß- und Kleinbuchstaben des griechischen Alphabets unerläßlich ist, um ihre historisch gewachsene Formelsprache zu verstehen, so ist es für Anatomen von Vorteil, sich die Bedeutung der griechischen Präfixe zur Lokalisierung von Dingen und Tätigkeiten zu merken. Vorgekommen bisher sind:

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Lagebezeichnungen griech.: diá

= lat.: inter

griech.: en

= lat.: in

zwischen in

griech.: entós

= lat.: intra

innerhalb

griech.: epí

= lat.: supra, apud

auf, oberhalb, bei

griech.: hypó

= lat.: sub

unter, unterhalb

griech.: pará

= lat.: iuxta, apud

bei, vorbei, neben

griech.: perí

= lat.: circum

um, herum

das Diencephalon

griech.: diá – zwischen, der enképhalos – Gehirn

Zwischenhirn

das Prosencephalon

griech.: próso¯ = porro¯ – nach vorn hin, der enképhalos – Gehirn

Vorderhirn, bestehend aus Telencephalon (Endhirn) und Diencephalon

der Epithalamus

griech.: der auf dem Ehebett (dem Thalamus) befindliche Hirnabschnitt

besteht im wesentlichen aus Epiphyse und Habenula

die Epiphyse, auch das Corpus pineale oder die Glandula pinealis genannt

griech.: auf dem (Zwischen) Hirn(Dach); lat.: das corpus – Körper, die glandula – kleine Eichel, pinealis – pinienzapfenähnlich; der Pinienzapfen-Körper

Zirbeldrüse; Teil des Epithalamus; gehört nicht eigentlich zum Gehirn; Struktur mit der höchsten Serotoninkonzentration; wandelt Serotonin in Melatonin um; Tag- und Nacht-Rhythmus; Schlafrhythmus; beeinflußt die Aktivität der weiblichen Keimdrüsen; Hautpigmentierung

die Habenula

lat.: der kleine Zügel

Teil des Epithalamus; Schaltsystem für olfaktorische Informationen

der Thalamus

griech.: das Ehebett

große Ansammlung von Kernen vor und über dem Mittelhirn; übergeordnete Schaltstelle der wichtigsten sensorischen Nervenbahnen, die zur Großhirnrinde ziehen; Faserverbindungen zur Großhirnrinde und zum Hirnstamm; verarbeitet fast alle Informationen, die vom ZNS zur Großhirnrinde ziehen; kontrolliert Wachheit und die emotionalen Aspekte von Empfindungen

dorsaler Thalamus

lat.: das dorsum – Rücken

oberer Thalamus; Ein- und Ausgangstor der Großhirnrinde; über das thalamocorticale System mit der Hirnrinde verbunden; Umschalttor vieler sensorischer Nervenbahnen von Auge, Ohr, Gleichgewichtsorgan, Haut und Muskeln zur Hirnrinde; entscheidet über Vigilanz und Aufmerksamkeit

Zwischenhirn und limbisches System

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das Pulvinar

lat.: das Götterpolster, Kissen zum dorsalen Thalamus gehörend; größte thalamische Kerngruppe; Verbindungen zu sekundären Rindenfeldern des visuellen und auditorischen Systems; verbunden auch mit Sprache und symbolischem Denken; integrative somatosensorische Prozesse

das Corpus geniculatum laterale

lat.: das genu – Knie; geniculatum – knotig; der seitliche Kniehöcker

zum dorsalen Thalamus gehörend; Umschaltstelle der Informationen vom Sehnerv auf die Sehrinde

das Corpus geniculatum mediale

lat.: der mittlere Kniehöcker

zum dorsalen Thalamus gehörend; Relaiskern des akustischen Systems

der Nucleus ventralis posteromedialis

lat.: der untere hintere mittlere Kern des dorsalen Thalamus; somatoKern sensorische Repräsentation des Gesichtes

der Nucleus ventralis posterior

lat.: der untere hintere Kern

Kern des dorsalen Thalamus; somatosensorische Repräsentation des Körpers (außer des Gesichtes)

der Nucleus latera- lat.: der seitliche hintere Kern lis posterior

Kern des dorsalen Thalamus; Verbindung mit den Assoziationsfeldern im Parietalcortex

der Nucleus anterior

lat.: der vordere Kern

Kern des dorsalen Thalamus; gehört zum limbischen System

der Nucleus lateralis dorsalis

lat.: der seitliche obere Kern

Kern des dorsalen Thalamus; unterhält Verbindungen zum limbischen Cortex

der Nucleus ventralis lateralis

lat.: der untere seitliche Kern

zum dorsalen Thalamus gehörend; motorischer Kern; unterhält Verbindungen zum Motocortex (Gyrus praecentralis)

der Nucleus ventralis anterior

lat.: der unter vordere Kern

zum dorsalen Thalamus gehörend; motorischer Kern; steht in Verbindung mit der extrapyramidalen Motorik

der Nucleus medialis

lat.: der mittlere Kern

unspezifisches Kerngebiet des dorsalen Thalamus; zu ihm gehören der Nucleus mediodorsalis und der Nucleus centromedianus; hat mit Emotion, Motivation, Bewußtsein und Aktivierung zu tun

der ventrale Thalamus, auch Subthalamus

lat./griech.: das untere Ehebett

im Dienste der Motorik stehend

der Nucleus subthalamicus

lat./griech.: der unter dem Thalamus liegende Kern

Kern des ventralen Thalamus; zu den Basalganglien gehörend

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

der Hypothalamus

griech.: unter dem Ehebett

das «Gehirn des Gehirns»; Gruppe von kleinen Kernregionen zwischen Mittelhirn und Thalamus; das höchste Regulationszentrum des autonomen Nervensystems; für emotionale und motivationale Zustände höchst bedeutsam; Steuerung der vegetativen Funktionen; innerviert die unmittelbar benachbarte Hypophyse; regelt über die Hypophyse die Abgabe bestimmter Hormone

das Corpus mamillare

lat.: der busenförmige Körper

Mamillarkörper; Kern des Hypothalamus; Gedächtnis; beeinflußt Sexualfunktionen; Affektverhalten; erhält Afferenzen aus dem Hippocampus; projiziert in den Thalamus

der Globus pallidus, kurz: Pallidum

lat.: die bleiche Kugel

Kern des Hypothalamus; zu den Basalganglien gehörend

die Hypophyse

griech.: unter dem (Gehirn-) Organ

Hirnanhangdrüse; unter der Kontrolle der Hormone des Hypothalamus das Kontrollorgan zahlreicher Körperfunktionen (insbesondere Sexualität sowie Flucht und Angriff); Ausschüttung der Hypophysenhormone; Vorder- und Hinterlappen

die Adenohypophyse

griech.: der ade¯n – Drüse

Hypophysenvorderlappen; Zentrum der «Streßachse»; Abgabe von Wachstumshormonen und gonadotropen Hormonen

die Neurohypophyse

griech.: das neúron – Nerv

Hypophysenhinterlappen; Regulation von Wasserausscheidung, Gebärmutterkontraktion, Milchsekretion

das Chiasma opticum

griech.: das chiásma – Kreu- Sehnervenkreuzung, an der Hirnbasis zung; lat.: opticus – zum Auge gelegen gehörend, die Sehbahn betreffend

das limbische System

lat.: der limbus – Saum, Bordüre

wesentlich für Emotion und Motivation

der limbische Cortex

lat.: der limbus – Saum; der cortex – Rinde

aus Gyrus cinguli, Gyrus parahippocampalis, Area entorhinalis, Hippocampus, Gyrus dentatus und Subiculum bestehend; für Gefühle und Gedächtnis von entscheidender Bedeutung; enge Verbindungen mit dem präfrontalen Cortex; Berücksichtigung der mittel- und längerfristigen Konsequenzen unseres Handelns; Verhaltenssteuerung und Impulskontrolle

Zwischenhirn und limbisches System

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der Gyrus cinguli

lat.: die Windung des «Gürtels» (= um den Balken herum)

eine Struktur im Großhirn, oberhalb des Balkens gelegen; vegetative Modulation; psycho- und lokomotorischer Antrieb; längerfristige Verhaltenssteuerung und Impulskontrolle; Träger von Opiatrezeptoren

der Gyrus parahippocampalis

lat.: die Windung; griech.: am Hippocampus vorbei

Gedächtnis; Zuleitung von Sinnesinformationen zu anderen Teilen des limbischen Systems; Träger von Opiatrezeptoren; vorne in einem frontalwärts konvexen Bogen nach hinten umgeschlagen – der uncus – lat.: der Haken

die Area entorhinalis, auch entorhinaler Cortex genannt

lat.: die area – Feld, Region; griech.: entós – innen, inwendig; die rhis – Nase; die innerhalb des Riechhirns gelegene Region oder Rinde

liegt innerhalb des Gyrus parahippocampalis; vielfältige neocorticale Afferenzen, direkte Zuleitungen aber nur aus dem olfaktorischen System; cholinerge, serotonerge und catecholaminerge Afferenzen aus dem medialen Septum und dem Hirnstamm; efferente Faserverbindungen zur Amygdala, zum Nucleus accumbens und zum Hippocampus

der Hippocampus

griech.: das Seepferdchen

zum Telencephalon gehörend; im Temporallappen liegendes Rindenband bestehend aus Gyrus dentatus, Subiculum und Cornu ammonis; entscheidend für die Bildung des Langzeitgedächtnisses; emotionale und vegetative Funktionen; bekommt über die Area entorhinalis Afferenzen aus Riechhirn, Amygdala und Neocortex

der Gyrus dentatus lat.: die gezähnte Windung

Teil des Hippocampus; über Moosfasern Verbindung zum Ammonshorn; wichtigstes afferentes System des Hippocampus

das Subiculum

lat.: die kleine Unterlage

wichtige Relaisstation für die Verbindungen des Hippocampus zur Area entorhinalis und damit zu einer Reihe von corticalen und subcorticalen Strukturen; Großteil des efferenten Systems des Hippocampus

das Cornu ammonis, auch Hippocampus proprius genannt

lat.: Ammonshorn (CA), auch entscheidend für Lernvorgänge und der eigentliche Hippocampus Gedächtnis; läßt sich unterteilen in die genannt Regionen CA 1 bis CA 4

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

limbische Kerngebiete und Fornix die Area septalis, kurz Septum genannt

lat.: die area – Feld, Region; das septum – Scheidewand zwischen den Vorderhörnern beider Seitenventrikel; diese Scheidewand geht in das Septumkerngebiet über

das Septum; im Telencephalon zwischen Balken und Fornix gelegen; enthält acetylcholinerge Nervenzellen

der Fornix

lat.: die Wölbung, der Bogen

großes Nervenfaserbündel; unmittelbar unter dem Balken gelegen; führt bogenförmig vom Hypothalamus aufwärts zum Hippocampus; verbindet Teile des limbischen Systems (z. B. Hippocampus und Area septalis); zieht zum Corpus mamillare

das Corpus amygdaloideum, kurz: Amygdala

lat./griech.: der mandelartige Körper; der Mandelkern

gehört zum Telencephalon; zentrales Organ des Seelenlebens; Affektverhalten und Affektmotorik; Steuerung von angeborenem Furcht- und Verteidigungsverhalten; interpretiert eine Situation als angstauslösend oder beruhigend; emotionale Koordinierung, «emotionales» Lernen; Beeinflussung vegetativer und sexueller Funktionen

corticomediale Amygdala, auch oberflächliche Kerngruppe der Amygdala genannt

lat.: der cortex – Rinde; das medium – Mitte

Verarbeitungszentrum von Pheromonen und Gerüchen; Nähe zum Bulbus olfactorius

Zentralkern der Amygdala, auch zentromediale Kerngruppe der Amygdala genannt

regelt gemeinsam mit dem Hypothalamus die vegetativen und affektiven Reaktionen; Streß und Streßverhalten; die Outputzone zu autonomen endokrinen und motorischen Reaktionen

die basolaterale Amygdala

lat.: die untere seitliche Amygdala

Kopplungsstelle von Sinneseindrücken mit der Bewertung nach «gut» und «böse»; Empfangsraum für alle möglichen Signale aus dem somatosensorischen, auditiven und visuellen System; enge Verbindungen mit Hippocampus

der Nucleus accumbens (septi)

lat.: der daneben (neben dem neben der Septumregion; Teil der BasalSeptum) liegende Kern ganglien mit vielen Verbindungen zum limbischen System; gehört zum Striatum ventrale; Teil des Belohnungssystems; für Suchtverhalten entscheidend

das Corpus striatum ventrale, kurz: Striatum ventrale

lat.: der untere Streifenkörper

im wensentlichen aus Nucleus caudatus, Putámen und Nucleus accumbens bestehend; größte subcorticale Struktur des Großhirns; wichtigste subcorticale Schaltstelle des extrapyramidalen Systems; motorische und emotionale Regulation

Zwischenhirn und limbisches System

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der Nucleus caudatus

lat.: der schwanzförmige Kern c-förmig gebogene Ansammlung von grauer Substanz; läuft an beiden Seiten der Amygdala aus; Teil des Striatum

das Putámen

lat.: die Schale

Teil des Striatum; motorische und emotionale Regulation

der Nucleus anterior

lat.: der vordere Kern (des Thalamus)

thalamischer Kern; Teil des limbischen Systems

der Nucleus intralaminaris

lat.: intra – innerhalb, die lamina – Platte, Blatt, Schicht; der Kern innerhalb der Schicht

thalamischer Kern; Teil des limbischen Systems

das Corpus mamillare

lat.: der busenförmige Körper

Mamillarkörper; Kern des Hypothalamus; Gedächtnis; beeinflußt Sexualfunktionen; Affektverhalten; erhält Afferenzen aus dem Hippocampus; projiziert in den Thalamus

der Nucleus interpeduncularis

lat.: der zwischen den Stielen gelegene Kern

Mittelhirnkern; an der Unterseite des Tegmentum gelegen; steht mit verschiedenen Kernen der Formatio reticularis in Verbindung; Teil des limbischen Systems

der Nucleus tegmentalis posterior dorsalis

lat.: der hintere obere zum Tegmentum gehörende Kern

limbisches Kerngebiet im Mittelhirn

die unterste Ebene des limbischen Systems (Ebene der vegetativen Kontrolle)

bestehend aus: Ventralem Tegmentalem Areal (VTA), Zentralem Höhlengrau, Hypothalamus, Amygdala und mesolimbischem System (VTA, ventrales Striatum mit Nucleus accumbens)

kontrolliert die vegetativen Zentren des Hirnstamms und damit die lebenerhaltenden Funktionen; mesolimbisches System: Bewertungs- und Belohnungszentrum; Bereich der Gefühle

die mittlere Ebene des limbischen Systems

Amygdala; enge Verbindungen zum Hippocampus

Bereich der Gefühle; Bewertung nach «gut» (lustvoll) und «böse» (leidverursachend); Bewertung der Folgen unserer Verhaltensweisen, die sich in entsprechenden Gefühlen mitteilt

die dritte Ebene des limbischen Systems

limbischer Assoziationscortex; bestehend aus: orbitofrontalem Cortex, Gyrus cinguli, Hippocampusregion

im Temporallappen, Parietallappen und Frontallappen; wichtig für Gefühle und Gedächtnis; Verhaltensüberwachung, Impulskontrolle und Fehlerkorrektur

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

4. Das Endhirn

a) Die anatomischen Strukturen im Endhirn Bereits das Striatum, die Amygdala und der Hippocampus gehören zum Telencephalon (zum Endhirn, Großhirn oder Cerebrum); lediglich wegen ihrer funktionalen Verknüpfung mit den Kernen des Hirnstamms bzw. mit dem limbischen System mußten wir die Darstellung dieser subcorticalen Strukturen vorziehen. Auch der Gyrus cinguli liegt im Großhirn, genauer im Übergang zur Großhirnrinde, und umgibt gürtelartig die Zentren im Inneren des Gehirns; dieser cinguläre Cortex, wie man ihn auch nennt, ist gleichfalls ein (neocorticales) Kernstück des limbischen Systems. Wie das gesamte Gehirn ist auch das Endhirn (griech.: das Telencephalon) bei allen Wirbeltieren gleich aufgebaut, indem es sich in die Großhirnrinde (lat.: den Cortex cerebri) und in die von der Hirnrinde umschlossenen Gebiete unterteilen läßt. Die graue Substanz des Endhirns entfällt vor allem auf den Cortex cerebri, ergänzt durch die subcorticalen Kerngebiete. Die weiße Substanz des Großhirns findet sich im Großhirnmark, im Marklager des Endhirns, das sich zwischen dem Cortex, den Kerngebieten des Telencephalon und den Ventrikeln erstreckt; sie enthält zum einen die subcorticalen Kerngebiete – das ist der Bereich der Basalganglien (das Striatum, einschließlich des Nucleus accumbens, sowie der Globus pallidus, der eigentlich zum Zwischenhirn zählt) –, zum anderen bildet sie die markhaltigen Fasersysteme. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 395; 400.)

α) Das Pallium des Endhirns Die graue Substanz des Cortex cerebri bildet mit der nach innen anschließenden weißen Substanz den Endhirnmantel (lat.: das Pallium). Das Pallium wiederum wird unterteilt in den Altmantel (griech./lat.: das Palaeopallium), den Urmantel (griech./lat.: das Archipallium) und den Neumantel (griech./lat.: das Neopallium). Diese Namengebungen klingen so, als beschrieben sie evolutiv unterschiedliche Abfolgen der Hirnentwicklung. Doch dem ist nicht so. «Das Telencephalon (sc. das Endhirn, d. V.) erhält nicht nur Eingänge aus dem Riechepithel . . . Von Anfang an empfängt es auch aufsteigende Bahnen anderer Sin-

Das Endhirn

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nesorgane, besonders der Augen. Es ist also schon bei ursprünglichen Formen nicht nur Riechhirn (sc. wie es in älteren Büchern mitunter dargestellt wird, d. V.). Im Laufe der Stammesgeschichte macht das Endhirn eine auffallende Höherentwicklung durch und wird zum dominierenden Kontroll- und Steuerungsapparat, dessen Assoziationsareale immer größeren Raum einnehmen . . . Das Telencephalon, das bei Amphibien einen besonders ursprünglichen Bau zeigt, ist in das dorsale Pallium und das ventrale Subpallium gegliedert. Das Pallium läßt sich funktionell und oft auch morphologisch in drei Zonen gliedern, das laterale, dorsale und mediale Pallium (entsprechen den Begriffen Palaeo-, Neo- und Archipallium) . . . Das Neopallium enfaltet sich dann bei Säugern stark und drängt die anderen Palliumgebiete ab. Ab der Reptilienstufe kommt es zur Verlagerung der grauen Substanz der pallialen Anteile an die Oberfläche des Gehirns . . . Es entsteht also eine Rinde (Cortex), deren Feinaufbau auch zunehmend komplizierter wird (Palaeocortex, Archicortex, Neocortex).» (volker storch – ulrich welsch: Systematische Zoologie, 514) So haben sich die Basalganglien und alle drei Teile des Palliums nicht nacheinander, sondern gleichzeitig, wenn auch bei den verschiedenen Tierklassen sehr unterschiedlich, entwickelt. (Vgl. gerhard roth – mario f. wullimann: Evolution der Nervensysteme und der Sinnesorgane, in: J. Dudel u. a.: Neurowissenschaft, 24 –26.) Speziell bei den Säugetieren hat das Neopallium sich zu der sechsschichtigen Hirnrinde: dem Neocortex, ausgestaltet, der bei uns Menschen besonders groß geworden ist; er ist aber evolutiv nicht neu («neo»), und deshalb sollte man ihn richtiger als Isocortex (griech./lat.: als gleichartig aufgebaute Rinde) bezeichnen, im Unterschied zum Allocortex (griech.: állos – anders) als Terminus für den «anders» (bzw. verschiedenartig in der Zahl seiner Schichten) strukturierten Palaeo- und Archicortex. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 368.) Näherhin bildet der Palaeocortex (griech.: palaiós – alt) mit seinen Strukturen das Riechhirn (griech.: das Rhinencephalon); zu diesem gehört zum Beispiel der Bulbus olfactorius (lat.: der Riechkolben – ein vorgeschobener Teil des Endhirns), von dem wir schon wissen, daß er enge Verbindungen zur corticomedialen Amygdala unterhält, die selbst ein Teil des Palaeocortex ist und zum Riechsystem gehört. Das olfaktorische Sinnessystem schickt als einziges seine Signale direkt in die Großhirnrinde; alle anderen nehmen den Umweg über den Thalamus. Da die Amygdala diffus auf das limbische System projiziert, vermittelt sie wohl die durch Gerüche ausgelösten Emotionen. Vom Bulbus olfactorius und der primären Riechrinde führen aber bei den Primaten und uns Menschen nur wenige Projektionen über die Amygdala zum entorhinalen Cortex (lat.: Regio

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

oder Area entorhinalis, Teil des Archicortex und Übergangsgebiet zum Isocortex), so daß vom Riechsystem zum Isocortex kaum direkte Verbindungen existieren. Bewußte Geruchswahrnehmungen kommen deshalb wohl nur indirekt zustande über die mediale Kerngruppe des Thalamus. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 225 –227; martin trepel: Neuroanatomie, 201– 202; gerhard roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 60; jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 395.) Zum Archicortex zählt man den Hippocampus mitsamt dem Gyrus parahippocampalis einschließlich der Area entorhinalis, die ebenfalls, wie erläutert, dem limbischen System zugehören. Der limbische Cortex selbst läßt sich als Übergangsareal zwischen Isocortex und Allocortex betrachten. (Vgl. gerhard roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 59 –62; jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 395– 398; 477– 479.)

β) Die markhaltigen Fasersysteme des Endhirns Bisher war nur von den «grauen Zellen» der Hirnrinde – von der grauen Substanz – die Rede; doch nicht zu vergessen bei alledem ist die weiße Substanz: das Großhirnmark. Unter dem Cortex cerebri liegt nämlich, sichtbar als eine weiße Struktur, das markhaltige Fasersystem, das die verschiedenen Anteile des Zentralnervensystems miteinander verbindet und das dem Telencephalon überhaupt erst seine Funktionstüchtigkeit verleiht. Die Masse dieser Fasersysteme ist so etwas wie ein Maßstab für die Organisationshöhe einer Tierart, da sie in der aufsteigenden Säugetierreihe zunimmt. (Vgl. anton waldeyer – anton mayet: Anatomie des Menschen, II 387.) Das Fasersystem besteht 1) aus den Assoziationsfasern, die einzelne Rindenareale innerhalb der gleichen Hirnhälfte (Hemisphäre) miteinander verbinden, 2) aus den Kommissurenfasern, die die beiden Großhirnhälften miteinander verbinden und größtenteils im Corpus callosum (lat.: im rauhen Körper, dem Balken), aber auch in der sogenannten Commissura anterior (lat.: der vorderen Kommissur) verlaufen, und 3) aus den Projektionsfasern, die zum einen Erregungen aus der Umwelt und aus dem Körperinneren in die Hirnrinde projizieren (die corticopetalen Fasern, lat.: petere – eilen, hingehen; zur Rinde strebende Fasern); zum anderen führen Projektionsfasern von der Rinde zur Peripherie (die corticofugalen Fasern, lat.: fugere – fliehen; die Rinde fliehende Fasern). Die corticopetalen Fasern verlaufen in der Hauptsache über den Thalamus; die corticofugalen Fasern umfassen den Tractus corticospinalis (lat.: die Nervenbahn, die vom Cortex zum Rückenmark zieht, auch Pyramidenbahn genannt –

Das Endhirn

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die größte und bedeutendste motorische – das Bewegungssystem betreffende – Bahn; sie ist uns schon bei der Besprechung der Steuerung der Willkürmotorik begegnet – vgl. Abb. A 12), den Tractus corticonuclearis (lat.: die Nervenbahn vom Cortex zu den Kernen, funktionell zur Pyramidenbahn zählend), der vorwiegend im motorischen Cortex und im SMA (im supplementärmotorischen Areal, das uns ebenfalls von der Steuerung der Willkürmotorik her schon bekannt ist) entspringt und zu den Kernen der motorischen Hirnnerven führt, sowie die Bahnen von der Großhirnrinde zum extrapyramidalen System. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 400– 404; 497– 502; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 323 –325.) Bei der Pyramidenbahn liegen die Zellkörper der Nervenzellen überwiegend im motorischen Cortex, und ihre Fortsätze ziehen zu den motorischen Kernbereichen des Hirnstamms und den motorischen Regionen des Rückenmarks hinab; das extrapyramidale System umfaßt alle anderen absteigenden motorischen Bahnen. Die Pyramidenbahn ist, wenn man so will, ein Späterwerb der Evolution und vor allem bei den Säugetieren, insbesondere bei den Primaten, gut entwickelt; kennzeichnend ist es deshalb, daß nur bei den Primaten ein großer Teil der Fasern der Pyramidenbahn monosynaptische (griech.: mónos – ein, einzig; die synápsis – Verbindung, hier zwischen Nervenzellfortsatz und Muskelzelle) Verbindungen mit den Motoneuronen (lat.: den «bewegenden» Nervenzellen) des Rückenmarks ausbildet, so daß dem motorischen Cortex eine unmittelbare Kontrolle über diese Motoneuronen ermöglicht wird. Insbesondere die Experimente von edward vaughan evarts (1926 –1985) haben die Bedeutung der Pyramidenbahn für die Ausführung von Bewegungen mit hoher Geschicklichkeit und Genauigkeit nachhaltig unterstrichen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 309 –312.) Mit diesem Wissen über die anatomischen Grundlagen des Endhirns lassen sich sowohl die schon häufig genannten «allocorticalen» Strukturen, wie wir sie jetzt nennen können, als auch die uns bereits bekannt gewordenen Fasersysteme, zum Beispiel von Balken und Pyramidenbahn, begrifflich genauer zuordnen; doch über den «Isocortex» selbst, mithin über den bei uns Menschen größten und wichtigsten Teil des Telencephalon, haben wir damit noch nichts Neues erfahren. Ergänzen wir also die Darstellung des Endhirns durch die Besprechung der Großhirnrinde.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

b) Die Großhirnrinde α) Äußere Gestalt und funktionelle Gliederung Unsere Unwissenheit ändert sich sofort, wenn wir uns die Zeichnung in Abb. A 25 anschauen, die eine Seitenansicht des Isocortex vermittelt und dabei vor allem die zwischen den zahlreichen Windungen (den Gyri, Plural von lat.: der gyrus – Windung) liegenden Furchen (die tief in das Gehirn hineinreichenden heißen Fissurae, Plural von lat.: die fissura – Furche; die flacheren heißen Sulci, Plural von lat.: der sulcus – Einschnitt) und die vier großen Lappen (Lobi, Plural von lat.: der lobus – Lappen) sichtbar macht. Deutlich trennt die Zentralfurche (lat.: der Sulcus centralis) den Stirnlappen (lat.: den Lobus frontalis) und den Scheitellappen (lat.: den Lobus parietalis) von einander, während die seitliche Furche (lat.: der Sulcus lateralis) bzw. die Fissura Sylvii (nach franciscus sylvius de le boë, 1614 –1672) den Schläfenlappen (lat.: den Lobus temporalis) von der übrigen Hirnrinde trennt; am rückwärtigen Ende des Gehirns liegt der Hinterhauptslappen (lat.: der Lobus occipitalis). Es gibt nur zwei Hirnbereiche, die sich keinem dieser vier Lappen zuordnen lassen: Da ist zum einen der medial an der Großhirnfläche gelegene Gyrus cinguli und zum anderen der tief in die außen liegende Hirnrinde eingesenkte insuläre Cortex (lat.: der Lobus insularis, auch Insula oder Insel genannt; die Inselrinde), der erst sichtbar wird, wenn man die ihn von lateral bedeckenden Anteile des Stirn-, Scheitel- und Schläfenlappens auseinander schiebt. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 188 –189.) Es ist weiter zu erkennen, daß der Isocortex sich unterteilt in eine sensorische Einheit, die den hinteren Teil des Cortex einnimmt und mit der Verarbeitung von Sinnesinformationen beschäftigt ist, und in eine motorische Einheit, die auf dem Frontallappen liegt und Handlungsprogramme organisiert und ausführt. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 143.) Zugleich sind gewisse Felder als die Verarbeitungsregionen bestimmter Wahrnehmungen beziehungsweise als die Kontrollzentren der Bewegung einzelner Körperorgane vorgesehen. So werden Informationen von Haut und Körper zum vorderen Teil des Parietallappens geleitet, nämlich zum primären somatosensorischen (griech./lat.: den Körper wahrnehmenden) Cortex, der hinter der Zentralfurche liegt; vor der Zentralfurche liegt der primäre motorische Cortex, den wir bereits in Abb. A 12 kennengelernt haben, als es darum ging, die Bedeutung der Basalganglien für die Steuerung der Willkürmotorik zu erläutern; visuelle Informationen gelangen auf einem Weg, den wir noch beschrei-

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Abb. A 25: Die wichtigsten Unterteilungen der Großhirnrinde

ben werden, zum Okzipitallappen und dort zum sogenannten primären visuellen Cortex (der Sehrinde, der Area striata – lat.: dem gestreiften Feld, Streifencortex); die akustischen Informationen führen zur Hörrinde, das heißt zum primären auditiven Cortex, der in der Tiefe der Fissura Sylvii verborgen liegt. Wenn wir uns unter diesem Gesichtspunkt noch einmal (parallel zu Abb. A 8) vier verschiedene Säugetiergehirne (von Ratte, Katze, Affe und Mensch) anschauen, wie Abb. A 26 sie darbietet, so können wir bereits anhand der Gehirnareale, die für bestimmte physische Leistungen zuständig sind, auf einen Blick feststellen, warum und wie sehr zum Beispiel unsere Katze uns selber in der Wahrnehmung von Gerüchen, Geräuschen und Gestalten überlegen sein wird; aber auch in der Empfindung des eigenen Körpers und in der Steuerung der Bewegungen zeigen die Größe der somatosensorischen und der motorischen Zentren sowie die relative Größe ihres Cerebellums die Überlegenheit dieses eleganten Nachtjägers. Bei vergleichenden Betrachtungen dieser Art (sei es anhand von Abb. A 8, von Abb. A 23 oder von Abb. A 26) ist immer wieder zu sehen, daß sich bei Affe und Mensch der Frontallappen, aber auch der parietal-temporal-okzipitale Cortex besonders ausgedehnt hat. Diese Größenzunahme betrifft vor allem übergeordnete (sekundäre) Felder, so daß die primären Felder, über die wir bis-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 26: Die sensorischen und motorischen Regionen des Isocortex bei Menschen und Säugetieren im Vergleich

Das Endhirn

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her gesprochen haben, tatsächlich nur einen geringen Teil des Isocortex einnehmen. Primäre Felder heißen sie, weil sie – im Gegensatz zu den übergeordneten Feldern – direkte Projektionen erhalten; sie senden ihrerseits als primäre sensorische Areale Projektionsfasern zu den übergeordneten Feldern und empfangen als primäre motorische Areale Projektionen von ihnen. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw; Neuropsychologie, 46– 47.) Zwischen den übergeordneten (sekundären) Cortexfeldern liegen Assoziationscortices, von denen wir den präfrontalen Assoziationscortex schon kennengelernt haben; diese Assoziationscortices finden sich beim Menschen besonders ausgedehnt, – wir kommen am Ende dieses Kapitels noch in aller Ausführlichkeit darauf zu sprechen. (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 355 –358.) Abschließend seien noch einmal die jedem Lappen zugewiesenen Funktionen im Überblick gegeben – als Wegweiser sozusagen für die folgende systematische Besprechung des Isocortex; also: Parietallappen:

somatosensorische Funktionen

Frontallappen:

motorische Funktionen

Okzipitallappen:

visuelle Funktionen

Temporallappen:

auditorische Funktionen

β) Der Parietallappen und seine somatosensorischen Funktionen Das Bild, das wir bisher erhalten haben, vermittelt den Eindruck, als wenn dem Gehirn daran liege, den riesigen Strom von somatosensorischen Erregungen aus dem Körperinneren und die Fülle von motorischen Beantwortungsmöglichkeiten zur eigenen Übersicht in getrennten Arealen, in speziell dafür vorgesehenen Modulen, zu bearbeiten; dieser Eindruck ist richtig, doch waren es erst die Untersuchungen, die vernon benjamin mountcastle (geb. 1918) an den somatosensorischen Arealen des Cortex von Katzen und Affen vornahm, durch welche die Organisation der Großhirnrinde in (säulenartigen) Funktionseinheiten aufgeklärt wurde. Besonders überraschend war die Entdeckung von clinton nathan woolsey (1904 –1993) und edgar douglas adrian (1889 –1977), daß auf dem primären somatosensorischen Cortex die gesamte Körperoberfläche repräsentiert wird. Dabei fällt auf, daß vor allem die Abbildung von Hand und Arm sowie von Lippen, Zähnen und Zunge weit

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 27: Karte der Körperoberfläche auf den somatosensorischen Arealen der Großhirnrinde bei a) Ratte und b) Mensch

mehr Areale der Großhirnrinde beansprucht als etwa von Rumpf oder Eingeweiden. Auf diese Weise entsteht ein «Homunculus», der die «wirklichen» Größenverhältnisse der verschiedenen Körperzonen arg verzerrt, der aber ihrer sensorischen Bedeutsamkeit für die Wahrnehmung der Umwelt bestmöglich entspricht. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 267–268.) Auch der sekundäre somatosensorische Cortex für die interpretative Zuordnung und Erkennung des Ertasteten, der am Rande des Sulcus lateralis (= auch

Das Endhirn

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Fissura Sylvii genannt) liegt, repräsentiert ein Bild der Körperoberfläche. Klar ist, daß diese Körperrepräsentation im somatosensorischen Cortex von Tierart zu Tierart auf spezielle Weise «verzerrt» ausfallen wird: bei einer Katze werden die Schnurrhaare und die Fußballen überrepräsentiert sein, bei einem Klammeraffen der Schwanz, der als fünftes Greiforgan eine besondere Bedeutung besitzt, bei einem Nagetier wird die Mundregion deutlich vergrößert erscheinen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 270; 272 –273; zu den «Homunculi» von Katze, Affe, Kaninchen und Mensch vgl. die Abb. in eric r. kandel – irving kupfermann: Von den Nervenzellen zur Kognition, in: Neurowissenschaften, 335.) Abb. A 27 stellt einmal die «Karte» der Körperoberfläche auf den somatosensorischen Arealen der Großhirnrinde bei einer Ratte (a) und einem Menschen (b) einander gegenüber. Natürlich darf man eine Darstellung wie diese nicht allzu «wörtlich» verstehen; bedenken sollte man zudem, daß die Projektionsbahnen überwiegend gekreuzt verlaufen, so daß die rechte Körperhälfte auf der linken Hemisphäre der Großhirnrinde erscheint und umgekehrt. Auch das Kleinhirn, das alle nur möglichen sensorischen Informationen erhält und im wesentlichen mit der motorischen Steuerung befaßt ist, verfügt en detail über eine somatosensorische Karte der Projektionen von Haut und Körper. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 300; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 410.)

γ) Der Frontallappen und seine motorischen Funktionen Notwendigerweise bedarf auch der motorische Cortex des Großhirns einer solchen Körperkarte. Entdeckt wurde der primäre motorische (bzw. der motorisch-sensorische) Cortex bereits 1871. Damals fanden, wie schon erwähnt, gustav theodor fritsch (1838 –1927) und eduard hitzig (1838 –1907) bei Experimenten mit Hunden heraus, daß sich bei Reizung des vorderen Teils der Großhirnrinde auf der jeweils entgegengesetzten Körperseite bestimmte Bewegungen auslösen lassen. Bei näherer Untersuchung ergab sich, daß auf dem motorischen Cortex bei Mensch und Tier die Bewegungen von Gesicht, Körper und Gliedern vollständig kartiert sind; ja, es zeigte sich, daß der primäre motorische Cortex ein weitgehend getreues Spiegelbild des somatosensorischen Cortex darstellt; gewisse Verzerrungen in der Größe der repräsentierten Körperteile ergeben sich erneut aus der subjektiven Bedeutung der entsprechenden Bewegungsorgane; so sind etwa das Zahnfleisch oder die Genitalien zwar auf dem somatosensorischen Cortex, nicht aber auf dem motorischen Cortex re-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 28: Die Repräsentation der Körperglieder auf den motorischen und somatosensorischen Arealen der Großhirnrinde bei a) Ratte und b) Mensch

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präsentiert; hingegen nehmen Arm und Hand auf dem motorischen Cortex einen noch weit größeren Anteil ein als im somatosensorischen Cortex. Geradezu riesig wirkt entsprechend auch im motorischen Cortex einer Ratte die Repräsentation der Vorderpfote. Abb. A 28 stellt die motorischen und somatosensorischen Felder bei Ratte und Mensch einander gegenüber. Der sekundäre motorische Cortex ist uns unter dem Namen prämotorischer Cortex schon von der Steuerung der Willkürmotorik her bekannt: er besteht aus dem prämotorischen Areal und dem supplementärmotorischen Areal (SMA). In neuerer Zeit wurden zwei weitere sekundäre motorische Areale auf dem Gyrus cinguli entdeckt. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 240; irving kupfermann: Cortext und Kognition, in: Neurowissenschaften, 355.) Wenn man in Abb. A 28 sieht, wie groß bei einer Ratte die Sehrinde und die primäre und sekundäre Hörrinde ausfällt, so erwartet man auch beim Menschen entsprechend gut ausgebildete visuelle Areale und Fähigkeiten, und tatsächlich ist dies der Fall.

δ) Der Okzipitallappen und seine visuellen Funktionen Das primäre visuelle Feld der Großhirnrinde, das auch den Namen Sehrinde oder Area striata trägt, liegt im Okzipitallappen jeder der beiden Hemisphären und ist, wie die Nobelpreisträger für Physiologie und Medizin aus dem Jahre 1981 david hunter hubel (geb. 1926) und torsten nils wiesel (geb. 1924) herausfanden, in Form von vertikalen sechsschichtigen Säulen aufgebaut, wobei verschiedene Zellsäulen zum Beispiel auf Kantenreize mit unterschiedlicher Orientierung ansprechen. Damit ist gemeint, daß diese Zellsäulen auf eine Weise, die wir noch eingehend betrachten werden, als Detektoren für zum Beispiel horizontale Kanten, also etwa für die obere Begrenzung des gerade vorliegenden weißen Blattes Papier, wirken. Der rechte, vertikale Rand des Papierblattes wird entsprechend von einer anderen Zellsäule erkannt, wobei innerhalb einer jeden Zellsäule alle Nervenzellen nur auf Kanten der gleichen Orientierung reagieren, also zum Beispiel nur auf senkrechte Kanten ansprechen. Das Erkennen von Kanten ist ein sehr wesentlicher Bestandteil der visuellen Wahrnehmung, da Kanten die Ausdehnung und Position von Gegenständen in einem Bild sichtbar machen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 254– 256, sowie die ausführliche Darstellung bei john p. j. pinel: Biopsychologie, 180 – 189.) Der Aufbau in vertikalen Säulen aus sechs Schichten (numeriert in römischen Ziffern) ist typisch für den gesamten Isocortex und ist in Abb. A 29 dargestellt.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 29: Die Schichten des Isocortex, dargestellt in drei unterschiedlich gefärbten Hirnschnitten

Jede Schicht besteht aus Zellen einer bestimmten Form, die von oben nach unten so miteinander verknüpft sind, daß sie Säulen mit einem Durchmesser des Bruchteils eines Millimeters bilden. Dieses Aufbauprinzip aus vertikalen Säulen hatte vernon b. mountcastle, wie gesagt, bereits im somatosensorischen Cortex entdeckt; es ist offenbar überall im Isocortex realisiert, so als wäre dieser «ein aus sechs Schichten bestehendes Tuch . . ., mit dem das Gehirn bedeckt ist». (robert ornstein – richard f. thompson: Unser Gehirn: das lebendige Labyrinth, 51) Wie die einzelnen Nervenzellen vor allem in Schicht IV der Rinde des primären visuellen Feldes arbeiten, werden wir noch zu erör-

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Abb. A 30: Sehrindenfelder in einem Affengehirn (VTE bedeutet visuell-temporales Feld, TEO steht für posteriores temporales Feld)

tern haben, wenn wir uns fragen, wie das Gehirn «Sehen» ermöglicht. Vorerst genügt es festzuhalten, daß das primäre visuelle Feld (V 1, der primäre visuelle Cortex oder die Area striata) über eine vollständige Karte der Netzhautfläche des Auges und damit des Gesichtsfeldes verfügt: jeder Lichtfleck auf der Netzhaut führt zu einem entsprechenden Abschnitt (in Schicht IV) des visuellen Feldes. Doch das ist nur erst der Anfang. Insgesamt sind in der Großhirnrinde eines Affen 32 visuelle Felder nachgewiesen (der Einfachheit halber V 1, V 2, V 3 usw. genannt), und beim Menschen sind es wohl noch mehr; sie alle verfügen über eine vollständige Projektion von der Netzhaut und dienen der Weiterverarbeitung von Informationen, die im wesentlichen in V 1 eingegangen sind. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 254; 262.) Was dieser Satz bedeutet, werden wir buchstäblich noch «sehen». Er besagt, daß der allergrößte Teil der Aktivitäten des Gehirns darin besteht, sich mit sich selber zu beschäftigen und sich dabei eine eigene Ansicht von dem zu machen, was wir am Ende als «Wirklichkeit» empfinden. Desgleichen ahnen wir bereits, daß der somatosensorische Cortex die neurale Voraussetzung dafür bietet, bestimmte Wahrnehmungen als dem eigenen Körper zugehörig zu erleben und damit überhaupt so etwas wie eine eigene Körperwelt im Unterschied zu der Welt «draußen» aufbauen zu können; zudem wird der motorische Cortex mit dem Eindruck verknüpft sein, daß «wir selber» die handelnden Subjekte bestimmter Bewegungen dieses «unseres» Körpers seien. So scheint es, als sprächen wir jetzt schon anfanghaft über Zusammenhänge, die später einmal auf so wichtige Fragen Antwort geben können wie: Was ist Wahrheit? Was ist das Ich? Was ist Bewußtsein? Wenn wir uns eine grobschematische Vorstellung von der Lage der Sehrindenfelder machen wollen, so mag Abb. A 30 dabei hilfreich sein. Daß es so viele

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

sekundäre visuelle Felder gibt (in der Abbildung fünf, von V 2 bis V 6; zusätzlich noch die Felder VTE und TEO) hat damit zu tun, daß diese Felder für ganz bestimmte Aspekte des Sehens wie Bewegung, Farbe, Kontrast und Form zuständig sind. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 262; 284.) Am eigentümlichsten, weil am meisten speziell, ist das visuelle Feld der Großhirnrinde, das VTE (visuell-temporales Feld, von manchen Autoren auch TE) genannt wird, weil es auf dem Lobus temporalis (dem Schläfenlappen) liegt. Entdeckt wurde das Feld VTE im Jahre 1972 durch reinen Zufall: charles gordon gross (geb. 1936) und sein Team hatten bei einem Affen die Reaktion von Nervenzellen in diesem Areal auf alle möglichen Reize: Berührungen, Geräusche, Lichtreflexe, untersucht und so gut wie nichts gefunden; am Ende hob einer der Experimentatoren beim Herausgehen vor dem Auge des Affen die Hand und winkte, und plötzlich reagierte die untersuchte Nervenzelle sehr heftig – am intensivsten, wie sich schließlich zeigte, auf eine erhobene Hand in Form einer Affenhand. Andere Nervenzellen im Feld VTE reagieren sehr selektiv auf Affengesichter. (richard f. thompson: Das Gehirn, 266.) Es scheint im Gehirn also nicht nur festgelegt, wie wir sehen, sondern in gewissem Sinne auch, was wir sehen sollen, weil es für uns «wichtig» ist.

ε) Der Temporallappen und seine auditorischen Funktionen Eine andere Wahrnehmung, die das menschliche Gehirn sich selber ermöglicht, ist das Hören. Die neuronalen Mechanismen, die dazu nötig sind, erweisen sich als noch weit komplizierter denn die Vorgänge beim Sehen. Der primäre auditive Cortex (die Hörrinde) befindet sich tief verborgen in der Fissura Sylvii, wie Abb. A 25 verdeutlicht. Auch die Hörrinde ist ein Konglomerat verschiedener Felder, zusammengesetzt aus Tausenden von Zellsäulen, die, wie die Felder der Sehrinde, der Analyse spezifischer Informationen dienen. Ehe die Hörinformation allerdings die Hörrinde erreicht, wird sie auf einem komplizierten Wege vorverarbeitet. Während der Sehnerv des Menschen aus rund einer Million Fasern besteht, weist jeder Hörnerv nur etwa 28 000 Fasern auf; trotzdem kann das Ohr anhand von Frequenz und Intensität etwa 340 000 Einzeltöne unterscheiden, was in etwa auch der Anzahl unterscheidbarer Sehreize entspricht. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 275.) Das ist möglich infolge der erstaunlichen Art und Weise, in der das Gehirn es gelernt hat, Schallwellen zu interpretieren. Unter Zuhilfenahme von Abb. A 31, die eine schematische Darstellung des Ohres bietet, läßt sich dieser Vorgang folgendermaßen beschreiben.

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Abb. A 31: Das menschliche Ohr

Über den äußeren Gehörgang gelangt eine Schallwelle (1) an das Trommelfell (2) (lat.: die Membrana tympani). Die Schwingung des Trommelfells wird über die drei Gehörknöchelchen des Mittelohres (lat.: die Ossicula auditoria), nämlich den Maleus – lat.: den Hammer (3), den Incus – lat.: den Amboß (4) und den Stapes – mittellat.: den Steigbügel (5), auf die Membran des ovalen Fensters (6) übertragen. Ein Verlust der Gehörknöchelchen, zum Beispiel durch eine der sehr häufigen eitrigen Mittelohrentzündungen, hat eine fast vollständige Reflexion der Schallenergie am ovalen Fenster mit entsprechender Schwerhörigkeit zur Folge. Die Membran des ovalen Fensters (auch Vorhoffenster – lat.: Fenestra vestibuli – genannt) sitzt auf der mit Flüssigkeit (griech.: Perilymphe) gefüllten knöchernen Schnecke (lat.: auf der Cochlea), so daß die Schwingungen der Luft im äußeren Gehörgang jetzt zu Schwingungen der Perilymphe im Innenohr führen. «Von außen kommender Druck wird . . . unter 22facher Verstärkung . . . auf die Perilymphe übertragen . . . Die Druckverstärkung ist notwendig, um die Schwingungen des Trommelfells in wirksame Flüssigkeits-

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bewegungen umzuwandeln.» (jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 604) Näherhin wird der Schall zuerst in den Vorhof des Innenohres (7) (lat.: in das Vestibulum) und dann auf die Scala vestibuli (8) (lat.: die Treppe des Vorhofs) der Schnecke weitergeleitet. Über die Scala media (9) (lat.: die mittlere Treppe) werden die Schallwellen anschließend auf die Scala tympani (10) (lat.: die Treppe der Trommel) übertragen und von dort zum runden Fenster, auch Schneckenfenster (lat.: Fenestra cochleae) geheißen. Die Membran im runden Fenster (11) gibt den Schwingungen zum Mittelohr hin nach und ermöglicht so als Druckausgleich allererst, daß die Perilymphe «richtig» schwingen kann. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 315– 320.) All das bereits ist staunenswert, doch ist im Grunde bei all dem noch nicht mehr geschehen, als daß Luftbewegungen in Wasserbewegungen umgewandelt wurden; wie aber soll es möglich sein, aus der Art dieser Bewegungen die Tonhöhen und die Lautstärke von Tönen abzuleiten? Es war der ungarische Anatom georg von békésy (1899 –1972), der die Antwort fand und dafür im Jahre 1961 mit dem Nobelpreis belohnt wurde. Die Schnecke ist von einer Basilarmembran (lat.: Lamina basilaris) durchzogen, die den rezeptorischen Apparat, das sogenannte corti-Organ (nach marchese alfonso giacomo gaspare de corti, 1822 –1876), das Organum spirale (lat.: das spiralenförmige Organ), mit den Haarzellen trägt. Schwingungen in der Perilymphe führen zu Schwingungen in dieser Basilarmembran – zu «Wanderwellen». békésy nun zeigte, daß eine Schallwelle von bestimmter Frequenz in der Cochlea Wanderwellen verursacht, die zu der maximalen Ausbuchtung eines der jeweiligen Frequenz entsprechenden Bezirks der Basilarmembran führen. Sobald sich die steife Basilarmembran biegt, werden die Haarzellrezeptoren ausgelenkt und aktiviert. Es ist also der Ort der Haarzellrezeptoren in der Cochlea, der die Frequenzen der Schallwellen in etwas übersetzt, das das Gehirn als Tonhöhe interpretiert. (Vgl. werner kahle: Taschenatlas der Anatomie, Bd. 3: Nervensystem und Sinnesorgane, 370; richard f. thompson: Das Gehirn, 278.) Aus der Mechanik von Schallschwingungen entsteht mithin über ein räumliches Verteilungsmuster von aktivierten Haarzellrezeptoren auf der Basilarmembran ein elektrisches Erregungsmuster, das sich in die spezifischen Wahrnehmungsunterschiede von Tonhöhen übersetzten läßt. Doch damit nicht genug. Wichtig ist es nicht nur, den Klang (Tonhöhe und Tonstärke) eines Lautes zu vernehmen, es kann lebenentscheidend sein, die Richtung zu erkennen, aus welcher ein Ton kommt, und die Entfernung der

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Abb. A 32: Vereinfachte Darstellung der Hörbahn

Tonquelle abzuschätzen. Die Möglichkeit dazu ist im Säugetiergehirn auf ebenso einfache wie phantastische Weise durch die Verschaltung der Hörbahn realisiert, indem die auditiven Impulse aus der Cochlea jeder Seite bilateral verlaufen. Die aus dem Innenohr kommenden Hörnervenfasern projizieren zuerst auf den Nucleus cochlearis des jeweils zugehörigen Ohres in der Medulla oblongata. Von dort zieht ein Teil der Hörbahnnervenfasern auf der ipsilateralen (lat.: auf der gleichen Seite liegenden) Körperhälfte direkt nach oben ins Gehirn. Der größte Teil aber verläuft als dickes Faserbündel (als das Corpus trapezoideum – lat.: der trapezförmige Körper) zur anderen Körperseite. In das Corpus trapezoideum sind wiederum Kerne eingefügt, in denen die meisten Hörbahnfasern zum zweiten Mal verschaltet werden. Die Verschaltung im Nucleus olivaris superior (lat.: im oberen olivenförmigen Kern) zum Beispiel ist für das Richtungshören wichtig. Die Nervenzellen der Oliva superior (lat.: der oberen Olive, auch Olivenkomplex genannt) weisen zwei große Dendriten (griech.: die kleinen Bäumchen, von das déndron – Baum; die baumartig verästelten reizempfangenden Fortsätze einer Nervenzelle) auf, die sowohl auf den rechten wie auf den linken Nucleus cochlearis ausgerichtet sind. Oberhalb der Ebene der Nuclei cochleares ist das Hörsystem also bilateral. Die Hörbahnen verlaufen demnach sowohl gekreuzt als auch ungekreuzt; jede Seite des

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Gehirns erhält folglich Informationen aus beiden Ohren. Da die Schallwellen die beiden Ohren zu geringfügig versetzten Zeiten und mit leicht unterschiedlicher Lautstärke erreichen, können die Nervenzellen im Olivenkomplex diese Differenzen registrieren, und das bis in den Bereich von Mikrosekunden hinein. Die wichtigste Bahn des Hörsystems verläuft anschließend zu der Vierhügelplatte im Tectum (lat.: im Dach) des Mittelhirns – genauer zu den zwei unteren Hügeln (lat.: den Colliculi inferiores); von da aus führt der Weg zu den Kerngebieten des medialen Kniehöckers (lat.: zum Corpus geniculatum mediale) im Thalamus und von dieser diencephalen Schaltstelle weiter zur Hörregion der Großhirnrinde. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 280– 281; martin trepel: Neuroanatomie, 228 –230.) Abb. A 32 versucht, schematisch vereinfacht die Hörbahn wiederzugeben. Entscheidend ist, daß auf der etwa 8 mm2 großen primären Hörrinde (vgl. anton waldeyer – anton mayet: Anatomie des Menschen, II 385) die Rezeptoroberfläche, mithin die Haarzellen auf der Basilarmembran, ähnlich kartiert ist, wie die Körperglieder auf dem somatosensorischen Cortex. Entsprechend dem Säulenaufbau des Isocortex gibt es in der auditiven Hörrinde der Primaten offenbar Zellsäulen, die selektiv auf Tonfrequenzen ansprechen und als Tonhöhendetektoren fungieren; ähnlich den sekundären visuellen Feldern für die Zuordnung und erkennende Verarbeitung des Gesehenen gibt es besonders beim Menschen mindestens ebenso komplexe sekundäre auditive Felder, die imstande sind, aus Tönen Laute zu abstrahieren, mit denen sich Sprechen und Sprache formen läßt. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 230 –231.)

c) Arbeitsweise und funktionale Organisationsprinzipien im Isocortex α) brodmann-Areale Was wir bisher von der Unterteilung des Isocortex in primäre und übergeordnete Felder kennengelernt haben, entspricht dem Modell von einer einfachen hierarchischen Organisation desselben in funktionalen Ebenen, und diese Auffassung hat sich bis Ende der 60er Jahre des 20. Jhs. gehalten. Weiterhin hörten wir von der vertikalen Organisation, nach der alles im Isocortex in funktionalen Zellsäulen aufgebaut ist, die nach Art von Modulen bestimmte Verarbeitungsprogramme ausführen. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsy-

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Abb. A 33: Cytoarchitektonische Rindenfelder nach korbinian brodmann, oben: laterale Großhirnrinde, unten: mediale Großhirnrinde

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chologie, 143–149.) Was also lag näher, als den Isocortex anhand funktionaler und anatomischer Kriterien zu kartieren und die gesamte Hirnrinde nach Regionen abzusuchen, die für bestimmte Aufgaben zuständig sind? Der bemerkenswerteste dieser Versuche stammt von korbinian brodmann (1868 – 1918), der rein anatomisch, nur auf Grund der unterschiedlichen Größe der Zellkörper und der Dichte der Zellen im Cortex, rein «cytoarchitektonisch» also, zu Beginn des 20. Jhs. die Hirnrinde in 52 Felder (die Areale oder lat.: Areae 1– 52) eingeteilt hat, um so funktionell definierte Bereiche auffinden zu können. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 47– 48; 135.) Die Darstellungen in Abb. A 33 zeigen die Rindenfelder, wie brodmann sie bestimmt hat, – die brodmann-Karte ist die gebräuchlichste aller cytoarchitektonischen Karten. Und nun lassen sich tatsächlich diesen Rindenfeldern, ganz wie den somatosensorischen und motorischen Feldern sowie den Seh- und Hörzentren, eine Vielzahl spezifischer Funktionen zuordnen. Da ist vornan der schon erwähnte orbitofrontale Cortex, der von den Halbaffen zum Menschen sich immer weiter entwickelt hat; wir hörten schon, daß er auch beim Menschen erst mit etwa 18 Jahren ausgereift ist. In den Feldern des mittleren Stirnhirns (9–10 und 45 –47) sind die Antriebsleistungen lokalisiert, während die Felder der medialen Orbitalwindungen (24 und 32) sowie der vordere Teil des Gyrus cinguli (33) eine Reihe vegetativer Funktionen und Affekte kontrollieren. (Vgl. a. waldeyer – a. mayet: Anatomie des Menschen, II 385.) Sehr zugespitzt gesagt, läßt sich der präfrontale Cortex, hier vor allem der orbitofrontale Cortex, als das Zentrum der ethischen Gefühle betrachten. Veränderungen dort können – wie bei Phineas P. Gage – Freude an anstößigen Witzen und Verlust des Schamgefühls verursachen; eine präfrontale Fehlsteuerung kann auch zu affektiv gefärbten Psychosen, zu progressiven Zwangsneurosen und zu chronischer Schizophrenie führen. Und so geht es Schritt für Schritt weiter. In der ersten Schläfenwindung scheint sich ein Gleichgewichtszentrum zu befinden. – In das Feld 6 verlegt man die kinästhetischen Erinnerungsbilder früherer Bewegungsabläufe, aber auch die Engramme über die Stellung der einzelnen Gelenke. (Vgl. a. waldeyer – a. mayet: Anatomie des Menschen, II 384.) – Im Gyrus frontalis superior (in den Areae 6, 8, 9 und 10) findet sich der Sitz zusammengesetzter, komplizierter Bewegungsabläufe von Kopf, Rumpf und Augen usw. Abb. A 34 gibt eine sogenannte Funktionskarte des Isocortex wieder. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 538 –539.)

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Abb. A 34: Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde, oben: laterale Großhirnrinde, unten: mediale Großhirnrinde

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Diese Darstellung könnte zu der Meinung verführen, das Gehirn setze sich aus einer Vielzahl von separaten «Zentren» zusammen, in denen die gestellten Aufgaben je für sich erledigt würden, und als den gesuchten «Sitz» der Seele dürfe man (wenn schon nicht mehr die Ventrikel oder die Epiphyse) neuerdings etwa die Felder 10, 11 und 47 der Großhirnrinde betrachten. Eine solche Ansicht aber wäre völlig falsch. Denn gerade wegen der hierarchischen Arbeitsweise des Isocortex existieren sehr viele parallele Verschaltungen mit jeweils separaten Funktionen. Es ist nur selten der Fall, daß wir selber wissen, was sich in unserem Gehirn abspielt, doch es ist nur sehr selten die Leistung eines einzelnen lokalen Moduls; meist ist es ein Vorgang, der mehrere, oft viele Hirnareale gleichzeitig beschäftigt. Nicht eine zentrale Steuerung, sondern eben ein verteiltes hierarchisches System aus Parallelverarbeitung und Vernetzung bestimmt die Funktionsweise der Großhirnrinde (zum Modell der verteilten hierarchischen Verarbeitung vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 144 –148); das Bewußtsein, das Ich, in dem wir uns selber als eine zentrale Steuereinheit erleben, ist allem Anschein nach selbst eine Vorstellung, die aus einer Zusammenschaltung verschiedener neuronaler Aktivitäten hervorgeht . . .

β) Die Arbeitsweise des Isocortex am Beispiel der Spracherzeugung Um uns die Funktionsweise dieses verteilten hierarchischen Systems aus Parallelverarbeitung und Vernetzung im einzelnen zu veranschaulichen, nehmen wir nur einmal das Beispiel der menschlichen Sprache. Abb. A 35 gibt eine Übersicht über die Gehirnregionen, die für unsere Fähigkeit, zu sprechen und Sprache zu verstehen, am wichtigsten sind. Da Sprachstörungen in der Regel nur bei Schädigungen in der linken Hirnhälfte auftreten, ist davon auszugehen, daß die Sprachregionen in dieser Hemisphäre liegen. Alles beginnt damit, daß ein Kind zunächst scheinbar beliebige Laute von sich gibt, die ihm doch helfen, nach und nach die Laute zu wiederholen, die ihm vorgesagt werden, – das heißt, es lernt, mit Hilfe des brocaschen Sprachzentrums (also der motorischen Sprachregion im linken frontalen Cortex – genauer: im linken Assoziationscortex des Frontalhirns die Areae 44 und 45) Bewegungskombinationen der Muskeln auszuführen, die bei den jeweiligen Lautbildungen erforderlich sind; inzwischen hat sich gezeigt, daß nicht nur das brocasche Zentrum, sondern auch die umliegenden Gebiete des Gyrus frontalis inferior (lat.: der vorderen unteren Windung) zum motorischen Sprachzentrum gehören. (Vgl. klaus poeck: Sprache im Gehirn eng lokalisier-

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Abb. A 35: Die Lage der wichtigsten an der menschlichen Sprache beteiligten Gehirnregionen

bar?, in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier: Kopf oder Computer, 4/1997, 34 –40; martin trepel: Neuroanatomie, 217.) Der Impuls geht dabei von der primären Hörrinde zum brocaschen Zentrum der am Sprechen beteiligten Muskeln und dann zum Tractus corticonuclearis (der Bahn, die vorwiegend im motorischen Cortex, also den Areae 4 und 6 des Gyrus praecentralis entspringt und großenteils bilateral zu den somatomotorischen Hirnnervenkernen führt). Zugleich lernt das Kind manches verstehen, was es noch nicht nachzusprechen vermag; es kommt zu Verbindungen zwischen der primären (Areae 41 und 42) und der sekundären Hörrinde, vor allem dem wernickeschen Zentrum (Area 22, nach carl wernicke, 1848–1905), jenem Bereich, in dem eine interpretative Verarbeitung des Gehörten stattfindet und die Laute als Wörter erkannt werden. (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 355; jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 540; martin trepel: Neuroanatomie, 230– 231.) Indem dieses Zentrum der Wortklangbilder mit dem brocaschen Zentrum verbunden wird, lernt das Kind, allmählich selbst zu sprechen, also die Wortklangbilder nach-

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Abb. A 36: Schaltkreise, die zum Nachsprechen eines gehörten Wortes erforderlich sind

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zuahmen. Dabei sollten wir uns das brocasche und das wernickesche Sprachzentrum «als Teile eines komplexen Netzwerks» mit entsprechender Parallelverarbeitung denken (auch wenn wir sie der Übersichtlichkeit wegen manchmal «als voneinander unabhängige Sprachzentren» darstellen). (eric r. kandel: Sprache, in: Neurowissenschaften, 658; vgl. auch john p. j. pinel: Biopsychologie, 476.) Noch einen Schritt weiter lernt das Kind, die Worterinnerungsbilder mit den optischen und taktilen Erinnerungsbildern von gesehenen und gefühlten Körperteilen, Personen und Gegenständen zu einem Begriff zu verbinden. Dazu müssen die Assoziationsbahnen zwischen den sensorischen, optischen und akustischen Zentren aktiviert werden. Zudem muß ein Weg von den Erinnerungszentren zum Begriffszentrum im Stirnhirn gebahnt werden. «Die Worte erhalten einen Sinn, werden ein Begriff. Das Sprechen wird zur Sprache.» (a. waldeyer – a. mayet: Anatomie des Menschen, II 387) Abb. A 36 veranschaulicht zusammenhängend die neurologischen Schaltkreise, die zum Nachsprechen eines gehörten Wortes erforderlich sind. Der akustische Reiz gelangt, wie man sieht, über Innenohr (1), Hirnstamm (2) und Hörbahn (3) zur primären Hörrinde (4), wo er zum Bewußtsein kommt; anschließend wird er an das wernicke-Zentrum (die sekundäre Hörrinde) weitergeleitet (5), wo die akustischen Impulse als gesprochenes Wort verstanden werden. Über den Fasciculus arcuatus (lat.: der fasciculus – kleines Nervenfaserbündel, arcuatus – bogenförmig; über das gebogene Nervenfaserbündel bzw. über die Fibrae arcuatae cerebri, lat.: die gebogenen Fasern des Großhirns) (6) werden die Impulse dann an das motorische Sprachzentrum (7) weitergegeben, das letztlich initiiert, daß das gehörte Wort nachgesprochen wird, indem die motorischen Impulse fein abgestimmt zum primären motorischen Cortex (11) gelangen, der seinerseits die Gesichts-, Zungen-, Kehlkopfund Atemmuskulatur entsprechend steuert. Vom motorischen Sprachzentrum wird nicht direkt die Sprachmuskulatur aktiviert, sondern es wird die Sprache zuerst in Wort und Satzbau geformt. Die Aktivierung der Muskeln erfolgt danach über zwei Wege: einerseits über Kleinhirn (8) und Thalamus (10), andererseits parallel über Basalganglien (9) und Thalamus (10). (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 231– 233; richard f. thompson: Das Gehirn, 452 –453.) All diese anatomischen Details sollten nicht den Blick auf die Bedeutung verstellen, die mit dem Erwerb der Sprachfähigkeit sozial und kulturell gegeben ist. «Man muss sich vor Augen führen», schreibt martin trepel (Neuroanatomie, 231), «welchen ungeheuer hohen Stellenwert die Sprache in unserem täglichen Leben hat . . . Nicht nur die schriftliche oder mündliche Kommunikation mit anderen Menschen ist unverzichtbar damit verknüpft, sondern – fast

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noch bedeutender – der größte Teil unseres Denkens, bis in trivialste Alltagsgedanken hinein, ist an die Sprache als ‹Instrument› . . gebunden.» Noch kompliziertere Vorgänge sind erforderlich, um Lesen und Schreiben zu lernen, doch es lohnt sich, neben dem Sprechen und dem Sprachverstehen auch diese Abläufe beim Sprechen eines gelesenen Wortes, also beim lauten Vorlesen, noch etwas genauer zu betrachten. Das Lesezentrum ist der Gyrus angularis (lat.: die zu einem Winkel gehörende Windung, Area 39), die Schaltstelle zwischen visuellem und sprachlichem Cortex; dort werden nach und nach die optischen Erinnerungsbilder für die Buchstaben, Silben und Worte gesammelt und, kontrolliert durch das optische Erinnerungszentrum, mit Hilfe des brocaschen Sprachzentrums in gesprochene Worte umgesetzt. Beim Schreibenlernen wird das Lesezentrum zusätzlich mit dem kinästhetischen Feld für die Hand- und Fingerbewegungen verbunden, um die notwendigen Bewegungskombinationen beim Schreiben auszuführen. (Vgl. a. waldeyer – a. mayet: Anatomie des Menschen, II 387.) Anfangs wird das Lesen und Schreiben mechanisch eingeübt; erst später wird das Begriffszentrum zugeschaltet, so daß diese Tätigkeiten mit Verständnis durchgeführt werden. Schließlich ist der mechanische Anteil beim Lesen und Schreiben so sehr «in Fleisch und Blut» übergegangen, daß wir keinerlei Aufmerksamkeit mehr auf die Vorgänge selbst zu legen brauchen, sondern uns ganz auf den Inhalt konzentrieren können. Wichtig in unserem Zusammenhang ist die Feststellung, wie vielfältig das Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen sein muß, um scheinbar so einfache Verrichtungen wie den Umgang mit Sprache zu ermöglichen. Da so viele Hirnteile zum Sprechen, Lesen und Schreiben zusammengeschaltet werden müssen, können bei Hirnläsionen spezifische Symptombilder entsprechender funktionaler Störungen entstehen. Bei einer Verletzung des brocaschen Zentrums, etwa durch einen Hirnschlag, kann die Sprachmotorik geschädigt sein, – es kommt zu einer motorischen Aphasie (griech.: a-phasia – Sprachlosigkeit); Schädigungen im wernickeschen Zentrum können zu einer sensorischen Aphasie mit Ausfall des Wort- und Sprachverständnisses führen; eine Läsion der Nervenbahnen zwischen brocaschem und wernickeschem Zentrum verursacht eine sogenannte Leitungsaphasie: Sprachmotorik und Wortverständnis sind in diesem Falle ungestört, ein korrekter Wortgebrauch aber ist gleichwohl nicht möglich – Wortteile gehen verloren, Silben werden ausgelassen. Bei einer Läsion des Gyrus angularis kommt es zu Störungen beim Lesen und Schreiben, da Gesehenes nicht mehr mit dem Begriff in Verbindung gebracht werden kann, so daß Buchstaben, Silben und Worte nicht mehr verstanden werden

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Abb. A 37: Informationsfluß bei lautem Vorlesen

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und statt korrekter Benennungen Umschreibungen verwendet werden müssen. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 218; 231; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 341–344; 348– 349; eric r. kandel: Sprache, in: Neurowissenschaften, 656 –657.) Das subjektive Leid solcher Patienten ist schwer zu ermessen. Da kann ein plötzlicher Schlaganfall einen Menschen unversehens aus seiner gewohnten Umgebung, ja, aus der Grundlage seiner Selbstidentität und seines Einverständnisses mit sich selber herausreißen. Und bestürzt taucht die Frage auf, die uns dieses ganze Buch über begleiten wird: Was ist es mit der Seele des Menschen, wie steht es um die Unsterblichkeit der Vernunftseele, wenn eine anatomisch kleine Hirnläsion bereits eine vollkommene Veränderung des Persönlichkeitsbildes zur Folge haben kann? Lohnend ist es, neben dem Sprechen und dem Sprachverstehen sich auch die Vorgänge des lauten Lesens noch etwas genauer anzuschauen. Abb. A 37 zeigt den Weg des Informationsflusses, wenn wir laut vorlesen. Beim Vorlesen gelangt das visuelle Bild des geschriebenen Wortes über die Sehbahn (1) zur primären Sehrinde (2), wo die visuellen Impulse zum Bewußtsein kommen. Von dort werden sie zur sekundären Sehrinde weitergeleitet, wo sie als Schrift erkannt und interpretiert werden (3). Anschließend werden die Impulse dem «Lese- und Schreibzentrum» im Gyrus angularis (4) zugeführt, der sie in eine Art auditiver Erfahrung umwandelt und so modifiziert zur Entschlüsselung an das wernicke-Sprachzentrum (5) weitergibt. Dort wird das Schriftbild mit einem sprachlichen Sinn verknüpft. Damit aus dem Lesen ein Vorlesen wird, müssen die zum Teil erneut verschlüsselten Impulse aus dem wernicke-Zentrum über den Fasciculus arcuatus (bzw. die Fibrae arcuatae cerebri) zum motorischen Sprachzentrum (zum brocaschen Zentrum mit den umliegenden Regionen des Gyrus frontalis inferior) (6) gelangen, wo sie weiterverarbeitet werden und dann diejenigen Regionen des primären motorischen Cortex steuern, die ihrerseits die Sprechorgane über die dazu nötigen Verschaltungen im Klein- und Zwischenhirn kontrollieren. (Vgl. martin trepel: Neuroanatomie, 232 –233; richard f. thompson: Das Gehirn, 452– 454.)

γ) Zusammenarbeit und Spezialisierung der rechten und der linken Hirnhälfte Wir hörten soeben schon, daß die wichtigsten Sprachregionen wohl in der linken Hirnhälfte angesiedelt sind, da Läsionen der rechten Hirnhälfte nur selten Sprachstörungen verursachen, und so wundert es nicht, daß den beiden Hemisphären selber offenbar spezielle Aufgaben zugefallen sind, die es mit sich

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bringen, daß die beiden Hirnhälften, trotz ihres anatomisch nahezu symmetrischen Aufbaus, nicht vollkommen gleichwertig sind. Genau genommen liegen das motorische (brocasche) und das sensorische (akustische, wernickesche) Sprachzentrum bei fast allen Rechtshändern (etwa 96 % von ihnen, wobei Rechtshänder 90 % der Bevölkerung stellen) und den meisten Linkshändern in der linken Hirnhälfte (mithin bei etwa 95 % aller Menschen); die Hemisphäre, in der das Sprachzentrum jeweils liegt (überwiegend also die linke), wird definitionsgemäß als die dominante Hemisphäre bezeichnet (allerdings verfügt die nichtdominante Hirnhälfte ebenfalls über ein gutes Hörverständnis für Sprache; vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 344– 345). Auch beim Schreiben oder der Kontrolle anderer Bewegungen ist das motorische Rindenfeld der linken Hemisphäre bedeutsam, ja, es scheint die rechte sogar zu kontrollieren; jedenfalls führen Schäden der linken Hemisphäre, die rechtsseitige Lähmungen zur Folge haben, zu linksseitigen Apraxien (griech.: zu dem Unvermögen zum Tun) oder – bei geringerem Grade – zu Dyspraxien (griech.: zu Schwierigkeiten beim Tun) speziell der Hände. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 450; jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 542; irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 364 –365; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 151; john p. j. pinel: Biopsychologie, 459; 468.). Welch eine Hemisphäre überwiegt, sollte sich nach früheren Ansichten durch biographisch bedingte Lernvorgänge ergeben. (Vgl. a. waldeyer – a. mayet: Anatomie des Menschen, II 387.) Inzwischen sprechen Untersuchungen dafür, daß die sprachliche Hemisphärenspezialisierung bereits bei der Geburt existiert und sich nicht erst im Laufe der Zeit entwickelt. (Vgl. sally p. springer – georg deutsch: Linkes Rechtes Gehirn, 172.) Insbesondere sandra wittelson (Neurological Aspects of Language in Children, in: Child Development 58/1987, 653 –688) hat ein recht plausibles Konzept entwickelt, wonach die Verschiedenheit der Hemisphären von Geburt an in einem grundlegenden Unterschied der Informationsverarbeitung besteht und sich die neu erworbenen kognitiven Fähigkeiten in diese Grundgegebenheit einordnen; die Lateralisation (von lat.: das latus – Seite) des Gehirns (also die Entwicklung der Zuordnung der Hirnhälften zu psychischen Funktionen) ginge demnach der Sprachproduktion und dem Sprachverständnis voraus. Nebenbei gesagt wird an dieser vielleicht nicht ganz so wichtig erscheinenden Stelle doch recht deutlich, wie folgenschwer sich strittige Themen der Neurologie auf die gesellschaftliche Praxis auszuwirken pflegen. Solange man die Rechtshändigkeit für erlernt hielt, glaubte man vor allem im Schreibunterricht,

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linkshändigen Kindern mit aller Macht ihre «Unart» abgewöhnen zu müssen, – mit dem «Erfolg», daß die Betreffenden auch späterhin nach wie vor alles, bis auf das Schreiben, mit der linken Hand erledigten. johanna barbara sattler (Der umgeschulte Linkshänder, 95 –96) hat eine lange Liste von Persönlichkeitseigenschaften erstellt, die vielen umgeschulten Linkshändern gemeinsam sind und die belegen, wie tief die Verletzungen der zwangsweisen «Umerziehung» sich psychisch verfestigen können; zu ihrer Zusammenstellung zählen: «Ja-aber-Haltung», «Auslassung und Überspringen von wichtigen Gedankengängen bei Gesprächen und Diskussionen», «betont assoziatives Denken», «‹verknotetes› Denken», «sich unter Preis anbieten», «Mimosenhaftigkeit» und «Verletzbarkeit – Beziehungen werden emotional geprägt von Nachtragen und Reminiszenzen», «Mißtrauen gegenüber anderen und Gefühl, andauernden Angriffen ausgesetzt zu sein und sich dagegen wehren zu müssen», «Geselligkeitssehnsucht als Kompensation», «Überkontrolliertheit und Versuch, andauernd äußerste Präzision zu erreichen, bis hin zur sturen Pingeligkeit», «Härte der Betroffenen gegen sich selbst» – kurz, der ganze Katalog liest sich wie eine charakterliche Fixierung des erlittenen Schulalltags in Kindertagen. Dabei geht es bei der Lateralisation der Hemisphären nicht nur um die Lage der Sprachzentren und um die motorische Kontrolle der Schreibhand. Vor allem die Untersuchungen von roger walcott sperry (1913 –1994), vorwiegend an Split-Brain-Tieren, in den 50er und 60er Jahren des 20. Jhs. haben erstaunliche Ergebnisse über die Spezialisierung und die Zusammenarbeit der Hirnhemisphären erbracht; Split-Brain (engl.: «gespaltenes» Gehirn) bedeutet, daß die Nervenbahnen, welche die beiden Hirnhälften durch den Balken (das Corpus callosum, lat.: den rauhen Körper) und die vordere Kommissur (lat.: die Commissura anterior, die Querverbindung der beiden Bulbi olfactorii sowie der palaeocorticalen Temporallappenanteile) miteinander verbinden, durchtrennt worden sind (man spricht auch von «Kommissurotomie«, lat.: die commissura – Verbindung, griech.: die tome¯ – Schnitt, Durchtrennung); zusätzlich durchschnitt sperry die Sehnervenkreuzung (griech./lat.: das Chiasma opticum). Ebenfalls zur Untersuchung boten sich sperry Epilepsie-Patienten an, denen man zur Beseitigung des Anfallsleidens die Verbindungen der Hirnhemisphären durchtrennt hatte, entweder indem man (nur) das Corpus callosum (das beim Menschen immerhin 200 Mio. Nervenfasern besitzt) durchschnitten hatte oder zusätzlich noch die vordere Kommissur; die Krankheit verschwand dabei, doch bei genauerer Untersuchung ließen sich Ausfälle im visuellen und taktilen Bereich nachweisen. Die Gründe dafür sind unschwer zu begreifen.

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Abb. A 38: Optischer Informationsfluß bei einem Gegenstand in der rechten Gesichtsfeldhälfte

(Vgl. roger walcott sperry: Hemisphere deconnection and unity in conscious awareness, in: American Psychologist, 23/1968, 723 –733; steven schwartz: Wie Pawlow auf den Hund kam . . ., 88 –92.) Ein Bild in der rechten Hälfte des Gesichtsfeldes stimuliert ausschließlich die linken Netzhauthälften, genauer die temporale (zum Schläfenlappen hin gelegene) Netzhauthälfte des linken Auges und die nasale (zur Nase hin gelegene) Hälfte der Retina des rechten Auges; die Projektionen von der nasalen Retina ziehen dann («kontralateral») zur anderen Hirnhälfte, während die Projektionen von der temporalen Retina («ipsilateral») zu derselben Cortexhälfte ziehen. So gelangt die visuelle Information zunächst in die linke Hirnhälfte; sie kann die rechte Hirnhälfte nur erreichen, wenn das Corpus callosum intakt ist. Abb. A 38 versucht grob vereinfachend den optischen Informationsfluß bei einem Gegenstand in der rechten Gesichtsfeldhälfte wiederzugeben. Was aber passiert bei einem Patienten mit durchtrennter Kommissur? Man zeigte einem solchen Split-Brain-Patienten einen Apfel für kurze Zeit im rech-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 39: Die spezifischen Leistungen der Hirnhemisphären

ten Gesichtsfeld, und er erkannte und benannte das Objekt ohne Schwierigkeiten; zeigte man ihm den Apfel aber nur in der linken Gesichtsfeldhälfte, so leugnete er, ihn überhaupt gesehen zu haben, oder er erfand irgend etwas. Die rechte Hirnhälfte war dabei weder unfähig zu sehen noch sich zu erinnern; wofern der Patient auf den Apfel zeigen durfte, konnte er ihn leichthin identifizieren. Das Problem bestand offenbar in der Unfähigkeit, eine visuelle Information zu benennen, wenn ein Gegenstand nur in der linken Gesichtsfeldhälfte angeboten wurde, – wenn der optische Stimulus sich also auf die rechte Hemisphäre beschränkte. Dieser Befund bestätigt, daß die rechte Hirnhälfte zwar wahrnehmen, lernen, sich erinnern und motorische Anweisungen geben, aber nicht «sprechen» kann. (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 362.) Doch auch darüber hinaus ist die rechte Hirnhälfte nicht einfach eine Kopie der linken ohne deren Sprachfähigkeit. So sind Split-Brain-Patienten zum Beispiel bei der Aufgabe, farbige Holzklötzchen in passenden Mustern anzuordnen, mit der linken Hand erfolgreicher als mit der rechten; die rechte Hemisphäre ist also in der räumlichen Wahrnehmung der linken überlegen. «Faßt man alle Beobachtungen zusammen», schreibt irving kupfermann (Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 363), «hat es den Anschein, daß Patienten mit durchtrennter Kommissur leben, als ob sie nicht einen ‹Geist›, sondern zwei unabhängige hätten: einen bewußten und sprachlichen linken Geist

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und einen vorwiegend automatisch arbeitenden rechten.» (Zu Split-Brain-Patienten und den Auswirkungen ihrer Kommissurotomie vgl. auch bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 156 –158; richard f. thompson: Das Gehirn, 467–472.) Für john c. eccles war der Unterschied zwischen den beiden Hirnhälften so groß, daß er die dominante Seite des Gehirns als die Stelle der «Hirn-GeistLiaison» verstand und annahm, «daß das bewußte Selbst . . . nur mit der dominanten Hemisphäre in Verbindung» stehe. (Das Gehirn des Menschen, 275) Näherhin sollten sich die spezifischen Leistungen der dominanten und der subdominanten Hemisphäre nach eccles einander so gegenüberstellen lassen, wie es in der Tabelle von Abb. A 39 zum Ausdruck kommt. In gewissem Sinne verhalten die Hirnhälften, wenn diese Darstellung zutrifft, sich in etwa komplementär zu einander. «Die untergeordnete ist kohärent, und die dominante ist detailliert. Weiterhin ist die untergeordnete Hemisphäre nicht nur optisch begabt, sondern . . . auch . . . musikalisch . . . Musik ist im wesentlichen kohärent und synthetisch, da sie von aufeinanderfolgenden Inputs von Tönen abhängt.» «Im Prinzip ist die dominante Hemisphäre besonders auf feine imaginative Details bei allen Beschreibungen und Reaktionen spezialisiert, d. h. sie ist analytisch und sequential. Sie kann auch addieren und subtrahieren und multiplizieren und andere computerartige Operationen ausführen. Doch selbstverständlich rührt ihre Dominanz von ihren verbalen und gedanklichen Fähigkeiten und ihrer Verbindung zum Bewußtsein . . . her. Aufgrund ihrer diesbezüglichen Mängel verdient die untergeordnete Hemisphäre ihre Bezeichnung, aber bei ihr stechen viele wichtige Eigenschaften hervor, besonders in ihren räumlichen Fähigkeiten mit einem hochentwickelten Sinn für Bilder und Muster . . . Die dominante Hemisphäre . . . hat fast überhaupt keinen Sinn für Bilder und Muster . . . Sie ist eine arithmetische, aber keine geometrische Hemisphäre.» (john c. eccles: Das Gehirn des Menschen, 277) Viel Aufhebens wurde vor Jahren von dem Gedanken gemacht, es sei die Lateralisation der Hemisphären identisch mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern: Männer galten für «linkslastig» – rational, begriffsorientiert, analytisch, Frauen für «rechtslastig» – emotional, bilderliebend, ganzheitlich. Tatsächlich gibt es eine Hirnasymmetrie als ein Merkmal der «Geschlechtsdimorphie» (griech.: der Zweigestaltigkeit der Geschlechter), doch sind die Zuordnungen nicht so einfach. So ergeben Tests mit sechsjährigen Jungen eine Spezialisierung der rechten Hemisphäre (eine Überlegenheit der linken Hand) bei der Aufgabe, Formen allein mit Hilfe des Tastsinns zu erkennen. Mädchen zeigen demgegenüber bei dieser Aufgabe bis zum Alter von 13 Jahren keine

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

funktionale Asymmetrie (keine signifikante Bevorzugung einer Hand). Offenbar bewahrt sich das Gehirn von Mädchen eine größere Plastizität über einen längeren Zeitraum, als es bei Jungen der Fall ist. (Vgl. dennis kelly – tom jessell: Geschlecht und Gehirn, in: Neurowissenschaften, 604.) Dem entspricht es, daß bei Hirnläsionen in der linken Hemisphäre die Sprachfunktionen bei Frauen leichter in die rechte Hirnhälfte wechseln als bei Männern. Überhaupt scheint «das reife weibliche Gehirn funktionell weniger asymmetrisch . . . als das männliche». (dennis kelly – tom jessell: Geschlecht und Gehirn, in: Neurowissenschaften, 605) Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Art des Denkens könnten demnach wirklich Unterschiede innerhalb des Gehirns widerspiegeln. «So schneiden Frauen bei Tests, die Sprachgewandtheit . . ., Wahrnehmungsgeschwindigkeit (die für das Erkennen eines Gesichts benötigte Zeit), arithmetische Berechnungen und manuelle Geschicklichkeit quantifizieren, durchschnittlich besser ab als Männer. Männer zeigen dagegen bessere Leistungen bei Tests des räumlichen Wahrnehmungsvermögens, beim mathematisch-logischen Denken und bei zielgerichteten motorischen Fertigkeiten.» (dennis kelly – tom jessell: Geschlecht und Gehirn, in: Neurowissenschaften, 605) Es liegt nahe zu vermuten, daß es eine urzeitliche «Arbeitsteilung» zwischen den Geschlechtern bei der Aufzucht von Kindern und der Beschaffung von Nahrung durch Jagd war, die eine derartige Hirnasymmetrie zwischen Frau und Mann auszubilden half. Interessant ist dabei, daß die Lateralisation des Gehirns allem Anschein nach bereits vor der Hominidenevolution stattgefunden hat und ansatzweise entsprechend auch für Tiere außerhalb der Linie zum Menschen gilt. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 473.) Welch einen evolutiven Grund aber sollte die Lateralisation des Gehirns selbst gehabt haben? Die größere Plastizität des weiblichen Gehirns läßt sich womöglich damit begründen, daß das Corpus callosum, das die Hirnhälften miteinander verbindet, bei Frauen weit mehr Kommissurenfasern aufweist als bei Männern. Doch ist die Anzahl der Fasern im Corpus callosum wesentlich geringer als die der intracorticalen Fasern innerhalb einer Hemisphäre. (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 366.) So könnte es sich bei Funktionen, die eine ausgedehnte Verknüpfung mehrerer Cortexregionen notwendig machen – wie Sprechen, Lesen, Schreiben –, als effizienter erwiesen haben, diese Aktivitäten in einer Hemisphäre zu lokalisieren. Allerdings handelt es sich hierbei nur erst um eine plausibel klingende Mutmaßung, deren Beweis noch aussteht.

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δ) Bedeutung und Lage der Assoziationscortices Generell gilt, daß bei aller funktionalen Spezialisierung bestimmter Hirnareale die meisten Aufgaben nur zu lösen sind, indem die Aktivität von Nervenzellen aus verschiedenen Regionen integriert, das heißt miteinander assoziiert wird. Wir haben schon gesehen, daß für so komplexe menschliche Fähigkeiten wie Gefühle und Gedächtnis, wie Kognition und Sprache übergeordnete Felder vonnöten sind, die wir bereits als Assoziationscortices kennengelernt haben. Uns ist der limbische Assoziationscortex schon ein Begriff, der für die Gefühle, die unser Verhalten steuern, ebenso wichtig ist wie für unser Gedächtnis; des weiteren haben wir bereits vom präfrontalen Assoziationscortex gehört, der an der Planung und Durchführung komplexer Handlungen beteiligt ist; hinzu kommt als drittes der parietal-temporal-okzipitale Assoziationscortex. Diese drei Assoziationsfelder erhalten Projektionen aus den übergeordneten (sekundären) Feldern, die ihrerseits mit einem oder gleich mehreren Assoziationscortices verbunden sind; «sekundär» nennt man die übergeordneten Felder, weil in ihnen die sensorischen oder motorischen Informationen, die mit den «primären» Feldern einhergehen, detailliert weiterverarbeitet werden. Die Assoziationscortices integrieren somatische Informationen mit anderen sensorischen Informationen (sie erhalten also Informationen von mehr als nur einem sekundären Cortex) und planen motorische Aktionen; alle drei Assoziationscortices sind an verschiedenen kognitiven Funktionen beteiligt, wie bei der Planung bewußter Bewegungen, bei sensorischen Wahrnehmungen, bei emotionalen Verhaltensweisen, bei Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Sprache, und doch sind die einzelnen Assoziationscortices auf bestimmte Funktionen spezialisiert. Andererseits sind kognitive Funktionen nicht auf die Assoziationscortices beschränkt, sondern beziehen viele weitere Rindenfelder mit ein. (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 354– 356.). Die Lage der drei Assoziationscortices ist schematisch in Abb. A 40 wiedergegeben. Die intracorticalen Verbindungen der drei Assoziationscortices – 1) des präfrontalen Assoziationscortex, 2) des limbischen Assoziationscortex und 3) des parietal-temporal-okzipitalen Assoziationscortex – wollen wir abschließend darstellen. 1) Der präfrontale Assoziationscortex liegt direkt neben dem prämotorischen Cortex, einem übergeordneten motorischen Feld, von dem wir bereits wissen, daß es bei der Initiation von Handlungen eine große Rolle spielt; die gesamte präfrontale Region ist für die Bewegungsplanung von zentraler Bedeu-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 40: Die Lage der primären sensorischen und motorischen Cortices, der übergeordneten (sekundären) sensorischen und motorischen Cortices sowie der drei Assoziationscortices bei lateraler Ansicht

tung. Zu diesem Zweck erhalten der präfrontale und der prämotorische Cortex Informationen aus übergeordneten sensorischen Cortexregionen. Übergeordnete sensorische Cortexregionen, die eng mit primären sensorischen Arealen verschaltet sind, projizieren zum prämotorischen Cortex, und der wiederum projiziert zum primären motorischen Cortex; weniger eng mit den primären sensorischen Feldern verknüpfte übergeordnete Cortexregionen projizieren zum präfrontalen Assoziationscortex, und der wieder projiziert zum prämotorischen Cortex. Auf diese Weise können sensorische Informationen die Ausführung von Bewegungen beeinflussen und zugleich die Bewegungsplanung mitgestalten. 2) Der limbische Assoziationscortex liegt in den medialen und ventralen Oberflächen des Frontallappens, der medialen Oberfläche des Parietallappens und der vorderen Spitze des Temporallappens. Er empfängt Projektionen von übergeordneten sensorischen Arealen und projiziert selbst zu anderen Cortexregionen, unter anderem zum präfrontalen Cortex. Auf diese Weise können Emotionen die Bewegungsplanung beeinflussen. Speziell die temporalen Asso-

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Abb. A 41: Die wichtigsten sensorischen, motorischen und assoziativen Areale der Hirnrinde

ziationsfelder sind, durch die Hippocampusregion, am emotionalen Verhalten und am Gedächtnis beteiligt. 3) Der parietal-temporal-okzipitale Assoziationscortex besteht aus einer Reihe verschiedener funktionaler Areale, die zwischen den übergeordneten somatischen, visuellen und auditorischen Feldern liegen und von diesen ihren Input erhalten. Offenbar liegen hier die Strukturen für die Verarbeitung der sensorischen Informationen von Wahrnehmung und Sprache (wie zum Beispiel der Gyrus angularis). (Vgl. irving kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 355– 357.) Wichtige Erkenntnisse über die Funktion des Temporallappens stammen von dem Neurochirurgen wilder graves penfield (1891–1976), der vor der operativen Entfernung epileptischen Gewebes seine Patienten – zur Vermeidung unnötig großer Eingriffe – im Wachzustand an verschiedenen Stellen des Lobus temporalis mit elektrischen Stimulationen zu reizen pflegte. Erwartungsgemäß führten Reizungen der primären auditorischen Felder zu einfachen akustischen Wahrnehmungen; Reizungen des oberen Temporallappens aber führten zu au-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

ditorischen Illusionen und Halluzinationen, die subjektiv als ganz real erschienen: – gewisse religiöse Visionserlebnisse, aber auch schizophrene Bewußtseinszustände dürften hier eine Ursache finden. Wir werden darauf im 2. Bd. dieser Arbeit noch zu sprechen kommen. Einen Überblick über die wichtigsten sensorischen, motorischen und assoziativen Areale der Hirnrinde versucht Abb. A 41 zu geben.

d) Vokabeln zum Endhirn Als einfache Gedächtnishilfe sollten wir abschließend noch einmal unser «Vokabelheft» weiterführen und uns die folgenden Begriffe einprägen. das Telencephalon

griech.: das télos – Ende; der enképhalos – Gehirn; das Endhirn, auch lat.: Cerebrum oder Großhirn genannt

das Prosencephalon

griech.: próso¯ – nach vorn hin; Vorderhirn, aus Telencephalon und der enképhalos – Gehirn Diencephalon bestehend

die Hirnhemisphären

griech.: he¯mí – halb; die sphaı˜ra – Kugel

Hirnhälften

die Substantia grisea

lat.: griseus – grau

die graue Substanz; im Endhirn vor allem im Cortex cerebri und in den subcorticalen Kerngebieten

Zentrum aller höheren geistigen Tätigkeiten wie Erkennen, Lernen, Wahrnehmen und Denken

die Substantia alba lat.: albus – weiß

die weiße Substanz; im Marklager des Endhirns (im Großhirnmark); zwischen Cortex, Kerngebieten und Ventrikeln; enthält die subcorticalen Kerngebiete; bildet die markhaltigen Fasersysteme

das Pallium

lat.: der Endhirnmantel

dorsaler Hirnmantel; Cortex cerebri mit nach innen anschließender weißer Substanz; aus Palaeopallium, Archipallium und Neopallium bestehend

das Palaeopallium

griech.: palaiós – alt; lat.: das pallium – Endhirnmantel

Altmantel; aus Palaeocortext mit nach innen anschließender weißer Substanz bestehend

das Archipallium

griech.: die arche¯ – Anfang; lat.: das pallium – Endhirnmantel

Urmantel; aus Archicortex mit nach innen anschließender weißter Substanz bestehend

das Neopallium

griech.: néos – neu; lat.: das pallium – Endhirnmantel

Neumantel; aus Neocortex mit nach innen anschließender weißer Substanz bestehend

der Cortex cerebri

lat.: der cortex – Rinde; das cerebrum – Gehirn

Großhirnrinde

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Das Endhirn

der Isocortex, auch griech.: ísos – gleich; lat.: der sechsschichtige Hirnrinde; der Isocortex Neocortex genannt cortex – Rinde; die gleichartig wird dem Allocortex gegenübergestellt; aufgebaute Rinde unterteilt in eine sensorische (hinten liegende) und eine motorische (vorne liegende) Einheit der Allocortex

griech.: állos – anders; lat.: aus Palaeocortex und Archicortex der cortex – Rinde; der «anbestehend ders» (bzw. verschiedenartig) in der Zahl seiner Schichten strukturierte Cortex

der Palaeocortex

griech.: palaiós – alt; lat.: der cortex – Rinde

bildet mit seinen Strukturen das Riechhirn; zu ihm gehören zum Beispiel der Bulbus olfactorius und die corticomediale Amygdala

der Archicortex

griech.: die arche¯ – Anfang; lat.: der cortex – Rinde

zu ihm gehören Hippocampus, Gyrus parahippocampalis, Area entorhinalis

die Lappen

lat.: die lobi, Pl. von der lobus – Lappen

die durch die Furchen getrennten Lappen der Großhirnoberfläche

der Lobus frontalis

lat.: die frons – Stirn; der Stirnlappen oder Frontallappen

motorische Funktionen; primärer motorischer Cortex; komplizierte Bewegungsabläufe von Kopf, Rumpf, Augen

der Lobus parietalis lat.: der paries – Wand; der Scheitellappen oder Parietallappen

somatosensorische Funktionen; primärer somatosensorischer Cortex

der Lobus temporalis

lat.: das tempus – Schläfe, Haupt; der Schläfenlappen oder Temporallappen

auditorische Funktionen; Sprachzentrum; übergeordnetes Sehzentrum: visuell-temporales Feld (VTE)

der Lobus occipitalis

lat.: das occipitium – Hinterhaupt; der Hinterhauptslappen oder Okzipitallappen

visuelle Funktionen; Sehrinde (primärer visueller Cortex)

der Lobus insularis, lat.: die insula – Insel; der inauch insulärer selartige Lappen Cortex, Insula oder Insel genannt

Inselrinde; tief in die außen liegende Hirnrinde eingesenkt; Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Schmerz; Teil des limbischen Systems

die Hauptfurchen

lat.: die fissurae, Pl. von die Furchen zwischen den Gehirnwindunfissura – Furche; lat.: die sulci, gen; trennen die Lappen der GroßhirnPl. von der sulcus – Einschnitt oberfläche voneinander; die tief in das Gehirn hineinreichenden heißen Fissurae, die flacheren Sulci

der Sulcus centralis

lat.: die Zentralfurche

trennt den Stirnlappen und den Scheitellappen

der Sulcus lateralis, lat.: die seitliche Furche auch Fissura Sylvii genannt

trennt den Schläfenlappen von der übrigen Hirnrinde; in seiner Tiefe liegt der primäre auditive Cortex

die Hauptwindungen

lat.: die gyri, Pl. von der gyrus – Windung

Strukturen auf der Großhirnoberfläche

der Gyrus praecentralis

lat.: die Windung vor der Zentralfurche

primärer motorischer Cortex

166

Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

der Gyrus postcentralis

lat.: die Windung hinter der Zentralfurche

primärer somatosensorischer Cortex

der Gyrus cinguli, auch cingulärer Cortex genannt

lat.: das cingulum – Gürtel; die Windung des «Gürtels»

eine Struktur im Großhirn, oberhalb des Balkens im Übergang zur Großhirnrinde gelegen; vegetative Modulation; psycho- und lokomotorischer Antrieb; längerfristige Verhaltenssteuerung und Impulskontrolle; Träger von Opiatrezeptoren

der Gyrus griech.: pará – vorbei; der hipparahippocampalis pókampos – Fabelwesen mit dem Vorderleib eines Pferdes und einem Fischschwanz: das «Seepferdchen»; die Windung am Hippocampus vorbei

Gedächtnis; Zuleitung von Sinnesinformationen zu anderen Teilen des limbischen Systems; Träger von Opiatrezeptoren

weitere Windungen der Gyrus frontalis superior

lat.: die vordere obere Windung

zusammengesetzte, komplizierte Bewegungsabläufe von Kopf, Rumpf und Augen

der Gyrus frontalis inferior

lat.: die vordere untere Windung

auf ihm liegt das motorische Sprachzentrum

der Gyrus angularis

lat.: der angulus – Ecke, Winkel; die zu einem Winkel gehörende Windung

Schaltstelle zwischen visuellem und sprachlichem Cortex; Lesezentrum

wichtige Rindenfelder die primären Cortices

lat.: die primären Rindenfelder

erhalten direkte Projektionen; die primären sensorischen Felder senden Projektionsfasern zu den übergeordneten Feldern; die primären motorischen Felder erhalten Projektionen von den übergeordneten Feldern

der primäre somatosensorische Cortex

griech.: das sõma – Körper; lat.: sensorius – empfindend; der den Körper wahrnehmende primäre Cortex; BRODMANN -Areale 1–3

hinter der Zentralfurche auf dem vorderen Teil des Parietallappens gelegen; erhält Informationen von Haupt und Körper

der primäre motorische Cortex

BRODMANN -Areal 4

vor der Zentralfurche auf dem Frontallappen gelegen; projiziert zu motorischen Neuronen im Rückenmark

der primäre visuelle Cortex; auch die Area striata genannt

lat.: die area – Feld, Region; striatus – gestreift; das gestreifte Gebiet; BRODMANN Areal 17

der Streifencortex; auf dem Hinterhauptslappen gelegen; Sehrinde; visuelles Feld 1 (V 1); verfügt über eine vollständige Karte der Netzhautfläche des Auges und damit des Gesichtsfeldes

Das Endhirn

167

der primäre auditive Cortex

BRODMANN -Areale 41 und 42

auf dem Temporallappen in der Tiefe der Fissura Sylvii verborgen; Hörrinde; verfügt über Karte des rezeptorischen Apparates auf der Basilarmembran des Innenohres

die übergeordneten (sekundären) Cortices

lat.: die sekundären Rindenfelder

erhalten keine direkten Projektionen; zu ihnen zählen der übergeordnete somatosensorische Cortex auf dem Parietallappen; der prämotorische Cortex (mit prämotorischem und supplementärmotorischem Areal) auf dem Frontallappen; der übergeordnete visuelle Cortex auf dem Okzipital-, Temporal- und Parietallappen sowie der übergeordnete auditive Cortex auf dem Temporallappen

der übergeordnete somatosensorische Cortex

BRODMANN -Areale 2 und 5

am Rande der Fissura Sylvii auf dem Parietallappen gelegen; interpretative Zuordnung und Erkennung des Ertasteten

der übergeordnete motorische Cortex, auch prämotorischer Cortex genannt

BRODMANN -Areale 6 und 8

auf dem Frontrallappen gelegen; bestehend aus dem prämotorischen Areal und dem supplementärmotorischen Areal; steuert den gesamten Handlungsablauf; zwei weitere sekundäre motorische Areale befinden sich auf dem Gyrus cinguli

der übergeordnete visuelle Cortex

BRODMANN -Areale 18, 19, 20,

die sekundären visuellen Felder (z. B. V 2, V 3, V 4, V 5 usw. sowie VTE und TEO) sind für ganz bestimmte Aspekte des Sehens (Form, Kontrast, Farbe, Bewegung usw.) zuständig

der übergeordnete auditive Cortex

vor allem BRODMANN-Areal 22 (WERNICKE sches Zentrum)

im Temporallappen gelegen; interpretative Verarbeitung des Gehörten; Laute werden als Worte erkannt

die Assoziationscortices

liegen zwischen den übergeordneten (sekundären) Cortexfeldern

haben sich beim Menschen besonders ausgedehnt; es gibt drei Assoziationscortices: den präfrontalen Assoziationscortex, den limbischen Assoziationscortex und den parietal-temporalokzipitalen Assoziationscortex; komplexe Funktionen wie Planung von Handlungen, Gedächtnis, Sprache und Aufmerksamkeit; Integration der sensorischen und emotionalen Informationen

21 sowie das rostral zu 19 liegende Areal

der präfrontale eng mit übergeordneten Assoziationscortex sensorischen Arealen verschaltet; die rostral zu 6 gelegenen BRODMANN -Areale

neben dem prämotorischen Cortex; kognitives Verhalten und Bewegungsplanung

168

Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

der limbische in den medialen und ventralen Assoziationscortex Oberflächen des Frontallappens sowie der medialen Oberfläche des Parietallappens und der vorderen Spitze des Temporallappens; BRODMANN -Areale 11, 23, 24, 28, 38

aus orbitofrontalem Cortex, Gyrus cinguli und Hippocampusregion bestehend; Emotionen und Bewegungsplanung; Gedächtnis und emotionales Verhalten; Bereich von Gefühlen; Verhaltensüberwachung, Impulskontrolle und Fehlerkorrektur

der parietalzwischen den übergeordtemporal-okzipitale neten somatischen, visuellen Assoziationscortex und auditorischen Feldern; BRODMANN -Areale 39 und 40 sowie Teile von 19, 21, 22, 37

Verarbeitung der sensorischen Informationen von Wahrnehmung und Sprache

weitere wichtige Rindenfelder der Cortex praefrontalis

lat.: prae – vor; die frons – Stirn; die Großhirnrinde des vorderen Teils des Stirnlappens; präfrontaler Cortex

aus dem präfrontalen Assoziationscortex (dem dorsolateralen Cortexbereich), dem orbitofrontralen Cortex, dem ventromedialen sowie dem dorsomedialen Cortexbereich bestehend; kognitives Verhalten und Bewegungsplanung; Abschätzung der Handlungsfolgen; Zusammenführung (vorverarbeiteter) Wahrnehmung

der Cortex orbitofrontalis

lat.: die orbita – Augenhöhle; die frons – Stirn; Großhirnrinde in der Rundung des Frontallappens (nahe der Augenhöhle); orbitofrontaler Cortex

längerfristige Verhaltenssteuerung und Impulskontrolle; Zentrum der ethischen Gefühle; Selbst- und Gemeinschafts-Ich

der limbische Cortex

lat.: der limbus – Saum, Bordüre; der Cortex – Rinde

aus Gyrus cinguli, Gyrus parahippocampalis, Area entorhinalis, Hippocampus, Gyrus dentatus und Subiculum bestehend; Übergangsareal zwischen Isocortex und Allocortex; für Gefühle und Gedächtnis von entscheidender Bedeutung; enge Verbindungen mit dem präfrontalen Cortex; Berücksichtigung der mittel- und längerfristigen Konsequenzen unseres Handelns; Verhaltenssteuerung und Impulskontrolle

Fasersysteme Assoziationsfasern lat.: die associatio – Verbindung

Verbindungen zwischen Rindenarealen innerhalb der gleichen Hirnhälfte

Kommissurenfasern

lat.: die commissura – Verbin- Verbindungen zwischen den beiden dung; größtenteils im Corpus Hirnhälften callosum, aber auch in der Commissura anterior

das Corpus callosum, auch Balken genannt

lat.: der rauhe Körper

verbindet die beiden Hirnhälften miteinander; die große cerebrale Kommissur

169

Das Endhirn die Commisura anterior

lat.: die vordere Kommissur

Querverbindung; verbindet die beiden Bulbi olfactorii sowie palaeocorticale Temporallappenanteile miteinander

Projektionsfasern

corticopetale und corticofugale Fasern

Projektionen aus der Umwelt und dem Körperinneren zur Hirnrinde sowie von der Hirnrinde in die Peripherie

corticopetale Projektionsfasern

lat.: petere – hingehen, eilen; zur Rinde strebende Fasern

verlaufen in der Hauptsache über den Thalamus

corticofugale Projektionsfasern

lat.: fugere – fliehen; die Rinde fliehende Fasern

umfassen Tractus corticospinalis, Tractus corticonuclearis und das extrapyramidale System

der Tractus corticospinalis, auch Pyramidenbahn genannt

lat.: der tractus – Zug, hier: Nervenbahn; die spina – Dorn, hier: Rückenmark; die Nervenbahn, die vom Cortex zum Rückenmark zieht

die größte und bedeutendste motorische Bahn; ihre Zellkörper liegen überwiegend im motorischen Cortex, ihre Fortsätze ziehen zu den motorischen Kernbereichen des Rückenmarks hinab

der Tractus corticonuclearis

lat.: der cortex – Rinde, der nucleus – Kern; die Nervenbahn, die vom Cortex zu den Kernen zieht

funktionell zur Pyramidenbahn zählend; entspringt vorwiegend im motorischen Cortex und im supplementärmotorischen Areal (SMA) und führt zu den Kernen der motorischen Hirnnerven

das extrapyramidale System

lat.: exter – auswärtig; außalle anderen absteigenden motorischen erhalb der Pyramidenbahn Bahnen, die nicht zur Pyramidenbahn gelegene motorische Nerven- gehören bahn

das Chiasma opticum

griech.: das chiásma – Kreu- Sehnervenkreuzung; an der Hirnbasis zung; lat.: opticus – zum Auge gelegen; gehört zum Diencephalon gehörend; die Sehbahn betreffend

das Riechen das Rhinencephalon

griech.: die rhis – Nase; der enképhalos – Gehirn; das Riechhirn

dazu gehört der Bulbus olfactorius

der Bulbus olfactorius

lat.: der bulbus – Zwiebel, Schwellung; olfacere – riechen; der Riechkolben

ein vorgeschobener Teil des Endhirns; unterhält enge Verbindungen zur corticomedialen Amygdala

die Area entorhinalis, auch entorhinaler Cortex genannt

Teil des Archicortex; medialer Bezirk des lat.: die area – Feld; griech.: Temporallappens; bedeckt den Gyrus entós – innen, inwendig; die rhis – Nase; die innerhalb des parahippocampalis Riechhirns gelegene Rinde

der perirhinale Cortex

griech.: perí – ringsum; die rhis – Nase; lat.: der cortex – Rinde; die um das Riechhirn gelegene Rinde

Rindengebiet um das Riechhirn; an der Hirnbasis gelegen

das Hören die Membrana tympani

lat.: die membrana – HäutSchallwelle erzeugt eine Schwingung chen; das tympanum – Hand- des Trommelfells pauke; das Trommelfell

170

Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

die Ossicula auditoria

lat.: das os – Knochen; das ossiculum – Knöchelchen; auditorius – mit dem Hören verbunden; Gehörknöchelchen des Mittelohres

die drei Gehörknöchelchen übertragen die Schwingung des Trommelfells auf die Membran des ovalen Fensters; bei Verlust der Gehörknöchelchen Schwerhörigkeit

der Maleus

lat.: der Hammer

Gehörknöchelchen

der Incus

lat.: der Amboß

Gehörknöchelchen

der Stapes

mittellat.: der Steigbügel

Gehörknöchelchen

die Fenestra vestibuli

lat.: die fenestra – Fenster; das vestibulum – Vorhof; das Vorhoffenster, das ovale Fenster

die Membran des ovalen Fensters sitzt auf der mit Flüssigkeit gefüllten Schnekke; Schwingungen der Luft führen zu Schwingungen in dieser Flüssigkeit

die Cochlea

lat.: die Schnecke

mit Flüssigkeit (Perilymphe) gefüllt

das Vestibulum

lat.: der Vorhof (des Innenohres)

Station der Weiterleitung des Schalls von der Membran des ovalen Fensters letzendlich auf die Membran des runden Fensters

die Scala vestibuli

lat.: die Treppe des Vorhofs

mit Flüssigkeit (Perilymphe) gefüllt

die Scala media

lat.: die mittlere Treppe

mit Flüssigkeit (Perilymphe) gefüllt

die Scala tympani

lat.: die Treppe der Trommel

mit Flüssigkeit (Perilymphe) gefüllt

die Fenestra cochleae

lat.: das Schneckenfenster, das runde Fenster

Membran im runden Fenster ermöglicht Druckausgleich; Perilymphe kann richtig schwingen

die Lamina basilaris

lat.: die lamina – Platte, trägt das CORTI -Organ (nach MARCHESE Scheibe; basilaris – die Basis ALFONSO GIACOMO GASPARE DE CORTI , bildend; die Basilarmembran 1822–1876); durchzieht die Schnecke; Schwingungen in der Perilymphe führen zu Schwingungen in der Basilarmembran

das Organum spirale, auch das CORTI -Organ genannt

lat.: das spiralenförmige Organ

rezeptorischer Apparat mit Haarzellen

der Nucleus cochlearis

lat.: der Schneckenkern

Gehörnervenkern der Medulla oblongata; innerviert von den Hörnervenkernen des ipsilateralen Innenohres

das Corpus trapezoideum

lat.: der trapezförmige Körper Faserbündel, das die Hörbahnnerven zur anderen Körperseite führt

die Hörbahn

der Nucleus olivaris lat.: der obere olivenförmige superior Kern

wichtige Verschaltung für das Richtungshören

die Oliva superior, auch Olivenkomplex genannt

lat.: die obere Olive

Nervenzellen der oberen Olive besitzen Dendriten, die auf den rechten und linken Nucleus cochlearis ausgerichtet sind

der Colliculus inferior

lat.: der untere Hügel

Teil der Vierhügelplatte im Tectum (lat.: Dach) des Mittelhirns

171

Das Endhirn das Corpus geniculatum mediale

lat.: das genu – Knie; geniculatus – knotig; der mittlere Kniehöcker

Kerngebiet im Thalamus; diencephale Schaltstelle der Hörbahn zur Großhirnrinde

BRODMANN -Areale 44 und 45

das BROCA sche Zentrum (nach PIERRE PAUL BROCA , 1824–1880) bildet mit den umliegenden Gebieten des Gyrus frontalis inferior das motorische Sprachzentrum

lat.: die vordere untere Windung

Sitz des motorischen Sprachzentrums

das Sprechen BROCA sches

Zentrum

der Gyrus frontalis inferior

der Tractus cortico- lat.: der tractus – Bahn; der nuclearis cortex – Rinde; nuclearis – zum Kern gehörig; Nervenbahn, die vom Cortex zu den Kernen zieht

Bahn, die vorwiegend im motorischen Cortex entspringt und größtenteils bilateral zu den motorischen Hirnnervenkernen führt

WERNICKE sches

BRODMANN -Areal 22

nach CARL WERNICKE (1848–1905) benannte sekundäre Hörrinde; interpretative Verarbeitung des Gehörten; Laute werden als Worte erkannt

der Fasciculus arcuatus, auch Fibrae arcuatae genannt

lat.: der fasciculus – kleines (Nerven)Faserbündel, arcuatus – bogenförmig; das gebogene Nervenfaserbündel (die gebogenen fibrae – Fasern)

Nervenleitung vom WERNICKE schen Zentrum an das motorische Sprachzentrum

der primäre motorische Cortex

BRODMANN -Areal 4

steuert Gesichts-, Zungen-, Kehlkopfund Atemmuskulatur

das Cerebellum

lat.: das Kleinhirn

motorische Steuerung; Muskelaktivierung; erhält alle nur möglichen sensorischen Informationen; verfügt über somatosensorische Karte

der Thalamus

griech.: das Ehebett

Muskelaktivierung

die Basalganglien

lat./griech.: die tieferliegenden Nervenknoten

Muskelaktivierung

Zentrum

Lesen und Schreiben der Gyrus angularis

lat.: der gyrus – Windung; der Schaltstelle zwischen visuellem und angulus – Ecke, Winkel; die sprachlichem Cortex; Lesezentrum zu einem Winkel gehörende Windung; BRODMANN-Areal 39

172

Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

5. Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern

Der Körper eines Menschen besteht aus ca. 100 Billionen Körperzellen, sein Gehirn aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen, sein Großhirn allein aber aus etwa 20 Milliarden Zellen. (Vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 1; eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 22.) Obwohl es nur etwa drei Pfund wiegt und somit bloß zwei Prozent des Körpergewichts im Durchschnitt ausmacht, verbraucht unser Gehirn rund 20 Prozent des Sauerstoffs, den der Körper im Ruhezustand aufnimmt. Ja, man kann die Entwicklung des Gehirns in der Evolution der Hominiden im Verlauf der letzten vier Millionen Jahre direkt in dem Verhältnis des steigenden Energieverbrauches des Gehirns zum Energiestoffwechsel des Organismus darstellen. (Vgl. e. drewermann: Der sechste Tag, 3erw. 2004, 566– 567.) Dabei darf der Stoffwechselumsatz des Gehirns, der bei Tag und Nacht gleich groß ist, niemals unterbrochen werden – mehr als drei Minuten Sauerstoffmangel bereits können fatale Folgen zeitigen. Außerdem ernährt sich das Gehirn einzig von Glucose (griech.: glykýs – süß; Trauben-Zucker), nicht also wie die meisten Organe auch von anderen Zuckern, Fetten und Eiweißen – es kann keine Energiereserven bilden. (Vgl. gaby miketta: Netzwerk Mensch, 35; richard f. thompson: Das Gehirn, 122–123.) Die enormen Mengen an Sauerstoff braucht es, um durch den Vorgang der Atmung (der Dissimilation) die Glucose abzubauen und die darin gespeicherte Energie freizusetzen. Übrig bleiben als Endprodukte schließlich nur Kohlenstoffdioxid und Wasser. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 194–195.) Die einfache Redoxgleichung der Atmung lautet: C6H12O6 + 6 O2 ® 6 CO2 + 6 H2O + Energie (2870 kJ/mol). Oft wird die Frage gestellt, ob unser Leben schicksalhaft vorbestimmt sei oder ob es unserer freien Gestaltung unterliege; mit «vorherbestimmt» ist dabei meist «genetisch festgelegt» gemeint und mit «frei» soviel wie «der eigenen Entscheidung anheimgestellt». Überraschenderweise läßt diese Frage sich zum Teil bereits an dieser Stelle beantworten. Wenn wir einmal voraussetzen, daß alle «Entscheidungen», ob «frei» oder «unfrei», irgendwo in unserem Gehirn getroffen werden, so genügt ein einfaches Zahlenspiel, um eine erste, nicht un-

Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern

173

wichtige Antwort zu geben. Es existieren, sagten wir gerade, rund 20 Milliarden Nervenzellen in unserem Großhirn; dieser Zahl stehen in unserem Erbgut nur etwa drei Milliarden Basenpaare gegenüber. Nimmt man jetzt hinzu, daß eine einzige Nervenzelle im Großhirn mit bis zu 10 000 anderen, teils weit entfernten Neuronen verbunden werden kann, so ist klar, daß die Zahl der möglichen Verknüpfungen astronomisch hoch ist; – sie kann unmöglich von den Genen «determiniert» sein; ihre Anzahl reicht einfach nicht aus, um die Entwicklung des menschlichen Gehirns, seine lebenslängliche Plastizität und seine Sensibilität für Außenreize festzulegen. Was wir späterhin als Persönlichkeit oder «Charakter» bezeichnen, kann sich allenfalls aus dem Wechselspiel zwischen den Genen und den Einwirkungen der Umwelt auf das sich ausbildende neuronale Netz ergeben; zwar legen die Gene vorweg die Verschaltungsmuster einer Unzahl von Neuronen in etwa fest – sie sorgen dafür, daß alle menschlichen Gehirne in ihrem grundlegenden Aufbau einander gleich sind; die Feinabstimmung aber, mithin die individuelle Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit unseres je eigenen Gehirns, formt sich unter den Sinnesreizen und Lernprozessen der persönlichen Biographie. (Vgl. gaby miketta: Netzwerk Mensch, 35.) Die Gene sind nicht einfach unser Schicksal. manfred spitzer (Geist im Netz, 1; 38) stellt in diesem Zusammenhang eine einfache Modellrechnung auf: Nehmen wir einfachheitshalber einmal nur 10 Milliarden (1010) Neuronen im Großhirn (statt der geschätzten 20 Milliarden) an und setzen wir ferner voraus, jedes Neuron würde sich bloß mit 1000 (103) anderen Neuronen verbinden (in Wirklichkeit ist jede Nervenzelle, wie wir hörten, mit bis zu 10 000 anderen verknüpft), so läge die Anzahl der zu kodierenden Verbindungen bereits bei 10 Billionen (1013); selbst wenn jede dieser Verbindungen nur durch ein Bit charakterisiert wäre (es wäre nur festgelegt, ob sie bestünde oder nicht), so wäre doch bereits eine Informationsmenge von eben 10 Billionen (= 1013) Bit (= 1,25 · 1012 Byte, da 8 Bit = 1 Byte) erforderlich. Die Informationsmenge des ganzen menschlichen Genoms (mit seinen 3 Milliarden Basenpaaren und seinen vier zur Auswahl stehenden Basen) kann man auf 6 Milliarden (6 · 109) Bit = 750 Megabyte berechnen (mit 2 Bit Informationsgehalt an jeder Stelle des Genoms), und diese Zahl ist verschwindend gegenüber den 1,25 Millionen Megabyte, die benötigt würden, um allein die Verbindungen des Großhirns zu kodieren. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 40 –41; 68–75.) Doch wie gesagt, die Anzahl der Neuronen im Großhirn ist in etwa doppelt so groß, und die Anzahl der möglichen Verbindungen um eine Zehnerpotenz (eine Größenordnung) höher. Mit anderen Worten: «Selbst dann, wenn die gesamte Informationsmenge, die menschliche Zellen enthalten,

174

Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

für die Kodierung der Verbindungen zwischen Neuronen zur Verfügung stünde, würde die Informationsmenge nicht ausreichen, um auch nur einen wesentlichen Anteil der Verbindungen genetisch festzulegen . . . Das Gehirn des Menschen kann nicht fest verdrahtet sein. Menschen lernen aus Erfahrung.» (manfred spitzer: Geist im Netz, 38) Diese Feststellung ist äußerst folgenreich. Das Problem ist nur: Was eigentlich bedeutet «Lernen» neurologisch? Bevor wir versuchen, dieser Frage nachzugehen, wollen wir zunächst etwas Tröstliches nicht überhören, das auch in dem Gesagten bereits enthalten ist. Die Großhirnrinde, der Isocortex, von dem wir vorhin gesprochen haben, besitzt, auf Grund seiner zahlreichen Faltungen, eine Fläche von ca. 1000 cm2, er ist aber nur 1,5 bis 4,5 mm dick; gleichwohl enthält die Hirnrinde rund 70 % aller Nervenzellen, die zudem stärker als alle anderen Neuronen im Körper miteinander verkabelt sind. (Vgl. gaby miketta: Netzwerk Mensch, 39.) Solange man das Gehirn des Menschen als ein statisches Organ auffaßte, mußte es zweifellos mehr als bedenklich stimmen, mitansehen zu müssen, daß Nervenzellen, im Unterschied zu anderen Zellen, sich nicht teilen können, – wir kommen mit ihnen zur Welt, hernach aber sterben jeden Tag etwa 10 000 von ihnen ab; zwar sind das von den genannten 20 Milliarden Neuronen nach 70 Jahren nur erst 1,3 %, und doch müßte ein solch kontinuierlicher Abbauprozeß der «Hardware» des Gehirns entmutigend wirken, würde er nicht durch die neuronale Plastizität, also durch die Fähigkeit der «Hardware Gehirn», sich der gerade laufenden Software optimal anzupassen, ausgeglichen. (Vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 10–11.) Dafür ein kleines Beispiel. Wir sahen schon, wie der primäre (hinter der Zentralfurche auf dem Parietallappen gelegene) somatosensorische Cortex eine Körperoberflächenkarte enthält; nun aber zeigt sich, daß diejenigen Areale der Hirnrinde, die durch die Informationen der ihnen zugeordneten Körperteile genügend beschäftigt werden, an Umfang zunehmen, während sie sich bei Nichtgebrauch der betreffenden Körperteile verkleinern; die Repräsentanz der linken Hand etwa wird bei einem Geigenspieler auf dem primären somatosensorischen Cortex der rechten Hirnhälfte vergrößert erscheinen, während die corticale Fläche für die Repräsentanz eines Beines im Fall einer Amputation schrumpfen wird. (Vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 11–12.) Insofern liegt es tatsächlich in gewissem Umfang bei uns selbst, wie wir die Neuroplastizität unseres Gehirns nutzen und in welch einem Zustand wir es in hohem Alter vorfinden werden – wer wir persönlich also dann sein werden! Doch jetzt zu der entscheidenden Frage: Was bedeutet «Lernen»? Was bedeutet «Plastizität» in der Sprache der Neurologie? Wie funktioniert unser

Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern

175

Nervensystem? Was eigentlich sind das: Nerven, Nervenzellen, Nervenverbindungen?

a) Evolutive Erinnerungen Um die sonderbare elektrochemische Arbeitsweise eines Neurons zu verstehen, ist es vorab hilfreich zu erläutern, wie Nervenzellen (möglicherweise) entstanden sind. Dazu allerdings muß man weit in der Geschichte des Lebens zurückgehen, etwa in die Zeit vor 2,2 Milliarden Jahren, als sich soeben die Eukaryoten (griech.: eu – gut, echt; das káryon – Kern), also die Zellen mit einem «echten Zellkern», entwickelt hatten. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 575; 609; 611; e. drewermann: . . . und es geschah so, 219 –221.) In dieser Zeit muß es im Urozean hin und wieder vorgekommen sein, daß eukaryotische Einzeller (Protisten, von griech.: der prõtos – erster) von der ungefähren Größe eines Bakteriums sich nach Teilung der Urzelle nicht, wie sonst üblich, voneinander trennten, sondern nach zum Beispiel viermaliger Teilung als Gebilde aus 16 Untereinheiten zusammenblieben. «Molekulare Uhren datieren den gemeinsamen Vorfahren der vielzelligen Eukaryoten zurück auf eine Zeit vor 1,5 Milliarden Jahren.» (neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 612) Die ersten «Vielzeller» waren das Ergebnis einer (ungerichteten) Mutation – eigentlich Mißbildungen; doch besaßen sie vermutlich einen Überlebensvorteil: sie waren zu groß, um von anderen (Mikro)Organismen «gefressen» zu werden; zudem, wenn sich die Bewegungen der Geißeln synchronisieren ließen, konnte die Fortbewegung beschleunigt werden. Das Bild, das sich bis dahin bietet, ist in der einfachsten Form ein kugelförmiger «Mehrzeller», ähnlich der Volvox, wie Abb. A 42 sie zeigt. Volvox befindet sich an der Schwelle zum Vielzeller, weshalb man sie auch als «Kolonialindividuum» bezeichnet. Sie bildet eine Kolonie aus einigen tausend einzelnen Geißeltierchen (oder richtiger: Geißelpflänzchen, da diese Chlorophyll besitzen), die an der Oberfläche einer hohlen Gallertkugel sitzen, die sie selber abgesondert haben. Alle Zellen sind Einzelwesen, fast alle gleichen einander (einmal davon abgesehen, daß sich nur bestimmte Zellen reproduzieren können – es also genaugenommen zwei verschiedene Zelltypen gibt); es existieren noch keine organähnlichen Differenzierungen und auch noch kein einheitlicher Organismus. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 673 –674.) Die Lichtabhängigkeit der durch das Chlorophyll ermöglichten Photosynthese sollte für einen rudimentären Tag-Nacht-Rhythmus sorgen; –

176

Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 42: Das Bild einer Volvox

doch die einzig wirkliche Koordination zwischen den Aktivitäten der Zellen besteht in einem gewissen Gleichtakt der Geißelschläge beim Schwimmen. Eine solche Synchronisation ist einfach: eine aktivierende Substanz intensiviert die Aktivität der Geißeln, eine hemmende Substanz unterdrückt sie. Eine solche humorale Steuerung (lat.: der umor – Flüssigkeit) bildet anscheinend die ursprüngliche und zunächst einzige Form der «Kommunikation» zwischen den verschiedenen Teilen eines Vielzellverbandes; ein derartiges humorales internes Verständigungssystem ergab sich auf den ersten Stufen der Vielzelligkeit wohl einfach dadurch, daß die einzelnen Zellen die verschiedenen Abfallprodukte ihres Stoffwechsels in den extrazellulären Raum abgeben mußten und damit zugleich gewisse Informationen an benachbarte Zellen weitergaben. Spezifische Stoffwechselprodukte dürften auf diese Weise eine Signalfunktion übernommen und so den Anfang für die Entstehung der Hormone gebildet haben; erst nachträglich sind in dieses System die vegetativen Nerven eingebaut worden, und sie konnten offenbar nicht anders, als sich der bereits vorhandenen humoralen Steuerungsmechanismen zu bedienen. Während der Evolution sind dann die «Komponenten interzellulärer Kommunikation mit der Ausbildung von Nervenzellen und dadurch mit der Möglichkeit gezielter und schneller Erregungsfortleitung und -verarbeitung zellulär differenziert und zu einem vielzelligen System verbunden» worden. (gerhard roth – mario f. wullimann: Evolution der Nervensysteme und der Sinnesorgane, in: Neurowissenschaft, 27) Wie aber ging es mit der Entwicklung von Nervenzellen auf den untersten Stufen der Evolution weiter? Eine Vorstellung davon liefert das Embryonalsta-

Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern

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Abb. A 43: Embryonalstadien in der Entwicklung der meisten Tiere

dium aller Tiere. Entsprechend dem «biogenetischen Grundgesetz» ernst haeckels (1834 –1919) von der Wiederholung der Phylogenese (griech.: der Stammesgeschichte) in der Ontogenese (griech.: der Entwicklung des einzelnen Lebewesens, vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 96; 117; 543), kommt es nämlich durch wiederholte Teilungsvorgänge der befruchteten Eizelle zur Bildung einer zellulären Hohlkugel, einer Blastula (lat. Verkleinerung von griech.: der blástos – Keim), die phylogenetisch noch durchaus dem Stadium einer Zellkolonie nach Art der Volvox vergleichbar ist. Dann aber setzt bei den meisten Tieren die sogenannte Gastrulation, die Bildung einer Gastrula (lat.: eines «Becherkeims»), ein: die Wand der Kugel wird zweischichtig, oft auch dreischichtig, indem eine Zellschicht sich in die andere senkt, ganz wie wenn man einen weichen Gummiball eindrückt; auf diese Weise entsteht ein Wesen mit zwei Zellschichten: einer äußeren Schicht (griech.: dem Ektoderm, dem äußeren Keimblatt, von griech.: ektós – außen, die dérmis – Haut), die der Epidermis (griech.: der darauf liegenden Hautschicht) erwachsener Tiere entspricht, und einer inneren Schicht (griech.: dem Entoderm, dem inneren Keimblatt, von griech.: entós – innen), die später den Darmkanal auskleidet. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 752; 1202–1206.) Abb. A 43 zeigt die Embryonalstadien in der Entwicklung der meisten Tiere. Diese Einstülpung der Kugeloberfläche vergrößert die Oberfläche im Verhältnis zum Innenvolumen und war stammesgeschichtlich offenbar nötig, um die Versorgung der Zellen bei größer werdenden Vielzellern zu erleichtern, – an sich verringert sich nämlich die Oberfläche (für den Stoffaustausch mit der Umgebung) bezogen auf das Volumen (in dem der Stoffwechsel stattfindet) bei zunehmender Organismengröße. Mit der Vielzelligkeit trat ein weiteres, schwer zu lösendes Problem auf: Bis dahin, immerhin über einen Zeitraum von mehr als zwei Milliarden Jahren hinweg, grenzte jede Zelle (beziehungsweise die präbiotischen oder

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 44: Hypothese zum Ursprung der Tiere aus begeißelten Protisten

biotischen Gebilde, die ihnen vorangingen) an die sie umgebende Außenwelt, und jede Zelle konnte aus ihrer Umgebung so viele organische Verbindungen und Salze entnehmen, wie nötig, und zudem die Abfallprodukte ihres Stoffwechsels mühelos entsorgen, – ihre eigene biochemische Zusammensetzung war optimal an die Verhältnisse des Urmeeres angepaßt. Jetzt aber, mit der Entwicklung der Vielzelligkeit, bei der immer mehr Zellen in das Körperinnere eingeschlossen und so von der Außenwelt abgeschnürt wurden, mußte der Körper des Organismus «so konstruiert sein, dass jede seiner lebenden Zellen in einem wässrigen Milieu badet», also eine direkte Berührung mit einer geeigneten wäßrigen Umgebung besitzt. (neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1007) Dies wurde nun ebenfalls durch die becherförmige Körperkonstruktion gewährleistet: es entstand ein Urmund (oder eine «Kloake»), durch den nährstoffreiche Flüssigkeit einfließen und Abbauprodukte ausströmen können, so daß über die Mundöffnung und die Verdauungshöhle auch die Zellen der inneren Zellschicht in unmittelbarem Kontakt zum wäßrigen Außenmedium stehen. Abb. A 44 gibt uns einen zusammenfassenden Überblick über eine mögliche Entstehung der tierischen Organismen aus begeißelten eukaryotischen Einzellern. Sehr wahrscheinlich stammen alle heutigen Tiere von einem «koloniebildenden, begeißelten Protisten, der vor über 700 Millionen Jahren im Präkambrium lebte», ab. (neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 753) Fest steht jedenfalls, daß die Zahl der «Vielzeller» zunahm und daß auch die Zellaggregate, aus denen sie bestanden, sich vergrößerten. Zugleich mit dieser Umformung müssen sich die Zellen zu differenzieren begonnen haben: Die Zellen an der äußeren Oberfläche konnten mit ihren langen und kräftigen Geißeln weiter die Beweglichkeit des Organismus aufrechterhal-

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ten; die Zellen im Inneren aber dienten nicht länger der Fortbewegung, sondern der Kanalisation des Flüssigkeitsstroms hinein und heraus. Damit aber konnten und mußten die beiden Arten geißeltragender Zellen auch in ihren Funktionen von einander unterschieden werden. Bisher mochte es genügt haben, wenn alle Geißeln, wie bei der Volvox, im Gleichtakt schlugen; jetzt aber wurde es wegen des höheren Energiebedarfs der größeren Vielzeller unerläßlich, den Organismus an Gebieten zu halten, die durch Temperatur, Sonneneinstrahlung und stoffliche Zusammensetzung besonders günstig zur Nahrungsaufnahme waren. Dazu wurde ein Signalsystem gebraucht, das den äußeren, langen und kräftigen Geißeln mitteilt, wann die Bewegung ausgesetzt oder wieder aufgenommen werden soll, und das den inneren, verkürzten Geißeln meldet, wann sie besonders intensiv den Nahrungsstrom ins Innere lenken müssen. Das wiederum erforderte eine präzisere und gezieltere Form der Signalübertragung, als es mit der ungerichteten Diffusion hormonartiger Stoffe im «inneren Meer» möglich war; außerdem sollten die jeweiligen Steuerimpulse rascher auch an entferntere Zellregionen weitergeleitet werden können. Präzision und Schnelligkeit – diese neue Aufgabenstellung muß es gewesen sein, die das Konstrukt der Nervenzellen auf den Plan rief. Mit einem Wort: Die Evolution von Vielzellern konnte schon bei den ersten Schritten nur gelingen auf Grund der gleichzeitigen Entwicklung von spezialisierten Zellen, die zu «Organen» für bestimmte Funktionen zusammengefaßt wurden, und der Ausbildung eines Nervennetzes, das diese «Organe» darüber informiert, wann ihre Aktivitäten nötig und wann unnötig sind. Oder noch anders gesagt: Das Nervensystem ist nicht eine Auszeichnung «höherer» Lebewesen, es ist die Bedingung dafür, daß sie sich überhaupt entwickeln konnten. «Bereits zur Zeit der kambrischen Explosion des Tierreichs vor über 500 Millionen Jahren . . . existierten ausgefeilte Nervensysteme, die einem Tier sensorische Verarbeitung und schnelle Fortbewegung ermöglichten.» (neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1241) Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde als erstes die totale Richtungslosigkeit der Signalübertragung mit Hilfe hormonaler Substanzen, die den Organismus eines Vielzellers unterschiedslos überschwemmen, von einem bestimmten Stadium der Entwicklung an eingeschränkt, ohne deshalb strukturell verändert zu werden. Wie das möglich war, zeigt sich in perfektionierter Form heute immer noch in unserem eigenen Körper: Hormone verbreiten sich nach wie vor ganz und gar ungerichtet; aber es gibt spezielle Orte, an denen die Hormone ausgeschüttet werden – die endokrinen Drüsen, und es gibt spezielle Orte, an denen sie empfangen werden – die Rezeptorstellen auf den Zielzellen. Anfanghaft

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muß irgendwann in vergleichbarer Weise eine eindeutig definierte Richtung, ein «Gradient», zwischen Sender und Empfänger sich gebildet haben, indem beide durch ein abnehmendes Konzentrationsgefälle der humoralen Überträgersubstanzen miteinander verbunden wurden; und eben dieses Konzentrationsgefälle der Überträgersubstanzen wird es gewesen sein, das selektiv Zellfortsätze begünstigte, die vom «Sender» her dem Empfänger entgegenwuchsen. «Nervenzellen sind wahrscheinlich aus sekretorischen Zellen entstanden . . . (Sc. Alles das, was wir gleich im einzelnen noch kennenlernen werden, d.V.:) Interzelluläre Kommunikation unter Einschluß von Transmittersubstanzen, Neuropeptiden, Second-Messenger-Systemen, Ionenkanälen und Membranpotentialänderungen ist somit älter als Nervenzellen und Nervensysteme.» (gerhard roth – mario f. wullimann: Evolution der Nervensysteme und der Sinnesorgane, in: Neurowissenschaft, 3) Tatsächlich ergibt sich diese Auffassung fast zwingend. Wir werden nämlich sogleich sehen, daß die «Verdrahtung» zwischen zwei Nervenzellen nicht lükkenlos ist; vielmehr existiert zwischen den Verbindungen ein Spalt, der zwar winzig klein ist, aber es geradewegs verhindert, daß ein elektrisches Signal, wie man es «eigentlich» erwarten sollte, durch einen kohärenten Strom von der einen Zelle zu der anderen geleitet wird. Statt dessen wird an einem solchen Spalt (einer Synapse, griech.: einer Verbindung) immer noch wie in Urzeittagen ein chemischer Stoff ausgeschüttet, der als Überträgersubstanz (lat.: als Transmitter) den elektrischen Impuls (durch Veränderung der Spannung über der Membran der Zielzelle) weiterleitet. Jedem ordentlichen Techniker muß ein solches Verfahren gewiß höchst stümperhaft erscheinen, – wenn schon die Einführung einer elektrischen Signalübertragung, warum dann nicht «richtig»? Die Antwort aber ist erstaunlich. Gewiß konnte die Evolution nicht anders, als in besagter Weise an dem Vorgefundenen weiterzuarbeiten, und insofern stellt der elektrochemische Weg der neuronalen Verschaltung in der Tat einen «faulen» Kompromiß dar. Doch hätte dieses Verfahren nicht von Anfang an entscheidende Vorteile geboten, die sich in Hunderten von Millionen Jahren immer weiter vervollkommnen ließen, so wäre es weder je entstanden, noch irgendwann fest etabliert worden. Wahrscheinlich arbeiteten die ersten Synapsen in der Evolution sogar elektrisch – noch bei der Embryonalentwicklung eines Seeigels spielen elektrische Synapsen eine entscheidende Rolle; Quallen und Polypen, die zu dem niedrigsten Tierstamm mit einem Nervensystem gehören, verfügen, wie wir gleich sehen werden, über elektrische wie chemische Synapsen. Der entscheidende Vorteil letzterer liegt offenbar in der Plastizität der Verbindungen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 50; 48.)

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Der wichtigste Vorzug der elektrochemischen Signalübertragung nämlich besteht sonderbarerweise darin, daß ein ausgesandter elektrischer Impuls sich nicht sogleich in dem gesamten System ausbreitet; denn wäre dies der Fall, so ginge die Präzision der Verbindung zwischen Sender und Empfänger wieder verloren, um derentwillen die Nervenzellen mit ihren leitenden Fortsätzen (ihren Axonen, griech.: ihren Achsen, ihren Leitungsbahnen) sich offenbar gebildet haben; an den elektrochemischen Synapsen hingegen kann, je nach Bedarf, die Verbindung weitergeleitet oder unterbrochen, mithin in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Und zudem – ein zweiter ausschlaggebender Vorteil –: die Art der Signalübertragung kann an jeder einzelnen Synapse chemisch beeinflußt werden. Die elektrochemische Signalübertragung hält insofern die Erinnerung an die biologisch wichtige Tatsache fest, daß das endokrine System (die Hormone) und das Nervensystem (die Neurotransmitter) zwei Kommunikationssysteme bilden, die vom Ursprung her miteinander verflochten sind und direkt oder indirekt aufeinander einwirken. Wie einfach das Nervennetz in den Anfangsstadien seiner Entstehung aufgebaut war, zeigt sich am Stamm der Nesseltiere (der Cnidaria, von griech.: die knide¯ – Nessel) und am Stamm der Rippenquallen (der A-cnidaria, griech.: Nicht-Nesseltiere, oder Ctenophora, von griech.: der kteis – Kamm, phérein – tragen; entsprechend auch Kammquallen genannt). Beide Tierstämme sind vermutlich unabhängig voneinander entstanden, bilden aber zusammen die Radiata (die radiärsymmetrischen Tiere, von lat.: radiatus – strahlenförmig), die wegen ihres zentralen Hohlraums oft auch als Hohltiere (Coelenterata, von griech.: koilós – hohl) bezeichnet werden. Man findet ihre Fossilien bereits im späten Präkambrium vor etwa 600 Millionen Jahren; sie sind somit die älteste monophyletische Gruppe innerhalb der Eumetazoa (der Gewebetiere, also der Tiere mit echtem Gewebe, von griech.: eu – gut, Metazõa – vielzellige Tiere; in Abgrenzung vom Tierstamm der Schwämme – griech.: Porifera – der «Porentragenden», denen echte Gewebe fehlen); einige Hohltiere stehen noch dem Urtyp der Metazoa (der Vielzeller, von griech.: metá – danach, das zõon – lebendes Wesen – der danach Lebenden, im Unterschied zu den Protozoa – von griech.: der prõtos – erster; das zõon – lebendes Wesen – den Einzellern) recht nahe. Zu den Nesseltieren zählen Hydren, Quallen, Seeanemonen und Korallen (die beiden letzteren werden auch Anthozoa – Blumentiere genannt, von griech.: das ánthos – Blume); die Rippenquallen (Ctenophora) umfassen nur etwa 100 verschiedene Arten. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 612; 756; 770–774; 805.) Die einfachste Beschreibung eines urtümlichen Nervensystems ist möglich

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 45: Zeichnung eines Süßwasserpolypen der Gattung Hydra

bei Süßwasserpolypen der Gattung Hydra. Abb. A 45 zeigt als Beispiel eine nur etwa einen Zentimeter große Süßwasserpolypenart. Wie zu sehen ist, besitzt Hydra einen vasenartigen, länglichen Körper sowie ein stielartiges Körperende, mit dem sie sich an die Unterlage festheftet. Am oberen Körperende befindet sich, von Tentakeln umgeben, eine Mundöffnung, die gleichzeitig als After dient. (Arten des Süßwasserpolypen Hydra besitzen in der Fußscheibe eine Öffnung zur Entfernung von Verdauungsrückständen; zu der sehr spezialisierten Form von Hydra unter den Cnidariern vgl. Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Bd. I: Wirbellose Tiere, 2. Teil: Cnidaria, Ctenophora u. a., 61.) Die Zellen sind zweischichtig in Ektoderm und Entoderm angeordnet, wie es der soeben angenommenen Urform eines Vielzellers entspricht. Die

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äußeren Zellen bilden eine Schutzhaut, die inneren Zellen dienen der Verdauung der Nahrung, indem sie die Höhlung des Gastralraumes (griech.: der gaste¯r – Magen) auskleiden. Den einzigen wirklichen Fortschritt der Hydra gegenüber der hypothetischen Urform bildet der Tentakelkranz, der für die räuberische Nahrungsbeschaffung nötig ist. In unserem Zusammenhang besonders von Belang sind die speziellen Nesselzellen (die Nematocyten, von griech.: das néma – Faden, der kýtos – Zelle), die sich auch bei allen anderen Angehörigen der Cnidaria finden und die Nesselkapseln (die Nematocysten, griech.: fadenähnliche Blasen) bilden. Diese Kapseln sind an den Tentakeln besonders reichlich und enthalten eine schlauchartige Waffe, die «wie der Finger eines Gummihandschuhs nach innen gestülpt ist. Sobald ein Auslöser . . . mechanisch oder chemisch stimuliert wird, stülpt sich der Nesselfaden explosionsartig nach außen und umwickelt Fortsätze des Beutetieres». (neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 771) Neben diesen Wickelkapseln besitzen Cnidaria noch Durchschlagkapseln, die Gift in die Beute injizieren, und Haftkapseln. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 770 –772.) Woher aber weiß die Hydra, was für sie als Beute geeignet ist? Was auch immer über die Tentakeln dem Mund der Hydra zugeführt wird, – er öffnet sich nur auf Grund eines speziellen Reflexes, der aber nicht durch einen Berührungsreiz, sondern durch ein chemisches Signal ausgelöst wird; und dieses Signal zeigt der Hydra an, daß das, was sich vor ihrem Mund befindet, ein lebender Wasserfloh sein muß. Denn was den Mundreflex auslöst, ist ein primitiver Eiweißbaustein aus nur drei Aminosäuren: – ein Tripeptid namens Glutathion. Dieser Stoff liegt reduziert in der Haut aller Wasserflöhe vor, solange sie leben; sterben sie, so oxidiert das Glutathion und verliert damit die Schlüsseleigenschaft für den Mund der Hydra. (Vgl. hoimar von ditfurth: Der Geist fiel nicht vom Himmel, 68; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1282; zu weiteren chemischen Auslösern und unterschiedlichem Verhalten nahe verwandter Hydraarten vgl. Lehrbuch der Speziellen Zoologie, I 2, 60.) Kann man sagen, daß die Hydra «weiß», was sie fangen und verzehren muß, um zu überleben? Natürlich nicht. Sie verfügt nicht über ein Zentralnervensystem, sie besitzt kein Gehirn, sie hat kein Bewußtsein; sie demonstriert vielmehr, daß die ersten Nervennetze ganz sicher nicht erfunden wurden, um irgend etwas von dem hervorzubringen, was wir Heutige als «Seele» bezeichnen. Die Entwicklung der Nervennetze diente ursprünglich offenbar einzig dem Zweck, das Überleben des Organismus zu gewährleisten, also im Falle von Hydra Volumenänderungen des Gastralraums, Tentakelbewegungen und Muskelkontraktionen zu koordinieren – nichts weiter. Dabei ist zu betonen,

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daß im dezentralisierten Nervennetz der Cnidaria die Nerven- und Muskelzellen zu sehr einfachen Verbänden organisiert sind und es echtes Muskelgewebe noch nicht gibt. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1242; 771– 772.) Es handelt sich andererseits aber auch nicht um ein «völlig diffuses Nervennetz . . ., sondern zeigt eine deutliche Konzentration von Sinnes- und Nervenzellen und ihren Fortsätzen um den Mund und den Stiel». (gerhard roth – mario f. wullimann: Evolution der Nervensysteme und der Sinnesorgane, in: Neurowissenschaft, 4; vgl. S. 26.) Immerhin kann Hydra auf bestimmte Reize hin sich kugelförmig zusammenziehen oder zur Seite strecken – wir werden darin später noch die ersten Formen elementarer Lernvorgänge erkennen –, und vor allem: wenn über längere Zeit keine Nahrung vorbeikommt, so kann die Hydra ihren Standort verlassen und eine neue Region aufsuchen. Die Tatsache, daß die Reflexfolge – Tentakelberührung, zum Mund führen, Mund öffnen, verschlucken – eine Weile lang ausbleibt, wirkt anscheinend selbst als ein Signal, das die Haftfähigkeit der Fußplatte aufhebt. (Vgl. hoimar von ditfurth: Der Geist fiel nicht vom Himmel, 68.) Aber auch davon «weiß» die Hydra natürlich nichts. Sie trägt lediglich diese Reflexfolge in sich, die durch geeignete Reize ausgelöst wird und deren Einhaltung ihr – normalerweise – das Überleben sichert. Neben Hydra sind Seeanemonen und Korallen andere Beispiele für diese sessile (von lat.: sede¯re – sitzen) Polypenform der Cnidarier; die Nesseltiere treten aber auch als schwebende Medusen auf, von denen die bekanntesten wohl die Quallen sind. Tatsächlich sind Medusen eigentlich umgestülpte Polypen, die schirmförmig abgeflacht mit der Mundöffnung nach unten im Wasser treiben. Auch sie sind zu Muskelkontraktionen imstande, die es ihnen sogar ermöglichen, mit Hilfe des Rückstoßprinzips zu schwimmen. Für solche aktiven Bewegungen müssen die Muskelkontraktionen koordiniert sein, indem Neuronen über größere Entfernungen miteinander in Verbindung treten. Und genau das ist der Fall im Nervennetz der Quallen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 8.) Neben Cnidariern, die nur als Polypen oder als Medusen vorkommen, gibt es auch Nesseltiere, die im Verlauf ihres Entwicklungszyklus Polypen und Medusen bilden. Während unser Süßwasserpolyp Hydra nur in der sessilen Polypenform auftritt, machen die Angehörigen der Gattung Obelia, die wie Hydra zur Klasse der Hydrozoa (der «Wassertiere», von griech.: das hýdo¯r – Wasser, das zõon – lebendes Wesen) zählen, einen Generationswechsel durch: Nachdem Obelia eine Zeitlang als Polyp gelebt hat, bildet sie durch ungeschlechtliche Fortpflanzung (Knospung) freischwimmende Medusen, die ihrerseits auf

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Abb.: A 46: Generationswechsel der Gattung Obelia

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dem Wege der geschlechtlichen Fortpflanzung wiederum sessile Polypen zeugen. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 771; 773.) Abb. A 46 zeigt den Generationswechsel von Obelia. Wie die Cnidarier sind auch die Rippenquallen (die Ctenophora, von griech.: der kteis – Kamm, phérein – tragen) einfach gebaut; sie sind kaum gegliedert und bilden wie jene nur den Ektoderm (die spätere Epidermis, die die Außenfläche und das Schlundrohr bedeckt) und den Entoderm (die spätere Gastrodermis, die das innere Röhrensystem auskleidet), wobei allerdings bei ihnen auch Hinweise auf ein Mesoderm existieren. Diesen meistens kleinen, durchsichtigen, freischwimmenden Meeresformen, deren weicher Körper gewöhnlich kugelförmig aussieht, fehlen die für Cnidarier typischen Nesselzellen – statt ihrer besitzen sie Klebzellen (Colloblasten; griech.: die kólla – Leim; der blástos – Keim, Sproß). Besondere kammartige, mit Wimpern besetzte «Ruderplättchen», die in charakteristischen, strahlenförmigen Reihen, «Rippen» genannt, angeordnet sind, gaben ihnen den Namen und ermöglichen den Tieren eine langsame Fortbewegung. «Ein aborales (sc. vom Mund entfernt liegendes, von lat.: ab – weg, das os – Mund, d.V.) Schweresinnesorgan (‹Statocyste›) dient der Orientierung, und von dort ziehen Nervenfasern zu den Rippen, um den Schlag der Ruderplättchen zu koordinieren»; was dabei deutlich wird, ist die enorme Bedeutung der Bewegung bereits in den frühesten Stadien der Entwicklung eines Nervennetzes. (neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 774) Abb. A 47 zeigt vergrößert eine kleine Rippenqualle von etwa 2 cm Durchmesser. Einen Schritt weiter in der Entwicklung von einem Nervennetz zu einem Zentralnervensystem erfolgte die Entstehung eines kleinen «Gehirns» als Konzentration von Nervenzellen am Kopf des Tieres und die Ausbildung von Nervensträngen. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1242.) Wie die Verschaltung von Nervenzellen und Muskelzellen in den einfachsten Formen eines derartigen Nervensystems zu denken ist, stellt sich besonders klar am Beispiel des Strickleiternervensystems des Regenwurms dar – eines Angehörigen des Stammes der Ringelwürmer (der Annelidae); – auch das Wirbeltiergehirn hat sich aus solcherart primitiven Nervensystemen entwickelt. Das Nervensystem eines Regenwurmes besteht aus einer Reihe von Ganglien (griech.: das gánglion, eigentlich: das Überbein, dann: Nervenknoten, Ansammlung von Nervenzellen), die segmental angeordnet sind, d. h. jedes Ganglion ist für ein einzelnes Segment (für einen Abschnitt, von lat.: das segmentum – Abschnitt) zuständig. Es enthält einerseits afferente (zuleitende, aufsteigende, von lat.: afferens – zuführend ) Fasern von Sinneszellen (von sensori-

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Abb. A 47: Bild einer Rippenqualle

schen Neuronen), die ihm die Informationen von den Hautrezeptoren des jeweiligen Segmentes melden, und es verfügt andererseits über efferente (lat.: efferens – wegführend, absteigend) Neuronen, welche die Bewegung des Segmentes kontrollieren: – sogenannte Motoneuronen. Aber auch die Abläufe in den einzelnen Ganglien müssen aufeinander abgestimmt werden; deshalb ist es zur Fortbewegung eines Regenwurmes unerläßlich, daß die Ganglien über Nervenbahnen miteinander verbunden sind. Die Koordination der Aktivitäten übernimmt das Ganglion am Vorderende, das sogenannte Oberschlundganglion, das noch zusätzliche sensorische Informationen vom Kopf (Vorderende) des Regenwurmes erhält. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 9 –10.) «Das Kopf- oder Oberschlundganglion stellt somit den Beginn eines Gehirns dar.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 9) Abb. A 48 zeigt den Grundplan eines derartigen Nervensystems. Im Verlauf der Evolution gewann das Kopfganglion an Größe, und es übernahm mehr und mehr die Kontrolle über die anderen Nervenansammlungen; doch so enorm der Unterschied zwischen dem Nervensystem eines Süßwasserpolypen oder eines Regenwurmes und dem Zentralnervensystem (Gehirn und Rückenmark) eines Wirbeltieres auch ausfallen mag, so verwenden doch alle tierischen Neuronen, von der Hydra bis zum Homo sapiens, den gleichen elek-

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Abb. A 48: Grundbauplan eines Nervensystems am Beispiel eines Regenwurmes

trochemischen Mechanismus der Signalübertragung. Auch hier konnte die Natur ihren einmal begonnenen Weg nicht wieder verlassen; die grundlegenden Mechanismen in den Neuronen mußten bleiben, wie sie waren; verändern ließ sich einzig die Verschaltung der Neuronen, und vermehren insbesondere ließ sich ihre Zahl, mit dem Ergebnis, daß der winzigste Abschnitt in einem Wirbeltiergehirn bereits viele Tausende, wo nicht Millionen von Nervenzellen umfaßt. Nun gehört zu unserem Wirbeltier-Nervensystem nicht nur das Zentralnervensystem (ZNS, mit Gehirn und Rückenmark), sondern auch das periphere Nervensystem (PNS, mit den Ganglien und den peripheren Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark verlaufen), das dem ZNS Informationen zuleitet und dessen motorische Befehle ausführt. Zum peripheren Nervensystem zählt das autonome (vegetative) Nervensystem, von dem wir schon gehört haben und das wir später noch im einzelnen besprechen werden. Es besteht aus den beiden Subsystemen Sympathicus und Parasympathicus. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1243–1244.) Die Nervenzellen des Sympathicus zum Beispiel veranlassen in Angst- und Streßsituationen das Nebennierenmark zur Ausschüttung der Hormone Adrenalin und Noradrenalin (NA), wobei wir letzteres bereits als Neurotransmitter (beziehungsweise

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als Neuromodulator) kennengelernt haben. Beide Hormone verbreiten sich im ganzen Körper und verursachen eine Vielzahl von Wirkungen in verschiedenen Organen: die Magen- und Darmaktivität wird gehemmt und die Durchblutung von Verdauungstrakt, Nieren und Haut verringert, so daß erhebliche Blutmengen für die Versorgung von Herz, Gehirn und Skelettmuskeln zur Verfügung gestellt werden können; zudem wird der Herzschlag beschleunigt und der Blutdruck erhöht; die Bronchien weiten sich und erleichtern mithin die Sauerstoffversorgung; der Blutzuckerspiegel steigt an, so daß die Muskeln zusätzliche Energie erhalten; die Pupillen erweitern sich und verbessern damit die Sensibilität für optische Reize; kurz: diese beiden Hormone üben mittels spezifischer Rezeptoren auf die verschiedensten Organe ganz verschiedene Wirkungen aus, die doch alle gemeinsam nur einen einzigen Zweck verfolgen: eine «Notfallreaktion» auf eine drohende Gefahr auszulösen, indem sie den Organismus in optimaler Weise auf Flucht oder Angriff vorbereiten. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: A. a. O., 1162 –1163; gaby miketta: Netzwerk Mensch, 63 –67.) Das vielfältige Zusammenspiel von Hormonen und Gehirn werden wir uns natürlich noch des näheren anschauen, denn es besitzt nicht nur, wie im Falle von Angst- und Streßreaktionen bei Tieren und Menschen, eine außerordentliche physiologische Bedeutung, es steuert auch das sexuelle Erleben, es entscheidet über depressive Verstimmungen und über viele andere psychologische Prozesse. Und noch ein Zweites konnte bei so komplex gebauten Tieren wie den Wirbeltieren nicht so einfach bleiben wie zuvor: Als die Tiere an Größe zunahmen, mußte bei dem immer ungünstiger werdenden Oberflächen-Volumen-Verhältnis weiterhin für jede einzelne Zelle ein direkter Zugang zu einem geeigneten wäßrigen Medium gewährleistet bleiben. Dazu mußte im eigenen Körperinneren zwischen den einzelnen Körperzellen das äußere Milieu des Meeres auf das genaueste nachgebildet werden, so daß das Tier zwar vom externen (äußeren) Milieu umgeben ist, tatsächlich aber jede einzelne seiner Zellen im internen (inneren) Milieu lebt. Wie genau es gelang, dieses «innere Meer», das die bindegewebigen «extrazellulären» Räume zwischen unseren Körperzellen ausfüllt und Nährstoffe und Stoffwechselendprodukte mit dem Blut austauscht, nachzubilden, zeigt sich zum Beispiel an der nahezu identischen Zusammensetzung von Meerwasser und «innerem Meer» bezüglich so wichtiger Ionen wie Natrium(Na+)-, Kalium-(K+)-, Chlorid-(Cl−)- und Calcium-(Ca2+)-Ionen, die über die elektrischen Eigenschaften der Zellmembran entscheiden und damit die Grundlage für die Funktionsweise aller Neuronen bilden. Es ist aber der Evolution nicht nur gelungen, das «Meer» im Inneren der Vielzeller nachzubilden,

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sondern auch, es in einer unglaublich scheinenden Konstanz beizubehalten. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1007–1009.) Am Anfang hatte sich die Zusammensetzung des inneren Milieus wie von selbst aus der Zusammensetzung des äußeren Milieus ergeben; – bei einem kleinen Pantoffeltierchen oder einem Süßwasserpolypen bleiben zum Beispiel die Verhältnisse im «inneren» Tümpel ohne großen Aufwand ziemlich entsprechend den Verhältnissen in dem «äußeren» Tümpel, in dem sie leben. Irgendwann aber, als das «innere Meer», das die Zellen mit Nahrung versorgte, relativ zur Gesamtgröße des vielzelligen Organismus immer kleiner geworden war, wurde es nötig, einerseits für die Aufnahme von Nährstoffen und Sauerstoff aus dem äußeren Milieu ausgedehnte spezialisierte Oberflächen auszubilden – sie liegen meist im Körperinneren, stehen aber mit der äußeren Umgebung über Öffnungen in Verbindung – und andererseits mit Hilfe von nierenartigen Systemen die Reinerhaltung der extrazellulären Flüssigkeit sicherzustellen. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1008.) Schauen wir uns nur die Regelung des Wasserhaushaltes etwas genauer an: Vom Hypophysenhinterlappen (der Neurohypophyse) wird ein Hormon (Vasopressin, das antidiuretische Hormon, ADH) in die Blutbahn ausgeschüttet, dessen Aufgabe es ist, die Wasserrückresorption in die Niere zu gewährleisten. Außerdem gibt es ein zweites System, das sogenannte Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS), in dem die Abnahme von Blutvolumen oder Blutdruck die Freisetzung des Enzyms Renin bewirkt, das seinerseits die Synthese von Angiotensin II induziert. Angiotensin II wirkt als «Dursthormon» und erhöht Blutvolumen und Blutdruck durch viele Effekte: Es verengt die Arteriolen (die Blutgefäße, in die sich die Arterien innerhalb der Körperorgane verzweigen und die das Blut in die Kapillaren transportieren), es verstärkt die Aufnahme von Wasser und Natriumchlorid (Kochsalz, NaCl) in den Nieren, und es veranlaßt die Nebennieren zur Ausschüttung von Aldosteron, einem Hormon, welches wiederum zur gesteigerten Reabsorption von Wasser und Natriumchlorid zurück in das «innere Meer» führt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 178; 228 –229; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1140 –1141.) Aber nicht nur die Menge an reabsorbierten Natrium-(Na+)-Ionen, sondern auch die von sezernierten Kalium-(K+)-Ionen wird entsprechend reguliert und damit deren Konzentrationen im «inneren Meer» konstant gehalten. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: A. a. O., 1137.) Der Calciumspiegel (die Konzentration an Ca2+-Ionen) wiederum wird durch das Zusammenspiel zweier antagonistisch wirkender Hormone eingestellt: Das von den Nebenschilddrüsen sezernierte Hormon Parathyrin (PTH,

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Parathormon) hebt den Calciumspiegel im Blut an (unter anderem dadurch, daß es in der Niere die Reabsorption von Ca2+-Ionen fördert), während das von der Schilddrüse abgegebene Hormon Calcitonin den Calciumspiegel senkt. Die Sekretion der Schilddrüsen-Hormone zur Einstellung dieses physiologischen Gleichgewichts wird dabei von Hypothalamus und Hypophyse in einem komplexen System negativer Rückkopplungen geregelt. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1159–1160.) Zu den genannten Ionen kommen noch viele andere Substanzen, wie Zucker und Fettsäuren, hinzu, und diese müssen ebenfalls auf konstanten Werten gehalten werden. Eine Vorstellung davon, wie auch dies in komplexen rückgekoppelten Systemen geschehen kann, haben wir bereits erhalten, als wir von der vegetativen Steuerfunktion des Hirnstamms und der Hypophyse sprachen. Aus der unglaublichen Vielfalt von Regelkreisläufen dieser Art werden wir einige emotional besonders wichtige Steuervorgänge noch näher betrachten. Mit all dem erfahren wir bis jetzt viel von der engen evolutiven und physiologischen Verflechtung des Nervensystems und des Hormonsystems (des endokrinen Systems), es gibt aber noch ein drittes Kommunikationssystem, das mit den beiden genannten verbunden ist: das Immunsystem. Es entscheidet auf der untersten Ebene der zellulären Identität darüber, was als körpereigen und was als körperfremd zu betrachten ist, was also im Körper zugelassen werden kann und was darinnen ausgemerzt und ausgestoßen werden muß. Das Immunsystem bietet ein geradezu extremes Beispiel dafür, daß vollkommen ohne Bewußtsein und Planung sich überaus komplexe Systeme zum Erhalt des Lebens bilden können (vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 300 –316: Immunbiologie – der endlose Kleinkrieg im Inneren des Körpers), und es steht mit psychischen Vorgängen in engem Zusammenhang. Bereits in den 20er Jahren des 20. Jhs. hat die Psychoanalyse damit begonnen, eine Reihe von Erkrankungen als «psychosomatisch» verursacht zu betrachten, also die «Seele» für den Ausbruch körperlicher Krankheitsbilder verantwortlich zu machen. Damals mußten auch diese Thesen sehr spekulativ bleiben. Heute indessen zeigen die Fortschritte von Neurologie (Hirnforschung), Endokrinologie und Immunologie immer klarer, wie Nervensystem, Hormonsystem und Immunsystem ineinandergreifen; ja, die Einheit dieser drei Systeme ist so fundamental, daß man ihr mit Hilfe einer neuen Disziplin: der Psychoneuroimmunologie auf die Spur zu kommen sucht. (Vgl. niels birbaumer – robert f. schmidt: Biologische Psychologie, 45– 63.) Auch dieses weite Feld von Psychosomatik und Psychotherapie werden wir, auf der Suche nach der Seele, noch sorgfältig abzuschreiten haben.

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Stellen wir uns vor, wir stünden in der großen Halle des Aquariums des Berliner Zoos. In dem schwach beleuchteten Becken ziehen bläulich schimmernde Quallen vorüber – durchsichtig, zart, mehr schwebend als schwimmend, und wir bestaunen die filigrane Schönheit ihrer kreisrunden Formen. Sie sind so verletzbar! Man ahnt, daß jede Berührung sie zusammenzucken lassen wird. Jetzt aber, nach dem Gesagten, mischt in das Staunen sich noch die Bewunderung: Dies also sind die Anfänge dafür, daß wir sehen und über das Gesehene nachdenken können! Dies sind die Wurzeln unserer eigenen geistigen Existenz! – Ein paar Schritte weiter breitet sich das schillernde Farbenspiel der Seenelken und Korallen aus. Es fällt schwer, die malerisch ruhende Schönheit hier mit der schwerelos wirkenden Eleganz dort in Verbindung zu bringen, ja, sie sogar als verwandt zu erkennen; und doch ist es diese Einheit, die in all der Vielfalt der Erscheinungen auch uns selber als zugehörig zu dem einen großen Strom des Lebens erweist. Das Meerwasser: die Bedeutung der Elemente Natrium, Kalium, Chlor und Calcium, – wie tief verwurzelt sind wir in dieser Welt, wenn, wie wir jetzt hören, es gerade diese Stoffe sind, mit denen alle Nervenzellen arbeiten!

b) Von Neuronen und Gliazellen An der ungeheueren Anzahl von Neuronen (Nervenzellen) in unserem Gehirn – je nach Autor werden etwa 100 Milliarden (= 1011) bis 1 Billion (= 1012) geschätzt, davon 20 Milliarden im Großhirn – liegt es, daß es gerade etwas mehr als 100 Jahre her ist, daß man sie zum ersten Mal zu sehen bekam und als die Grundeinheit aller psychischen Vorgänge, vitalen Steuerungen sowie sensorischen und motorischen Aktivitäten erkannte. Was für die Physik das Atom, was für die Biologie die Zelle, ist für die Hirnforschung das Neuron: es ist die funktionelle Grundeinheit des Gehirns. Erst was an psychischem Geschehen sich auf das Neuron und seine Verknüpfungen mit anderen Neuronen zurückführen läßt, darf wissenschaftlich als verstanden gelten. Doch auch wie ein Atom sich aufbaut, weiß man erst durch die Entdeckungen der Quantenphysik in den 20er Jahren des 20. Jhs. – knapp 80 Jahre ist das her! (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 1; eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 22; manfred spitzer: Geist im Netz, 1; zu Quantenphysik und Atomaufbau vgl. e. drewermann: Im Anfang . . . , 751–808.) Den Nervenzellen kam man, so geht die Anekdote, durch eine Putzfrau auf die Spur. Um 1870 arbeitete der italienische Anatom camillo golgi (1843 – 1926) daran, das Gehirn genauer zu untersuchen, und nun passierte es, daß be-

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Abb. A 49: Nervenzellen, wie ramón y cajal sie zeichnete

sagte Dame beim Aufräumen ein Stück Gehirn vom Schreibtisch in einen Abfalleimer entsorgte, der zufällig Reste einer Silbernitratlösung enthielt, und dieser Umstand erwies sich für die Wissenschaft als Glücksfall. Das Silbersalz färbte das Nervengewebe schwarz, inklusive der feinen Verästelungen, aber (aus bis heute nicht ganz aufgeklärten Gründen) nicht alle Zellen – dann wäre bei der Unsumme von Nervenzellen auf engstem Raum überhaupt nichts zu sehen gewesen –, sondern nur etwa jede hundertste. Damit war die erste golgiFärbung zustande gekommen, die in der Geschichte der Neurologie eine ähnliche Bedeutung besitzt wie für die Atomphysik das berühmte Experiment von ernest rutherford (1871–1937) aus dem Jahre 1919, als er Stickstoffkerne durch Beschuß mit Heliumkernen («Alphateilchen») in Sauerstoff umwandelte. (Vgl. e. drewermann: Im Anfang . . . , 94– 95.) golgi wie rutherford war vor allem gemeinsam, daß sie beim besten Willen nicht wirklich verstehen konnten, was sie eigentlich entdeckt hatten. golgi insbesondere blieb bei dem Eindruck stehen, der sich ihm beim ersten Hinsehen geboten hatte: das Gehirn müsse ein schwammartiges Gebilde sein, das überhaupt nicht aus einzelnen Zellen bestehe und das, wie Schwämme, auch keine Nervenzellen benötige, um zu funktionieren. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 3.) Dennoch erhielt er im Jahre 1906 den Nobelpreis für Medizin zusammen mit dem Spanier santiago ramón y cajal (1852 –1934), der mit Hilfe von golgis Färbemethode anhand von Tierstudien inzwischen zu ganz entgegengesetzten Erkenntnissen gelangt war. ramón y cajal entwickelte die Theorie, daß das

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Abb. A 50: Eukaryotische Zelle eines Tieres

Nervensystem sich aus einzelnen Nervenzellen (griech.: aus Neuronen, wie heinrich wilhelm gottfried von waldeyer-hartz, 1836 –1921, sie 1891 erstmals nannte) zusammensetze. (Vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 3; eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 25.) Abb. A 49 gibt wieder, wie Nervenzellen von dem spanischen Anatomen nach Färbung und mikroskopischer Betrachtung gezeichnet wurden. Was ist es eigentlich, das man da sieht? Offenbar gibt es verschiedene Arten von Nervenzellen, aber wo genau befindet sich die Nervenzelle innerhalb des «Gestrüpps», das sie umgibt? Tatsächlich ist das «Gestrüpp» das wichtigste an einer Nervenzelle. Jedes Neuron besteht aus einem Zellkörper (der kleinen schwarzen Verdickung in Abb. A 49, griech.: dem Soma – Körper) mit einem Kern (lat.: dem Nucleus) sowie aus eben einer Reihe von faserartigen Verzweigungen. Der Kern enthält die genetische Information – die DNA (die Desoxyribonucleinsäure). Bis dahin unterscheidet sich mit Ausnahme des «Gestrüpps» eine Nervenzelle in nichts von allen anderen (eukaryotischen, griech.: mit gutem – echtem – Kern versehenen) Zellen. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 68 –75; 219– 221.) Abb. A 50 gibt einmal schematisch eine solche eukaryotische Zelle wieder.

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Cytoplasma (griech.: der kýtos – Hülle, Zelle; das plásma – Gebilde, Stoff) nennt man den gesamten Bereich zwischen Zellkern und Zellmembran. Darin eingebettet sind eine Reihe von Organellen: Das endoplasmatische Reticulum (ER) (griech.: éndon – innen; das plasma – Gebilde; lat.: das reticulum – Netz) ist ein Membransystem und hat die Aufgabe, Membranen herzustellen und andere Biosynthesefunktionen zu erfüllen. Der mit Ribosomen als den Orten der Proteinsynthese besetzte Teil des ER, rauhes ER genannt, verdichtet sich in Neuronen häufig zu schollenartigen Strukturen: den nissl-Schollen (zu Ehren von franz alexander nissl, der die Thioninfärbung, mit der sich diese Schollen anfärben lassen, in die Neuroanatomie einführte). Rauhes ER und nissl-Schollen synthetisieren Proteine, Peptide und Neurotransmitter, die dann im golgi-Apparat – einer Ansammlung von glattem ER, also ER ohne Ribosomen – in kleine Vesikel (Bläschen) verpackt werden. Diese Vesikel können entweder nach außen entleert oder für die spätere Ausschüttung in der Zelle gelagert werden. Auf diese Weise geben zum Beispiel Drüsenzellen die von ihnen produzierten Hormone über den golgi-Apparat direkt in die Blutbahn ab, während Nervenzellen auf ganz entsprechendem Wege Neurotransmitter an den Synapsen, also an den Verknüpfungsstellen zwischen Nervenzellen, ausschütten. Der golgi-Apparat ist insofern eine Art Versandzentrale von Zellprodukten, die dort verpackt, gelagert, sortiert und an ihren Bestimmungsort geliefert werden. Zusätzlich dient der golgi-Apparat auch der Modifizierung von Verbindungen aus dem ER. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 36; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 57–58; zur Bedeutung der Ribosomen für die Proteinsynthese vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 88 –91.) Die Mitochondrien (Einzahl: das Mitochondrium, von griech.: der mítos – Faden, der chondrós – Korn) sind die Orte der Zellatmung, bei welcher aus Traubenzucker (aber auch anderen Kohlenhydraten oder aus Fetten und Proteinen) durch Verbrennung mit Sauerstoff Energie gewonnen und in Form von ATP (Adenosintriphosphat) überführt wird (vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 194– 201; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 133 –142; 146; 190; 203); wahrscheinlich entstanden die Mitochondrien, indem prokaryotische Bakterien von den Eukaryoten als Energielieferanten versklavt wurden (vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 218– 220; 740–745); jedenfalls werden sie nur über die weiblichen Eizellen vererbt und besitzen eine eigene DNA (vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 335). Bei all dem sind Nervenzellen nicht anders als andere Zellen auch. Indessen unterscheiden sie sich von diesen Zellen durch die Aufgabe, für die sie sich spezialisiert haben: die Übertragung von Informationen. Hierzu haben die Ner-

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venzellkörper zwei Typen von Fortsätzen ausgebildet: a) die meist recht zahlreichen Dendriten (griech.: die kleinen Bäumchen, von griech.: das déndron – Baum), die, verzweigt wie «kleine Bäumchen», die so auffälligen faserförmigen Fortsätze (das «Gestrüpp») bilden und – zumeist über spezielle Vorstülpungen, die sogenannten dendritischen Dornen – die Informationen anderer Neuronen aufnehmen; sie lassen sich je nach Lage einteilen in die apikalen (lat.: an der Spitze liegenden) und in die basalen (lat.: am Grund liegenden) Dendriten; und b) das Axon (griech.: die Achse, Leitungsbahn), über das die Informationsweitergabe erfolgt und von dem die meisten Neuronen nur eines besitzen. Zur Informationsweitergabe spaltet sich das Axon in dünne Äste auf, die in kleinen Verdickungen enden – den sogenannten synaptischen Endknöpfchen; an diesen Stellen steht das Axonende über eine Synapse (griech.: die synápsis – Verbindung, wie charles scott sherrington, 1857–1952, diese anatomische Struktur der Nervenleitung nannte) in Verbindung mit dem angrenzenden Neuron. Der, wie schon gesagt, winzige Zwischenraum, der synaptische Spalt, schafft eine Zäsur zwischen dem Axonende des präsynaptischen Neurons (lat.: prae – vor) und dem Zellkörper oder Dendriten der postsynaptischen Zelle (lat.: post – nach, hinter). (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 22 –24; john p. j. pinel: Biopsychologie, 59 –60; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 55– 56.) Abb. A 51 bietet eine Darstellung der vier morphologisch definierten Bereiche eines Neurons, wie es im Nervensystem von Wirbeltieren typisch ist: der Dendriten, des Zellkörpers, des Axons und der Synapse. Das Axon, also der röhrenförmige Fortsatz, der zur Signalweitergabe dient, besitzt einen Durchmesser zwischen 0,2 und 20 µm (Mikrometer = Millionstel Meter). (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 22– 23.) Die Informationsübertragung findet nun auf zwei Arten statt: Zum einen transportieren die Axone chemische Substanzen, zum Beispiel Transmitter, die im Soma synthetisiert und am golgi-Apparat in Vesikel verpackt werden, vom Zellkörper zu den Synapsen – man spricht dann von anterogradem (nach vorn gehendem, von lat.: ante – vor, gradi – schreiten) Transport – und umgekehrt – dann spricht man von retrogradem (nach rückwärts gehendem, von lat.: retro – rückwärts)Transport. Die Transportwege sind die Mikrotubuli (griech./lat.: die kleinen Kanälchen, auch Neurotubuli genannt); es handelt sich bei ihnen um kanälchenartig aufgebaute fibrilläre Proteine, die sich im Axon zu langen parallelen Bündeln ordnen. Man unterscheidet den langsamen und den schnellen axonalen Transport. Beim schnellen Transport werden Stoffe mit 10– 20 mm/Tag transportiert, das heißt, daß eine Substanz in

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Abb. A 51: Der typische Aufbau einer Nervenzelle

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wenigen Stunden durch das ganze Axon wandert; beim langsamen Transport beträgt die Geschwindigkeit etwa 1 mm/Tag. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 36– 38.) Zum anderen leiten die Axone elektrische Signale weiter. Als die wichtigste Leitungseinheit des Neurons kann ein Axon je nach Länge elektrische Signale über Entfernungen von 0,1 mm bis 2 m weiterleiten. Die elektrischen Signale selbst nennt man Aktionspotentiale. Sie werden am Axonhügel gebildet und durchlaufen das Axon mit einer Geschwindigkeit von 1–100 m/s (= 3,6 – 360 km/h; vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 22– 23; john p. j. pinel: Biopsychologie, 95 –96); sie entstehen und werden übertragen, wie der Neurophysiologe edgar douglas adrian (1889 –1977) im Jahre 1925 erkannte, nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, und zwar mit einer Dauer von 1–10 ms (Millisekunden) und einer Amplitude von 70 mV bis zu 110 mV (Millivolt). (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 35– 37.) Um das Aktionspotential rasch weiterzuleiten, sind die großen Axone von lipidreichen (fettähnlichen) Myelinscheiden (griech.: der myelós – Mark) umhüllt. Die Myelinscheiden des Zentralnervensystems werden gebildet aus sogenannten Oligodendrocyten (griech.: olígos – wenig, das déndron – Baum, der kýtos – Hülle, Zelle), die des peripheren Nervensystems aus den schwannschen Zellen (nach theodor schwann, 1810 –1882); – auf beide werden wir gleich noch zu sprechen kommen. Diese Zellen stellen in ihrem Zellleib ein Gemisch aus Proteinen und Lipiden, eben das Nervenmark, her. Unter dem Mikroskop stellt sich das Myelin als eine eigene, dem Axon aufsitzende Myelinscheide dar; im Elektronenmikroskop zeigt sich, daß das Myelin innerhalb der Oligodendrocyten beziehungsweise innerhalb der schwannschen Zellen liegt. Die Myelinbildung und die Umhüllung der Axone durch die schwannschen Zellen «beginnt bereits im 4. Fetalmonat in den peripheren Nerven.» (a. waldeyer – a. mayet: Anatomie des Menschen, I 44) In regelmäßigen Abständen von etwa 1 mm wird die Umhüllung des Axons von den sogenannten ranvier-Schnürringen unterbrochen (nach louis antoine ranvier, 1835–1922), und an diesen nicht-isolierten Stellen regeneriert sich das Aktionspotential; wie das geschieht, werden wir gleich sehen; myelinarme Axone übertragen Signale demgegenüber weit langsamer. (Übrigens geht in diesem Zusammenhang in zahlreichen Lehrbüchern von Neuriten die Rede; das Wort steht für Axon, aber auch für Zellfortsatz, ist also unpräzise und sollte besser nicht verwandt werden.) (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 46 –47; 77; eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 28– 29.)

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Was aber hat es mit den verschiedenen Zellformen in der Zeichnung ramón y cajals auf sich? (Vgl. Abb. A 49.) Der spanische Neurologe formulierte zwei Prinzipien, die sich als grundlegend für die Ausbildung der Form von Neuronen erweisen sollten. Das erste ist das Prinzip der dynamischen Polarisation; danach wandern elektrische Signale in einer Nervenzelle stets nur in eine Richtung, und zwar von den rezeptiven Bereichen des Neurons – meist den Dendriten und dem Zellkörper – zum Axonhügel, wo das Aktionspotential ausgelöst wird, und dann dem Axon entlang zu den präsynaptischen Endknöpfchen. Das zweite ist das Prinzip der Spezifität der Verknüpfungen und besagt, daß Nervenzellen nicht wahllos miteinander in Kontakt treten, so daß ganz zufällige Netzwerke entstehen müßten, sondern daß jedes Neuron über spezialisierte Synapsen mit ganz bestimmten Zielzellen in Verbindung tritt. Es wird deutlich, daß Neuronen sich in ihrer Form am meisten durch die Gestalt und Anzahl ihrer Fortsätze voneinander unterscheiden werden. Entsprechend lassen sie sich nach der Anzahl der Fortsätze einteilen, die dem Zellkörper entspringen: Es gibt zum einen Neuronen ganz ohne Axone; man nennt sie amakrine Zellen (Zellen mit kurzen Fortsätzen, von griech.: a – nicht, makrós – groß, die is – Faser); es handelt sich um sogenannte Interneuronen im Bereich der inneren Körnerschicht der Netzhaut des Wirbeltierauges; – was Interneuronen sind, werden wir in aller Kürze sehen. Die übrigen Neuronen kann man in drei Gruppen einteilen: in unipolare, bipolare und multipolare Neuronen. Abb. A 52 bietet eine schematische Übersicht über die verschiedenen Formen der Nervenzellen. Wie man sieht, haben die unipolaren Zellen nur einen Fortsatz, von dem bestimmte Abschnitte als rezeptive Flächen dienen, während andere Abschnitte an ihren Endigungen zur Signalübertragung Transmitter freisetzen. Zellen dieses Typs sind kennzeichnend für wirbellose Tiere (für Invertebraten oder Evertebraten, von lat.: in – un-, verneinend; die vertebra – Wirbel). – Bipolare Zellen sind spezialisierter und trennen klar zwischen dem Dendriten, der Informationen aufnimmt und zum Zellkörper leitet, und dem Axon, das Informationen an andere Neuronen weitergibt. Bipolare Neuronen kommen besonders zahlreich etwa in der Netzhaut (lat.: die Retina, weil sie den Glaskörper umfaßt wie ein Fischernetz den Fang) und in der Riechschleimhaut (lat./griech.: dem olfaktorischen Epithel, von griech.: epitheleı˜n – über etwas hinweg wachsen) vor. – Pseudo-unipolare Zellen, eine Untergruppe der bipolaren Zellen, sind solche, bei deren Entwicklung die beiden Fortsätze der embryonalen Bipolarzellen verschmelzen und schließlich als ein gemeinsamer Fortsatz aus dem Zellkörper

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Abb. A 52: Die verschiedenen Neuronenformen, je nach ihren Fortsätzen

entspringen; der Fortsatz teilt sich in zwei Axone, deren eines zu den Sinnesorganen in Haut und Muskulatur (in die Peripherie) zieht, während das andere zentral zum Rückenmark verläuft. Zu dieser Gruppe gehören die Spinalganglionzellen – sensorische Neuronen, die Informationen über Berührungen, Druck oder Schmerzempfindungen von der Körperperipherie zum Rückenmark leiten. – Multipolare Zellen haben ein Axon und viele Dendriten. Zu ihnen zählen zum Beispiel die spinalen Motoneuronen, die die Skelettmuskelfasern innervieren, die Pyramidenzellen, die einen nahezu dreieckigen

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Zellkörper haben und sich im Hippocampus und in der gesamten Großhirnrinde finden, sowie die purkinje-Zellen (nach johannes evangelista ritter von purkinje, 1787–1869), die durch einen enormen Dendritenbaum gekennzeichnet sind, der einen riesigen synaptischen Input gewährleistet. Typisch ist dieser letztere Zelltyp für das Kleinhirn (lat.: das Cerebellum), von dem wir bereits wissen, wie wichtig es für die motorische Steuerung ist. Der Unterschied ist deutlich: Auf einem Motoneuron im Rückenmark liegen durchschnittlich etwa rund 10 000 Synapsen, von denen sich etwa 2000 auf dem Zellkörper und etwa 8000 auf den Dendriten befinden; der Dendritenbaum einer purkinje-Zelle im Kleinhirn hingegen umfaßt etwa 150 000 Synapsen mit ihrem entsprechenden synaptischen Input. (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 26– 27.) In Zusammenhang mit der Form stehen die Funktionen der Nervenzellen, die man demgemäß in drei Gruppen unterteilt: 1) Motoneuronen kontrollieren die Aktivität von Muskeln (Skelettmuskulatur, glatter Muskulatur und Herzmuskulatur) sowie von Drüsen; sie entsenden dazu ihre Axone aus dem Nervensystem in den Körper, wo sie Synapsen mit Muskelfasern und Drüsenzellen ausbilden. Motoneuronen besitzen einen ausgeprägten Dendritenbaum, einen großen Zellkörper und ein sehr langes myelinisiertes Axon. Bei allen Motoneuronen, die die Körpermuskulatur innervieren, liegen die Zellkörper im Rückenmark; bei denen, die die Muskulatur von Gesicht und Kopf versorgen, liegen sie im Hirnstamm. Die Kontrolle der Motoneuronen wird durch die motorischen Zentren im Gehirn gewährleistet. 2) Die Zellkörper der sensorischen Neuronen liegen unmittelbar außerhalb des Rückenmarks in Gruppen, die man Spinalganglien nennt. Diese Spinalganglionzellen gehören zu den pseudo-unipolaren Neuronen; eigentlich sind die sensorischen Fasern, die Informationen vom Körper an die Zellkörper der sensorischen Neuronen leiten, Dendriten; doch sind sie auf schnelle Reizleitung spezialisiert, also myelinisiert, so daß man sie sich am besten als Axone vorstellt, obwohl letztere per definitonem Informationen vom Zellkörper wegleiten. 3) Zu den Interneuronen zählen alle Zellen im Nervensystem, die nicht spezifisch motorisch oder sensorisch sind. Die Interneuronen bilden die bei weitem größte Neuronengruppe. Des näheren unterscheidet man die Projektionsinterneuronen (auch Relaisinterneuronen genannt) – das sind große Nervenzellen, die über lange myelinisierte Axone gewissermaßen «endgültige Botschaften» über weite Entfernungen von ihrer Gehirnregion in andere Gehirnregionen aussenden – und die lokalen Interneuronen, deren kurze Axone

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die Region, in der ihre Zellkörper sich befinden, nicht verlassen und die deshalb nur zu nahegelegenen Neuronen übertragen. (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 26; 28; richard f. thompson: Das Gehirn, 43 –44; 287.) Nun existiert neben den Neuronen im Nervensystem noch eine andere Art von Zellen: die sogenannten Gliazellen, die nicht direkt an der Informationsübertragung beteiligt sind, aber andere wichtige, auch für die Informationsübertragung unerläßliche Aufgaben übernehmen; schon die Tatsache, daß es im Zentralnervensystem der Wirbeltiere von diesen Gliazellen (griech.: die glía – Leim; «Nervenkitt») bis zu 50mal mehr gibt als Neuronen (mehr als 1011!), weist auf ihre Bedeutung hin. Die Funktion von Gliazellen ist sehr vielfältig. Sie geben dem Gehirn Halt und Struktur; sie trennen und isolieren Neuronengruppen voneinander; manche Gliazellen nehmen die Transmitter an den Synapsen auf und «reinigen» damit den Extrazellulärraum; bei der Gehirnentwicklung lenken bestimmte Formen von Gliazellen die Wanderung der Neuronen und steuern das Auswachsen der Axone; andere Gliazellen beseitigen Zelltrümmer nach Verletzungen; kurz – ohne Gliazellen wären die Neuronen nicht funktionsfähig. (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 28; zu Typen von Gliazellen, die doch aktiv an der Informationsverarbeitung beteiligt sein sollen und vielleicht sogar Aktionspotentiale ausbilden können, vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 46.) Im Grunde sind wir den Gliazellen gerade eben schon begegnet, als wir von den Oligodendrocyten (Zellen mit wenigen Bäumen, von griech.: olígos – wenig, das déndron – Baum, der kýtos – Hülle, Zelle) und den schwann-Zellen sprachen, die die Myelinscheiden im Zentralnervensystem und im peripheren Nervensystem bilden; beide Typen von Gliazellen sind kleine Zellen mit relativ wenigen Fortsätzen. Neben den Oligodendrocyten und den schwann-Zellen ist im Nervensystem der Wirbeltiere eine dritte Gruppe von Gliazellen: die sogenannten Astrocyten (Sternzellen, von griech.: das ástron – Stern), besonders wichtig. Zahlenmäßig sind sie sogar am häufigsten vertreten; ihr Name entstammt ihrer sternförmigen Gestalt. Mit ihren breiten Endfüßchen stehen sie in Kontakt mit Kapillaren (lat.: capillaris – haarförmig; haarfeine Blutgefäße) und Neuronen, – vermutlich spielen sie bei der Ernährung von Nervenzellen eine Rolle. Weil Astrocyten eine hohe Kaliumpermeabilität (Durchlässigkeit für Kaliumionen, von lat.: permeabilis – durchlässig) besitzen, können sie überschüssige Kaliumionen aufnehmen und somit deren Konzentration im Zellzwischenraum konstant halten, was für die Reizleitung unerläßlich ist. Von

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Abb. A 53: Die drei verschiedenen Typen von Gliazellen

großer Bedeutung ist auch die Rolle, welche Astrocyten beim Aufbau der BlutHirn-Schranke spielen, die verhindert, daß giftige Stoffe aus dem Blut ins Gehirn gelangen; dies erreichen sie dadurch, daß sie in den Blutgefäßen das Endothel (griech.: éndon – innen, theleı˜n – blühen; die einschichtige Auskleidung in den Kapillaren) veranlassen, sogenannte Tight Junctions (engl.: feste, enge Verbindungen; Verschlußkontakte) zwischen den Membranen benachbarter Epithelzellen (griech.: epitheleı˜n – auf etwas wachsen; bedeckender Zellverband der inneren und äußeren Körperoberflächen) herzustellen; diese Tight Junctions bilden um die Zellen durchgehende Gürtel und gewährleisten dadurch, daß keine Gewebeflüssigkeit zwischen den Epithelzellen hindurch in das Gehirn übertritt; auf diese Weise können hydrophile (griech.: wasserliebende) Substanzen nicht in den Extrazellulärraum des Hirngewebes diffundieren. – Näherhin unterscheidet man die fibrillären (lat.: dünnfaserigen) und die protoplasmatischen Astrocyten, die nur wenige Fortsätze aufweisen; die ersteren finden sich vorwiegend in der weißen, die letzteren in der grauen Substanz. (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 28 –29; zu den Tight Junctions vgl. auch neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 156 –157; 1227.) Abb. A 53 bietet eine schematische Darstellung der drei genannten Typen von Gliazellen.

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c) Von Reiz und Ruhe oder: Membran und Potentiale Damit haben wir die anatomische und histologische Seite des Zentralnervensystems so weit kennengelernt, wie es für unsere Zwecke ausreichend ist; wie aber steht es um die funktionalen Grundlagen? Wieso vor allem kommt es zu jenen «Aktionspotentialen», zu deren Aufnahme und Weitergabe die Nervenzellen so hervorragend eingerichtet sind? Um das herauszufinden, müssen wir uns mit den Vorgängen an der Membran von Neuronen beschäftigen. Dabei wird es, vorweg gesagt, der wohl nachhaltigste und doch nur allzu selbstverständliche Eindruck sein, daß die Neuronen, denen wir das Sehen, Fühlen, Denken, Erinnern, kurz: uns selbst verdanken, selber weder sehen noch fühlen noch denken noch sich erinnern; all diese Leistungen können nicht aus der einzelnen Nervenzelle, sondern allenfalls aus dem neuronalen Netz hervorgehen, in dem die Neuronen miteinander verschaltet sind; die Neuronen selbst tun nichts anderes, als daß sie den elektrochemischen Zwängen folgen, die sich aus dem biochemischen Zustand ihrer selbst und ihrer Umgebung jeweils ergeben. Die Stelle aber, die zwischen dem Innen und Außen von (Nerven)Zellen vermittelt, ist eben die Membran. Was also ist so speziell an der Membran von Neuronen? Alle Zellmembranen sind etwa 6– 8 nm (Nanometer; 1 nm = 10– 9 m, ein Milliardstel Meter) dick, also so dünn wie das Häutchen einer Seifenblase, und bestehen aus einer Lipid-Doppelschicht, die aus Phospholipiden gebildet wird. Phospholipide bestehen aus Glycerin, von dessen drei Hydroxylgruppen zwei mit Fettsäuren und die dritte mit Phosphorsäure verestert sind. An die Phosphatgruppe ist noch eine kleine Gruppe als sogenannte polare Kopfgruppe gebunden. Phospholipide besitzen also einen «wasserliebenden» (hydrophilen, von griech.: das hýdo¯r – Wasser, phileı˜n – lieben), polaren Phosphat-«Kopf» und einen fettähnlichen, unpolaren «Schwanz». Wichtig ist nun, daß der Phosphorsäureteil des Moleküls (sein «Kopf») vom Wasser angezogen wird – eben das besagt hydrophil –, während die Fettsäuren (die «Schwänze») vom Wasser abgestoßen werden – sie sind hydrophob (griech.: das hýdo¯r – Wasser, phobeı˜n – fliehen; wasserfürchtend). Das hat zur Folge, daß die hydrophoben Schwänze sich zusammenlagern und eine Doppelschicht bilden, die Wasser zwischen ihnen verdrängt. Die hydrophilen Köpfe hingegen orientieren sich zum wäßrigen Milieu hin, also einerseits zum Cytoplasma, andererseits zum Extrazellulärraum. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 721–722; richard f. thompson: Das Gehirn, 53 –55; john koester – steven siegelbaum: Ionenkanäle, in: Neurowissenschaften,

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Abb. A 54: Aufbau einer Zellmembran und Strukturformel eines Phospholipids

122 –123.) Abb. A 54 gibt den Aufbau einer Zellmembran und die Strukturformel eines Phospholipids wieder. In dieser Phospholipid-Doppelschicht befinden sich neben den Phospholipiden (und anderen Lipiden wie Cholesterin) auch Proteinmoleküle; einige liegen der Membran lediglich auf: sie sind periphere Membranproteine; andere sind so tief in die Membran eingelagert, daß ihre hydrophoben Molekülregionen von den Fettsäure-«Schwänzen» der Phospholipide umgeben sind: sie sind integrale Membranproteine; einige von ihnen durchspannen die ganze Membran: sie sind Transmembranproteine.

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Abb. A 55: Feinstruktur einer Zellmembran

Zur Plasmamembran gehören auch Kohlenhydrate: Vor allem die Proteinmoleküle auf der Außenseite besitzen oft Kohlenhydratketten (meist verzweigte Oligosaccharide, wobei schon der Name – griech.: olígos – wenig – besagt, daß es sich um kurze Ketten handelt), die, weil hydrophil, in das wäßrige Medium ragen. Viele dieser Proteinmoleküle mit Kohlenhydratketten, dieser Glycoproteine, fungieren nun als chemische Rezeptoren, die einen speziellen chemischen Botenstoff an Molekülform und entsprechender Ladungsverteilung «erkennen». (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 56.) Abb. A 55 gibt schematisch eine Zellmembran wieder. Entscheidend für den Zellstoffwechsel sind die winzigen hochselektiven Poren in der Membran, die von speziellen Membranproteinen gebildet werden und eine Art Tunnel durch die gesamte Phospholipid-Doppelschicht legen. Ein wichtiger Porentyp ist der Ionenkanal, der so klein ist, daß ihn zum Beispiel große Zuckermoleküle nicht passieren können, wohl aber kleine Ionen, wie Natrium-, Kalium-, Calcium- und Chloridionen, just die Stoffe also, auf die wir vorhin schon gestoßen sind. Das Vorhandensein dieser Ionen hat

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Abb. A 56: Schematische Darstellung einer Axonmembran mit offenen wie verschlossenen Ionenkanälen

für die Nervenzelle die größten Konsequenzen. Ionen sind elektrisch geladene Atome oder Moleküle. Löst man zum Beispiel Natriumchlorid (NaCl, Kochsalz) in Wasser, so zerfällt das Salz in ein einfach positiv geladenes Natriumion (das ein Elektron abgegeben hat): Na+, und in ein einfach negativ geladenes Chloridion (das ein Elektron aufgenommen hat): Cl−. Die große Bedeutung der Ionenkanäle liegt nun darin, daß eine Zellmembran für jedes dieser Ionen eigene Kanäle enthält, die überall auf der Membran, allerdings sehr sparsam, verteilt sind: auf 1 Mio. Membranmoleküle kommt schätzungsweise zum Beispiel nur ein Natriumkanal. An den Axonendigungen kommen in relevanter Anzahl Calciumkanäle vor, die zweifach positiv geladene Calciumionen (Ca2+) durchlassen; dieser Vorgang ist bei der synaptischen Übertragung, auf die wir im nächsten Abschnitt zu sprechen kommen, grundlegend. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 56– 58.) Elementar ist die Unterscheidung zwischen Ionenkanälen, die mit «Toren» versehen, also verschließbar sind, und offenen Kanälen. Abb. A 56 zeigt schematisch eine Axonmembran, die sowohl offene als auch durch Tore verschlos-

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sene Ionenkanäle aufweist; dabei ist die Weite der Ionenkanäle und ihre Häufigkeit stark übertrieben dargestellt. Die elektrochemischen Zustände an der nicht erregten Zellmembran, der Ruhemembran, werden durch den passiven Fluß einzelner Ionenarten durch die Ionenkanäle – genauer: durch die K+-, Cl−- und Na+-selektiven Ruhemembrankanäle – bestimmt. Im Grunde wirkt die Phospholipid-Doppelschicht, da sie an sich für Ionen undurchlässig ist, als Isolator. Frei durch die Membran diffundieren können die Ionen eben nur durch die offenen Ionenkanäle, deren relative Anteile in der Membran ihre Gesamtselektivität für eine bestimmte Ionenart festlegen. Nun besitzt die Ruhemembran eine hohe Permeabilität für Kaliumionen, und es ist leicht einzusehen, daß die Kaliumionen, wenn sie dem Konzentrationsgefälle folgend die Zelle mit ihrer hohen K+-Konzentration verlassen, im Zellinneren, also vor allem an der Innenseite der Ruhemembran, nicht-neutralisierte negative Ladungen zurücklassen, so daß sich die Membraninnenseite negativ auflädt. Sowieso enthalten Zellen, im Gegensatz zum extrazellulären Raum, nicht nur hohe Konzentrationen an gelösten Kaliumionen, sondern auch viele organische Verbindungen – vorwiegend handelt es sich um Proteine und Aminosäuren –, die als negativ geladene Anionen vorliegen. Da diese zu groß sind, um die Ionenkanäle nach außen zu passieren, bleiben sie in der Zelle, so daß es zu einem weiteren Überschuß an negativen Ladungen im Zellinneren kommt. Im ganzen finden wir also an der Zellmembran eine recht unterschiedliche Verteilung von K+-, Cl−- und Na+-Ionen sowie von organischen Anionen, mit der Folge, daß sich die Innenseite der Zellmembran gegenüber ihrer Außenseite immer weiter negativ auflädt. Durch diese Ladungstrennung entsteht eine Spannung – ein Unterschied des elektrischen Potentials. Dieses elektrische Ladungsgefälle wird Ruhepotential oder Ruhemembranpotential genannt und läßt sich messen: Es beträgt –65 mV (minus 65 Millivolt), wobei das Potential der Membranaußenseite willkürlich als Null gesetzt wird. – Genau genommen liegt es in Nervenzellen zwischen – 60 mV und –70 mV, während es in Zellen, die keine Neuronen sind und keine Aktionspotentiale ausbilden, etwa –75 mV beträgt. Wenn man bedenkt, daß eine kleine Taschenlampenbatterie über eine Spannung von 1,5 V verfügt, so sind dies immerhin 4– 5% davon. (Vgl. john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 140; 142; richard f. thompson: Das Gehirn, 59 –60; 62; 73.) Zur Vereinfachung können wir uns zuerst dem Ruhepotential einer Gliazelle zuwenden, deren Membran fast ausschließlich für K+-Ionen permeabel ist und deren Ruhepotential bei –75 mV liegt. Intrazellulär besitzt sie eine hohe Kon-

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zentration an K+-Ionen und an organischen Anionen, extrazellulär eine hohe Konzentration an Cl−- und Na+-Ionen. Wie soeben schon für Nervenzellen besprochen, diffundieren K+-Ionen entlang des Konzentrationsgefälles nach außen, mit der Folge, daß das sich bildende Ladungsgefälle eine elektrische Kraft (eine elektrostatische Anziehungskraft) aufbaut, die der Kraft aus dem Konzentrationsgradienten (der Diffusionskraft) entgegenwirkt und den Austritt weiterer K+-Ionen erschwert. Bei einem bestimmten Potential, dem sogenannten Kaliumgleichgewichtspotential, ist die elektrische Kraft genauso groß wie die aus dem Konzentrationsgradienten, so daß keine Nettobewegung von K+-Ionen mehr stattfindet. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 59 –61.) Näherhin hat walther hermann nernst (1864 –1941) im Jahre 1888 eine Gleichung aus grundlegenden thermodynamischen Prinzipien abgeleitet, die es erlaubt, das Gleichgewichtspotential für ein bestimmtes Ion, das frei durch die Membran diffundieren kann, aus seinen Konzentrationen im Cytoplasma und im extrazellulären Raum zu berechnen. In Abb. A 57 sind typische Ionenkonzentrationen innerhalb und außerhalb eines Axons in Millimol pro Liter (mmol/l) zusammengestellt. (Vgl. john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 142; zum Mol als Einheit der Stoffmenge vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 156.) Ionenart

Ionenkonzentration innerhalb eines Axons in mmol/l

Ionenkonzentration außerhalb eines Axons in mmol/l

K+

400

20

Na+

50

440

Cl−

52

560

Organische Anionen

385



Abb. A 57: Typische Ionenkonzentrationen inner- und außerhalb eines Axons in Millimol pro Liter

Dementsprechend lautet zum Beispiel das K+-Gleichgewichtspotential (oder das nernst-Potential für K+-Ionen): EK ¼

RT ½K þ a ln þ ; zF ½K i

dabei sind R und F Konstanten, T steht für die absolute Temperatur in Kelvin, z ist die Wertigkeit des Ions (also z = 1 für K+), und [K+] gibt die Konzentration

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

des K+-Ions auf der äußeren (a) und inneren (i) Membranseite an. Setzt man die Zahlenwerte für die Konstanten ein und rechnet bei einer Temperatur von 25°C (also 298 K), so läßt sich die nernst-Gleichung vereinfacht formulieren als: EK ¼ 58 log

½K þ a : ½K þ i

Bei einer typischen Konzentration der K+-Ionen von 20 mmol/l im extrazellulären und von 400 mmol/l im intrazellulären Milieu ergibt sich, eingesetzt in die nernst-Gleichung, genau das bei den Gliazellen gemessene Ruhepotential von –75 mV: EK ¼ 58 log

½20 ¼  75 mV : ½400

Nun sind Nervenzellen – im Unterschied zu Gliazellen – im Ruhezustand nicht fast ausschließlich für K+-Ionen durchlässig, sondern haben auch eine schwache Permeabilität für Cl−- und Na+-Ionen. Sie besitzen Cl–-Kanäle mit Ruheleitfähigkeit, wenn es von ihnen auch weniger als K+-Kanäle gibt. Setzt man die typischen Konzentrationen an Cl−-Ionen von 560 mmol/l außerhalb und von 52 mmol/l innerhalb der Zelle in die nernst-Gleichung ein (mit z = –1), so ergibt sich ein Wert von –60 mV: ECl ¼  58 log

½560 ¼  60 mV : ½52

Na+-Kanäle sind zwar sehr zahlreich in der Axonmembran, aber fast alle besitzen Tore, die geschlossen sind, so daß die Ruheleitfähigkeit für Na+-Ionen gering ist. Na+-Ionen haben es daher etwa 20mal schwerer, die Membran zu passieren, als K+-Ionen. Na+-Ionen werden dabei einmal durch die Diffusionskraft entlang ihres Konzentrationsgradienten in die Zelle getrieben, zum anderen durch die elektrostatische Anziehungskraft der negativ aufgeladenen Innenseite der Membran. Ausgehend von den typischen Konzentrationen an Na+Ionen von 440 mmol/l außerhalb der Zelle und von 50 mmol/l im Cytoplasma ergibt sich ein Na+-Gleichgewichtspotential von: ENa ¼ 58 log

½440 ¼ þ 55 mV : ½50

Der Na+-Einstrom in die Zelle führt zu ihrer Depolarisation, wobei das Ruhepotential sich nur geringfügig vom K+-Gleichgewichtspotential entfernt und keinesfalls das Na+-Gleichgewichtspotential erreicht. Das zeigt, daß Na+-Io-

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nen für die Berechnung des Ruhepotentials praktisch keine Rolle spielen; es zeigt zugleich auch, daß Na+-Ionen nicht frei durch die Membran strömen können. Je mehr nämlich das Membranpotential depolarisiert wird (also sich vom K+-Gleichgewichtspotential entfernt), desto größer wird die elektrochemische Kraft, die den K+-Ausstrom aus der Zelle erhöht; der K+-Ausstrom wirkt also dem Na+-Einstrom entgegen. Auf diese Weise wird ein Ruhemembranpotential von etwa – 65 mV erreicht. Dieser Wert wird zwar im wesentlichen durch die K+- und die Na+-Ströme bestimmt, entspricht aber weder EK noch ENa, sondern liegt dazwischen. (Vgl. john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 142 –144; richard f. thompson: Das Gehirn, 61– 63.) Damit freilich erreicht die nernst-Gleichung die Grenze ihrer Gültigkeit. Der Beitrag jeder einzelnen Ionenart zum Ruhepotential ergibt sich nämlich sowohl durch die Größe ihres Konzentrationsgefälles als auch durch die Höhe ihrer Membranpermeabilität. Wird das Ruhepotential durch mehrere Ionenarten bestimmt, so muß die nernst-Gleichung auf alle relevanten Ionenarten erweitert und die Permeabilität mit einbezogen werden. So geschieht es in der goldmann-Gleichung (nach david e. goldmann; vgl. john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 146–147): Em ¼ 58 log

PK ½K þ a þ PNa ½Naþ a þ PCl ½Cl i : PK ½K þ i þ PNa ½Naþ i þ PCl ½Cl a

Das Ruhemembranpotential von etwa – 65 mV kann aber nur konstant bleiben, wenn die ungleiche Ionenverteilung von K+- und Na+-Ionen aufrechterhalten wird. Dazu pumpt eine sogenannte Natrium-Kalium-Pumpe aktiv Na+-Ionen durch die Membran aus der Zelle heraus und K+-Ionen in die Zelle hinein. (Vgl. john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 145; richard f. thompson: Das Gehirn, 64 –65; john p. j. pinel: Biopsychologie, 88 –90.) Da die Ionen gegen ihren Konzentrationsgradienten bewegt werden, braucht die Pumpe, um arbeiten zu können, Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP). ATP ist bekanntlich das universelle Energie-Zahlungsmittel des Körpers. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 179 –180; 201.) Statt von Gleichgewichtszuständen zu sprechen, sollten wir daher besser von einem Fließgleichgewicht im Sinne von ludwig von bertalanffy (1901–1972) reden, da Stoffwechselenergie benötigt wird, um die Ionengradienten und das Ruhepotential zu stabilisieren. Damit wissen wir, was ein Ruhepotential ist und wie es aufrechterhalten wird; ja, wir lernen, daß eine Nervenzelle für sich selbst kein anderes Interesse

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

hat, als ihr energetisches Gleichgewicht zu wahren und in Ruhe zu bleiben und gelassen zu werden. Was aber, wenn das nicht der Fall ist? Was, wenn das energetische Gleichgewicht nach Plus oder Minus verschoben wird? Dann tritt das auf, was man ein Aktionspotential nennt. Die ersten, die eine vollständige Beschreibung der Ionenkonzentrationen und Ionenflüsse durch die Membran geben konnten, die ein solches Aktionspotential erzeugen, waren alan lloyd hodgkin (1914 –1998) und andrew fielding huxley (geb. 1917). Ein Aktionspotential ist nichts anderes als das fortgeleitete Signal des Neurons in Form einer großen und schnellen Änderung der Spannung über der Axonmembran. Die Grundlage für die Signalübertragung liegt darin, daß sich das Ruhepotential von Nervenzellen sehr stark ändern kann und die Membran über den Schwellenwert für die Auslösung eines Aktionspotentials hinaus depolarisiert zu werden vermag. Das Aktionspotential ist ein Alles-oder-Nichts-Ereignis, das bei unterschwelligen Reizen ausbleibt, während alle überschwelligen Reize dasselbe Signal hervorrufen. So sehr sich auch die Reize unterscheiden mögen, Dauer und Amplitude des Aktionspotentials sind immer gleich. Die Information des weitergeleiteten Signals ist in der Anzahl und im zeitlichen Abstand der Aktionspotentiale gegeben. (Vgl. eric r. kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 32 –36; richard f. thompson: Das Gehirn, 65; john koester: Signalweiterleitung: Das Aktionspotential, in: Neurowissenschaften, 169.) Ein Aktionspotential entsteht normalerweise an der Stelle, da das Axon den Zellkörper verläßt (am Axonhügel). Betroffen ist bei der Entstehung eines Aktionspotentials zunächst nur der kurze Membranabschnitt am Axonursprung, doch dann bewegt sich diese kleine Zone veränderter Spannung, gleich einer Perle auf einer Kette, das Axon entlang, und dies mit bis zu 100 m/s. In Abb. A 58 ist dargestellt, wie sich die Spannung über einer Stelle der Axonmembran während der Fortpflanzung des Aktionspotentials verändert. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 65– 66.) Mißt man den Verlauf der Spannung über der Membran, so entdeckt man einen plötzlichen Anstieg vom Ruhepotential von etwa –65 mV auf bis zu etwa + 50 mV (Phase 3); danach sinkt die Spannung wiederum äußerst schnell bis unter das Ruhepotential ab (Phase 5) und erreicht es erst allmählich wieder (Phase 7). Dieser rasante Anstieg und Abfall der Membranspannung wird als Spike (engl.: Spitze) bezeichnet oder auch als das eigentliche Aktionspotential (Phasen 3– 5); die Phase danach, wenn die Spannung unter das Ruhepotential fällt und sich allmählich wieder erholt, nennt man Nachpotential (Phase 6). Bezeichnend ist, daß der Spannungswert an der Spitze des Aktionspotentials von etwa

Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern

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Abb. A 58: Spannungsänderung über der Axonmembran während der Fortpflanzung des Aktionspotentials

+ 50 mV sich dem Na+-Gleichgewichtspotential von + 55 mV annähert, das nach der nernst-Gleichung auftritt, wenn die Membran als für Na+-Ionen frei permeabel angenommen wird. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 68 –69.) Tatsächlich wird ein Aktionspotential ausgelöst, sobald eine Verringerung des Membranpotentials auch nur um 10 mV auf –55 mV eintritt. Diese vorübergehende Depolarisation über den Schwellenwert führt zu einer schnellen Öffnung von spannungsgesteuerten Na+-Kanälen (Phase 2). Der auf Grund der erhöhten Permeabilität verursachte Na+-Einstrom in die Zelle bewirkt eine weitere Depolarisation, die wiederum noch mehr spannungsgesteuerte Na+Kanäle öffnet, wodurch Na+-Einstrom und Depolarisation noch weiter be-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

schleunigt werden: Alle Na+-Tore springen plötzlich auf, und die Membran wird an dieser Stelle für Na+-Ionen frei durchlässig; die Membranpermeabilität für Na+-Ionen steigt auf das 500fache (Phase 3). Die Folgen sind leicht absehbar: Der positive Rückkopplungsmechanismus verschiebt explosionsartig das Membranpotential in Richtung des Na+-Gleichgewichtspotentials, dessen Wert von + 55 mV es sich am Gipfel des Aktionspotentials nähert. Das Aktionspotential wird beendet, da die Na+-Kanäle bei Annäherung an das Na+-Gleichgewichtspotential nach und nach inaktiviert werden und da sich mit einer gewissen Verzögerung spannungsgesteuerte K+-Kanäle öffnen (Phase 4). Der abnehmende Na+-Einstrom sowie der zunehmende K+-Ausstrom bewirken letztlich die Repolarisierung der Zelle auf ihr Ruhepotential (Phasen 5 –7). (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 68–71.) In der Existenz dieser wenigen noch geschlossenen K+-Kanäle liegt – neben den schon besprochenen Einflüssen anderer Ionen (vor allem von Cl−- und Na+-Ionen) – auch der Grund dafür, daß die Spannung, die in der nernstGleichung bei freier Permeabilität für K+-Ionen auf –75 mV errechnet wird, in der Tat nur –65 mV für die nicht erregte Membran beträgt. Es sind in der Ruhemembran für K+-Ionen eben nicht alle Kanäle geöffnet; jetzt aber, wenn alle Tore offenstehen, wird das K+-Gleichgewichtspotential von –75 mV erreicht (Phase 6). Wichtig ist auch, daß das Öffnen speziell der K+-Tore langsamer vor sich geht als das der Na+-Tore und letztere einen erheblich größeren Einfluß nehmen. Auch das ist einfach zu erklären: Da die Na+-Konzentrationen auf beiden Seiten der Membran deutlich weiter vom Gleichgewicht entfernt sind als die Konzentrationen der K+-Ionen, bewegen sich die Na+-Ionen auch mit einer viel größeren Kraft nach innen als die K+-Ionen nach außen. Andererseits werden die Na+-Tore rasch wieder geschlossen, während die K+-Tore eine Zeitlang offen bleiben, so daß das Membranpotential letztlich auf das K+-Gleichgewichtspotential von –75 mV sinkt; dann aber schließen sich auch die K+-Tore, und das Ruhepotential von – 65 mV stabilisiert sich wieder. Die Zeitspanne vom Öffnen der Na+-Kanäle und der Entstehung des Spikes bis zu dessen Ende wird als absolute Refraktärzeit bezeichnet, – während dieser Zeit vermag ein weiteres Aktionspotential nicht ausgelöst zu werden (Phasen 2 –5); die Phase des Nachpotentials heißt relative Refraktärzeit, – in ihr ist der Schwellenwert stark erhöht, der zur Auslösung eines weiteren Aktionspotentials (in dieser Zeit sogar mit kleinerer Amplitude) überschritten werden muß (Phase 6). (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 65–70; john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 146 –147; ders.: Signalweiterleitung: Aktionspotential, in: Neurowissenschaften, 168.)

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Abschließend müssen wir uns noch einmal vor Augen halten, warum eigentlich die Na+- und K+-Kanäle sich öffnen, wo doch die meisten Na+-Kanäle und einige K+-Kanäle normalerweise geschlossen sind. Die Antwort auch darauf fällt nach dem Gehörten nicht schwer: Die Tore werden über die Spannung kontrolliert; sie sind spannungsgesteuert. Es ist das Schwellenpotential der Membran, dieser gering erscheinende Spannungsunterschied von gerade einmal 10 mV, der die Na+-Tore öffnet, wie bei einer chemischen Reaktion, die eine bestimmte Aktivierungsenergie braucht, um zustande zu kommen. Wird der Schwellenwert von etwa – 55 mV nicht erreicht, passiert nichts, die Spannung kehrt einfach auf das Ruhepotential zurück; bei Überschreiten des Schwellenwertes aber öffnen sich (auto)regenerativ (sich selbst verstärkend, sich selbst erneuernd; griech.: autós – selbst; lat.: regenerare – erneuern) die Na+-Tore, bis sie sich nahe dem Na+-Gleichgewichtspotential von + 55 mV wieder schließen. Und so verstehen wir, warum das Aktionspotential dem adrianschen Alles-oder-Nichts-Prinzip gehorcht. Die wenigen K+-Kanäle indessen öffnen ihre Tore offenbar dann, wenn das Membranpotential positiv wird, und sie schließen sich, wenn dieses Potential das Ruhepotential unterschreitet. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 71; john koester: Signalweiterleitung: Das Aktionspotential, in: Neurowissenschaften, 168; john p. j. pinel: Biopsychologie, 92 –94.) Näherhin stellt man sich die spannungsgesteuerten Na+- und K+-Ionenkanäle als Transmembranproteine vor, die über einen besonders geladenen Molekülteil verfügen, den sogenannten Gating-Teil (engl.: gate – Tor) oder Spannungssensor. Dieser besitzt eine Nettoladung (eine Gating-Ladung) und kann sich durch das elektrische Feld der Membran bewegen. Verändert sich die Spannung über der Membran, so verschiebt sich auch diese ladungtragende Region räumlich und ändert dadurch die Konformation (die räumliche Anordnung) des Proteinmoleküls so, daß sich der Ionenkanal öffnet oder schließt. (Vgl. john koester – steven siegelbaum: Ionenkanäle, in: Neurowissenschaften, 132–133; john koester: Signalweiterleitung: Das Aktionspotential, in: Neurowissenschaften, 179; zur Struktur von Proteinen vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 81–83.) Es sind also elektrische Kräfte, die mechanische Formveränderungen bewirken, die dann wieder sich elektrisch auswirken. Eine letzte wichtige Frage bleibt: Wie wandert das Aktionspotential das Axon entlang? Die Antwort diesmal fällt nicht so einfach aus. Denn um die Weiterleitung des Signals zu gewährleisten, ist – neben den Ionenkanälen und den Konzentrationsgradienten – die Membrankapazität, also die Fähigkeit der Membran, Ladungen zu speichern, von Bedeutung.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Das physikalische Gerät zur Speicherung elektrischer Ladung ist der Kondensator, bestehend aus zwei leitenden Schichten (zum Beispiel aus zwei parallel zueinander aufgestellten Metallplatten), die durch eine nicht leitende Schicht, einen Isolator (ein «Dielektrikum»), etwa durch Luft, getrennt sind. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 465.) Im Körper sind nun sowohl das Cytoplasma als auch die Extrazellulärflüssigkeit sehr gute Leiter (da sie viele Ionen als Ladungsträger besitzen und eine große Querschnittsfläche aufweisen), während die Leitfähigkeit der dazwischen liegenden Lipid-Doppelschicht-Membran äußerst klein ist – die Bestandsdichte der Ionenkanäle ist so gering, daß die von ihnen eingenommene Fläche höchstens 1/100 der restlichen Membranfläche beträgt. (Vgl. john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 150.) Fließt kurzzeitig Strom, so wird der Kondensator aufgeladen. Genau so geschieht es, wenn Na+-Ionen am Entstehungsort des Aktionspotentials am Axonhügel in das Neuron fließen und dabei auch die unmittelbar daneben liegende Region der Axonmembran depolarisieren. Die positiven Ladungen (Na+-Ionen) sammeln sich auf der Membraninnenseite, und die Aufladung der als Kondensator wirkenden Membran nimmt zu, bis auch am benachbarten Ort der Schwellenwert zum Öffnen der dort befindlichen (spannungsabhängigen) Na+-Kanäle erreicht ist, so daß diese Tore aufspringen. Die Depolarisation breitet sich demnach durch einen lokalen Kreisstrom aus. Auf diese Weise wandert das Aktionspotential kontinuierlich das Axon hinab. Mit einem Wort: derselbe Mechanismus, der das Aktionspotential ausgelöst hat, setzt sich über das Axon hin fort. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 75 –77; 492– 494; john koester – steven siegelbaum: Lokale Signalleitung, in: Neurowissenschaften, 162.) Die Geschwindigkeit, mit der sich Ladung (sei es auf Kondensatoren oder eben auf Membranen) ansammelt, ist aber sehr gering – sehr viel geringer zumal als die Geschwindigkeit des elektrischen Stroms –, und sie hängt vom Widerstand ab, den die Elemente des Stromkreises den fließenden Ladungen entgegenstellen. Gäbe es einen Stromkreis ganz ohne Widerstand, so würde sich der Kondensator unverzüglich aufladen, doch in Wirklichkeit hat jeder Stromkreis, also auch der in Nervenzellen, einen Widerstand, der mit dem Buchstaben R symbolisiert wird und in der Einheit Ohm (W, nach georg simon ohm, 1789 –1854) gemessen wird. Er ist umgekehrt proportional zur Leitfähigkeit. Je größer der Durchmesser und je kürzer die Länge des Leiters oder des Axons, desto kleiner sein Widerstand. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 74; 496 –497; john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 147–148.)

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Die Stromstärke I, also die pro Zeiteinheit weitergeleitete Ladungsmenge, letztlich die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Signals, ist nun um so größer, je höher die antreibende Potentialdifferenz (die Spannung, U) und je geringer der Widerstand R des Leiters – bei Neuronen also des Axons – ist. Dieser Zusammenhang wird durch das ohmsche Gesetz beschrieben: I¼

U : R

Je dicker also das Axon, desto kleiner sein Widerstand, desto schneller wandert das Aktionspotential an ihm entlang. (Vgl. john koester: Das Membranpotential, in: Neurowissenschaften, 147–150; richard f. thompson: Das Gehirn, 74 –77; 494– 498.) Und so verstehen wir jetzt auch den enormen Vorteil myelinisierter Axone. Bei nicht-myelinisierten Axonen müssen die Membrankondensatoren an jeder Stelle des Axons geladen werden, indem sich dort positive Ladung an der Membraninnenseite anhäuft; und das kostet Zeit. Weil aber gerade die Schnelligkeit der Signalübertragung überlebenswichtig sein kann, hat die Evolution zwei Wege beschritten, um eine hohe Geschwindigkeit bei der Weiterleitung des Aktionspotentials zu gewährleisten. Ihre eine Strategie liegt in der Vergrößerung des Axondurchmessers: Ein Tintenfisch zum Beispiel besitzt ein Riesenaxon mit einem Durchmesser von bis zu 1 mm. Da Riesenaxone aber viel Platz einnehmen, erhöhte die Evolution in einer zweiten Strategie die Leitungsgeschwindigkeit bei Wirbeltieren durch Myelinisierung. Wir hörten schon, daß die Myelinscheide eines Axons in Abständen von ca. 1 mm durch jene myelinfreien Einschnürungen unterbrochen wird, die wir als ranvier-Schnürringe kennengelernt haben. Ausschließlich an diesen Einschnürungen können sich Ladungen sammeln und Na+-Ionen durch die Membran ins Zellinnere einströmen. (Vgl. john koester – steven siegelbaum: Lokale Signalleitung, in: Neurowissenschaften, 163.) Die Myelinisierung entspricht funktionell einer Zunahme der Membranschichtdicke um das Hundertfache, wodurch die Membrankapazität, die umgekehrt proportional zur Isolatordicke ist, entsprechend verringert wird. Je kleiner aber die Kapazität (je langsamer also Ladungen auf der Membran gespeichert werden können), desto schneller wird die benachbarte Membranregion depolarisiert und desto größer ist die Leitungsgeschwindigkeit. Auch im Cytoplasma beziehungsweise im Axoplasma, das ein guter Leiter ist, breiten sich die Ladungsträger zwischen den Schürringen schnell wie in einem elektrischen Kabel aus. Man bezeichnet diese passive Ausbreitung der Spannungs-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

änderung entlang der Nervenzelle als «elektrotonische Leitung» (von griech.: der tónos – Spannung), wobei sich allerdings der Strom (das Spannungssignal) mit zunehmender Entfernung von seinem Ursprungsort abschwächt. Am nächsten hochkapazitiven Schnürring verlangsamt sich das Aktionspotential, die positiven Ladungsträger sammeln sich, und die Depolarisation führt zum Öffnen der dortigen spannungsabhängigen Na+-Kanäle. Ionische Membranströme fließen ausschließlich an den Schnürringen. So pflanzt das Aktionspotential sich auf dem Axon gewissermaßen durch Sprünge von Schnürring zu Schnürring fort; man spricht denn auch von saltatorischer Erregungsleitung (lat.: saltare – springen). An den Schnürringen wird auf diese Weise ganz regelmäßig das Aktionspotential erneut ausgelöst, so daß es sich nicht totläuft, indem es durch elektrotonische Ausbreitung abgeschwächt würde. (Vgl. john koester – steven siegelbaum: Lokale Signalleitung, in: Neurowissenschaften, 163; richard f. thompson: Das Gehirn, 77–78; john p. j. pinel: Biopsychologie, 95; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 64– 65.) Fassen wir unsere Beschäftigung mit Neuronen und Gliazellen zusammen, so müssen wir sagen, daß erst die Myelinisierung der Axone mit Hilfe der Gliazellen es den Neuronen ermöglicht, die Komplexität des Wirbeltiergehirnes aufzubauen. Doch das, wohl gemerkt, ist die Sicht, die wir selber als die Benutzer unseres Gehirns auf die Grundelemente des Zentralnervensystems richten. Aus der Sicht der Nervenzelle stellt sich der Sachverhalt gerade umgekehrt dar. Das einzelne Neuron weiß durchaus nichts von irgendwelchen Komplikationen, und es ist auch nicht Sinnes, irgendeine Form von Komplexität zu ermöglichen. Das einzige Gesetz, dem es folgt, ist dasjenige, das die gesamte Natur durchzieht: Es strebt dem geringsten Energieniveau entgegen, und die Myelinisierung seiner Axone ist nichts als ein Trick, um die ihm auferlegte Störung des Ruhepotentials unter begrenzten räumlichen Bedingungen so schnell wie möglich wieder aufzuheben und den alten Gleichgewichtszustand wiederherzustellen. Allerdings ist es damit ein «Opfer» der Spezialisierung, der es sein Dasein verdankt: es ist dazu da, über die Dendriten eben jene «Störungen» aufzunehmen, die es dann weitergibt. Und so hilft es, ohne davon irgendeine Ahnung zu haben, einem Organismus zu überleben, ohne den es selber nicht leben könnte. Die Last der erlittenen «Störungen» stellt, wenn man so will, eine Form von Rückzahlung für die Schuld der eigenen Existenz dar. Wir aber stehen vor dem Paradox, daß die größten Aufregungen und Beunruhigungen (die menschliche Psyche) ermöglicht werden durch die Prinzipien der größtmöglichen Vermeidung und Abfuhr von Aufregung und Beunruhigung. Anders aber kann es, recht verstanden, wohl auch nicht sein; denn nur auf der Grundlage eines stabi-

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len Fundamentes lassen sich Hochhäuser errichten; und was könnte stabiler sein als das Streben nach Harmonie und Gleichgewicht auf dem niedrigsten Energieniveau?

d) Die Signalübertragung an den Synapsen Die vielleicht eine Billion Neuronen im menschlichen Gehirn haben mindestens 1000 Billionen Synapsen – das sind bis zu mehrere Tausend für ein einzelnes typisches Neuron! Fast alle Synapsen bei Säugetieren sind chemische Synapsen; deshalb untersuchen wir zunächst diese, und zwar in der knappest möglichen Form. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 81.) Abb. A 59 bietet die schematische Darstellung einer chemischen Synapse. Wie in der Darstellung angedeutet, verfügen chemische Synapsen über drei Eigenschaften: a) Sie weisen zahlreiche Vesikel in der präsynaptischen Axonendigung auf, die Transmittersubstanzen enthalten. b) Die Zellmembran der postsynaptischen Zelle zeigt in der Synapsenregion ein dunkel gefärbtes Band von Rezeptoren (lat.: der receptor – Empfänger). c) Zwischen prä- und postsynaptischer Membran liegt ein ca. 20 nm (20 Milliardstel eines Meters) großer Spalt – eben der synaptische Spalt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 81– 82.) Bei der Transmitterwirkung auf Rezeptoren wird zwischen der schnellen und der langsamen Übertragung unterschieden, was sich nicht allein auf die Geschwindigkeit des Eintretens der postsynaptischen Wirkung bezieht, sondern auch auf ihre Dauer. Die Rezeptoren, die an den schnellen synaptischen Prozessen beteiligt sind, sind direkt gesteuerte Ionenkanäle, die eine synaptische Übertragung in weniger als einer Millisekunde ermöglichen, da bei ihnen nur ein einziges großes Transmembranprotein seine Konformation (seine räumliche Anordnung) ändern muß. Man spricht auch von der First-Messenger-Wirkung (engl.: von der Ersten-Boten-Wirkung) der synaptischen Transmitter. Im Gegensatz zu ihr erfolgt die Second-Messenger-Wirkung (engl.: die Zweite-Boten-Wirkung) langsam innerhalb von Zehntelsekunden bis Sekunden und hält anschließend über Sekunden bis Minuten lang an; – wenn wir uns zum Beispiel kurzzeitig etwas merken wollen, benötigen wir mit Sicherheit solche Second-Messenger-Wirkungen. Ihr Rezeptor ist nicht direkt mit einem Ionenkanal gekoppelt, sondern er löst bei Bindung des Transmitters eine Kaskade chemischer Reaktionen aus, die zur Synthese eben eines Second-Messengers (engl.: eines Sekundären Botenstoffes) führen, der seinerseits über eine Folge

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 59: Schematische Darstellung einer chemischen Synapse

chemischer Reaktionen die Zelle erregt oder hemmt. Die Wirkung des Rezeptors ist dabei stets indirekt. (Vgl. james schwartz – eric r. kandel: Modulation der synaptischen Übertragung: Second-Messenger-Systeme, in: Neurowissenschaften, 251.) Die Kenntnis der synaptischen Übertragung wurde zuerst an den Synapsen zwischen der Axonendigung eines Motoneurons und einer Skelettmuskelfaser gewonnen; bei Wirbeltieren wird als Neurotransmitter dieser neuromuskulären Synapse Acetylcholin (ACh) verwendet; dieser Synapsentyp ist zugleich ein Beispiel für eine schnelle exzitatorische Synapse. Sprechen wir also als erstes davon.

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α) Die schnelle erregende chemische Synapse Wenn ein Aktionspotential über das Axon die präsynaptische Endigung erreicht, öffnen sich dort spannungsgesteuerte Calciumionen-Kanäle, die normalerweise geschlossen sind; jetzt öffnen sie sich kurzzeitig, und so strömen Ca2+Ionen, deren Konzentration extrazellulär größer ist als intrazellulär, in die präsynaptischen Endknöpfchen ein; der Ca2+-Einstrom wiederum bewirkt die Ausschüttung des Neurotransmitters – im Falle der neuromuskulären Synapse von Acetylcholin (ACh) – aus den Endknöpfchen, die bei der neuromuskulären Synapse über der motorischen Endplatte liegen, einer spezialisierten Region der Muskelfasermembran. Die Neurotransmittermoleküle diffundieren dann durch den synaptischen Spalt und binden an die Rezeptormoleküle der postsynaptischen Membran; das wiederum bewirkt, daß sich dort vor allem die Na+-Kanäle und auch die K+-Kanäle öffnen; durch das Einströmen der positiven Natriumionen aber wird die postsynaptische Zielzelle – in unserem Falle also die Muskelzelle – für ein paar Millisekunden depolarisiert: ihr Membranpotential ist weniger negativ; und während dieser Zeit ist die Zelle leichter erregbar. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 82– 83; eric r. kandel – steven siegelbaum: Einführung in die synaptische Übertragung, in: Neurowissenschaften, 196; 198–199; eric r. kandel – steven siegelbaum: Übertragung an der neuromuskulären Synapse, in: Neurowissenschaften, 204 –205.) Wohlgemerkt sind die Ionenkanäle auf der postsynaptischen Membran nicht spannungsgesteuert, sondern es handelt sich bei ihnen um chemische Rezeptoren, die auf einen bestimmten Transmitter ansprechen. Da die Rezeptoren nicht elektrisch, sondern chemisch aktiviert werden, gibt es auch keinen Schwellenwert, an dem die Ionenkanäle allesamt geöffnet wären; die Zahl der geöffneten Tore hängt vielmehr von der Zahl der Neurotransmittermoleküle ab; und die Öffnungsdauer wird von der Zeit bestimmt, in welcher der Transmitter an dem Rezeptor gebunden bleibt. Für diesen ganzen komplizierten Vorgang vom Eintreffen des Aktionspotentials an der präsynaptischen Axonendigung bis zum Beginn der Depolarisation der postsynaptischen Zelle werden oft nur 0,2 ms (Millisekunden) benötigt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 84.) Die Freisetzung der Neurotransmitter infolge des Ca2+-Einstroms in die präsynaptische Axonendigung erfolgt durch Exocytose (von griech:. éxo¯ – aus, nach außen; der kýtos – Hülle, Zelle): die synaptischen Vesikel der Axonendigung verschmelzen mit der präsynaptischen Membran und entleeren die Transmittersubstanzen in den synaptischen Spalt. Daß es einzelne synaptische Vesi-

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Abb. A 60: Transmitterfreigabe am synaptischen Spalt

kel sind, die den Neurotransmitter freisetzen, bedeutet, daß der Transmitter in kleinen «Paketen» abgegeben wird, wie in Abb. A 60 zu sehen. bernard katz (geb. 1911), der zusammen mit paul fatt die Quantelung der synaptischen Übertragung entdeckte, sprach von dem Quant als dem kleinsten Transmitterpaket, – es entspricht einem Vesikelinhalt. (Natürlich hat der Ausdruck Quant nichts mit der Quantentheorie in der Physik zu tun; es handelt sich um ein reines Analogon: Wie Energie nur in bestimmten «Paketen» übertragen werden kann, so gibt es auch bestimmte Grundeinheiten bei der Ausschüttung von Neurotransmittern. – Zur Darstellung der Quantenphysik vgl. e. drewermann: . . . Im Anfang, 749 –881. – Diese Bemerkung ist nötig, weil es Autoren gibt, die aus dem Ausdruck Quant bei katz glauben folgern zu können, daß in der Neurologie eine fundamentale «Unschärfe» oder eine nur statistische Wahrscheinlichkeit des kausalen Ablaufes offen sei für das «Eingreifen» des göttlichen Geistes und der menschlichen Freiheit. Eine solche «Argumentation» mißversteht nicht nur die Quantenphysik, sie treibt darüber hinaus ein willkürliches Spiel mit an sich klar und eindeutig definierten Begriffen.) Ein solches Quant besteht aus ca. 10 000 Molekülen Acetylcholin (ACh).

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Jedes Transmitterquant löst nun bei einer synaptischen Übertragung ein synaptisches Einheitspotential, das heißt ein postsynaptisches Potential bestimmter Größe, aus. Aus der Summe dieser Einheitspotentiale setzt sich das postsynaptische Gesamtpotential zusammen. Auch ohne vorherige präsynaptische Depolarisation erscheinen von allein einzelne Quanten, die kleine spontane Potentiale verursachen, sogenannte Miniaturendplattenpotentiale (MEPP). Solche bilden sich immer wieder und wirken wie ein «Rauschen» in einem nicht ganz perfekten System. Soll es wirklich durch ein Aktionspotential zu einer synaptischen Übertragung kommen, werden an einer neuromuskulären Synapse etwa 100 bis 150 Transmitterquanten ausgeschüttet, an den meisten Synapsen des ZNS etwa 1 bis 10. An einer neuromuskulären Endplatte genügt dabei eine einzige Aktivierung einer Synapse, um die Kontraktion einer Muskelzelle auszulösen; im Zentralnervensystem (Gehirn und Rückenmark) von Wirbeltieren hingegen müssen mehrere Synapsen an einem Gehirnneuron zusammenarbeiten, um ein Aktionspotential aufzubauen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 84– 86; eric r. kandel: Transmitterfreisetzung, in: Neurowissenschaften, 280– 282.) Betrachten wir jetzt die schnelle exzitatorische synaptische Übertragung auf ein Neuron im Zentralnervensystem. Es empfängt ständig synaptische Signale anderer Neuronen. Die postsynaptischen Potentiale, die von einer einzigen Synapse herrühren, sind aber in der Regel nicht in der Lage, in der postsynaptischen Zelle ein Aktionspotential zu erzeugen. Denn nach dem Eintreffen an der präsynaptischen Endigung verursacht ein Aktionspotential nur eine sehr schwache Depolarisation in der postsynaptischen Membran, da die Öffnung der Na+-Kanäle dort nicht spannungsgesteuert und somit auch nicht (auto)regenerativ (sich selbst verstärkend) ist. Die Summe dieser schwachen und kurzen Depolarisationen ist ein kleines exzitatorisches (erregendes) postsynaptisches Potential (EPSP), das unter dem Schwellenwert zum Auslösen eines Aktionspotentials im Zielneuron bleibt. Es ist klar, daß die EPSPs abgestuft sind. Ein einzelnes EPSP ist zwar nicht groß genug dazu, aber viele erregende synaptische Potentiale können verrechnet werden und das EPSP so erhöhen, daß ein Aktionspotential in der postsynaptischen Zelle ausgelöst wird. Abb. A 61 zeigt die Meßkurven des Membranpotentials eines Neurons für ein EPSP und für ein EPSP, dem ein Aktionspotential folgt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 87–90; john p. j. pinel: Biopsychologie, 90– 91; eric r. kandel: Synaptische Integration, in: Neurowissenschaften, 226.) Die niedrigste Schwelle für die Auslösung eines Aktionspotentials weist der Axonhügel auf, der auch bei myelinisierten Nervenfasern keine Myelinscheide

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Abb. A 61: Meßkurven des Membranpotentials für ein EPSP (oben) und ein EPSP, dem ein Aktionspotential folgt (unten)

aufweist. Um ihn auf den Potentialschwellenwert von –55 mV zu depolarisieren, müssen mehrere Synapsen gleichzeitig ihre postsynaptischen Potentiale aufbauen; man spricht von räumlicher Summation. Wird eine Synapse in kurzem Abstand mehrfach aktiviert, können sich ihre aufeinanderfolgenden Inputs ebenfalls bis zur Auslösung eines Aktionspotentials aufaddieren. Man spricht dann von einer zeitlichen Summation. Bei Erreichen des Schwellenwertes von –55 mV (gegenüber dem Ruhepotential von –65 mV) öffnen sich die spannungsgesteuerten Na+- und K+-Ionenkanäle am Axonhügel der Zielzelle, und das Aktionspotential wird ausgelöst und pflanzt sich entlang dem Axon fort. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 87–90; eric r. kandel: Synaptische Integration, in: Neurowissenschaften, 228 –230; john p. j. pinel: Biopsychologie, 90– 93; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 65.)

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β) Die schnelle hemmende chemische Synapse Eine Nervenzelle kann die Aktivität einer anderen Zelle nur steigern oder reduzieren, sie also erregen oder hemmen. Dies ist auch einleuchtend, denn wenn etwas erregt wird, muß es auch gehemmt werden können – so wie der Motor eines verkehrstauglichen Autos nur eine Antriebskraft aufweisen darf, die der Kraft der Bremsen in etwa entspricht, am besten sogar deutlich schwächer ist. Es ist deshalb kein Wunder, daß in der Neurologie sogar die Verfahren von Exzitation und Inhibition einander weitgehend entsprechen, läuft doch die Hemmung einer Nervenzelle bis zur Ausschüttung des Neurotransmitters ganz wie bei der Erregung ab: Ein Aktionspotential erreicht die präsynaptische Endigung, Ca2+-Ionen strömen ein, der freigesetzte Neurotransmitter diffundiert über den synaptischen Spalt und bindet an die Rezeptormoleküle auf der postsynaptischen Membran der Zielzelle; entscheidend an der Hemmung ist indessen die Tatsache, daß die Na+-Kanäle geschlossen bleiben und sich statt ihrer die Ionenkanäle für Cl−- oder K+-Ionen oder für beide öffnen; die Folgen sind erneut leicht vorhersehbar; dabei müssen wir allerdings die ChloridionenHemmung unterscheiden von der Kaliumionen-Hemmung. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 91.) Chloridionen liegen (nach Abb. A 57) außerhalb der Zelle weit konzentrierter vor als innerhalb der Zelle; deshalb wird nach Öffnen der Cl−-Ionenkanäle beim Einströmen von Cl−-Ionen in die Zelle deren Membraninnenseite negativer; diese angestiegene Negativität bezeichnet man als Hyperpolarisation der Membran. Die K+-Hemmung funktioniert umgekehrt wie die Cl−-Hemmung. Die Konzentration an Kaliumionen ist nach Abb. A 57 innerhalb der Zelle etwa 20mal höher als außerhalb; werden die K+-Ionenkanäle geöffnet, so strömen die einfach positiv geladenen K+-Ionen aus der Zelle hinaus, und die Membraninnenseite wird negativer; auch so wird sie hyperpolarisiert. Statt von Hyperpolarisation spricht man auch von dem inhibitorischen postsynaptischen Potential (IPSP). Ein IPSP liegt vom Schwellenwert von etwa –55 mV für die Auslösung eines Aktionspotentials weiter entfernt als das Ruhepotential: bei zum Beispiel –75 mV statt bei – 65 mV. Alles andere aber ist ganz entsprechend wie bei den EPSPs: IPSPs addieren sich am Zellkörper und an den Dendriten räumlich und zeitlich genau so auf wie EPSPs. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 91; john p. j. pinel: Biopsychologie, 90 –93.) Abb. A 62 zeigt die Meßkurve für ein solches inhibitorisches postsynaptisches Potential. Entscheidend ist in jedem Falle, daß das IPSP die EPSP-Antwort einer Zelle

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Abb. A 62: Meßkurve für ein inhibitorisches postsynaptisches Potential

verhindert, und zwar nicht durch eine einfache Addition von positiven und negativen Spannungen, vielmehr durch die Tatsache, daß die Hemmung sich stärker auswirkt. Bezeichnenderweise liegen die inhibitorischen Synapsen vor allem auf dem Zellkörper, und zwar nahe dem Axonhügel, an dem das Aktionspotential erzeugt wird; ihre Wirkung ist auch von daher größer als die der exzitatorischen Synapsen, die sich zumeist an weiter entfernten Regionen des Zellkörpers und der Dendriten befinden. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 94.) Neben den IPSPs verhindert auch die Stabilisierung des Membranpotentials in der Nähe der Cl−- und K+-Gleichgewichtspotentiale (ECl = –60 mV; EK = –75 mV) durch die zunehmende Membranpermeabilität für Cl−und K+-Ionen ein Erreichen des Schwellenpotentials von – 55 mV für die Auslösung eines Aktionspotentials. (Vgl. richard f. thompson: A. a. O., 91– 94; eric r. kandel: Synaptische Integration, in: Neurowissenschaften, 239– 241.) Unser «Postulat», es müßten bei einem funktionstüchtigen Auto die Bremsen stärker sein als der Motor, ist im Bauplan der Neuronen also in etwa realisiert.

γ) Kompetitive Hemmung an Rezeptoren Allerdings kommt es bei der Hemmung der synaptischen Übertragung nicht allein auf die Ausschüttung der Neurotransmitter an, sondern ganz entscheidend auf ihre Bindung an die Rezeptormoleküle, deren Bindungsstellen zum Beispiel durch andere Substanzen blockiert sein können. Rezeptoren gibt es, wie schon gesagt, nicht nur für Neurotransmitter, sondern auch für Hormone; desgleichen sind sie bei Immunreaktionen von großer Bedeutung. Auch auf Nervenzellen sind Rezeptoren nicht nur an der synapti-

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schen Übertragung beteiligt, sondern ebenfalls bei der Aufnahme hormoneller Signale; wir dürfen nicht vergessen, daß das Nervensystem sich (wahrscheinlich) aus einem humoralen Informationssystem heraus entwickelt hat und daß Nervensystem und Immunsystem in einer Ursprungseinheit miteinander verknüpft sind. Für die psychosomatische Medizin ist diese Tatsache, wie wir noch sehen werden, fundamental. Doch zurück zu den Rezeptoren für Neurotransmitter. Sie sind Transmembranproteine mit zwei Funktionen: Sie erkennen und binden das Transmittermolekül, was mit einer Änderung ihres Konformationszustandes einhergeht; und sie bilden einen Ionenkanal, der je nach seinem Konformationszustand den Durchtritt von Ionen ermöglicht oder verhindert. Die Bindung an die Rezeptoren erfolgt nach dem Schlüssel-Schloß-Prinzip, das heißt es entscheidet die chemische Struktur darüber, ob ein bestimmter Transmitter an einen bestimmten Rezeptor bindet oder nicht. (Zum Schlüssel-Schloß-Prinzip bei der Bindung von Substraten an Enzyme vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 82 –84.) Da nicht nur Transmitter, sondern auch Hormone, Drogen, Gifte und Medikamente die passende Schlüsselform besitzen und folglich gebunden werden können, bezeichnet man ganz allgemein jede Substanz, die an einen Rezeptor (R) bindet, als Ligand (lat.: das zu Bindende). Dabei entsteht ein Ligand-Rezeptor-Komplex (LR): L þ R Ð LR: Beschrieben wird in dieser Hin- und Rückreaktion wohlgemerkt ein dynamisches Gleichgewicht, ein kontinuierlicher Prozeß des «Bindens und Lösens», um es biblisch mit Mt 16,19 auszudrücken. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 100–101; 499– 501.) Der Grad bzw. die Stärke, in der sich der Ligand an die Rezeptoren bindet, heißt Affinität. Es liegt auf der Hand, daß zwei Liganden, zum Beispiel ein Transmitter und ein Giftstoff, um die Bindungsstelle am Rezeptor wetteifern können, wobei der Stoff mit der höheren Affinität als Sieger hervorgehen wird. Kompetitive Hemmung ist der Fachausdruck für diese Blockade der Rezeptoren durch «psychoaktive» Substanzen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 101; 501–502; JOSEF DUDEL : Synaptische Erregung und Hemmung, in: Neurowissenschaft, 125.) Berühmt ist zum Beispiel das indianische Pfeilgift Curare, ein Gemisch aus Alkaloiden, das an die Acetylcholin-Rezeptoren bindet und damit das Acetylcholin (ACh) daran hindert, sich an die Rezeptoren anzuheften. Die Übertragung an der neuromuskulären Synapse wird blockiert, die Brust- und

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Zwerchfellmuskeln verweigern ihren Dienst, die Atmung setzt aus – Lähmung und Tod treten ein; in vernünftiger medizinischer Dosierung kann Curare freilich auch als muskelerschlaffendes Mittel bei Operationen verwendet werden, sofern der Patient künstlich beatmet wird. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 100–101; john p. j. pinel: Biopsychologie, 107–108; josef dudel: Synaptische Erregung und Hemmung, in: Neurowissenschaft, 125.) Psychisch bedeutsamer noch ist womöglich ein zweites Beispiel. Wir hörten schon von den Endorphinen (den endogenen Morphinen) und den Enkephalinen (den Stoffen im Kopfe, von griech.: en – innen, die kephale¯ – Kopf ), die vom Gehirn selber hergestellt werden und in den «Belohungszentren» des mesolimbischen Systems als Neurohormone die Bereitschaft von Nervenzellen modulieren, auf synaptische Transmitter zu reagieren; weil sie auf diese Weise die Schmerzempfindung im Zentralnervensystem dämpfen, bezeichnet man sie auch als endogene Opiate; Abb. A 22 hat bereits gezeigt, wie die Opiatrezeptoren speziell in den Strukturen des limbischen Systems verteilt sind. An diese Opiatrezeptoren binden nun nicht allein die endogenen Opiate, sondern auch die Droge Morphin (Morphium) und glücklicherweise das Medikament Naloxon, das auf Grund höherer Affinität die Morphine sogar verdrängen kann. Eine lebensgefährliche Überdosis Heroin, das aus Morphin synthetisiert wird und stärker und schneller wirkt als dieses, kann durch Naloxon innerhalb weniger Minuten unschädlich gemacht werden. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 101–102; 162.) Neben der Blockade von Rezeptoren durch Gifte und Drogen lauert eine weitere Gefahr im eigenen Immunsystem, genauer: in einer selbstschädigenden Funktionsweise desselben. Bei der Myasthenia gravis (der schweren Muskelschwäche, von griech.: der mys – Muskel; asthene¯s – schwach; lat.: gravis – schwer) zum Beispiel produziert ein irregeleitetes Immunsystem in einer sogenannten Autoimmunreaktion Antikörper gegen den eigenen Acetylcholin-Rezeptor, mit der Folge, daß diese Antikörper an die Rezeptoren binden und im Verlauf der Krankheit unterschiedlich viele Acetylcholin-Rezeptoren an den neuromuskulären Endplatten zerstört werden. (Zu Antikörpern und Autoimmunreaktionen vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 305– 309; 311– 314.) Im Labor konnte die Myasthenia gravis durch Injektion von Acetylcholin-Rezeptoren und daraufhin einsetzende Antikörperbildung bei Mäusen, Ratten, Kaninchen und Affen experimentell ausgelöst werden. (Vgl. lewis p. rowland: Ein Krankheitsbild: Myasthenia gravis, in: Neurowissenschaften, 313 –322; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 496 –497.) Die Kette der Versuchstiere zeigt, wie sich die medizinische Forschung über die

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künstlich erzeugten Krankheitsfälle zahlreicher Nagetiere zu den Primaten (und damit schließlich zum Menschen) herangearbeitet hat; immer noch bezahlen Hekatomben gequälter Tiere den Fortschritt der Wissenschaft. Bis dahin haben wir vorwiegend von der schnellen synaptischen Erregung oder Hemmung gesprochen; daneben hörten wir auch schon von den als Neuromodulatoren wirkenden endogenen Opiaten; betrachten wir jetzt also die langsamen Übertragungswege des Second-Messenger-Systems, auf das man erst in den 60er Jahren des 20. Jhs. gestoßen ist.

δ) Langsame synaptische Wirkungen: Das Second-Messenger-System Im Second-Messenger-System laufen bis zur Bindung des Transmitters an den Rezeptor dieselben Prozesse ab wie im First-Messenger-System: Ein Aktionspotential erreicht die Axonendigung, Ca2+-Ionen strömen ein, der Transmitter wird freigesetzt und legt sich an das Rezeptormolekül der Empfängerzelle an. Dieses Rezeptormolekül ist nun aber nicht direkt mit einem Ionenkanal gekoppelt, sondern wirkt indirekt über die Synthese des Sekundären Botenstoffes, der letztlich den biochemischen Zustand der Zelle verändert. Sekundär heißen diese Botenstoffe, weil sie erst wirksam werden, wenn die primären Botenstoffe den synaptischen Spalt überquert und sich an die Rezeptoren angeheftet haben. Insgesamt wirken die Sekundären Botenstoffe als Modulatoren der Aktivität von Neuronen. Das schnelle Zurückziehen unserer Hand auf einen Schmerzreiz hin zum Beispiel erfolgt über das First-Messenger-System, die anschließende Schmerzwahrnehmung indessen wird mittels endogener Opiate über Second-Messenger-Wirkungen moduliert und (mehr oder weniger) erträglich gehalten. Die Sekundären Botenstoffe verändern dazu die Eigenschaften und die Funktion von Membrankanälen und Ionenpumpen und damit die Konzentration bestimmter Ionen in der Zelle; sie beeinflussen Enzymaktivitäten, und sie regulieren die Transkription der DNA sowie die Expression von Proteinen – sie veranlassen also den Zellkern, von einer bestimmten Substanz mehr oder weniger herstellen zu lassen. (Zur Transkription sowie zur Proteinsynthese vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 84– 91.) Aus all dem wiederum ergeben sich tiefgreifende Folgen für die Nervenzelle selbst. Es kommt vor, daß ein und derselbe Transmitter sowohl an First-MessengerProzessen als auch an Second-Messenger-Übertragungen beteiligt ist – je nach Wirkung des Rezeptormoleküls. Der bisher am besten erforschte Sekundäre Botenstoff ist wohl das cyclische

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Abb. A 63: Strukturformel von cAMP

Adenosinmonophosphat (cAMP). Abb. A 63 gibt die Strukturformel von cAMP wieder. Die Arbeitsweise der Synapsen, die cAMP als Sekundären Botenstoff verwenden, ist bis zu dem Zeitpunkt, da sich die Transmittermoleküle (FirstMessenger) an die postsynaptischen Rezeptoren binden, genau so wie die der schnellen exzitatorischen und inhibitorischen Synapsen. Nach Aktivierung der Rezeptoren aber wird in der Zellmembran eine Reihe chemischer Reaktionen ausgelöst: Zuerst wirkt der aktivierte Rezeptor auf ein G-Protein (ein Guanylnucleotid-bindendes Protein) ein, dadurch wird das Second-Messenger-System zur Synthese des Sekundären Botenstoffes veranlaßt; ATP wird unter Katalyse des Enzyms Adenylatcyclase in cyclisches AMP umgewandelt, das seinerseits vielfältig auf die Zelle einwirkt – von Veränderungen in der Zellmembran bei Ionenkanälen und Ionenpumpen bis hin zur Wirkung auf die DNA. («Enzym» kommt von griech.: en – in, die kýme¯ – der Sauerteig; Enzyme sind Biokatalysatoren; ihre Namen tragen die Endung – ase.) Die Proteinkinase ist dabei das Enzym, das diese vielfältigen Wirkungen des Sekundären Botenstoffes cAMP auf die Zelle im wesentlichen vermittelt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 129 –131.) Eine schematische Darstellung der Wirkung des Sekundären Botenstoffes cAMP an einer Synapse versucht Abb. A 64 zu geben. Ein anderer Sekundärer Botenstoff ist das cyclische Guanosinmonophosphat (cGMP), das mit cAMP verwandt ist. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 243 –244.) Dieses Wenige möge zum Verständnis der chemischen Synapsen genügen. Sprechen wir noch kurz über die elektrischen Synapsen.

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Abb. A 64: Wirkung des Sekundären Botenstoffs cAMP an einer Synapse

ε) Die elektrische synaptische Übertragung Es war john carew eccles (1903 –1997), der den chemischen Charakter der synaptischen Übertragung als erster erkannte. Doch kommen auch elektrische Synapsen im gesamten Tierreich häufig vor. Ganze Neuronengruppen können über elektrische Synapsen miteinander verbunden sein, so daß die vielen kleinen gekoppelten Zellen wie eine einzige große Zelle synchron zusammenarbeiten. In einem motorischen Kern nebeneinander liegende Motoneuronen zum Beispiel feuern gemeinsam, um Muskelfasern zu aktivieren, die ihrerseits eng beieinander liegen. Und auch im Säugetiergehirn gibt es elektrische Synapsen,

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vor allem zwischen den Zellkörpern unmittelbar benachbarter Nervenzellen mit gleicher Funktion. Der Unterschied zwischen beiden Synapsentypen ist bedeutend: Während in chemischen Synapsen die Zellen durch den synaptischen Spalt voneinander getrennt sind, sind in elektrischen Synapsen die präsynaptische und die postsynaptische Zelle durch spezielle Ionenkanäle in den Zellmembranen, die Gap Junctions (Spaltverbindungen, von engl.: gap – Spalte, junction – Verbindung), miteinander verbunden. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 48 –51; eric r. kandel – steven siegelbaum: Einführung in die synaptische Übertragung, in: Neurowissenschaften, 190; 194.) Eine elektrische Synapse arbeitet ungefähr wie ein elektrischer Transformator: An der Endigung eines Axons mit elektrischer Synapse induziert das Aktionspotential ein elektrisches Feld in der postsynaptischen Nervenzelle; ist dieses Feld groß genug, so erreicht die postsynaptische Membran die Schwelle für das Aktionspotential; die spannungsgesteuerten Kanäle öffnen sich, und es entsteht – ohne chemischen Transmitter – ein Spike (engl.: eine Spitze). Um effektiv zu sein, muß die präsynaptische Endigung möglichst groß sein, da zur Depolarisation der postsynaptischen Zelle viel Strom nötig ist, der direkt von den spannungsgesteuerten Ionenkanälen der präsynaptischen Zelle erzeugt werden muß (I = U / R), und die postsynaptische Zelle muß möglichst klein sein, damit ihr dann hoher Eingangswiderstand eine größere Spannungsänderung, also Depolarisation, ermöglicht (U = R · I). Ein elektrisches Feld kann auch in typisch chemischen Synapsen auftreten, doch wegen des synaptischen Spalts und der Winzigkeit des präsynaptischen Elements gegenüber dem postsynaptischen bleibt es unbedeutend und ohne bestimmenden Einfluß auf das postsynaptische Membranpotential. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 48 –50; eric r. kandel – steven siegelbaum: Einführung in die synaptische Übertragung, in: Neurowissenschaften, 191.) An Gründen, warum die meisten Synapsen im Säugetiergehirn chemischer Natur sind, gibt es mehrere. Einer liegt darin, daß chemische Synapsen mehr Möglichkeiten für Veränderungen bieten: Eine chemische Synapse ist plastisch; sie kann so verändert werden, daß die Aktivität der entsprechenden Nervenzellen zu- oder abnimmt. Elektrische Synapsen hingegen sind starr; der Eingang bestimmt bei ihnen den Ausgang, und die Informationen können nicht abgewandelt werden, da keine strukturellen oder chemischen Modifikationen möglich sind. Das wiederum hat eine außerordentlich wichtige Konsequenz: Lernen und Gedächtnis hätten bei nur elektrischen Synapsen sich nie entwickeln können! Zum zweiten sind die chemischen Synapsen sehr klein; da bei elektrischen Synapsen die präsynaptische Endigung mindestens ähnlich groß sein

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muß wie das postsynaptische Element, kann die Anzahl derartiger Synapsen nur auf wenige pro Nervenzelle begrenzt sein. Selbst die Komplexität der einfacheren Nervensysteme von wirbellosen Tieren hätte daher ohne die kleineren chemischen Synapsen sich nicht entwickeln können. Und zum dritten noch ein weiterer Vorteil: Die chemische Erregungsübertragung an den Synapsen geht langsamer vor sich als bei elektrischen Synapsen, bei denen die Übermittlung praktisch ohne Verzögerung erfolgt; doch gerade dieser Langsamkeit wegen erhält die Zelle die Fähigkeit, mehrere Informationen über die Zeit zu integrieren, wie das bei der zeitlichen Summation der Fall ist. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 50– 51.) Das Gehirn ist eben deshalb so leistungsfähig, weil es eine chemische, keine elektrische oder elektronische Maschine ist; der so beliebte Vergleich des Gehirns mit einem Computer ist deshalb schlechthin falsch – fast so falsch, als wollte man die Birne am Baum zusammen mit thomas alva edisons (1847– 1931) Glühbirne als Objekte derselben Ordnung abhandeln, nur weil beide von weitem ähnlich aussehen.

e) Von Neurotransmittern, Rezeptoren sowie der Funktion des autonomen (vegetativen) Nervensystems Wir können jetzt einigermaßen verstehen, was sich bei der elektrochemischen Signalübertragung an den Synapsen abspielt, und wir hörten dabei schon ununterbrochen von der zentralen Bedeutsamkeit der Rezeptoren. Deren besondere Relevanz liegt in ihrer Spezifität – darin, daß sie nicht alle möglichen Stoffe «annehmen», sondern nur auf diejenigen Transmitter reagieren, deren spezifische Struktur nach dem Schlüssel-Schloß-Prinzip zu ihnen paßt. Um als Neurotransmitter zu gelten, muß eine Substanz die folgenden Kriterien erfüllen: 1) Sie muß in der präsynaptischen Endigung vorliegen, in ausreichender Menge freigesetzt werden und eine ganz bestimmte Wirkung in der postsynaptischen Zielzelle erzeugen. Dabei können dieselben Transmitter je nach Rezeptor durchaus ganz gegensätzlich wirken. 2) Wenn ein Transmitter exogen verabreicht wird (zum Beispiel als Psychopharmakon), so ahmt er die Wirkung des endogen erzeugten Transmitters exakt nach. 3) Die Transmitter selbst dürfen natürlich nicht ständig an die Rezeptoren gebunden bleiben, – eine Information läßt sich nur als ein Muster von Erregungen und Hemmungen (nicht als eine Dauererregung oder -hemmung) übertragen; und so muß es Mechanis-

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Abb. A 65: Teilschritte der Transmitterwirkung

men geben, die einen Transmitter inaktivieren, also vom Wirkungsort entfernen. Entweder baut ein Enzym die Transmittersubstanz bereits an den Rezeptoren wieder ab oder die Substanz wird durch Endocytose (das Gegenteil der Exocytose) wieder von der präsynaptischen Zelle aufgenommen; oder die Transmittersubstanz verläßt den synaptischen Spalt zum Beispiel durch Diffusion und wird von Gliazellen aufgenommen. 4) Transmitter müssen in Neuronen synthetisiert und gespeichert werden. Die Verbindungen, die für diese Synthese nötig sind, liegen im normalen Stoffwechsel vor. Abb. A 65 gibt einen Überblick über die Teilschritte der Transmitterwirkung. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 119–121; james h. schwartz: Neurotransmitter, in: Neurowissenschaften, 300; 308 –309; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 60; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 74.)

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Abb. A 66: Wirkung von Psychopharmaka an einer chemischen Synapse

Die Menge der verfügbaren Transmitter muß bei Synthese und Speicherung begrenzt bleiben; man spricht von dem geschwindigkeitbestimmenden oder -begrenzenden Faktor, also dem Schritt, der bei Synthese und Speicherung die verfügbare Transmittermenge begrenzt. Dieser Faktor ist sehr wichtig, denn es scheint, daß manche Gehirnerkrankungen auf zu geringen oder zu hohen Neurotransmitterkonzentrationen beruhen. Kennt man von daher den geschwindigkeitbestimmenden Faktor, so kann man durch Erhöhung oder Reduzierung der entsprechenden Transmittermenge die jeweilige Krankheit behandeln. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 121–122.) Abb. A 66 zeigt, wie mit Psychopharmaka die synaptische Übertragung beeinflußt werden kann. Zur Signalübertragung benutzt unser Nervensystem näherhin zwei Hauptklassen von chemischen Verbindungen: die niedermolekularen Transmitter, die wir (mit Ausnahme von Aspartat und Histamin sowie der unkonventionellen Transmitter Stickstoffmonoxid und Kohlenstoffmonoxid) den Namen nach

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schon kennen, und die neuroaktiven Peptide (die Peptidtransmitter, auch Neuropeptide genannt, also kurze Eiweißbruchstücke, die das Nervensystem beeinflussen), von denen wir ebenfalls einige schon erwähnt haben. Die nachstehende Tabelle versucht, eine Übersicht zu geben. (Vgl. james h. schwartz: Neurotransmitter, in: Neurowissenschaften, 301; 305; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 74; john p. j. pinel, Biopsychologie, 103 –104.) Niedermolekulare Transmitter Acetylcholin (ACh) Aminosäuretransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA) Glycin Glutamat (Glutaminsäure) Aspartat (Asparaginsäure) Catecholamine: Dopamin (DA) biogene Amine Noradrenalin (NA) (die Catecholamine und Adrenalin Serotonin werden zur Serotonin (5-HT, 5-Hydroxytryptamin, ein Gruppe der Monoamine Indolamin) zusammengefaßt) Histamin (eigentlich kein Amin, sondern ein Imidazol, aber historisch bedingt hier eingeordnet) lösliche Gase Stickstoffmonoxid (NO) Kohlenstoffmonoxid (CO) Einige ausgewählte Familien neuroaktiver Peptide Opioide z. B. Enkephaline, β-Endorphin, Dynorphin Peptide der Neurohypophyse z. B. Oxytocin, Vasopressin Insuline z. B. Insulin weitere neuroaktive Peptide, z. B. Substanz P Neurotensin Neuropeptid Y (NPY) Cholecystokinin (CCK) Galanin Bombesin Angiotensin II Calcitonin Bradykinin

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Eine Reihe von ihnen, ihre Ursprungsorte und ihre Bahnen im Gehirn haben wir bereits in groben Zügen kennengelernt; doch kommt es jetzt darauf an, ihre chemische Struktur und Wirkungsweise genauer zu betrachten. Wir beschränken uns auf einige wichtige niedermolekulare Transmitter. Beginnen wir mit Acetylcholin.

α) Acetylcholin (ACh) Acetylcholin (ACh) ist der Transmitter, der an der neuromuskulären Endplatte und an bestimmten anderen peripheren Synapsen des autonomen (vegetativen) Nervensystems (zum Beispiel im Herzen) seine Wirkung entfaltet. Auch im Gehirn ist es an vielen Synapsen beteiligt. Entdeckt wurde der Stoff im Jahre 1924 durch einen genial einfachen Versuch von otto loewi (1873 –1961): loewi wollte wissen, ob die synaptische Übertragung vom Vagusnerven zum Herzmuskel auf elektrischem oder chemischem Wege verläuft. Zu diesem Zweck operierte er einem Frosch den Vagusnerv samt dem Herzen heraus und hielt das Präparat mit ringer-Lösung (nach sydney ringer, 1835 –1910), die der Salzzusammensetzung im Blut ähnelt, am Leben. Viele Male reizte loewi den Vagusnerv elektrisch und verlangsamte so wiederholt den Herzschlag, dann entnahm er die ringer-Lösung und legte ein anderes Frosch-Herz hinein; auch bei diesem verlangsamte sich die Herzfrequenz. Offenbar hatte das erste Frosch-Herz eine Substanz abgegeben, die als chemischer Transmitter an den Synapsen wirkt. loewi nannte diesen Stoff Vagusstoff, der dann bald als Acetylcholin identifiziert wurde. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 122.) Abb. A 67 zeigt die ACh-Synthese. Acetylcholin wird aus Acetyl-Coenzym A (Acetyl-CoA) und Cholin hergestellt. Acetyl-CoA kommt in großen Mengen in den Mitochondrien aller Zellen vor und ist dort am Citrat-Zyklus beteiligt, in den die Bausteine aus Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen eingeschleust werden und der folglich eine wichtige Schnittstelle des Stoffwechsels ist. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 194 –201.) Nervenzellen können – im Unterschied zu den anderen Geweben und Organen – ATP nur über den Glucosestoffwechsel bilden. Deshalb ist, wie früher schon gesagt, die Zufuhr von Glucose neben der von Sauerstoff für das Gehirn so wichtig. Die Endprodukte des Glucoseabbaus sind, wie gleichfalls bereits erwähnt, Wasser und Kohlenstoffdioxid. Cholin, das auch bei der ACh-Synthese benötigt wird, muß über die Nahrung aufgenommen werden (zum Beispiel durch Eigelb und Gemüse). Seine Konzentration stellt, da Acetyl-CoA und das Enzym, das die ACh-Synthese kataly-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 67: Die Acetylcholin-Synthese

siert, die Cholinacetyltransferase, überall in den Zellen immer ausreichend vorkommen, den geschwindigkeitbestimmenden Faktor dar. ACh wird entweder in den Axonendigungen direkt gebildet, oder es wird im Zellkörper des Neurons synthetisiert und dann durch axoplasmatischen Transport im Verlauf von Stunden und Tagen zu den Endigungen gebracht. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 122–124.) Die Inaktivierung von ACh an den Rezeptoren erfolgt in Millisekunden durch das Enzym Acetylcholinesterase (AChE), das ACh in Acetat (das Anion der Essigsäure) und Cholin abbaut. Das Cholin wird von der Axonendigung zum großen Teil wieder aufgenommen und für die neue ACh-Synthese verwendet. Das Acetat geht in den Citrat-Zyklus ein. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 123–124.) Auch Drogen und Arzneimittel können die ACh-Synapse entscheidend beeinflussen: sie können die ACh-Synthese blockieren sowie den Transport im Axon, die Speicherung in den Vesikeln, die Freisetzung an der Synapse, die Bindung an die Rezeptoren und die Inaktivierung von ACh durch enzymatischen Abbau (durch AChE) verändern. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 124.) Der aufmerksame Leser wird sich darüber gewundert haben, daß ACh auf zwei verschiedene Muskelzelltypen entgegengesetzt wirkt: es hemmt die Herzmuskelzellen, und es erregt die Skelettmuskelzellen. Die beiden unterschiedlichen Synapsentypen lassen sich durch verschiedene Wirkstoffe blockieren: Der Grund hierfür liegt in den ACh-Rezeptoren. So beeinflußt Nicotin die AChRezeptoren der Skelettmuskulatur in gleicher Weise wie ACh, es hat aber auf die Rezeptoren der Herzmuskelzellen keinen Einfluß. Deshalb bezeichnet

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man den ACh-Rezeptortyp der Skelettmuskeln als nicotinergen Rezeptor. Ein anderes (wie man früher glaubte: halluzinogen wirkendes) Gift, Muscarin (das im Fliegenpilz vorkommt, deshalb von lat.: die musca – Fliege), löst an den ACh-Synapsen der Herzmuskelzellen und an anderen derartigen Synapsen im autonomen (vegetativen) Nervensystem dieselben Wirkungen wie ACh aus, nicht aber an den ACh-Rezeptoren der Skelettmuskelzellen. Die durch Muscarin aktivierbaren ACh-Rezeptoren heißen muscarinerge Rezeptoren. ACh wirkt also (nicht immer, doch in aller Regel) auf nicotinerge Rezeptoren erregend und auf muscarinerge Rezeptoren hemmend. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 124–125.) Dementsprechend ist die unterschiedliche Wirkung cholinerger Pharmaka zu verstehen. Das eben schon genannte Curare hemmt die nicotinergen AChSynapsen an Skelettmuskelzellen, nicht aber an Herzzellen, Atropin (der aktive Bestandteil des Tollkirschenextraktes – Atropa belladonna, früher von Frauen zur Pupillenerweiterung verwendet, um als «bella donna», ital.: als «schöne Herrin», auszusehen) hingegen blockiert die muscarinergen ACh-Synapsen der Herzzellen, nicht aber der Skelettmuskeln. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 107–108.) Das hochgiftige Botulinustoxin, das bei Lebensmittelvergiftungen auftritt und die Freigabe von ACh aus den präsynaptischen Endigungen blockiert, wirkt auf nicotinerge wie muscarinerge Synapsen gleichermaßen, die Folgen sind dementsprechend. – Es zählt, nebenbei gesagt, zu den am meisten beschämenden Eigenheiten der westlichen «Kultur», daß sie sich das Wissen um diese Zusammenhänge zunutze gemacht hat, um Menschen in großen Massen mit geringem Aufwand töten zu können: Die US-Armee zum Beispiel lagert im Arsenal ihrer biologischen Kriegsführung auch Botulinuserreger; winzige Mengen genügen zur Ausrottung von Millionenstädten in wenigen Tagen. – Ebenso wirken AChE-hemmende Pharmaka auf beide Rezeptortypen und können wegen der dann verlängerten Wirkung von ACh zu Krämpfen und Tod führen. Physostigmin (auch Eserin genannt), das in der Kalabarbohne enthalten ist und in Nigeria als «Gottesurteil» beim Schuldtest eingesetzt wurde, sowie viele Insektizide, wie zum Beispiel Malathion, sind solche AChE-Hemmer (vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 125–126) – so wie etliche chemische Kampfstoffe, beispielsweise Soman, die von den Militärs als «Nervengase» entwickelt wurden und in großen Beständen gelagert werden (vgl. josef dudel: Synaptische Erregung und Hemmung, in: Neurowissenschaft, 119). – Wenn man die Grausamkeit betrachtet, mit welcher derartige Substanzen hundertausendfach an Tieren «erprobt» werden, ehe sie auf dem «Schlachtfeld» eingesetzt werden (sollen), fragt man sich unwillkürlich, was in Menschen vor

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 68: Negative Rückkopplung, vermittelt durch ein renshaw-Neuron – für diesen Synapsentyp ist ACh als Transmitter sicher nachgewiesen

sich geht, die das sichtbare Leid nicht, wie Ärzte, studieren wollen, um es möglichst wirksam zu bekämpfen, sondern die es nutzen möchten, um damit möglichst wirksam zu töten. Wenn Tierversuche in der Neurologie für medizinische Zwecke bereits ein erhebliches moralisches Problem darstellen, so sollte man nicht zögern, sie in den Händen von Militärs für geradewegs verbrecherisch zu erklären. Doch zurück zu der Wirkungsweise von ACh. An ein paar Stellen im Rükkenmark und im Hirnstamm ist ACh als schneller Transmitter an nicotinergen Rezeptoren eindeutig nachgewiesen. Rückenmarkmotoneuronen und Hirnnervenkerne, deren Zellkörper in Rückenmark und Hirnstamm liegen, entsenden ihre Axone zu Skelettmuskelzellen und bilden mit diesen Synapsen aus, deren Rezeptoren nicotinerg sind. Von den Motoneuronen zweigen meist seitliche (kollaterale) Axonfasern (sogenannte Kollaterale) ab, die mit kleineren, nahe den Motoneuronen gelegenen Interneuronen, sogenannten renshaw-Neuronen (nach birdsey renshaw, 1911–1948), in synaptischer Verbindung stehen, und auch an diesen Synapsen dient ACh als Transmitter, und seine Rezeptoren sind wohl nicotinerg. Die renshaw-Neuronen wirken hemmend in einer negativen Rückkopplung auf die Motoneuronen zurück, um sicherzustellen, daß Motoneuronen und Muskelfasern die für ihre Tätigkeit notwendigen Pausen erhalten. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 125 – 126; john p. j. pinel: Biopsychologie, 253– 254.) Abb. A 68 zeigt die Synapse

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zwischen der Endigung der Kollateralen eines Motoneurons und einem renshaw-Neuron, das seinerseits in der sogenannten renshaw-Hemmung auf das Motoneuron zurückwirkt. Im Unterschied zu den nicotinergen ACh-Synapsen der Axone und Kollateralen der Motoneuronen kommen im Gehirn Synapsen beider Typen von ACh-Rezeptoren vor, doch überwiegen in höheren Hirnregionen die muscarinergen. Daß sich auch nicotinerge Rezeptoren im Gehirn finden, dürfte unter anderem, wie wir noch sehen werden, dazu führen, daß Tabakrauchen – neben vielen weiteren gesundheitlichen Schäden – süchtig machen kann. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 127.) Im Gehirn selbst verhält sich ACh allerdings üblicherweise weniger als schneller Transmitter wie an den neuromuskulären Synapsen, sondern eher als langsamer Neuromodulator. (Vgl. richard f. thompson: A. a. O., 102.) Wie die ACh-Systeme im Gehirn im einzelnen wirken, ist kaum bekannt; sie scheinen aber die Lern- und Gedächtnisleistungen zu verändern. Bei alzheimer-Patienten jedenfalls fand man einen merklichen Zellverlust im Acetylcholin-Kernbereich im Vorderhirn, also vor allem im Nucleus basalis meynert und im Nucleus septi medialis, von denen ACh-Neuronen zur Großhirnrinde und zum Hippocampus ziehen; zudem sind die Konzentrationen chemischer Substanzen, die mit dem ACh-System in Verbindung stehen, verringert. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 127; 352; john p. j. pinel: Biopsychologie, 403 –404.) Andererseits gibt es auch genetische Faktoren für die alzheimer-Krankheit: Bisher sind drei abnormale Gene identifiziert (es handelt sich um Mutationen auf den Chromosomen 21, 14 und 1), die eine früh auftretende alzheimer-Erkrankung auslösen. Die Zustandsform eines weiteren Gens auf Chromosom 19 verursacht zwar nicht die alzheimer-Krankheit, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit für ihren Ausbruch. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 354 –355; john p. j. pinel: Biopsychologie, 158–160.) Natürlich werden wir diese Zusammenhänge noch genauer untersuchen, wenn wir auf die Encodierung und den Abruf von Lerninhalten zu sprechen kommen. Im Gegensatz zu ACh, das nur in bestimmten Neuronen synthetisiert wird, sind Aminosäuren, als Bausteine der Proteine, ein ganz universeller Bestandteil von Stoffwechsel und Zellsubstanz. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 78 –81.) Sprechen wir also über Aminosäuretransmitter, von denen wir die inhibitorisch wirkende Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und das exzitatorisch wirkende Glutamat schon kennengelernt haben.

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β) Aminosäuretransmitter Viele Nervenzellen benutzen Aminosäuren als Neurotransmitter; doch da Aminosäuren normale Bestandteile des Stoffwechsels darstellen, war es anfangs schwer zu beurteilen, ob eine bestimmte Aminosäure als Transmitter dient oder «nur» allgemein am Zellstoffwechsel beteiligt ist. Teilweise aufklären ließ sich diese Fragestellung erst, als man die Rezeptoren für Aminosäuretransmitter direkt identifizieren konnte. Inzwischen ist die Aminosäure Glutamat (das in wäßriger Lösung vorliegende Anion der Glutaminsäure) als der wichtigste schnelle erregende Transmitter im Gehirn nachgewiesen; eine schnelle erregende Wirkung vermutet man auch für die chemisch sehr ähnliche Aminosäure Aspartat (Asparaginsäure). Die Aminosäure Glycin scheint der wichtigste schnelle hemmende Transmitter im Rückenmark, GABA derjenige im Gehirn zu sein. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 102–103.) Abb. A 69 zeigt die Strukturformeln der genannten Aminosäuretransmitter. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1240.) Glutamat wird mit der Nahrung zugeführt oder aus dem Intermediärstoffwechsel entnommen und gelangt durch axoplasmatischen Transport in die Axonendigung. Öffnen sich auf Grund eines Aktionspotentials die Ca2+-Kanäle, so führt die Ausschüttung der Glutamat-Moleküle und deren Bindung an einen sogenannten AMPA-Rezeptor zum Na+-Einstrom in die Zielzelle und zur Entstehung eines EPSPs. Der Glutamat-AMPA-Transmitterrezeptor ist der Prototyp einer schnellen erregenden Synapse im Gehirn. (AMPA ist die Abkürzung für Alpha-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolpropionsäure – für eben jenen Stoff, der diesen speziellen Rezeptortyp aktiviert.) Von den Glutamatrezeptoren sind bisher der AMPA-Rezeptor bekannt, der schnelle Na+und K+-Kanäle steuert, sowie der sog. Quisqualat-Kainat-Rezeptor (QK-Rezeptor) für die Steuerung eines Second-Messenger-Systems und der NMDARezeptor, dem Ca2+-Kanäle zugeordnet sind. Die ersten beiden Rezeptortypen, die durch AMPA, Quisqualat und Kainat aktiviert werden, stellt man als sog. Non-NMDA-Rezeptoren den NMDA-Rezeptoren gegenüber. Glutamat und seine Rezeptoren stehen im Zentrum der Speicherung von Gedächtnisinhalten, auf die wir im nächsten Kapitel zu sprechen kommen werden; auch was es mit NMDA- und Non-NMDA-Rezeptoren auf sich hat, werden wird dann sehen. (Vgl. eric r. kandel: Synaptische Integration, in: Neurowissenschaften, 236; richard f. thompson: Das Gehirn, 103 –104.) Die anschließende Inaktivierung von Glutamat ist noch nicht geklärt: Entweder erfolgt sie durch Endocytose oder durch Desensibilisierung der Rezep-

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Abb. A 69: Strukturformeln der Aminosäuretransmitter Glutaminsäure, Asparaginsäure, GABA und Glycin

toren, die einfach nicht mehr auf Glutamat ansprechen, obwohl es vorhanden ist. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 103.) Der Aminosäuretransmitter GABA läßt sich in einem Schritt aus Glutaminsäure (in wäßriger Lösung als Glutamat vorliegend) herstellen. Das Enzym, das GABA aus Glutaminsäure synthetisiert, die Glutaminsäure-Decarboxylase (GAD), ist nur dort aktiv, wo GABA als Transmitter dient. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 109 –110.) Abb. A 70 zeigt die Strukturformeln und den Syntheseweg. Öffnen sich auf Grund eines Aktionspotentials die Ca2+-Kanäle, so führt die Ausschüttung der GABA-Moleküle zur Öffnung der Cl−-Kanäle der Zielzelle, deren Membraninnenseite dadurch noch negativer wird; die Wirkung ist klar: es entsteht ein inhibitorisches postsynaptisches Potential (ISPS). Daran liegt es, daß GABA eine hemmende Wirkung besitzt. Anders als ACh wird GABA am synaptischen Spalt aber nicht abgebaut, sondern diffundiert wohl zurück an die präsynaptische Endigung; es wird dort durch Endocytose wieder aufgenommen und in Vesikeln gespeichert. Hierbei vermitteln hochaffine Transportmoleküle (GABA-T) die Wiederaufnahme. «Versehentlich» in die Zielzelle aufgenommenes GABA wird dort enzymatisch abgebaut. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 109–111.) Abb. A 71 gibt den Vorgang schematisch wieder. Wo aber kommt GABA im Gehirn als Neurotransmitter zum Einsatz? eugene roberts (geb. 1920), der GABA entdeckte, entwickelte auch die immunhistochemische Methode zu ihrer Lokalisation: Injiziert man reine, aus Hirngewebe isolierte GAD (Glutaminsäure-Decarboxylase) in Versuchstiere,

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 70: GABA-Synthese aus Glutaminsäure durch GAD

so werden in diesen Immunreaktionen ausgelöst und Antikörper gebildet, die sich anschließend aus dem Blut der Tiere isolieren und radioaktiv markieren lassen; in ein anderes Versuchstier injiziert, binden sich diese radioaktiv markierten Antikörper ausschließlich an GAD-Moleküle im Gehirn. Schnitte des Gehirns, auf einen Röntgenfilm gelegt, erlauben dann entsprechend die Lokalisierung von GAD und damit auch von GABA; und da sieht man: es kommt in hohen Konzentrationen in der grauen Substanz überall im Gehirn vor, insbesondere in Interneuronen, denen man eine inhibitorische Wirkung zuspricht. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 110–111.) Pathologisch von besonderer Bedeutung – und kennzeichnend für die inhibitorische Wirkung von GABA – ist es, daß roberts an den experimentell hervorgerufenen epileptischen Herden im Gehirn von Affen eine Verminderung von GABA nachweisen konnte. Entsprechend kann auch Bicucullin, ein GABA-Antagonist, der den GABA-Rezeptor blockiert, krampfauslösend wirken, da in diesem Fall die inhibitorischen GABA-Neuronen das Nervensystem nicht vor einem Zuviel an Erregung schützen können. GABA-Synapsen stehen auch mit Angstneurosen in Verbindung; die Beruhigungsmittel Valium (Diazepam) und Librium (Chlordiazepoxid) wirken auf eine spezifische Benzodiazepin-Bindungsstelle des GABA-Rezeptors und erhöhen die durch GABA vermittelte Hemmung. (Auch was Benzodiazepine sind, werden wir später sehen, wenn wir auf Medikamente gegen Angstzustände zu sprechen kommen.) Der GABA-Rezeptor besitzt auch noch eine Bindungsstelle für das Streßhormon Cortisol; auch davon später. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 111–116; eric r. kandel: Synaptische Integration, in: Neurowissenschaften, 243 –244; john p. j. pinel: Biopsychologie, 106–107; 520– 521.) Allein wenn man bedenkt, daß eine (genetisch bedingte?) zu geringe Ausschüttung von ACh zu einem frühzeitigen Ausbruch der alzheimer-Krank-

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Abb.: A 71: Eine Synapse mit GABA als Neurotransmitter

heit führen oder ein Zuwenig von GABA Epilepsie-auslösend wirken kann, so läßt sich die Abhängigkeit psychischer wie geistiger Tätigkeiten von dem Funktionieren bestimmter neuronaler Gegebenheiten an dieser Stelle noch einmal derart eklatant vernehmen, daß der Eindruck der Gebrechlichkeit und der Ausgeliefertheit des Menschen geradewegs erschreckende Züge annimmt. Das gleiche gilt bei den biogenen Aminen, auf die wir jetzt zu sprechen kommen: bei den Catecholaminen Dopamin (DA), Noradrenalin (NA) und Adrenalin sowie dem Serotonin.

γ) Catecholamintransmitter und ihre Rolle im peripheren autonomen (vegetativen) Nervensystem Im Zentralnervensystem wie im peripheren Nervensystem werden Catecholamine, davon besonders Dopamin (DA) und Noradrenalin (NA), als Transmitter gebraucht. Catecholamine setzen sich – schon ihrem Namen nach – aus Catechol (Brenzcatechin, einem 3,4-dihydroxylierten Benzolring) und einer Aminogruppe zusammen. Der Ausgangsstoff für die Synthese aller Catechol-

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Abb. A 72: Der gemeinsame Biosyntheseweg von Dopamin (DA), Noradrenalin (NA) und Adrenalin

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amine ist Tyrosin, eine Aminosäure, die mit Hilfe der Tyrosin-Hydroxylase (1) in L-Dopa umgewandelt wird (zur Unterscheidung der sich wie Bild und Spiegelbild verhaltenden Enantiomere L-Dopa und D-Dopa vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 80– 81; 187); durch aromatische L-Aminosäure-Decarboxylase (2) wird aus L-Dopa anschließend Dopamin (DA) hergestellt; durch das Enzym Dopamin-β-Hydroxylase (3) wird hiernach Dopamin (DA) zu Noradrenalin (NA) umgesetzt; und durch Phenylethanolamin-N-Methyltransferase (4) wird aus NA letztlich Adrenalin synthetisiert. Abb. A 72 stellt die vier enzymatischen Reaktionen von Tyrosin zu L-Dopa, zu Dopamin (DA), zu Noradrenalin (NA) und zu Adrenalin dar. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 131–133.) Neuronen, die Dopamin (DA) verwenden, besitzen das erste und das zweite Enzym, nicht aber das dritte – sie wandeln Tyrosin (nur) bis zum Dopamin (DA) um; Neuronen, die NA einsetzen, besitzen auch das 3. Enzym (die Dopamin-β-Hydroxylase) und können daher Tyrosin in NA umbauen. Adrenalin wird als Neurotransmitter im Gehirn selten verwandt, es ist aber ein wichtiges Sekretionsprodukt des Nebennierenmarks bei Streßzuständen; die Zellen, die Adrenalin sezernieren (lat.: secérnere – absondern), weisen die Enzyme für alle vier Syntheseschritte auf. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 132 – 134.) NA wird im peripheren Nervensystem, besonders im sympathischen System des autonomen (vegetativen) Teils des peripheren Nervensystems, als Neurotransmitter verwandt. An dieser Stelle wird es hohe Zeit, das periphere Nervensystem besser kennenzulernen und die beiden Bestandteile des autonomen (vegetativen) Nervensystems einander gegenüberzustellen.

Exkurs: Das sympathische und das parasympathische System Unser Nervensystem gliedert sich, wie wir bereits hörten, in das Zentralnervensystem (ZNS, aus Gehirn und Rückenmark bestehend) und in das periphere Nervensystem (PNS, mit den Nervenknoten – auch Ganglien genannt – und den peripheren Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark verlaufen). Das periphere Nervensystem besteht aus 43 paarig angelegten Nerven, darunter die uns schon bekannten 12 paarigen Hirnnerven, die dem Hirnstamm entspringen und die Organe des Kopfes und des Oberkörpers innervieren (vgl. Abb. A 7), sowie die 31 paarigen Spinalnerven, die aus der Wirbelsäule herausführen und in den ganzen Körper projizieren. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1243–1244.)

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Abb. A 73: Querschnitt durch das Rückenmark

Das periphere Nervensystem, so sagten wir schon, leitet dem ZNS Informationen zu und führt dessen motorische Befehle aus. Periphere Nerven (die Hirnnerven meistens, Spinalnerven immer) sind deshalb fast auf ihrer gesamten Länge gemischt, umfassen also sowohl afferente sensorische Fasern als auch efferente motorische Fasern. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1243.) Abb. A 73 gibt einen Querschnitt durch das Rückenmark wieder, der den Eintritt der sensorischen Nervenfaser über die Hinterhorn- oder Dorsalwurzel und den Austritt des Motoneurons durch die Vorderhorn- oder Ventralwurzel zeigt. Die eintretenden und austretenden Fasern teilen jede Rückenmarkshälfte in einen dorsalen, lateralen und ventralen Bereich von weißer Substanz, die ganz und gar aus Nervenfasern besteht. Der dorsale (obere, beim aufrecht gehenden Menschen: hintere) Bereich wird fast gänzlich von aufsteigenden sensorischen Fasern gebildet, die Sinnesreize an das Gehirn weitergeben; der laterale und ventrale (untere, beim Menschen: vordere) Bereich enthält fast ausschließlich absteigende motorische Fasern. So können die Großhirnrinde und andere Gehirnstrukturen über das Rückenmark sensorische Informationen vom ganzen peripheren Bereich des Körpers aufnehmen und umgekehrt über das Rückenmark und die Motoneuronen Muskelbewegungen kontrollieren. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 15.) Entsprechend unterteilt man das peri-

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phere Nervensystem (PNS) in die sensorische Untereinheit, in der afferente sensorische Neuronen sensorische Informationen – sowohl über Außenreize als auch über das innere Milieu – von den Sinneszellen in das ZNS leiten, und in die motorische Untereinheit, die wiederum aus zwei Systemen besteht: aus dem somatischen Nervensystem und dem autonomen (vegetativen) Nervensystem. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1243 –1244.) Die Motoneuronen des somatischen Nervensystems senden Signale an die Skelettmuskeln, deren Bewegungen angepaßt an die vorgefundenen Umweltbedingungen sein müssen und weitgehend einer bewußten Kontrolle zugänglich sind. Obwohl die Zellkörper somatischer Motoneuronen im ZNS liegen, werden ihre Axone, die die Skelettmuskulatur innervieren, häufig zum PNS gezählt, da sie in die Körperperipherie projizieren. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1243–1244.) Das autonome (vegetative) Nervensystem innerviert die Eingeweide, die glatte Muskulatur – der Blutgefäße, des Verdauungssystems, der Harnblase und anderer innerer Organe –, die Herzmuskulatur und die endokrinen Drüsen. Diese Funktionen sind uns in der Regel nicht bewußt, und wir haben nur in Ausnahmefällen geringen Einfluß auf sie, – deshalb der Name: autonomes (vegetatives) Nervensystem. Dieses zerfällt nun in die zwei schon früher genannten Subsysteme, nämlich das sympathische und das parasympathische Nervensystem, kurz: Sympathicus und Parasympathicus. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1244.) Im sympathischen Nervensystem gehen die motorischen Nerven von Zellkörpern in der Mittelregion des Rückenmarks aus, verlassen dieses durch die Ventralwurzel, bilden über eine kurze Strecke gemischte Nerven und erreichen dann die sympathischen Ganglien, die außerhalb des Rückenmarks, und zwar beidseitig parallel daneben, eine zusammenhängende Kette von Zellkörpern bilden – den sogenannten sympathischen Grenzstrang (lat.: Truncus sympathicus). Wie die meisten vegetativen Nervenbahnen bestehen auch die sympathischen Nerven aus zwei Neuronen, von denen nun die präsynaptischen Zellen bloß ein kurzes Axon ausbilden, da es ja nur bis zum Grenzstrang reichen muß. An den hier befindlichen Synapsen wirkt Acetylcholin (ACh) als Neurotransmitter. Die jeweiligen postsynaptischen Neuronen, die in den Ganglien des Grenzstrangs liegen, bilden lange Fortsätze, die dann wiederum über Synapsen die Zielorgane (als da sind: die Iris, die Speicheldrüse, die Bronchien, das Herz, die Leber, die Gallenblase, der Magen, der Dünndarm, die Bauchspeicheldrüse, die Nebenniere, die Harnblase, der Dickdarm und der Mastdarm sowie die Geschlechtsorgane) innervieren, nicht aber die Skelettmuskeln. Das ist

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Abb. A 74: Sympathicus und Parasympathicus – die beiden Teile des autonomen (vegetativen) Nervensystems

auch der Grund dafür, daß muskuläre und autonome Reaktionen auf bestimmte Reize selbst dann erfolgen, wenn die Rückenmarksverbindung zum Gehirn durchtrennt ist; – anders wäre es zum Beispiel Querschnittgelähmten gar nicht möglich, trotz ihrer schweren Verletzung weiterzuleben. Auf all diese Organe wirkt das sympathische Nervensystem an dieser zweiten Synapse meistens über den Neurotransmitter Noradrenalin (NA) exzitatorisch; der Sympathicus führt zu einer Zunahme des Energieverbrauchs und erhöht die Handlungsbereitschaft. Er stellt, wie wir schon wissen, das Notfallsystem der psychologischen Reaktionen auf Streß aller Art dar. (Vgl. richard f. thomp-

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son: Das Gehirn, 134 –135; 205– 207; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1244.) Das parasympathische Nervensystem hingegen besteht aus motorischen Nerven, die unmittelbar aus dem Hirnstamm und aus dem unteren Ende des Rükkenmarks kommen und als lange präsynaptische Axone zu kleinen parasympathischen Ganglien in unmittelbarer Nähe ihrer Zielorgane ziehen; von diesen Ganglien gehen Nervenfasern direkt zu den Organen. Der Transmitter beider Synapsen ist ebenfalls Acetylcholin. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 135; 205– 207; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1244.) Das parasympathische Nervensystem dient der Erhaltung des Organismus und versucht, das Gleichgewicht des Ruhezustandes wiederherzustellen, indem es im allgemeinen den Energieverbrauch reduziert und zum Beispiel Herzschlag und Verdauung verlangsamt. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: A. a. O., 1244–1245.) Abb. A 74 gibt einen Überblick über das autonome (vegetative) Nervensystem. Insbesondere an einem so wichtigen Organ wie dem Herzen läßt sich das Zusammenspiel (bzw. der Antagonismus) von Sympathicus und Parasympathicus mit Hilfe eines verschiedenen oder aber auch desselben, jedoch verschieden wirkenden Neurotransmitters verdeutlichen. Beide Systeme des autonomen (vegetativen) Nervensystems wirken auf das Herz ein; dabei ist die erregende Wirkung des Sympathicus sogleich zu spüren – zum Beispiel im Falle von Wut oder von Angst. Interessanterweise verwenden, wie wir gerade hörten, alle präganglionären Motoneuronen, die aus dem Rückenmark beziehungsweise aus dem Hirnstamm kommen, beim Sympathicus wie beim Parasympathicus Acetylcholin (ACh) als Neurotransmitter; und die präganglionären Rezeptoren des Sympathicus sowie des Parasympathicus sind nicotinerg, das heißt, die ACh-Ausschüttung wirkt erregend (beschleunigend). Die postganglionären parasympathischen Synapsen verwenden ebenfalls ACh; da aber die Rezeptoren dort muscarinerg sind, ist die Wirkung des Parasympathicus auf das Herz hemmend. Die postganglionären sympathischen Synapsen wiederum verwenden Noradrenalin (NA) und wirken folglich anregend. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 134–135; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1244.) Abb. A 75 versucht schematisch den doppelten Einfluß von Sympathicus und Parasympathicus auf den Herzmuskel zu veranschaulichen. Wie aber genau wirken nun die Catecholamine an der Synapse zwischen der präsynaptischen Membran des Axons und der Membran der postsynaptischen Zelle? Noradrenalin (NA), der zentrale Neurotransmitter im sympathischen

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Abb. A 75: Die doppelte Innervierung des Herzmuskels durch den erregenden Einfluß des Sympathicus (präganglionär durch ACh auf nicotinerge Rezeptoren, postganglionär durch NA) sowie durch den hemmenden Einfluß des Parasympathicus (präganglionär durch ACh auf nicotinerge Rezeptoren und postganglionär durch ACh auf muscarinerge Rezeptoren)

Teil des autonomen (vegetativen) Nervensystems, wird, wie wir gerade gesehen haben, aus Dopamin (DA) hergestellt, das selbst aus Tyrosin (über L-Dopa) gebildet wird. Das Tyrosin wird im Axon zur synaptischen Endigung transportiert und dort in DA (in einigen Endigungen in NA) umgewandelt und in Vesikeln gespeichert. DA und NA kommen in zwei Typen von Vesikeln vor: der eine Typ ist in elektronenmikroskopischen Aufnahmen hell und weißlich und setzt wohl den Transmitter frei, ein anderer dichterer, dunklerer Typ dient offenbar als Reserve. Bei Einstrom von Ca2+-Ionen nach einem Aktionspotential entleeren die hellen DA- oder NA-Vesikel ihren Inhalt in den synaptischen Spalt; nach der Bindung an die postsynaptischen Rezeptoren und der synaptischen Signalübertragung lösen sich die Transmitter wieder von den Rezeptoren und werden von der präsynaptischen Endigung wieder aufgenommen und da-

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Abb. A 76: Synapse mit Dopamin als Neurotransmitter

mit inaktiviert. Bis hierhin bietet sich also ein für uns gewohntes Bild. Im Unterschied zur schnellen synaptischen Übertragung öffnen die Rezeptormoleküle für DA und NA nur nicht direkt die Ionenkanäle, sondern aktivieren Second-Messenger-Systeme. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 134 – 135; 138.) Abb. A 76 gibt eine Synapse mit DA als Neurotransmitter wieder. Überschüssige Mengen von DA und NA werden sowohl in der präsynaptischen Endigung wie auch in der postsynaptischen Zelle durch MAO (Monoaminoxidase) abgebaut. In der postsynaptischen Zelle findet außerdem ein enzymatischer Abbau durch Catechol-O-Methyltransferase (COMT) statt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 135 –138.) Erneut muß man an dieser Stelle nur bedenken, daß eine geringe MAO-Aktivität den Grund zu fehlender Selbstkontrolle und kriminellem Verhalten bilden kann (vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 355; richard f. thompson: Das Gehirn, 151), und man wird zu eigenartigen Gedanken über die allgemein so klar scheinenden Kategorien von Recht und Moral veranlaßt. Generell besteht eine Besonderheit in der Produktion von Noradrenalin (NA), die diesen Stoff mal als ein Hormon – wir erinnern uns: NA und Adrena-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

lin sind die typischen Streßhormone –, mal als einen Neurotransmitter auftreten läßt: Die Nebenniere sezerniert NA direkt in den Blutstrom, die NA-Gehirnneuronen aber geben NA über ihre Axonendigungen ab, – durch beides wird die Gesamtmenge an NA überall im Gehirn erhöht. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 146.) Wir wissen schon, daß das NA-System des Gehirns Verhaltensweisen zu regulieren scheint, die mit Erregung und Aufmerksamkeit zu tun haben. Wie wir noch sehen werden, üben Aufputschmittel wie Amphetamine und Cocain, aber auch manche Antidepressiva ihren anregenden Effekt auf das Gehirn über das NA-System aus; Amphetamine und Cocain beeinflussen auch die DA-Systeme, – warum das so ist, werden wir noch erörtern, wenn wir über Schmerz, Lust und Sucht sprechen; manisch-depressive Störungen werden als Störungen des NA-Systems im Gehirn diskutiert; ja, auch bei der Regulation von Lernund Gedächtnisleistungen spielt NA eine Rolle: hohe NA-Konzentrationen im Gehirn, wie bei starken Gefühlsbewegungen, sind mit Lernen und Gedächtnis korreliert. An die Verbindung von DA mit Schizophrenie und parkinsonErkrankung brauchen wir an dieser Stelle nur zu erinnern; auch darauf werden wir noch einmal ausführlich im 2. Bd. dieser Arbeit zurückkommen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 145 –146.) Im ganzen erscheinen DA und NA im Gehirn wohl mehr als «Neuromodulatoren» beziehungsweise als lokal wirkende Hormone denn als schnelle synaptische Transmitter des First-Messenger-Systems, und die DA- und NANeuronen können als die Lieferanten dieser lokalen Hormone aufgefaßt werden. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß NA-Axone im Gehirn statt einer einzigen synaptischen Endigung über ihre ganze Länge zahlreiche Schwellungen (Varikositäten, lat.: die varix – Krampfader) aufweisen, die nach Aktivierung durch ein Aktionspotential NA abgeben, das die benachbarten Neuronen beeinflußt. Freilich gibt es daneben auch NA-Neuronen, die echte Synapsen ausbilden; deren Wirkungen aber sind relativ langsam. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 147–148.) Es gibt noch ein viertes wichtiges als Neurotransmitter wirkendes Amin: das Serotonin.

δ) Serotonin Serotonin kommt im Blutserum vor und bewirkt eine starke Kontraktion der glatten Muskeln, zum Beispiel im Uterus beim Geburtsvorgang. Serotonin wirkt auch am Schlaf und an der Regulation der Körpertemperatur mit; zudem

Von Neuronen, Synapsen und Neurotransmittern

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Abb. A 77: Die Bildung von Serotonin aus Tryptophan

sahen wir schon, daß es über die Produktion von Melatonin in der Epiphyse am Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt ist und im Zusammenhang mit Depressionen, Ängsten und Süchten gesehen wird. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 148; 150 –151; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 74.) Gebildet wird Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) aus der Aminosäure Tryptophan (die zum Beispiel in Bananen enthalten ist) über das Zwischenprodukt 5-OH-Tryptophan (5-Hydroxytryptophan, 5-HTP); die erste Reaktion wird von dem Enzym Tryptophan-Hydroxylase (1) katalysiert, die zweite von dem Enzym 5-Hydroxytryptophan-Decarboxylase (2). Abb. A 77 gibt den Syntheseweg wieder. (Vgl. james h. schwartz: Neurotransmitter, in: Neurowissenschaften, 302.) Das Tryptophan wird im Axon bis zur Endigung transportiert, dort in Serotonin umgewandelt und in zwei Arten von Vesikeln (kleineren und größeren) gespeichert. Nach Ausschüttung in die Synapse, synaptischer Signalübertragung und Ablösung von den Rezeptoren wird das Serotonin wieder in die Axonendigungen aufgenommen; ein spezielles Enzym für seinen Abbau existiert an den Rezeptoren nicht. Doch wird überschüssiges Serotonin ebenfalls durch MAO abgebaut, die vor allem innerhalb der präsynaptischen Endigungen vorkommt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 148–149.) Ein starker Hemmstoff für Reaktionen von serotoninempfindlichem Gewebe ist Lysergsäurediethylamid (LSD), dessen Struktur, wie Abb. A 78 zeigt, der von Serotonin ähnelt. (Vgl. richard thompson: Das Gehirn, 151; solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 197.) Auch mit LSD werden wir uns noch beschäftigen und zeigen, wie diese psychedelische Droge (griech.: die psyche¯ – Seele, de¯lou˜ n – offenbaren) Halluzinationen auslöst. Auf die Wirkung von Serotonin bei sogenannten Nahtod-Erfahrungen werden wir gegen Abschluß des 2. Bandes zu sprechen kommen.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 78: Strukturformel von LSD

Serotonin findet sich nicht nur in Gehirn und Epiphyse, sondern auch in bestimmten Körpergeweben, besonders in der glatten Muskulatur und in den Blutplättchen. Daher ist es nicht einfach, aus der Wirkung von Drogen (wie LSD), die das Serotonin-System entsprechend im ganzen Körper beeinflussen, Schlußfolgerungen auf die Wirkung von Serotonin speziell im Gehirn zu ziehen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 151.) Auch das Serotonin-System des Gehirns scheint über Second-Messenger-Systeme zu wirken. (Vgl. richard f. thompson: A. a. O., 158.) Alles in allem zeigt sich, daß Neurotransmitter unser Verhalten ermöglichen, daß unsere Verhaltensweisen selbst aber von den Schaltplänen der Neuronen bestimmt werden. Doch damit stehen wir zugleich vor der nächsten Frage: Was bestimmt diese Schalt«pläne»? Sie sind nur zum Teil genetisch vorgeschrieben, so viel wissen wir bereits; sie werden zum überwiegenden Teil durch den Einfluß der Umwelt geprägt, – mit anderen Worten: die neuronalen Verschaltungen sind ganz wesentlich der Niederschlag individueller Erfahrungen; sie ermöglichen es, zu lernen, und sie sind selbst das Ergebnis von Lernprozessen.

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6. Entwicklung und Plastizität des Gehirns

Nervenzellen, so wissen wir jetzt, sind als erstes Zellen wie andere auch; alles, was man braucht, um ihre Funktionsweise zu verstehen, leitet sich her aus bestimmten Gegebenheiten der Biochemie und der Biophysik. Was aber sagt einer Zelle, daß sie eine Nervenzelle werden soll? Was sagt ihr, an welcher Stelle im Zentralnervensystem oder im peripheren Nervensystem sie in Kontakt mit anderen Nervenzellen treten soll? Und wie soll aus der elektrochemischen Verbindung beliebig vieler Nervenzellen das so ganz anders geartet scheinende Feld des Psychischen sich bilden? Die Vorstellung, wonach das Gehirn wie in einer Blaupause fix und fertig von den Genen vorweg entworfen werde, haben wir bereits als unhaltbar erkannt; was aber geschieht wirklich?

a) Die Bedeutung des Erbguts und die Beeinflussung durch andere Zellen in der Entwicklung des jeweiligen Neurons Wie wenig die Anweisung der DNA allein über Form und Differenzierung einer Zelle entscheidet, wie sehr deren Entwicklung vielmehr von den zusätzlichen «Informationen» der Umgebung abhängen kann, zeigt sich geradezu verblüffend an der Bedeutung des grauen Halbmondes eines befruchteten Frosch-Eies. Der graue Halbmond, ein schmales, heller pigmentiertes Band von corticalem Cytoplasma – also in der äußersten Schicht (Cortex) des Eiplasmas und damit außerhalb des Zellkerns gelegen, somit keine DNA enthaltend –, wird normalerweise bei der ersten Zellteilung gleichmäßig auf die beiden Tochterzellen verteilt; trennt man in diesem Zweizell-Stadium die beiden sog. Blastomere (griech.: der blástos – Keim; das méros – Teil) voneinander, so entstehen daraus zwei Kaulquappen; führt die Teilung der Zygote (der befruchteten Eizelle) aber dahin, daß der graue Halbmond nur in einer Tochterzelle zu liegen kommt, so entsteht nur aus dieser einen Zelle eine Kaulquappe, obwohl die DNA in beiden Zellen vollständig enthalten ist.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 79: Die Bedeutung des grauen Halbmondes für die Entwicklung einer FroschZygote. a) Der graue Halbmond wird gleichmäßig auf die beiden Tochterzellen verteilt. b) Der gesamte graue Halbmond kommt nur in einer Tochterzelle zu liegen.

(Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 323– 324; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1202–1203.) Abb. A 79 gibt den Vorgang wieder. Neben dieser Beeinflussung durch zelluläre Interaktionen kann das Schicksal mancher Nervenzellen freilich auch ganz und gar von ihrem internen, invarianten Zellteilungsprogramm abhängen, von der sog. Zellinie. So weist zum Beispiel die Zellinie des Fadenwurmes Caenorhabditis elegans, dessen 302 Ner-

Entwicklung und Plastizität des Gehirns

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Abb. A 80: Vier Stadien der frühen Entwicklung des Nervensystems, links in Aufsicht, rechts im Querschnitt

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

venzellen und 56 glia-ähnliche Hilfszellen recht genau untersucht worden sind, eine hohe Invarianz, also eine große Unveränderlichkeit auf: das Schicksal seiner Zellen wird vor allem durch Mechanismen innerhalb der Zelle gesteuert und weniger durch Nachbarzellen. – Die Differenzierung der meisten Neuronen aber hängt überwiegend von den Signalen anderer Zellen ab. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 95.) Und zwischen diesen beiden Extremformen neuronaler Entwicklung ist buchstäblich alles möglich. Insgesamt entwickelt sich das Nervensystem des Menschen in vier Stadien, wie Abb. A 80 es in schematischer Übersicht verdeutlicht. Die Zellen des Nervensystems entstammen dem Ektoderm, dem äußeren Keimblatt des Embryos, aus dem auch die Haut entsteht; dabei ist, wie wir gleich sehen werden, die Wechselwirkung mit den unter ihnen liegenden Zellen, die das Mesoderm aufbauen und sich zum Rückgrat und zu anderen Geweben entwickeln, entscheidend. (Darunter befindet sich, wie schon gesagt, als drittes Keimblatt das Entoderm, aus dem der Magen-Darm-Trakt und die entsprechenden Organe gebildet werden.) Sodann treten die Ektodermzellen, die sich zu Neuronen und nicht zu Hautzellen differenzieren, zu einem Zellband zusammen, zu der sogenannten Neuralplatte; deren vorderes Ende bildet später das Vorderhirn und die Netzhaut des Auges. In einem weiteren Schritt faltet sich die Neuralplatte zur Neuralrinne und darin zum Neuralrohr ein; es ähnelt in dieser Form dem röhrenartigen Nervensystem primitiver Lebewesen wie der Würmer. Von der dorsalen Region des Neuralrohres trennen sich die Zellen der Neuralleiste ab. Zu festgelegten Zeiten der Entwicklung stellen einzelne Gruppen von Neuralleistenzellen ihre Zellteilung ein, wandern rasch auf verschiedenen Bahnen zu ihren Bestimmungsorten und bilden sehr unterschiedliche Strukturen, wie zum Beispiel periphere Ganglien oder Nebennierenmark. Die sich entwickelnden Neuronen senden Axone aus und gestalten so die Grundstruktur der grauen und der weißen Substanz – der Zellkörper und der Leitungsbahnen – im Rückenmark. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 325 –327; john p. j. pinel: Biopsychologie 424; tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 102 –103.) Wir sagten bereits, daß das Nervensystem des Menschen sich aus dem Neuralrohr entwickelt, indem aus dem vorderen Abschnitt das Gehirn und aus dem hinteren Abschnitt das Rückenmark hervorgeht, wie es Abb. A 81 A verdeutlicht; Abb. A 81B zeigt, wie im Verlauf der Entwicklung das Nervensystem des Menschen sich an der Grenze zwischen Mittelhirn und Rautenhirn, also in der Scheitelbeuge, einkrümmt.

Entwicklung und Plastizität des Gehirns

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Abb. A 81: Die Entwicklung des menschlichen Nervensystems aus dem Neuralrohr

Um sich eine Vorstellung von den weiteren Entwicklungsstadien des embryonalen und des fetalen Gehirns vom 25. Tag bis zur Geburt zu verschaffen, mag für unsere Zwecke die grobe Übersicht von Abb. A 82 ausreichend sein. In dieser Darstellung entsprechen die Abbildungen vom 5. bis 9. Monat in etwa einem Drittel der natürlichen Größe, während die Bilder für die Zeit vom 25. Tag bis zum 100. Tag stark vergrößert sind; die wirkliche Größe ist darunter dargestellt; die Bilder zeigen eindrucksvoll, wie in der Embryonalentwicklung die Phylogenese (die Stammesgeschichte des Menschen, von griech.: das phy˜ lon – Stamm, die génesis – Erzeugung) rekapituliert wird: Am 25. Tage ähnelt das Nervensystem des Embryos dem eines Wurms; zwischen dem 40. bis 50. Tag ist das Gehirn ganz eindeutig das eines Wirbeltieres, aber es könnte noch das eines Fisches sein; erst um den 100. Tag ist das Gehirn als das eines Säugetieres zu erkennen, und im 5. Monat schließlich gewinnt es das Aussehen eines Primatengehirns. Erst von da an erfolgt in typisch menschlicher Weise die Ausdehnung des Vorderhirns und der Großhirnrinde, die am Ende fast das ganze übrige Gehirn überlagern. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 322; 327.) (Bilder wie diese sollten vielleicht häufiger publiziert werden, um radikalen Abtreibungsgegnern zu zeigen, daß man nicht einfach von «ermordeten Ba-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 82: Entwicklungsstadien des menschlichen Gehirns

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bys» sprechen kann, wenn zum Beispiel mit der «Pille danach» die Einnistung einer befruchteten Eizelle verhindert wird oder wenn im 3. Monat ein künstlicher Abort eingeleitet wird. Ein menschlicher Embryo bildet den Anfang menschlicher Entwicklung; sein Weg zum «Baby» aber ist erkennbar noch sehr weit.) Auf diese Weise läßt sich in etwa beschreiben, wie die Entwicklung des Nervensystems vor sich geht; doch die Antwort auf unsere eigentliche Frage steht noch aus: Warum kommt diese Entwicklung überhaupt zustande? Was sagt einer Zelle des Ektoderms, ob sie sich zur Hautzelle oder zur Nervenzelle entwickeln soll? Was sagt ihr, ob sie zu einem Neuron oder zu einer Gliazelle werden soll? Was teilt ihr mit, welch eine Art von Neuron sie bilden soll? Was verfügt, wohin sie wandern muß, um ihren richtigen «Einsatzort» zu finden? Man braucht derlei Fragen nur zu stellen, und man ahnt, wie kompliziert die Zusammenhänge sein werden, die in der Entwicklung des Nervensystems eine Rolle spielen. Generell kann man sagen, daß für jeden Vorgang der Spezialisierung sich auch spezielle Ursachen ermitteln lassen. Also denn: Wie erlangen die Zellen von Wirbeltieren neurale Eigenschaften? Eine erste Antwort darauf fanden im Jahre 1924 hans spemann (1869 – 1941) und hilde mangold (1898 –1924); sie entdeckten, daß die Differenzierung der Neuralplatte (im vorderen Abschnitt zur Bildung des späteren Vorder- und Mittelhirns und im hinteren Abschnitt zur Bildung des Rautenhirns und des Rückenmarks) aus nichtdeterminiertem Ektoderm von Zellen im benachbarten Mesoderm induziert wird, und zwar von Zellen einer speziellen Region, die spemann den Organisator nannte; neuere Untersuchungen an Frosch-Embryonen haben diesen Befund nicht nur bestätigt, sondern auch zwei Proteine: Noggin und Follistatin mit neural-induzierenden Eigenschaften identifizieren können. Und weiter: Betrachtet man das Nervensystem von Wirbeltieren, so fällt auf, daß Rückenmark und Rautenhirn in Segmenten gegliedert sind. Auch die segmentale Organisation der sensorischen und motorischen Neuronen im Rückenmark wird allem Anschein nach durch mesodermales Gewebe der Nachbarschaft induziert. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 98; 100.) «Im Gegensatz hierzu soll die Segmentierung des Rautenhirns, und wahrscheinlich auch des Mittelhirns und des Vorderhirns, das Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen Zellen innerhalb des Neuralrohres sein.» (tom jessell: A. a. O., in: Neurowissenschaften, 100)

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

b) Wie eine Vorläuferzelle zur Nervenzelle wird und wie sie ihren Bestimmungsort im Nervensystem findet Mit diesen Ergebnissen sind wir zwar schon einen guten Schritt voran, doch noch nicht sehr weit gekommen. Denn die induzierenden Signale der Organisator-Region des Mesoderms ermöglichen nur eine erste Differenzierung, bei der die Zellen der Neuralplatte zu Neuronen oder zu Gliazellen werden können. Kennzeichnend für zahlreiche neuronale Vorläuferzellen (griech.: Neuroblasten) und Neuronen von Wirbeltieren ist es aber nun, daß diese Zellen von dem Ort ihrer beginnenden Differenzierung wegwandern und dabei unter der Kontrolle diffundierender Wachstumsfaktoren sich weiterentwickeln. Eben deswegen wird die Neuralleiste für eine Weile von Zellen gebildet, die in Gruppen zu verschiedenen peripheren Orten wandern, an denen sie gruppenweise miteinander verschmelzen und unter anderem die Neuronen des sympathischen Nervensystems ausbilden sowie die chromaffinen (mit Chromsalzen selektiv anfärbbaren, von griech.: das chrõma – Farbe; lat.: affinis – verwandt) Zellen des Nebennierenmarks. Wozu eine Zelle sich jeweils entwickelt, ergibt sich wesentlich aus eben diesen Signalen im Umfeld ihres Wanderweges: Daß aus Vorläuferzellen sympathische Nervenzellen entstehen, liegt an dem Einfluß zweier Wachstumsfaktoren – des Fibroblasten-Wachstumsfaktors, der die neuronale Differenzierung selber fördert, und des Nervenwachstumsfaktors (engl.: nerve growth factor, NGF), der für das Überleben sympathischer Nervenzellen notwendig ist. Die so entstehenden sympathischen adrenergen Nervenzellen synthetisieren Noradrenalin (NA) als Transmitter. Wenn aber diese Neuronen in einem Medium kultiviert werden, das den Leukämie-inhibierenden Faktor (LIF) sowie den neurotrophen (griech.: nervenzellenernährenden) Faktor CNTF (engl.: ciliary neurotrophic factor) enthält, so erwerben sie cholinerge Eigenschaften – sie synthetisieren dann Acetylcholin (ACh). Daß Vorläuferzellen der Neuralleiste wiederum zu chromaffinen Zellen differenzieren, wird offenbar dadurch ausgelöst, daß sie nach ihrer Wanderung zur Nebenniere den Glucocorticoiden (Steroidhormonen der Nebennierenrinde wie Cortisol) ausgesetzt sind, die dort produziert werden. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 102–104.) Abb. A 83 gibt schematisch den Differenzierungsweg bei dieser sogenannten sympathoadrenalen Zellinie wieder. Wachstumsfaktoren spielen eine entscheidende Rolle auch bei der Entwicklung von Gliazellen: Ohne Wachstumsfaktoren werden sogenannte O-2A-

Entwicklung und Plastizität des Gehirns

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Abb. A 83: Differenzierung einer Vorläuferzelle der sympathoadrenalen Zelllinie

Vorläuferzellen zu Oligodendrocyten (O); Wachstumsfaktoren aber, die von einem bestimmten Astrocyten-Typ (Typ-1-Astrocyten, 1A) abgegeben werden, induzieren die Vermehrung der O-2A-Vorläuferzellen und beeinflussen deren Differenzierung zu Typ-2-Astrocyten (2A). Die Vermehrung der O-2A-Vorläuferzellen wird durch den Blutplättchen-Wachstumsfaktor (engl.:

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

platelet-derived growth factor, PDGF) gefördert, während der neurotrophe Faktor CNTF die Ausdifferenzierung zu Astrocyten induziert. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 104.) So betrachtet, stellen die Wanderwege der Neuroblasten und Neuronen zugleich die Entwicklungswege ihrer eigenen Differenzierung dar, ja, sie werden, wie im Falle der chromaffinen Zellen, von ihren Zielorganen (der Nebenniere) zu ihren späteren Aufgaben allererst tauglich gemacht. Was aber sagt den Vorläuferzellen und Zellen, wann, in welchem Stadium, sie sich auf Wanderschaft begeben sollen? Der unterschiedliche Zeitpunkt der Wanderung von Neuronen ist besonders wichtig für den Aufbau der Hirnrinde in Schichten. Auch hier sind es wieder spezifische regulierende Faktoren, die später unterschiedliche Nervenzellen in verschiedenen Funktionen hervorbringen. Wenn wir uns den Querschnitt durch die sechs Schichten der Großhirnrinde in Abb. A 29 noch einmal betrachten, so sehen wir, daß die großen pyramidenförmigen Projektionsneuronen (die Pyramidenzellen) in Schicht V liegen; in Schicht IV befinden sich deutlich kleinere sternförmige Nervenzellen (die Sternzellen); alle diese Neuronen des Zentralnervensystems aber entstammen der sogenannten Ventrikularzone oder Ventrikularschicht des Neuralrohres, einer Region in der Nähe der Hirnventrikel, und ihre corticale Schichtung ergibt sich ganz einfach aus dem Geburtstag der Zellen, will heißen aus dem Zeitpunkt, an dem aus einer neuronalen Stammzelle ein ausgereiftes, ein postmitotisches (lat.: post – nach, griech.: der mítos – Faden; ein nach der letzten Zellkernteilung befindliches) Neuron wird. So finden sich Neuronen, die in einer frühen Phase der Entwicklung des Cortex entstehen, in den tiefsten Rindenschichten; für die anderen gilt: je später, desto höher. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 104–105; richard f. thompson: Das Gehirn, 332 –334.) Auf diese Weise wird die Identität und die Funktion eines Neurons offenbar wesentlich durch den Zeitpunkt seiner Entstehung bestimmt – ganz ähnlich, wie die komplexe Arbeitsteilung eines Bienenvolkes (und anderer «eusozialer» Insekten) nicht durch eine zentrale Steuerung organisiert wird, sondern sich aus dem Zeitpunkt ergibt, zu dem seine Mitglieder sich entwickeln – durch «Alterspolyethismus». (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 658.) Daß tatsächlich der «Geburtstag» das Schicksal corticaler Neuronen bestimmt, läßt sich durch Transplantationsexperimente nachweisen: Vorläuferzellen, die «eigentlich» für die corticalen Schichten V und VI vorgesehen sind, wandern zu diesen Schichten auch dann, wenn man sie in die Ventrikularschicht von neugeborenen Tieren versetzt, deren Zellen in die Schichten II und

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Abb. A 84: Wanderung unreifer Neuronen entlang den Fortsätzen von Radialgliazellen als Leitstruktur

III wandern. «Die Festlegung erfolgt also vor der Wanderung; die Rindenschicht, für die ein Neuron bestimmt ist, wird unmittelbar vor der Geburt der Zelle festgelegt. Diese Prinzipien bei der Entwicklung der Cortexneuronen unterscheiden sich von denen bei Neuralleistenzellen, deren Schicksal stärker durch ihre Wanderroute und Endposition bestimmt wird als durch den Geburtstag der Zelle.» (tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 105) Wie aber finden die Zellen ihren Wanderweg, und woher wissen sie um ihr «richtiges» Ziel? Auch hier sind die Verfahren wieder auf spezifische Weise unterschiedlich. Einige junge Neuronen klettern zum Beispiel an den Fortsätzen von Gliazellen entlang, um an ihren Einsatzort zu gelangen. Abb. A 84 etwa zeigt, wie eine

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Körnerzelle der sich entwickelnden Kleinhirnrinde von der äußeren Körnerzellschicht durch die Molekularschicht und die purkinje-Zellschicht zu ihrem Bestimmungsort in der inneren Körnerzellschicht wandert. Sie tut dies, indem sie sich an dem Fortsatz einer Radialgliazelle entlang bewegt, die von der inneren Körnerzellschicht bis zur Oberfläche der Pia mater (lat.: der frommen Mutter, der weichen Hirnhaut, im Unterschied zur Dura mater, der harten Mutter, der festen Hirnhaut) reicht. Die Zellkörper der Radialgliazellen liegen an der Grenze zwischen der inneren Körnerzellschicht und der purkinje-Zellschicht. (Die Rinde des ausgebildeten Kleinhirns besteht aus drei Schichten: der Molekularschicht als der äußeren, der purkinje-Zellschicht als der mittleren und der Körnerzellschicht als der inneren.) (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 105 –106.) Was aber sagt einer Zelle, nachem sie an ihrem Zielort eingetroffen ist, mit welchen anderen Zellen sie synaptische Kontakte ausbilden soll und wie sie eine solche Aufgabe durchführen kann?

c) Wie eine Nervenzelle mit anderen Zellen in Kontakt tritt oder: Von Leitmolekülen, Chemotropismus und der Konkurrenz zwischen Synapsen Spätestens sobald ein Neuron seine endgültige Position erreicht hat, bildet es ein Axon aus, an dessen Ende sich der sogenannte Wachstumskegel befindet, ein spezieller sensorischer und motorischer Apparat (gelegentlich geschieht die Axonbildung auch eher, wie bei den gerade besprochenen Körnerzellen der Kleinhirnrinde, die als erstes sogar recht lange Axone ausbilden, ehe sie zu ihrem Bestimmungsort wandern). Vom Wachstumskegel gehen fingerförmige Ausstülpungen, die Filopodien (lat.: das filum – Faden; griech: der pus – Fuß; fadenförmige Füßchen), aus, die sich wie Versuchssonden ständig vorstrecken und zurückziehen; zugleich vergrößert sich die Membranoberfläche, deren Teile vom Zellkörper hergestellt, in Vesikel verpackt und durch die Mikrotubuli (durch die röhrenförmigen Strukturen für den Materialtransport) in den Wachstumskegel transportiert werden, wo die Vesikel dann mit der Oberflächenmembran verschmelzen. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 105 –106; richard f. thompson: Das Gehirn, 334 –336.)

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Wie aber, wenn es keine Radialgliazellen (oder geeignete Matrixmoleküle) gibt, die auch jetzt den Wachstumskegeln, wie soeben den Nervenzellen, mechanisch den Weg weisen könnten? – Dann müssen die Wachstumskegel sich chemisch orientieren. Es war der schon genannte roger sperry, der die Chemoaffinitäts-Hypothese aufstellte und sie mit einem Experiment bewies, wie es für die Art neurologischer Forschung (leider) typisch ist: sperry untersuchte das Sehsystem von Fischen und Amphibien, die, im Unterschied zu Säugetieren, Neuronen regenerieren können; diese Voraussetzung war entscheidend, denn sperry durchtrennte den Sehnerv der Tiere und drehte zudem das Auge in der Augenhöhle um 180 Grad; tatsächlich regenerierten die Axone wieder, und das Sehsystem blieb funktionsfähig, allerdings entsprechend «verdreht»: die Tiere reagierten zum Beispiel auf visuelle Reize, die von links oben kamen, ganz so, als kämen sie von rechts unten. Damit war erwiesen, daß die Axone der Ganglienneuronen in der Retina wieder Kontakt zu ihrem alten Zielort im Tectum opticum (im Mittelhirndach, bei den Säugetieren die Colliculi superiores; vgl. klauspeter hoffmann – christian wehrhan: Zentrale Sehsysteme, in: Neurowissenschaft, 421– 422) aufgenommen hatten, selbst wenn dies nach der Drehung des Auges jetzt zu ganz falschen Wahrnehmungen führte. (Vgl. roger sperry: Chemoaffinity in the orderly growth of nerve fiber patterns and connections, in: Proceedings of the National Academy of Sciences (USA), 50/1963, 703 –710; tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 107.) Wie aber ist so etwas möglich? Um die richtigen Verknüpfungen bilden zu können, müssen die einzelnen Neuronen schon in der Frühphase über bestimmte Erkennungsmoleküle, sogenannte molekulare Marker, verfügen, die an den Oberflächen der prä- und der postsynaptischen Neuronen darüber entscheiden, ob zwei Zellen zueinander passen oder nicht – ob «ihre Chemie» stimmt oder nicht. Die regenerierenden Axone werden also auf ihr Ziel hingeleitet, indem sie in ihrem Umfeld bestimmte Leitmoleküle erkennen, die in einem Gradienten entlang der anteroposterioren (von vorn nach hinten führenden) Achse des Tectum verteilt sind. Versuche in vitro haben gezeigt, daß die Verteilung der «Leitmoleküle» offenbar für gerade diese Aufgabe wie geschaffen ist; denn die Axone aus der vorderen Hälfte der Retina wachsen ausschließlich in die anteriore (lat.: vorweg gelegene) Richtung des Tectum, und zwar deshalb, weil die posterioren (lat.: die dahinter gelegenen) Regionen des Tectum in höherer Konzentration ein abstoßendes Molekül aufweisen. Ähnliche Prozesse spielen sich auch bei der axonalen Wegfindung der peripheren Bahnen von Mo-

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

toneuronen ab; auch ihre Wachstumskegel finden über spezifische Marker zu den «richtigen» muskulären Zielorten, selbst wenn sie aus einem ursprünglich gemischten Faserbündel austreten. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 107–109.) Natürlich wollte man nun wissen, um was für Leitmoleküle es sich dabei handelt, und wirklich hat man gefunden, daß die Axone von Stoffen angelockt (oder abgestoßen!) werden, die von den Zielzellen (oder anderen Zellen) abgegeben werden, – daß ihr Wachstum mithin durch Chemotropismus gelenkt wird; es kann aber auch sein, daß vor allem Glycoproteine als Zelladhäsionsmoleküle fungieren, mit denen die Wachstumskegel der Axone Kontakt aufnehmen. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 109; john p. j. pinel: Biopsychologie, 426 –428.) Die nächste Frage ergibt sich wie von selbst: Wie kommt es zur Bildung von Synapsen? Am besten erforscht sind (ihrer relativen Größe wegen) die Synapsenbildungen zwischen Motoneuronen und Skelettmuskeln. Das Problem stellt sich zu Beginn, daß der Wachstumskegel des Axons zunächst durchaus noch keiner präsynaptischen Nervenendigung gleichsieht und daß auch der Muskel sich noch nicht in einzelne Muskelfasergruppen aufgegliedert hat. Die erste Form des Kontaktes besteht darin, daß das Axon seinen Neurotransmitter: Acetylcholin (ACh), ausschüttet und daß umgekehrt die Muskelmembran gerade auf diesen Stoff anspricht, indem sie besondere Rezeptorzonen ausbildet und die Erregungsübertragung steigert; auch die Anzahl von Kontakten zwischen Nerv und Muskel nimmt jetzt zu. An den Stellen der Innervierung wächst die Dichte der ACh-Rezeptoren, außerhalb dieser Stellen nimmt sie ab; die Rezeptoren selbst diffundieren anfangs durch die Membran, bis sie am Ort der späteren Synapse immobilisiert werden. Am Ende befinden sich bis zu 20 000 ACh-Rezeptoren pro Quadratmikrometer im Bereich der Endplatte – das ist mehrere tausend Mal mehr als außerhalb der synaptischen Bereiche. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 109; 111.) Mit einem Wort: Die axonale Endigung kontrolliert sowohl die Bildung als auch die Verteilung der Rezeptoren auf der postsynaptischen Muskelfaser; sie leistet, bildlich gesprochen, so etwas wie ein Flugzeugpilot, der sich aus der Luft seine eigene Landebahn bauen muß; und wieder möchte man natürlich wissen, mit Hilfe welcher Verfahren so etwas möglich ist. Herausgefunden hat man, daß die präsynaptische Nervenendigung durch Ausschüttung des Proteins Agrin dafür sorgt, bereits vorhandene ACh-Rezeptoren am Ort der späteren Synapse zu konzentrieren, und daß sie durch das Protein ARIA (Acetyl-

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cholinrezeptor-induzierende Aktivität) die Gesamtzahl der ACh-Rezeptoren erhöht. Zugleich bewirkt die elektrische Reizung der postsynaptischen Muskelzelle, daß ACh-Rezeptoren außerhalb der Synapse verschwinden; hört die elektrische Reizung auf, weil der Kontakt zwischen Nerv und Muskel unterbrochen ist, so finden sich wenig später ACh-Rezeptoren wieder auch außerhalb des synaptischen Bereiches. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 111.) Es ist so, als wartete am Boden ein für alle Fälle bereitgestelltes Personal bereits auf das Flugzeug, das landen möchte, und würde von diesem zu den Stellen dirigiert, an denen aus der Luft sichtbar die Anlage einer Landepiste am günstigsten ist. In gewissem Sinne ist dieses Bild sogar wörtlich zu nehmen; denn es ist der Einfluß der axonalen Endigung der Motoneuronen, der den ACh-Rezeptoren die Fähigkeit nimmt, in der Membran der Muskelfaser zu diffundieren, und auch die elektrische Leitfähigkeit der Rezeptorkanäle erhöht sich mit der Innervierung; sowohl ihre Ortswahl als auch ihre Arbeitseffizienz wird somit von der Axonendigung des Motoneurons selbst bestimmt. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 111.) All das klingt – wieder einmal – nach einem vorgefertigten Konzept, nach Art eines festgelegten Plans; und doch ist auch dieser Prozeß der Synapsenbildung am besten «darwinistisch» interpretierbar. Das Resultat ist klar: am Ende wird eine einzelne Muskelfaser von einem einzigen motorischen Axon innerviert; doch dieses Ergebnis kommt durch einen rigorosen Selektionsprozeß zustande. Zunächst wird eine Muskelfaser von mehreren Axonen innerviert, die dann bis auf das eine «erfolgreiche» eliminiert werden, so daß das letzte, immer komplexer werdende Axon seine Synapse nun über eine immer größere Fläche ausdehnen kann; auf diese Weise kommt es zu einem gesteigerten synaptischen Input auf seiten der Muskelfaser; welches das «siegreiche» Axon ist, ergibt sich natürlich aus der Übertragungsintensität selbst (vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 111–112; richard f. thompson: Das Gehirn, 330– 331); nichts ist in einer Welt der Konkurrenz erfolgreicher als der Erfolg . . . Am Ende geht es nicht um verschiedene Landeplätze für Kleinflugzeuge, sondern um die Errichtung eines Großflughafens . . .

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

d) Vom Kampf zwischen Nervenzellen und dem Überleben der Fittesten Doch nicht nur schon fertige Synapsen werden zu Gunsten der erfolgreichsten wieder zurückgenommen, – das Spiel um Sein und Nichtsein ist wirksam sogar bereits auf der Ebene der Nervenzellen selbst. Das scheinbare Paradox besteht, daß im Verlauf der Embryonalentwicklung bis zur Hälfte aller ursprünglich gebildeten Nervenzellen durch programmierten Zelltod (durch Apoptose – Wegfall; griech.: apó – weg, die ptõsis – Fall) wieder zugrunde gehen. «Der Neuronentod ist eine normale Phase der neuronalen Entwicklung. Die neuronale Entwicklung arbeitet nach dem Prinzip des ‹Überlebens des Tauglichsten›: Es werden etwa doppelt so viele Nervenzellen ausgebildet wie benötigt; sie wetteifern um die begrenzten Ressourcen, und nur die Tauglichsten überleben. Der Neuronentod ist nicht auf das frühe Entwicklungsstadium des Nervensystems begrenzt; er tritt gewissermaßen wellenartig in verschiedenen Teilen des Gehirns als lebenslanger Entwicklungsprozess auf.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 429– 430) Umgekehrt unterscheiden sich Nervenzellen von anderen Körperzellen dadurch, daß sie von einem bestimmten Zeitpunkt an sich nicht mehr vermehren; – kurz nach der Geburt schon werden so gut wie keine neuen Neuronen mehr gebildet. (Zu neueren Forschungsergebnissen über die Entstehung neuer Nervenzellen zum Beispiel im Hippocampus vgl. fred h. gage: Hirn, reparier dich selbst, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Das verbesserte Gehirn, 3/2004, 11–14; olaf schmidt: Nachwuchs im Gehirn, in: Gehirn und Geist, 4/2002, 86 –87.) Sowohl die Überproduktion auf der einen Seite als auch die Ausdünnung auf der anderen Seite dienen offenbar demselben Zweck wie der Stopp einer weiteren Teilung der postmitotischen (ausdifferenzierten) Neuronen: es soll ermöglicht werden, spezielle Schaltpläne zu erstellen und bewährte Verknüpfungsmuster zu bewahren. Freilich, beim Anblick von Zellen, die man auf solche Weise sterben sieht, überkommt den Betrachter unwillkürlich ein Schaudern: – Wie, wenn die Natur bereits auf der untersten Ebene derjenigen Vorgänge, die irgendwann Bewußtsein und sogar Selbstbewußtsein ermöglichen, sich in einer derartigen Unbekümmertheit um das Schicksal einzelner Bausteine und Formen des Lebens zeigt, wird sie sich dem Bewußtsein selbst in ihren Grundeinrichtungen wie in ihren Ergebnissen darbieten? In jedem Falle gibt es zu jedem «Programm» in der Natur auch ein «Gegenprogramm», das es zu kontrollieren versucht, so daß ein Gleichgewichtszustand angestrebt wird, und auch dieser ständige Antagonismus, der in allen

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Lebensäußerungen zu Tage tritt, muß auf jeden «finalistisch» Gesinnten zutiefst irritierend wirken. Um den programmierten Zelltod von Neuronen zu unterdrücken, sind eine Reihe neurotropher (griech.: nervenzellenernährender) Faktoren im Einsatz, darunter der bereits erwähnte Nervenwachstumsfaktor NGF (engl.: nerve growth factor), der für das Überleben sympathischer Nervenzellen wesentlich ist und von der italienischen Neurologin rita levimontalcini (geb. 1909) entdeckt wurde; sodann der BDNF (engl.: der brainderived neurotrophic factor – der aus dem Gehirn stammende neurotrophe Faktor) und schließlich der ebenfalls schon genannte CNTF (engl.: der ciliary neurotrophic factor). Gelingt es Nervenzellen nicht, im Konkurrenzkampf um diese lebenerhaltenden Stoffe zu siegen, so sterben sie. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 112; john p. j. pinel: Biopsychologie, 429– 431.) Eine Injektion von Antikörpern gegen NGF zum Beispiel, die levi-montalcini bei neugeborenen Mäusen und Ratten vornahm, ließ die sympathischen Ganglien fast gänzlich verschwinden. Ebenso hängt offenbar das Überleben der sensorischen Neuronen von NGF ab. Auch andere Nervenzellen werden durch verwandte neurotrophe Faktoren am Leben gehalten. (Vgl. tom jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 113.) Der wohl wichtigste Eindruck, den die drei Strategien der Hirnentwicklung (fasergesteuerte Zellbewegung, Chemotropismus und programmierter Zelltod) vermitteln, ist der dynamische Charakter dieses Organs, das sich im Wettstreit konkurrierender Zellen selber ermöglicht und im Aufbau relativ fester Verbindungen funktionale Muster erschafft – zugunsten all der bewundernswerten Leistungen, die wir in den folgenden Kapiteln nach und nach kennenlernen werden. Das Gehirn, so zeigt sich von seinen eigenen Gestaltungsprinzipien her, ist niemals ein «fertiges» Organ, das, wie die Lunge oder das Herz, einmal erstellt, ein für allemal, so wie es ist, zu funktionieren hat. Ein Hauptkennzeichen des Gehirns ist vielmehr seine neuronale Plastizität – seine Fähigkeit, immer neue Verbindungen zwischen den Neuronen anzulegen und darin neue Erfahrungen festzuhalten. Noch ehe wir die Feinabstimmungen bei den Prozessen von Lernen und Erinnern näher durchgehen werden, ist es sehr wichtig, sich über die grundlegende Einheit von Hirnentwicklung und Erfahrungsspeicherung klar zu werden. Was sich mit dem Gehirn heranbildet, ist nicht einfach ein Körperorgan, es entwickelt sich unter dem ständigen Einfluß der Umwelt ein neuronales System, das selber durch Lernprozesse geformt wird und auf der einmal festgelegten Basis den Fächer weiterer Erfahrungen immer mehr zu öffnen imstande ist.

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

e) Die Plastizität des Gehirns oder: Wie Erfahrungen die neuronale Entwicklung bestimmen Wie fundamental Lernprozesse den Aufbau der frühen synaptischen Verschaltungen kontrollieren, läßt sich an einem Beispiel demonstrieren, das in der Geschichte der Neurologie einen weiteren wichtigen Meilenstein gesetzt hat und das seiner Einfachheit wegen das in unserem Zusammenhang Wesentliche gut hervortreten läßt. Es geht um die Entwicklung der neuronalen Verschaltung im visuellen System von Katzen. Für die Aufklärung dieser Zusammenhänge erhielten die uns schon von der Entdeckung der Zellsäulen in der Sehrinde her bekannten Forscher david hunter hubel (geb. 1926) und torsten nils wiesel (geb. 1924) 1981 den Medizin-Nobelpreis, und es gibt kaum ein Lehrbuch der Neurologie, in dem die nachstehenden Ausführungen nicht einen breiten Raum einnähmen. (Vgl. david hunter hubel – torsten nils wiesel: Receptive Fields, binocular Interaction and functional Architecture in the Cat’s visual Cortex, in: The Journal of Physiology, 160/1962, 106 –154.) Katzen zählten und zählen bei Untersuchungen über die Fähigkeit des Sehens (erneut: leider) zu den bevorzugten Versuchstieren, weil zwar die Mechanismen, die das Sehen ermöglichen, bei Katze wie Mensch die gleichen sind, aber ihr höchstleistungsfähiges visuelles System bei der Geburt noch wenig entwickelt ist und dieses System zudem noch den Vorteil bietet, daß es weit einfacher organisiert ist als zum Beispiel das von Primaten: Es verfügt nur über ein eingeschränktes Farbsehen, und anstelle der sechs Schichten im seitlichen Kniehöcker (lat.: im Corpus geniculatum laterale, CGL) des menschlichen Thalamus weist der seitliche Kniehöcker im Katzengehirn nur drei Schichten auf. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 337; 340.) Wir wissen bereits, daß der Thalamus so etwas darstellt wie die Zentralpoststelle, in welcher sämtliche Briefe (Informationseingänge) gesammelt, registriert und an ihre Zielorte weitergeschickt werden. Der seitliche Kniehöcker ist nun die Stelle im Thalamus, an welcher die visuellen Informationen an die Sehrinde (an den primären visuellen Cortex) weitergeleitet werden. Abb. A 85 zeigt schematisch, wie die Sehbahn von den Augen zur Sehrinde verläuft: die Fasern der Sehnerven ordnen sich im Chiasma opticum (griech./lat.: in der Sehnervenkreuzung) auf eine Weise an, daß die gesamten Informationen der linken Hälfte jeder Netzhaut (also sämtliche visuellen Informationen über die rechte Hälfte des Gesichtsfeldes) im Tractus opticus (im optischen Faserbündel, von lat.: der tractus – Zug, Nervenbahn; opticus – das Sehen betreffend) über die Kerngebiete des linken seitlichen Kniehöckers zur

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Abb. A 85: Die Sehbahn vom Auge zur Sehrinde (schematisch sehr vereinfacht)

linken Sehrinde ziehen, und entsprechend umgekehrt bei den Informationen der rechten Netzhauthälften. (Vgl. richard f. thompson: A. a. O., 250 –252.) Wie gesagt, enthält der seitliche Kniehöcker der Katze nur drei Schichten, deren oberste und unterste Informationen aus dem Auge der gegenüberliegenden (der kontralateralen) Körperseite empfangen, während die mittlere Schicht Signale vom Auge derselben (der ipsilateralen) Körperseite erhält; dabei werden bei Katze wie Mensch benachbarte Netzhautbezirke auf benachbarte Kniehökkerzellen verschaltet. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 337.) Wichtig ist nun, wie es weitergeht: In der Schicht IV der Sehrinde empfangen die primären Empfängerneuronen Informationen nur aus jeweils einer Schicht, also etwa aus Schicht 1 des Corpus geniculatum laterale (mithin vom kontralateralen Auge) oder aus Schicht 2 (mithin vom ipsilateralen Auge), doch niemals aus Schicht 1 und 2. Von daher entsprechen die rezeptiven Felder in Schicht IV der Sehrinde im wesentlichen denen im seitlichen Kniehöcker und diese wiederum denen der Ganglienzellen in der Retina. Und das Resultat: Während am Anfang die Nerven in Schicht IV noch gleichmäßig mit beiden Augen verbunden sind und die Informationen von beiden Augen sich überlappen, werden im

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 86: Anlage von Augendominanzsäulen im visuellen System einer Katze

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Laufe der Zeit die Eingangsinformationen von beiden Augen vollständig getrennt an alternierende Zellsäulen in der Schicht IV der Sehrinde weitergeleitet; es bilden sich sogenannte Augendominanzsäulen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 337– 338.) Abb. A 86 zeigt die Verschaltung im visuellen System einer Katze zwei Wochen nach der Geburt und die Organisation bei einem erwachsenen Tier. Entscheidend dabei ist, daß es offenbar eine sensible Phase gibt, in welcher der Verschluß eines Auges den Aufbau der Augendominanzsäulen beeinträchtigen und damit dauerhafte Schäden der Sehfähigkeit verursachen kann. Bei Katzen und Affen erstreckt sich der kritische Zeitraum über nur wenige Monate nach der Geburt, beim Menschen etwa über die ersten sechs Lebensjahre. In dieser Zeit entscheidet erneut eine neuronale Konkurrenz zwischen den Axonendigungen aus den Schichten des seitlichen Kniehöckers, ob es in einem kleinen Feld der Sehrinde zu einer Dominanz der Eingänge aus dem linken oder aus dem rechten Auge kommt. Indem die Axone aus der nächsten Schicht des seitlichen Kniehöckers (vom kontralateralen Auge her) in größerer Zahl in der Schicht IV der Sehrinde eintreffen, bilden sie dort auch mehr Synapsen aus und unterdrücken die weniger zahlreichen synaptischen Verbindungen von dem weiter entfernt liegenden Auge. Wird ein Auge während der kritischen Phase geschlossen, so werden die Eingänge des unbehinderten Auges zunehmend mehr Zellen der Schicht IV im visuellen Cortex besetzen; die Dominanzsäulen des offenen Auges werden auf diese Weise immer größer, die des geschlossenen Auges immer kleiner – sie schrumpfen auf nur noch 10% der Sehrinde (bei etwa 50% für jedes Auge im gesunden Zustand). (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 339; 341– 342.) Abb. A 87 gibt diese Entwicklung bei zwei geöffneten Augen sowie bei einem offenen (rechten) und einem geschlossenen (linken) Auge wieder. Der Neurotransmitter, der bei dem Aufbau der Augendominanzsäulen die entscheidende Rolle spielt, ist das Noradrenalin (NA), von dem wir bereits wissen, daß es nicht an einer schnellen synaptischen Übertragung beteiligt ist, sondern eher wie ein lokales Hormon über ein Second-Messenger-System modulierend wirkt; bezeichnenderweise reifen die NA-Neuronen im Locus coeruleus (lat.: am himmelblauen Ort) in gerade der kritischen Phase der Entwicklung des visuellen Systems heran. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 342 –343.) Die Einsichten, die sich aus diesem Befund ergeben, sind schwer zu überschätzen, zeigt sich hier doch geradezu «anatomisch» die Bedeutung von Lernerfahrungen in der frühen Kindheit. Plötzlich versteht man, warum ein

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Ein bißchen Neuroanatomie und Neurophysiologie

Abb. A 87: Ausdehnung der Dominanzsäule eines geöffneten Auges gegenüber der eines geschlossenen Auges während der kritischen Phase der Entwicklung

Schielen bei Kleinkindern, das nicht behandelt wird, später zu bleibenden Defiziten in der Sehfähigkeit des betreffenden Auges führen muß, selbst wenn dieses als Organ vollkommen gesund ist. Und was noch weit schwerer wiegt: auch die Inhalte des frühzeitig Wahrgenommenen bleiben lebenslänglich «prägend». Berühmt wurden die Experimente des Verhaltensforschers (und großen Tierliebhabers) konrad lorenz (1903 –1989) über die Prägung nestflüchtiger Vogelkinder, wie zum Beispiel junger Graugänse, in den ersten zwei Tagen nach ihrer Geburt auf fast alles, was sich vor ihren Augen bewegt und größer ist als sie selbst, – besonders wenn es zusätzlich noch Geräusche von sich gibt; für gewöhnlich ist das, was die Küken als erstes sich bewegen sehen, das Muttertier;

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wie aber, wenn an die Stelle der Mutter ein watschelnder Karton mit einer tikkenden Uhr darinnen oder ein Mensch tritt? Dann wird ein Gänsekind für sein ganzes weiteres Leben auf etwas «Unnormales» festgelegt, das seine Gefühle, seine Verhaltensweisen, die Reaktionen seiner Artgenossen auf sein Verhalten, kurz: den Aufbau seiner sozialen und psychischen Identität determinieren wird. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 343.) Es war auch hier die Psychoanalyse, die – weitgehend intuitiv – auf die überragende Bedeutung (früh)kindlicher Erfahrungen hingewiesen hat und die nun auf eine Weise bestätigt wird, die ihr selbst nicht geringe Probleme schaffen muß; denn wenn die Theorie von der schicksalbestimmenden Macht der frühen Kindheit sich als richtig erweist, welch ein therapeutischer Spielraum soll dann in der Praxis wohl noch gegeben sein? Widerlegt die Psychoanalyse sich nicht als Behandlungsverfahren in gerade dem Maße, in dem sie als anthropologisches Konzept sich plausibel macht? Doch wird das Gespräch bis dahin nur erst zwischen Psychoanalytikern und Verhaltensforschern geführt, Neurologen aber sind weder das eine noch das andere; ihr Interesse gilt der Frage, wo und in welcher Weise der Vorgang einer «Prägung» seine Spuren in der neuronalen Verschaltung des Gehirns hinterläßt, und um das herauszufinden, dringt man (wieder einmal) in das Gehirn der betreffenden Lebewesen mit Sonde und Skalpell ein oder studiert die histologischen Hirnpräparate getöteter Tiere. Beides hat man getan, mit dem Ergebnis, daß es bei Küken – vermutlich – das sog. mediale Hyperstriatum ventrale im Vorderhirn ist, an welchem die Gedächtnisspur von Prägungsvorgängen ausgebildet wird; jedenfalls kann man eine mögliche Prägung verhindern, im Falle man diesen Hirnbereich zerstört. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 343 –344.) Und wenn man ein solches Ergebnis erst einmal kennt, lassen sich neue Experimente anschließen. Was passiert in dem Gehirn von gefangen gehaltenen jungen Ratten, deren Käfige man möglichst reizarm gestaltet, so daß sie wenig zu sehen, wenig zu spielen, wenig zu lernen haben? Unterscheidet ihr Gehirn sich auf spezifische Weise von den Gehirnen anderer Ratten, die in einer der natürlichen Umwelt nachempfundenen Form der Käfighaltung groß geworden sind? Fragen dieser Art gingen die Psychologen mark richard rosenzweig (geb. 1927) und david krech (1909 –1977) nach, und sie fanden bei ihren Forschungen, was neurologisch zu erwarten stand: erlebnisreich aufgewachsene Ratten verfügen über meßbar schwerere Gehirne als erlebnisarm großgezogene Artgenossen. (Vgl. edward l. bennett, marian c. diamond, david krech und mark r. rosenzweig: Chemical and anatomical plasticity of brain, in:

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Science 146/1964, 610– 619.) Genauere Untersuchungen ergaben, daß die Anzahl und die Komplexität von Dendriten und die Anzahl der dendritischen Dornen, welche die (exzitatorischen) Signale eines präsynaptischen Axons aufnehmen, in charakteristischer Weise vermehrt sind. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 345 –348.) Zu fragen blieb: könnte, was sich bei Ratten (und Mäusen) finden läßt, nicht auch für Primaten, nicht auch für Menschen gelten? (Vgl. niels birbaumer – robert f. schmidt: Biologische Psychologie, 586 –587.) An Affen konnte william bates greenough (geb. 1932) in ähnlich aufgebauten Versuchsreihen den Nachweis führen, daß bei Tieren, die in einem «reichen» Milieu aufwuchsen, die purkinje-Zellen im Kleinhirn eine deutlich höhere Komplexität an Dendriten aufweisen als bei «arm» gehaltenen Tieren. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 348.) Die Folgerung, die auf den Menschen hin zu ziehen ist, liegt auf der Hand; denn was «reich» und «arm» in diesem Zusammenhang bei Menschenkindern bedeuten kann, läßt sich leicht vorstellen; es ist klar, daß wir auf die inhaltliche Seite der frühkindlichen Lernvorgänge anläßlich der Frage nach den Ursachen und den Behandlungsmöglichkeiten psychosomatischer, neurotischer und psychotischer Erkrankungen später noch näher werden einzugehen haben. Doch nicht nur die Anfänge seiner Entwicklung zeigen das Gehirn als ein Organ von hoher Plastizität, in gewisser Weise stehen auch die Alterungsvorgänge unter dem gleichen neurobiologischen Diktat, wenn auch die Auswirkungen, je nach Standpunkt, uns weniger erfreulich scheinen. Einem bekannten Ausspruch der Bibel zufolge währet des Menschen Leben wohl 70 Jahr’ und, wenn es hochkommt, 80 Jahr’, und das meiste daran ist Mühe und Plage (Ps 90,10). Das ist, der Erfahrung nach, trotz der enormen Verbesserung von Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung in unseren Tagen noch immer unverändert richtig. Einen Grund dafür, der über das theologische «Gott will es so» hinausgeht, hat leonard hayflick (geb. 1928) im Jahre 1962 entdeckt. Er legte Zellkulturen von Menschen unterschiedlichen Alters an und fand, daß embryonale Zellen sich ungefähr 50mal teilen, ehe sie sterben, die Zellen von Menschen in mittleren Jahren aber nur noch etwa 20mal. Auch diese Tatsache hat wieder Ursachen, die wohl in der «Abnutzung» der Endigungen, der Telomere (griech.: das télos – Ende, das méros – Teil), der DNA zu suchen sind. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 353 –354.).Offenbar gibt es nicht nur einen programmierten Zelltod in der Entwicklung des Gehirns, – es gibt den genetisch festgelegten Tod aller Körperzellen, einschließlich der Neuronen. Potentiell unsterblich sind einzig die Keimzellen und, der Ten-

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denz nach, die Krebszellen, die allem Anschein nach das Kommando außer Kraft setzen können, sie sollten ihre – sinnlos gewordene – Vermehrung endlich einstellen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 349 –350.) Die Alterungsvorgänge im Gehirn, die vor allem das Langzeitgedächtnis, also die Merkfähigkeit für längere Zeit (nicht das Kurzzeitgedächtnis), betreffen (A. a. O., 350), können, wie wir noch sehen werden, je nach den Gegebenheiten, höchst unliebsame, mitunter dramatische Folgen zeitigen; doch ist Altern nicht ohne weiteres identisch mit Senilität und mit dem gefürchteten Ausbruch der alzheimer-Krankheit. An sich vermag das Gehirn bis zuletzt neue Verschaltungen anzulegen, also zu lernen; die wichtigste Form des Lernens im Alter aber dürfte wohl nicht darin bestehen, immer neue Informationen zu sammeln, sondern das längst schon Gesammelte sinnvoll zu ordnen. Nur – was heißt da «sinnvoll»? Womöglich ist die Beschäftigung mit der Neurologie bloß der Anfang eines menschlich tieferen Fragens. Wir jedenfalls werden in dem vorliegenden Buch alles tun, diese Ansicht zu unterbreiten und zu untermauern.

B Von einigen Leistungen des Gehirns und einigen Fragen aus Philosophie und Theologie

Wir haben jetzt so viel über den Aufbau des Gehirns und über die Arbeitsweise von Neuronen gehört, daß die Erwartung verständlich wäre, wir hielten jenes Passepartout bereits in Händen, das es erlauben würde, wie einst das Wörtchen Seele, uns all die Kammern aufzuschließen, in denen die Geheimnisse der Psyche sich verborgen hielten. Doch dem ist nicht so; vielmehr werden wir für jede Tätigkeit der «Seele»: für das Lernen, Erinnern, Träumen, Wahrnehmen, Fühlen usw. eigene Erklärungen benötigen, die das bisher Gesagte zwar voraussetzen, doch in mitunter recht spezieller – und stets recht komplizierter – Weise weiterführen. Am Rande eines jeden dieser Erklärungswege werden wir alten Verkehrsschildern begegnen, die irgendwann in der Geschichte der abendländischen Philosophie und Theologie, aber auch in der noch recht jungen Ausbildung der Psychologie und der Psychoanalyse, am Seitenrand angebracht wurden, manchmal in erkennbar falscher Richtung, meistens in verwirrenden oder geradezu grotesken Entfernungsangaben des Zielortes, hin und wieder aber auch mit erstaunlich korrekten Hinweisen über die Lage des Gesuchten; freilich, die Bewertung dieser «Verkehrsschilder» kann nur erfolgen, indem wir ihnen mit den Mitteln moderner Neurologie nachgehen. Dabei werden wir merken, in welch einer erregenden Zeit wir leben, da sich zur Beantwortung der uralten Menschheitsfrage nach uns selbst: dem Menschlichen im Menschen, so viele neue, oftmals ungeahnte Erkenntniswege finden lassen. Beginnen wir mit einer psychologischen Leistung, auf deren Erklärung wir nach dem bisher Referierten am ehesten vorbereitet sind; sprechen wir über Lernen und Erinnern.

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Leistungen des Gehirns und Fragen aus Philosopie und Theologie

1. Lernen und Erinnern

Wer die letzten Seiten aufmerksam gelesen hat, wird sich verwundert gefragt haben, wie unser Gehirn es unter den gegebenen Voraussetzungen wohl anstellen mag, daß in ihm nicht alles durcheinandergeht. Nervenzellen werden zu dem, was sie sind, durch ihr Zellteilungsprogramm oder durch Signale anderer Zellen, durch den Einfluß von Wachstumsfaktoren, denen sie auf ihrer Wanderung zu ihrem Zielort ausgesetzt sind, oder durch den Zeitpunkt ihrer «Geburt»; der Wanderweg der Neuronen folgt mechanisch den Vorgaben von Gliazellen, oder es orientiert sich die Ausrichtung ihrer Axone an bestimmten chemischen Markern; ans «Ziel» gekommen, nehmen die Axone über ihre Neurotransmitter Verbindungen zu den «richtigen» Rezeptoren anderer Nervenzellen oder Muskelfasern auf: – es bilden sich sensorische oder motorische Synapsen. So weit, so gut. Doch ist mit all dem bestenfalls so etwas beschrieben wie das Streckennetz einer Spielzeugeisenbahn, auf welcher, je nach Laune, beliebig viele Züge im Kreise fahren können, ohne Sinn und Verstand. Ein Nervensystem – man kann diesen Unterschied nicht oft genug betonen – ist kein elektromechanisches Spielzeug, das nach Art eines Game-boys produziert worden wäre, um «Spaß» zu machen; das Nervensystem wurde hervorgebracht im Kampf ums Überleben. Seine Konstruktion, so sahen wir, folgte von Anfang an der Aufgabe, Nahrung aufzuspüren und Gefahren zu vermeiden, also Verhaltensweisen zu ermöglichen, die den Energiehaushalt sichern helfen und unnötige Schmerzempfindungen ersparen. Doch damit ein solches System funktionieren kann, muß es eine wichtige Voraussetzung erwerben: Es muß lernen, welche Aktivitäten sich durch Erfolg «belohnen» und welche sich durch Mißerfolg «bestrafen», und zudem wäre es natürlich von unschätzbarem Vorteil, wenn es gelänge, das Gelernte in generalisierter Form auf neue Situationen anzuwenden. Überraschenderweise sind diese Fähigkeiten in ihrer einfachsten Form mit der Einrichtung der synaptischen Informationsübertragung selbst gegeben. Um diese wichtige Gegebenheit zu verstehen, die so etwas darstellt wie den ersten Übergang von Neurobiologie zu dem, was wir «Geist» nennen, müssen wir uns mit der Unterdrückung und mit der Verstärkung synaptischer Signal-

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übertragungen beschäftigen und auf die merkwürdigen Fähigkeiten eines besonderen Rezeptortyps (der bereits erwähnten NMDA-Rezeptoren) in ihrem Umgang mit Glutamat und Glycin zu sprechen kommen. Dabei beginnen wir tunlichst mit etwas relativ Einfachem: mit der kalifornischen Meeresschnecke (Aplysia californica), um dann zu sehen, warum bei Wirbeltieren gerade der Hippocampus für das Gedächtnis wichtig ist . . .

a) Nicht-assoziatives implizites Lernen oder: Von Habituation und Sensitivierung am Beispiel von Aplysia Schon daß es möglich ist, Grundphänomene der Signalübertragung an Synapsen einheitlich bei Meeresschnecken und bei Menschen zu untersuchen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Natur quer durch die gesamte Evolution der Vielzeller ihre einmal gewonnenen neuronalen Einrichtungen niemals mehr zu ändern vermocht hat; anders ausgedrückt: wenn wir vom «Geist» (des Menschen oder gar Gottes) sprechen, so begegnen wir den ersten Erscheinungen geistiger Tätigkeit in Form von Lernen und Erinnern bereits in den Anfängen der Entwicklung der Metazoen, und wir können das, was wir dort zu sehen bekommen, nicht von dem abtrennen, was wir selbst sind. – Welche Folgerungen sich ethisch aus dieser Einsicht für den Umgang mit eben den Lebewesen ergeben sollten, die uns selber ermöglicht haben, müßte eigentlich auf der Hand liegen, selbst wenn es im Wissenschaftsbetrieb unserer Tage kaum Beachtung findet. Die richtige Idee, welche biologischen Prozesse dem Lernen zugrunde liegen müßten, kam dem amerikanischen Psychologen william james (1842 –1910) bereits im Jahre 1890 – zu einer Zeit, als man von Neuronen und synaptischen Übertragungen als den Grundfunktionen des Nervensystems nicht die geringste Ahnung hatte. In seinem Lehrbuch für Studenten unter dem Titel Psychology. Briefer Course (1892; 1984, 226) schrieb james über das Phänomen der Assoziation: «Die Größe der Aktivität an irgendeinem Punkt im Kortex des Großhirns entspricht der Summe der Tendenzen aller anderen Punkte, Entladungen in diesen Punkt zu senden. Diese Tendenzen sind proportional (1) zur Häufigkeit, mit der der jeweils andere Punkt zugleich mit dem in Frage kommenden Punkt erregt war; (2) zur Intensität dieser Erregungen; und (3) zur Abwesenheit rivalisierender Punkte, die funktionell nicht mit dem in Frage kommenden Punkt verbunden sind.» Ersetzt man in diesem Zitat das Wort

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Leistungen des Gehirns und Fragen aus Philosopie und Theologie

«Punkt» durch den Begriff Neuron, so enthalten diese Zeilen eine erstaunlich hellsichtige Vorwegnahme dessen, was wir heute über die neuronalen Grundlagen von Lernprozessen sagen können. james selber folgerte denn auch ganz richtig: «Wann immer zwei elementare Gehirnprozesse zugleich oder unmittelbar nacheinander aktiv waren, neigt einer der beiden bei seinem Wiederauftreten dazu, seine Erregung zum anderen zu leiten.» (Zit. n. manfred spitzer: Geist im Netz, 43.) Die «elementaren Gehirnprozesse» bestehen in der Verknüpfung von zwei (und mehr) Neuronen miteinander, und was james hier beschrieb, ist zur Faustregel der gesamten Neurologie geworden: Neurons wire together, when they fire together – salopp (und etwas obszön) übersetzt: Neuronen kommen zusammen, wenn sie zusammen kommen; oder korrekter wiedergegeben: die Verbindungsstärke zwischen Neuronen nimmt zu, wenn sie gemeinsam aktiv sind. Daß in dieser Behauptung bereits das wichtigste Gesetz für die neuronale Grundlage aller Lernprozesse enthalten ist, erkannte ein halbes Jahrhundert später der Kanadier donald olding hebb (1904 –1985) in seinem Buch The organization of behavior (New York 1949; 1988, 50), als er seine berühmte Lernregel aufstellte: «Sofern ein Axon der Zelle A einer Zelle B nahe genug ist, um sie immer wieder zu erregen bzw. dafür zu sorgen, daß sie feuert», schrieb hebb, «findet ein Wachstumsprozeß oder eine metabolische Veränderung in einer der beiden Zellen oder in beiden statt, so daß die Effektivität der Zelle A, die Zelle B zu erregen, gesteigert wird.» (Zit. n. manfred spitzer: Geist im Netz, 44.) Diese Regel, wonach Neuronen sich durch gleichzeitige Aktivität stärker miteinander verbinden und diese gleichzeitige Zellerregung eine physische Voraussetzung des Lernens bildet, bot den Anstoß für eine Fülle von neurophysiologischen Untersuchungen; denn sie war ebenso plausibel wie vage: Was passiert denn nun wirklich an den Synapsen – «wächst» da etwas, wandelt sich der «Metabolismus» (griech.: der «Stoffwechsel», also die Transmitterausschüttung oder -aufnahme), verändert sich die Struktur der Membranen –, was? Man wußte es nicht. Man mußte es sich anschauen, und um das zu tun, wählte man natürlich möglichst einfache Objekte.

α) Habituation – Verhaltensunterdrückung auf Grund von Gewöhnung Auf ein erstes Modell für die einfachste Form eines «Lernvorgangs» verfiel erneut charles scott sherrington, als er entdeckte, daß der Beugereflex eines Beines in Antwort auf leichte Berührung bei mehrfacher Wiederholung

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unterbleibt. Anscheinend hatte sein Versuchstier gelernt, daß der erfolgte Reiz weder Schmerz noch Gefahr darstellte und folglich keinen Schutzreflex erforderte, und so reagierte es gar nicht mehr; es unterdrückte vielmehr sein Antwortverhalten. Diese Verhaltensunterdrückung auf Grund von Gewöhnung nennt man Habituation, und sherrington erklärte das Phänomen mit einer Abnahme der synaptischen Effektivität in den Schaltkreisen der Motoneuronen bei wiederholter Aktivierung. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 686.) Doch natürlich mußte diese Interpretation überprüft werden, und so ging man auf die Suche nach Verhaltensreaktionen bei Tieren, die weit weniger kompliziert sind als Wirbeltiere: bei Mollusken (lat.: Weichtieren). Wir kommen zu Aplysia. Die Meeresschnecke Aplysia besitzt ein Nervensystem, das aus nur ca. 20 000 zentralen Nervenzellen besteht und deshalb sowohl einfach als auch komplex genug ist, um eine primitive Form von Lernen und Gedächtnis aufzuweisen (vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 687); untersucht wurden diese Zusammenhänge in den 70er Jahren des 20. Jhs. von dem Neurophysiologen eric richard kandel (geb. 1929), indem er sich den Kiemen- und Siphonrückziehreflex, kurz: den Kiemenrückziehreflex, als Studienobjekt vornahm: Die Meeresschnecke zieht reflexartig Siphon (das Wasserausstoßrohr für Atemwasser und Exkremente) und Kieme zurück, wenn ihre druckempfindlichen Sinneszellen (ihre sensorischen Neuronen) am Siphon berührt werden. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 433– 434.) Abb. B 1 zeigt den neuronalen Schaltkreis, der diesem Reflex zugrunde liegt. Die Abbildung zeigt einen denkbar einfachen Schaltkreis aus sensorischem Neuron, Motoneuron und Muskelzelle; da im allereinfachsten Fall das sensorische Neuron über nur eine (griech.: mónos – allein) Synapse mit dem Motoneuron verbunden ist, nennt man diesen Schaltkreis einen monosynaptischen Reflexbogen; das Motoneuron selbst allerdings bildet im Kiemenrückziehmuskel eine weitere (neuromuskuläre) Synapse aus. (Vgl. rüdiger wehner – walter gehring: Zoologie, 375 –377.) Ferner ist im Bild zu sehen, daß die Axone der sensorischen Neuronen Kollateralen zu erregenden oder hemmenden Interneuronen bilden (in der Abbildung ist nur eins von ihnen dargestellt), die ihrerseits mit den Motoneuronen verbunden sind, so daß über sie die Kiemenkontraktion verstärkt oder gedrosselt werden kann. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 687.) Der Kiemenrückziehreflex wird zum Beispiel verstärkt, wenn zusätzlich zu dem Siphon gleichzeitig auch der Kopf mechanisch gereizt wird.

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Abb. B 1: Neuronaler Schaltkreis beim Kiemenrückziehreflex von Aplysia

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Das Tier reagiert dadurch auf ein Hindernis oder auf eine Gefahr, die sich großflächig darbietet, mit verstärktem Rückzug bzw. mit Ausweichen – eine biologisch durchaus sinnvolle defensive Reizantwort. (Vgl. rüdiger wehner – walter gehring: Zoologie, 377.) Wie beim Beugereflex eines Beines zeigt sich nun auch bei Aplysia, daß eine wiederholte Reizung des Siphons dazu führt, daß die Schnecke mit Verhaltensunterdrückung auf Grund von Gewöhnung – mit Habituation (von lat.: der habitus – Haltung) – reagiert. Man spricht auch von synaptischer Depression, da die synaptische Reizübertragung zwischen dem sensorischen Neuron und dem Motoneuron sowie zwischen dem sensorischen Neuron und den Interneuronen (aber auch zwischen bestimmten erregenden Interneuronen und Motoneuronen) unterdrückt wird. Wohlgemerkt besteht der Vorgang der Habituation nicht etwa darin, daß der Neurotransmitter durch die wiederholte Reizung aufgebraucht wäre, vielmehr wird einfach von dem Transmitter weniger ausgeschüttet. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 687– 688; richard f. thompson: Das Gehirn, 371– 374.) Abb. B 2 verdeutlicht schematisch diesen Sachverhalt. Wir müssen nicht erst darauf hinweisen, daß auch das Phänomen der Gewöhnung (ein wirklicher Lerneffekt!) biologisch sehr sinnvoll ist. Bezeichnenderweise ist Habituation aber nicht bei allen synaptischen Übertragungen möglich; vielmehr weisen die sensorischen Systeme nur sehr geringe Gewöhnungseffekte auf – die Sinne sollen offenbar ständig in Bereitschaft bleiben; es sind die motorischen Systeme beziehungsweise die Stellen im Nervensystem, an denen die sensorischen Neuronen mit motorischen Bahnen verschaltet sind, wo das Phänomen der Habituation sich zeigt. «Im Sinne der Anpassung ist es sinnvoll, die Welt zwar exakt zu sehen, zu hören und zu fühlen, aber trotzdem ‹entscheiden› zu können, ob man auf einen bestimmten Reiz reagieren möchte oder nicht.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 374) In unserem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, daß wir es in der Reaktion von Aplysia durchaus mit einer Form des impliziten Lernens zu tun haben, die sich nicht als etwas substantiell Geistiges aus den Nerven ergibt oder die als ein geistiges Prinzip in der neuronalen Verschaltung realisiert wäre; der Lerneffekt ist ganz einfach identisch mit der Funktion bereits eines monosynaptischen Reflexbogens; – das Lernen ist schlicht in der veränderten Effektivität der synaptischen Signalübertragung mitenthalten. Und auch von einer Art impliziten Gedächtnisses läßt sich sprechen, indem die synaptische Depression zwischen den sensorischen Neuronen und ihren Zielzellen (den Motoneuronen und Interneuronen) einige Minuten anhalten kann. Neben diesem Kurz-

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Abb. B 2: Die synaptische Depression

zeitgedächtnis verfügt Aplysia aber auch über eine langfristige Habituation, die mehrere Wochen bestehen bleiben kann. Es versteht sich von selbst, daß die so gespeicherten Inhalte des impliziten Gedächtnisses nicht bewußt abgerufen werden können. «Die synaptische Depression», schreibt eric r. kandel (Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 688), «. . . ist offenbar ein ziemlich verbreiteter Habituationsmechanismus. Gleichartige plastische Veränderungen sind für die Habituation des Fluchtreflexes von Flußkrebsen und Schaben und der Schreckreflexe von Wirbeltieren verantwortlich. In all diesen Fällen haben zelluläre Untersuchungen gezeigt, daß die Gedächtnisspeicherung bei impliziten Lernformen nicht auf spezialisierte ‹Gedächtnisneuronen› angewiesen ist, deren einzige Funktion in der Speicherung von Informationen besteht. Gedächtnisspeicherung ist vielmehr das Ergebnis von Veränderungen an Neuronen, die funktionelle Bestandteile des normalen

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Abb. B 3: Mechanismus der Habituation

Reflexbogens sind.» Dasselbe sollte auch für das menschliche Gehirn gelten; auch dort sollten «Gedächtnisinhalte in Neuronen gespeichert» sein, «deren Funktion eigentlich nicht der reinen Speicherung von Informationen dient.» Ein Problem bereitet allerdings die Frage, was biochemisch eigentlich zu der Verringerung der Transmitterabgabe führt. Man nimmt heute an, daß eine Inaktivierung von Ca2+-Kanälen in der präsynaptischen Axonendigung zumindest teilweise diesen Effekt bewirkt, so daß bei jedem neuerlichen Aktionspotential weniger Calciumionen in die präsynaptischen Endknöpfchen einströmen können und damit auch weniger Neurotransmitter freigesetzt werden. Außerdem scheint es den mit dem Neurotransmitter gefüllten Vesikeln bei Habituation schwerer zu werden, in die aktive Zone zu gelangen, wo die Exocytose (die Transmitterausschüttung) stattfindet. (Vgl. eric r. kandel: Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 688; john p. j. pinel: Biopsychologie, 435 –436.) Abb. B 3 gibt abschließend noch einmal den Mechanismus der Habituation im Überblick wieder.

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β) Sensitivierung – Allgemeine Zunahme der Reaktionsbereitschaft als Folge einer schmerzhaften Erfahrung Es gibt aber noch eine andere Form des Lernens, die für das Überleben gewiß noch bedeutsamer ist und die das Gegenteil der Habituation darstellt: die Sensitivierung. Sie besteht darin, daß nach einem schädigenden Reiz (zum Beispiel einem Elektroschock in der Schwanzregion von Aplysia) die Reaktion (hier also der Kiemenrückziehreflex) auch auf eine Reihe anderer, sogar harmloser Reize (wie zum Beispiel eine leichte Siphonberührung) verstärkt wird. Die Sensitivierung kann, wie die Habituation, schon bei Aplysia einige Minuten lang erhalten bleiben, aber auch in einen Langzeitspeicher für Tage und Wochen eingebaut werden. Daß Habituation und Sensitivierung sich derart entsprechen, liegt offenbar daran, daß ein und dieselbe Art von Synapse an beiden Lernformen beteiligt sein kann. Der Grundvorgang selbst ist bei der Sensitivierung freilich komplexer als bei der Habituation, indem hier der sensitivierende Reiz eine Gruppe von Interneuronen aktiviert, die Synapsen mit sensorischen Neuronen bilden. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 689; john p. j. pinel: Biopsychologie, 435 –436.) Abb. B 4 versucht, den Mechanismus wiederzugeben, der einer Sensitivierung zu Grunde liegt. Kurz gesagt, besteht der Ablauf darin, daß die sensorischen Neuronen der Schwanzregion Synapsen mit bahnenden serotonergen Interneuronen bilden, die wiederum in Kontakt stehen mit den Endknöpfchen von sensorischen Neuronen der Siphonregion. Über diese serotonergen Interneuronen bewirkt nun eine Erregung der sensorischen Schwanzneuronen Veränderungen in den Endknöpfchen der sensorischen Siphonneuronen, so daß jedes vom Siphon kommende Aktionspotential in den Endknöpfchen zu verstärktem Einstrom von Ca2+-Ionen und somit zu vermehrter Transmitterfreisetzung führt. Diesen Vorgang bezeichnet man als präsynaptische Bahnung. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 435– 436.) Die biochemischen Schritte sehen dabei im einzelnen so aus: Die bahnenden Interneuronen geben Serotonin ab, das an die Serotoninrezeptoren der sensorischen Neuronen im Siphon bindet und die Rezeptoren so verändert, daß sie an ihrer intrazellulären Seite ein sogenanntes stimulierendes G-Protein (Gs) anziehen und aktivieren, wobei GTP (Guanosintriphosphat) an das G-Protein gebunden wird. Das aktivierte, mit GTP versehene G-Protein wiederum akti-

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Abb. B 4: Mechanismus der Sensitivierung

viert in den sensorischen Siphonneuronen das Enzym Adenylatcyclase, das an der Synthese des Sekundären Botenstoffes cAMP (des cyclischen Adenosinmonophosphat) maßgebend beteiligt ist. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 689– 691; james schwartz – eric r. kandel: Modulation der synaptischen Übertragung: Second-Messenger-Systeme, in: A. a. O., 253 –255.) Abb. B 5 zeigt den Syntheseweg von cAMP durch die Katalyse von Adenylatcyclase. Das cAMP wiederum aktiviert von sich aus nun eine cAMP-abhängige Proteinkinase, die ihrerseits eine Reihe von Substratproteinen phosphoryliert. Die Phosphorylierung, also die Anheftung einer Phosphatgruppe, verändert die Aktivität zahlreicher spezifischer Enzyme und bildet einen häufigen Mechanismus in Second-Messenger-Kaskaden; im Falle der Sensitivierung führt die Phosphorylierung durch die cAMP-aktivierte Proteinkinase dazu, die K+-Kanäle zu blockieren, die eigentlich für die Repolarisierung nach dem Aktionspotential sorgen müßten; dadurch verzögert sich die Repolarisation beziehungsweise es verlängert sich die Dauer der Nervenimpulse; zudem erlaubt die Reduktion der Kaliumionenströme es den Ca2+-Kanälen, über längere Zeit ak-

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Abb. B 5: Durch Adenylatcyclase katalysierte Synthese von cAMP

tiv zu sein. Infolgedessen können mehr Calciumionen einströmen, mit der Folge einer verstärkten Transmitterausschüttung in den synaptischen Spalt zwischen dem sensorischen Neuron und dem Motoneuron. Darüber hinaus erhöht die cAMP-aktivierte Proteinkinase über einen Mechanismus, der calciumunabhängig ist, die Beweglichkeit der transmittergefüllten Vesikel; das gleiche tut sie zudem auch dadurch, daß sie einen bestimmten Typ von Ca2+-Kanälen verändert, dessen Öffnung ebenfalls die Mobilität der Vesikel verbessert. Durch all diese Vorgänge wird die Effizienz der Transmitterfreisetzung erheblich gesteigert. (Vgl. james schwartz – eric r. kandel: Modulation der synaptischen Übertragung: Second-Messenger-Systeme, in: Neurowissenschaften, 253; eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 689 –691; rüdiger wehner – walter gehring: Zoologie, 374– 377.) Wichtig ist nun, daß Serotonin nicht bloß bei einem einmaligen Lernvorgang zu einer Kurzzeitverstärkung führt, sondern bei vier bis fünf Lernwieder-

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holungen eine Langzeitverstärkung bewirkt. Das geschieht vor allem dadurch, daß cAMP über seine Funktion bei der Bildung des Kurzzeitgedächtnisses hinaus für die Synthese neuer Proteine sorgt, auf denen das Langzeitgedächtnis beruht. Bei wiederholtem Training (oder bei wiederholten Serotonin-Gaben!) gelangt nämlich die cAMP-abhängige Proteinkinase in den Zellkern der sensorischen Neuronen und phosphoryliert dort Regulatorproteine für die Transkription der DNA. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 93– 95.) Eines dieser Proteine, die als Transkriptionsregulatoren fungieren, ist das cAMP-Reaktionselement-bindende Protein (CREB-Protein). Die Transkriptionsregulatoren aktivieren ihrerseits zwei Klassen von Effektorgenen, die wiederum zwei Proteinklassen codieren und mit ihren Proteinprodukten zwei Langzeiteffekte zur Folge haben: Das eine Protein (die sogenannte UbiquitinHydrolase) bewirkt, daß die cAMP-abhängige Proteinkinase über längere Zeit hin aktiviert bleibt, was zu einer anhaltenden Phosphorylierung der Substratproteine führt; derselbe Vorgang, der schon für den Aufbau des Kurzzeitgedächtnisses charakteristisch war: die Blockierung der K+-Kanäle und der längere Einstrom von Ca2+-Ionen, wird jetzt also auf Dauer gestellt. Die zweite Art von Proteinen bewirkt eine noch wichtigere Veränderung: sie sorgt für die Vergrößerung aktiver Zonen an den Synapsen und für die Bildung neuer Synapsen. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 691– 694.) So ließ sich bei Aplysia feststellen, daß die auf den Kiemenrückziehreflex trainierten Tiere auf ihren sensorischen Neuronen doppelt so viele präsynaptische Endigungen aufwiesen wie die untrainierten Tiere und daß die Anzahl aktiver Zonen von 40% der synaptischen Endigungen bei den letzteren durch den Aufbau des Langzeitgedächtnisses bei den trainierten Tieren auf 65 % angestiegen war. Zudem konnte ein Sprossen der Dendriten der Motoneuronen nachgewiesen werden – eine morphologische Veränderung offenbar als Anpassung auf den gesteigerten Informationsfluß an den Synapsen. Umgekehrt hat eine Langzeithabituation eine Reduktion der synaptischen Verbindungen zwischen sensorischen Neuronen und Motoneuronen pro Neuron um etwa 30% zur Folge. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 694– 695.) In kurzen Strichen gemalt, verfügen wir damit sowohl für das implizite Lernen wie für das implizite Erinnern über eine Erklärung, die auf der untersten Ebene möglicher Begründung: auf der Ebene der molekularen Biologie von Nervenzellen, Geltung beansprucht. Diese Feststellung allein besitzt bereits eine Bedeutung, deren philosophische (und theologische) Konsequenzen

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kaum zu überschätzen sind. Zum ersten Mal begegnen wir einem in strengem Sinne «geistigen» oder «psychischen» Phänomen: dem Erwerb und der Speicherung von Erfahrungen, und wir sehen, daß auf dieser Stufe der Betrachtung eine rein reduktionistische Erklärung vollkommen genügt, um zu begreifen, wie derlei möglich ist. Keine geistige Substanz, einfach eine materielle Form (eine bestimmte Zusammenschaltung dreier Neuronen in einem monosynaptischen Reflexbogen) und die Wirkung bestimmter materieller Substanzen (Neurotransmitter und Second Messenger) langt offenbar aus, um die Grundlagen auch von geistig-seelischen Vorgängen zu beschreiben. Und was vielleicht noch verwunderlicher ist: Die Konsequenz des «reduktionistischen» Erklärungsmodells der Neurologie führt durchaus nicht zu einer unmittelbar «materialistischen» Auffassung der persönlichen Lebensgestaltung; im Gegenteil! Gerade wenn wir buchstäblich vor Augen gestellt bekommen, wie Synapsen zahlreicher werden im Falle geistiger Betätigung und wie sie zurückgeschnitten werden bei geistiger Untätigkeit, ergibt sich daraus ein ganz neues ungeahntes Moment der Verantwortung für den Zustand unseres Gehirns. Denn so viel steht jetzt bereits fest: es ist nicht allein unser Gehirn, das unsere Gedanken ermöglicht, es ist auch unsere Gedankentätigkeit, die auf die Strukturen unseres Gehirns einwirkt. Fast fühlt man sich an einen Erfahrungssatz der Bibel erinnert: «Wer hat, dem wird gegeben werden, und wer nicht hat, von dem wird auch das (noch), was er hat, genommen werden.» (Mk 4,25) Schon bisher zeigte sich uns das Gehirn als ein dynamisches System; daß aber wir selber auf die Dynamik des Gehirns Einfluß nehmen könnten, darf denn doch für eine überraschende Entdeckung gelten, zumal sie sich schon bei einem so «einfachen» Wesen wie einer Meeresschnecke gewinnen läßt. In der Frage nach der Freiheit unseres Handelns wird dieser Aspekt unserer Existenz zweifellos noch ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Unüberhörbar erhebt sich zugleich die Frage, was eigentlich geschieht, wenn tagaus, tagein Milliarden von Menschen auf Erden einem rein mechanischen Produktionsprozeß unterworfen werden, in dem sie als Ersatzmaschinen oder als Ersatzcomputer viele Stunden damit zubringen müssen, sich zwangsweise jedes Gedankens und jeder Gefühlsregung zu entschlagen, nur um möglichst «effizient» ihre «Arbeit» zu verrichten – überflutet von «Reizen» und geistig dennoch gerade so arm wie jene Ratten, deren Gehirne schon auf Grund der frühkindlichen Entbehrungen, schließlich sogar meßbar in Gramm, weniger wogen als die von Artgenossen, denen man das Privileg gewährt hatte, in einer «artgerechten» Umgebung aufwachsen zu dürfen. Wie, wenn uns Menschen einzig der «Geist» «artgerecht» wäre?

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b) Assoziatives implizites Lernen oder: Die Frage der Kausalität und die Veranlagung zum Aberglauben Selbstredend stellt das, was wir bisher als Lernen und Erinnern besprochen haben, nur die einfachste mögliche Form derartiger Prozesse dar: die Unterdrükkung oder Verstärkung von Reflexantworten auf einen einzelnen Reiz. Andererseits haben wir schon gehört, daß gleichzeitige Reize, zum Beispiel am Siphon und am Kopf von Aplysia, die Reflexantwort verstärken können und daß das Phänomen der Sensitivierung insgesamt dazu führt, auch auf an sich nicht weiter wichtige Reize in gleicher Weise «heftig» zu antworten wie auf die ursprüngliche schmerzhafte Empfindung. Von daher liegt es nur nahe, die Sache weiterzutreiben und zu sehen, ob Reize, die an sich nichts miteinander zu tun haben: von denen der eine «unbedingt» eine Reaktion verlangt, während der andere eigentlich gar nicht beachtet werden müßte, sich unter Umständen miteinander koppeln lassen, ob es also möglich ist, vom nicht-assoziativen Lernen (bei dem die Verhaltensänderung nicht auf der Verknüpfung von Reizen beruht, sondern bereits existierende Verknüpfungen in ihrer Reaktion gedrosselt oder verstärkt werden) zu Formen des assoziativen Lernens überzugehen (bei denen die Reaktion von der Verknüpfung verschiedener Reize abhängt).

α) iwan p. pawlow und die klassische Konditionierung Der erste, der mit seinen klassisch gewordenen Experimenten zu Beginn des 20. Jhs. diese Frage aufgriff, war der bereits erwähnte iwan petrowitsch pawlow (1849 –1936). Mit pawlow änderte die Psychologie nachhaltig ihre Methode. Orientierte ihre Vorgehensweise sich bis dahin – wie heute noch in der Psychoanalyse – wesentlich an Einfühlung (griech.: Empathie) und Selbsterkenntnis (lat.: Introspektion, Schau nach Innen), so wurde sie jetzt zu einem streng «objektiven» Verfahren im Sinne der Naturwissenschaften. Nicht was in einem Tier, in einem Menschen vor sich geht, sondern einzig sein Verhalten in bestimmten Situationen unterliegt «exakter» Beobachtung; deshalb galt nur das, was «exakt» in reproduzierbaren Experimenten in Form von kontrollierbaren quantifizierbaren Fakten sich beobachten läßt, fortan als legitimer Gegenstand psychologischer Forschung. Der Behaviorismus (engl.: behavior – Verhalten), ein im Jahre 1913 von dem Amerikaner john broadus watson

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(1878 –1958) begründetes methodisches Konzept, bestimmte maßgebend die weitere akademische Psychologie im 20. Jh. (Vgl. steven schwartz: Wie Pawlow auf den Hund kam . . ., 53– 57.) Es ist wichtig, auf die Selbstbeschränkung, mit der die «Exaktheit» der Beobachtung in der Psychologie sich seither erkaufte, in aller Deutlichkeit hinzuweisen; denn eben seiner «Wissenschaftlichkeit» wegen beeinflußte das behavioristische Denken vor allem in den USA bald schon auf das nachhaltigste die Pädagogik, die Didaktik, die Trainingsmethoden des Militärs, die Formen der «Wahrheitsfindung» vor Gericht (der «Lügendetektor» verkörpert diese Einstellung auf das genaueste und groteskeste), die Rechtsprechung, die Strategien von Werbung und Marketing, die Verfahren der Leistungssteigerung am Arbeitsplatz, die Bewertung des Sexualverhaltens von Jugendlichen, Erwachsenen und älteren Leuten – kurz, es ist kaum ein Bereich des privaten wie öffentlichen Lebens denkbar, in dem der behavioristische Denkansatz sich nicht ausgewirkt hätte und immer noch auswirkt. Dabei dachte watson über den Menschen methodisch nicht viel anders als rené descartes (1596 –1650) es 400 Jahre zuvor metaphysisch über die Tiere getan hatte: als über Reflexmaschinen ohne «Seele» – ohne Gefühle, ohne Gedanken, einzig befähigt zu Sinneseindrücken, zu Empfindungen und zu mechanischen Antworten; pawlows Versuche nun wirkten als eine unwiderlegliche Vorwegnahme und zwingende Bestätigung dieses Forschungsansatzes, der sich als eine Totalanschauung geltend machte. So sah pawlows berühmte Versuchsanlage aus – Abb. B 6 gibt sie wieder. (Vgl. steven schwartz: Wie Pawlow auf den Hund kam . . ., 42– 53.) Der russische Physiologe hatte beobachtet, daß die Speichel- und Magendrüsen eines hungrigen Hundes bei der Wahrnehmung von Nahrung Speichel beziehungsweise Magensaft absondern; also wurde an der Schnauze des Versuchstieres chirurgisch ein Röhrchen zur Messung der Sekretion angebracht; der Hund selbst wurde festgeschnallt. Unmittelbar vor dem Füttern ließ pawlow jeweils eine Glocke ertönen; wenig später schon stellte er fest, daß auch auf das Glockenzeichen allein hin bei dem Hund die Speichelabsonderung einsetzte. Es war zu einer «bedingten Verknüpfung» zwischen dem bedingten Reiz (dem konditionierten, ursprünglich neutralen Reiz, also dem Glockenzeichen) und dem unbedingten Reiz (dem unkonditionierten Reiz, der eine unbedingte Reaktion nach sich zieht, also dem Nahrungsangebot, das die Speichelabsonderung hervorruft) gekommen, so daß jetzt der bedingte Reiz allein die bedingte Reaktion (den Speichelfluß) auslösen konnte. Der biologische «Sinn» dieses Lernprinzips (der Assoziation eines bedingten Reizes mit einem unbe-

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Abb. B 6: Anordnung zur Erforschung von Lernvorgängen nach pawlow

dingten Reiz) ist evident: Was kurz vor oder während einer Bedürfnisbefriedigung wahrgenommen wird, sollte man sich gut merken, denn es könnte auch künftighin nützlich sein. Genauer: das Tier «lernt» auf Grund von Erfahrung einen neuen auslösenden Reiz für sein Appetenzverhalten (die Nahrungssuche) hinzu; es kommt zu bedingter («konditionierter») Appetenz. (Vgl. iwan petrowitsch pawlow: Sämtliche Werke, IV 14 –26; irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 675– 676; richard f. thompson: Das Gehirn, 375– 377.) So einfach diese klassische Konditionierung sich auch anhört, so schier ins Unbegrenzte läßt sich das Feld ihrer möglichen Anwendung ausdehnen. Die Verknüpfung bestimmter Reize mit dem Appetenzverhalten ist im Grunde der «Trick», mit dem seit alters her Tiere zu allen möglichen Zirkusnummern und Kabinettstückchen dressiert werden: Hunde geben Pfötchen, Delphine «stehen» im Wasser, Affen schlagen Purzelbäume, Tauben ziehen Wagen und drehen Räder – an der Leine des assoziativen Lernens (der Verknüpfung eines bedingten mit einem unbedingten Reiz) läßt sich Tieren offenbar alles beibringen, was in ihrem Verhaltensrepertoire überhaupt nur angelegt ist. Uns Menschen womöglich nicht anders! (Zu Konditionierungen zweiter und höherer Ordnung vgl. niels birbaumer – robert f. schmidt: Biologische Psychologie, 574.) Und pawlow hat nicht nur gezeigt, wie sich durch wiederholte Kopplung von bedingtem und unbedingtem Reiz konditionierte Appetenz erlernen läßt, sondern auch wie auf dem gleichen Wege konditionierte Aversion antrainiert werden kann. (Vgl. iwan petrowitsch pawlow: Sämtliche Werke, IV 35– 39;

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56 –71; irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 676.) Angenommen, eine Vielzahl seelischer Erkrankungen, wie Phobien oder Triebzielinversionen, ließen sich auf ein falsches Lernen – auf Assoziationen von Angst oder Lust mit «unangemessenen» Situationen bzw. Objekten – zurückführen, so sollte es auf Grund der Plastizität des Gehirns möglich sein, nach dem gleichen Muster neue Konditionierungen vorzunehmen. Ein Alkoholiker, dem man unmittelbar nach dem Alkoholgenuß ein Brechmittel (z. B. Apomorphin) einflößt, wird recht schnell Ekel vor seinem einstigen Suchtmittel empfinden. (Vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: A. a. O., 680.) Allerdings: «Wie wir aus häufiger Erfahrung beim Menschen wissen, ist es möglich, die Geschmacksaversion gegen Alkohol . . . zu überwinden, wenn man sich bemüht.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 381) Darüber hinaus gibt es den Vorgang des «Auslöschens» (lat.: der Extinktion) einer bedingten Reaktion: hierzu reicht es aus, wenn ein Tier (oder ein Mensch) oft genug erlebt, daß der bedingte Reiz nicht länger mehr von dem unbedingten Reiz begleitet wird; pawlows Hunde zum Beispiel sonderten keinen Speichelfluß mehr ab, wenn der Glockenton (der bedingte Reiz) über eine gewisse Zeit hin ohne Nahrungsangebot (ohne den unbedingten Reiz) ertönte. (Vgl. Sämtliche Werke, IV 40– 46.) In ähnlicher Weise versuchte man, die Extinktion in die Verhaltenstherapie einzufügen; die sogenannte systematische Desensitivierung oder Desensibilisierung (vgl. joseph wolpe: Praxis der Verhaltenstherapie, 163–180) wird zum Abbau von Ängsten eingesetzt (allerdings gibt es neben der Extinktion auch andere Erklärungsansätze für die systematische Desensitivierung, vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 680). Extinktion ist, wohlgemerkt, keine Form des Vergessens, sondern eine neue Lernerfahrung: «Das Tier lernt . . . nicht nur, daß der bedingte Reiz jetzt nicht mehr ein Vorläufer des unbedingten Reizes ist, sondern darüber hinaus, daß der bedingte Reiz jetzt das Ausbleiben des unbedingten Reizes signalisiert!» (irving kupfermann – eric r. kandel: A. a. O., in: Neurowissenschaften, 676) Entscheidend an dem ursprünglichen Konzept der klassischen Konditionierung war die Annahme, daß die Verknüpfung von bedingtem und unbedingtem Reiz einzig und allein von der Reihenfolge in der Zeit abhinge: nur wenn auf den bedingten Reiz regelmäßig ein unbedingter Reiz folgte (erst der Glockenton, dann die Nahrung), sollte sich die innere Verbindung zwischen beiden Reizen ergeben; die Stärke der Verbindung sollte sich einfach aus der Anzahl der Trainingseinheiten herleiten. Doch diese Auffassung, obwohl jahrzehntelang mit wissenschaftlichem Anspruch verfochten und in der klinischen Praxis welt-

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weit gehandhabt, erwies sich als unzureichend, weil sie einen entscheidenden subjektiven Faktor zu sehr vernachlässigte. Rein zeitlich betrachtet, läßt sich die klassische Konditionierung auch so beschreiben, daß ein Tier durch einen bedingten Reiz in die Erwartung versetzt wird, nach Eintritt desselben werde alsbald der unbedingte Reiz folgen; das Tier lernt damit, etwas Bestimmtes in seiner Welt vorherzusehen; und eben darin, daß etwas Bestimmtes erwartet wird oder eben nicht erwartet wird, ist ein wichtiger Faktor des Lernvorgangs selbst gelegen. Daß die überkommene Auffassung der klassischen Konditionierung unzureichend sein mußte, erkannte im Jahre 1968 leon j. kamin (geb. 1927), als er das Phänomen des Blocking (engl.: to block – blockieren, verhindern) in einem dreiteiligen Experiment entdeckte. Als bedingten Reiz setzte er wiederholt ein Lichtsignal ein und verabreichte seinen Versuchstieren – als unbedingten Reiz – gleich danach einen elektrischen Schlag; erwartungsgemäß faßten die Tiere das Lichtsignal sehr rasch als ein Warnzeichen auf, das sie mit entsprechenden Angstreaktionen beantworteten. Alsdann bot kamin das Lichtsignal immer gleichzeitig mit einem Tonzeichen an und verabreichte den elektrischen Schlag nur noch in dieser Kombination; er wollte sehen, was passieren würde, wenn er den Tieren schließlich allein den Ton vorspielte. Zu seiner Überraschung passierte gar nichts. Der Ton allein löste keine Angstreaktion aus – trotz der Licht-Ton-Kopplung waren die Tiere offenbar auf den Ton allein nicht konditioniert worden. (Vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 677.) Dieses Negativergebnis veranlaßte robert a. rescorla (geb. 1940) dazu, die Frage der neuralen Informationsverarbeitung in die Theorie der klassischen Konditionierung miteinzubeziehen. Nach diesem Modell ist die Stärke der Konditionierung davon abhängig, ob nach Eintritt des bedingten Reizes der unbedingte Reiz erwartet wird oder ob er überraschend auftaucht; kommt der unbedingte Reiz völlig unerwartet, so ist der Lernerfolg am höchsten; je mehr aber der unbedingte Reiz erwartet wird, nimmt das Lernen ab. Die Licht-TonKopplung in kamins Experiment mußte also schon deshalb erfolglos bleiben, weil die Tiere bereits bei dem Lichtsignal mit dem elektrischen Schlag als sicher rechneten; den Ton-Anteil lernten sie nicht mehr als bedeutsam hinzu. Aus dieser Feststellung geht hervor, daß klassische Konditionierung am besten dann funktioniert, «wenn abgesehen von der Verknüpfung von Reizen auch eine gewisse Wahrscheinlichkeitsbeziehung . . . zwischen bedingtem und unbedingtem Reiz besteht . . . Diese Experimente belegen, daß die Versuchstiere nicht einfach die Häufigkeit zählen, mit der Kombinationen zwischen unbedingten und be-

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dingten Reizen auftreten. Es ist offenbar vielmehr so, daß die allgemeine Korrelation oder die voraussagende Beziehung zwischen einem unbedingten Reiz und einem bedingten Reiz vom Tier erfaßt wird.» (irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 677)

β) burrhus f. skinner und die operante Konditionierung Vor allem der amerikanische Psychologe burrhus frederic skinner (1904 – 1990) war es, der psychotherapeutisch und kulturanthropologisch die Folgerung aus dem behavioristischen Ansatz zog. Schon edward lee thorndike (1874 –1949) hatte erkannt, daß nicht nur Reize, sondern auch Verhaltensweisen konditioniert werden können: Rein assoziativ kann gelernt werden, daß das eigene Tun zu wünschenswerten oder zu weniger wünschenswerten Ergebnissen führt. skinner (Die Funktion der Verstärkung in der Verhaltenswissenschaft, 1974) erforschte dieses Phänomen systematisch und erstellte im Rahmen der Verhaltenstherapie Programme zum Erlernen oder Verlernen bestimmter Verhaltensweisen, mit deren Hilfe die Patienten durch Konditionierung lernen sollten, einen Reiz mit einem anderen zu verknüpfen oder ein bestimmtes Verhalten mit Belohnung oder Strafe zu assoziieren. In seinem Buch Walden Two ging skinner sogar so weit, das vollkommene Glück des Menschen, das der radikale Nonkonformist und Individualist henry david thoreau (1817–1862) rund 100 Jahre zuvor in seinem Buch Walden (1854; dt. 1897) als ein naturverbundenes Leben in Blockhütte und Waldeinsamkeit fernab von Zeitung und Zwangsgehorsam geschildert hatte, auf seine Weise zu aktualisieren: Die gesamte Menschheit, meinte skinner, könnte glücklich sein, wenn jeder einzelne durch vernünftige Lernprogramme zu einem günstigen Verhalten konditioniert würde. Doch von solchen Utopien zwischen Traum und Albtraum einmal abgesehen, erscheint die Vorgehensweise der Verhaltenstherapie – neben ihrer praktischen Effizienz – als konzeptionell plausibel. Denn schon Tiere finden heraus, wann ihr Verhalten mit Erfolg belohnt wird und wann gerade nicht: sie lernen nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum; anders ausgedrückt: es kommt zu einer operanten Konditionierung (lat.: operari – tun; Konditionierung durch eigenes Tun), bei der ein bestimmtes Verhalten nach dem Gesetz des Effektes sich mit einer nachfolgenden Erfahrung verbindet, die den Wert einer «Belohnung» oder einer «Strafe» annehmen kann. (Vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 678– 679.) So verabreichte skinner zum Beispiel Tauben, die in einer Reihe von Käfigen eingesperrt waren, alle 15 Sekunden über einen Füt-

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terungsmechanismus eine kleine Portion Körner, egal, wie die Tiere sich verhielten. Nach kurzer Zeit aber führten sich die Tauben sehr sonderbar auf: Eine drehte sich immerzu um die eigene Achse, eine andere spreizte den linken Flügel und das linke Bein, eine dritte streckte den Kopf so hoch wie möglich, kurz, die Tiere benahmen sich so, als ob ihre zufällige Verhaltensweise im Moment der Körnerausgabe diese als Wirkung hervorgebracht hätte; sie faßten die Nahrung als «Belohnung» für ihre Körperhaltung auf und behielten diese zufällige Körperhaltung bei, um weiter den Effekt der Körnerausgabe herbeizuführen. (Vgl. bernhard hassenstein: Lern- und Spielverhalten, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 306.) Nun könnte man meinen, daß klassische und operante Konditionierung sich prinzipiell unterschieden; immerhin werden in dem einen Falle die Reize, die verknüpft werden sollen, dem Tier (passiv) angeboten, im anderen Falle ist die (aktive) Beteiligung des Tieres vonnöten, da eine Beziehung zwischen seinem Verhalten und dem unbedingten Reiz hergestellt werden soll. In Wahrheit aber sind die Gesetze des assoziativen Lernens in beiden Fällen die gleichen. Hier wie dort wird gelernt, gute Erfahrungen zu suchen und schlechte Erfahrungen zu meiden. Beim Lernen aus guten Erfahrungen und aus schlechten Erfahrungen kommt es gleichermaßen zu einer Verknüpfung ursprünglich neutraler Reize oder neutraler Verhaltensweisen mit einem unbedingten Reiz, und diese Verknüpfung führt, je nachdem, im Falle einer guten Erfahrung zu bedingter Appetenz bzw. zu bedingter Aktion oder, im Falle einer schlechten Erfahrung, zu bedingter Aversion bzw. zu bedingter Hemmung des eigenen Verhaltens. (Vgl. bernhard hassenstein: Lern- und Spielverhalten, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 311.) Entscheidend ist, daß in beiden Fällen ein zeitliches Nacheinander den Lerneffekt vermittelt: bei der klassischen Konditionierung geht ein bedingter Reiz (der Glockenton, das Lichtsignal) einem unbedingten Reiz (dem Nahrungsangebot, dem Elektroschock) voraus und läßt auf Grund der assoziativen Kopplung dessen Eintreten mehr und mehr erwarten, ja, als sicher erscheinen; bei der operanten Konditionierung muß das eigene Verhalten (das Spreizen des Flügels) dem unbedingten Reiz (der Futterausgabe) vorausgehen und dessen Eintreten als «Belohnung» (oder in anderen Fällen als «Bestrafung») erscheinen lassen. – Wenn man sich klarmacht, welch eine zentrale Bedeutung in der Psychoanalyse die Lehre von der (unbewußten) Hemmung von Triebimpulsen auf Grund von assoziierten Straferwartungen spielt – sie bildet den Kern der gesamten Neurosenlehre! –, so wird deutlich, wie wichtig diese Ergebnisse der Verhaltensforschung, die aus Experimenten mit Tieren gewonnen wurden, auch für das menschliche Erleben sein werden.

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Doch auch pädagogische Nutzanwendungen ergeben sich aus dem Gesagten. (Vgl. Ulrich Herrmann: Gehirngerechtes Lernen und Lehren, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Das verbesserte Gehirn, 3/2004, 28 –36.) Besteht die Grundform assoziativen Lernens in der Verknüpfung bedingter und unbedingter Reize, so ist klar, daß am besten gelernt und behalten wird, was in Zusammenhang mit dem Erleben von etwas biologisch «Unbedingtem» steht. Kein Wunder, daß wir uns an ein Abendessen vermutlich weit besser erinnern als an das Theaterstück oder den Vortrag, den wir davor besucht haben; ein Augenblick der Angst wird sich uns als «unvergeßlich» einprägen, wohingegen eine Vielzahl entspannter Momente vorüberziehen kann, als wenn es sie nie gegeben hätte. Auch das Lernen in Schule und Hochschule basiert auf der Verknüpfung mit Inhalten und Erfahrungen, die als «unbedingt» wichtig erlebt werden, und es ist diese Nähe zu elementaren Gefühlen, aus welcher ein starkes Lernmotiv sich ergibt. Ist es nicht eine eigentümliche Zeit, in der Neurologen derartige (Binsen)Weisheiten den Pädagogen in Erinnerung rufen müssen, weil diese im Zeichen einer globalisierten Wirtschaftskonkurrenz ihre eigene Menschenkenntnis als Verstoß gegen die «politische Korrektheit» mit dem ihr eigenen Zwang zu rein «rationalem» und rationellem Lernen zu verschweigen gezwungen sind? Und nicht nur das. Auch philosophisch sind die genannten Einsichten über assoziatives Lernen von größtem Interesse. Fragt man nämlich, was für einen biologischen Vorteil Lernvorgänge dieser Art den Tieren im Überlebenskampf eigentlich bieten sollen, so kann die Antwort nur lauten, daß es ihnen auf diese Weise möglich wird, bestimmte Ereignisse vorherzusehen und ihr Verhalten dementsprechend einzurichten. Alle Formen assoziativen Lernens führen dahin, Ereignisfolgen, die miteinander verknüpft sind, von solchen zu unterscheiden, die rein zufälliger Natur sind. «Anders ausgedrückt», schreiben irving kupfermann und eric r. kandel (Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 678), «hat das Gehirn offenbar die Fähigkeit entwickelt, kausale Beziehungen in seiner Umwelt zu erkennen, die sich in miteinander assoziierten oder korrelierenden Ereignissen ausdrücken.» Dieser Hinweis auf die kausale Abfolge von Ereignissen spielt auf eine der philosophiegeschichtlich am meisten umstrittenen Themenstellungen an. Es war – wieder einmal – david hume (1711–1776), der in seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand (engl. 1748) die Frage nach der Herkunft des Begriffs der Kausalität in das Zentrum seiner Erkenntniskritik stellte; die Lösung des Problems ergab sich für ihn rein empirisch, indem, wie er schrieb, «die Vorstellung eines notwendigen Zusammenhanges von Ereignissen

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ihren Ursprung in einer Anzahl ähnlicher Fälle der konstanten Verbindung dieser Ereignisse» besitzt; «ein einzelner dieser Fälle», fuhr er fort, «kann nie diese Vorstellung eingeben . . . Es gibt aber in einer Anzahl von Fällen nichts von jedem einzelnen Fall Verschiedenes, der als völlig gleichartig mit ihnen wahrgenommen wird, außer, daß nach einer Wiederholung ähnlicher Fälle der Geist aus Gewohnheit dazu geführt wird, beim Auftreten des einen Ereignisses dessen übliche Begleiterscheinung zu erwarten und an deren Vorhandensein zu glauben. Diese Verknüpfung also, die wir im Geiste erfahren ( feel), dieser gewohnheitsmäßige Übergang der Einbildungskraft von einem Gegenstand zu seiner üblichen Begleiterscheinung, ist die Empfindung oder der Eindruck, woraus wir die Vorstellung der Kraft oder des notwendigen Zusammenhanges bilden. Das ist alles.» (david hume: A. a. O., 100) Es leidet keinen Zweifel, daß humes Begründung für das Zustandekommen der Vorstellung kausaler Zusammenhänge genau dem entspricht, was wir soeben als assoziatives Lernen beschrieben haben; doch die Folgen dieser Feststellung sind kaum abzusehen. Der Begriff der Kausalität bildet den Kern der gesamten abendländischen Metaphysik; im Namen der Kausalität gaben mittelalterliche Theologen sich sicher, aus dem Dasein der Welt das Dasein Gottes beweisen zu können; die katholische Kirche verpflichtete im sogenannten Antimodernisteneid Papst Pius’ X. von 1910 ihre Kleriker weltweit bis zum Jahre 1967 auf das Bekenntnis zu schwören, Gott könne als «Ursprung und Ziel aller Dinge durch das natürliche Licht des Verstandes . . . durch die sichtbaren Werke der Schöpfung, so wie die Ursache durch die Wirkungen, mit Sicherheit erkannt, ja, sogar auch bewiesen werden». (denzinger – schönmetzer: Enchiridion, Nr. 3538) Es ist aber klar, daß ein solches Dogma unter den «lernpsychologischen» Voraussetzungen der humeschen Erkenntniskritik hinfällig werden muß, kommt doch der Kategorie der Kausalität, wenn es so steht, nur eine subjektive, keine objektive Bedeutung zu. Anders gesagt, man kann (psychologisch!) gewiß verstehen, daß und warum (im Erbe der Tierreihe) der menschliche Geist sich die Vorstellung einer Kausalität bildet und daß und warum er durch diese Vorstellung dahin gedrängt wird, schließlich hinter der Welt der Erscheinungen eine oberste göttliche Ursache aller Dinge anzunehmen, doch besagt ein solcher «Vernunftbeweis» offenbar weit mehr über die Eigenart des menschlichen Denkens als über die Existenz eines Höchsten Wesens. Selbst immanuel kants (1724 –1804) Rechtfertigung der Kausalität als einer Kategorie, die vor aller Erfahrung («apriori») dem menschlichen Denken innewohne, indem sie die Datenflut der sinnlichen Wahrnehmung ordne und allererst unter die Einheit des Begriffs bringe, konnte lediglich die Gültigkeit

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des Kausalitätsprinzips für das Insgesamt der empirischen Phänomene begründen – eine Erkennbarkeit Gottes schloß der transzendentale Idealismus des Königsberger Philosophen ausdrücklich aus. Dafür freilich läßt sich kants Standpunkt in gewissem Sinne mit der modernen Hirnforschung in Übereinstimmung bringen; denn wäre die Befähigung zu assoziativem Lernen und mithin zu kausalem Denken keine Eigenschaft des menschlichen Gehirns (des «transzendentalen Subjekts» in der Sprache kants), so würde die Welt unserer Wahrnehmung uns gewiß nicht als nach kausalen Gesetzen geordnet erscheinen; auch die Naturwissenschaften fielen dahin. Überhaupt aber scheint Vorsicht beim Gebrauch der Kategorie der Kausalität angebracht. Ergibt dieser Begriff sich wirklich, wie hume im Vorgriff auf die moderne Lernpsychologie meinte, aus der Assoziation regelmäßig eintretender Erfahrungen, so ermöglicht eine gewisse Vorhersagbarkeit von Ereignissen zwar eine bessere Anpassung des Verhaltens an die Wirklichkeit, doch bringt sie auch die Gefahr von Täuschungen aller Art mit sich herauf. skinner, als er seine Tauben betrachtete, wie sie mit grotesken Körperhaltungen Futter beschaffen zu können meinten, fühlte sich an abergläubige Menschen erinnert, und in der Tat: ganze Bereiche religiöser Riten und Anschauungen scheinen auf irrtümliche Kausalverknüpfungen zwischen einer Belohnung (einem unbedingten Reiz, der Erfüllung eines unbedingten Bedürfnisses) und einem rituellen Verhalten zurückgeführt werden zu können. Menschen haben Angst vor bestimmten Ereignissen – es ist ihr unbedingtes Verlangen, einer tödlichen Gefahr zu entkommen; und nun scheint ihnen diese Aussicht gewährleistet, wenn sie an ein bestimmtes Verhalten geknüpft wird: an ein Gebet, ein Opfer, eine Wallfahrt –, was auch immer man bereits als eine «wirksame» Kopplung selber erfahren oder aus der Tradition übernommen hat. Und umgekehrt: Menschen haben etwas Furchtbares erlebt und fragen sich, womit sie das «verdient» haben; der Schicksalsschlag kommt ihnen vor wie die Zufügung eines Gottes, der sie wegen begangener Schuld heimsucht. Lebewesen, die – nach dem «Lustprinzip» in der Diktion sigmund freuds – als «erfolgreich» ein Verhalten lernen müssen, das sich durch einen wohligen Zustand belohnt, werden ein Verhalten als «falsch» bewerten, auf das in zeitlichem Zusammenhang ein Unheil folgt, so als hätten sie es durch ihr Betragen allererst selbst verursacht. Der Begründer der Soziologie wie des Positivismus, auguste comte (1798 –1857), zog daraus den Schluß, daß die Religion überhaupt nur eine Vorform des Vernunftgebrauchs darstelle, die sich über die Zeitalter des Fetischismus, des Polytheismus und des Monotheismus erst um den Preis ihrer Selbstauflösung zum wissenschaftlichen Denken habe entwickeln müssen. (Die Soziologie, Kap. 9 –

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11, S. 167– 267) Womöglich stellt das ganze Denken in Lohn und Strafe ein archaisches Relikt aus den Anfangstagen des «Geistes» dar. Indes – Neurologen sind weder Psychologen noch Pädagogen noch Philosophen. Psychologen können beschreiben, wie Lernvorgänge ablaufen, Pädagogen sollten Verfahren daraus entwickeln können, um das Lernen leicht und das Lehren «effizient» zu gestalten, Philosophen mögen überlegen, was sich für das Denken des Menschen daraus ergibt, – Neurologen hingegen müssen untersuchen, warum Lernen möglich ist: Welche neuronalen Prozesse erlauben es, Informationen dauerhaft miteinander zu verknüpfen, und wo im Gehirn sind die Strukturen, in denen diese Prozesse stattfinden?

c) Explizites Gedächtnis α) Die Vorgänge im Hippocampus Wo im Gehirn Gedächtnisfunktionen sich lokalisieren lassen, blieb den Hirnforschern lange Zeit ein Rätsel; trotz der Entdeckung von pierre paul broca aus dem Jahre 1861 über die Bedeutung des hinteren Teils des linken Frontallappens für das menschliche Sprachvermögen setzte sich vielmehr die Überzeugung durch, das Gedächtnis sei das Ergebnis einer Gemeinschaftsleistung des gesamten Isocortex. Diese Einstellung änderte sich erst wieder, als in den 40er Jahren des 20. Jhs. wilder graves penfield (1891–1976) es sich zur Gewohnheit machte, vor einer Operation lokaler Epilepsieherde den Cortex seiner Patienten mit Sonden abzutasten und sich von ihnen erzählen zu lassen, woran sie gerade dächten. Bei den mehr als 1000 Patienten, die penfield auf diese Weise untersuchte, entdeckte er, daß bei 8% der Reizversuche am Temporallappen die Betroffenen in Form plötzlicher Rückblenden zusammenhängende Erinnerungen an vergangene Begebenheiten schilderten. Doch war dieses Ergebnis an sich noch kein Beweis für eine spezielle Beteiligung des inferioren Temporallappens am Langzeitgedächtnis; denn da penfields Patienten ausnahmslos Epilepsieherde im Temporallappen aufwiesen, bestand auch die Möglichkeit, daß diese Herde die Erinnerungen auslösten. (Vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 668– 669.) Um die Frage zu klären, versuchte penfields Mitarbeiterin brenda milner (geb. 1918) in den 50er Jahren herauszufinden, welche Wirkungen die operative Entfernung speziell des Hippocampus und der benachbarten Strukturen in beiden Temporallappen bei Patienten mit Temporallappenepilepsie hervor-

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rief. Einer der Fälle, die sie untersuchte, war die uns schon bekannte Geschichte von Henry M., dem nach über 10 Jahren schwerer epileptischer Anfälle beidseitig der mediale Bereich des Temporallappens – Teile des Hippocampus und des Gyrus parahippocampalis (einschließlich der Area entorhinalis) – entfernt worden war. Die Anfälle ließen bei dem damals 27jährigen Fließbandarbeiter auf Grund der Operation merklich nach; dafür aber litt er fortan an einer anterograden Amnesie (lat./griech.: an einem nach vorne gerichteten Gedächtnisverlust): er vermochte sich zwar an Ereignisse und Daten vor seiner Operation zu erinnern, doch war er unfähig, neue Inhalte in sein Langzeitgedächtnis aufzunehmen. Dabei war sein Kurzzeitgedächtnis nach wie vor voll funktionsfähig, nur war alles, was Henry M. aufnahm, nach höchstens einer Minute wieder verschwunden. Das heißt, nicht alles. Motorische Fähigkeiten, zum Beispiel die Umrisse eines Sterns nachzuzeichnen, den er nur im Spiegel sehen konnte, sowie verschiedene Inhalte einfachen, reflexartigen Lernens konnte Henry M. ebenso erwerben wie Patienten ohne beidseitige Läsionen der Temporallappen. (Zum Fall von Henry M. vgl. hans-joachim markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur, 27– 30; 110–113; ders. – sabine borsutzky: Gedächtnis und Hippocampus des Menschen, in: C. G. Lipinski – D. F. Braus: Hippocampus, 73 –75.) Das reflexartige Lernen – all das, was wir gerade als Habituation, Sensitivierung, als klassische und operante Konditionierung beschrieben haben –, hat in seinen Formen eines gemeinsam: es braucht, um zustande zu kommen, keiner bewußten Erinnerung; es handelt sich um ein implizites Lernen auf der Basis verschiedener Wahrnehmungs- und Reflexbahnen. Gestört durch eine bilaterale Läsion der Temporallappen wird also «nur» das explizite Gedächtnis, auf dessen Inhalte, im Gegensatz zum impliziten Gedächtnis, bewußt zurückgegriffen werden kann; genauer: gestört wird durch Verletzungen des medialen Temporallappens die Abspeicherung neuer Informationen. (Vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 669– 672.) Dieser Tatbestand ließ eine wichtige Schlußfolgerung zu. Es muß in den medialen Temporallappen (im Hippocampus, im entorhinalen Cortex, über den ein Hauptteil des Inputs an den Hippocampus verläuft, im Subiculum, in das ein Großteil der hippocampalen Projektionen führt, sowie im parahippocampalen Cortex) ein ausgedehntes Gedächtnissystem existieren, das freilich nicht selber als Langzeitgedächtnis-Speicher in Frage kommt, sondern die Informationen, die auf Dauer gespeichert werden sollen, in den Cortex überträgt. (Vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 672.)

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So hörten wir schon, daß die Sinnesinformationen zum Beispiel zum Erkennen einer erhobenen Hand oder eines Gesichts in einem speziellen visuellen Feld (VTE) im inferior-temporalen Cortex bearbeitet werden. Man nimmt an, daß gleichzeitig visuelle Informationen dieser Art aus den Sehzentren in den entorhinalen Cortex übertragen werden und von dort in den Hippocampus; der Hippocampus und die mit ihm verbundenen Bereiche des Temporallappens verarbeiten anschließend diese Informationen weiter und speichern sie vermutlich einige Wochen und Monate lang, um sie dann in den für die Wiedererkennung der erhobenen Hand oder des Gesichts zuständigen Bereich des Cortex zur Langzeitspeicherung rückzuübertragen. (Vgl. irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 672 –673.) So jedenfalls lautet eine Hypothese. Es kann allerdings auch sein, daß der Hippocampus überhaupt keine Speicherung von Informationen vornimmt, sondern nur die Speicherung derjenigen Informationen, die im inferior-temporalen Cortex verarbeitet werden, an andere Stellen des Gehirns vermittelt; in diesem Konzept wäre der Hippocampus nur der Trainer des Cortex. Insgesamt scheint es, als sei «die Frage nach einer hippocampal-neocorticalen Interaktion bei der Gedächtnisverarbeitung verkürzt gestellt, da die Interaktion gleichzeitig auch eine Reihe weiterer Strukturen mit betrifft». (hans-joachim markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur, 112) Doch so oder so: «Der Hippocampus ist . . . entweder ein Zwischenlager des Langzeitgedächtnisses oder ein Hilfssystem, das für die Abspeicherung von Informationen in anderen Bereichen des Gehirns notwendig ist.» (irving kupfermann – eric r. kandel: Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 673) In jedem Falle läßt sich sagen, daß der «Hippocampus und das Cerebellum . . . eine entscheidende Rolle für explizite beziehungsweise implizite Erinnerungen» spielen. «Eine zukünftige Aufgabe (sc. aber, d. V.) besteht darin, festzustellen, in welchem Ausmaß diese Strukturen die physische Repräsentation von Erinnerungen abspeichern, und bis zu welchem Grad sie für die Speicherung oder den Abruf von Erinnerungen an anderen Stellen des Gehirns notwendig sind.» (irving kupfermann – eric r. kandel: A. a. O., 683) Um herauszufinden, was im Hippocampus bei der Langzeitspeicherung expliziter Gedächtnisinhalte vor sich geht, müssen wir wieder auf die unterste Beschreibungsebene zurückkehren und – neben den Anatomen – die Hirnphysiologen und Molekularbiologen um Auskunft bitten. Die sagen uns, daß sich im Hippocampus in der Tat Neuronen finden, die plastisch genug sind, um explizite Erinnerungen zu ermöglichen. Wie Abb. B 7 zeigt, besitzt der Hippocampus drei afferente Verbindungs-

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Abb. B 7: Die drei neuronalen Bahnen des Hippocampus

wege vom entorhinalen Cortex bis letztlich zur CA 1-Region (CA steht für das Cornu ammonis, lat.: das Ammonshorn); im einzelnen: zuerst vom entorhinalen Cortex über den Tractus perforans (lat.: die durchbrechende – innerlich führende – Nervenfaser) zu den Körnerzellen im Gyrus dentatus (lat.: der gezähnten Windung) (1). Die Axone dieser Körnerzellen – die Moosfasern – ziehen anschließend zu den Pyramidenzellen in der CA 3-Region des Hippocampus (2). Von dort wiederum führen erregende Axonkollateralen – die sogenannten schaffer-Kollateralen (nach karl schaffer, 1864 –1939) – zu den Pyramidenzellen in der CA 1-Region (3). Die Axone der CA 1-Zellen ziehen ihrerseits zum Subiculum; von dort gelangen die Signale zurück in den entorhinalen Cortex. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 699; john p. j. pinel: Biopsychologie, 439 –440.) Nun zeigt sich, daß eine kurze, hochfrequente Salve von Impulsen, die auf eines der drei Axonbündel gegeben wird, die exzitatorischen postsynaptischen Potentiale (die EPSPs) der Hippocampusneuronen für mehrere Stunden, Tage und Wochen erhöht: es kommt zu einer Langzeitpotenzierung (engl.: longterm potentiation, LTP), allerdings in den drei neuronalen Bahnen auf unterschiedliche Weise. In den schaffer-Kollateralen läßt LTP sich erzeugen bei gleichzeitiger Aktivierung mehrerer afferenter Fasern – mit der Folge einer assoziativen Wirkung ähnlich der einer klassischen Konditionierung. Daß zur Erzeugung einer Langzeitpotenzierung das präsynaptische Neuron simultan

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mit dem postsynaptischen Neuron erregt werden muß, ist eine unmittelbare Bestätigung der hebbschen Regel, die wir soeben kennengelernt haben; doch warum ist ein gleichzeitiges Feuern der prä- wie der postsynaptischen Nervenzelle für den Aufbau einer LTP unerläßlich? Um das zu verstehen, müssen wir uns – wie bereits angekündigt – etwas genauer mit den NMDA-Rezeptoren und den Non-NMDA-Rezeptoren beschäftigen, von denen wir schon wissen, daß es sich um glutamaterge Rezeptoren handelt, also um solche, die Glutamat als Neurotransmitter benutzen. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 699–700.) NMDA steht für N-Methyl-D-aspartat; von NMDA-Rezeptoren spricht man, weil N-Methyl-D-aspartat (NMDA), das normalerweise im Nervensystem nicht vorkommt, aktivierend an diesen Rezeptoren wirkt und somit zu deren Nachweis dient; die Non-NMDA-Rezeptoren, zu deren Identifizierung die Stoffe AMPA, Quisqualat und Kainat eingesetzt werden, sind uns bereits unter den Namen AMPA-Rezeptoren (α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4isoxazolpropionsäure) und Quisqualat-Kainat-Rezeptoren (QK-Rezeptoren) bekannt. Sowohl die NMDA-Rezeptoren als auch die Non-NMDA-Rezeptoren sind Glutamatrezeptoren, doch mit einem wichtigen Unterschied. Der NMDA-Rezeptor ist ein unspezifischer Kationenkanal, – er ist permeabel für Ca2+-, K+- und Na+-Ionen; zudem weist er Bindungsstellen für Glycin, Zink, Phencyclidin (PCP – «Engelsstaub» –, eine halluzinogene Droge) und Mg2+Ionen auf, welche die Funktion des Kanals verändern; so blockieren Mg2+Ionen zum Beispiel die NMDA-Kanäle im Ruhezustand. Die Non-NMDARezeptoren hingegen binden die Glutamat-Agonisten AMPA, Quisqualat und Kainat – daher ihr Name –, und sie bilden einen Kationenkanal, der für Na+und K+-Ionen, meist aber nicht für Ca2+-Ionen permeabel ist. (Vgl. eric r. kandel: Synaptische Integration, in: Neurowissenschaften, 236.) Die schaffer-Kollateralen nun, die von der Hippocampus-Region CA 3 zu den Pyramidenzellen in CA 1 ziehen, sind glutamaterg; das von ihnen als Transmitter freigesetzte Glutamat bindet an sich sowohl an NMDA-Rezeptoren als auch an Non-NMDA-Rezeptoren, doch sind, wie gesagt, die NMDA-Rezeptoren im Ruhezustand durch Magnesiumionen (Mg2+) blockiert, so daß erst einmal nur die Non-NMDA-Kanäle sich öffnen; und dieser Umstand ist entscheidend. Denn nur wenn die postsynaptische Zelle gleichzeitig von weiteren Aktionspotentialen vieler präsynaptischer Neuronen depolarisiert wird, lösen sich die Mg2+-Ionen vom Eingang der NMDA-Kanäle, die damit dem Einstrom von Ca2+- und Na+-Ionen offenstehen; ersterer bewirkt schließlich über die Aktivierung calciumabhängiger Kinasen (zum Beispiel der Ca2+/Calmodu-

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linabhängigen Proteinkinase) die Langzeitpotenzierung. Der NMDA-Rezeptorkanal ist mithin doppelt gesteuert: er tritt in Funktion nur, wenn Glutamat an den Rezeptor bindet und wenn gleichzeitig die Membran depolarisiert wird. Von daher sind NMDA-Rezeptoren molekulare Koinzidenzdetektoren und die eigentlichen neuronalen Träger assoziativen Lernens. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 699 –703.) Wichtig für die Erzeugung einer Langzeitpotenzierung ist der Umstand, daß der Calciumionen-Einstrom in den postsynaptischen dendritischen Dornen die Synthese von Stickstoffmonoxid (NO) bewirkt. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 701– 703.) «Stickstoffmonoxid ist eigentlich als giftiges Gas bekannt, und bis vor wenigen Jahren hätte man es kaum für möglich gehalten, daß es im Gehirn nicht nur vorkommt, sondern ganz offensichtlich eine wesentliche Rolle bei Lernvorgängen spielt. Es wurde daher im Jahr 1992 zum Molekül des Jahres ernannt.» (manfred spitzer: Geist im Netz, 50) Man möchte meinen: zu Recht! Denn Stickstoffmonoxid diffundiert, genauso wie Kohlenstoffmonoxid (CO), vom Neuron zum synaptischen Endknopf, und beide, NO wie CO, führen präsynaptisch zu einer verstärkten Freisetzung von Glutamat; eben das bewirkt die Aufrechterhaltung einer Langzeitpotenzierung. NO und CO sind mithin retrograde Boten, welche die Impulsübertragung entscheidend verbessern und verlängern. (Vgl. manfred spitzer: A. a. O., 48– 51; harvey lodish u. a.: Molekulare Zellbiologie, 1010–1011; eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 701–703.) Abb. B 8 zeigt schematisch die Funktionsweise der beiden Typen von Glutamatrezeptoren. Die Langzeitpotenzierung in der CA 1-Region des Hippocampus verwendet also zwei assoziative Mechanismen: die gleichzeitige Aktivierung (entsprechend der hebbschen Regel) und die aktivitätsabhängige präsynaptische Verstärkung. Der Vorteil der Hintereinanderschaltung der beiden assoziativen Mechanismen liegt allem Anschein nach in der lokalen Verstärkung des Signals. Denn die Reichweite der Diffusion von NO und CO beträgt zwischen einigen 10 und einigen 100 Mikrometern; sie können dadurch auch zu benachbarten Synapsen gelangen und dort ebenfalls, wenn auch abgeschwächt, die Transmitterfreisetzung erhöhen. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 701; 704; manfred spitzer: Geist im Netz, 50.) Versuche mit Ratten sprechen dafür, daß die NMDA-Rezeptoren im Hippocampus und die Langzeitpotenzierung wahrscheinlich auch am räumlichen

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Abb. B 8: Die Funktionsweise der beiden Typen von Glutamatrezeptoren (NMDA- und Non-NMDA-Rezeptoren)

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Lernen mit beteiligt sind. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in Neurowissenschaften, 704.) Da man die Langzeitpotenzierung (LTP) zunächst nur im Hippocampus nachzuweisen vermochte, glaubte man, es handele sich bei ihr um ein Phänomen, das auf den medialen Temporallappen beschränkt sei; doch fand man LTP inzwischen auch in anderen Bereichen des Gehirns und der Großhirnrinde. Tatsächlich verwenden mehr als die Hälfte der Neuronen des Isocortex Glutamat als Neurotransmitter für NMDA- und Non-NMDA-Rezeptoren. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 704.) Allerdings läßt sich LTP auch ohne NMDA-Rezeptoren und ohne Ca2+Einstrom in die postsynaptische Zelle erzeugen. Ein Beispiel dafür liefert – sozusagen gleich nebenan – die CA 3-Region des Hippocampus. Auch dort verwenden die Neuronen Glutamat als exzitatorischen Transmitter, doch spielen NMDA-Rezeptoren nur eine geringe Rolle; die Potenzierung dort ist denn auch nicht-assoziativ: die Eingangsinformation muß nicht mit einem anderen afferenten Signal gekoppelt sein, und sie ist auch nicht auf die Depolarisierung der postsynaptischen Zelle angewiesen. Zu LTP kommt es offenbar einfach dadurch, daß der präsynaptische Einstrom von Calciumionen, ausgelöst durch eine Salve schnell folgender Reizimpulse, seinerseits eine Ca2+/Calmodulin-abhängige Adenylatcyclase aktiviert, die ihrerseits die Konzentration von cAMP erhöht; dadurch wird eine cAMP-abhängige Proteinkinase aktiviert – lauter Vorgänge, die wir vorhin schon bei den sensorischen Neuronen der Meeresschnecke Aplysia kennengelernt haben. (Vgl. eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 704–705.) Was es aus diesem Befund zu lernen gilt, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Wir sehen, daß Lernvorgänge – eine Grundvoraussetzung geistiger Tätigkeiten – nicht an die Komplexität eines neuronalen Netzwerks gebunden sind, sondern sich aus elementaren zellulären Vorgängen ergeben. Sowohl die aktivitätsabhängige präsynaptische Verstärkung als auch die assoziative Langzeitpotenzierung ergibt sich aus der Wirkungsweise besonderer Proteine wie der Adenylatcyclase und des NMDA-Rezeptors, die auf zwei voneinander unabhängige Signale reagieren können. Ja, indem im Hippocampus ebenso wie bei Aplysia assoziative Formen synaptischer Plastizität auch mit nicht-assoziativen neuronalen Prozessen verknüpft sein können, scheint es nicht ausgeschlossen, daß so etwas wie ein molekulares Alphabet für synaptische Plastizität – für Lernen also – existiert. Jedenfalls gibt es in der CA 1- ebenso wie in der CA 3-Region des Hippocampus die genannten Hinweise auf eine späte LTP-Phase, die

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offenbar auf der Aktivierung cAMP-induzierbarer Gene basiert, ähnlich wie im Fall von Aplysia. «Obwohl bei impliziten und expliziten Formen des Lernens also unterschiedliche Mechanismen für die Kurzzeitspeicherung verwendet werden, scheint beiden Lernformen bei der Langzeitspeicherung eine begrenzte Zahl an Mechanismen gemeinsam zu sein». (eric r. kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 705) Und diese Mechanismen, muß man hinzufügen, sind wesentlich das Resultat neurobiologischer Vorgänge. Eine Frage bleibt, «wie . . . die Potenzierung und die Modifikation von Synapsen in weiter verzweigten Netzen» funktioniert, «die sich zudem noch auf ganz unterschiedliche Hirnareale erstrecken». Anscheinend hilft das Protein Syntaxin bei der Exocytose von Neurotransmittern und übernimmt damit die Rolle eines molekularen Schalters beim Aufbau des Gedächtnisses. Syntaxin wird in der gezähnten Windung (im Gyrus dentatus) des Hippocampus synthetisiert. «Wird in der gezähnten Windung des Hippocampus eine Langzeitpotenzierung ausgelöst, steigt die Produktion von Syntaxin in den nachgeschalteten Neuronen für einige Stunden an . . . Das Protein wird bis ans Ende der Nervenfasern dieser Neuronen transportiert, das in einer anderen Region des Hippocampus liegt. Hier verstärkt das Syntaxin die Freisetzung von Glutamat, das auch in dieser Hirnregion synaptische Plastizität anzeigt. So pflanzen sich Modifikationen vom Hippocampus aus ‹transsynaptisch› von Verschaltung zu Verschaltung fort und induzieren mit Hilfe eines genetischen Steuermechanismus selbst in weiter entfernten Arealen plastische Veränderungen der Synapsen.» Gedächtnisleistungen steigen also proportional zur Aktivität des Syntaxin-Gens. (serge laroche: Vom flüchtigen Signal zur stabilen Erinnerung, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/ 2003, 25) Wie fundamental diese Prozesse für all das sind, was wir später als «Geist» bezeichnen, wird deutlich, wenn wir uns das Spektrum psychischer Aktivitäten gewissermaßen einmal vom Anfang und einmal vom Ende her betrachten. So konnten hitoshi komuro und pasko rakic (Modulation of neuronal migration by NMDA receptors, Science, 260/1993, 95– 97) die NMDA-Rezeptoren mit jenen neuronalen Wanderungsvorgängen in Verbindung bringen, die wir vorhin bei der embryonalen Entwicklung des Gehirns kennengelernt haben. Es scheint hierin im übrigen der eigentliche Grund zu bestehen, warum zum Beispiel Alkoholabusus bei Schwangeren sich derart schädigend auf die zerebrale Reifung ihres Kindes auswirkt: Alkohol hemmt die NMDA-Rezeptoren und stört die neuronalen Wanderwege. (Vgl. david m. lovinger u. a.: Ethanol

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inhibits NMDA-activated ion current in hippocampal neurons, in: Science, 243/ 1989, 1721–1724.) Der Aufbau des neuronalen Netzes wird durch die Alkoholabhängigkeit der Mutter bereits auf der untersten Stufe irritiert. Auch postnatal (lat.: nachgeburtlich) geht die frühkindliche Gehirnentwicklung bekanntlich intensiv weiter, indem die Expression der NMDA-Rezeptoren sich verändert (vgl. gabriele nase u. a.: Genetic and epigenetic regulation of NMDA receptor expression in the rat visual cortex, in: European Journal of Neuroscience, 11/ 1999, 4320 –4326); desgleichen entwickeln sich postnatal die Rezeptoren, die durch den hemmenden Neurotransmitter GABA aktiviert werden. Beide Vorgänge bedeuten, daß das Gehirn höherer Säugetiere – von Ratten wie von Menschen – noch lange nach der Geburt sich intensiv weiterentwickelt, und diese Weiterentwicklung ist mit einer Vielzahl neuronaler Verschaltungen, also mit Lernprozessen verbunden, die für das ganze weitere Leben prägend bleiben werden. Ganz wie die Psychoanalyse es vor rund 100 Jahren bereits betont hat, ist es die Art dieser frühkindlichen Erfahrungen und Lerninhalte, die sich nicht nur dem Gedächtnis zutiefst einprägt, sondern die auch den Hintergrund der späteren Erlebnis- und Verhaltensbereitschaften bildet. Wenn wir auf die Fragen psychosomatischer, psychoneurotischer und psychotischer Erkrankungen zu sprechen kommen, werden wir dieser Tatsache in ihrer Bedeutung kaum genug Rechnung tragen können. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 22 –24.) Vom anderen Ende her betrachtet, brauchen wir uns nur noch einmal an die somatotope (griech.: das sõma – Körper, der tópos – Ort; die Körper-Orts-) Karte zu erinnern, in welcher unsere Körperwahrnehmung repräsentiert ist, um das Ergebnis neuronaler Plastizität im somatosensorischen Cortex (in den Feldern 1, 2, 3a und 3b des Gyrus postcentralis, lat.: der Windung hinter der Zentralfurche) vor Augen gestellt zu sehen. Ähnlich dem Aufbau der Augendominanzsäulen, sind auch diese Karten durch Lernerfahrungen angelegt worden, und sie bleiben, wie wir hörten, durch neue Lernerfahrungen (durch Gebrauch oder Nicht-Gebrauch) in ihrer Architektur dynamisch veränderbar. Zweifellos ist es nun als erstes die Selbstwahrnehmung unseres Körpers, die den Eindruck der Abgrenzung von Innen und Außen, von Ich und Nicht-Ich, von Ich-zugehörig und Ich-fremd vermittelt. Mit anderen Worten: Die Beschäftigung mit den Vorgängen neuronaler Plastizität führt uns unmittelbar zu den Grundlagen dessen, was wir als «Körperich» bezeichnen. Unser Körper bildet gewiß auch die früheste Form des Erlebens von Kontinuität in der Zeit und von Identität im Raum; schon in der Philosophie des Mittelalters betrachtete man – im Erbe der Lehre des aristoteles vom «Hylemorphismus», von

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der substantiellen Zusammengesetztheit aller Dinge aus einem gestaltgebenden geistigen Prinzip (griech.: die «morphe¯») und einem amorphen materiellen Stoff (griech.: die «hýle¯») – den Körper gegenüber der allen Menschen gemeinsamen Geistnatur als das principium individuationis (lat.: als das individuierende Prinzip). Doch nicht nur, daß da ein Körper als der meine dem eigenen Ich zugeschrieben wird, auch die Art, wie ich diesen Körper als den meinen erlebe, ergibt sich aus den Lernprozessen vornehmlich schon der frühen Kindheit. Wir werden noch sehen, wie stark bestimmte Erfahrungen insbesondere des Körperkontaktes in den ersten Lebensmonaten sich in den Gefühlen von Fremdheit, Angst und Einsamkeit auswirken können. Zur Identität der Person gehört vor allem auch eine gewisse Kohärenz der im Langzeitgedächtnis niedergelegten Erinnerungsinhalte: – sie müssen als etwas biographisch Zusammenhängendes erzählbar sein. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Sprache; und sie offenbart die Möglichkeiten assoziativen Lernens auf Grund der neuronalen Plastizität der Synapsen unstreitig in ihrer höchsten Vollendung. Wie aber sind zum Beispiel (im wernickeschen Zentrum) die Wortspeicher angelegt, die wir zum Sprechen benötigen? Man könnte meinen, sie müßten «praktischerweise» lexikonähnlich nach begrifflichen Zuordnungen gegliedert sein. Doch eine solche Annahme würde das Letzte in der Reihe der Entwicklung: die Bedeutung bestimmter Lautgebilde, an den Anfang der Speicherungsprozesse setzen, von denen wir gerade hörten, daß sie wesentlich auf assoziativen Mechanismen beruhen. Tatsächlich besitzt die Organisationsform des semantischen (griech.: des bedeutungstragenden) Gedächtnisses denn auch, wie nicht anders zu erwarten, die Struktur eines assoziativen Netzwerkes. Daß es sich so verhält, hat jeder gewiß selbst schon erlebt, wenn sich ihm der Zugriff auf ein bestimmtes Wort («das kenn’ ich doch genau, aber es fällt mir jetzt nicht ein») nicht eröffnen wollte; doch dann plötzlich genügte ein Laut am Wortanfang oder ein bestimmter Vergleich mit einem anderen Begriff oder die Erinnerung an eine bestimmte Szene, und der gesamte miterinnerte assoziative Kontext lieferte auch das gesuchte Wort. Wissenschaftlich erforscht wurde dieses Phänomen zuerst von francis galton (1822 –1911), der mit Hilfe einer Liste von Wörtern Assoziationstests durchführte. «Wahrscheinlich der stärkste Eindruck, den diese Experimente hinterlassen,» schrieb galton (Psychometric experiments, in: Brain, 2/1879, S. 162), «betrifft die Mannigfaltigkeit der Arbeit des Geistes in einem Zustand der Halb-Unbewußtheit. Sie liefern . . . guten Grund zur Annahme noch tieferer Schichten geistiger Tätigkeiten, die völlig unter die bewußte Ebene geistiger Leistungen gesunken sind, die möglicher-

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weise für diejenigen geistigen Phänomene verantwortlich sind, die wir anders nicht erklären können.» (Zit. n. manfred spitzer: Geist im Netz, 235– 236.) Es ist leicht zu sehen, daß von solchen Einsichten aus ein gerader Weg zur Technik der freien Assoziation führt, die wir im Rahmen der psychoanalytischen Traumtheorie sigmund freuds später noch kurz vorstellen werden. Weniger bekannt sind demgegenüber die Forschungsarbeiten, die gustav aschaffenburg (1866 –1944) als Assistent von emil kraepelin vornahm, um zu untersuchen, welch eine Wirkung Ermüdung auf unser Denken ausübt. Auch aschaffenburg arbeitete mit Assoziationsexperimenten, und bezeichnenderweise entdeckte er in seinen «Nachtversuchen» «die Verschlechterung in der Qualität der gebildeten Vorstellungen. An die Stelle des begrifflichen Zusammenhangs (sc. zum Beispiel: heiß – kalt, d. V.) tritt die lockere Verknüpfung nach dem Klange des Reizwortes (sc. zum Beispiel: heiß – weiß, d. V.), dessen Bedeutung für die angereihte Reaktion ganz gleichgültig ist.» (Experimentelle Studien über Assoziationen II, in: E. Kraepelin: Psychologische Arbeiten II, Leipzig 1899, 1–83, S. 48) Ermüdung (oder Drogeneinfluß oder Erregung des Gemüts) führt also zu einer Schwächung des begrifflichen Einflusses beziehungsweise zu einer Stärkung einfacherer Denkformen – des «Primärprozesses» in der Sprache freuds. Daß diese Tatsache nicht nur einen Verlust an intellektueller Klarheit bedeuten muß, sondern unter Umständen auch einen künstlerisch-kreativen Gewinn mit sich bringen kann, fand aschaffenburg auf Grund der Neigung seiner Probanden im Zustand geminderter Wachheit zu Klangassoziationen und zum Reimen. Insbesondere carl gustav jung (1875 –1961, Experimentelle Untersuchungen, Werke, II 432) formulierte anhand ausgedehnter eigener Experimente im Jahre 1906 so etwas wie ein frühes tiefenpsychologisches Credo, als er das Ergebnis seiner Assoziationsforschungen als einen Beweis zugunsten des psychischen Determinismus wertete und gegen die Ansicht verteidigte, «der Mensch sei fähig, vor dem Willensakt unter den verschiedenen Motiven des Willens passende Auslese zu halten. Liest», machte jung geltend, «der Mensch auch aus unter den Motiven der Motive und unter den Großvätern und Urgroßvätern der Motive? und was macht er mit den Motiven, die ihm nicht zum Bewußtsein kommen? Oder tauchen wohl die Motive aus der Transzendentalen Welt auf als ein unbegreiflicher Schöpferakt? Wenn der Mensch unter den Motiven seines Willens auslesen wollte, so müßte er vor jeder Handbewegung zuerst ein paar Jahre damit zubringen, um die ganze Reihe der vorausgehenden Motive bis in die Nebel der Kindheit hinab zu verfolgen und zu überlegen, und würde doch nie damit fertig. Er wäre immer wieder in seinen Motiven angewiesen auf die Resultate aller

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vorausgehender Motive oder Assoziationen, wie wir uns deutlicher ausdrükken wollen.» Eine Konsequenz, die sich bereits in diesen Worten carl gustav jungs für unsere Frage nach der «Person» des Menschen ergibt, ist der offenbar wirklich nur assoziative Zusammenhang, mit dem wir unsere eigene Biographie erinnern. Selbst wer – wie zum Beispiel john carew eccles – im Sinne einer dualistischen Auffassung des Psychischen darauf besteht, es müsse eine Geistseele geben, die sich materieller (neurologischer) Prozesse bediene, ohne von ihnen abhängig zu sein, wird doch zugeben müssen, daß auch eine abstrakt gesetzte Personalität sich nur durch das Material ihrer biographischen Erinnerungen konkretisieren kann, ganz wie die klassische Seelenlehre der abendländischen Metaphysik betonte, daß die Geistseele des Körpers der sinnlichen Erfahrung bedürfe, um sich selbst zu realisieren. Wenn aber der Zusammenhang der Biographie, die wir als eine «persönliche» bezeichnen, auf einem Erinnerungsmechanismus basiert, der weit eher von willkürlich erscheinenden Assoziationen beherrscht wird als von korrekten sachlich begründeten Gegebenheiten, so liegt darin zweifellos ein schweres anthropologisches Problem: Wie vielen Irrtümern, Verzeichnungen und absurd anmutenden Zufällen wird das Bild entstammen, das ein Mensch schließlich als sein eigenes von sich glauben und andere von sich glauben machen wird? Man lese nur die ersten Seiten des Romans Mein Herz so weiß des spanischen Dichters javier marias (geb. 1951), und die Verwirrung, die sich einstellt, ist perfekt: Falsch kann sein, was ein Mensch beobachtet, falsch, was er aus seinen Beobachtungen folgert, falsch, was er an Schlußfolgerungen aus seinen Beobachtungen erinnert, doch eben: aus diesen falschen (oder doch nur sehr begrenzt richtigen) Erinnerungen an die falschen Interpretationen falscher Wahrnehmungen bildet sich das Bewußtsein von uns selbst – formt sich unsere Persönlichkeit. Wer also sind wir? Was oder wer sagt uns, wer wir selbst sind? Wir werden diese Fragen bis zu gegebener Zeit uns gut zu merken haben. Dabei müssen wir zudem festhalten, daß unsere Erinnerungen keine festgeprägten Schmuckstücke in einem vererbten Schatzkästlein sind, sondern selber einem dynamischen Prozeß unterliegen. Man könnte glauben, die Tatsache, daß wir uns an die ersten – psychologisch so wichtigen! – Lebensmonate und -jahre nicht zu erinnern vermögen, sei eine einfache Folge des noch relativ unfertigen Gehirns, mit dem wir auf die Welt kommen. Doch dem ist nicht so. Vielmehr zeigen Untersuchungen, «dass sie (sc. Säuglinge, d. V.) schon mit drei Tagen auf das Gesicht ihrer Mutter nach mehrminütiger Trennung positiv reagieren. Das Erinnerungsvermögen von Neugeborenen beschränkt sich aller-

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dings nicht auf die Mutter.» Optische Wahlversuche demonstrieren im Gegenteil, «dass schon im Alter von drei Tagen das Foto eines beliebigen Gesichts gemerkt und noch zwei Minuten später wiedererkannt werden kann. Drei Monate alte Babys erinnerten sich an einen Reiz, der 24 Stunden zurücklag, sechs Monate alte sogar an zwei Wochen zurückliegende.» (olivier pascalis: Woran ein Säugling sich erinnert, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 58– 59) Man kann nicht anders sagen, als daß die Hirnentwicklung bereits im frühestmöglichen Zeitpunkt mit Lernvorgängen und Gedächtnisleistungen einhergeht. Schon im Mutterleib beginnt das Lernen. So erkennen Neugeborene «Reime wieder, die ihre Mutter in den letzten sechs Wochen der Schwangerschaft aufgesagt hat». (A. a. O., 59) Daß wir uns gleichwohl selber nicht mehr bewußt an die ersten Lernerfahrungen und Gedächtnisinhalte erinnern können, dürfte daran liegen, daß die für die verschiedenen Gedächtnisformen nötigen Hirnstrukturen «wohl von Geburt an vorhanden und teilweise funktionsfähig» sind, aber dann im Laufe der Kindheit «immer wieder modifiziert» werden. «Das scheinbare Fehlen von Erinnerungen ist also eher einem unzureichenden Zugriff auf gespeicherte Informationen anzulasten oder fehlenden Erinnerungsauslösern . . . Möglicherweise reorganisieren sich die Schaltkreise der Hirnrinde . . . während der ersten drei Lebensjahre von Menschen auf ähnlich tiefgreifende Weise wie bei jungen Affen. Dabei könnten die Schaltkreise, die zum erneuten Abruf der Erinnerung an ein Ereignis aus den ersten Lebensjahren benötigt werden, umfunktioniert werden oder verloren gehen – und damit würde auch die bewusste Erinnerung fehlen.» (olivier pascalis: A. a. O., 61) «. . . beim Erinnern», betont marianne leuzingerbohleber (Träume oder Schäume?, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 25– 26), «werden Gedanken und Gefühle, die in einer früheren Situation erlebt wurden, nie einfach nur aus dem Gedächtnis abgerufen. Vielmehr konstruiert das Gehirn Gedanken und Gefühle in einer neuen, aber vergleichbaren Situation nur ähnlich wie in der ursprünglichen Lage.» (Vgl. auch harald welzer: Kriege der Erinnerung, in: Gehirn und Geist, 5/2005, 40 –46.) Um es in den Worten sigmund freuds auszudrücken: An die Stelle der Erinnerung tritt der «Mythos» der «Deckerinnerung». Wir neigen dazu, uns Deckerinnerungen zu bilden, in denen Szenen der frühen Kindheit nach Art späterer Erfahrungen geformt werden oder in denen Gefühle, die in der Erinnerung an spätere Jahre dem Ich als peinlich erscheinen, zeitlich vorverlegt und damit ins «Harmlose» verschoben werden können. (Vgl. sigmund freud: Zur Psychopathologie des Alltagslebens, in: Gesammelte Werke, IV 51– 60: Über Kindheits- und Deckerinnerungen.) So pflegen Kindheitserinnerungen (aber auch spätere Erinnerun-

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gen), nicht unähnlich der Selbststilisierung nationaler Geschichtsschreibung, sich zu Mythos und Sage von der eigenen Herkunft und den eigenen Großtaten zu formen. Von dem Familienroman der Neurotiker sprach freud (Gesammelte Werke, VII 225 –231) denn auch, um die geheimen Wunschphantasien mancher Patienten zu beschreiben, in denen insbesondere der eigene Vater gegen einen anderen: besseren, großartigeren, ausgetauscht wird; entscheidend dabei ist, daß derartige Konstrukte trotz ihres offensichtlich phantastischen Charakters subjektiv als durchaus real betrachtet werden. Wenn die Erinnerung an unsere eigene Vergangenheit durch bestimmte gegenwärtige Bedürfnisse in solcher Weise immer wieder neugeformt und umgeformt werden kann, wie soll dann je ein einigermaßen konsistentes Bild von uns selbst sich bilden können? (Vgl. elizabeth f. loftus: Falsche Erinnerungen, in: Spektrum der Wissenschaft, Digest: Rätsel Gehirn, 4/2004, 62 –67.) Weitab von dem metaphysischen Konzept einer Geist-Seele, die in ihrer Substantialität und Simplizität als eine in sich unveränderbare Wesenheit allen geistigen Akten zugrunde liegt, gewinnen wir unter diesen Umständen den Eindruck, es sei das, was wir als «Person» bezeichnen, etwas Fließendes, gleich einem Strom, der seinen Weg erst noch sucht und von dem bis zu seiner Mündung im Meer nicht feststeht, wer er eigentlich ist. Können wir unter solchen Umständen je herausfinden, wer wir «wirklich» sind? «Unsere erworbenen Vorlieben, Ängste, Gewohnheiten und Fertigkeiten bestimmen einen Großteil unserer Persönlichkeit – doch bewusst sind wir uns dessen nicht», meint annette bolz. (Wozu man ein unbewusstes Gedächtnis braucht, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 46) Doch wenn wir über uns selbst nicht einmal wirklich Bescheid wissen, wie fehlerhaft muß dann erst all das sein und bleiben, was wir über andere und sie über uns zu wissen glauben? Hier wirft die Neurologie Fragen auf, die dringend einer philosophischen und theologischen Beantwortung harren.

β) Einspeicherung (Encodierung) und Abruf von Gedächtnisinhalten (Informationen) Doch egal nun, wie «korrekt» unsere Erinnerungen an uns selbst sein mögen – die Frage ist noch unbeantwortet, wie der Hippocampus seine (mittels der NMDA-Rezeptoren) assoziierten Eindrücke (Lernerfahrungen) dem Gehirn als Lernmaterial überträgt. Und wie wir schon hörten, ist es keinesfalls nur der Hippocampus, der für den Aufbau von Gedächtnisinhalten verantwortlich ist. Genau besehen, spielt der Hippocampus seine Rolle als «Gedächtnistrainer» im Rahmen des papez-Kreises (vgl. Abb. A 24), in jenem uns schon bekannten

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neuronalen Schaltkreis, der vom Gyrus cinguli zum Hippocampus, von dort über den Fornix zu den Corpora mamillaria, dann zu den anterioren Thalamuskernen und wieder zurück zum Gyrus cinguli verläuft. Der Gyrus cinguli ist innerhalb des papez-Kreises speziell für die Gedächtnisneubildung freilich nicht so bedeutsam wie die anderen Strukturen (vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 425), und so läßt sich dieser Schaltkreis für die Einspeicherung (Encodierung) von Informationen besser dahin beschreiben, daß man den Hippocampus in den Mittelpunkt rückt. Jedenfalls geht man heute «davon aus, dass die Strukturen des Papez’schen Kreises in die Einspeicherung aller episodischen und vermutlich auch der semantischen Informationen (d. h. auch von solchen ohne emotionale Konnotation) involviert sind». (monika pritzel u. a.: A. a. O., 420) Von episodischen Informationen spricht man bei der Erinnerung an geschichtenähnliche Begebenheiten im persönlichen Leben, mit semantischen Informationen meint man Inhalte, die das (etwa in der Schule erworbene) Wissen über die Welt betreffen – sie können, je nachdem, ohne gefühlsmäßige Beteiligung (lat.: ohne eine emotionale connotatio – Mitbezeichnung) gespeichert werden. Doch das ist nur die eine Seite der Encodierung von Gedächtnisinhalten. (Vgl. hans-joachim markowitsch: Neuropsychologie des menschlichen Gedächtnisses, in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier: Kopf oder Computer, 4/1997, 29.) Neben dem papez-Kreis gibt es einen zweiten für das Erinnerungsvermögen vermutlich noch wichtigeren Schaltkreis: den basolateral-limbischen Schaltkreis, der aus der Amygdala, dem mediodorsalen Kern des Thalamus, der Area subcallosa (lat.: dem unter dem Corpus callosum, dem rauhen Körper, gelegenen Gebiet) des basalen Vorderhirns sowie aus Verbindungen zur anterioren Insel (zum vorderen insulären Cortex) und zu den Assoziationscortices im Temporallappen besteht; hinzu kommen verschiedene Faserverbindungen wie der ventrale amygdalofugale (lat.: von der Amygdala weg«fliehende») Trakt, die anterioren thalamischen Pedunculi (lat.: die vorderen Faserstränge des Thalamus) und die sogenannte Bandeletta diagonalis (lat.: das diagonale Bändchen, uns schon als Diagonalband bekannt, das von pierre paul broca entdeckt wurde und das mit seinen Kernen selbst zum basalen Vorderhirn zählt). (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 420 –421.) Abb. B 9 gibt schematisch den basolateral-limbischen Schaltkreis wieder. Wie man sieht, führt der Kreislauf von der Amygdala über den ventralen amygdalofugalen Trakt zum mediodorsalen Thalamuskern, dann über den Pedunculus thalami anterior zur Area subcallosa und von dort über die Bandeletta diagonalis zurück zur Amygdala. Dieser Schaltkreis scheint «stärker mit der

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Abb. B 9: Der basolateral-limbische Schaltkreis

Verarbeitung emotionaler Reize assoziiert zu sein und ebenso mit dem Encodieren von emotional gefärbten Erfahrungen». (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 420) Was die Bedeutung des Hippocampus für das Gedächtnis angeht, so sagten wir bereits, daß auch der entorhinale Cortex (genauer das Riechhirn mit Gyrus entorhinalis und perirhinalis) sowie der Gyrus parahippocampalis eine wichtige Rolle bei der Encodierung von Informationen spielen; doch dürfte es wesentlich die Amygdala sein, die für die Einspeicherung von affektiv getönten Inhalten zuständig ist. Wir werden auf diesen Zusammenhang später noch genauer zu sprechen kommen. Interessanterweise ist dabei die rechte Amygdala bei Männern, bei Frauen die linke Amygdala aktiver beteiligt; das Geschlecht stellt aber wohl nur einen Faktor für die Lateralisation der Encodierung von Gedächtnisinhalten dar. Andere Faktoren könnten auch mit Persönlichkeitsmerkmalen wie Introversion (lat.: Nach-innen-Gekehrtheit) oder Extraversion (lat.: Nach-außen-Gekehrtheit) zu tun haben. Auch die Gedächtnisintensität bestimmter emotional getönter Informationen scheint von charakterlichen Merkmalen mitbestimmt: ein Depressiver wird negative Erfahrungen stärker im Gedächtnis behalten als eine «rheinische Frohnatur». (Vgl. monika pritzel u. a.: A. a. O., 424.) Insgesamt aber wird jeder von sich selber wissen, daß sich seinem Gedächtnis am stärksten die gefühlsintensiven Episoden seines eigenen Lebens einprägen: der Tod der Mutter, die erste Liebe,

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Abb. B 10: Das basale Vorderhirn

der Einmarsch der Roten Armee, die Aufdeckung einer Straftat – was auch immer. Schon aus dieser Tatsache geht hervor, daß die beiden limbischen Schaltkreise: der papez-Kreis und der basolateral-limbische Schaltkreis, zusammenarbeiten. Die emotionale Bewertung der bereits in der Amygdala (und in anderen Strukturen) vorverarbeiteten Information wird offenbar im basalen Vorderhirn vorgenommen, das damit über die Qualität der Erinnerungen entscheidet. Zum basalen Vorderhirn zählen die Kerne des medialen Septums, der Nucleus accumbens (den wir noch als das «Belohnungszentrum» bei der Entstehung einer Sucht kennenlernen werden), die gerade erwähnten Kerne der Bandeletta diagonalis und der Nucleus basalis meynert, von dem wir schon wissen, daß er das Zentrum acetylcholinerger Neuronen bildet, wie sie ebenso im Nucleus septi medialis und im Diagonalband vorliegen. Die Verwendung des Neurotransmitters Acetylcholin (neben Glutamat) spricht zusammen mit der anatomischen Verbindung des basalen Vorderhirns zu den Strukturen des limbischen Systems an sich bereits dafür, daß dieser Hirnteil bei der Encodierung von Gedächtnisinhalten von Belang sein wird. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 424.) Abb. B 10 zeigt das basale Vorderhirn im medialen Schnitt. Nicht eingezeichnet ist der Nucleus accumbens. Vor allem die bildgebenden Untersuchungsverfahren haben in den letzten zwei, drei Jahren die Bedeutung des präfrontalen Cortex bei der Einspeicherung, der Encodierung, von Gedächtnisinhalten hervortreten lassen. Dabei

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scheint diesem Teil der Hirnrinde die Organisation, mithin die sinnvolle Gruppierung von Wahrnehmungen und Erlebnissen, zuzukommen; indem insbesondere der linke präfrontale Cortex bei der Bildung semantischer Assoziationen zwischen den zu lernenden Informationen aktiviert ist, erfüllt er eine wichtige Aufgabe beim Aufbau des Gedächtnisses. (Vgl. monika pritzel u. a: Gehirn und Verhalten, 425.) Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es fällt, sinnlose, unverknüpfte Fakten – Zahlen, Vokabeln, Sachverhalte – sich zu merken; selbst beim Lesen dieses Buches wird es zu Beginn nicht leicht gefallen sein, sich die Vielzahl hirnanatomischer Begriffe einigermaßen verfügbar einzuprägen; eben deswegen haben wir von Anfang an versucht, auch erste Vorstellungen von den funktionalen Verknüpfungen zu vermitteln; jetzt, nachdem sich die verschiedenen Hirnstrukturen auf begreifbare Weise zu gemeinsamen Aktivitäten zusammenordnen, entstehen eben diejenigen «semantischen Assoziationen», die der präfrontale Cortex braucht, um mit dem neu zu lernenden Material etwas anfangen zu können. Wir behalten an reinen Informationen – emotionslos – offenbar (fast) nur das, was zu behalten sich im Rahmen eines bestimmten Verwendungszusammenhangs lohnt. Und die Entscheidung darüber fällt im präfrontalen Cortex. Nur noch zu erwähnen brauchen wir die Tatsache des prozeduralen Gedächtnisses. Es gibt Abläufe (Prozeduren), die wir ein für allemal gelernt haben: Laufen, Fahrradfahren, Schwimmen – wer es einmal kann, «vergißt» es nie mehr, ja, er braucht bei keiner der erforderlichen Bewegungen eigens daran zu denken, was er tut, wenn er läuft, fahrradfährt oder schwimmt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 415 –416.) Wir sahen schon, daß für alle Bewegungsabläufe die Basalganglien eine entscheidende Rolle spielen (vgl. Abb. A 11; 12): bewußt im präfrontalen Cortex geplante Handlungen lassen sich nur ausführen, wenn die «dorsale Schleife» zwischen Cortex, Basalganglien und Thalamus durchlaufen wurde. Zudem hörten wir, daß das Kleinhirn (das Cerebellum) insbesondere an der Feinsteuerung der zeitlichen Abfolge von Bewegungen maßgeblich beteiligt ist; auch die Encodierung von motorischen Abfolgen dürfte wesentlich hier, im Kleinhirn, gewährleistet werden. So wissen wir also in etwa, welche Hirnstrukturen daran beteiligt sind, daß wir uns etwas merken «wollen» oder «sollen» oder etwas ganz automatisch in Erinnerung behalten. Doch wo im Gehirn Gedächtnisinhalte längerfristig aufbewahrt werden, ist damit noch nicht gesagt. Wenn wir uns allerdings in Abb. A 34 noch einmal die Lokalisation bestimmter Funktionen auf der brodmannschen Karte der Großhirnrinde anschauen sowie in Abb. A 40 die verschiedenen übergeordneten und assoziativen Cortices, so scheint der Gedanke

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plausibel, daß die Informationen netzwerkartig in der Großhirnrinde gespeichert sein dürften. Dabei werden es auch auf der corticalen Ebene Synapsenänderungen sein, in denen ein bestimmter Gedächtnisinhalt sein Engramm (griech.: seine Einschreibung) hinterläßt. «Man geht davon aus, dass die Stärke der synaptischen Verbindungen mit der Stärke eines Engramms korrespondieren (sc. korrespondiert, d. V.), dass also, je stabiler die Verbindungen zwischen Nervenzellen sind, desto überdauernder und auch leichter verfügbar eine Gedächtnisinformation ist.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 427) Verursacht werden könnte eine solche Verstärkung der synaptischen Verbindungen dadurch, daß eine der LTP folgende längerfristige Beeinflussung der Neuronen-DNA stattfindet und es so zu einer Änderung der Proteinsynthese kommt. «Durch sie erhält eine Nervenzelle die Information, dass bestimmte synaptische Verbindungen mit anderen Neuronen wichtig zu sein scheinen, worauf ein Neuron mit der Produktion von Proteinen (z. B. der Produktion von weiteren Rezeptoren zur Stärkung der synaptischen Verbindung) reagieren kann.» (monika pritzel u. a.: A. a. O., 427) Nun gehört zum «Erinnern» nicht nur die Anlage eines (dynamischen) Gedächtnisspeichers, sondern auch die Fähigkeit zum Abruf der eingelagerten Inhalte. Hierzu wird die Erinnerung aktiviert, also ins Arbeitsgedächtnis zurückgeholt. Dieses ist zuständig für die Bereitstellung bereits gespeicherter Inhalte sowie für die aktive Verarbeitung neuer Informationen (welch eine Rolle es für den Aufbau von Bewußtsein spielt, werden wir im 2. Bd. der vorliegenden Arbeit noch sehen), – das Kurzzeitgedächtnis müssen wir uns hingegen eher als einen passiven kurzfristigen Informationsspeicher vorstellen. Wesentlich für das Aufgreifen episodischer und semantischer Informationen aus dem Langzeitgedächtnis ist erneut der präfrontale Cortex, aber auch der anteriore Pol des Temporallappens, der über den ventralen Ast des Fasciculus uncinatus (hakenförmig, von lat.: der uncus – Haken) mit dem Lobus frontalis verbunden ist. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 409; 427–428.) Abb. B 11 zeigt in lateraler Ansicht der rechten Hemisphäre diesen Verbindungsweg. Bei beiden Geschlechtern, Frauen wie Männern, ist der Fasciculus uncinatus stärker rechtsseitig ausgeprägt als linksseitig, was dafür spricht, daß der Abruf von Inhalten des Langzeitgedächtnisses lateralisiert sein könnte. Wichtiger noch als dieser Befund ist die Tatsache, daß beim Abruf episodischer Inhalte temporofrontale Regionen der rechten Hirnhälfte stärker beteiligt sind, während semantische Inhalte eher linksseitig abgerufen werden. Nach dem sogenannten HERA-Modell (engl.: Hemispheric Encoding-Retrieval Asymmetry – hemisphärische Encodierung-Abruf-Asymmetrie) erfolgt das Encodieren

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Abb. B 11: Der ventrale Ast des Fasciculus uncinatus verbindet den anterioren Pol des Temporallappens mit dem Lobus frontalis

episodischer und semantischer Inhalte stärker in den linksseitigen Regionen des präfrontalen Cortex, während der Abruf episodischer Informationen besonders über den rechtsseitigen präfrontalen Cortex stattfindet; semantische Informationen hingegen sind stärker mit der linken Hemisphäre verbunden. Darüber hinaus sind am Abruf episodischer Inhalte auch limbische Strukturen, vor allem der rechten Hirnhälfte, beteiligt – natürlich, möchte man meinen, werden die Erinnerungen an Ereignisse der persönlichen Biographie doch (fast immer) von starken Emotionen begleitet. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 428; pascale piolino u. a.: Wenn die Vergangenheit verschwindet, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 71.)

γ) Neuroanatomische Ursachen von Gedächtnisstörungen Wenn man erst einmal begründete Vorstellungen von der Einspeicherung und dem Abruf von Gedächtnisinhalten entwickelt, liegt es auf der Hand, die entsprechenden Theorien mit Hilfe der Läsionsforschung zu überprüfen: Was für Gedächtnisausfälle lassen sich bei Schädigung bestimmter Hirnstrukturen und -regionen beobachten? Abb. B 12 gibt einen Überblick über die am Gedächtnis beteiligten Gehirnstrukturen (ohne Basalganglien). Wieder sind es tragische Fallgeschichten und grausame Experimente mit Tie-

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Abb. B 12: Am Gedächtnis beteiligte Hirnstrukturen (ohne Basalganglien)

ren, die unser Wissen um die Bedeutung der einzelnen Hirnregionen vermehrt haben. Schädigungen des medialen Temporallappens, wie sie künstlich zum Beispiel bei der bilateralen medialen temporalen Lobektomie (lat.: der lobus – Lappen; griech.: die ektome¯ – Herausschnitt; Entfernung ganzer Teile beider Temporallappen einschließlich Hippocampus und Amygdala) an Henry M. vorgenommen wurden, hatten in den 50er Jahren bereits jene schweren anterograden Gedächtniseinbußen gezeigt, von denen wir schon berichtet haben; allerdings waren bei Henry M. die emotionalen Funktionen mehr oder weniger unbeeinträchtigt geblieben, und auch sein episodisches Altgedächtnis funktionierte einwandfrei. (Vgl. hans-joachim markowitsch – sabine borsutzky: Gedächtnis und Hippocampus des Menschen, in: C. G. Lipinski – D. F. Braus: Hippocampus, 73 –75.) Weitere Untersuchungen von Patienten mit medialen Temporallappenschädigungen indessen zeigten in den 90er Jahren deutliche Defizite beim Erwerb von episodischen, nicht freilich von semantischen Inhal-

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ten. Daraus ergibt sich die Folgerung, «dass lediglich das Lernen episodischer Gedächtnisinhalte hippocampusabhängig» ist. (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 433) Läsionen des Hippocampus blockieren zudem das räumliche Gedächtnis für neue Umgebungen, nicht jedoch die Erinnerung an Lokalitäten, die schon lange vor der Läsion in das Langzeitgedächtnis übertragen wurden; daraus ergibt sich ebenfalls, daß der Hippocampus wohl für die Konsolidierung, nicht aber für die Speicherung von räumlichen Langzeitgedächtnisinhalten ausschlaggebend ist. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 417.) Läsionen des Riechhirns, das an der Bildung des expliziten Langzeitgedächtnisses für Objekte entscheidend beteiligt ist, führen bei Affen und Ratten zu einer retrograden Amnesie; da länger zurückliegende Erinnerungen allerdings nicht betroffen sind, dürfte das Riechhirn auch nicht als Sitz des Gedächtnisses für Objekterkennung in Frage kommen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 417.) Schädigungen der Amygdala bei Ratten ergeben eine Unfähigkeit, konditionierte Schreckreaktionen auszubilden; die amygdala-lädierten Tiere entwickeln keine Angst vor Situationen, die gesunde Artgenossen, zum Beispiel auf Grund von Elektroschocks, als gefährlich einzustufen lernen mußten. Ein solches Ergebnis scheint die alte These zu bestätigen, wonach die Amygdala speziell bei der Erinnerung an die emotionale Bedeutung bestimmter Erfahrungen maßgebend beteiligt ist. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 417.) Bereits im Jahre 1938 hatten heinrich klüver (1897–1979) und paul c. bucy (1904 –1992) Experimente mit Affen durchgeführt, bei denen sie den anterioren medialen Temporallappen schädigten; neben den zu erwartenden Gedächtnisstörungen stellten die Forscher bei den Tieren eine visuelle Agnosie (lat./griech.: eine im Gesichtsfeld auftretende Erkenntnisunfähigkeit) fest: die Tiere steckten Steine in den Mund, als wären es Früchte; zudem litten sie unter Hyperoralität (griech./lat.: einer Überbetonung des Mundraumes) sowie unter Hypermetamorphose (griech.: die metamórpho¯sis – Umgestaltung; einer extremen Tendenz, auf äußere Reize zu reagieren); damit einher ging eine Hypersexualität bei emotionaler Verflachung. All diese Symptome wurden als klüver-bucy-Syndrom bekannt. (Vgl. hans-joachim markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur, 26.) Nähere Untersuchungen zeigten, daß besonders die Läsion der Amygdala an der charakteristischen Symptomatik beteiligt ist. Einen weiteren Hinweis auf die Bedeutung der Amygdala für das emotionale Gedächtnis bietet die urbach-wiethe-Erkrankung: 1929 hatten erich urbach (1893 –1946) und camillo wiethe (1888 –1949) bilaterale Läsionen der

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Amygdala durch Mineralisierungen beziehungsweise Kalzifikationen («Verkalkungen») beschrieben. Im Jahre 1995 nun untersuchten hans-joachim markowitsch und andere eine Patientin, die an der an sich sehr seltenen Erkrankung litt: sie lasen ihr eine Geschichte mit einem emotional belanglosen Anfang und Schluß vor, deren Mittelteil aber gefühlsmäßig stark besetzt war; als Ergebnis stellten sie fest, daß die Patientin den emotionalen Part der Erzählung nicht als bedeutsam zu erinnern vermochte. (Vgl. larry cahill – ralf babinsky – hans-joachim markowitsch – james l. mcgaugh: The amygdala and emotional memory, in: Nature, 377/1995, 295 –296; hans-joachim markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur, 27.) Auch solch ein Fallbeispiel bestärkt die Meinung, daß eine Amygdalaläsion zu emotionalen Gedächtnisdefiziten führt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 434– 435; dieter f. braus – stefanie brassen: Hippocampus-Amygdala-Formation: Zentrale Schnittstelle zwischen Emotion, Kognition und Verhalten, in: C. G. Lipinski – D. F. Braus: Hippocampus, 3–14.) Schädigungen des medialen Diencephalon, näherhin der mediodorsalen Nuclei des Thalamus – und, wie manche Autoren diskutieren, der Mamillarkörper –, treten besonders beim alkoholbedingten korsakow-Syndrom auf (nach sergej sergejewitsch korsakow, 1854–1900); warum das so ist, werden wir noch sehen, wenn wir uns mit der Alkoholismus-Erkrankung beschäftigen. Wichtig an dieser Stelle ist der Effekt solcher Schädigungen: er besteht in einer ausgeprägten anterograden Amnesie sowie in schweren Defiziten im Altgedächtnis. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 401– 402; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 433– 434.) Läsionen der mediodorsalen Nuclei, die man gezielt bei Affen und Ratten vornahm, ergaben ebenfalls Gedächtnisdefizite. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 419.) Läsionen des basalen Vorderhirns, etwa durch Schlaganfälle oder Tumore, ergeben sich zumeist infolge einer Ruptur (lat.: Durchbrechung) der Arteria communicans anterior (ACoA – lat.: der verbindenden vorderen Arterie), die das basale Vorderhirn versorgt; das sogenannte ACoA-Syndrom ist charakterisiert durch amnestische Symptome, Konfabulationen (auf falschen Erinnerungen beruhende Berichte über vermeintlich erlebte Vorgänge) und durch Persönlichkeitsveränderungen wie zum Beispiel bei dem unglücklichen Phineas P. Gage. Insbesondere das explizite Gedächtnis weist beim ACoA-Syndrom Defizite auf; der Abruf impliziter Gedächtnisinhalte ist wenig gestört. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 434.) Schädigungen des präfrontalen Cortex schließlich führen nicht ohne weiteres zur Amnesie, wohl aber zu erheblichen spezifischen Gedächtnisproblemen.

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Das scheint nicht weiter erstaunlich, wenn die Annahme zutrifft, daß die Abspeicherung des Langzeitgedächtnisses in ausgedehnten neocorticalen Arealen erfolgt. Die «Art der Schädigung wirkt sich dann sowohl auf die Bildung von Neugedächtnisinhalten als auch auf den Abruf von Inhalten des Altgedächtnisses aus. Das Encodieren von Inhalten wird . . . von Bereichen des Stirnhirns (vom dorsolateralen präfrontalen Cortex) in der Art beeinflußt, dass durch diesen Hirnbereich eine Kategorisierung und Organisation des zu lernenden Materials unterstützt wird, was den Prozess der Einspeicherung und längerfristigen Ablagerung begünstigt. Auch für Abrufstörungen von Patienten mit Schädigungen des Neocortex können Einbußen im präfrontalen Cortex verantwortlich sein.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 436) Vor allem der Abrufmechanismus scheint einen intakten Stirnlappen zu erfordern. «Die semantischen Informationen sollen dagegen in bestimmten Regionen des äußeren Schläfenlappens gespeichert sein. Die episodischen Details, Gerüche etwa, wären . . . von den Regionen im Schläfen-, Scheitel- und Hinterhauptlappen abhängig, die ursprünglich die Verarbeitung ermöglicht haben.» (pascale piolino u. a.: Wenn die Vergangenheit verschwindet, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 75) Typisch für Schädigungen des präfrontalen Cortex sind Störungen im Gedächtnis für zeitliche Abfolgen, einerseits im Erinnern des Nacheinanders von Ereignissen, andererseits in der Durchführung von Handlungen, die aus einer Aufeinanderfolge von Einzeltätigkeiten bestehen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 402– 403; 419.)

δ) Streß- und traumabedingte Amnesien Ein psychologisch besonders wichtiges Problem stellen traumatisch bedingte Amnesien dar. Zu den fundamentalen Lehren der Psychoanalyse zählt die Theorie der Verdrängung: Erlebnisinhalte (Triebregungen, Affekte), die von dem noch kindlichen Ich nicht bewältigt werden können – die insofern «traumatisch» (von griech.: das trauma – Verletzung) wirken –, werden aus Angst vom Bewußtsein abgespalten und ins «Unbewußte» abgeschoben; der Patient besitzt keine Worte mehr, um das ehedem Erlebte zu versprachlichen; in der Diktion freuds: den Inhalten ist die «Wortvorstellung» entzogen worden. Eine Hauptaufgabe der psychoanalytischen Therapie liegt insofern darin, gegen den Verdrängungswiderstand die Erinnerung an das einst Erfahrene wiederherzustellen, wobei die Traumanalyse und die Technik der freien Assoziation gute Dienste leisten können. (Vgl. sigmund freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XV

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Abb. B 13: Streßbedingter Einfluß von Glucocorticoiden auf Nervenzellen

89 –97.) Neurologisch läßt sich der Zusammenhang von Angst (Streß) beziehungsweise von psychischen Traumata und Gedächtnisverlust (griech.: Amnesie) durch eine Reihe von Untersuchungen gerade aus den letzten zehn Jahren sehr gut verständlich machen. Abb. B 13 versucht, den angenommenen Prozeß schematisch zu verdeutlichen. Der entscheidende Punkt, warum eine Streßreaktion zu einer Minderung der Gedächtnisleistung führt, ist die Ausschüttung von Glucocorticoiden, zu deren bekanntesten wohl Cortisol und Cortison zählen. Dabei handelt es sich um Hormone, die den Glucosestoffwechsel beeinflussen und in der Nebennierenrinde aus Cholesterin gebildet werden. «Der Glucocorticoidspiegel im Blut . . . wird . . . häufig als physiologisches Maß für die Intensität von Stress eingesetzt.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 504) Auf die Streßreaktionen werden wir noch im einzelnen eingehen, wenn wir die psychologisch so wichtige Angstthematik zu besprechen haben; hier erst genügt es, zu betonen, daß es wesentlich die Pyramidenzellen im Hippocampus sind, die, nicht nur, wie wir bereits sagten, an Lern- und Gedächtnisvorgängen beteiligt sind, sondern die auch die Ausschüttung von adrenocorticotropem Hormon (ACTH, von lat.:

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ad – zu, die renes – Nieren, der cortex – Rinde, hier: die Nebennierenrinde; griech.: trépein – auf etwas richten) aus dem Hypophysenvorderlappen kontrollieren; ACTH – ein aus 39 Aminosäuren bestehendes Neuropeptid, also ein kurzes Eiweißbruchstück, welches das Nervensystem beeinflußt – ist es, das die Glucocorticoidsynthese in der Nebennierenrinde reguliert. Und nun kommt es rasch zu einem Teufelskreis: Die Produktion von Glucocorticoiden beschleunigt den Alterungsprozeß von Neuronen und macht zudem für Krankheiten und Verletzungen anfälliger; – auch diesen Bereich der Psychosomatik werden wir im Zusammenhang mit den Wirkungen von Angst noch kennenlernen; in letzter Konsequenz führen Glucocorticoide sogar zu einem vorzeitigen Tod von Nervenzellen, und zwar gerade von Pyramidenzellen im Hippocampus. Damit aber verringert sich die Kontrolle über die ACTH-Ausschüttung, so daß sogar verstärkt Glucocorticoide freigesetzt werden, die wiederum weitere Pyramidenzellen absterben lassen; auf diese Weise kann die Freisetzung von ACTH und die Produktion von Glucocorticoiden leicht außer Kontrolle geraten. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 437.) Natürlich ergeben sich daraus auf der Stelle negative Folgen für das Gedächtnis. Soeben noch haben wir die Bedeutung von Hippocampus und Amygdala für die Einspeicherung von Informationen hervorgehoben; wir müssen jetzt nur noch hinzufügen, daß im gesamten Gehirn die meisten Rezeptoren ausgerechnet für Glucocorticoide sich im Bereich von Hippocampus und Amygdala befinden, und es wird sofort klar, daß eine Überproduktion von ACTH und Glucocorticoiden die Gedächtnisleistungen empfindlich beeinflussen wird. In der Tat entdeckten denn auch bereits josef breuer (1842 –1925) und sigmund freud in ihren Studien über Hysterie im Jahre 1895, daß bestimmte «Erlebnisse . . . dem Gedächtnisse der Kranken in ihrem gewöhnlichen psychischen Zustande völlig» fehlen können «oder . . . nur höchst summarisch darin vorhanden» sind, so daß sie erst in der Hypnose in die Erinnerung treten. (sigmund freud: Gesammelte Werke, I 88) Wenig später schon bot freud (Zum psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit, in: Gesammelte Werke, I 520 –527) eine rein psychische Erklärung dieses Phänomens an, das er im Hintergrund der «Psychoneurosen – Hysterie, Zwangsvorstellen und Paranoia –» zu erkennen meinte. (I 525) «Die Funktion des Gedächtnisses,» schrieb er, «welches wir uns gerne wie ein allen Wissbegierigen geöffnetes Archiv vorstellen, unterliegt . . . der Beeinträchtigung durch eine Willenstendenz, gerade so wie irgendein Stück unseres auf die Aussenwelt gerichteten Handelns. Das Halbe des Geheimnisses der hysterischen Amnesie ist damit aufgedeckt, dass wir sagen, die Hysterischen wissen nicht, was sie nicht wissen wollen.» (I 526)

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Doch was heißt hier «wollen»? Die Verdrängung geschieht, wie freud später feststellte, infolge einer Angst, die nicht dem Druck der «Realität», sondern dem Diktat des Überich entstammt. (Das Ich und das Es, in: Gesammelte Werke, XIII 277–289: Die Abhängigkeit des Ich) Die Mechanismen einer streßoder traumainduzierten Amnesie unterliegen eben nicht dem «freien Willen», sondern sie stellen eine ursprünglich sinnvolle Strategie im Kampf ums Überleben dar: Für jemanden, der zum Beispiel als «verdächtig des Terrors» in Guantanamo-Bay einsitzt, ist es in jedem Falle am besten, nichts zu wissen und nie etwas gewußt zu haben; wenn auf bestimmte Bewußtseinsinhalte Todesstrafe, Folter oder lebenslängliche Kerkerhaft stehen, ist es von Vorteil, über keinerlei derartige Bewußtseinsinhalte (mehr) zu verfügen. Das Überich gebietet in neurotischen Angstzuständen allemal über eine quälende, lebeneinschränkende, tödliche Macht . . . Allerdings scheint es fraglich, inwieweit die (heutige) Neurologie die Erscheinungen einer psychogenen Amnesie, wie freud sie als erster zutreffend beschrieben und psychodynamisch erklärt hat, verständlich zu machen vermag. Langanhaltender Streß schränkt die Gedächtnisfähigkeit (aber auch fast alle anderen geistigen Tätigkeiten) erheblich ein; doch zu einer (retrograden) Amnesie als Folge eines erlittenen Traumas gehört mehr: es muß zu einer vollständigen Blockade des Bewußtseins für die erlebten traumatischen Erfahrungen kommen. hans-joachim markowitsch beschrieb 1998 den Fall eines 23jährigen Patienten, der bei Ausbruch eines Brandes in seinem Hause einen Gedächtnisverlust für die letzten sechs Jahre seines Lebens erlitten hatte und sich zudem außerstande sah, neue Informationen zu speichern; er litt also auch unter einer «anterograden Amnesie». Eine anamnestische Untersuchung ergab, daß der Patient mit vier Jahren erlebt hatte, wie ein Mann in einem Auto verbrannte. (Dem Gedächtnis auf der Spur, 150) Natürlich wollte man nun wissen, ob sich vielleicht ein neurologisches Äquivalent für die Blockade der Gedächtnisfunktionen in den Hirnstrukturen finden ließ, und da zeigte sich mittels der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ein verminderter Glucosestoffwechsel im medialen Temporallappen und im medialen Diencephalon (also im Hippocampus sowie in den Mamillarkörpern und in den spezifischen Kernen des Thalamus), von deren Bedeutung für den Aufbau eines funktionierenden Gedächtnisses wir soeben gehört haben. Durch psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung gelang es dann, innerhalb eines Jahres den Glucosemetabolismus zu normalisieren. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 438.) Die «Intuitionen» der Psychoanalyse von einst werden heute in den bildgebenden Verfahren beobachtbar – und finden nach 100 Jahren ihre Bestätigung!

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In einem anderen Fall, einer sogenannten psychogenen Fugue (franz.: Wander«lust»), bei der ein 37jähriger Mann plötzlich seine Familie verließ und, nach einer Woche zurückgebracht, sein eigenes Haus nicht mehr erkannte, zeigte eine Untersuchung mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomographie (MRT) bei den Erinnerungsversuchen des Patienten an seine Biographie eine stärkere Durchblutung der gedächtnisrelevanten Gebiete der linken Hirnhemisphäre, während die rechte Hirnhälfte in den spezifischen Strukturen nicht aktiviert war. (Vgl. hans-joachim markowitsch u. a.: Persistent psychogenic amnesia with a PET-proven organic basis, in: Cognitive Neuropsychiatry, 2/1997, 135 – 158.) Dieses Ergebnis ist insofern erstaunlich, als der Abruf episodischer Gedächtnisinhalte ja gerade von der rechten Hemisphäre ermöglicht wird, während an semantischen Informationen eher die linke Hirnhälfte beteiligt ist. Es wurde mithin deutlich, daß der betreffende Patient «bei der Erzählung von Episoden seiner eigenen Lebensgeschichte diejenigen Hirnbereiche» aktivierte, «die bei Gesunden mit dem Abruf semantischer Informationen (also z. B. beim Erinnern von Schulwissen oder Fakten des Allgemeinwissens) assoziiert sind. Die Beschreibung dieses psychogenen Amnestikers zeigt, dass Stress zu Gedächtnisstörungen ohne strukturelles Korrelat führen kann. Dennoch scheint die Amnesie auch auf Hirnebene eine funktionelle Manifestation zu haben.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 438; vgl. hans-joachim markowitsch: Die Sache mit dem geblümten Kleid, in: Gehirn und Geist, 5/2005, 49; 51.) Wie sollte es auch anders sein? Der Moment scheint indessen gekommen, in dem die Psychologie die Neurologie zu erklären hat, während der umgekehrte Versuch zwar zu «Manifestationen» des psychischen Geschehens, doch eben nicht zur Einsicht in solche kausalen Mechanismen zu führen imstande ist, die eine entsprechende Psychodynamik verstehbar machen. Wenn wir uns nichts in die Tasche zaubern, verfügen wir (noch lange) nicht über ein neurologisches Wissen, das uns beim Blick auf einen Computer-Monitor zeigen würde, was in der Seele eines Menschen vor sich geht; und die Frage bleibt, ob dieses Nichtwissen womöglich nicht prinzipieller Natur ist.

ε) Altersbedingte Gedächtniseinschränkungen Wenn wir gerade vom Altern und Absterben von Neuronen (von Pyramidenzellen) im Hintergrund eines sich ausbreitenden Gedächtnisverlustes durch die streßbedingte Ausschüttung von Glucocorticoiden sprachen, so denkt gewiß jeder sogleich auch an die Gedächtniseinbußen, die natürlicherweise im Alter

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hervortreten. So zeigt sich, daß die Leistungen des Arbeitsgedächtnisses im Alter merklich abnehmen, möglicherweise, weil die Geschwindigkeit bei der Informationsverarbeitung ganz allgemein zurückgeht. Auch fällt es im Alter erkennbar schwerer, episodische Gedächtnisinhalte aus jüngerer Zeit abzurufen; Unterschiede bestimmter Reize, etwa in Schrift, Farbe oder Ton, verschwimmen bei einiger Ähnlichkeit in der Erinnerung – es tritt eine stärkere Generalisierung in der Verarbeitung von Informationen ein, die ihrerseits leicht zu falschen Erinnerungen führen kann; zudem wächst die Vergeßlichkeit im Bereich des «prospektiven Gedächtnisses» (die Wahrnehmung eines Termins etwa übermorgen um 16.30 Uhr). Demgegenüber bleibt das semantische Gedächtnis (zum Beispiel das Schulwissen) weitestgehend erhalten, ebenso wohl das prozedurale Gedächtnis (Fahrradfahren, handwerkliche Fertigkeiten usw.). (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 438– 441.) Was passiert im alternden Gehirn, das all diese verschiedenen Erscheinungen erklären könnte? Generell ist von einer Reduktion des Gehirnvolumens (ca. 2% pro Jahrzehnt) beim Alterungsprozeß auszugehen; insbesondere die Assoziationscortices und der präfrontale Cortex sind davon betroffen, aber auch der Temporallappen mit der hippocampalen Formation. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 441– 442.) Zudem kommt es zur Bildung neurofibrillärer Tangles (NFT, engl.: Gewirr); das sind Bündel von doppelhelixartigen Filamenten, die von den Mikrotubuli abgespalten werden. Unter «Tatverdacht» für die Ausbildung der alzheimer-Fibrillen steht eine veränderte Struktur des sogenannten Tau-Proteins; das ist ein Protein im Axon von Nervenzellen, «das die Mikrotubuliröhren stabilisiert und beim Transport von Substanzen entlang des Axons mithilft. Bei Alzheimer-Patienten ist Tau ungewöhnlich stark phosphoryliert. Es bindet dann nicht mehr an Mikrotubuli, sondern klumpt im Zellkörper und in den Dendriten zusammen.» (roland brandt – hartwig hanser: Kahlschlag im Gehirn, in: Gehirn und Geist, Dossier: Psyche und Gesundheit, 1/2004, 24) Durch diesen Vorgang wird das Cytoskelett der Nervenzellen destabilisiert. Zwischen den Zellen (im Extrazellulärraum) lagern sich AmyloidPlaques (AP) an; diese APs bestehen aus einem Beta-Amyloid-Kern, der von den Axonen und Dendriten abgestorbener Neuronen umgeben ist sowie von Neurofibrillen, die beim Zelltod freigesetzt werden. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 441.) Von einem «Waldbrand im Gehirn» sprachen deshalb roland brandt und hartwig hanser (Kahlschlag im Gehirn, in: Gehirn und Geist, Dossier: Gesundheit, 1/2004, 25). Eben dies war der Befund, den schon alois alzheimer im Jahre 1906 bei Hirnschnittuntersuchungen Verstorbener erheben konnte; doch sind die NFTs und APs im natürlich altern-

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den Gehirn wesentlich geringer ausgeprägt als im Gehirn von alzheimer-Patienten. NFTs finden sich vor allem in der CA 1-Region des Hippocampus, APs gehäuft im entorhinalen Cortex. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 441– 442; stefanie brassen – dieter f. braus: Alzheimer Demenz, in: Hippocampus, 109.) Entscheidend ist jedoch nicht allein die strukturelle, sondern auch die funktionelle Änderung, die in einem alternden Gehirn sich bemerkbar macht: die postsynaptischen Rezeptoren verringern sich, auch die Transmittersynthese geht zurück. So kommt es im präfrontalen Cortex zu einer Reduktion der dopaminergen Aktivitäten, mit der Folge, daß die Zusammenarbeit des dopaminergen Systems mit dem dorsolateralen präfrontalen Cortex gestört ist; Leistungsminderungen im kognitiven Bereich scheinen sich daraus wie selbstverständlich herzuleiten. Daneben geht die Anzahl der Dopamin-Rezeptoren auch in der Substantia nigra zurück – mit dem nämlichen Ergebnis. Die Tatsache, daß zusätzlich auch die Serotoninrezeptoren im Alter vermindert werden, könnte zu manchen depressiven Verstimmungen beitragen. Deutlich gestört sind im Falle der alzheimer-Erkrankung vor allem die cholinergen Funktionen, die für Lern- und Gedächtnisleistungen besonders wichtig sind. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 442.) Um eine alzheimer-Erkrankung zu diagnostizieren, müssen Gedächtnisdefizite in Verbindung mit wenigstens einer weiteren kognitiven Störung (wie Aphasie, Apraxie, Agnosie oder gewissen exekutiven Dysfunktionen) nachgewiesen sein: die Patienten können, zusätzlich zu ihrem mangelnden Erinnerungsvermögen, nicht mehr geordnet sprechen oder handeln oder erkennen (nicht einmal mehr die eigenen Angehörigen) oder sich motorisch wie beabsichtigt verhalten. Man spricht von multiplen kognitiv-mnestischen Defiziten. Da die Anzahl von alzheimer-Patienten sich ab dem 65. Lebensjahr alle fünf Jahre verdoppelt (also exponentiell ansteigt), ist in unserer demographisch zunehmend überalterten Gesellschaft die Frage nach den Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten der alzheimer-Erkrankung von wachsender Bedeutung. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 525.) Im Zusammenhang mit der Bedeutung von Acetylcholin bei der Gedächtnisspeicherung nannten wir zur Erklärung der alzheimer-Erkrankung bereits genetische Ursachen (5 e α): Wer zum Beispiel auf seinem Chromosomenpaar 19 zwei APOE–ε4-Allele trägt (also die ε4-Allele des Apolipoproteins E; Apolipoproteine sind Komponenten der Lipoproteine; sie sind am Lipidtransport im Blut beteiligt), muß mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% damit rechnen, im Alter von 80 Jahren die alzheimer-Krankheit zu bekommen. – Weitere

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für die alzheimer-Erkrankung relevante Mutationen liegen, wie gesagt, auf den Chromosomen 1, 14 und 21. Die Suche geht weiter. Noch immer ist nicht ganz klar, ob die Anhäufung von Amyloid die Ursache oder die Folge des Nervenzelltodes ist. (Vgl. nancy andreasen: Brave new Brain, 320– 321.) Auf der neurologischen Ebene zeigt sich bei der alzheimer-Erkrankung eine Reduktion von Neuronen um bis zu 30 %, vor allem im temporoparietalen Assoziationscortex und in frontalen Regionen, aber auch im basalen Vorderhirn, speziell im Nucleus basalis meynert, im Locus coeruleus und in den Raphe-Kernen; die dendritischen Verbindungen gehen sogar bis auf 50 % zurück. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 527.) Und dann sind da die NFTs und APs, deren Anzahl auf Grund der genannten Prozesse in pathogener Weise zunimmt. Neben den erwähnten Defiziten kommt es schließlich auch zu Persönlichkeitsveränderungen wie Depressionen, emotionaler Verflachung, Apathie, Egozentrismus und «Altersstarrsinn». (Vgl. monika pritzel u. a.: A. a. O., 529.) Es ist erschütternd für alle Beteiligten, den unaufhaltsamen Verfall einer geliebten, einst geistig hochstehenden Persönlichkeit im Verlauf der alzheimerschen Erkrankung miterleben zu müssen, so als sei von einem ehedem prachtvollen Schloß nur noch eine Ruine übriggeblieben, deren Gemäuer von Besuch zu Besuch immer deutlicher seine Auflösung zeigt. Und erneut stellt sich die Frage, was unser Menschsein ausmacht, wenn bestimmte genetische und physiologische Ursachen all das zerstören können, was wir gemeinhin als Persönlichkeit, Geist oder Seele bezeichnen – wenn Augenblicke entstehen, in denen der andere gar nicht mehr als er selber anwesend ist, sondern nur mehr unsere eigene Erinnerung aus den verbliebenen «Mauerresten» die Schönheit und Größe des einstigen «Gebäudes» rekonstruieren läßt? Fest steht, daß die Therapie von alzheimer-Patienten sich schwierig gestalten wird. Immerhin ist es möglich geworden, medikamentöse Acetylcholinesterase-Hemmer zu entwickeln, die das ACh-System unterstützen und damit den Krankheitsverlauf verzögern können. (Vgl. Lexikon der Neurowissenschaft, I 56– 58; jean-pierre changeux: Die Chemie der Gedanken, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 41.) Andere Therapievorschläge folgen einem weiter verbesserten Verständnis der Gründe und Auswirkungen bei der Bildung von Amyloid-Plaques. Die Amyloid-Plaques lagern sich speziell an die glutamatergen AMPA-Kanäle an und halten diese dauerhaft offen; dadurch strömen zu viele Calciumionen (Ca2+) in die Zelle – die Reizweiterleitung wird auf diese Weise unterbrochen; zudem ist es dieser Calciumüberschuß, der eben jene verhängnisvolle Veränderung der Tau-Proteine verursacht. Da die Amyloid-Plaques aus speziellen Eiweißfragmenten be-

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stehen (sogenannten Aβ-Peptiden), versuchen Forscher jetzt, die Entstehung dieser Peptide zu verhindern oder sie mit Hilfe des Immunsystems zu beseitigen. Neuerdings versucht ein Team um mark h. tuszynski in San Diego, gentherapeutisch vorzugehen: Die Forscher veränderten das Erbgut in Hautzellen von alzheimer-Patienten im Frühstadium so, daß es den Nervenwachstumsfaktor (NGF – engl.: nerve growth factor) produzierte; entsprechend ausgestattete Zellen injizierten sie den Patienten ins Gehirn, um das Neuronenwachstum anzuregen – anscheinend mit Erfolg. (vernon ingram: Ein Molekül auf der Anklagebank, in: Gehirn und Geist, 7– 8/2005, 18– 24; fred h. gage: Hirn, reparier dich selbst, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Das verbesserte Gehirn, 3/2004, 10 –17.) Doch einstweilen bleibt es dabei, daß man einen Menschen, der an der alzheimer-Erkrankung leidet, in der erinnernden Vorstellung, im Traum, sich gewissermaßen immer neu erschaffen muß, um mit ihm verbunden zu bleiben. In sehr intensiver Weise hat nicholas sparks (geb. 1965) in seinem berühmt gewordenen Buch Wie ein einziger Tag (engl.: The Notebook, 1996) dieses notwendige Bemühen der Liebe am Rande des Todes, am Rande der Unsterblichkeit beschrieben: «Bitte sei mir nicht böse, wenn ich Dich an manchen Tagen nicht erkenne», schreibt da die kranke Allie wie in einem Abschiedsbrief für ihren geliebten Noah. «Wir beide wissen, daß uns solche Tage bevorstehen. Sei gewiß, daß ich Dich liebe, Dich immer mehr lieben werde und daß ich, was auch kommen mag, das denkbar schönste Leben gelebt habe. Mein Leben mit Dir.» (A. a. O., 198) Es ist das einzige, was uns helfen kann, die Erinnerungsausfälle im Leben eines anderen Menschen zu kompensieren; – sprechen wir also über die Welt der Träume.

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2. Die Welt der Träume oder: Ein strittiges Thema als methodischer Testfall

Es mag seltsam scheinen, wenn wir nach einem so «ernsten» Thema wie Lernen und Erinnern uns jetzt auf ein so «luftig», vielleicht gar «lustig» anmutendes Gebiet begeben wie das Träumen. Wenn wir es dennoch tun, so deshalb, weil sich auf dem Gebiet der Neurologie derzeit die Zeichen mehren, die gerade das Träumen mit Vorgängen des Lernens in Verbindung bringen, und weil es zudem kaum einen Bereich gibt, in dem die Kontroverse oder die Kooperation zwischen Neurologie und Psychoanalyse so nötig sein muß oder so nötig sein kann wie in der Frage nach dem Träumen: Warum träumen wir? Welch eine Funktion, welch einen Sinn womöglich hat das Träumen? Und was ist es mit dem Schlaf, in den das Träumen eingebettet ist?

a) Weshalb wir schlafen und wie wir träumen In einer Gesellschaft wie der unseren, in welcher das «Prinzip» des frederick winslow taylor (1856 –1915) gilt, wonach Zeit Geld ist (vgl. e. drewermann: Der sechste Tag, 410 –411), mag es als skandalös erscheinen, daß wir, sage und schreibe, ein Drittel unseres Lebens und mehr im Schlaf verbringen. Daß kleine Kinder endlos schlafen, gilt wohl noch für akzeptabel – sie vermehren das Bruttosozialprodukt gewissermaßen passiv durch den Kostenaufwand, den man für ihren Lebensunterhalt treiben muß; irgendwann aber darf man wohl erwarten, daß sie selber aktiv dazu beitragen, den allgemeinen Wohlstand produktiv und effizient zu heben. nicolaus lenaus (1802 –1850) melancholische Bewunderung jedenfalls für jene drei Zigeuner, die er in sandiger Heide einmal getroffen und die ihm so deutlich gezeigt, wie, wenn uns das Leben umnachtet, man es verraucht, verschläft und vergeigt – wie man «es dreimal verachtet» (Gedichte, 209 –210) –, eine solche Schwermut der Zeit gegenüber paßt nicht in unsere Zeit. Wirtschafter, Militärs, Behörden – wer eigentlich nicht? – wären im Grunde nur froh, sie vermöchten das lästige Schlafbedürfnis der Menschen ganz einfach abzuschaffen, statt es nur mit künstlicher Beleuchtung, Weckaminen sowie durch die Bürgerdrogen Coffein und Nicotin zu-

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mindest einzuschränken? Und ist das Schlafen nicht überhaupt nur ein überflüssig gewordenes evolutives Relikt aus der Zeit der Kaltblüter? Die, man versteht, konnten nach Sonnenuntergang in den kühleren Nächten nicht anders, als ihren Stoffwechsel weitgehend zu reduzieren, also auch ihre Aktivitäten «einzufrieren», sprich: zu schlafen; wenn wir die Epiphyse als den Ort der Umwandlung von Serotonin in das (unter anderem) schlafinduzierende Melatonin kennengelernt haben, so scheint manches dafür zu sprechen, daß sich die alte Lichtabhängigkeit und Wärmebevorzugung nicht zuletzt durch Vermittlung dieses Organs auch bei uns Säugetieren immer noch erhalten hat. Tatsächlich ist es uns – außerhalb starker Erschöpfung – so gut wie unmöglich, mit kalten Füßen einzuschlafen, während umgekehrt die düstere Dämmerigkeit eines Novembermorgens sowie die wohlige Wärme des Bettes vollauf genügen, um nicht wenigen Menschen das Wach-werden-müssen zu einer bleiernen Qual zu machen. All das bestätigt, was wir längst schon wissen, daß nämlich der Schlaf-Wach-Rhythmus in den Kerngebieten der Formatio reticularis im Hirnstamm, die auch unsere Aufmerksamkeit lenken, sowie im Hypothalamus, der die Temperatur regelt und das Schlafen und Wachen steuert, verankert ist. Nach wir vor zwingt uns die Erdumdrehung mit dem ihr eigenen Schattenspiel einen 24-Stunden-Rhythmus («circadian» – lat.: etwa entsprechend einem Tag) auf, während ein innerer Zeittakt einer Periodik von 25 Stunden folgt, die eine Reihe vitaler Meßwerte in einem relativ starr programmierten, nur langsam zu verändernden Rhythmus festlegt. «Es sieht so aus, als hätten wir alle eine innere biologische Uhr, die ständig ein wenig nachgeht, wenn sie nicht durch Zeitgeber in der Umwelt nachgestellt wird.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 335 –336) Wie quälend Zeitverschiebungen sein können, lehrt ein einfacher Flug nach Mexiko-City oder nach Bangkok und zeigen die psychosomatischen Folgen von Schichtarbeit unter Tage, am Hochofen oder beim Güterverkehr. (Vgl. john p. j. pinel : A. a. O., 337.) Mit dem Schlaf-Wach-Zyklus sind eine ganze Reihe weiterer Körperperiodizitäten synchronisiert, die insgesamt unsere «innere Uhr» ausmachen. Jeder weiß zum Beispiel, daß bei einer fiebrigen Erkrankung die Temperatur morgens niedriger mißt als am späten Nachmittag; das liegt daran, daß «normalerweise» schon die Körpertemperatur am Abend gegenüber der Messung am Morgen um 0,5 –1,5 Grad Celsius erhöht ist. (Vgl. victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen, Schlafmittel, 14 –15.) Entsprechend derartigen Zyklen sollten wir uns, im Einverständnis mit der Natur, den Schlaf nicht nur gönnen, er wird, ob wir wollen oder nicht, uns sowieso aufgezwungen und markiert (wie schon gesagt, bis hin zur Praktik der Folter im Falle sei-

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ner Verweigerung) die massiven biologisch festgelegten Grenzen unserer «Freiheit». Näherhin scheint der Rhythmus von Schlafen und Wachen der Steuerung zweier Systeme im Hirnstamm zu unterliegen, die sich, wie üblich, antagonistisch zueinander verhalten. Im Jahre 1949 schon zeigten giuseppe moruzzi (1910 –1986) und horace winchell magoun (1907–1991), daß eine elektrische Stimulation der Formatio reticularis zu einer Weckreaktion (engl.: zu einer arousal reaction) führt. Eine Hauptaufgabe des aufsteigenden (afferenten) retikulären Systems besteht darin, einen solchen Wachzustand herbeizuführen und aufrechtzuerhalten. «Dieses Wachsystem konkurriert – so als Arbeitshypothese – mit anatomisch und physiologisch faßbaren Formationen des Gehirns, die als Schlafsystem zur Senkung der Wachheit führen.» (victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen, Schlafmittel, 15) Der Zweck dieser Absenkung der Wachheit im Schlaf könnte in der Tat in einer Verminderung des Energiebedarfs um rund 50% liegen; zur Begründung dieser These läßt sich anführen, daß das Phänomen des Schlafs im ganzen Tierreich weit verbreitet ist – es findet sich selbst bei Fruchtfliegen, Bienen und Küchenschaben. Bei den Säugetieren aber scheint der Schlaf noch eine andere zusätzliche Aufgabe übernommen zu haben: er dient der Anregung des Gehirns. «Der Körper braucht Ruhe, aber das Gehirn braucht Schlaf.» (martin lindner: Lehrreicher Schlummer, in: Bild der Wissenschaft, 4/2003, 34) Doch warum braucht das Gehirn Schlaf? Einen ersten Hinweis zur Beantwortung dieser Frage bietet die in den 90er Jahren des 20. Jhs. entdeckte Tatsache, daß Ratten bei Schlafentzug innerhalb von 10 –20 Tagen sterben – schneller als bei Nahrungsentzug. Auch beim Menschen führt die Fatale Familiäre Insomnie (lat.: Schlaflosigkeit, eine degenerative Hirnerkrankung) in wenigen Monaten zum Tod. (Vgl. jerome m. siegel: Warum schlafen wir?, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2004, 32.) Irgend etwas Lebenswichtiges also muß während des Schlafs im Gehirn passieren. Was das sein könnte, deutet ein zweiter Hinweis an, der sich aus einer Korrelation von Körpergröße und Schlafdauer zu ergeben scheint. Die Tabelle von Abb. B 14 stellt einmal die tägliche Schlafdauer (SD), den sogenannten REM-Schlafanteil (REM %) und die Länge des Schlafzyklus (LZ) bei einigen Säugern und Vögeln einander gegenüber. (Vgl. victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen und Schlafmittel, 16.) Erkennen läßt sich aus dieser Tabelle zum einen, daß die Schlafdauer eines Tieres offenbar nicht von seiner taxonomischen Stellung (von seiner Einordnung in die Systematik der Arten) abhängt. «Die Spannbreite der Schlafzeiten von Primaten (sc. des Rhesusaffen z. B., d. V.) überschneidet sich stark mit der

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Abb. B 14: Schlafdauer, REM-Schlafanteil und Länge des Schlafzyklus bei verschiedenen Säugetieren und Vögeln

von Nagetieren (sc. von Mäusen z. B., d. V.), die sich wiederum mit der von Raubtieren (sc. von Füchsen oder Hunden z. B., d. V.) überlappt; Ähnliches gilt für viele Säugetierordnungen. Aber wenn Verwandtschaftsbeziehungen keinen Rückschluss auf das Schlafbedürfnis gestatten, was ist dann der maßgebliche Faktor? – Die überraschende Antwort lautet: die Körpergröße. Elefanten, Giraffen und Menschenaffen (einschließlich des Menschen) kommen mit recht wenig Schlaf aus. Ratten, Katzen, Wühlmäuse und andere kleine Tiere dösen dagegen die meiste Zeit. Ihr großes Schlafbedürfnis hängt offenbar damit zusammen, dass sie einen aktiveren Stoffwechsel sowie höhere Gehirn- und Körpertemperaturen als große Tiere haben.» (jerome m. siegel: Warum schlafen wir?, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2004, 32) Mit dem aktiveren Stoffwechsel der Tiere nämlich werden mehr freie Radikale in ihrem Körper freigesetzt, Molekülbruchstücke also, welche die Zellen schädigen, indem sie Defekte an Nucleinsäuren, Eiweißstoffen und Fetten hervorrufen. Nun existiert dieses Problem zwar überall im gesamten Organismus, doch können in vielen Geweben verletzte Zellen durch neue Zellteilungen ersetzt werden; demgegenüber werden in den meisten Gehirnarealen nach der Geburt fast keine neuen Zellen

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Abb. B 15: Das Profil eines achtstündigen Schlafes

mehr gebildet, im Gegenteil, wir hörten schon von dem «programmierten Zelltod», der zahllose Neuronen ereilt; allein der Hippocampus, dessen Bedeutung für Lernen und Gedächtnis wir soeben kennengelernt haben, macht hier eine nennenswerte Ausnahme. Nimmt man jetzt hinzu, daß im Tiefschlaf die Stoffwechselrate und die Gehirntemperatur geringer sind als im Wachzustand, so dürfte der Schlaf für das Gehirn wohl deshalb so wichtig sein, weil auf diese Weise Reparaturenzyme Gelegenheit erhalten, die Schäden abzuarbeiten, die im Wachzustand eingetreten sind. «Zugleich könnten ältere Enzyme, die selbst schon unter freien Radikalen gelitten haben, durch neu synthetisierte Exemplare mit einwandfreier Struktur ersetzt werden. Einen ersten experimentellen Beleg für diese Hypothese lieferte vor zwei Jahren (sc. in 2001/2, d. V.) meine Arbeitsgruppe an der Universität von Kalifornien in Los Angeles», schreibt jerome m. siegel (a. a. O., 33). «Wir fanden als Resultat von Schlafentzug bei Ratten Schäden an der Außenmembran von Hirnzellen.» So weit, so gut. Nun stellen Energieeinsparung und Zellreparatur aber offenbar nicht die einzigen Funktionen des Schlafes dar. Im Jahre 1953 bereits hatten nathaniel kleitman (1895 –1999) und eugene aserinsky von der Universität Chicago gefunden, daß das Gehirn im Schlaf nicht einfach «schläft», sondern verschiedene Schlafphasen in regelmäßigen Zyklen durchläuft. Die beiden

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Forscher entdeckten, daß es im Schlaf wiederholt zu Zuständen schneller Augenbewegungen kommt, englisch: zu rapid eye movements; abgekürzt spricht man seitdem von den REM-Phasen. (Vgl. jerome m. siegel: «Warum schlafen wir?, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2004, 30.) Abb. B 15 zeigt, wie sich die REM-Phasen beim Menschen während eines achtstündigen Schlafes verteilen. Dieses typische Profil eines Schlafes gibt den Weg vom Wachsein (A) über die Stadien B–D (I–III) zum Tiefschlaf (E bzw. IV) wieder. Der Weg hin zum Tiefschlaf und in umgekehrter Reihenfolge zurück einschließlich der ersten REMSchlafphase bildet die erste Schlafperiode, deren in einer Nacht bis zu fünf durchlaufen werden. (Vgl. victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen, Schlafmittel, 18–19; john p. j. pinel: Psychobiologie, 329– 331.) Im Zustand des Wachseins kurz vor dem Einschlafen zeigen sich im EEG (Elektroencephalogramm) Gehirnwellen mit niedriger Amplitude (lat.: die amplitudo – Größe; der größte Ausschlag einer Schwingung) und hoher Frequenz (lat.: die frequentia – Häufigkeit; die Anzahl von Wellen in der Sekunde; hier 8 –13 Schwingungen in der Sekunde, also 8 –13 Hertz, Hz) – sogenannte Alpha-Wellen. Diese Alpha-Wellen treten bei geistigen Aktivitäten im normalen Wachzustand, für den Beta-Wellen (mit einer Frequenz von mehr als 13 Hz) typisch sind, nicht auf. Im Schlafstadium I finden sich zwar auch noch Alpha-Wellen, eigentlich dominieren hier aber die sogenannten Theta-Wellen, die, verglichen mit den Alpha-Wellen, eine höhere Amplitude und eine kleinere Frequenz (3,5 –7 Hz) besitzen. Das Zunehmen der Amplitude und das Abnehmen der Frequenz setzt sich über die Schlafstadien II und III bis zum Schlafstadium IV hin weiter fort. Typisch für den REM-Schlaf sind vor allem wieder die Theta-Wellen mit ihren kleineren Amplituden. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 347; 354; john p. j. pinel: Biopsychologie, 329 –331.) Wie sich die einzelnen Schlafphasen verteilen, hängt weitgehend vom Alter ab. Abb. B 16 zeigt, daß der REM-Schlaf bei Neugeborenen bis zu 60% des Gesamtschlafes ausmacht, dann aber mit zunehmendem Alter immer mehr abnimmt, bis auf etwa 20 % beim Erwachsenen. (Vgl. victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen, Schlafmittel, 17–18.) Die Tatsache, daß der Schlafbedarf mit wachsendem Alter insgesamt abnimmt, paßt gut zu der Hypothese, der Tiefschlaf diene der Reparatur von Schäden, die an den Zellen während der intensiven Stoffwechselvorgänge im Wachzustand aufgetreten seien: – je älter der Organismus, desto langsamer der Ablauf des Stoffwechsels, desto niedriger freilich auch die Notwendigkeit und Fähigkeit zur Schadensbeseitigung, mit einem Wort: desto näher der Tod. Doch diese Zusammenhänge gelten im wesentlichen nur für den Nicht-REM-Schlaf

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Abb. B 16: Die altersspezifische Verteilung der Schlafphasen

(engl.: Non-REM-Schlaf); der REM-Schlaf aber ist ein «paradoxer Schlaf», dessen Aktivitätsmuster sich vom Tiefschlaf auf charakteristische Weise unterscheidet. In der Non-REM-Phase (Schlafstadien II, III und IV) stellen die Neuronen im Hirnstamm ihre Aktivitäten weitgehend ein; in der Großhirnrinde und in den angrenzenden Regionen des Vorderhirns geht die Aktivität indessen nur leicht zurück; hier beginnen nebeneinander liegende Neuronen jetzt mit niedriger Frequenz synchron zu feuern; sie erzeugen dadurch im Elektroencephalogramm (EEG) Gehirnwellen, deren Amplitude merklich größer ist als bei den Alphawellen im Wachzustand. Lediglich eine kleine Gruppe von rund 100 000 Neuronen an der Basis des Großhirns bleibt im Non-REM-Schlaf maximal aktiv; diese «Schlafneuronen» (engl.: sleep-on neurons) scheinen für die Einleitung des Schlummers verantwortlich zu sein; was sie anregt, ist noch nicht wirklich klar; doch scheint ein Anstieg der Körpertemperatur im Wachzustand vor dem Einschlafen an ihrer Aktivierung mitbeteiligt zu sein: – es

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schläft sich so schön nach einem heißen Bad oder unter der Sonnendusche. (Vgl. jerome m. siegel: Warum schlafen wir?, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2004, 30 –31.) Anders beim REM-Schlaf. In dieser Phase ist der Energieverbrauch ähnlich hoch wie im Wachzustand, da die meisten Neuronen im Hirnstamm und Großhirn recht aktiv sind; wie im Wachzustand feuern sie jetzt unsynchronisiert, weshalb die Amplituden der Gehirnwellen klein bleiben. Insbesondere bestimmte Neuronen im Hirnstamm, die sogenannten REM-Schlafzellen, zeigen nunmehr eine maximale Aktivität; sie sind es anscheinend, welche die Augenbewegungen auslösen. Auch die motorischen Cortexareale werden jetzt erregt; allerdings werden zugleich die meisten Körperbewegungen unterdrückt, indem die Neurotransmitter Noradrenalin (NA), Serotonin und Histamin, die im Wachzustand reichlich produziert werden, im REM-Schlaf nicht zur Synthese gelangen. Zu diesem Ergebnis kamen bereits Anfang der 70er Jahre die beiden Forscher dennis j. mcginty und ronald m. harper. Und eben dieser scheinbare Widerspruch: eine Hirnaktivität wie im Wachzustand bei sprunghaft gegenüber dem Normalschlaf angestiegener Schlaftiefe und gleichzeitigem motorischem Stillstand, macht das «Paradox» des REM-Schlafes aus. Was also steckt hinter diesem sonderbaren Befund? Die Sache schien noch rätselhafter zu werden, als man entdeckte, daß das EEG der REM-Schlafperioden nicht nur eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem EEG des Wachzustandes aufweist, sondern daß die REM-Phasen scheinbar mit den Traumphasen im Schlaf identisch sind: Personen, die man während einer REM-Phase weckt, berichten meist von Träumen, die sie gerade gehabt haben. Wenn das Schlafen zur Zellreparatur nötig ist, wieso braucht es dann der REM-Phasen im Schlafen? Warum, mit einem Wort, träumen wir? (Vgl. jerome m. siegel: Warum schlafen wir?, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2004, 31–33.) Um dieser Frage nachzugehen, untersuchte 1962 michel jouvet (geb. 1925) in Lyon den Bereich der Formatio reticularis, der an der Kontrolle von Wachen und Schlafen beteiligt ist, genauer. (Vgl. gerhard klösch – ulrich kraft: Der Stoff, aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 56.) jouvet führte «eine Serie experimenteller neurochirurgischer Eingriffe bei Katzen» durch – eine vornehme Umschreibung für eine Kette von Qual und Zerstörung, die er einer Säugetierart auferlegte, deren Schlafverhalten dem unseren auf bemerkenswerte Weise ähnelt. «Diese Eingriffe», resümiert john allan hobson (Schlaf und Traum, in: Kenneth A. Klivington: Gehirn und Geist, 75), «zeigten, daß Nervenzellen (sc. sogenannte REM-On-Neuronen, d. V.) im Bereich der Brücke (Pons) . . . für die Aufrechterhaltung des REM-Schlafes ver-

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Abb. B 17: Strukturen, deren Neurone die PGO-Erregungen während des REM-Schlafes hervorrufen

antwortlich sind, denn bei selektiver Zerstörung dieser Zellen verschwand der REM-Schlaf bei Katzen. Ließ man die entsprechenden Zellen in der Brückenregion intakt und zerstörte die darüberliegenden Hirnteile, so blieb der REMSchlaf erhalten.» Die Aktivität der REM-On-Neuronen, die den REM-Schlaf erzeugen, ist in jeder REM-Phase erheblich gesteigert, während sie in den Non-REM-Phasen minimal ist. Während der REM-Phasen senden die REMOn-Neuronen über Acetylcholin (ACh) als Transmitter erregende Impulse in viele Hirngebiete, insbesondere ins limbische System und ins Vorderhirn. Der Weg, den die Nervensignale vom Hirnstamm zur Sehrinde nehmen, verläuft dabei vom Pons über den Kniehöcker (das im Thalamus gelegene Corpus geniculatum) und von dort zum Okzipitallappen; abgekürzt spricht man deswegen auch von den PGO-(Pons-geniculatum-occipitalis)-Erregungen. (Vgl. michel jouvet: Die Nachtseite des Bewußtseins, 44 –47; 76 –77; 81–85; jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 50; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 356– 357.) Abb. B 17 zeigt die Strukturen, deren Neurone die PGO-Erregungen während des REM-Schlafes hervorrufen. Spätestens etwa nach 50 Minuten machen die sogenannten REMOff-Neuronen dem «Signalfeuerwerk aus dem Hirnstamm» ein Ende, indem

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sie Noradrenalin (NA) und Serotonin freisetzen, durch welche die Wirkung des Acetylcholin (ACh) aufgehoben wird. Damit hört die REM-Phase, mithin das bewußte, wachzustandähnliche Träumen, auf. (gerhard klösch – ulrich kraft: Der Stoff, aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 56) Der zyklisch auftretende REM-Schlaf ist demnach das Ergebnis einer reziproken Interaktion zwischen zwei Schaltkreisen der caudalen Formatio reticularis, genauer zwischen exzitatorischen cholinergen REM-On-Neuronen im pontinen (im Pons gelegenen) Anteil der caudalen Formatio reticularis und inhibitorischen noradrenergen sowie serotonergen REM-Off-Neuronen im Locus coeruleus sowie in den dorsalen Raphe-Kernen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 349– 350; 353; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 356 –357.) Aus diesem Befund leiteten 1977 john allan hobson (geb. 1933) und robert w. mccarley das sogenannte Aktivierung-Synthese-Modell ab, das etwa ein Jahrzehnt lang die neurologischen Theorien in der Schlafforschung wesentlich prägte und mit dem sie vor allem die psychoanalytische Traumtheorie ein für allemal der Scharlatanerie überführt zu haben glaubten. Demnach sollten Träume nichts weiter sein als eine Reaktion des präfrontalen Cortex und anderer mit ihm verbundener Strukturen des Vorderhirns, wie des Septums, auf rein neuronal bedingte, chaotische und absolut bedeutungslose «aktivierende» Impulse aus dem Hirnstamm; das Vorderhirn, so die Theorie, versuche, aus dem bloßen Hirnstamm-«Rauschen» sich eine Geschichte zurechtzulegen und daraus einen «Sinn» zu «synthetisieren», der an sich durchaus nicht vorhanden sei; die Psychoanalyse arbeite mit ihrer haarsträubenden «Technik» der «freien» Assoziation diesen (vergeblichen) Versuch im Wachzustand dann auch noch weiter aus. (Vgl. mark solms – oliver turnbull: Das Gehirn und die innere Welt, 203– 204; jonathan winson: Neurologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 50.) Erstaunlich an dieser Kritik mutet an, daß die beiden Harvard-Dozenten nicht bemerkten, wie einfach ihre Argumentation sich auch zugunsten der Psychoanalyse verwenden läßt: Wenn Träume nichts weiter sein sollen als Reaktionen des Vorderhirns auf das nächtliche Impulswirrwarr des Hirnstamms, so liegt es eigentlich nahe, in den Assoziationen des Träumenden so etwas zu sehen wie die projektiven «Einfälle» seines eigenen Erinnerungs- und Gedankenmaterials, das Aufschluß darüber zu geben vermag, wie der Betreffende selbst seine Lage wahrnimmt – ähnlich wie wenn jemand zu den an sich sinnlosen symmetrischen Klecksbildern des rorschach-Testes (nach hermann rorschach, 1884 –1922) spontane Empfindungen mitteilt, die als Aussagen über

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seine eigene Seelenlage verstanden werden können. Und tatsächlich hat hobson selbst sein Aktivierung-Synthese-Modell später überdacht und ging dann davon aus, die «Aktivität des Cortex . . . sei zwar zufällig, die Art und Weise, wie der Cortex den Erregungen aus dem Hirnstamm jedoch einen Sinn verleiht (sie also interpretiert), sei abhängig von psychischen Prozessen des Träumers». (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 357) Denn auch neurologisch hatten sich bald schon schwere Zweifel gegenüber dem Aktivierung-Synthese-Modell angemeldet, das wesentlich darauf beruhte, daß REM-Phase und Traumschlaf identisch seien: 1982 nämlich schilderte peretz lavie (geb. 1949) den Fall des Patienten Y. H.; ein Granatsplitter hatte sein (angenommenes) Zentrum für den REM-Schlaf im Hirnstamm zerstört; erwartungsgemäß machte diese Läsion bei ihm einen REM-Schlaf fortan unmöglich, nicht aber das Träumen selbst, im Gegenteil: Y. H. litt seither unter Albträumen! (Vgl. gerhard klösch – ulrich kraft: Der Stoff, aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 57.) Zudem hatte david foulkes (geb. 1935) bereits in den 60er Jahren des 20. Jhs. experimentelle Belege dafür vorgelegt, daß die Gleichsetzung von REM-Schlaf mit Traumphase und Non-REM-Schlaf mit Traumlosigkeit eine anscheinend unzulässige Vereinfachung darstellt. Zwar erzählten nur 5–10 % derjenigen, die man in einer Non-REM-Phase weckte, von Traumerlebnissen, aber immerhin! Und vielleicht war nur die Frage der Neurologen psychologisch falsch gestellt: «Haben Sie gerade geträumt?» Als jedenfalls foulkes seine Probanden so zu fragen begann, wie man es in der Psychoanalyse tun würde: «Was ging Ihnen gerade durch den Kopf?», berichteten plötzlich 70 % der Testpersonen von traumähnlichen Eindrücken in der Non-REM-Phase, die allenfalls kürzer und eher sachlich und logisch aufgebaut waren, während die REM-Träume als weit emotionaler und phantastischer beschrieben wurden. (Vgl. mark solms – oliver turnbull: Das Gehirn und die innere Welt, 207– 209; gerhard klösch – ulrich kraft: Der Stoff, aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 57.) In einer grundlegenden Studie hat daraufhin mark solms versucht, Neurologie und Psychoanalyse auf dem Boden einer einheitlichen Traumtheorie miteinander zu versöhnen. Dabei ging er methodisch von dem Ansatz des russischen Psychologen alexander romanowitsch lurija (1902 –1977) aus, der, wie freud, das Träumen als Folge des dynamischen Prozesses eines komplexen Zusammenspiels vielfältiger Hirnfunktionen betrachtet hatte und der, ebenfalls wie freud, der schon referierten Theorie des Engländers john hughlings-jackson gefolgt war, daß «die höhere Schicht des Nervenappa-

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rats inhibitorisch war und die primitiven Reaktionen der älteren zerebralen Systeme regulierte». (Zit. n. karen kaplan-solms – mark solms: Neuro-Psychoanalyse, 35.) «Sowohl Freud als auch Lurija bestanden darauf, daß es nicht möglich sei, einen vielschichtigen psychischen Prozeß und dessen zerebrale Repräsentationen zu korrelieren, solange die internen Strukturen dieses Prozesses unverständlich blieben.» (karen kaplan-solms – mark solms: Neuro-Psychoanalyse, 62) Was aber sind dann diese «zerebralen Repräsentationen» des «vielschichtigen» Traumprozesses? Welche Hirnteile müssen zusammenwirken, damit Träumen möglich wird? Entsprechend der Vorgehensweise lurijas fragte auch solms, was passiert, wenn bestimmte Hirnabschnitte schweren Schädigungen unterliegen. Und so fand er anhand von Krankengeschichten der Reihe nach: Eine Läsion des linken inferioren Parietallappens nimmt die Möglichkeit, «abstrakte Konzepte von räumlich organisierten multimodalen Informationen abzubilden» (karen kaplan-solms – mark solms: A. a. O., 48), also etwa Geräusche, Gerüche, Farben und Gestalten zu einem räumlich simultanen Begriff («da ist eine Katze») zu integrieren; doch eben auf dieser Fähigkeit basiert das Träumen; ihr Verlust ist demnach identisch mit Traumverlust. Auch eine Läsion des rechten inferioren Parietallappens führt zu Traumverlust, und zwar dort infolge von Defiziten des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses – es wird unmöglich, sich visuell-räumliche Informationen für kurze Zeitabschnitte zu merken und «konkret in einem visuell räumlichen Medium abzubilden». (karen kaplan-solms – mark solms, A. a. O., 49) Bilaterale Schäden der weißen Substanz in der ventromedialen Frontalhirnregion (in dem Gebiet hinter dem Augenzwischenraum) führen zum Ausfall der «Motivfunktion». Gerade dieses Gebiet war in der Mitte des 20. Jhs. das Ziel der präfrontalen Leukotomie gewesen, eines neurochirurgischen Eingriffs, mit dem man schwere Geisteskrankheiten zu beheben suchte; tatsächlich verschwanden dabei manche neurotischen und psychotischen Symptome, bezeichnenderweise aber auch die Fähigkeit zum Träumen. (Vgl. karen kaplan-solms – mark solms: A. a. O., 50– 51.) Eine Läsion des ventromedialen Bereichs des Okzipital- und Temporallappens führt dahin, daß in den an sich «normalen» Träumen die bildhafte Vorstellung oder bestimmte bildhafte Teilaspekte verlorengehen, zum Beispiel die Fähigkeit, Gesichter, Farben oder Bewegungen zu erkennen; offenbar stellt die «visuelle Musteraktivierung» eine Vorbedingung des Träumens dar, und sie ist an die ventromediale Okzipital- und Temporallappen-Region gebunden; es geht, wohlgemerkt, dabei nicht um eine Störung des symbolischen Erkennens,

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sondern um eine Beeinträchtigung der Fähigkeit, «visuell wahrgenommene Informationen konkret abzubilden»; von daher wundert es nicht, «daß . . . diese Komponente mit ihrer visuell-halluzinatorischen Funktion am Prozeß des Träumens mitwirkt». (karen kaplan-solms – mark solms: A. a. O., 51) Des weiteren bringen Schädigungen im frontalen Anteil des limbischen Systems es mit sich, nicht mehr zwischen Realität und Traumerfahrungen unterscheiden zu können; es kommt zu grundlegenden Störungen der Realitätskontrolle, zu einem Unvermögen, «zwischen Wahrnehmung, Gedanken, Erinnerungen, Phantasien und Träumen» zu differenzieren. (karen kaplansolms – mark solms: A. a. O., 52) Schließlich führt eine Läsion der temporalen Anteile des limbischen Systems zu immer wiederkehrenden, stereotypen Albträumen. Allem Anschein nach stehen diese Albträume mit der sogenannten fokalen (lat.: der focus – Herd; von einem infektiösen Krankheitsherd ausgehenden) Temporallappen-Epilepsie in Verbindung, indem die gleichen stereotypen Traumsequenzen den Patienten auch im Wachzustand in Gestalt epileptiformer Auren oder Anfälle begegnen und sogar künstlich durch Stimulation des Temporallappens erzeugt werden können. Dem limbischen System fällt somit eine verursachende Bedeutung für die Traumentstehung zu – mit anderen Worten: um zu träumen, bedarf es also wohl des Faktors einer «affektiven Erregung». (karen kaplan-solms – mark solms: A. a. O., 53) In all diesen Fällen ist es nicht so, als könnte man die Funktion, die jeweils am Traumgeschehen mitbeteiligt ist, auf eine einzelne Hirnregion begrenzen; umgekehrt aber wird aus derartigen anatomischen Syndromanalysen von Läsionsfolgen deutlich, daß der Prozeß des Träumens sich aus (nach heutigem Forschungsstand) sechs Teilkomponenten zusammensetzt, von denen keine für sich allein, wohl aber die Interaktion zwischen ihnen das Träumen ermöglicht. Generell, meint solms, könne «jegliche Stimulation des schlafenden Gehirns einen möglichen Auslöser für den Traumprozeß darstellen . . . Da andererseits unter allen Regionen nur der beschädigte, tiefergelegene ventromesiale (sc. ventromediale, d. V.) Frontalhirnbereich zu einer vollständigen Einstellung des Träumens führt, kann man vermuten, daß die Prozesse, die von diesem Gehirnareal gesteuert werden, am Ende des Pfades stehen, der den Traumprozeß initiiert hat». (karen kaplan-solms – mark solms: A. a. O., 54) Der Weckstimulus, der das Träumen einleite, komme entweder aus dem ventralen Mittelhirn oder aus den temporalen Anteilen des limbischen Systems; da Träume oft von dem Erregungszustand des REM-Schlafes begleitet werden, ist offenbar auch der Pons an dem auslösenden Mechanismus des Träumens beteiligt; als

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wesentlich für die Traummotivation aber erweist sich die ventromediale Frontalhirnregion – dieselbe Region, die das Denken und Verhalten auch im Wachzustand steuert. Mit anderen Worten: das Träumen ist ein motivierter Akt, der auf den Reiz antwortet, der das Gehirn zuerst erregt hat – etwa die REM-Aktivierung durch den Hirnstamm. Da Schlafzustand und Willkürbewegung sich in der genannten Weise gegenseitig ausschließen, beschränkt sich das Motivationsprogramm der Traumarbeit eher auf die Wahrnehmung und umfaßt zumeist keine motorischen Akte. «Das bedeutet auch, daß sequentielle Programme, die normalerweise durch die Frontalhirnregion gesteuert werden, durch simultane Muster ersetzt werden, so wie sie für die Funktion des Temporallappens charakteristisch sind.» (karen kaplan-solms – mark solms: A. a. O., 55) Indem sich im Traum die Funktionen des frontal-limbischen Bereichs durchsetzen, wird auch das reflexive Urteilsvermögen abgeschwächt. Erinnerungsmuster, die im Scheitellappen aktiviert werden, gelangen in den visuellen Speicher. «Somit endet der Prozeß in einer konkret wahrgenommenen Abbildung, die durch die reflexiven Systeme . . . überbesetzt ist, so als ob diese Abbildung reale Erfahrung darstellen würde. Das ist auch der Grund für die täuschend echte und halluzinatorische Qualität von Träumen.» (karen kaplan-solms – mark solms: A. a. O., 55) Somit hat solms in seinem Konzept vor allem zwei Hirnareale für das Träumen verantwortlich gemacht. Da ist zum einen der ventromediale Frontalhirnbereich, in dem Impulse aus verschiedenen Hirnbereichen eintreffen und dann mit Hilfe des Neurotransmitters Dopamin (DA) weitergeleitet werden; dieses mesolimbische Dopamin-System beeinflußt Motivation und zielorientiertes Verhalten, doch eben auch das Traumgeschehen: Dopaminmangel oder eine medikamentöse Absenkung des Dopaminspiegels verringert die Traumaktivität. Der zweite große Hirnbereich, der für das Träumen in solms’ Theorie wesentlich ist, besteht in der okzipito-temporo-parietalen Übergangsregion, in jenem Cortexareal also, das sich hinter und über den Ohren erstreckt und für die Verarbeitung von Wahrnehmungen und für abstraktes Denken, aber auch für die Speicherung und Integration von Gedächtnisinhalten zuständig ist. Erst wenn eine dieser beiden obersten Instanzen des Traumprozesses ausfällt, unterbleibt das Träumen vollständig; eine Läsion der niederen Informationsverarbeitungssysteme, wie zum Beispiel eine Schädigung des visuellen Systems, blendet wohl Qualitäten des normalen Träumens aus, unterbindet aber nicht das Träumen selbst. (Vgl. gerhard klösch – ulrich kraft: Der Stoff, aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 58 –60; mark solms – oliver turnbull: Das Gehirn und die innere Welt, 212– 213.)

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Abb. B 18: Das träumende Gehirn

Diese von mark solms entwickelte Traumtheorie geht, wie man sieht, davon aus, daß der Informationsfluß im Wachzustand sich im Schlafzustand umkehrt, indem es hier die übergeordneten Cortexareale sind, welche die Traumbilder erzeugen, die dann in umgekehrter Reihenfolge über dieselben Stationen geschaltet werden wie sonst die Sinneswahrnehmungen. Mit diesem Konzept wird das Aktivierung-Synthese-Modell nach hobson und mccarley genau in sein Gegenteil verkehrt: das Stirnhirn ist nicht länger mehr der passive Empfänger von an sich unsinnigen Erregungen des Hirnstamms, sondern der eigentliche Ursprung der Träume. Inzwischen sind die Neurologen freilich nicht mehr nur auf die Läsionsmethode zur Erforschung des Traumgeschehens angewiesen. Im Jahre 1997 machte allen braun die ersten Bilder vom menschlichen Gehirn während des REM-Schlafes mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), bei der eine radioaktive Zuckerlösung injiziert wird und über die Blutbahn ins Gehirn gelangt; die aktiven Hirnareale sammeln die Glucosemoleküle, deren Verteilung durch ihre Radioaktivität sichtbar gemacht werden kann. Abb. B 18 zeigt die Gehirnregionen, die im REM-Schlaf, der traumreichen Schlafphase,

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aktiv sind, und solche, die inaktiv bleiben. (Vgl. gerhard klösch – ulrich kraft: Der Stoff aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 58; mark solms – oliver turnbull: Das Gehirn und die innere Welt, 213.) Zu den aktiven Hirnarealen gehören: das limbische System, dessen Aktivierung die Trauminhalte emotional auflädt (daß diese Gefühlszentren in den Non-REM-Phasen nicht besonders aktiv sind, könnte den Grund dafür darstellen, daß Non-REM-Träume weniger emotional und weniger packend sind); das Extrastriatum (Cortexareale, die außerhalb der Area striata, der primären Sehrinde, liegen), welches das komplexe visuelle Muster bearbeitet; der Thalamus, der überwacht, welche Informationen von den Sinnen an die Hirnrinde weitergeleitet werden; der anteriore Gyrus cinguli, der die Aufmerksamkeit und Motivation kontrolliert und die lebhaften, ständig wechselnden Traumbilder hervorrufen könnte; und schließlich der Pons, der den REM-Schlaf auslöst. Daneben sind eingezeichnet die während des REM-Schlafes, also der traumreichen Phase, inaktiven Hirnareale: der präfrontale Cortex, der das bewußte Denken steuert – eben weil er in den REM-Phasen schläft, unterliegen die Träume nicht der Logik des Bewußtseins; der primäre visuelle Cortex, der im Wachzustand die visuellen Informationen verarbeitet, der jetzt aber «arbeitslos» bleibt, weil ihm der Input von der Retina fehlt; und schließlich der inferiore Scheitellappen, der Erlebnisse ins Gedächtnis hebt – die Inaktivität des Parietallappens ist der Grund dafür, daß es so schwerfällt, sich an den Trauminhalt zu erinnern. «Die Aktivierung-Synthese-Theorie hätte vorhergesagt», schreiben mark solms und oliver turnbull (Das Gehirn und die innere Welt, 214), «dass die Hirnstammaktivierung des REM-Zustands global das gesamte Vorderhirn aktiviert – und dadurch die zufälligen sensorischen, motorischen, emotionalen, Erinnerungs- und Gedankenbilder erzeugt, aus denen die mutmaßlichen ‹Schäume› der Träume bestehen. Gerade dies aber stellte Braun nicht fest. Vielmehr beobachtete er, dass während des REM-Träumens lediglich hochspezifische Teile des Vorderhirns aktiviert waren, andere Teile sich hingegen völlig inaktiv verhielten. Dies . . . legt nahe, dass die Träume durch hochspezifische Vorderhirnmechanismen verursacht werden. Darüber hinaus waren jene Teile des Vorderhirns, in denen Braun während des Träumens die höchste Aktivität beobachtete, exakt jene, die das Träumen zerstören oder verändern, wenn sie durch Läsionen geschädigt werden – und umgekehrt entsprachen die am wenigsten aktiven Teile exakt denjenigen, deren Verletzung für das Träumen folgenlos bleibt . . . Die Teile des Vorderhirns, die an der Traumkonstruktion beteiligt sind, umfassen das gesamte limbische System (einschließlich all der ‹limbischen› Komponenten der Stirn- und Schläfenlappen, aber mit Ausnahme

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ihrer ‹höheren kognitiven› Komponenten) sowie den größten Teil des visuellen Systems (mit Ausnahme des visuellen ‹Projektions›kortex – sc. des primären visuellen Cortex, d. V.).» Indem am Traumprozeß gerade diejenigen Areale beteiligt sind, die im Wachzustand an der Bildung von Gefühl und Motivation mitwirken, ergibt sich von selbst die Folgerung, daß Träume nicht einfach sinnlos sind, sondern durchaus in freudschem Sinne der Bearbeitung von Erlebtem dienen. Zusammenfassend können wir festhalten: «Der Traum besteht vermutlich (sc. nach aktuellem Stand der Forschung, d. V.) aus einer Interpretation zufälliger Erregungen, die von (physischen und psychischen) motivationalen Zuständen moduliert werden können . . . Vermutlich sind Trauminhalte und Symbole zufälliger als lange Zeit gedacht, aber weniger zufällig als manche noch immer glauben.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 358) Zudem ist in den REM-Phasen der Hippocampus auffallend aktiv, von dem wir bereits wissen, daß er für den Aufbau des Gedächtnisses besonders wichtig ist. Tatsächlich konnte pierre maquet in Lüttich mit der PET-Methode zeigen, daß im REM-Schlaf gerade diejenigen Hirnareale seiner Probanden am hellsten strahlten, die auch am Tage schon beim Lernen bestimmter Testaufgaben am meisten aktiv gewesen waren. (Vgl. gerhard klösch – ulrich kraft: Der Stoff, aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 60.) Diese Feststellung führt uns denn auch zu einer möglichen Antwort auf die nächste Frage, die wir stellen müssen. Wir haben bisher eine Menge darüber gehört, warum wir schlafen und wie wir träumen; doch wissen wir noch immer nichts vom Zweck und Sinn des Träumens.

b) Vom Zweck und Sinn des Träumens Nach sigmund freuds Traumtheorie sollten Träume den Sinn haben, daß Lebewesen, die unter den Triebeinschränkungen des kulturellen Zusammenlebens leiden, ihre selbst im Schlaf noch streng zensierten Wunschregungen wie ein Diebesgut in symbolischer Camouflage an der Zollstätte ihres Bewußtseins passieren lassen können. Der Traum, schrieb freud (Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, II/III 511–512), «soll vor allem der Zensur entzogen werden und zu diesem Zwecke bedient sich die Traumarbeit der Verschiebung der psychischen Intensitäten bis zur Umwertung aller psychischen Werte; es sollen Gedanken ausschließlich oder vorwiegend in dem Material visueller und akustischer Erinnerungsspuren wiedergegeben werden, und aus dieser Anfor-

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derung erwächst für die Traumarbeit die Rücksicht auf Darstellbarkeit, der sie durch neue Verschiebungen entspricht. Es sollen (wahrscheinlich) größere Intensitäten hergestellt werden, als in den Traumgedanken nächtlich zur Verfügung stehen, und diesem Zweck dient die ausgiebige Verdichtung, die mit den Bestandteilen der Traumgedanken vorgenommen wird. Auf die logischen Relationen des Gedankenmaterials entfällt wenig Rücksicht; sie finden schließlich in formalen Eigentümlichkeiten der Träume eine versteckte Darstellung. Die Affekte der Traumgedanken unterliegen geringeren Veränderungen als deren Vorstellungsinhalt. Sie werden in der Regel unterdrückt; wo sie erhalten bleiben, von den Vorstellungen abgelöst und nach ihrer Gleichartigkeit zusammengesetzt.» So verstanden, sollte der Traum «nicht etwa nachlässiger, inkorrekter, vergeßlicher, unvollständiger als das wache Denken» sein, sondern «etwas davon qualitativ völlig Verschiedenes». (sigmund freud: A. a. O., II/III 511) Ganz wie die psychoneurotischen Symptome, meinte freud, bildeten auch die Traumsymbole Wunscherfüllungen des Unbewußten, die entstünden, indem «zwei gegensätzliche Wunscherfüllungen, jede aus der Quelle eines anderen psychischen Systems (sc. des Es und des Überich, d. V.), in einem Ausdruck» zusammenträfen. (A. a. O., II/III 574; 575) Was im Traum unterdrückt werde, existiere nicht anders auch beim normalen Menschen; aber: «Der Traum ist selbst eine der Äußerungen dieses Unterdrückten . . . Das seelisch Unterdrückte, welches im Wachleben durch die gegensätzliche Erledigung der Widersprüche am Ausdruck gehindert und von der inneren Wahrnehmung abgeschnitten wurde, findet im Nachtleben und unter der Herrschaft der Kompromißbildungen (sc. der Traumsymbole, d. V.) Mittel und Wege, sich dem Bewußtsein aufzudrängen.» Von daher galt für freud die «Traumdeutung» als «die Via regia (sc. lat.: als der Königsweg, d. V.) zur Kenntnis des Unbewußten im Seelenleben.» (A. a. O., II/III 613) Was aber eigentlich ist «das Unbewußte»? freud selbst vertrat die Meinung, daß der Traum sich einer archaischen Sprache bediene, die er nicht erst erfinde, sondern voraussetze; in gewissem Sinne sollte das Träumen deshalb eine Regression in das Stadium der Vorsprachlichkeit darstellen. Wenn aber dies, so kann das Unbewußte nicht mit dem verdrängten Material der Psyche identisch sein, es muß vielmehr als der eigentliche Urzustand des Psychischen betrachtet werden, und auch der Mechanismus des Träumens kann nicht allein in einer symbolisch verhüllten Dennochdurchsetzung des Verdrängten bestehen. Es war carl gustav jung (1875 –1961), der die Tiefenpsychologie an dieser zentralen Stelle weiterzuentwickeln versuchte. «Das Unbewußte», erklärte er, «ist für mich nicht nur das respectacu-

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lum aller unsauberen Geister und sonstiger odioser Hinterlassenschaften abgelebter Zeitläufe, . . . sondern recht eigentlich die ewiglebendige und schöpferische Keimschicht, die sich zwar alter symbolischer Bilder bedient, darin aber und dadurch neuen Geist meint.» (Einführung zu W. M. Kranefeldt «Die Psychoanalyse», in: Gesammelte Werke, IV 379) Die «Wiener Schule» stellte jung mit solchen Worten seiner eigenen «Züricher Schule» gegenüber und kennzeichnete den Unterschied folgendermaßen: «Die Wiener Schule interpretiert das psychologische Symbol semiotisch (sc. als Bezeichnung eines an sich bekannten Bedeutungsinhaltes, d. V.), als ein Zeichen von gewissen primitiven psychosexuellen Vorgängen. Ihre Methode ist eine analytische und kausale. Die Züricher Schule erkennt die wissenschaftliche Möglichkeit einer solchen Konzeption an, bestreitet aber deren ausschließliche Gültigkeit, denn sie denkt das psychologische Symbol nicht nur semiotisch, sondern auch symbolisch (sc. als Ausdruck eines Inhaltes, der grundsätzlich bewußtseinstranszendent ist, d. V.), das heißt sie mißt dem Symbol einen positiven Wert bei.» «Für die Züricher Schule ist das Symbol nicht bloß ein Zeichen von etwas Verdrängtem und Unterdrücktem, sondern gleichzeitig ein Versuch, die weitere psychische Entfaltung des einzelnen Menschen zu erfassen und aufzuzeigen. Wir fügen also dem retrospektiven Wert des Symbols eine prospektive Bedeutung hinzu. – Die Methode der Züricher Schule ist demnach nicht nur eine analytische und kausale, sondern eine verknüpfende und prospektive, in Erkenntnis der Tatsache, daß der menschliche Geist sowohl durch fines (sc. lat.: Ziele, d. V.) als auch durch causae (sc. Ursachen, d. V.) charakterisiert ist.» (Vorreden zu den «Collected Papers on Analytical Psychology», in: Gesammelte Werke, IV 336) Was in dieser Kontroverse aussieht wie ein bloßer Methodenstreit über Kausalismus und Reduktionismus auf der einen Seite und Finalismus und Prospektivismus auf der anderen Seite, mithin als ein Richtungsstreit zwischen einer eher «naturwissenschaftlichen» und einer eher «geisteswissenschaftlichen» Betrachtung des Traumsymbols und damit der Psyche des Menschen insgesamt, gibt in jedem Falle die gemeinsame Ahnung der Tiefenpsychologie aller Schulen wieder, daß im Träumen sich etwas darstellt, das weit urtümlicher sein muß als die spezifisch «menschlichen» Anteile des Psychischen; gleichgültig, ob dieses «Urtümliche» im Traum sich unter Abwehr durchsetzt oder sich autochthon äußert, lautet die Grundeinsicht doch, daß das Träumen den Menschen in eine Schicht des Psychischen zurückführt, die Menschen wie Tieren gemeinsam ist. Dieses tiefenpsychologische Konzept mutet im Rückblick schon deshalb erstaunlich an, weil um 1910–1920 nicht die geringste Aussicht bestand, eine derartige These empirisch nachzuprüfen. Wenn es indessen das Ur- oder

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Vormenschliche, also «das Tierische» im Menschen ist, das träumt, so wird es natürlich zu einer entscheidenden Frage, ob nicht auch Tiere bereits träumen. Und eben diese Frage läßt sich heute mit naturwissenschaftlichen Mitteln eindeutig beantworten. Selbst wenn das Träumen sich nach dem Gesagten nicht einfach auf die Erlebnisse während der REM-Schlaf-Phasen reduzieren läßt, so scheint es doch unzweifelhaft, daß die REM-Phasen von Träumen begleitet werden, und ob derartige Phasen im Schlaf auftauchen oder nicht, kann man seit 1953 im Prinzip bei Tieren genausogut messen wie bei Menschen. Also wurde es gemessen. Wohlgemerkt hatten weder freud noch jung jemals behauptet, daß auch Tiere träumen könnten, und doch dürfte die Feststellung, ob sie es tun oder nicht, über die Berechtigung und das Verständnis der von ihnen entwickelten tiefenpsychologischen Theorien wesentlich mitentscheiden. Aber auch unabhängig davon ist das Ergebnis der Schlafforschung bei Tieren mehr als erstaunlich. Aus der Entwicklungsgeschichte der Säugetiere läßt sich heute in etwa abschätzen, wann die verschiedenen Traumphänomene sich gebildet haben. Alle Säugetiere zeigen beim Schlafen eine langsam-wellige Gehirnaktivität. Der REM-Schlaf hingegen trat vor ungefähr 140 Millionen Jahren auf, also nachdem die eierlegenden und die lebendgebärenden Säugetiere sich voneinander getrennt hatten. Entsprechend ist auch der Aufbau ihrer Gehirne unterschiedlich: Der Ameisenigel, der zu den urtümlichen eierlegenden Säugetieren (den Prototheria, griech.: prõtos – erster, das the¯ríon – wildes Tier, Säugetier; oder den Monotremata, griech.: Tiere mit nur einer Öffnung für Geburt und Ausscheidung; die Kloaktentiere, von denen als rezente Arten nur das Schnabeltier und die Ameisenigel in Australien und Neuguinea überlebt haben) zählt, weist noch keinen REM-Schlaf auf, und bezeichnenderweise ist bei ihm das Verhältnis des präfrontalen Cortex zum übrigen Gehirn viel größer als bei den lebendgebärenden Beuteltieren (bei den Metatheria, griech.: metá – dazwischen, mit; Pl.: die the¯ría – wilde Tiere; oder den Marsupialia) wie dem Opossum und als bei den höheren Säugetieren (den Eutheria, griech.: eu – gut, Pl.: die the¯ría – wilde Tiere, Säugetiere; oder den Placentalia, lat.: den Tieren, die mit einer Placenta – einem Mutterkuchen – gebären), einschließlich des Menschen. Im absoluten Maßstab übertrifft diese Gehirnregion bei ihnen sogar den präfrontalen Cortex körperlich gleichgroßer Säugetiere, etwa einer Katze. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 50; 52.) Abb. B 19 zeigt die Entwicklung der Säugetiere und das Auftreten des REM-Schlafes in schematischer Übersicht. Molekulare Uhren sprechen dafür, daß der letzte mit den Kloakentieren gemeinsame Vorfahre vermutlich vor über 200 Millionen Jahren

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Abb. B 19: Die Entwicklung des REM-Schlafes bei Säugetieren

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Abb. B 20: Artspezifisch verschiedene Situationen, in denen der Theta-Rhythmus im Wachzustand auftritt; im REM-Schlaf ist er allen höheren Säugetieren gleichermaßen gemeinsam

lebte; der letzte gemeinsame Vorfahre von Beuteltieren und Placentatieren lebte vor mindestens 125 Millionen Jahren. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 842 –844.) Wenn Säugetiere seit rund 140 Millionen Jahren träumen, so kann der Zweck dieser nächtlichen Aktivität vom Ursprung her gewiß nicht darin bestanden haben, kulturell unterdrückte Triebe symbolischen Ersatzbefriedigungen zuzuführen; eher scheint es so gewesen zu sein, daß von einem bestimmten Moment an der präfrontale Cortex sich nicht mehr weiter ausdehnen konnte und daß statt dessen sich der REM-Schlaf als ein neues Verfahren der Leistungssteigerung entwickelte. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 52.) Wie aber sollen ausgerechnet das Schlafen und Träumen die Funktionsleistungen des Gehirns fördern? Muß eine solche Hypothese nicht ganz bizarr wirken? Doch läßt sich zeigen, daß es sich gerade so verhält. Das Schlüsselwort dazu lautet: Theta-Rhythmus. Im Jahre 1954 entdeckten john d. green und arnaldo a. arduini in Kalifornien derartige Erregungsphänomene im Hippocampus von Kaninchen, die gerade aufmerksam ihre Umgebung sicherten; es handelte sich um ein regelmäßiges, sinusförmiges Erregungsmuster mit sechs Perioden pro Sekunde, wie Abb. B 20 es aufzeigt; weil dieses Erregungsmuster den Theta-Wellen im menschlichen Hirnstrombild (EEG) entspricht, bezeichneten die Forscher es denn auch als Theta-Rhythmus. (Theta-Wellen sind – wir erinnern uns – ty-

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pisch für das Schlafstadium I und für den REM-Schlaf.) Wenig später dann wurde dieser Rhythmus auch bei anderen Säugetieren gefunden: bei Spitzhörnchen, Maulwürfen, Ratten, Katzen . . ., und zwar zunächst bei wachen Tieren, freilich je nach Art bei ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen. Bei Ratten zum Beispiel wurde der Theta-Rhythmus – anders als bei Kaninchen – nur dann erzeugt, wenn sie aktiv etwas erkundeten. Dann aber entdeckte im Jahre 1969 der Kanadier case h. vanderwolf, daß diese spezielle Gehirnaktivität in einer bestimmten Situation bei allen Tieren gemeinsam auftritt: – während des REM-Schlafes. Und aus dieser Tatsache leitete jonathan winson 1972 die These ab, die Theta-Rhythmen begleiteten im Wachzustand gerade diejenigen Aktivitäten, die zum einen für die jeweilige Tierart überlebenswichtig seien, deren Abläufe aber zum anderen nicht genetisch streng festgelegt würden, sondern umweltflexibel bleiben müßten. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 50– 51.) Für eine Katze zum Beispiel stellt das Beutemachen solch eine Aktivität dar, für ein Kaninchen ein Augenblick der Wachsamkeit gegenüber möglichen Freßfeinden, für eine Ratte das Erkunden der Umgebung, wie Abb. B 20 es wiedergibt. Weil diese Wellen im Hippocampus erzeugt werden, der, wie wir sahen, maßgebend an der Speicherung von Gedächtnisinhalten beteiligt ist, stellte sich natürlich die Frage, ob der Theta-Rhythmus im REM-Schlaf nicht eben diesen Aktivitäten im Wachzustand entsprechen könnte. Die Vermutung drängte sich auf, daß im REM-Schlaf womöglich bedeutsame Erlebnisse der zurückliegenden Wachphase aufgearbeitet würden. Also galt es, den Hippocampus genauer zu untersuchen, und so fand winson 1974, daß es zwei Gebiete des Hippocampus sind, in denen bei Säugetieren unterhalb der Primaten der Theta-Rhythmus erzeugt wird: das ist einmal der Gyrus dentatus (lat.: die gezähnte Windung, auch Area dentata genannt) und dann das Feld CA 1; die Rhythmik beider Gebiete ist synchron. Später fand man, daß auch der entorhinale Cortex, über den die Signale aus den sensorischen Feldern der Hirnrinde und aus den Assoziationscortices zum Hippocampus laufen, Erregungswellen erzeugt, die mit den beiden anderen synchronisiert sind. Und schon ergab sich daraus wieder die nächste Frage: Was kontrolliert den Theta-Rhythmus? (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 51.) robert verdes war es, der im Hirnstamm die Neuronen fand, die dafür zuständig sind. Wie Abb. B 21 schematisch darzustellen versucht, senden diese Neuronen ihre Impulse zum Septum, das als Schrittmacher beziehungsweise als Automatiezentrum für den Theta-Rhythmus gilt; das Septum seinerseits aktiviert dann den Hippocampus und den entorhinalen Cortex; die Impulse, die

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Abb. B 21: Lage von Hirngebieten, die an der Neurobiologie des REM-Schlafes und der Gedächtnisaufbereitung beteiligt sind

über den entorhinalen Cortex im Hippocampus eintreffen, werden dort in drei Feldern bearbeitet: im Gyrus dentatus, im Feld CA 3 und im Feld CA 1; das sind – wir erinnern uns – gerade diejenigen Gebiete, die bei der Gedächtnisübertragung von besonderer Bedeutung sind. (Vgl. Abb. B 7.) Anscheinend dient der Theta-Rhythmus wirklich dazu, Eindrücke, die zuvor im Wachzustand gewonnen wurden, im REM-Schlaf zu verarbeiten. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 51– 52.) Bezeichnenderweise sind es demnach Erregungen aus dem Hirnstamm, die an der Gedächtnisspeicherung entscheidend beteiligt sind. Wenn wir im vorherigen Kapitel noch Lernen und Erinnern als den Beginn von geistigen Fähigkeiten im eigentlichen Sinne benannt haben, so müssen wir jetzt feststellen, wie

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fundamental in der Geschichte des Lebens ebenso wie in den Strukturen des Säugetiergehirns diese Aktivitäten verankert sind. Was sollen wir uns merken? Offenbar sagt uns das primär nicht die «Vernunft», die sich allererst aus eben jenen Prozessen der Informationsverarbeitung entwickelt; wir erfahren es – unter anderem – offenbar von Neuronen im Hirnstamm, die gerade die Abläufe auslösen, mit deren Hilfe sich die «Tagesreste» des Erlebens in der Nacht noch einmal durchgehen lassen. – Daß an dieser Theorie etwas dran ist, ließ sich alsdann durch ebenso einfache, wie quälerische Läsionsversuche zeigen: winson zerstörte bei Ratten, die zuvor gelernt hatten, sich anhand bestimmter Merkmale in einem Labyrinth zurechtzufinden, das Septum; dadurch konnten keine Theta-Rhythmen mehr entstehen, und prompt verloren die Ratten auch ihr räumliches Gedächtnis; sie irrten in dem Labyrinth umher, als hätten sie es niemals kennengelernt. (jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 52) Die Frage blieb freilich, was eigentlich der ThetaRhythmus mit den Lernprozessen im Hippocampus zu tun haben sollte. Doch auch dieses Problem ließ sich lösen. Wie die NMDA-Rezeptoren an den Dendriten der CA 1-Pyramidenzellen im Hippocampus Langzeitpotenzierung ermöglichen, haben wir bereits gesehen: Die Ausschüttung von Glutamat an der präsynaptischen Zelle führt zum Einstrom von Natriumionen in die postsynaptische Zelle, die dadurch depolarisiert wird; bei den NMDA-Rezeptoren öffnet sich bei weiterer Ausschüttung von Glutamat, wenn die postsynaptische Zellmembran bereits depolarisiert ist, zusätzlich noch ein zweiter Kationenkanal, der Calciumionen einströmen läßt, die über ein Second-Messenger-System langanhaltende Veränderungen an den Synapsen bewirken – eben eine Langzeitpotenzierung. Im Jahre 1986 unterbreiteten john larson und gary s. lynch in Kalifornien sowie gregory mancel rose (geb. 1953) und thomas v. dunwiddie in Colorado nun die Hypothese, daß die Langzeitpotenzierung an den Theta-Rhythmus gekoppelt sei. Ihr experimenteller Nachweis: wenn sie die CA 1-Zellen im Hippocampus von Ratten mit einigen wenigen elektrischen Impulsen stimulierten, gelang es ihnen, eine Langzeitpotenzierung zu erzeugen, vorausgesetzt, die zeitlichen Abstände zwischen den Impulsen entsprachen den zeitlichen Abständen zwischen zwei Wellen im Theta-Rhythmus (sie betrugen etwa 200 Millisekunden). Es sah daher ganz so aus, als wenn es der Theta-Rhythmus sei, der die NMDARezeptoren der Neuronen im Hippocampus aktiviere. Darüber hinaus fand jonathan winson, daß nicht nur bei Zellen im CA 1-Feld durch den ThetaRhythmus eine Langzeitpotenzierung zu erzeugen ist, sondern auch bei Körnerzellen im Gyrus dentatus, und zwar trat der Effekt nur dann ein, wenn die

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elektrischen Impulse während der Wellenspitzen, nicht während der Wellentäler gegeben wurden. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 53.) All diese Befunde setzten sich jetzt zu einem Gesamtbild zusammen, das zeigte, wie im Wachen und Schlafen Gedächtnisinhalte verarbeitet werden: Bei einer Ratte zum Beispiel, die ihre Umwelt erkundet, aktivieren Neuronen des Hirnstamms, wie gerade gezeigt, den Theta-Rhythmus im Hippocampus; gleichzeitig treffen dort auch die Informationen der Sinnesorgane ein; die Signale der Nase und der Schnurrhaare werden bei der Ratte im entorhinalen Cortex vom Theta-Rhythmus «in Informationshäppchen von 200 Millisekunden Dauer unterteilt. Die im Verein damit agierenden NMDA-Rezeptoren ermöglichen daraufhin durch langdauernde Veränderungen an den Nervenzellmembranen, daß diese Information als Inhalt des Langzeitgedächtnisses niedergelegt wird». (jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 53) Da die Geschehnisse im REM-Schlaf denen bei einem wachen Tier weitgehend entsprechen, indem auch in dieser spezifischen Schlafphase das Netzwerk von Isocortex und Hippocampus unter Theta-Rhythmus gehalten wird, dürfte der REM-Schlaf, mithin das Träumen, den Zweck verfolgen, Umstrukturierungen an den Synapsen vorzunehmen, die der Langzeitspeicherung von Gedächtnisinhalten dienen; da im Schlaf keine neuen sensorischen oder somatosensorischen Informationen aufgenommen werden, kann das, was da an Inhalten gespeichert wird, sich in der Tat nur aus vorhergehenden Erfahrungen ergeben. Dieser Rückschluß ließ sich sogar auf der Ebene einzelner Neuronen bestätigen. Im Jahre 1989 nämlich zeigten constantine pavlides und jonathan winson bei Ratten, wie zwei Neuronen des Hippocampus im CA 1-Feld, die an verschiedenen Aufenthaltsorten ansprachen, über mehrere Schlafzyklen hinweg signifikant schneller feuerten, wenn sie an der Kartierung des Raumes durch ein entsprechendes Training beteiligt worden waren. Damit schließt sich der Kreis der Beweisführung. Allem Anschein nach werden die Inhalte, die im Wachzustand aufgenommen wurden, in den REM-Phasen des Schlafes aufgearbeitet und dabei womöglich gefestigt. «Eine wahrscheinliche Theorie scheint jedenfalls zu sein,» schreibt hans-joachim markowitsch (Dem Gedächtnis auf der Spur, 117), «dass während des Schlafs der Hippocampus den Neocortex mit Information ‹füttert› oder . . . dass der Hippocampus als kurzzeitiger Informationsspeicher diene, der dann des Nachts dem Neocortex Lernsignale liefere, die dieser tagsüber dem Neocortex ‹zurückfüttere›; auf diese Weise käme es über mehrere Schlafepochen hinweg zur endgültigen Konsolidierung von Information.»

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Diese Einsicht hilft nun auch, ein Stück der psychischen Entwicklungsgeschichte der Säugetiere besser zu verstehen. Wenn wir noch einmal in Abb. B 19 betrachten, wie groß der präfrontale Cortex eines Tieres wie des Ameisenigels ist, das noch keinen REM-Schlaf entwickelt hat (obwohl es bei Nahrungssuche einen Theta-Rhythmus produziert), so ist deutlich, daß die charakteristischen Aufgaben dieses Hirnteils – auf neue Informationen entsprechend früheren Erfahrungen angemessen zu reagieren, neue Informationen zu bewerten und die relevanten Inhalte zu speichern – nicht auf dem Wege einer weiteren Vergrößerung einer erneuten Leistungssteigerung zugeführt werden konnten. Der REM-Schlaf scheint tatsächlich einen Ausweg aus dieser evolutiven Sackgasse geboten zu haben: Indem er es erlaubte, Gedächtnisinhalte zeitlich unabhängig vom aktuellen Geschehen zu bearbeiten, wurde bei den Beutel- und Placentatieren der präfrontale Cortex fortan nicht mehr zur Informationsaufbereitung benötigt; daher konnte die relative Größe dieser Hirnregion nunmehr verringert werden, zugunsten von Gebieten, die komplexe assoziative und kognitive Leistungen zu erbringen imstande sind. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 54 –55.) Auch das Phänomen des REM-Schlafes selbst: die Augenbewegung, läßt sich von daher einigermaßen erklären. Im Wachzustand dürften sie die Sehrinde auf das Eintreffen einer visuellen Information vorbereiten; im REM-Schlaf zeigen sie offenbar an, daß diese Information verarbeitet wird; und da die PGO-Signale, die vom Hirnstamm (dem Pons) über den Kniehöcker (das Corpus geniculatum) zum Sehzentrum des Okzipitallappens weitergegeben werden, nicht zum Aufwachen des Tieres führen, brauchen sie auch nicht, wie die übrige Aktivierung der Motorik, unterdrückt zu werden. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 55.) Und jetzt darf man tief Luft holen. Denn ein frappanteres Ergebnis unserer Beschäftigung mit dem Traum als dieses war gewiß nicht zu erwarten. Vor ein paar Seiten noch sind wir ausgezogen, Träume als eine Art Luxus der Psyche zu betrachten; dann hörten wir, wie noch vor wenigen Jahrzehnten mit überzeugend erscheinenden Gründen die Ansicht verfochten wurde, den Träumen komme weder ein Sinn noch ein Zweck zu, sie seien das bloße Abfallprodukt eines betriebsbedingten Hirnstamm-Rauschens. Und jetzt erfahren wir nicht nur, wie das Träumen in der Stammesgeschichte der Säugetiere in unseren Gehirnen möglich wurde, sondern müssen den Eindruck gewinnen, daß das Träumen selbst den Aufbau dieser Gehirne auf das nachhaltigste mitgeprägt hat. Wir verstehen zudem, warum insbesondere Kinder so viel länger schlafen und so

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viel mehr REM-Schlaf benötigen als Erwachsene: – nicht, weil sie mehr Triebe zu unterdrücken hätten, sondern weil der REM-Schlaf das Gehirnwachstum fördert; vor allem im Alter von zwei Jahren, in der Zeit, da der Hippocampus funktionsfähig wird, dürfte der REM-Schlaf damit beginnen, die Informationen, die im Wachzustand aufgenommen wurden, zu integrieren und daraus im Vergleich mit früheren Erfahrungen ein eigenes Konzept der Welt zu formen. Und nicht zuletzt verstehen wir jetzt auch die Eigenart des Träumens selbst, wie freud es charakterisiert hat: als ein Geschehen im Unbewußten, als das Relikt einer Stufe der psychischen Evolution, die noch nicht über das Vermögen zum Sprechen verfügte und die wesentlich noch von Sinneswahrnehmungen, vor allem von visuellen Eindrücken, geprägt war. Die Hypothese läßt sich also formulieren, das menschliche Träumen habe sich aus eben den Mechanismen der Gedächtnisbearbeitung entwickelt, die bei unseren tierischen Vorfahren im REM-Schlaf mit dem Theta-Rhythmus einhergehen. (Vgl. jonathan winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 56.) Auch bei uns Menschen sind erste vergleichbare Ergebnisse gefunden worden wie bei Ratten, die einen Weg suchen und dabei Theta-Wellen aufweisen. (Vgl. Lexikon der Neurowissenschaft, III 356, Stichwort: Theta-Wellen.) Der These, daß Schlafen und Träumen der Verarbeitung und Festigung von Gedächtnisinhalten dienen, stimmen heute wohl die meisten Neurologen zu. Inzwischen hat sich durch Studien zum Gesangsverhalten von Zebrafinken übrigens sogar gezeigt, daß auch bei diesen Vögeln «das am Tage verarbeitete akustische Feedback die Aktivierungsmuster im sensorischen Singzentrum modifiziert, was dann während der Nacht an das motorische Singzentrum weitergegeben wird». (Zit. n. manfred spitzer: Lernen, 126; vgl. auch amish s. dave – albert c. yu – daniel margoliash: Behavioral state modulation of auditory activity in a vocal motor system, Science, 282/1998, 2250– 2254.) manfred spitzer (Lernen, 126) vergleicht diese Zusammenhänge mit der gekoppelten Aktivierung von Hippocampus und Großhirn im Säugetiergehirn. Offenbar wurde die Strategie der Gedächtnisverarbeitung durch Schlaf (und Traum) in der Evolution stammesgeschichtlich gleich mehrfach «erfunden». (Vgl. zum Thema auch elizabeth hennevin-dubois: Lernen im Schlaf, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003: Gedächtnis, 64 –68.) Ganz entsprechend der Lehre der Psychoanalyse dürften Träume jedoch nicht nur eine Überlebensstrategie in der Entstehung der Säugetierarten darstellen, sondern vornehmlich der Entwicklung des Selbst-Bildes des einzelnen Träumenden dienen. Dabei sollte man die (neurotische) Konflikthaftigkeit des Traumes, wie freud sie beschrieb, durchaus als (pathologischen) Sonderfall

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des Träumens verstehen, an dem vieles Grundsätzliche freilich besonders deutlich zu Tage tritt. Der (subjektive) Sinn des Träumens ergibt sich nach dem Gesagten jetzt wie von selbst aus seinem (objektiven) Zweck: der Aufarbeitung von Erlebnissen und Informationen. Wesentlich scheint im Traum zum Ausdruck zu kommen, welche Bilder, Wünsche, Ängste, Erwartungen und Gefühle jemand von sich selber hat. Zutreffend kann man im Traum daher ebenso ein Probehandeln (vgl. ernst pöppel: Grenzen des Bewußtseins, 106 –115) wie ein Nachbehandeln sehen; einen Versuch der Anpassung der Triebwünsche an das, was man als Handlungsfolge im Sinne von Lohn und Strafe bereits kennengelernt und verinnerlicht hat; ein Bemühen, sich über die gegenwärtige Lage klar zu werden; – in jedem Falle eine Weise der Selbsterfahrung in einer Tiefe, die der bewußten Wahrnehmung an sich entzogen ist, und in einer Dichte, die symbolisch Wahrnehmung, Motivation und Gefühl in einer einheitlichen Geschichte zusammenfaßt. Es kann deshalb nicht verwundern, daß in der Antike der Traum als eine Botschaft der Götter galt und, wie in dem Heiligtum des Asklepios in Epidauros, von Priesterärzten therapeutisch genutzt wurde. (Vgl. laura hermes: Traum und Traumdeutung in der Antike, 7– 20; e. drewermann: Tiefenpsychologie und Exegese, II 174 –188.) An dieser Stelle hat die tiefenpsychologische Methode der Traumdeutung selbst eine Reihe von unterschiedlichen Verfahren entwickelt, die dem individuellen Traumgeschehen möglichst gerecht zu werden versuchen. (Vgl. e. drewermann: Tiefenpsychologie und Exegese, I 107–116: Psychologische Kennzeichnung des Traumes; 154 –162: Variationen der Traumdeutung; hildegard schwarz – norbert teupert: Das Bilderbuch der Träume, 23–74.) Es würde heutigentags jedenfalls keine gerechte Kritik (mehr) darstellen, wollte man die anthropologische Weite der tiefenpsychologischen Betrachtung der Träume auf denjenigen Zugang verengen, der sich zur Bearbeitung neurotischer Probleme freilich am meisten empfiehlt: auf den Aspekt des Konfliktes zwischen Triebwunsch und Triebunterdrückung. Im wesentlichen eröffnet der Traum gerade in tiefenpsychologischer Sicht einen hervorragenden Zugang zum Verständnis seiner selbst. – Dazu abschließend ein kleines Beispiel. Eine Frau, Ende der 40, klagt immer wieder über Streß und Überforderung in Beruf, Haushalt und Kindererziehung; seit langem wird sie von der Angst geplagt, in ein tiefes Loch aus Depressionen und Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht zu fallen. Oft schon hat sie über ihre Kindheit gesprochen – von ihrer Mutter, die bei der großen Zahl der Kinder kaum Zeit für sie fand, von ihrem Vater, der streng und hart versuchte, den familiären Betrieb wirtschaftlich aufrechtzuerhalten; jetzt aber träumt sie einen für sie selbst zunächst

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ganz unverständlichen Traum: Sie geht im Brautkleid durch einen Park (wie es ihn wirklich in ihrem Wohnort gibt) und kommt zu einer Straße mit Bäumen, die ihre Zweige kandelaberähnlich zum Himmel strecken; Kinder spielen darunter und geleiten sie zu einem Grab, darin eine Frau liegt, noch selbst wie ein Mädchen. Sie selbst, die Träumende, streckt sich auf der Steinplatte dieses Grabes, die wie mit Federn bestreut ist, der Länge nach aus; dann wacht sie auf. – Ohne diesen Traum in den Einzelheiten seiner Anspielungen und in den assoziativen Verweisungen im Erinnerungsmaterial dieser Frau ausführlich darzustellen, mag an dieser Stelle eine kurze symbolistische Deutung zeigen, in welcher Weise in einem einzelnen Traum ein ganzes Leben verschlüsselt sein kann. Irgendwie spürte diese Frau selbst, daß sie in jenen Bildsequenzen in gewissem Sinne ihrer eigenen Beisetzung beiwohnte, ja, daß sie wie eine lebendig Tote sich zu ihrer eigenen Bestattung hintrug; es war ihr eigenes Kind beziehungsweise das, was in ihr selber kindlich geblieben war, das sie diese Wahrheit erkennen ließ. Eigentlich liebte sie Gärten und Blumen und Bäume über alles; eigentlich war sie ein Mensch, der es verstand, Glück und Freude um sich her zu verbreiten, wie schwebend, flügelleicht, gleich einem Engel; doch war ihr Leben stets nur nach draußen gerichtet, berechnet auf die Interessen anderer, nie abgestimmt auf die eigenen Lebensbedürfnisse. Seit langem schon hatten wir in den Therapiegesprächen nach Orten und Zeiten gesucht, einmal zur Ruhe zu kommen; der Traum nun war wie eine warnende Offenbarung des bisherigen Lebenswegs dieser Frau; er richtete unaufschiebbar eine dringende Frage an sie: Soll es wirklich so etwas wie Ruhe für Dich nur in der Ewigkeit geben? Soll wirklich Dein Lebensweg nichts weiter sein als ein einsamer Gang auf den Friedhof? Soll wirklich Deine Sehnsucht nach Liebe sich nur romantisch verströmen in dem Bild von der Hochzeit im Grabe? Die Frau, als sie selbst diese Fragen formulierte, fing an zu weinen; dann, zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit, klagte sie ihren Vater an: Er hatte sich nie dafür interessiert, was in ihr vor sich ging . . . Jetzt freilich war es an ihr, mit dem Kind von damals so umzugehen, wie eigentlich er es hätte tun müssen, doch nicht zu tun vermocht hatte. – Ein einziger Traum, indem er dichterisch in einem dramatischen Bild den Zustand eines ganzen Lebens zusammenfaßt, wird zu einem wichtigen Anlaß, eben dieses Leben zu ändern. Wie schrieb doch william shakespeare (1564 –1616) in seinem friedhofsüchtigen Hamlet (3. Akt, 1. Szene): «Sterben – schlafen – / Nichts weiter / – und zu wissen, daß ein Schlaf / Das Herzweh und die tausend Stöße endet, / Die unsers Fleisches Erbteil – ’s ist ein Ziel, / Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen – / Schlafen! Vielleicht auch träumen! – Ja, da liegts: / Was in dem

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Schlaf für Träume kommen mögen, / Wenn wir den Drang des Ird’schen abgeschüttelt, / Das zwingt uns still zu stehn.» In den Stunden des Schlafens wird ein jeder zu dem shakespeare seiner selbst, und die Bilder, die sich in seinem Unbewußten gestalten, erreichen nicht selten das Format Großer Träume, die, wie die Dichtungen der Weltliteratur, etwas Grundlegendes zur Deutung des Daseins aussagen. Den alten Religionen galten Träume für Botschaften der Götter, für Heilwege zur Gesundung in Krankheit, für Suchwanderwege in den Gefilden einer Welt jenseits von Leid und Tod. Wir werden noch sehen, daß Menschen den Herausforderungen des Bewußtseins nicht standzuhalten vermögen, ohne in ihren Visionen an eine andere Realität verwiesen zu sein, ganz anders als diejenige, an deren Ende so sichtbar nichts anderes unserer harrt als Gleichgültigkeit, Tod und Zerfall. (Vgl. manfred gsteiger: Träume in der Weltliteratur, 371–384.) Auf überraschende Weise sind wir im Traum somit den so verschieden scheinenden psychischen Funktionen von Wahrnehmung, Motivation und Gefühl begegnet. Wir haben bereits gesehen, wie Lernen und Erinnern neurologisch möglich sind; wie aber die verschiedenen Formen der Wahrnehmung zustande kommen, sei jetzt unsere nächste Frage.

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Ein Problem, das in der Philosophiegeschichte eine fundamentale Rolle gespielt hat, ist die erkenntnistheoretische Frage nach der Möglichkeit wahrer Erkenntnis. Schon einleitend sahen wir, daß von der Antwort auf diese Fragestellung seit eh und je die kühnsten metaphysischen, theologischen und anthropologischen Konsequenzen abgeleitet wurden. Dabei unterschied man in aller Regel streng zwischen Sinneswahrnehmungen und Gedanken; erstere sollten rein passiv sein – ein «Erleiden» des «Ich» von seiten des Nicht-Ich, in der Sprache johann gottlieb fichtes (1762 –1814) –, während die «Gedanken» (als Tätigkeiten des intellectus agens) für etwas geistig Aktives angesehen wurden (wofern nicht, wie eben in dem Konzept des subjektiven Idealismus fichtes, bereits die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich als eine «Setzung» in und von einem absoluten Ich erachtet wurde). Es ist erst heute, daß wir empirisch zeigen können, wie wenig «passiv» unsere «Sinne» bei dem Aufbau unserer Wahrnehmungen sind, die dann den Zugang auch zu einer wie immer gearteten «Erkenntnis» zu bieten vermögen. Was aber ist es mit unseren Sinnen? Bis weit in das 20. Jh. hinein galt es insbesondere in der katholischen Kirche bereits aus theologischen Gründen für dogmatisch geboten, einen erkenntnistheoretischen Realismus zu vertreten, wonach Gott unser Empfindungsvermögen so geschaffen habe, daß es sich über die objektiven Eigenschaften der Dinge nicht irren könne. Noch bei descartes (Vierte Meditation, Nr. 24, S. 125) ergab sich das Vertrauen in die Sinne aus dem Vertrauen in Gott. Doch längst vor den Anfängen der «christlichen» Theologie, die das Abendland zutiefst auch philosophisch geprägt hat, äußerte der griechische Philosoph demokrit (um 460– 380/370) seine Zweifel an dem angeborenen «Realitätssinn» unserer Sinne. Der berühmte Abderite unterschied zwischen echten und «dunklen» (unechten) Formen der Erkenntnis, und bezeichnenderweise zählte er zu den letzteren insgesamt alle Sinneswahrnehmungen: «Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Getast.» (hermann diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Nr. 11, S. 101) All diese galten ihm für rein subjektive Reaktionen der Atome unseres Körpers auf den Kontakt mit den Atomen der Gegenstände. Doch gleichgültig, wie viel Skeptizismus man dem menschlichen Erkennt-

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nisvermögen auch entgegenbringen mag, ein minimaler Rest an Objektivität muß ihm gleichwohl zugestanden werden. Freilich ist es in unseren Tagen nicht mehr ein ungetrübtes Vertrauen in das Verhältnis eines Schöpfers zu seiner Schöpfung, das uns zu dieser Konzession nötigen würde, als vielmehr ein einfaches Postulat, das sich aus der Einsicht in die Evolution des Lebens auf diesem Planeten ergibt. Mag auch zum Beispiel der Raum «objektiv» so viele Dimensionen aufweisen, wie er will (vgl. e. drewermann: Im Anfang . . . , 1006 – 1024) – drei Dimensionen muß er mindestens besitzen, sonst wäre kein Affe imstande, sich beim Springen von Ast zu Ast nicht den Hals zu brechen, und die ganze Diskussion über die Wahrheitsfähigkeit menschlicher Erkenntnis im Rahmen eines dreidimensionalen Weltbildes entbehrte alsbald ihres Gegenstandes – es gäbe uns nicht. Insbesondere in der evolutiven Erkenntnistheorie ist denn auch der Versuch vorgetragen worden, einem kritischen Realismus das Wort zu reden (vgl. e. drewermann: Im Anfang . . . , 353– 354). In welch einem Umfang aber ist eine solche «realistische» Kritik oder solch ein kritischer Realismus der Erkenntnistheorie berechtigt oder unberechtigt? Unsere Sinne müssen in irgendeiner Weise an die Wirklichkeit angepaßt sein, sonst könnten wir in ihr nicht überleben; diese natürlich richtige Feststellung sagt über die Arbeitsweise unseres Gehirns bei der Verarbeitung unserer Sinneseindrücke an sich noch nicht viel mehr aus, als daß unser Erkenntnisorgan mit der «Wirklichkeit» vermutlich so ähnlich verfahren wird wie der Magen des Kaninchens mit der Möhre: er wird sie in diejenigen Bestandteile zerlegen, die er verwerten kann. Wie aber «zerlegt» unser Wahrnehmungssystem die Wirklichkeit, wie «verwertet» es die ihm zugänglichen Teilaspekte? Gerade für diese Fragestellung hält die moderne Neurologie eine Fülle von Einsichten bereit. Wir brauchen uns im folgenden, um das Wesentliche zu verstehen, durchaus nicht mit allen Einrichtungen der menschlichen Sinneswahrnehmungen zu beschäftigen; wie es zum Beispiel möglich ist, Schallwellen als Töne zu interpretieren, haben wir bereits in grober Übersicht (bzw. in gebotener Kürze) gezeigt. Mehrfach in Aussicht gestellt haben wir freilich eine ausführlichere Beschreibung des Sehens, mit dem sich nicht nur eine Reihe von wichtigen neurologischen Zusammenhängen besser verstehen läßt, sondern das wie von selbst auch die Frage nach dem Bewußtsein des Menschen aufwerfen wird. Zudem haben wir immer wieder von der Bedeutung des Riechens für die Entwicklung des limbischen Systems gesprochen; wie aber verwandelt unser Gehirn die Anwesenheit bestimmter chemischer Substanzen in Geruchsempfindungen? Auch darüber wollen wir in diesem Abschnitt die nötige Klarheit gewinnen. Am Anfang stehen soll:

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a) Das Sehen Evolutiv zu denken bedeutet, die gegenwärtige Gestalt und Befähigung einer bestimmten Lebensform als das Ergebnis einer viele Jahrmillionen währenden Geschichte des Überlebenskampfes zu betrachten. Auch das Sehen – auch die Entwicklung des Wirbeltierauges bis hin zu dem visuellen System in den Köpfen von Primaten und Menschen – stellt das Resultat eines langen Prozesses der immer weiter verbesserten Nutzung einer physikalischen Bedingung des Lebens auf der Erde dar: der einfallenden Strahlung des Sonnenlichts. Wie schwierig und vielschichtig der Weg zu «unserer» Art des Sehens gewesen sein muß, läßt sich an der Einrichtung des visuellen Apparates selbst erkennen: Mehr als 32 visuelle Felder haben wir bereits erwähnt, die auf dem Isocortex miteinander verschaltet sein müssen, um all das wahrzunehmen, was wir die sichtbare Wirklichkeit nennen, und für jeden Bereich dieser «Wirklichkeit» scheint ein eigenes Rindenareal als Modul zur Verarbeitung der eintreffenden Informationen zuständig zu sein. Hell und Dunkel, Kanten und Begrenzungen, Bewegungen und Richtungen, Näher und Ferner, die Farbwahrnehmung, das Wiedererkennen bekannter Gestalten – all diese Wahrnehmungsnuancen müssen getrennt vom Gehirn erfaßt, bewertet und zu einem Gesamtbild vereinheitlicht werden. Zweierlei läßt sich deshalb gleich vorweg sagen: Die Fähigkeit, zu sehen, ist in einer ganzen Reihe von Teilschritten etabliert worden, indem, wie stets, an einem einmal gegebenen Grundmuster immer weiter «gearbeitet» wurde. Und: Das Sehen leitet sich nicht aus der Aktivität einer in sich einfachen geistigen Substanz ab, die durch einen Akt der Vorsehung immer schon auf die Erfassung der Wahrheit der Dinge hingeordnet wäre; es ergibt sich vielmehr aus der Parallelverarbeitung und Vernetzung von neuralen Impulsen an unterschiedlichen Stellen der Großhirnrinde, die sich mehr oder minder brauchbar an die sensorischen Informationen aus der Umwelt angepaßt hat. Sehen ist ein Prozeß von Zusammenfügungen, die, wenn Teile von ihnen ausfallen, charakteristische Störungen aufweisen. Ein bißchen weit vorgegriffen, wächst hier (erneut) schon die Ahnung, auch das, was wir als Bewußtsein, als Ich, als Person bezeichnen, entstünde aus vergleichbaren Vorgängen. Doch «sehen» wir zu: Wie hat das Sehen sich entwickelt, und wie funktioniert es in unseren Köpfen?

α) Zur Evolution der Augen «Die Augen der Kephalopoden (sc. griech.: die kephale¯ – Kopf; der pu¯s – Fuß; Kopffüßer, d. V.) oder Tintenfische», schrieb charles darwin (1809 –1882) in

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Die Entstehung der Arten (6. Kap., S. 258), «scheinen merkwürdig ähnlich (sc. denen der Wirbeltiere, d. V.) zu sein, und bei so weit getrennten Gruppen kann diese Ähnlichkeit unmöglich der Vererbung von einem gemeinsamen Vorfahren zugeschrieben werden.» «Wie zwei Menschen», fügte er (a. a. O., 259) hinzu, «zuweilen unabhängig voneinander dieselbe Erfindung machen, so scheint auch in den erwähnten Fällen die natürliche Zuchtwahl, die immer zum Besten eines Wesens wirkt und jede günstige Veränderung ausnutzt, ähnliche Organe (soweit die Funktion in Betracht kommt) bei mehreren Organismen hervorgebracht zu haben, die keines ihrer gemeinsamen Organe der Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren verdanken.» Tatsächlich ist die Frage bis heute kontrovers, ob alle Formen von Augen sich auf einen einzigen Urtyp zurückführen lassen oder – das andere Extrem – ob die Natur die Augen etwa 40– 65mal immer neu hat «erfinden» müssen. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 34.) Die erstere Theorie hat in walter j. gehring einen prominenten Vertreter gefunden. Der Baseler Entwicklungsbiologe und Genetiker beruft sich auf Lebewesen wie den im Süßwasser lebenden Einzeller Euglena (zugehörig der Klasse der Flagellata – Geißeltierchen, genauer der Ordnung der Euglenida), dessen Aufbau Abb. B 22 schematisch darstellt. (Vgl. rüdiger wehner – walter j. gehring: Zoologie, 612.) In unserem Zusammenhang ist nur das Vorderende von Euglena von Interesse. Man sieht dort die «Geißelhärchen» (griech.: die Mastigonemen, Ms), die lange Geißel (lat.: das Flagellum, Fl), das Stigma (griech.: das Zeichen, St), das Geißelsäckchen (Gs), den Basalkörper (Bk), das kurze Flagellum (Fk), die kontraktive Vakuole (kV) und – für uns jetzt wichtig: – die photorezeptorische Region (den Paraflagellarkörper, Ph). Dieser Paraflagellarkörper, der im Elektronenmikroskop als Anschwellung sichtbar ist, gilt als die lichtempfindliche Region dieses Einzellers; durch das carotinoidhaltige Stigma am Rande des Geißelsäckchens wird diese photorezeptorische Region einseitig abgeschirmt. «Damit besitzt schon der Einzeller Euglena einen Photorezeptor mit Richtcharakteristik, der eine phototaktische (sc. griech.: das pho¯s – Licht, taktós – festgesetzt; auf Licht ansprechende, d. V.) Orientierung ermöglicht.» (rüdiger wehner – walter j. gehring: Zoologie, 611) Noch weiter fortgeschritten ist in der Entwicklung der Lichtorientierung das Geißeltierchen Erythropsis pavillardi (aus der Ordnung der Dinoflagellata), das «wunderbare Augen» hat. «Obwohl die Mikroalgen nur aus einer einzelnen Zelle bestehen», argumentiert gehring zugunsten seiner Theorie von einem Urtyp des Auges, «haben

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Abb. B 22: Das Geißeltierchen Euglena

sie alles, was man zum Sehen braucht: Eine Linse, einen Glaskörper, eine netzhautähnliche Struktur und einen Pigmentfleck, der das Licht von einer Seite abschirmt.» (Zit. n. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 34.) 1995 hatte gehring zudem eine vielversprechende Entdeckung gemacht (georg halder – patrick callaerts – walter j. gehring: Induction of ectopic eyes by targeted expression of the eyeless gene Drosophila, in: Science, 267/1995, 1788 –1792): Er fand, daß das sog. Pax-6-Gen anscheinend ein Meisterkontrollgen ist, das bei Fruchtfliegen, Mäusen, aber auch beim Menschen die gesamte Abfolge der Augenentwicklung initiiert – es legt die jeweilige Zelle also (bei Transkription und Translation) darauf fest, sich zu einer Augenzelle zu entwickeln. So konnte gehring mit dem Pax-6-Gen einer Maus bei Fruchtfliegen die Bildung zusätzlicher Komplexaugen erzeugen: sie entstanden an Fühlern, Flügeln und Beinen; mit den Augen an den Fühlern können die Insekten Licht womöglich so wahrnehmen, als ob sie es riechen würden. Umgekehrt ließen Genetiker mit dem Pax-6-Gen aus Fruchtfliegen am Kopf eines Frosches zusätzliche Augen wachsen. Angesichts solcher experimenteller Befunde könnte es tatsächlich sein, daß dieses Gen so etwas enthält wie eine Ur-Information für die Entwicklung eines Augen-Prototyps; es gilt jetzt «nur noch»

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herauszufinden, ob auch die Dinoflagellaten schon das Pax-6-Gen in ihrem Genom enthalten. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 37– 38; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 471; 481.) Gegen die Annahme eines «Urauges» macht der schwedische Augen-Experte dan-eric nilsson (geb. 1954) allerdings geltend, daß das Pax-6-Gen womöglich gar kein Meisterkontrollgen ist, sondern nur recht früh für die Augenentwicklung eingesetzt wurde; ursprünglich habe es bei primitiven Tieren vielleicht die Bildung des Vorderendes – also auch die dort befindlichen Sinnesorgane – mitbestimmt. «Außerdem gibt es Quallen», argumentiert nilsson, «die sehr gut entwickelte Augen haben, aber kein Pax-6.» (Zit. n. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/ 2002, 38.) Überhaupt, das muß man zugeben, fällt es schwer, sich ein «Urauge» vorzustellen. Man muß nur einmal so verschiedene Augen wie die Facettenaugen eines Insekts, die Stielaugen einer Kegelschnecke, die zwei großen und vier kleinen Augen einer Tarantel oder die Augen einer Eule nebeneinander betrachten, und es dürfte fast unmöglich scheinen, dahinter einen einheitlichen Bauplan zu erkennen, aus dem all diese Augenformen sich als besondere Anpassungsergebnisse ausdifferenziert hätten. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 32– 33.) Selbst die Augen von Wirbeltieren und Tintenfischen, die äußerlich einander recht ähnlich sehen, weisen derart erhebliche Unterschiede auf, daß bereits darwin (Die Entstehung der Arten, 258) hervorhob: «Die Kristallinse der höheren Tintenfische besteht aus zwei Teilen, die wie zwei Linsen hintereinander liegen; beide sind in Struktur und Anordnung grundverschieden von den Organen der Wirbeltiere. Die Netzhaut ist vollkommen anders, die elementaren Teile liegen direkt umgekehrt, und eingeschlossen in den Augenhäuten liegt ein großer Nervenknoten. Die Beziehungen der Muskeln sind so verschieden wie möglich.» Das alles wies in seinen Augen darauf hin, daß unter vergleichbaren Bedingungen die Selektion immer konvergente, einander ähnliche Resultate hervorgebracht hat und hervorbringen wird. (Zur Entwicklung des Auges vgl. auch e. drewermann: . . . und es geschah so, 58 –61.) Gleichwohl lassen sich die Hauptschritte in etwa erschließen, in denen die Optik des Wirbeltierauges entwickelt wurde. Zwischen der photorezeptorischen Region des Einzellers Euglena und der Ausbildung komplexer Augentypen liegt eine Strategie, die so erfolgreich war, daß sie bis heute überlebensfähig blieb: Viele Wirbellose wie zum Beispiel Seesterne (Asteroida) haben

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einen «extraokularen» (nicht an ein Auge gebundenen) Lichtsinn entwickelt, der es ihnen erlaubt, Informationen über die Umgebungshelligkeit und deren zeitliche Änderung zu gewinnen; sie verteilen Lichtsinneszellen über die gesamte Körperoberfläche und können damit auf den Tag-Nacht-Rhythmus reagieren oder bei raschem Helligkeitswechsel, verursacht zum Beispiel durch den Schatten eines Räubers, entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen. – Ein Schritt weiter in der Entwicklung komplexer Augen gelang durch eine dichtere Anordnung von Sehzellen in Gruppen. Ein solcher Fleck aus Photorezeptoren (Pigmentzellen) kann es ermöglichen, die räumliche Helligkeitsverteilung grob aufzulösen und andeutungsweise Formen zu erkennen. Mit solchen Flachaugen ist es vor über 500 Millionen Jahren etwa den Quallen gelungen, die Richtung abzuschätzen, in der zum Beispiel ein Beutegreifer sich befindet, und sie waren mit dieser Neuerung so erfolgreich, daß sie sich über alle Weltmeere verbreiten konnten. – Eine weitere entscheidende Verbesserung des Richtungssehens wurde verwirklicht durch die gruben- oder (später) becherförmige Anlage einer Sehzellenschicht; denn bei diesem Grubenauge oder dem daraus weiterentwickelten Becherauge kann Licht aus einer bestimmten Richtung nicht mehr alle Lichtsinneszellen erreichen; mit ihrem Grubenauge wird es zum Beispiel der Napfschnecke möglich, ein verschwommenes Bild, wie hinter Milchglas, wahrzunehmen, und diese Leistung hat offenbar für ein Überleben in ihrer Welt ausgereicht. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 35– 38.) – Vor allem wurde mit dem Gruben- oder Becherauge zugleich ein Verfahren entdeckt, das sich immer weiter verbessern ließ: Wenn man die Becheröffnung immer kleiner wählte, wurde das Bild auf der Netzhaut Zug um Zug schärfer; in der Gattung der Nautiloiden mit ihren fünf heute noch lebenden Arten ist dieses Verfahren des Lochauges realisiert. (Vgl. peter douglas ward: Der lange Atem des Nautilus, 124.) Allerdings stieß das neue Prinzip notwendigerweise an eine Grenze: je enger die «Blende» des Becherauges, desto dunkler das Bild; – was nutzt es, immer schärfer zu sehen, wenn man schließlich nichts mehr sieht? Einen raffinierten Ausweg aus dem Dilemma der Camera obscura fand ein enger Verwandter des Nautilus (des Perlboots) – der Tintenfisch (Sepiidae, aus der Klasse der Cephalopoden – Kopffüßer). Er ist nicht nur das intelligenteste und lernfähigste Lebewesen unter den Molusken, mit seinen Linsenaugen kann er auch am besten sehen. Der Weg dahin freilich war wieder typisch für die Vorgehensweise der Evolution. Sie «wollte» nicht einem bestimmten Tier ein optimal funktionstüchtiges Auge schenken. Wahrscheinlich erwies es sich für Bewohner am Meeresgrunde schlicht als vorteilhaft, die Lochaugen vor dem

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Abb. B 23: Die Hauptstadien in der Entwicklung des Auges

Eintrag von Sand und anderen Fremdkörpern zu schützen, also die Öffnung der Augen mit einer durchsichtigen «Haut» zu überziehen; daß diese Schutzhaut bei der Natur des Lichts dann als Linse wirken konnte, dürfte anfangs nur einen Nebeneffekt dargestellt haben. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 35– 36; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 147–148.) Abb. B 23 gibt schematisch die Augenformen wieder, die über das einfache Richtungssehen zum komplexen Linsenauge führten. Wenn wir von «Linsen» sprechen, müssen wir uns allerdings hüten, die Aufgabe, vor der die Evolution stand, zu einfach anzugehen. Wohl ist es klar, daß

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bei Lichtbrechung mehr Lichtteilchen (Photonen) durch eine verkleinerte Öffnung gelangen können und folglich das gebündelte Licht einen Gegenstand sowohl hell als auch mit verbesserter Sehschärfe auf die Netzhaut werfen kann; scheinbar kommt es demnach nur darauf an, möglichst große Linsen herzustellen. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 36.) Doch wie schwierig das ist, zeigt die menschliche Kulturgeschichte; – man denke nur daran, wie viel Zeit zwischen dem Fernrohr liegt, mit dem galileo galilei (1564 –1642) vier Jupiter-Monde entdeckte, und den achromatischen (griech.: von Farbfehlern freien) Linsen, die joseph von fraunhofer (1787–1826) im Kloster Benediktbeuern herstellen konnte. Eine Tücke des Lichts besteht darin, daß es bei Brechung in Linsen und Prismen auf Grund der unterschiedlichen Wellenlängen (Farben), in denen es schwingt, unterschiedlich weit abgelenkt wird, – und somit Farbfehler auftreten. Dennoch gelang der Natur die «Herstellung» sehtüchtiger Linsenaugen in «nur» rund 100 Millionen Jahren, beginnend mit der «Kambrischen Explosion» vor 540 Millionen Jahren, als eine Vielfalt neuer Arten sich sprunghaft in die verschiedensten Richtungen zu entwickeln begann. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 34 –35.) Als Ursache dieser «Kambrischen Explosion» ist – wieder einmal – ein Katastrophen-Szenario denkbar: Im Präkambrium (zwischen 750– 580 Millionen Jahren) scheint die Erde vollständig vereist gewesen zu sein; dann aber müssen gewaltige Vulkanausbrüche beim Auseinanderbrechen der Landmassen so viel Kohlenstoffdioxid ausgeschleudert haben, daß es sogar zu einer Erwärmung bis auf 50 Grad Celsius gekommen sein könnte; andere Forscher denken an gewaltige Methan-Gas-Ausbrüche aus den Lagerstätten der Meeressedimente mit einem ähnlichen Ergebnis (vgl. klaus jacob: Zweifel am Eisball, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 58– 59); in jedem Falle müssen es extrem gegensätzliche und gegeneinander abgeschottete Lebensbedingungen gewesen sein, die damals explosionsähnlich die Aufsplitterung in eine schier unglaublich scheinende Artenvielfalt erzwungen haben. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 410 –411; 494– 510.) Speziell die «Erfindung» des Sehens dürfte dabei sogar eine Hauptrolle für die Artendiversifikation ebenso wie für die Vervollkommnung des Auges gespielt haben, denn sie muß das «Wettrüsten» zwischen Beutegreifern und Beutetieren sprunghaft beschleunigt haben. Fest steht, daß bereits im Ordovizium vor 440 Millionen Jahren alle heute lebenden Tierstämme mit den Grundformen der ihnen entsprechenden Augen voll ausdifferenziert waren: Die Facettenaugen der Trilobiten, die Spiegel- oder Teleskopaugen mancher Muscheln, die Grubenaugen von Schnecken, die Linsenaugen

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Abb. B 24: Die drei Schichten der Retina

der Wirbeltiere. Und es ist spätestens von diesem Zeitpunkt an nicht mehr möglich, die Augenform eines Tierstammes auf die vollkommen verschieden aufgebauten Augen eines anderen zurückzuführen. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 37.) So fällt das Licht in dem Linsenauge eines Tintenfisches direkt (durch die Linse und den Glaskörper) auf die Photorezeptoren (die Netzhaut) – ganz wie man es «vernünftigerweise» erwarten sollte; «direkt umgekehrt», in den Worten darwins, aber liegen die Verhältnisse im Linsenauge der Wirbeltiere, wo das Licht paradoxerweise durch eine Schicht von Ganglienzellen und eine von Bipolarzellen hindurchstrahlen muß, um die dahinterliegenden Photorezeptoren (die Stäbchen und Zapfen) zu erreichen. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 36.) Zwischen den Bipolarzellen und den Stäbchen und Zapfen liegen zudem die Horizontalzellen, die die Rezeptoren und die Bipolarzellen durch relativ lange, parallel zur Retina verlaufende Verbindungen miteinander verknüpfen, wie es ähnlich auch die amakrinen Zellen (die Zellen mit kurzen Fortsätzen, von griech.: a – nicht, makrós – groß, die is – Faser) zwischen den Ganglienzellen und den Bipolarzellen tun. Die Bipolarzellen erhalten ihre Eingangssignale von den Rezeptoren; viele der Bipolarzellen projizieren direkt auf die retinalen Ganglienzellen, deren Axone sich an der Papille zum Sehnerv

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bündeln. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 45– 47.) Abb. B 24 veranschaulicht, stark vergrößert, die räumlichen Verhältnisse in den drei Schichten der etwa ein Viertel Millimeter dicken Retina. Daß ein so komplizierter Aufbau eines Wirbeltierauges im Unterschied zu dem eines Tintenfisches überhaupt möglich ist, ergibt sich aus der Embryonalentwicklung: Das Auge eines Tintenfisches bildet sich ganz und gar aus der Haut; bei einem Wirbeltierauge aber entstehen aus der Haut nur die Linse und die Hornhaut, während der Glaskörper, die Netzhaut und die weiterführenden Zellen aus dem Nervengewebe hervorgehen. Der «direkt umgekehrte» Aufbau des Wirbeltierauges bietet unter anderem den Vorzug, daß mehr Sinneszellen im Auge untergebracht werden können und daß eine bessere Nährstoffversorgung der Zapfen und Stäbchen möglich wird. (Vgl. cornelia pfaff: Die verblüffende Evolution der Augen, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 36– 37.) Der Hauptvorteil aber besteht natürlich darin, daß bereits im Auge selbst die neuronale Verarbeitung der aufgenommenen visuellen Informationen beginnen kann, die alles andere darstellt als eine einfache «realistische» Abbildung der «Wirklichkeit». Doch ehe wir dazu kommen, sollten wir noch ein wenig bei den «Tricks» verweilen, mit denen die Natur das Sehen ermöglicht. Der «Einfall», die optische Auflösung durch eine «Grube» zu verbessern, ist auch den Vögeln, Affen und Menschen gekommen: In ihren Augen befindet sich eine flache Sehgrube (lat.: die Fovea centralis), die das Zentrum scharfen Sehens bildet; an dieser Stelle des Auges sitzen ausschließlich Zapfen, die Photorezeptoren, die unterschiedliche Farbtöne wahrnehmen (ihre Dichte ist in der Fovea mit etwa 150 000 Zapfen/mm2 die größte Rezeptorendichte im menschlichen Auge überhaupt); anders als in den Randbereichen gibt hier jede dieser Sinneszellen ihre Impulse an ein einzelnes Neuron weiter, das nur diese eine Information verarbeitet; um jede Sehtrübung an dieser zentralen Stelle zu vermeiden, liegen in der Fovea nicht, wie sonst in der Netzhaut, Blutgefäße über den Zapfen. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 45– 47; thomas willke: Die tödliche Farbe des Mäuse-Urins, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 40 –42; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1273.) Abb. B 25 bietet einen stark vergrößerten Querschnitt durch die Retina, ungefähr in der Mitte zwischen der Fovea und der Peripherie. Man sieht, daß die Stäbchen in diesem Netzhautbereich zwischen Fovea und Peripherie weit zahlreicher sind als die Zapfen; ursprünglich sehen sollten wir offenbar Schwarz-Weiß-Abstufungen, keine Farben. Auch diese Tatsache mutet paradox an, solange wir uns die Evolution als eine permanente «Leistungsoptimierung» vorstellen. Die Natur ist keine Firma zur Herstellung optischer Geräte, die im Wettbewerb mit einer anderen Firma im-

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Abb. B 25: Querschnitt durch die Retina

mer «bessere» Produkte herstellen müßte, um auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Wenn es von der Natur etwas zu lernen gibt, dann an dieser Stelle offenbar die Einsicht, daß Überlebensfähigkeit nur bedingt auch etwas mit Leistung, alles aber mit Anpassung zu tun hat. Nur so läßt sich verstehen, daß die Vorfahren der heutigen Säugetiere – wohl in der Kreidezeit vor über 65 Millionen Jahren – das Farbsehen wieder verlernten und damit eine Fähigkeit verloren, über die Fische, Schildkröten, Saurier und Vögel seit zum Teil Hunderten von Jahrmillionen bereits verfügten und – sofern nicht ausgestorben – ununter-

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brochen bis heute verfügen. Der Grund dafür ist dieser: Die Säugetiere damals waren kleine, rattengroße Lebewesen, die sich in Konkurrenz zu den Dinosauriern auf eine ökologische Nische spezialisieren mußten: sie wurden nachtaktiv und suchten bevorzugt unterirdische Lebensräume auf, in welchen sie keine Farbwahrnehmung mehr benötigten. (Vgl. thomas willke: Die tödliche Farbe des Mäuse-Urins, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 40; 42.) – Vermutlich war es diese neue Lebensweise, die ihnen bei der Katastrophe eines Meteoriteneinschlags vor ca. 65 Mio. Jahren, als die Dinosaurier, wie man annimmt, in einem gewaltigen Feuersturm mit nachfolgendem «Winter» zugrunde gingen, das Leben rettete. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 604– 613.) Ihre Warmblütigkeit ließ sie die Kälte überdauern, ihre unterirdische Lebensweise schützte sie vor Feuer und Eis, und ihre Ernährung von Wurzeln, Würmern u. a. erlaubte es ihnen, selbst ein bis zwei Jahre unter kärglichsten Bedingungen zu überdauern. Das desaströse Ende des Mesozoikums (griech.: mésos – mittlerer, zo¯ikón – zum Leben gehörend; der mittleren Phase der Geschichte des Lebens) wurde dadurch zum Anfang des Aufstiegs der Säugetiere, denen jetzt, nach dem Verschwinden der Dinosaurier, buchstäblich die ganze Welt offenstand. Allerdings war ihr Gesichtssinn weitgehend verkümmert: «Sie konnten nicht mehr vierfarbig sehen und (sc. folglich, d. V.) weder UV- noch polarisiertes Licht erkennen. Hunde, Katzen, Rinder und die meisten anderen Säuger sehen die Welt darum bis heute nur in matten Farben und ohne Rot-Grün-Unterschiede.» (thomas willke: Die tödliche Farbe des Mäuse-Urins, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 40) Robben und Walen fehlen seltsamerweise die Zapfen für Blau – für gerade die Wellenlänge des Lichts, die das Meer am tiefsten durchdringt; sie haben nur einen Zapfen für Grün. (Vgl. thomas willke: A. a. O., 40.) Und auch die Sehschärfe läßt bei den meisten Säugetieren zu wünschen übrig. Selbst Wölfe, Hirsche, Hasen und Kaninchen sehen nur relativ unscharf, da sie keine Fovea, keine Sehgrube in der Retina, besitzen – ihre Netzhaut vermag nur einen schmalen Streifen genauer wahrzunehmen, der es ihnen gerade mal ermöglicht, eine Gefahr oder Beute zu erkennen, die sich am Horizont zeigt. (Vgl. thomas willke: A. a. O., 42; 44.) Insofern mußten die Primaten (der Mensch inbegriffen) nicht allein das genauere Sehen, sondern vor allem auch das Drei-Farbsehen wieder erlernen. Auf dem Wege dahin verdoppelte sich als erstes bei den Affen das Gen für den Zapfentyp, der langwelligeres Licht wahrnimmt, und hernach führte eine Mutation dieses Gens dazu, die Farben Rot und Grün voneinander zu unterscheiden. Der amerikanische Ophthalmologe (griech.: der ophthalmós – Auge, der lógos – Vernunft; der Augenkundler) jay neitz vom Medical College of Wis-

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consin glaubt, daß diese Veränderungen vor etwa 50 Millionen Jahren eintraten. Das präzisere Sehen dürfte als Anpassung an das Klettern und Springen auf den Bäumen zustande gekommen sein; für das Farbsehen aber machte man lange Zeit das Absuchen von reifenden Früchten nach ihrer roten Farbe verantwortlich, bis im Jahre 2002 die Biologen nathaniel dominy und peter lucas (The sensual side of primate food choice, in: American Journal of Physical Anthropology, Ergänzungsband, 34/2002, 64) eine Theorie vorschlugen, die überzeugender wirkt – schließlich reifen nicht alle Früchte mit roter Schale. Die beiden Forscher beobachteten Schimpansen, Colobus-Affen und andere Primaten in Afrika, die mit Vorliebe junge Blätter fressen, da diese sich besser verdauen lassen und reicher an Nährstoffen sind als alte; die Farbe dieser jungen Blätter ist rötlich – in Afrika! In Südamerika sind junge Blätter nicht rot, und tatsächlich sind die meisten südamerikanischen Affen mit ihren lediglich zwei Zapfenpigmenten (dem blauen und dem für langwelligeres Licht) denn auch außerstande, zwischen rot und grün zu unterscheiden. (Vgl. thomas willke: Die tödliche Farbe des Mäuse-Urins, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 42.) Und die Evolution wird weitergehen: «Genetische Analysen der unterschiedlichen Formen menschlicher Farbenfehlsichtigkeit lassen vermuten, dass in Millionen von Jahren einige Menschen vier statt drei Zapfenpigmente (sc. für blau, grün und rot, d. V.) besitzen und die Welt in ganz anderen Farben sehen werden, als wir es heute können.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 243) Bis zu welch phantastischen Leistungen die Evolution die Sehfähigkeit der Augen perfektionieren kann, wenn sie keine Rückschläge erleidet, zeigt sich insbesondere an den Vögeln, die auch in bezug auf den Gesichtssinn als die am weitesten entwickelte Wirbeltierklasse gelten dürfen. Es versteht sich, daß schnell fliegende Räuber, wie etwa Schwalben, aber auch Falken, nur bei einer exzellenten Sehschärfe ihrer Augen erfolgreich sein können – doch es kommen eine ganze Reihe zusätzlicher Anpassungsleistungen hinzu: Bei den meisten Vögeln ist die Netzhaut dichter als bei Säugetieren mit Zapfen besetzt, die zudem noch mit Hilfe von Öltröpfchen als einer Art Farbfilter die feinsten Farbunterschiede feststellen können; außerdem verfügen Falken und andere Greifvögel über lang gezogene Augen nach dem Prinzip eines Teleobjektivs; die Größe der Augen – bei Eulen zum Beispiel ein Drittel des Schädelgewichts! – erlaubt eine maximale Lichtausbeute; und als genügten all diese Verfahren bei weitem noch nicht, rüstete die Evolution die Augen von Falken und Tauben mit einer zweiten Sehgrube aus: das eine Paar Sehgruben, nach vorn zeigend, erlaubt die Fixierung eines anzufliegenden Ziels (einer Beute, einer Felsspalte), das andere, zur Seite gerichtet, ermöglicht eine genauere Ortsmarkierung und

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Geschwindigkeitsabschätzung. (Vgl. thomas willke: Die tödliche Farbe des Mäuse-Urins, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 42.) Und es geht immer noch weiter: Die meisten Vögel besitzen – im Unterschied beispielsweise zum Menschen – nicht drei, sondern vier Zapfen-Arten: neben den Zapfen für rot, grün und blau verfügen sie, wie gesagt, auch über Rezeptoren für UV-Licht; – Falken zum Beispiel hilft diese Einrichtung, die ultraviolette Farbe von Mäuse-Urin am Boden zu sehen, so daß sie einschätzen können, welche Gebiete es sich lohnt ausdauernd zu überkreisen. Blaumeisen und Staren ermöglicht die Wahrnehmung von UV-Licht, die verschiedenartige Federzeichnung von Männchen und Weibchen, für uns Menschen ununterscheidbar, wahrzunehmen. (Vgl. thomas willke: Die tödliche Farbe des MäuseUrins, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 42; 44.) Einen besonderen Trumpf in der Entwicklung der Augen bietet die Ausnutzung von polarisiertem Licht, von Licht also, dessen Wellen nur in einer Richtung schwingen. (Vgl. e. drewermann: Im Anfang . . . , 909– 910.) An sich schwingt Sonnenlicht in allen Richtungen; indem es aber in der Atmosphäre gestreut wird, entsteht ein Muster aus polarisiertem Licht. Tauben, aber auch andere Vögel (sowie Käfer und Spinnen) orientieren sich am Pol-Lichtmuster wie an einem Kompaß, indem sie den Ablenkungswinkel des polarisierten Lichtes zur Bestimmung der Himmelsrichtung verwenden. (Vgl. thomas willke: Die tödliche Farbe des Mäuse-Urins, in: Bild der Wissenschaft, 6/2002, 44.) All das bestätigt den Eindruck, den Biologen wie Physiker im 19. Jh. bis weit hinein ins 20. Jh. gewinnen mochten – daß das Sehen sich nach Art der Aufnahmetechnik eines Photoapparates darstelle: Das Auge besaß eine Linse (die ja auch schon so heißt) und einen biochemischen «Film» in Form der Netzhaut, auf dem das gewonnene Bild der Wirklichkeit «entwickelt» zu werden schien; lediglich im Kopf mußte man sich jemanden vorstellen, der als Betrachter des entwickelten Bildes in Frage kam. Das eine war eine Frage der Optik, das andere eine Frage der Metaphysik. Doch so wenig das Gehirn ein Computer ist, so wenig ist das Auge ein Photoapparat. In Wirklichkeit ist das Auge selbst ein Teil des Gehirns, der praktischerweise nach außen verlagert wurde, und so beginnt das komplexe System der Verarbeitung der visuellen Informationen, als deren Ergebnis wir das Sehen betrachten, bereits im Auge selbst.

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β) Das Verarbeitungssystem auf der untersten Ebene: Verschaltungen in der Retina Wer die schematische Darstellung von Abb. B 25 betrachtet, wird sich unwillkürlich fragen, warum das alles so kompliziert sein muß, wo es doch offensichtlich, zum Beispiel beim Auge des Tintenfisches, auch einfacher geht. Die Antwort lautet vorweg natürlich, daß komplexe Formen des Sehens nur durch komplexe Verarbeitungsmuster des visuellen Inputs zu ermöglichen sind. Doch dann ist klar, daß wir die Art dieser komplexen Verarbeitungsmuster uns genauer anschauen müssen. Beginnen wir mit einem Zahlenspiel: Jedes Auge besitzt rund 125 Millionen Stäbchen und 6 Millionen Zapfen, aber nur etwa 3 Millionen Ganglienzellen. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 37.) Wie soll es unter diesen Umständen überhaupt möglich sein, die eingehenden optischen Informationen einigermaßen detailliert zu erhalten? Wieso dieses grotesk scheinende Mißverhältnis zwischen der Anzahl der Rezeptoren und der Anzahl der Ganglienzellen, deren Axone in den Sehnerv übergehen? Es war bereits ramón y cajal, der um 1900 entdeckte, daß der retinale Informationsfluß über zwei Bahnen erfolgt: Eine Bahn führt, wie wir heute wissen, direkt (vertikal) von den Lichtrezeptoren über die Bipolarzellen zu den Ganglienzellen; eine zweite Bahn verläuft indirekt zu den Ganglienzellen, indem über laterale Verknüpfungen zwischen den Rezeptoren und den Bipolarzellen Horizontalzellen eingeschaltet sein können und zwischen den Bipolarzellen und den Ganglienzellen amakrine Zellen. Auf der direkten Bahn sind nur einer oder wenige Rezeptoren auf eine bestimmte Bipolarzelle verschaltet und nur eine oder wenige Bipolarzellen auf eine bestimmte Ganglienzelle. Die indirekte Bahn ist mit ihren lateralen Verbindungen diffuser: Die Horizontalzellen verteilen die visuelle Information von einer Rezeptorzelle auf benachbarte Rezeptorzellen und Bipolarzellen; die amakrinen Zellen verteilen entsprechend die Information von einer Bipolarzelle auf mehrere Ganglienzellen. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 47; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1275 –1276.) In der Nähe der Fovea überwiegen die indirekten Bahnen, weiter entfernt die direkten Bahnen. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 55.) Abb. B 26 zeigt die direkten (vertikalen) und die indirekten (lateralen) Bahnen in der Retina im Überblick. Sei es nun über direkte oder indirekte Bahnen – es sind mehrere Rezeptorzellen einer Bipolarzelle zugeordnet sowie mehrere Bipolarzellen einer Ganglien-

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Abb. B 26: Die drei Körnerschichten der Retina: die Photorezeptoren (Stäbchen und Zapfen) in der äußeren Körnerschicht, die Interneuronen (Bipolar-, Horizontal- und Amakrinzellen) in der inneren Körnerschicht und die Ganglienzellen in der Ganglienzellschicht

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zelle. Die gesamte Rezeptorenfläche, die direkt oder indirekt zu genau einer Ganglienzelle führt, nennt man das rezeptive Feld dieser Ganglienzelle. Es ist die Fläche der Retina (oder anders gesagt: der Bereich des Sehfeldes), in dem ein visueller Reiz die Impulsfrequenz der Ganglienzelle beeinflussen, also erhöhen oder erniedrigen, kann. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 38; david h. hubel: Auge und Gehirn, 47; john p. j. pinel: Biopsychologie, 183.) In der Fovea, dem Zentrum scharfen Sehens, wo das visuelle Auflösungsvermögen sehr gut ist, haben die Ganglienzellen kleine rezeptive Felder; weiter entfernt von der Fovea wird das Bild um so unschärfer, je größer dort das rezeptive Feld einer Ganglienzelle wird. Je mehr Rezeptorzellen nämlich auf eine einzelne Ganglienzelle verschaltet sind, desto ungenauer läßt sich nach der Konvergenz der Signale durch die Ganglienzelle der Punkt auf der Retina bestimmen, an dem das Lichtsignal auf die Netzhaut fiel, desto geringer also die Ortsauflösung. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1276; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 158.) Was aber soll das alles? Den funktionalen Zweck, dem dieser spezielle Aufbau der Netzhaut dient, fand ansatzweise stephen william kuffler (1913 – 1980) erstmals um 1950 bei Untersuchungen – wiederum – an Katzen auf der Ebene der Ganglienzellen heraus. (Discharge patterns and functional organization of mammalian retina, in: Journal of Neurophysiology, 16/1953, 37– 38.) Seine überraschende Entdeckung war es, daß die meisten Ganglienzellen bei diffuser Hintergrundbeleuchtung oder bei absoluter Dunkelheit (!) eine kontinuierliche Aktivität (zwischen ein bis zwanzig Aktionspotentialen pro Sekunde) zeigen. Anders ausgedrückt: Die Ganglienzellen des visuellen Systems feuern ununterbrochen – eine Reaktion auf visuelle Reize kann also nur durch Erhöhung oder Erniedrigung ihrer Impulsfrequenz erfolgen. Näherhin fand kuffler zwei Arten von Ganglienzellen, die auf einen weißen Lichtpunkt innerhalb ihres rezeptiven Feldes unterschiedlich reagieren – er nannte sie OnZentrum-Neuronen und Off-Zentrum-Neuronen. Ein On-Zentrum-Neuron feuert mit erhöhter Impulsrate, wenn der Lichtfleck in der Nähe des Mittelpunkts seines rezeptiven Feldes einstrahlt: es kommt zu einer An-Reaktion (engl.: on-reaction); etwas vom Mittelpunkt des rezeptiven Feldes entfernt, unterdrückt der Lichtfleck die Entladung der Ganglienzelle: es kommt zu einer Aus-Reaktion (engl.: off-reaction) – die Zelle entlädt sich erst nach Ausschalten der Lichtquelle. Genau betrachtet ist das rezeptive Feld eines solchen On-Zentrum-Neurons in zwei Regionen unterteilt: in eine kreisförmige On-Region im Zentrum und in eine ringförmig darum liegende Off-Region. (Vgl. david h. hubel: Auge

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Abb. B 27: Das rezeptive Feld eines On-Zentrum-Neurons

und Gehirn, 49 –50; john p. j. pinel: Biopsychologie, 183–184.) Abb. B 27 zeigt schematisch diese On-Zentrum-Felder mit inhibitorisch wirkender Peripherie. Die On-Reaktionen sind am stärksten in Antwort auf einen kreisförmigen Lichtfleck von exakt passender Größe, die Off-Reaktionen bei einem Lichtring mit genau richtigem Format. Zentrum und Umfeld stehen antagonistisch in Wechselwirkung: projiziert man einen Lichtfleck ins Zentrum und einen anderen Lichtfleck in die Peripherie, so heben die Wirkungen sich weitgehend gegeneinander auf. Gerade das ist der Grund dafür, daß bei einer großflächigen Beleuchtung, bei der ein Lichtfleck das gesamte rezeptive Feld überstreicht, die Ganglienzelle nur wenig feuert: Die Effekte der On-Zentrum-Region und die inhibitorischen Effekte der Off-Peripherie-Region addieren sich zu Null (vgl. Abb. B 27). (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 49 –51; john p. j. pinel: Biopsychologie, 184–185.) Abb. B 28 zeigt diese Reaktionen eines OnZentrum-Neurons auf Hell-Dunkel-Kontraste im Überblick. Genau umgekehrt verhält es sich bei Off-Zentrum-Neuronen. Ein Off-Zentrum-Neuron antwortet auf einen Lichtreiz im Zentrum seines rezeptiven Feldes mit einer Off-Reaktion und auf einen Lichtreiz in der Peripherie mit einer On-Reaktion. Dabei verstärkt sich die inhibitorische Off-Reaktion, je mehr ein Lichtfleck das Zentrum des rezeptiven Feldes bedeckt, und sie wird um so kleiner, je mehr der Lichtfleck das Umfeld bestrahlt; daraus ergibt sich, daß das Off-Zentrum-Neuron maximal auf einen schwarzen Fleck vor weißem Hinter-

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Abb. B 28: Die Reaktion eines On-Zentrum-Neurons auf Kontrast

grund reagiert, weil dabei ausschließlich der On-Peripherie-Ring des rezeptiven Feldes beleuchtet wird. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 50– 51; john p. j. pinel: Biopsychologie, 183–184.) Abb. B 29 zeigt schematisch die Off-Zentrum-Felder mit exzitatorischer Peripherie. Bis dahin sieht alles so aus, als sei die Retina perfekt darauf eingerichtet, durch ein Wechselspiel hemmender und erregender Neuronen helle und dunkle Punkte zu registrieren, die Welt also wie ein Zeitungsdruck in Pixel zu zerlegen. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit; denn die «Punkte» bleiben nicht hübsch getrennt, sondern die rezeptiven Felder überlagern einander. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 52– 53.) Abb. B 30 zeigt, wie benachbarte Ganglienzellen der Retina ihre Informationen aus weit überlappenden Rezeptorfeldern erhalten. Die Überlappung ist möglich, weil ein Neuron auf jeder Stufe über Synapsen mit anderen Zellen verbunden ist, so daß ein einzelner Rezeptor Hunderte und

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Abb. B 29: Das rezeptive Feld eines Off-Zentrum-Neurons

Tausende von Ganglienzellen, darunter sowohl On-Zentrum-Neuronen als auch Off-Zentrum-Neuronen, beeinflussen kann. Dabei kann ein und derselbe Rezeptor für manche Ganglienzellen zum Zentrum des rezeptiven Feldes gehören, für andere wiederum zur Peripherie; im Falle wir es mit On-ZentrumNeuronen zu tun haben, werden die Rezeptorzellen die Ganglienzellen über ihre Zentren erregen, im Falle von Off-Zentrum-Neuronen über ihre Umfelder; umgekehrt werden die Rezeptorzellen andere Zellen entsprechend den Zentren und Umfeldern, die zu diesen gehören, hemmen. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 52 –53.) Nun wissen wir bereits, daß in der Nähe der Fovea die direkten Bahnen abnehmen, während die indirekten Bahnen überwiegen; parallel dazu werden die Zentren der rezeptiven Felder kleiner und nimmt die Sehschärfe zu, wenn wir von außen Richtung Fovea gehen. Das legt die Folgerung nahe, «daß das Zentrum des rezeptiven Feldes durch die direkte Bahn und sein antagonistisches Umfeld durch die indirekte Bahn bestimmt werden und daß überdies die direkte Bahn unserer Sehschärfe Grenzen setzt». (david h. hubel: Auge und Gehirn, 55; vgl. auch marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 426.) Mit anderen Worten: es muß an der Verschaltung der indirekten Bahnen liegen, daß sich das Auflösungsvermögen unserer Augen (zur Fovea hin) verbessert. Was also ist es dann mit den Photorezeptoren, die an den indirekten Bahnen beteiligt sind?

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Abb. B 30: Überlappung der rezeptiven Felder zweier benachbarter retinaler Ganglienzellen

Bis 1964 ging man davon aus, daß Photorezeptoren bei Lichteinfall wie andere sensorische Nervenzellen depolarisiert werden, also ein Aktionspotential aufbauen und an den Axonendigungen Transmitter ausschütten (da bei den Lichtrezeptoren das Axon sehr kurz ist, braucht häufig allerdings gar kein Aktionspotential ausgelöst zu werden; es genügt eine bloße Depolarisation, um die Transmitter freizusetzen). Dann aber führten die Forschungen des japanischen Physiologen tsuneo tomita zu überraschend neuen Erkenntnissen: Die Spannung über der Membran einer Photorezeptorzelle beträgt nur –40 bis – 50 Millivolt (statt der üblichen –60 bis –70 Millivolt); und dieses Potential steigt an, wenn der Photorezeptor beleuchtet wird – die Membran wird hyperpolarisiert (nicht depolarisiert). Anders ausgedrückt: die Rezeptorzellen befinden sich normalerweise in einem Zustand der Depolarisation und setzen permanent Transmitter frei, während der Lichteinfall dazu führt, weniger Transmitter auszuschütten; – von daher erklärt sich allererst die Entdeckung kufflers, daß die Ganglienzellen von Wirbeltieren bei Dunkelheit «spontan» aktiv sind: die Bipolar- und die Ganglienzellen führen wohl nur aus, was die Rezeptorzellen ihnen «vorschreiben». (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 57.) In einem weiteren Schritt gelang es 1970 dann william hagins, richard penn und shuko yoshikami in Maryland, herauszufinden, wie die Hyperpolarisation zustande kommt: Im Dunkeln ist ein Teil der Rezeptormembranen durchlässiger für Natriumionen, die an dieser Stelle kontinuierlich in die Zelle strömen (während an anderer Stelle Kaliumionen ausfließen); dieser Dunkelstrom verursacht die Depolarisation der Rezeptorzelle, mithin ihre stetige Ak-

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tivität im «Ruhezustand». Wie jewgeni fesenko und sein Moskauer Team sowie denis baylor aus Stanford und andere fanden, liegt es an dem uns schon bekannten Second-Messenger cGMP (an dem cyclischen Guanosinmonophosphat), ob die Natriumionenkanäle in der Membran der Photorezeptoren geöffnet sind oder nicht. cGMP hält nämlich die Natriumionenkanäle in der Dunkelheit geöffnet, so daß das Membranpotential bei den erwähnten –40 bis –50 mV liegt. Bei Lichteinfall nun werden die Natriumkanäle nicht länger offen gehalten, der Dunkelstrom versiegt, Hyperpolarisation setzt ein – die Rezeptorzelle hört auf, Transmitter freizusetzen. Bei den lichtempfindlichen Stäbchen reicht ein einzelnes Photon, um die Rezeptorzelle zu hyperpolarisieren, bei einem Zapfen sind dazu Hunderte von Photonen erforderlich. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 150.) Das Sehpigment, das in den Stäbchen unserer Retina das Licht absorbiert, wurde erstmals 1876 (aus der Netzhaut des Frosches) isoliert. Dieses Rhodopsin, seiner roten Farbe wegen auch Sehpurpur genannt, verliert bei Bestrahlung seine Farbe (es wird farblos, man sagt auch: es bleicht aus) sowie seine Fähigkeit, Licht zu absorbieren. Im Dunkeln gewinnt es beiden Eigenschaften zurück. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 176.) Stellen wir den Vorgang im einzelnen dar: Bei Lichteinfall werden die Rhodopsin-Moleküle in ihrer Konformation (in ihrer räumlichen Struktur) verändert, mit der Folge, daß das so aktivierte Sehpigment-Molekül ein – uns schon geläufiges – G-Protein anregt, das seinerseits – wir erinnern uns – ein GTP-Molekül (Guanosintriphosphat) bindet. Das aktivierte, mit GTP versehene G-Protein aktiviert nun seinerseits ein Enzym, das cGMP abbaut, indem es seine cyclische Struktur aufbricht. Durch diese Umwandlung sinkt die Konzentration der cGMP-Moleküle an der Membran, die Natriumionenkanäle können nicht länger offen gehalten werden, es kommt zu Hyperpolarisation und Verminderung der Transmitterfreisetzung. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 150; david h. hubel: Auge und Gehirn, 58; marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 417– 420.) Bei den lichtempfindlichen Stäbchen handelt es sich bei dem G-Protein um das Enzym Transducin, wobei eine beeindruckende Kaskade in Gang kommt, «denn ein Rhodopsinmolekül kann 71 Transducinmoleküle aktivieren und darüber 105 cGMP-Moleküle beeinflussen». (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 150) Abb. B 31 gibt eine schematische Übersicht dieser inhibitorischen Reaktion eines Stäbchens auf einen Lichtreiz. (Zu den sehr ähnlichen Vorgängen in den Zapfen vgl. marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visu-

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Abb. B 31: Die inhibitorische Reaktion eines Stäbchens auf einen Lichtreiz

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eller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 419; john p. j. pinel: Biopsychologie, 177.) Dieses für die Forscher absolut überraschende Ergebnis erlaubt nun vor der Hand bereits die Erklärung zweier erstaunlicher Fähigkeiten des Wirbeltierauges. Zum einen: Ist unser Auge gut genug an die Dunkelheit angepaßt, so genügt ein Lichtblitz, der so schwach ist, daß gerade mal sechs benachbarte Stäbchen in kurzer Zeit durch je ein Photon stimuliert werden, und der Lichtblitz wird als solcher wahrgenommen. Offensichtlich müssen Photorezeptoren sich in einem Zustand permanenter Depolarisation befinden, um selbst auf ein einzelnes Photon noch reagieren zu können. Und zum anderen wird klar, wieso Stäbchen bei grellem Licht Beleuchtungsänderungen nicht mehr registrieren; der Grund: die Natriumionenkanäle sind ja bei hellem Licht bereits geschlossen, so daß selbst ein Zuwachs an Lichtintensität nichts mehr ausrichten kann. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 58; marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information in der Retina, in: Neurowissenschaften, 415 –416; 420; 422.) – Das alles aber gilt, wohlgemerkt, nur erst auf der Ebene von Stäbchen und Zapfen. Die nächst höhere Ebene bilden die Bipolar- und Horizontalzellen in der mittleren Schicht der Netzhaut. Was ist mit ihnen? Die Bipolarzellen schalten alle Signale von den Rezeptoren an die Ganglienzellen weiter, und zwar sowohl bei der direkten wie bei der indirekten Bahn. Demgegenüber sind die Horizontalzellen nur in der indirekten Bahn in Funktion. Abb. B 32 verdeutlicht schematisch den Aufbau des rezeptiven Feldes einer Bipolarzelle mit Zentrum und Umfeld. Das Zentrum ergibt sich in der Darstellung aus einer kleinen Rezeptorengruppe, die synaptische Kontakte zu einer einzelnen Bipolarzelle besitzt. Eine oder mehrere Bipolarzellen projizieren auf eine Ganglienzelle; sie bilden deren Zentrum. Das Umfeld des rezeptiven Feldes einer Bipolarzelle ergibt sich durch eine weit größere Anzahl von Rezeptoren, inklusive derer im Zentrum, die mit einer Horizontalzelle durch Synapsen verbunden sind. Die Fläche der Rezeptoren, die auf eine Horizontalzelle verschaltet sind, ist so groß, daß sie praktisch das gesamte rezeptive Feld (Zentrum wie Umfeld) der betreffenden Bipolarzelle beziehungsweise Ganglienzelle überstreicht. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 61.) Jede Rezeptorzelle hat also Synapsen sowohl mit Bipolarzellen als auch mit Horizontalzellen. «Horizontalzellen bilden keine direkten synaptischen Kontakte mit den Bipolarzellen aus; sie bilden vielmehr Synapsen mit den Zapfen im Zentrum des rezeptiven Feldes einer Bipolarzelle.» (marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 428) Von den Bipolarzellen führen dann zwei Inputbahnen zu den Ganglien-

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Abb. B 32: Schaltplan der Retina von einem rezeptiven Feld einer Bipolarzelle mit Zentrum und Umfeld. Während im Zentrum die direkte Bahn vorherrscht, entsteht die Umgebung durch eine viel größere Anzahl von Rezeptorzellen, die über die indirekte Bahn Synapsen zu einer Horizontalzelle ausbilden.

zellen: eine direkt, eine andere indirekt über eine amakrine Zelle. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 60–62.) Daß die Bipolarzellen genauso wie die Ganglienzellen rezeptive Felder mit Zentrum und Umfeld besitzen und daß sie ebenfalls als On-Zentrum- und als Off-Zentrum-Zellen vorkommen, ist eine Entdeckung, die drei Forschern in Harvard gelang: john dowling, frank werblin und akimichi kaneko. Damit war klar, daß die Organisation der Ganglienzellen, wie kuffler sie gefunden hatte, nur passiv die Funktion der Bipolarzellen abbildet. Die Bipolarzelle sendet nur einen einzigen Dendriten (nicht ein Axon!) aus und tritt entweder mit einem einzelnen Rezeptor (stets einem Zapfen) in Verbindung oder der Dendrit teilt sich in Zweige, die mit mehreren Rezeptoren Synapsen bilden, wie Abb. B 32 es zeigt. Die Frage stellt sich natürlich, was sich zwischen Rezeptor und Bipolarzelle abspielt – sind die Synapsen exzitatorisch, inhibitorisch oder beides?

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Wir hörten soeben, daß Rezeptoren keine Aktionspotentiale ausbilden; dasselbe gilt auch für die Bipolarzellen (und ebenso für die Horizontalzellen); gleichwohl zeitigen Bipolarzellen eine On-Reaktion, wenn sie bei Lichteinfall depolarisiert werden und dadurch vermehrt Transmitter freisetzen, bzw. eine Off-Reaktion, wenn sie hyperpolarisiert werden und dadurch die Transmitterausschüttung vermindern. Da die Rezeptoren bei Lichteinfall hyperpolarisiert (also ausgeschaltet) werden, müssen die Synapsen zu den mit ihnen verschalteten Off-Zentrum-Bipolarzellen exzitatorisch sein, während sie zu den OnZentrum-Bipolarzellen inhibitorisch sein müssen. Auf diese Weise wird eine Off-Zentrum-Bipolarzelle ebenso wie die Rezeptoren bei Licht ausgeschaltet und bei Dunkelheit aktiviert; umgekehrt bewirkt die inhibitorische Synapse zwischen dem Rezeptor und der On-Zentrum-Bipolarzelle, daß die Ausschaltung der Rezeptorzelle durch Lichteinfall aufgehoben wird, indem die Bipolarzelle inhibitorisch eingeschaltet wird. Jeder Zapfen bildet Synapsen mit beiden Typen von Bipolarzellen aus. So viel zu den Bipolarzellen in der Retina. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 59– 60; marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 427.) Die Horizontalzellen «zählen zu den seltsamsten Zellen des Nervensystems. Ihre Fortsätze . . . treten in engen Kontakt mit den Endigungen vieler Photorezeptoren», die sich über eine relativ große Fläche auf der Retina verteilen. (david h. hubel: Auge und Gehirn, 60) Das Eigenartige an den Horizontalzellen aber ist nicht allein ihre Größe, sondern auch das Fehlen von Axonen; die Fortsätze der Horizontalzellen fungieren offenbar sowohl axonal (zur Informationsweitergabe) als auch dendritisch (zur Informationsaufnahme). Da Horizontalzellen bei Lichteinfall zumeist hyperpolarisiert (ausgeschaltet) werden, müssen die Photorezeptoren den Horizontalzellen ihre Informationen über exzitatorische Synapsen mitteilen. Beides kommt also zusammen: Da (fast) jeder Reiz, egal von welcher Stelle des rezeptiven Feldes er ausgeht, zu einer Hyperpolarisation der Horizontalzellen führt und da nur sie über eine große Fläche hinweg mit den Rezeptoren in Verbindung stehen, darf man annehmen, daß die Horizontalzellen im wesentlichen dafür da sind, die Informationen aus den Umfeldern der rezeptiven Felder der Bipolarzellen zu verarbeiten. Sie sind für die antagonistische Wechselwirkung von benachbarten Bereichen der Netzhaut zuständig. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 60 –62; marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 427– 428.) «Wird eine Horizontalzelle von einem Stäbchen oder Zapfen erregt, so erregt diese auch benachbarte

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Rezeptorzellen, hemmt aber weiter entfernt liegende Bipolarzellen sowie Rezeptoren, die keinen Lichtreiz erhalten haben. Dieser Mechanismus bewirkt, dass ein Lichtpunkt heller erscheint als er tatsächlich ist, und die Umgebung dunkler. Durch diese Verarbeitung, die als laterale Hemmung («laterale Inhibition») bezeichnet wird, werden die Kanten der wahrgenommenen Objekte verschärft und der Kontrast verstärkt. Laterale Hemmung tritt auch bei Interaktion von Amakrinzellen mit Ganglienzellen auf und findet auf allen Stufen der visuellen Verarbeitung statt.» (neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1276) Bleibt noch die Frage, was auf der nächsthöheren Ebene: zwischen den Bipolarzellen und den Ganglienzellen, geschieht. An dieser Stelle tauchen die seltsamen amakrinen Zellen auf: Indem sie die Bipolarzellen an die Ganglienzellen koppeln, eröffnen sie eine zweite indirekte Bahn zwischen den beiden Zelltypen. «Die Zapfen im Zentrum des rezeptiven Feldes einer Ganglienzelle bilden Synapsen zu Bipolarzellen aus, die wiederum in direktem Kontakt mit der Ganglienzelle stehen. Die Inputs von Zapfen aus dem Umfeld des rezeptiven Feldes werden durch die Horizontal- und Amakrinzellen über laterale Verbindungen verschaltet.» (marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 430) Womöglich helfen die Amakrinzellen dabei, die rezeptiven Felder der Ganglienzellen in Zentrum und Umfeld aufzuteilen: dies könnte den eigentlichen Sinn der ganzen retinalen Verschaltung darstellen. Wenn dem so wäre, käme den amakrinen Zellen eine ganz entscheidende Aufgabe zu. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 62.) Denn so geht es jetzt weiter: Zwischen den Bipolar- und den Ganglienzellen sind die Synapsen exzitatorisch; da die rezeptiven Felder der Ganglienzellen, wie wir gesehen haben, bereits auf der Ebene der Bipolarzellen realisiert sind, sind On-Zentrum-Bipolarzellen mit On-Zentrum-Ganglienzellen verschaltet, während Off-ZentrumBipolarzellen zu Off-Zentrum-Ganglienzellen führen. Eine On-Zentrum-Bipolarzelle, die bei Belichtung des Zentrums ihres rezeptiven Feldes depolarisiert ist, depolarisiert also eine On-Zentrum-Ganglienzelle. Entsprechendes gilt für Off-Zentrum-Bipolarzellen und Off-Zentrum-Ganglienzellen. Untersuchungen, die 1976 von ralph nelson, helga kolb und edward famiglietti an den retinalen Ganglienzellen – wieder einmal – von Katzen durchgeführt wurden, ergaben, daß das Off-Zentrum-System bei der direkten Bahn durchgängig – zwischen Rezeptoren und Bipolarzellen ebenso wie zwischen Bipolarzellen und Ganglienzellen – mit exzitatorischen Synapsen arbeitet; demgegenüber kommen im On-Zentrum-System zwischen Rezeptorzellen

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und Bipolarzellen, wie wir gerade hörten, hemmende Synapsen vor. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 63; marc tessier-lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 427– 429.) Und jetzt endlich wird deutlich, was es mit diesem Verschaltungssystem auf sich hat. Die «Aufteilung der Bipolar- und Ganglienzellen in die Kategorien On-Zentrum und Off-Zentrum muß . . . Korrelate in der Wahrnehmung haben» (david h. hubel: Auge und Gehirn, 63), und zwar folgendermaßen: Wir sahen bereits, daß Off-Zentrum-Zellen auf dunkle Flecken genau so reagieren, wie On-Zentrum-Zellen auf helle Lichtflecken; das führt dahin, daß unsere Wahrnehmung sich von der physikalischen Beschreibung der Wirklichkeit auf bemerkenswerte Weise unterscheidet. Physikalisch ist Schwarz nichts anderes als das Fehlen von Licht, für unsere Wahrnehmung aber ist Schwarz, wie wir jetzt verstehen, eine ebenso reale «Farbe» wie Weiß – genauso wie wir Kälte, die physikalisch sich lediglich als Mangel an Wärme darstellt, durchaus als real erleben; und eben das wird durch die sonderbare Konstruktion von rezeptiven Feldern mit einem Zentrum und einem Umfeld erreicht: Dem Gehirn sollen nicht Informationen über die absolute Intensität des Lichts übermittelt werden – auf die Änderungen diffusen Lichts reagieren die Ganglienzellen ja nur sehr schwach bis gar nicht –; gemeldet werden sollen die Unterschiede zwischen der Lichtmenge, die eine bestimmte Stelle der Netzhaut erreicht, und der Lichtmenge im unmittelbaren Umfeld dieser Stelle. Die lokalen Intensitätsunterschiede selbst sind für unsere Wahrnehmung das wichtige, nicht ob diese Differenzen sich bei sehr hellem oder schwächerem Licht ergeben. (Vgl. david h. hubel: A. a. O., 63 –64.) Der Vorteil, der durch dieses System gewonnen wird, «leuchtet» unmittelbar ein: er besteht vor der Hand darin, daß wir trotz wechselnder Lichtverhältnisse am Morgen oder am Mittag, bei klarem oder bewölktem Himmel dieselben Gegenstände nach wie vor in derselben Schwarz-Weiß-Tönung wahrnehmen, obwohl physikalisch die Lichtintensität mit der Tageszeit und der Himmelsbedeckung sich erheblich geändert haben kann. Das gilt für die SchwarzWeiß-Wahrnehmung genauso wie für das Farbsehen. Auch die Wahrnehmung der Farben ist unabhängig von der Intensität des einfallenden Lichts und sogar von der genauen Zusammensetzung der Wellenlängen, die zum Beispiel bei Sonnenuntergang naturgemäß recht verschieden ist von der zur Mittagszeit. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 65 –66.) Deutlicher läßt sich nicht zeigen, daß bereits auf der untersten Ebene des Sehens: bei der Verarbeitung des Lichteinfalls durch die retinale Verschaltung, unser visuelles Wahrneh-

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mungssystem alles andere darstellt als ein physikalisches System zur getreuen Abbildung der Wirklichkeit; was wirklich von unserem Auge geleistet wird, stellt das Ergebnis einer Bewertung von relativen Unterschieden in der Intensität des Lichteinfalls zwischen Zentrum und Umfeld der rezeptiven Felder dar. «Bereits nach zwei oder drei synaptischen Verschaltungen enthält der Output des Auges (sc. demnach, d. V.) Information, die weit komplizierter ist als die in den Stäbchen und Zapfen vorliegende punktförmige Abbildung der Welt.» (david h. hubel: A. a. O., 66) Und dieser «Output» wird nun weitergeleitet; – kommen wir also zur nächsten Stufe der Verarbeitung.

γ) Das Verarbeitungssystem auf der nächsthöheren Ebene: Corpus geniculatum laterale und primäre Sehrinde Die Sehbahn, die nun vom Auge zur primären Sehrinde (zur Area striata, lat.: der gestreiften Fläche, Streifencortex) führt, haben wir bereits in groben Zügen geschildert (vgl. Abb. A 85). Wir erinnern uns, daß der Sehnerv (lat.: der Nervus opticus) im Chiasma opticum (griech./lat.: in der Sehnervenkreuzung) etwa die Hälfte der Fasern im Tractus opticus (lat.: im optischen Faserbündel) zur gegenüberliegenden Seite wechseln läßt, während die andere Hälfte in derselben Hemisphäre weiterläuft; auf diese Weise erhält der primäre visuelle Cortex jeder Hirnhälfte Informationen von beiden Augen. Wir sahen ebenfalls bereits, wie das Corpus geniculatum laterale (lat.: der seitliche Kniehöcker) in sechs Zellschichten gegliedert ist. Im Vergleich zur Großhirnrinde, sind die Strukturen des seitlichen Kniehöckers gleichwohl als einfach zu bezeichnen, indem dort jeweils nur rund 1,5 Mio. Zellen existieren, die ihre Eingangsinformationen fast alle von Sehnervenfasern bekommen und ihre Axone zum größten Teil zur Großhirnrinde schicken; allerdings ist das Corpus geniculatum laterale (das CGL) nicht bloß eine synaptische Relaisstation – es erhält Eingänge auch von der Großhirnrinde und von der Formatio reticularis, von der wir schon wissen, daß sie an der Steuerung der Aufmerksamkeit und der Wachheit beteiligt ist; zudem sind manche Kniehöckerzellen nur untereinander verschaltet – sie dienen offenbar nicht der Weitergabe, sondern der Verarbeitung der eingegangenen Informationen. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 72.) Im ganzen freilich «reagiert die einzelne Zelle im Corpus geniculatum laterale in fast derselben Weise auf Licht wie die Ganglienzellen der Retina: Sie besitzen gleichfalls rezeptive Felder mit On- oder Off-Zentren und antworten ähnlich auf Farbe. Die visuelle Information scheint also in den seitlichen Kniehöckern nicht tiefgreifend umgewandelt zu werden». (david h. hubel: A. a. O., 72) In

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Erinnerung halten müssen wir dabei nur, daß die einzelnen Kniehöckerzellen niemals Eingänge von beiden Augen gemeinsam erhalten, sondern daß sie jeweils links- oder rechtsäugig (also monokular, griech.: mónos – allein; lat.: der oculus – Auge; nur von einem Auge Informationen erhaltend) sind und in dieser Eigenschaft getrennt voneinander in Schichten angeordnet liegen. Die Schichten 6, 4 und 1 (von oben nach unten gezählt) jedes Geniculatums erhalten dabei die Eingänge von der kontralateralen nasalen Retinahälfte, die Schichten 5, 3 und 2 von der ipsilateralen temporalen Retinahälfte. (Vgl. eric r. kandel – carol mason: Wahrnehmung von Form und Bewegung, in: Neurowissenschaften, 436.) Warum das so ist, weiß niemand – vielleicht handelt es sich, wie auf allen Ebenen der Entwicklung des Lebens anzutreffen, um «eingefrorene Zufälle», die, einmal entstanden, nicht mehr geändert werden konnten. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 736.) Bereits der schwedische Neurologe salomon eberhard henschen (1847–1930) vermutete, daß die vier oberen (dorsalen) Schichten (die Schichten 6, 5, 4, 3) mit ihren parvozellulären (lat.: parvus – klein; kleinzelligen) Neuronen die Funktion hätten, die Farbe des einfallenden Lichtes zu registrieren, während die beiden unteren (ventralen) Schichten (die Schichten 2 und 1) mit ihren magnozellulären (lat.: magnus – groß; großzelligen) Neuronen das Licht «sammeln» sollten. (Vgl. semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 34.) Und tatsächlich ist die parvozelluläre Bahn (die P-Bahn, bestehend aus den parvozellulären Nervenzellen des CGL und den retinalen Ganglienzellen, die mit ihnen Synapsen ausbilden) mit der Analyse von Form und Farbe beschäftigt (sie heißt deshalb auch Was-Bahn), während die magnozelluläre Bahn (die M-Bahn, bestehend aus den magnozellulären Neuronen des CGL und den mit ihnen verschalteten Ganglienzellen) mit der Verarbeitung der Position und der Bewegung zu tun hat (daher auch Wo-Bahn genannt). Entsprechend erhält die parvozelluläre Bahn überwiegend Informationen von den Zapfen, die magnozelluläre Bahn von den Stäbchen. Im CGL beginnen sich also die Verarbeitungswege von Form und Farbe und von Bewegungs- und Rauminformation zu trennen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 180; eric r. kandel – carol mason: Wahrnehmung von Form und Bewegung, in: Neurowissenschaften, 436 –438.) Offenbar haben jene eingefrorenen «Zufälle» sich ereignet, als das Farbsehen wiedererlernt wurde und die drei Schichten im CGL etwa einer Katze auf die sechs Schichten im CGL von Primaten erweitert wurden. In jedem Falle entspricht das CGL in diesem Aufbau eigentlich «zwei Organen in einem», die beide je für sich «als eigenständige Einheit zu betrachten» sind. (david h. hubel: Auge und Gehirn, 77)

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Abb. B 33 gibt eine schematische Darstellung der Projektionen aus beiden Augen auf den seitlichen Kniehöcker sowie der zwei nahezu unabhängigen Kommunikationsbahnen, die vom CGL zum primären visuellen Cortex führen. Entscheidend ist, daß im CGL die Struktur der rezeptiven Felder mit ihren On- und Off-Zentren voll erhalten bleibt. Wir sahen schon (vgl. Abb. A 38 und A 85), wie die beiden linken Retinahälften auf das linke CGL projizieren und die rechten Halbretinae auf das rechte CGL. «Jeder einzelne Punkt in einer Schicht (sc. des CGL, d. V.) entspricht einem Punkt im Gesichtsfeld . . . (vermittelt über das eine oder andere Auge), und jeder Bewegung entlang der Schicht läßt sich eine Bewegung im Gesichtsfeld zuordnen, deren Weg durch die Gesichtsfeld-Geniculatum-Projektion bestimmt ist . . . Eine Gesichtsfeldhälfte wird sechsmal auf jeden Kniehöcker abgebildet, dreimal pro Auge, wobei die Abbildungen sich präzise entsprechen.» (david h. hubel: Auge und Gehirn, 77) Aus allen sechs Schichten des CGL treten dann Fasern zu einem breiten Band: der Radiatio optica (lat.: der Sehstrahlung), zusammen und ziehen zur primären Sehrinde (zur Area striata, V 1). «Bei der relativ einfachen Verschaltung der Bahn von der Retina über die seitlichen Kniehöcker zum primären visuellen Cortex ist es nicht verwunderlich, dass viele retinale Ganglienzellen, Neurone des Corpus geniculatum laterale und Neurone der Schicht IV des primären visuellen Cortex ähnliche rezeptive Felder haben.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 184) Die meisten dieser rezeptiven Felder (von Neuronen auf den drei Ebenen des Retino-geniculo-striären Systems) sind rund und gehören zu On-Zentrum-Neuronen oder Off-Zentrum-Neuronen. Und jetzt sollte man natürlich erwarten, daß das Aktivierungsmuster der rezeptiven Felder vom CGL «einfach» auf die primäre Sehrinde übertragen würde, um dort eine ebenso präzise Abbildung zu ermöglichen, wie sie zuvor der Sehnerv im CGL erreicht hat. Doch was david h. hubel und torsten n. wiesel im Jahre 1958 fanden, als sie die ersten Ableitungen von der Großhirnrinde – erneut! – einer Katze vornahmen, war etwas ganz anderes – etwas absolut Überraschendes. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 77–81.) Die Katze wurde dazu «etwa neun Stunden lang» ohne Unterbrechung in einem keineswegs harmlosen Tierversuch – man muß sagen: – erheblich gequält. (david h. hubel: A. a. O., 79; vgl. auch john p. j. pinel: Biopsychologie, 183.) Daß die Dinge nicht gerade «einfach» liegen würden, hätte man freilich auf Grund der bloßen Zahlenverhältnisse bereits ahnen können: während das CGL etwa 1,5 Mio. Zellen umfaßt, enthält die Area striata etwa 200 Mio. Zellen! Wozu, muß man sich fragen, soll jetzt, nachdem bereits im Auge die Informationen

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Abb. B 33: Die Projektionen zum und vom Corpus geniculatum laterale

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von rund 125 Mio. Stäbchen und 6 Mio. Zapfen durch konvergente Verschaltungsmuster rigoros auf nur 1 Mio. Nervenfasern «zusammengefaßt» wurden, erneut eine, auf das CGL bezogen, um zwei Größenordnungen höhere Anzahl von Neuronen im Streifencortex zum Sehen aufgeboten werden? (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 77; heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 69.) Ginge es um bloße «Abbildung», sollte man eher mit weniger als mit mehr Neuronen auskommen können; vor allem muß man bedenken, daß in dem etwa 2 mm dicken und wenige Quadratzentimeter großen primären visuellen Cortex (V 1) an visuellen Informationen partout nichts anderes verarbeitet werden kann, als was von den retinalen Ganglienzellen über den Sehnerv ins Gehirn geleitet wurde – keine einzige zusätzliche visuelle Information gelangt in den hinteren Teil des Lobus occipitalis; wieso also braucht man jetzt plötzlich um Größenordnungen mehr Neuronen? Ein «vernünftiger» Techniker würde es vermutlich gerade umgekehrt halten: er würde ein System einrichten, das über ein Maximum an Rezeptoren möglichst viele Informationen zu gewinnen und ungestört weiterzuleiten imstande wäre – die Natur aber scheint gerade bei der Informationsaufnahme zu sparen, während sie sich überaus verschwenderisch gibt bei der Informationsverarbeitung. Doch wie soll es anders sein? Der «Techniker» kann das Wichtigste als fertig gegeben immer schon voraussetzen: einen (intelligenten) Betrachter und Interpreten des angelieferten Datenstroms; das Gehirn aber muß diesen «Betrachter» und «Interpreten» durch die Art seiner neuronalen Verschaltungen allererst herstellen beziehungsweise gleich miterzeugen! Was wir deshalb kennenlernen, wenn wir die Einrichtung der primären Sehrinde untersuchen, ist in der Tat nicht mehr und nicht weniger als die erstaunliche Fähigkeit des Gehirns, sich seinen «inneren Betrachter» selbst zu erschaffen, also genau das Wunder zu vollbringen, für das die Metaphysiker und Theologen bis ins 20. Jh. hinein auf allen Lehrstühlen der Philosophie und Dogmatik eine Seele beziehungsweise einen Gott als den einzig zureichenden Grund einer möglichen Erklärung zu benötigen meinten. Es zeugt von nicht geringem, aber berechtigtem Selbstbewußtsein, wenn david h. hubel (Auge und Gehirn, 72) kurz und bündig schreibt: «Vielleicht brauchen wir eines Tages das Wort Geist gar nicht mehr.» Eine sinnvolle Diskussion zwischen Theologie und Naturwissenschaften kann heute jedenfalls wohl nur noch geführt werden, wenn diese Möglichkeit als gegeben vorausgesetzt wird: daß nichts in der Natur mehr einen «Geist» als «Ursache» zu seiner Erklärung braucht. Dann aber stellt sich die Frage erst recht: Wie erschafft sich das Gehirn mit der plötzlichen Unsumme von Neuronen im primären visuellen Cortex seinen «Beobachter»?

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Abb. B 34: Orientierungsspezifität einer Zelle im primären visuellen Cortex

Was david h. hubel und torsten n. wiesel im Jahre 1958 als erstes entdeckten, war die Orientierungsspezifität der Neuronen im primären visuellen Zentrum. Abb. B 34 etwa zeigt, wie eine Zelle ausschließlich auf einen sich bewegenden Lichtbalken in 11-Uhr-Stellung reagiert, und zwar nur dann, wenn er sich nach rechts oben (nicht nach links unten) bewegt. «Um es allgemeiner auszudrücken: Die meisten Zellen der primären Sehrinde reagieren auf Kanten oder Grenzen bestimmter Orientierung, und dies oftmals nur, wenn jene sich in eine bestimmte Richtung bewegen.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 256) Nach langwierigen (für die betreffenden Tiere erneut quälerischen) Untersuchungen zeigte sich, daß in der Area striata von Affen ca. 70– 80% der Zellen orientierungsspezifisch sind; bei einer Katze scheinen es sämtliche Zellen zu sein, «selbst jene, die ihre Eingangssignale direkt vom seitlichen Kniehöcker erhalten». (david h. hubel: Auge und Gehirn, 81) Wie aber kommt das? Sorgen wir erst einmal für Übersicht. Was die Stimulusorientierung oder die Art und Lage der zugehörigen rezeptiven Felder auf der Retina angeht, so unterscheidet man bei den orientierungsspezifischen visuellen Cortexneuronen zwei Klassen von Zellen: einfache und

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Abb. B 35: Reaktionen einer einfachen Zelle im primären visuellen Cortex

komplexe. Einfache Zellen besitzen rechteckige rezeptive Felder, deren Onund Off-Regionen gradlinig abgegrenzt sind; sie reagieren daher bevorzugt auf Lichtbalken (statt Lichtflecken) auf dunklem Feld (oder auf dunkle Balken auf hellem Hintergrund) bzw. auf einzelne Kanten zwischen hellen und dunklen Flächen, besonders wenn der Kantenreiz in einer bevorzugten Position und Ausrichtung auftritt. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 185.) Abb. B 35 zeigt die Erregung einer einfachen Zelle bei exakter Belichtung ihres rechtecki-

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gen rezeptiven Feldes (a) und die schwache Antwort bei antagonistischer Erregung und Hemmung durch gleichzeitige Beleuchtung des On- und Off-Bereiches ihres rezeptiven Feldes (b). Komplexe Zellen reagieren gleichfalls am stärksten auf gerade Kanten mit bestimmter Orientierung, aber unabhängig von der Position der Kante innerhalb des rezeptiven Feldes; im Unterschied zu den einfachen Zellen besitzen sie größere rezeptive Felder, denen die Einteilung in statische On- und Off-Regionen fehlt; außerdem sind viele von ihnen im Gegensatz zu den meist monokularen einfachen Zellen binokular (lat.: bini – je zwei, der oculus – Auge; zweiäugig, von beiden Augen informiert). (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 185.) – Wir können also festhalten, daß die weitaus meisten Neuronen der primären Sehrinde (mit Ausnahme der sogenannten primären Empfängerneuronen der Schicht IV, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen) rechteckige oder kantenförmige rezeptive Felder besitzen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 256.) Und es spricht alles dafür, daß Zellen mit «einfachem» Verhalten dabei in der Verschaltung näher am Input des Cortex liegen, während die Zellen mit «komplexem» Verhalten bereits höhere Stufen der Verarbeitung repräsentieren. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 81.) Doch wie geht diese Verarbeitung vor sich? Fragen wir als erstes, wie das relativ einfache Muster der rezeptiven Felder der retinalen Ganglienzellen (und der Zellen im CGL) in den Zellen der Sehrinde zu einer neuronalen Codierung des sichtbaren Raumes genutzt werden kann – was mit anderen Worten die horrende Anzahl corticaler Neuronen wirklich tut. Um mit dem Einfachsten zu beginnen: Eine Gruppe von Zellen im primären visuellen Cortex besitzt tatsächlich den gleichen Typ von rezeptiven Feldern wie die Ganglienzellen in der Retina und die Zellen im CGL: – das sind die primären Empfängerneuronen in der Schicht IV des Isocortex. Wir haben bereits gehört, daß der ganze Isocortex in vertikalen Säulen aus sechs Schichten aufgebaut ist, und wir erinnern uns an vernon b. mountcastle, der diese Struktur als erster im somatosensorischen Cortex entdeckte. Die Neuronen der Schicht IV im primären visuellen Cortex nehmen ihre Informationen aus dem CGL auf, und zwar, wie gesagt, monokular (griech.: mónos – allein; lat.: der oculus – Auge; nur aus einem Auge). In der Schicht IV treten sie (ähnlich wie im CGL) zu alternierenden Zellgruppen zusammen, die, je nachdem, durch das linke oder durch das rechte Auge angeregt werden. (Vgl. Abb. A 86; 87.) Und jetzt muß man sich klarmachen, daß diese Gruppen von monokularen Zellen in der Schicht IV die Grundinformation für alle anderen Neuronen der

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Sehrinde liefern; der ganze Rest ist Weiterverarbeitung, ist Beschäftigung des Gehirns mit sich selbst, ist kreative (Re)Konstruktion der empfangenen Informationen! (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 254.) Wie diese kreative Konstruktion erfolgen kann, läßt sich in den ersten Schritten allerdings nach dem Gesagten jetzt einigermaßen leicht vorstellen. Nehmen wir den Vorgang des Lesens, das heißt, nehmen wir der Einfachheit halber das Betrachten einer Leerseite: Das weiße Blatt Papier wird gleichmäßig auf einen großen Bereich der Retina projiziert, und so werden die Zentren und die Umfelder der rezeptiven Felder der Ganglienzellen in diesem Netzhautbereich gleichermaßen «ein-» bzw. «ausgeschaltet», so daß sie sich gegenseitig ausgleichen – mit anderen Worten: es wird nichts passieren. Daß wir gleichwohl ein weißes Blatt Papier zu sehen bekommen, liegt an den Rändern, wie Abb. B 36 es verdeutlicht: Die Zelle 1 in dieser Abbildung hat ihr gesamtes rezeptives Feld in dem hell-weißen Bereich, so daß bei ihr Erregung und Hemmung sich gegenseitig aufheben; die Zelle 4 reagiert ebenfalls nicht, weil sich ihr rezeptives Feld außerhalb der Projektionsfläche des einfallenden Lichts befindet; bei Zelle 3 wird nur ein Teil ihres Off-Umfeldes von der Projektionsfläche des Papiers überstrahlt – sie wird somit gehemmt; einzig bei Zelle 2 liegt das On-Zentrum des rezeptiven Feldes innerhalb des Projektionsbereichs des Papiers, während das Off-Umfeld sich teilweise außerhalb befindet; diese Zelle wird vollständig erregt und nur teilweise gehemmt; sie wird also verstärkt feuern. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 247– 248.) Das Resultat dieser unterschiedlichen Reaktionsweisen ist leicht zu erkennen: Die Kanten des Papiers bewirken bei einer Reihe von Netzhautzellen eine Erregung, bei der nächsten Reihe eine Hemmung, und eben das ergibt die Repräsentation einer gradlinigen Grenze zwischen aktivierten und gehemmten Zellen. Nun kann man sich vorstellen, wie es, auf dieser Basis, weitergeht und wie es zu der Orientierungsspezifität der meisten Neuronen kommt, die hubel und wiesel entdeckten: Angenommen, alle Neuronen, die durch die senkrechte Kante eines Blattes nach Art des Neurons 2 in Abb. B 36 erregt werden, sind mit einem anderen Neuron in der Sehrinde verschaltet, so wird dieses zweite Neuron «orientierungsspezifisch» ausschließlich durch eine senkrechte Kante aktiviert, das heißt, es fungiert als Detektor für senkrechte Kanten. Und wie kommt es dann zu der 11-Uhr-Orientierung in Abb. B 34? Ganz einfach: Wir drehen das Papier etwas, dann wird die schiefe Kante eine andere Gruppe primärer Sinneszellen aktivieren, und wenn die Gruppe dieser Neuronen erneut auf ein einzelnes Neuron verschaltet ist, so besitzen wir ein Detektorneuron

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Abb. B 36: Reaktionen von monokularen Neuronen der Schicht IV des primären visuellen Cortex unter dem Einfluß der rezeptiven Felder

für leicht gegenüber der Senkrechten – und zwar spezifisch: nach links oder rechts – gekippte Kanten. Die Folgerung liegt auf der Hand: Alle möglichen Orientierungen lassen sich so aufbauen und werden offenbar in der Sehrinde auf diese Weise aufgebaut. Schon damit wird klar, warum wir zusätzlich zu den Zellen für den informativen Input jetzt eine Menge spezialisierter Merkmals-Detektorzellen mit komplizierteren Antwortmustern für die Verarbeitung brauchen. Abb. B 37 gibt schematisch den möglichen Aufbau komplexer rezeptiver Felder in der Sehrinde wieder: In a) aktiviert jedes einfache On-Off-Feld einer Neuronengruppe in der Retina jeweils eine Nervenzelle im seitlichen Kniehöcker; die Zellen dort sind in der Weise auf ein einfaches Cortexneuron verschaltet, daß eine gerade Kante auf der Netzhaut dieses Cortexneuron maximal aktiviert. In b) projizieren mehrere solcher einfachen Kantenzellen auf eine andere, komplexe Zelle, die demgemäß durch Kantenkonturen in einem größeren Bezirk der Netzhaut

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Abb. B 37: Möglicher Aufbau komplexerer rezeptiver Felder in der Sehrinde

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Abb. B 38: Die Projektion aus beiden Augen auf den seitlichen Kniehöcker und auf die Schicht IV der primären Sehrinde

aktiviert wird. In c) werden solche komplexen Zellen mit wieder einer anderen Zelle in der Weise verbunden, daß diese hyperkomplexe Zelle am besten auf eine Ecke oder einen Winkel reagiert. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 254 –255.) Nun haben wir bereits gehört, wie im primären visuellen Cortex die meisten binokularen Neuronen in Dominanzsäulen zusammengefaßt sind, indem Zellen, die auf die Erregung des einen Auges stärker als auf die des anderen reagieren, in alternierenden Säulenreihen angeordnet sind; zwei benachbarte Säulenreihen bilden dabei eine Einheit. Wir wissen auch schon, daß die Zellen einer jeweiligen Orientierung in Säulenform angeordnet sind; denn alle Zellen, die mit einer Mikroelektrode untersucht werden, die auf einer Bahn senkrecht zur Cortexoberfläche vorwärtsgeschoben wird, reagieren ausschließlich auf Kantenreize der gleichen Orientierung; verschiedene Zellsäulen sprechen mithin auf verschiedene Orientierungsreize an. Innerhalb der kleinen Cortexregion,

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auf die ein kleiner Bezirk der Retina projiziert, existieren viele verschiedene solcher Orientierungssäulen, so daß alle Säulen zusammen «Bewegungen in alle Richtungen eines Kompasses» repräsentieren können, das heißt: «von oben ® unten (null Grad) über links ® rechts (90 Grad), unten ® oben, rechts ® links bis zurück nach oben ® unten». (richard f. thompson: Das Gehirn, 256) Umfaßt werden auf diese Weise alle Bewegungsrichtungen, die innerhalb eines Vierecks umschrieben werden können. Abb. B 38 gibt schematisch die Projektionen aus beiden Augen auf den seitlichen Kniehöcker (das CGL) und von dort auf die Schicht IV der primären Sehrinde wieder. Wie man sieht, empfangen die oberste und die vierte Schicht des CGL (6 c und 4 c; c steht für kontralateral) ihre Impulse vom Auge der gegenüberliegenden (kontralateralen) Seite und projizieren auf eine Zellsäule in Schicht IV (genauer in Schicht IV c) der Sehrinde; demgegenüber empfangen die Schichten 5i und 3i (i steht für ipsilateral) des CGL ihre Impulse vom Auge der gleichen (ipsilateralen) Seite und geben die Signale an die benachbarte Zellsäule in Schicht IV c weiter; die Fasern von 1 c und 2i führen gleichfalls zu Schicht IV der Sehrinde, aber zu anderen Bereichen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 252 –253; eric r. kandel – carol mason: Wahrnehmung von Form und Bewegung, in: Neurowissenschaften, 438– 439.) Wie wir inzwischen wissen, dienen diese Bahnen der magnozellulären Neuronen des CGL der Registrierung von Position und Bewegung, sie gehören also zu einem anderen «Kanal» als die Informationsstränge, die im primären visuellen Cortex für die Auflösung der Umrisse (der Formen) und der Orientierung von Bildern zuständig sind.

δ) Noch eine Ebene höher: Weitere visuelle Felder – die Wahrnehmung von Bewegung, Farbe und Form Wieder sind wir mit diesen Einsichten ein enormes Stück vorangekommen – Jahrzehnte der Hirnforschung (und das vielfache Leid von Katzen und Affen) liegen auf dem Weg zu diesen Erkenntnissen über auch nur eines unserer Wahrnehmungssysteme; und doch, sobald wir die Augen von unserem Blatt Papier erheben und durch das Fenster hinausschauen, ist klar, daß wir enorm viel mehr zu sehen bekommen als Konturgrenzen bestimmter Orientierung und als Drehrichtungen. Nur: wie soll dieses «viel mehr» auf der Basis des Inputs in Schicht IV der Sehrinde zustande kommen? Die Antwort vorweg läßt sich vermuten: durch eine neuerliche Verschaltung auf spezifische «Detektorzellen». Wir wissen bereits, daß die Sehrinde aus mehreren von einander unterschiedenen Feldern besteht; jedes dieser Felder bietet eine vollständige Karte der Re-

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tina, das heißt das visuelle Feld in der linken Sehrinde enthält eine Karte der linken Netzhauthälften beider Augen und demgemäß in der rechten Sehrinde. Die kartenähnliche Entsprechung von Sehrinde und Netzhaut zeigt sich daran, daß ein Lichtfleck, der auf die einzelnen Bereiche der Retina fällt, zu Reaktionen in den korrespondierenden Bereichen des visuellen Cortex führt. Beim Menschen, so hörten wir schon, gibt es wohl mehr als 32 solcher visueller Felder. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 262.) Abb. A 30 hat uns schon gezeigt, wie man der Einfachheit halber die Felder als V 1, V 2 etc. bezeichnet; dabei stellt V 1 das primäre visuelle Feld (den primären visuellen Cortex, die Area striata) dar; die (sekundären) Felder weiter vorne (anterior) gelegen bezeichnet man mit einem lateinischen Fremdwort als prästriär. Bereits der schon erwähnte Leipziger Dozent paul emil flechsig (1847–1929) hatte entdeckt, daß die Cortexregion V 1 bei der Geburt eine ausgereifte Zellstruktur aufweist – im Unterschied zu der prästriären Umgebung; flechsig folgerte daraus, daß V 1 «die Eintrittspforte der Sehstrahlung in das Organ der Psyche» sei, wohingegen er die umgebenden Regionen für «Cogitationszentren» hielt, denen eine höhere «psychische» Funktion zukommen sollte. (Zit. n. semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 34.) Noch vor rund 100 Jahren war das Sehen das eine, das psychische Organ das andere; wir aber sind gerade dabei, das Sehen selbst als eine der Organisationsformen des «Psychischen» zu begreifen . . . Tatsächlich wurde die dualistische «Erklärung» des Sehens durch gerade die Forschungen über den prästriären Cortex überwunden: semir m. zeki präsentierte Makaken (zu denen u. a. die Rhesusaffen gehören) Farben, Linien und Punkte, die sich in verschiedene Richtungen bewegten, und leitete die neuronalen Aktivitäten in ihrem prästriären Cortex mit Elektroden ab. Zu seiner Überraschung fand er, daß alle Neuronen in dem Areal V 5 auf Bewegungen reagieren, die meisten sogar richtungsspezifisch, wohingegen Farben anscheinend gar keine Bedeutung für sie besitzen. Im Areal V 4 wiederum reagieren die Nervenzellen nur auf Licht bestimmter Wellenlängen (mithin auf Farben) und viele von ihnen zusätzlich spezifisch auf die Orientierung von Linien, was für die Formerkennung von Bedeutung ist. Formspezifität weisen auch fast alle anderen Zellen in den Sehrindenfeldern V 3 und V 3 A auf, wobei sich diese Zellen zumeist als ebenso farbunempfindlich wie die Neuronen in Feld V 5 zeigen. (Vgl. semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 34 –35.) Abb. B 39 zeigt die relativ gut erforschte Sehrinde von Makaken in einem Querschnitt; markiert sind ein Teil der primären Sehrinde (V 1) und einige prästriäre Areale (V 2 bis V 5).

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Abb. B 39: Die Sehrinde von Makaken

Erinnern sollten wir uns zudem an das ominöse visuelle Feld im Temporallappen VTE (vgl. Abb. A 30), das den Forschern durch seine neuronale Aktivität bei der Präsentation einer erhobenen Hand auffiel; offenbar reagiert dieses Areal bevorzugt auf spezifische komplexe Reize (wie zum Beispiel Gesichter). Ein weiteres sekundäres visuelles Feld, V 6 (vgl. Abb. A 30), ist allem Anschein nach auf die Analyse der Umrisse von Gegenständen spezialisiert; Affen jedenfalls, denen man das Areal V 6 zerstört hat, können verschiedene zweidimensionale Muster nicht mehr voneinander unterscheiden, während sie einfachere Eigenschaften von Gegenständen, zum Beispiel ihre Größe, nach wie vor wahrzunehmen vermögen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 266.) Befunde wie diese führten vor rund 30 Jahren zu dem «Konzept von der funktionellen Spezialisierung in der Sehrinde, wonach Farbe, Form, Bewegung und möglicherweise noch andere Merkmale visueller Reize getrennt verarbeitet werden. Da der Input der spezialisierten Areale überwiegend aus V 1 kommt, folgte zwangsläufig, daß auch V 1 eine spezifische Funktion hat – und ebenso V 2, das seine Signale aus V 1 erhält und mit denselben spezialisierten Arealen verbunden ist. Die beiden Regionen müssen wie eine Art Postamt die verschiedenen Signale auf die richtigen Areale verteilen». (semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 35) Die Zellen von V 1 und V 2 nehmen dazu ihre Informationen aus eng umschriebenen rezeptiven Feldern auf und greifen aus diesen nur einen Aspekt heraus, den sie dann, vorsortiert, an die «richtigen» Areale weiterleiten. «Es scheint also, als würde in V 1 und V 2 stückweise das gesamte Gesichtsfeld analysiert.» (semir m. zeki: A. a. O., 36)

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Abb. B 40: Die Anordnung der farbsensitiven Blobs im primären visuellen Cortex

Inzwischen erlauben Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) Untersuchungen über die Verarbeitung von Bewegungs- und Farbinformationen in getrennten Cortexarealen auch an Menschen, und so fand man beim Betrachten eines Bildes aus bewegten schwarz-weißen Schachbrettmustern die Hirndurchblutung am stärksten in Areal V 5; farbige rechteckige Flächen hingegen aktivieren eine langgestreckte Windung (den Gyrus fusiformis, von lat.: fusus – ausgedehnt), die dem Areal V 4 bei Makaken entspricht. (Vgl. semir m. zeki: A. a. O., 35.) Detailliertere Einsichten über die strukturelle und funktionelle Organisation des visuellen Cortex brachte eine Färbetechnik, die margaret wong-riley in Milwaukee erstmals im Jahre 1978 einsetzte, indem sie einen Farbstoff verwandte, der spezifisch an das mitochondriale Enzym Cytochromoxidase anlagert, das für die Energiegewinnung der Zelle unerläßlich ist; auf diese Weise lassen sich die Zellen mit einer besonders hohen Konzentration an Cytochromoxidase und, damit verbunden, mit einem hohen Stoffwechselumsatz erkennen. Dabei treten über die gesamte primäre Sehrinde verteilt stark angefärbte Gruppen oder Regionen von Zellen mit erhöhter Stoffwechselaktivität zutage, die sich wie Kleckse (engl.: Blobs) in die Augendominanz- und Orientierungssäulen hineinsenken; diese Blobs sind ausgeprägt in den Schichten I bis III und zwischen dem unteren Bereich von Schicht IV bis Schicht VI der primären Sehrinde; sie erhalten ihren Input von den parvozellulären Schichten des seitlichen

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Kniehöckers; zwischen den Blobs liegen die weniger stark gefärbten InterblobRegionen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 193–194; richard f. thompson: Das Gehirn, 258 –259; david h. hubel: Auge und Gehirn, 189 – 190; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 175–176.) Abb. B 40 zeigt die Anordnung der Blobs im primären visuellen Cortex. Doch nicht nur der primäre visuelle Cortex, auch V 2 weist durch seine Stoffwechselaktivität Gliederungsmuster auf – diesmal in Form von dicken und dünnen Streifen, die durch blassere Zwischenstreifen getrennt sind. Wie edgar a. de yoe und david c. van essen in Pasadena sowie stewart shipp und semir m. zeki in London fanden, sind speziell in den dünnen Streifen farbempfindliche Zellen konzentriert, während in den dicken Streifen Zellen anzutreffen sind, die auf gerichtete Bewegungen reagieren. Formspezifische Zellen liegen in den dicken und in den blassen Streifen. (Vgl. semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 36.) Was aber ist es mit den Blobs – wozu gibt es sie? – Im Jahre 1981 fanden margaret s. livingstone und david h. hubel, daß die Nervenzellen in den Blobs spezifisch auf Farbreize reagieren und keine Unterschiede bezüglich der Orientierung machen – wohingegen die orientierungsspezifischen Neuronen in den Interblobs keine Reaktion auf Farbe zeigen. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 190; richard f. thompson: Das Gehirn, 529; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 176.) An dieser Stelle sollten jetzt einige Worte zur Physiologie des Farbsehens gesagt werden: Zum ersten müssen wir – in eklatantem Widerspruch zu all unseren «Erfahrungen» mit der «bunten» (Innen)Welt in unseren Köpfen – zur Kenntnis nehmen, daß Farben im gesamten Kosmos nicht existieren; Lichtwellen haben keine Farben, sondern verschiedene Wellenlängen; erst unsere Augen (im Grunde Ausstülpungen des Diencephalon) und unsere Sehrinde interpretieren die unterschiedlichen Wellenlängen als Farben und erschaffen so allererst die bunt leuchtende Welt, die wir dann als wirklich «ansehen». (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 260.) Der Weg zu dieser Entdeckung freilich war lang. Nachdem hermann von helmholtz (1821–1894) bereits im Jahre 1860 die Vielfalt der Farbwahrnehmung auf drei Sensortypen (die zapfenförmigen Photozellen für blauviolettes, grünes und rotgelbes Licht) zurückgeführt hatte, deren jeweils unterschiedliche Aktivitäten sich gegenseitig überlagern (vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 37; david h. hubel: Auge und Gehirn, 175), war es ewald hering (1834 –1918), der im Jahre 1877 seine Farbmischversuche grundlegend anders, im Sinne einer Gegenfarbentheorie (Komplementärfarbentheorie), interpre-

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tierte. hering war fasziniert von der Tatsache, daß die Überlagerung von Rot und Grün sowie von Blau und Gelb (genauer von rotem und grünem Licht sowie von blauem und gelbem Licht) zur vollständigen Aufhebung des Farbtons (zu Weiß also, weil alle drei Zapfentypen mit der gleichen relativen Stärke aktiviert werden wie bei weißem Licht) führen kann, und so betrachtete er RotGrün und Blau-Gelb als unabhängig voneinander: – Rot und Blau zum Beispiel lassen sich ja addieren – zu Purpur, ebenso Rot und Gelb zu Orangefarben, Grün und Blau zu Blaugrün und Grün und Gelb zu Grüngelb, doch eben nicht Rot und Grün noch Blau und Gelb. Infolgedessen, meinte er, müsse es zwei getrennte Kanäle im Nervensystem für die Rot-Grün- und für die Blau-GelbProzesse geben. Hinzu treten sollte noch das Gegenfarbensystem SchwarzWeiß. – Hier sei allerdings noch auf den Unterschied zu den Mischungen von Farben zum Beispiel in den uns vertrauten Wasserfarbmalkästen hingewiesen: Wenn wir blaue und gelbe Wasserfarben mischen, so wird alles Licht außer Grün absorbiert und eben nur die Grüntöne werden reflektiert – wir sehen dann Grün. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 175–177; marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 465– 466; john p. j. pinel: Biopsychologie, 190 –191.) Tatsächlich sprechen für die – bis heute umstrittene – heringsche Theorie gewichtige neurologische Befunde. In Übereinstimmung mit ihr hatte der Physiologe gunnar svaetichin bereits im Jahre 1956 an einem Knochenfisch Ableitungen von Zellen vorgenommen, die er für Zapfen hielt (in Wahrheit waren es Horizontalzellen); dabei fand er drei Zelltypen: L-Zellen, die durch Licht jeder Wellenlänge hyperpolarisiert wurden, r-g-Zellen, die durch Licht kurzer Wellenlängen (maximal durch Grün, g) hyperpolarisiert und durch langwelligeres Licht (besonders durch Rot, r) depolarisiert wurden, und y-b-Zellen, die maximal bei Blau (b) hyperpolarisiert und bei Gelb (y, engl.: yellow) depolarisiert wurden. Sowohl bei r-g- als auch bei y-b-Zellen (bei diesen Gegenfarbenzellen im Sinne herings) löste weißes Licht nur eine schwache Reaktion aus. Bei Licht der Wellenlänge zwischen den Maxima – am Übergangspunkt – wiesen beide Zelltypen gar keine Reaktion auf. Und dieser Befund war sprechend genug: Zellen, die wohl auf farbiges Licht, nicht aber auf weißes Licht reagieren, sollten eigentlich mit Farbwahrnehmung zu tun haben. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 184.) Im Jahre 1958 dann entdeckten russell de valois und sein Team bei Rhesusaffen (Makaken) zahlreiche Kniehöckerzellen, die auf diffuses monochromatisches (griech.: einfarbiges) Licht reagierten: Licht mit einer Wellenlänge zwischen dem einen Ende des Spektrums bis zum Übergangspunkt wirkte ak-

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tivierend, Licht in einem Wellenlängenbereich vom Übergangspunkt bis zum anderen Ende des Spektrums wirkte hemmend; ganz entsprechend der heringschen Theorie entdeckte de valois Gegenfarbenzellen zweier Typen: rot-grün und gelb-blau. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 184 –185.) 1966 schließlich begannen david h. hubel und torsten n. wiesel auch die rezeptiven Felder der r-g- und der y-b-Zellen im seitlichen Kniehöcker von Rhesusaffen nicht, wie bislang, mit diffusem Licht zu bestrahlen, sondern mit einem kleinen farbigen Lichtfleck; dabei fanden sie (analog zu kufflers Entdeckung des Antagonismus von Zentren und Umfeldern bei den rezeptiven Feldern der retinalen Ganglienzellen im Auge von Katzen), daß es den gleichen Antagonismus auch beim Farbsehen gibt; auch dort existieren On-ZentrumZellen und Off-Zentrum-Zellen – diese für die Farbwahrnehmung im CGL zuständigen Zellen heißen konzentrische einfache Gegenfarbenzellen; die Physiologie des Farbsehens entspricht damit ganz der «Logik» der rezeptiven Felder beim Schwarz-Weiß-Sehen, nur daß das Zentrum der konzentrischen einfachen Gegenfarbenzellen von einem Zapfentypen erregt wird, während das Umfeld von einem anderen Zapfentypen gehemmt wird (oder umgekehrt) – zum Beispiel: das Zentrum wird durch Rot erregt, das Umfeld durch Grün gehemmt (R+G−). (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 185 –186; marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 466– 467; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 175.) Ursprünglich dachten hubel und wiesel, bei den konzentrischen einfachen Gegenfarbenzellen (zum Beispiel: R+G−) erhielte das Zentrum exzitatorischen Input von Rot-Zapfen (R+), während das Umfeld inhibitorischen Input von Grün-Zapfen (G−) bekäme; wahrscheinlich aber stellt das gesamte rezeptive Feld eine Kombination zweier Vorgänge dar: Die Rot- und Grün-Zapfen kommen beide aus einem relativ großen kreisförmigen Gebiet; ihre Zahl ist im Zentrum am höchsten und nimmt zur Peripherie hin ab; dabei sind im Zentrum die Rot-Zapfen vorherrschend, nach außen hin die Grün-Zapfen; das bedeutet, daß ein langwelliger (überwiegend roter) Lichtfleck im Zentrum das RotSystem zu einer On-Reaktion veranlassen wird, da die wenigen im Zentrum vorhandenen Grün-Zapfen dort zahlenmäßig nicht mit den Rot-Zapfen konkurrieren können – sofern sie überhaupt erregt werden; ein großflächiger kurzwelliger (überwiegend grüner) Lichtfleck wird eine Off-Reaktion zeitigen, da im Umfeld überwiegend Grün-Zapfen vorhanden sind (das Umfeld ist demnach weniger ringförmig als vielmehr ausgefüllt zu denken); weißes Licht (das sowohl langwelliges als auch kurzwelliges Licht enthält) wird hingegen beide Systeme in gleichem Ausmaß stimulieren, so daß es zu einer Überlagerung der

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Reaktionen der Rot- und der Grün-Zellen kommen wird und kleine Lichtflecke insgesamt On-Reaktionen bewirken, während ein großer Lichtfleck (diffuses Licht) keine Reaktionen auslöst. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 185–186; marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 468– 469.) Im seitlichen Kniehöcker (CGL) und unter den Ganglienzellen der Retina sind die konzentrischen einfachen Gegenfarbenzellen die häufigsten farbverarbeitenden Zellen. Im CGL befinden sie sich in den vier oberen (dorsalen) parvozellulären Schichten. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 186; marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 466; 468.) Nach der Art der Zapfensorten, die das Zentrum- und Umfeldsystem versorgen, sowie nach der Art des Zentrums, das exzitatorisch oder inhibitorisch sein kann, lassen sich vier Typen von konzentrischen einfachen Gegenfarbenzellen unterscheiden: (R+G−), (R−G+), (G+R−) und (G−R+). (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 187; marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 466– 468.) Neben diesen konzentrischen einfachen Gegenfarbenzellen finden sich zur Verarbeitung der Informationen der blauen Zapfen im Corpus geniculatum laterale und unter den retinalen Ganglienzellen zudem coextensive einfache Gegenfarbenzellen, wenn auch weniger häufig. Auch diese einfachen Gegenfarbenzellen sind ausschließlich vom P-Typ bzw. parvozellulär und kommen somit nur in der Retina und in den parvozellulären Schichten des CGL vor. Sie besitzen ein undifferenziertes rezeptives Feld (ohne Zentrum und Umfeld), in dem der Input von den blauen Zapfen (B-Zapfen) der kombinierten Wirkung von roten und grünen Zapfen (R- und G-Zapfen) gegenübersteht («Gelb» ist ja nur die Überlagerung von Rot und Grün). Entsprechend gibt es zwei Typen von coextensiven einfachen Gegenfarbenzellen: (B+R−G−) und (B−R+G+). (Vgl. marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 466 –468.) Unter den Kniehöckerzellen und den retinalen Ganglienzellen ist jetzt noch eine dritte Gruppe von Zellen zu nennen: die konzentrischen Breitbandzellen, die wir bereits unter den Namen On-Zentrum-Neuronen und Off-ZentrumNeuronen kennengelernt haben. Bei ihnen wirken R- und G-Zapfen in einer Zone des rezeptiven Feldes synergistisch (beide im Zentrum zum Beispiel R+G+ oder R−G−), in der anderen Zone dann aber antagonistisch (beide im Umfeld dann zum Beispiel R−G− oder R+G+). Die Breitbandzellen sprechen damit nur auf einen Hell-Dunkel-Kontrast innerhalb ihres rezeptiven Feldes an und leisten keinen Beitrag zur Wahrnehmung von Farbe. Genau so haben wir tat-

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Abb. B 41: Retinale Ganglienzellen und Neuronen im Corpus geniculatum laterale

sächlich vorhin die On-Zentrum-Neuronen und die Off-Zentrum-Neuronen ausschließlich auf einen Helligkeitskontrast innerhalb ihres rezeptiven Feldes reagieren sehen – zum Farbsehen trugen sie nichts bei. Im Unterschied zu den Gegenfarbenzellen, die immer zu Typ P gehören, können Breitbandzellen allerdings von Typ P und von Typ M (magnozellulär) sein. (Vgl. marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 467–469.) Abb. B 41 gibt einen Überblick über die Arten von Neuronen in Retina und Kniehöcker. Weitaus komplizierter noch als in Retina und CGL ist die Verarbeitungsweise allerdings bei den von hubel und livingstone beschriebenen Neu-

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Abb. B 42: Die vier Arten von Doppelgegenfarbenzellen im primären visuellen Cortex

ronen im primären visuellen Cortex, deren farbspezifische rezeptive Felder offenbar «doppelt» entgegengesetzt verarbeiten und deshalb als Doppelgegenfarbenzellen (genauer: als konzentrische doppelte Gegenfarbenzellen) bezeichnet werden. In ihren rezeptiven Feldern werden die Eingangssignale der verschiedenen Zapfentypen (für Rot, Grün und Blau) nicht getrennt verarbeitet, sondern immer die Signale mindestens zweier Zapfentypen gleichzeitig. (Vgl. marc tessier-lavigne – peter gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 468 –469; richard f. thompson: Das Gehirn, 261.) Wie Abb. B 42 zeigt, gibt es von ihnen im primären visuellen Cortex vier Arten, die alle hochempfindlich auf Farbkontraste reagieren, davon zwei bevorzugt auf Rot-Grün-, die anderen zwei bevorzugt auf Blau-Gelb-Kontraste. Die oberste Doppel-

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gegenfarbenzelle zum Beispiel reagiert am stärksten auf einen grünen Lichtpunkt auf rotem Hintergrund. Für die beiden unteren Doppelgegenfarbenzellen gilt, daß die Signale der B-Zapfen antagonistisch mit den kombinierten Signalen der R- und G-Zapfen verarbeitet werden. Was wir mit all dem gerade zu verstehen beginnen, ist für unsere Suche nach der «Wahrheit» unserer Wahrnehmung ganz entscheidend; denn wir müssen feststellen: Das Sehen ist eine der Organisationsformen des Psychischen – so wie analog wohl auch alle anderen Sinneswahrnehmungen; es ist «ein schöpferischer Prozess», bei dem der Cortex aus «Informationen über einige wenige wichtige Eigenschaften der visuellen Welt» eine «Wahrnehmung» zusammensetzt, «die in jeder Hinsicht besser ist als das Bild auf der Retina und in mancher Hinsicht sogar für uns einer genauen Abbildung der physikalischen Realität überlegen ist.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 195) Für die Interpretation dieser wenigen ausgewählten Informationen existieren im Cortex bei näherer Betrachtung nun drei wichtige parallel verarbeitende Bahnen, die für unterschiedliche Inhalte des visuellen Inputs zuständig sind. (Vgl. eric r. kandel: Die Konstruktion des visuellen Bildes, in: Neurowissenschaften, 401–404; semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 36– 37; heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 69–70.) Eine Bahn (die sogenannte «magnozelluläre Bahn») registriert Bewegungen und räumliche Beziehungen (und damit die dreidimensionale Tiefenwirkung). Die Nervenzellen dieser Bahn geben an, wo im Raum sich ein Objekt befindet (Wo-Bahn), aber sie sind unempfindlich gegenüber Farben und ruhenden Gegenständen. Die Zentralstelle für die Verarbeitung von Bewegungen ist das Feld V 5 (im mediotemporalen Areal, MT), und wir können nach dem Gesagten jetzt schon den Weg angeben, über den dieses Feld seine Informationen erhält: die Impulse ziehen von der Netzhaut über die magnozellulären Schichten des seitlichen Kniehöckers (CGL) zu der Schicht IV (genauer IV c und IV b) in V 1, und von dort laufen sie entweder direkt nach V 5 oder indirekt über die dicken Streifen in V 2. Eine zweite Bahn (die sogenannte «Parvo-Blob-Bahn») dient der Verarbeitung vor allem von Farben mit relativ geringer Auflösung. Ihre Informationen gelangen über die parvozellulären Schichten im CGL zu den farbspezifischen Zellen in den Blob-Regionen von V 1 und von dort direkt zu V 4 oder indirekt über die dünnen Streifen von V 2. Eine dritte Bahn (die «Parvo-Interblob-Bahn» genannt wird, obwohl sie auch einen kleinen Informationsbeitrag aus der magnozellulären Bahn erhält)

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reagiert hochauflösend auf die Wahrnehmung von Formen. Zu den wichtigsten Elementen der Formwahrnehmung gehören die Umrisse und die Orientierung von Bildern. Die hohe Ortsauflösung der Neuronen dieser Bahn ist wie geschaffen für die Analyse dessen, was gesehen wird (Was-Bahn), seien es nun komplexe Gegenstände oder zum Beispiel Gesichter. Außerdem ist diese Bahn auch für das Tiefensehen und eingeschränkt auch für das Farbsehen zuständig. Näherhin gibt es in der «Parvo-Interblob-Bahn» zwei Systeme der Formerkennung, die sich insofern deutlich voneinander unterscheiden, als eines von ihnen auf die Wahrnehmung von Formen und Tiefensehen zusammen mit Farben eingerichtet ist; das zweite Formerkennungssystem ist ganz farbunempfindlich und auf die Erkennung dynamischer Formen, also auf die Identifizierung bewegter Objekte, spezialisiert. Das System für das gleichzeitige Erkennen von Form (Tiefensehen) und Farbe liegt im Areal V 4; sein Informationsweg verläuft über die parvozellulären Schichten im CGL zu den Interblob-Regionen von V 1 und von dort über die blassen Streifen von V 2 zu V 4. Das System zur Erkennung dynamischer Formen ist im Areal V 3 (und in V 5) lokalisiert, und auch seinen Informationsweg vermögen wir bereits anzugeben: er verläuft über die magnozellulären Schichten im CGL zu Schicht IV in Feld V 1 und wird von dort direkt nach V 3 (und V 5) geleitet oder indirekt über die dicken Streifen von V 2. Jede der drei parallelen Nervenbahnen übermittelt dabei hauptsächlich eine Art von visueller Information. Anders ausgedrückt: Farben werden wahrgenommen, wenn farbspezifische Zellen in den Blob-Regionen von V 1 Informationen direkt oder über die dünnen Streifen von V 2 an V 4 weitergeben; Formen zusammen mit Farben werden wahrgenommen, indem von den Interblob-Regionen in V 1 Informationen über die blassen Streifen in V 2 nach V 4 gelangen. Dynamische Formen (Bewegungen) werden wahrgenommen, indem Zellen in der Schicht IV b (4B) von V 1 ihre Informationen entweder direkt oder über die dicken Streifen von V 2 an die Areale V 3 und V 5 schicken. Abb. B 43 versucht, diese drei getrennten parallelen Nervenbahnen für Bewegung (und Tiefe), für Farben mit relativ geringer Auflösung und für das (hochauflösende) Erkennen von Formen gleichzeitig mit Farben sowie von dynamischen Formen darzustellen. Wie in Abb. B 43 zu sehen, sind zwar die Nervenbahnen voneinander klar abgegrenzt, doch lassen bereits die Sortierfächer der Areale V 1 und V 2 einen Austausch untereinander zu; ebenso bestehen Verbindungen zwischen den spezialisierten visuellen Feldern. «So vermischen sich die Signale der parvozellulären und magnozellulären Schichten teilweise, wovon die prästriären visuel-

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Abb. B 43: Drei getrennte Nervenbahnen für die Signalübertragung in der Sehrinde

len Areale bei der Ausübung ihrer Funktion auf verschiedene Weise Gebrauch machen.» (semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 37; vgl. auch eric r. kandel: Die Konstruktion des visuellen Bildes, in: Neurowissenschaften, 404.) Insgesamt lassen sich die angegebenen Zusammenhänge, wie nicht anders zu erwarten, insbesondere durch die Beobachtung der Ausfälle bestätigen, die Läsionen in den betreffenden Feldern des visuellen Cortex hervorrufen – wofern die neurologischen Einsichten nicht unmittelbar durch die mutwillige Verletzung der entsprechenden corticalen Areale im Gehirn vornehmlich von Katzen und Affen gewonnen wurden. So führt eine Läsion in Areal V 4 zu völliger Farbenblindheit (griech.: zu Achromatopsie), einschließlich der Unfähigkeit, sich

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Abb. B 44: Die wichtigsten visuellen Hirnrindenareale in Seitenansicht (CGL = Corpus geniculatum laterale, PUL = Pulvinar)

Farben vorzustellen oder sich an sie zu erinnern; eine Läsion in V 5 verursacht das Unvermögen, bewegte Objekte zu erkennen (griech.: die Akinetopsie) oder sie sich auch nur gedanklich vorzustellen. Zugleich wird deutlich, warum es einen vollständigen Ausfall des Formsehens eigentlich nicht geben kann – es müßten dazu ja gleich zwei Areale: V 3 und V 4, zerstört werden, und da V 3 anatomisch wie ein Ring um V 1 und V 2 liegt, müßte die Zerstörung eines so großen Areals mit hoher Wahrscheinlichkeit auch V 1 mitbetreffen und zu gänzlicher Blindheit führen. (Vgl. semir m. zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 37–38; bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 213– 215.) Schematisch lassen sich die wichtigsten visuellen Hirnrindenareale und ein Teil der zwischen ihnen bestehenden Verbindungen in Seitenansicht so darstellen wie in Abb. B 44. Deutlich wird dann vor allem das Prinzip der Parallelverarbeitung. Jedes Kästchen vertritt, abgesehen von der primären (V 1) und sekundären (V 2) Sehrinde, einen Komplex aus mehreren visuellen Arealen, vereinfachend reduziert auf die drei Merkmale Form, Farbe und Bewegung. Zu beachten ist die Wechselseitigkeit der Verbindungen sowie das Vorhandensein paralleler Eingänge von subcorticalen Strukturen. (Vgl. andreas engel – wolf singer: Neuronale Grundlagen der Gestaltwahrnehmung, in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier: Kopf oder Computer, 4/1997, 68.) Eine Weile lang geisterte, ausgelöst durch diesen Befund einer Zusammen-

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Abb. B 45: Das heute gültige Modell der Organisation sensorischer Systeme: hierarchisch, funktionell untergliedert und parallel

schaltung verschiedener Module beim Sehen, die teils ironische, teils ernst gemeinte Vorstellung von einem «Großmutterneuron» durch die neurologische Literatur. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 228.) Wenn es möglich ist, eine komplexe Gestaltwahrnehmung durch das Zusammenwirken verschiedener spezialisierter Bearbeitungszentren des visuellen Inputs aufzubauen, muß es dann nicht irgendwo im Gehirn ein Neuron geben, das es erlaubt, freudig das Gesicht unserer Großmutter wiederzuerkennen – so ähnlich wie der Affe eine aufrecht gestellte Hand beim Adieu? Und womöglich noch weiter gegriffen: brauchen wir am Ende nicht doch wieder eine übergeordnete Bearbeitungsstelle für die eingehenden Informationen und ist diese Zentrale dann nicht doch der Sitz des Ichs, der Ort der Seele, das Instrument des Geistes? – Es lohnt, diese Frage sich immer wieder einmal vorzulegen, um den Abstand zu markieren, der das überkommene metaphysisch-theologische Denken von den methodischen Ansätzen der Neurologie im letzten Drittel des 20. Jhs. trennt: Je weiter die Forschung voranschreitet, desto mehr bestätigt sich die Vorstellung, daß es ein solches «Geistzentrum» nicht gibt, sondern daß die Einheit der visuellen Wahrnehmung (das optische Erkennen eines Gegenstandes) das Resultat einer gemeinsamen Aktivität unterschiedlicher parallel-verarbeitender neuro-

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Abb. B 46: Der präfrontale Cortex verarbeitet die Informationen der ventralen («was») und der dorsalen («wo») Bahn, die von der primären Sehrinde am Hinterkopf zum Stirnhirn ziehen (am Beispiel eines Rhesusaffen)

naler Module darstellt, die auf ihre Weise den Datenstrom in seine spezifischen Teilaspekte zerlegen, um dann aus diesen Teilen sich ein Gesamtbild zu konstruieren. Abb. B 45 zeigt ein solches hierarchisches, funktionell untergliedertes und paralleles Verarbeitungssystem, wobei die absteigenden Bahnen, die Informationen von höheren zu tieferen Ebenen zurückleiten, noch nicht einmal eingezeichnet sind. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 200– 202.) Dabei ist klar, daß die Konstruktionsregeln selbst neuronal vorgegeben sind – teils ererbt, teils erlernt. So bestätigt zum Beispiel die Trennung der Verarbeitungszentren von Formen und Farben unsere alltägliche Erfahrung, nach der ein Zeichenlehrer die Kinder zunächst die Umrisse eines Gegenstandes malen und diese dann mit Buntstiften kolorieren läßt; erst die moderne Malerei löste den Unterschied von Form und Farbe auf. Abschließend müssen wir noch darauf hinweisen, daß zusätzlich zu den in Abb. B 44 dargestellten Cortexarealen auch der präfrontale Cortex bei der Organisation des Sehens bereits auf dieser relativ noch unteren Ebene eine wich-

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tige Rolle spielt. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die untere Partie des präfrontalen Cortex «beim Erwerb und Bewahren jeglicher Art visueller Informationen, die aus den hinteren Regionen der Sehrinde stammen, eine entscheidende Rolle» spielt. Dagegen werden die oberen präfrontalen Regionen «dann aktiviert, wenn eine Manipulation dieser Informationen erforderlich» ist. (laurent petit – laure zago: Der Sitz des Arbeitsgedächtnisses, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 33) Wir können auch sagen, daß die untere Partie des präfrontalen Cortex das Erinnern von Eigenschaften wie Form oder Farbe («was») steuert, während die obere Partie des präfrontalen Cortex auf das Behalten einer räumlichen Information («wo») reagiert. Abb. B 46 zeigt diese Beteiligung des präfrontalen Cortex an den Prozessen der visuellen Wahrnehmung im Gehirn von Rhesusaffen. Die Was-Bahn, die für die Identifizierung von Formen und Farben zuständig ist, nennt man, entsprechend ihrer anatomischen Lage, auch die ventrale Bahn, während die WoBahn, die der Lokalisierung von Objekten im Raum und der Bewegungssteuerung zu ihrer Erfassung dient, die dorsale Bahn heißt.

ε) Das Corpus callosum und das räumliche Sehen Entscheidend für das Überleben unserer baumbewohnenden Vorfahren war zweifellos die Fähigkeit zum räumlichen Sehen (griech.: zur Stereopsie), und sie wurde erreicht durch die Parallelstellung der Augen – selbst Chamäleons mit ihren einzeln verstellbaren seitlichen Augen müssen, um die genaue Entfernung zu einem Insekt abzuschätzen, das sie mit ihrer weit hervorschnellenden Zunge einzufangen gedenken, beide Augen nach vorn richten. (Vgl. volker storch – ulrich welsch: Systematische Zoologie, 623.) Wohlgemerkt gibt es eine ganze Reihe von Tiefenindikatoren, die nicht auf Stereopsie beruhen und prinzipiell auch mit einem Auge wahrgenommen werden können, als da sind: die Überdeckung (ein Gegenstand, der einen anderen verdeckt, scheint vor diesem zu liegen), die Perspektive (die scheinbare Annäherung paralleler Geraden bei steigender Entfernung) und die Parallaxe (das Verhältnis, in dem sich nahe und entfernte Objekte bei seitlicher oder vertikaler Kopfbewegung gegeneinander verschieben). (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 150–151; 162.) Eine wichtige Information über die Entfernung eines Gegenstandes und somit die Tiefe des Raumes liefert auch die erfahrungsbedingte Abschätzung seiner Größe: die perspektivische Wahrnehmung läßt entferntere Gegenstände als verkleinert erscheinen und erlaubt somit im Vergleich mit bekannten Objekten auch Rückschlüsse auf die «wahre» Größe und

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Abb. B 47: Perspektivisch bedingter Irrtum in der Größenwahrnehmung

ineins die tatsächliche Entfernung. Wie sehr wir dabei freilich in die Irre gehen können, zeigt die sogenannte ponzo-Täuschung (nach mario ponzo, 1882 – 1960), die Abb. B 47 wiedergibt. Indem die Steine, die Fenster, die Mauer, der Bürgersteig die gleiche perspektivische Ausrichtung (auf den «Fluchtpunkt» zu) aufweisen, wird die menschliche Figur, einfach weil sie immer in derselben Länge eingezeichnet ist, mit wachsendem Abstand fälschlicherweise als größer wahrgenommen; die Täuschung ist so perfekt, daß man wirklich zum Lineal greifen muß, um den Irrtum festzustellen, und selbst dann wird man sich nicht beibringen können, «richtiger» zu sehen. Es spielt dabei keine Rolle, ob man das Bild mit einem oder mit zwei Augen betrachtet; im Gegenteil, die Stereopsie des beidäugigen Sehens verstärkt noch den Eindruck der Tiefe und damit in diesem Falle die Täuschung. (Vgl. heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, 70; eric r. kandel: Die Konstruktion des visuellen Bildes, in: Neurowissenschaften, 397–398.) Die stereoskopische Wahrnehmung (die Stereopsie) stellt zweifellos das wichtigste Instrument der Tiefenabschätzung dar, und sie hängt ab vom gleichzeitigen Gebrauch von zwei nach vorn gerichteten Augen. Beide Augen erhalten von demselben Objekt leicht gegeneinander versetzte Bilder, und so kann das Gehirn die Unterschiede vor einem unveränderten Hintergrund zur Entfernungsbestimmung nutzen. Nehmen wir an, wir wollen einen Punkt P betrachten, davor aber liegt der Punkt Q; wir stellen also die Augen so ein, daß

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Abb. B 48: Stereopsie – Q liegt näher als P

das Bild von P im linken wie im rechten Auge auf die Fovea F fällt; das Bild von Q fällt dann auf der Netzhaut auf die entgegengesetzten Seiten der beiden Foveae: QL wird in die linke Gehirnhemisphäre und QR in die rechte Gehirnhemisphäre projiziert; um festzustellen, daß Q weniger weit entfernt ist als P, muß die Information beider Augen miteinander verknüpft werden. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 162–163.) Abb. B 48 gibt den Vorgang schematisch wieder. Man erkennt auf dieser Abbildung auch die Änderung der relativen Richtungen der Augen, die sich gleichzeitig mehr oder weniger stark nach innen drehen müssen (man spricht auch davon, daß die Augen «konvergieren», von lat.: convergere – sich zusammenziehen), um die Nähe oder Weite eines Objekts zu erkennen; auch müssen die Augenlinsen durch Kontraktion des Ciliarmuskels (lat.: das cilium – Wimper, Augenlid; des glatten Muskels im Ciliarkörper der mittleren Augenhaut) gerundet werden, um ein nahes Objekt scharf zu sehen, und sie müssen abgeflacht werden, um ein weit entferntes Objekt zu fixieren (vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1272–1273); dieser als Akkomodation (lat.: Angleichung, hier: des Auges an die jeweilige Sehentfernung) bezeichnete Vorgang sowie die Konvergenz der Blickrichtung beider Augen bilden gemeinsam die Grundlage der Tiefenwahrnehmung. (Vgl. david h. hu-

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bel: Auge und Gehirn, 151.) Entscheidend dabei ist, daß Q, weil es näher als der vom Beobachter scharf betrachtete Punkt P wahrgenommen wird, in waagerechter Richtung weiter auseinander liegende Bildpunkte (QL auf der Retina des linken Auges, QR auf der des rechten) erzeugt, als wenn P und Q gleich weit entfernte Punkte wären. Im letzteren Falle würde man QL und QR (genauso wie die zwei Foveae, auf denen die Bildpunkte von P abgebildet werden) als korrespondierende Punkte auf den beiden Netzhäuten bezeichnen; oder anders gesagt: die beiden Bilder von Q fielen dann auf korrespondierende Netzhautflächen. Je weiter zwei Bildpunkte also im Vergleich zu den korrespondierenden Bildpunkten auseinander liegen, desto näher erscheint das Objekt. Eine Verschiebung der beiden Bildpunkte nach innen zu den Foveae (und damit zu den korrespondierenden Punkten) hin, ist identisch mit dem Eindruck größerer Distanz. Diese Abweichungen von der Korrespondenz nennt man Disparation (lat.: Abweichung), und es ist diese Disparation zweier Bildpunkte auf der Retina, die dem Auge als Maßstab der Entfernung dient. Falls die Disparation in horizontaler Richtung weniger als zwei Grad (0,6 mm auf der Retina) beträgt, so nehmen wir nur einen Fleck wahr, der uns näher vorkommt als die im Hintergrund fixierte Stelle. Verschiebt sich das Bild indessen horizontal um mehr als zwei Grad oder vertikal um mehr als ein paar Bogenminuten, so sehen wir zwei Punkte, die uns dann als näher oder weiter erscheinen können. (Vgl. david h. hubel: A. a. O., 151–153; 162–163.) Diese Prinzipien, nach denen Tiefenwahrnehmung realisiert werden kann, sind an sich so einfach, daß nach ihnen charles wheatstone (1802 –1875) bereits 1838 sein damals beliebtes Stereoskop zu konstruieren vermochte. Das Gerät bestand aus zwei Spiegeln, die in einem Winkel von 45 Grad zur Blickrichtung aufgestellt wurden, so daß zwei sich überlagernde Bilder entstanden. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 153.) In den 50er Jahren des 20. Jhs. kamen 3-D-Brillen in Mode, die man ins Kino mitnahm, um damit Filme zu betrachten, die mit zwei Kameras aufgenommen worden waren und demgemäß sich überlagernde Bilder anboten. Auch diese Technik hielt sich an die gleichen Verfahren, mit deren Hilfe unsere Augen selbst Stereopsie ermöglichen; allerdings wird dabei (erneut) das Wichtigste vorausgesetzt: ein Betrachter, in dessen Kopf die zwei getrennten Bilder zusammenkommen und gegeneinander verrechnet werden können. Die Frage bleibt, wie unser Gehirn dieses Kunststück fertigbringt. Die entscheidende Struktur zum Zusammenführen von Informationen aus beiden Körperhälften ist das Corpus callosum (lat.: der rauhe Körper; der Balken). Mit rund 200 Mio. Nervenfasern stellt diese Hirnstruktur das weitaus

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größte Faserbündel des ganzen Nervensystems dar – für jeden der beiden Sehnerven schätzt man nur 1 Mio. Axone und für jeden Hörnerven bloß 28 000 Axone. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 275.) Auch der Querschnitt des Corpus callosum ist eindrucksvoll: er weist eine Fläche von etwa 700 mm2 auf, gegenüber den nur wenigen Quadratmillimetern der Querschnittfläche des Sehnerven. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 143.) Weil das Corpus callosum (zusammen mit der viel kleineren Commissura anterior) die beiden Hirnhemisphären miteinander verbindet, nennt man es auch die große cerebrale Kommissur. Jede Zelle im visuellen Cortex, die ihre Informationen von der anderen Hirnhälfte über das Corpus callosum erhält, muß genau die zu der gegenüberliegenden Zelle passenden, funktionsidentischen (griech.: homologen – gleichartigen) Eigenschaften besitzen. Dabei bilden die Sehnerven nur einen kleinen Teil der Fasern des Balkens. (Vgl. david h. hubel: A. a. O., 149.) Gleichwohl wäre es nicht richtig, in dem Corpus callosum nichts weiter zu sehen als eine «Brücke» zur «Kabelverlegung». Was für Störungen eintreten, wenn das Corpus callosum durchtrennt wird, demonstrierte erstmals 1953 der sperry-Schüler ronald e. myers: Er dressierte als erstes Katzen darauf, den Unterschied von Kreisen und Vierecken als bedeutsam zu interpretieren, «indem er richtige Reaktionen mit Futter belohnte und Fehlreaktionen milde bestrafte, nämlich durch einen unangenehm lauten Summton». (david h. hubel: Auge und Gehirn, 145) Natürlich zeigte sich, daß die Tiere auch mit nur je einem Auge imstande waren, die Formen «richtig» wahrzunehmen; wir wissen ja bereits (vgl. Abb. A 38), daß jede Hirnhälfte Information von beiden Augen erhält, da die Verschaltung der Sehnerven im Chiasma opticum dafür Sorge trägt; näherhin ist es das brodmann-Feld 17 (der primäre visuelle Cortex), das seine Eingaben (über das CGL) vom rechten wie vom linken Auge erhält. myers nun halbierte in einer zweiten Phase des Experiments das Chiasma opticum von noch nicht dressierten Katzen entlang der Mittellinie, so daß die kreuzenden Fasern durchtrennt wurden, während die nicht-kreuzenden erhalten blieben; auf diese Weise war das linke Auge nur noch mit der linken Hirnhälfte verbunden und das rechte Auge allein mit der rechten Hemisphäre. – Eingriffe dieser Art, versichern Neurologen immer mal wieder zur Beruhigung von Tierschützern, fügten den Tieren keine Schmerzen zu, weil das Gehirn seine eigenen Verletzungen nicht empfindet (zu den mit einem neurochirurgischen Eingriff am «schmerzfreien» Gehirn verbundenen Schmerzen vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 446); in jedem Fall zeigen sich die Läsionsfolgen in charakteristischen lebenslänglichen Funktionsausfällen. – Eben die wollte myers erforschen. Er trainierte die solcherart lädierten Tiere im folgenden nur über

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das linke Auge, um anschließend dann über das rechte Auge ihren Lernzuwachs zu testen; da die Tiere die Prüfung erfolgreich bestanden, blieb nur ein Schluß übrig: die Informationen mußten von der linken zur rechten Hemisphäre gelangt sein, und das war nur möglich über das Corpus callosum. Und so folgte «logisch» die dritte Phase des Experiments: myers durchtrennte einer weiteren Gruppe von Katzen zusätzlich zum Chiasma opticum den Balken – und jetzt versagten die Tiere bei dem Test. Damit war bewiesen, daß das Corpus callosum es dem Gehirn ermöglicht, selbst bei durchtrenntem Chiasma opticum eine Aufgabe mit dem rechten Auge zu lösen, die es mit dem linken Auge gelernt hat. Immerhin! (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 144 –146; john p. j. pinel: Biopsychologie, 462 –464.) Abb. B 49 gibt einen schematischen Überblick über die von myers und sperry durchgeführten Versuchsreihen. Alle Tiere der Kontrollgruppe, also die unversehrten Katzen, die Katzen mit durchtrenntem Chiasma opticum sowie die Katzen mit durchschnittenem Balken, lösten die Diskriminierungsaufgabe mit dem einen, rechten Auge perfekt, nachdem sie die Unterscheidung zuvor nur mit dem linken Auge gelernt hatten. Die Katzen der eigentlichen Experimentalgruppe aber, die Tiere also mit durchtrenntem Chiasma opticum und durchschnittenem Balken, mußten die Diskriminierungsaufgabe nach Wechsel der Augenklappe völlig neu lernen, da die Hemisphäre, welche die Unterscheidung zuvor gelernt hatte, unter diesen Versuchsbedingungen blind war und kein Informationsaustausch zwischen den Hirnhälften mehr stattfinden konnte. Einen Schritt weiter kam in myers’ Fußstapfen der Brite david whitteridge (1912 –1994). Er fragte sich zu Recht, was die Idee einer homologen Verbindung der beiden Hirnhemisphären (um genau zu sein: von Area 17 links mit Area 17 rechts) über das Corpus callosum überhaupt für einen Sinn ergeben sollte (warum denn sollten ausgerechnet Neuronen der verschiedenen Hirnhälften, die für weit entfernte Punkte in der rechten und in der linken Gesichtsfeldhälfte zuständig sind, miteinander verschaltet sein). Um der Sache nachzugehen, durchtrennte er den rechten Tractus opticus (zwischen Chiasma opticum und CGL), so daß der gesamte visuelle Cortex des rechten Lobus occipitalis von seinem Input aus der Umwelt getrennt war, bis auf die Signale, die über das Corpus callosum geleitet werden könnten; dann untersuchte er mit Ableitelektroden, welche Informationen in Area 17 unter diesen experimentellen Bedingungen noch ankommen, und fand, daß der Balken nicht die beiden ganzen Areae 17 in beiden Hirnhälften miteinander verbindet, sondern nur die Bereiche, deren rezeptive Felder in der vertikalen Mittellinie des Gesichtsfeldes liegen. Dieser Befund bestätigte eine Feststellung, die man zuvor bereits anato-

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Abb. B 49: Schematischer Überblick über die von myers und sperry durchgeführten Split-Brain-Experimente zur Bedeutung des Corpus callosum

misch gefolgert hatte, daß nämlich in Area 17 nur Gebiete nahe der Trennlinie zwischen Area 17 und Area 18 Axone zur anderen Hirnhemisphäre schicken und daß diese hauptsächlich in Area 18 in der Nähe zu Area 17 enden. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 146 –147.) Ganz entsprechend fanden david h. hubel und torsten n. Wiesel, indem sie Ableitungen direkt von den Sehfasern im hinteren Bereich des Corpus callosum vornahmen, Axone, die so reagierten wie die Neuronen der Area 17: «Sie zeigten einfache oder komplexe

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Eigenschaften, waren orientierungsspezifisch und in der Regel für Reize aus beiden Augen empfindlich. Die rezeptiven Felder all dieser Zellen lagen der vertikalen Mittellinie sehr nahe, entweder unter, über oder genau im Blickmittelpunkt.» (david h. hubel: A. a. O., 147) Aus diesem Befund geht hervor, welch eine Bedeutung das Corpus callosum besitzt: Es trägt dazu bei, Sehzellen im Cortex so miteinander zu verschalten, daß deren rezeptive Felder die Mittellinie überbrücken können. Auch das somatosensorische System verwendet das Corpus callosum, um Cortexareale miteinander zu verbinden, die von Haut- oder Gelenkrezeptoren des Rumpfs, des Rückens und des Gesichts in der Nähe der Körpermittellinie aktiviert werden – entsprechend werden die somatosensorischen Areale für Hände und Füße nicht durch den Balken miteinander verknüpft. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 149.) Erhärtet wurde diese Vorstellung von der Funktion des Balkens durch einen Versuch, den 1968 giovanni berlucci und giacomo rizzolatti in Pisa vornahmen, indem sie das Chiasma opticum, wie myers, in der Mittellinie durchtrennten; alsdann suchten sie in der rechtsseitigen Area 17 nahe Area 18 nach binokularen (lat.: von beiden Augen informierten) Zellen und fanden, daß die rezeptiven Felder dieser Neuronen samt und sonders von der vertikalen Mittellinie durchschnitten wurden. Für den Aufbau des Gesichtsfeldes bedeutet dies, daß die beiden Gesichtsfeldhälften über diese binokularen Neuronen miteinander verbunden werden, so daß es zu einer Überlappung der rezeptiven Felder um einige Grade kommt und es zudem möglich wird, durch den Vergleich der Bilder auf den Retinae beider Augen die Tiefe des aufgenommenen Bildes abzuschätzen, also räumlich zu sehen. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 147–149.) Maßgebend für diese Fähigkeit sind also die genannten binokularen Zellen in Area 17, die etwa die Hälfte aller Zellen dort ausmachen (während die retinalen Ganglienzellen selbstredend monokular sind und die Zellen im CGL wegen der Links- und Rechts-Schichtung ebenfalls). (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 157.) Näherhin nämlich sind in der Area 17 für die Abschätzung von Entfernungen drei Typen von sogenannten disparationsempfindlichen Zellen lokalisiert, deren einer speziell dann anspricht, wenn ein Objekt gerade so weit entfernt ist wie der Punkt, den die Augen fixieren, der mithin in der Fovea centralis abgebildet wird – dieser Zelltyp heißt die exzitatorische disparationsspezifische Zelle; ein zweiter Zelltyp reagiert, wenn der Gegenstand weiter entfernt ist, ein dritter reagiert nur auf näher befindliche Objekte – diese Fern- und Nahzellen weisen bei Veränderungen der Disparation sehr deutliche Empfind-

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Abb. B 50: Ein nicht zu verschmelzendes Bildpaar

lichkeitsunterschiede an der Stelle auf, in deren Nähe oder an der die Disparation gleich null ist. Alle drei disparationsempfindlichen Zellen unterscheiden sich von der Orientierungsspezifität anderer Sehzellen nicht, nur daß bei ihnen die Tiefenempfindlichkeit hinzukommt. (Vgl. david h. hubel: A. a. O., 159 – 160.) Auf Grund dieser neurologischen Voraussetzung verfügen wir also über die für das Überleben so wichtige Fähigkeit zur Tiefenwahrnehmung. Doch naturgemäß kostet auch dieser Vorteil seinen Preis: es ist nicht immer vorhersehbar, was für Folgen die Stereopsie zeitigen kann. Beim Schielen (beim Strabismus, von griech.: strabízein – schielen) zum Beispiel entstehen zwei recht verschiedene Bilder auf den beiden Retinae, und so wird das Gehirn durch diesen retinalen Konkurrenzkampf gezwungen, eines der beiden Bilder auszuschalten. Etwas Vergleichbares geschieht, wenn wir mit einem Auge durch das Okular eines Mikroskops oder eines einäugigen Fernrohrs schauen und dabei das andere Auge offen lassen; wir sehen dann wirklich nur, was wir sehen «wollen». Es kommt zu einer Suppression (lat.: Unterdrückung) der nicht benötigten Gesichtsfeldhälfte. Im Falle unser Sehsystem den Input der beiden Retinae nicht zu einem «sinnvollen» Ganzen vereinigen kann, läßt es einfach von dem Versuch ab und entscheidet sich für das eine (meist von uns selbst intendierte) Gesichtsfeld. Die Suppression kann dabei vollständig oder auch nur teilweise bzw.

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abwechselnd erfolgen: Wir betrachten etwa Abb. B 50, auf der vertikale und horizontale Streifen einander gegenüberstehen, indem wir das linke Auge auf den linken Teil der Abbildung und das rechte Auge auf den rechten Teil der Abbildung richten, und wir werden erleben, daß unser Gehirn ein so verschiedenes gleichzeitiges Reizangebot nicht in ein und demselben Teil des Gesichtsfeldes verarbeiten kann und es deshalb nicht möglich ist, beide Bilder etwa zu einem Gitter zusammenzufügen; wir sehen entweder nur das eine oder das andere Muster oder es erscheint eine Art Mosaik. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 161.) Unser Gesichtssinn duldet offenbar keine allzu großen Unterschiede bei den binokularen Reizen, er legt sich dann auf eine Art der Wahrnehmung fest und blendet die andere Seite aus. Die Möglichkeit des räumlichen Sehens erkauft sich in gewissem Sinne mit einer derartigen Begrenztheit der Wahrnehmung. Die Stereopsie stellt in der Evolution selbst so etwas dar wie eine Preisgabe der Fähigkeit zum «Rundumsehen», zum «Panorama-Blick» innerhalb eines großen Seitenwinkels. (Vgl. david h. hubel: Auge und Gehirn, 160 –162.)

ζ) Das «Ich» und sein Gegenstand Wir beschäftigen uns bei der Frage nach der Arbeitsweise unseres Wahrnehmungssystems im Grunde mit einem uralten philosophisch-theologischen Problem: Was ist Wahrheit? Gibt es sie «an sich»? Gibt es sie «für uns»? Wie zuverlässig ist ein Erkenntnisvermögen, dessen unterste Stufe die Einrichtung unserer Sinne darstellt? Es war immanuel kant, der in seiner Kritik der reinen Vernunft von 1781 alles Erkennen als eine Syntheseleistung des Verstandes betrachtete; der Verstand war nach kants Meinung dazu da, entsprechend den Schemata der sinnlichen Wahrnehmung, den an sich chaotischen Datenstrom der «Affizierung» (der Zufügung, von lat.: afficere – anregen, versehen) von seiten der Sinne nach vorgegebenen Kategorien zu ordnen und damit unter die Einheit des «Ich denke» zu bringen; diese Vorstellung des «Ich denke» müsse alles Denken und Wahrnehmen begleiten. Vor mehr als 200 Jahren erfaßte der Königsberger Philosoph mit Hilfe bloßen Nachdenkens über «die Bedingungen der Möglichkeit» wahrer Erkenntnis die Zusammengehörigkeit zweier zunächst getrennt erscheinender Bewußtseinsinhalte: zum einen des durch die sinnliche Wahrnehmung gegebenen Bewußtseins eines (materiellen) Gegenstandes und zum anderen der Vorstellung eines Ich, das als das Wahrnehmende in aller Wahrnehmung, als das Denkende in allem Denken sich am Material des Wahrge-

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nommenen und Gedachten seiner selbst bewußt werde. kant bezweifelte prinzipiell, daß es möglich sei, die Existenz eines Ich mit den Mitteln der Wissenschaft zu beweisen; denn als subjektive Bedingung allen objektiven Erkennens könne das Ich niemals selbst zum Gegenstand objektiver Erkenntnis werden. Diese «Subjekt-Objekt-Spaltung» (karl jaspers: Der philosophische Glaube, 14 –16) bildete bis weit ins 20. Jh. hinein die Grundlage des erkenntniskritischen Skeptizismus; denn, salopp gesagt, kann niemand sich selbst in den Kopf schauen. Bis vor etwa zwanzig Jahren . . . Wie eingangs bereits betont, leben wir Heutigen in einer Zeit, in welcher die Neurologie mit ihren bildgebenden Verfahren, darunter die soeben noch erwähnte PET (die Positronen-Emissions-Tomographie), diese für unmöglich gehaltene Großtat fertigzubringen verspricht: Sie schaut dem «Geist» bei der Arbeit zu, sie macht sichtbar, welche Gehirnareale zusammengeschaltet werden müssen, um eine bestimmte psychische Leistung zu vollbringen, sie weist en détail nach, welche Zellen, welche Nervenfasern, welche Cortexareale zusammenwirken müssen, um zum Beispiel so etwas wie Sehen zu ermöglichen. Nicht als ob wir heute schon allzu viel davon verstünden – durchaus das meiste noch liegt im dunkeln, aber wir dürfen doch glauben, über eine gesicherte Methode des Forschens und über eine Menge richtiger Fragestellungen zu verfügen, die auf lange Sicht hin ganz einfach abgearbeitet werden müssen, in Erwartung der Möglichkeit, ja, der Gewißheit, daß viele dazugewonnene Einsichten erneut wieder Überraschungen wie die von kuffler oder von hubel und wiesel bereithalten werden, aus denen ihrerseits dann gänzlich veränderte oder erweiterte Forschungsaufgaben hervorgehen. Wie wahrheitsfähig ist unser Wahrnehmungssystem? Was den wohl bedeutsamsten – jedenfalls am besten erforschten – Sinn angeht, so haben wir über das Sehen jetzt einige Einsichten gewonnen, die uns helfen können, das Wichtigste nachzutragen: die Einheit der Wahrnehmung, die Deutung des Wahrgenommenen. Zu den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis zählte kant vor allem die apriorischen (lat.: früher – als alle Erfahrung – gegebenen) Anschauungsformen von Zeit und Raum. Beides läßt sich heute mit neurologischen Mitteln verifizieren – es handelt sich nicht länger mehr um eine erkenntnistheoretische Hypothese, sondern um eine empirisch nachprüfbare Aussage im Bereich der experimentellen Wissenschaften. So haben wir gelernt, wie das Gehirn es anstellt, Zeitkonstanz in die visuelle Wahrnehmung zu bringen, so daß uns Gegenstände in derselben Farbe und Form erscheinen können, unabhängig von der im Tageslauf wechselnden Zusammensetzung der Wellenlängen des Lich-

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tes; und entsprechend können wir uns vorstellen, wie es möglich wird, Gegenstände als solche in Verbindung mit einer festen Position im Raum zu erkennen – ihnen also eine Richtungs- und Bewegungskonstanz im Raum zuzusprechen, auch wenn sich ihr Bild auf unserer Netzhaut ständig verändert und verschiebt, sobald wir uns oder unsere Augen bewegen. (Vgl. heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 71–72.) Freilich haben wir zugleich auch gesehen, wie «subjektiv» (im transzendentalphilosophischen Sinne kants) die Art unserer Wahrnehmung ist. Unser Gehirn nimmt die Wirklichkeit nicht in der Form einer möglichst getreuen «Abbildung» in sich auf, es konstruiert sich vielmehr aus dem begrenzten Material der ihm zugänglichen Sinneseindrücke (nach den neuronalen Vorgaben spezifischer Rezeptoren und seiner Verschaltungssysteme) «seine» Welt. Beispielsweise haben wir den durchaus subjektiven Charakter der Wahrnehmung soeben noch kennengelernt, als wir uns mit dem Farbsehen beschäftigten: «Schwarz», sagten wir, ist physikalisch lediglich ein «Nichts» an Lichtenergie; die Biochemie unserer Wahrnehmung aber ist praktischerweise auf den Kontrast von Hell und Dunkel ausgerichtet; um in der Welt, die uns umgibt, zurechtzukommen, ist die Beachtung des Gegensatzes von Licht und Schatten, von Weiß und Schwarz elementar; also erleben wir – unerachtet all der im Physikunterricht verbrachten Schulstunden – Weiß und Schwarz als Farben. Unsere Sinne mögen sich dabei «objektiv» irren, doch dieser Irrtum ist gut genug, um Überleben zu ermöglichen. Mehr allerdings war und ist bei der Ausstattung unseres Wahrnehmungssystems niemals «beabsichtigt» gewesen. Die Evolution «wollte» nicht Wesen erschaffen, die über eine «wahre» Wahrnehmung der Wirklichkeit verfügen; ihr «Interesse» (lauter Vermenschlichungen eines völlig gefühl- und absichtslosen Selektionsmechanismus!) galt und gilt einzig dem Bemühen, den Lebewesen so viel an «Informationen» über ihre Umwelt zu vermitteln, wie im «Kampf ums Dasein» für sie jeweils sinnvoll ist. So sind es nicht unsere Sinne, es ist ganz im Gegenteil unser Denken, das uns, etwa in Gestalt der Physik, noch eine völlig andere Welt, als die Sinne sie uns darbieten, zu erahnen gibt, in welcher sogar unsere so sicher erscheinenden Vorstellungen einer kontinuierlich fließenden Zeit, eines dreidimensionalen Raumes oder der kausalen Verknüpfung der Ereignisse in Zeit und Raum hinfällig werden: – sie gelten nicht im Allergrößten noch im Allerkleinsten, sie sind im besten Falle «Faustregeln» im mittleren Bereich der Wirklichkeit, in dem wir hervorgebracht wurden und in dem wir natürlicherweise uns aufhalten. (Vgl. e. drewermann: Im Anfang . . . , 933 –948.)

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Abb. B 51: Die müller-lyer-Täuschung, bei der sich die jeweils wahrgenommene Länge zweier in Wahrheit gleich langer Linien unterscheidet

In dem Maße wir allerdings begreifen, mit welchen Verfahren wir uns die Wirklichkeit selbst konstruieren, die unseren Sinneswahrnehmungen zugänglich ist, wächst zugleich auch die Einsicht in die Bedingtheit, mithin in die Begrenztheit unseres Erkennens. Wie es im 19./20. Jh. vor allem die Funktionsstörungen des Gehirns waren, die mit Hilfe der Läsionsforschung gewisse Einblicke in die Struktur und Arbeitsweise des Zentralnervensystems erlaubten, so sind es an dieser Stelle jetzt bevorzugt gewisse Wahrnehmungstäuschungen, die den subjektiven Faktor, den Konstruktivismus der Wahrnehmung, manifestieren. Wir betrachten noch einmal (in Abb. B 47) den unvermeidlichen Irrtum, dem unsere perspektivische Wahrnehmung in der sogenannten ponzo-Täuschung unterliegen kann; wir erinnern uns, daß unser Gehirn notfalls die Hälfte des verfügbaren Gesichtsfeldes einfach unter «Suppression» stellt, nur um «klar» zu sehen – lieber eine halbe Erkenntnis als eine verwirrende (undeutbare) Erkenntnis, scheint es sich zu sagen; lieber die Vielfalt abstreiten, als überhaupt nicht mehr «Bescheid» zu wissen. Evolutiv macht eine solche Wirklichkeitsverleugnung durchaus Sinn: besser ist es, im Überlebenskampf (in Flucht oder Angriff) irgend etwas zu tun als gar nichts zu tun; unser Denken freilich, unsere rationale Verstandestätigkeit, unsere religiös und moralisch geleitete Vernunft sollte sich mit derart archaischen, für jeden Wahrheitsuchenden katastrophalen Tricks nicht zufrieden geben. (Die Strategien mutwilliger Blindheit für alles, was uns nicht in den Kram paßt, bestimmen gleichwohl unser politisches und gesellschaftliches Handeln bis heute in einem schwer vorstellbaren Umfang.) Doch urteilen wir gerecht: Manches an Irrtümern gehört systemimmanent zur Einrichtung unseres Wahrnehmungsapparates. So sagten wir vorhin, daß

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Abb. B 52: Die kanizsa-Täuschung

unser Gehirn die Wahrnehmung von Farbe und Bewegung getrennt verarbeitet, ja, daß die Wahrnehmung selbst in verschiedenen Kanälen erfolgt. Tatsächlich, ohne daß wir uns davon besondere Rechenschaft geben, arbeitet der Farbkanal (um etwa 70 –80 Millisekunden) langsamer als der Bewegungskanal, und es ist bereits dieser Zeitunterschied, der zu Irrtümern in der Wahrnehmung führt. (Vgl. heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 70.) Weiterhin nehmen wir in der sogenannten müller-lyer-Täuschung (nach franz müller-lyer, 1857–1916) die beiden gleich langen Linien in Abb. B 51 «aufgrund der Verschaltungsprinzipien unseres Gehirns und weil unsere Erfahrung uns lehrt, Form als Indikator für Größe zu nutzen, als verschieden lang wahr». (eric r. kandel: Die Konstruktion des visuellen Bildes, in: Neurowissenschaften, 397) In der sogenannten kanizsa-Täuschung (nach geatano kanizsa, geb. 1913) «dichtet» unser Gehirn der Wirklichkeit eigenständig (mal mehr, mal weniger) Ergänzungen hinzu und vervollständigt die in Abb. B 52 angebotene Figur entsprechend den Lernerfahrungen, so daß wir etwas sehen, das objektiv gar nicht existiert: ein Dreieck, das nur in unserer Einbildung entsteht; zwei einfache Querstriche, wie in der nebenstehenden Abbildung, stören erheblich die Illusion. (Vgl. heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 70; 73; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 179; eric r. kandel: Die Konstruktion des visuellen Bildes, in: Neurowissenschaften, 397–398.) Die Erfahrungsabhängigkeit unserer (visuellen) Wahrnehmung zeigt sich nicht zuletzt beim Betrachten von Gesichtern. Auf Bild A in Abb. B 53 erkennen wir auf Anhieb an dem lachenden Mund und an den strahlenden Augen die

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Abb. B 53: Der Einfluß von Erfahrung beim Erkennen von Gesichtern

fröhliche Gestimmtheit der gezeigten Frau. Bekommen wir das Gesicht in Bild B um 180 Grad gedreht angeboten, so drehen wir die Einzelmerkmale gedanklich gleichfalls um 180 Grad und erkennen wiederum das Lachen. Dasselbe Lachen «erkennen» wir auch in Bild C. Erst wenn wir Bild C erneut drehen, bemerken wir die bizarre Stellung des zuvor nicht um 180 Grad gedrehten Mundes und der Augen; da beide in Position und Form korrekt erschienen, verzichtete unser Gehirn (aus Erfahrung!) auf die notwendige mentale Drehung – mit der entsprechenden Fehlwahrnehmung. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 181–182.) Zusätzlich bringt unser Gehirn die prinzipielle Bereitschaft mit, Bilder nach Möglichkeit dreidimensional zu deuten, und so kommt es mitunter vor, daß es sich selbst verschiedene Interpretationen des Wahrgenommenen anbietet, wie zum Beispiel in Abb. B 54a beim Betrachten des sogenannten necker-Würfels (nach louis albert necker, 1786–1861): da ist eine zweidimensionale Zeichnung, aus der unser Wahrnehmungssystem ein dreidimensionales Gebilde kon-

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Abb. B 54: a) Der necker-Würfel und b) e. g. borings «Frau und Schwiegermutter»

struiert; doch gibt es zwei Deutungsmöglichkeiten dieser Konstruktion, je nachdem, welche Seite des Würfels wir als die Vorder- oder als die Rückseite interpretieren; und nun muß man den «Würfel» nur ein wenig länger betrachten, um etwas Eigentümliches zu erleben: Gewiß sehen wir den «Würfel» zunächst auf eine Weise an, etwa so, daß die untere Kante der rechten Seitenfläche nach rechts oben in die Tiefe des Raumes verläuft; doch nach wenigen Sekunden «springt» das Bild um, und wir sehen jetzt die Unterkante der rechten Seitenfläche nach links unten in die Tiefe des Raumes zeigen; – wahrscheinlich ermüden die Nervenzellen im visuellen Cortex, welche die erste Interpretation favorisiert haben, und lassen ihren neuronalen Rivalen eine Weile lang den Vortritt. (Vgl. heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 72 –73.) – Ein Stück «erlebnisnäher» wirkt das Wahrnehmungsphänomen, das zum ersten Mal von dem Psychologen edwin garrigues boring (1886 – 1968) beschrieben wurde: das Bild in Abb. B 54 b läßt sich als eine hübsche junge Frau im Profil interpretieren, mit langen Wimpern und einem schwarzen Halsband; man kann darin aber auch eine häßliche alte Frau erblicken, indem das Kinn und die Wange des Mädchens zu einer großen gebogenen Nase werden und das Halsband sich in einen schmalen Mund verwandelt. (Vgl. steven schwartz: Wie Pawlow auf den Hund kam . . ., 171–172.) Was aber, muß man sich fragen, ist mit einem Wahrnehmungssystem los, das uns buchstäblich im Sekundentakt eine jeweils andere «Wirklichkeit» vorstellt? Die einfache Antwort auf diese Frage kennen wir längst: Unser Wahrnehmungssystem ist ein Instrument eben nicht zum Erkennen der Wirklichkeit,

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sondern zum Bestehen der «Wirklichkeit»; und diese Einsicht kann gar nicht elementar genug aufgefaßt werden. Die Fähigkeit zur Tiefenwahrnehmung zum Beispiel haben wir vorhin noch als eine Anpassungsleistung unserer Primaten-Vorfahren an das Baumleben gedeutet; doch was heißt «Baumleben»? Daß man von Ast zu Ast springen kann und Entfernungen «richtig» abzuschätzen weiß, gewiß. Doch kein neugeborenes Primatenjunges hat man je von Ast zu Ast springen sehen; lebensbedrohlich ist als erstes nicht eine Fehlwahrnehmung der horizontalen Distanz, sondern die mögliche Nicht-Beachtung eines Abgrundes (nach unten), also der Distanz in der Vertikalen – der «Tiefe» in wörtlichem Sinne. So legen Experimente mit höheren Tieren die Vermutung nahe, daß vielen von ihnen die Fähigkeit zu räumlicher Wahrnehmung angeboren ist, um sie vor einem freien Fall in Schluchten und Abgründe zu schützen. Dafür spricht die «instinktive» Furcht der Neugeborenen vieler Tierarten vor steil abfallenden Kanten. Das Ergebnis vieler Versuche diesbezüglich ist eindeutig: «Die verschiedenen Jungtiere – Küken sowie unterschiedliche Säugetiere von Ratten über Hunde, Katzen und Ziegen bis hin zu Schneeleoparden und Affen – näherten sich (sc. nachdem sie auf eine Glasscheibe gesetzt worden waren, unter der sich auf der einen Seite eine flache, auf der anderen Seite eine sehr hohe Stufe befand, d. V.) der Steilwand nur außerordentlich zögerlich, während sie von der flachen Stufe kaum Notiz nahmen. Auch der Mensch macht dabei keine Ausnahme: Drei Tage alte Säuglinge reagieren mit deutlichem Unbehagen, wenn man sie (sc. auf der Glasplatte, d. V.) über die steil abfallende Stufe legt. Anscheinend steckt tatsächlich bereits von Geburt an eine dreidimensionale Sichtweise in unserem Kopf.» (heinz penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 72) So bewundernswert all diese Einzelleistungen unseres visuellen Systems auch sein mögen, sie bilden doch nur die Voraussetzungen für den letzten entscheidenden Schritt, den wir als «Erkennen» bezeichnen. Aus dem Vielerlei von Wahrnehmungen, die an getrennten Stellen von getrennten Modulen des visuellen Cortex bearbeitet werden, formt sich der Eindruck, etwas Bestimmtes zu sehen: «Ich sehe einen Hund.» Subjekt und Objekt treten im Erkenntnisakt als Pole ein und desselben Prozesses auf. Wie aber geht eine solche Zusammenfassung und Interpretation des Wahrgenommenen vor sich? Eine patente Lösung für dieses Problem schien lange Zeit eine bestimmte metaphysisch geprägte Form der Gestaltpsychologie zu bieten, indem sie davon ausging, daß unsere Seele von vornherein über ein fertiges Repertoire von Formen verfüge, die sie zur Deutung des sinnlichen Erfahrungsmaterials abrufe. (Zu einer anders und wesentlich empirisch orientierten Betrachtungsweise vgl.

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wolfgang metzger: Gesetze des Sehens, 1975.) So sahen wir in Abb. B 52 ein Dreieck, wo keines war, offenbar doch deshalb, weil wir die Gestalt eines Dreiecks bereits mitgebracht hatten. Dieser Gedanke hätte platon gefallen (wofern er ihn nicht als seinen eigenen wiedererkannt hätte), glaubte der große Grieche doch, daß insbesondere die geometrischen Formen schon vorgeburtlich der präexistenten Seele durch eine rein geistige Schau der ideellen Wahrheit der Dinge eingeprägt seien. Gemessen an der spekulativen Erhabenheit dieses Konzeptes, das die abendländische Philosophie- und Theologiegeschichte so nachhaltig bestimmt hat wie kaum ein anderes, mutet der Versuch einer neurologischen Erklärung des Problems geradezu «primitiv» an. Wie aber soll «Geist» naturwissenschaftlich anders erklärt werden als durch die ursächlichen Prozesse seiner Ermöglichung? Was wir an dieser Stelle zuvörderst finden müssen, ist deshalb ein Mechanismus, der es erlaubt, unter all den neuronal erregten oder inhibierten Zellen diejenigen herauszufinden und einander zuzuordnen, die auf ein und dasselbe Objekt antworten. Zur Lösung dieses sogenannten Bindungsproblems hat der Neurologe christoph von der malsburg Anfang der 80er Jahre des 20. Jhs. in seiner Synchronisationshypothese den Vorschlag unterbreitet, daß es die Synchronisation neuronaler Entladungen sei, die räumlich verteilte Nervenzellen als Ensembles auftreten lasse; die Neuronen feuerten immer dann gleichzeitig, wenn sie auf denselben Gegenstand im Gesichtsfeld antworteten; Neuronen-Ensembles, die auf einen anderen Gegenstand ansprächen, sollten ebenfalls untereinander synchronisiert sein, doch in einem den ersteren gegenüber zeitlich nicht-korrelierten, abweichenden Rhythmus. Diese theoretisch abgeleitete Hypothese erscheint plausibel: um einen «Gegenstand» aus parallel verarbeiteten Signalen konstruieren zu können, muß es einen Code geben, der anzeigt, daß die eingegangenen Signale sich auf dasselbe Objekt beziehen, und das wieder ist nur möglich, wenn die spezifischen Zellgruppen in den getrennten Modulen ihre Aktivitäten synchronisieren, so daß sie unter der Vielzahl der aktivierten Zellen als zusammengehörig und auf denselben Gegenstand bezogen erkennbar sind. Nur unter dieser Voraussetzung scheint es realisierbar, mehrere Objekte in einer einzigen Szene neuronal zu repräsentieren, ohne ihre Merkmale falsch miteinander zu verbinden. Soweit die überaus plausible Theorie. (Vgl. andreas k. engel – peter könig – wolf singer: Bildung repräsentationaler Zustände im Gehirn, in: Gehirn und Bewußtsein, 42.) Doch daß etwas als Denkmöglichkeit oder gar als Denknotwendigkeit einleuchtet, bedeutet nicht schon, daß es tatsächlich auch existiert. Um die Synchronisationshypothese zu prüfen, konnte man nicht länger

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mehr dabei stehenbleiben, in der bis dahin gewohnten Weise mit einer Elektrode die Impulse eines einzelnen Neurons abzuleiten. Es war charles gray, der am Hirnforschungszentrum in Frankfurt mit einer Elektrode größerer Reichweite feststellte, daß im visuellen Cortex von Katzen Neuronen, die eng beieinander liegen, bei geeigneten Lichtreizen synchron in rhythmischen Salven (30 –70mal pro Sekunde) feuern; ein solches Aktivitätsmuster von kohärent aktiven Neuronen bezeichnete gray als Oszillation. Bald hernach zeigte sich, daß nicht nur unmittelbar benachbarte Nervenzellen, sondern auch weit (über mehrere Millimeter) verteilte Neuronen im primären visuellen Feld ihre Aktivitäten synchronisieren können, ja, daß auch Nervenzellen in verschiedenen visuellen Arealen zu «oszillieren» vermögen. (Vgl. andreas k. engel – peter könig – wolf singer: Bildung repräsentationaler Zustände im Gehirn, in: Gehirn und Bewußtsein, 42– 43.) Und schließlich ließ sich nachweisen, «daß Sehrinden-Neuronen beider Hemisphären durch korrelierte Aktivität zu einem kohärenten Ensemble zusammengefaßt werden können.» (andreas k. engel – peter könig – wolf singer: A. a. O., 43) Damit war die neuronale Voraussetzung dafür gefunden, daß Informationen aus dem Gesichtsfeld nach ihrer getrennten Verarbeitung in unterschiedlichen Arealen der Sehrinde zu einem einheitlichen Bild zusammengesetzt werden können. Es fehlte nur noch der Nachweis, daß die Oszillation im Aktivitätsmuster getrennter Neuronengruppen wirklich als Reaktion auf ein Objekt zustande kommt. Und eben das demonstrierten Versuche, die wolf singer und sein Team an narkotisierten Katzen vornahmen: Zwei Neuronengruppen mit unterschiedlichen rezeptiven Feldern, die mithin auf unterschiedliche Bereiche des Gesichtsfeldes reagierten, synchronisierten ihre Aktivitäten, sobald sich ein einzelner balkenförmiger Lichtreiz durch beide rezeptiven Felder des Katzenauges bewegte; die Reaktion der gleichen Neuronengruppen verlief jedoch ganz asynchron, wenn zwei voneinander unabhängige Lichtbalken in verschiedenen Richtungen sich durch die rezeptiven Felder bewegten. Auch für nichtnarkotisierte Katzen ließ dieses Ergebnis sich bestätigen. Zudem fand andreas kreiter in der Sehrinde trainierter Affen ebenfalls Oszillationen räumlich getrennter Zellgruppen in Antwort auf die Konfiguration entsprechender Reize. Wie von der malsburg prophezeit hatte, können also die Arbeitserträge aus verschiedenen Feldern des visuellen Cortex über Arealgrenzen hinweg zu geordneten Repräsentationen zusammengefaßt werden, und just das geschieht durch die Synchronisation der Aktivitäten der entsprechenden Neuronen. (Vgl. andreas k. engel – peter könig – wolf singer: Bildung repräsentationaler Zustände im Gehirn, in: Gehirn und Bewußtsein, 43 –44.) Gleichzei-

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tigkeit stellt mithin, wie kant schon behauptet hat, eine Grundbedingung gestalthafter Wahrnehmung dar. (immanuel kant: Kritik der reinen Vernunft, Werke, III 242 –248: Analogien der Erfahrung. C. Dritte Analogie.) Etwas anderes bleibt freilich rätselhaft: wozu bedarf es noch der von gray beobachteten Rhythmisierung, der Oszillation der entsprechenden neuronalen Aktivitäten, wenn doch schon die Gleichzeitigkeit an sich räumlich getrennte Neuronen als auf dasselbe Objekt bezogen zu erkennen gibt? So viel läßt sich vorweg schon sagen: Das Oszillieren der kohärenten Aktivitäten von Neuronengruppen ergibt sich ganz sicher nicht aus den Eigenschaften des visuellen Reizes – wäre dies der Fall, so käme es ja gerade nicht zu einer Zusammenschaltung der verschiedenen getrennten prästriären Felder der Sehrinde; die Oszillation stellt offenbar ein geeignetes Verfahren dar, um die erforderliche Gleichzeitigkeit zwischen den räumlich getrennten Neuronengruppen allererst herzustellen; sie ist sozusagen der Erkennungston, durch den die Synchronisation selbst zustande kommt – so wie man, mit Verlaub, alle Hunde eines Stadtbezirks gleichzeitig zum Jaulen bringen kann, indem die Stadtverwaltung 12.15 Uhr mittags die Sirene für den Probealarm bei einem Atomangriff einschaltet (für irgend etwas müssen solche Tests ja gut sein). Sogar Zellen, die direkt nichts miteinander zu tun haben, lassen sich in Computersimulationen durch Rhythmisierung ihrer Aktivitäten in Gleichklang bringen. (Vgl. andreas k. engel – peter könig – wolf singer: Bildung repräsentationaler Zustände im Gehirn, in: Gehirn und Bewußtsein, 44.) Die These von der Zeitcodierung der neuronalen Aktivitäten zur Zusammenfassung der Arbeitserträge verschiedener spezialisierter Module des visuellen Cortex wurde noch einmal belegt, als die Arbeitsgruppe von wolf singer zusammen mit pieter roelfsema in Frankfurt einwärts schielende Katzen untersuchte und fand, daß einige der betroffenen Tiere mit dem fehlstehenden Auge feine schwarz-weiße Streifenmuster nicht mehr von einer monochrom (einfarbig) grauen Fläche unterscheiden konnten; dabei reagierten die einzelnen Neuronen der Sehrinde völlig normal; gestört war die Synchronisation zwischen den Zellen – die zeitliche Kopplung der Wahrnehmungsinhalte war unmöglich. (Vgl. andreas engel – peter könig – wolf singer: in: A. a. O., 45.) Die Vorstellung von einer gestörten Synchronisation zwischen Neuronen kann auch dazu herangezogen werden, den soeben erörterten Vorgang der Suppression des halben Gesichtsfeldes bei «Unverträglichkeit» der Wahrnehmungen in dem einen und in dem anderen Auge mit einem solchen Auseinanderbrechen der Synchronisation, mit einem Phänomen der «Dissonanz» also, zu erklären. Die Suppression sieht aus wie ein «Entscheidungs»prozeß, sie ist

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aber etwas, das anscheinend lediglich auf der Grundlage von Schwingungen zustande kommt. Auch der «Sinn» der homologen Verschaltung zwischen den beiden Hemisphären über das Corpus callosum wird jetzt klarer; er dürfte – neben der Überbrückung der Mittellinie – in dem Einschwingen der passenden Zellgruppen zu ein und derselben Gestaltwahrnehmung bestehen. Wie sich durch Forschungen von eberhard fetz und seinem Team in Seattle gezeigt hat, sind synchrone Oszillationen auch im somatosensorischen und motorischen Cortex von Affen nachweisbar; sie bilden allem Anschein nach die Art und Weise, wie das Gehirn insgesamt die Parallelverarbeitung spezifischer Reize in den verschiedenen Arealen des Cortex zu einem einheitlichen Resultat zusammenfaßt. (Vgl. andreas engel – peter könig – wolf singer: Bildung repräsentationaler Zustände im Gehirn, in: Gehirn und Bewußtsein, 45.) Anders ausgedrückt: bereits die unterste Ebene des «Psychischen» – die Wahrnehmung – basiert auf der Orchestrierung verschiedener neuronaler Ensembles; das «Wunder» ist nur, daß es keinen «Dirigenten» gibt, der das «Orchester» leitet, sondern daß die «Leitung» selbst sich aus den Aktivitäten des «Orchesters» ergibt. – «Was hat er heut’ dirigiert?» fragte man den 1. Geiger der Wiener Philharmoniker. «Was er dirigiert hat», war die Antwort, «wissens mer nimmer; aber gschpült ham mer beethovens Siebente.» – Das Gehirn bringt das Unglaubliche fertig, «die Siebente» nicht nur ohne Dirigenten, sondern auch ohne Komponisten zu spielen; und das muß wohl auch so sein, schließlich gäbe es ohne das Gehirn keinen «Karajan» und keinen «Beethoven». Und doch bleibt die Frage, wie das Gehirn herausfindet, «was» es spielen soll, beziehungsweise wie es ermittelt, was gespielt wird. Bisher haben wir so getan, als sei das Sehen ein Geschehen, das bei aller Eigenart und Eigenständigkeit der neuronalen Verarbeitung einer Einbahnstraße folge, die vom optischen Input geradewegs zur endgültigen Gestaltwahrnehmung führe. Doch dieser Eindruck trügt, und es sind wiederum die Wahrnehmungstäuschungen des Gesichtssinnes, die uns nötigen, das Theoriekonzept über die Fähigkeiten des visuellen Cortex noch einmal entscheidend zu erweitern. Stellen wir uns vor: Wir gehen an einem Novembernachmittag an einem Flußufer entlang; dichter Nebel liegt über den Wiesen und taucht die gelegentlichen Kopfweiden in ein gespenstisches Schwarz-Grau; entsprechend unscharf werden die Kantenwahrnehmungen, die doch nötig sind, um die Umrisse eines Gegenstandes «richtig» zu erkennen. Und jetzt kann es sein, daß wir bald schon sogar unsicher darüber werden, ob wir es bei dem verschwimmenden Schatten dort drüben überhaupt noch mit einer Weide zu tun haben oder nicht mit einem Mann: einem Jäger mit Gewehr und Rucksack vielleicht,

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Abb. B 55: Was für ein Bild ergeben diese Flecken?

einem Strauchdieb und Wegelagerer womöglich – die Situation wird unheimlich. Es ist, als wenn wir mitten bei einer zunächst harmlosen Wanderung einem psychologischen Test auf unsere Gemütsverfassung unterzogen würden, ähnlich den Klecksbildern des rorschach-Verfahrens, und als gewönne mit der wachsenden Unsicherheit unseres Sehsystems die vermeintliche Sicherheit projektiver Phantasien die Oberhand: das schwer Deutbare wird zum angstvoll Bedeutsamen. Die geforderte Synthese, die der aktuellen Wahrnehmung nicht gelingen will, wird von (angstgeprägten oder vielleicht auch positiv erwartungsbedingten) Deutungen übernommen, die hochemotional besetzt sind. Wenn wir früher hörten, daß das limbische System mit seinen Erinnerungen mitentscheide, welche Handlungen in den Basalganglien freigeschaltet werden sollten, so legt sich uns jetzt der Schluß nahe, daß es ein gewichtiges Wort schon bei der Interpretation unserer Wahrnehmung mitzusprechen habe: augenscheinlich bestimmt es mit darüber, was etwas Gesehenes bedeutet, ja, manchmal scheint es sogar festzulegen, was wir überhaupt sehen. Oder nehmen wir das inzwischen berühmt gewordene Photo von ronald james. (Abb. B 55)

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Das Eigenartige an diesem Bild ist seine Auflösung in Flecken, die es nur schwer erlauben, Muster zu erkennen, die sich mit den Konturen eines uns vertrauten Gegenstandes identifizieren ließen. Da scheint im linken oberen Viertel ein Baum in einem Rondell (aus Sand, Steinen oder Laub) emporzuwachsen, aus dem linken sowie aus dem rechten unteren Viertel scheint je ein Weg zu führen, die beide in der Bildmitte sich kreuzen und (möglicherweise) sich in gerader Richtung fortsetzen; zwischen den «Wegen» könnte Laub verstreut liegen; was aber befindet sich direkt im Bildzentrum? Es mag manchem Leser wie eine Befreiung vorkommen, wenn wir als Deutung vorschlagen: da läuft ein Hund – ein Dalmatiner, um genau zu sein. Die Schwierigkeit, ein solches Tier zu erkennen, liegt schon darin, daß es vor unseren Augen auf diesem Bild ja eben nicht «läuft»; täte es dies, so würde eine gewisse Anzahl der Flecken sich gemeinsam bewegen und damit sich deutlich von den Flecken im Hintergrund, im Vordergrund und im ruhenden Umfeld abheben; so aber gewinnen wir zwar eine Menge (scheinbarer) Informationen über die Tiefe des Raumes, jedoch kaum Anhaltspunkte für die Lösung des erwähnten «Bindungsproblems» von auf denselben Gegenstand bezogenen Merkmalen – welche Flecken eigentlich gehören zusammen und welche nicht? Die synchrone Oszillation verschiedener Neuronengruppen in der Sehrinde bietet offensichtlich noch keine zureichende Erklärung für die «Dalmatiner»-Deutung. Sagen wir so: wer noch niemals einen Dalmatiner gesehen hat oder wer womöglich, wie manche Wüstenbewohner oder Südseeinsulaner, noch niemals einen Hund (oder auch eine Parklandschaft mit steinumfriedeten Bäumen) gesehen hat, wird nie im Leben auf die Idee kommen, auf diesem Photo sei ein spezieller Vierbeiner im Park abgebildet; vielleicht denkt er viel eher an einen Menschen, der, schwer verletzt (?), am Boden liegt und (vergeblich?) versucht, sich, hinten zuerst, wie ein Kamel, zu erheben; und vielleicht sieht er auch in den gerichteten Fleckenhaufen keine «Wege», sondern bloß verstreute Steine im Sand oder am Strand . . . Worauf es ankommt, ist dieses: Wie auch immer die Deutung des gezeigten Bildes ausfallen mag, sie kann überhaupt nur erfolgen, wenn unser Sehsystem einen Wahrnehmungsinhalt anbietet, der spontan einen bekannten Inhalt als Interpretation provoziert. «Wir sehen einen Hund, weniger weil ein entsprechendes Bild auf unserer Retina vorliegt, sondern weil nach (längerem) Abgleich der von der Retina gemeldeten Flecken mit gespeicherten Informationen über Objekte der Welt diese Interpretation (dieser Disambiguierungsvorschlag, sc. lat.: dis – weg, ambiguus – zwischen zweien schwankend; Eindeutigkeit, d. V.) am wahrscheinlichsten ist.» (manfred spitzer: Geist im Netz, 138) Wie wolfgang metzger (1899 –1979) schon in den 70er Jahren zu Recht hervor-

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hob, ist Wahrnehmen weder das Ergebnis einer immer komplexeren Analyse von Inputsignalen noch das einer reinen Synthese aus bereits gespeicherten Informationen, es stellt vielmehr das Resultat einer Verschmelzung von zwei ineinandergreifenden Prozessen dar: Die Analyse des visuellen Inputs erfolgt selbst bereits in Form einer Synthese aus schon bekannten Erinnerungen. Wir sehen, in gewissem Sinne, also nur, was wir schon kennen; etwas völlig Unbekanntes vermögen wir gar nicht erst «wahr-zu-nehmen»; oder es wird uns nur «unheimlich» vorkommen – und wir werden es dann im nachhinein (aus dem Erinnerungsspeicher für «Gefährliches») als bekanntermaßen «bedrohlich» identifizieren. In der Computersprache stellt Wahrnehmen auf dieser semantischen (griech.: bedeutungangebenden) Stufe der Verarbeitung der eingegangenen visuellen Signale einen interaktiven Prozeß dar, herbeigeführt «sowohl durch ‹von unten› kommenden sensorischen bzw. niederstufig verarbeiteten Input (Bottom-upProzesse; sc. engl.: Grund – aufwärts, d. V.) als auch durch ‹von oben› geleitete Gestaltbildungsprozesse aus diesem Input (Top-down-Prozesse; sc. engl.: Spitze – abwärts, d. V.), die von bereits gespeicherten Informationen geleitet sind». (manfred spitzer: Geist im Netz, 147) Abb. B 56 gibt schematisch einen Überblick über dieses Wechselspiel zwischen Bottom-up- und Top-downProzessen. Abgebildet sind zwei Hirnrindenareale, von denen, entsprechend dem Informationsfluß von den Sinneseindrücken zum Erkennen, das Areal B den Sinnesorganen näher liegt und deshalb als das «niedere» Areal bezeichnet wird, während Areal A als das «höhere» Areal gilt. Wie in der Darstellung zu sehen, werden Informationen (Muster) gewissermaßen im Ping-Pong-System verarbeitet: Zur Analyse einer angebotenen Musterwahrnehmung bildet das «höhere» Areal (A) eine Synthese, die es nach unten (B) meldet, wo es zu einem Abgleich kommt. Nach einem mehrmaligen «Dialog» werden beide Areale sich dann auf die «richtige» Ansicht verständigen. (Vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 136; 141; 147.) – «Wahrheit», wohlgemerkt, erscheint unter diesem Betracht nicht länger mehr als eine Übereinstimmung von (subjektiver) Aussage und (objektivem) Sachverhalt, sondern letztlich als eine bloße Übereinstimmung des Gehirns mit sich selbst, als eine Form der Rückkehr zum niedrigsten Energiezustand! Auf einer elementaren Basis ist das, was wir «Wahrheit» nennen, womöglich nur die Art und Weise, wie unser neurales System nach allen bereits erlittenen und akut eingetretenen Störungen einen Ausgleich zwischen Erinnerung und (neuer) Erfahrung herzustellen sucht. Wir blenden am Gesehenen nicht nur aus, was uns nicht paßt,

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Abb. B 56: Wechselspiel zwischen niederem und höherem Gehirnareal bei der Informationsverarbeitung

wir interpretieren auch das Gesehene so, daß es paßt. Und das gilt nicht erst auf der Ebene religiöser oder politischer Ideologien, sondern allem Anschein nach bereits, wenn wir die Augen aufschlagen. Nun können – und müssen – wir natürlich auch für dieses «Ping-Pong-System» der «Wahrheits»findung zwischen Wahrgenommenem und Erwartetem eine neuronale Grundlage finden. Vom Aufbau der Sehrinde in sechs Schichten und von der Bedeutung vor allem von Schicht IV (vgl. Abb. A 29, B 38 und B 43) haben wir bereits gehört, und immer wieder haben wir betont, daß die

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Abb. B 57: Cortico-corticale Bahnen zwischen einem «höheren» und einem «niederen» Cortexareal

verschiedenen Bereiche (Module) der Sehrinde miteinander verschaltet sind; noch aber haben wir nicht aufgezeigt, wie diese cortico-corticale Vernetzung stattfindet. Dabei erweist sich gerade die Art dieser Verknüpfungen als überaus «sprechend», denn sie zeigt uns überdeutlich den «Dialogcharakter» der Verbindungen zwischen verschiedenen Arealen. Abb. B 57 bietet eine schematische Anschauung, wie die Schichten unterschiedlicher Hirnrindenfelder miteinander verbunden sind, wobei wiederum A das «höhere» Areal darstellt und B das «niedere». Abb. B 57 zeigt uns gleich dreierlei: 1) Wenn das «niedere» Areal B Axone zu dem «höheren» Areal A sendet, dann empfängt es auch Axone von dort: es gilt das Gesetz der Reziprozität (lat.: der Wechselseitigkeit). 2) Es sind die Pyramidenzellen der Schichten II und III des «niederen» Areals B, die in Schicht IV des «höheren» Areals A projizieren, von der wir bereits wissen, daß sie schlechthin die Inputschicht des Cortex darstellt. 3) Umgekehrt sendet das «höhere» Areal A Fasern zu dem «niederen» Cortexareal B, und zwar von den Pyramidenzellen der Schicht V des Areals A aus zu den Schichten VI und I des Areals B; über-

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haupt muß Schicht V als die allgemeine Outputschicht des Cortex zu den niederen (corticalen und subcorticalen) Arealen und Schichten gelten. (Vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 136 –137.) Allein in diesem simplen Verschaltungsbild offenbart sich noch einmal, was wir über die Informationsverarbeitung im Cortex jetzt bereits wissen: Daß bei allen Wahrnehmungsvorgängen Nervenfasern von den «niederen» zu den «höheren» Arealen ziehen müssen, bedurfte noch nie größerer Erklärungen; daß aber diesem Bottom-up-Prozeß gleichzeitig ein Top-down-Prozeß zugeschaltet sein muß, um den Eingang einfacher Signale mit übergeordneten (semantischen) Gesichtspunkten zu verbinden, die zur Interpretation des Wahrgenommenen unerläßlich sind, ist uns denn doch eine wesentliche neue Erkenntnis. Vollends an dieser Stelle zeigt sich denn auch, was für einen Sinn das uns anfangs so unglaublich scheinende Mißverhältnis zwischen der Anzahl der retinalen Rezeptoren und der Unsumme an corticalen Neuronen für die Verarbeitung des visuellen Inputs besitzt: Im Grunde sind es nur 0,1% der Neuronen im Cortex, «die direkt sensorisch oder direkt motorisch sind . . . Anders ausgedrückt: 99,9% aller kortikalen Neuronen erhalten ihren Input von anderen kortikalen Neuronen und liefern ihren Output an andere kortikale Neuronen. Überspitzt ausgedrückt: Unser Gehirn beschäftigt sich fast ausschließlich mit sich selbst. Dies tut es, um aus einzelnen Erfahrungen allgemeine Strukturen der Umwelt zu ermitteln, um Prototypen der Umgebung zu bilden und um damit in kompetenter Weise ein differenziertes Verhaltensrepertoire geschickt einzusetzen, kurz, um komplexe Input-Output-Funktionen zu realisieren.» (manfred spitzer: Geist im Netz, 135) Andererseits steht zu vermuten und zu fürchten, daß der Prozeß der «Wahrheitsfindung» in der Wahrnehmung zwischen «oben» und «unten» von äußeren wie inneren «Vorgaben» leicht gestört werden kann und eine Form annimmt wie in dem Gespräch zwischen Hamlet und Polonius: Hamlet: Polonius: Hamlet: Polonius: Hamlet: Polonius:

Seht ihr die Wolke dort, beinah’ in Gestalt eines Kamels? Beim Himmel, sie sieht auch wirklich aus wie ein Kamel. Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel. Sie hat einen Rücken wie ein Wiesel. Oder wie ein Walfisch? Ganz wie ein Walfisch. (william shakespeare: Hamlet, Akt III, Szene II, in: Sämtliche Werke, S. 817)

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Womöglich «sehen» wir am Ende wirklich nur, was wir sehen sollen oder sehen wollen, ohne das Trügerische unserer Wahrnehmung selber noch wahrnehmen zu können. Und eine weitere Frage kehrt wieder: Was ist es mit kants Vorstellung des «Ich denke», das all unser Vorstellen muß begleiten können, um die Syntheseleistung der Wahrnehmung zu gewährleisten? Bedarf es eines Bewußtseins, um zu sehen? Gibt es womöglich speziell ein visuelles Bewußtsein? Manches spricht dafür. Gelegentlich haben wir bereits das «ominöse» visuelle Feld VTE erwähnt, das am unteren (inferioren) Rand des Temporallappens (im inferioren temporalen Cortex, ITC) liegt (vgl. Abb. A 30); wir haben dabei auch erwähnt, daß dieses Feld besonders aktiv beim Betrachten einer erhobenen Hand oder von Gesichtern reagiert. Jetzt müssen wir diese Tatsache mit den Untersuchungen von nikos k. logothetis in Tübingen ergänzen, die gerade der Frage gewidmet sind, wo im Gehirn aus einem Seheindruck bewußte Wahrnehmung wird. Einen brauchbaren Ausgangspunkt, um zu erforschen, wie Sehen bewußt wird, bildet die vorhin geschilderte «binokulare Rivalität» beim Blick durch ein Mikroskop oder beim Schielen, wenn die eine Hälfte des Gesichtsfeldes ins Bewußtsein tritt und die andere ausgeblendet wird. Die experimentellen Befunde belegen dabei eindeutig, «daß das Sehsystem bei binokularer Rivalität fortwährend Input von beiden Augen verarbeitet. – Das wissen wir so genau, weil beim Menschen die binokulare Rivalität selbst dann den typischen langsamen Wahrnehmungswechsel hervorruft, wenn die konkurrierenden Stimuli (sc. lat.: Reize, d. V.) rasch – mehrmals pro Sekunde – zwischen beiden Augen vertauscht werden. Falls die Rivalität nur davon abhinge, welchem Auge das Gehirn gerade seine Aufmerksamkeit schenkt, müßte sie unter diesen Bedingungen verschwinden: Der Betrachter würde einen raschen Wechsel der Stimuli wahrnehmen.» (nikos k. logothetis: Das Sehen – ein Fenster zum Bewußtsein, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2000, 41) Nun wechseln aber die rivalisierenden Wahrnehmungen langsam, und das «spricht dafür, daß der Effekt auftritt, weil zwei unterschiedliche Reizrepräsentationen in der Sehbahn gleichzeitig miteinander konkurrieren. Mit Hilfe der binokularen Rivalität läßt sich somit erforschen, wie das visuelle System entscheidet, was wir wahrnehmen, selbst wenn beide Augen (fast) dasselbe sehen». (nikos k. logothetis: A. a. O., 41–42) Auf der Suche nach möglichen Nervenzellen für das neuronale Korrelat bewußter Wahrnehmung zeigt sich näherhin, daß sich «die wenigen Kandidaten nicht auf ein bestimmtes Hirnareal» beschränken, «sondern . . . über das gesamte Sehsystem verteilt» sind. (nikos k. logothetis: Das Sehen – ein Fen-

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ster zum Bewußtsein, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2000, 42) Allerdings enthält der ITC (oder das Areal VTE) bei Affen wesentlich mehr von solchen Zellen als die übrigen Regionen: fast alle Neuronen, etwa 90%, dort reagieren sehr heftig, im Falle ihr bevorzugtes Muster auftaucht. «Demnach scheint die große Mehrheit der Neuronen im ITC auf visuelle Signale in einer Weise anzusprechen, die mit bewußter Wahrnehmung verknüpft ist.» (nikos k. logothetis: A. a. O., 41) Besonders bei der Wahrnehmung von Gesichtern ist der ITC aktiv. Darüber hinaus erwies sich das Feld V 5 (im mediotemporalen Areal, MT) als bedeutsam, von dem wir bereits wissen, daß dort im wesentlichen Bewegungsabläufe analysiert werden. Es scheint, daß die neuronale Aktivität in diesem Areal «unmittelbar bestimmen kann, was ein Affe wahrnimmt». (nikos k. logothetis: A. a. O., 43) «Allmählich setzt sich aus diesen Untersuchungen ein komplexes Bild des Gehirns zusammen, in dem Bewußtseinszustände nicht nur als Reaktion auf externe Sinnesdaten erzeugt werden, sondern auch als Ergebnis interner ‹Erwartungssignale›, die auf früheren Erlebnissen beruhen.» (nikos k. logothetis: A. a. O., 43) So scheint es, als entstehe die Vorstellung vom Sehen beziehungsweise vom «Ich sehe» unmittelbar mit den Synthese- und Interpretationsvorgängen der visuellen Wahrnehmung selbst: Um das Gesehene zu deuten, bedarf es ja, so hat sich gezeigt, weit mehr als nur der Verarbeitung des visuellen Inputs in den speziellen Feldern der Sehrinde; das Gesehene muß mit den Erinnerungsspeichern verknüpft werden, um zu erfahren, was es bedeutet, und im Falle das Wahrgenommene nicht ohne weiteres mit einem der bekannten Inhalte in Übereinstimmung gebracht werden kann, werden aus dem limbischen System Interpretationsvorschläge aufsteigen, die sich mit starken Emotionen verbinden. Mit anderen Worten: Es ist nicht möglich, etwas zu sehen, ohne sich zugleich etwas dabei zu denken und ohne zugleich etwas dabei zu fühlen. Selbst ein so simpel erscheinender Vorgang wie die sinnliche Wahrnehmung des Sehens erweist sich als eine Gemeinschaftsleistung des ganzen Gehirns, und die Vermutung bereitet sich vor, daß das, was wir als Ich bezeichnen, als eben der Eindruck sich bildet, der entsteht, wenn alle Teile des Cortex zusammenarbeiten. Im vorangegangenen Kapitel bereits stellte sich das Sehen im Traum als ein Vorgang dar, an welchem zahlreiche Hirnstrukturen beteiligt sind; für das Sehen im Wachzustand gilt diese Feststellung jetzt noch viel mehr, nur daß die Bedeutung des Hirnstamms, die für das Träumen so wichtig ist, hinter den Aktivitäten der Sehrinde nunmehr zurücktritt (auf die Beteiligung des Hirnstamms an der Steuerung der Augenbewegungen sei an dieser Stelle nur hingewiesen; vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 164–166).

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Gelegenheit jedenfalls ist jetzt, bei so vielen Worten über das Sehen, der Worte Arnolds vom Melchtal in friedrich schillers (1759 –1805) Wilhelm Tell (1. Aufzug, 4. Szene; Werke, I 1153) zu gedenken: «O eine edle Himmelsgabe ist Das Licht des Auges – Alle Wesen leben Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf – Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte. Und er (sc. der vom Vogt unter der Folter Geblendete, d. V.) muß sitzen, fühlend, in der Nacht, Im ewig Finstern – ihn erquickt nicht mehr Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz, Die roten Firnen kann er nicht mehr schauen – Sterben ist nichts – doch leben und nicht sehen, Das ist ein Unglück.»

Wir werden noch hören, daß zum Sehen mehr gehört als ein gesundes Auge und ein intaktes Sehzentrum im Cortex; wenn alles uns darauf verweist, daß selbst der «einfach» erscheinende Vorgang der visuellen Wahrnehmung eine vielschichtige Syntheseleistung unserer «Psyche» darstellt, so sind wir bereits darauf vorbereitet zu hören, daß es «psychosomatische» Störungen geben kann, in denen die Umdüsterung unserer Seele das Sehen einzuschränken, gar zu hindern beginnt und es zu einer Frage wird, wie wir dem Leben eines Menschen so etwas wie «Perspektive» und «Helligkeit» zu schenken vermögen. Nicht nur was und wie wir sehen, ist seelisch beeinflußbar, selbst «Blindheit» und (Ver)Blendung in vielfacher Form können psychisch bedingt sein.

b) Das Riechen Die Verbindung von Wahrnehmung und Gefühl, die beim Gesichtssinn erst auf den hochkomplexen Stufen von Synthese und Interpretation in Erscheinung tritt, erweist sich bei der Geruchswahrnehmung als elementar; ja, es spricht, wie wir sahen, manches dafür, daß Teile des limbischen Systems und damit der neuronalen Grundlage des Fühlens sich geradewegs aus dem Geruchssinn (dem olfaktorischen System) entwickelt haben. Bereits die Tatsache, daß es nicht akustische oder elektromagnetische Wellen sind, die, wie beim Hören und Sehen, als mögliche Informationsquellen über die Außenwelt genutzt werden, sondern daß chemische Stoffe an geeigneten Rezeptoren der Nasenschleimhaut diejenigen Veränderungen hervorrufen, die

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das Gehirn als Gerüche interpretiert, dürfte einen deutlichen Hinweis auf den archaischen Ursprung des Riechens bieten: Offenbar reicht «das molekulare Prinzip des Riechens . . . bis an die Wurzeln des Lebens zurück», und so steht zu vermuten, daß – nicht anders als das Sehen – auch das Riechen, also die Fähigkeit, auf winzigste Mengen chemischer Substanzen zu reagieren, in der Evolution des Lebens mehrfach «erfunden» wurde. (martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 30) Wohl nichts kann den urtümlichen Charakter des Geruchssinnes eindrücklicher unter Beweis stellen, als daß man Riechrezeptoren vor kurzem sogar an menschlichem Sperma gefunden hat: «Einer dieser Rezeptoren (hOR17-4) reagiert sehr spezifisch und empfindlich auf den synthetisch erzeugten Maiglöckchenduft Bourgeonal: Die Samenfäden werden von dieser Substanz angelockt und verdoppeln dabei ihre Schwimmgeschwindigkeit – genauso, wie sie auch in Gegenwart von Follikelflüssigkeit reagieren. Wir wissen allerdings noch nicht, welche Zellen tatsächlich diesen Lockstoff erzeugen – die Eizelle selbst oder die sie umgebenden Cumulus-Zellen (sc. Zellen des Cumulus oophorus, von lat.: der cumulus – Anhäufung, Hügel; griech.: das o¯ón – Ei, phérein – tragen; Eihügel, d. V.) – und auf welches Molekül der Rezeptor im biologischen Ernstfall reagiert. Spermien besitzen jedoch offensichtlich alle molekularen Komponenten, die für die Dufterkennung notwendig sind. Daher könnte man sie durchaus auch als geschwänzte Riechzellen bezeichnen, die nur dann ihr Ziel – die Eizelle – aufspüren, wenn ihnen ein ‹Lockduft› den Weg weist. – Inzwischen haben wir sogar einen blockierenden Duftstoff für den menschlichen Spermienrezeptor hOR17-4 gefunden: Undecanal. Diese Substanz hält den Samenzellen quasi die Nase zu und macht es ihnen unmöglich, die Eizelle zu finden. Damit wäre möglicherweise eine sehr effektive, nicht hormonelle Methode der Empfängnisverhütung gefunden.» (hanns hatt: Immer der Nase nach, in: Gehirn und Geist, 5/2004, 15) Unter diesen Umständen verwundert es nicht, daß bereits die Fadenwürmer (die Nematoden, von griech.: das ne¯ma – Faden) über einige Hundert Gene zum Codieren von olfaktorischen Rezeptoren verfügen. Diese befinden sich auf speziellen Neuronen in der Riechschleimhaut und wirken wie Antennen, die imstande sind, unterschiedlichste Duftmoleküle zu orten. (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 30.) Insgesamt gibt es etwa 400 000 Geruchsstoffe, von denen wir Menschen (nur) etwa 10 000 unterscheiden können (vgl. ute eberle: Die Macht der Gerüche, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 24); wie aber kommt es zu dieser Unterscheidungsfähigkeit und warum wurde sie entwickelt?

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Daß Gerüche bei sozialen Insekten wie Bienen, Ameisen und Termiten eine überragende Rolle bei der Verständigung und sogar bei der Festlegung bestimmter Entwicklungswege und deren kastenähnlichen Zuordnungen spielen, dürfte allgemein bekannt sein; die Drüsenabsonderungen, die dabei als Lockoder Warnstoffe oder als Erkennungsmerkmale eingesetzt werden, bezeichnet man als Pheromone. Staatenbildende Insekten regeln mit Hilfe derartiger chemischer Signale «Futtersuche, Brutaufzucht, Futterverteilung, Feindabwehr, Notalarm, die Suche nach neuen Nistplätzen», aber eben auch das Paarungsverhalten und sogar die Heranbildung einer Ersatzkönigin, im Falle die alte Königin verlorengegangen ist. (bert hölldobler: Chemische Verständigung bei sozialen Insekten, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 486; vgl. auch 486 –489.) Auch Fliegen, Moskitos, Motten, Schmetterlinge und andere Insekten besitzen auf ihren Antennen Sinneshaare (olfaktorische Sensillen), in denen sich die Chemorezeptoren befinden, mit denen die Insekten ein breites Spektrum von in der Luft schwebenden Substanzen detektieren können. (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 30; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1282.) Tatsächlich war es der Seidenspinner (Bombyx mori), bei dem man zum ersten Mal feststellte, daß die Männchen auf einen Lockstoffreiz, der von speziellen Drüsen der Weibchen ausgeht, mit einem charakteristischen Flügelschwirren antworten. adolf butenandt (1903 –1995) und seinen Mitarbeitern gelang es 1959, die Struktur des Bombykol genannten Lockstoffes zu klären: es handelt sich um ein C16-Molekül: Hexadeka-4,6-dien-16-ol. (Vgl. rüdiger wehner – walter j. gehring: Zoologie, 349.) dietrich schneider (Insect olfaction: deciphering system for chemical messages, in: Science, 163/1969, 1031–1037), der die Arbeitsweise der Chemorezeptoren dieses Pheromons auf den Antennen des Seidenspinners analysierte, fand vor allem, wie hochgradig spezialisiert und empfindlich die Reaktionsweise erfolgt: Bereits 3 · 10–6 Mikrogramm (drei milliardstel Milligramm) Bombykol genügen, um das Flügelschwirren auszulösen. Diese Feststellung erlaubte zudem weitere Präzisierungen: Auf einer Seidenspinner-Antenne liegen etwa 25 000 Bombykolrezeptoren. «Es ergibt sich, daß (sc. sofern die Männchen des Seidenspinners der genannten BombykolMenge ausgesetzt sind, d. V.) . . . auf jeder Antenne nur etwa 600 Moleküle pro Sekunde einschlagen; von diesen Molekülen gelangen etwa 300 an die 25 000 Bombykolrezeptoren. Berücksichtigt man weiter, daß die Schwirr-Reaktion bereits 0,86 Sekunden nach Reizbeginn einsetzt, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß etwa 200 Nervenimpulse für das Zustandekommen der Reaktion ausreichen, das heißt also: 200 Sinneszellen liefern – und zwar jeweils in der Re-

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Abb. B 58: Lage der Nasengruben bei niederen und der Nasenhöhle bei höheren Wirbeltieren

gel als Folge eines einzigen Moleküleinschlags – je ein Aktionspotential. Ein Lockstoffmolekül genügt also, um an einer Sinneszelle ein Aktionspotential auszulösen. Und das Schwirren des Seidenspinnermännchens kann bereits ausgelöst werden, wenn rund ein Prozent der vorhandenen Lockstoffrezeptoren nur je einen Impuls aussendet.» (helmut altner: Die chemischen Sinnesorgane, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 100; vgl. auch 91–92.) An welchen Stellen die Chemorezeptoren bei Insekten vorkommen, kann, je nach Bedarf, sehr unterschiedlich sein. Geruchsrezeptoren finden sich auf den Antennen, Geschmacksrezeptoren an den Füßen und im Mundbereich. Fliegen zum Beispiel verfügen auf der Unterseite ihrer Fußglieder über einen dichten Besatz von Sinneshaaren, unter denen sich auch Geschmacksborsten befinden, mit deren Hilfe die Tiere den Untergrund auf seinen Zuckergehalt testen; sobald sie fündig werden, fahren sie ihren Rüssel aus, um die Zuckerlösung aufzusaugen. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1269; 1282 – 1283; helmut altner: Die chemischen Sinnesorgane, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 89– 90.) Bei den Wirbeltieren sind die Geruchsrezeptoren in der Nasenhöhle kon-

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zentriert, die ursprünglich vom Mundraum getrennt ist. Bei den Knochenfischen (griech.: Osteichthyes), zum Beispiel beim Aal (Anguilla anguilla), befinden sie sich, wie Abb. B 58 es schematisch wiedergibt, in den Nasengruben an den Kopfseiten (oben); die Riechschleimhaut ist eng gefaltet (mitte); die Pfeile zeigen die Strömungsrichtung des Wassers an. Bei den höheren Wirbeltieren (unten), wie bei einem Hund, ist die Nasenhöhle mit dem Mundraum verbunden. (Vgl. helmut altner: Die chemischen Sinnesorgane, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 98.) In jedem Falle, ob bei Fischen oder Caniden (Hunden), kann die Riechschärfe phantastische Leistungen erreichen, indem winzige Duftstoffmengen auslangen, um einzelne Rezeptoren zu aktivieren. Wie empfindlich Nasen von Fischen sind, zeigen die Lachse (Salmo salar sowie die Gattung Oncorhynchus – Pazifische Lachse): bei ihren Laichwanderungen verfügen sie über eine geruchliche Fernorientierung, die es ihnen erlaubt, entlang den Küstenlinien die Geruchskomponenten ihres Heimatgewässers, «zusammengesetzt aus dem Gestein des Baches und dem Bewuchs der Ufer», wiederzuerkennen. (martin lindauer: Orientierung der Tiere in Raum und Zeit, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 148) Bei Hunden hat man gemessen, daß sie Buttersäure noch in einer Verdünnung von 1 : 5 · 1016 feststellen können; – ein Milliliter Luft enthält bei dieser Konzentration nur noch 6 000 Moleküle. (Vgl. helmut altner: Die chemischen Sinnesorgane, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 99–100.) Einem besonderen Zweck dient die Geruchswahrnehmung bei Elritzen (Phoxinus laevis), die als Schwarmfische ein eigenes Warnsystem besitzen: wird eine Elritze (etwa durch einen Raubfisch) verletzt, so sondert ihre Haut einen Stoff ab, der als Warnsignal die Schwarmgenossen, sobald sie ihn riechen, zum Abtauchen veranlaßt. (Vgl. helmut altner: Die chemischen Sinnesorgane, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 100.) Fragen mag man sich an dieser Stelle, wie man einen solchen Warnstoff bezeichnen soll; zweifellos wirkt er wie ein Pheromon, doch keine Elritze «opfert» sich, um mit ihrer Verletzung Artgenossen zu warnen; andererseits sondern viele Tiere «unabsichtlich» irgendeinen Stoff ab, der, als Geruch wahrgenommen, anderen Lebewesen als Informationsquelle dient; es wiederholt sich offenbar im sozialen Zusammenleben von Tieren etwas, das schon einmal, wie wir gesehen haben, bei der Evolution von Vielzellern geschehen ist: bestimmte Stoffe werden als Signale interpretiert und lösen eine spezifische Aktivität aus. Diese «Erfindung», die am Anfang der Entwicklung von Hormonsystem, Immunsystem und Nervensystem gestanden hat, findet in gewissem

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Sinne ihre Neuauflage in der chemischen «Kommunikation» von Lebewesen mittels des Geruchssinnes. Die Methode selbst ist so archaisch, daß das Riechen als einzige Form der Wahrnehmung unmittelbare Wirkungen auf das Hormonsystem auszuüben vermag. Gut erforscht sind in diesem Zusammenhang unsere Hausschweine, die als nach Nahrung stöbernde Säugetiere über einen ausgezeichneten Geruchssinn verfügen. Um herauszufinden, welch eine Rolle Geruchswahrnehmungen für das Verhalten dieser Tiere spielen, operierte man ihnen – wie praktisch! – einfach den Riechkolben (lat.: den Bulbus olfactorius) heraus, mit der Folge eines völligen Verlustes des Geruchssinnes (griech.: einer An-osmie). Die Wirkungen dieser «Bulbektomie» (lat./griech.: Riechkolbenentfernung) zeigen sich auf vielfältige Weise: die so operierten Tiere akzeptieren fremde Schweine als Nahrungskonkurrenten leichter, eine anosmische Sau säugt die Jungen einer anderen Sau, bei weiblichen Schweinen verzögert sich die Geschlechtsreife, und der dreiwöchige Brunstzyklus im Sommer bei erwachsenen Tieren ist für längere Perioden unterbrochen. (Vgl. w. d. booth: Pheromone und ihr Einfluß auf das Verhalten: Von Schweinen, Trüffeln und Menschen, in: Kenneth A. Klivington: Gehirn und Geist, 128.) Auch die Sexualreifung der männlichen Tiere wird durch eine Bulbektomie verändert. Die Hoden eines Ebers produzieren, neben Spermien und Hormonen, auch die sexuell stimulierenden Steroidpheromone 3-Alpha-Androstenol und 5-Alpha-Androsteron, die sich in den Haut- und Fettdrüsen an ein Bindungsprotein heften und dort angereichert werden; da die Pheromone auch in den Speicheldrüsen des Unterkiefers und im Speichel selbst vorkommen, entfalten sie eine besondere Wirkung, wenn ein Eber in Anwesenheit einer brünstigen Sau oder in Gegenwart eines fremden Ebers erregt wird und schaumigen Speichel produziert; die dabei freigesetzten Pheromone wirken auf andere Eber herausfordernd, während die gleichen Pheromone die Sau paarungsbereit machen – sie verfällt in eine «Duldungsstarre»; jugendliche Sauen, die Pheromonen und anderen Reizen von Ebern mindestens zwanzig Minuten pro Tag ausgesetzt werden, gelangen früher zur Geschlechtsreife. (Vgl. w. d. booth: Pheromone und ihr Einfluß auf das Verhalten: Von Schweinen, Trüffeln und Menschen, in: Kenneth A. Klivington: Gehirn und Geist, 128.) Von daher ist deutlich, was man den Tieren mit einer Operation wie der «Bulbektomie» antut: – damit verbunden ist in jedem Falle eine zentrale Störung ihres Sexuallebens. Umgekehrt aber wird auch klar, was passiert, wenn die Landwirtschaftskammern allerorten die Bauern zur «Intensivhaltung» von Schweinen in Beständen von bis zu 10 000 «Stück Vieh» auffordern: die Ge-

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ruchsbelastung der intelligenten und sensiblen Tiere allein durch den Gestank der Exkremente, aber auch der Pheromone ist immens und kann nur zu einem Gefühlschaos führen, das man dann wieder mit chemischen Mitteln «ruhigstellen» muß. Es stellt ein schwerwiegendes Problem der neurologischen Forschung dar, daß sie bis heute nicht nur aus einer endlosen Tierquälerei ihre Erkenntnisfortschritte gewinnt, sondern daß diese selbst wieder, anstatt zum Schutz der geschundenen Kreaturen eingesetzt zu werden, augenblicklich «verbesserten» Marktstrategien um den Preis einer noch «effizienteren» Ausbeutung der Tiere zugute kommen. Es läßt sich nicht oft genug sagen: Wissen allein lehrt nicht Weisheit, und keine Naturwissenschaft, auch nicht die Neurologie, kann uns sagen, was wir mit unseren erweiterten Kenntnissen der Natur anfangen sollen oder nicht. Dabei besteht womöglich sogar ein direkter Zusammenhang zwischen dem Geruchssinn der Schweine und ihrer Beliebtheit beim Menschen als Nahrungsmittel. Denn das 3-Alpha-Androstenol findet sich auch in dem Trüffelpilz (Tuber melanosporum), nach dem als Delikatesse zu suchen nicht selten gerade Schweine eingesetzt werden, und derselbe Stoff kommt zudem auch als männliches Pheromon beim Menschen vor – was zu dem interessanten Gedanken Anlaß gibt, unser Appetit auf Trüffel und Schweinefleisch könnte sich diesem Pheromon verdanken. (Vgl. w. d. booth: Pheromone und ihr Einfluß auf das Verhalten: Von Schweinen, Trüffeln und Menschen, in: Kenneth A. Klivington: Gehirn und Geist, 128) Unbestreitbar ist jedenfalls, daß Geruchswahrnehmungen auch im menschlichen Zusammenleben eine erhebliche Rolle spielen. Ob wir Gerüche als angenehm oder widerwärtig empfinden, hat ähnliche Veränderungen im Körper zur Folge wie Gefühle von Glück, Ärger oder Ekel. Jasmin etwa verstärkt im EEG die Beta-Schwingungen (die Wellen im Frequenzbereich von über 13 Schwingungen in der Sekunde) – typisch für geistige Anregung –, während Lavendel die Alpha-Wellen (im Frequenzbereich von 8–13 Schwingungen in der Sekunde) – kennzeichnend für den Ruhezustand – erhöht. (Vgl. ute eberle: Die Macht der Gerüche, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 26.) Kaufhäuser, Flughafenbetreiber und (natürlich auch) das Pentagon versuchen inzwischen, Gerüche zu kreieren, die verführerisch zum Geldausgeben, beruhigend beim Warten oder unerträglich unter allen Umständen wirken sollen. (Vgl. ute eberle: A. a. O., 27.) Tatsächlich leuchtet es ein, daß der Geruchssinn lebenswichtig sein kann, um vor verdorbenen Speisen, Schwelbränden oder giftigen Gasen zu warnen; ja, es scheint, als sei die Fähigkeit, derartige Gefahren zu erriechen, dem Menschen angeboren. Zudem gibt es Hinweise, daß zum Beispiel das

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Aroma von Schokolade die Immunabwehr stärkt, während der Gestank fauligen Fleisches sie herabsenkt. Außerdem riechen bekanntlich Menschen, die gestreßt sind, anders als wenn sie sich glücklich fühlen, und es liegt nahe, daß diese andersartige Geruchsaura auch auf andere Menschen (und Tiere) unterschiedlich wirkt – sie beeinflußt zweifellos so oder so die Art der Kommunikation. (Vgl. ute eberle: A. a. O., 29.) Nicht ganz so gesichert sind die Erkenntnisse über die Funktion, die der Geruchssinn im Sexualleben des Menschen einnimmt. Epochemachend wurde die Entdeckung, welche die Biopsychologin martha k. mcclintock in Chicago machte, daß bei Frauen, die eng zusammenleben, Studentinnen in derselben Wohneinheit zum Beispiel, sich der Menstruationszyklus synchronisiert – offenbar weil die Schweißabsonderung, die je nach Zyklusphase unterschiedlich zusammengesetzt ist, als Signalsubstanz wirkt. (Vgl. martha k. mcclintock: Menstruation synchrony and suppression, in: Nature, 229/1971, 244– 245.) Vermutet wird sogar, daß es auf Grund des Schweißgeruches möglich sei, die Immunkonstitution eines anderen Menschen zu erkennen und danach die passende Partnerwahl auszurichten. (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 33– 34; e. drewermann: . . . und es geschah so, 353 –357: Warum Partner sich «gut riechen» können.) Die Schwierigkeit bei solchen Theorien liegt allerdings darin, daß es bislang nicht eindeutig gelungen ist, Substanzen zu identifizieren, die derartige Effekte verursachen sollten. Vor einer Weile fand ivanka savic in Stockholm heraus, daß Androstadienon (eine mit Testosteron verwandte Substanz) im Schweiß von Männern bei Frauen eine Region im Hypothalamus aktiviert, die beim Sexualverkehr eine Rolle spielt; umgekehrt werden bei Männern ähnliche Gehirnareale durch das weibliche Östratetraenol (verwandt mit Östrogen) angeregt; doch in wieweit dadurch das Sexualverhalten wirklich beeinfluß wird, ist bislang nicht ausgemacht. (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 34; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 210– 212.) Eine Sonderstellung in der Diskussion um diese Frage hat sich in den letzten Jahren das sogenannte Vomeronasale Organ (VNO, lat.: der vomer – Pflugschar; Pflugscharbein, ein Knochen am hinteren unteren Teil der Nasenscheidewand; lat.: der nasus – Nase) erobert; dieses «Organ» bildet bei uns Menschen nur noch eine winzige Einstülpung der Schleimhaut und wurde von dem dänischen Anatomen ludvig levin jacobson (1783 –1843) bereits vor rund 200 Jahren entdeckt; bis in die 80er Jahre des 20. Jhs. hinein galt es für ein bloßes Relikt der Evolution, das zwar bei vielen Tieren und bei menschlichen Embryonen noch vorkomme, doch bei uns später verkümmere. (Vgl. alfred

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benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 754.) Dann aber entdeckten Forscher in den 90er Jahren, daß dieser mikroskopisch kleine Tunnel in der Schleimhaut, das VNO, bei Nagetieren eine offenbar wichtige Rolle bei der Paarung spielt: Bei männlichen Hamstern und Mäusen steigt der Testosteronspiegel, wenn sie mit Hilfe des VNO ein Weibchen erriechen; entfernt man Männchen das VNO noch vor der Sexualreife, so kommt es später zu keinem Paarungsverhalten; bei weiblichen Mäusen tritt der sogenannte bruce-Effekt (nach hilda m. bruce, 1903 –1974) ein, der bewirkt, daß bei schwangeren Tieren durch den Uringeruch eines neuen Männchens die Einnistung des Embryos in die Gebärmutterschleimhaut verhindert wird. (Vgl. martin lindner: Erotische Luftblase, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 36.) Auch bei uns Menschen soll das Vomeronasale Organ bewirken, daß wir «unbewußt auf Duftstoffe reagieren, insbesondere solche, die zu den Pheromonen (sexuelle Lockstoffe) zählen und sowohl sexuelle als auch aggressive Verhaltensweisen mit kontrollieren». (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 203) Es wurde sogar vorgeschlagen, das Vomeronasale Organ könnte im Falle einer dort stattfindenden bevorzugten Reaktion auf Pheromone des gleichen Geschlechtes zur Erklärung der Homosexualität herangezogen werden. (Vgl. daniele oliva: Mating types in yeast, vomeronasal organ in rodents, homosexuality in humans: Does a guiding thread exist?, in: Neuroendocrinology Letters, 23/2002, 287– 288.) Abb. B 59 zeigt die Lage des Vomeronasalen Organs bei Schlange und Mensch. Gestützt auf solche Befunde sprach insbesondere der US-Amerikaner louis monti-bloch wenig später von «Vomeropherinen», von Substanzen also, die im VNO elektrische Signale auslösen und so den Sexualhormon-Spiegel und etliche vegetative Funktionen beeinflussen sollten. Ein sechstes Organ des Menschen speziell für den «Sex» schien gefunden, und man müßte nicht in der Wertegemeinschaft unserer westlichen Kultur zu Hause sein, um sich nicht alsbald vorstellen zu können, wie diese endlich nun mal frohe Kunde in den Medien einschlug; die größte Freude freilich verzeichnete monti-bloch selbst: er ist inzwischen Vize-Präsident der kalifornischen Firma Pherin Pharmaceuticals, die mit synthetischen «Vomeropherinen» auf Riesengeschäfte mit dem Versprechen hofft, mit Hilfe von Nasensprays Menstruationsbeschwerden zu beheben und die Potenz zu steigern. (Vgl. martin lindner: Erotische Luftblase, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 36 –37.) Insofern besteht als erstes wohl Grund, sich nicht so sehr Gedanken darüber zu machen, was noch alles aus der sexuellen Lust des Homo sapiens werden kann, sondern vielmehr darüber, was aus einer Wissenschaft wie der Neurologie werden muß, wenn ihre

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Abb. B 59: Lage des vomeronasalen Organs bei Schlange und Mensch

Forschungen von Firmen «gesponsert» werden, die auf rasche Rendite hoffen; – natürlich kann man die Sexualität der Menschen genauso für den Markt ausbeuten, wie man Säue zu vermehrtem Ferkeln «veranlassen» kann. Der wissenschaftlich strittige Punkt besteht freilich in der Behauptung von Pherin Pharmaceuticals, es gebe eine direkte Verbindung vom VNO zum Hypothalamus und zum limbischen System; denn während bei Nagetieren tatsächlich eigene Nervenfasern vom VNO zum Nebenriechkolben (zum Bulbus olfactorius accessorius) und dann zur Amygdala ziehen, die somit einen eigenen Geruchskanal neben den gewöhnlichen Riechnerven bilden (vgl. eric barrington keverne: Neuronale Grundlagen des Geruchssinnes, in: Kenneth A.

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Klivington: Gehirn und Geist, 125–126), ist eine entsprechende Verbindung beim Menschen eben noch nicht gefunden worden; zudem bezweifeln inzwischen immer mehr Forscher, daß im VNO sich überhaupt echte Neuronen befinden, die zu einer Reizverarbeitung imstande wären. (Vgl. martin lindner: Erotische Luftblase, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 36 –37.) Überhaupt scheint der Geruchssinn nicht gerade die Seite zu sein, die im Wahrnehmungssystem von Primaten (und Menschen) besonders fein entwikkelt worden wäre. Als im Jahre 1991 linda buck und richard axel die Familie der Riech-Gene bei Säugetieren entdeckten, bedeutete das nicht nur einen wichtigen Schritt in der Genforschung; interessant ist vor allem, daß in der Nase von Säugetieren mehr als 1 000 Gene die Information für einen Riechrezeptor codieren – das ist bedeutend mehr als für jede andere Körperfunktion. Dann aber zeigen Genom-Analysen, die yoav gilad und svante pääbo in Leipzig im Jahre 2003 veröffentlich haben, daß im Verlauf der Stammesgeschichte offenbar zahlreiche Mutationen in den Riech-Genen beim Menschen mehr als 60% der ursprünglichen Gene funktionslos gemacht haben, bei Affen immerhin 30 %, bei Mäusen 20 %. Mit anderen Worten: von den einst 1 000 olfaktorischen Genen sind beim Homo sapiens nur noch rund 350 im Dienst. Auch die Anzahl der Geruchssinneszellen weist auf einen enormen Schrumpfungsprozeß hin: Beim Menschen finden sich nur noch 10 Mio. Geruchssinneszellen (ein Hund verfügt im Vergleich über mehr als 100 Mio. Riechzellen, ein Schwein über 30 Mio., ein Aal immerhin über 900 000, der erwähnte Seidenspinner noch über 10 000). Rein statistisch scheinen solche Befunde dafür zu sprechen, daß der Geruchssinn beim Menschen verkümmert sein könnte, und so war denn auch lange Zeit die Meinung verbreitet, die Primaten im allgemeinen, erst recht der Mensch, hätten sich auf Kosten des «niederen» Geruchssinnes zu ausgesprochenen Augentieren entwickelt. (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 30– 32.) Andererseits ist für die Leistung eines Wahrnehmungssystems nicht ohne weiteres die Anzahl von Nervenzellen ausschlaggebend, sondern die Art ihrer Signalverarbeitung. gilad und pääbo etwa wiesen zugleich mit ihrer Untersuchung darauf hin, daß sich unter den intakten Genen Varianten befinden, die erst in der menschlichen Stammesgeschichte aufgetaucht sind; statt von einem Abbau sollte deshalb wohl eher von einem Umbau des menschlichen Geruchssinnes gesprochen werden, und es liegt nahe zu denken wie der Genetiker andy clark, der auf Grund eines Erbgutvergleichs von Schimpanse und Mensch zu der Meinung gelangt ist, die entsprechenden Veränderungen im Riechsystem des Menschen besäßen ihren Grund in einer Veränderung der Ernährungs-

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gewohnheiten, das heißt im wachsenden Fleischverzehr. (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 32.) Wie auch immer, das eigentlich Wichtige (und Erstaunliche) ist in der Tat die Art und Weise, wie die Geruchssinneszellen in Funktion treten. Im sogenannten Riechepithel (dem Teil der Nasenschleimhaut, der im Dach der Nase liegt) befinden sich viele Millionen spezialisierter Neuronen; in jedem dieser Neuronen ist nur ein einziges der etwa 350 Riech-Gene aktiv; daher tragen sie nur einen einzigen Rezeptortyp auf ihrer Oberfläche. Daß wir gleichwohl imstande sind, etwa 10 000 Duftstoffe zu erkennen, liegt daran, daß unser Riechsystem die 350 Rezeptortypen wie die Buchstaben eines Alphabetes zu einer «Geruchsschrift» kombiniert; statt für jeden Duftstoff einen eigenen Rezeptor zu benötigen, kann jeder Rezeptortyp mehrere Geruchsstoffe erkennen und umgekehrt jeder Geruchsstoff mehrere unterschiedliche Rezeptortypen erregen. Die Folge: jeder Duftstoff löst ein charakteristisches Erregungsmuster im Gehirn aus. – Wie weit sind wir damit entfernt von dem «einfachen» Bombykolrezeptor auf den Antennen des Seidenspinners! (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 32.) Zudem zeigt sich auch, welch einen Vorteil es bieten kann, daß bei den Säugetieren, im Unterschied zu den Fischen, Nasenraum und Rachenraum miteinander verbunden sind, wie es in Abb. B 58 zu sehen ist. Denn die olfaktorischen Signalmuster variieren sogar bei ein und derselben Substanz, je nachdem, ob die Duftmoleküle durch die Nasenlöcher («von vorn») oder über den Rachen in die Nasenhöhle («von hinten») verwirbelt werden. Je nachdem, in welcher zeitlichen Abfolge die Rezeptoren aktiviert werden, kann etwa Bayrischer Schimmelkäse entsetzlich riechen, aber ausgezeichnet schmecken; das Geschmacksmuster der Nahrung erkennt ja nur die Nase – die Zunge vermag lediglich die Grundgeschmacksarten salzig, bitter, süß und sauer wahrzunehmen. Auch die uns schon bekannten «Belohnungszentren» im mesolimbischen System reagieren unterschiedlich, je nachdem, ob ein Geruch über die Nase oder vom Rachen her kommt – im letzteren Falle sprechen sie stärker an. Der Bedeutungsunterschied in der Geruchsrichtung hat seinen Grund wohl darin, daß die Wahrnehmung über die Nase vor allem dem Selbstschutz und der Orientierung im Raume beziehungsweise im sozialen Umfeld dient, während es eine Art Erfolgsprämie darstellt, etwas im Mund zu haben. (Vgl. martin lindner: Der unterschätzte Sinn, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 32 –33.) Ein Hauptproblem liegt in der Frage, wie es dem Gehirn gelingt, in die (mit kant gesprochen) «Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung» beim Riechen so etwas wie Übersicht und Ordnung zu bringen – «Formen der Anschauung», die

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ihm «apriori» behilflich sein könnten, besitzt der Geruchssinn ja nicht. Eine Antwort darauf ergibt sich, entsprechend den drei Stufen der Verarbeitung, als erstes bereits aus den Verschaltungen der Geruchssinneszellen im Riechkolben (Bulbus olfactorius, eigentlich stellt er die primäre Riechrinde dar), dann aus der Wechselwirkung zwischen Riechkolben und Riechrinde (dem primären olfaktorischen Cortex mit dem Cortex piriformis als der primären Riechrinde im engeren Sinne; von lat.: das pirum – Birne; der «birnenförmige» Cortex) und schließlich aus den Rückkopplungen mit anderen Hirnteilen (vor allem mit dem limbischen System, dem Thalamus und dem frontalen Cortex). Doch – wieder – der Reihe nach. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 477; martin trepel: Neuroanatomie, 201– 202; john p. j. pinel: Biopsychologie, 225 –226.) Um kollektive Salven im Riechkolben auszulösen, braucht es eines Verbands von Neuronen, die während eines Lernvorgangs gleichzeitig erregt worden sind – so die Entdeckung von walter j. freeman in den 70er Jahren des 20. Jhs. Nach der uns schon geläufigen Lernregel von donald olding hebb verstärken sich die Synapsen zwischen gemeinsam feuernden Neuronen; wir müssen dieser Regel jetzt hinzufügen: falls sich mit ihrer synchronen Aktivität eine Belohnung verbindet; an der Verstärkung sind modulierende Substanzen beteiligt, die der Hirnstamm während der Konditionierung in Riechkolben und Hirnrinde freisetzt. Verstärkt werden dabei wohlgemerkt nicht die Synapsen zwischen den Axonen der Geruchsrezeptoren oder der nachgeordneten Neuronen im Riechkolben, verstärkt wird vielmehr die Signalausbeute an denjenigen Synapsen, die als Querverschaltungen zwischen den Neuronen dienen. (Vgl. walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 25– 26.) Abb. B 60 zeigt schematisch, über ein welch dichtverzweigtes Netz von Synapsen die Neuronen des Riechsystems Informationen austauschen. Wie im Sehsystem die Informationseingänge der Photorezeptoren über ein System von Bipolarzellen in den Ganglienzellen zusammengeschaltet werden, so laufen die Signale der Rezeptorneuronen (der Riechsinneszellen) in der Nase in den Glomeruli (lat.: der glomerulus – kleines Knäuel; die Äste der Hauptdendriten der Mitralzellen) des Riechkolbens zusammen; die lateralen Verbindungen zwischen den Glomeruli stellen die periglomerulären Zellen (griech.: perí – ringsum; lat.: das glomus – Knäuel) her; über ein System von erregenden Mitralzellen (lat.: mitralis – turbanähnlich) sowie von Körnerzellen, die überwiegend als hemmende Interneuronen auftreten, werden die Informationen dann an die Pyramidenzellen der Riechrinde weitergeleitet. (Vgl. hanns hatt: Chemosensibi-

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Abb. B 60: Aufbau der Riechschleimhaut mit den Verbindungen zum Riechkolben

lität, Geruch und Geschmack, in: Neurowissenschaft, 295– 298; walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 26; alfred benninghoff – detlev drenckhahn, Anatomie, II 747; 751–752.) Indem etwa 1000 Axone der Riechsinneszellen auf eine einzige Mitralzelle projizieren, entstehen neuronale Ensembles, die für das Erkennen spezieller

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Gerüche (wie Apfelblüte, Zimt, Sandelholz, Mandeln usw.) zur Verfügung stehen und dem Riechkolben ein bestimmtes Aktivitätsmuster aufprägen. (Vgl. hanns hatt: Chemosensibilität, Geruch und Geschmack, in: Neurowissenschaft, 297.) Zusätzlich zu dem Vorgang der Sensitivierung durch die Bildung von hebbSynapsen treten zwei weitere Vorgänge hinzu, die nicht auf der Stärke der Synapsen, sondern auf der Empfindlichkeit der Axonhügel beruhen. (Vgl. walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 26.) Da ist einmal der Faktor der Wachsamkeit. Die Signalausbeute in den neuronalen Ensembles von Riechkolben und Riechhirn nimmt zu, je nachdem, ob ein Tier hungrig, durstig, sexuell erregt oder bedroht ist. «Afferenzen . . . (sc. noradrenerge, serotonerge, cholinerge u. a., d. V.) aus Telencephalon und Hirnstamm modulieren die Erregungsweiterleitung hauptsächlich durch Innervation der Interneurone (sc. der periglomerulären Zellen und der Körnerzellen, d. V.).» (alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 752) Und zudem wirken die einlaufenden Signale selbst als sensibilisierende Stimuli, indem ein vermehrter Signaleingang von sich aus die Signalausbeute steigert; nur dadurch erklären sich die explosiven Veränderungen, die im Riechkolben und im Riechhirn in Form von neuronalen Salven auftreten. (Vgl. walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 26 –27.) Von daher stellt sich die Aufnahme und Weitergabe von Geruchsinformationen folgendermaßen dar: Eine nur relativ kleine Zahl von Rezeptoren leitet ihre olfaktorischen Signale an eine noch kleinere Zahl von Neuronen im Riechkolben weiter. Ist der Riechkolben durch Wachsamkeit oder Gewöhnung genügend sensibilisiert, so breitet sich die Information rasch über das Neuronen-Ensemble aus, wobei die eingetretene Erregung über die hebb-Synapsen auf andere Bereiche des Ensembles übertragen wird. Diese neu erregten Bereiche wirken auf den Ausgangsbereich erregend zurück, das heißt sie erhöhen dessen Signalausbeute, und so schaukelt sich die eintreffende Erregung rasch zu einer kollektiven Aktivität in dem gesamten Ensemble auf. «Die Aktivität des Verbands erfaßt dann ihrerseits den gesamten Bulbus (sc. Bulbus olfactorius, d. V.) und zündet auf diese Weise eine vollentwickelte Salve. – Daraufhin schickt der Riechkolben über parallel verlaufende Axone gleichzeitig eine Art gemeinsames Votum an den Riechcortex. Der muß es dann von der Hintergrundaktivität aus weiteren Reizen unterscheiden, die fortwährend aus dem Riechkolben und anderen Hirngebieten eintreffen.» (walter j. freeman:

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Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 27) Diese so wichtige Leistung kann erbracht werden infolge der Verschaltung des Bulbus olfactorius und der Riechrinde. Die Impulse, die der Bulbus olfactorius erzeugt, laufen gleichzeitig über parallele Axone zum Riechcortex; dabei überträgt jedes Axon seine Informationen auf viele tausend Neuronen in der Riechrinde; auf diese Weise gehen bei jedem Zielneuron die Informationen von Tausenden von Neuronen aus dem Riechkolben ein. Da sich die koordinierten Signale aufsummieren, wird die synchronisierte Trägeraktivität der eingehenden Geruchsimpulse unterscheidbar von den nicht-synchronisierten Eingangssignalen, die mit der Trägerwelle nicht übereinstimmen und sich wechselseitig auslöschen. «Jedes Empfänger-Neuron in der Riechrinde nimmt daher einen Teil des gemeinschaftlichen Riechkolben-Signals auf und leitet die summierten Signale an Tausende von Nachbarzellen weiter.» (walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 27) Der «Umweg» der Signalweitergabe über den Bulbus olfactorius wirkt auf diese Weise wie ein Filter, der das «Rauschen» in den Rezeptorsignalen eliminiert und sicherstellt, daß nur eine einheitliche Botschaft zur Riechrinde gelangt. «Allerdings ist kaum etwas darüber bekannt, wie die Neurone im Cortex organisiert sind, die auf die unterschiedlichen Geruchsreize reagieren.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 226 –227) Nach einer Vorstellung bilden die Rindenneuronen ihrerseits wiederum Zellverbände, die kollektive Salven erzeugen; eine solche sorgt dann im Cortex dafür, daß die spezielle Geruchsbotschaft als unterscheidbar von dem allgemeinen Signalwirrwarr an die anderen Bereiche des Gehirns weitergeleitet wird. (Vgl. walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 27– 28.) Abb. B 61 versucht, die Wechselwirkung zwischen Riechrinde und Riechkolben sowie die Interaktionen mit anderen Hirnteilen zu verdeutlichen: Um Gerüche wahrzunehmen, bedarf es einer sich selbst organisierenden Aktivität des limbischen Systems, zu dem, wie wir wissen, die Amygdala, der entorhinale Cortex und der Hippocampus gehören; von dort geht ein Befehl über den frontalen Cortex an die motorische Rinde, eine Schnupperaktivität einzuleiten; zugleich erteilt das limbische System eine «Reafferenz-Meldung» (eine Rückmeldung), welche alle Sinnessysteme in die Bereitschaft versetzt, auf neue eingehende Signale zu antworten. Durch das Schnuppern gelangen über die Geruchsrezeptoren neue Informationen via Riechkolben und Riechcortex ins limbische System und erhalten dort ihre Bedeutungsverleihung, ehe sie endlich

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Abb. B 61: Der rückgekoppelte Weg von Geruchsinformationen

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im frontalen Cortex bewußt wahrgenommen werden. (Vgl. walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 25; john p. j. pinel: Biopsychologie, 225 –227.) (Nebenbei sei daran erinnert, daß direkte Projektionen des Bulbus olfactorius nicht nur zum Cortex piriformis existieren, sondern auch zur corticomedialen Amygdala sowie zum entorhinalen Cortex; vgl. hierzu alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 753; martin trepel: Neuroanatomie, 202.) An der engen Verknüpfung des Bulbus olfactorius mit der (corticomedialen) Amygdala, dem entorhinalen Cortex und dem Hippocampus liegt es, daß sich das Bild vom Geruchssinn als einem «niederen» Sinn in der Neurologie zugunsten einer erheblichen Höherbewertung geändert hat. Denn in der Amygdala erhalten die Geruchswahrnehmungen ihre emotionalen Bewertungen, und im Hippocampus entscheidet sich ihre Überführung in das Langzeitgedächtnis. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 207–210.) Beide Wirkungen sind uns vertraut: Gerüche können eine durch und durch irrationale Macht entfalten, und sie vermögen sich außerordentlich nachdrücklich der Erinnerung einzuprägen. (Vgl. ute eberle: Die Macht der Gerüche, in: Bild der Wissenschaft, 4/2004, 27.) Der Vorteil liegt auf der Hand: Was übel riecht, soll uns ein für allemal warnen, es in den Mund zu nehmen, was angenehm duftet, empfiehlt sich zum Genuß und verdient ebenfalls, wohlerinnert zu werden. Andererseits scheint es, als habe die Evolution in den Primaten Wesen hervorgebracht, die sich an das Diktat der olfaktorischen Signale nicht mehr so umfassend gebunden fühlen müssen wie etwa Schmetterlinge, Fische oder Nagetiere. Bedeutet das etwas mehr an Freiheit für uns Menschen? Fest steht: Auch mit Hilfe des Geruchssinnes konstruieren wir uns einen Teilaspekt dessen, was wir als «Wirklichkeit» bezeichnen; doch indem unser Gesichtssinn eine enorme Ausdehnung erfahren hat und wir in gewissem Sinne «sehen» können, was wir riechen, hat sich allem Anschein nach zugleich auch ein erweiterter Raum unserer «Einsichts»fähigkeit aufgetan. Unser Wahrnehmungssystem ist dadurch nicht «objektiver» geworden, doch unsere Reaktionsmöglichkeiten auf das Wahrgenommene sind «augenscheinlich» weniger festgelegt. Die Beschäftigung mit dem Geruchssinn kann uns aber noch zu einer weiteren Erkenntnis führen, die für das gesamte Verständnis der Aktivitäten des Gehirns von erheblicher Bedeutung sein dürfte. walter j. freeman nämlich stellte sich die Frage, was es eigentlich mit dem «Rauschen» beziehungsweise mit dem «Signalwirrwarr» auf sich hat, von dem sich die Aktivitäten bestimmter neuronaler Ensembles abheben müssen, um als Codierungen bestimmter Geruchssubstanzen wahrnehmbar zu werden, und er fand durch EEG-Unter-

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suchungen und Computersimulationen, daß es sich dabei nicht um ein rein zufälliges Durcheinander, sondern um Chaos im Sinne der mathematisch-physikalischen Chaostheorie handeln müsse. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 231–235.) Ein Hauptmerkmal chaotischer Systeme besteht darin, daß kleine Veränderungen unvorhersehbare Folgen zeitigen können, und genau dieses Merkmal fand freeman in den plötzlichen explosionsartigen Salven im Riechkolben als gegeben – in jenen aperiodischen, sich nicht wiederholenden Trägerwellen, die ohne erkennbaren externen Auslöser im Bulbus olfactorius selbst erzeugt werden. Diese Fähigkeit zur «Selbstorganisation» ist ein charakteristisches Merkmal chaotischer Systeme. Zudem sind die neuronalen Ensembles im Bulbus olfactorius und im Cortex offenbar imstande, als ganze ohne Übergang in den Erregungszustand einer Salve hineinzuspringen und wieder in den Grundzustand zurückzukehren. Auch derartige plötzliche «Phasenübergänge» (physikalisch) oder «Bifurkationen» (mathematisch) bilden ein Kennzeichen chaotischer selbstorganisierender Prozesse. (Vgl. walter j. freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 28.) Wenn es sich so verhält – und vieles spricht dafür, daß dem so ist –, dann müßte man das Schema in Abb. B 61 nicht länger mehr «von unten», sondern zumindest gleichzeitig «von oben» her lesen. Denken nämlich müßten wir dann, Wahrnehmung beginne nicht damit, daß bestimmte Neuronen durch äußere Einflüsse «depolarisiert» würden, sondern daß das Gehirn selber durch selbstorganisierende Aktivitäten die Sinnesorgane anweise, durch Riechen (Sehen, Hören, Fühlen) sich Informationen zu beschaffen. Im Endeffekt ergeht auf Grund der selbstorganisierten Aktivität des limbischen Systems (zu dem, wie wir wissen, ja die Amygdala, der entorhinale Cortex sowie der Hippcampus zählen) ein Befehl an das motorische System, etwas zur Informationsbeschaffung zu tun, und dann wieder, bei Eingang der entsprechenden sensorischen Signale, setzt das limbische System durch eine Reafferenz-Meldung alle sensorischen Systeme in den Stand, auf neue Informationen zu reagieren. Indem dann die einzelnen Neuronen zu einer kollektiven Aktivität zusammentreten und die synchronisierten Salven der Neuronen-Ensembles an das limbische System zurückübertragen werden, können sie dort zu einer einheitlichen Gestaltwahrnehmung verschmolzen werden. «Vielleicht», meint walter j. freeman (Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in: Gehirn und Bewußtsein, 31), «ist Bewußtsein das subjektive Erleben dieses sich immerzu wiederholenden Vorgangs aus motorischer Aktivierung, Reafferenz und Wahrnehmung.»

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Nicht nur, daß die Aktivitäten des Gehirns in dieser Betrachtung als ein chaotischer selbstorganisierender Prozeß erscheinen, das Gehirn selbst nimmt die Züge eines Organs an, das, wie der Magen eines hungrigen Raubtiers zu Beutefang, unentwegt zur Beschaffung neuer Informationen antreibt. Der absolut größte Teil seiner Aktivitäten, wie wir sahen immerhin 99,9 %, besteht darin, sich mit sich selbst zu beschäftigen und die eingegangenen Informationen zu «verdauen», das heißt in die Strukturen der neuronal vorgegebenen Wahrnehmungsmöglichkeiten zu integrieren. In gerade diesem Anteil der Beschäftigung mit sich selbst aber liegt nun wohl die Bildung des Subjekts, das als das Wahrnehmende in aller Wahrnehmung auftaucht – mit kant gesprochen: als die Vorstellung des «Ich denke», die alles Wahrnehmen und Erkennen notwendig begleitet. (Vgl. immanuel kant: Kritik der reinen Vernunft, in: Werke, III 255– 257: Widerlegung des Idealismus. Lehrsatz.) Der Königsberger Philosoph scheint recht zu behalten: Wahrnehmung ist das Konstrukt eines Ichs, das sich mit der Konstruktion der ihm zugänglichen Welt im Erkenntnisprozeß stets schon voraussetzt (oder zugleich erschafft?). Doch – natürlich – stehen wir mit dieser Feststellung bereits wieder vor der nächsten Frage: wenn das Gehirn das Wahrnehmungssystem anweist, Informationen zu sammeln, so wird dieses Sammeln nicht ins Blaue hinein gehen. Welche Absichten verfolgt das Gehirn? Welche Antriebe leiten es? Welche Motive bestimmen unser Wahrnehmen und Verhalten?

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4. (An)Trieb und Motivation am Beispiel von Temperaturregulation und Nahrungsaufnahme

Wenn unsere «Wahrnehmung» sich nicht entwickelt hat, um die Wahrheit an sich in uns aufzunehmen, sondern um im Kampf ums Überleben zu bestehen, so darf man denken, daß unsere gesamte Art, die Dinge zu betrachten und mit ihnen umzugehen, weitestgehend interessengelenkt sein wird. Hunger und Nahrungsbeschaffung, Angst, Feindvermeidung und Revieransprüche sowie das Verlangen nach einem Sexualpartner sollten die entsprechenden Themenvorgaben bilden, und die Frage stellt sich, ob wir diesen biologischen Zwängen jemals entrinnen können. Sonderbarerweise deutet in diesem Falle die Terminologie eine erste Antwort an. Denn das Wort «Motivation» (von lat.: move¯re – bewegen) ist im Grunde nur ein anderer Ausdruck für die Energie, die ein Tier oder einen Menschen zu einem bestimmten Verhalten antreibt. «Antrieb» oder «Trieb» ist deshalb die beste Wiedergabe des lateinischen Fremdworts «Motivation», und tatsächlich meinen Verhaltensforscher und Neurologen, wenn sie von «Motivation» sprechen, damit einen biologisch beziehungsweise physiologisch verursachten Spannungszustand, der sich in einer bestimmten Endhandlung (an einem «Triebziel») entlädt. Andererseits ist der Begriff der «Motivation» oder eines «Motivs» in der Psychologie (und im allgemeinen Sprachgebrauch) sehr viel weiter gefaßt. Wenn ein Kriminalbeamter einem Tatverdächtigen ein «Motiv» für eine Straftat unterstellt, so denkt er in aller Regel an «niedere» (moralisch verwerfliche) Handlungsimpulse wie Habgier, Eifersucht, Rachsucht und anderes; auch solche «Motive» mag man als «triebhaft» bezeichnen, doch ergeben sie sich erkennbar nicht einfach aus biologisch grundgelegten Bedürfnissen – sie unterscheiden sich deutlich etwa von Hunger und Angst; selbst sexuelles Verlangen, das sich unter Umständen als rein «triebhaft» verstehen läßt, bildet in aller Regel erst in einer psychologisch – nicht biologisch – unnormal gesteigerten Form ein «Tatmotiv». So verstanden, gehört das Suchen nach «Motivation» und «Motiven» eigentlich in den Bereich der psychologischen Erklärung von Gefühlen, während der Begriff «Trieb» biologisch definiert werden müßte. Gefühle aber bezeichnet man als Emotionen, als etwas, das sich «aus Motivationen herleitet»; gleich-

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wohl werden Gefühle nicht als etwas Triebhaftes wahrgenommen, und diese Unterscheidung selbst ist bemerkenswert: Sie zeigt, daß wir im Umgang mit unseren Gefühlen uns offenbar nicht als gleichermaßen festgelegt erleben, wie es im Umgang mit unseren Triebbedürfnissen der Fall zu sein scheint. Von daher macht es Sinn, in Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch, aber in Übereinstimmung mit der Terminologie von Verhaltensforschung und Neurologie, den Begriff Motivation im strengen Wortsinn mit (An)Trieb gleichzusetzen und davon die Emotionen (die Gefühle) wohl zu unterscheiden. Was also ist ein «Antrieb», eine «Motivation»? Wenn wir uns noch einmal in Abb. A 16 anschauen, welche Aktivitäten auf der «untersten Ebene der vitalen Bedürfnisse» vom Hirnstamm, das heißt von den Hirnnervenkernen der Formatio reticularis, gesteuert werden, so wird man die Notwendigkeit des Einund Ausatmens nicht gleich als «Motivation» bezeichnen, nur weil diese Tätigkeit zum Erhalt vor allem der Hirnfunktionen unerläßlich ist; zu einem Trieb, zu einer Motivation gehört, daß sie den Erklärungshintergrund für eine Reihe komplexer Verhaltensweisen bildet; auch das Schlafbedürfnis wird niemand eine Motivation nennen, obwohl es uns in der Regel im Abstand von etwa 14 bis 20 Stunden mit Macht aufgenötigt wird – es ist kein «Antrieb» etwas zu tun, es ist ein Zwang, alle Tätigkeit einzustellen. Anders, ganz anders verhält es sich mit Hunger und Durst und wohl auch mit der Sexualität. Hier handelt es sich um innere Bedürfnisse, die unser Verhalten in ständigen Wiederholungen auf ein ganz bestimmtes Ziel ausrichten; insbesondere wird die Aufmerksamkeit fortschreitend auf die Wahrnehmung von Gegebenheiten verengt, die für die Erreichung des Triebziels relevant sind: hungrig spähen wir nur noch aus nach Eßbarem, all unser Vorstellen kreist um die Nahrungsbeschaffung, und genau so, wenn wir durstig sind; das Sexualverlangen kann bis zur Obsession gesteigert werden, so daß es schwerfällt, noch an etwas anderes zu denken als an bestimmte Formen sexueller Befriedigung; am Ende steht «die Organisation individueller Verhaltenskomponenten zu einer spezifischen, zielorientierten Handlungsabfolge . . . – Motivationszustände erfüllen also drei Funktionen. Erstens obliegt ihnen eine Steuerfunktion: Sie lenken Verhalten auf ein bestimmtes Ziel (sc. sie kanalisieren die Aufmerksamkeit, d. V.). Zweitens haben Motivationszustände eine aktivierende Funktion: Sie steigern die allgemeine Wachheit und machen das Individuum handlungsbereit. Drittens haben sie eine organisierende Funktion: Sie erzeugen aus einzelnen Verhaltenskomponenten eine kohärente, zielorientierte Verhaltenssequenz.» (irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 626) Damit erhebt sich natürlich die Frage, welche Mechanismen dazu führen, be-

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stimmte innere Bedürfnisse zu «Motivationen» aufzubauen. Die Suche nach einer Antwort darauf war lang und vor allem mehr oder weniger spekulativ und intuitiv, bis die Verhaltensforschung, gestützt auf exakte Beobachtung, erste brauchbare Resultate lieferte. Die bekannteste Modellvorstellung über das Zustandekommen von Motivation hat in der Ethologie (in der Verhaltensforschung) des 20. Jhs. konrad lorenz entworfen. lorenz ging davon aus, daß im Zentralnervensystem Erregung produziert und gespeichert werde wie eine Flüssigkeit in einem Überlaufgefäß. Er war sich über das Hypothetische seiner Überlegungen durchaus im klaren, denn vor der Hand gibt es keine reale Substanz, die als Stoff für Motivationsänderungen nach einem Modell von Zufluß und Abfluß in Frage kommen könnte. Gleichwohl liegt die Idee der Erregungsspeicherung an sich bereits der frühen Triebtheorie sigmund freuds zu Grunde. (Zur Triebtheorie freuds und der Psychoanalyse vgl. e. drewermann: Strukturen des Bösen, II 178– 202.) freud nahm an, daß ein Erregungszustand, der sich nicht durch ein entsprechendes Verhalten ausdrücken kann, einen schädigenden physiologischen Zustand herbeiführen müsse; lorenz verfeinerte diesen Gedanken «in zwei sehr wichtigen Punkten. Die Erregung staue sich, wie er erstens meinte, auch dann auf, wenn kein offensichtlicher äußerer Reiz bestehe, und sie sei zweitens jeweils für eine verwandte Gruppe modaler Bewegungsabläufe spezifisch und werde durch das Auftreten der zugehörigen Verhaltensweisen gleichsam ‹aufgebraucht›. Die hypothetische Erregungsmenge wurde als spezifisches Aktionspotential oder aktionsspezifische Energie bezeichnet». (george w. barlow: Fragen und Begriffe der Ethologie, in: K. Immelmann: Verhaltensforschung, 214) Ein solches Konzept mochte ausreichend sein, um ein Modell zur Beschreibung bestimmter Formen tierischen und menschlichen Verhaltens zu erstellen, aber es verlangte selbst nach einem tieferen Verstehen der Prozesse, die zu dem angenommenen «Erregungsstau» im Zentralnervensystem führen könnten; an dieser Stelle kommen die Untersuchungsverfahren von Neurologie und Biopsychologie ins Spiel. Dabei muß es vorab darum gehen, die Regelkreisläufe zu beschreiben, die im Körperinneren Motivation erzeugen, und sodann zu untersuchen, wie jenseits bestimmter Gewebemangelzustände motivierte Verhaltensweisen reguliert werden; schließlich wird zu klären sein, wie es im Gehirn zur Belohnung bzw. Verstärkung von motivierten und als positiv erlebten Verhaltensweisen kommt.

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a) Homöostatische Regelkreisläufe Alle Triebe, meinte sigmund freud, verfolgten letztlich das Ziel, in den Zustand des Anorganischen zurückzukehren. Dieser Gedanke ist weder biologisch noch psychologisch begründbar; eher schon verrät er eine Weltsicht, die der Lehre arthur schopenhauers (1788 –1860) nachempfunden ist. Und dennoch lassen sich alle Erscheinungen des Lebens in physikalischer (thermodynamischer) Betrachtung als ein Streben nach dem Zustand der niedrigsten Energie verstehen. (Vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 668– 676.) Alle Triebregungen dienen, psychologisch ausgedrückt, dem Zweck, Ruhe zu finden. Nun ist Leben aber ein Zustand fernab des thermodynamischen Gleichgewichts; die einzige Weise, nicht erst am Ende, sondern mitten im Leben zu einer (kurzzeitigen) «Ruhe» zu gelangen, besteht in der Beibehaltung oder Wiederherstellung bestimmter homöostatischer (griech.: im Gleichgewicht befindlicher) Meßwerte im Körperinneren. Motivationszustände basieren auf solchen homöostatischen Prozessen, die in bestimmten Zeitintervallen mit dem Anspruch eines Triebbedürfnisses sich dem Bewußtsein aufdrängen: etwa alle 5 Stunden zum Beispiel bekommen wir Hunger; in bestimmten Abständen, die beim Menschen individuell und situativ sehr unterschiedlich sein können, meldet ein sexuelles Verlangen sich zu Wort – bei den meisten Tieren sind die Phasen der Partnersuche und des Paarungsverhaltens mit den jahreszeitlich günstigsten Aussichten für die Nahrungsbeschaffung bei der Aufzucht von Jungtieren gekoppelt usw. Fragen wir also zunächst nach den homöostatischen Mechanismen, die den Motivationszuständen zugrunde liegen. In den Naturwissenschaften gilt es als goldene Regel methodischen Vorgehens, möglichst einfache experimentell gewonnene und kontrollierbare Beobachtungsdaten zu analysieren, um aus ihnen Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, die dann zur Erklärung auch komplexerer Zusammenhänge in Frage kommen. Ein solcher «einfacher» Fall von «Motivation» ist das Kältezittern, auf das wir anläßlich der Funktionen von Hirnstamm und Hypophyse bereits zu sprechen gekommen sind. Man kann freilich nicht sagen, daß es sich hierbei um einen «Trieb» im lorenzschen Sinne handelt, geht es doch nicht um den Aufbau einer «Erregungsmenge» durch Prozesse im Körperinneren, die – sogar unabhängig von jedem Außenreiz – ein bestimmtes Verhalten erzwingen; ganz im Gegenteil, das Kältezittern stellt eine Reaktion des Organismus auf Bedingungen dar, die ihm (mangelnde Energiezufuhr durch Nahrungsverweigerung ausgenommen) wesentlich von außen auferlegt werden.

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α) Die Temperaturregulation als Beispiel Das methodisch Verlockende an der Temperaturregulation als einem Modell für Motivationszustände ist die Möglichkeit, homöostatische Mechanismen mit Hilfe der Kybernetik zu deuten und nach Art von Regelkreisen zur Steuerung von Maschinen zu untersuchen. Jeder Bewohner eines Zimmers mit Zentralheizung weiß, wovon die Rede geht, wenn er sich nur klarmacht, welch einem simplen Vorgang er die Gemütlichkeit seiner Wohnverhältnisse verdankt. Die Regelgröße, die es möglichst konstant zu halten gilt, ist die Raumtemperatur. An der Zimmerwand befindet sich ein Thermostat, der auf den Sollwert der gewünschten Temperatur, sagen wir: 22 Grad Celsius, eingestellt ist; der Thermostat besitzt einen Meßfühler (ein Thermometer) zur Messung des Istwerts der Raumtemperatur; insofern fungiert der Thermostat als Fehlerdetektor, der feststellt, ob die tatsächliche Raumtemperatur nach oben oder nach unten von dem eingestellten Sollwert abweicht, und der gegebenenfalls ein Fehlersignal erzeugt. Im Keller ist der Heizkessel untergebracht; er ist das Stellglied: liegt die Raumtemperatur über dem Sollwert, meldet der Thermostat das Fehlersignal an das Stellglied – der Heizkessel wird abgeschaltet; liegt die Raumtemperatur unter dem Sollwert, wird der Kessel durch das Fehlersignal bis zum Erreichen des Sollwerts eingeschaltet. – Nach diesem Modell läßt sich vorstellen, daß das Verhalten von Tieren (und Menschen) nicht ausschließlich durch innere Triebe motiviert sein muß; es kann sein, daß ein äußerer Reiz wie die Empfindung von Kälte (oder die Nähe von Futter oder die Erreichbarkeit eines Sexualpartners) genügt, um ein bestimmtes Verhalten auszulösen. Solche motivierenden Reize – sogenannte Schlüsselreize – können angeboren, aber auch (im Falle einer konditionierten, bedingten Reaktion) erlernt worden sein. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 627.) Die Regulation der Körpertemperatur paßt insofern vorzüglich zu dem Regelkreis-Modell, als es hier einen festen Sollwert gibt: etwa 37 Grad Celsius. Als «Thermostat» fungiert der Hypothalamus. Ihm wird die Körpertemperatur auf zwei Wegen mitgeteilt: periphere Thermorezeptoren liegen in der Haut, im Rückenmark und in den Eingeweiden; zentrale Thermorezeptoren befinden sich im Hypothalamus selbst, und zwar für hohe und tiefe Temperaturen ausschließlich im vorderen Hypothalamus; die Meßfühler dort reagieren, indem ihre Entladungsfrequenz wesentlich von der lokalen Bluttemperatur abhängt. Die Temperaturregulation selbst erfolgt über zwei getrennte Mechanismen: Ableitungen von Neuronen im vorderen Hypothalamus und im dort befind-

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Abb. B 62: Hypothalamusgebiete, welche die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur durch Abgabe oder Erzeugung von Wärme regeln

lichen sogenannten praeoptischen Areal zeigen, daß im Hypothalamus tatsächlich periphere und zentrale Informationen integriert werden, die die Temperaturregulation benötigt. Denn die dort vorhandenen wärmeempfindlichen Neuronen erhöhen bei Erwärmung ihre Impulsfrequenz; auf diese Signale hin veranlassen die Neuronen im praeoptischen Areal Prozesse der Wärmeabgabe: die Blutgefäße der Haut erweitern sich, und das Kältezittern unterbleibt, kurz, es setzen Mechanismen ein, die zur Abnahme der Körpertemperatur beitragen. Umgekehrt veranlassen die kälteempfindlichen Neuronen des vorderen Hypothalamus die Neuronen im hinteren Hypothalamus dazu, Reaktionen des skelettmotorischen Systems auslösen: das Kältezittern. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 627– 630; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 443.) Abb. B 62 zeigt die Hypothalamusgebiete, die an der Temperaturregulation beteiligt sind. Eine dramatische Wirkung dieser homöostatischen Regulationsmechanismen, aber auch ein gutes Beispiel für deren Flexibilität hat wohl jeder schon einmal in Fieberzuständen erlebt: bei durchaus normalen Temperaturen im Flur

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oder auf der Straße packt ihn ein «Schüttelfrost». Der Grund für dieses Kältezittern sogar bei einer Körpertemperatur über dem eigentlichen Sollwert von 37 Grad Celsius liegt darin, daß fiebererzeugende Substanzen, sogenannte Pyrogene (griech.: Hitzebildner), wie vor allem das Interleukin-1, die Blut-HirnSchranke überwinden und die Sensitivität der wärmeempfindlichen Neuronen herabsetzen, wordurch der Sollwert der Körpertemperatur nach oben hin verstellt wird. (Interleukin-1 wird von Makrophagen freigesetzt; zur Immunabwehr des Körpers vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 300– 316). Doch da im Körper kein Prozeß ablaufen darf, der nicht antagonistisch begrenzt würde, findet sich vor dem praeoptischen Areal, in der Nähe der Commissura anterior, ein antipyretisches Gebiet, zu dem die dort befindlichen Septumkerne gehören; das antipyretische Gebiet wird wohl von Neuronen innerviert, die das Peptid Vasopressin als Neurotransmitter verwenden: Injiziert man Vasopressin in das Septum, so senkt sich das Fieber; umgekehrt scheinen Krämpfe bei hohem Fieber durch Vasopressin ausgelöst zu werden. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 630; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 443.) Von daher ist die «Regulation der Körpertemperatur . . . ein eindeutiges Beispiel für die integrative Funktion des Hypothalamus bei der Regelung autonomer und endokriner Funktionen sowie von Motivationszuständen. Sie veranschaulicht, wie der Hypothalamus direkt auf das innere Milieu einwirkt oder Signale liefert (die vom inneren Milieu herrühren), um höhere neurale Systeme zu steuern». (irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 630)

β) Sollwerttheorien zur Gewichtsregulation Mit diesem schönen Ergebnis im Rucksack, sollten wir uns nun auf den Weg machen können, um das Geheimnis eines wirklichen «Triebs» zu erforschen: Was ist es mit der Nahrungsaufnahme? Oder, in noch weiter, doch verlockender Ferne: was ist es mit der Sexualität? – Lassen auch sie sich «kybernetisch» erklären? Aufsteigend vom Einfacheren zum Komplexeren, müssen wir unser gewonnenes Wissen als hypothetisches Modell nur auf dieses neue Themengebiet anwenden und sehen, was sich ergibt. Natürlich hat man genau das schon getan, und um es vorweg zu sagen: man lieferte sich selbst ein Exempel dafür, in welch eine Sackgasse die Spielregeln «solider», «systematischer» Forschung in den Naturwissenschaften führen können. Um die Regulation der Nahrungsaufnahme mit den Mitteln der Systemtheo-

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rie deuten zu können, ist als erstes ein Sollwert vonnöten, und tatsächlich scheint das Körpergewicht nach einer bestimmten vorgegebenen Größe eingestellt zu werden. «Die Regelung der Nahrungsaufnahme wird in Tierexperimenten offenkundig, bei denen das Körpergewicht durch Nahrungsentzug oder Zwangsernährung vom Sollwert abweicht», schreiben irving kupfermann und james h. schwartz (Motivation, in: Neurowissenschaften, 630), und sie erläutern diese These mit den Worten: «In beiden Fällen passen die Tiere anschließend ihre Nahrungsaufnahme entsprechend an, bis sie wieder ein altersgerechtes Gewicht erreichen . . . Tiere ‹verteidigen› also ihr Körpergewicht gegenüber Störungen.» Dabei ist freilich sogleich einzuräumen, daß das Körpergewicht, im Unterschied zur Körpertemperatur, die bei allen Menschen in etwa gleich ist, von Person zu Person erheblich variiert und sogar im Verlauf des Lebens ein und derselben Person, je nach den Umständen, trotz gleichbleibender Körpergröße, nach oben oder unten beträchtlich differieren kann. Jeder weiß, wie leicht es ist, über die Weihnachtstage oder in Phasen der Trauer, Einsamkeit und Überbelastung ein paar Kilo Gewicht zuzulegen; umgekehrt können die gleichen Faktoren, je nach individueller Verarbeitung, auch zu einer Verringerung der Nahrungsaufnahme, mithin zu Gewichtsverlust führen. Wenn also das Körpergewicht schon nach einem bestimmten Sollwert reguliert wird, so kann dieser Wert offenbar durch eine Vielzahl von (in der Hauptsache psychischen) Faktoren nach oben oder unten verstellt werden – oder es gibt überhaupt keinen solchen Sollwert, sondern nur einen Regelkreis, «welcher nicht mit einem formalen Sollwertmechanismus operiert, aber trotzdem so funktioniert, als gäbe es Sollwerte». (irving kupfermann – james h. schwartz: A. a. O., 631) Eine solche Theorie des «als ob» klingt nach einer Ausrede, muß es aber nicht sein. So folgt beispielsweise die Fettspeicherung einem Regelkreis ohne Sollwert, aber mit einer negativen Rückkopplung, das heißt, je mehr Fett eine Zelle bereits gespeichert hat, desto weniger Nahrung wird von ihr in Fett umgewandelt; auf diese Weise bleibt die Menge des gespeicherten Fetts im Körper trotz unterschiedlicher Mengen an aufgenommener Nahrung relativ konstant; erst bei einer vermehrten Nahrungsaufnahme über längere Zeit hin wird der Regelkreis der Fettspeicherung sich zu einem neuen «Sollwert» oberhalb des alten verschieben. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 631.) Und es gibt eine weitere, sehr bemerkenswert erscheinende Konstanz: Obwohl das Körpergewicht zwischen den verschiedenen Tierarten sowie zwischen den Individuen ein und derselben Art großen Schwankungen unterliegt, ist doch der Energieaufwand für die Nahrungsauf-

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Abb. B 63: a) Der tägliche Energieaufwand für die Nahrungsaufnahme; b) Bewegung des täglichen Energieaufwandes für die Nahrungsaufnahme bei Hyper- und Hypometabolismus

nahme, gemessen in Kilokalorien (kcal) pro Stoffwechselmasse (= Körpergewicht in Gramm hoch 0,75), erstaunlich gleichbleibend. Nach dieser 1947 von max kleiber (1883 –1976) gefundenen Beziehung ergibt sich für alle Tiere ein Wert von etwa 70 kcal/(Körpergewicht in g)0,75. (Vgl. max kleiber: Body size and metabolic rate, in: Physiological Reviews, 27/1947, 511– 541.) Abb. B 63 a verdeutlicht diesen Sachverhalt bei sehr unterschiedlichen Säugetieren (bei Nagern, Raubtieren, Primaten und Paarhufern) in einer einfachen Graphik. Veranlaßt man Ratten (zum Beispiel durch Zwangsernährung oder durch das Angebot verschiedenartiger besonders schmackhafter Speisen), ihr Gewicht zu erhöhen, so ändert sich das Verhältnis von Energieaufwand für die Nahrungs-

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aufnahme zur Stoffwechselmasse: der Stoffwechselumsatz wird erhöht, die Tiere werden «hypermetabolisch» (griech.: hypér – über, übermäßig; metabállein – eintauschen, umsetzen) und brauchen zur Beibehaltung ihres spontanen Körpergewichts jetzt mehr Kalorien als zuvor; der Quotient liegt dabei über dem Wert von 70 kcal/(Körpergewicht in g)0,75, den man für das neue, erhöhte Körpergewicht erwarten würde; das Umgekehrte gilt für Tiere, deren Körpergewicht auf einen niedrigeren Wert als «normal» eingestellt wurde und die entsprechend hypometabolisch (griech.: hypó – unter, zu wenig) sind. Wie die Graphik in Abb. B 63b verdeutlicht, bewegt sich der tägliche Energieaufwand demgemäß jeweils in Pfeilrichtung nach oben oder nach unten. Auch diese Mechanismen arbeiten darauf hin, ein Gewicht entsprechend der kleiber-Regel wiederherzustellen, da die übergewichtigen Tiere anschließend bei unverändertem Energieaufwand für die Nahrungsaufnahme wieder abnehmen werden, so wie die untergewichtigen bei unveränderter Kalorienzufuhr allmählich wieder zunehmen werden. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 631– 632.) Daraus ergibt sich, daß das Körpergewicht offenbar doch einem Sollwert folgt: eingesetzt in die angegebene Beziehung, muß sich ein Wert von etwa 70 kcal/(Körpergewicht in g)0,75 errechnen lassen. Und das wiederum erklärt die große Schwierigkeit, den Erfolg von Diätkuren zur Gewichtsreduktion auf längere Zeit beizubehalten: Wird das Gewicht gesenkt, so ergibt die kleiberRegel, daß jetzt auch die Kalorienaufnahme langfristig verringert werden müßte, um dem Wert von 70 kcal/(Körpergewicht in g)0,75 zu entsprechen, oder der Sollwert verschiebt sich nach oben. Die Neigung ist deshalb groß, nach Diätkurven zu der einstigen Menge der Kalorienaufnahme zurückzukehren, bis das alte Gewicht wiederhergestellt ist. Manche ehedem übergewichtige Menschen weisen auch nach Jahren noch einen ungewöhnlich niedrigen Stoffwechselumsatz auf; – sie sind hypometabolisch: um ihr Körpergewicht zu halten, müssen sie weniger Kalorien aufnehmen als andere gleichgewichtige Personen. «Ich nehme offenbar vom Atmen zu», beklagte eine Frau diesen Zustand, der sie zur ständigen Vermeidung ehemals gern gegessener Speisen anhielt, wenn sie ihr neues Gewicht weiterhin halten wollte; sie fühlte sich wie lebenslänglich bestraft für ihr früheres Übergewicht. Angenommen also, es gibt tatsächlich einen Sollwert für das Körpergewicht, der die Kalorienaufnahme reguliert, so bleibt die Frage, wie denn diese Regulation vorgenommen wird: – wir benötigen «Meßfühler», die etwaige Abweichungen an bestimmte «Stellglieder» melden. Auch bei der Suche nach ihnen wurden Neurologen mit den (leider) üblichen Läsionsexperimenten an Tieren

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Abb. B 64: Lage des ventromedialen und des lateralen Hypothalamus im Gehirn einer Ratte (im Sagittalschnitt)

fündig. Was im Gehirn muß man zerstören, um Freßsucht (griech.: Hyperphagie) zu erzeugen? Im Jahre 1940 fanden es a. w. hetherington und s. w. ranson bei Experimenten mit Ratten heraus: den ventromedialen Hypothalamus (VMH, von einigen Autoren auch Nucleus ventromedialis genannt). Fortan galt der VMH als das Sättigungszentrum. 1951 dann stellten b. k. anand und j. r. brobeck fest, daß Läsionen des lateralen Hypothalamus (LH) zu vollständiger Nahrungsverweigerung (griech.: zur A-phagie) führen; demnach schien mit dem LH das Freßzentrum entdeckt. Abb. B 64 zeigt die Lage von VMH und LH im Gehirn einer Ratte. Allerdings zeigten neuere Un-

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Abb. B 65: Lage der wichtigsten Hypothalamuskerne im Gehirn einer Ratte (im Horizontalschnitt)

tersuchungen aus den 70er und 80er Jahren, daß der VMH wohl fälschlich als Sättigungszentrum betrachtet wurde. Bei ausgedehnten Läsionen dieses Hirngebiets wird notwendig auch das ventrale noradrenerge Bündel in Mitleidenschaft gezogen, ein Axonbündel, das dicht am VMH vorbeizieht; besonders Fasern, die vom paraventricularen Kern (griech.: pará – neben; lat.: der ventriculus – kleiner Bauch, bauchiger Raum; Hirnkammer; Kern neben dem Hirnventrikel) des Hypothalamus ausgehen, werden unweigerlich mitgeschädigt. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 274.) Abb. B 65 gibt die Lage des Nu-

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cleus paraventricularis nebst der anderen Hypothalamuskerne im Gehirn einer Ratte wieder. Und nun fand man, daß bilaterale Läsionen des ventralen noradrenergen Bündels sowie Läsionen der paraventricularen Kerne für sich bereits Hyperphagie-Symptome hervorrufen, ähnlich denen, die bei VMH-Läsionen auftreten. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 274.) Gleichwohl könnte man, wenn auch in modifizierter Form, bei diesem Befund noch immer an dem Gedanken einer zentralen Regulation der Nahrungsaufnahme durch hypothalamische «Meßfühler» festhalten; doch müßte man diese über Jahrzehnte gepflegte Idee der Neurologie in dieser ihrer methodisch so naheliegenden Form aus einer Reihe von Gründen erheblich abwandeln. Denn zum einen sind die beobachteten Änderungen der Nahrungsaufnahme bei Hypothalamus-Läsionen auf eine Reihe spezieller Faktoren zurückzuführen: Schädigungen im LH können zugleich die Fasern des Trigeminus-Systems betreffen, das Gesicht und Mund durchzieht; bleiben aber die Innervierungen im Gesicht aus, so kann auch das Freßverhalten gestört werden. Größere Läsionen des LH wirken sich möglicherweise auch auf das basale Vorderhirn und das ventrale Pallidum (den unteren Globus pallidus) aus, mit der Folge, daß ehemals attraktive Nahrung geschmacklich als abstoßend empfunden wird. Umgekehrt steigert eine Läsion des VMH die Reaktion auf schmackhafte ebenso wie auf unschmackhafte Nahrung – allein schon dieser Umstand kann (bei entsprechendem Nahrungsangebot) die Symptome der Fettleibigkeit erzeugen. – Manche Experimente sprechen dafür, daß Läsionen im LH den Sollwert der Regulation des Körpergewichts herabsetzen, während VMH-Läsionen ihn heraufsetzen – kein Wunder deshalb, daß der LH als Freßzentrum und der VMH als Sättigungszentrum erscheinen konnten (ohne es zu sein). – Ferner führen Läsionen des VMH zu vermehrter Insulinabgabe, was ebenfalls die Hyperphagie nach derartigen Eingriffen erklären könnte. – Und zudem betreffen LH-Läsionen auch die nigrostriäre Bahn (vgl. Abb. A 9), also jene dopaminergen Fasern, die von der Substantia nigra zum Striatum verlaufen, sowie die dopaminergen Fasern, die dem ventralen Tegmentum entspringen (vgl. Abb. A 9) und zu Strukturen wie zum Beispiel dem präfrontalen Cortex ziehen, die ihrerseits mit dem limbischen System in Verbindung stehen; beides kann an sich bereits zu einer Aphagie führen, wie sie bei LH-Läsionen auftritt. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 633– 634.) Andererseits aber gibt es doch Gründe, die zugunsten der Sollwerttheorie sprechen, und wir sollten sie erwähnen, ehe wir diese Theorie ganz in Frage stellen.

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So demonstrieren chemische Stimulationen von Hypothalamus-Neuronen mit verschiedenen Transmittern nicht nur die zentrale Bedeutung des Hypothalamus bei der Regelung des Freßverhaltens, sie zeigen auch, daß jeder Typ von Nahrung auf besondere Weise reguliert wird. Die Applikation von Noradrenalin am Nucleus paraventricularis zum Beispiel steigert das Eßverhalten insgesamt; wenn aber Tiere zwischen Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten wählen können, bevorzugen sie in diesem Falle eine kohlenhydratreiche Kost; das Neuropeptid Galanin wiederum erhöht den Konsum von Fetten, während Opiate die Aufnahme von Proteinen fördern. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 634.) Als der stärkste Appetitanreger, insbesondere zur Aufnahme von Kohlenhydraten, gilt das Neuropeptid Y (NPY); selbst Tiere, die längst satt sind, fangen wieder wie wild zu fressen an, wenn NPY in ihren Hypothalamus injiziert wird, wo die entsprechenden Rezeptortypen insbesondere im Nucleus paraventricularis verteilt sind. Am intensivsten aber wird die Nahrungsaufnahme durch eine kleine Region um den Fornix (durch das perifornicale Gebiet) zwischen den lateralen und vorderen Hypothalamuskernen vermehrt; Amphetamin und Dopamin indessen unterdrücken, aus Gründen, die wir im nächsten Kapitel (5c) besprechen werden, in gerade dieser Region das Freßverhalten, Läsionen blockieren es sogar. (Vgl. irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 634.) So hätten wir also einen Sollwert für das Körpergewicht sowie Meßfühler, welche die Nahrungsaufnahme nach oben oder nach unten regulieren. Doch worauf genau reagieren die «Meßfühler» im Hypothalamus während einer Mahlzeit? Wichtig neben den genannten Neurotransmittern und Neuropeptiden ist eine Art Hormon (oder Neuromodulator): das Peptid Cholecystokinin (CCK), welches, wie im Jahre 1973 james gibbs, robert c. young und gerard p. smith herausfanden, das Freßverhalten hemmt. (Vgl. Cholecystokinin elicits satiety in rats with open gastric fistulas, in: Nature, 245/1973, 323– 325.) Cholecystokinin wird vom Zwölffingerdarm und vom oberen Dünndarm abgegeben, wenn Aminosäuren und Fettsäuren im Magen-Darm-Trakt anzutreffen sind; zudem wird die Magenentleerung durch Cholecystokinin verlangsamt, und schließlich werden die hemmenden Effekte der Magendehnung verstärkt. Bezeichnenderweise kann Cholecystokinin wohl auch von Neuronen im Gehirn ausgeschüttet werden und das Fressen unabhängig von seiner Sekretion aus dem Darm einschränken. – Umgekehrt können serotonerge Zellen durch Einwirkung auf Muskeln, die an der Nahrungsaufnahme beteiligt sind, das Freßverhalten stimulieren – als Nebeneffekt sozusagen, der mit der

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Erhöhung der allgemeinen Reaktionsbereitschaft über die Beeinflussung der zentralen Motoneuronen durch Serotonin als Neuromodulator einhergeht. (irving kupfermann – james h. schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 635; vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 275– 276.) Mit all dem scheinen wir, wenngleich nach mancherlei Korrekturen, tatsächlich über die wesentlichen Bauteile zu verfügen, die für eine kybernetische Regelung der Nahrungsaufnahme und der entsprechenden Motivationszustände erforderlich sind. Die Sollwerttheorie ist in sich schlüssig, durch vielerlei experimentelle Belege bestätigt und allem Anschein nach gut geeignet, die Regulation des Körpergewichts durch ein System von Sollwert (Energieaufwand), Meßfühlern (Hypothalamus u. a.) und Fehlersignalen aus Gehirn und MagenDarm-Trakt zu erklären. Das Mißliche ist nur: die Theorie kann in dieser Form nicht stimmen! Gegen sie sprechen eine Reihe evolutionsbiologischer Überlegungen sowie zum anderen ein ganze Serie neuerer Forschungsergebnisse.

γ) Anreiz- und Bezugspunkttheorie Bereits auf den ersten Blick ist zu sehen, daß die Sollwerttheorie den Motivationszustand Hunger, ganz wie lorenz es in seiner Trieblehre konzipiert hat, vornehmlich aus Prozessen im Körperinneren abzuleiten sucht: Tiere (und Menschen) essen, wenn sie Hunger haben. Gewiß, so etwas gibt es; aber es kann erkennbar nicht die ganze Wahrheit sein. In einer Umwelt, die ihren Bewohnern – anders als heute das Leben in den Städten der westlichen Welt – fast nie die benötigte Nahrung problemlos zur Verfügung stellt, konnte es sich die Evolution schwerlich leisten, Arten hervorzubringen, die erst mit dem Essen beginnen, wenn sie Hunger haben. Selektiv im Vorteil sind vielmehr bei einer stark schwankenden Versorgungslage Lebewesen, die kalorienreiche Nahrung bevorzugen und davon, sobald vorhanden, soviel wie möglich zu sich nehmen, um sie (in Form von Körperfett) zu speichern. Aus diesem Grunde wohl sind unsere Vorfahren schon auf der Stufe des Homo erectus zur Jagd auf Tiere übergegangen. In den noch zu Beginn des 20. Jhs. intakten Jägerkulturen (etwa der Eskimos auf Grönland oder der Bantus in der Kalahari) ließ sich ersehen, was passierte, wenn einer Stammesgruppe ein größerer Fang geglückt war: die Mitglieder haben so viel auf einmal zu essen versucht, wie sie konnten; sie aßen nicht, weil sie Hunger hatten, sie verschlangen riesige Nahrungsmengen, um nicht hungern zu müssen. Es war das Angebot, das in diesem Falle das Eßverhalten bestimmte. john p. j. pinel folgert daraus: «Jeder von uns ist mit einem Ess- und Gewichtsregulierungssystem ausgestattet, das sich entwickelt hat, um

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Zeiten der Nahrungsknappheit möglichst unbeschadet zu überstehen.» (Biopsychologie, 292) Wenn es sich so verhält, läßt sich gut begreifen, warum in der Welt von McDonald’s derzeit etwa 30% der US-Amerikaner an akutem Übergewicht leiden. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 261.) Mit einer bloßen Sollwerttheorie indessen scheint ein solches Phänomen schwer vereinbar; manche Forscher favorisieren deshalb ein Erklärungsmodell, das als Anreiztheorie bezeichnet wird. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 339– 340; john p. j. pinel: Biopsychologie 226 –267.) Der Anreiztheorie zufolge treibt nicht ein Energiedefizit zum Essen, sondern es ist die Verfügbarkeit oder auch nur schon die Erwartung schmackhafter Nahrung, die ein Hungergefühl aufkommen läßt. Diese Auffassung wird unterstützt durch eine Studie über das Hungergefühl vor Mahlzeiten aus dem Jahre 1991 (stephen c. woods: The eating paradox: How we tolerate food, in: Psychological Review, 98/1991, 488– 505), in welcher die Betrachtungsweise gegenüber der Sollwerttheorie geradewegs umgekehrt wird. Essen, so die theoretische Voraussetzung, belastet den Körper, indem das homöostatische Gleichgewicht der Energiereserven durch die Aufnahme von Nahrung gestört wird; um die Homöostase zu «verteidigen», schüttet der Körper, wenn eine neue Mahlzeit ansteht, bereits im voraus Insulin ins Blut, um den Blutzuckerspiegel zu senken; dadurch entsteht ein Hungergefühl, das uns glauben macht, wir äßen auf Grund eines Energiedefizits, während in Wahrheit der Körper sich nur auf eine Störung des Energiegleichgewichts vorbereitet. Auch in der Anreiztheorie spielt, wie man sieht, die Wahrung der Homöostase eine zentrale Rolle bei der Erklärung des Motivationszustandes «Hunger», doch sozusagen vom genau anderen Ende her, und es gibt Experimente, die diese Ansicht belegen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 267–269.) Der Faktor der Nahrungserwartung wird vor allem durch sogenannte Scheinfütterungsversuche unterstützt; dabei wird einem Tier (einer Ratte üblicherweise) die Speiseröhre durchtrennt, so daß die Nahrung, die es kaut und schluckt, nicht in den Magen gelangt, sondern über eine Sonde aus dem Körper herausgeleitet wird. Da dem Körper auf diese Weise beim Essen keine Energie zugeführt wird, müßte, wenn die Sollwerttheorie zuträfe, das Tier enorme Nahrungsmengen in sich hineinschlingen. Im Jahre 1989 aber fanden harvey p. weingarten und olga t. kulikovsky (Taste-to-postingestive consequence conditioning: Is the rise in sham feeding with repeated experience a learning phenomenon? in: Physiology and Behavior, 45/1989, 471– 476), daß das nicht der Fall ist: die Tiere fraßen vielmehr eine ihnen gewohnte Nahrung in nicht größeren Mengen als sonst auch; lediglich wenn die Nahrung neu war, verzehr-

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ten sie größere Portionen der Scheinkost. Daraus schlossen die Forscher, «dass die Nahrungsmenge, die wir zu uns nehmen, überwiegend von vorherigen Erfahrungen mit der Wirkung dieser speziellen Nahrung nach deren Aufnahme und Verdauung beeinflusst wird und nicht etwa durch den direkten Effekt, den sie auf den Körper ausübt». (john p. j. pinel: Biopsychologie, 270) – Die Frage sei auch hier erlaubt, ob man zu einem solchen Ergebnis nicht auch ohne derartige Tierversuche hätte gelangen können. – Immerhin demonstriert das Experiment, daß Tiere und Menschen nicht einfach essen, weil sie Hunger haben, sondern daß in ihr Eßverhalten unter anderem Lernerfahrungen, Gewohnheiten, kurz: psychosoziale Faktoren, mit eingehen. (Vgl. john p. j. pinel: A. a. O., 269– 270.) Und selbst die seit den 70er und 80er Jahren ohnehin nachkorrigierten Effekte, die man mit Läsionen des ventromedialen Hypothalamus (VMH) und des lateralen Hypothalamus (LH) verbunden hatte, müssen geradezu gegenteilig interpretiert werden: Tiere mit VMH-Läsionen werden, wie sich inzwischen gezeigt hat, nicht übergewichtig, weil sie zu viel fressen, sondern es ist ihre Neigung zur Fettleibigkeit, die sie zu einer übergroßen Nahrungsaufnahme nötigt. Die VMH-Läsionen nämlich führen zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels, was die Produktion von Körperfett (griech.: die Lipogenese) anregt und den Abbau von Körperfetten in nutzbare Energieformen (griech.: die Lipolyse – Fettverdauung) reduziert; beides hängt anscheinend mit der erhöhten Insulinfreisetzung nach einer VMH-Läsion zusammen. Infolgedessen müssen die Tiere (die Ratten) immer mehr fressen, da immer mehr Energie als Fett gespeichert wird und im Blut zu wenig Nährstoffe übrig bleiben. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 274.) Dieser Vorgang also könnte hinter der erwähnten «Verschiebung des Sollwerts nach oben» stehen. Bereits nach diesen Befunden ist der Motivationszustand «Hunger» nicht einfach das Ergebnis einer Spannung, die sich auf Grund innerkörperlicher Prozesse bei Abweichung von einem vorgegebenen Sollwert (einer Homöostase) periodisch bildet; vielmehr spielt das Nahrungsangebot, ja, schon die Erwartung von etwas Eßbarem sowie die Eßgewohnheit eine große Rolle für die Menge der aufgenommenen Nahrung. Der Wirklichkeit näher scheint deshalb ein Modell zu kommen, das man als das «Undichte-Faß-Modell» bezeichnen kann. Danach schwankt das Körpergewicht um einen Bezugspunkt, der dem Niveau entspricht, auf dem die verschiedenen Faktoren, die das Körpergewicht beeinflussen, sich in einem Gleichgewichtszustand befinden; eine entscheidende Annahme lautet, daß eine Zunahme der Fettdepots zu Veränderungen führt, die einer weiteren Fetteinlagerung entgegenwirken, bis die gewichtför-

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Abb. B 66: Die Analogie vom undichten Faß zur Erläuterung des Bezugspunktmodells bei der Körperfettregulation

dernden und die gewichtreduzierenden Faktoren einander ausgleichen. Auf diese Weise kann es zu einer homöostatischen Regulation auch ohne einen Sollwertmechanismus kommen. Abb. B 66 erläutert das Bezugspunktmodell anhand der Analogie vom «undichten Faß». (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 279.) Eine bestimmte Wassermenge (die der verfügbaren Nahrungsmenge entspricht) fließt durch einen Schlauch in ein Faß; an der Düse des Schlauchs entsteht ein Druck (welcher dem Anreizwert der Nahrung analog ist); je größer die Wassermenge (also die aufgenommene Nahrung) ist, die in das Faß (in den Körper) gelangt, desto höher steigt der Wasserspiegel (die Menge des Körperfetts); ein Teil der Wassermenge fließt aus dem undichten Faß (analog zu der verbrauchten Energie) wieder heraus; doch das Entscheidende jetzt: das Gewicht, mit dem das Faß auf den zuleitenden Wasserschlauch drückt, ist der aufgenommenen Wassermenge (dem Sättigungsgrad) analog. Es läßt sich leicht einsehen, daß ganz von selbst (ohne einen Sollwert) ein solches System zu einem Gleich-

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gewicht findet; dieses Gleichgewicht wird sich auf einen neuen Bezugspunkt (auf ein neues Körpergewicht) einstellen, sobald einer der Parameter, etwa der Anreiz der verfügbaren Nahrung (der Druck an der Düse), sich verändert: Geringerer Wasserzufluß läßt den Wasserspiegel im Faß sinken, dann aber drückt das Faß weniger auf den Zuleitungsschlauch, und so fließt wieder mehr Wasser nach; ganz entsprechend treten bei Reduktion der Nahrungsaufnahme Stoffwechselveränderungen ein, die einen weiteren Gewichtsverlust begrenzen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 279 –281.) – Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis haben des weiteren die Untersuchungen zu unserem Trinkverhalten geführt: Experimente zeigen, daß das Trinken zweifellos auftretende Wasserdefizite auszugleichen sucht, daß wir aber auch ohne Wassermangel dazu neigen, Flüssigkeiten nach Anreiz, Gewohnheit oder gesellschaftlicher Gelegenheit zu uns zu nehmen. (Vgl. john p. j. pinel: A. a. O., 281– 290.)

b) Fehlgeleitete Triebe: Fettleibigkeit und Magersucht Es gibt zwei triebhaft zu nennende Fehlverhaltensweisen in der Nahrungsaufnahme, die alle «vernünftigen» an Sollwerten oder Bezugspunkten orientierten Erklärungsmodelle über den Haufen werfen: die Fettleibigkeit (lat.: die Adipositas) und die Magersucht (griech.: die An-orexia – Appetitlosigkeit). Dazwischen liegt die Bulimie (griech.: der Heißhunger, die Freß-Brech-Sucht). Eine ursächliche Erklärung für die Adipositas glaubte man gefunden zu haben, als man im Jahre 1950 in einer Mäusekolonie, die in einem Laboratorium in Maine (USA) gehalten wurde, bei Tieren mit einem extremen Übergewicht fand, daß ein mutiertes Gen (ob, von engl.: obesity – Fettleibigkeit) homozygot (griech.: homós – gleich, das zygón – Joch; reinerbig, so daß die Allele eines Genpaares einander gleich sind) vorlag; diese homozygoten Mäuse bezeichnete man als ob/ob-Mäuse; die Hauptkennzeichen dieser Tiere, die dreimal so viel wogen wie ihre Artgenossen, bestanden darin, daß sie weit mehr Nahrung zu sich nahmen als Kontrolltiere, daß sie Kalorien effektiver in Fett umwandelten und daß sie die Fettkalorien effektiver verwerteten. Im Jahre 1994, als man das ob-Gen entschlüsselte und klonte, wurde deutlich, daß es ausschließlich in Fettzellen exprimiert (lat.: ausgedruckt) wird; das Proteinhormon, das im obGen codiert wird, nannte man Leptin. (Vgl. yiying zhang u. a.: Positional cloning of the mouse obese gene and its human homologue, in: Nature, 372/1994, 425 –432.) An sich ist Leptin ein negatives Rückkopplungs-Signal: je mehr Fett sich in den Depots des Körpers findet, desto höher ist der Leptingehalt im Blut,

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umgekehrt führen Leptininjektionen bei ob/ob-Mäusen zu einer Reduktion der Nahrungsaufnahme und des Körperfetts, und schließlich finden sich im Gehirn Rezeptoren für Leptin. Eine Mutation des ob-Gens also schien die negative Signalwirkung außer Kraft zu setzen. – Dabei ist das Leptin keinesfalls das einzige negative Feedback-Signal der Fettleibigkeit. Schon vorher war von Insulin bekannt gewesen, daß es in Abhängigkeit vom Grad der Adipositas vom Pankreas (griech.: pan – alles, das kréas – Fleisch; die Bauchspeicheldrüse) sezerniert (lat.: secernere – absondern) wird; bei langandauernder Fettleibigkeit droht die Zuckerkrankheit. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 293– 294.) Alles wartete unter diesen Umständen darauf, auch bei Menschen mit Adipositas-Symptomen eine Mutation des ob-Gens zu finden. Um so überraschender war es, als werner f. blum (Leptin: The voice of adipose tissue, in: Hormone Research, 48/1997, 2 –8) fand, daß eine solche genetische Mutation sich bei Adipositas-Patienten nicht nachweisen ließ; es zeigte sich vielmehr, daß – anders als bei ob/ob-Mäusen – auch Leptininjektionen die Fettaufnahme nicht abzusenken vermochten. Als Erklärungsmöglichkeit bleibt seither nur noch die Annahme, daß bei übergewichtigen Menschen die Leptinrezeptoren das Sättigungssignal nicht (mehr) aufnehmen können. Dieser Frage ist nachzugehen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 293 –294.) Doch selbst wenn sich eine Insensitivität (lat.: Nicht-Ansprechbarkeit) der Leptinrezeptoren nachweisen ließe, so scheint es ziemlich unwahrscheinlich, daß damit das Symptom der Adipositas bereits geklärt wäre. Wenn wir soeben noch auf gewisse Lerneffekte und soziale Faktoren bei der Gestaltung des Eßverhaltens hingewiesen haben, so dürften es jetzt gerade diese psychosozialen Komponenten sein, die, weitab von einem einfachen Regelkreismodell, das Übermaß der Nahrungsaufnahme zu begründen helfen. Selbst die Vorstellung, daß ein (in Kindertagen) erlerntes Eßverhalten gradlinig später die Menge der Nahrungsaufnahme bestimme, scheint zu einfach: Keineswegs ergibt sich die Adipositas ohne weiteres und immer durch eine (verwöhnende) Überernährung in den ersten Lebensjahren. Die meisten Leser werden schon erlebt haben, daß es viele Gründe geben kann, den Kühlschrank zu öffnen und Nahrung zu sich zu nehmen: man fühlt sich einer bestimmten Aufgabe nicht gewachsen und ißt sich erst einmal «Stärke» an; oder man ißt, um dem Unlustgefühl einer Frustration etwas «Positives» entgegenzusetzen; oder man verdoppelt gewissermaßen sein Gewicht, um in seiner Einsamkeit den Verlust eines geliebten Partners zu kompensieren; oder man stopft mit Hilfe von Nahrungsmitteln sich den Mund voll, um bestimmte aggressive und kritische Bemerkungen zu unter-

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drücken; oder man hat in Kindertagen Essen als die einzige erlaubte Lustquelle kennengelernt – man ist, in der Sprache der Psychoanalyse, oral fixiert –; kurz, es dürfte unmöglich sein, einen Adipositas-Kranken zu verstehen, ohne sich seine Geschichte erzählen zu lassen und seine Lebenssituation kennenzulernen. (Vgl. e. drewermann: Ein Mensch braucht mehr als nur Moral, 129 –162: Völlerei und Trunksucht.) «Ich war», erzählte eine an Übergewicht leidende Frau vor Jahren, «doch immer der Mülleimer meiner Mutter.» Sie wollte damit sagen: «Ich mußte für alles da sein, was Mutter von mir wollte; ich hatte keine eigenen Wünsche zu haben und keine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich war ein Teil von ihr, ein Instrument in ihrer Hand. Ich hatte kein Ich, außer bei ihr. Von ihr Essen zu bekommen war die Art, Liebe und Verbundenheit zu spüren. Wenn ich aß, war ich mit ihr wieder verschmolzen, dann war ich sie – beschützt und stark.» – Gleichzeitig aber verachtete sich diese Frau für ihre Abhängigkeit und Unselbständigkeit; in gewissem Sinne empfand sie ihre Übergewichtigkeit wie eine gerechte Strafe, die sie selber über sich verhängte: sie schämte sich, auf der Welt zu sein. «Wenn Essen zu einer Belohnung für bestimmte Verhaltensweisen stilisiert wird, gewinnt es einen Selbstzweck, der vom Stoffwechsel entkoppelt wird und bei fehlender Selbstkontrolle zu einer Fettsucht führen kann», schreibt ernst pöppel (Lust und Schmerz, 216). Etwas Ähnliches gilt auch für die Anorexie. Schon die Tatsache, daß die Magersucht überwiegend bei Mädchen in den Jahren der Reifung zur Frau auftritt, weist darauf hin, daß diese Erkrankung des Körpers wie der Seele mit bestimmten gesellschaftlichen Standards von Schönheit und Schlankheit zusammenhängen könnte. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 294.) Wie aber soll die latent suizidale Haltung der Magersucht antriebspsychologisch begründbar sein? Hört man Anorexie-Patienten zu, so ergeben sich eine ganze Reihe von (psychischen) Motiven, die zu einer dramatischen Nahrungsreduktion führen können, und es zeigt sich zumeist, daß der modebezogene Schlankheitswahn allenfalls einen äußeren Anlaß, selten den wirklichen Grund der Anorexie darstellt; dahinter steht weit tiefer ein schweres Schuldgefühl, beim Essen anderes Leben (die Mutter, ein Tier, einen Nahrungskonkurrenten) zerstören zu müssen, und, aufbauend auf solchen «oral-sadistischen» Vorstellungen, breitet sich ein extremes Verlangen nach Autarkie und völliger materieller Bedürfnislosigkeit aus. Alles Körperlich-Triebhafte, insbesondere die Sexualität, muß unter diesen Voraussetzungen als etwas Primitives, Gefährliches, Unzumutbares empfunden werden, gegen das es spätestens in der Zeit des Gestaltwandels zwischen 12 und 16 Jahren mit Totalverweigerung anzukämpfen gilt. (Vgl. e. dre-

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wermann: Strukturen des Bösen, II 243– 247.) Nicht ein kosmetisches Ideal, eher schon ein moralischer Rigorismus, der die kindliche Unschuld vor der Besudelung durch das Leben retten möchte, findet daher in der Magersucht seinen symptomgebundenen Ausdruck. «Essstörungen», meinen verena liebers und christian eggers (Hunger nach mehr, in: Gehirn und Geist, 5/2005, 69), «treten . . . in allen gesellschaftlichen Schichten auf . . . Gerade in Fällen von Magersucht und Bulimie ist die Familie oft gut situiert . . . und wirkt intakt . . . Nicht selten herrscht ein hoher Leistungsdruck: Man richtet sich streng nach gewissen Wertvorstellungen und lebt unangenehme Gefühle wie Wut oder Eifersucht nicht aus.» So richtet die Aggression sich gegen das eigene Ich. Immer wieder muß man den Ekel, die Panik, die Verzweiflung eines Magersüchtigen betrachten, sobald ihm die Waage eine Gewichtszunahme von auch nur 500 Gramm anzeigen sollte, und man vermag den inneren Druck zu ermessen, mit dem ein unerbittlich strenges Überich jedes sinnliche Lustgefühl in einen schweren Vorwurf verwandelt. Mit diesem Überich aber ist der Magersüchtige ebenso verschmolzen wie der Übergewichtige mit seiner zentralen Bezugsperson (in der Regel mit der Mutter): «Ich bin ein guter, liebenswerter Mensch, wenn ich auf alles verzichte», sagt sich der eine; «ich bin ein guter, liebenswerter Mensch, wenn ich brav esse und mich nicht verweigere», sagt sich der andere. Distanz von allen anderen oder Verschmelzung mit allen anderen sind die beiden möglichen Fluchtrichtungen einer fundamentalen Angst vor dem Verschlungenwerden beziehungsweise vor dem Alleinsein, die sich hinter der Anorexie und der Adipositas verbergen. (Vgl. helmut thomä: Anorexia nervosa, 272 –282: Ambivalenz, Objektbeziehung und Identifizierung.) In unserem Zusammenhang bleibt wohl am meisten bemerkenswert die Tatsache, daß in den beiden Erkrankungsformen der Anorexie und der Adipositas der Nahrungstrieb, wenn denn von einem solchen die Rede sein kann, offensichtlich bis zum Lebensgefährlichen eingeschränkt oder ausgedehnt wird. Und diese Tatsache wirft eine methodisch äußerst wichtige, neue Frage auf: Wie kann ein natürliches Bedürfnis in Verneinung wie Bejahung überhaupt suchtähnliche Züge annehmen? Wie vor allem ist es möglich, daß es eine Sucht (die Magersucht) gibt, die darin besteht, ein Triebbedürfnis bis zum Wahnhaften zu ignorieren, so als sei der Körper ein perpetuum mobile, ein Etwas, das sich unaufhörlich bewegt, ohne Energie aufnehmen zu müssen? Es scheint, als stehe die Neurologie theoretisch wie praktisch diesem Problem hilflos gegenüber. Wenn wir vorhin sagten, das Neuropeptid Y (NPY) bilde den stärksten bekannten Appetitanreger, so könnte man zum Beispiel rein neurologisch auf die Idee kommen, just diese Substanz, wie in den entsprechenden Tierversuchen, ganz

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einfach in den Hypothalamus eines Anorexie-Kranken zu injizieren und dann zu sehen, was dabei herauskommt. Doch läßt sich vorhersagen, daß eine solche «Behandlungs»methode eine Katastrophe herbeiführen würde – sie wäre von Anfang an nichts anderes als eine Form von Folter; denn die Persönlichkeitsstruktur eines Magersüchtigen würde die Unterwerfung unter das Diktat der Biochemie nur schwer akzeptieren, vielmehr wäre ein solcher Eingriff durchaus geeignet, die ohnedies vorhandenen suizidalen Tendenzen noch zu verstärken. Um so mehr verheißen an dieser Stelle Psychoanalyse und Daseinsanalyse zwar keinen garantierten Heilerfolg, doch immerhin ein brauchbares Konzept zum Verstehen der psychischen Zusammenhänge. Jede Suchterkrankung wird man tiefenpsychologisch als «eine permanente Prothese für die veruntreute Mutter, für die verlorene Dualunion» betrachten. (leopold szondi: Triebpathologie, I 415) Insofern läßt sich das Suchtmittel (in diesem Falle die aufgenommene oder verweigerte Nahrungsmenge) als eine Art Fetisch betrachten, der materiell eine Liebe ersetzen soll, die seelisch nicht oder nur widersprüchlich erlebt wurde. Wie in dem grimmschen Märchen von Hänsel und Gretel sind da Eltern, die, gezwungen von Armut und Armseligkeit, ihre Kinder wider Willen verstoßen, und sind da Kinder, die wider besseres Wissen immer wieder an einer Liebe sich festzuklammern suchen, die es «eigentlich» geben müßte, doch unter den gegebenen Bedingungen nicht geben kann. (Vgl. e. drewermann: Hänsel und Gretel, 15 –44.) In einer solchen Verschiebung des seelischen Verlangens (nach Liebe) ins Materielle (Essen) auf Grund einer fundamentalen Ambivalenz der Beziehung zwischen Eltern und Kind wurzelt die Unerfüllbarkeit, mithin die Maßlosigkeit, das Suchtartige im Verhalten von Anorexie- und Adipositas-Kranken. Um zu verstehen, wie ein natürliches Triebbedürfnis (Essen, Trinken, Sexualität) sich in Verneinung wie Bejahung suchtartig steigern kann, muß man deshalb mit der Möglichkeit rechnen, daß gerade die Grundvorgänge der Lebenserhaltung zu symbolischen Ausdrucksformen seelischer Bedürfnisse und Bedeutungszusammenhänge genommen werden. Daß es sich so verhält, weiß im Umgang mit Nahrung im Grunde jeder: Gesellschaftliche wie religiöse Feiern zum Beispiel gruppieren sich um mehr oder minder ritualisierte Mahlgemeinschaften, und es ist allein schon der Wunsch, «dabei» zu sein und «dazu» zu gehören, der bei solchen Gelegenheiten die Nahrungsaufnahme weit über das natürliche Maß treiben kann. Eine Sucht wie die Adipositas entsteht, wenn Essen das Dabeisein an einer Stelle ermöglicht, die so lebenswichtig ist wie für ein Kind die Mutter. Neurologisch wird man eine Sucht in den «Belohnungszentren» des mesolimbischen Systems fest-

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machen; anzunehmen ist, daß bestimmte Formen der Nahrungsaufnahme beziehungsweise der Nahrungsverweigerung durch einen (frühkindlichen) Lernprozeß mit einer positiven Bewertung verknüpft (konditioniert) worden sind. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen: Eine Magersucht ist keine Sucht wie Kettenrauchen, und die Adipositas ist nicht eine nur etwas andere Form von Alkoholismus. Natürliche Nahrungsmittel sind keine Drogen, die von sich aus süchtig machen könnten und von denen dann in einem dramatischen und langwierigen Entzugsprogramm wieder entwöhnt werden müßte. Ganz anders als in den Entziehungskuren von Alkoholikern verlieren AnorexieKranke ihre Sucht manchmal so überraschend, wie wenn ein Groschen nach langem Warten und Klopfen in einen rostigen Automaten fiele: plötzlich «beschließen» sie, wieder zu essen – zumindest so viel, als zum Lebensunterhalt nötig. Schaut man nach, was sich (nach vielen Therapiestunden) in diesem Augenblick wirklich ereignet hat, so findet man in aller Regel keine neuen Erkenntnisse in die eigene Vorgeschichte oder in bestimmte bislang unbewußte Zusammenhänge der eigenen Persönlichkeitsentwicklung; passiert ist nur dies: es ist eine Vorstellung aufgetaucht, trotz aller Ängste und Schuldgefühle leben zu dürfen, im Dasein berechtigt zu sein, ja, irgendwie freigesprochen worden zu sein. Kein Medikament, kein Verhaltenstraining vermag dieses Empfinden einer fundamentalen Daseinserlaubnis zu vermitteln; es ergibt sich als Geschenk aus einer persönlichen Begleitung, die das verwirklicht, was symbolisch im Suchtmittel schon immer gesucht wurde. In was für Zusammenhänge sind wir da geraten? Ausgehend von der einfach erscheinenden Frage nach den Mechanismen, die Motivationszustände erzeugen, sind wir (am Beispiel von Kältezittern und Nahrungsaufnahme) in ein merkwürdiges Wechselspiel von Verneinung und Bejahung geraten: Sogar Nahrung muß jemand verneinen, der sich selbst verneint fühlt; umgekehrt ist es möglich, Nahrung zu bejahen, nur um selbst als Person bejaht zu werden. Ist das alles nicht sehr kompliziert gedacht? Besitzen Lebewesen überhaupt einen Spielraum, «verneinen» oder «bejahen» zu können? Gehorcht in seiner ursprünglichsten Form nicht alles dem Prinzip von Lust und Unlust, von Freude und Schmerz? sigmund freud sah im «Lustprinzip» so etwas wie ein Grundgesetz des Unbewußten (Das Ich und das Es, in: Gesammelte Werke, XIII 235 –289, S. 268– 276: Die beiden Triebarten), und es ist zweifellos möglich, dieses Konzept auch auf die Krankheitsformen der Anorexie und der Hyperphagie (griech.: hypér – über; phageı˜n – essen; Eßsucht) anzuwenden. Fragen wir also genauer: Was sagt die heutige Neurologie über Schmerz, Lust und Drogensucht.

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Das Nervensystem wurde notwendig mit der Vielzelligkeit der Lebewesen, so sahen wir, und es diente ursprünglich dem Zweck, Nahrungsquellen zu suchen und Schädigungen zu vermeiden. Der schopenhauersche Gedanke liegt also nicht fern, daß wir zwischen Hunger und Schmerz, solange wir leben, wie eine Maus zwischen den Pfoten einer Katze, hin und her getrieben werden; und am Ende wartet der Tod als der unvermeidliche Preis, der für den Aufstieg zu den «Metazoen» zu entrichten ist. Ihm entgegen steht die sexuelle Fortpflanzung, die einen weiteren wichtigen Schritt in der Evolution des Lebens darstellt und in Form des Geschlechtstriebs als ein machtvolles Motiv des Verhaltens sich geltend macht. Unter diesen Vorzeichen müsse man, meinte arthur schopenhauer, nur «das Leben der meisten Insekten» betrachten, das nichts sei «als eine rastlose Arbeit . . ., um Nahrung und Aufenthalt für die aus ihren Eiern künftig erstehende Brut vorzubereiten, welche dann, nachdem sie die Nahrung verzehrt und sich verpuppt hat, ins Leben tritt, bloß um die selbe Arbeit von vorne wieder anzufangen; dann auch, wie, dem ähnlich, das Leben der Vögel größtentheils hingeht mit ihrer weiten und mühsamen Wanderung, dann mit dem Bau des Nestes und Zuschleppen der Nahrung für die Brut, welche selbst, im folgenden Jahre, die nämliche Rolle zu spielen hat, und so Alles stets für die Zukunft arbeitet, welche nachher Bankrott macht; – da» komme «man nicht umhin, sich umzusehen nach dem Lohn für alle diese Kunst und Mühe, nach dem Zweck, welchen vor Augen habend die Thiere so rastlos streben, kurzum zu fragen: Was kommt dabei heraus?» Und da sei dann «nichts aufzuweisen, als die Befriedigung des Hungers und des Begattungstriebes und allenfalls noch ein wenig augenblickliches Behagen, wie es jedem thierischen Individuo, zwischen seiner endlosen Noth und Anstrengung, dann und wann zu Theil wird. Wenn man Beides, die unbeschreibliche Künstlichkeit der Anstalten, den unsäglichen Reichthum der Mittel, und die Dürftigkeit des dadurch Bezweckten und Erlangten neben einander hält», resümierte schopenhauer, «so dringt sich die Einsicht auf, daß das Leben ein Geschäft ist, dessen Ertrag bei Weitem nicht die Kosten deckt.» (Die Welt als Wille und Vorstellung, 2. Buch, Kap. 28, Sämtliche Werke, III 403) Wenn diese Bilanz bereits aus den

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Faktoren Hunger, Sexualität und Tod sich erstellt, wie dann erst, wenn, als die Vorboten des Todes, noch die Vielzahl möglicher Schmerzen in die Rechnung Eingang findet? Allerdings, so negativ Schmerzen subjektiv auch erlebt werden mögen, sie dienen dem Zweck, den individuellen Organismus vor unnötig großem Schaden zu bewahren und ihn zu Verhaltensweisen anzutreiben, die zur Wiederherstellung körperlicher Unversehrtheit geeignet sind. Ursprünglich stehen sie im Dienste des Lebens, so unerträglich schwer sie es manchmal auch belasten können, und schaut man genau hin, bilden sie insgesamt nur die Kehrseite eben jener Sinneswahrnehmungen, die uns, wenn ungestört, mit einem ständigen Strom wohliger Empfindungen begleiten. Erst wenn Wärme oder Kühlung zu Hitze oder Kälte wird, entsteht aus der Behaglichkeit sensorischer Temperaturwahrnehmungen Schmerz; eine an sich wohltuende Streckung der Glieder kann bei Überdehnung Schaden verursachen; und so geht insgesamt eine Vielzahl von Schmerzempfindungen auf eine bloße Intensitätssteigerung ganz normaler Empfindungen zurück. An sich ist Schmerz daher nur so etwas wie eine Gebühr, die, zumeist selten genug, für den Vorzug gewöhnlichen Wohlbefindens zu bezahlen ist. So paradox es sich auch anhört: der Faktor Schmerz hellt schopenhauers Lebenskalkül nicht unerheblich auf! Wie aber erstellt unser Gehirn die Empfindung Schmerz, und wie stellt es fest, um welch eine Art von Schmerz es sich handelt? Wenn alles in unserem Körper antagonistisch geregelt wird, so kann es nicht wundern, daß auch die Zentren der Schmerzempfindung auf das engste gekoppelt sind mit den Zentren der Lustempfindung.

a) Schmerzbahnen und Schmerzwahrnehmungen Die wichtigste Bahn für Empfindungen aus Haut und Körper stellt die primäre somatosensorische Bahn dar, auch mediales Lemniscussystem (griech.: der le¯mnískos – Schmuckband, Schleife) oder Hinterstrangsystem genannt. Abb. B 67 gibt schematisch den Verlauf von Empfindungen aus Haut und Körper über die primäre somatosensorische Bahn wieder. Empfindungen des Tastsinns, wie etwa Berührung, Druck, sowie Empfindungen aus dem eigenen Körper, wie Gelenkstellungen und Gliedmaßenbewegungen, treten über sensorische Fasern in das Rückenmark ein und ziehen von dort auf derselben Körperseite (ipsilateral) über den Hinterstrang (lat.: den Funiculus dorsalis) aufwärts zu zwei Kernen der Medulla oblongata: zum Nucleus gracilis (lat.: dem schlanken Kern) sowie zum Nucleus cuneatus (lat.: dem keil-

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Abb. B 67: Die primäre somatosensorische Bahn (auch das mediale Lemniscussystem genannt)

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förmig zugespitzten Kern); im medial gelegenen Nucleus gracilis werden die unteren Extremitäten und der Rumpf abgebildet, im lateral gelegenen Nucleus cuneatus der Hals- und teilweise der Kopfbereich sowie die oberen Extremitäten. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 268– 269; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 227–229.) Die Fasern, die von diesen Kerngebieten ausgehen, überkreuzen sich und steigen in einer Bahn auf, die eben den Namen trägt: der Lemniscus medialis (griech./lat.: die mediale Schleife). Diese Bahn ist über Synapsen mit dem ventrobasalen Komplex des Thalamus (genauer: mit dem Nucleus ventralis posterior – lat.: der untere hintere Kern) verschaltet; die thalamischen Ventrobasalkerne ihrerseits projizieren auf den primären somatosensorischen Cortex, den wir bereits als Gyrus postcentralis kennengelernt haben (vgl. Abb. A 5 und A 25). (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 166; 268 –270; john p. j. pinel: Biopsychologie, 215– 217; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 228.) In unserem Zusammenhang von Tastempfindung und Schmerz ist ein Phänomen von Interesse, das als Phantomerlebnis oder als Phantomschmerz bekannt ist und von fast allen Patienten nach der Amputation eines Körperteils berichtet wird. Obwohl der Ausdruck Phantomglied erst 1871 von silas weir mitchell (1829 –1914) eingeführt wurde (vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 161), muß das Phänomen selbst schon bei den ersten chirurgischen Behandlungen in den antiken Hochkulturen aufgetaucht sein. (Vgl. jürgen thorwald: Macht und Geheimnis der frühen Ärzte, 198 –212.) Der amerikanische Dichter herman melville läßt 1851 bereits seinen beinamputierten Kapitän Ahab diesen Schmerz als einen weiteren Beweis für die Möglichkeit der Höllenqual jenseits der Existenz des Leibes anführen. (Moby Dick, CVIII, 724) Und in der Tat: was soll ein Schmerz, der keinen Schaden mehr verhindern kann, doch dafür die Erinnerung an eine längst eingetretene Verletzung für immer festhält? Zwei Erklärungen kommen in Frage. Zum ersten die Hypothese von der corticalen Genese des Phantomschmerzes: nach einer Amputation fehlt dem für die Repräsentation des entfernten Körpergliedes zuständigen Rindenfeld der Input; auf Grund der Neuroplastizität des Gehirns kann eine corticale Fläche, die etwa für Hand und Arm zuständig war, jetzt vom Gesicht übernommen werden (vgl. Abb. A 27); Tränen im Gesicht können so als Tränen auf einem Phantomarm erlebt werden. (Vgl. manfred spitzer: Geist im Netz, 163 –165.) Zum zweiten die Hypothese von der peripheren Genese: danach bilden zum Beispiel «knollige Austreibungen von Nervenendigungen in der Amputationsnarbe» die Ursache des Phantomschmerzes. (manfred spitzer: A. a. O., 166) Ein wichtiges Argument zugunsten dieser zweiten Theorie liegt

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darin, daß bei einer bloßen corticalen Neuorganisation als Erklärung des Phantomschmerzes auch Querschnittgelähmte die gleichen Schmerzerfahrungen zeitigen sollten wie gliedmaßenamputierte Patienten – in beiden Fällen kommt es ja zu einer corticalen Deafferentierung (zu einem Fehlen der Afferenzen, also des Inputs). Tatsächlich aber berichten Querschnittgelähmte nur selten und dann in anderer Weise von Phantomwahrnehmungen als Menschen mit Amputationen. (Vgl. manfred spitzer: A. a. O., 166 –167.) Eine Möglichkeit, beide Erklärungsmodelle miteinander zu verbinden, ergibt sich vielleicht einerseits aus dem Wissen, daß verletzte sensible Nervenzellen eine ungeordnete spontane Aktivität, ein «Rauschen» also, entfalten, sowie andererseits durch Netzwerksimulationen, die zeigen, daß ein solcher deformierter Input (im technischen Jargon: ein «Verrauschen» der Eingangssignale) zur Aktivierung von eigentlich für ihn nicht zuständigen Neuronen führen kann, also zum Beispiel von solchen, die ihres normalen Inputs beraubt sind, aber nach wie vor «die nicht mehr vorhandenen Inputmuster» codieren. (manfred spitzer, A. a. O., 173) In jedem Falle stellt der Phantomschmerz keine Strategie zur Schmerzvermeidung oder Schadensbegrenzung dar, er ist lediglich eine Folge der Art und Weise, wie die Großhirnrinde ihre Lernfähigkeit organisiert – hier um den Preis, niemals wirklich zu lernen, daß es ein bestimmtes Körperglied nicht mehr gibt. Schmerzen dieser Art können das ganze weitere Leben eines Schwerverletzten in eine endlose Qual verwandeln und sollten die Militärs aller Welt (und die Neurologen in den Labors) zu der Frage nötigen, was eigentlich ihnen das Recht gibt, zugunsten irgendwelcher Zielsetzungen anderen Lebewesen, Menschen wie Tieren, eine derartige Pein aufzuerlegen. Wie wichtig die Schmerzwahrnehmung an sich aber für das Überleben ist, zeigt das Fallbeispiel der Studentin Miss C. von der McGill Universität in Montreal, die keinen Schmerz empfinden konnte und im Alter von nur 29 Jahren an schweren Infektionen starb – verursacht wohl durch eine Überbelastung und Entzündung der Gelenke auf Grund der fehlenden Schmerzempfindung. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 221.) Für die Weiterleitung speziell von Schmerz- und Temperaturinformationen gibt es als zweite wichtige aufsteigende somatosensorische Bahn neben dem medialen Lemniscussystem (dem Hinterstrangsystem) das Vorderseitenstrangsystem (lat.: das anterolaterale System). (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 215; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 229 –230.) Abb. B 68 bietet eine schematische Darstellung dieses Vorderseitenstrangsystems zur Weiterleitung der Schmerz- und Temperaturinformationen.

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Abb. B 68: Das Vorderseitenstrangsystem der Schmerzinformation

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Zwar sind viele Einzelheiten noch offen, aber das Grundwissen über die Schmerzbahn ist gesichert: Die Schmerzwahrnehmungen gelangen, gleich ob von der Haut (als Oberflächenschmerz) oder von den Gelenken, Muskeln und Knochen (als Tiefenschmerz), wie somatosensorische Wahrnehmungen sonst auch, zunächst zum Rückenmark und dann nach verschiedenen Umschaltungen zur Großhirnrinde. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 235.) Wie wir es gleich auch für die Angst kennenlernen werden, erfolgt die Weiterleitung von Schmerzempfindungen über zwei Bahnen: eine langsamere und eine schnellere – nur bei der Verarbeitung von Angstimpulsen (und bei Rückmeldung aus dem Immunsystem über den Vagusnerv an das Gehirn; vgl. 2. Bd., C 1 c δ) werden wir etwas Ähnliches kennenlernen. Sobald wir uns verletzen, verspüren wir einen kurzen stechenden, gut lokalisierbaren Schmerz, der dann in einen zweiten Schmerz übergeht, der länger andauernd und ausstrahlend ist. «Der als ‹erster Schmerz› bekannte Schmerz sichert eine sofortige, genau gezielte motorische Reaktion in Richtung des Schmerzgeschehens, erhöht die Sensibilität der an die Verletzung grenzenden Hautareale (Hyperalgesie, sc. griech.: Schmerzüberempfindlichkeit, d. V.) und warnt uns dadurch vor ähnlichen schmerzinduzierenden Reizkonstellationen. Der ‹zweite Schmerz›, verbunden z. B. mit der Schwellung eines Gelenks o.ä., sichert die Aufmerksamkeit auf die notwendige ‹Schonstellung›.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 237) Dabei kann es freilich, wie etwa bei der Lumbalgie (lat.: der lumbus – Lende; griech.: das álgos – Schmerz), im Volksmund als «Hexenschuß» bekannt, leichthin zu einem Teufelskreis kommen: der einmalige stechende Schmerz eines Bandscheibenvorfalls wirkt auf den Muskelbandapparat zurück und erzwingt zur weiteren Schmerzvermeidung eine Schonstellung, die ihrerseits den Schmerz verfestigt; in Fällen wir diesen kann die Einnahme eines Schmerzmittels ausnahmsweise ursächlich wirken, indem sie relativ rasch wieder eine normale Körperhaltung ermöglicht. Ansonsten trifft das Gehirn, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, selbst eine Reihe von Vorkehrungen, um mit Schmerz umzugehen. Die schnell leitenden Schmerzfasern übertragen Informationen mit einer Leitungsgeschwindigkeit zwischen 5 bis 30 m/s; zu diesem Zweck sind sie voll myelinisiert und vergleichsweise dick; demgegenüber sind die langsam leitenden Schmerzfasern (die sog. C-Fasern) nicht myelinisiert und zudem sehr dünn; ihre Leitungsgeschwindigkeit beträgt zwischen 0,5 bis 2 m/s; damit ein Schmerzsignal vom Fuß im Gehirn wahrgenommen wird, können bei Beteiligung dieser letztgenannten Schmerzfasern zwei Sekunden vergehen. «Die schnell leitenden Schmerzfasern und ihre endständigen Rezeptoren versorgen

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lediglich die Hautoberfläche und die Schleimhäute, die C-Fasern hingegen die gesamte Haut und alle Körpergewebe bis auf das Nervensystem des Gehirns selbst, das gegenüber Schmerz unempfindlich ist.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 164) Die Schmerzinformation als solche wird an einer freien Nervenendigung (einem Nocizeptor, einem Rezeptor für Gewebeschädigungen, lat.: die noxa – Schaden, der receptor – Empfänger) der primären sensorischen Schmerzneuronen, also der primären Schmerzbahn, aufgenommen; sowohl die langsam wie die schnell leitenden Schmerzfasern gehen in der sog. Substantia gelatinosa (lat.: der gelatineartigen Substanz) im Bereich des dorsalen Rückenmarks Synapsen mit Nervenzellen ein. «Die meisten dieser Rückenmarksneuronen kreuzen dann auf die andere Körperseite, ehe sie zum Gehirn ziehen, einige bleiben aber auch auf der gleichen Seite.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 166) Die schnelle Schmerzbahn verläuft dabei in enger Beziehung zum Lemniscussystem. Ihre Schaltstellen liegen in der Formatio reticularis des Mittelhirns, und sie endet in zwei Kernen des lateralen Thalamus (vgl. Abb. A. 19): im ventrobasalen Komplex (also im Nucleus ventralis posterior), der auch die Umschaltung von Druck- und Berührungsempfindungen vermittelt, und im Nucleus lateralis posterior (lat.: im seitlichen hinteren Kern); beide Kernbereiche projizieren zur Großhirnrinde. Diese schnelle Schmerzbahn stellt evolutiv einen Neuerwerb dar und trägt deshalb zu Recht den griechisch-lateinischen Namen Tractus neospinothalamicus (griech./lat.: die neue vom Rückenmark zum Thalamus ziehende Nervenfaser). (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 165 –166; solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 55; jochen fanghänel u. a.: Waldeyer – Anatomie des Menschen, 407; john p. j. pinel: Biopsychologie, 216; 218.) Demgegenüber ist die ältere, schon bei einfacheren Wirbeltieren auch ohne Großhirnrinde vorkommende langsame Schmerzbahn, der Tractus palaeospinothalamicus (griech./lat.: die alte vom Rückenmark zum Thalamus ziehende Nervenfaser) komplizierter verschaltet; auch sie bildet Schaltstellen in der Formatio reticularis aus, doch hinzu kommen Verbindungen vor allem im Zentralen Höhlengrau, von dem wir schon sagten, daß es für die Schmerzempfindung und -kontrolle eine große Rolle spielt. Von dort zieht die langsame Schmerzbahn zum Hypothalamus, zu den thalamischen Nuclei intralaminares (lat.: den Kernen, die innerhalb der lamina – der Schicht – liegen) sowie ferner zu Teilen des limbischen Systems, zum Beispiel zur Amygdala. Durch diese Verschaltungen gewinnt der Schmerz offenbar seine emotionale Bedeutung und Erinnerungstiefe. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 165–166.) Wichtig ist, daß bereits die unterschiedliche Geschwindigkeit der Reizwei-

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terleitung eine Information auch über die Art der Schmerzursache enthält: Der helle, stechende Schmerz, der über die schnell leitenden Schmerzfasern weitergegeben wird, geht auf mechanische und thermische Reize zurück, also auf Schnitt- oder Druckverletzungen sowie auf Verbrennungen; demgegenüber sind die langsam leitenden Schmerzfasern polymodal (griech.: polýs – viel; lat.: der modus – Art; auf vielfältige Weise) erregbar «und leiten sowohl mechanische als auch thermische und chemische Schmerzsignale weiter». (monika pritzel: Gehirn und Verhalten, 236) Zudem sind auch die schmerzauslösenden Reize selbst durch ihre Wirkungen und Folgewirkungen für das Gehirn wohl unterscheidbar: Durch mechanische Reize, durch eine Verletzung mit einem scharfen Gegenstand zum Beispiel, werden Kaliumionen aus den zerstörten Zellen abgesondert, die dann als chemischer Reiz auf die Nocizeptoren wirken; eine Druckverletzung, etwa eine Quetschung, verändert die Permeabilität (lat.: die Durchlässigkeit) der Blutgefäße, mit der Folge, daß Serotonin ausgeschieden wird; eine Überdehnung oder Stauchung von Gefäßen erregt die Nocizeptoren in den Gefäßwänden und führt zu einer Ausschüttung von Histamin, das seinerseits eine weitere Abgabe von Serotonin anregt. Auch Entzündungen verändern das biochemische Milieu der Nocizeptoren; so kommt es zum Beispiel zu einer Sezernierung körpereigener Substanzen wie Bradykinin, Prostaglandin und der Substanz P, die sich wechselseitig unterstützen können. «So wird z. B. die Synthese von Prostaglandin durch Bradykinin verstärkt und bei der Erregung nocizeptiver Afferenzen wird Substanz P vermehrt freigesetzt, was seinerseits zu Entzündungsphänomenen führt und die Nocizeptoren weiter sensibilisiert.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 236) («Prostaglandin» geht zurück auf griech.: der prostáte¯s – Vorsteher; lat.: die glans – Eichel; man glaubte, daß Prostaglandin in der Prostata, der Vorsteherdrüse, die den Anfangsteil der männlichen Harnröhre umgibt, gebildet werde; tatsächlich wird die Biosynthese von Prostaglandinen aus Arachidonsäure – einer vierfach ungesättigten Fettsäure – durch Catecholamine sowie durch Acetylcholin, Serotonin, Histamin, ATP, ADP u. a. gefördert; Prostaglandine sind an vielen pathophysiologischen Prozessen beteiligt. Bradykinin, von griech.: bradýs – langsam, die kíne¯sis – Bewegung, zählt zu den Kininen, einer Gruppe von Gewebshormonen, welche u. a. die Gefäßpermeabilität erhöhen und als Entzündungsstoffe schmerzerzeugend wirken.) Die Substanz P wurde 1931 in dem getrockneten Pulver eines Nervengewebeextrakts entdeckt und ganz simpel «Pulver» (engl.: powder) genannt; besser sollte der Name dieser «Substanz P» indessen von Pein (engl.: pain) abgeleitet werden, hat man sie doch als ein spezifisches Peptid in den C-Fasern, also in

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den langsam leitenden Schmerzfasern, gefunden, aber auch in den Schmerzbahnen des Rückenmarks, in den Basalganglien und in der Großhirnrinde; unklar ist allerdings, ob die C-Fasern (die primären sensorischen Schmerzneuronen) an ihren Synapsen im Rückenmark wirklich die Substanz P als Neurotransmitter verwenden oder das schnell erregende Glutamat. Vermutlich setzen die langsam leitenden Schmerzfasern Glutamat als Überträgerstoff ein, während dessen Wirkungen durch die Substanz P moduliert werden. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 164; 166–167.)

b) Körpereigene und künstliche Schmerzkontrolle Ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Schmerzbahnen besteht darin, daß Opiate wie Morphin eine starke hemmende Wirkung auf das langsame Schmerzsystem ausüben, während sie die schnelle Schmerzbahn kaum beeinflussen. Eben deswegen ist der Verlauf der langsamen Schmerzbahn über die in Abb. B 68 sichtbaren Stationen so wichtig; denn an all den Stellen – in der Substantia gelatinosa im Rückenmark, in der Formatio reticularis, im Zentralen Höhlengrau, im Hypothalamus, in den Nuclei intralaminares des Thalamus sowie in der Amygdala und in anderen Regionen des limbischen Systems – befinden sich Opiatrezeptoren (vgl. Abb. A 22); mit anderen Worten: im großen und ganzen sind die Strukturen des langsamen Schmerzsystems identisch mit dem «Lust»-System. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 166–167.) Was diese Tatsache bedeutet, werden wir sogleich sehen. Das Kontrollsystem der Schmerzempfindungen, die über die langsamen Schmerzfasern weitergeleitet werden, ähnelt einem Schleusensystem, das bei auflaufender Flut die «Tore» öffnet, um eine Überflutung der Deiche zu verhindern und einen geregelten Abfluß im «Marschland» zu gewährleisten. Das «Tor» der Schmerzempfindung liegt an der Synapse zwischen der C-Faser, also dem primären sensorischen Schmerzneuron, das den eingetretenen Schaden feststellt, und dem reizempfangenden Rückenmarksneuron, das die Schmerzsignale an das Gehirn weiterleitet; die Übertragung der Information, sagten wir gerade, erfolgt wahrscheinlich durch Ausschüttung von Glutamat aus der Endigung der C-Faser, wobei der Substanz P eine modulierende Wirkung zukommt. Die Hemmung der Übertragung von der Endigung einer Nervenfaser auf ein Zielneuron stellt, wie wir bereits wissen, die klassische Aufgabe von Interneuronen dar, und das rechte Mittel, um Schmerzempfindungen zu mildern, bilden die Hirnopiate (die Endorphine), von denen 1975 als erstes das

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Abb. B 69: Strukturformeln von Methionin-Enkephalin und Leucin-Enkephalin

Enkephalin (griech.: en – innen, die kephale¯ – Kopf) gefunden wurde; john hughes und hans walter kosterlitz (1903 –1996) in Schottland isolierten damals diesen Stoff aus Schweinehirnen. (Vgl. john hughes, hans walter kosterlitz u. a.: Identification of two related pentapeptides from brain with potent opiate agonist activity, in: Nature, 258/1975, 577– 579.) Genauer genommen handelte es sich um zwei sehr ähnliche Stoffe: um Methionin-Enkephalin und Leucin-Enkephalin, die beide aus je fünf Aminosäuren bestehen, also Pentapeptide sind (griech.: pénte – fünf), und sich nur in der fünften Aminosäure unterscheiden. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 161.) Abb. B 69 gibt die Strukturformeln der beiden Enkephaline wieder. Entscheidend ist nun, daß ein spinales (im Rückenmark befindliches) Interneuron Enkephalin ausschüttet und damit die Schmerzübertragung von der Endigung einer C-Faser auf ihr Zielneuron hemmt. Aktiviert werden können die Enkephalin-Interneuronen durch lokale Schaltkreise im Rückenmark, aber vor allem durch absteigende Bahnen im Gehirn; diese wirken mit Hilfe von Serotonin als Transmitter erregend auf die Interneuronen ein und steuern somit (wie eine Schleuse am Priel die einlaufende Wassermenge) die Summe der Schmerzinformationen, die aus dem Rückenmark an das Gehirn weitergegeben

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Abb. B 70: Schmerzkontrolle durch absteigende Bahnen vom Gehirn vermittels der Aktivierung spinaler Enkephalin-Interneuronen

wird. (Vgl. richard f. thompson, Das Gehirn, 167–168.) Abb. B 70 zeigt schematisch die Wirkungsweise eines Enkephalin-Interneurons. Um das Schmerzeingangssystem genauer zu untersuchen, injizierte william d. willis in Texas in die Haut betäubter Tiere den aktiven Bestandteil von Cayenne-Pfeffer – Capsaicin genannt – und fand eine Aktivierung der Neuronen in der Substantia gelatinosa sowie eine deutliche Sensitivierung: die Neuronen reagierten immer stärker; – an einer solchen Sensitivierung dürfte es liegen, daß zum Beispiel Verbrennungen einen anhaltenden heftigen Schmerz hervorrufen, indem bei solchen Verletzungen Stoffe wie Histamin freigesetzt werden, die ähnlich wie Capsaicin wirken könnten. – willis entdeckte des weiteren, daß sich mit Hilfe eines Antagonisten der Glutamatrezeptoren vom Non-NMDA-Typ die Aktivierung der Neuronen blockieren läßt, während durch einen Antagonisten der Glutamatrezeptoren vom NMDA-Typ die Sensitivierung verhindert wird. Aktivierung wie Sensitivierung der Übertragung von Schmerzsignalen durch die Ausschüttung des schnellen Transmitters Glutamat folgt offenbar also denselben molekularbiologischen Mechanismen, wie wir sie bereits bei den Prozessen der Langzeitpotenzierung im Hippocampus

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im Zusammenhang mit Lernvorgängen angetroffen haben. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 168.) Festzuhalten ist also, daß Enkephalin in der Substantia gelatinosa im Rükkenmark schmerzlindernd wirkt, indem es die Schmerzschwelle erhöht; und wichtiger noch, daß das Gehirn über die Enkephalin-Interneuronen und die absteigenden Schmerzkontrollbahnen in einem gewissen Rahmen «entscheiden» kann, wieviel Schmerzinformation es aufnimmt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 167–168.) Die endorphinhaltigen Nervenfasern durchziehen, wie wir wissen, das gesamte Zentralnervensystem, und das Schmerzsignal kann an allen Synapsen der Schmerzbahn gedämpft werden. Die Endorphine, also die körpereigenen Opiate, übernehmen dabei bezüglich der Schmerzmodulation in den unterschiedlichen Gehirnregionen verschiedene Aufgaben: «Im Rükkenmark und im Hirnstamm sind sie . . . vorrangig an der direkten Modulation der Schmerzwahrnehmung beteiligt . . . Im Zwischenhirn scheint ihre Hauptaufgabe . . . zu sein, eine Verschiebung der selektiven Aufmerksamkeit bei der Beachtung sensorischer Reize zu bewirken. Im Telencephalon schließlich wird die bewusste Kontrolle über Verhaltensweisen moduliert, die mit Schmerz in Zusammenhang stehen (z. B. Furcht oder Angst). Sensorische und motivationale Aspekte der Aufmerksamkeit des Schmerzgeschehens werden vom Telencephalon aus ebenso moduliert wie das Gedächtnis für Schmerz.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 243) Entsprechend verwundert es nicht, daß – nachdem michael j. kuhar 1975 ein Verfahren entwickelt hatte, mit dessen Hilfe sich die Rezeptoren von Neurotransmittern unter dem Mikroskop sichtbar machen ließen – sich zeigte, daß die Opiatrezeptoren im Gehirn tatsächlich in gerade jenen Teilen des limbischen Systems verteilt sind, die wir schon als das «Lust»- und «Schmerz»-System kennengelernt haben (vgl. Abb. A 22). Eine besonders hohe Dichte an Opiatrezeptoren befindet sich vor allem in der Amygdala und im Hypothalamus, mit dem die Amygdala über ein als Stria terminalis (lat.: der Endstreifen) bezeichnetes Faserbündel verbunden ist und über den sie zugleich auch die Hypophyse kontrolliert. Hier, in der sogenannten «Streßachse», die wir bei den Themen Angst und Ärger noch genauer kennenlernen werden, verknüpfen sich Schmerzempfindung, emotionale Bewertung, Hormonausschüttung und entsprechendes Verhalten. Interessanterweise antwortet das Gehirn auch auf manche Formen von Streß mit der Ausschüttung von Endorphinen, so daß ein merkwürdiger Zusammenhang entsteht, indem langer Schmerz Streß verursacht, während der Streß an sich schmerzdämpfend wirkt. Recht hatte daher der römische Philosoph seneca (um 4 v. Chr. – 65 n. Chr.), als er sich selbst und

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seinem Freund Lucilius versicherte: «Niemand kann stark Schmerz empfinden und lange; so hat uns in ihrer Güte die Natur veranlagt, daß sie den Schmerz entweder erträglich oder kurz macht.» (An Lucilius Briefe über Ethik, IX 78,7, in: Philosophische Schriften, IV 131) Derselbe Mechanismus der Schmerzdämpfung kann allerdings auch umgekehrte Effekte zeitigen: Streß zum Beispiel, der eine Überreaktion der Immunabwehr begünstigt, kann dazu beitragen, die Durchblutung zu vermehren und durch die sich dann ansammelnde Gewebeflüssigkeit schmerzhafte Schwellungen zu verursachen – mithin den Schmerz weiter zu steigern (vgl. streßbedingte Autoimmunerkrankungen, 2. Bd., C 1 c β). Eine hohe Konzentration von Opiatrezeptoren findet sich des weiteren im Locus coeruleus (lat.: im himmelblauen Ort), von dem wir schon wissen, daß seine Neuronen Noradrenalin als Neurotransmitter verwenden, eine Substanz, die vor allem mit Flucht- und Angriffsverhalten in Verbindung gebracht wird. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 52– 58; richard f. thompson: Das Gehirn, 159–160; 166 –167; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 425; 515; 528.) Dicht verteilt sind die Opiatrezeptoren auch im mittleren Teil des Thalamus, und das nicht ohne Grund: der laterale Thalamus übermittelt Druck- und Berührungsreize (vgl. Abb. B 67) und dient als Schaltstelle für die schnelle Schmerzbahn (stechender Schmerz, vgl. Abb. B 68); der mediale Thalamus übermittelt die starken, dumpfen, brennenden und langsam beginnenden sowie länger andauernden Schmerzen; gerade hier, genauer in den gleichfalls zum limbischen System gehörenden Nuclei intralaminares, finden sich «passenderweise» deshalb Opiatrezeptoren. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 166 – 167.) Ebenfalls im Zentralen Höhlengrau, am Rande des Aquaeductus cerebri, sind die Opiatrezeptoren dicht konzentriert; tatsächlich läßt sich durch eine elektrische Reizung des Zentralen Höhlengrau eine weitgehende Schmerzunempfindlichkeit herbeiführen. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 57; john p. j. pinel: Biopsychologie, 222– 223; richard f. thompson: Das Gehirn, 166–167; burkhart bromm: Das Lächeln des Fakirs, in: Gehirn und Geist, Dossier: Psyche und Gesundheit, 1/2004, 76– 83.) Nach allem, was wir jetzt über Schmerzwahrnehmung, körpereigene Opiate und Opiatrezeptoren im Gehirn wissen, sind wir wohlvorbereitet, einiges über Opiate als Schmerzmittel in der Medizin zu hören. Das klassische schmerzlindernde Mittel ist Opium, ein Extrakt des Schlafmohns, von dem anscheinend bereits die Sumerer um 4000 v. Chr. Kenntnis hatten und das schon von galen im 2. Jh. n. Chr. bei Kopfschmerzen, Gallenbeschwerden, Koliken und Nieren-

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steinen verabreicht wurde. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 39; zur Geschichte der Opioide vgl. auch robert m. julien: Drogen und Psychopharmaka, 253– 254.) Doch trotz dieser langen Vertrautheit mit dem sonderbaren Stoff, dauerte es bis 1803, daß es dem damals erst 20jährigen friedrich wilhelm sertürner (1783 –1841) gelang, eine Substanz aus dem Schlafmohn zu isolieren, die etwa 10 % des Gesamtgewichts der Pflanze ausmacht und die er wegen ihrer Wirkung zu Ehren des griechischen Gottes der Träume (Morpheus) Morphin nannte. Besondere Bedeutung erlangte das Morphin als Behandlungsmittel seiner Wasserlöslichkeit wegen; denn als alexander wood (1817–1884) im Jahre 1853 die erste «hypodermische Spritze» (griech.: unter die Haut gehend) erfand, konnte man das Mittel injizieren (statt es oral zu verabreichen). «Der erste Siegeszug des Morphins als injizierbares Analgetikum (griech.: an – nicht; das álgos – Schmerz; schmerzlinderndes Mittel, d. V.) begann im amerikanischen Bürgerkrieg (sc. von 1861–1865, d. V.) und im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Tatsächlich kehrten so viele Bürgerkriegsveteranen als Morphinisten zurück, daß die Morphinabhängigkeit als ‹Soldatenkrankheit› tituliert wurde.» (solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 43) Man kann vielleicht auch sagen, daß der Wahnsinn der Gesellschaft in Gestalt immer barbarischerer Kriege schon im 19. Jh. einen Grad erreicht hatte, dessen körperliche und seelische Traumata sich nur noch mit der allesbetäubenden Wirkung von Opiaten ertragen ließen. – Im Vietnam-Krieg rund 100 Jahre später sollte sich auf seiten der US-Amerikaner dasselbe wiederholen: 10 000e von Soldaten wurden heroinabhängig; seither hat die ganze Welt ein «Drogenproblem» in der Grauzone von Beschaffungskriminalität, Waffenschmuggel, Prostitution – und dem Zwang ganzer Landstriche (wie in Afghanistan, Kolumbien, Bolivien), ihre wirtschaftliche Verelendung durch dieses besonders lukrative Anbauprodukt zu kompensieren. (Vgl. eric frey: Schwarzbuch USA, 375– 383.) Chemisch betrachtet ist Heroin ein Derivat des Morphin, das schneller die Blut-Hirn-Schranke überwindet als ersteres, da es über zwei Acetylgruppen (H3CCO) verfügt, welche seine Fettlöslichkeit erhöhen; im Gehirn scheint es dann in Morphin umgewandelt zu werden. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 42– 43; richard f. thompson: Das Gehirn, 159 –160.) Abb. B 71 gibt die Strukturformeln von Morphin und Heroin wieder. Morphin führt dazu, die Schmerzen subjektiv unterzubewerten: «Der Schmerz ist noch da, aber er macht . . . nichts mehr aus.» «Derartige Veränderungen in der Schmerzwahrnehmung müssen in den höheren Zentren des Gehirns zustande kommen.» (solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 55; vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 159 –160.) «Die eindrucksvolle Häufung

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Abb. B 71: Strukturformeln von Morphin und Heroin

von Opiatrezeptoren im limbischen System», faßt solomon h. snyder (Chemie der Psyche, 58) diesen Befund zusammen, «legt eine allgemeine Erklärung für die durch Opiate hervorgerufenen emotionalen Veränderungen nahe, besonders für die euphorischen Rauschzustände nach Heroininjektionen.» Die Art dieser «Euphorie» ist im wesentlichen ein Gefühl der Unerreichbarkeit, des «Das bedeutet mir alles nichts». Von «stoned» (engl.: versteinert) sprachen denn auch die Vietnam-Krieg-Soldaten, wenn sie unter dem Einfluß von Heroin «Heldentaten» vollbrachten, die sich einzig durch die vollkommene Ausblendung jeglicher Gefahr ergaben. Sie hatten keine Angst mehr, sie empfanden keinen Schmerz, sie kannten weder Reue noch Schuldgefühle. – «Auf meinem Körper Blut, auf meiner Seele Eis» beschrieb der Sänger leonard cohen (geb. 1934) diesen Zustand. (The butcher – der Schlachter, in: Songs of Leonard Cohen, 96) Man begreift, wieso Morphin und Heroin in Situationen, die selber krankhaft sind, wie Medikamente für die Seele eingenommen werden können. Doch kann man nicht wenigstens verhindern, daß aus Notmedikationen ein Suchtverhalten sich entwickelt? Schließlich sind die Opiatrezeptoren im Gehirn nicht gerade dafür geschaffen worden, Morphin und Heroin zu binden; daß diese Drogen überhaupt an die Opiatrezeptoren andocken können, liegt allein an der Ähnlichkeit ihrer Rezeptorbindungsstelle mit derjenigen der Enkephaline, die sich eigentlich nach dem Schlüssel-Schloß-Prinzip an die Opiat-

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Abb. B 72: Die lokale Strukturähnlichkeit (im unteren linken Teil) von Morphin und Methionin-Enkephalin

rezeptoren anheften. Abb. B 72 macht diese Ähnlichkeit zwischen Morphin und Methionin-Enkephalin deutlich. Ist es unter diesen Umständen nicht naheliegend, die so einfach aufgebauten Enkephaline synthetisch herzustellen und dann als Allheilmittel gegen Schmerzen des Körpers wie der Seele auf den Markt zu werfen? Nicht nur die Drogensucht würde sich damit womöglich wirksam bekämpfen lassen, es warteten, wenn dies gelänge, auf die «marktführenden Firmen» zugleich unermeßliche Unternehmergewinne. In der Tat begann der «Run» (engl.: der Verdrängungswettlauf) der Konzerne in den 80er Jahren. «So gut wie jeder größere Pharma-

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produzent in Europa und den Vereinigten Staaten stellte Forschungsteams für die Aufgabe ab, Tausende von Enkephalinderivaten zu synthetisieren und auf ihre analgetische Wirkung zu testen.» (solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 65) Doch die Sache erwies sich als schwieriger denn gedacht. Enkephalinderivate zu entwickeln, die nicht sogleich enzymatisch abgebaut werden (die also «stoffwechselstabil» sind) und somit in Tablettenform über den Magen aufgenommen werden können, gelang noch relativ einfach. Aber was sollte man mit den positiven und negativen Ladungen anfangen, die alle Peptide aufweisen und die sie daran hindern, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren, also «liquorgängig» zu sein? Nach längerem Gebastel fand man Wege, die Gesamtladung einiger künstlicher Enkephaline zu verringern, mithin die gewünschte Liquorgängigkeit zu ermöglichen; ja, es gelang auch, die Aufnahme dieser speziellen Derivate (lat.: derivare – ableiten; eine chemische Verbindung, die aus einer anderen synthetisiert ist) über den Magen ins Blut zu bewerkstelligen; und doch war das Gesamtergebnis nicht gerade «berauschend». Denn während die körpereigenen Enkephaline an den Opiatrezeptoren durch peptidabbauende Enzyme rasch zerstört werden, erzeugen die stabileren synthetischen Enkephalinderivate genau den Effekt, den man mit ihrer Herstellung eigentlich hatte vermeiden wollen: sie machen genauso abhängig wie Morphin; und zudem zeigten sich die pharmazeutisch hergestellten Derivate dem Morphin als Schmerzmittel klar unterlegen. – Die therapeutischen Einsatzmöglichkeiten von Enkephalinderivaten sind also recht begrenzt. Immerhin setzt man einige von ihnen zum Beispiel als Ersatzpräparate für die Opiumtinkturen ein, mit denen man früher Durchfallerkrankungen (die Diarrhöe, griech.: diarreı˜n – hindurchfließen) behandelte und dabei in Kauf nehmen mußte, daß das Morphin die Blut-Hirn-Schranke überwand und seine charakteristischen Wirkungen im Gehirn zeitigte. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 56– 67.) Eine Alternative zum Einsatz von künstlichen Endorphinderivaten in der Schmerztherapie stellt vielleicht die fernöstliche Akupunktur dar, indem sie gezielt die körpereigene Endorphinausschüttung zur Schmerzbetäubung nutzt. Dieser Behandlungstechnik liegt die Vorstellung zugrunde, daß durch Stimulation bestimmter Punkte auf der Haut mittels vibrierender Nadeln sich die Funktion entsprechender innerer Organe beeinflussen läßt. «Der Akupunkturreiz verursacht . . . die Ausschüttung von Enkephalin», das «zu einer Hemmung der elektrischen Erregbarkeit der weiterleitenden Nervenzellen führt.» (susanne kemmer: Die Nadel-Probe, in: Gehirn und Geist, 7– 8/2005, 35) «Die Ergebnisse der Akupunkturtherapie sind bei Schmerzpatienten mit Ner-

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venverletzungen besonders vielversprechend. Nicht selten wirkt die Behandlung einen Tag oder sogar länger.» (lars terenius: Schmerz und körpereigene Morphine, in: Kenneth A. Klivington: Gehirn und Geist, 165) Das ist unter Umständen schon sehr viel, doch nicht alles. Eine grundlegende Heilmethode versucht derzeit johann bauer in München aus der Akupressurdiagnostik zur Behandlung der langdauernden, oft sehr schmerzhaften und meist für untherapierbar gehaltenen Fibromyalgie zu entwickeln. Fibromyalgie ist durch chronische Schmerzen in Muskeln und Sehnen gekennzeichnet – daher der Name (von lat.: die fibra – Faser; griech.: der mys – Muskel; das álgos – Schmerz); ausgelöst werden kann sie durch ein körperliches oder seelisches Trauma (griech.: eine Verwundung). Eine ursächliche Begründung der Erkrankung könnte in einem Serotoninmangel liegen, doch ist die Frage nicht geklärt. (Vgl. johann bauer: Fibromyalgie, 60 –61.) Untersuchungen der 18 sogenannten Tenderpoints (engl.: Empfindlichkeitspunkte), mithin der druckschmerzhaften Stellen, die über den ganzen Körper verstreut sind, zeigen den Schweregrad der Schmerzen bei einer Fibromyalgie auf und geben Aufschluß auch über die Schmerzverteilung. Kennzeichnend für das myofasziale Schmerzsyndrom aber sind die Triggerpoints (engl.: die Auslöserpunkte) – strangförmige Muskelverhärtungen mit ausstrahlenden Schmerzen. (Vgl. johann bauer, A. a. O., 24 –25.) 1977 zeigte ronald melzack (u. a.: Trigger points and acupuncture points for pain: correlations and implications, in: Pain 3/1977, 3– 23), daß diese Triggerpunkte weitgehend mit der Lage von Akupunkturlöchern übereinstimmen – Engstellen der Anatomie, durch welche die Nerven, begleitet von einer kleinen Vene und einer kleinen Arterie, hindurchtreten. bauer nun fiel auf, daß die Akupunkturlöcher «verkleben» können und dann zu chronisch schmerzhaften Fernwirkungen führen. (Vgl. johann bauer: Fibromyalgie, 105–108.) «Möglicherweise», schreibt er, «könnte es sich (sc. bei den verklebenden Substanzen, d. V.) um Eiweißkörper wie die Substanz P handeln, die bei Fibromyalgie-Patienten in der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) vermehrt nachweisbar ist. Der Liquor fließt über die peripheren Nerven ab und wird von den Nervenenden ‹ausgeschwitzt›. Es wäre durchaus denkbar, dass die Substanz P wie im Bereich der entzündeten Engstellen abgelagert oder angereichert wird und wie ein ‹Kleber› an den Akupunkturlöchern wirkt.» (johann bauer: A. a. O., 109) Durch einen relativ geringfügigen operativen Eingriff scheint unter diesen Voraussetzungen eine kausale Behandlung der Fibromyalgie möglich. Obwohl bauers Methode in der Ärzteschaft derzeit umstritten ist, hat sie zwischen 1990 bis 2000 über 350 Patienten (vier Fünftel aller Behandelten) von den Beschwerden einer sonst aussichtslos anmu-

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tenden Dauerschmerzbelastung weitgehend bis vollständig befreien können (vgl. johann bauer : A. a. O., 149); «wissenschaftliche Anatomie und jahrtausendealtes chinesisches Heilwissen» scheinen sich in dieser Methode wechselseitig zu ergänzen und zu bestätigen. (johann bauer: A. a. O., 141) Einen Vorteil besitzt die Akupunkturmethode bzw. die operative Schmerzbehandlung allemal gegenüber den üblichen medikamentösen Anwendungen: sie ist kein bloßes Palliativmittel (lat.: das pallium – Mantel; die Beschwerden «bemäntelndes», also linderndes, aber die Ursachen nicht bekämpfendes und heilendes Mittel), und sie macht nicht abhängig. Gerade die Gefahr der Abhängigkeit ist bei allen schmerzlindernden Mitteln (bei den An-algetika, griech.: an – nicht, das álgos – Schmerz) im Falle eines chronischen Schmerzablaufes gegeben.

c) Sucht und Suchtmittel Offenbar genügt es, Morphium eine Zeitlang einnehmen zu müssen, und die Gefahr der Abhängigkeit, ja, der Sucht, scheint schwer vermeidbar. Es sind die typischen drei Schritte, die in ein drogeninduziertes Suchtverhalten führen. Als erstes bildet sich eine Toleranz aus: der Körper gewöhnt sich an eine bestimmte Substanz und reagiert zunehmend vergleichbar schwach auf ihre Aufnahme. (Beim Alkohol zum Beispiel spricht man in dieser Phase von «Trinkfestigkeit» und hält sie in manchen patriarchalisch organisierten «kulturtragenden» Bürgervereinen für ein rühmenswertes Zeichen reifer Männlichkeit.) Um die frühere Wirkung des Suchtmittels zu erzielen, muß bei eintretender Toleranz die Dosierung immer weiter erhöht werden. Die Folge ist zum zweiten eine zunehmende Abhängigkeit – es geht nicht mehr «ohne». Die dritte Stufe bildet die eigentliche Sucht: das Leben beginnt um die Droge zu kreisen, zu deren Beschaffung nunmehr jede geeignete Maßnahme als unbedenklich erscheint. Es ist dabei nicht nur der Zwang der mittlerweile biochemisch verankerten Bedürftigkeit, der dazu nötigt, etwaige Hindernisse mit allen Mitteln aus dem Weg zu räumen, es ist vor allem die psychische Enthemmung, die sogar bis dahin sehr sensible und fürsorgliche, sozial engagierte, hochmotivierte und moralische Charaktere fortan «über Leichen gehen» läßt. Wenn schon eine spätere «Entziehungskur» entsetzliche Qualen hervorruft und zum Beispiel im Falle der Heroinabhängigkeit nur mit von außen verfügter Gewalt unter gefängnisähnlichen Bedingungen vonstatten gehen kann, so stellt hernach die Reorganisation der «durchlöcherten» Persönlichkeit eine zumeist noch schwierigere Aufgabe dar.

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Morphin und Heroin – in gewissem Sinne auch Alkohol – sind Drogen, von denen eine (schmerz)lindernde, dämpfende Wirkung ausgeht. Es ist aber unter Umständen eher wünschenswert, oft sogar lebenrettend, auf Schmerz und Unlust ganz im Gegenteil «psychoaktivierend» zu antworten. Bereits die Noradrenalinausschüttung über die Streßachse soll ja gerade eine solche «sthenische» (kraftvolle, griech.: das sthénos – Kraft) Reaktionsweise vorbereiten. Nicht «Betäubungsmittel», sondern «Aufputschmittel» (Stimulantien, lat.: stimulare – antreiben) wären, wenn überhaupt, in diesem Falle gefragt. Besonders Cocain und Amphetamin spielen als Medikamente und Drogen mit einer solchen Wirkung eine große Rolle. Wohl jede Kultur besaß und besitzt ihre Rauschmittel; speziell das Cocain aber kann auf eine besonders großartige Geschichte zurückblicken, galt es doch in der Kultur der Inkas als eine Gabe des Sonnengottes an die Herrscherfamilie und an die Priesterschaft, bis dann die Spanier im 16. Jh. die Brauchbarkeit der Blätter des Coca-Strauches (Erythroxylum coca) zur effektiveren Ausbeutung der Indios bei der Arbeit in den Goldminen erkannten. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 127.) Der Grund: Cocain erhöht ersichtlich die physische Belastbarkeit, dämpft das Hungergefühl und erzeugt eine euphorische Stimmung. – Die medizinische Nutzung des Cocain setzte ein, als es im Jahre 1860 albert niemann (1834 –1861) gelang, reines Cocain aus den Blättern des peruanischen Strauches zu gewinnen. Insbesondere sigmund freud beurteilte Anfang der 80er Jahre des 19. Jhs. die Wirkung des Cocain als eines stimmungaufhellenden Schmerzmittels überaus positiv; erst die bittere Erfahrung mit seinem Vertrauten ernst fleischl von marxow (1846 –1891), dem er 1884 wegen großer Schmerzen nach einer Daumenamputation anstelle von Morphin Cocain verschrieben hatte und der daraufhin nach einer kurzen Phase glücklichster Gestimmtheit in so schwere Depressionen fiel, daß er schließlich Selbstmord beging, machte freud die Gefahr des neuen Wundermittels bewußt. Es handelte sich um eine der ersten Cocainpsychosen der Medizingeschichte. (Vgl. solomon h. snyder: A. a. O., 130 –132.) Dabei hatte freud wie nebenbei auch eine ganz andere Wirkung des Cocain entdeckt, die für ein «Aufputschmittel» geradewegs paradox erscheint: Als er es zum ersten Mal einnahm, bemerkte er, wie seine Zunge taub wurde, und er überlegte, ob dieser Effekt sich nicht für lokale Narkosebehandlungen verwenden ließe. Tatsächlich stellte sein Kollege karl koller (1857–1944) im gleichen Jahr noch, also 1884, den Einsatz von Cocain zur Lokalanästhesie (lat.: der locus – Ort; griech.: die an-aísthe¯sis – Wahrnehmungslosigkeit; örtliche Betäubung) vor allem bei Augenoperationen vor; ein solches Mittel ist für chir-

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urgische Eingriffe an den Augen unverzichtbar, weil die Augen sich selbst bei Vollnarkose weiter bewegen – die REM-Schlaf-Phasen in Verbindung mit Traumerlebnissen stellen in gewissem Sinne nur eine Steigerung dieses Phänomens dar. In den USA war es william halsted (1852 –1922), der die lokale Anästhesie einführte, indem er mit Hilfe von Cocaininjektionen in periphere Nerven die Erregungsleitung in das Gehirn blockierte. Bis heute wird die Lokalanästhesie besonders bei Augen- und Zahnbehandlungen verwendet, wobei seit 1905 allerdings das synthetische Cocainderivat Procain in Gebrauch ist, für das sich die kosten- und zeitaufwendige Extraktion des Cocain aus Coca-Blättern erübrigt und das vor allem weniger stimulierend wirkt. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 132–133; zur Geschichte des Cocains vgl. robert m. julien: Drogen und Psychopharmaka, 135 –137.) Abb. B 73 zeigt die Strukturformeln von Cocain, Procain und zwei weiteren Cocainderivaten, die heute zu den wichtigsten Lokalanästhetika zählen. Die Frage stellt sich natürlich, wie es möglich ist, daß ein und dasselbe Mittel mal als Stimulans, mal als Analgetikum wirksam ist; eine Antwort darauf wurde erst möglich, als man in den letzten Jahrzehnten die Vorgänge an den noradrenergen und dopaminergen Nervenbahnen aufzuhellen vermochte; dadurch wurde nicht nur die Wirkungsweise von Stimulantien wie Cocain und Amphetamin verständlich, sondern es eröffneten sich auch neue Einsichten in die möglichen Ursachen der Schizophrenie. Im Unterschied zum Cocain wurde Amphetamin von vornherein aus therapeutischen Gründen entwickelt, und zwar um ein Medikament gegen Asthmaerkrankungen zu finden. Am nächstliegenden ist es, im Kampf gegen Asthma die Wirkung des Adrenalin auszunutzen, das als körpereigenes Hormon vom Nebennierenmark im Falle einer Streßreaktion ausgeschüttet wird; denn um auf eine akute Gefahr rasch reagieren zu können, erhöht das Adrenalin die Muskelaktivität, und um diese zu gewährleisten, müssen die Atemwege erweitert werden; diese Erweiterung der Bronchien, die das Adrenalin ermöglicht, beseitigt in einem Nebeneffekt die Atemnot, die das Asthma mit seiner anfallartigen Atemwegsverengung auslöst. Das Problem ist nur, daß Adrenalin nicht in Tablettenform verabreicht werden kann, da es in Magen und Darm zu schnell abgebaut und der Rest anschließend zu schlecht resorbiert wird. Deswegen begab man sich erneut auf die Suche nach synthetischen Derivaten. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 134.) Der erste Schritt auf dem Wege dahin gelang in den 20er Jahren k. k. chen, indem er aus der Ephedra vulgaris, einer traditionellen chinesischen Heilpflanze, einen Extrakt herstellte, dessen wirksame Komponente dem Adrenalin ähn-

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Abb. B 73: Die Strukturformeln von Cocain und von drei seiner Derivate, die als Mittel zur Lokalanästhesie verwandt werden

lich war und der man den Namen Ephedrin gab. Da Ephedrin oral (von lat.: das os – Mund; durch den Mund) eingenommen werden kann, wurde es bald zu dem wichtigsten Asthmamedikament; die Pflanze, aus der es gewonnen wurde, war allerdings zu selten, um die Produktion dieses Mittels in industriellem Stil aufzunehmen. In den 30er Jahren dann war es gordon alles, der einen künstlichen Ersatz des Ephedrin synthetisierte, den er Amphetamin nannte und der

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über die Lungen inhaliert werden konnte. Unter der Markenbezeichnung Benzedrin kam das Amphetamin in den Handel und wurde mit Hilfe von Inhalatoren der Eigenbehandlung von Asthmatikern zugänglich gemacht. Doch was man dabei weitestgehend unterschätzte, war die Wirkung dieses Stoffes als eines Aufputschmittels, das Übermüdungszustände mühelos aufzuheben schien und zu ungeahnten Leistungen befähigte: Die Suchtgefahr bei der Einnahme von Amphetamin ist enorm hoch. (Freilich, was Medizinern als Katastrophe anmutet, mag sich Militärs geradewegs als Kampfmittel empfehlen. Wenn Adrenalin bereits so etwas darstellt wie ein Angriffshormon, warum dann nicht die Soldaten in den eigenen Reihen mit Amphetamin vollpumpen? Bereits im Zweiten Weltkrieg war der Einsatz dieses Mittels zur Hebung der Kampf«moral» bei Japanern, Deutschen, Briten und Amerikanern durchaus üblich, und als am 20. März 2003 der Dritte Golfkrieg vom Zaun gebrochen wurde, pumpte man speziell die Besatzungen der zum ersten Mal in «richtige» Kampfhandlungen verwickelten Apache-Hubschrauber mit Amphetaminen derart voll, daß sie in Einzelfällen auf alles schossen, was sich am Boden bewegte, selbst auf die Konvois der eigenen Truppen.) Ende der 60er Jahre kamen die Hippies darauf, die Wirkung ihrer halluzinogenen LSD-Trips durch Beimischung von Amphetamin zu steigern, und bald schon gingen sie dazu über, den Stoff nicht mehr oral aufzunehmen, sondern intravenös zu injizieren; dadurch ließ sich ein plötzlicher Euphorie-Schub (engl.: flash – Blitz oder rush – Sturm) auslösen, gefolgt allerdings von schwersten Depressionen und Erschöpfungszuständen. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 134 –137.) In der Medizin wurden nach 1945 Amphetaminderivate zunehmend als Appetitzügler verabreicht, die unter Namen wie Ponderax oder Preludin u. a. auf dem Markt bekannt wurden. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 139 –140.) (Die Namengebungen der Pharmaindustrie erfolgen so willkürlich, daß es, anders als in der Chemie oder in der Anatomie, keinen Sinn mehr macht, mit philologischen Mitteln nach einer versteckten Bedeutung zu suchen, also zum Beispiel in «Ponderax» noch lat.: das pondus – Gewicht und eradere – austilgen herauszuhören; denn bereits bei «Preludin» geriete man mit der Assoziation von mittellat.: das praeludium – Vorspiel ins gänzlich Absurde.) Abb. B 74 gibt die Strukturformeln von Amphetamin und einigen Amphetaminderivaten wieder. Bei den meisten Symptomen indessen werden Amphetamine heute nicht mehr medikamentös verwandt. So wurde Amphetamin früher – und wird wenn auch in eingeschränktem Maße und sehr umstritten heute – zur Behandlung der Narkolepsie benutzt. (Vgl. robert m. julien: Drogen und Psycho-

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Abb. B 74: Die Strukturformeln von Amphetamin und einigen Amphetaminderivaten

pharmaka, 157.) Mit Narkolepsie (griech.: narkáein – erstarren, die le¯psis – Wegnahme, Anfall) bezeichnete jean-baptiste edouard gélineau (1859 – 1906) im Jahre 1880 ein anfallartig auftretendes Schlafbedürfnis, das sich mit einem Aufputschmittel wie Amphetamin an sich ganz gut behandeln ließe, wäre nicht die Gefahr der Abhängigkeit viel zu groß. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 141.) Speziell Ritalin (chemische Bezeichnung: Methylphenidat) setzt man gleichwohl immer noch ein zur Dämpfung des sogenannten hyperkinetischen Syndroms (griech.: hypér – in höherem Grade, die kíne¯sis – Bewegung), das in den ersten Lebensjahren von Kindern auftritt und dessen Hauptmerkmal eine Hyperaktivität, gekoppelt zumeist mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, darstellt. (Vgl. aribert rothenberger – tobias banaschewski: Hilfe für den Zappelphilipp, in: Gehirn und Geist, 3/2004, 57– 58.) Schulpsychologen sprechen dann auch von einem ADHS, von einem AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitäts-Syndrom. ADHS-kranke Kinder können bei Einnahme von Ritalin tatsächlich innerhalb von Stunden ihr Verhalten drastisch ändern; schaut man genauer hin, so zeigt sich, daß die Wirkung des Amphetaminderivats allerdings gerade nicht zu einer Dämpfung der bis dahin unkontrollierbaren Aktivität führt, sondern ganz im Gegenteil zu einer Steigerung der Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Damit wird auch klar, worum es sich bei ADHS wirklich handelt: nicht um «Unbeherrschtheit» oder «Ungehorsam», sondern um eine Unfähigkeit, sich zu konzentrieren. Vermutet wird als Ursa-

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che für ADHS eine Unterfunktion des dopaminergen Systems. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 465; solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 141–142; gerald hüther – helmut bonney: Neues vom Zappelphilipp, 19– 20; aribert rothenberger – tobias banaschewski: Hilfe für den Zappelphilipp, in: Gehirn und Geist, 3/2004, 54– 56.) Aber auch der Neurotransmitter Noradrenalin scheint betroffen. (Vgl. aribert rothenberger – tobias banaschewski: A. a. O., 57.) Natürlich will man jetzt wissen, wie Amphetamin es eigentlich «schafft», bewußtseinssteigernd zu wirken, und tatsächlich ist dieser Stoff diesbezüglich bemerkenswert auskunftfreudig. Von daher liegt der größte Nutzen des Amphetamin heute nicht mehr in der ärztlichen Behandlung, sondern in der medizinischen Forschung: es hilft zu untersuchen, an welchen Stellen im Gehirn sich die Rezeptoren befinden, an denen es andockt, und es leitet die Wissenschaftler deshalb wie von selbst auf die Spur seiner eigenen Funktionsweise, insbesondere seiner Eigenschaft, Wahnzustände auszulösen. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 152.) Ein Haupteinwand gegen die Einnahme «bewußtseinerweiternder» Stimulantien hätte bereits in den 70er Jahren, als die westlichen Medien fast ausnahmslos den Konsum von «Partydrogen» wie Cocain oder Amphetamin noch einfach als «schick» darstellten, in aller Deutlichkeit lauten müssen, daß derartige Mittel geradewegs in psychotische Zustände, ähnlich denen der Schizophrenie, führen können. Anders als bei chronischem Alkoholismus, der mit hirnorganischem Abbau einhergeht und zum Delirium tremens (lat.: das delirium – Irresein, tremens – zitternd) oder zum Alkoholwahnsinn führen kann (vgl. eugen bleuler: Lehrbuch der Psychiatrie, 312– 320; 320– 323), geht eine Cocain- oder Amphetaminpsychose nicht mit Bewußtseinseintrübungen einher, wohl aber – wie bei der Schizophrenie – mit akustischen Halluzinationen («Stimmenhören»); die Bewußtseinslage ähnelt in solchen Zuständen sehr der ichbezogenen, angstgeprägten Wahnwelt eines Paranoikers; im Unterschied zur Schizophrenie kommt es bei einer stimulantieninduzierten Psychose aber verstärkt zu taktilen Halluzinationen – zu Wahnvorstellungen, die das Empfinden, körperlich berührt zu werden (lat.: tactilis – berührbar), mit realitätsfremden Erklärungen versehen. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 142–144; robert m. julien: Drogen und Psychopharmaka, 146 –147.) Was aber haben Rauschzustände mit Psychosen gemein? Der Hauptgrund, weswegen Drogen wie Heroin, Cocain oder Amphetamin so rasch süchtig machen können, liegt darin, daß sie «lustvolle» Erfahrungen vermitteln, und das wiederum können sie offenbar nur, weil sie jenes Beloh-

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nungssystem aktivieren, von dem wir schon wissen, daß es im mesolimbischen System gelegen ist und Enkephaline bis in die Großhirnrinde entsendet. Wir erwähnten bereits, daß james olds und peter marshall milner dieses System 1954 entdeckten; die Art, wie sie es taten, war eher zufällig; doch war das, was sie fanden, geeignet, die Entstehung einer Sucht zu erklären. Eigentlich wollten die beiden Forscher mit Hilfe von Stromstößen im Gehirn von Ratten ein Zentrum für Schlafsteuerung finden; statt eines solchen Zentrums aber fanden sie, daß die Tiere nach einer Reizung des Gehirns immer wieder in die Ecke ihres Käfigs zurückkehrten, in der sie den elektrischen Stimulus erhalten hatten; offenbar gefiel ihnen das so erzeugte Empfinden sehr, und sie brachten es – ähnlich wie skinners Tauben ihre Körperhaltung bei einer Ausschüttung von Körnern – allem Anschein nach mit ihrem Aufenthalt an dieser bestimmten Stelle in eine «kausale» Beziehung. Daraufhin ermöglichten es olds und milner den Tieren, durch den Druck eines Hebels selber den Wohlfühl-Stromstoß auszulösen. Das Ergebnis war ebenso erstaunlich wie erschreckend: wenn sich die Elektrode an der «richtigen» Stelle des Gehirns befand, so drückten die Tiere ihren Wonnehebel bis zu 2000mal in der Stunde – das heißt, sie verloren jede biologisch sinnvolle Orientierung; aus einem begleitenden Steuersignal des Lebens war für sie ein hauptsächlicher Lebensinhalt geworden. Sie waren süchtig. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 171–172.) Dieser Befund war derart dramatisch, daß man alsbald alles daransetzte, um herauszufinden, wie das «Belohnungssystem» funktioniert. An sich dürften es viele Stellen im Gehirn sein, die eine Selbstreizung belohnen, so wie andere Stellen, etwa in dem System der langsamen Schmerzübertragung, bei Reizung ein unangenehmes Empfinden vermitteln. Nähere Untersuchungen indessen ergaben, daß das «Belohnungssystem» in einer aufsteigenden (afferenten) Bahn lokalisiert ist, die durch den lateralen Hypothalamus verläuft; dieses sogenannte mediale Vorderhirnbündel (lat./griech.: der Fasciculus telencephalicus medialis) ist ein Teil des aufsteigenden Retikularissystems (bzw. des ARAS, des aufsteigenden retikulären aktivierenden Systems), das Afferenzen über den Vorderseitenstrang aus dem Rückenmark, aber auch von den Hirnnervenkernen und der Hirnrinde erhält. (Vgl. jochen fanghänel u. a.: Waldeyer-Anatomie des Menschen, 518.) «Diese Bahn (sc. das mediale Vorderhirnbündel, d. V.) enthält aufsteigende dopaminerge, noradrenerge und serotoninerge Fasersysteme, die vom Mittelhirn auf viele Regionen des Vorderhirns projizieren, etwa auf den präfrontalen Cortex, den Nucleus accumbens, die Amygdala und andere Regionen des limbischen Systems.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 173)

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Abb. B 75: Die drei Lust-Zentren der Dopamin-Hypothese und die OpioidrezeptorenVerteilung über das ganze Gehirn als Begründung von Gefühlen der Lust, der Geborgenheit und der Zuneigung

Als Dreh- und Angelpunkt innerhalb dieses Schaltkreises gilt die Dopaminbahn (vgl. Abb. A 9), deren Fasern von der Area tegmentalis ventralis (VTA) des Mittelhirns über das mediale Vorderhirnbündel zum Nucleus accumbens und zu anderen Strukturen des Vorderhirns, wie dem präfrontalen Cortex, ziehen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 173.) Entscheidend nämlich ist, daß die Belohnungssysteme für Opiate sowie für Cocain und Amphetamine gerade diese dopaminergen Neuronen umfassen. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß man heute davon ausgeht, «dass Dopamin selbst kein Belohnungsgefühl vermittelt, sondern nur eine Belohnung durch die hirneigenen Opiate ‹in Aussicht stellt›.» (gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 146) Entsprechend müssen wir die Auffassung, Lust entstehe durch Dopaminsignale aus dem VTA, die zum Nucleus accumbens und zum präfrontalen Cortex führen, uns auf die hirneigenen Opioide (also die Endorphine und Enkephaline) erweitert vorstellen. jaak panksepp (geb. 1943) und ann kelley zum Beispiel haben schon Ende der 90er Jahre unabhängig voneinander herausgefunden, daß euphorisierende Drogen die Ausschüttung von Endorphinen und Enkephalinen bewirken. In einem sehr aufschlußreichen Experiment trennte pank-

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sepp junge Ratten eine Zeitlang von ihren Müttern; und als er die Jungtiere dann wieder mit ihnen zusammenbrachte, stellte er fest, daß sie hirneigene Opioide ausschütteten, die offenbar «für Gefühle wie Geborgenheit und Zuneigung verantwortlich sind, auf denen unsere sozialen Bindungen beruhen». (helen phillips: Die Glücksboten, in: Gehirn und Geist, 3/2004, 44) Näher besehen, überschneiden sich zwar manche Areale, in denen sich Opioidrezeptoren (vgl. Abb. A 22) befinden, mit dem Dopamin-System (vgl. Abb. A 9), doch sind die Opioidrezeptoren keinesfalls auf das Dopamin-System beschränkt, sondern finden sich an vielen Orten des Gehirns, auch in vielen Cortexregionen. (Vgl. helen phillips: A. a. O., 44.) Abb. B 75 stellt das alte Modell der «Dopamin-Hypothese» dem neuen Modell von den hirneigenen Opioiden als den Glücksboten, deren Rezeptoren im ganzen Gehirn verteilt sind, gegenüber. Halten wir uns diese komplexeren Zusammenhänge vor Augen, so können wir – zwar vereinfachend, aber dafür übersichtlicher – auch mit dem alten Modell des dopaminergen Belohnungssystems aus VTA, Nucleus accumbens und präfrontalem Cortex wichtige Einblicke in die Wirkungsweise von Drogen aller Art gewinnen. Im Gegensatz zu Cocain und Amphetaminen wirken Opiate – wie zum Beispiel Morphin und Heroin – zusätzlich auf den Locus coeruleus, den alleinigen Kern noradrenerger Nervenbahnen (vgl. Abb. A 13), sowie auf den Nucleus arcuatus, die Amygdala und das Zentrale Höhlengrau. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 174–176.) Nehmen wir, um das Bild zu vervollständigen, noch das Alkohol-Belohnungssystem hinzu, so sind dort ebenfalls die Strukturen des Belohnungssystems für Cocain und Amphetamine beteiligt, also vor allem VTA, Nucleus accumbens und präfrontaler Cortex, es wirkt sich aber auch auf die GABAergen Neuronen aus, deren Zellkörper, wie wir früher schon gehört haben, in den Basalganglien liegen; GABA und Strukturen mit GABA-Rezeptoren finden sich gleichfalls in der Großhirnrinde, im Kleinhirn, im Hippocampus, in den Colliculi superiores und inferiores, in der Amygdala und auch im Nucleus accumbens. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 173–176.) Abb. B 76 zeigt das Belohnungssystem a) für Cocain und Amphetamine, b) für Opiate und c) für Alkohol. Wir sehen: Die Bahn von der Area tegmentalis ventralis (VTA) zum Nucleus accumbens, die auch in den präfrontalen Cortex und ins limbische System projiziert, ist an den Belohnungssystemen sämtlicher Drogen (inklusive Tabak) beteiligt. Wir können daher ganz allgemein (wenn auch etwas vereinfachend) festhalten, daß süchtigmachende Stoffe das dopaminerge Belohnungssystem aus

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Abb. B 76: Das Belohnungssystem a) für Cocain und Amphetamine, b) für Opiate und c) für Alkohol

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VTA und Nucleus accumbens aktivieren sowie unter Umständen zusätzliche Hirnstrukturen, die für das jeweilige Suchtmittel spezifisch sind; ja, wir können den Satz sogar umkehren und sagen, daß all diese Substanzen eben deshalb süchtig machen, weil sie den Schaltkreis VTA – Nucleus accumbens aktivieren. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 173.) Daß eine solche Aktivierung des dopaminergen Belohnungssystems möglich ist, hat selbstredend physiologische (biochemische) Gründe, die jetzt auch die Wirkungsweise von Amphetamin als Aufputschmittel einerseits und als psychotische Zustände auslösende Droge andererseits zu erklären vermögen. Schauen wir uns nämlich die Strukturformel von Amphetamin in Abb. B 74 noch einmal an und vergleichen sie mit den Strukturformeln der Catecholamintransmitter Dopamin (DA) und Noradrenalin (NA) in Abb. A 72, so werden wir feststellen, daß sie einander recht ähnlich sind. Daran liegt es, daß Amphetamine in den Axonendigungen dopaminerger und noradrenerger Neuronen die Dopamin- und Noradrenalin-Moleküle aus den Speichervesikeln verdrängen können, so daß diese Neurotransmitter in den synaptischen Spalt diffundieren und an die postsynaptischen Rezeptoren binden. Zudem blockieren Amphetamine die Mechanismen, durch die DA und NA aus dem synaptischen Spalt wieder in die präsynaptische Axonendigung aufgenommen werden. Die Folge ist klar: es kommt sehr rasch zu einer überhöhten Konzentration von DA und NA im synaptischen Spalt mit der entsprechenden stimulierenden, bis ins Psychotische reichenden Wirkung. Was das Cocain angeht, so verhindert es – genauso wie das Amphetamin – die Wiederaufnahme von DA und NA, so daß diese Neurotransmitter im synaptischen Spalt verbleiben und fortwährend stimulierend auf das postsynaptische Neuron einwirken. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 150 –153; robert m. julien: Drogen und Psychopharmaka, 153–154.) Was aber – so müssen wir jetzt abschließend fragen – ist eigentlich der «Sinn» einer Sucht? Wenn Ratten (oder Menschen) Nahrung zu sich nehmen, Wasser trinken oder mit einem Geschlechtspartner zusammen sind, so belohnen sich diese Aktivitäten, indem Dopamin aus dem VTA in den Nucleus accumbens (sowie in andere Regionen wie den präfrontalen Cortex) ausgeschüttet wird; die elektrische Reizung des medialen Vorderhirnbündels kann bewirken, daß Tiere (oder Menschen), je nach der Stelle, an welcher der Stimulus verabreicht wird, gerade diejenigen Verhaltensweisen zeitigen, die zu einer entsprechenden «Belohnung» führen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 173.) Mit anderen Worten: wir erleben erneut die enorme Macht der Formatio reticularis im Hirnstamm (hier genauer des VTA in der Haube des Mittelhirns), jetzt aber in

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einer Form, die zugleich die Unfreiheit, das Zwanghafte in allem Suchtverhalten zu erklären vermag. Denn das jeweilige Suchtmittel scheint die Reihenfolge von auslösender Situation und Erregungsvorgang nur umzukehren, indem es das Belohnungssystem ganz unabhängig von bestimmten «belohnenswerten» Handlungen aktiviert. Es ersetzt das Leben durch eine chemische Scheinwelt. Und plötzlich fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Natürlich können Amphetamine als Appetitzügler wirken; – sie setzen ganz einfach auch ohne vorherige Nahrungsaufnahme das Prämiensystem in Gang, das die Nahrungsaufnahme belohnt. Alle Suchtmittel ersetzen in gewissem Sinne die vitalen Bedürfnisse, indem sie sogar noch gesteigert ein Empfinden erzeugen, wie es eintritt, wenn diese Bedürfnisse tatsächlich befriedigt worden sind. Und die Amygdala merkt sich diese Zusammenhänge durch assoziative Verknüpfungen. Sie verwandelt die Erinnerung an die Droge in das Verlangen nach der Droge, so daß der gleiche Ort, eine vergleichbare Szene, zum «Auslöser» dafür werden kann, sich erneut auf die Suche nach dem Suchtmittel zu machen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 176.) Was die Psychoanalyse vor etwa 100 Jahren sich mehr oder minder intuitiv auf dem Wege der Einfühlung und des Gespräches an Einsichten erarbeitet hat, findet in der modernen Neurologie an diesem Punkte eine eindrucksvolle Bestätigung: Es gibt eine psychische Ebene, auf welcher das Lustprinzip uneingeschränkt regiert (freuds «Es») und wo die Funktionsweise der seelischen Abläufe durch «freie» Assoziation bestimmt wird. Mehr an Übereinstimmung scheint weder möglich noch nötig, um ein so komplexes Phänomen wie Drogenabhängigkeit und Suchtverhalten mit den Mitteln von Psychoanalyse und Neurologie zu verstehen. Doch haben wir damit wirklich schon alles verstanden? Wohl kaum. Wir haben bisher in etwa plausibel zu machen vermocht, warum und wie bestimmte Drogen im Gehirn wirken; doch warum beginnt jemand, Drogen zu sich zu nehmen? Was steckt hinter einem chronischen Alkoholismus oder hinter dem selbstzerstörerischen Verlangen nach Heroin, Cocain oder Amphetamin? Welch ein seelischer Schmerz soll da überwunden, welch eine Form von Sinnleere ausgefüllt werden? Und was ist es mit all den Suchtformen, die das Belohnungssystem nicht mit Hilfe von Drogen aktivieren, sondern durch bestimmte Inhalte und Vorstellungen, die, durch absteigende Bahnen aus dem Gehirn, offenbar vom präfrontalen Cortex, der großen aufsteigenden Bahn des Belohnungssystems aufgeschaltet werden? Wir stehen damit vor derselben Frage wie vorhin bei dem rätselhaften Auftreten oder Ende einer Magersucht. In jedem Falle scheint es unzureichend, sich das Geschehen in unserem Kopf einlinig

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von «unten» nach «oben» – von der Formatio reticularis zur vorderen Hirnrinde – «aufsteigend» vorzustellen und nicht ineins damit auch «absteigend» – von der vorderen Hirnrinde zum medialen Vorderhirnbündel. Immer geht es um ein Ineinanderwirken von Trieben, Gefühlen und Gedanken; daß wir bisher nur von (An)Trieben und Motivationszuständen gesprochen haben, sollte uns nicht blind dafür machen, daß sich in Süchten aller Art vor allem Sehnsüchte nach etwas geltend machen, das sich von der Befriedigung vitaler Grundbedürfnisse fundamental unterscheiden kann und allenfalls symbolisch darin einen Ausdruck findet: der «Hunger» nach Liebe zum Beispiel kann konvertieren in einen Hunger nach Nahrung. Ein berühmt gewordener Fall der Beendigung einer schweren Sucht mag abschließend zeigen, wie wenig auch und gerade das Phänomen der «Abhängigkeit» dem bloßen «Lustprinzip» folgt. Am 28. April 1871 schrieb der russische Dichter fjodor michailowitsch dostojewski (1821–1881) aus Wiesbaden an seine Frau Anna Grigorjewna von der ihm plötzlich gewordenen Gewißheit, seine quälende Spielsucht ein für allemal überwunden zu haben. «Ich hatte Dir auch schon früher geschrieben, es sei für immer zu Ende, aber verspürte dabei niemals das Gefühl, mit dem ich es jetzt schreibe. O jetzt habe ich mich von diesem Wahn gelöst und wollte Gott danken, daß es so gekommen ist.» (Gesammelte Briefe, 397) Vorausgegangen war ein Traum, in dem dostojewski seinen Vater «in einer so entsetzlichen Gestalt» gesehen hatte, «wie er» ihm «nur zweimal im Leben erschienen» war, «als er . . . ein furchtbares Unglück prophezeite». (A. a. O., 396– 397) Ein Motiv für das Ende der Spielsucht dostojewskis mag in einer solchen Strafangst vor seinem Vater gelegen haben; doch viel wichtiger scheint es, wenn er weiter schreibt: «ich war durch das Spiel gefesselt, ich werde jetzt an die Arbeit denken und nicht mehr nächtelang vom Spiel träumen . . . Und dann wird auch die Arbeit besser und rascher fortschreiten, und Gott wird sie segnen! Anja, bewahre mir Dein Herz, hasse mich nicht, entziehe mir Deine Liebe nicht. Jetzt, wo ich ein neuer Mensch geworden bin, wollen wir zusammen weitergehen, und ich werde alles tun, daß Du glücklich wirst.» (A. a. O., 399) – Es war diesen Worten nach also wesentlich das neu gewonnene Vertrauen in die eigene Arbeitsfähigkeit sowie in die unverbrüchliche Liebe seiner Frau, die dostojewski von seiner Spielsucht befreite. Warum aber hatte er dann jemals dem Spiel verfallen können? In seinem Roman Der Spieler (1867) gibt er gerade dafür eine Erklärung: es sind die starken Gefühle einer Sehnsucht nach Liebe und einer gleichzeitigen Angst vor der Liebe, es sind die übergroßen Minderwertigkeitsgefühle, die mit Habmachtidealen ausgeglichen werden sollen, sowie die (ödipalen) Rettungsphantasien, die an den

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eigenen Selbstzweifeln scheitern. (Vgl. e. drewermann: Daß auch der Allerniedrigste mein Bruder sei, 73 –76.) Der gesamte Komplex eben dieser verworrenen Gestimmtheiten löste sich in jener Nacht in Wiesbaden offenbar plötzlich auf in einer neuen Form der Identität, in der Wahrnehmung des «neuen Menschen», der in ihm erstand. Es muß das Vertrauen sich in ihm gebildet haben, die Sucht nicht länger zu benötigen, weil die angestrebten Ziele (Erfolg und Liebe) sich durch Arbeit in der Wirklichkeit einfacher, sicherer und ehrlicher erreichen ließen als durch die Phantasmagorien des Glücksspiels. Und was sagt dazu die moderne Neurologie? Schon seit längerem vermuteten Neurologen, daß der Spielsucht eine pathologische Veränderung im Nucleus accumbens zugrunde liege, und tatsächlich scheinen jetzt christian büchel und sein Team in Hamburg-Eppendorf mit Hilfe der Magnetresonanztomographie herausgefunden zu haben, daß bei Spielsüchtigen der Nucleus accumbens während des Spiels weit weniger aktiv ist als bei «normalen» Persönlichkeiten. «Die Forscher schließen aus ihren Ergebnissen, dass Menschen mit einem wenig aktiven Belohnungszentrum nach immer stärkeren Belohnungsreizen suchen, zum Beispiel bei einem Glücksspiel.» (Bild der Wissenschaft, 4/2005, 9) Der Fall dostojewski widerspricht einer solchen Erklärung nicht, doch er läßt sie als ein bloßes Teilmoment in einem weit komplexeren Ursachengeflecht erscheinen. Und er wirft neue Fragen auf: Kann es nicht auch sein, daß die geringere Aktivität des Nucleus accumbens nur die neurologische Manifestation der Plastizität des Gehirns in Anpassung an ein als lustlos und sinnlos erfahrenes Leben ist? Daß also bei der Spielsucht (und anderen Suchtformen) nicht ein Organ des Gehirns «defekt» ist, sondern eine ganze Lebensform für «defizient» gelten muß? Daß es sich genau so verhält wie bei jenen Ratten, deren ärmliche Lebensbedingungen sich in der kümmerlichen Entwicklung ihrer Gehirne niederschlugen?

d) Drogen als Volksseuchen: Nicotin, Alkohol, Coffein, Cannabis und Psychedelika Wenn wir bisher von Morphin, Cocain und Amphetamin gesprochen haben, so war dabei von Stoffen die Rede, die als Medikamente im Kampf gegen Schmerz und Krankheit unliebsamerweise auch als Suchtmittel in Erscheinung getreten sind; mit der Magersucht und der Spielsucht aber haben wir auch schon Suchtformen kennengelernt, die ganz ohne die Einnahme chemischer Substanzen

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auskommen. Zwischen diesen beiden Grenzmöglichkeiten: zwischen der drogeninduzierten und der psychogenen Abhängigkeit, erstreckt sich nun das weite Feld all der Suchtformen, in denen vorwiegend psychogene Gründe die Wahl eines Suchtmittels diktieren, das dann seinerseits wieder suchtverstärkend auf Gehirn und Psyche zurückwirkt. Wir sprechen von den Volksseuchen Nicotin, Alkohol und Coffein, von der «Aussteiger»-Droge Cannabis und von den Psychedelika: Mescalin und LSD.

α) Nicotin Dem Nicotin sind wir bereits begegnet, als wir die nicotinergen AcetylcholinRezeptoren kennengelernt haben. Derartige Rezeptoren befinden sich peripher insbesondere an den neuromuskulären Synapsen sowie an vielen Neuronen des vegetativen Nervensystems; im Gehirn verteilen sich nicotinerge ACh-Rezeptoren in der Großhirnrinde, im Hippocampus, im basalen Vorderhirn und nicht zuletzt im Hirnstamm; eine starke Konzentration tritt außerdem auf im Thalamus, im Hypothalamus und im Ventralen Tegmentalen Areal (VTA) des Mesencephalon, das, wie wir sahen, zum mesolimbischen Belohnungssystem gehört. Schon durch diese bloße Verteilungskarte von nicotinergen ACh-Rezeptoren im peripheren und zentralen Nervensystem sind wir in etwa imstande, vorherzusagen, was die Inhalation von Nicotin (oder seine Aufnahme über die Haut) bewirken wird; wir müssen uns dazu nur in Erinnerung rufen, daß Nicotin als ein ACh-Agonist wirkt, also die cholinerge exzitatorische Wirkung an den Synapsen verstärkt beziehungsweise sogar anstelle von ACh selbst vermittelt. Denn diese Tatsache bedeutet – nach allem, was wir über die Aufgabe der genannten Hirnstrukturen und -felder bereits gehört haben – als erstes eine Steigerung der vegetativen, motorischen und kognitiven Funktionen, also zum Beispiel eine Verbesserung der Gedächtnisleistungen, indem das Nicotin auf die Rezeptoren im Hippocampus und im basalen Vorderhirn einwirkt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 494.) Schützt demnach Kettenrauchen womöglich sogar vor einem Ausbruch der alzheimer-Erkrankung, indem es das cholinerge System stärkt, dessen Schwächung eine Hauptursache der Altersdemenz darstellt? Diese Folgerung, so kurios sie klingt, erscheint nur logisch, ihre allzu treue Befolgung bringt allerdings das erhebliche Risiko mit sich, daß durch das Nicotin die Kapillaren der Blutgefäße sich verengen und dadurch wiederum schwere gesundheitliche Schäden an Herz und Gehirn eintreten. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 494.) Zudem ist in einer Zigarette nicht nur das Hauptalkaloid

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der Tabakpflanze (das Nicotin) enthalten, sondern mehr als 4000 weitere Stoffe, die unter dem Begriff «Teer» zusammengefaßt werden und auf deren Gefahr für die Atemwege inzwischen sogar die Werbeplakate der Tabakindustrie hinweisen müssen; wie um die Schädlichkeit des Tabakrauchens vollzumachen, enthält die Zigarette zudem rund 40 nachgewiesene cancerogene (lat.: der cancer – Krebs, generare – hervorbringen; krebserregende) Substanzen. Rauchen kann tödlich sein! (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 370; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 493.) Bei längerem Nicotinkonsum führt der Teergehalt des Tabaks übrigens dazu, daß die Leber, angeregt durch das Teeraroma, den enzymatischen Abbau des Nicotin beschleunigt; das betrifft den Abbau von 90% des Nicotin, die übrigen 10% werden direkt über die Nieren ausgeschieden. Da Nicotin ohne Schwierigkeiten die Blut-Hirn-Schranke ebenso wie die Placenta passieren kann, sind seine Folgen sowohl für das Zentralnervensystem als auch für die Entwicklung eines Embryos mitzubedenken. (Vgl. monika pritzel u. a.: A. a. O., 493.) Was das Zentralnervensystem angeht, so kann die Wirkung des Nicotin (die verstärkte Aktivität der nicotinergen ACh-Rezeptoren über die neuromuskulären Synapsen) zu Tremor (lat.: Zittern) vor allem der Hände und sogar zu epileptischen Anfällen führen; mit den nicotinergen ACh-Rezeptoren im Hirnstamm, näherhin in der lateralen Formatio reticularis, in welcher das Brechzentrum liegt (vgl. Abb. A 16), läßt sich der Brechreiz erklären, der bei erstmaligem Rauchen nicht selten eintritt; allerdings setzt sehr bald ein Toleranzeffekt ein – «man gewöhnt sich dran.» All dies sind Wirkungen, die das Nicotin über die nicotinergen ACh-Rezeptoren selbst erzielt. Um jedoch zu verstehen, wie die erhebliche Gefahr der Abhängigkeit beim Rauchen zustande kommt, muß man hinzunehmen, daß Rauchen von Tabak auch das dopaminerge und serotonerge System (sowie abgeschwächt auch das GABAerge System) mitbeeinflußt. Für den Abbau von Dopamin und Serotonin nämlich zeichnet wesentlich das Enzym Monoaminoxidase (MAO) verantwortlich (vgl. Abb. A 76); durch das Verbrennen des Zuckers im Tabak (oder des Zukkers, der den Rauchwaren künstlich hinzugesetzt wird!) entsteht Acetaldehyd, ein Stoff, der die Enzymaktivität gerade von MAO erheblich verringert. Infolgedessen erhöht sich beim Tabakrauchen der Dopamin- und der Serotonin-Gehalt in den betreffenden Neuronen und im synaptischen Spalt mit dem Ergebnis einer euphorisierenden Stimmung und einer verstärkten Abhängigkeit über das dopaminerge mesolimbische Belohnungssystem. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 494– 495.) Erklären diese Zusammenhänge nun die Sucht eines Kettenrauchers? Wieder

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müssen wir sagen: mitnichten! Was jemand sucht, wenn er mit dem Tabakrauchen beginnt, und was es ihm so schwermachen kann, damit wieder aufzuhören, sind, weit stärker als die beschriebenen neurologischen Effekte von Nicotin und Tabak, Zusammenhänge psychischer Art. «Man kann aus vielen Gründen rauchen», erklärte ein heute über 70 Jahre alter Mann, der seit seiner Schulzeit täglich etwa 30 filterlose Zigaretten einer bestimmten Marke raucht und der dabei erstaunlicherweise «geruchsblind» ist. Die «Vielzahl» dieser Gründe zeigt sich bereits in den Unterschieden der Rauchergewohnheiten: ein Pfeifenraucher wird schon durch die zeremoniellen Umstände der zu treffenden Vorbereitungen für den ersehnten Rauchgenuß seine Neigung zu demonstrierter «Gemütlichkeit» und großväterlicher Verläßlichkeit hervorkehren, mit dem Zigarrenraucher (der dicken «Havanna» mit Bauchbinde) geht gern die Attitüde des Chefseins einher, mit dem Zigarettenraucher eher die Pose des gehetzten, doch tüchtigen Aktivisten, der noch einmal Energie pumpt, eh’ es «ins Gefecht» geht. Und noch ganz andere verborgene Motive können dem Rauchen zugrunde liegen: Da ist die orale Bereitschaft, eine (latente) Angst durch Saugen (ursprünglich an der Brust der Mutter) zu überwinden, oder die Suche nach einer gesellschaftlich erlaubten Pause für wenigstens fünf Minuten oder der Wunsch, Einsamkeit zu überwinden durch ein gemeinsames Tun, das Zusammengehörigkeit und Kameradschaft signalisiert, oder das narzißtische Erleben, sichtbar mit dem eigenen Atem eine Macht zu verströmen, die einen ganzen Raum zu erfüllen vermag, – oder die Verführbarkeit durch eine milliardenschwere Industrie, die mit ihren Produkten in einem geradezu grotesken Widerspruch zur Wirklichkeit alles Mögliche verheißt, wie unbegrenzte Freiheit, Wildnis und Weite, Abenteuer und Wagemut, Männlichkeit und ruhige Kraft, weibliche Gleichberechtigung und sexuelle Ausstrahlung, den Eintritt ins Erwachsenenalter für Minderjährige, kurz: den Inbegriff von Glück, Größe und gelingendem Leben. Binden sich diese Ziele erst einmal an eine fetischähnliche Gewohnheitsdroge, versteht man unschwer das Gefühl von Leere, Ohnmacht, Beklemmung und Unruhe, das den Entzug vom Rauchen aus psychischen Gründen so mühevoll macht. (Zur Geschichte des Tabak-Konsums vgl. roland gööck: Erfindungen der Menschheit. Gesundheit – Nahrung – Wohnen – Bauen, 161–167.) Wieder scheint es die Psychologie (die Psychoanalyse) zu sein, die einer speziellen Suchtproblematik am nächsten kommt, näher jedenfalls als die (heutige Form der) Neurologie.

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β) Alkohol Man verfällt nicht ohne weiteres darauf, in Nicotin und Alkohol (von arab.: alKuhl – Augenschminke, feiner chemischer Stoff) zwei Suchtmittel zu erkennen, die zusammengehören wie die linke und die rechte Hand; und doch ist es so. Während Nicotin die nicotinergen ACh-Rezeptoren aktiviert und somit die exzitatorische Wirkung an den cholinergen Synapsen erhöht, verändert Alkohol die Aktivität der sogenannten präsynaptischen cholinergen Autorezeptoren (vgl. Abb. A 65), die über die Bindung von freigesetztem ACh normalerweise die Ausschüttung weiterer ACh-Moleküle hemmen. Durch die Modifikation der Autorezeptoren sorgt Alkohol dafür, daß – in der Peripherie wie im Gehirn – insgesamt weniger ACh in den synaptischen Spalt gelangt und die cholinerge synaptische Übertragung gestört wird. Erneut brauchen wir jetzt nur die «Karte» der Verteilung von ACh-Rezeptoren in der Peripherie und im Gehirn zu betrachten und können vorhersagen, was die Wirkung von Alkoholkonsum sein wird: Indem die ACh-Übertragung an den neuromuskulären Synapsen gehemmt wird, erschlafft die Muskulatur – ein Gefühl von Entspannung, Müdigkeit oder Erschöpfung stellt sich ein. Im vegetativen Nervensystem führt die Wirkung des Alkohol auf die ACh-Rezeptoren unter anderem zu einer Verlangsamung des Herzschlags. Im Zentralnervensystem treten Störungen vieler kognitiver Prozesse, unter anderem des Gedächtnisses, auf, so daß manche nach einem Vollrausch glaubhaft versichern, an ihr Verhalten in diesem Zustand sich nicht mehr erinnern zu können. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 486– 487.) Diese Wirkungen des Alkohol durch Herabsetzung der ACh-Ausschüttung werden noch dadurch verstärkt, daß Alkohol das «Bremssystem» der GABARezeptoren aktiviert, so daß die neuronale Erregung insbesondere im limbischen System, speziell in der Amygdala und im Gyrus cinguli, sich verringert! Auf diesem Mechanismus beruht die alles dämpfende, angstvermindernde Gefühlslage in alkoholisiertem Zustand. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 486– 487.) Auf der einen Seite drosselt Alkohol also den «Motor» geistiger Tätigkeiten, auf der anderen Seite tritt er sogar noch auf die Bremse. Doch wer jetzt meint, dann könne ja wohl nicht viel Schlimmes mehr passieren, irrt groß. Mit der «Entängstigung» unter Alkoholeinfluß (vor allem auf die Amygdala) geht, psychoanalytisch gesprochen, auch die Überich-Angst zurück; die quälende Dauerkontrolle einer alles zensierenden inneren Instanz läßt nach – ein Effekt, der sowohl kreative Kräfte (etwa bei Dichtern, Malern, Schauspielern) freisetzen als auch eine zerstörerische Enthemmung (einen un-

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Abb. B 77: Der NMDA-Rezeptor des glutaminergen Systems

kontrollierten Durchbruch von Es-Energien) zur Folge haben kann. Zudem reduziert die Verstärkung der inhibitorischen GABA-Rezeptoren-Aktivität natürlich auch die Tätigkeit der hemmenden Interneuronen insbesondere im mesolimbischen System, dessen dopaminerge Belohnungsbahn vom Nucleus accumbens aus nunmehr indirekt «voll zum Zuge» kommt. Vermutlich wirkt Alkohol sogar direkt auf die dopaminerge synaptische Übertragung ein. (Vgl. monika pritzel u. a.: A. a. O., 486; 488.) Erlebt werden kann der daraus resultierende Zustand als ein genialisches Selbstwertgefühl, als mühelose geistige Klarsicht in sämtlichen Problemen des Daseins, als Bedürfnis, sich alles von der Seele zu reden, als sexuelle Unwiderstehlichkeit und Meisterschaft – und als Wut, Zorn und gekränkter Stolz, wenn die «Realität» (die Zechkumpanen, der Wirt, die Ehefrau) sich so ganz anders darstellt, als es doch in den Augen eines Alkoholisierten «richtig» wäre. Zu all dem tritt hinzu, daß auch die Lernfähigkeit durch (chronischen) Alkoholkonsum drastisch eingeschränkt wird, indem Ethanol (C2H5OH, der chemische Name für «Alkohol») das glutaminerge System hemmt. Um zu verstehen, wie das geschieht, sollten wir uns mit Hilfe von Abb. B 77 noch einmal die Arbeitsweise von NMDA-Rezeptoren in Erinnerung rufen. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 487.)

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Wie man in Abb. B. 77 sieht und wie wir schon wissen (vgl. Abb. B 8), sind NMDA-Rezeptoren im Ruhezustand durch Mg2+-Ionen blockiert; um sich zu öffnen, benötigt der Rezeptorkanal eine Spannungsänderung an der Membran (die postsynaptische Zelle muß von weiteren Aktionspotentialen vieler präsynaptischer Neuronen depolarisiert werden) und die Anwesenheit nicht nur von Glutamat (Glu), sondern auch von Glycin (Gly) und Zn2+-Ionen; durch den Einstrom von Ca2+- und Na+-Ionen (sowie durch den Ausstrom von K+-Ionen) kommt es zu einem exzitatorischen postsynaptischen Potential (EPSP). Die entscheidende Wirkung von Alkohol auf die NMDA-Rezeptoren besteht nun allem Anschein nach darin, daß Ethanol die Glycin-Bindungsstelle blockiert und damit die Öffnung des Ionenkanals verhindert; das Andocken des Glutamat an dem Rezeptor bleibt daher folgenlos. Oder anders ausgedrückt: der Ca2+-Ioneneinstrom unterbleibt, ein EPSP kommt nicht zustande, eine Langzeitpotenzierung, wie sie für Lernvorgänge (für Gedächtnisbildung) unerläßlich ist, kann nicht stattfinden. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 487.) Zusätzlich zu den cholinerg vermittelten Gedächtniseinbußen ergeben sich durch Alkoholgenuß jetzt also auch noch glutaminerg vermittelte Lernstörungen. Seit einiger Zeit lassen sich diese auf molekularbiologischer Ebene zu erzielenden Einsichten auch mit Hilfe bildgebender Verfahren durch direkte Beobachtung der Hirnaktivitäten in alkoholisiertem Zustand bestätigen. So zeigen PET-Untersuchungen, daß durch Alkoholkonsum die Hirndurchblutung im Kleinhirn abnimmt – entsprechend der motorischen Erschlaffung, während der präfrontale Cortex stärker durchblutet wird – ein deutliches Indiz enthemmter Geistestätigkeit. Im Unterschied zu dem nur aufputschenden Einfluß des Nicotin, hinterläßt Alkohol mithin eine sonderbare Mischung von hemmenden und enthemmenden Effekten. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 488.) Um im Bilde zu bleiben: nach der Drosselung des Motors und dem Tritt auf die Bremse rollt der Wagen weitgehend steuerlos eine vereiste Gefällstrecke hinunter; wie stark das «Gefälle» ist und in welch eine Richtung die «Strecke» führt, bestimmt freilich nicht die Wirkung des Alkohol auf das «Auto», sondern ergibt sich aus der Persönlichkeitsstruktur, vor allem aus der Triebdynamik des Trunksüchtigen. Der altlateinische Satz: in vino veritas – im Wein (liegt) Wahrheit, ist daher so falsch nicht. Doch der Alkoholabusus verursacht nicht nur diese momentanen Symptome, sondern vor allem dauerhafte Schädigungen, indem der Körper auf vielfältige Weise – zunehmend vergeblich – versucht, der massiven Störung seines Gleichgewichtszustands entgegenzusteuern, mit der Folge organischer Krankheitsbilder und weitreichender Umorganisationen auf neuronaler Ebene.

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Abb. B 78: Alkoholabbau in der Leber

Zum Glück – möchte man meinen – gelangt nicht aller Alkohol, der aufgenommen wird, durch Passieren der Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn. 5% des konsumierten Alkohol werden direkt über die Lunge ausgeschieden; von daher läßt sich – zum Beispiel bei Verkehrskontrollen – über einen einfachen Atemtest bereits nachweisen, wie hoch die Alkoholkonzentration im Blut ist. 10 –15% des Alkohol werden bei der Passage durch die Magenschleimhaut mit Hilfe des Enzyms Alkoholdehydrogenase abgebaut, bleiben also ebenfalls im Zentralnervensystem unwirksam; da dieses alkoholabbauende Enzym in der Magenschleimhaut von Männern stärker konzentriert ist als bei Frauen, stellt sich bei gleichen Mengen getrunkenen Alkohols bei Frauen für gewöhnlich eine höhere Alkoholkonzentration im Blut ein als bei Männern. Entscheidend für den Abbau von Alkohol aber ist – erneut – die Leber, indem sie in einem ersten Schritt – wie in der Magenschleimhaut – mit Hilfe der Alkoholdehydrogenase den Alkohol in Acetaldehyd umwandelt und dann das Acetaldehyd mit Hilfe eines weiteren Enzyms (der Aldehyddehydrogenase) zu Essigsäure oxidiert; die Essigsäure wird schließlich unter Bildung von ATP in Kohlenstoffdioxid und Wasser abgebaut. Abb. B 78 zeigt die zwei Schritte des Alkoholabbaus in der Leber. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 485.) Die Abbaugeschwindigkeit ist stets die gleiche, egal, wieviel Alkohol getrunken wurde; als Faustregel kann gelten, daß in einer Stunde etwa die Alkoholmenge eines Biers (0,2 l bei 5– 6 Vol.-% Alkohol) oder eines kleinen Glases Wein (0,1 l bei 10 –12 Vol.-% Alkohol) oder eines «Schnäpschens» (2 cl bei 40 Vol.-% Alkohol) abgebaut wird (vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 485); wer also bei seiner Hochzeitsfeier trinken, sich aber nicht betrinken will, sollte Stunde um Stunde sich an diese Rationen halten – selbst auf die Gefahr hin, bei den Gästen als «Schwächling» dazustehen. Dies um so mehr, als Alkohol wahrlich kein Aphrodisiakum ist. «Die psychische Enthemmung, die unter Alkoholeinfluß zunächst eintritt, hebt zwar die Zurückhaltung in gewissem Maße auf, doch die dämpfenden Wirkungen des Alkohols auf die Kör-

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perfunktionen beeinträchtigen die sexuelle Leistungsfähigkeit.» (robert m. julien: Drogen und Psychopharmaka, 114) Dabei ruiniert chronischer Alkoholkonsum durch seine Wirkung im Zentralnervensystem und in der Peripherie über kurz oder lang nicht nur die männliche Potenz, irgendwann wird auch die Leber mit dem Alkoholabbau nicht mehr fertig; es kommt zu einer narbigen Schrumpfung der Leber, einer Leberzirrhose (von griech.: kirrhós – gelb, nach der Verfärbung der erkrankten Leber), mit meist tödlichem Ausgang. Außerdem schädigt Alkohol den Herzmuskel und die Auskleidung des Magen-Darm-Traktes mit entsprechend erhöhtem Risiko für Infarkte, Gastritis, Magengeschwüre, Pankreatitis, Mund- und Leberkrebs. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 372.) Am folgenreichsten beim Alkoholismusproblem aber sind die Anpassungsleistungen, mit denen das glutaminerge System des Gehirns versucht, die toxischen Wirkungen des Alkohol, so gut es geht, zu kompensieren – man spricht von neuroplastischen Änderungen oder zellulärer Adaption. Da, wie gesagt, bei Alkoholkonsum die NMDA-Rezeptoren blockiert, also keine EPSPs mehr erzeugt werden (eingehende Informationen mithin nicht mehr weitergeleitet werden), vermehren die Neuronen Anzahl und Dichte ihrer NMDA-Rezeptoren; sie antworten auf die Blockade der Rezeptoren mit der Produktion von noch mehr Rezeptoren. Dadurch können alkoholbedingte Lernschwierigkeiten und Gedächtnisstörungen in gewissem Umfang ausgeglichen werden. Was aber passiert, wenn – zum Beispiel während einer Entziehungskur – die Alkohol«versorgung» plötzlich eingestellt wird? Nach allem Gesagten kann man es sich denken: Da es jetzt zu viele NMDA-Rezeptoren gibt, die Ca2+-Ionen einströmen lassen und EPSPs vermitteln, treten Erregungszustände aller Art auf, motorisch wie psychisch; hohe Reizbarkeit, Unruhe, Zittern sind die unvermeidbaren Folgen – und zur Beruhigung scheint es kein anderes Mittel zu geben, als erneut den so hilfreichen «Geist aus der Flasche» zu beschwören; zudem führt das Zuviel an Ca2+-Ionen, die in die Zelle gelangen, dahin, daß die calciumabhängigen Proteasen (die Enzyme für den Abbau von Proteinen und Peptiden) übermäßig aktiviert werden, was zur Bildung von freien Radikalen und damit letztlich zum Absterben von Neuronen führt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 488– 489.) Aber auch die anderen Transmittersysteme antworten auf chronischen Alkoholkonsum. Wie gerade erläutert, verstärkt Alkohol die inhibitorische Wirkung des GABAergen Systems; und um dieses Übermaß an Hemmung auszugleichen (um das Gleichgewicht zu «verteidigen»!), verringern die Neuronen unter Alkoholeinfluß die Anzahl ihrer GABAergen Rezeptoren, was dann bei feh-

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lendem Alkohol zu einer Übererregung des gesamten Nervensystems führt. Um uns den weiteren typischen Verlauf einer Alkoholerkrankung vorstellen zu können, müssen wir uns nur in Erinnerung rufen, daß GABA in nahezu allen Bereichen des Gehirns vorkommt und daß das GABAerge Bremssystem nun seinerseits fast alle anderen Transmittersysteme beeinflußt. Seine durch Alkohol gesteigerte inhibitorische Wirkung auf die dopaminerge Projektion aus dem Nucleus accumbens führt bei chronischem Alkoholmißbrauch über die Reduktion der GABA-Rezeptoren auch zu einer Verminderung der Dopamin-Rezeptoren im Nucleus caudatus und im Putámen – entsprechend bleiben bei Alkoholentzug die Glücksgefühle des Belohnungssystems aus; die Gefahr des «Rückfalls» ergibt sich wohl gerade aus dem Bedürfnis, die alte «Weinseligkeit» (oder Schnapsgleichgültigkeit) wiederherzustellen; auch die Dyskinesien (griech.: dys – schlecht, die kíne¯sis – Bewegung; motorische Fehlfunktionen) bilden wohl das Ergebnis der Reduktion von DA-Rezeptoren vor allem in den Basalganglien. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 489.) Aus all dem geht hervor, daß die Droge Alkohol nachhaltige neuronale Veränderungen verursacht, die es zunehmend schwerer machen, von diesem über kurz oder lang ruinösen Suchtmittel Abstand zu nehmen. Aber auch schwere strukturelle Hirnschäden sind die unvermeidbare Folge von chronischem Alkoholabusus, und zwar insbesondere im Frontallappen (äußerlich erkennbar bereits an dem Zerfall der geistigen und moralischen Persönlichkeit), in Teilen des Thalamus (sichtbar in einer Reduktion der Vitalität – bei fortschreitender Primitivität und Verflachung der Ansprüche) sowie im Cerebellum (bemerkbar an der Taumeligkeit der Bewegungen); auch die Raphe-Kerne und der Locus coeruleus im Hirnstamm sind betroffen – das Serotonin-System und das Noradrenalin-System erleiden schwere Einbußen mit den entsprechenden Konsequenzen. Zudem kommt es zu einer Reduktion des Zentralen Höhlengrau (des periaquaeductalen Grau oder des Griseum centrale), von dem wir sahen, wie wichtig es für die Steuerung des Schmerzempfindens ist; statt seiner weiten sich die Liquorräume; auch die Furchen der Großhirnrinde vergrößern sich durch den fortschreitenden Abbau von corticalen Nervenzellen. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 489.) Besonders dramatisch bei chronischem Alkoholkonsum ist der Verlauf des schon erwähnten korsakow-Syndroms, das in aller Regel durch Alkoholabhängigkeit zustande kommt, indem sowohl die neurotoxischen Wirkungen des Alkohol die Krankheit verursachen können als auch ein Mangel an Vitamin B1 (eine Thiamin-Deprivation), die zwar an sich auch auf eine Mangelernährung (bei Magersucht, Krebs u. a.) zurückgehen kann, die aber oft den Alkoho-

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Abb. B 79: Strukturformel von Thiaminpyrophosphat

lismus begleitet. Auch genetische Ursachen werden diskutiert, so zum Beispiel der Defekt eines Gens, das die Synthese eines Enzyms codiert, das seinerseits die Umwandlung von Thiamin (Vitamin B1) zu Thiaminpyrophosphat (dem Coenzym des Vitamin B1) katalysiert. (Vgl. monika pritzel: Gehirn und Verhalten, 531.) Die Strukturformel von Thiaminpyrophosphat (TPP) gibt Abb. B 79 wieder. TPP ist dadurch gekennzeichnet, daß das Kohlenstoffatom zwischen dem Stickstoffatom und dem Schwefelatom des sogenannten Thiazolrings sehr viel saurer (Protonen abgebend) ist als die meisten =CH-Gruppen und deshalb unter Bildung eines negativ geladenen Kohlenstoffatoms zum Beispiel an Pyruvat bindet, dessen aktivierte Aldehydeinheit dann auf andere Stoffe übertragen werden kann. (Zu Pyruvat und seiner Bedeutung im Zellstoffwechsel vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 159; 197–198; 215– 216.) TPP steht somit allen Enzymen als Coenzym zur Verfügung, die dem Transfer von aktivierten Aldehydeinheiten dienen. Ein Mangel an TPP hat deshalb Folgen, wie sie ähnlich auch bei der Thiamin-Mangelkrankheit Beriberi auftreten. (Vgl. lubert stryer: Biochemie, 545.) Die Hirnschäden des korsakow-Syndroms betreffen die Mamillarkörper, die anterioren und medialen Kerne des Thalamus sowie die periaquaeductale graue Substanz; auch die periventriculare graue Substanz ist involviert. Zu ergänzen sind die bereits genannten Folgen von Alkoholismus auch ohne ausgeprägtes korsakow-Syndrom: Schädigungen des präfrontalen Cortex, des basalen Vorderhirns, der Raphe-Kerne und des Locus coeruleus. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 531.) Zu den klassischen Symptomen des korsakow-Syndroms gehören schwere kognitive Defizite. Im Vordergrund steht eine Gedächtnis- und Merkschwäche; die Stimmung ist sehr labil, die Orientierung hochgradig gestört, das Auf-

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fassungsvermögen verlangsamt und leicht irritierbar; alle geistigen Anstrengungen sind rasch ermüdbar. Wahnideen können sich bilden, verbunden mit Größenphantasien und Konfabulationen (lat.: confabulari – vertraulich plaudern; Mitteilung von Pseudoerinnerungen, Gedächtnistäuschungen und Zeitgitterstörungen; Ausfüllen intellektueller Lücken durch assoziative Einfälle). (Vgl. eugen bleuler: Lehrbuch der Psychiatrie, 323– 324.) Jeder, der – womöglich in der eigenen Verwandtschaft oder im engen Freundeskreis – mit einem Menschen in diesem Spätstadium des Alkoholismus zu tun hatte, weiß, wie übermächtig das Leid des Betreffenden und wie unheimlich die persönliche Hilflosigkeit sein kann. Aber wieder: Hat man mit all dem auch schon verstanden, warum Menschen zu Alkoholikern werden und wie sie ihre Krankheit erleben? Erneut: nein! Der Grund dafür liegt darin, daß die individuelle Psychogenese, die persönliche Psychodynamik und schließlich die Charakterstruktur eines Menschen sich nicht annähernd zutreffend in die Sprache der (heutigen) Neurologie übersetzen lassen und daß es wesentlich seelisch relevante Erlebnisse sind, die zum Alkohol greifen lassen. Diese Feststellung ist bereits in der Tierpsychologie gültig. So gelang es Experimentatoren innerhalb von Wochen, eine an sich völlig gesunde Hauskatze alkoholkrank zu machen. (Vgl. e. drewermann: Ein Mensch braucht mehr als nur Moral, 158–161.) Vorstellen muß man sich «nur», wie das Scheitern in einem Zentralbereich der bisherigen Lebensführung auf ein bis dahin ganz «normales» Bewußtsein (Gehirn) wirken kann, und man wird begreifen, daß es zu einem suchtähnlichen Verlangen werden kann, «abzuschalten» und «von allem» «nichts mehr hören und sehen zu wollen». Psychoanalytiker werden die «Wahl» einer Trunksucht mit schweren «oralen» Entbehrungen bereits in der frühen Kindheit begründen, mit dem reaktiven Wunsch also, «in einer Mutter-Kind-Dualunion zu leben». (leopold szondi: Triebpathologie, I 420) Wie aber dieses Verlangen sich bis ins Unendliche, bis zu dem absolut menschlichen und zutiefst religiösen Desiderat einer Allversöhnung und eines Allverstehens gerade im Endstadium des Alkoholismus steigern kann, hat mit unnachahmlicher Einfühlung (wieder!) der russische Dichter fjodor michailowitsch dostojewski in seinem Roman Schuld und Sühne (1866) geschildert: «. . . wenn Er (sc. Christus, d. V.) sie alle (sc. die Guten und Gerechten, d. V.) gerichtet und ihnen allen vergeben hat», läßt er dort den Trinker Marmeladow sagen, «dann wird Er auch uns rufen: ‹Kommt her!› wird Er sagen, ‹kommt auch ihr! Kommt her, ihr Säufer, kommt her, ihr Schwachen, kommt her, ihr Übeltäter!› . . . Und dann werden die Weisen und Klugen ihre Stimme erheben: ‹Herr, warum willst du auch diese aufnehmen?› Und dann

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wird Er sagen: ‹Darum nehme ich sie auf, . . . weil keiner von ihnen je geglaubt hat, daß er dessen würdig sei . . .› Dann werden wir alles verstehen . . . Herr, dein Reich komme!» (1. Teil, II, S. 26 –27) – Wer sich ein wenig auch nur einarbeiten möchte in die Phantasien eines Trunksüchtigen mit seinem Ehrgefühl, seiner Sehnsucht nach Liebe, seiner Hoffnung auf ein Wunder und mit seinem Verlangen nach einem sanften Tod, der lese joseph roth: Die Legende vom heiligen Trinker (in: Die Erzählungen, 195 –233). Vielleicht ist alle «Trunksucht» nur eine Folge der bitteren Enttäuschung, selber kein «Heiliger» zu sein . . . einer Insuffizienz gegenüber einem perfektionistischen Überich, in der Sprache der Psychoanalyse. Doch egal, wie man’s nennt, die Form von Mitleid, die adäquat auf ein solches Ausmaß menschlichen Leids zu antworten vermöchte, muß wohl erst noch gefunden werden. Wie, wenn Alkoholismus nur ein Reflex der Verzweiflung darüber wäre, daß sich auf Erden so oft die Gnade nicht findet, die Menschen brauchen, um menschlich leben zu können?

γ) Coffein Auch Kaffee trinken wir aus vielen Gründen: um eine Berechtigung zu bekommen, daß wir uns in einem überfüllten Zug im Speisewagen aufhalten, um uns mit einer Arbeitspause zu belohnen, um beim Frühstück richtig «wach» zu werden . . . Obwohl der Trank der Muslime erst 1605 von Papst Clemens VIII. (1592 –1605) für das (katholische) Abendland «zugelassen» wurde (roland gööck: Erfindungen der Menschheit. Gesundheit – Nahrung – Wohnen – Bauen, 158), so ist der darin enthaltene psychoaktive Wirkstoff Coffein doch die heute beliebteste und am meisten konsumierte Droge überhaupt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 492.) Vor allem im beginnenden Maschinenzeitalter des 19. Jhs. wurde Kaffee zu der Bürgerdroge schlechthin und hat seinen Spitzenplatz als «Muntermacher» bis ins 21. Jh. erfolgreich behauptet. Worauf die Wirkung des Coffein, das auch in Tee, Cola und (Zartbitter-) Schokolade enthalten ist, eigentlich beruht, versteht man erst, wenn man sich den Einfluß von Adenosin verdeutlicht, eines Stoffes, den wir bisher zwar noch nicht besprochen haben und dem wir doch schon bei allen Stoffwechselvorgängen im Körper in Form von ATP (Adenosintriphosphat) begegnet sind: Es handelt sich bei Adenosin um die Verbindung zwischen der Purinbase Adenin und dem Zucker Ribose. (Zu Adenosin und anderen sogenannten Nucleosiden vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 69 –70; 179.) Die Strukturformel von Adenosin ist in Abb. B 80 wiedergegeben. Entscheidend in unserem Zusammenhang ist die Tatsache, daß Adenosin, in-

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Abb. B 80: Strukturformel von Adenosin

dem es an die Adenosinrezeptoren bindet, in sämtlichen Transmittersystemen die Transmitterfreisetzung hemmt – es verringert die Ausschüttung von DA, NA, Serotonin, ACh, GABA und Glutamat; mit einem Wort: Adenosinrezeptoren haben einen einzigen Zweck – sie dienen der Entspannung. Und nun ist es gerade die Eigenart des Coffein, selbst an die Adenosinrezeptoren zu binden und damit die Wirkung des Adenosin im Zentralnervensystem und in der Peripherie zu unterdrücken. Von daher putscht Coffein nicht selber auf; indem es aber den erholsamen Einfluß des Adenosin blockiert, wird die Neigung zu Müdigkeit unterdrückt, kann die Aufmerksamkeit verstärkt und insgesamt das Durchhaltevermögen «verbessert» werden; der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, das antidiuretische Hormon (ADH) wird gehemmt – Kaffeekonsum sorgt für Harndrang. Im mesolimbischen Belohnungssystem wird die Dopamin-Ausschüttung aus dem Nucleus accumbens erhöht – zusammen mit der vermehrten Leistungsfähigkeit stellt sich deshalb ein gewisses Wohlgefühl ein. Andererseits kann Coffeinkonsum auch zu Schlafstörungen führen und bereits vorhandene Angstgefühle intensivieren. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 492– 493.) Und wie bei allen Drogen kommt es bei chronisch überhöhtem Coffeingenuß zu einem Gewöhnungseffekt. Auch gegenüber der Coffeinwirkung versuchen die Neuronen das Gleichgewicht von Hemmung und Erregung zu verteidigen, indem sie die Blockierung der Adenosinrezeptoren durch das Coffein mit Hilfe einer Erhöhung ihrer Dichte vor allem in der Großhirnrinde ausgleichen; auch die Anzahl der serotonergen, cholinergen und GABAergen Rezeptoren erhöht sich; auf diese Weise kann es zu einer Abhängigkeit von Coffein

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kommen: Fehlt die Leistungsdroge so vieler geistig Arbeitenden (in Haushalt, Büro, Bank, Verwaltung, Universität usw.), stellen sich Kopfweh, Konzentrationsschwierigkeiten, seelische Erschlaffung, Niedergeschlagenheitsgefühle ein. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 493.) Was, möchte man erneut fragen, ist bloß mit einem Gesellschaftssystem los, das anscheinend nur um den Preis einer chronischen Störung sämtlicher Neurotransmittersysteme in den Köpfen seiner Mitglieder zu funktionieren vermag?

δ) Cannabis Cannabis ist neben Tabak und Alkohol die weltweit wohl am meisten verbreitete Rauschdroge, was schon ihre unterschiedlichen Namen zeigen: Marihuana heißt sie in Mexiko, Dope oder Grass in den USA, Khif oder Haschisch in Asien und Afrika, Bandsch auf arabisch; etymologisch steckt in Cannabis das griechische Wort für Getöse: der kónabos, was an das lärmende Verhalten der Haschisch-Verrückten erinnert. Gewonnen wird Cannabis aus der weiblichen Hanfstaude (Cannabis sativa) – Marihuana aus den getrockneten Blättern und Blüten, Haschisch aus dem Harz der Blütenspitzen. Seine Heimat hat Hanf in Ostindien und Persien, er wird aber seit alters her auch in Europa angebaut. Die Assyrer ebenso wie die indischen Brahmanen schätzten bereits im 1. Jtsd. v. Chr. den Rauch des Hanfs bei ihren Riten zur Vermittlung eigentümlicher (göttlicher) Erlebnisse. Sagenhaft umkleidet ist die Geschichte des Haschisch durch die Überlieferung von dem «Alten vom Berge», dem Oberhaupt der Assassinen (arab.: der Haschischesser), deren Gründer Hasan-e Sabbah (um 1040 –1124) mit etwa 300 Anhängern im Jahre 1090 im Norden Persiens die Festung Alamut eroberte und seine Todesengel zu einer Reihe politischer Morde ausschwärmen ließ; dabei versetzte man die ausgesuchten Opfer mit Haschisch-Plätzchen in einen Zustand der Willenlosigkeit, ehe sie hinterrücks aus dem Wege geräumt wurden. (Vgl. helga lippert: Todesboten aus Alamut, in: Terra X, 8– 47, S. 14 –39.) In Europa waren es im 19. Jh. vor allem die Dichter charles baudelaire (1821–1867) und arthur rimbaud (1854 –1891), die einem breiten Publikum die geheimnisvolle Wirkung des Haschisch anempfahlen. «Der Haschisch», urteilte richtig ernst jünger (Annäherungen. Drogen und Rausch, 225), «entsprach der Kulturkritik und dem Kulturekel des Dandysmus besser als das Opium. Er führt, metaphysisch gesehen, weniger tief hinab; auch trennt er nicht von der Gesellschaft, obwohl er von ihr entfernt.» Wirklich zu einem Massenkult wurde der Haschischkonsum freilich erst in den 60er Jahren des 20. Jhs., als die Hippie-Bewegung bei ihrer Flucht vor den

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Zwängen der kapitalistischen Erfolgsgesellschaft sich auf die Wallfahrt nach Ländern wie Afghanistan und Nepal begab, um dort den begehrten Stoff zu Billigstpreisen an der Ladentheke einkaufen zu können. Dabei wurde die eigentliche psychotrope (die Seele verwandelnde, griech.: tropeı˜n – umwenden) Substanz erst 1965 entdeckt; ihr chemischer Name lautet Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC). Eigentlich liegt THC in der Cannabispflanze inaktiv vor; erst bei Hitzeeinwirkung, beim Rauchen zum Beispiel, gewinnt es vermittels eines wärmeabhängigen Enzyms, einer Decarboxylase, seine bewußtseinsverändernden Eigenschaften. Da THC zwar nicht in Wasser, wohl aber in Fett löslich ist, kann es die Blut-Hirn-Schranke ebenso wie die Placenta passieren – es erreicht das Gehirn genau so wie einen Embryo. Abgebaut wird THC (über Zwischenprodukte) mit einer Halbwertzeit von etwa 30 Stunden. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 498.) Seine Wirkung entfaltet THC an seinen eigenen «Cannabinoid»-Rezeptoren (CB-Rezeptoren). Dockt das THC an den CB-Rezeptor eines präsynaptischen Endknöpfchens an, so wird ein G-Protein aktiviert, das seinerseits das Enzym Adenylatcyclase inhibiert, von dem wir schon wissen, daß es bei der Umwandlung von ATP (Adenosintriphosphat) in cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat) beteiligt ist; durch die Hemmung der Adenylatcyclase sinkt die Konzentration von cAMP und mithin auch die Aktivität der cAMP-abhängigen Kinasen. Die Folge: beim Eintreffen eines Aktionspotentials an der präsynaptischen Endigung können sich die spannungsgesteuerten Ca2+-Kanäle nicht öffnen, die Ca2+-Ionen können nicht einströmen und die zur Weitergabe des Signals notwendige Transmitterfreisetzung unterbleibt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 499.) Abb. B 81 bietet eine schematische Ansicht dieser Vorgänge. Wohlgemerkt ist diese Hemmung durch THC unspezifisch – sie betrifft exzitatorische ebenso wie inhibitorische Neurotransmitter. Besonders die Leistungsfähigkeit des GABAergen Systems wird dadurch verringert, mit der Folge, daß Neuronen, die eigentlich durch GABAerge Interneuronen gehemmt würden, mitmal aktiviert sind; mit der Aktivierung dopaminerger Neuronen im präfrontalen Cortex erklärt sich zum Beispiel die stimulierende, mitunter halluzinogene Wirkung von Cannabis; auch im mesolimbischen Belohnungssystem führt die hemmende Wirkung des THC auf die GABAergen Interneuronen dazu, daß aus dem Nucleus accumbens verstärkt Dopamin freigesetzt wird, was die euphorische Stimmung bei Haschisch-Konsum verständlich machen könnte. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 500.) Da un-

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Abb. B 81: Die Hemmung der Transmitterfreisetzung durch Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC)

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ter THC-Einwirkung im Gegenzug die Glutamatfreisetzung aus den Neuronen im Hippocampus vermindert wird, kann Cannabis – zum Leidwesen inzwischen vieler Lehrer an deutschen Schulen – auf die Lernbereitschaft und Lernfähigkeit nur denkbar ungünstig wirken. (Vgl. monika pritzel u. a.: A. a. O., 499.) Obwohl die Rezeptorendichte bei Langzeitkonsum von Haschisch sich nicht so stark verändert wie bei anderen Rauschmitteln (vgl. monika pritzel u. a.: A. a. O., 500), hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits im Jahre 1961 Cannabis als eine gefährliche Droge unter Verbot gestellt. Tatsächlich stehen Haschischraucher in der Gefahr, sich immer mehr aus der Wirklichkeit in das Reich der Träume zu entfernen; ob Cannabis freilich, wie oft behauptet wird, als eine Einstiegsdroge (zum Beispiel in die Heroinabhängigkeit) zu beurteilen ist, mehr als etwa Nicotin und Alkohol, ist nach wie vor umstritten.

ε) Psychedelika: Vom aztekischen «Zauberpilz» zu LSD Unter «Psychedelika» versteht man Rauschmittel, die «die Seele offenbaren» (von griech.: die psyche¯ – Seele, de¯lou˜ n – offenbaren), wie der Psychiater humphrey osmond (1917–2004) Stoffe dieser Art nannte; und nicht nur die Seele – scheinbar auch das Transzendente, das Göttliche, das «Selbst» (in der Sprache carl gustav jungs), das Universum «offenbaren» Psychedelika. Vor allem für unsere Zielsetzung: Neurologie und Theologie miteinander ins Gespräch zu bringen, sind die Wirkungen dieser Substanzen deshalb hochinteressant. Sie verhelfen nicht nur dazu, manche «religiös», als Eingebung göttlicher Kräfte, gedeuteten Phänomene in der Religionsgeschichte oder etwa im gegenwärtigen Katholizismus besser zu verstehen, sie bereiten mittelbar bereits auf Fragen vor, die wir am Ende dieses Buches stellen müssen: Gibt es so etwas wie einen «Beweis» für Gott im menschlichen Gehirn, wie einige Autoren ernsthaft behaupten? Was ist es mit den «Nahtod»-Erfahrungen? Wie kommt es zu Begebenheiten wie der Erscheinung der Mutter Gottes an inzwischen berühmten Wallfahrtsorten? Die Reihe der nach göttlicher Offenbarung und letzter Erkenntnis Suchenden ist lang, fast so lang wie die Liste der Psychedelika, die ihnen dabei behilflich waren oder hätten sein sollen. Der Brahmanismus zum Beispiel erwähnt in den Veden einen Rauschtrank, Soma genannt, der «als eine Gottheit» vorgestellt wurde, die «mit dem Mond verselbigt» ward, «der gleichsam als eine Schale des kostbaren Nektars» galt. (helmuth von glasenapp: Glaube und Ritus der Hochreligionen, 31) Vieles spricht dafür, daß es sich bei dem rätselhaf-

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Abb. B 82: Psilocin und Psilocybin – die beiden Wirkstoffe des Zauberpilzes

ten Soma um den Fliegenpilz handelt, den die arischen Einwanderer wohl schon um 1500 v. u. Z. ins Industal mitbrachten. In den schamanistischen Religionen der ostsibirischen Tschuktschen und Kamtschadalen galten die Pilze ihrer halluzinogenen Wirkung wegen für Zwerge mit allmächtigen Kräften, ähnlich der Bedeutung, die ihnen auch in den grimmschen Märchen noch zukommt. Als Wirkstoff des Fliegenpilzes betrachtete man das bereits erwähnte Alkaloid Muscarin; doch wird Muscarin von der Darmwand nur in geringen Mengen aufgenommen, die nicht ausreichen, um Halluzinationen hervorzurufen. Daher kommen eher andere Stoffe wie Muscimol oder Muscazon in Frage. Ein anderer Pilz, der sogenannte «Zauberpilz», dessen aztekischer Name Teonanácatl («Götterspeisenpflanze») lautet und dessen Konsum bei geheimen Kulten gepflegt wurde, ist seit 500 v. u. Z. in Mesoamerika nachgewiesen. Erst 1955 gelang es dem Ehepaar r. gordon wasson (1898 –1986) und valentina pavlona wasson, sich in den Besitz von Teonanácatl zu bringen; dann freilich dauerte es nicht mehr lange, bis 1958 albert hofmann (geb. 1906) die zwei Wirkstoffe des «Zauberpilzes» isolieren und ihre Strukturen aufklären konnte: Psilocin und Psilocybin, wobei Psilocybin durch Abspaltung der Phosphatgruppe im Körper sehr schnell in Psilocin überführt wird, so daß Psilocin die

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Abb. B 83: Strukturformel von Mescalin

eigentlich psychoaktive Substanz ist. Die Wirkung dieser Stoffe ähnelt dem uns schon bekannten Lysergsäurediethylamid (LSD, vgl. Abb. A 78), hält aber nur 4– 8 Stunden an und nicht 8–12 Stunden wie LSD. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 191–193.) Die Strukturformeln von Psilocin und Psilocybin sind in Abb. B 82 dargestellt. Für die mexikanischen Indios stand der Peyote (aztekisch: peyotl – Wurzel), ein dornenloser Kaktus (Lophophora williamsii), im Zentrum ihrer religiösen Riten; aus ihm wird das Alkaloid Mescalin gewonnen, ein Stoff, den arthur carl wilhelm heffter (1859 –1925) bereits im Jahre 1896 zu isolieren vermochte und dessen chemische Struktur von ernst spaeth (1886 –1946) entschlüsselt wurde. Auch Mescalin ruft, wie LSD, Halluzinationen und starke Farbvisionen hervor. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 188 – 189.) Die Strukturformel von Mescalin zeigt Abb. B 83. Gepflegt wird der Peyote-Kult noch heute bei den Tarahumara im SierraMadre-Plateau im Nordwesten Mexikos (vgl. michael marten: Die Tarahumara in Mexiko, in: Bild der Völker, IV 2, 190) und bei den Huichol im mexikanischen Bundesstaat Nayarit, die einmal im Jahr im Oktober etwa 8–12 Männer 650 km östlich in die Wüste von Mittelmexiko entsenden, um sich mit dem notwendigen Peyote-Vorrat zu versorgen (vgl. franklin a. hoffman: Die Huichol in Mexiko, in: Bild der Völker, IV 2, 193–198). Auf US-amerikanischem Boden hat der Peyote-Kult sich in der Native American Church of the United States lebendig erhalten, in welcher indianischer Glaube und Christentum miteinander verschmolzen sind. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 188.) Ein uns näherstehender «Prophet» der Psychedelika war der englische Schriftsteller aldous huxley (1894 –1963), der in seinem Aufsatz Die Pforten der Wahrnehmung (1954) die Folgen eben eines Mescalin-Rausches beschrieb:

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die Vision von goldenen Lichtern, roten Flächen, hellen Knoten von Energie, Vibrationen musterbildenden Lebens – Eindrücke, wie sie ganz ähnlich auch unter Einfluß von LSD zustande kommen; lebhafte Synästhesien (griech.: syn – mit, zusammen; die aísthe¯sis – Empfindung; die Miterregung eines Sinnesorgans bei Reizung eines anderen) treten auf, zum Beispiel Farbempfindungen bei Geräuschen; die Raumwahrnehmung ähnelt dem Blick durch ein falsch herum gehaltenes Fernglas, das Zeitgefühl verschwimmt ins Unendliche, die Grenzen zwischen Ich und Nicht-Ich (in der Sprache johann gottlieb fichtes, 1762–1814) lösen sich auf, die Ich-Empfindung, das «Ego», geht verloren. «Dies», notiert huxley, «. . . ging denn doch zu weit. Zu weit, obgleich es ein Eindringen in intensivere Schönheit, tiefere Bedeutung war. Die Furcht (sc. die jetzt eintrat, d. V.) . . . galt einem Überwältigtwerden, einem Zerfallen unter einem Druck der Wirklichkeit, der so stark würde, daß ihn ein die meiste Zeit in einer kosigen Welt von Symbolen zu leben gewohnter Geist unmöglich ertragen könnte.» (Zit. n. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 185.) Die Frage stellt sich natürlich, ob derart massive Einbrüche von «Transzendenz» in den Innenraum unserer Alltagserfahrung, vor allem wenn drogeninduziert, eine bloß subjektive Täuschung sein können. Von allen psychedelischen Drogen hat in unserem Kulturkreis wohl keine eine solche Berühmtheit erlangt wie LSD. Es handelt sich dabei um einen halbsynthetischen Stoff, der aus dem Mutterkorn (Claviceps purpurea, engl.: ergot) gewonnen wird, einem parasitären Pilz, der zum Beispiel Roggen befällt. Als Grundsubstanz aller Mutterkornalkaloide identifizierte man die sogenannte Lysergsäure, den Ausgangsstoff für die LSD-Herstellung. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 193 –194.) Schon der Mutterkornpilz selbst war wegen seiner giftigen, Nekrosen (von griech.: die nékro¯sis – Absterben) erzeugenden und krampfauslösenden Wirkung seit alters her gefürchtet, wurde aber trotzdem seit dem Mittelalter auch als Medizin verwandt: Hebammen und Ärzte nutzten die uteruskontraktive (lat.: der uterus – Mutterschoß, contrahere – zusammenziehen) Wirkung der Mutterkorndroge zur Einleitung der Wehen bei der Geburt und zur nachgeburtlichen Blutstillung. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 193 –194.) Im 20. Jh. gelang es den Forschern, immer mehr aktive Substanzen aus dem Mutterkornpilz zu isolieren und ihre Struktur zu ermitteln. Als erste dieser Verbindungen fand arthur stoll (1887–1971) im Jahre 1918 das Ergotamin, das gefäßverengend (vasokonstriktiv, lat.: das vas – Gefäß, constringere – zusammenschnüren) auf die peripheren Blutgefäße des Kopfes wirkt und bis

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heute ein – allerdings oft unzuverlässiges und schlecht verträgliches – Mittel zur Migränebehandlung darstellt. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 194; hartmut göbel – axel heinze: Der Presslufthammer im Kopf, in: Gehirn und Geist, 4/2003, 53.) Vor etwa 70 Jahren entdeckten stoll und andere Forscher das Ergonovin, das Uteruskontraktionen auslöst und als gynäkologisches Standardmedikament mitte der 30er Jahre des 20. Jhs. auf den Markt kam, nachdem es albert hofmann gelungen war, diesen Stoff synthetisch in großen Mengen herzustellen. hofmann isolierte zudem aus einem Gemisch von Mutterkornalkaloiden, das wegen seiner giftigen Wirkung als Ergotoxin (von engl.: ergot – Mutterkornpilz; griech.: das toxikón – das zum Bogenschießen gehörige phármakon, Gift) bezeichnet wurde, drei reine Verbindungen, die hernach in hydrierter Form (also nach Anlagerung von Wasserstoffatomen) unter dem Handelsnamen Hydergin vertrieben wurden und bis heute zur Verbesserung der geistigen Funktionen bei alten Leuten eingesetzt werden. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 194 –195.) In der Folgezeit stellte hofmann eine ganze Reihe halbsynthetischer Mutterkornalkaloide im Labor her, indem er Lysergsäure mit verschiedenen Aminen kombinierte, unter anderem LSD – Lysergsäurediethylamid. Als er die Reinigung und Kristallisierung der neuen Substanz gerade abgeschlossen hatte, stellten sich bei ihm merkwürdige Schwindelgefühle, rauschartige Zustände, kaleidoskopische Farbenspiele ein; und um der Sache auf den Grund zu gehen, nahm er drei Tage später, am 19. Apr. 1943, im Selbstversuch 0,25 mg des Stoffes zu sich – sehr wenig für «normale» Medikamente, doch sehr viel für LSD. Die Wirkung war durchschlagend: «Alles in meinem Gesichtsfeld», schrieb hofmann, «schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel . . . Möbelstücke nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an . . . Die Nachbarsfrau . . . erkannte ich kaum mehr. Das war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze. Aber schlimmer als diese Verwandlungen der Außenwelt ins Groteske waren die Veränderungen, die ich in mir selbst, an meinem inneren Wesen, verspürte. Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äußeren Welt und die Auflösung meines Ichs aufzuhalten, schienen vergeblich. Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen. Ich sprang auf und schrie, um mich von ihm zu befreien, sank dann aber wieder machtlos auf das Sofa . . . Eine furchtbare Angst, wahnsinnig geworden zu sein, packte mich. Ich war in eine andere Welt geraten, in andere

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Räume mit anderer Zeit. Mein Körper schien mir gefühllos, leblos, fremd. Lag ich im Sterben? War das der Übergang? Zeitweise glaubte ich außerhalb meines Körpers zu sein und erkannte dann klar, wie ein außenstehender Beobachter, die ganze Tragik meiner Lage.» (Zit. nach solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 195; 197.) Was, wenn einer der vernünftigsten Chemiker im 20. Jh. sich auf Grund der bloßen Einnahme von LSD plötzlich von Teufeln besessen und ganz außer sich fühlt, ist an den psychedelischen Drogen derart «bewußtseinerweiternd»? Abb. B 84 gibt die Strukturformeln, Wirkungen und Anwendungsbereiche von Ergotamin, Ergonovin und, nochmals zum Vergleich, von LSD wieder. In den Strukturformeln liegt auch schon begründet, was die «bewußtseinerweiternde» Wirkung psychedelischer Substanzen ausmacht: es ist allem Anschein nach ihre Ähnlichkeit mit den Neurotransmittern Dopamin und Noradrenalin (vgl. Abb. A 72) sowie Serotonin (vgl. Abb. A 77). Psilocin und Psilocybin (vgl. Abb. B 82) sind dem Serotonin strukturell ähnlich; Mescalin (vgl. Abb. B 83) gleicht in seiner Struktur eher dem Noradrenalin oder dem Dopamin, doch bestehen auch hier einige Ähnlichkeiten mit dem Serotonin; und für LSD (vgl. Abb. B 84) gilt: «Zwei der vier Ringe des LSD-Moleküls sind mit dem Ringsystem von Serotonin identisch, und die Seitenkette an der Ringstruktur des Serotonins entspricht einem anderen Teil des LSD-Moleküls.» (solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 198) Im weiteren lag es natürlich auf der Hand zu untersuchen, inwiefern Psychedelika die DA-, NA- und Serotonin-Transmittersysteme beeinflussen können und dadurch vielleicht ihre «offenbarende» Wirkung verursachen. Im Jahre 1953 stellte john gaddum fest, daß auch Serotonin Uteruskontraktionen hervorruft, daß aber bereits kleine Mengen von LSD die Wirkung von Serotonin auf den Uterus unterbinden. Durch Analogieschluß folgerte er, daß LSD seine Wirkung genauso wie im Uterus auch im Gehirn durch eine Blockade der Serotoninrezeptoren erziele. Doch diese These erwies sich als falsch: manche LSD-Derivate (wie zum Beispiel 2-Bromo-LSD) hemmen die serotonininduzierten Uteruskontraktionen gar noch stärker als das Mutterkornalkaloid, lösen im Gehirn aber keine psychedelischen Wirkungen aus; Mescalin wiederum ist das Psychedelikum schlechthin, es ist aber kein Serotoninantagonist. Dem Geheimnis der Psychedelika kam man erst auf die Spur, als george aghajanian (geb. 1932) mit Mikroelektroden Einzelableitungen an serotoninergen Neuronen vornahm. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 199.) Wir haben bereits gesehen, wie von den Raphe-Kernen in der Mittellinie des

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Abb. B 84: Strukturformeln, Wirkungen und Anwendungsbereiche von Ergotamin, Ergonovin und LSD

Hirnstamms aus sich das serotonerge System über das ganze Gehirn verzweigt (vgl. Abb. A 14); besonders dicht ist es auf das limbische System verschaltet. aghajanian nun, indem er Ratten LSD injizierte und dann die Aktivität von serotonergen Neuronen in den Raphe-Kernen erforschte, fand heraus, daß LSD in der Tat die Serotoninneuronen im Gehirn augenblicklich veranlaßt, das Feuern einzustellen; derselbe Effekt zeigt sich auch bei Psilocin und Psilocybin, nicht aber bei Mescalin. (Vgl. solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 201; 203.) Darüber hinaus untersuchte aghajanian ab 1980 die Impulsrate

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der NA-Neuronen des Locus coeruleus; dabei fand er, daß LSD und Mescalin die noradrenergen Neuronen dahin beeinflussen, noch schneller zu feuern – in bemerkenswertem Unterschied zum Beispiel zu den Amphetaminen; es ist aber nicht so, daß LSD und Mescalin die NA-Neuronen selber zu spontanen Entladungen veranlassen würden, diese Stoffe verstärken lediglich die Wirkung aller Art von Sinnesreizen auf die Neuronen im Locus coeruleus. «Die Wirkung von Psychedelika auf die sensorische Erregbarkeit muß daher indirekter Natur sein – offensichtlich treten die Wirkstoffe mit einer anderen Gruppe von Neuronen in Wechselwirkung, die ihrerseits in direktem Kontakt mit dem Locus coeruleus stehen.» (solomon h. snyder: A. a. O., 204 –205) Und in dieser Feststellung liegt allem Anschein nach die Erklärung für die betörende Wirkung der Psychedelika, deren Konsum in den 60er Jahren zu einem wahren Kult für alle Kulturmüden, Gelangweilten, Ekstaseheischenden in San Francisco und in den meisten Ländern amerikanischen Einflusses ausartete. Wir müssen uns nur noch einmal erinnern, wie «diffus» und «unspezifisch» sich das NA-System im Gehirn verzweigt (vgl. Abb. A 13), und es wird klar, was im Gehirn passieren wird, wenn bestimmte Stoffe alle Sinneswahrnehmungen gleichzeitig «überdrehen»: Kein Wunder, daß es plötzlich zu Synästhesien kommt, daß die Grenzen zwischen den verschiedenen Sinneseindrücken miteinander verschmelzen und ineinander übergehen, daß ein außerordentlich hoher Grad an Wachheit ein «transzendentes» Bewußtsein vermittelt, in dem das Ich sich ins Universelle, Kosmische öffnet. All diese Eindrücke spiegeln offenbar keine bewußtseinsunabhängige Realität, für deren Wahrnehmung bestimmte Pilze nun endlich die ansonsten verschlossenen «Pforten» auftun würden; die Erfahrungen in psychedelischem Zustand ergeben sich aus einer extremen Aktivierung unseres Wahrnehmungssystems. «Wenn der Locus coeruleus sämtliche Arten von Sinnesbotschaften – ob sie nun vom Sehen, Hören, Berühren, Riechen oder Schmecken herrühren – in einem generalisierten Erregungssystem innerhalb des Gehirns zusammenlaufen läßt, ist ohne weiteres einsichtig, daß eine Stimulation des Locus coeruleus dem Wirkstoffkonsumenten das Gefühl vermittelt, seine Sinneseindrücke würden die Grenzen zwischen den verschiedenen Modalitäten überschreiten.» (solomon h. snyder: Chemie der Psyche, 205 –206) Umgekehrt scheint der Locus coeruleus, «indem er den Grad unserer Wachheit unter normalen Umständen beeinflußt – ganz entscheidend über das (zu) bestimmen, was Psychologen das Ego nennen: das Bewußtsein eines jeden Menschen, eine eigenständige Person zu sein, losgelöst von allen anderen und allein dem Universum gegenübertretend». (solomon h. snyder: A. a. O., 207)

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Sollten wir also weiter mit Psychedelika experimentieren, um kritisch den «Wahrheitsgehalt» der Religionen zu erforschen, wie aldous huxley vorschlug, oder um die Eigenart psychotischer Erlebnisse besser zu verstehen, wie man es in den 70er Jahren versuchte? Und wiederum gefragt: haben wir wirklich verstanden, warum die Priester der Azteken zu ihren Zauberpilz-Drogen griffen, nur weil wir jetzt wissen, daß Psychedelika die Aktivitäten des noradrenergen Systems verstärken? Offenbar gilt es, in all dem wahnhaft und rauschhaft Anmutenden der Religionen die Standortbestimmung, die Sinnsuche des Menschen nicht aus den Augen zu verlieren. «Wir sind beim Thema», meinte ernst jünger bei der Besprechung der «mexikanischen» Droge LSD; «den Menschen in die rechte Position zum Universum bringen – das ist wichtiger, als daß sich sein Wissen vermehrt. Die Bildungsprogramme, wie eben jetzt (sc. um 1970, d. V.), die Pläne zur Universitätsreform, eröffnen Ausblicke auf eine Scheinwelt, in der die Automaten, die Langeweile und die Selbstmorde zunehmen werden – um das vorauszusagen, braucht man nicht Prophet zu sein. Das ist der Stil von intelligenten und selbstzufriedenen Güterbahnhofsdirektoren, die Wissen wie Stückgut hin- und herschieben. Immerhin gibt es noch solche, die mit dem vorgekauten Futter und mit der Welt der Gleise und Stellwerke nicht auskommen. Die Geister scheiden sich.» (Annäherungen. Drogen und Rausch, 293) Und so viel steht fest: um die Empfindungen von Schmerz, Lust und Sucht zu begreifen, bedürfen wir einer tieferen Einsicht in die Eigenart unserer Gefühle und Gedanken. Sprechen wir als nächstes also über Emotionen.

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Leistungen des Gehirns und Fragen aus Philosopie und Theologie

6. Emotionen oder: Von Aggression, Beschwichtigung und Liebe

a) Von Tieren und Menschen Was Gefühle sind, weiß jeder. Irgend etwas geht schief – Ärger tritt auf. Man sehnt sich nach der Nähe eines geliebten Menschen, und das Glück, wenn er kommt, kann ebenso stark sein wie die Trauer, wenn er geht. Man wird zum Zeugen eines Autounfalls, und ein Sturm ganz unterschiedlicher Affekte von Erschrecken, Neugier, Mitleid, Entsetzen oder Panik bricht herein. Eine Arbeit ist mit Erfolg abgeschlossen worden, und das Selbstwertgefühl kann steigen bis hin zu Ruhmsucht und Stolz. Die Aufzählung derartiger Gefühle ließe sich endlos fortsetzen. Doch gerade aus dieser Tatsache ergeben sich für die wissenschaftliche (psychologische wie neurologische) Forschung zwei erhebliche Schwierigkeiten: Wie läßt sich das «Meer» der Gefühle in einzelne Erlebnisweisen aufteilen, die als isolierte Phänomene einer präzisen Definition und Beobachtung zugänglich sind? Und: Wie läßt sich der subjektive Faktor, der für die Welt der Gefühle so «allbekannt» ist, in ein Raster objektivierbarer Kriterien übersetzen? Wenn Wissenschaftler mit den Methoden ihres eigenen Fachgebietes nicht recht weiterkommen, ist es ratsam, sich von den Kollegen anderer Forschungszweige Hilfe zu holen. So bei der Erforschung von Gefühlen. Wenn es jemals gelingen soll, die neuronalen Schaltkreise und die Trägerstoffe bestimmter Gefühle im Gehirn zu ermitteln, muß man erst einmal wissen, was für «Gefühle» in unserem Gehirn eigentlich «vorgesehen» sind; mag es auch einen «Ozean» an Gefühlen geben, so lassen sich doch vielleicht die «Flüsse» aufzählen, von denen jenes «Meer» gespeist wird. Als die «Hilfswissenschaften» der Wahl empfehlen sich an dieser Stelle Verhaltensforschung (Ethologie, von griech.: das éthos – Sitte, Verhalten; der lógos – Wort, Kunde) und Völkerkunde (Ethnologie, von griech.: das éthnos – Stamm, Volk). Doch noch ehe wir das Verhalten von Tieren und Menschen auf ihre Gefühle hin untersuchen, läßt sich evolutionsbiologisch die Frage stellen, warum es überhaupt dazu kommen konnte, daß Lebewesen (nicht nur über Empfindungen und Motivationszustände, sondern auch) über Gefühle verfügen.

Emotionen oder: Von Aggression, Beschwichtigung und Liebe

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Der erste, der sich über diese Frage begründete Gedanken machte, war – wie könnte es anders sein – erneut charles darwin. In seinem Buch Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren (1901; engl. 1872) wandte er die übliche naturwissenschaftliche Vorgehensweise – des Vergleichens, des Feststellens von Gemeinsamkeiten und deren Erklärung durch Auffinden von Gesetzmäßigkeiten – auch auf die menschlichen Verhaltensweisen an und gelangte so zu einer Evolutionstheorie des emotionalen Ausdrucks; dabei formulierte er drei «Prinzipien»: 1) »Emotionales Ausdrucksverhalten entwickelt sich aus Verhaltensweisen, die anzeigen, was das Tier als Nächstes tun wird.» 2) »Wenn diese Verhaltensweisen dem betreffenden Tier von Nutzen sind, werden sie sich in einer Weise weiterentwickeln, die ihre kommunikative Funktion verstärkt»; allerdings kann es durch Ritualisierung zu einem Verlust bzw. zu einem Wechsel der ursprünglichen Bedeutung kommen. 3) »Gegensätzliche Botschaften werden oft durch entgegengesetzte Bewegungen und Körperhaltungen ausgedrückt»: das Prinzip der Antithese. (john p. j. pinel: Biopsychologie, 491) Schon ein Jahr zuvor, 1871, hatte darwin in seinem zweiten bedeutenden Hauptwerk über Die Abstammung des Menschen den niederen Tieren «dieselben Gemüthsbewegungen» wie den Menschen zugeschrieben und geltend gemacht: «Der Schreck wirkt auf sie in derselben Weise wie auf uns, er macht ihre Muskeln erzittern, ihr Herz schlagen, die Schließmuskeln erschlaffen und das Haar sich aufrichten. Verdacht, das Kind der Gefahr, drückt sich äußerst charakteristisch bei vielen wilden Thieren aus . . . Jedermann weiß, wie leicht Thiere wüthend werden und wie deutlich sie es zeigen.» (A. a. O., Kap. 3, S. 76) Auch bei diesen Betrachtungen zeigte sich darwins Genie nicht zuletzt darin, daß er das Problem der Emotionen als Naturwissenschaftler sogleich von der «richtigen» Seite her anfaßte: er versuchte nicht die subjektive Modalität bzw. das «Wesen» bestimmter Gefühlszustände zu erfassen, sondern er widmete sich der beobachtbaren Seite, indem er «Gefühle» als «Ausdrucksverhalten» beschrieb. Damit war zugleich der «Sinn» gegeben, der sich den Emotionen funktional zuschreiben ließ: das emotionale Ausdrucksverhalten dient der innerartlichen Kommunikation; es zeigt Artgenossen an, in welch einem Gemütszustand sich ein Individuum befindet und was, wenn die Auslöser für diesen Gemütszustand sich nicht alsbald ändern, als die nächste seiner Aktionen zu erwarten steht. Über das System emotionalen Ausdrucksverhaltens werden Artgenossen somit einander «berechenbar». Damit ist zugleich auch ein wichtiges «neurologisches» Kriterium für das gegeben, was wir als «Emotion» be-

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zeichnen: Es ist davon auszugehen, daß Emotionen neben dem Zentralnervensystem auch das autonome (vegetative) Nervensystem einbeziehen, und klar dürfte darüber hinaus sein, daß Emotionen auf das Hormon- und Immunsystem einwirken. Emotionen können Krankheiten ebenso begünstigen wie sie Gesundungsprozesse einleiten; nicht nur psychologisch, sondern auch psychosomatisch und medizinisch sind sie von erheblicher Bedeutung. Doch selbst das ist nur ein Aspekt an dem darwinschen Forschungsansatz. Wenn emotionales Ausdrucksverhalten sich evolutiv entwickelt hat, so wird es sich artübergreifend entlang dem ganzen Stammbaum («phylogenetisch») zurückverfolgen lassen; es wird, wie darwin selbst feststellte, nicht nur den Menschen bzw. den Primaten, ja, nicht einmal nur den Säugetieren, sondern auch den «niederen» Tieren zueigen sein. Die Erfahrung gibt dem ohne weiteres recht: Wenn unser Hund die Ohren nach vorne richtet, den Rücken gerade hält, das Fell sträubt und den Schwanz nach oben stellt, so leidet es keinen Zweifel, daß er wütend ist – er droht mit seiner Aggression, er warnt vor dem Angriff, der unfehlbar folgen wird, wenn sein Gegner (sein Revier-, Nahrungs- oder Sexualkonkurrent) nicht auf der Stelle nachgibt; wenn hingegen – nach dem Prinzip der Antithese – unser Hund die Ohren anlegt, den Rücken «unterwürfig» nach unten durchdrückt (also angreifbar macht), das Fell normal hält und mit dem Schwanz nach unten zeigt, so ist für jeden «einfühlbar», daß das Tier sich emotional in einem Zustand demütiger Aggressionsvermeidung und defensiver Unterwürfigkeit befindet. Der evolutive Vorteil derartiger emotionaler Ausdrucksbewegungen leuchtet sofort ein: Wenn ein System von Warnung und Beschwichtigung schon im vorhinein erkennbar macht, wer bei einer aggressiven Auseinandersetzung der «Gewinner» sein wird, so lassen sich die mit Verletzungsgefahr und Energieverlust verbundenen Kämpfe durch eben solche ritualisierte Formen des Ausdrucksverhaltens vermeiden. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 491; paul leyhausen: Biologie von Ausdruck und Eindruck, in: K. Lorenz – P. Leyhausen: Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens, 347– 356.) Betrachten wir zur Veranschaulichung nur einmal eine Szene, wie sie in Abb. B 85 dargestellt ist: Zwei Nashorn-Bullen stehen einander gegenüber und machen ihren Anspruch auf ein Revier oder ein Weibchen geltend; dabei wiederholen sie immer wieder die gleichen Gesten, bis einer der Rivalen aufgibt: als erstes kreuzen die Tiere ihre Hörner (1), dann fegen sie mit ihnen über den Boden (2); schließlich zieht der Unterlegene sich zurück, während das dominante Männchen seine Überlegenheit dadurch demonstriert, daß es Harn versprüht (3); es bestätigt sich damit selbst als der revierinnehabende Bulle.

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Abb. B 85: Ritualisierter Rivalenkampf unter Nashorn-Bullen

Entscheidend in all dem ist die Kampfvermeidung durch ritualisierte Ausdrucksformen aggressiver Emotionen. An dieser Stelle nun kann die Arbeit der Ethologen in die Arbeit der Ethnologen übergehen. So einfach es sein mag, sich in die Gefühlslage seines Hundes (oder seiner Katze oder anderer Säugetiere wie eben von Nashorn-Bullen, aber auch des Hahns auf dem Hof oder des Papageis im Käfig, ja, schon des Goldfischs im Aquarium) zu versetzen, so schwierig mutet es uns oft an, den Gemütszustand von Menschen anderer Kulturen und anderer Rassen zu begreifen. Ein Grund dafür liegt bereits an der unterschiedlichen Gesichtsform – betreffend vor allem Stirn, Augen, Nase und Mund; doch wichtiger noch sind

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die kulturellen Divergenzen bezüglich der Inhalte, mit denen bestimmte Emotionen verknüpft werden, sowie der Weise und der Anlässe, in denen Gefühle gezeigt werden. So sind zum Beispiel Westeuropäer mit ihrer starken Betonung individueller Interessen und Befindlichkeiten nicht ohne weiteres darauf vorbereitet, in Ostasien einer Schamkultur zu begegnen, für die der «Gesichtsverlust» – das Zeigen persönlichen Leids oder persönlicher Schwächen – als eine Schmach empfunden wird, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt; Amerikaner wiederum tun sich derzeit offenbar besonders schwer, bei ihrer eigenen Ambivalenz zwischen Prüderie und Obszönität im Umgang mit menschlicher Sexualität und Nacktheit, einen so andersartigen Kulturraum wie den der islamischen Länder zu verstehen, in denen die Entblößung von Frauen und Männern als eine Vernichtung der persönlichen Würde empfunden wird. Da Emotionen stets Bewertungen von Erfahrungsinhalten ausdrücken, können unterschiedliche, ja, gegensätzliche Gefühle bei gleichen Inhalten leicht zu Mißverständnissen, wo nicht Feindschaften aller Art Anlaß geben; insbesondere in der Kriegsbegründung und Kriegspropaganda werden derlei Differenzen mit Vorliebe dann zu gefühlsmäßigen Unvereinbarkeiten und haßbesetzten Konfliktfällen hochstilisiert. Um so wichtiger scheint unter diesen Umständen die Suche nach den Gemeinsamkeiten gerade der menschlichen Gefühle: – gibt es sie überhaupt? Und wenn ja, wie kann man sie finden? Gerade hier kommen die evolutive Betrachtung der Ethologen und die vergleichende Betrachtung der Ethnologen ins Spiel. Überall auf Erden zum Beispiel können Menschen Gefühle von Angst, Unsicherheit, Verlegenheit, Scham, ja, sogar von Enttäuschung, Ärger und Verdruß abbauen oder überwinden, indem sie einander anlächeln, und wieder gibt es Kulturen wie die thailändische, die eine ganze Region in Ostasien in ein «Land des Lächelns» verzaubert. Anthropologen vergangener Zeiten konnten derart stolze Gefühle über die Fähigkeit des Homo sapiens zum Lächeln entwickeln, daß sie dieses Vermögen allein unserer Species vorbehalten wollten; das Lächeln, meinten sie, sei etwas «typisch Menschliches», doch dabei irrten sie groß. Abb. B 86 etwa zeigt zwei Homologa (griech.: gleichförmige Entsprechungen) zum menschlichen Lächeln und zum Lachen im Gesicht eines Schimpansen. Das Erstaunliche ist nicht nur die ausgesprochene Menschenähnlichkeit der emotionalen Ausdrucksbewegung von Lächeln und Lachen im Gesicht eines Schimpansen, die uns sogleich erlaubt, die Gefühle dieses Tieres zu verstehen; wenn so etwas möglich ist, liegt die Vermutung bereit, daß es Vorformen der-

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Abb. B 86: a) Das Mundoffen-Gesicht (Lächeln) und b) Das entspannte MundoffenGesicht (Lachen) bei einem Schimpansen

artiger Gefühlsäußerungen auch schon bei den Vorläufern von Schimpansen und Menschen gegeben haben sollte. Und tatsächlich ist j. a. r. a. m. van hooff (A comparative approach to the phylogeny of laughter and smiling, 1972) bereits 1972 dieser Frage nachgegangen. Abb. B 87 zeigt die von ihm vorgeschlagenen Entwicklungslinien. Die Entwicklungslinien führen einmal zum Zähnezeigen mit Kreischen (links) und zum stummen Zähnezeigen (mitte) und dann vom stummen Zähnezeigen als einer ursprünglich unterwürfigen, dann freundlichen Reaktion zum Lächeln (mitte); eine weitere Entwicklungslinie führt vom entspannten Mundoffen-Gesicht als Spielsignal zum Lachen (rechts). Von daher verdient die Tabelle in Abb. B 88 einmal in Ruhe durchgesehen zu werden, die irenäus eibleibesfeldt (geb. 1928) allein über den unterschiedlichen Ausdruck vor allem von Mund, Lippen und Augen vorgestellt hat; man stößt dabei nicht nur auf die unterschiedlichen Anlässe und Formen von Lächeln und Lachen, Schreien (engl.: hoot – Schrei, Geheul) und Weinen, Schmollen und Drohen, man wird in eine Art lingua franca der Verständigung unter den Primaten eingeführt, die (in Abwandlungen) für die Galagos (Buschbabys), die Lemuren und die Kapuzineraffen (Cebus) ebenso wie für die Meerkatzen (Cercopithecus), die Schimpansen (Pan) und schließlich für die Menschen gilt – und wohl auch schon für die Primaten des Paläozäns (vor etwa 60 Mio. Jahren) gegolten hat. (Vgl. irenäus eibl-eibesfeldt: Der vorprogrammierte Mensch, 44 –45.) Da sich Emotionen bei Primaten besonders im Gesichtsausdruck mitteilen, sind vor allem paul ekman (geb. 1934) und wallace v. friesen (Unmasking the face: A guide to recognizing emotions from facial clues, 1975) der Frage

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Abb. B 87: Die stammesgeschichtliche Entwicklung von Lächeln und Lachen über Meerkatzen (Cercopithecus) und Makaken (Macaca) zu Menschen (Homo) hbt = horizontal silent bared-teeth display – horizontales stummes Zähnezeigen, vbt = vertical silent bared-teeth display – vertikales stummes Zähnezeigen, obt = open mouth silent bared-teeth display – stummes Zähnezeigen mit geöffnetem Mund

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Abb. B 88: Verwandte Ausdrucksbewegungen verschiedener Primaten

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Abb. B 89: Beispiele der sechs verschiedenen Basisemotionen sowie eines kombinierten Ausdrucks zweier Basisemotionen

nachgegangen, welche Gefühle sich wohl bei allen Menschen in den gleichen Gesichtsausdrücken malen, und so fanden sie als «Basisemotionen» die Gefühle von Überraschung, Wut, Trauer, Ekel, Furcht und Freude. Abb. B 89 zeigt sechs Gesichter mit den entsprechenden elementaren emotionalen Ausdrucksformen. Alle weiteren möglichen Gesichtsausdrucksformen ergeben sich nach Meinung der Forscher aus Mischungen verschiedener Gefühle. In dem nebenstehenden Bild zum Beispiel sind Trauer und Freude miteinander kombiniert, wobei die Trauer in der oberen, die Freude in der unteren Gesichtshälfte ihren Ausdruck findet. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 495 –496; zum Erkennen und Interpretieren von Emotionen vgl. auch paul ekman: Gefühle lesen, Kap. 5: Trauer und Verzweiflung, S. 117–154; Kap. 6: Ärger und Zorn, S. 155– 205; Kap. 7: Überraschung und Angst, S. 206– 237; Kap. 8: Ekel und Verachtung, S. 238– 262.) Interessant ist die Rückkopplung zwischen Gefühlsausdruck und Gefühl: man ist in der Tat besser gelaunt, wenn man ein fröhliches Gesicht macht (vgl.

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john p. j. pinel: Biopsychologie, 495 –496); die Anweisung henry millers (1891–1980) trifft zu: wer in den Spiegel lächelt, schaut auch anders, ein wenig fröhlicher, in die Welt. (Vgl. Das Lächeln am Fuße der Leiter.)

b) Emotionstheorien Wenn Gefühle und körperlicher Ausdruck so eng zusammenhängen, was ist dann das «Ursprünglichere»: das Seelische oder das Körperliche oder beides gleichzeitig? Es konnte nicht ausbleiben, daß alle drei Möglichkeiten in der wissenschaftlichen Forschung vertreten wurden. Als unmittelbar «evident» erscheint wohl (den meisten) die Vorstellung, daß bestimmte Wahrnehmungen Gefühle hervorrufen, die dann von Körperreaktionen begleitet werden: Jemand sieht einen Schatten an der Wand, er bekommt Angst, sein Herz fängt an zu rasen; jemand wird Zeuge, wie ein anderer (Seekranker, Alkoholiker, Magenleidender) sich erbricht, ihn ekelt der Anblick, und er muß sich selbst übergeben . . . Wahrnehmung, Emotion und physiologische Reaktion stehen demnach in einer subjektiv klar zu unterscheidenden zeitlichen und ursächlichen Reihenfolge zueinander; ein Problem mit der Emotion scheint es «eigentlich» gar nicht zu geben.

α) Die Emotionstheorie von william james und karl g. lange Doch bereits im Jahre 1884 kamen der schon erwähnte william james (1842 – 1910) und der dänische Psychologe karl g. lange unabhängig voneinander auf die genau gegenteilige Idee (damals noch eher ein philosophisches Konstrukt denn eine biopsychologische These); danach sollten sensorische Reize (Wahrnehmungen) vom Cortex aufgenommen und verarbeitet werden; dieser sollte anschließend über das vegetative (autonome) Nervensystem Veränderungen in den Eingeweiden (den visceralen Organen, von lat. das viscus – Fleischstück; Pl.: viscera – Eingeweide) auslösen und über das somatische Nervensystem entsprechende Veränderungen in der Skelettmuskulatur hervorrufen. (Das «somatische» Nervensystem verbindet die willkürlich beeinflußbare Skelettmuskulatur mit dem Zentralnervensystem.) Nach der sogenannten jameslange-Theorie nun bilden diese vegetativen und somatischen Reaktionen allererst die Grundlage dessen, was wir im Bewußtsein dann als Emotionen bezeichnen. Gefühle entstehen demzufolge erst, wenn wir der eigenen physiolo-

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gischen Reaktionen (sei es Herzrasen oder Brechreiz) gewahr werden. In den Worten von william james: «Wir empfinden Traurigkeit, weil wir weinen, Ärger, weil wir uns widersetzen, Furcht, weil wir zittern; und wir weinen nicht, widersetzen uns nicht und zittern nicht, weil wir traurig, ärgerlich oder furchtsam sind.» (Zit. n. eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 608.) So verstanden, sind Emotionen kognitive Reaktionen auf Informationen aus der Peripherie; sie sind körperliche (vegetative und somatische) Zustände, die subjektiv dann als Gefühle interpretiert werden. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 491– 493; eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 608.) Das Merkwürdige ist, daß auch diese Ansicht aus eigenem alltäglichem Erleben sich bestätigen läßt: Wir gehen über die Straße, zu spät sehen wir ein Auto, das mit hoher Geschwindigkeit auf uns zurast, wir springen (schreiend) zur Seite; erst auf dem Bürgersteig wird uns bewußt, daß wir Angst gehabt haben; in dem Moment, als es drauf ankam, reagierten wir nicht bewußt, sondern wir taten unbewußt, reflexartig, das einzig Richtige; in diesem Augenblick waren wir Angst beziehungsweise diktierte uns der Körperzustand «Angst» die rettende Ausweichbewegung; und noch eine ganze Zeitlang danach spüren wir, wie «Angst» sich anfühlt: Herzrasen, hechelnde Atmung, zitternde Extremitäten, Schweißausbruch . . . Und doch kann die james-lange-Theorie nicht (ganz) richtig sein; sonst müßten zum Beispiel Querschnittgelähmte zu emotionalem Erleben unfähig sein. Statt dessen zeigt sich, daß «Patienten, deren vegetatives und somatisches Feedback durch eine Querschnittslähmung im Halsbereich fast vollständig ausgeschaltet ist, . . . trotzdem in der Lage (sind), alle möglichen emotionalen Erfahrungen zu machen.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 493) Andere Autoren indessen führen gerade das verminderte Gefühlsleben bei Querschnittslähmungen als Argument zugunsten der jameslange-Theorie an, indem sie die Herabsetzung des emotionalen Erlebens in Korrelation zur Höhe des betroffenen Rückenmarkssegmentes setzen. (Vgl. eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 608.) Entschieden gegen die Annahme, Emotionen seien als erstes physiologische, dann erst psychische Reaktionen, spricht gleichwohl eine andere Tatsache: Die «physiologische Reaktion» ist allemal etwas Momentanes, Situatives; Gefühle aber können, wie jeder weiß, außerordentlich langanhaltend sein – sie sind gewiß nicht nur der Reflex von Körperzuständen im Bewußtsein. Über diesen (berechtigten) Einwand sollte freilich ein Aspekt nicht verlorengehen, der in der james-lange-Theorie auch enthalten, obschon noch nicht entfaltet ist:

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die Bindung der Gefühle an die («kognitive») Interpretation von sensorischen Informationen aus der Peripherie. Die bloße Wahrnehmung eines Schattens an der Wand müßte an sich überhaupt keine emotionale Reaktion auslösen; erst wenn wir diese Wahrnehmung als das Bild eines Einbrechers, eines Doppelgängers oder eines Gespenstes deuten, setzt eine Schreckreaktion ein. Dieses interpretative Element in allem Emotionalen wird sich gleich noch als überaus wichtig zum Verständnis von Gefühlen erweisen.

β) Die Emotionstheorie von walter b. cannon und philip bard Warum aber soll überhaupt das Gefühl nur eine Interpretation unseres Körperzustandes und nicht direkt der wahrgenommenen Wirklichkeit darstellen? Es war in den 20er Jahren des 20. Jhs. walter bradford cannon (1871–1945), der eine Theorie der Gefühle unterbreitete, welche die Mängel der jameslange-Hypothese ausgleichen sollte; nach philip bard (1898 –1977), der diese Theorie weiterentwickelte, spricht man von der cannon-bard-Theorie. Ihr zufolge soll das emotionale Erleben unabhängig von den physiologischen Reaktionen, mithin parallel zu ihnen, als Antwort auf die (gedeutete) Wahrnehmung (also den sensorischen Input) zustande kommen. Freilich, auch diese parallelistische Interpretation ist schwer haltbar. Den wohl wichtigsten Einwand gegen sie lieferte in gewissem Sinne philip bard selbst, als er 1929 – ganz einfach – Katzen «decortizierte»; so nennt man das, wenn man einem Tier die Hirnrinde (den Cortex) wegoperiert. bard stieß dabei auf das Phänomen der «Pseudowut»: bei der leisesten Berührung wurden die «decortizierten» Katzen extrem aggressiv – sie buckelten, fauchten, fletschten die Zähne, doch ohne sich auf ein bestimmtes Angriffsobjekt zu beziehen. In dieser Weise reagierten die Tiere aber nur, wenn ihnen das Gehirn beidseitig bis zum Hypothalamus herunter entfernt worden war; wurde auch der Hypothalamus zerstört, so legten die Tiere keine aggressiven Reaktionen mehr an den Tag. Dieses Ergebnis spricht dafür, daß speziell der Hypothalamus für den Ausdruck aggressiver Gefühle verantwortlich ist, während es die Aufgabe des Cortex zu sein scheint, die entsprechenden Emotionen in ein situationsgerechtes Verhalten zu überführen. Offenbar gibt es weder ein bloßes Nacheinander noch ein bloßes Nebeneinander von physiologischen Reaktionen und psychologischen Emotionen, vielmehr scheint es so, daß alle drei Komponenten – die Wahrnehmung, die vegetativen und somatischen Reaktionen und das emotionale Erleben – sich in Rückkopplungsschleifen wechselseitig beeinflussen. (Vgl. john p. j. pinel:

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Biopsychologie, 492– 493; eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 609.)

γ) Noch einmal: james papez und das limbische System Ein Modell solcher Rückkopplungsschleifen zur Begründung des emotionalen Erlebens haben wir bereits in Form des papez-Neuronenkreises kennengelernt. Der papez-Kreis, wir erinnern uns (oder schauen in Abb. A 24 nach), führt, wenn wir den Hippocampus in den Mittelpunkt stellen, vom Hippocampus über den Fornix zu den Mamillarkörpern, dann zum Thalamus, von dort zum Gyrus cinguli und dann wieder zurück zum Hippocampus. Wir haben schon gehört, daß der papez-Kreis im Grunde beschreibt, wie Gedanken (Informationen aus dem Cortex) zu Gefühlen werden und wie Gefühle Gedanken lenken. In Kenntnis der bardschen Katzenexperimente forderte papez, daß der Neocortex den Hypothalamus über Verbindungen des Gyrus cinguli zur Hippocampusformation beeinflußt. «Seiner Vorstellung zufolge verarbeitet die Hippocampusformation Information aus dem Gyrus cinguli und führt sie über den Fornix . . . den Mamillarkörpern des Hypothalamus zu. Der Hypothalamus seinerseits liefert nun Information an den Gyrus cinguli über eine Bahn, die zunächst von den Mamillarkörpern zu den Kerngebieten im vorderen Thalamus verläuft (Tractus mamillothalamicus) und anschließend von diesen Kerngebieten zum Gyrus cinguli.» (eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 618) Kognition und Emotion beeinflussen sich demnach wechselseitig, indem sie neuronal ermöglicht werden durch die reziproke Verbindung zwischen Hypothalamus und den höheren corticalen Zentren. Während dabei die corticalen Projektionen das emotionale Erleben ermöglichen und lenken, kommt dem Hypothalamus im papezKreis die Aufgabe zu, das emotionale Ausdrucksgeschehen zu steuern. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 493– 494; eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 618– 619.) Zugunsten dieser These spricht die Tatsache, daß der Hypothalamus eine zentrale Rolle bei der Output-Kontrolle des autonomen (vegetativen) Nervensystems spielt, indem er – auf eine Art, die wir später noch bei der Besprechung der Angstthematik genauer kennenlernen werden – das endokrine System (die hormonalen Funktionen) steuert, und er tut das offenbar nicht nur in einer sehr spezifischen Weise, er fungiert auch als ein integrales Koordinationszentrum der verschiedensten Informationen sowie der vegetativen und somatischen Reaktionen. So hatte stephan walter ranson (1880 –1942) bereits im Jahre

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1932 den Hypothalamus narkotisierter Tiere mit Elektroden abgetastet und dabei «fast jede mögliche autonome (sc. vegetative, d. V.) Reaktion» ausgelöst, «einschließlich Änderungen des Herzschlags, des Blutdrucks und der gastrointestinalen Motilität (sc. griech.: der gaste¯r – Magen; lat.: intestinus – innerlich, Pl.: die intestina – Eingeweide; lat.: der motus – Bewegung; Motilität – Gesamtheit der unwillkürlichen Muskelbewegungen, im Gegensatz zur Motorik – Gesamtheit der willkürlichen aktiven Muskelbewegungen, d. V.) sowie die Aufrichtung der Haare und die Blasenkontraktion». (eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 617) Anfang der 40er Jahre setzte walter r. hess (1881–1973), ein Züricher Hirnphysiologe, die Arbeit von ranson mit wachen (nichtnarkotisierten) Tieren fort und stellte fest, daß sich über eine elektrische Stimulation des Hypothalamus von Katzen zum Beispiel die typische vegetative und somatische Reaktion für Ärger auslösen ließ, wie wir sie soeben bei bards unglückseligen «decortizierten» Katzen beschrieben haben. Damit war zum ersten Mal (über bards Versuche hinaus) bewiesen, daß der Hypothalamus verschiedenartige Impulse (Informationen) «in eine wohlorganisierte, kohärente und geeignete Serie von autonomen (sc. vegetativen, d. V.) und somatischen Reaktionen integriert». (eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 617) Zu einem tieferen Verständnis von Emotionen trugen auch jene Versuche aus dem Jahre 1938 mit Affen bei, in denen die uns schon bekannten heinrich klüver und paul c. bucy eine beidseitige Entfernung des Temporallappens, inklusive also der Amygdala und der Hippocampusformation, vornahmen; wir hörten schon von den dramatischen Änderungen, die diese Operation nicht nur für die Gedächtnisfähigkeit, sondern auch für das Verhalten zur Folge hatte: Die Tiere bemühten sich, alle möglichen visuellen Reize zu erhaschen, ohne die gesehenen und an sich bekannten Gegenstände zu erkennen; alles und jedes (Steine, Hölzer) wurde in den Mund gesteckt wie bei kleinen Kindern, andererseits waren die sexuelle Aktivität sowie die Reaktionsbereitschaft auf äußere Reize auffallend gesteigert; insbesondere aber im Gefühlsleben der hirngeschädigten Tiere trat eine starke Verflachung ein; vor allem wurden Gefahren nicht mehr als solche wahrgenommen. Die visuellen Mängel ließen sich mit der Entfernung der visuellen Assoziationsfelder im temporalen Cortex erklären; was aber war es mit den anderen kognitiven und emotionalen Ausfällen? Bis dahin hatte man das limbische System als ganzes – also zusätzlich zum papez-Kreis zum Beispiel die Amygdala und das Septum – für den Aufbau von Emotionen verantwortlich gemacht; durch genauere Untersuchungen des klüver-bucy-

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Syndroms fand man in der Folgezeit allerdings, daß für die kognitiven Prozesse, insbesondere für die kognitive Gedächtnisspeicherung, der Hippocampus, die Mamillarkörper und die anterioren Thalamuskerne zuständig sind, während für die emotionale Verarbeitung und Gedächtnisspeicherung die Amygdala sich als die wichtigste Hirnstruktur herausstellte; in weiteren Tierversuchen führten allein die Schädigungen dieses Organs zu den Symptomen des klüver-bucy-Syndroms: Oralität, Hypersexualität und emotionaler Verflachung. Da die Amygdala ihre Wirkung vielfach über den Hypothalamus und das autonome (vegetative) Nervensystem erreicht, wird jetzt auch die so enge Verknüpfung, ja, Identität, von Gefühlszuständen und physiologischen Reaktionen verständlich. (Vgl. eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 618; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 434– 435.)

δ) Die Emotionstheorie von joseph e. ledoux Von der zentralen Bedeutung der Amygdala für die Erzeugung von Emotionen geht insbesondere die Theorie der Gefühle von joseph e. ledoux (geb. 1949) aus. Sein methodischer Ausgangspunkt ist die Widerlegung der Auffassung von paul maclean u. a., «das» limbische System sei der Ort, an dem die (primitiven) emotionalen Funktionen erzeugt würden, an höheren Denkprozessen aber sei dieses System nicht beteiligt. Demgegenüber zeigte ledoux, daß «Schädigungen des Hippocampus und gewisser Teile des Kreises von Papez, etwa der Mamillarkörper und des vorderen Thalamus, . . . sich kaum nachhaltig auf die emotionalen Funktionen» auswirken, wohl aber «deutliche Störungen des bewußten oder deklarativen Gedächtnisses» hervorrufen. (joseph e. ledoux: Im Netz der Gefühle, 109) Überhaupt scheint es kein «Allzweck-Emotionssystem» zu geben, sondern es sieht so aus, als ob die «einzelnen Emotionen . . . von verschiedenen Hirnzentren, verschiedenen Modulen vermittelt» würden, die sich im Verlaufe der Evolution relativ unverändert und gesondert voneinander erhalten haben; im Grunde müßte man demnach «die Emotionen getrennt untersuchen». (joseph e. ledoux: A. a. O., 114) Gleichwohl entwikkelte ledoux ein Konzept, das die Gefühle nicht in bestimmte Kategorien einteilt, sondern zu erklären sucht, was allen Gefühlen gemeinsam ist: Sie werden als erstes gelernt, mithin im Langzeitgedächtnis gespeichert; tritt dann ein emotionsauslösender Reiz auf, so wird die emotionale Erinnerung aktiviert, also ins Arbeitsgedächtnis zurückgeholt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 390.) Diese Auffassung, die als neurologisches Konzept exakt die klassi-

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Abb. B 90: Parallelverarbeitung einer emotionalen Situation durch Amygdala und Hippocampus

sche Traumatheorie der Psychoanalyse nachzeichnet, erweist ihre Gültigkeit, wenn nicht für alle Emotionen, so doch für das Gefühl der Furcht. Schematisch läßt sich ledoux’ Emotionstheorie als eine Parallelverarbeitung von Hippocampussystem und Amygdalasystem darstellen: Die bewußte (explizite, deklarative) Erinnerung wird von der Hippocampusformation vermittelt, wohingegen die unbewußte (implizite) Erinnerung von einer Mehrzahl von Systemen ermöglicht wird, darunter insbesondere das emotionale FurchtGedächtnissystem, «an dem die Amygdala und mit ihr zusammenhängende Bereiche beteiligt sind. In traumatischen Situationen arbeiten implizite und explizite Gedächtnissysteme parallel. Werden Sie später», schreibt ledoux, «mit Reizen konfrontiert, die während des Traumas gegeben waren, werden sehr wahrscheinlich beide Systeme reaktiviert. Durch das Hippocampussystem werden Sie sich erinnern, mit wem Sie während des Traumas zusammen waren und was Sie taten, und Sie werden sich – als eine nüchterne Tatsache – auch daran erinnern, daß die Situation schrecklich war. Durch das Amygdalasystem werden die Reize neben anderen körperlichen und zerebralen Reaktionen bewirken, daß Ihre Muskeln sich straffen, daß Blutdruck und Herzfrequenz sich ändern und daß Hormone ausgeschüttet werden. Weil diese Systeme von den-

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Abb. B 91: Explizite Erinnerung an etwas Vergangenes (durch den Hippocampus) bei gleichzeitiger emotionaler Erregung in der Gegenwart (durch die Amygdala)

selben Reizen aktiviert werden und gleichzeitig funktionieren, hat es den Anschein, als seien die beiden Arten von Erinnerungen eine einheitliche Gedächtnisfunktion. Nur wenn wir diese Systeme, besonders durch Tierversuche, aber auch durch Untersuchungen seltener menschlicher Fälle, zerlegen, können wir verstehen, wie aus parallel arbeitenden Gedächtnissystemen unabhängige Gedächtnisfunktionen hervorgehen.» (joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 216) In einer emotionalen Situation wird also das Amygdalasystem ebenso aktiviert wie das Hippocampussystem; implizite emotionale Erinnerung und explizite Erinnerung an (eine vergangene) emotionale Situation treten zusammen, wie Abb. B 90 es darstellt. Das Resultat der Aktivitäten der beiden Hirnstrukturen zeigt sich in dem unmittelbaren bewußten Erleben von etwas, das uns in der Gegenwart erregt, weil es sich mit einer expliziten Erinnerung an eine frühere Begebenheit verknüpft. (Vgl. joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 217–218.) Abb. B 91 versucht, diesen Zusammenhang schematisch darzustellen. Mit Hilfe dieses Konzeptes läßt sich ein Phänomen sehr gut verstehen, das in der psychoanalytischen Neurosenlehre eine zentrale Rolle spielt und von sigmund freud unter dem Stichwort «Wiederholungszwang» beschrieben wurde (vgl. Jenseits des Lustprinzips, in: Gesammelte Werke, XIII 36 –38): Bestimmte traumatische (ängstigende, peinliche, verbotene) Erinnerungen lagern im Unbewußten und führen im Kontext einer vergleichbaren Situation heute zu eben jenen Gefühlen, die damals unter den traumatisierenden Umständen mit diesen Erlebnissen verbunden waren; der Druck der aus alter Erinnerung

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wiederaufsteigenden Gefühle kann so groß sein, daß Damals und Heute ununterscheidbar miteinander verschmelzen und ein Verhalten herbeiführen, wie es der einstigen Situation angemessen, der gegenwärtigen Situation aber unangemessen ist. Das Zeitschema gerät durcheinander, einst ist jetzt – etwas heute womöglich ganz Harmloses kann gefühlsmäßig die Bedeutung von etwas unsagbar Schrecklichem annehmen. – Allerdings hat die Psychoanalyse zumeist den Fall vor Augen, daß die explizite Erinnerung an das damalige Geschehen blockiert ist und nur die (objektiv wie subjektiv unverständlich erscheinende) emotionale Erregung wahrgenommen wird: Man weiß nicht, warum man (plötzlich, anfallartig) so fühlt, wie man fühlt, und es bedarf zumeist einer intensiven Arbeit, um die verdrängten Erinnerungen bewußtzumachen, also die Aktivitäten des Hippocampus an die neocorticalen Areale des Bewußtseins weiterzuleiten. Wir haben bereits gesehen, wie streß- oder traumainduzierte Amnesien durch die Ausschüttung von Glucocorticoiden und deren schädigenden Einfluß auf die Neuronen im Hippocampus ausgelöst werden können; doch was in der psychoanalytischen Erinnerungsarbeit stattfindet, ist gewiß nicht die Heilung von Läsionen in der Hippocampusformation; was dort geschieht, besteht in der Aufhebung eines gegen die Bewußtwerdung gerichteten Widerstandes. Es scheint, als wenn die unbewußten (impliziten) Erinnerungen, die von der Amygdala ausgehen, es verhindern wollten, daß sie mit den bewußten (expliziten) Erinnerungen des Hippocampus an eine konkrete Situation zusammengeführt würden. Fest steht, daß erst nach Überwindung der Angst sich die alten Erinnerungen wieder hervorholen lassen. Ehe wir nun auf die Arbeitsweise der Amygdala und insbesondere auf die Problematik der Angst ausführlicher eingehen, sollten wir uns zuvor noch ansehen, wie andere Forscher sich der Frage nach der Entstehung von Gefühlen zu nähern versuchten.

ε) Die Emotionstheorie von jaak panksepp Bekannt wurden vor etwa 20 Jahren die Studien von jaak panksepp (Toward a general psychobiological theory of emotions, in: Behavioral and Brain Sciences, 5/1982, 407– 467), der im Grunde dem Vorschlag darwins folgte, anhand des emotionalen Ausdrucksverhaltens von Tieren und Menschen nach denjenigen Gefühlen zu suchen, die als elementar betrachtet werden können, indem sie in allen Kulturen unverändert vorkommen und offenbar angeborene Reaktionsweisen darstellen. Wir hörten soeben noch, wie paul ekman auf Grund von Verhaltensstudien vor allem des mimischen Ausdrucks auf sechs solcher ele-

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Abb. B 92: robert plutchiks acht elementare Emotionen und ihre Mischungen

mentaren (universalen) Emotionen kam. Andere, wie robert plutchik (Emotion: A Psychoevolutionary Synthesis, 1980), hatten eine Theorie der Emotionsmischung aus insgesamt acht elementaren Emotionen entwickelt, wie Abb. B 92 sie darstellt. Wie in einem Farbenkreis sieht man die verschiedenen Gefühle so angeordnet, daß die Mischung von zwei elementaren Emotionen (einer Dyade, von griech.: die dýas – Zweiheit) ein neues Gefühl ergibt; sind in dem Gefühlskreis die Emotionen einander benachbart, so kommt es zu primären Dyaden; muß ein Zwischenglied übersprungen werden, so bilden sich sekundäre Dyaden, während bei zwei Zwischengliedern tertiäre Dyaden entstehen. So soll Liebe (Freundlichkeit) zum Beispiel eine primäre Dyade aus Freude und Akzeptanz (Billigung) sein, Schuldgefühl eine sekundäre Dyade aus Freude und Furcht, während das Gefühl der Angst sich als eine tertiäre Dyade aus einer Mischung von Erwartung und Furcht einstellen würde. (Vgl. joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 121–123.) Das alles klingt zum Teil recht plausibel, zum Teil auch nicht: Angst zum Beispiel ist ein viel zu elementares Gefühl, als daß es – in jedem Falle – erst im Zusammenwirken von Erwartung und Furcht entstehen würde; zudem muß es allein schon irritierend wirken, daß von verschiedenen Forschern unabhän-

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gig voneinander durchgeführte Verhaltensbeobachtungen immer wieder zu einer unterschiedlichen Anzahl von «elementaren» Gefühlen führen. Eben deshalb widmete sich jaak panksepp (geb. 1943) denjenigen Verhaltensweisen, die er durch elektrische Stimulation bestimmter Areale im Gehirn von Ratten auslösen konnte, und er kam dabei zunächst zu vier elementaren emotionalen Reaktionsmustern: Erwartung, Wut, Angst und Panik. 1998 (Affective neuroscience) schlug panksepp dann eine erweiterte neurowissenschaftliche Emotionstheorie vor, bei der er davon ausging, daß verschiedene elementare Gefühle durch verschiedene neuronale Schaltkreise ermöglicht würden – also durch genetisch festgelegte neuronale Strukturen und Faserverbindungen, die Reaktionen auf unkonditionierte Reize einleiteten und mit exzitatorischen und inhibitorischen Transmittersystemen arbeiteten; außerdem nahm panksepp an, daß die Sensibilität sensorischer Systeme durch solche emotionalen Schaltkreise verändert werde und daß positive Feedback-Schleifen emotionale Erregungen auch über den unmittelbaren Reiz hinaus verlängern könnten; zudem sollten die emotionalen Systeme durch kognitive Prozesse beeinflußt werden können, so wie umgekehrt die emotionalen Systeme auch die kognitiven Vorgänge verändern könnten. Insgesamt beschrieb panksepp später sieben statt vier Basisemotionen: generelle Motivation/Erwartung, Wut, Angst, Panik durch Isolation, Lust/Sexualität, Fürsorge/Pflege, Spiel/Freude. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 394.) Dabei entsprechen die ersten vier in dieser Aufzählung erkennbar den ursprünglich postulierten elementaren Emotionen, denen spezifische neuronale Schaltkreise zugeordnet sind, und zwar wie folgt:

Das Erwartungssystem Wir sahen bereits, daß Lernvorgänge ebenso wie unsere Verhaltensweisen durch Erwartungen verändert werden: wir werden ein Verhalten zu vermeiden suchen, bei dem wir auf Grund von Lernerfahrungen unangenehme Konsequenzen befürchten müssen, und wir werden umgekehrt unser Verhalten entsprechend unseren positiven Erwartungen verstärken. Maßgebend daran beteiligt, so wissen wir schon, ist das dopaminerge mesolimbische Belohnungssystem, also vor allem das Ventrale Tegmentale Areal (VTA) und der Nucleus accumbens; aber auch der laterale Hypothalamus und das Zentrale Höhlengrau spielen für das Erwartungssystem eine entscheidende Rolle; neben dem dopaminergen System sind des weiteren andere Neurotransmittersysteme, wie das glutaminerge und das cholinerge System, im Einsatz, ferner auch Opioide so-

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wie Neurotensin (NT, ein Neuropeptid, das u. a. die Produktion von Dopamin stimuliert). (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 395.)

Das Wutsystem Wenn Tiere oder Menschen in Rage geraten, so – nach panksepp – auf Grund der Aktivitäten speziell der medialen Amygdala, des medialen Hypothalamus, des dorsalen Zentralen Höhlengrau und der Kerne (Nuclei) der Stria terminalis (NST). Der Amygdala kommt im Erleben von Wut eine doppelte Kontrollfunktion zu: sie hemmt die Wut, wofern kein Ärger erlebt wird, aber sie hebt die Hemmung auf, wenn ein bestimmter Schwellenwert von Ärger überschritten wird: – dann «packt uns die Wut» oder «es geht mit uns durch» oder «wir verlieren die Contenance». Dabei gehen die Informationen aus Amygdala und Hypothalamus an das Zentrale Höhlengrau und von dort absteigend an den Hirnstamm (zum Beispiel an die Formatio reticularis). Als Neurotransmitter finden insbesondere Glutamat und die Substanz P Verwendung – letztere ist uns schon im Zusammenhang mit der Weiterleitung von Schmerz begegnet. (Vgl. monikal pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 395.)

Das Angstsystem Da wir auf die Begründung und die Wirkungsweise des Angsterlebens im nächsten Abschnitt noch ausführlich zu sprechen kommen werden, mag es hier genügen, noch einmal auf die zentrale Rolle der Amygdala hinzuweisen; Beachtung aber verdient an dieser Stelle vor allem die enge Verknüpfung von Angst und Wut (Aggression). panksepp nimmt deshalb an, daß am Angsterleben auch die Strukturen beteiligt sind, die das Wutsystem in unseren Köpfen etablieren; allerdings sind es anscheinend andere Neurotransmitter, die bei dem Angsterleben eine Rolle spielen, insbesondere Serotonin, Noradrenalin (NA), das Neuropeptid Y (NPY), endogene Benzodiazepine (die wir bereits am Rande erwähnten, die wir im folgenden – Kap. 7 d γ – aber ausführlich erörtern), Steroidhormone, Vasopressin und das Cholecystokinin (CCK, dessen «Sättigungseffekt» wir schon im Zusammenhang mit dem Motivationszustand «Hunger» kennengelernt haben). Auf die Bedeutung des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) für das Erleben von Angst werden wir in Verbindung mit der Streßachse noch ausführlich eingehen (7 d γ). Wie gesagt, davon gleich mehr. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 395.)

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Abb. B 93: Basisemotionen und assoziierte neuronale Korrelate nach panksepp

Das Paniksystem Normalerweise versteht man unter Panik einen Angstzustand, der außer Kontrolle gerät; panksepp hingegen betrachtet Panik als einen Zustand, der bei Isolation und Trennungsstreß eintritt. Mancher wird wohl schon einmal gesehen haben, wie ein Hund, der sein Herrchen im Gewühl des Straßenverkehrs verloren hat, in höchster Erregung (in «Panik») umherläuft oder wie ein Kind, das auf einer Kirmes von seinen Eltern getrennt wurde, zu weinen und kreischen anfängt; solche Gemütszustände sind es, die panksepp vor Augen hat, wenn er von Panik spricht. Tatsächlich zählt die Verlassenheitsangst zu den Erlebnisformen, die bereits in der Tierpsychologie tief verankert sind. (Vgl. rudolf bilz: Die Kuckucks-Terz. Eine paläoanthropologische Studie über die Disgregationsangst, in: Paläoanthropologie, 332 –350.) sigmund freud (Trauer und Melancholie, in: Gesammelte Werke, X 427– 446) betrachtete die «Objektverlustangst» sogar als die Grundform aller Ängste überhaupt. Neu an panksepps Theorie ist indessen die Annahme, daß mit dem «Paniksystem» das dorsale Zentrale Höhlengrau, die praeoptische Region des Hypothalamus, der mediodorsale Thalamus sowie Teile des basalen Vorderhirns und der anteriore Gyrus cinguli assoziiert sind; als Neurotransmitter werden Glutamat, aber auch

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Opioide, Oxytocin, Prolactin (PRL), auf das wir gleichfalls später noch zu sprechen kommen werden, und wiederum das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) angenommen. (Vgl. monikal pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 395 –396.) In Abb. B 93 findet sich eine Übersichtstabelle der Basisemotionen und der assoziierten neuronalen Korrelate (der Hirnregionen und der Neuromodulatoren) in der Emotionstheorie von panksepp. (In dieser Tabelle sind die Monoamine Serotonin und Noradrenalin wegen ihrer unspezifischen Wirkung beim Zustandekommen aller Emotionen nicht aufgeführt; die höheren corticalen Areale – meist im Frontal- und Temporallappen gelegen –, die an der Bildung von Emotionen beteiligt sind, sind in die Darstellung ebenfalls nicht aufgenommen. Das Hormon GnRH werden wir im Zusammenhang von Sexualität und Liebe näher kennenlernen.)

ζ) Die Emotionstheorie von antonio r. damasio In der Emotionstheorie von ledoux, aber auch von panksepp, steht das Gefühl der Angst – therapeutisch berechtigterweise – im Mittelpunkt. Eine Theorie, die für Gefühle generell zu gelten beansprucht, hat antonio r. damasio (geb. 1944) entwickelt, indem er, ausgehend von dem tragischen Unglück des Phineas P. Gage, die Feststellung traf, daß die selektiven Schädigungen in den präfrontalen Rindenabschnitten des Gehirns dieses Steinbrucharbeiters schuld daran gewesen seien, «daß er weitgehend die Fähigkeit verloren hatte, seine Zukunft zu planen, sich nach den sozialen Regeln zu richten, die er einst gelernt hatte, und die Handlungsabläufe zu wählen, die letztlich für sein Überleben am günstigsten waren». (Descartes’ Irrtum, 63) Näherhin ist festzustellen, daß es speziell die ventromedialen Schädigungen des präfrontalen Cortex sind, die «stets mit Beeinträchtigungen von Denken/Entscheiden und Gefühl/Empfindung verknüpft» sind. «In Fällen präfrontaler Schädigung, in denen die dorsalen und die lateralen Abschnitte mindestens genauso extensiv, wenn nicht sogar stärker in Mitleidenschaft gezogen sind als der ventromediale Abschnitt, beschränken sich die Denk- und Entscheidungsmängel nicht mehr auf den persönlich-sozialen Bereich. Diese Beeinträchtigungen sind, wie die Schwächen im Bereich Gefühl/Empfindung, von Mängeln der Aufmerksamkeit und des Arbeitsgedächtnisses begleitet.» (antonio r. damasio: A. a. O., 97) – Obwohl Begriffe wie präfrontal, ventromedial und dorsolateral uns längst geläufig sind, ist es vielleicht doch hilfreich, sich diese Lagebezeichnungen noch einmal in Abb. B 94 zu vergegenwärtigen.

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Abb. B 94: Lagebezeichnungen des präfrontalen Cortex a) in Seitenansicht, b) in Medialansicht und c) von unten gesehen

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Die Frage, die sich für damasio aus dem Fall Gage ergab, lautete, warum Schädigungen im ventromedialen präfrontalen Cortex zu derartigen Entscheidungs- und Planungsausfällen führen, und er gab sich die Antwort, daß an dieser Stelle sich das neuroanatomische Korrelat einer zentralen Koordinationsund Steuerungsinstanz befinde, in welcher die Erinnerungen an frühere Erlebnisse und Gefühle integriert würden. Um «vernünftig» zu denken (zu urteilen, zu planen, zu entscheiden), genügt es offenbar nicht, «intelligent» zu sein, es ist unerläßlich, auf angeborenes oder erworbenes Wissen zurückzugreifen, das «in dispositionellen Repräsentationen abgelegt» ist (antonio r. damasio: Descartes’ Irrtum, 150), ähnlich wie wir die Körperrepräsentationen in den somatosensorischen, hinter der Zentralfurche gelegenen Rindenfeldern abgelegt fanden (vgl. Abb. A 27). «Angeborenes Wissen», schreibt damasio, beruhe «auf dispositionellen Repräsentationen im Hypothalamus, Hirnstamm und limbischem System» (inklusive also der Amygdala, dem anterioren Gyrus cinguli und dem basalen Vorderhirn), und man müsse diese Repräsentationen «sich als Befehle vorstellen, die die überlebensnotwendige biologische Regulation betreffen». (antonio r. damasio: A. a. O., 150–151) An diesen Stellen haben wir es augenscheinlich mit jenen homöostatischen Regulationsmechanismen zu tun, denen wir bereits als «Motivationen» begegnet sind, die aber im Bewußtsein als Emotionen bzw. als Empfindungen erlebt werden. Eine derartige angeborene emotionale Reaktion bezeichnet damasio als primäre Emotion. Das erworbene Wissen fußt nach damasio «auf dispositionellen Repräsentationen in Rindenfeldern höherer Ordnung und in vielen subkortikalen Kerngebieten (der grauen Substanz). In einigen dieser dispositionellen Repräsentationen sind Aufzeichnungen für das vorstellbare Wissen enthalten, das wir uns ins Gedächtnis rufen können und das wir für Bewegung, Denken, Planen und kreative Aktivitäten verwenden. In anderen sind die Regeln und Strategien aufgezeichnet, die wir auf diese Vorstellungsbilder anwenden. Neues Wissen erwerben wir durch ständige Abänderungen dispositioneller Repräsentationen.» (antonio r. damasio: A. a. O., 151) Diese durch Lernerfahrungen gewonnenen, vorwiegend in Bildern gespeicherten Erinnerungen versteht damasio als sekundäre Emotionen. Zwischen den primären und den sekundären Emotionen vermitteln Hintergrundempfindungen, die ein Abbild des Körperzustandes liefern. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 398.) «Die Kontinuität der Hintergrundempfindungen», meint damasio, «entspricht dem Umstand, daß der lebende Organismus und seine Struktur ihre Kontinuität wahren, solange das Leben erhalten bleibt. Im Gegensatz zu unserer Umwelt, deren Zustand sich verändert, und im Gegensatz zu den fragmentarischen

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und durch äußere Umstände bestimmten Vorstellungen, die wir in Hinblick auf diese Umwelt bilden, haben Hintergrundempfindungen hauptsächlich mit Körperzuständen zu tun. Unsere individuelle Identität wurzelt in dieser Insel von illusorischer, lebendiger Konstanz, vor deren Hintergrund uns der ständige Wechsel unzähliger anderer rund um den Organismus befindlicher Dinge bewußt wird.» (antonio r. damasio: Descartes’ Irrtum, 213) Von daher ergibt sich für damasio nicht nur die relative Langlebigkeit der Gefühle, sondern auch ihre oft unterschätzte Bedeutung bei allen kognitiven Prozessen. Denken und Entscheiden, die man gemeinhin für «eine logische Strategie zur Erzeugung vernünftiger Schlußfolgerungen» hält, setzen in fast allen Fällen ein breites «Repertoire» von Gefühl und Empfinden sowie von Reaktionsmöglichkeiten voraus, insbesondere, wenn bestimmte Reaktionen automatisch und umgehend, «ohne Anstrengung und Überlegung» ausgeführt werden sollen. (antonio r. damasio: Descartes’ Irrtum, 228– 229) Insbesondere verweist damasio auf die «Empfindung im Bauch», die unsere Aufmerksamkeit bei der Planung von Handlungen auf ein negatives oder positives Ergebnis in unserer Vorstellung lenkt, und er spricht in diesem Zusammenhang von einem «somatischen Marker». (antonio r. damasio: A. a. O., 237) Damit meint er die Rückmeldung über die zu erwartenden Konsequenzen unseres Verhaltens, die sich in Gefühlen ausdrücken. Auch neuronal sollte dies der Bereich sein, den wir soeben als das «Erwartungssystem» in der Sprache von panksepp kennengelernt haben, nur daß damasio den kognitiven Beitrag dieses Systems eines instinktiven oder erlernten Vorwissens stärker herausstellt. So steht für ihn im Mittelpunkt seiner Betrachtungen denn auch nicht das mesolimbische Belohnungssystem, sondern der präfrontale Cortex; und zwar wie folgt: «. . . der präfrontale Cortex empfängt Signale aus allen sensorischen Regionen, in denen die für unsere Gedanken konstitutiven Vorstellungsbilder entstehen . . . So enthält der präfrontale Cortex einige der wenigen Hirnregionen, die jederzeit Signale über praktisch jede Aktivität in unserem Geist und Körper empfangen.» Zudem bekommt «der präfrontale Cortex . . . Signale aus mehreren bioregulatorischen Abschnitten des menschlichen Gehirns. Dazu gehören die NeurotransmitterKerne im Gehirnstamm (beispielsweise diejenigen, die Dopamin, Noradrenalin und Serotonin ausschütten) und im basalen Vorderhirn (der Nucleus basalis meynert, der Acetylcholin abgibt), außerdem die Amygdala, der Vorderteil des Gyrus cinguli und der Hypothalamus. Man könnte sagen, der präfrontale Cortex erhält Nachrichten von allen Mitarbeitern der Eichbehörde. Durch solche Signale werden den präfrontalen Regionen die angeborenen Präferenzen des Organismus übermittelt, die sein Überleben betreffen – gewissermaßen sein

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biologisches Wertsystem, das so zum Bestandteil des Denk- und Entscheidungsapparates wird.» (antonio r. damasio: A. a. O., 247– 248) Ja, damasio glaubt, daß die verschiedenen Wissensbereiche in verschiedenen präfrontalen Abschnitten untergebracht sind. «So scheinen», schreibt er, «der bioregulatorische und der soziale Bereich eine Affinität für die Systeme im ventromedialen Abschnitt aufzuweisen, während Systeme im dorsolateralen Abschnitt mit Bereichen in Verbindung zu stehen scheinen, die das Wissen über die Außenwelt speichern (Objekte und Menschen, ihre Wirkung in der Raumzeit, Sprache, Mathematik, Musik).» (antonio r. damasio: A. a. O., 250; vgl. 269.) Daß gerade der präfrontale Cortex an Denk- und Entscheidungsprozessen beteiligt ist, versteht sich fast von selbst, wenn wir bedenken, daß seine dorsolateralen und dorsomedialen Bereiche die prämotorischen Rindenfelder und das supplementärmotorische Areal aktivieren sowie den primären motorischen Cortex. (Vgl. Abb. A 11 und A 12.) Auch die subcorticalen motorischen Mechanismen der Basalganglien sind «für die präfrontalen Regionen erreichbar», schreibt damasio und fährt fort: «Nicht zuletzt sendet der ventromediale präfrontale Cortex . . . Signale an Effektoren des autonomen (sc. vegetativen, d. V.) Nervensystems und kann chemischen Reaktionen Vorschub leisten, die vom Hypothalamus und Hirnstamm ausgehen und mit Gefühlsprozessen verknüpft sind.» (antonio r. damasio: A. a. O., 250) Wenn man jetzt noch hinzunimmt, daß für jeden Denkprozeß Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis erfordert werden, so wird deutlich, daß die somatischen Marker nicht nur als Wertinstanzen für das wirken, was sie repräsentieren, sondern daß sie gerade «als Verstärker für die fortgesetzte Aktivität des Arbeitsgedächtnisses und der Aufmerksamkeit» fungieren. (antonio r. damasio: A. a. O., 269) Und, nicht zuletzt, bringen die «automatischen somatischen Zustände», mithin unsere Gefühle, Ordnung in unsere Überlegungen: sie definieren die Rangfolge bei verschiedenen Möglichkeiten, indem sie gewisse Werte und Präferenzen vorgeben, einfach indem sie die Aufmerksamkeit unterschiedlich lang und intensiv auf bestimmte Handlungsoptionen lenken. Obwohl in biologischen Regelmechanismen verankert, enthalten sie in sich selbst ein Stück Vernunft; zudem lassen sie sich durch Erziehung flexibel an den Wertekonsens der jeweiligen Kultur anpassen. In summa: «Wenn wir davon ausgehen, daß das Gehirn normal und die Kultur, in der es sich entwickelt, gesund ist, dann ist der Mechanismus (sc. der automatische somatische Markermechanismus, also letztlich die Hervorbringung von Gefühlen, d. V.), bezogen auf die sozialen Konventionen und Moralvorstellungen, rational.» (antonio r. damasio: Descartes’ Irrtum, 272)

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Diese Auffassung entstammt allerdings, wie man sieht, eher einer menschenfreundlichen Sichtweise als einer bloßen neurologischen Einsicht, und es stellt wohl ein Gebot wissenschaftlicher Vorsicht dar, allzu direkte Schlüsse von der Biologie auf die Kulturanthropologie mit Skepsis zu betrachten. Jedenfalls kann man die Lage auch genau umgekehrt beurteilen. Zweifellos enthalten Gefühle, die in Hunderten von Millionen Jahren das Überleben von Tieren ermöglicht haben, ein hohes Maß an «Rationalität» im Sinne von Realitätsangepaßtheit und Situationsentsprechung; sie ermöglichen ohne weiteres einem Lebewesen selbst in schier unübersichtlichen Augenblicken so etwas wie Orientierung und Sicherheit. Andererseits lassen sich auch immer wieder im Leben von Tieren und Menschen Tragödien beobachten, in denen der uralte Wissensschatz der Gefühle, angelegt schon in den Genen und grundgelegt bereits in den Lernschritten der frühesten Kindheit, vollkommen ins Irrige und Zerstörerische treibt. Vor allem konrad lorenz begründete den Irrsinn, Kriege zu führen, mit der Ungleichzeitigkeit unserer Triebausstattung in bezug zu den Gegebenheiten der von uns selbst geschaffenen «Umwelt» (vgl. Das sogenannte Böse, 3. Kap.: 35 –73: Wozu das Böse gut ist); und er scheint recht zu haben; – wie sonst ließe sich die Bereitschaft zu atomaren oder biochemischen Ausrottungsaktionen großen Stils erklären, außer durch eine unheilvolle Verschränkung so archaischer Gefühle wie Revierverteidigung und Brutpflege sowie Aggression und Gruppenbildung mit den destruktiven Möglichkeiten hochtechnisierter Zivilisationen? Offenbar kann es nicht nur sein, es ist allenthalben so, daß die Gefühle der Vorzeit nach wie vor unser Denken, unsere planende Vernunft, den präfrontalen Cortex also, fest im Griff haben, und es bleibt offenbar die Frage, wer da wen kontrolliert. Möglicherweise «planen» wir nur, was unsere Gefühle uns als Ziele vorgeben, und wir gelangen erneut zu schopenhauers Einsicht: «Ich kann thun was ich will . . . – aber ich vermag nicht, es zu wollen.» (Preisschrift über die Freiheit des Willen, in: Sämtliche Werke, IV 43) Allerdings, ehe wir ins Grübeln über die Weisheit oder die Verführungskraft, über die Rationalität oder die Irrationalität unserer Gefühle geraten, sollten wir uns noch eine abschließende Übersicht über die neuronalen Grundlagen eben dieser unserer Emotionen verschaffen; vor allem von der Amygdala ging bisher all die Zeit die Rede, ohne doch genauer hinzusehen, was es mit diesem eigenartigen Organ nun wirklich auf sich hat.

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c) Neuronale Grundlagen emotionaler Reaktionen oder: Die zentrale Rolle der Amygdala Wenn es um die Verarbeitung emotional bedeutsamer Reize zu tun ist, so kommt der Amygdala augenscheinlich eine Hauptaufgabe zu. In Übereinstimmung mit ledoux, der seine Emotionstheorie, ausgehend von seinen Untersuchungen zur Angstkonditionierung (vor allem an Ratten), intuitiv allgemein auf Gefühle ausdehnte, hat die Amygdala keinesfalls nur mit negativen Gefühlen, insbesondere denen der Angst, zu tun, sondern sie verarbeitet emotionale Reize im ganzen Spektrum möglicher Wertungen. Daß die Amygdala dazu imstande ist, liegt als erstes an ihrem internen Verschaltungssystem, das sie mit einer Reihe von corticalen und subcorticalen Schaltkreisen in Verbindung setzt. Abb. B 95 bietet eine schematische Übersicht des Wegenetzes, auf dem innerhalb dieses Zentralorgans des limbischen Systems eingehende Signale weitergeleitet werden, sowie über die extraamygdaloiden Verbindungen. (Vgl. alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 517.) Wir haben die Amygdala anatomisch bereits als einen Komplex aus drei Kerngruppen beschrieben: der basolateralen Amygdala (hier: laterobasale Nuclei genannt), der oberflächlichen Kerngruppe und dem Zentralkern (hier als zentromediale erweiterte Amygdala dargestellt). Was sich in der Amygdala abspielt, läßt sich dann folgendermaßen beschreiben: Die laterobasalen Nuclei sind derjenige Teil der Amygdala, der vom somatosensorischen Thalamus und von den sensorischen Cortexarealen über getrennte Bahnen informiert wird; auf diese Weise entsteht die Lernfähigkeit bzw. die Konditionierbarkeit des thalamo-cortico-amygdalären Schaltkreises. Insbesondere mit dem ventromedialen präfrontalen Cortex, von dem gerade so viel die Rede war (in Abb. B 95 als orbitofrontale Areale aufgeführt), steht die Amygdala in Verbindung. Von dieser Cortexregion wissen wir inzwischen, daß sie an der «Planung», mithin an der Abschätzung der Konsequenzen möglichen Verhaltens, beteiligt ist, und diese Fähigkeit verdankt sie selbst wiederum dem gefühlsmäßigen Vorwissen, der emotionalen Konnotation, die von der Amygdala geliefert wird. Zudem sahen wir bereits, wie – in der Theorie von joseph e. ledoux – der Stimulus einer aktuellen Situation mit früheren Lernerfahrungen durch eine Zusammenschaltung der Parallelverarbeitung von Amygdala und Hippocampus assoziiert werden kann. Der Hippocampus erstellt dabei eine Zeitbindung im Augenblick des gegenwärtigen Erlebens: er ermöglicht das Kurzzeitge-

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Abb. B 95: Die intra- und extraamygdaloiden Verschaltungen der Amygdala

dächtnis für episodische Ereignisse der persönlichen Biographie und stellt somit den Ich-Bezug zu dem gerade ablaufenden Ereignis her; Inhalte dieser Art müssen, wie jeder weiß, nicht immer neu wiederholt werden, um als ein – langdauernder – Ich-Bezug erinnerlich zu bleiben. Der Grund dafür dürfte in der Verbindung eben zwischen Hippocampus und Amygdala liegen – in den «emotionalen» Faserverbindungen, die beide Systeme miteinander verknüpfen. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 391–393.) «Geht die persönliche Bindung an Ereignisse aus dem Leben eines Individuums verloren, erscheinen viele Handlungen in einer gegebenen Situation unangepasst. Die räumlich-zeitliche Vernetzung von Eindrücken aus der Umwelt, die Rückmeldungen aus unserem autonomen (sc. vegetativen, d. V.) Nervensystem bzw. der Aktivität des Hypothalamus und der Formatio reticularis werden z. B. in der Amygdala so hochdifferenziert abgebildet, dass dieser Kernkomplex als wesentliches morphologisches Korrelat (eines Teils) unseres episodischen Gedächtnisses gilt.» (monika pritzel u. a.: A. a. O., 392– 393) Das Ich-Bewußtsein hat offenbar sehr viel zu tun mit der Sammlung eben jener episodischen Gedächtnisinhalte,

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die eine beliebige Anzahl von Erlebnissen als «meine» Geschichte erzählbar machen, und die Voraussetzung dafür bietet wesentlich das Zusammenwirken von Hippocampus und Amygdala, eine Verbindung von Augenblicksereignissen mit einer besonderen emotionalen Tönung und Bedeutung. Und auch mit dem Temporallappen steht die Amygdala in Verbindung, indem sie von dort visuelle Informationen erhält; man kann das daran erkennen, daß, im Falle die Amygdala von den entsprechenden visuellen Arealen im Schläfenlappen isoliert wird, sich das emotionale Verhalten ändert. Möglicherweise ist die Amygdala mithin «Teil eines Systems . . ., das sozial relevante visuelle Informationen weiterverarbeitet». (bryan kolb – ian q. whishaw: Neuropsychologie, 358) Dabei könnte insbesondere für die Beurteilung des Gesichtsausdrucks die rechte Hemisphäre, die insgesamt Informationen über Gesichter stärker verarbeitet, eine dominante Rolle spielen; doch zeigen linksfrontale Läsionen, die ebenfalls Störungen in der Beurteilung von Gesichtern hervorrufen, daß auch der linke präfrontale Cortex an der Bewertung des emotionalen Gehalts eines Gesichtsausdrucks beteiligt sein muß. (Vgl. bryan kolb – ian q. whishaw: A. a. O., 364 –365.) Auch bei der Beurteilung emotionaler Situationen (zum Beispiel des Bildes eines Menschen beim Niederlegen von Blumen am Grab) dürften rechtshemisphärische Läsionen im Temporallappen und im frontalen Cortex eine Rolle spielen; aber auch Läsionen in der linken Hemisphäre beeinflussen «ganz sicher die Beurteilung emotionaler Situationen, wenn auch nicht notwendigerweise aus dem gleichen Grund». (bryan kolb – ian q. whishaw: A. a. O., 365) Indem die Amygdala desgleichen Verbindungen zum basalen Vorderhirn aufnimmt, entsteht (als ein zweites limbisches Verschaltungssystem) der uns schon bekannte basolateral-limbische Schaltkreis (vgl. Abb. B 9); er verschafft die Fähigkeit, Sinneseindrücke bestimmter Objekte in bestimmten Szenen zu Signalen (drohender Gefahren oder zu erwartender Vorteile) zu verarbeiten. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 392– 393.) Die zentromediale erweiterte Amygdala, die neben den laterobasalen Nuclei auch aus den oberflächlichen Nuclei informiert wird, stellt die eigentliche Ausgangsregion der Amygdala dar; charakteristischerweise unterhält sie Verbindungen zu allen Hirnstrukturen, die für die Steuerung körperbezogener Reaktionen maßgebend sind: zum autonomen (vegetativen) Nervensystem, zu den motorischen Zentren sowie zum endokrinen (hormonellen) System, mithin zu verschiedenen Kernen des Hirnstamms (der Formatio reticularis) und zu spezifischen Kernen des Hypothalamus. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 392.) Insbesondere durch die Ausschüttung des Hormons CRH

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(des Corticotropin-Releasing-Hormons), das in hoher Konzentration im eigentlichen Zentralkern der zentromedialen erweiterten Amygdala vorliegt, gelingt es, die Formatio reticularis sowie bestimmte endokrine Areale des Hypothalamus zu modulieren. (Wie das vor allem über die Streß-Achse geschieht, schauen wir uns sogleich im folgenden Abschnitt über die Angst an.) Zudem enthält der Zentralkern der Amygdala eine hohe Konzentration des Neuropeptids Y (NPY), das wir bereits als äußerst starken Appetitanreger kennengelernt haben und «das als Co-Transmitter von Catecholaminen (sc. von Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin, d. V.) bei fast allen vegetativen Funktionen des Hirnstamms von Bedeutung ist». (monika pritzel u. a.: A. a. O., 393) Der Zentralkern der Amygdala projiziert des weiteren über die Stria terminalis in den Nucleus accumbens. (Vgl. eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 620.) Leicht begreifbar dürfte es sein, daß die meisten Gefühle etwas mit Sich-Wohlfühlen oder SichSchlechtfühlen zu tun haben; für das Verabreichen von «Belohnungen» (oder «Strafen») aber ist, wie wir schon wissen, gerade der Nucleus accumbens zuständig; von daher steht zu vermuten, daß insbesondere dieser Nervenkern an denjenigen Gefühlen beteiligt sein wird, die nach panksepp dem «Erwartungssystem» zuzuordnen sind. «Mit anderen Worten: Der Nucleus accumbens vermittelt nicht nur einfache Belohnungseffekte, er ist auch an der Antizipation und Bewertung der Belohnung beteiligt.» (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 401) Zu dieser Tatsache paßt es, daß der Zentralkern der Amygdala über die ventrale amygdalofugale Bahn Informationen eben auch zum anterioren (rostralen) Gyrus cinguli (brodmann-Areal 24) liefert. Dieser Hirnteil ist von zentraler Bedeutung, um unsere eigenen Gefühle und die unseres Gegenübers zu erkennen. (Vgl. eric r. kandel – irving kupfermann: Emotionale Zustände, in: Neurowissenschaften, 620; 622 –623; vgl. auch Abb. A 34.) Da die Amygdala derart zentral innerhalb der Schaltkreise fungiert, welche als die neuronalen Korrelate unserer Emotionen in Erscheinung treten, wundert es nicht, daß eine Amygdalektomie (griech.: die ektome¯ – Herausschneiden), wie wir schon hörten, zu erheblichen Veränderungen des emotionalen Verhaltens führt – so wie die Verletzung des orbitofrontalen Cortex den armen Phineas P. Gage der Fähigkeit beraubte, sozial integriert sich zu äußern: er konnte die «Warnungen» u. a. von seiten der Amygdala nicht mehr verarbeiten.

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d) Und dann noch: die Liebe Es wird wohl keinen Leser geben, der, wenn er von Gefühlen hört, sich nicht irgend etwas Erhellendes auch und gerade über das vielleicht wichtigste aller menschlichen Gefühle: über die Liebe, erhoffen würde. Andererseits wird, wer bis hierher gelesen hat, wohl keine übertriebenen Hoffnungen mehr in die Auskunftsfreudigkeit ausgerechnet der Neurologie zu just diesem Thema setzen – von «Sexualität» wissen Biologen (bzw. Biopsychologen oder Neurobiologen) in aller Regel eine ganze Menge, aber von der Liebe? Doch wie dem nun sei, es gibt einen wichtigen Grund, sich mit dem Thema Liebe (oder eben: «Sexualität») an dieser Stelle zu befassen. Bisher nämlich hatten wir es im wesentlichen mit psychischen Phänomenen zu tun, die sich mit der Ausschüttung und Wirkung bestimmter Neurotransmitter (bzw. Neuromodulatoren) erklären ließen. Soeben aber erwähnten wir bereits kurz die Verbindung der Amygdala zum endokrinen System – bei der Aktivierung der Streßachse geht es nämlich um ein charakteristisches Zusammenspiel zwischen neuronalen Aktivitäten und deren hormonellen Aus- und Rückwirkungen. Und das gleiche gilt nun auch bei der Sexualität. Um zu begreifen, wie das Gefühl der Liebe (oder der Angst) sich bildet, geraten wir unausweichlich an die Schnittstelle von Neurologie und Endokrinologie. Dabei ist es vorweg nützlich, sich klarzumachen, daß die meisten Hormone entweder zu den sogenannten Peptidhormonen oder zu den sogenannten Steroidhormonen gehören (der Vollständigkeit halber seien noch Aminosäurederivat-Hormone, wie die schon oft erwähnten Noradrenalin, Adrenalin und Melatonin genannt). Bei den Peptidhormonen handelt es sich um relativ kurze Ketten von Aminosäuren; auf Grund ihrer chemischen Verwandtschaft lassen sich zu den Peptidhormonen auch bestimmte Proteine (sehr lange Aminosäureketten) und Glycoproteine (Proteine mit einer Kohlenhydratgruppe) zählen. Sämtliche Hormone, die aus dem Hypophysenvorderlappen (der Adenohypophyse) sezerniert werden, gehören zu den Peptidhormonen (einschließlich Proteinen und Glycoproteinen). Sexualfunktionen und Streßreaktionen hingegen werden von Steroidhormonen geregelt; diese Hormone leiten sich allesamt vom Cholesterin ab, von dem wir bereits wissen, daß es in der Phospholipid-Doppelschicht der Zellmembranen vorkommt. Während Peptidhormone also wasserliebend sind, sind Steroidhormone klein und fettlöslich, so daß sie auch Zellmembranen leicht passieren können. Die Art der Wirkung auf ihre Zielzellen ist bei beiden Hormonarten deshalb grundverschieden: Peptid-

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Abb. B 96: Die zwei Arten von Hormonwirkungen auf Zielzellen

hormone binden außen an die Rezeptoren der Membran ihrer Zielzellen und aktivieren dadurch die Second-Messenger-Systeme im Zellinneren; die Steroidhormone indessen werden durch die Phospholipid-Doppelschicht in das Zellinnere transportiert (diesen Vorgang nennt man Translokation) und binden erst dort an ihre Rezeptoren; sie wirken dadurch direkt auf die DNA (oder RNA) im Zellkern und somit auf die Proteinsynthese ein. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 182–184; john p. j. pinel: Biopsychologie, 300– 301; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1154; zu Aminosäuren, Peptiden und Proteinen vgl. e. drewermann: . . . und es geschah so, 78– 83; zu RNA und Proteinsynthese vgl. a. a. O., 84 –92.) Abb. B 96 zeigt die unterschiedliche Wirkung der beiden Hormonarten. Wenn wir im folgenden also von der (menschlichen) Sexualität sprechen, so ist im Grunde die Rede von den Auswirkungen von Steroidhormonen auf unseren Körper und auf unser Gehirn.

α) Sexualität, Hormone und Hirnstrukturen Tatsächlich lautet der korrekte Titel, um «Liebe» neurologisch «abzuhandeln», also: (Steroid)Hormone und Sexualverhalten. Beginnen wir mit der Ontogenese – mit der Entwicklung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane:

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Die Entwicklung der Keimdrüsen (Gonaden, von griech.: die gone¯ – Zeugung, Geburt; der ade¯n – Drüse) beginnt mit der Ausbildung zweier paarig angelegter Primordialgonaden (lat.: primordialis – ursprünglich, die embryonale Erstanlage betreffend), die bereits mit sechs Wochen bei allen Feten beiderlei Geschlechts in der gleichen Weise vorliegen. Auch die inneren Geschlechtskanäle sind schon mit sechs Wochen bei allen Feten als indifferente, aber vollständige Anlage vorhanden: Die sogenannten wolffschen Gänge (nach caspar friedrich wolff, 1734 –1794) sind die Vorläuferorgane für die männlichen Geschlechtsorgane (zum Beispiel für die Vesicula seminalis – die Samenblase und das Vas deferens – den Samenleiter), die sogenannten müllerschen Gänge (nach johannes peter müller, 1801–1858) für die weiblichen inneren Organe (zum Beispiel für den Uterus – die Gebärmutter, die Tubae uterinae – die Eileiter und den oberen Teil der Vagina – der Scheide). Sechs Wochen nach der Befruchtung veranlaßt das Y-Chromosom, das nur im männlichen Erbgut vorkommt, die Proteinbiosynthese eines Hormons mit Namen H-Y-Antigen, das die Entwicklung der Primordialgonaden zu Hoden herbeiführt. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 306 –307; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 364; zu den Geschlechtschromosomen X und Y sowie den Genotypen von Frauen XX und Männern XY vgl. auch e. drewermann: . . . und es geschah so, 397– 398.) Abb. B 97 zeigt die Bildung von Eierstock (lat.: das ovarium) oder Hoden (lat.: der testis – Hode; Pl.: die testes – Hoden) aus der Primordialgonade. Entscheidend für die weitere Ausbildung männlicher Geschlechtsorgane ist im 3. Monat die Ausschüttung des Hormons Testosteron (von lat.: die testes – Hoden) aus den Hoden. Unter dem Einfluß dieses Hormons entwickeln sich die wolffschen Gänge zu den männlichen inneren Sexualorganen, während gleichzeitig die Ausschüttung des sogenannten müllerschen inhibierenden Hormons aus den Hoden die Entwicklung der müllerschen Gänge hemmt. Um genau zu sein, muß man hinzufügen, daß das Testosteron, um wirksam zu werden, zuvor in Östrogen umgewandelt wird; genetisch weibliche Feten «schützen sich vor dieser spezifischen Östrogenwirkung mit Hilfe eines Eiweißstoffes namens Alpha-Fetoprotein». (rainer schwarting: Die Quellen der Lust, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 30) Wird zum kritischen Zeitpunkt kein Testosteron ausgeschüttet, so unterbleibt die männliche Entwicklung und es kommt zur Ausbildung der weiblichen inneren Geschlechtsorgane. Man kann also sagen, daß die Embryonalentwicklung «eigentlich» zur Ausbildung weiblicher innerer Geschlechtsorgane führt, wofern sie nicht durch das männliche Hormon Testosteron und das müllersche inhibierende Hormon «gestört» wird. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 306– 308; monika prit-

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Abb. B 97: Entwicklung von Eierstock oder Hoden aus der Primordialgonade

zel u. a.: Gehirn und Verhalten, 364.) Abb. B 98 stellt die Entwicklung der inneren Geschlechtskanäle bei männlichen und weiblichen Feten dar. Auch die Entwicklung der äußeren Geschlechtsorgane geht auf ein Vorläuferorgan zurück, das – wie die Primordialgonaden – von vornherein bipotent angelegt ist und in der sechsten Fetalwoche aus vier Zonen besteht: dem Genitalhöcker, der Urethrafalte (Harnröhrenfalte, von griech.: die oure¯thra – Harnröhre), den Lateralkörpern und den labioscrotalen (lat.: das labium – Lippe, Wulst; das scrotum – Hodensack) Schwellkörpern (auch Genitalwülste genannt). Unter dem Einfluß von Testosteron bilden sich aus diesen vier Teilen die männlichen äußeren Geschlechtsorgane: die Penisspitze oder Peniseichel (die Glans penis, von lat.: die glans – Eichel, penitus – tief eindringend), die aus dem Genitalhöcker geformt wird, die Urethra (griech.: die Harnröhre), die sich aus der Urethrafalte entwickelt, dann der Penisschaft (lat.: das Corpus penis), das aus den Lateralkörpern entsteht, während die labioscrotalen Schwellkörper sich zum Scrotum (lat.: Hodensack) wandeln; fehlt das Testosteron, so kommt

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Abb. B 98: Die Entwicklung der inneren Geschlechtskanäle bei männlichen und weiblichen Feten

es zu einer weiblichen Entwicklung: der Genitalhöcker wird zur Clitoris (griech.: die kleitorís – kleiner Hügel; Kitzler), die Lateralkörper zum Clitorisvorhof, die Urethrafalte gestaltet sich zu den inneren, kleinen Schamlippen (lat.: den Labia minora), während die labioscrotalen Schwellkörper sich zu den großen, äußeren Schamlippen (lat.: den Labia majora) ausformen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 308– 309; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 364 –365.) Abb. B 99 versucht, die Entwicklung der männlichen und weiblichen äußeren Geschlechtsorgane aus dem bipotenten Vorläuferorgan schematisch wiederzugeben. Darüber hinaus entwickeln sich in der Pubertät (lat.: die pubertas – Mannbarkeit) die sekundären Geschlechtsmerkmale, die nicht als Fortpflanzungsorgane dienen, sondern das Geschlecht erwachsener, also fortpflanzungsfähiger Männer und Frauen äußerlich sichtbar hervorheben. Den Grund für den Gestaltwandel, der den gesamten Körper (nicht nur den Scham- und Brust-

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Abb. B 99: Die Entwicklung der äußeren Geschlechtsorgane aus dem bipotenten Vorläuferorgan

bereich) betrifft, bildet das Wachstumshormon (auch Somatotropin genannt; von griech.: das sõma – Körper), das vom Hypophysenvorderlappen nun stark erhöht sezerniert wird und direkten Einfluß auf Wachstum und Stoffwechsel nimmt; gleichzeitig führt die Ausschüttung von gonadotropen Hormonen und ACTH (adrenocorticotropem Hormon) zu einer Ausschüttung von Hormonen aus den Gonaden und der Nebennierenrinde, welche die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale anregen. Bei den Hormonen, die in den Keimdrüsen (Gonaden) synthetisiert werden (es handelt sich dabei, wie gesagt, ausschließlich um Steroidhormone), lassen sich drei Hauptgruppen unterscheiden: 1) Die Androgene (männliche Sexualhormone, von griech.: der ane¯r – Mann; lat.: generare – erzeugen), darunter vor allem Testosteron; 2) die Östrogene

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Abb. B 100: Steroidhormone der Nebennierenrinde und der Gonaden

(weibliche Sexualhormone, von griech.: der oistrós – Stachel, Leidenschaft), deren wichtigster Vertreter das Östradiol ist; und 3) die Gestagene (von lat.: die gestatio – Tragen, Schwangerschaft), von denen das Progesteron hier schon erwähnt werden soll. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 311; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 365 –368; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1154; 1164–1166.) Abb. B 100 gibt die Strukturformeln dieser Gonadenhormone (neben weiteren der Nebennierenrinde) wieder. Zu beachten ist, daß Androgene zwar überwiegend von den Hoden produziert werden, so wie Östrogene und Gestagene von den Eierstöcken (Ovarien), daß aber sehr geringe Mengen dieser Hormone auch von der Nebennierenrinde synthetisiert werden; außerdem produzieren einige Zellen in den Hoden Östrogene und einige Zellen in den Eierstöcken Testosteron; bei Jungen wie Mädchen liegen also drei Gruppen von Geschlechtshormonen vor, nur in

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verschiedenen Konzentrationen: bei Männern überwiegt das Testosteron und bei Frauen das Östradiol. Bei Männern wie bei Frauen steuern die von der Nebennierenrinde sezernierten Androgene Wachstum und Entwicklung; bei Männern führen sie zur Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale, bei Frauen steigern sie die sexuelle Aktivität; – auch die Schambehaarung zum Beispiel wird nicht von einem Östrogen, sondern von einem Androgen, dem Androstendion, ausgelöst. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1164 –1166; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 368; john p. j. pinel: Biopsychologie, 311–312; richard f. thompson: Das Gehirn, 178; 188 –190.) Abb. B 101 zeigt schematisch, wie die Differenzierung der primären und der sekundären Geschlechtsmerkmale in der Entwicklung von Männern (XY) und Frauen (XX) zustande kommt. Näherhin ist es der (Nucleus praeopticus medialis des) Hypothalamus, der das Hormon mit dem Namen Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, von griech.: die gone¯ – Geschlecht, Zeugung; der ade¯n – Drüse; der trópos – Wendung, Richtung; engl.: to release – freigeben) sezerniert – GnRH haben wir im Kontext der Basisemotionen nach panksepp bereits kurz erwähnt; es veranlaßt die Adenohypophyse zur Ausschüttung zweier spezifischer Hormone, sogenannter Gonadotropine: des follikelstimulierenden Hormons (FSH, Follitropin) und des luteinisierenden Hormons (LH, Luteotropin). Beide Bezeichnungen sagen bereits, worum es geht: Follikel (lat.: der folliculus – kleiner Schlauch) ist der Name der sich entwickelnden Eizelle nebst dem umgebenden Gewebe im Eierstock. Das luteinisierende Hormon bezieht sich auf das Corpus luteum (lat.: den gelben Körper, den Gelbkörper), eine temporäre endokrine Drüse, die im Ovar aus dem Follikel hervorgeht. Die Namen FSH und LH wurden allerdings zu einer Zeit gebildet, als man diese Hormone bei der Frau entdeckte und beim Mann ganz andere Sexualhormone vermutete; tatsächlich aber kommen diese Gonadotropine (Geschlechtshormone) bei Frau und Mann gleichermaßen vor, und die Gonaden sind jeweils ihre einzigen Zielorte: also die Eierstöcke bei der Frau, die Hoden beim Mann; die Wirkungen, die sie dort hervorrufen, sind freilich sehr unterschiedlich. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 185 –187; 191.) Bei geschlechtsreifen Frauen leitet FSH am Beginn des Fortpflanzungszyklus die Follikelreifung ein; zusammen mit LH stimuliert es das Wachstum des Follikels; zudem regt es die Eierstöcke an, verstärkt Östrogene (besonders Östradiol ) abzusondern. Von einer bestimmten Östrogenkonzentration im Blut an drosselt der Hypothalamus über negative Rückkopplungsmechanismen die Sekretion von GnRH, und die Adenohypophyse reduziert die Synthese von

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Abb. B 101: Die Differenzierung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale in der Entwicklung a) von Männern und b) von Frauen

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FSH. Zudem wirkt ein weiteres Keimdrüsenprodukt, das schon den Namen Inhibin (Hemmstoff, von lat.: die inhibitio – Hemmung) trägt, hemmend auf die Freisetzung von FSH. Andererseits führt ein hoher Östrogenspiegel im Blut dazu, daß die Hypophyse noch mehr LH ausschüttet, was dann den Eisprung (lat.: die Ovulation) auslöst; gleichzeitig sezerniert der Hypophysenvorderlappen jetzt vermehrt das uns ebenfalls bei den Basisemotionen bereits angekündigte Hormon Prolactin (PRL, auch Lactotropin genannt, von lat.: das lac – Milch; griech.: tropeı˜n – wenden; ein lactotropes Hormon, das die Sekretion der Milch anregt), das die Bildung des Gelbkörpers fördert, der als temporäre endokrine Drüse Östrogene sowie Progesteron freisetzt. Progesteron bereitet nicht nur die Einnistung (lat.: die Nidation) des befruchteten Eis (der Zygote) vor, es sorgt auch für die Aufrechterhaltung von Schwangerschaft und Stillfähigkeit. Kommt es nicht zu einer Befruchtung des Eis, bildet sich das Corpus luteum zurück; es werden keine Gelbkörperhormone mehr ausgeschüttet, und ein neuer Zyklus beginnt, indem die Sexualhormone, die hemmend auf die Bildung der Gonadotropine in der Hypophyse einwirken, sich im Blut verringern. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 187–188.) Wohlgemerkt ist es mithin das Corpus luteum, das Östrogene und Progesteron in solchen Mengen produziert, daß die Schwangerschaft erhalten bleibt und es zu keinem neuen Zyklus kommt; um die Zyklusaktivität zu unterbinden und damit eine mögliche Schwangerschaft zu verhindern, werden als empfängnisverhütende Mittel deshalb synthetische Östrogene und Gestagene eingesetzt, die dem Körper eine bereits bestehende Schwangerschaft «vorspielen». Kommt es aber zu einer Schwangerschaft, so wird zusätzlich die Sekretion von Prolactin aus der Adenohypophyse ständig gesteigert – die Brüste schwellen an und sind darauf vorbereitet, unmittelbar nach der Geburt Milchprotein zu produzieren; außerdem verhindert Prolactin die Synthese von GnRH – es wird kein LH mehr freigesetzt, so daß kein neuer Eisprung erfolgen kann. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 188.) Neben GnRH sind also am weiblichen Zyklus vor allem vier weitere Hormone beteiligt: die Gonadotropine FSH und LH aus der Adenohypophyse sowie die Ovarialhormone Östradiol und Progesteron aus dem Eierstock. Abb. B 102 versucht eine zusammenfassende Übersicht zu geben. Sehr verschieden davon ist die Wirkung der Gonadotropine bei geschlechtsreifen Männern. FSH stimuliert in den Hoden die Entwicklung von Samenzellen (die Spermatogenese, von griech.: das spérma – Same, die génesis – Werden, Entstehung); LH führt zur Bildung von Testosteron, das seinerseits im Körpergewebe die Ausbildung der sekundären männlichen Geschlechtsmerkmale

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Abb. B 102: Die Steuerung des weiblichen Zyklus

(Behaarung, Körperbau) hervorruft. Gleichzeitig verringert die Testosteronausschüttung – erneut über negative Rückkopplung – die weitere Freisetzung von GnRH im Hypothalamus und damit auch die Freisetzung von weiterem FSH und LH. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 187–188.) Sowohl Östradiol bei der Frau als auch Testosteron beim Mann wirken also in negativer Rückkopplung auf die Hypophyse zurück, indem sie dort die stimulierende Wirkung des GnRH auf die Ausschüttung von FSH und LH hemmen, und dergleichen auch auf den Hypothalamus, indem sie die GnRH-Freisetzung selber inhibieren. Zudem wirkt jenes spezielle Keimdrüsenprodukt, das Inhibin, hemmend auf die Ausschüttung von FSH durch die Hypophyse zurück. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 187–188.) Gerade an dieser Stelle, bei der Regulation der FSH- und der LH-Sekretion über negative Rückkopplungen, zeigt sich erneut auch das Zusammenwirken von Neurotransmittern und Hormonen: Auf den Hypothalamus wirken zusätzlich Dopamin sowie Endorphine hemmend ein, während Noradrenalin die Ausschüttung von GnRH stimuliert. Auch die Ausschüttung von Prolactin aus

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Abb. B 103: Regulation der Ausschüttung von GnRH, FSH und LH

dem Hypophysenvorderlappen wird über die Wirkung von Dopamin als Hypothalamus-Releasing-Hormon verringert. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 187–188.) Abb. B 103 versucht, die Regulation der Sekretion von GnRH durch den Hypothalamus und von FSH und LH durch die Adenohypophyse schematisch darzustellen. Wichtig in unserem Zusammenhang ist die Wirkung, welche die genannten Hormone, vor allem die Östrogene und Androgene, auf das Sexualleben haben. Bei Frauen haben Östrogene keine direkte Auswirkung auf die sexuelle Aktivität, beeinflussen aber das Wohlbefinden und bestimmte physiologische Komponenten der Sexualität. Die weibliche Sexualität scheint indessen mit der Androgenkonzentration im Blut in Verbindung zu stehen (vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 372 –373); bei ihnen «ist der Zusammenhang zwischen Androgenspiegel und sexuellem Interesse . . . stärker ausgeprägt» als bei

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Männern. (monika pritzel u. a.: A. a. O., 373) «Klinische Studien an Frauen mit Ovar- und Hysterektomie (operative Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter, sc. von griech.: die hystéra – Gebärmutter, die ektome¯ – Herausschneiden, d. V.) zeigten, dass Ersatzinjektionen von Testosteron und nicht von Östradiol die sexuelle Motivation verstärkten.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 318) Bei Männern belebt eine Erhöhung des Testosteronspiegels zwar die sexuelle Vorstellung, verändert aber nicht ohne weiteres das Sexualverhalten selbst. So kann man sagen, daß eine Mindestkonzentration an Testosteron für die Durchführung eines sexuellen Aktes unerläßlich ist, daß aber die sexuelle Funktionstüchtigkeit an sich durch einen noch weiter erhöhten Testosteronspiegel nicht gesteigert wird. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 372; john p. j. pinel: Biopsychologie, 316.) «Jeder Mann hat scheinbar viel mehr Testosteron, als für die Aktivierung der Nervenbahnen, die das Sexualverhalten hervorbringen, nötig wäre. Mehr als das Minimum zu produzieren, scheint in diesem Zusammenhang auch keinerlei Vorteil zu haben.» (john p. j. pinel: A. a. O., 316) Östrogengaben wirken naturgemäß verringernd auf das männliche Sexualinteresse ein. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 373.) Neben diesen gerade besprochenen Hormonen des Hypophysenvorderlappens sollten wir im gegebenen Kontext von Fortpflanzung und Sexualverhalten an das vom Hypophysenhinterlappen (von der Neurohypophyse) sezernierte Oxytocin erinnern, das die Uteruskontraktionen beim Geburtsvorgang sowie das Einschießen der Milch in die Brüste nach der Niederkunft bewirkt. Außerdem regelt die Neurohypophyse mit Hilfe des antidiuretischen Hormons (ADH, auch Vasopressin genannt) die Wasserausscheidung herunter. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 178; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1154.) Auf beide Hormone werden wir gleich noch bei der Besprechung von Treue und Liebe zurückkommen. Zurückdenken sollten wir in diesem Zusammenhang auch an das von der Epiphyse ausgeschüttete Hormon Melatonin und seinen Einfluß auf die weiblichen Keimdrüsen sowie die beginnende sexuelle Reifung. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 179.) In all dem ist klar, daß Sexualverhalten und Fortpflanzung sich nicht trennen lassen von den übrigen lebenswichtigen Abläufen im Körper. Der Hypophysenvorderlappen zum Beispiel wirkt durch das Hormon Thyreotropin (TSH, das schilddrüsenstimulierende Hormon, von griech.: der thyreós – Schild) über die Schilddrüse auf den Stoffwechsel ein; schließlich regt er durch die Ausschüttung von adrenocorticotropem Hormon (ACTH) über die Streßachse –

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wie wir schon gehört haben, doch beim Thema Angst und psychosomatische Erkrankungen noch genauer sehen werden – die Nebennierenrinde zur Produktion von Glucocorticoiden an, deren wichtigster Vertreter Cortisol ist. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 178; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1154.) Abb. B 104 gibt eine Übersicht über die wichtigsten endokrinen Drüsen und Hormone, die neben vielen anderen Funktionen auch für das Sexualverhalten und für die Fortpflanzung verantwortlich sind. Damit haben wir die überaus komplexe hormonelle Steuerung des menschlichen Sexualverhaltens, so einfach es irgend gehen mag, dargestellt. Doch damit die Biochemie bestimmter, aus verschiedenen Drüsen abgegebener Steroidhormone Gefühle der Leidenschaft und Liebe zu erzeugen vermag, muß es im Gehirn Stellen geben, in denen die Ausschüttung von Hormonen spezifische neuronale Wirkungen hinterläßt. Die Frage stellt sich daher, wo, in welchen Arealen des Gehirns, derartige Hormonrezeptoren zu finden sind. Tatsächlich zeigen Untersuchungen mit radioaktiv markierten Hormonen, daß Östrogen- bzw. Testosteronrezeptoren sich in der Hypophyse und im Hypothalamus, aber auch im Mesencephalon und – wie könnte es anders sein! – in der Amygdala finden; dieses für den menschlichen Gefühlshaushalt so bedeutsame Organ hat naturgemäß auch beim sexuellen Erleben ein gewichtig Wörtchen mitzureden. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 189; 196.) Allerdings stehen wir damit vor einer entscheidenden neuen Frage: Gibt es einen Unterschied der Geschlechter im Gehirn, der sich in einem verschiedenen Sexualverhalten auswirkt? Wir hörten bereits, daß die zentrale Gehirnregion zur Steuerung der Sexualität der Nucleus praeopticus medialis des Hypothalamus ist, indem dort das GnRH freigesetzt wird, das seinerseits über die Hypophyse die gesamte Kaskade der Ausschüttung und Hemmung spezifischer Sexualhormone auslöst. Von daher kann es nicht gleichgültig sein, wenn wir anhand von Hirnschnitten erwachsener Ratten sogar ohne Mikroskop sehen können, daß gerade diese Hirnregion bei männlichen Tieren größer ist als bei weiblichen Tieren – viermal so groß, um genau zu sein. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 191– 192; john p. j. pinel: Biopsychologie, 319– 320.) Abb. B 105 gibt diesen deutlichen strukturellen Unterschied wieder. Dieser charakteristische Größenunterschied ist das Resultat einer unterschiedlichen Testosteronkonzentration schon bei den neugeborenen Tieren. Andererseits liegt bei den Weibchen die Zahl der synaptischen Verbindungen in ihrem kleineren medialen praeoptischen Kern pro Größeneinheit in signifi-

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Abb. B 104: Übersicht über die wichtigsten endokrinen Drüsen und Hormone

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Abb. B 105: Unterschied in der Größe des Nucleus praeopticus medialis (Pfeile) des Hypothalamus bei männlichen und weiblichen Ratten, links bei geringer, rechts bei stärkerer Vergrößerung (AC = Nucleus arcuatus, OC = Chiasma opticum, SC = Nucleus suprachiasmaticus)

kanter Weise über der Anzahl im männlichen Gehirn. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 192.) Auch beim ausgereiften menschlichen Gehirn finden sich Kerne in der praeoptischen Region des Hypothalamus, die bei Männern wesentlich größer sind als bei Frauen. Sexueller Dimorphismus (Formunterschied, von griech.: di – zu zweien, auseinander; die morphe¯ – Gestalt) zeigt sich indessen auch in anderen Kernbereichen des Hypothalamus, die an der Steuerung des Sexualverhaltens beteiligt sind. So sind zusätzlich zum Nucleus praeopticus medialis bei Männern zumeist auch der Nucleus supraopticus sowie ventrale Kerne in charakteristischer Weise größer als bei Frauen. Auch der Nucleus interstitialis (lat.: interstitialis – im Zwischenraum liegend) der Stria terminalis gehört zu den sexuell dimorphen Kernen: die Stria terminalis verbindet – wie wir schon wissen – die Amygdala mit dem Hypothalamus und mit den Kernen des basalen Vorderhirns; sie ist unterhalb von Balken und Fornix gelegen und zieht sich lateral an der dorsalen Seite des Thalamus hin, wobei ihre vordere

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Abb. B 106: Sexuell dimorphe Kerne des Hypothalamus und der gleichfalls sexuell dimorphe Nucleus interstitialis der Stria terminalis

Spitze ventral bis zum Hypothalamus reicht; in diesem anterioren Bereich der Stria terminalis liegt der Nucleus interstitialis striae terminalis, der Binnenkern der Stria terminalis. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 377– 378; john p. j. pinel: Biopsychologie, 319; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 529.) Abb. B 106 zeigt den Hypothalamus mit den sexuell dimorphen Kernen: dem Nucleus praeopticus (medialis), dem Nucleus supraopticus, dem Nucleus ventromedialis (uns schon bekannt als ventromedialer Hypothalamus, VMH – als Sättigungszentrum), dem Nucleus paraventricularis sowie den Nucleus interstitialis striae terminalis.

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Sexueller Dimorphismus zeigt sich zudem im gesamten limbischen System recht ausgedehnt. So steht die Ausschüttung der Gonadotropine in direkter Verbindung mit dem accessorischen olfaktorischen System. Zu diesem System gehören auch das Vomeronasale Organ sowie verschiedene Subkerne der Amygdala nebst dem Nucleus interstitialis striae terminalis. Die wichtigsten Verbindungen des accessorischen Bulbus olfactorius zu den sexuell dimorphen (geschlechtsunterschiedlichen) Hirnregionen betreffen Subkerne «der Amygdala, die hippocampale Formation, (sc. wie schon gesagt, d. V.) den medialen präoptischen und den ventromedialen Kern des Hypothalamus, das laterale Septum und das ventrale Subiculum». (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 211.) Morphologische Geschlechtsunterschiede finden sich auch im orbitofrontalen Cortex (vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 379; dennis kelly – tom jessell: Geschlecht und Gehirn, in: Neurowissenschaften, 601– 602); und an die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezogen auf die Lateralisation des Gehirns brauchen wir an dieser Stelle nur kurz zu erinnern: Das weibliche Gehirn ist weniger asymmetrisch als das männliche, es besitzt eine größere Plastizität, und sein Corpus callosum verfügt über weit mehr Kommissurenfasern. Solche Feststellungen über hirnanatomische sexuelle Dimorphismen listet man natürlich nicht einfach auf, ohne dabei ins Nachdenken zu geraten. Wenn unser Gehirn das zentrale Steuerungsorgan auch aller sexuellen Aktivitäten darstellt, so wird die unterschiedliche Größe oder Kleinheit der genannten Strukturen aller Wahrscheinlichkeit nach das Sexualverhalten von Frauen und Männern in unterschiedlicher Weise beeinflussen. (Zu den geschlechtstypischen Verhaltensunterschieden vgl. hartwig hanser: Keine reine Erziehungssache, in: Gehirn und Geist, 5/2003, 50– 56.) Allerdings müssen wir dabei gleich einschränkend darauf hinweisen, daß die Bedeutungen der «in der Amygdala, im dorsalen Hippocampus und im orbito-frontalen Cortex bestehenden mophologischen Geschlechtsunterschiede . . . unbekannt» sind. (dennis kelly – tom jessell: Geschlecht und Gehirn, in: Neurowissenschaften, 601–602) Und auch für den Hypothalamus scheint es nicht möglich, von Unterschieden der Hirnanatomie her geradewegs auf Unterschiede im Sexualverhalten zu schließen. Vielmehr ist die Dichte der Steroidhormonrezeptoren im Hypothalamus der allgemeinen Neuroplastizität des Gehirns unterworfen, das heißt, sie wird in gewissem Umfang auch eine strukturelle Anpassung an bestimmte Unterschiede in dem (gesellschaftlich festgelegten) Verhalten der Geschlechter darstellen. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 378 –379.) Trotz-

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dem können wir immerhin – bei aller Vorsicht – mit Hilfe der Neurowissenschaften einige Aussagen darüber machen, wie und an welchen Stellen der Hypothalamus das weibliche ebenso wie das männliche Sexualverhalten maßgebend beeinflußt. So kontrolliert der Nucleus ventromedialis des Hypothalamus das weibliche Sexualverhalten; jedenfalls führen Läsionen in dieser Region bei weiblichen Ratten und Meerschweinchen zu einer Reduktion des Sexualverhaltens, während eine elektrische Stimulation die Paarungsbereitschaft erhöht. Andererseits wird die weibliche sexuelle Aktivität auch verringert bei Durchtrennung des noradrenergen Faserzugs, der vom Nucleus ventromedialis zum periaquaeductalen Grau (PAG) führt, oder bei Schädigungen, die das PAG selbst betreffen. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 371; john p. j. pinel: Biopsychologie, 321–322.) Für das männliche Sexualverhalten scheint die eben erwähnte mediale praeoptische Region des Hypothalamus von Bedeutung zu sein – allerdings nur mittelbar. Die mediale praeoptische Region verfügt zwar über zahlreiche Testosteronrezeptoren, ist aber wohl nicht für die sexuelle Motivation zuständig, sondern koordiniert anscheinend die Bewegungen und körperlichen Prozesse, die beim Sexualakt nötig sind. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 371; john p. j. pinel: Biopsychologie, 319– 321.) Für Motivation und Emotion sind – wie wir schon hörten – im allgemeinen und in der Frage der sexuellen Begierde und Lust im besonderen vornehmlich der Nucleus accumbens und die Amygdala zuständig. Was den Nucleus accumbens angeht, so wissen wir bereits, daß er vor allem aus der Area tegmentalis ventralis innerviert wird und in weite Teile des frontalen Cortex projiziert; auch an die Bedeutung der Amygdala für das emotionale Erleben brauchen wir hier nur zu erinnern; von daher «ist es nicht verwunderlich, dass die dopaminergen Projektionen aus der Amygdala und dem Nucleus accumbens zur medialen präoptischen Region motivationale Aspekte zum Sexualverhalten beitragen». (monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 372) Schäden der Amygdala können – vermutlich über eine geringere dopaminerge Innervation der praeoptischen Region – zu einer Verminderung der sexuellen Bereitschaft, zumindest bei Ratten, führen, während umgekehrt eine Stimulation der Amygdala – über eine verstärkte Aktivierung der praeoptischen Region – zu einer Steigerung der sexuellen Aktivität bei Ratten beiträgt. (Vgl. monika pritzel u. a.: A. a. O., 371– 372.) Mit Hilfe der bildgebenden Verfahren bietet sich heute die Gelegenheit, durch direkte Beobachtung bei Menschen herauszufinden, welche Hirnregionen während sexueller Vorstellungen oder Handlungen besonders aktiv sind,

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und natürlich strengt man sich an, genau diese Gehirnstrukturen aufzuspüren, indem man etwa die sexuelle Erregung von Männern beim Betrachten von Pornovideos an der Peniserektion zu messen sucht und gleichzeitig die entsprechenden Hirnaktivitäten beobachtet. Am stärksten reagiert dabei das Claustrum (lat.: Riegel, Sperre, Damm), eine Platte grauer Substanz, die zwischen Putámen und Insula liegt und die mit den Basalganglien in Verbindung gebracht wird; anscheinend ist das Claustrum mit visuellen Vorstellungen beschäftigt und auch mit limbischen Regionen verbunden; außerdem zeigt sich eine Aktivierung im vorderen Gyrus cinguli sowie im orbitofrontalen Cortex, im Striatum und im Hypothalamus – in Hirnarealen also, die mit der emotionalen Bewertung von Wahrnehmungen zu tun haben. Damit scheint verständlich zu werden, wie Wahrnehmung (Kognition), Emotion, Motivation und physiologische Reaktion aufeinander aufbauen. Ob sich daraus freilich bereits praktische Folgerungen für die Diagnose oder für die Therapie von sexuell abnormen Persönlichkeiten oder von Sexualstraftätern ableiten lassen, ist noch in der Diskussion. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 373– 375.) Vielleicht gelingt es zum Beispiel einmal, pädophil veranlagte Menschen, noch bevor sie ihre Sexualstraftaten begehen können, mittels PET über die Aktivierung bestimmter Gehirnstrukturen zu identifizieren. Doch was dann? Ineins damit verbunden wäre, daß mit dem Fortschritt der Neurologie die Selbstgewißheit unseres Rechts- und Strafsystems sich fundamental in Frage gestellt sähe. Was ist Schuld? Was Freiheit? Was für ein Recht gibt es zu strafen, wenn die Strafe bei erwiesener Schuldunfähigkeit eines Delinquenten keiner Gerechtigkeit mehr folgt, sondern allenfalls den Versuch eines regulativen Faktors bildet, um in einem Raum krankhafter Unfreiheit die Unterdrückung sozial verbotener Triebregungen aus Angst zu erzwingen? Und selbst eine solche «Rechtfertigung» der Strafjustiz müßte dahinfallen, erweist sich doch gerade bei triebhaft bedingten Straftaten das Moment der «Abschreckung» als minimal. Offenbar müssen wir uns heute schon fragen, wozu wir die Neurologie eigentlich nutzen wollen: zu einer Erweiterung und Vertiefung des Verstehens menschlicher Hilflosigkeit und Not oder zu einer Ausdehnung unseres Herrschaftswissens auch und gerade im Umgang mit Menschen. Je nachdem, wie wir diese Frage beantworten, bleibt die Neurologie ein medizinisches Instrument zur Hilfe und Heilung oder sie eröffnet den «Mächtigen» dieser Erde ein ungeahntes Feld der Manipulation von Menschen bis in den Kern ihrer Seele hinein. Was Neurologie sein wird oder sein sollte, läßt sich nicht von der Neurologie selbst her beantworten; es folgt Vorgaben der Kultur, die in der ethischen und vor allem in der religiösen Sicht auf den Menschen verankert sind.

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β) Jenseits der Sexualität oder: Ein bißchen Liebe Diagnosen ohne den Willen zur Heilung sind menschlich wohl ebenso fragwürdig – ja, zerstörerisch – wie sexuelle Aktivitäten ohne Liebe. Im letzten ist die Liebe für uns Menschen unendlich viel wichtiger als Lust und Verlangen, die ihre begeisternde und vergeistigende Kraft nur entfalten können als deren Ausdrucksweisen. Stets ist dabei die Liebe verbunden mit der Sehnsucht nach Dauer, nach Ewigkeit. Fragen wir also nach der Treue oder Untreue von Partnern: – gibt es neurologisch einen Stoff, der die Paarbindung vermittelt? Wiederum kommt man bei der Lösung dieses zutiefst menschlichen Problems durch Untersuchungen an Tieren weiter; sofern man erst einmal akzeptiert, daß sexuelle Attraktivität und sexuelles Appetenzverhalten nicht zunächst dem privaten Glück, sondern auch bei uns Menschen der Reproduktion (der Gene) dienen – und daß «Lust» und «Paarbindung» dabei buchstäblich nur ein «Motiv», einen Antrieb darstellen, sich den Zwecksetzungen der Natur zu unterwerfen –, verliert ein solcher methodischer Ansatz sehr bald von seiner vordergründigen Befremdlichkeit. (Vgl. rainer schwarting: Die Quellen der Lust, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 30.) Auffallend sind zum Beispiel bereits die enormen Schwankungen im Partnerverhalten bei Primaten: Orang-Utans geben sich als ausgesprochene Einsiedler, die nur zur Paarung zusammenkommen, wohingegen Gibbons ausgesprochen monogam leben; Gorillas wiederum bilden Harems, während die uns so nahestehenden Schimpansen zu häufigem Partnerwechsel neigen. Um herauszufinden, was auf neuronaler Ebene hinter diesen unterschiedlichen Verhaltensweisen stecken könnte, erweisen sich neuerdings Untersuchungen als hilfreich, die an der Prärie-Wühlmaus (Microtus ochrogaster) vorgenommen wurden. Diese Tiere leben streng monogam und geben sich sehr bemüht bei der Aufzucht ihrer Jungen – sehr im Unterschied zu ihrem nächsten Verwandten: der Berg-Wühlmaus (Microtus montanus), auch Rocky-Mountains-Wühlmaus genannt, für die eher Promiskuität und eine relativ geringe Brutpflege typisch sind; – derartige Differenzen innerhalb einer Art finden sich im Tierreich immer wieder und ergeben sich allem Anschein nach aus Unterschieden in der Mühe der Nahrungsbeschaffung (vgl. wolfgang wickler: Die Biologie der Zehn Gebote, 63); neurobiologisch liegt es nahe, die zwei genetisch und morphologisch so ähnlichen Tierarten daraufhin zu untersuchen, was sie zu einem derart unterschiedlichen Sexualverhalten treibt. Und dabei hat man entdeckt, daß die monogame Prärie-Wühlmaus, deren lebenslängliche Treue in den Mo-

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ralhandbüchern als tugendhaftes Beispiel zweifellos auch den Menschen nur anempfohlen werden könnte, sich von der anscheinend weniger tugendhaften, ja, ganz und gar lasterhaften Berg-Wühlmaus dadurch unterscheidet, daß sie deutlich mehr Rezeptoren für die Hormone Vasopressin und Oxytocin im Gehirn aufweist. Vom Vasopressin wissen wir bereits, daß es von der Neurohypophyse ausgeschüttet wird, um auf einen akuten Flüssigkeitsverlust zu reagieren; es ist aber nicht nur ein antidiuretisches Hormon (ADH), sondern es spielt auch als Sexualhormon eine maßgebende Rolle. Fest steht jedenfalls, daß beim Geschlechtsverkehr die Vasopressinkonzentration im Blut männlicher Tiere deutlich ansteigt, und das gleiche gilt für Oxytocin im Blut der Weibchen. «Auch beim Menschen scheinen die beiden Hormone in geschlechtsabhängiger Weise für sexuelle Erregung, Erektion und Orgasmusfähigkeit wichtig zu sein. So steigt bei Männern der Blutspiegel von Vasopressin während der sexuellen Erwartungsphase an, der von Oxytocin dagegen während des Orgasmus. Bei der Frau könnte nach Meinung einiger Forscher Vasopressin das sexuelle Verlangen mindern und Oxytocin sowohl in der Flirtphase als auch der Kopulationsphase eine Rolle spielen.» (rainer schwarting: Die Quellen der Lust, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 32) Ist allein dieser Befund schon überraschend genug, so kommt es nun wirklich eigenartig: «Männliche Prärie-Wühlmäuse mit reichlich Vasopressin im Gehirn sind stärker an ihren Partner gebunden und kümmern sich mehr um ihre Jungen, während bei den Weibchen eher Oxytocin die Nachwuchspflege fördert. Der erhöhte Hormonspiegel während der Paarung hilft also vermutlich auch, die Bindung zwischen den Partnern zu verstärken. Wiederum scheinen auch beim Menschen Vasopressin und Oxytocin zumindest teilweise diese Funktionen zu besitzen. Wenn man Liebe als Partnerbindung ansieht, wäre damit ein erster Schritt zum biologischen Verständnis dieses Phänomens getan.» (rainer schwarting: A. a. O., 32 –33) Auch die Frisch-Verliebtheit besitzt ihr neuronales Äquivalent: So stellte donatella marazziti in Pisa bei leidenschaftlich Verliebten einen erhöhten Cortisolspiegel fest; überraschenderweise sinkt in diesem Zustand der Testosteronspiegel beim Manne, während er bei der Frau steigt – als sollten in der Liebe die sexuellen Unterschiede durch ein Gefühl der Einheit sich aufheben. (Vgl. donatella marazziti – domenico canale: Hormonal changes when falling in love, in: Psychoneuroendocrinology, 29/2004, 931–936.) Ein zweiter Schritt zum Begreifen der Liebe auf biologischer Ebene scheint derzeit, trotz aller methodischen Schwierigkeiten, durch die bildgebenden Verfahren möglich zu werden. So hat man – der Liebe eigentlich näher als jene physiologischen Reaktionsmessungen beim Betrachten von Pornovideos – mit

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Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) herausfinden wollen, was sich im Gehirn von Verliebten tut, wenn sie ein Photo ihres Partners betrachten. Dabei entdeckte man vier «Liebesmodule» innerhalb vier verschiedener Strukturen im limbischen System; bemerkenswerterweise verraten die Bilder einen deutlichen Unterschied zu dem Erleben bloßer Lust. Wir haben bereits gesehen, wie zum Beispiel Cocain als Aufputschdroge wirkt; auch Cocain aktiviert die vier «Liebesmodule», es betrifft aber ein viel weiträumigeres Areal. «Liebe stellt damit nicht nur psychologisch, sondern auch neuronal einen Teilbereich euphorischer Zustände dar», folgern daraus andreas bartels und semir m. zeki (Verliebte sind mutig und sanft, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 41). – Zudem sahen wir gerade noch, daß sexuelle Erregung spezifische Regionen des Hypothalamus stimuliert, doch bleiben gerade diese Zonen in den Magnetresonanztomogrammen der Verliebten «stumm». Lust und Liebe werden hingegen gemeinsam durch Aktivitäten im Nucleus caudatus und im Putámen ermöglicht; in diesen beiden Strukturen finden sich jedenfalls zwei der vier «Liebesmodule». Es könnte also sein, daß diese beiden Hirnregionen «das erotische Element in die romantische Liebe» bringen. (andreas bartels – semir m. zeki: A. a. O., 41) Ein drittes «Liebesmodul» befindet sich im anterioren Gyrus cinguli. Dieser Befund kann nicht überraschend kommen, sagten wir doch soeben noch, daß der vordere cinguläre Cortex bei der längerfristigen Verhaltenssteuerung und Impulskontrolle sowie beim psycho- und lokomotorischen Antrieb eine entscheidende Rolle spiele; er ermöglicht es, Gefühle (eigene wie fremde) zu erkennen, und wer wollte leugnen, daß wechselseitige Einfühlung den Kern dessen ausmacht, was wir «Liebe» nennen? Der vierte deutlich aktivierte Bereich bei Gefühlen der Verliebtheit ist ein Teil des Insellappens (des Lobus insularis). Der Insellappen befindet sich innerhalb des außenliegenden Cortex und ist für Aufmerksamkeit und Gedächtnis, aber auch für das Schmerzerleben von Bedeutung. (Vgl. gerhard roth: Aus Sicht des Gehirns, 22.) Der Lobus insularis, fanden bartels und zeki, ist «umso aktiver, je attraktiver sein Besitzer ihm präsentierte Gesichter empfindet. Offenbar integriert er den sensorischen visuellen Input in die Gefühlswelt. Zusätzlich scheint er aber auch Information aus der Magenregion zu erhalten. Vielleicht machen die Schmetterlinge aus dem Bauch einen Zwischenstopp auf der Insula, bevor sie ihren Weg in unser Bewußtsein finden». (andreas bartels – semir m. zeki: Verliebte sind mutig und sanft, in: Gehirn und Geist, 3/ 2002, 41) So sind es also anscheinend nur vier relativ kleine Hirnregionen, die über ein

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so mächtiges Gefühl wie die Liebe entscheiden; allerdings sind diese vier Zentren mit so gut wie allen Regionen des Gehirns verbunden, was dem Gefühl der Liebe seinen ebenso individuellen wie «allmächtigen» Charakter verleihen dürfte. Wichtig ist auch, daß das Gefühl der Liebe nicht nur bestimmte Gehirnregionen aktiviert, sondern andere desaktiviert, und zwar (vor allem in der rechten Hirnhälfte) bezeichnenderweise solche, die mit negativen Gefühlen zu tun haben; das gilt zum Beispiel für «Teile der Amygdala, die bei Angst, Trauer und Aggressionen aktiv sind». (andreas bartels – semir m. zeki: Verliebte sind mutig und sanft, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 41) Wir nähern uns damit auf neurologischer Basis einer Lieblingsthese des vorliegenden Buches: daß es im menschlichen Leben nur zwei wirklich zentrale Themen gibt – Vertrauen und Angst, Liebe und Tod, und daß es zwischen beiden Lebensausrichtungen zu wählen gilt, wenn irgend eine «Wahl» hier möglich ist. Ein Empfinden, das sich zwar nicht auf die Liebe beschränkt, aber doch zu ihr gehört und von ihr gesteigert werden kann, ist das Mitgefühl im weitesten Sinne – als eine Fähigkeit, Handlungen beim anderen vorauszuahnen, noch ehe sie geschehen, also aus nur ansatzweisen Bewegungen bereits die ganze weitere Handlung zu erschließen; in Zusammenhang damit steht auch die Neigung, im voraus bereits die Bewegung auszuführen, die als nächste bei einer geliebten Person erwartet wird: Eine Mutter etwa, die ihr Baby füttert, öffnet selber noch vor ihrem Kinde den Mund, zwei Liebende schauen einander an, und eine kleine Öffnung des Mundes signalisiert die Erwartung, auch der andere öffne die Lippen zum Kuß usw. Als Erklärung für die Möglichkeit eines solchen Verhaltens dient derzeit die Entdeckung von sogenannten Spiegelneuronen, die vor rund 10 Jahren von giacomo rizzolatti in Parma gefunden wurden. (Vgl. giacomo rizzolatti u. a.: Parietal lobe: From action organization to intention understanding, in: Science, 308/2005, 662 –667.) Dabei handelt es sich um Neuronen im Scheitellappen, die nicht nur im Verlauf einer eigenen Handlung feuern, sondern auch beim Betrachten des Verhaltens eines anderen – daher der Name Spiegelneuronen. Im Kopf eines Affen zum Beispiel, der sieht, wie ein anderer die Hand nach einer Banane ausstreckt, werden die Spiegelneuronen aktiviert, auch wenn das Ergreifen der Frucht für ihn nicht zu sehen ist; ja, rizzolatti fand, daß die Erregung der empathischen Nervenzellen unterschiedlich erfolgt, je nachdem, ob die Banane von dem anderen Tier gegessen oder irgendwo aufgehoben wird. christian keysers in Groningen zeigte zudem, daß im sekundären somatosensorischen Cortex der Tastsinn aktiviert wird, wenn das eigene Bein gestreichelt wird, aber auch wenn man zu sehen bekommt, wie etwa eine Spinne über das Bein eines anderen krabbelt. (Vgl.

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christian keysers u. a.: A touching sight: SII/PV activation during the observation and the experience of touch, in: Neuron, 42/2004, 335 –346.) Es ist nicht für eine bewiesene Tatsache zu nehmen, erscheint aber doch als ein verlockender Gedanke, daß solche Spiegelneuronen uns helfen könnten, zu spüren, wann der andere das gleiche wünscht wie man selbst, und überhaupt die Kluft zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu überbrücken.

γ) Sexuelle Abweichungen in Anatomie und Verhalten Man könnte meinen, daß die Neurologie, wenn sie bei so vielen Bemühungen so wenig erst über die Liebe in Erfahrung gebracht hat, nur eine recht erfolglose und vielleicht auch nicht allzu nützliche Wissenschaft sei; doch eine solche Ansicht wäre erkennbar irrig. Nicht nur, daß wir soeben wirklich auf interessante Ergebnisse gestoßen sind – wenn das Gefühl der Liebe bis in die Basalganglien (Nucleus caudatus und Putámen) hinunterreicht, kann es sich nur um ein alles erschütterndes, elementares, leidenschaftliches Erleben handeln. Man muß des weiteren bedenken, daß so gut wie alle gelingenden Lebensprozesse, zu denen zweifellos auch die Liebe zählt, höchst komplexe, schwer zu erforschende Phänomene darstellen; entschieden leichter fällt es, gewissen Störungen und ihren Auswirkungen auf die Spur zu kommen; hier aber bietet das bisher Gehörte bereits wichtige Einsichten in die Ursachen möglicher Abweichungen und krankhafter Entwicklungen. Wir brauchen uns nur in Erinnerung zu rufen, unter welchen hormonellen Einflüssen die geschlechtliche Ausdifferenzierung eines Fetus erfolgt, und es ist klar, was die Folgen sein werden, wenn die notwendige Testosteronausschüttung in einer falschen Menge oder zu einem falschen Zeitpunkt erfolgt oder wenn die Rezeptoren das Androgen nicht aufnehmen können. Eine solche mögliche Fehlentwicklung bildet das androgenitale Syndrom: Es entsteht, indem während der Embryonalentwicklung zu wenig Cortisol ausgeschüttet wird; denn dadurch wird die Nebennierenrinde zu einer vermehrten Freisetzung von Androgenen veranlaßt. Für männliche Feten ergibt sich daraus «nur» eine verstärkte Vermännlichung, bei weiblichen Feten aber kommt es zu einer Maskulinisierung der äußeren Geschlechtsorgane: die Clitoris erscheint vergrößert, während die Schamlippen teilweise geschlossen sind; da die Androgenausschüttung indessen zu spät erfolgt, um die wolffschen Gänge weiterzuentwickeln, bleiben die inneren Organe weiblich. Wohl aber führt das Testosteron zu einer «Vermännlichung» auch des Gehirns, und es sorgt zudem in der Pubertät dafür, daß die sekundären Geschlechtsmerkmale weiter «vermänn-

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licht» werden; entsprechend groß ist für die Betroffenen die Ungewißheit, in welch einem Ausmaß sie sich stärker zu Jungen oder zu Mädchen entwickeln werden – mit all den dazugehörigen Zweifeln an ihrer sexuellen Identität. Die heute einzige Behandlungsmöglichkeit besteht ursächlich in einer frühzeitigen Verabreichung von Cortisol-Präparaten; auf der Symptomebene kann man sich allenfalls um eine operative Korrektur der fehlgestalteten Genitalien bemühen. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 366; john p. j. pinel: Biopsychologie, 313– 314.) Bei einer anderen Erkrankungsform wird Testosteron zwar in der richtigen Weise ausgeschüttet, doch kann es auf Grund einer erblichen, an das X-Chromosom gekoppelten Androgenresistenz in den Körperzellen nicht als solches erkannt werden; in diesem Falle werden Personen, die genetisch Männer sind und deren Testosteronkonzentration im Blut durchaus normal ist, gleichwohl nach dem weiblichen, durch kein Testosteron gestörten Grundprogramm weibliche äußere Geschlechtsorgane ausbilden und ganz wie Frauen aussehen; auch ihre Gehirne und ihr Verhalten entwickeln sich weiblich – es kommt zu einer testikulären Feminisierung (lat.: die femina – Frau), bei der die Hoden (lat.: die Testes), die im Körper verbleiben, zwar durch das müllersche inhibierende Hormon die Ausbildung weiblicher innerer Geschlechtsorgane verhindern, in der Pubertät aber durch die Ausschüttung von Östrogenen die Ausbildung weiblicher sekundärer Geschlechtsmerkmale einleiten –; während all dessen wird die Testosteronabsonderung weiterhin vom Gewebe nicht erkannt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 366 –367; john p. j. pinel: Biopsychologie, 313.) Besonders berühmt wurde in der sexualwissenschaftlichen Forschung ein Fall, der Antworten auf die Frage brachte, ob die sexuelle Identität von Männern und Frauen durch Erziehung und Hormonbehandlungen von außen beeinflußt werden kann oder ob sie schon vorab biologisch determiniert ist. Es handelte sich um einen männlichen eineiigen Zwilling, dessen Penis bei der Beschneidung (Zirkumzision, lat.: circumcidere – ringsum abschneiden, beschneiden) im Alter von sieben Monaten abgetrennt worden war. (Nebenbei: die Zeit scheint noch immer nicht gekommen, daß man die Verkündigung der Menschenrechte im Amerika des Jahres 1776 im Jahre 2006 weltweit gegen den Vollzug schmerzhafter steinzeitlicher Rituale an männlichen Neugeborenen in Anwendung bringen würde, – von der medizinisch indizierten Entfernung einer zu langen oder zu engen Vorhaut einmal abgesehen.) In dieser Situation hatte john money (Ablatio penis: Normal male infant sexreassigned as a girl, in: Archives of Sexual Behavior, 4/1975, 65–71) zu einer Kastration des Kindes

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und zur Formung einer künstlichen Vagina geraten, mit der Aussicht, in der Pubertät dann mit Hilfe von Östrogenen ein weibliches Erscheinungsbild zu erzeugen; im Hintergrund stand bei ihm die Überzeugung, daß die sexuelle Identität wesentlich durch soziales Lernen definiert werde, und so verkündete er denn auch beizeiten, daß Joan, wie der ehemalige Junge jetzt hieß, mit 12 Jahren sich glücklich als Mädchen entwickele – alle möglichen Lehrbücher, Zeitschriften und Fernsehkanäle propagierten den vermeintlichen Sieg von moneys Chirurgie und «Hormonologie» über die Biologie der Gene. In Wahrheit aber sehnte sich Joan danach, ein Mann zu werden; das Kind tat nichts von dem, was Mädchen zu tun pflegen, die mit Puppen spielen, sich für Kleider interessieren und mit Lippenstiften experimentieren; es erzürnte Joan, als Mädchen behandelt zu werden, und ihre Reaktionen ähnelten denen des Posttraumatischen Streß-Syndroms (PTSD, D = engl.: disorder – Störung), dem wir später noch bei der Besprechung psychosomatischer Herzerkrankungen (C 1 b β) sowie bei der Erörterung von Dissoziativen Identitätsstörungen bei Soldaten nach Kriegseinsätzen (C 2 c ε) begegnen weden; besonders ihre durch die Östrogenbehandlung sich entwickelnden Brüste haßte Joan, und als der Vater ihr mit 14 Jahren die Wahrheit über ihre Kindheit erzählte, entschied sie sich für eine Rückverwandlung in einen Jungen. Und so geschah es. Mit 16 Jahren ließ sie eine weitere Hormonbehandlung, diesmal mit Testosteron, über sich ergehen, und nach einem erneuten chirurgischen Eingriff hieß Joan fortan John. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 314 –315; milton diamond – h. keith sigmundson: Sex reassignment at birth. Long-term review and clinical implications, in: Archives of Pediatrics Adolescent Medicine, 151/1997, 298 –304.) Angesichts dieses Falles ist es schwer zu sehen, wie die sozialpsychologische Ideologie von der vollkommenen Formbarkeit des Menschen durch den Einfluß der Gesellschaft eindrucksvoller widerlegt werden könnte. Selbst im Falle von Hermaphroditismus wird man inzwischen zögern, das mannweibliche Geschlecht durch einen Eingriff von außen festzulegen. – Hermaphroditismus (nach der griechischen Mythe von Hermaphróditos, dem Sohn des Hermes und der Aphrodite, vgl. karl kerényi: Die Mythologie der Griechen, I 137) besteht in einer Zwitterbildung, bei der die Merkmale beider Geschlechter (Ovar- wie Testesgewebe) vorliegen. Nun ist es eines, die Auswirkungen von Hormonstörungen in der Fetalentwicklung zu erläutern, ein anderes aber ist es, die Ursachen von Sexualstraftaten und Behandlungsmöglichkeiten von Sexualstraftätern zu erörtern. In der Meinung, daß die männliche Sexualität von den Geschlechtsteilen gesteuert

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werde, ging man in Deutschland bereits im Jahre 1906 dazu über, die Entfernung der Hoden als das rechte Mittel zur Unschädlichmachung von Sexualdelinquenten anzusehen, ohne allerdings mit dieser möglicherweise populären, aber barbarischen Methode nennenswerte Erfolge zu erzielen. (Vgl. nikolaus heim: Die Kastration und ihre Folgen bei Sexualstraftätern; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 375.) Dann, als man das Sexualverhalten mit bestimmten Hirnfunktionen in Zusammenhang sah, versuchte man, Sexualverbrechern mit neurochirurgischen Mitteln beizukommen; so wurden in den 60er Jahren des 20. Jhs. Kerne des Hypothalamus zerstört, die man mit sexuellem Verhalten in Verbindung brachte, wie zum Beispiel der Nucleus ventromedialis. Tatsächlich ließ sich damit ein Teil der sexuellen Aktivitäten unterdrücken, doch hörten die sexuell-aggressiven Phantasien bei den betroffenen Straftätern nicht auf, und vor allem wurden Handlungen, zu denen keine Erektion erforderlich war, durch eine solche hirnorganische Kastration kaum verhindert. (Vgl. inge rieber – volkmar sigusch: Psychosurgery on sex offenders and sexual «deviants» in West Germany, in: Archives of Sexual Behavior, 8/1979, 523– 527.) Inzwischen sind in Deutschland und in den meisten anderen Ländern Eingriffe dieser Art selbst bei gegebener Einwilligung des Patienten gesetzlich verboten; geblieben sind die Versuche einer chemischen «Kastration». (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 375.) Um das Sexualverhalten medikamentös zu beeinflussen, bieten sich im wesentlichen zwei Wege an: Zum ersten kann man versuchen, die Ausschüttung von Sexualhormonen zu manipulieren und dadurch eine anti-androgene Wirkung zu erreichen; so läßt sich zum Beispiel mit Hilfe eines Progesteronderivats, des Medroxyprogesteronacetats (MPA), die Abgabe von Gonadotropinen hemmen; auf diese Weise werden tatsächlich sexuelle Phantasien und sexuelles Verhalten reduziert, doch könnte der Erfolg eher kurzzeitiger Natur sein. Ein anderes Medikament mit Namen Triptorelin führt eine Desensitivierung der GnRH-Rezeptoren herbei, mit der Folge, daß die Testosteronkonzentration im Blut abnimmt; die damit erzielten Erfolge bedürfen freilich noch einer Überprüfung. – Zum zweiten kann man dahin wirken, die Impulskontrolle zu verbessern, indem man zum Beispiel auf das serotonerge System entsprechend einwirkt. Bewährt haben sich hier Selektive-Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI, von engl.: reuptake – Wiederaufnahme), die ganz selektiv die serotonerge Übertragung verstärken; allerdings werden SSRIs, wie wir noch sehen werden, auch bei Depressionen, Suchtverhalten und Angstzuständen eingesetzt – sie dienen nicht speziell der Unterdrückung von möglicherweise gefähr-

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lichen Sexualimpulsen, doch immerhin! (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 71–72; 376.) Ein eigenes Kapitel stellt die Homosexualität dar, die noch bis ins letzte Drittel des 20. Jhs. hinein als eine Art Krankheit oder kriminelles Delikt betrachtet wurde; nach wie vor erklärt besonders die katholische Kirche Homosexualität für eine «schwere Sünde», und nach wie vor mobilisiert sie (wie Ende April 2005 in Spanien) alle Kräfte gegen eine Gesetzesnovelle, die homosexuelle Partnerschaften ehelichen Beziehungen gleichzustellen «droht». Demgegenüber hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon vor Jahren die Homosexualität als nicht-krankhaft bezeichnet. Generell gilt: «Homosexuelles Verhalten darf nicht als sexuelle ‹Störung› eingeordnet werden. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Homosexualität mit anderen Maßstäben gemessen werden muß als denjenigen für sexuelle Störungen . . . auch die Ansichten im gesellschaftlichen und politischen Bereich haben sich deutlich gewandelt.» (arno deister: Sexuelle Störungen, in: H.-J. Möller u. a.: Psychiatrie und Psychotherapie, 293) Als Ursache der Homosexualität wurden und werden alle möglichen genetischen, hormonellen, psychoanalytischen und soziologischen Faktoren geltend gemacht, von denen durchaus jeder für sich, je nach Fall, ausschlaggebend sein kann; offenbar handelt es sich bei der Homosexualität um eine multifaktoriell bedingte Verhaltensweise. So versucht inzwischen auch die Neurologie einige Aspekte zu der Frage der Entstehung der Homosexualität beizusteuern, indem sie nach spezifischen Hirnunterschieden zwischen Homo- und Heterosexuellen Ausschau hält. Anfang der 90er Jahre erregte die Arbeit von simon levay vom Salk-Institut in San Diego (A difference in hypothalamic structure between heterosexual and homosexual men, in: Science, 253/1991, 1034 –1037) große Aufmerksamkeit; denn auf Grund von Hirnuntersuchungen an verstorbenen Homosexuellen wurde hier die These aufgestellt, daß jene Kerne des Hypothalamus, die an der Steuerung des Sexualverhaltens beteiligt sind, bei Homosexuellen kleiner – also «weiblicher» – seien als bei Heterosexuellen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 323– 324; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 382.) Tatsächlich widersprechen sich die Ergebnisse verschiedener Forschergruppen bezüglich der einzelnen hypothalamischen Kerne noch und sind auch methodisch – vor allem in der Auswahl der untersuchten Gehirne – nicht über alle Zweifel erhaben; viele der Gehirne, die einer Autopsie unterzogen wurden, stammen zum Beispiel von Homosexuellen, die an AIDS verstorben sind, und sie wurden dann mit den Gehirnen von Heterosexuellen verglichen, die diese

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Krankheit nicht hatten – obwohl bekannt ist, daß AIDS zu neuropathologischen Schäden führt. Da zudem nicht wirklich klar ist, welch eine Funktion dem Zellgebiet der hypothalamischen Kerne eigentlich zukommt, sind weitgehende Schlüsse (vorerst noch) unbeweisbar. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 323 –324; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 382 –383; richard f. thompson: Das Gehirn, 193.) Auch über eine mögliche starke Vergrößerung der Commissura anterior bei Homosexuellen wird (noch) kontrovers diskutiert: Indem diese Hirnstruktur (zusammen mit dem Corpus callosum) die beiden Hemisphären miteinander verbindet, könnte es bei ihrer Vergrößerung zu einer weniger lateralisierten, mehr symmetrischen Form der Verarbeitung von Sinneseindrücken und gespeicherten Erfahrungen kommen, wie sie mehr für Frauen als typisch gilt. Allerdings scheint es fraglich, ob eine Vergrößerung der Commissura anterior in den Gehirnen von Homosexuellen wirklich in signifikanter Weise vorliegt. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 382– 383.) Darüber hinaus wurde, wie schon erwähnt, vor ein paar Jahren diskutiert, ob eventuell das Vomeronasale Organ, das uns bereits als so etwas wie der sechste Sinn der Liebe vorgestellt wurde, bei Homosexuellen womöglich auf gleichgeschlechtliche Partner intensiver anspreche als auf geschlechtsverschiedene; doch selbst wenn das so wäre, bliebe die Frage offen, ob darin eine Ursache oder nicht eher eine Folge der homosexuellen Triebausrichtung zu erblicken ist. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 383.) Unklar ist zudem, was die hirnanatomischen Unterschiede hervorruft. Als am wahrscheinlichsten gelten pränatale Einflüsse von Sexualhormonen, doch auch diese können sehr verschiedenen Ursprungs sein: genetische Faktoren erscheinen da ebenso plausibel wie Streß der Mutter während der Schwangerschaft. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 382.) «Ist eine Rattenmutter gestresst, besitzen die Gehirne ihrer Sprösslinge im Durchschnitt weniger männliche Eigenschaften. Außerdem sind diese Tiere häufiger homosexuell orientiert und zeigen mehr mütterliches Verhalten . . . Durch den Stress blieb das notwendige Testosteronsignal an das Gehirn zwar nicht aus, kam aber zeitlich zu früh . . . Solche ‹verweiblichten› männlichen Nachkommen sind aber nicht in jedem Fall homosexuell: Werden sie zusammen mit sexuell aktiven Weibchen aufgezogen, entwickeln sie sich in der Regel doch zu heterosexuell orientierten Männchen. Das zeigt deutlich, dass Sexualverhalten nicht allein mit Hormonen erklärt werden kann.» (rainer schwarting: Die Quellen der Lust, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 31) Interessant sind in diesem Zusammenhang auch soziobiologische Überle-

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gungen über die Funktion der Homosexualität. «Mit Hilfe der Homosexualität könnten sich Populationen an schwierige Lebensbedingungen anpassen. Während solcher Belastungsperioden würde (sc. über die Wirkung von Stress auf männliche Gehirne und sexuelle Präferenz, d. V.) die Fortpflanzung reduziert und der verringerten Zahl von Nachkommen (sc. u. a. auch durch die verweiblichten männlichen Nachkommen, d. V.) eine größere Fürsorge zuteil. Falls auch Ratten so etwas wie Lust erleben, wäre das auf den gleichgeschlechtlichen Partner gerichtete Begehren zumindest in den Zeiten der Bedrohung der Population eine Kompensation für entgangene heterosexuelle Befriedigung. – Diese Erklärung dürfte umso mehr für den Menschen gelten, dessen Sexualverhalten sich teilweise vom Ziel der Fortpflanzung abgekoppelt hat und ein Eigenleben mit dem Zweck des Lustgewinns (sc. und der Partnerbindung, d. V.) führt. Dabei bestätigen die bisherigen Untersuchungen bei Menschen die Erkenntnisse, die aus Tiermodellen stammen.» (rainer schwarting: Die Quellen der Lust, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 31) Letztendlich bleibt es aber bei alldem die Frage, ob die sexuelle Identität wirklich an eine bestimmte Form des Gehirns gebunden ist, und sie läßt sich deshalb so schwer beantworten, weil auf Grund der Neuroplastizität des Gehirns stets von einer Wechselwirkung von inneren und äußeren Faktoren (von «Gehirn» und «Umwelt») auszugehen ist; – gerade bei der Sexualität, die, biologisch betrachtet, der Weitergabe des Lebens dienen soll, haben wir es mit einem «lebendigen», also offen sich entwickelnden «System» zu tun, in dem bestimmte genetische und hormonelle Komponenten psychische und soziale Erfahrungen ermöglichen, die als solche wieder auf die Art ihrer eigenen Verarbeitung zurückwirken. Unter diesen Umständen ist es freilich um so nötiger, innerhalb eines solchen Wechselspiels aus Ursachen und Wirkungen, die ihrerseits wieder die Ursachen verändern, aus denen sie entstanden sind, die verschiedenen Räder im Gesamtgetriebe möglichst genau zu erforschen. Besonders verwirrend mutet nicht zuletzt das Bild der Transsexualität an, das zunächst als ein psychisches Phänomen beeindruckt: – von «Kastrationskomplex» und «Fehlidentifikation» geht denn auch in der psychoanalytischen Literatur die Rede, um zu begründen, warum es Männer geben kann, die sich am liebsten als Frauen sehen und gebärden (und natürlich auch umgekehrt). Doch alle psychologischen Erklärungen berühren nur das eine Ende des Stokkes; übrig bleibt die Frage, was sich am anderen Ende befindet. Tatsächlich weisen neurologische Untersuchungen seit Mitte der 90er Jahre auf den zentralen Anteil des Nucleus interstitialis der Stria terminalis (ZANIST) als auf das mögliche Korrelat sexueller Identität hin. Normalerweise

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ist der ZANIST bei Männern etwa doppelt so groß wie bei Frauen, bei Transsexuellen aber fanden jiang-ning, dick f. swaab u. a. (A sex difference in the human brain and its relation to transsexuality, in: Nature, 378/1995, 68 –70) eine Größe, wie sie eigentlich für das weibliche Gehirn charakteristisch ist. – Abstand genommen wird inzwischen von der Vermutung, für die sexuelle Orientierung könne eine unterschiedliche Dichte der Androgenrezeptoren im Hypothalamus und im limbischen System, speziell in den Mamillarkörpern, ausschlaggebend sein; denn es zeigte sich, daß die Dichte der Testosteronrezeptoren von der Menge des im Blut zirkulierenden Testosteron abhängt, nicht aber davon, ob jemand hetero-, homo- oder transsexuell ist. – Möglich bleibt allerdings, daß auch bei der Transsexualität die Lateralisation des Gehirns eine gewisse Rolle spielt. Wie bei der Homosexualität könnten Änderungen des Testosteronspiegels bei der fetalen Hirnentwicklung dahin führen, daß die rechte und die linke Hemisphäre weniger stark spezialisiert wird; generell jedenfalls finden sich unter Transsexuellen – genauso wie unter Homosexuellen – deutlich mehr Nicht-Rechtshänder als in Vergleichsgruppen, und darin könnte ein Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang von Transsexualität und der Art der Lateralisation liegen. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 383 –384.) All dies zur Kenntnis nehmend, wird sich mancher Leser die Frage noch einmal stellen: Und was hat das nun mit der Liebe zu tun? Nur so viel, wie man von außen zu sehen bekommt, muß die Antwort lauten. Diese Feststellung ist wichtig, weil manche Neurologen der Meinung zuzuneigen scheinen, «innerlicher», als sie es tun, könne man psychische Vorgänge definitiv nicht mehr beschreiben. In der Tat: die neuen bildgebenden Verfahren erlauben es, unmittelbar in den Kopf hineinzusehen und zu beobachten, was dort geschieht. Doch bedeutet das in sich schon die Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung, die eigentlich ohne Ausnahme für naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle konstitutiv ist (selbst wenn in der Quantenphysik eine Festlegung des Objektes – eines Elementarteilchens – durch den Meßvorgang eines menschlichen Subjekts für einen Zustand vorausgesetzt wird)? Erneut nein! Niemand, ob er hetero-, bi-, homo- oder transsexuell empfindet, wird mit den neuronalen Mechanismen, die in geschilderter Weise seine Gefühle erklären sollen, sich in diesen Gefühlen verstanden fühlen. Wirklich verstehen können die Liebe nur die Liebenden – von innen her, weil sie an genau der Stelle stehen, an der das stattfindet, wovon die Rede gehen soll; und auch ein Arzt, der die Nöte der Liebenden heilen will, muß sich in die ihm vorgetragenen Gefühle von Schuld, Reue, Angst, Einsamkeit, Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnung, Verlangen . . . einfüh-

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len, um als Subjekt der subjektiven Erlebnisseite seiner Patienten zugewandt zu sein. Dazu muß er eine Sprache finden, die sensibel genug ist, auf jene leise sich regenden, zumeist überaus verletzbaren Gefühle so sanft einzuwirken wie der Tau am Morgen und wie die ersten Strahlen des Frührots. Hilfreich dabei können die Dichter sein. Man höre nur noch einmal william shakespeare zu, wie er in Wie es euch gefällt (As you like it, 1599/1600) den Schäfer Silvius auf Phöbes Frage antworten läßt: «Was lieben heißt»: «Es heißt, aus nichts bestehn als Phantasie, Aus nichts als Leidenschaft, aus nichts als Wünschen, Ganz Anbetung, Ergebung und Gehorsam, Ganz Demut, ganz Geduld und Ungeduld, Ganz Reinheit, ganz Bewährung, ganz Gehorsam, Und so bin ich für Phöbe.» (5. Akt, 2. Szene, S. 207)

Rund vierhundertfünfzig Jahre danach schrieb der mexikanische Dichter octavio paz (1914 –1998) in Antwort auf den Fluß der Zeit und die Vollkommenheit des Augenblicks im Erleben der Liebe: «Vielleicht heißt lieben, zu lernen, durch diese Welt zu gehen. Zu lernen, still zu sein wie die Linde und die Eiche der Fabel. Sehen zu lernen. Dein Blick streut Samen. Er hat einen Baum gepflanzt. Ich spreche, weil du sein Laub wiegst.» (In mir der Baum, 253)

Noch inniger müßte man auf die Bedeutung hinweisen, die der Liebe auf dem Wege zu all dem zufällt, was uns im weiteren beschäftigen wird: auf dem Wege zu Selbstbewußtsein, Ichstärke, Selbstwertgefühl und persönlicher Freiheit. Jeder Liebende wird die Worte teilen, mit denen friedrich rückert (1788 – 1866) in dem Gedicht Liebesfrühling die Gefährtin seines Herzens angeredet hat:

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«Du meine Seele, du mein Herz, Du meine Wonn’, o du mein Schmerz, Du meine Welt, in der ich lebe, Mein Himmel du, darein ich schwebe, O du mein Grab, in das hinab Ich ewig meinen Kummer gab! Du bist die Ruh, du bist der Frieden, Du bist der Himmel mir beschieden. Daß du mich liebst, macht mich mir werth, Dein Blick hat mich vor mir verklärt, Du hebst mich liebend über mich, Mein guter Geist, mein bess’res Ich.» (In: heinrich u. julius hart: Das Buch der Liebe, 322)

Insofern ist die Liebe das Element, in der die Person eines Menschen atmet und lebt; ihr Verlust wird dementsprechend empfunden als Entzug der Lebensgrundlage. Nichts macht mehr Angst, als die Liebe des wesentlichen Menschen an der Seite zu verlieren, und nichts beruhigt die Angst so sehr, als in der Liebe sich geborgen zu fühlen. Sprechen wir also im Anschluß an das Thema Sexualität und Liebe von Furcht und Angst.

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«Mit der Vielzelligkeit kam der Tod, mit dem Nervensystem kam der Schmerz, und mit dem Bewußtsein kam die Angst», schrieb 1949 sinngemäß der große Biologe ludwig von bertalanffy (1901–1972) über die tragisch zu nennende Hypothek allen evolutiven «Fortschritts» des Lebens auf dieser Erde. (Das biologische Weltbild, 106) Angst ist eine elementare Reaktion in Gefahrenaugenblicken – sie bildet eine der wichtigsten Strategien im Kampf ums Überleben. Da tritt etwas – und sei es im Traum – als gefährlich in den Horizont unserer Wahrnehmung, und wir sind Angst. Was aber ist «gefährlich», was «ungefährlich»? Um eine Situation als bedrohlich zu interpretieren, müssen wir ein Deutungsschema auf sie anwenden, das wir stets schon erlernt haben – individuell in Kindertagen bereits, kollektiv im «Erbgedächtnis» unserer Herkunft aus der Tierreihe. Um es paradox zu formulieren: die Angstbereitschaft ist früher als die Gefahr, auf deren Bewußtwerdung wir reflexhaft mit Angst antworten. Im Moment einer tödlichen Bedrohung gibt es nichts mehr zu «überlegen» noch zu «lernen», da gilt es, «instinktiv» das «Richtige», das Rettende zu tun. Gerettet dann, mag man darüber nachdenken, wie man in die entsprechende Situation hat geraten können, wie sie sich tunlichst hätte vermeiden lassen und welche Maßnahmen, wenn denn das Unvermeidbare erneut eintritt, in Zukunft hin zu treffen sind. So betrachtet, ist Angst eine nützliche Einrichtung der Natur – ein Geschenk des Bewußtseins, das womöglich überhaupt nur entstanden ist, um situative Gefährdungen besser abschätzen und sich dadurch besser schützen zu können. Und doch ist gleichzeitig die Angst auch ein Fluch des Bewußtseins. Denn je mehr wir unserer Lage inne werden, desto klarer wird, daß es im letzten kein Entrinnen gibt: Am Ende von allem wartet der Tod. Ein bißchen Bewußtsein mag gut sein, um von Fall zu Fall die Dauer unserer Lebensspanne «ein bißchen» zu verlängern, doch von dem Augenblick an, da wir bewußt die unentrinnbare Tatsache der Tödlichkeit allen Lebens begreifen, beginnt das Leiden an dem Zuviel an Bewußtheit, da wird aus der Angst als einer Strategie des Lebenserhalts eine Strangulation bis zur Grenze völliger Lebensunfähigkeit und Lebensverweigerung: Wozu all die Qual und die Mühe, etwas zu vermeiden, das über kurz oder lang ohnedies eintreten wird?

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Und dann: Was ist’s mit jenen Lerninhalten, mit den «Vorerfahrungen» der Angst? Was ist es mit der oft sinnlos erscheinenden Mechanik der Verhaltensreaktionen, die sie erzwingt? Wie oft wird da «zur Vorsicht» etwas objektiv ganz und gar Harmloses ins Bedrohliche getaucht und das wirklich Bedrohliche schlicht übersehen? Wie steht es um das «Unheimliche», das sigmund freud schon im Jahre 1919 als eine Angstform beschrieb, deren eigentlicher Inhalt als zu gefährlich ins Unbewußte verdrängt werden mußte (Das Unheimliche, in: Gesammelte Werke, XII 227– 268)? Kann es nicht sein, daß wir als Kinder Ängste an den falschen Stellen lernen mußten oder die damals richtigen Inhalte fälschlich der Deutung gegenwärtiger Erlebnisse unterlegen? Ja, ist es nicht insgesamt möglich, daß gewisse Ängste, die einmal vor Gefahren bewahren sollten, uns heute zu Verhaltensweisen treiben, die gefährlicher sind, als es alle «realen» Bedrohungen je zu sein vermöchten? Neurosen sind so. Psychosen sind so. (Fast) alle schweren Lebenskrisen sind so. Doch was läßt sich dann tun gegen die Angst? Wir können nur verstehen, was sich in Angst abspielt, wenn wir uns selber betrachten wie flüchtige Tiere, wie hilflose Kinder, wie Lebewesen, die an «Geist» erkrankt sind. Angst existiert auf allen Ebenen des Daseins, mit der bewußten Wahrnehmung beginnend bis hinauf zur Stufe des sich selbst wahrnehmenden Bewußtseins. Sprechen wir daher von der Angst der Tiere – den «kreatürlichen» Formen der Angst –, von der Angst der Kinder sowie den «infantilen» Ängsten der Neurotiker und von der Angst, die dazu gehört, ein Individuum zu sein. Und fragen wir bei all dem nach den Prozessen, die sich in unserem Gehirn abspielen, wenn wir Angst erleben.

a) Die Angst der Tiere Einer der wenigen, die recht früh bereits begriffen haben, wie wichtig die Einsichten der Tierpsychologie (der Verhaltensforschung) sein können, um die psychische Ausstattung des Menschen zu verstehen, war der Frankfurter Arzt rudolf bilz (1898 –1976). (Vgl. auch heini hediger: Die Angst des Tieres, in: Universitas, 14. Jg., 9/1959, 929– 937; zum Folgenden auch walter von baeyer – wanda von baeyer-katte: Angst, 43 –47: Verhaltensbiologie (Ethologie) angstanaloger Zustände beim Tier.) In seiner Paläoanthropologie von 1971 hat bilz eine Reihe von Aufsätzen aus den 50er und 60er Jahren zusammengestellt, in denen er in vorbildlicher Weise den «biologischen Radikalen» in den Erlebens- und Verhaltensweisen des Menschen nachzugehen versuchte, darunter insbesondere den Grundformen der «Daseinsangst»: «Erörte-

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rungen über die Misère unseres In-der-Welt-Seins» hieß denn auch der Untertitel einer seiner Arbeiten von 1969 (a. a. O., I 427–464). Die «Misère» besteht nach bilz darin, daß die elementaren Angstsituationen aus dem Erleben der Tiere sich im menschlichen Bewußtsein zu dem Eindruck einer unentrinnbaren Gefährdung der gesamten Existenz verwandeln; die Konsequenzen, die sich philosophisch wie theologisch aus diesem Ansatz ergeben, sind in ihrer Bedeutung schwer zu überschätzen. (Vgl. e. drewermann: Strukturen des Bösen, II 221– 235; ders.: Glauben in Freiheit oder Tiefenpsychologie und Dogmatik, 309 –318.) Ein nicht geringer Vorteil der von bilz (und anderen) vertretenen Sichtweise besteht zudem in der Möglichkeit, die grundlegende Gemeinsamkeit der Angstthematik bei Tier und Mensch auf Grund relativ einfacher Beobachtungen kennenzulernen; für die Neurologie entsteht damit eine breite Ausgangsbasis, um – in Zukunft hoffentlich nur noch mit nicht-invasiven Verfahren – in den Köpfen von Tieren (für joseph e. ledoux bevorzugt von Ratten) zu untersuchen, was sich beim Angsterleben in homologer Weise auch in den Köpfen von Menschen abspielt. Ein paar solch «einfacher» Beobachtungen mögen als Ausgangspunkt dienen. (Vgl. auch paul leyhausen: Zur Naturgeschichte der Angst, 1967, in: K. Lorenz – P. Leyhausen: Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens, 272 –296; irenäus eibl-eibesfeldt – christa sütterlin: Im Banne der Angst, 31– 49: Die Ängste der Menschen.)

α) Die Disgregations-Angst Vor einer Weile sah ich in einem großen Bahnhof einen Dackel zwischen den unzähligen Beinen der Passanten hin und herlaufen; mal stürmte er ein paar Treppen weit einen Bahnsteigsaufgang empor, dann, brüsk, kehrte er um, versuchte es auf der gegenüberliegenden Seite, rannte wieder ein Stück in der Wandelhalle weiter, nur um erneut die Richtung ins Ungefähre zu wechseln. Das Tier – jeder konnte es sehen – befand sich in genau dem Zustand, den wir vorhin noch bei jaak panksepp als die Angstform der «Panik» beschrieben fanden und die er als Verlassenheitsangst interpretierte. Was Panik ist, werden wir sogleich noch näher untersuchen – sie ist nicht an einen bestimmten Inhalt gebunden, sondern stellt eher eine spezielle Form des Angsterlebens dar; unzweifelhaft aber kann das Gefühl der Verlassenheit, wie im Falle dieses Dackels, sich zur Panik steigern – zu einem richtungslosen Bewegungssturm im Zustand höchster Erregung; und nur so scheint das Wort «Panik» (von der griechischen Waldgottheit Pan, die arglosen Nymphen beim Baden aufzulauern pflegte) Sinn zu machen: es gehört zur Panik der überfallartige Schrecken, der Einbruch

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jähen Entsetzens. Dabei war in dem Verhalten dieses Hundes die Gefahr durchaus nicht ohne weiteres sichtbar, die das Tier so fürchterlich zu bedrohen schien; erst aus seinem vollkommen verzweifelten Gebaren ließ sich erschließen, daß etwas Furchtbares geschehen sein mußte: – er hatte in dem Chaos tausender von Gerüchen die Spur seines Frauchens (oder Herrchens) verloren! Unter dieser Folgerung freilich erschien selbst sein wirres Hin-und-her-Gelaufe als eine durchaus sinnvolle Reaktion: vielleicht ließ sich ja doch noch die Spur wieder aufnehmen! Deutlich wurde zugleich, daß der Hund sich genau so verhielt, wie er im freien Gelände am Boden den Duftmarkierungen einer lohnenden Beute nachgestellt haben würde. Die notvolle Suche nach seiner verlorenen Bezugsperson setzte offenbar ein motorisches «Programm» in ihm frei, das unter anderen Umständen als ausgesprochenes Jagdverhalten zu erwarten gestanden hätte. Angst- und Angriffsverhalten, so lernen wir an diesem Beispiel, entsprechen einander. Oder anders ausgedrückt: Der Hund antwortete «sthenisch» (kraftvoll, von griech.: das sthénos – Kraft) auf die – nur allzu berechtigt erscheinende! – Möglichkeit, durch einen einzigen Augenblick der Unaufmerksamkeit alles verloren zu haben, was ihm bisher sein Leben war. Es stellt keine Übertreibung dar, in dieser Situation des Angsterlebens von einer Todesgefahr zu sprechen, selbst wenn akut (noch) keine Bedrohung an Leib und Leben für das Tier zu erkennen war. Wohlgemerkt ist an sich auch eine umgekehrte Reaktion auf eine vergleichbare Situation möglich: nicht der Bewegungssturm, sondern der Totstellreflex. Eine junge Katze etwa, die ihre Mutter vermißt, wird nicht wie ein Hetzjäger (ein Hund) herumlaufen, sondern sich relativ wenig bewegen und statt dessen kläglich miauen. Sie geht nicht auf die Suche nach dem Verlorenen, sie möchte als eine verlorene gefunden werden, und so setzt sie verstärkt zu diesem Zweck ein akustisches Signal ein, das auch sonst der Kontaktaufnahme dient. Natürlich erscheint auch eine solche Reaktion unter den gegebenen Verhältnissen sinnvoll: Bei der Beschäftigung mit den Sinneswahrnehmungen zeigte sich bereits, daß manch ein Objekt vor einem relativ homogenen Hintergrund sich überhaupt erst erkennen läßt, wenn es sich bewegt; ein junges Kätzlein, das sich nicht bewegt, behält zumindest eine Chance, von möglichen Beutegreifern «übersehen» zu werden; zudem dürfte das Muttertier noch vor Empfang der nach Hilfe schreienden Signallaute sich als erstes der Stelle zuwenden, an der es sein Junges zuletzt angetroffen hat. Im ganzen lernen wir, daß ein Höchstmaß an Angst durch das Erleben mobilisiert werden kann, «verloren» zu sein. Von Disgregations-Angst (lat.: dis – weg, der grex – Herde) sprach deshalb bilz, und er wies darauf hin, daß allüber-

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all, unabhängig von den Tonsystemen der Musik in den verschieden Kulturen (zum Beispiel ob Pentatonik – griech.: pénte – fünf – oder Oktatonik – griech.: ókto¯ – acht), in Situationen der Abgetrenntheit von der Gruppe Menschen mit Hilfe der weitschallenden «Kuckucksterz» («Hallo», «Hierher», «Wer da?») den abgebrochenen Kontakt zu ihren Gruppenmitgliedern wieder aufzunehmen suchen. (Vgl. rudolf bilz: Die Kuckucks-Terz. Eine paläoanthropologische Studie über die Disgregrations-Angst, in: Paläoanthropologie, I 332 –350.) Wenn sogar die Hilferufe im Falle von Einsamkeit und Verlorenheit dem Menschen angeboren sind, kann man ermessen, wie tief eingewurzelt in unserer Seele eben diese Angst sein muß, von der Bezugsgruppe getrennt zu sein.

β) Die Angst vor dem Beutegreifer Was auch objektiv den Zustand der Vereinzelung für sozial lebende Wesen so gefährlich macht, ist der jederzeit mögliche Angriff eines Beutegreifers. Es geht nicht allein darum, daß eine Gruppe, wenn sie gemeinsam agiert, selbst einen mächtigen Räuber leichter vertreiben kann; am wichtigsten ist es, daß die statistische Wahrscheinlichkeit, bei einem Angriff selber als Ziel zu dienen, sich im gleichen Maße verringert, als die Anzahl der Gruppenmitglieder zunimmt. Sogar in Rudeln jagende Beutegreifer, etwa Hyänen, werden versuchen, als erstes ein einzelnes (abseits stehendes, schwächliches, junges, lahmendes) Tier von den anderen zu isolieren, und gelingt ihnen dies, so ist die Isolation an sich für das betreffende schon soviel wie ein Todesurteil. Andererseits gibt es Situationen, in denen besondere Vorsicht geboten ist. Irgendwann müssen Gnus, Zebras oder Antilopen zur Tränke – ein idealer Ort für eine Löwin, sich zu «bedienen», aber auch für Geparden, Krokodile. Und nicht nur an der Tränke oder in ungeschütztem Gelände – überall gilt es, wachsam zu sein. Ständige Vigilanz (lat.: vigilare – wachen) ist eine Grundbedingung des Überlebens in freier Wildbahn; stets ist es geboten, auf dem Qui-vive (franz.: Wer lebt da? Frage beim Postenstehen) zu sein. Da der Feind allerorten lauern kann, darf die Feindgewärtigung niemals nachlassen; das Prinzip der Feindvermeidung ist ein fundamentales Gesetz im Kampf ums Dasein. bilz folgerte daraus, daß die Paranoia – die Wahrnehmung einer ganzen Welt getaucht in Angst – dem Menschen ursprünglicher sei als etwa eine Sexualneurose; in gewissem Sinne bedeute die unablässige Angst vor möglichen Beutegreifern die Rückkehr in das «agriologische» (griech.: ágrios – wild) Erleben der Urzeit. Dabei ist Vigilanz zwar Angstbereitschaft, doch nicht selbst schon Angst. Allein aus rein energetischen, wo nicht aus psychischen Gründen kann die Na-

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tur es sich nicht leisten, ihre Kreaturen in ständiger akuter Angst zu halten. Ein Hase etwa wird beim Anblick eines Hundes nicht sogleich losrennen, sondern er wird, an die Erde geduckt, sprungbereit, erst einmal abwarten, ob sein Raubfeind eine gewisse Fluchtdistanz unterschreitet; geschieht dies, dann allerdings beginnt das gräßliche Spiel des Rennens auf Leben und Tod – bis heute bildet das Zuschauen bei solchen «Wettläufen» um Sieg oder Niederlage selbst im Zustand der Zivilisation eine Quelle höchsten Vergnügens vor den Fernsehgeräten; bis es zum Austrag einer solchen Entscheidung kommt, dient die Angst zwar der Aktivierung größter Aufmerksamkeit, der Bereitschaft zu augenblicklicher Reaktion und der Mobilisation aller verfügbaren Energiereserven, aber eben nicht deren Vergeudung. Unterbleibt der mögliche Angriff – Herrchen zum Beispiel pfeift den Hund zurück, auf daß er nicht «wildere» –, wird sich auf seiten des Hasen die Angst sehr rasch wieder legen. Die Gefahr ist vorüber. Wie indessen dauerhafte Angst, assoziiert mit dem Gefühl der Unentrinnbarkeit, wirkt, zeigen Experimente mit Mäusen, die man in einem Glassturz, aus dem sie nicht fliehen konnten, mit einer Katzenattrappe konfrontierte: der bloße Anblick ihres Todfeindes war für viele von ihnen tödlich; ihre Todesangst selbst wirkte «vagotonal». Nach Erschöpfung aller Möglichkeiten des Sympathikus gewann der Parasympathikus die Oberhand. Angesichts der Qual endloser Angst erscheint ein rascher Tod wie ein Gnadenweg der Natur, der zumindest einen Ausweg aus dem Leben eröffnet, wo es einen Ausweg im Leben nicht gibt. (Vgl. e. drewermann: Vom Problem des Selbstmords oder: Von einer letzten Gnade der Natur, in: Wege und Umwege der Liebe, 256 –312.) Natürlich liegt es nahe, ein solches «vagotonales» Programm der Angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung mit dem Erleben von Depressiven in Verbindung zu bringen. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß selbst das «Prinzip der Feindvermeidung» keine starre biopsychologische Einrichtung darstellt, sondern nur gilt unter den Bedingungen der «Wildheit». Ein gezähmter Hund, eine gezähmte Katze «rechnen» nicht mehr ständig mit einer möglichen Gefahr. Ihre «Domestikation» (von lat.: die domus – Haus; ihre Verhäuslichung) ist identisch mit der Verringerung ihrer Vigilanz, und so stellt sich die Frage, ob der gesamte Aufstieg der Menschheit zu den Bedingungen kulturellen Zusammenlebens sich nicht nach Art einer Selbstdomestikation interpretieren läßt: – als des Abbaus eben jener «paranoischen» Wildheitsmerkmale permanenter Feindgewärtigung. Ja, wäre jene Geistesart nicht allgegenwärtig, die zum Beispiel in dem «Sinn»spruch der Nato-Fahne zum Ausdruck kommt: opus pacis vigilia – «nur Wachsamkeit erhält den Frieden», so möchte man zögernd begin-

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nen, eine solche Deutung der menschlichen Kulturgeschichte für möglich zu halten. So aber ist das Militär, solange es existiert, ein Pfahl im Fleische der Kultur, ein Wildheitsrelikt aus an sich längst überwundenen Zeiten, ein «Beweis» für die chronische Kulturunfähigkeit unserer Species . . . (Vgl. rudolf bilz: Ausweglosigkeit. Erleben und Verhalten des Subjekts in den Situationen der Ausweglosigkeit, in: Paläoanthropologie, I 418– 425.)

γ) Die Schuldangst Wie aber, wenn ein sozial lebendes Wesen den Anschluß an die Herde oder die Horde nicht einfach verliert, sondern wenn es von den Mitgliedern seiner eigenen Gruppe verstoßen wird? Die Ausstoßvictimisation (lat.: die victima – Opfer, Bestrafung) droht in jedem Falle, da äußerlich sichtbar, vor aller Augen, bestimmte Regeln des Zusammenlebens von einem einzelnen Gruppenmitglied übertreten werden; da schließt der gesamte Verband sich zusammen und merzt das Einzelne aus: entweder er tötet es direkt oder er verjagt es oder er läßt es schutzlos als «outlaw» (engl.: als außerhalb des Gesetzes Stehendes) zurück. Der Zustand, in dem das so bestrafte Individuum sich fortan befindet, ist im Grunde noch weit aussichtsloser, als nur den Anschluß an die anderen verloren zu haben; es soll diesen Anschluß ein für allemal ja nicht länger mehr geben! Es hat demnach keinen Zweck, um Hilfe zu flehen oder um Nachsicht anzuhalten – die von den anderen verhängte Isolation macht die Gefährten von einst unwiderruflich zur Dauergefahr, sie verschließt den Sicherungsraum des Kollektivs, sie bedeutet die Auslieferung an die ungeschützte Willkür eines jeden. «Vogelfrei» nannte man im Mittelalter einen solchen Status in «Acht und Bann»: «Ächtung» – das hieß: verschwinde, «Verbannung» – das sagte: komm nie mehr wieder. Allein schon das öffentliche Zur-Schau-gestellt-Werden am Pranger, die bewußte Zerstörung der sozialen Existenz, konnte mitunter die Vernichtung der physischen Existenz bewirken – die Strafe als «Voodoo-Tod». Womit wir es bei der Angst vor der Ausstoßvictimisation im Fall einer Normübertretung zu tun haben, darf als nicht mehr und nicht weniger gelten denn die verhaltenspsychologische Grundlage unseres gesamten Moral- und Rechtssystems. Wer ein vitales Gesetz des Zusammenlebens in Gemeinschaft bricht, muß in der Unheilgewärtigung, in der Erwartungsangst (nach panksepp) leben, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Man kann in diesem Zusammenhang auch von Schuldangst sprechen, doch wird dann auf eine geradewegs erschreckende Weise deutlich, was es mit unserer Neigung zum «Schuldigsprechen» auf sich hat.

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Nehmen wir ein Huhn, das wir, in guter Absicht womöglich, einer bestehenden Gruppe von Hühnern (bei begrenztem Auslauf) neu zuführen wollen. Wenn wir nicht sehr achtsam vorgehen, kann es passieren, daß die Gruppe der Alteingesessenen den Neuankömmling derart energisch zu «mobben» beginnt – also eine Gruppenaggressivität über ihn entlädt (von engl.: mob – Pöbel) –, daß das Tier in eine Schreckmauser verfällt: es verliert seine Federn. Mitfühlenderweise könnten wir nun versucht sein, das verängstigte Tier einer anderen Gruppe zuzuordnen, doch das federlose Huhn wäre außerstande, die «gute Sitte», den «Anstand» – die «Kleiderordnung» seiner Artgenossen einzuhalten, und dafür würde es (erneut) der Gemeinschaft verwiesen werden. Spätestens von diesem Augenblick an werden wir wissen, was Ausstoßvictimisation bedeutet. (Vgl. rudolf bilz: Das Syndrom unserer Daseins-Angst (ExistenzAngst). Erörterungen über die Misère unseres In-der-Welt-Seins, in: Paläoanthropologie, I 431– 434; ders.: Über die menschliche Schuld-Angst. Erörterungen über die Tat und das Motiv-Objekt, in: A. a. O., I 351– 369.) Zum einen erscheint die Verbannung aus der Gruppe rein biologisch als eine sinnvolle Maßnahme, mit der verhindert wird, daß «kranke» (in diesem Sinne: «normabweichende») Individuen zur Infizierung der «Gesunden» oder gar zur Weitergabe ihrer Gene gelangen; zum anderen imponiert die reine Äußerlichkeit, nach der da geurteilt wird. Der «objektive» Tatbestand, so wie er sichtbar in Erscheinung tritt, genügt den Gruppenmitgliedern, um rigoros den Ausschluß des Abweichlers zu vollziehen. Das betroffene Individuum muß in keinerlei moralischem Sinne «Schuld» an seinem Zustand tragen – es genügt ein Unglück, eine Schwäche, eine Krankheit, und es hat die «Bestrafung» von seiten aller zu gewärtigen. Diese gewissermaßen vom Subjekt losgelöste Beurteilung nach dem Augenschein gibt sich mit dem bloßen Faktum einer «Norm»übertretung, eines «Straf»tatbestandes zufrieden. Und unausweichlich gerät man ins Nachdenken auch über das menschliche Gruppenverhalten, über die soziale Moralität und Religiosität, über das staatliche Rechtssystem. Denn offensichtlich dient die Neigung zum Strafen, Ausschließen und Hinrichten auch in menschlichen Gesellschaften (immer noch) nicht in erster Linie dem Zweck, der Person eines Delinquenten in ihrem Fehlverhalten «gerecht» zu werden, es folgt vielmehr dem archaischen Streben aller, sich der Gültigkeit gewisser Regeln für das Zusammenleben zu versichern; die Selbststabilisierung der Gruppe, nicht das Interesse des Einzelnen, steht im Mittelpunkt der Ausstoßvictimisation. (Vgl. george caspar homans: Theorie der sozialen Gruppe, 294 –297.) Allein damit läßt sich erklären, daß in den USA bis in das Jahr 2005 n. Chr. hinein selbst 16jährige «Schwerkriminelle» zur «Strafe» vergast

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werden konnten, daß an manchen Orten Afrikas und im Mittleren Osten auch heute noch Ehebrecherinnen von ihren eigenen Angehörigen gesteinigt werden müssen und daß die Begeisterung der Schaulustigen bei einer öffentlichen Hinrichtung anscheinend keine Grenzen kennt: Es tut so gut, auf der sicheren, auf der richtigen, auf der allgemein gültigen Seite zu stehen. Man erweist sich als ein ordentliches Gruppenmitglied, wenn man über den an den Pranger Gestellten hohnlachend Spott und Speichel ergießt . . . Und sogar religiös wird vor diesem Hintergrund die Überzeugung verständlich, daß eine Krankheit, ein Unglück, wenn es derart «bestraft» wird, durch eigene Schuld verursacht sein muß: warum sonst hätte Gott ein solches Schicksal verhängt? Krankheit und Tod als «der Sünde Sold» – diese Überzeugung des Paulus (Röm 6,23) hat sich dem kirchlichen Denken tief eingeprägt. Wir werden zu Beginn des 2. Bds. noch sehen, daß man psychosomatisch und psychoanalytisch eine derartige Ansicht, symbolisch verstanden, womöglich als Ausdruck von Weisheit interpretieren kann; doch eine «Rechtfertigung» für den Fundamentalismus einer absurden Wörtlichnahme der hochmythischen Bilder auf den Anfangsseiten der Bibel (Gen 3, 1– 24) sollte daraus nicht hervorgehen.

δ) Die Angst, zu verhungern Schaut man den Tieren zu, so fällt es schwer, auf die Idee zu kommen, sie könnten, wie die Psychoanalyse es den Menschen unterstellt, in steter Sexualbereitschaft sich befinden. Bei vielen Tieren ist die Zeit ihrer Paarung streng begrenzt und offenbar mit dem günstigsten Nahrungsangebot für die Aufzucht der Jungtiere im Jahresumlauf korreliert. Eine gesicherte Nahrungsbasis macht sexuelle Aktivitäten mit dem (objektiven) Ziel der Zeugung von Nachkommen überhaupt erst sinnvoll; ganzjährige Paarungsbereitschaft, wie sie für Zwergschimpansen (Bonobos) und eben – für Menschen charakteristisch ist, setzt ein konstant verfügbares Nahrungsangebot, entweder als ein Geschenk der Natur oder als eine Errungenschaft der Kultur, voraus. Jeder, der einmal wirklichen Hunger erlebt hat, weiß, wie rasch alle sexuellen Wunschphantasien ersterben und komplett ersetzt werden durch endlose Gedanken an Essen; in der Magersucht, deren Begründung der Neurologie, wie wir sahen, so schwerfällt, wird der Zustand der Mangelernährung sogar (bewußt?) herbeigeführt, unter anderem um von allen sexuellen Impulsen «befreit» zu sein. Wenn die Nahrungsbeschaffung ein derart elementares Bedürfnis der Lebewesen darstellt, so darf die Angst, zu verhungern, als eine elementare Form des Angsterlebens verstanden werden, und so verhält es sich in der Tat. Das Emp-

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finden von Hunger motiviert zur Nahrungssuche; langanhaltender Hunger aber führt zu einer Verringerung der Kräfte, und das Gefühl der Müdigkeit und Erschöpfung, das dann einsetzt, erzwingt eine drastische Bewegungseinschränkung zur Energieersparnis; von diesem Moment an wird der Zustand des Hungers lebensgefährlich. Im Unterschied zu den bisher genannten Angstformen, die alle etwas Plötzliches, Augenblickhaftes zum Auslöser nahmen, baut die Verhungerungsangst sich allmählich auf, und sie enthält eine auf längere Zeit hin berechnete Drohung. Bekannt sind die Vorsichtsmaßnahmen, mit denen zum Beispiel Eichhörnchen oder Hamster sich durch die Anlage von Nahrungsdepots instinktiv gegen die zu erwartende Futterknappheit der Wintermonate zu schützen suchen. Ähnlich müssen Menschen auf der Nordhalbkugel schon vor Hunderttausenden von Jahren (auf der Stufe des Homo erectus und später des Neandertalers) versucht haben, der Gefahr des Verhungerns durch die Einrichtung von Vorratslagern zu begegnen. (Vgl. rudolf bilz: Das Syndrom unserer DaseinsAngst (Existenz-Angst). Erörterungen über die Misère unseres In-der-WeltSeins, in: Paläoanthropologie, I 435.) Wie stark die Verhungerungsangst das soziale Gefüge prägt, stellt sich eindrucksvoll in der Ritualisierung von Nahrungsgewohnheiten dar: der Ranghöchste (das Alphatier, der Bundeskanzler) speist als erster und vor den Augen aller (vor laufender Kamera), während die «armen Schlucker» erst einmal das Zuschauen (und oft auch das Nachsehen) haben. Ein diplomatischer Empfang wird stets mit der Einladung zu einer gemeinsamen Mahlzeit verknüpft sein. (Vgl. irenäus eibl-eibesfeldt: Liebe und Haß, 163; peter marsh – desmond morris: Die Horde Mensch, 91– 99.) «Wir sind keine Nahrungskonkurrenten (mehr)», will dieses Ritual besagen, «wir gehören zusammen; indem wir unsere Nahrung miteinander teilen, handeln wir – und betrachten wir uns gegenseitig – als Mitglieder einer Gruppe.» Wer nicht mehr um Nahrung zu streiten braucht, kann leichter des anderen Freund sein. Trotz solcher Ritualisierungen zeigt sich die archaische Macht der Verhungerungsangst bei fast allen Situationen der Nahrungsaufnahme. Wir gehen in ein Restaurant, um zu speisen, und «instinktiv» werden wir einen Tisch in der Ecke oder am Rande bevorzugen; in «freier Wildbahn» wären dies Orte, die am besten vor Überraschungsangriffen hungriger «Kumpanen» (von lat.: com – mit, der panis – Brot; Mahlgenossen) zu schützen vermöchten. Die Angst vor dem Verhungern wird man psychoanalytisch auch in der Erkrankung der Adipositas (lat.: Fettsucht) antreffen, die, wie wir sahen, mit den Mitteln der Neurologie ebenfalls schwer (und nur unzureichend) begreifbar ist: beobachtbar ist bei

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Übergewichtigen mit Regelmäßigkeit die Sorge, es könnte ihnen weggenommen (weggegessen) werden, was sie nicht auf der Stelle sich selbst einverleiben. Beide, Anorexie- wie Adipositaspatienten, reagieren gleichermaßen auf eine Situation der Nahrungskonkurrenz, nur in extrem verschiedener Weise, indem die einen das Problem durch maximale Wunschunterdrückung, die anderen durch maximale Wunschsicherung zu beantworten versuchen; in beiden Fällen kann die Lösung nur in einer symbolischen Auflösung der Verhungerungsangst bestehen.

ε) Die Misere des Menschseins Natürlich lassen sich im konkreten Erleben noch alle möglichen anderen Ängste vorstellen und benennen: die Furcht vor Spinnen und Mäusen, die Angst vor Aufzügen oder freien Plätzen, die Angst vor dem Fliegen, die Angst vor dem Versagen in einer Prüfung . . . , doch sollte es nicht schwerfallen, in all diesen Variationen eine (oder mehrere) der genannten Grundformen der Daseinsangst wiederzuerkennen: symbolisch oder auf Grund erlernter Angst kann auch ein kleines Lebewesen einen Schrecken verbreiten wie ein riesiges Ungeheuer; auch die Angst vor räumlicher Enge oder vor Freiflächen bringt die Angst vor einem möglichen Beutegreifer zum Vorschein; die Höhenangst gemahnt an die Angst eines kleinen Kindes, «fallen gelassen» zu werden – also verlorenzugehen oder verstoßen zu werden; desgleichen kann auf eine nicht bestandene Prüfung die Strafe des Liebesentzugs (der Eltern) oder der Verachtung der Gesellschaft (kein Zugang zu einem passenden Arbeitsplatz) stehen. Kurz: das Thema Angst kann unter natürlichen wie kulturellen Bedingungen sich in schier unendlichen Facetten zu Wort melden, obwohl die grundlegenden Bedrohungsszenarien stets die gleichen bleiben. Darin allerdings liegt nun ein Hauptproblem des menschlichen Daseins: Durch unsere planende Vernunft – eigentlich ein optimales Instrument zur Angstbearbeitung – begreifen wir die prinzipielle Unplanbarkeit unseres Schicksals, und zwar nicht allein weil es unmöglich ist, die Zukunft vorherzuwissen, sondern weil sich bei allem Sorgen und Vorsorgen nur um so deutlicher das Elend der Lage zeigt, in der wir uns befinden. Abgetrenntheit, Verlorenheit, Einsamkeit – selbst im Kreis fröhlicher Menschen kann ein persönliches Leid, ein Verdacht auf Krebs, die Gewißheit einer baldigen Kündigung die Tatsache offenbaren, daß wir im letzten allein sind. – Die Angst vor dem Beutegreifer – spätestens in der Schattennähe des Todes wissen wir um die Unentrinnbarkeit unseres Sterbedaseins. Freilich demonstriert

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unser politisches Verhalten bis heute, daß wir im Kampf gegen mögliche Raubfeinde die gesamte menschliche Geschichte in ein Szenario der Angst verwandeln können: wenn nur der gräßlichste Räuber überlebt (ein ebenso grobes wie weitverbreitetes Mißverständnis der Gedanken darwins legt das nahe), so scheint es empfehlenswert, sich zu dem monströsesten «Raubtier» hochzurüsten, um dann dem Rest der Welt die Gesetze des Handels vorschreiben zu können; daß mit der Lagerung von Atombomben, von biologischen «Kampfstoffen», sprich: von Erregern epidemischer Krankheiten, und von chemischen «Waffen», sprich: von Massenausrottungsmitteln, die Welt nicht «sicherer», sondern nur immer gefährlicher und immer gewalttätiger wird, ist nur zu offensichtlich. – Oder die Angst vor der Ausstoßvictimisation – sie kann so stark werden, daß nicht mehr die Entwicklung der Persönlichkeit, sondern nur noch die Angleichung an die Masse als erstrebenswert erscheint; wenn aber das Volk, die Partei, die Kirche, die Firma, denen man angehört, sich in ihren Ideologien und Zielsetzungen als irrig, ja, als verbrecherisch erweisen, was dann? Am Ende kann alles falsch sein, nur weil man niemals etwas falsch machen wollte. – Und schließlich die Angst vor dem Verhungern – selbst wenn wir noch so viele Konsumgüter auf der Nordhalbkugel anhäufen, um niemals mehr «Hunger» zu leiden, selbst wenn wir dabei die Verelendung von Milliarden Menschen auf der Südhalbkugel in Kauf nehmen, wird all das nichts an der Tatsache ändern, daß wir uns vor der physischen Bedürftigkeit und Hinfälligkeit unserer Existenz nur von Aufschub zu Aufschub, niemals endgültig, zu schützen vermögen. Es ist die zentrale Diagnose der Misère der menschlichen Existenz im Buddhismus: «Auch du, o König, und auch wir alle sind dem Altern unterworfen». «Auch du, o König, und auch wir alle sind der Krankheit unterworfen.» «Auch du, o König, und auch wir alle sind dem Sterben unterworfen», sagte der Wagenlenker zu dem erschrockenen Prinzen Siddhartha, und er fügte hinzu: «zum Heil ist das Mitleid mit den Wesen.» (paul dahlke: Buddha. Die Lehre des Erhabenen, Kap.: Mahapadana-Suttanta – Die Große Lehrrede über Legenden, 73; 74; 77) Wenn es so steht, sind wir mit der Tatsache unserer Geburt in eine Falle geraten, aus der es kein Entrinnen gibt, es sei denn, wir lernten, unsere Ängste nicht weiter entlang den biologischen Vorgaben ins Unendliche zu treiben, sondern aus dem Unendlichen (religiös) die Endlichkeit unseres Daseins mit Vertrauen und Güte zu erfüllen.

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b) Die (kindliche) Angst der Neurotiker Die «Angst der Tiere» läßt sich – grob vereinfacht – als eine Form der «Realangst» beschreiben, auch wenn viele höhere Säugetiere Ängste entwickeln können, die sich nicht aus der gegebenen Situation, sondern nur aus biographisch bedingtem Erleben verstehen lassen. Von genau dieser Art aber sind die Ängste, die wir als «neurotisch» bezeichnen, weil sie zu abnormen Erlebnisreaktionen führen; es handelt sich dabei um «irrationale» Ängste, die nicht in die gegenwärtige (harmlose) Situation passen, sondern deren Psychologie, wenn überhaupt, nur durch die Verbindung mit einem anderen (vergangenen, als gefährlich empfundenen) Erlebniskontext erklärt werden kann. (Vgl. walter von baeyer – wanda von baeyer-katte: Angst, 136 –169: Neurotisch-psychopathische Angst.) So unterschied sigmund freud im Jahre 1932 in Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse bei der neurotischen Angst drei Formen: die «frei flottierende, allgemeine Ängstlichkeit» «als sogenannte Erwartungsangst», sodann die Phobien, «bei denen . . . eine Beziehung zur äußeren Gefahr» noch erkennbar ist, «aber die Angst vor ihr für maßlos übertrieben» gelten muß, und schließlich «die Angst bei der Hysterie und anderen Formen schwerer Neurosen, die entweder Symptome begleitet oder unabhängig auftritt als Anfall oder länger anhaltender Zustand, immer aber ohne ersichtliche Begründung durch eine äußere Gefahr». (Gesammelte Werke, XV 88) Daraus ergibt sich eine wichtige Frage: Wenn die neurotische Angst nicht der Realität entstammt, woher kommt sie dann und in welch einem Verhältnis steht sie zu der anscheinend so anders gearteten Realangst? In psychoanalytischer Sicht ist das Ich «die alleinige Angststätte». (XV 91) «Wenn das Ich», schrieb freud, «seine Schwäche einbekennen muß, bricht es in Angst aus, Realangst vor der Außenwelt, Gewissensangst vor dem ÜberIch, neurotische Angst vor der Stärke der Leidenschaften im Es.» (XV 85) Mit dieser Auffassung korrigierte freud in gewisser Weise seine ursprüngliche Meinung, nach welcher Angst die Folge von Verdrängung sei; ganz falsch erschien diese These auch jetzt nicht, doch wurde sie ergänzt beziehungsweise ersetzt durch den folgenden umgekehrt lautenden Satz: «Nicht die Verdrängung schafft die Angst, sondern die Angst ist früher da, die Angst macht die Verdrängung!» (XV 92) Um zu verstehen, wie Angst und Verdrängung zusammenhängen, muß man sich noch einmal daran erinnern, daß Angst ursprünglich der Selbsterhaltung dient; sie ist das Warnsignal vor einer ursprünglich realen Gefahr. Also muß

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man untersuchen, worin die reale Gefahr besteht, die das Ich in der neurotischen Angst dahin bringt, vor den Triebregungen des «eigenen» Es Furcht zu entwickeln. Als Grund dafür nannte freud «die Strafe der Kastration» (XV 93), doch stellt diese Auskunft ersichtlich ein Konstrukt aus dem «Dogma» vom Ödipuskomplex dar, und sie stößt sogleich auf Schwierigkeiten, die freud selbst zum Teil auch eingeräumt hat: Frauen zum Beispiel können wohl nicht mit «Kastration» bestraft werden; bei ihnen, lehrte freud, trete «die Angst vor dem Liebesverlust» an die Stelle der Kastrationsangst (XV 95); doch wenn es sich so verhält, sollte eben diese Angst dann nicht auch die Männer heimsuchen? Zudem war natürlich auch freud klar, daß nirgendwo in der zivilisierten Welt Kinder zur Strafe für ihre sexuellen Aktivitäten (beim Onanieren) im physischen Sinn ihrer Männlichkeit beraubt werden; – die Sprache von der «Kastrationsangst» ist allem Anschein nach symbolisch zu verstehen und beschreibt die Furcht, nicht über das nötige «Organ» zu verfügen, um seine Liebenswürdigkeit und Liebesfähigkeit unter Beweis stellen zu können; es ist dann aber von vornherein klar, daß die Angst vor einem solchen Verlust sich zwar auch im unmittelbar genitalen Bereich (in Form von Impotenzängsten, Fehlidentifikationen u.ä.) auswirken kann, doch dort ihren Ursprung nicht hat. Die Strafe des Liebesverlustes bildet unter gegebenen Umständen einen vollkommen ausreichenden Grund zur Erklärung aller möglichen neurotischen Ängste; die «gegebenen Umstände» müssen allerdings in der Zeit der frühen Kindheit liegen – in einer Zeit, da die Abhängigkeit von der «Liebe», mithin von der Zuwendung und dem Beistand einer einzelnen Person (der Mutter), noch total war. Tatsächlich hat freud selbst, wenn er nicht gerade seiner Vorliebe für den «Ödipus-» und «Kastrationskomplex» huldigte, seine Gedanken zur Angstproblematik in diese Richtung hin entwickelt. Auf der Suche nach den frühesten Angstformen schloß er sich, wenn auch zögernd, der Theorie seines Schülers otto rank (1884 –1939) an, der in seiner Arbeit Das Trauma der Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse aus dem Jahre 1924 den Geburtsvorgang als Grund aller späteren neurotischen Ängste betrachtete; freud sagte sich, daß «der Geburtsakt . . . jene Gruppierung von Unlustempfindungen, Abfuhrregungen und Körpersensationen zustande» bringe, die als «Vorbild für die Wirkung einer Lebensgefahr» gelten dürften. (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XI 411) Wohlgemerkt hat eine Vielzahl von Untersuchungen zum Geburtsvorgang gezeigt, daß man «die Reaktion des Neugeborenen auf das Geborenwerden kaum als traumatisch bezeichnen kann. Bei Säuglingen, die normal auf die Welt kommen, . . . ist die Reaktion

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ungemein flüchtig, keineswegs heftig und dauert nur ein paar Sekunden». (rené arpad spitz: Vom Säugling zum Kleinkind, 56) Auch freud anerkannte, daß die «Gefahr der Geburt», die objektiv bestehen mag, «noch keinen psychischen Inhalt» besitzt. (sigmund freud: Hemmung, Symptom und Angst, in: Gesammelte Werke, XIV 165) Gleichwohl zeigte er sich in den Vorlesungen überzeugt, «daß der Geburtsakt die Quelle und das Vorbild des Angstaffektes ist». (sigmund freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XI 412) Insbesondere die psychische «Hilflosigkeit des Säuglings, welche das selbstverständliche Gegenstück seiner biologischen Hilflosigkeit ist», mache die Angst verständlich, die ein Kind empfinde, wenn es seine Mutter vermisse. (sigmund freud: Hemmung, Symptom und Angst, XIV 169) Allerdings scheint ein Kind von richtiger Realangst, laut freud, «wenig mitzubringen . . . In Wirklichkeit . . . überschätzt das Kind anfänglich seine Kräfte und benimmt sich angstfrei, weil es die Gefahren nicht kennt». (sigmund freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, XI 423) Die ersten Ängste entwickelt das kleine Kind «zu allererst vor fremden Personen; Situationen werden erst dadurch bedeutsam, daß sie Personen enthalten, und Gegenstände kommen überhaupt erst später in Betracht.» (A. a. O., XI 422) Auch beim «Verlust» der Mutter geht es daher nicht eigentlich um eine subjektiv empfundene Form von «Realangst». Vielmehr meinte freud: «Wenn der Säugling nach der Wahrnehmung der Mutter verlangt, so doch nur darum, weil er bereits aus Erfahrung weiß, daß sie alle seine Bedürfnisse ohne Verzug befriedigt. Die Situation, die er als ‹Gefahr› wertet, gegen die er versichert sein will, ist also die der Unbefriedigung, des Anwachsens der Bedürfnisspannung, gegen die er ohnmächtig ist.» (sigmund freud: Hemmung, Symptom und Angst, XIV 168) Eben weil das «psychische Mutterobjekt . . . dem Kinde die biologische Fötalsituation» ersetze (a. a. O., XIV 169), werde das «Vermissen der Mutter . . . nun die Gefahr, bei deren Eintritt der Säugling das Angstsignal gibt, noch ehe die gefürchtete ökonomische Situation eingetreten ist». (A. a. O., XIV 168) Der eigentliche «Inhalt» der Angst eines Säuglings vor dem Verlust seiner Mutter liegt daher in dem Gefühl der Unlust eines Affektstaus, wie denn auch in der Neurose die «Unfähigkeit, eine ansehnlichere Libidostauung durch längere Zeit zu ertragen», für charakteristisch gelten muß. (sigmund freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, XI 423) In diesem Sinne ist die Angst, die der Säugling erlebt, wenn ihm die Mutter fehlt, ein direkter Vorläufer, ja, der Ursprung dessen, was sehr viel später unter dem Begriff «Kastrationsangst» in Erscheinung treten mag.

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Andererseits bildet nicht der Triebanspruch selbst die «Gefahr»; «gefährlich» wird es, wenn die Mutter «verloren»zugehen droht, weil bestimmte Wünsche und Affekte unter Verbot gestellt sind; wenn auf die Erfüllung gewisser Triebregungen die Strafe des Liebesverlustes steht, beginnt die Angst vor der Abwendung der Mutter sich auszubreiten. Diese Angst ergreift Besitz, sobald das Kind die Mutter überhaupt als eine eigene von ihm selbst getrennte Person wahrzunehmen vermag (mit etwa acht Monaten) und sobald es begreift, daß es fremde Forderungen gibt, die es unter Androhung des Liebesverlustes einzuhalten hat (mit etwa 15 Monaten); mit der Zeit der «Acht-Monats-Angst», die beim Anblick von Fremden sich meldet, hat karl abraham (1877–1925) in seinen Untersuchungen über die früheste prägenitale Entwicklungsstufe der Libido (in: Gesammelte Schriften, II 3– 31) bereits im Jahre 1916 die Theorie von der «oralen Ambivalenz» bzw. von der «oral-sadistischen» Phase verknüpft: In der Zeit des Zahnens, meinte abraham, erlebe das Kind den Wunsch, die Nahrungsquelle (die Brust der Mutter) zu zerbeißen, und es bewerte seine Entwöhnung als eine Strafe für die eigenen kannibalistischen Wünsche; wenn das Kind mit etwa anderthalb Jahren dann zur «Sauberkeit» angehalten werde, müsse es zum ersten Mal lernen, seine eigene Muskeltätigkeit in den Dienst einer fremden Macht und eines fremden Willens zu stellen: – die Konflikte der «anal-sadistischen» Phase führten erneut zu der Angst, nicht mehr geliebt zu werden, und sie verstärkten den Widerstandswillen, wenn das Gefühl der Ungeliebtheit, des Verstoßenseins, sich zu Wort melde. Zum Verständnis der psychoanalytischen Auffassung neurotischer Ängste ist es sehr wichtig, daß diese Entwicklungsstadien der kindlichen Psyche der Gefahr der «Kastration» vorausgehen. Nun wurden die Analysen frühkindlicher Ängste im Stadium der oralen und der analen Phase nicht durch unmittelbare Beobachtungen an Kindern gewonnen, sondern aus dem Erleben depressiver und zwangsneurotischer erwachsener Patienten erschlossen. Für einen Depressiven spielen Fragen der Nahrungsaufnahme, der psychischen Einheit (Identifikation), der Geborgenheit und der Akzeptation, aber auch Gefühle der Schuld für die Tatsache der eigenen Existenz eine überragende Rolle; eine zwanghafte Persönlichkeit wird demgegenüber das Ringen um Anerkennung auf Grund von Vorleistungen (von «analen» Abgaben) hervorheben sowie den Konflikt zwischen Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterwerfung, Trotz und Resignation; der Versuch, die Gefühle und den Charakteraufbau derartiger Persönlichkeiten zu verstehen, brachte immer wieder Ängste vor Liebesverlust in den Themenstellungen der oralen und der analen Phase zum Vorschein. freud seinerseits war

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von der Analyse hysterischer Patientinnen ausgegangen, und so war es unvermeidbar, daß er im Kern dieses Erlebens den «Ödipuskomplex» entdeckte als den Konflikt einer unabgelösten Bindung des Mädchens an den Vater bzw. des Jungen an seine Mutter; indem die ersten psychoanalytischen Theoriebildungen die «ödipale» Situation des Kindes im Alter von etwa fünf Jahren zum Ausgangspunkt nahmen, ordnete freud die Stadien vor der «phallischen Phase» als «Ödipusvorläufer» in den Entwicklungsgang der «Libido» ein, doch war auch ihm später deutlich, daß seine Theorie von der «Kastrationsangst» sich eigentlich nur noch als ein symbolisches Bild für die permanente Angst eines von seiner Mutter abhängigen Kindes halten ließ, das fürchten muß, zur Strafe für ein verbotenes Tun aus dem Paradies der Kindheit verstoßen zu werden. (Zur Trieblehre freuds vgl. e. drewermann: Strukturen des Bösen, II 178– 202; zur Theorie der Angst vgl. a. a. O., II 152–160.) «Kastrationsangst» ist fortan nur noch ein anderes Wort für «Abtrennungsangst» oder «Objektverlustangst», unter Einschluß freilich der ödipalen Konfliktsituation. «Der volltönende Satz: jede Angst sei eigentlich Todesangst», schrieb freud, «schließt kaum einen Sinn ein, ist jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Es scheint mir vielmehr durchaus richtig, die Todesangst von der Objekt(Real-)Angst und von der neurotischen Libidoangst zu sondern . . . Ich meine, daß die Todesangst sich zwischen Ich und Über-Ich abspielt.» (Das Ich und das Es, in: Gesammelte Werke, XIII 288) Was aber ist so gefährlich am ÜberIch? Das Über-Ich bildet sich durch den erzwungenen «Untergang des Ödipuskomplexes», wie freud im Jahre 1924 eine kleine, doch wichtige Arbeit betitelte (in: Gesammelte Werke, XIII 393– 402). Indem die inzestuöse Bindung des Kindes an den gegengeschlechtlichen Elternteil aufgegeben werden muß, führt die seelische Trennung von Vater und Mutter bei dem jetzt etwa sechsjährigen Kind auf der Seite der Antriebe zu einer Verdrängung des Ödipuskomplexes: es beginnt die Latenzzeit mit der ihr eigenen antriebspsychologischen Ruhephase, die erst mit dem Eintritt der Pubertät ihr Ende findet; auf seiten der Ich-Entwicklung aber kommt es jetzt zu einer charakteristischen Veränderung: das Bild der äußerlich aufgegebenen Elterngestalten wird im Inneren (als «Imago») aufgerichtet; ein Teil des Ich macht Platz für die verinnerlichten («introjizierten») Bilder von Vater und Mutter, die mit ihrer Zuwendung, aber auch mit ihrer Strafgewalt das Verhalten des Kindes fortan ständig überwachen und kommentieren. So kann es kommen, daß das Kind – oder der spätere Erwachsene – vor seinen eigenen Triebregungen (seinem «Es») Angst entwickelt, aus Furcht vor der Strafe des Liebesentzugs seiner Eltern, die sich in seinem

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Über-Ich «verewigt» haben. freud resümierte daher: «Die Gefahr der psychischen Hilflosigkeit paßt zur Lebenszeit der Unreife des Ichs, wie die Gefahr des Objektverlustes zur Unselbständigkeit der ersten Kinderjahre, die Kastrationsgefahr zur phallischen Phase, die Über-Ichangst zur Latenzzeit.» (Hemmung, Symptom und Angst, in: Gesammelte Werke, XIV 172) In all diesen Angstformen geht es, wie man sieht, stets um das eine: die Angst vor dem «Objektverlust». Die Angst der Tiere vor dem Verlorengehen oder vor dem Beutegreifer oder vor dem Verstoßenwerden oder vor dem Verhungern läßt sich psychoanalytisch in der Angst eines Kindes zusammenfassen, es könnte (von seiner Mutter) nicht mehr geliebt werden beziehungsweise es könnte durch unrechtes Tun sich seine eigenen Eltern zu seinen erst äußeren, dann inneren Verfolgern machen. Nun sollte man erwarten, daß im Verlaufe der Ich-Entwicklung die infantilen Ursprünge der Angst sich nach und nach ausreifen würden. «Aber», wie freud feststellte, «das ist nur in sehr unvollkommener Weise der Fall. Viele Menschen können die Angst vor dem Liebesverlust nicht überwinden, sie werden nie unabhängig genug von der Liebe anderer und setzen in diesem Punkt ihr infantiles Verhalten fort. Die Angst vor dem Über-Ich soll normalerweise kein Ende finden, da sie als Gewissensangst in den sozialen Beziehungen unentbehrlich ist, und der Einzelne nur in den seltensten Fällen von der menschlichen Gemeinschaft unabhängig werden kann. Einige der alten Gefahrensituationen verstehen es auch, sich in späte Zeiten hinüberzuretten, indem sie ihre Angstbedingungen zeitgemäß modifizieren. So erhält sich z. B. die Kastrationsgefahr unter der Maske der Syphilophobie . . . Es ist kein Zweifel, daß die Personen, die wir Neurotiker heißen, in ihrem Verhalten zur Gefahr infantil bleiben und verjährte Angstbedingungen nicht überwunden haben.» (Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XV 95) Ein Hauptgrund, warum es zu einer solchen Fixierung infantiler Stadien der Ich-Entwicklung kommen kann, liegt in der Stärke des Angsterlebens und der dadurch hervorgerufenen Verdrängung. Es liest sich wie eine Vorwegnahme der Kenntnisse der modernen Neurologie über das (mesolimbische) Belohnungssystem 70 Jahre später, wenn freud den Vorgang der Verdrängung auf seiten des Ich mit den folgenden Worten beschreibt: «Der Fall der Verdrängung ist . . . der, daß die Triebregung noch dem Es angehört (sc. also dem Ich wie etwas Fremdes aufgedrängt wird, d. V.) und das Ich sich schwach fühlt. Dann hilft sich das Ich durch eine Technik, die im Grunde mit der des normalen Denkens identisch ist. Das Denken ist ein probeweises Handeln mit kleinen Energie-

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mengen, ähnlich wie die Verschiebungen kleiner Figuren auf der Landkarte, ehe der Feldherr seine Truppenmassen in Bewegung setzt. Das Ich antizipiert also die Befriedigung der bedenklichen Triebregung und erlaubt ihr, die Unlustempfindungen zu Beginn der gefürchteten Gefahrsituation zu reproduzieren. Damit ist der Automatismus des Lust-Unlust-Prinzips ins Spiel gebracht, der nun die Verdrängung der gefährlichen Triebregung durchführt.» (Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XV 96) Auf diese Weise erklärt sich psychoanalytisch ein scheinbares Paradox: daß das an sich schwache Ich imstande sein soll, die starken Triebenergien abzuwehren. Bereits mit der Errichtung des Über-Ich sind starke Energiebeträge aus dem Es an die verinnerlichten Eltern-Imagines geheftet worden; und indem das Ich einen Teil seines eigenen Terrains an das Über-Ich abgetreten hat, ist seine relative Abhängigkeit und Schwäche in gewissem Sinne chronifiziert worden. Im Falle es sich nun einem starken, doch (von den Eltern, vom Über-Ich) verbotenen Affektandrang gegenübersieht, ist es desto weniger imstande, einen verträglichen Kompromiß zwischen Triebforderung und «Realität» auszuhandeln; die «Realität» von einst, die eigenen Eltern, bedrohen in verinnerlichter Gestalt das Ich mit Liebesverlust, wofern es den Ansprüchen des Es nachgeben sollte; und diese Gefahr wiederum veranlaßt das Ich, das Angstsignal auszulösen und den allmächtigen im Es selbst angesiedelten Lust-Unlust-Automatismus in Gang zu setzen. Ein Begehren, das «eigentlich» Lust verheißen sollte, löst jetzt die Angst vor drohender Unlust aus und bewirkt damit, daß es aus dem Bewußtsein «verdrängt» wird: «das Ich zieht sich gänzlich von der anstößigen Erregung zurück; oder es setzt ihr an Stelle der Probebesetzung eine Gegenbesetzung entgegen und diese tritt mit der Energie der verdrängten Regung zur Symptombildung zusammen oder wird als Reaktionsbildung, als Verstärkung bestimmter Dispositionen, als bleibende Veränderung ins Ich aufgenommen.» (sigmund freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XV 97) Damit kann Angst in der Charakterstruktur einer Persönlichkeit sich verfestigen, einmal durch die Identifizierung mit den ängstigenden Eltern in Gestalt des Über-Ich, dann durch die Reaktionsbildungen, die aus dem Abwehrkampf des Ich gegen die drohenden Triebgefahren hervorgehen. Triebanalyse, Charakteranalyse, vor allem aber die Analyse der frühen Kindheitserlebnisse bilden deshalb die Grundlage, um die Ängste neurotischer Patienten zu verstehen. In jeder Angstneurose zeigt sich eine «Erwartungsangst» beziehungsweise eine «ängstliche Erwartung». «Personen, die von dieser Art Angst geplagt wer-

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den», schrieb freud, «sehen von allen Möglichkeiten immer die schrecklichste voraus, deuten jeden Zufall als Anzeige eines Unheils, nützen jede Unsicherheit im schlimmen Sinne aus. Die Neigung zu solcher Unheilserwartung findet sich als Charakterzug bei vielen Menschen, die man sonst nicht als krank bezeichnen kann, man schilt sie überängstlich oder pessimistisch; ein auffälliges Maß von Erwartungsangst gehört aber regelmäßig» zu jener «nervösen Affektion», die als Angstneurose bezeichnet wird. (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XI 412) Daneben erstreckt sich das weite Feld der Phobien, die sich aus dreierlei Möglichkeiten ergeben: 1) Es können real geringe Gefahren in der Intensität des Angsterlebens maßlos übertrieben werden, zum Beispiel weil eine (unbewußte) Strafangst mit bestimmten (verbotenen) Wunschregungen im Zusammenhang mit einer bestimmten Szene sich verbindet: Ein Mann etwa möchte – als Liebhaber der buddhistischen Kultur – einen Ferienurlaub in Thailand buchen; andererseits weiß er natürlich um die Art des Tourismus, die in Bangkok seit dem Abzug des US-Militärs nach dem Ende des Vietnam-Krieges gepflegt wird; und nun kann es sein, daß eine plötzlich auftretende Flugangst ihn daran hindert, eine Reise nach Ostasien oder überhaupt in ein ferneres Land auch nur in Erwägung zu ziehen. 2) Es können reale Gefahren ins vollkommen Übertriebene gesteigert werden, wie es bei «Situationsphobien» gegeben zu sein pflegt; – der Fall der eben erwähnten «Syphilophobie» mag hier als Beispiel dienen: Ein junger Mann besucht, um seine Kontaktangst zu überwinden, ein Etablissement auf dem Kiez in Hamburg; er trifft eine Prostituierte, die sich zur stummen Aufforderung zwischen den Beinen streichelt und ihm dann mit dem Finger über den Mund fährt; voller Grausen verläßt der Mann den Ort der Verführung, fürchtet aber nun, aufs Tödliche infiziert worden zu sein, und zieht von Arzt zu Arzt, um sich untersuchen zu lassen. 3) Es können rein symbolisch bestimmte Objekte, bevorzugt Tiere, zu Trägern unheimlicher Ängste avancieren. In solchen Tieren können bestimmte allgemein menschliche Antipathien (gegen Schlangen, Spinnen, Ratten u. a.) ins Phantastische gesteigert werden, doch nur auf Grund einer symbolischen Bedeutungsverleihung, zumeist sexuellen Inhalts: Die Angst vor den eigenen Triebregungen wird (durch den Abwehrmechanismus der Projektion) nach außen verlegt und damit beherrschbar – es ist immerhin einfacher, einer «Katze» oder einer «Maus» aus dem Wege zu gehen als den eigenen Triebgefahren als Frau oder Mann. Viele Ängste aber sind nichts anderes als verfestigte Reaktionsweisen aus Kindertagen. «Für den Mann mit Straßen- oder Platzangst», notierte freud, «drängt sich uns die einzige Erklärung auf, daß er sich benehme wie ein kleines

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Kind. Ein Kind wird durch die Erziehung direkt angehalten, solche Situationen als gefährlich zu vermeiden, und unser Agoraphobiker (sc. griech.: die agorá – Marktplatz, der phóbos – Furcht, d. V.) ist wirklich vor seiner Angst geschützt, wenn man ihn über den Platz begleitet.» (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, XI 414– 415) Genauer noch müßte man sagen: viele Menschen – (fast) alle Neurotiker – fürchten sich in der Angst ihrer Eltern; denn es sind deren (nicht selten irreale) Befürchtungen, die bestimmte Gefahrensituationen dem Kind in übersteigerter Form vermittelt haben. Ein Kind erlebt ja niemals «die» Realität; was es als «real» empfindet, ist der von seinen Eltern in bestimmter Weise gedeutete Inhalt seiner Wahrnehmungen. Wovor seine Eltern sich fürchten, das muß fürchterlich sein, sei es der Krieg, die Sexualität oder der Gott des Alten Testamentes beziehungsweise des Christentums. In die Angst der Eltern aber mischt sich die Angst des Kindes vor den Eltern und mit dieser wiederum die Angst vor den eigenen Triebregungen, die es in Widerspruch zu seinen Eltern beziehungsweise zu seinem Über-Ich setzen könnten; und so entsteht jene Dreiheit aus (erlernter) Realangst, Es-Angst und Über-Ich-Angst. Entscheidend ist nun die Tatsache, daß die Ängste der Kindertage im (Er)Leben der Neurotiker die Neigung besitzen, sich in verwandten Situationen mit ungebrochener Heftigkeit wieder und wieder aufzuführen. Wir sahen bereits, wie die Zusammenschaltung von Hippocampus und Amygdala eine Zeitverschmelzung bewirken kann, innerhalb deren Damals und Heute, Vergangenheit und Gegenwart einander durchdringen. Ängste, die «objektiv» einem weit zurückliegenden Abschnitt der Biographie angehören, treten dann mit dem Anspruch auf, eine reale Gefahr in der Gegenwart zu signalisieren; doch eben weil sie sich in der Gegenwart melden, bieten sie auch die Gelegenheit, ihrer Unzeitgemäßheit inne zu werden. Für das psychotherapeutische Vorgehen jedenfalls kommt es darauf an, den Kontext wiederherzustellen, in der die heute gefühlte, sinnlos gewordene Angst einmal situationsgerecht war. In aller Regel muß man zu diesem Zweck die Gestalt der Eltern in der (frühen) Kindheit wieder aus der Erinnerung beziehungsweise aus der Verdrängung hervorlocken, denn es sind ihre Einstellungen und Wertungen, die sich in der Strafangst des Über-Ich verfestigt haben; und es kommt darauf an, die ursprünglichen Triebregungen bewußtzumachen, die in der gegenwärtigen Situation auf einen bestimmten Auslöser hin sich hervorwagen wollten. Kurz, es gilt, die Reinszenierung des Vergangenen im Gegenwärtigen nachzuzeichnen, um nach und nach den Wiederholungszwang des Unbewußten durch eine freie Stellungnahme des Bewußtseins zu ersetzen: Wo damals das Ich eines Kindes einen Kompro-

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miß zwischen Lust und Verbot, zwischen Begierde und Angst nicht zu finden vermochte, läßt sich heute in eigener Verantwortung eine Entscheidung treffen, die der gegenwärtigen Lage angemessen ist. Viele gußeiserne Standards religiöser, weltanschaulicher, moralischer oder auch nur gesellschaftlicher Herkunft müssen noch einmal neu überdacht und dürfen durch eine persönliche Überzeugung ersetzt werden; Belastungen, Verpflichtungsansprüche, Triebeinschränkungen, Schuldgefühle und Wiedergutmachungstendenzen lassen sich auf ein gesundheitlich passables und pragmatisch vernünftiges Maß zurückführen; manche Einseitigkeiten und Engpässe der charakterbedingten Lebensführung können durch neue Wahrnehmungen, Einsichten und Interessen ergänzt und erweitert werden; und vor allem: das Bild, das sich im Schatten der Eltern dem Ich in Kindertagen als sein eigenes darbot, bedarf womöglich noch einmal einer freundlicheren Betrachtung und Selbsteinschätzung jenseits des Teufelskreises aus Minderwertigkeitsgefühlen und Überkompensationen. In all dem scheint es nicht verkehrt, die Menschen zu betrachten wie arme Tiere oder wie schwache Kinder, die buchstäblich krank sind vor Angst. Wie aber, die Therapie hat Erfolg: das Ich stellt sich in Selbstvertrauen und Eigenständigkeit der Welt und den Menschen gegenüber, die Angst der Tiere und die Angst der Kinder löst sich auf – ist die Angst dann wirklich vergangen? Die sonderbare Antwort muß lauten: Mitnichten! Sie kehrt zurück, stärker und grundsätzlicher als zuvor.

c) Die Angst des Selbstseins α) Geist, Angst und Verzweiflung in der Existenzbeschreibung sören kierkegaards Der erste, der das Erleben der Angst als eine wesentliche Mitgift der menschlichen Existenz erkannte, war der dänische Religionsphilosoph sören kierkegaard (1813 –1855), indem er die Geistmetaphysik des Deutschen Idealismus, insbesondere die Philosophie von georg wilhelm friedrich hegel (1770 –1831), mit eben dieser seiner Entdeckung zu zertrümmern gedachte: daß Geist zu sein identisch sei mit Angst zu haben. (Vgl. zum folgenden e. drewermann: Strukturen des Bösen, III 436– 479.) Bereits in den ersten Sätzen seiner wichtigen Arbeit Die Krankheit zum Tode aus dem Jahre 1849 verwies kierkegaard auf das in seinen Augen zentrale Problem des Menschseins: «Der Mensch ist Geist», begann er. «Aber was ist

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Geist? Geist ist das Selbst. Aber was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das am Verhältnis, daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Zeitlichem und Ewigem, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz, eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen zweien. So betrachtet ist der Mensch noch kein Selbst. – Im Verhältnis zwischen zweien ist das Verhältnis das Dritte als negative Einheit, und die zwei verhalten sich zum Verhältnis und im Verhältnis zum Verhältnis; so ist unter der Bestimmung Seele das Verhältnis zwischen Seele und Leib ein Verhältnis. Verhält sich dagegen das Verhältnis zu sich selbst, dann ist dieses Verhältnis das positive Dritte, und dies ist das Selbst. – Ein solches Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, ein Selbst, muß entweder sich selbst gesetzt haben oder durch ein anderes gesetzt sein. – Ist das Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, durch ein anderes gesetzt, dann ist das Verhältnis wahrscheinlich das Dritte, aber dieses Verhältnis, das Dritte, ist dann doch wiederum ein Verhältnis, verhält sich zu dem, was da das ganze Verhältnis gesetzt hat. – Ein derart abgeleitetes, gesetztes Verhältnis ist das Selbst des Menschen, ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält und, indem es sich zu sich selbst verhält, sich zu einem anderen verhält.» (Erster Abschnitt, A A, S. 13) In einfachen Worten wiedergegeben: Der klassischen Vorstellung nach ist der Mensch aus zwei Substanzen zusammengesetzt: aus Seele und Leib, und diese Zusammensetzung ist ein «negatives» (ein einfach vorhandenes) «Verhältnis», das zu einer Einheit (einer «Synthese») nur kommen kann in einem Dritten: dem Geist. Daran liegt es, daß der Mensch nicht einfach vorhanden ist wie ein Stein, eine Blume oder ein Schmetterling. Das Verhältnis von «Seele» und «Leib» ist eine «Synthese», eine im Geist gesetzte Einheit von «Unendlichkeit und Endlichkeit, von Zeitlichem und Ewigem, von Freiheit und Notwendigkeit», und so kann es nur zustande kommen, indem es als «Geist» zum «Selbst» wird: Menschlich zu existieren bedeutet, sich seiner selbst bewußt zu werden, zu seinem eigenen Dasein Stellung zu nehmen, mit einem Wort: in ein Verhältnis zu dem Verhältnis zu treten, in dem das so heterogen Zusammengesetzte (Seele und Leib) sich befindet; es heißt, die Synthese, die nur erst «an sich» besteht, «für sich» selbst in eigener Verantwortung zu setzen. Der menschliche «Geist» aber ist nicht absolut, er ist nicht Gott, er ist selbst etwas «Relatives» in wörtlichem Sinne: er verweist in jedem Akt seines Selbstvollzugs darauf, nicht in sich selbst zu gründen, sondern «durch ein anderes» gesetzt zu sein. Deshalb – so die vorweggenommene These – kann ein Mensch nur wahrhaft zu sich

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selbst finden, wenn er von dem absoluten Anderen seiner selbst, das sein Ursprung ist, von Gott her, auf sich zurückkommt. Das Verhältnis, das der Mensch zu sich selbst einnimmt, hängt mithin ab von dem Verhältnis, in dem er zu diesem Anderen steht, das sich zu ihm immer schon verhält als der ewige Grund seines Daseins. Ohne sich durchsichtig zu werden auf dieses Andere hin, gerät die menschliche Existenz unausweichlich in ein Mißverhältnis zu sich selbst: Da sie selber nicht absolut ist, wird sie sich entweder absolut verneinen oder sich selber absolut bejahen; Selbstverachtung und Resignation oder Selbstüberhöhung und Trotz werden ihr Schicksal sein. Eben diese zwei Formen des Mißverhältnisses zu sich selbst bestimmte kierkegaard als Verzweiflung und ersetzte mit diesem Begriff die christliche Theologenvokabel «Sünde», die er ihrer moralischen Engführungen wegen (verstanden als Übertretung bestimmter Gebote und Gesetzesvorschriften) für vollkommen unzureichend hielt, um die wahre Tragödie des menschlichen Lebens (im Sinne des Neuen Testamentes) zu beschreiben und zu begreifen. Die eigentliche Herausforderung des menschlichen Daseins liegt nach kierkegaard also darin, daß die Art seines Selbstvollzugs weder in vollkommener Freiheit (also in absoluter seinshafter Selbstidentität und Selbstverfügung) noch in vollkommener Notwendigkeit (also in absoluter seinshafter Faktizität und Fremdbestimmung) bestehen kann; es kann zu sich nur kommen durch einen Akt der Nicht-Festgelegtheit, zu dem weder innere (wesenhafte) noch äußere (kausale) Faktoren als Determinanten auftreten. Gerade so aber ist die menschliche Freiheit, und gerade weil sie so ist, ist sie Angst. Bereits fünf Jahre zuvor, im Jahre 1844, hatte kierkegaard eine «simple psychologisch-hinweisende Erörterung in Richtung des dogmatischen Problems der Erbsünde» unter dem Titel Der Begriff Angst vorgelegt, indem er jene für Theologen bis heute aufrührerische Ansicht vertrat, daß die Menschen (Adam und Eva) nicht Angst haben, weil sie «gesündigt haben» – eine Angst vor Gott, die nichts weiter wäre als die uns vorhin noch bekannt gewordene «Strafangst» –, sondern daß es sich gerade umgekehrt verhält: die Menschen «sündigen», weil sie Angst haben. Es ist sofort klar, was geschieht, wenn man in kierkegaardschem Sinne den Begriff der «Sünde» mit «Verzweiflung» wiedergibt und wenn man zudem das Motiv der «Sünde» als «Angst» interpretiert. Das korrekte dogmatische Verständnis der «Erbsünde» lautet, daß die Menschen «sündigen» aus «Hochmut» und «Stolz» beziehungsweise aus «Ungehorsam». Indes, wären dies wirklich die Triebkräfte des «Bösen» im Menschen, so stünden als adäquate Mittel der «Erlösung» vorzüglich des Menschen «Demütigung» (die Brechung seines

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«Stolzes») oder seine Unterwerfung (seine erzwungene Fügsamkeit) zu Gebote; in beiden Fällen bliebe das Rezept ebenso äußerlich wie die Vorstellung der «Sünde» selbst: – eine im Gefälle bloßer (wenn auch «göttlicher» oder kirchlicher bzw. staatlicher) Macht getroffene «Maßnahme». Die Äußerlichkeit eines solchen Therapievorschlags ergäbe sich in gerader Linie aus der Äußerlichkeit der Diagnose. Hingegen braucht man (als Kind des 20. Jhs.) nur ein wenig von freuds «Kastrationskomplex» oder von alfred adlers (1870 –1937) «Minderwertigkeitskomplex» gehört zu haben, und man wird ein für allemal begriffen haben, daß «Hochmut» und «Stolz» keine originären Triebbedürfnisse darstellen, sondern ihre Wurzeln in den Gefühlen einer tiefen Selbstablehnung haben. (Vgl. e. drewermann: Ein Mensch braucht mehr als nur Moral, 39– 68: Eitelkeit und Stolz, bes. S. 59– 65.) Zudem «sündigen» die Menschen in der biblischen «Sündenfallerzählung» durchaus nicht in einer Haltung prometheischer Hybris – sie geraten vielmehr, ganz wie kierkegaard es schildert, durch die Worte der «Schlange» in einen Strudel der Angst, in dem ihre Freiheit verlorengeht. (Vgl. e. drewermann: Strukturen des Bösen, I 53–74; III 436– 460) Wie aber hängen dann Freiheit und Angst in einer solchen Weise zusammen, daß die Freiheit an der Angst, die sie selbst ist, zugrunde geht, und wie kann es ferner sein, daß dieses Zugrundegehen der Freiheit an ihrer eigenen Angst gleichwohl eine «Schuld» (eine «Ursünde») darstellt, deren Nicht-Notwendigkeit freilich erst für den aus der Angst «Geretteten» («Erlösten») – im nachhinein also – erkennbar wird? Die gesamte christliche Erlösungslehre steht hier auf dem Spiel und findet in kierkegaards Ansatz ihre radikale Vertiefung. In Der Begriff Angst bereits hatte der dänische Religionsphilosoph Angst als die Art beschrieben, in welcher der Geist träumend seine eigene Wirklichkeit plant und dabei die Schuld gebiert. «Die Unschuld (sc. der Menschen im «Paradiese» des Bewußtseins, d. V.) ist Unwissenheit», notierte kierkegaard. Der Grund: «In der Unschuld ist der Mensch nicht als Geist bestimmt, sondern seelisch in unmittelbarer Einheit mit seiner Natürlichkeit bestimmt . . . – In diesem Zustand ist Friede und Ruhe; aber es ist da zu gleicher Zeit etwas anderes, was nicht Unfriede und Streit ist; denn es gibt ja nichts, womit man streiten könnte. Was ist es also? Nichts. Aber welche Wirkung hat das Nichts? Es gebiert die Angst. Dies ist das tiefe Geheimnis der Unschuld, daß sie zur gleichen Zeit Angst ist.» (Kap. I § 5, S. 40) Philosophiegeschichtler werden aus diesen Worten sogleich heraushören, daß kierkegaard die hegelsche Dialektik von Sein und Nichts aus dem Begrifflichen ins Existentielle, aus dem Logischen in das Psychologische zu set-

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zen versucht und damit gegen sich selbst kehrt; nicht im Sein wohnt das Nichts, wohl aber im Bewußtsein. Doch auch Psychologen und Neurologen stoßen hier auf etwas, das sich den Kategorien naturwissenschaftlichen Denkens prinzipiell entzieht, da es keinen Gegenstand besitzt. Der Unterschied ist eklatant. Wenn wir bisher von Angst gesprochen haben, so hätten wir ebenso gut auch von Furcht sprechen können; – immer nämlich hatten wir es mit bestimmten Angstinhalten zu tun; ja, es gehörten bestimmte Situationen, gewisse angeborene Reflexe, spezielle ins implizite oder explizite Gedächtnis aufgenommene Erfahrungen sogar ausdrücklich dazu, um der psychologischen und neurologischen Forschung allererst ein Sujet zu schaffen. Jetzt aber begegnen wir einem Angsterleben, das durchaus keinen Inhalt (im Sinne eines objektivierbaren Gegenstandes) besitzt, sondern in dem der Geist seiner selbst inne wird und eben darin seines eigenen Nichts: – seiner Ungehaltenheit, seiner Nicht-Identität, seiner Freiheit. Angst in diesem Sinne ist die Entstehungsbedingung der Subjekthaftigkeit, ist die Eingangspforte der Selbstwerdung, ist das Moment, in dem das Sein des Menschen Bewußtsein, Selbstsein wird. Ganz wie in der Philosophie von ludwig klages (1872 –1956) rund hundert Jahre später (Der Geist als Widersacher der Seele, 3 Bde., 31953), nur aus anderen, tieferen Gründen, erklärt kierkegaard, daß der unmittelbar anwesende, träumende Geist, «in gewisser Weise eine feindliche Macht» sei, denn er störe «beständig das Verhältnis von Seele und Leib», während er andererseits doch «eine freundliche Macht» darstelle, «die ja gerade das Verhältnis zustanden bringen» wolle. Doch in eben dieser Zweideutigkeit, in welcher der Mensch sich zum Geist verhalte und der Geist zu seiner Bedingung, gründe die Angst. «Sich selber loswerden kann der Geist nicht; sich selbst ergreifen kann er auch nicht, solange er sich außerhalb seiner selbst hat; in das Vegetative herabsinken kann der Mensch auch nicht, denn er ist ja bestimmt als Geist; die Angst fliehen kann er nicht, denn er liebt sie; eigentlich lieben kann er sie nicht, denn er flieht sie.» (Der Begriff Angst, Kap. 1 § 5, S. 42) In diesem Schwebezustand der Widersprüchlichkeit und der Angst befindet sich der Geist bereits im Zustand der «Unschuld» bzw. der Unwissenheit. Was dabei den Kern der Angst ausmacht, die zum Menschen gehört, eben weil er Geist ist, ergibt sich aus der «Möglichkeit der Freiheit», die in der biblischen Erzählung von Gen 3, 1–7 durch das Verbot Gottes an den Menschen herantritt. «Was an der Unschuld vorbeiging als Nichts der Angst, das ist nunmehr in ihn (sc. den Menschen, d. V.) selbst hineingekommen und ist hier wieder ein Nichts: die ängstigende Möglichkeit, zu können.» «Die unendliche

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Möglichkeit, zu können, die das Verbot erweckte, wird nun dadurch nähergerückt, daß diese Möglichkeit eine Möglichkeit als ihre Folge (sc. als Strafe Gottes: ‹ihr werdet sterben›, d. V.) sichtbar macht. – So ist die Unschuld zu ihrem Äußersten gebracht. Sie ist in der Angst im Verhältnis zum Verbotenen und zur Strafe. Sie ist nicht schuldig (sc. da sie ja – noch! – nichts «Böses» getan hat, d. V.), und doch ist da eine Angst, als wäre sie (sc. die Unschuld, d. V.) verloren» (Der Begriff Angst, Kap. 1 § 5, S. 43), denn jederzeit droht die Möglichkeit der Freiheit, das Verbotene doch zu tun. Entscheidend an diesem Ansatz ist, daß kierkegaard die «Sünde» (also: die «Verzweiflung», die Erlösungsbedürftigkeit) des Menschen nicht aus dem Triebhaften, der concupiscentia (lat.: der – bösen – Begierlichkeit), dem Es, entwickelt – in diesem Falle stünde es von vornherein in dem Belieben, das heißt in der moralischen Entscheidung des Menschen, die Herrschaft über sich selbst zu bewahren oder dem «Lustprinzip» zu folgen; es käme nie zu einer wesentlichen Bestimmung des menschlichen Daseins. Statt dessen ergibt sich für kierkegaard die Not der menschlichen Existenz weder aus dem Es noch aus dem Über-Ich, sondern aus der Bestimmung, Geist zu sein, denn das bedeutet zugleich, durch Angst bestimmt zu sein, und dies sogar in quantitativer Steigerung, gilt doch die Regel: «je weniger Geist, desto weniger Angst» (Der Begriff Angst, Kap. 1 § 5, S. 41), und umgekehrt: je mehr Geist, desto unheimlicher das Schweben der «Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit». (A. a. O., 40) Was aber läßt sich tun, der Last des Geistes – der Angst der Freiheit – zu entrinnen? Man könnte meinen, das quantitative Ansteigen der Angst, indem der Mensch seiner Freiheit inne werde, müsse wie von selbst dahin führen, «in Schuld umzuschlagen». Doch bestünde hier eine Zwangsläufigkeit, so gäbe es keine Freiheit mehr; die «Psychologie» der Angst indessen, von der hier die Rede geht, kommt gerade im Schoße der Freiheit zur Welt. «Wenn daher», schreibt kierkegaard, «die Angst auch immer reflektierter wird, so behält doch die Schuld, die mit dem qualitativen Sprung in der Angst hervorbricht, denselben Charakter schuldhafter Zurechnung . . . und die Angst dieselbe Zweideutigkeit.» (Der Begriff Angst, Kapitel II § 2, S. 57) Fragen wir so: Kann man einem Menschen (im moralischem Sinne) vorwerfen, daß er etwas (alles) falsch macht – aus Angst? Das kann man nicht; man muß, will man ihm helfen, vielmehr seine Angst beruhigen. Kann man ihn also freisprechen, weil er aus Angst sich selbst verloren hat? Auch das kann man nicht; man muß, will man ihm helfen, vielmehr immer von neuem an seine Verantwortlichkeit appellieren, damit er die Freiheit, die er in der Angst floh, in einem Akt neuen Vertrauens zu leben wage. In gerade dieser Zweideutigkeit

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hält sich jede psychologische «Erklärung», die der Angst aus Freiheit gewidmet ist. Wenn die Bibel erzählt, daß der Mensch («Adam»), also jeder Mensch, sündigt aus Angst, so liegt das «Schuldhafte» offenbar darin, inmitten der Angst die Spannung, aus welcher die Freiheit selbst entsteht, das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit, unter dem Lastgewicht der eigenen Existenz zu verkürzen und sich wie zur Erleichterung von der unerträglichen Qual, Geist zu sein, an das Endliche zu klammern wie ein Ertrinkender an ein Stück treibenden Holzes. «Angst», fährt kierkegaard deshalb fort, «kann man vergleichen mit Schwindligsein. Derjenige, dessen Auge plötzlich in eine gähnende Tiefe hinunterschaut, der wird schwindlig. Aber was ist der Grund dafür? Es ist ebensosehr sein Auge wie der Abgrund; denn was, wenn er nicht hinabgestarrt hätte! So ist die Angst der Schwindel der Freiheit, der entsteht, indem der Geist die Synthese setzen will und die Freiheit nun hinabschaut in ihre eigene Möglichkeit und da die Endlichkeit ergreift – um sich daran zu halten. In diesem Schwindel sinkt die Freiheit ohnmächtig um . . . Im selben Augenblick ist alles verändert, und indem die Freiheit sich wieder aufrichtet, sieht sie, daß sie schuldig ist. Zwischen diesen zwei Augenblicken liegt der Sprung, den keine Wissenschaft erklärt hat oder erklären kann. Wer in Angst schuldig wird, der wird so zweideutig schuldig wie nur möglich . . . psychologisch gesprochen geschieht der Sündenfall allezeit in Ohnmacht; aber die Angst ist zugleich das am meisten Selbstische . . . In der Angst ist die selbstische Unendlichkeit der Möglichkeit, die nicht verführt wie eine Wahl, sondern betörend ängstigt mit ihrer süßen Beängstigung.» (Der Begriff Angst, Kap. II § 2, S. 57–58) Was also ist geschehen? Um in dem Schwindel der Freiheit angesichts des Abgrunds zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit einen Halt zu finden, klammert der Mensch sich mit unendlicher Energie an das Endliche; er tut damit gerade das, was in der tradierten Lehre des Christentums als «Sünde» verstanden wird: er verhält sich absolut zum Relativen und relativ zum Absoluten; er hofft damit, der Angst, die aus der Unendlichkeit des Geistes aufsteigt, ledig zu werden; und doch: selbst der Versuch zu einem Leben in Ungeistigkeit verbleibt innerhalb der Geistigkeit; das Endliche, zur Angstberuhigung ergriffen, ist selbst nur eine verendlichte Unendlichkeit oder besser, ein verunendlichtes Endliches, das bei aller Gier und Maßlosigkeit oder bei aller Resignation und Apathie die Angst niemals beruhigen kann, die in dem «Selbstischen» eines Menschen liegt, der sein Selbst verloren hat beziehungsweise der es erst gar nicht dahin gebracht hat, ein Selbst auszuprägen. Wer das Unendliche im Endlichen vergraben möchte – er definiert sich ausschließlich durch die Zweckset-

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zungen des Irdischen, unter Glück versteht er einzig das Gelingen diesseitiger Lebensplanungen, aus dem Dunstkreis sinnlich-ästhetischer Behaglichkeit will er, aus Angst vor den Beunruhigungen des Geistes, sich durchaus nicht entfernen –, der kann an der Endlichkeit nur unendlich enttäuscht werden; doch wiederum wird jede Enttäuschung ihn wie einen Drogensüchtigen nur um so heftiger dahin treiben, das Surrogat seiner «Rettung» festzuhalten – ein Teufelskreis ohne Entrinnen, ein Verlangen nach Leben aus Angst vor dem Ende und eine Unfähigkeit zum Leben aus Angst vor der Unendlichkeit, ein egozentrisches Kreisen um ein Selbst, das in sich selbst einen Grund (eine Berechtigung, eine Rechtfertigung, lutherisch gesprochen) für eine Existenz zu finden sucht, die als ein «abgeleitetes, gesetztes Verhältnis» eines solchen Grunds in sich selber apriori entbehrt. Aus Angst in Angst zu «verkommen», «verloren» zu sein im Endlichen aus Flucht vor dem Unendlichen, zudem mit der sicheren Gewißheit des Todes vor Augen – eine solche Lage verformt das ganze Dasein zur Verzweiflung. In seiner zweiten Schrift über diesen Zusammenhang von Geist und Angst und Angst und Selbstverlust, in Die Krankheit zum Tode, hat kierkegaard seine Aufgabenstellung bezogen auf die psychologische Erörterung der christlichen Erbsündenlehre (entlang dem Grundtext der Geschichte vom verlorenen Paradies in Gen 3, 1–7) erheblich erweitert, indem er jetzt nicht allein die Flucht in die Endlichkeit als eine Möglichkeit des Selbstverlustes betrachtete, sondern genauso auch eine Flucht in die Unendlichkeit. Und nicht nur dies. Alle Momente, die im Geiste, in der Selbstwerdung des Menschen zu einer Synthese zusammengeführt werden müßten, lassen sich aus Angst isolieren und als vereinseitigte Fluchtpunkte eines Geistes «erwählen», der an seiner eigentlichen Bestimmung, aus Endlichkeit und Unendlichkeit eine Synthese zu bilden, zerbricht. Das psychologische wie theologische Genie kierkegaards zeigt sich daran, daß es ihm mehr als ein halbes Jahrhundert vor den ersten Ansätzen der psychoanalytischen Neurosenlehre gelang, alles Unglückliche, Deformierte, Krankhafte der menschlichen Seele als Formen einer Verzweiflung zu interpretieren, die in einem «Mißverhältnis» zu sich selbst gründet; unfähig, die Spannung auszuhalten, aus welcher die menschliche Freiheit sich bildet, läßt sich die Angst, die es kostet, Geist zu sein, einfachhin auflösen, indem man einen der Spannungspole von Endlichkeit und Unendlichkeit beziehungsweise von Notwendigkeit und Möglichkeit gegenüber dem anderen vereinseitigt. So der Verzweifelte der Endlichkeit: Er geht ganz und gar auf in seinen Alltagsverrichtungen, er tut, was alle tun, er wird gelebt, statt selber zu leben, er

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duckt sich an die Erde wie Gras unterm Wind, er ist niemals verantwortlich – das Bürgerlich-Allgemeine oder die äußeren Umstände sind sein Schicksal. In diesem Sinne konnte diogenes von Sinope (um 412– 323) am hellichten Tage mit einer Laterne auf den Marktplatz gehen, um zu sehen, wo er Menschen fände: Die Masse ist nicht Mensch. Eine Person, die keine ist, ein Geist, der sich lebt auf ungeistige Weise, ein Selbst, das darin selbstisch ist, daß es sich weigert, ein Selbst zu sein – in solchen Beschreibungen läßt sich darstellen, was die Psychoanalyse später als Schizoidie bezeichnen wird: – ein Leben, das nur aus Angst besteht, indem es vermeidet, kennenzulernen, was das denn sei: Angst. Der brüder grimms Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen (KHM 4), greift ein solches Motiv auf. Oder der Verzweifelte der Unendlichkeit: Stets fühlt er sich schuldig, schon weil er sich außerstande zeigt, die Forderungen und Wünsche anderer in eigener Entscheidung zu begrenzen; stets verströmt seine Seele sich uferlos wie die Wolga nach der Schneeschmelze im Frühjahr ins Weite, doch er selbst fühlt sich winzig, ohnmächtig, niedrig, verächtlich – allein in den unendlichen Räumen einer heimatlos bis zum Horizont sich dehnenden Welt. Von Depression wird später die Psychoanalyse sprechen. Oder der Verzweifelte der Notwendigkeit: Man kann die Freiheit beseitigen, indem man alles «richtig» macht, das heißt, indem man tut, was sein muß – weil das Gesetz es vorschreibt, weil Gott es gebietet, weil der Chef es will, weil die Vernunft es verlangt . . . Gleich einem Automaten bestimmt sich das Individuelle durch das Sittlich-Allgemeine; es gibt sich als das «sozialisierte Individuum» hegels; es will, es darf durchaus nichts anderes sein als der Anwendungsfall des «objektiv» Gültigen, nur um niemals ein Subjekt werden zu müssen. Als Zwangsneurose wird die Psychoanalyse einen solchen Zustand beschreiben. Oder der Verzweifelte der Möglichkeit: Man kann versuchen, die Freiheit zu umgehen, indem man sich niemals entscheidet, aus Angst, «festgelegt», «gebunden», «eingeengt» zu werden; aus Sorge, «Möglichkeiten» zu verlieren, gelangt man niemals in die Wirklichkeit. Hysterie ist der psychoanalytische Ausdruck für eine solche Daseinsform der Selbstverlorenheit. (Zu den Formen der Verzweiflung bei kierkegaard und den Formen der Neurose in der Psychoanalyse vgl. e. drewermann: Strukturen des Bösen, III 469– 479; ders.: Sünde und Neurose, in: Wege und Umwege der Liebe, 33– 66.) Tatsächlich läge es von daher nahe, in kierkegaard so etwas zu sehen wie einen Philosophen, der – mit den Mitteln der idealistischen Metaphysik seiner Zeit – wichtige Themenstellungen der Psychologie und der Psychoanalyse vor-

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weggenommen oder doch zumindest vorbereitet hätte. Doch dem ist nicht so. Alle Einsichten der Psychoanalyse ließen sich gewinnen durch eine vollkommen andere Methode, als kierkegaard sie entwickelte. Für freud war es gerade nicht die Frage, wie ein Mensch als Geistwesen seine Freiheit aktuiert; freud wollte wissen, welche Ursachen seit Kindertagen dazu führen, daß Menschen, eingeklemmt zwischen Es und Über-Ich, sich selbst nur wie ausgeliefert, fremdbestimmt, triebgesteuert, dissoziiert, eingebunden in schicksalhaft erscheinende Formen des Unglücks zu (er)leben vermögen. Wenn leibniz, wie wir in der Einleitung hörten (1 a), davon sprach, daß die Körper nach Ursachen, die Seelen aber nach Zwecken handelten, so verbleiben freuds Beschreibungen erkennbar im Felde der «Ursachen»: – auf dieser Ebene der Betrachtung ist es in gewissem Sinne noch ein und dasselbe, von der Angst hilfloser Tiere wie von der Angst vereinsamter Kinder zu sprechen; die Formen der Furcht, die sich auf diese Weise entdecken lassen, gehorchen kausalen Zusammenhängen, die einer naturwissenschaftlichen Beschreibung zugänglich sind. Um so wichtiger ist es, wenn kierkegaard offen erklärt: «Den Begriff Angst sieht man fast niemals in der Psychologie behandelt, ich muß deshalb darauf aufmerksam machen, daß er gänzlich verschieden ist von der Furcht und ähnlichen Begriffen, die sich auf etwas Bestimmtes beziehen, während die Angst die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit ist. Man wird deshalb beim Tier keine Angst finden, gerade weil dies in seiner Natürlichkeit nicht bestimmt ist als Geist.» (Der Begriff Angst, Kap. I § 5, S. 40) Die Formen der Verzweiflung, die er aus der verweigerten Selbstwerdung des Geistes, aus der Zerstörung der Freiheit aus Angst vor der Freiheit, ableitete, mögen sich als sachidentisch mit den Grundformen der Angst (fritz riemann, 1902 –1979) in der psychoanalytischen Neurosenlehre erweisen – sie bieten gleichwohl, was keine psychologische Betrachtung menschlicher Angst und Neurose zu liefern vermag: sie zeigen den «Sinn» auf, der in all den unglückseligen Formen psychischer Selbstzerstörung enthalten ist; erst wer diesen geistigen Inhalt einer seelischen Erkrankung versteht, vermag – ohne äußere Gewalt – «von innen» her zu heilen. Für unsere Beschäftigung mit der Neurologie auf der Suche nach der «Seele» ist eine solche Feststellung an dieser Stelle bereits von unschätzbarem Wert. Wir werden gleich noch den neuralen Mechanismen nachgehen, in denen unser Gehirn das Angstsignal auslöst und den Körper zu entsprechenden Angstreaktionen befähigt, doch zeigt sich hier schon die methodische wie sachliche Begrenztheit der Neurologie als Wissenschaft: Sie kann prinzipiell nichts anderes tun als zu erforschen, wie Angsterlebnisse bei Tieren und Menschen zustande

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kommen und verarbeitet werden und wieso vorgängige Angsterfahrungen das gegenwärtige Erleben zu präformieren vermögen. Indessen: Blieben wir dabei stehen, so ergäbe sich eine psychotherapeutische und psychiatrische Behandlungsmethode, die über den Einsatz von Psychopharmaka und von Neurochirurgie niemals hinauskäme und allenfalls ergänzt werden könnte durch die Konditionierungsverfahren der Verhaltenstherapie. So wir nun aber von einem geistigen Inhalt seelischer Erkrankungen hören, werden wir auf die Bedeutung hingewiesen, die in vielerlei psychosomatischen, psychoneurotischen und psychotischen Erkrankungen zum Ausdruck kommt. Gilt dies, so muß jede Therapieform zumindest unzureichend, wo nicht schädlich bleiben, die ihr Genügen darin finden wollte, «Naturwissenschaft» zu sein – und nichts weiter. Jeder Therapieversuch seelischer Krankheit muß daseinsverstehend («hermeneutisch», von griech.: herme¯neúein – auslegen) werden, um menschlich zu wirken, oder er verweigert selbst die «Synthese» aus Seele und Körper, deren Aufgabe gerade das Problem bildet. (Vgl. gaetano benedetti: Psychotherapie als existentielle Herausforderung, 245 –250: Heilfaktoren in der Psychotherapie der Schizophrenen.)

β) Furcht und Angst in der Ontologie martin heideggers Tatsächlich fehlte es in den 60er Jahren des 20. Jhs. denn auch nicht an Versuchen, die Daseinshermeneutik speziell der phänomenologischen Ontologie martin heideggers (1889 –1976) als ein therapeutisches Instrumentar des Verstehens zur Heilung seelischer Erkrankungen zu nutzen. (Vgl. gion condrau: Angst und Schuld als Grundprobleme der Psychotherapie, 1962) Fragen wir also, wie weit damit zu kommen ist. In seinem philosophischen Hauptwerk Sein und Zeit (1926) hatte heidegger die Phänomenologie edmund husserls (1859 –1938) zur Begründung einer Fundamentalontologie ausgearbeitet, welcher der Unterschied (die «ontologische Differenz») von Sein und Seiendem zugrunde lag. «Seiendes», schrieb heidegger, «ist unabhängig von Erfahrung, Kenntnis und Erfassen . . . Sein aber ‹ist› nur im Verstehen des Seienden, zu dessen Sein so etwas wie Seinsverständnis gehört.» (§ 39, S. 183) Ein solches seinverstehendes Seiendes ist die menschliche Existenz. Sie ist der «Ort», an welchem Sein «da» ist. Indem das «Da-sein» des Menschen sich auf das je eigene Sein hin auslegt, entdeckt sich das Sein allerdings nicht als das Absolute der traditionellen Metaphysik, sondern als verwoben in die Zeitlichkeit. Als Grundbefindlichkeit des Daseins enthüllt «die existenziale Analytik» das Phänomen der Angst. (§ 39, S. 182)

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Auch heidegger unterscheidet in Sein und Zeit zwischen Furcht und Angst. «Das Wovor der Furcht, das ‹Furchtbare›,» schreibt er, «ist jeweils ein innerweltlich Begegnendes von der Seinsart des Zuhandenen, des Vorhandenen oder des Mitdaseins.» (§ 30, S. 140) «Die Umsicht sieht das Furchtbare, weil sie in der Befindlichkeit der Furcht ist. Das Fürchten als schlummernde Möglichkeit des befindlichen In-der-Welt-seins, die ‹Furchtsamkeit›, hat die Welt schon darauf hin erschlossen, daß aus ihr so etwas wie Furchtbares nahen kann.» «Das Worum die Furcht fürchtet, ist das sich fürchtende Seiende selbst, das Dasein. Nur Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht, kann sich fürchten. Das Fürchten erschließt dieses Seiende in seiner Gefährdung, in der Überlassenheit an es selbst.» (§ 30, S. 141) Näherhin treibt die Furcht dazu, noch tiefer an «die besorgte ‹Welt›» und an das Man, an das Gerede, an die Alltäglichkeit zu verfallen. «Entfremdung», «Uneigentlichkeit» und «Sichverfangen» kennzeichnen diese Seinsart des «Absturzes»: «Das Dasein stürzt aus ihm selbst in es selbst, in die Bodenlosigkeit und Nichtigkeit der uneigentlichen Alltäglichkeit.» (§ 38, S. 178) Doch gerade indem die Furcht sich «hinkehrt zum innerweltlichen Seienden als Aufgehen in ihm», zeigt sich nur um so deutlicher, daß die «Abkehr des Verfallens . . . in der Angst» gründet, «die ihrerseits Furcht erst möglich macht.» (§ 40, S. 186) «Wie unterscheidet sich phänomenal», fragt heidegger, «das, wovor die Angst sich ängstet, von dem, wovor die Furcht sich fürchtet?» Seine Antwort: «Das Wovor der Angst ist kein innerweltliches Seiendes. Daher kann es damit wesenhaft keine Bewandtnis haben . . . Nichts von dem, was innerhalb der Welt zuhanden und vorhanden ist, fungiert als das, wovor die Angst sich ängstet.» (§ 40, S. 186) «In der Angst begegnet nicht dieses oder jenes, mit dem es als Bedrohlichem eine Bewandtnis haben könnte. – Daher ‹sieht› die Angst auch nicht ein bestimmtes ‹Hier› und ‹Dort›, aus dem her sich das Bedrohliche nähert. Daß das Bedrohende nirgends ist, charakterisiert das Wovor der Angst. Diese ‹weiß nicht›, was es ist, davor sie sich ängstet . . . – Im Wovor der Angst wird das ‹Nichts ist es und nirgends› offenbar . . .: das Wovor der Angst ist die Welt als solche», oder: «wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst.» (§ 40, 186–187) Es verhält sich in der Angst also gerade nicht so, als begegneten uns in ihr doch wieder nur bestimmte Gefahrenmomente der «Welt», bei denen es durch das Besorgen von Innerweltlichem sein Bewenden haben könnte; vielmehr entdeckt sich in der Angst die «Unbedeutsamkeit des Innerweltlichen». (§ 40, S. 187) «In der Angst versinkt das umweltlich Zuhandene, überhaupt das innerweltlich Seiende. Die ‹Welt› vermag nicht mehr zu bieten, ebensowenig das

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Mitdasein Anderer.» (§ 40, S. 187) Und gerade darin liegt die ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins in der Grundbefindlichkeit der Angst: «Die Angst benimmt . . . dem Dasein die Möglichkeit, verfallend sich aus der ‹Welt› und der öffentlichen Ausgelegtheit zu verstehen. Sie wirft das Dasein auf das zurück, worum es sich ängstet, sein eigentliches In-der-Welt-sein-können. Die Angst vereinzelt das Dasein auf sein eigenstes In-der-Welt-sein.» (§ 40, S. 187) Und ganz im Sinne kierkegaards, auf den heidegger lediglich in einer Fußnote von vier Zeilen verweist (§ 40, S. 190, Anm. 1), heißt es jetzt: «Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens. Die Angst bringt das Dasein vor sein Freisein für . . . die Eigentlichkeit seines Seins als Möglichkeit, die es immer schon ist.» (§ 40, S. 188) Vor allem: «Die Angst vereinzelt und erschließt so das Dasein als ‹solus ipse› (sc. lat.: als «allein selbst», als radikal einsam, d.V).» (§ 40, S. 188) Gleichwohl hilft in der Angst-Einsamkeit nicht die Flucht in die Menge, in «die alltägliche Öffentlichkeit des Man, das die beruhigte Selbstsicherheit, das selbstverständliche ‹Zuhause-sein› in die durchschnittliche Alltäglichkeit des Daseins bringt. Die Angst . . . holt das Dasein aus seinem verfallenden Aufgehen in der ‹Welt› zurück. Die alltägliche Vertrautheit bricht in sich zusammen.» (§ 40, S. 188–189) «Das beruhigt-vertraute In-der-Welt-sein ist ein Modus der Unheimlichkeit des Daseins . . . – Und nur weil die Angst latent das Inder-Welt-sein immer schon bestimmt, kann dieses als besorgend-befindliches Sein bei der ‹Welt› sich fürchten. Furcht», so die Verhältnisbestimmung zur Angst, «ist an die ‹Welt› verfallene, uneigentliche und ihr selbst als solche verborgene Angst.» (§ 40, S. 189) Insofern bietet die Angst die unerhörte Chance, sich selbst in seinem eigenen Sein zu ergreifen. «Allein in der Angst liegt die Möglichkeit eines ausgezeichneten Erschließens, weil sie vereinzelt. Diese Vereinzelung holt das Dasein aus seinem Verfallen zurück und macht ihm Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Möglichkeiten seines Seins offenbar. Diese Grundmöglichkeiten des Daseins, das je meines ist, zeigen sich in der Angst wie an ihnen selbst, unverstellt durch innerweltliches Seiendes, daran sich das Dasein zunächst und zumeist klammert.» (§ 40, S. 190–191) An einer späteren Stelle von Sein und Zeit wird heidegger sagen: Die Angst «enthüllt die Nichtigkeit des Besorgbaren, das heißt die Unmöglichkeit des Sichentwerfens auf ein primär im Besorgten fundiertes Seinkönnen der Existenz . . . Die Angst . . . bringt zurück auf das pure Daß der eigensten, vereinzelten Geworfenheit.» (§ 68, S. 343) «Angst kann sich . . . nicht an ein Besorgbares verlieren. Wenn dergleichen in einer ihr ähnli-

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chen Befindlichkeit geschieht, dann ist es die Furcht, die der alltägliche Verstand mit der Angst zusammenwirft.» (§ 68, S. 344) In summa: «Die Furcht hat ihre Veranlassung im umweltlich besorgten Seienden. Die Angst dagegen entspringt aus dem Dasein selbst. Die Furcht überfällt vom Innerweltlichen her. Die Angst erhebt sich aus dem In-der-Welt-sein als geworfenem Sein zum Tode.» (§ 68, S. 344) Das alles klingt nach kierkegaard und ist es doch nicht. Was die existentiale Analytik der Angst bei heidegger von der Diagnose der Krankheit zum Tode bei kierkegaard unterscheidet, ist als erstes bereits heideggers phänomenologische Herangehensweise: Das «Sein des Daseins» soll «nicht aus einer Idee des Menschen deduziert werden.» (Sein und Zeit, § 39, S. 182) Genau das hatte der dänische Religionsphilosoph versucht, freilich nur um zu zeigen, daß sich die Existenz des Menschen nicht deduzieren läßt – vermöchte sie dies, gäbe es die Angst nicht! Doch weit wichtiger als der methodische Zugangsweg zum Erleben der Angst ist die Tatsache, daß kierkegaard das menschliche Dasein nicht als Philosoph, sondern als Christ betrachtet; zwar borgt er sich das Beschreibungsmuster der menschlichen Existenz bei der idealistischen Reflexionsphilosophie – er hüllt sich damit selbst in den Mantel eines Philosophen, doch handelt es sich dabei gewissermaßen nur um einen Kostümierungstrick; erst einmal in die Hallen der Universitätsphilosophie eingelassen, wirft er sogleich den Mantel ab und demonstriert der doziert-dozierenden Philosophie mit philosophischen Mitteln, daß die menschliche Wirklichkeit sich zwischen Anfechtung und Rettung auf der Ebene des «Glaubens» abspielt, die von keiner «Idee» aus erreicht werden kann. Es ist daher nicht möglich, den Glauben (als eine bloße Vorstellung für das Gemüt) als in seinem Inhalt vernünftig zu denken und damit in die Wahrheit des «Begriffs» «aufzuheben», wie hegel es wollte; auch ein solcher Versuch liefe auf eine bloße Flucht vor der Bestimmung des Selbstseins hinaus: – man ersparte es sich, die Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit in der eigenen Existenz zu setzen. Nach kierkegaard offenbart die Angst, zwischen welche zwei Pole das menschliche Dasein sich alternativisch gestellt sieht: zwischen Verzweiflung oder Glauben (Vertrauen), zwischen ein Mißverhältnis zu sich selbst oder ein Gegründetsein in dem, der das Verhältnis (von Seele und Körper) gesetzt hat. Immer zeigt sich dabei, daß die Geschichte von Adam und Eva in jedem Menschenleben sich wiederholt: immer erst versinkt die menschliche Freiheit aus Angst in Verzweiflung, ehe sie ein Vertrauen lernt, das die Angst überwindet. Die Psychologie von Angst und Verzweiflung wird dadurch zu einer existentiellen Propädeutik (griech.: hinführenden Erziehung) zur christlichen Erlösungslehre.

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Ganz anders heidegger. Er ist kein Theologe, schon gar kein Glaubender (obwohl er etwa die Bibelauslegung von rudolf bultmann, 1884 –1976, oder das Verständnis des Todes bei karl rahner, 1904 –1984, zutiefst beeinflußt hat). Auch er analysiert die Angst als eine Mitgift der Freiheit, auch er beschreibt die Flucht vor der Angst in die Verfallenheit an das Man, auch er erkennt darin die zentrale Verweigerung, ein Selbst zu sein, auch bei ihm legt die Angst die Grundmöglichkeiten des Seins frei: Eigentlichkeit oder Uneigentlichkeit. Und doch ist gerade die Darstellung der «Uneigentlichkeit» des Daseins bei heidegger so etwas wie eine säkulare «Sünden»lehre ohne Erlösung. Es ist der Mensch, der sein Selbstsein aus Angst sich entfremden läßt, und es ist gleichermaßen der Mensch, der sich aus der Verfallenheit zur Eigentlichkeit zurückrufen lassen kann, ganz so, als stünde es selbst nach dem Verlust seiner Freiheit noch immer bei ihm, zu entscheiden, wozu er je sich entwerfen will. An diesem entscheidenden Punkt hatte kierkegaard zu Recht und mit Nachdruck betont, daß eine Freiheit, die an die Angst verlorenging, als Freiheit nicht mehr existiert: Der Deich ist gebrochen, der Meer und Marschland gegeneinander abgrenzen sollte, und nun dringt die Flut herein; und genau so, wenn die Unendlichkeit, welche die Freiheit gegenüber dem Endlichen begründete, sich verzweifelt im Endlichen zu verströmen gezwungen ist. Eine Freiheit, die sich selber gefesselt hat, muß ge- oder erlöst werden durch einen Anderen. Lautet die Diagnose der menschlichen Tragödie Angst und Verzweiflung, so ist ihr mit keiner heideggerschen «Entschlossenheit» und «Erschlossenheit» mehr beizukommen. Dieselbe Feststellung gilt insbesondere für die atheistische Deutung, die jean-paul sartre (1905 –1980) im Erbe heideggers der menschlichen Existenz und damit der Thematik der Angst gegeben hat. In seinem Essay Ist der Existentialismus ein Humanismus? von 1946 akzeptierte der französische Philosoph zwar die kierkegaardsche Einheit von Freiheit und Angst, doch sah er darin nicht mehr als die Gefahr eines möglichen Versteckspiels vor sich selber, mit dem man der persönlichen Verantwortung zu entkommen suche; zu jeder Entscheidung gehöre «eine gewisse Angst», meinte er und fuhr fort: «Alle Führer kennen diese Angst. Das hindert sie nicht, zu handeln.» «Sie (sc. die Angst, d. V.) ist nicht ein Vorhang, der uns von der Tat trennt, sondern sie macht einen Teil der Handlung selber aus.» (In: Drei Essays, 15) Die Verformung der gesamten Persönlichkeit unter dem Druck der Angst – kierkegaards eigentliches Thema – scheint sartre, wie damals auch die Psychoanalyse, einfachhin ignoriert zu haben. (Zu sartres Begriff der Angst vgl. e. drewermann: Strukturen des Bösen, III 201– 203.)

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Vorbehalte gegenüber der Angstberuhigung durch religiöse Scheinsicherheiten hat nicht zuletzt karl jaspers (1883 –1969) vorgetragen, indem er gerade das Angsterleben – kongenial zu kierkegaard – als die Demontage aller vermeintlich objektiven Gewißheiten betrachtete. So gerne sucht der Geängstigte nach einer Festlegung, und doch muß die Angst ausgehalten werden, damit die Existenz für das Sein offen bleibt. «Der Sprung in ein angstloses Sein», schrieb jaspers bereits 1932, «scheint wie eine leere Möglichkeit: ich will springen, aber ich weiß schon, daß ich nicht hinüberkomme, sondern nur in den bodenlosen Abgrund der endgültig letzten Angst versinke. Der Sprung aus der Angst zur Ruhe ist der ungeheuerste, den der Mensch tun kann. Daß er ihm gelingt, muß seinen Grund über die Existenz des Selbstseins hinaus haben; sein Glaube knüpft ihn unbestimmbar an das Sein der Transzendenz.» (Philosophie, III 234 –235) Dieser «philosophische Glaube» «kann nicht Bekenntnis werden. Sein Gedanke wird nicht Dogma. Der philosophische Glaube kennt nicht den festen Halt an einem objektiven Endlichen in der Welt, weil er seine Sätze, Begriffe und Methoden nur benutzt, ohne sich ihnen zu unterwerfen . . . Er gewinnt keine Ruhe in einem Bestand. Er bleibt das Wagnis radikaler Offenheit.» (Der philosophische Glaube, 16–17) Was in jaspers’ Beschreibung sowohl der «Angst» wie des «Glaubens» nicht zum Ausdruck kommt, ist die personale Ausrichtung der Frage, die in der Angst enthalten ist, wie auch in der Antwort, in welcher die Angst sich beruhigen könnte. Der «Glaube», von dem jaspers spricht, geht auf das Sein; doch nötig in der Angst, um Halt zu finden, ist die Person eines Anderen, nicht um sie auf etwas (womöglich Begriffliches) «festzulegen», sondern um im Vertrauen zu ihr Festigkeit zu gewinnen. Spätestens mit dieser Feststellung tritt die dezidiert religiöse Dimension des kierkegaardschen Daseinsverständnisses speziell in seiner Analyse von Angst und Selbstsein offen zutage und verweist doch gerade so auf ein Moment, das in der Psychotherapie im Umgang mit menschlicher Verlorenheit unabdingbar ist: auf das Moment personaler Zuwendung, freilich gesteigert jetzt ins Wesentliche, ins Absolute. Solange es um Furcht geht, mag es ausreichend sein, die Gründe und Hintergründe zu klären, die das «Furchtbare» bedingen; wenn es hingegen um Angst und Verlorenheit geht, genügt es nicht, am Uferrand stehen zu bleiben und dem Ertrinkenden Schwimmunterricht zu erteilen; da muß, wenn Rettung noch sein soll, ein Anderer sich der gleichen Gefahr aussetzen, er muß sich in die Lage des Gefährdeten versetzen, er muß sich ganz für ihn einsetzen. Nur so läßt sich ein Vertrauen aufbauen, das über die Zonen der Angst ein neues Selbstvertrauen begründet und damit überhaupt erst die Kraft

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schenkt, ein eigenes Selbstsein zu wagen. Nur eine Bejahung ohne Bedingung – eine Form reiner «Gnade» – vermag einen solchen Schritt zu ermöglichen. Was in einer Psychotherapie geschieht, hat nichts zu tun mit den denominierten «Religionen» als den Ideologien verfaßter Kirchen; doch wenn Religion fundamental auf das Wissen um die abgründige Verlorenheit des Menschen im Getto der Angst zu antworten sucht und wenn Psychotherapie den Versuch darstellt, mit den Mitteln verstehender Zuwendung den Selbsteinschluß eines verzweifelten Daseins zu öffnen, dann ist Religion nicht ohne eine therapeutische Ausrichtung und Psychotherapie nicht ohne eine religiöse Grundhaltung möglich. Dann ist das menschliche Dasein in seiner Angst als ganzes ein Rufen nach Gott. «Was, wenn er nicht hinabgestarrt hätte!» fragte sören kierkegaard. Wie, lautete versteckt seine eigentliche Frage dabei, wird es im Taumel der Angst möglich, den Blick vom Abgrund weg in die Höhe zu richten und sich in der Weite des Himmels «gehalten» zu fühlen? Wir lassen diese Frage an dieser Stelle offen und halten nur fest, was sich jetzt schon zeigt: In keinem Fall ist die Not des Daseins – mit heideggers Worten – «der ontischen Kenntnis von Seiendem zugänglich». (Sein und Zeit, § 39, S. 182) Selbst wenn, wie so oft, «die Angst ‹physiologisch› bedingt» ist, bedeutet dieses «Faktum . . . in seiner Faktizität ein ontologisches Problem, nicht nur hinsichtlich seiner ontischen Verursachung und Verlaufsform». Denn: «Physiologische Auslösung von Angst wird nur möglich, weil das Dasein im Grunde seines Seins sich ängstet.» (§ 40, S. 190) Wir machen uns nun daran, die «physiologischen» Auslöser und Wirkungsweisen der Angst näher kennenzulernen; doch sollten wir in allem weiteren nicht mehr vergessen, daß diese «Angst . . . im Grunde» sich nicht mit «physiologischen» Mitteln abdrängen oder niederhalten läßt, so selbstverständlich scheinbar von Fall zu Fall sich die Möglichkeiten auftun werden, die Mechanismen der Angstauslösung und der Angstauswirkung durch den Einsatz biochemischer Substanzen zu blockieren oder zu manipulieren. Eines, so wissen wir jetzt, ist die Art, in welcher Angst im Körper sich zeigt, ein anderes aber die Themenstellung des Daseins, auf die sie verweist und aus der sie entspringt. Alle «Furcht», so lernten wir gerade, ist «an die ‹Welt› verfallene . . . verborgene Angst.» Um die «Entbergung» dieser Angst also geht es auch und gerade in jedem therapeutischen Bemühen sowie um die Ermöglichung einer Geborgenheit des Daseins jenseits aller «Welt»«Verfallenheit»; denn um nichts Geringeres ist es zu tun als um die Zurückholung des Selbst aus seiner «Uneigentlichkeit» und «Selbstentfremdetheit» – aus seiner «Verzweiflung». Die Angst vor dem Abgrund der Freiheit des Geistes kann sich nur beruhigen durch das Vertrauen in eine andere Freiheit, die als sol-

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che den Grund des eigenen Daseins bildet. Wenn wir zum Abschluß des 2. Bds. dieser Arbeit zu klären haben, was es besagen will, wenn wir von Selbstbewußtsein, Personsein und Freiheit reden, werden wir auf eben diese Erörterungen über die Angst nachdrücklich noch einmal zurückgreifen müssen.

d) Biopsychologische Mechanismen der Angst Angst, so sehen wir, ist ein Gefühl, das, wie ein Fahrstuhl in einem Hochhaus, durch alle Etagen der menschlichen Seele führt, beginnend mit dem Angsterleben der Tiere, sich verfestigend in den Ängsten der Neurotiker bis hin zu der Angst, die dazu gehört, ein Individuum in Bewußtheit und Freiheit zu sein. Der Beitrag, den die Neurologie zur Erklärung der Angst leisten kann, nimmt dabei erkennbar von unten nach oben hin ab: er ist relativ umfassend auf der Ebene der biologisch vorgegebenen Angstsituationen und Angstreaktionen; er bedarf psychologisch der inhaltlichen Ergänzung und Konkretisierung durch all die Erfahrungen, die in der Psychogenese einer Persönlichkeit von Kindertagen an aufgenommen und biographisch verarbeitet wurden; und er weicht einer philosophisch-religiösen Hermeneutik auf der Stufe geistiger Selbstreflexion. Freilich sind alle drei «Etagen des Hochhauses» miteinander verbunden und in Wechselwirkung zueinander befindlich, und so bedürfen wir der Neurologie nicht nur, um uns «en paterre» zurechtzufinden, sondern um unsere Situation in der Welt insgesamt zu begreifen; denn anders als die phänomenologische Vorgehensweise heideggers, können wir, um die kierkegaardsche «Synthese» zumindest in der «Theorie», in der Sicht auf den Menschen, vorzubereiten, die evolutive Herkunft und die neuronale Grundlage der menschlichen Furcht beziehungsweise Angst nicht einfach als eine «Hintertreppenfrage» «ausklammern»; wir können im Gegenteil gar nicht genug an zugänglichem Wissen über dieses so wichtige Thema, das mittelbar oder unmittelbar sich mit allen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen verbindet, in Erfahrung bringen. Selbst wer – in stolzem Besitz nun des heideggerschen Vokabulars zur existentialen Analytik der Angst als einer Grundbefindlichkeit des Daseins – die Zugangswege der Neurophysiologie zum Verstehen von Furcht oder Angst als bloß «ontische» für «primitiv» oder «rudimentär» zu halten geneigt sein sollte, wird doch im Umgang mit Angstkranken aller Couleur sehr bald der Unzulänglichkeit, wo nicht der völligen Hilflosigkeit eines nur «logotherapeutischen», «daseinsanalytischen» oder religiös-«seelsorglichen» Behandlungsansatzes geständig sein müssen; auch verhaltenstherapeutische oder

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psychoanalytische Heilungsmethoden, die der Sache nach «tief» genug anzusetzen versuchen, werden, allein auf sich gestellt, der Angstproblematik ihrer Patienten oft nicht gewachsen sein und spätestens dann dankbar auf den Beistand von Psychiatern und Neurologen zurückgreifen. Gerade im Bereich der Gefühle zeigt sich, daß die menschliche Psyche in all ihren «Erscheinungsformen» eine Einheit bildet; auf welcher «Etage des Hochhauses» jeweils zuerst Hilfe benötigt wird, hängt gewiß von der jeweiligen «Problemlage» ab, sprich: von der Stelle, an der für einen Einzelnen der Leidensdruck am größten ist; doch vergessen dürfen wir nicht, daß etwas, das im dritten Stockwerk «sich zeigt», seine Ursachen im «Keller» haben kann und umgekehrt. Was also passiert in unserem Gehirn, wenn wir uns fürchten oder (was im folgenden begrifflich nicht mehr unterschieden wird) wenn wir Angst haben?

α) Die Bedeutung der frühen Kindheit Wir hörten bereits, daß Angst (oder Furcht oder Schrecken) zu den «Basisemotionen» zählt, und wir lernten ferner, daß der «Sinn» von Emotionen unter anderem darin besteht, Signale der Verständigung im Umgang mit Artgenossen zu erzeugen, – das Auf-sich-zurückgeworfen-sein der Angst in der existentialistischen Interpretation des Daseins stellt auch unter diesem Betracht eine Grenzbestimmung dar. Die Neurologie kann uns als erstes helfen, jene These aus Ethologie und Ethnologie bezüglich der Angstthematik zu vertiefen; sie zeigt im gleichen auch, wie recht die Psychoanalyse sah, als sie die Ängste im neurotischen Erleben auf bestimmte Erfahrungen bereits im Kindesalter zurückführte. Schon die Sichtweise der Ethologie ist recht differenziert. Verhaltensbiologen unterscheiden gemeinhin die Kindheit von Tieren, je nach der Länge der Abhängigkeit der Jungtiere von den Eltern, nach den Kategorien Nesthocker oder Nestflüchter – zwei Begriffe, die lorenz oken (1779 –1851) eingeführt hat: Nesthocker sind danach Singvögel, Kaninchen, Mäuse, Katzen usw., Nestflüchter sind Hühner, Feldhasen, Huftiere, Meeressäuger. Dazwischen bestehen (natürlich, wie bei allen nur beschreibenden Klassifikationen) Übergänge – die Begrifflichkeit wird widersprüchlich. So sprach adolf portmann (1897–1982) bei der Entwicklung eines Menschenkindes von einem «extrauterinen Frühjahr», das seiner Meinung nach die Sonderstellung unserer Art begründen sollte (Biologische Fragmente zu einer Lehre vom Menschen, 1944; 31969; ders.: Die Bedeutung des ersten Lebensjahres, 1964, in: Zoologie aus vier Jahrzehnten, 297– 311; ders.: Die Stellung des Menschen in der Natur,

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1964, in: A. a. O., 312 –336, bes. S. 323– 330); mit dieser Grundannahme verbanden dann Anthropologen beziehungsweise Philosophen wie arnold gehlen (1904 –1976) in seinem Buch Urmensch und Spätkultur aus dem Jahre 1956 das Konzept eines «Hiatus» (lat.: Kluft) zwischen den an sich vorhandenen Triebbedürfnissen eines Kindes und seinem Unvermögen, die eigenen Wünsche selber zu befriedigen; die gesamte menschliche Kultur sollte in Gestalt der kindlichen Erziehung als Paßform in diese «Kluft» zwischen Antrieb und Befriedigung gefügt sein. Eher an der Beobachtung orientiert und weniger speziell auf den Menschen bezogen, sprach bernhard hassenstein (geb. 1922) in seinem Buch Verhaltensbiologie des Kindes aus dem Jahre 1973 von Traglingen, um eine Kindheitsform zu beschreiben, in der ein noch hilfloses Junges von einem Muttertier in ständiger Begleitung «herumgetragen» wird, wie es bei Koalabären oder auch bei Affen und eben bei Menschen der Fall ist. Diese «Traglingsphase gestattet den Ausbau einer besonders weitgehenden und differenzierten Individualbeziehung zwischen Mutter und Kind. Sie fordert allerdings auch, daß der Ausbau dieser Beziehungen ungestört verlaufen kann. Störungen führen zu einer Vielzahl oft tiefgreifender Entwicklungsschäden des Kindes». (dietmar todt: Sozialverhalten, in: D. Todt: Biologie, II 294– 295) Es versteht sich nach dem Gesagten eigentlich bereits von selbst, daß insbesondere die in Kindertagen erlernten Ängste für das weitere Leben «prägend» sein werden. Zwei Szenen aus Versuchen, die harry frederick harlow (1905 – 1981) bereits in den 50er Jahren des 20. Jhs. durchführte, belegen diesen Sachverhalt auf erschütternde Weise. (harry f. harlow – margaret harlow: Das Erlernen der Liebe, in: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 20/1971, 225 –234; vgl. bes. emil schmalohr: Frühe Mutterentbehrung bei Mensch und Tier, 117–145.) Abb. B 107 zeigt das Bild eines sechs Monate alten Rhesusaffen, der kurz nach der Geburt von seiner Mutter getrennt wurde und in totaler Isolation aufwachsen mußte. Wenn man die situative Angst unseres herrenlosen Hundes im Bahnhof sich zum Grundgefüge eines ganzen Lebens erweitert vorstellt, so hat man ein gutes Bild für das Erleben eines derart verlassen aufgewachsenen Primatenkindes. Derartige kaspar hauser-Versuche (nach dem Findelkind kaspar hauser, das um 1812 zur Welt kam, 1828 in Nürnberg auftauchte und 1833 ermordet wurde) lassen ein Tier zurück, das sich voller Angst in die Ecke seines Käfigs drückt, so als könnten die Wände den Körper seiner Mutter ersetzen, und das seine Hände um Kopf und Schultern legt, als vermöchte es selbst sich die Geborgenheit und den Schutz zu vermitteln, deren es seit seiner Geburt entbehren

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Abb. B 107: Rhesusaffenjunges im Alter von sechs Monaten, das man in vollkommener Einsamkeit aufwachsen ließ

mußte. Wer das Bild dieses Tieres sieht – dessen Augen leider zu dunkel wiedergegeben sind, um seine elementare Trauer und Verzweiflung wirklich wahrnehmen zu können –, wird sich unwillkürlich fragen, was aus einem Menschen psychisch werden mag, der als Kind unter vergleichbaren Umständen (Krieg, Flucht, Vertreibung oder «ganz einfach»: bei einer durch Erkrankung oder Ganztagsarbeit überforderten alleinerziehenden Mutter) aufwachsen mußte; und er wird (hoffentlich!) zugleich sich auch fragen, ob diese einzigartige Quälerei, welche harlow diesem Rhesusaffenjungen auferlegte, nicht ein für allemal ein Fanal setzen müßte, nie wieder einem Tier, das so menschenähnlich zu leiden vermag, eine derart unmenschliche Behandlung aufzuzwingen. Doch harlow zeigte noch mehr. In Abb. B 108 sehen wir ein Rhesusaffenjunges, das nicht in einem völlig leeren Käfig aufwuchs, sondern mit zwei Mutterattrappen: mit einer «Drahtmutter», bei der eine Nahrungsquelle angebracht war, und mit einer «Fellmutter», an die es sich anklammern konnte. In den Filmen, welche harlow drehte, ist es erschütternd zu sehen, wie das Junge bei «Gefahr» (einem schreckliche Geräusche erzeugenden, mit Blinklicht versehenen «Spielzeug»roboter) bei der

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Abb. B 108: Rhesusaffenjunges mit zwei Mutterattrappen

«Fellmutter» Zuflucht sucht und, wie das untere Bild zeigt, nur von ihr aus Kontakt zu den Gegenständen seiner Umgebung aufnimmt. Wichtiger noch als Hunger und Durst ist offenbar die Sehnsucht nach Geborgenheit und «Wärme». (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 117–118.) «harlow meint, daß sicherlich auch der Mensch nicht allein von Milch leben kann.» (emil schmalohr: Frühe Mutterentbehrung bei Mensch und Tier, 127) Inzwischen sind die «Versuche» am harlow-Primatenlaboratorium in Wis-

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consin weitergegangen, und sie haben – zumindest manchmal – eine Form angenommen, die, ohne von vornherein derart quälerisch zu sein, im Grunde aussagekräftiger erscheint als die monströsen Hospitalisierungsexperimente seines Gründers. So haben ned h. kalin und steven e. shelton seit den 80er Jahren des 20. Jhs. erforschen wollen, wann überhaupt – in einer mit dem menschlichen Erleben vergleichbaren Weise – Affen Angst bekommen, in welchem Alter die Tiere Bedrohungen als solche registrieren und wie sie darauf reagieren. Wenn wir uns noch einmal in Abb. B 88 die Mimik von Primaten in spezifischen emotional gestimmten Augenblicken anschauen und an die verschiedenen Grundformen der Angst denken, so liegt es nahe, die folgenden drei Situationen nachzuspielen: Affen, die im Alter zwischen sechs bis zwölf Monaten zeitweilig von ihrer Mutter getrennt wurden, ließ man für zehn Minuten in ihrem Käfig völlig allein – die Verlassenheitsangst; ein Mitarbeiter stellte sich regungslos vor den Käfig, ohne das Affenjunge anzublicken – eine Unheilgewärtigungssituation; ein anderer Mitarbeiter fixierte regungslos das Tier mit seinen Blicken – die Angst angesichts eines möglichen Beutegreifers. Alle drei Situationen kommen im Prinzip auch im «normalen» Leben vor; wie also würden die Tiere reagieren? (Vgl. ned h. kalin: Neurobiologie der Angst, in: Gehirn und Bewußtsein, 88– 91.) Abb. B 109 zeigt, welche Formen des Angstverhaltens die drei verschiedenen Situationen bei jungen Rhesusaffen ab Ende des zweiten Lebensmonats auslösen. Läßt man ein Junges allein, so verhält es sich sehr lebhaft und unruhig – es macht auf sich aufmerksam und stößt «kuuh»-Rufe aus, die das Muttertier herbeilocken sollen; in der zweiten Situation verharrt das Junge selber bewegungslos, es sitzt wie erstarrt, offenbar um nicht entdeckt zu werden, oder es geht hinter irgendeiner Sichtblende in Deckung; in der dritten Situation – dem starren Angeblicktwerden (wie von einem Raubfeind und zudem ohne Fluchtmöglichkeit) – gehen die Tiere zu einer Droh- und Abwehrreaktion über. Wohlgemerkt haben wir schon bei der Untersuchung unseres Sehsystems gelernt, wie eng die Entwicklung der Augen mit der Verbesserung der Strategien zum Aufspüren von Beute – und zum Ausweichen vor Beutegreifern – zusammenhängt, und so kann es uns nicht verwundern, daß Augen sogar schon von Krebsen, Fischen, Eidechsen und Vögeln als Gefahrensignal gewertet werden. (Vgl. ned h. kalin: Neurobiologie der Angst, in: Gehirn und Bewußtsein, 90– 91.) Allerdings müssen junge Rhesusaffen erst ein gewisses Alter erreichen, um zu koordinierten Aktionen fähig zu sein.

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Abb. B 109: Drei Reaktionen eines Rhesusäffchens in Verlassenheit, Unheilgewärtigung und Bedrohtheit

Denn wie sich zeigte, bedürfen die Tiere einer gewissen Stufe der Entwicklung ihrer motorischen Fähigkeiten, um einigermaßen «gezielt» reagieren zu können. «Erst die neun bis zwölf Wochen alten Versuchstiere verhielten sich unter den drei Bedingungen jeweils der Situation angemessen . . . Demnach wäre dies das kritische Alter, in dem ein Affe die Fähigkeit erlangt, verschiedenen bedrohlichen Ereignissen mit spezifischem defensivem Verhalten zu begegnen.» (ned h. kalin: Neurobiologie der Angst, in: Gehirn und Bewußtsein, 90)

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Abb. B 110: Die drei wesentlichen Hirnregionen, die für die neuronale Kontrolle angstbedingten Verhaltens zuständig sind: präfrontaler Cortex, Amygdala und Hypothalamus

Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet natürlich, welche Hirnstrukturen eigentlich funktionell ausgereift und miteinander verbunden sein müssen, um das Empfinden von Angst zu regulieren. Bei Nagetieren ebenso wie bei Primaten (und Menschen) ergibt sich, daß es im wesentlichen drei Regionen sind, die ein situationsgerechtes Angstverhalten ermöglichen: a) der präfrontale Cortex mit seinen kognitiven wie emotionalen («limbischen») Funktionen, b) die Amygdala, als der eigentliche «Ort» der Angstentstehung, und c) der Hypothalamus, der das Startsignal für die Aktivierung der «Streßachse» gibt. (Vgl. ned h. kalin: Neurobiologie der Angst, in: Gehirn und Bewußtsein, 90– 92.) Abb. B 110 führt diese drei Hirnstrukturen in einer Schemazeichnung auf, die so tut, als sei das Gehirn, vor allem der Temporallappen, «durchsichtig». Wie man sieht, verbindet sich die Einschätzung einer Gefahr durch den präfrontalen Cortex mit der Auslösung entsprechender Gefühle im limbischen System, zu dem die Amygdala und der Hippocampus gehören, sowie mit dem Hypothalamus, der Informationen von der präfrontalen Rinde, von der Amygdala und vom Hippocampus erhält (vgl. auch Abb. B 95); der Hypothalamus

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dann veranlaßt die Sekretion von Hormonen aus der Hypophyse (der Hirnanhangdrüse); er steht damit am Anfang einer Hormonkaskade, wie sie für die Körperfunktionen einer Angstreaktion kennzeichnend ist. (Vgl. ned h. kalin: Neurobiologie der Angst, in: Gehirn und Bewußtsein, 90– 92.) Entwicklungsphysiologisch wie entwicklungspsychologisch entscheidend ist die Feststellung, daß bei Rhesusaffen just im Alter von neun bis zwölf Wochen die Synapsenbildung im präfrontalen Cortex, im limbischen System (Amygdala und Hippocampus) sowie in den motorischen und sensorischen (insbesondere den visuellen) Arealen am stärksten ist. Adäquate Angstreaktionen sind das Ergebnis ausgereifter Hirnstrukturen, und diese wiederum stellen die hirnorganisch repräsentierte Antwort auf alle möglichen Szenarien von Angst dar. Bei Menschenkindern vollzieht sich die Reifung der entsprechenden Hirnareale etwa im Alter von sieben bis zwölf Monaten; – die schon genannte Acht-Monats-Angst (das «Fremdeln») erklärt sich von daher. Die Verzögerung der Fähigkeit eines Jungtiers, auf Angstsituationen zu reagieren – bei Rhesusaffen um rund zwei Monate, bei Menschen um etwa acht Monate –, mag unter dem Aspekt einer effizienten Überlebensstrategie als fatal erscheinen – sie rechtfertigt sich gleichwohl «neuronal»; denn die «Streßachse» mit der ihr eigenen Ausschüttung von Glucocorticoiden darf erst in Funktion treten, wenn die neu sich ausbildenden Neuronen – vor allem diejenigen mit NMDA-Rezeptoren – und ihre Verschaltungen durch die Wirkung des Streßhormons Cortisol nicht mehr schon auf den ersten Stufen ihrer Entwicklung geschädigt werden können. (Vgl. Abb. B 13.) Angst darf man, so betrachtet, eigentlich erst erleben, wenn man damit umzugehen versteht; freilich, wo sonst würden die Natur und der Gang der Welt sich nach den Möglichkeiten und den Bedürfnissen einer individuellen Psyche richten? Hinzu nehmen muß man, daß ein Junges, das als ein harlow-Äffchen groß wird, in seiner Angst zwischen Freund und Feind zunächst nicht wird unterscheiden können: jede Annäherung wird ihm als bedrohlich erscheinen, es wird in steter Fluchtbereitschaft oder Angriffsneigung sich halten und nur schwer, wenn überhaupt, zu zähmen sein. Oder anders gefragt: Wieviel Zärtlichkeit und Zuwendung bräuchte das Rhesusaffenkind von Abb. B 107, um die Anwesenheit eines anderen, die es eigentlich sucht, als erträglich, entlastend, gar als wünschenswert zu empfinden? Der psychisch nur allzu verständliche Selbsteinschluß der Angst kann noch verstärkt werden durch den Einfluß der Mutter. Wir sahen früher bereits, daß es möglich ist, die Stärke des Streßerlebens direkt aus dem Cortisolspiegel im Blutserum abzuleiten (vgl. Abb. B 13); – und nun haben Versuchsreihen an Rhesusaffen gezeigt, daß Jungtiere im Verlauf «des ersten Lebensjahres ihren

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Müttern in den hormonellen Reaktionen und Verhaltensweisen immer ähnlicher» werden: «Im Alter von etwa fünf Monaten verändert sich in Stress-Situationen ihr ACTH-Spiegel ganz entsprechend dem der Mutter, und mit einem Jahr dauert auch das reglose Kauern (sc. das Erstarren beim Anblick eines reglosen möglichen Feindes ohne Augenkontakt, d. V.) relativ genauso lange.» (ned h. kalin: Neurologie der Angst, in: Gehirn und Bewußtsein, 92 –93) Eine «biologische» Deutung dieser Tatsache wird am ehesten genetische Faktoren favorisieren; Psychoanalytiker indessen werden geneigt sein, in diesem Stadium bereits von einer Symptomtradition zu sprechen: Ängstliche Mütter ziehen ängstliche Kinder groß. Das ist – erneut – eine Binsenweisheit. Doch die Umkehr dieses Satzes ist in gewissem Sinne wieder erschreckend: Kinder können nicht anders, als sich in der Angst ihrer Mütter zu ängstigen. «Normalerweise» liegt darin einer der wichtigsten Schutzmechanismen, um unerfahrene Jungtiere in einer ihnen unbekannten Welt vor dem Schlimmsten zu bewahren; doch im Falle «neurotischer» Störungen können, ja, müssen die gleichen Prozesse, die schon das Leben und Erleben der Mutter irritierten, das ganze weitere Leben eines Kindes empfindlich belasten. Für Therapeuten wie Pädagogen ruft dieser Zusammenhang zudem noch einmal machtvoll eine Einsicht in Erinnerung, wie wir sie zuvor bereits bei der Besprechung von Lernvorgängen und Emotionen gewonnen haben: Kinder (und Erwachsene) lernen ihr Verhalten nicht durch Ermahnungen und Vorschriften, sondern durch Vorbilder, deren Betragen sie, inklusive der dazugehörigen Gefühle, in die eigene Lebensführung und in das eigene Lebensgefühl übernehmen. Schon in den 70er Jahren sprachen martin e. p. seligman (geb. 1942) und steven f. maier von «erlernter Hilflosigkeit» (Erlernte Hilflosigkeit; engl.: Helplessness. On Depression, Development and Death, 1975), um die Gefühlslage und das Verhalten mancher Depressiver zu begründen. Erlernte Hilflosigkeit entsteht, wenn ein Mensch «über längere Zeit hinweg unangenehmen Reizen ausgesetzt ist, die er weder vorhersehen noch kontrollieren kann. Man hat beobachtet, dass Tiere, die dieser experimentellen Anordnung unterworfen waren, auf lange Zeit hinaus in ihrer Fähigkeit beeinträchtigt waren, unter nachfolgenden Versuchsbedingungen angemessene Leistungen zu erbringen. Darüber hinaus stieg die Aktivität der Nebennierenrinde bei diesen Versuchstieren viel deutlicher an, wenn sie mit neuen Reizen konfrontiert wurden, als dies bei Kontrolltieren geschah. Folglich reagiert ein Organismus, der sich einer Reihe unkontrollierbarer und unvorhersagbarer unangenehmer Reize ausgesetzt sieht, nicht nur unter diesen Bedingungen mit einem drastischen Anstieg der Nebennierenrindenaktivität, sondern er entwickelt auch Langzeitdefizite, die

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sich unter völlig anderen Testbedingungen zeigen.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 212) Wie weitreichend die Folgerungen aus diesem Ansatz für das Verständnis psychosomatischer und psychoneurotischer Erkrankungen sind, werden wir im 2. Bd. des vorliegenden Buches sehen. Daß Vorbild und Nachbild im Verhalten von Mutter und Kind sich bereits in der frühen Kindheit einander angleichen, stellt im Grunde ein Ergebnis der innerartlichen Funktion von Gefühlen als körperbezogenen Verhaltenssignalen im Sinne darwins dar: Wir sollen auf die Gefühle anderer mit eigenen (passenden) Gefühlen antworten; – darin liegt der biologische Grund dafür, daß der Reichtum des Gefühlshaushaltes überhaupt entwickelt wurde; und zweifellos zählt es zu den erstaunlichen Tatsachen des Lebens, daß wir Gefühle von Trauer, Schmerz oder Freude bei höheren Säugetieren (unserem Hund, unserer Katze, bei unserem Pferd), aber auch bei unserem Grauohrsittich oder bei einer Taube recht gut erkennen können. Die wechselseitige emotionale Abstimmung geht so weit, daß es genügt, einem wütenden Gesichtsausdruck zu begegnen wie in Abb. B 89, und es zuckt in unserem eigenen Gesicht unwillkürlich und unbewußt ein entsprechender Muskel. (Vgl. arne öhman: Erlernte Angst, in: Spektrum der Wissenschaft, Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 79.) Die Konsequenzen, die sich ethisch aus dieser «Universalität» der Gefühle weit über die Artgrenzen der Species des Homo sapiens hinaus für unseren Umgang mit den Kreaturen an unserer Seite ergeben sollten, sind kaum anders zu formulieren denn als eine «ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt». (albert schweitzer: Kultur und Ethik, 332) Sind aber Ergebnisse der Verhaltensforschung bei Tieren ohne weiteres auf Menschen übertragbar? mag man sich fragen. Die Rhesusaffen-Experimente sind es anscheinend in vollem Umfang, nur daß die Entwicklung von Menschenkindern, wie gesagt, langsamer vor sich geht als die von Affenkindern. Auch haben wir früher schon anläßlich der in einer «armen» Umwelt aufgezogenen Ratten in dem Versuch von mark richard rosenzweig und david krech gesehen, welch eine Wirkung «soziale Deprivation» (lat.: Entzug, Beraubung, Mangel) bis ins Meßbare des Gehirngewichts haben kann. Bei Menschenkindern hat bereits vor 60 Jahren rené arpad spitz (1887–1974) das Hospitalismussyndrom beschrieben, unter dem Kinder leiden, die schon im ersten Lebensjahr von ihrer Mutter getrennt werden; daß solche Kinder auch später zu Angstzuständen und Verhaltensstörungen neigen, kann kaum verwundern. «Denn fehlende Körperkontakte . . . und emotionale Vernachlässigung schaden dem Säugling und bewirken möglicherweise ein Trauma, das zu einer frühen Entwicklungsstörung führen kann, aber auch drastische Veränderungen in neu-

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ronalen Netzwerken auslösen dürfte, welche die traumatischen Stresserfahrungen im Gehirn festschreiben». (johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 22) Abb. B 111 versucht, ein psychodynamisches Modell von Angststörungen und Panikattacken schematisch darzustellen. Ein Standardwerk der psychoanalytischen Kinderpsychologie stellten vor 30 Jahren die Arbeiten von donald woods winnicott (1896 –1971, Reifeprozesse und fördernde Umwelt, 1974; Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse, 1976) dar, mit der These, daß die Beziehung eines Kindes zu seiner Mutter in den ersten Lebensmonaten für seine Entwicklung die größte Bedeutung besitze; nur eine Mutter, die «gut genug» sei (engl.: a good enough mother), könne die Trennungsängste eines Kindes verringern und ein entsprechendes Vertrauen des Kindes in seine Umwelt und zu sich selbst ermöglichen. Doch welch eine Mutter hat es schon in der Hand, «gut genug» für ihr Kind zu sein? Und was heißt schon «gut genug»? Wenn ein Kind sich gut entwickelt, war die Mutter offenbar «gut genug», wo nicht, war sie es nicht – solch eine «Begründung» bezeichnet man in der formalen Logik als eine petitio principii (lat.: als Einfordern der Grundbehauptung, als Ankunft am Ausgangspunkt) oder als einen circulus vitiosus (lat.: als fehlerhaften Zirkelschluß). Doch es geht hier auch nicht um die Festlegung von Meßwerten, nach denen sich ablesen ließe, was «an sich» gut genug im Verhältnis von Mutter und Kind ist; es kommt darauf an, ob ein Kind die Beziehung zu seiner Mutter als «zuträglich» oder «abträglich» erlebt. So wie beim assoziativen Lernen der subjektive Faktor der Erwartung eines Ergebnisses nicht vernachlässigt werden darf, so bildet in der frühen Kindheit das subjektive Gefühl und Empfinden des Heranwachsenden offenbar das einzig taugliche Richtmaß. Dann aber sprechen die Fakten eine überdeutliche Sprache. Denn nicht nur die Hirnentwicklung – auch die Körperentwicklung wird durch die Faktoren Angst und Streß nachhaltig beeinträchtigt. So berichtete der Endokrinologe robert m. sapolsky (geb. 1957) davon, daß bei einem von ihm untersuchten Waisenkind mit Zwergenwuchs die Blutwerte des hypophysären Wachstumshormons außerordentlich niedrig waren; als dann eine mütterlich wirkende Pflegeperson sich des Kindes annahm, stiegen auch die Blutwerte an; sie fielen wieder ab, als die Pflegerin in Urlaub ging, und sie nahmen erneut zu, als sie wiederkam. Offenbar war der Zwergenwuchs «psychosozialer Natur» und die direkte Folge von mangelnder Zärtlichkeit und zu geringer Zuwendung. (Vgl. robert m. sapolsky: Warum Zebras keine Migräne kriegen, 89– 90.) Wenn carl gustav jung (1875 –1961) die These von der Existenz eines «Mutterarchetyps» aufstellte (Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetyps, in: Ge-

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Abb. B 111: Psychodynamisches Modell der Generalisierten Angststörung (GAS)

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sammelte Werke, IX 1, S. 89 –123), so beschrieb er damit offenbar völlig richtig die vorgegebene Bedürftigkeit eines jeden Säuglings in seinen ersten Entwicklungsmonaten – während der «sensitiven Phase» seiner Kindheit; und man wird dem schweizer Tiefenpsychologen auch darin zustimmen, daß die Bedeutung des «Mutterarchetyps» in Verbindung mit den frühkindlichen Erinnerungen sich im späteren Leben anscheinend auf andere Personen übertragen und durch neue Erfahrungen erweitern, in ihrer psychischen Dynamik aber nicht auslöschen läßt. Wenn Angst mithin bereits in der frühen Kindheit einen entscheidenden psychosomatischen Faktor darstellt, wie sehen dann die neurophysiologischen Mechanismen der Angst aus, daß sie sich mit der Endokrinologie so eng verbinden können?

β) Die Rolle der Amygdala Die Antwort auf diese Frage haben wir im Grunde schon gegeben, indem wir immer mal wieder, doch bisher stets mehr andeutend als erklärend, von der Streßachse sprachen. Wir wissen auch schon vom Sympathicus als dem Notfallsystem auf Streß aller Art. Wir haben gehört, daß er im Ernstfall über eine Zunahme des Energieverbrauchs die Handlungsbereitschaft erhöht. Wir haben gleichfalls erwähnt, daß Streß zur Sekretion von Adrenalin und Noradrenalin (NA) aus dem Nebennierenmark führt und die Ausschüttung von Glucocorticoiden, besonders von Cortisol, aus der Nebennierenrinde fördert. Hingewiesen haben wir auch bereits auf die Bedeutung des papez-Kreises innerhalb des limbischen Systems für die Erzeugung von Gefühlen, inklusive des Gefühls der Angst (vgl. Abb. A 24). Kennengelernt haben wir zudem schon die Theorie von joseph e. ledoux speziell zu dem Gefühl der Furcht (vgl. Abb. B 90 und B 91). Damit verfügen wir im wesentlichen über alle Bauteile, die für eine neurologische Begründung des Angsterlebens nötig sind, und wir müssen die entsprechenden Hirnstrukturen und ihre Funktionen jetzt nur noch «richtig» zusammenordnen. Also der Reihe nach im einzelnen. Am einfachsten beginnen wir bei der Darstellung der «Psychoendokrinologie» der Angst noch einmal ganz vorne mit einer Entdeckung des schon mehrfach genannten walter bradford cannon (1871–1945) und seiner Theorie von der «Notfallreaktion». Im Jahre 1911 hatte cannon entdeckt, daß Gefühle von Angst und Ärger den Adrenalinspiegel, aber auch die Blutwerte für Glucose hochtreiben, sogar so hoch, daß Zucker im Urin ausgeschieden wird. Um diese Feststellung zu treffen, hatte es ihm genügt, eine Katze in einem Käfig mit

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einem wütend kläffenden Hund zu konfrontieren und dann die Blutwerte des Tieres zu untersuchen. Als cannon umgekehrt einer anderen Katze intravenös Adrenalin spritzte, stieg auch bei ihr der Blutzuckerspiegel derart an, daß sie Zucker im Urin ausschied. Der Grund dafür ergibt sich daraus, daß Adrenalin den Abbau von Glykogen (griech.: glykýs – süß, Zucker; lat.: generare – erzeugen) in Leber und Skelettmuskeln zu Glucose sowie die Ausschüttung von Glucose aus den Leberzellen fördert. Auf diese Weise wird in einer Notfallreaktion Energie bereitgestellt. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 55; 73; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1163; 1165.) Auch bei «Menschen wird vor allem Adrenalin ausgeschüttet, aber auch eine kleine Menge an Noradrenalin». (richard f. thompson: Das Gehirn, 203) An der Ausschüttung dieser beiden Streßhormone liegt es, daß unser Herz bei Angst zu rasen beginnt, daß der Blutdruck sich erhöht, daß wir einen trockenen Mund bekommen und schweißnaß an den Händen und in den Achselhöhlen werden. (Vgl. richard f. thompson: A. a. O., 203.) Wir wissen schon, daß sich in der Folgezeit eine ganze Reihe von Forschungsprojekten der Frage gewidmet haben, wo im Gehirn der Angstalarm ausgelöst wird, der dann in Flucht oder Angriff (engl.: in flight or fight – «abhauen oder draufhauen») den erhöhten Energiebedarf fordert. Zum Beispiel können wir in diesem Zusammenhang an den Versuch von walter r. hess (1881–1973) Anfang der 40er Jahre erinnern, in dem er herausfand, daß eine elektrische Reizung in einem bestimmten Areal des Hypothalamus bei einer Katze zu Ärger und Abwehrverhalten führt; ein derart «behandeltes» Tier beißt in beliebige Gegenstände, um seine Wut abzureagieren; die Wutausbrüche können dabei rasch in Angst und in Fluchtreaktionen umschlagen. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 74.) Offenbar sind es also Signale aus dem Zwischenhirn, die den Hormonhaushalt verändern. Doch wie geschieht das und warum? Abb. B 112 gibt einen schematischen Überblick darüber, wie und wozu Streßreize über den Hypothalamus (des Zwischenhirns) das Nebennierenmark und die Nebennierenrinde aktivieren. Wenn wir in der Abb. B 112 verfolgen wollen, wie die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin vor sich geht, brauchen wir bloß daran zu erinnern, wie die präganglionären Neuronen im Rückenmark funktionieren (vgl. Abb. A 75), nur daß es im Nebennierenmark keine postganglionären Neuronen gibt. «Stattdessen bilden die präganglionären Axonendigungen mit Drüsenzellen in der Medulla (sc. lat.: im Mark, d. V.), die man (sc. wie wir bereits wissen, d. V.) chromaffine Zellen nennt, Synapsen aus. Wenn die chromaffinen

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Abb. B 112: Die durch den Hypothalamus vermittelten Reaktionen auf Streßreize

Zellen durch die präganglionären Neuronen aktiviert werden (durch Freisetzung von ACh), geben sie Noradrenalin und Adrenalin direkt in den Blutstrom ab.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 203) Die meisten der mit der Notfallreaktion über Adrenalin und Noradrenalin verbundenen «Effekte stellen sich auch durch direkte Wirkung des sympathischen Nervensystems auf die Zielorgane ein. Die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin durch das Nebennierenmark verstärkt diese Wirkungen. Das Nebennierenmark», meint deshalb richard f. thompson, «ist im Grunde genommen ein Glied des sympathischen Anteils des autonomen (sc. vegetativen, d. V.) Nervensystems, obwohl es sich in mancher Hinsicht wie eine endokrine Drüse verhält.» (A. a. O., 203)

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Und etwas zweites lernen wir aus Abb. B 112: Um zu verstehen, was bei Streß im Körper geschieht, gilt es demnach wesentlich, die biochemischen Wirkungen der Catecholamine Adrenalin und Noradrenalin (NA) sowie der Glucocorticoide, besonders des Cortisol, zu untersuchen. Wir sehen, daß im Falle von Streß die Blutzuckerwerte nicht nur durch die Ausschüttung des Adrenalin und des NA ansteigen, sondern auch durch die Ausschüttung von Glucocorticoiden, allen voran Cortisol, welche die Bildung von Glucose aus Proteinen und Fetten fördern. (Vgl. neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1163 – 1165.) Dieser enorme Anstieg der Blutzuckerwerte bei Angst und Ärger wurde von hans selye (1907–1982) in den 50er Jahren des 20. Jhs. im Rahmen seines Paradigmas vom Streß als eine Anpassungsreaktion auf physische und psychische Belastungen gedeutet. Streß kann dabei vieles sein: langanhaltender Schmerz, Lärm, Mobbing unter Nachbarn, ständige Konkurrenz um den Erhalt des Arbeitsplatzes, Prüfungsängste, Scheidung oder Tod eines Angehörigen . . . In jedem Falle gehen alle diese Streßauslöser einher mit hohen Blutwerten von Glucose, Adrenalin und NA sowie Glucocorticoiden. Diese wiederum beeinflussen viele körperliche Krankheiten, wie zum Beispiel Diabetes (von griech.: diabaínein – hindurchgehen; Harnruhr), Bluthochdruck und Schlaganfall, so daß, wie wir noch sehen werden, chronischer Streß als eine Hauptursache für psychosomatische Erkrankungen und Depressionen gilt. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 504; richard f. thompson: Das Gehirn, 205.) Bei all dem müssen wir uns bewußt bleiben: «Streß ist ein subjektives Phänomen. Die Rate der Cortisolsekretion ist erstaunlich empfindlich gegenüber psychischen Faktoren. Eine scheinbar unbedeutende Erfahrung wie ein Umgebungswechsel kann bei Ratten einen massiven Anstieg der Corticosteronfreisetzung auslösen (das Corticosteron von Ratten ist dem menschlichen Cortisol analog). Geht ein Mensch an Bord eines Flugzeugs, so steigt die Cortisolausschüttung oft gewaltig.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 209) In Tierversuchen ist die dramatische, nicht selten tödliche Wirkung von Streß in allen möglichen Situationen untersucht worden. So fand der Verhaltensforscher dietrich von holst (geb. 1937), daß niederrangige (lat.: «subdominante») Baumhörnchen (Tupaia belangeri) bei psychosozialem Streß, ausgelöst durch die ständige Konfrontation mit dominanten Männchen, an Nierenversagen starben. (Vgl. Renal failure as the cause of death in Tupaia belangeri exposed to persistant psychosocial stress, in: Journal of Comparative Physiology, 78/1972, 236 –273.) james paget henry (1914 –1996) demonstrierte, daß Mäuse, die in übervölkerten Käfigen zu leben gezwungen sind, sich in ständigen Rivalisie-

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rungsstreitigkeiten befinden und daß dabei aggressive Mäusemännchen weniger gestreßt sind als die unterwürfigen Tiere, von denen in seinen Versuchen etliche mit Nierenentzündung und vergrößerter Nebennierenrinde starben. (Vgl. Biological basis of the stress response, in: News in Physiological Sciences, 8/1993, 69 –73.) Es ist gleichermaßen traurig wie ethisch beschämend, daß solche erschütternden wissenschaftlichen Erkenntnisse bis heute nicht zu einem Umdenken in der sogenannten Massentierhaltung geführt haben noch (nach dem Durchmarsch der neoliberalen Wirtschafts«ordnung») überhaupt je führen sollen. Aber zurück zu unserem eigentlichen Thema: Mit dem Phänomen Streß sind wir inzwischen so weit vertraut, daß wir uns abschließend jetzt mit einem Blick auf die nun schon so oft erwähnte «Streßachse» belohnen dürfen. Wie in Abb. B 113 zu sehen, basiert sie auf einer neuro-endokrinen Kopplung von sympathischem Nervensystem und Hypothalamus-Hypophysen-System, wobei ersteres eher kurzfristige, letzteres eher längerfristige Streßreaktionen vermittelt. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 504 –505.) Doch damit öffnet sich sofort ein neuer Fragenkomplex: Wo im Gehirn ist das eigentliche Organ, welches das auslösende Streßsignal an den Hpyothalamus gibt? – Nach all dem, was wir in der Emotionstheorie von joseph e. ledoux über die Bedeutung der Amygdala gehört haben, liegt es nahe, diese Hirnstruktur auch jetzt in den Mittelpunkt unserer weiteren Betrachtungen zu stellen. Ausgehen wollen wir wieder von Furchtkonditionierungs-Experimenten, die ledoux an Ratten durchgeführt hat. In Das Netz der Gefühle (S. 153) schildert ledoux, was passiert, wenn ein «Versuchsobjekt, beispielsweise eine Ratte, in einen kleinen Käfig» gesetzt wird und der Versuch beginnt: «Ein Ton erklingt, gefolgt von einem kurzen, schwachen Stromschlag an den Füßen. Nach ganz wenigen solchen Koppelungen von Ton und Stromschlag beginnt die Ratte sich furchtsam zu verhalten, wenn sie den Ton hört: Sie bleibt abrupt stehen und nimmt die charakteristische starre Haltung ein – sie duckt sich zu Boden und rührt sich nicht mehr, abgesehen von rhythmischen Bewegungen des Brustkorbs, die für die Atmung nötig sind. Außerdem sträubt sich das Fell der Ratte, Blutdruck und Herzfrequenz steigen, und Streßhormone werden in den Blutstrom ausgeschüttet.» Um nun zu untersuchen, wie das akustische Signal (der auditorische Reiz) mit dem Elektroschock assoziiert werden kann, begann ledoux, entsprechend «dem natürlichen Informationsfluß durch das Gehirn» «den Bahnen zu folgen, die von diesem System (sc. dem Hörsystem, d. V.) zu den Endstationen führen, welche die konditionierten Furchtreaktionen steuern». (A. a. O., 165) Das

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Abb. B 113: Die Streßachse

Hörsystem ist uns hinreichend bekannt (vgl. Abb. A 32); seine höchste Ebene bildet der auditive Cortex. ledoux aber fand zu seiner Überraschung, «daß eine Schädigung der Hörrinde sich überhaupt nicht auf die Konditionierung auswirkte». Daraufhin zerstörte er – eine Ebene tiefer – den auditorischen Thalamus, also die Corpora geniculata medialia, mit dem Ergebnis, daß eine Furchtkonditionierung «ganz unmöglich» wurde. Auch eine Schädigung des auditorischen Mittelhirns, also der Colliculi inferiores, führte zu dem nämlichen Resultat. Aus diesen Ergebnissen folgerte er, «daß der auditorische Reiz (sc. der dem Elektroschock in der Furchtkonditionierung vorherging, d. V.)

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die Hörbahn vom Ohr bis zum Thalamus durchlaufen muß, aber nicht mehr die restliche Strecke bis zur Hörrinde». (joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 165; 167; vgl. auch john p. j. pinel: Biopsychologie, 502 –503.) Dieses Resultat war sonderbar; schließlich galt die Hörrinde in den überkommenen Lehrbüchern der Neuroanatomie als der bevorzugte, wo nicht alleinige Adressat des auditorischen Thalamus; wenn nicht zum auditorischen Cortex, wohin wandte sich der akustische Reiz vom Thalamus aus dann, um eine emotionale Reaktion (in diesem Falle: Angst) zu erzeugen? Mit Hilfe einer Markierungssubstanz, die man in den auditorischen Thalamus (in die Corpora geniculata medialia) des Versuchstieres injiziert, «können die einzelnen Fasern der Neurone sichtbar gemacht werden. Da Informationen nur über Fasern von einem Teil des Gehirns zum anderen gelangen können, läßt sich an den Faserverbindungen ablesen, wohin die in einem Teil verarbeitete Information anschließend wandert.» (joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 167) Es zeigte sich, daß der auditorische Thalamus außer zur Hirnrinde zu vier subcorticalen Regionen projiziert. «Eine der vier markierten Regionen war vermutlich die entscheidende nächste Station auf der Bahn der Furchtkonditionierung, zu der der Reiz nach Verlassen des Thalamus wandert. Ich mußte also», schreibt ledoux weiter, ohne das mit seinen Versuchen bisher schon verursachte Leid für die Tiere noch das jetzt nachfolgende auch nur mit einem Wort zu erwähnen, «den Informationsfluß vom Thalamus zu jeder dieser Regionen durch eine Läsion unterbrechen. In drei Fällen war der Effekt gleich Null. Doch als ich den Weg vom auditorischen Thalamus zu der vierten Region, der Amygdala, unterbrach, fand keine Konditionierung statt.» (joseph e. ledoux: A. a. O., 169) Über diese «Expreßleitung», also über die direkte oder thalamische Bahn zwischen Corpus geniculatum mediale und Amygdala erhält die Amygdala unmittelbar, doch ungenau Informationen, auf Grund deren sie – in Anlehnung an bereits vorliegende Erfahrungen – entscheidet, ob der Reiz «gefährlich» ist oder nicht; neben dieser direkten Verbindung besteht aber auch eine zweite indirekte oder corticale Bahn, die nicht sofort vom Thalamus zur Amygdala führt, sondern eben indirekt einen Umweg über den Cortex nimmt. Von der Amygdala, genauer von ihrer zentromedialen erweiterten Kerngruppe, werden die Signale an die Systeme und Strukturen weitergeleitet, welche die emotionalen Reaktionen steuern. Eine Bahn verläuft von der Amygdala zum Hypothalamus und vermittelt die Antwort des sympathischen Nervensystems auf den Streßreiz; eine andere Bahn führt von der Amygdala zum periaquaeductalen Grau (PAG) des Mittelhirns und löst die entsprechenden

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Abb. B 114: Die Funktion der Amygdala bei der Angstverarbeitung beim Hören eines akustischen Gefahrensignals

Verhaltensreaktionen aus. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 502– 503.) Abb. B 114 verdeutlicht schematisch, wie die Information über den bedrohlichen Ton über den Thalamus (also über das Corpus geniculatum mediale) entweder direkt oder indirekt (auf dem Umweg über den auditiven Cortex) zur Amygdala gelangt und von dort weitergeleitet wird. Diese Darstellung verdeutlicht noch einmal, daß es zwei Wege gibt, die vom Thalamus zur Amygdala führen: der eine ist schneller, aber ungenauer, da er die corticale Verarbeitung umgeht; dieser Weg setzt uns in den Stand, auf einen möglicherweise gefährlichen Reiz schon zu reagieren, noch ehe wir genau wissen, worum es sich handelt. «In gefährlichen Situationen kann das sehr nützlich sein. Der Nutzen hängt jedoch davon ab, daß die kortikale (sc. die indirekte, längere, d. V.) Bahn die direkte Bahn korrigieren kann. Möglicherweise ist die direkte Bahn für die Kontrolle emotionaler Reaktionen verantwortlich, die wir nicht verstehen. Irgendwann kann das jedem von uns passieren, doch bei Per-

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sonen mit emotionalen Störungen . . . könnte es der vorherrschende Funktionsmodus sein.» ( joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 175) Von daher stellt es wohl keine Übertreibung dar, wenn wir die Amygdala als die neuronale Grundlage all der Ängste betrachten, die wir bereits als die Angst der Tiere sowie als die Ängste der Kinder und Neurotiker kennengelernt haben; die Angst, die dazu gehört, sich als bewußt und frei zu erleben, sollte demgegenüber aus zusätzlichen Bedeutungsverleihungen des präfrontalen Cortex herrühren. Den Nutzen einer zweispurigen Verarbeitungsleitung haben wir schon einmal anläßlich der schnellen und der langsamen Schmerzbahn kennengelernt (vgl. Abb. B 68), und ein ähnlicher Vorteil scheint auch im Falle der Angstverarbeitung gegeben. «Es wäre denkbar», schreibt ledoux, «daß die direkte thalamische Bahn zur Amygdala bei Säugern bloß ein Relikt der Evolution ist . . . Ich bin jedoch nicht dieser Ansicht. Wenn die direkten Bahnen zwischen Thalamus und Amygdala nicht nützlich wären, hätten sie längst verkümmern können.» (Das Netz der Gefühle, 176) Der Hauptvorteil der direkten Angstbahn liegt in der Schnelligkeit einer Reaktion auf «Verdacht» hin: Besser ist es, vor einer möglichen Gefahr davonzulaufen, als von einer wirklichen Gefahr verschluckt zu werden. Insofern kann man sagen, daß die direkte (thalamische) Bahn der Amygdala eine rasche Warnung schickt – sie ist «auf die Auslösung von Reaktionen eingestellt». (Vgl. joseph e. ledoux: A. a. O., 178.) Erst später wird uns über den indirekten (corticalen) Verbindungsweg bewußt, wovor wir eigentlich Angst (gehabt) haben – möglicherweise können wir dann die Einschätzung der Amygdala sogar nachträglich korrigieren. Die corticale Bahn hat also «eher die Aufgabe, die unangemessene Reaktion zu verhindern, als die angemessene zu veranlassen». (joseph e. ledoux: A. a. O., 178) Die Amygdala bekommt natürlich Afferenzen von allen sensorischen Systemen (vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 502), und wir haben schon gehört, daß die basolaterale Amygdala (bzw. die laterobasalen Nuclei der Amygdala) vom sensorischen Thalamus und den sensorischen Cortexarealen über getrennte Bahnen Informationen erhält (vgl. Abb. B 95). Dabei sind die Strukturen, die die Angstreaktion steuern, weitgehend denen entsprechend, die ein akustisches Warnsignal – wie gerade erörtert – verarbeiten. Wir sind weiterhin schon damit vertraut, daß das akustische System über das Corpus geniculatum mediale und den auditiven Cortex geschaltet ist (vgl. Abb. A 32), so wie das optische System über das Corpus geniculatum laterale und den visuellen Cortex (vgl. Abb. A 85). Uns wird es deshalb nicht verwundern, auf Abb. B 115 zu sehen, daß etwa der angstbesetzte Stimulus des Anblicks einer Spinne zum einen direkt vom Corpus geniculatum laterale (in der

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Abb. B 115: Die Funktion der Amygdala bei der Angstverarbeitung beim Anblick einer Spinne

Abbildung Nucleus geniculatus lateralis genannt) des Thalamus zur Amygdala gelangt und zum anderen indirekt über den primären visuellen Cortex; von dort wird die visuelle Information über die ventrale visuelle Verarbeitungsbahn sowohl in die verschiedenen visuellen Regionen des Temporallappens (vgl. Abb. A 30) als auch zur Amygdala weitergeleitet. Von ihrer zentromedialen erweiterten Kerngruppe aus leitet die Amygdala dann augenblicklich über ihre Verbindungen zum Hypothalamus die Antwort des Sympathicus und über ihre Verbindungen zum Hirnstamm motorische Gegenreaktionen ein. (Vgl. monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 391; 161.) Wenn wir uns jetzt zusammenfassend noch einmal in den Abbildungen B 95, B 114 und B 115 ansehen, wie die Informationen der direkten (thalamischen) ebenso wie der indirekten (corticalen) Bahn in der basolateralen Amygdala (bzw. in den laterobasalen Nuclei der Amygdala) zusammenlaufen, so legt sich

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die Ansicht sehr nahe, daß gerade diese Stelle eine entscheidende Rolle bei der Angstkonditionierung spielt. Doch dürfen wir die Stimuli nicht einzeln betrachten; denn in die Angstkonditionierung geht im wirklichen Leben nicht nur ein Reiz ein, sondern immer mehrere gleichzeitig; wenn wir uns an eine Gefahrensituation erinnern, taucht eine bestimmte Bedrohung stets in einem räumlichen Kontext auf – carl gustav jung glaubte deshalb, daß seine «Archetypen» Urszenen des kollektiven Gedächtnisses wiedergäben (Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten, in: Gesammelte Werke, IX 1, S. 11– 51); zumindest bei der Bildung des individuellen Gedächtnisses läßt sich diese Ansicht heute neurologisch bestätigen. Das Eigenartige an der kontextuellen Konditionierung ist die Tatsache, daß der «Kontext» «kein spezieller Reiz ist, sondern eine Ansammlung von vielen Reizen». Allem Anschein nach kommt «die Integration einzelner Reize zu einem Kontext» im Hippocampus zustande, der – im Unterschied zur Amygdala – «keine Information von Hirnregionen» erhält, «die einzelne optische oder akustische Reize verarbeiten. Vielmehr werden die Bilder und Töne zusammengelegt, bevor sie den Hippocampus erreichen, zu dessen Aufgaben es gehört, eine Repräsentation von dem Kontext zu schaffen, die keine einzelnen Reize, sondern Relationen zwischen Reizen enthält.» (joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 180–181) Indem die Amygdala Eingänge auch von der Hippocampusformation bekommt, vermag sie nicht nur einzelne Reize, sondern auch komplexe Situationen emotional zu bewerten. Abb. B 116 zeigt zusammenfassend, welche Informationen der Amygdala von den verschiedenen Hirnregionen aus zugehen. In dieser schematischen Zeichnung erscheint die Amygdala wie eine «Nabe im Rad der Furcht». (joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 181) Und in der Tat läßt sich mit dieser Darstellung neuroanatomischer Projektionen eine ganze Reihe wichtiger psychotherapeutischer Erfahrungen plausibel machen: Ein zu großer Einfluß zum Beispiel der direkten (thalamischen) Bahnen kann Angstreaktionen zeitigen, die sich nicht mit der bewußten Wahrnehmung der indirekten (corticalen) Bahnen decken; da der Hippocampus mit dem angrenzenden entorhinalen Cortex, wie wir bereits sahen, an Aufbau und Abruf des expliziten Gedächtnisses beteiligt ist, können Eingaben aus diesem Bereich die Amygdala zum Auslösen situativ unangemessener Emotionen auf Grund von Erinnerungen an längst vergangene Erlebnisse veranlassen. (Vgl. Abb. B 91.) Umgekehrt kann der mediale präfrontale Cortex dabei behilflich sein, störende Ängste abzubauen oder zu löschen. Ein großer Teil der analytischen Psycho-

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Abb. B 116: Informationen, welche die Amygdala von den verschiedenen Gehirnregionen erhält

therapie besteht darin, immer wieder die Verbindung von Ängsten mit bestimmten (traumatischen) Situationen zu erinnern, zu wiederholen und durchzuarbeiten. (Vgl. sigmund freud: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten, in: Gesammelte Werke, X 125 –136.) Man kann auch sagen, es gehe darum, immer wieder einen konditionierten Reiz (und Kontext) – sei es das akustische Gefahrensignal oder die Spinne – ohne den unkonditionierten Reiz – den Stromschlag, die ekelerregende Berührung – darzubieten, mit dem Ziel der «Extinktion» jener Verknüpfung, die irgendwann einmal als richtig gelernt wurde, die aber im heutigen Zusammenhang so nicht mehr zu Recht besteht. Wir haben früher schon einmal die Entwicklung von Amygdala und Hippocampus auf verschiedenen Stufen der Evolution von Säugetieren betrachtet (vgl. Abb. A 23); doch ist die Funktion der Amygdala auch bei Vögeln (Tauben) und Reptilien überall dieselbe. Das liegt offenbar daran, daß nichts im Leben so wichtig ist wie die Vermeidung von Gefahren, und so kann es nicht verwundern, «daß bei den Hauptgruppen von Wirbeltieren, die untersucht worden sind (Reptilien, Vögel und Säuger), dieser Hirnfunktion (sc. der Angstreaktion

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zur Gefahrenabwehr, d. V.) ein gemeinsamer Bauplan (sc. die Amygdala, d. V.) zugrunde liegt. – Die wesentliche Tatsache ist, daß die Abwehr von Gefahr von den einzelnen Arten auf der Verhaltensebene ganz unterschiedlich realisiert wird, die Rolle der Amygdala aber dieselbe bleibt . . . Diese funktionale Äquivalenz und neuronale Entsprechung gilt für viele Wirbeltiergehirne, auch das menschliche Gehirn. Was das Erkennen einer Gefahr und die Reaktion darauf betrifft, hat sich das Gehirn einfach nicht sehr verändert. In mancher Beziehung sind wir emotionale Eidechsen.» (joseph e. ledoux: Das Netz der Gefühle, 187) Oder anders ausgedrückt: «Die einfache Ratte kann genauso stark unter psychischem Stress leiden wie der komplizierte Homo sapiens.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 203)

γ) Die Neurophysiologie der Angst Nun ist in Abb. B 116 das «Rad» allerdings nur erst zur Hälfte aufgeführt, als dessen «Nabe» die Amygdala sich verstehen läßt. Die Inputs, die ihr über so viele «Speichen» zugeleitet werden, machen ja nur Sinn, wenn dieses zentrale Organ der Angst seine Situationsbewertung weitergibt. Die nächste Frage liegt also schon auf der Hand: Wie vermittelt die Amygdala die Ausschüttung der Streßhormone – also der Catecholamine Adrenalin und Noradrenalin sowie der Glucocorticoide, allen voran des Cortisol? Die Antwort ist diesmal wohlvorbereitet: Wir müssen lediglich die Abbildungen B 112 und B 113 mit den Abbildungen B 114 und B 115 gedanklich zusammenführen und können dann die Früchte unserer bisherigen Mühen ohne allzu großen Aufwand einsammeln. Der eine Weg, über den die Amygdala ihre Lagebewertung weiterleitet, verläuft vom Hypothalamus über den Hirnstamm zum Rückenmark (zu den präganglionären Sympathicusfasern, vgl. Abb. A 74 und A 75) und von dort zum Nebennierenmark – er endet mit der Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin; der andere Weg geht über die Achse Hypothalamus – Hypophyse – Nebennierenrinde und veranlaßt die Ausschüttung von Glucocorticoiden, insbesondere von Cortisol. Außer zum Hypothalamus schickt die Amygdala auch Signale zum Zentralen Höhlengrau (PAG) und zu den Basalganglien (genauer: zum Striatum); bestimmte motorische Zentren im Zentralen Höhlengrau lösen angemessene Verhaltensreaktionen aus, und von den Basalganglien sagten wir früher schon, daß nur mit Zustimmung des limbischen Systems (im wesentlichen Amygdala, Hippocampus und mesolimbisches System) – also vor allem, wenn die Amygdala eine Handlung als unbedenklich oder erstrebenswert

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Abb. B 117: Die Bedeutung der Amygdala für Streßreaktionen

einschätzt – Dopamin ins Striatum ausgeschüttet wird und dort (über eine Reihe von Zwischenschritten) die erwünschte Bewegung «freischaltet» (vgl. Abb. A 11 und A 12). Die schematische Zeichnung von Abb. B 117 versucht, die zentrale Bedeutung der Amygdala für Streßreaktionen (und in deren Folge, wie wir sehen werden, für die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen) darzustellen. Auch diese Abbildung kann uns helfen, konzentriert hinzuschauen und die Zusammenhänge genauer zu begreifen. Ein Stück weit können wir hier schon ein Grundverständnis für die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen erarbeiten (auf die wir im nächsten Abschnitt – C 1 – im 2. Bd. der vorliegenden Arbeit zu sprechen kommen werden); zum anderen sehen wir bereits an den

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Hormonen CRH und ACTH in Abb. B 117, daß die Neurophysiologie der Angst sich doch noch etwas komplizierter gestaltet als bisher erörtert. Beginnen wir – der Reihe nach – mit dem Neuropeptid CRH, dem Corticotropin-Releasing-Hormon (von griech.: der trópos – Wendung, Richtung; engl.: to release – freigeben): Wie der Name schon sagt, gehört CRH (genauso wie das Gonadotropin-Releasing-Hormon) zu den sogenannten ReleasingHormonen (engl.: den Freisetzungshormonen), die im Hypothalamus gebildet werden und dann ihrerseits in der Adenohypophyse (im Hypophysenvorderlappen) die Ausschüttung von Hormonen induzieren; – im Falle von CRH wird die Adenohypophyse zur Sekretion von ACTH (von adrenocorticotropem Hormon) veranlaßt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 203– 204; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1155.) CRH befindet sich zudem als Neurotransmitter auch im limbischen System, zum Beispiel in der Amygdala, sowie in bestimmten Strukturen des Hirnstamms; vor allem aber beeinflußt es die neuronale Aktivität der noradrenergen Kerne im Locus coeruleus (lat.: dem himmelblauen Ort), der im Tegmentum des Mittelhirns gelegen ist und von dem aus Projektionen zu den meisten höheren Hirnregionen führen (vgl. Abb. A 13); das in größeren Mengen freigesetzte Noradrenalin (NA) wirkt insbesondere auf den präfrontalen Cortex alarmierend – Schreckhaftigkeit und ängstliche Wachsamkeit sind die Folge; chronischer Streß verstärkt noch diesen Erregungszustand, indem er bewirkt, daß das Enzym Tyrosin-Hydroxylase, das für die NA-Synthese wesentlich ist (vgl. Abb. A 72), vermehrt exprimiert wird. Umgekehrt führt die bloße elektrische Reizung des Locus coeruleus an sich schon zu einer Erweiterung der Pupillen, zum Sich-Sträuben der Haare und zur Absonderung von kaltem Schweiß – lauter Symptome, die ein jeder mit Angst und Schrecken verbindet. Wichtiger noch als all dies ist indessen die Tatsache, daß die Abgaben von CRH und NA über einen sich wechselseitig verstärkenden Rückkopplungsmechanismus miteinander verbunden sind, der sich im Falle von Streß schnell zu einem Teufelskreis auswachsen kann. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 69 –70; 85 –86.) Aber wieder alles der Reihe nach. Genaugenommen wird CRH von den neuroendokrinen Neuronen im paraventricularen Kern des Hypothalamus gebildet, der «neben» (griech.: pará) dem dritten Hirn«ventrikel» liegt (lat.: der ventriculus – kleiner Bauch, bauchiger Raum). Der Nucleus paraventricularis ist nur etwa einen halben Quadratmillimeter groß und enthält bloß ca. 10 000 Nervenzellen, darunter zwei Arten von endokrinen Neuronen: zum einen große Nervenzellen (die Oxytocin und Vasopressin an den Hypophysenhinterlappen – an die Neurohypophyse – wei-

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terleiten, ein Vorgang, der nicht unmittelbar an der Streßreaktion beteiligt ist), und zum anderen kleinere Nervenzellen, die CRH absondern. Da es im Nucleus paraventricularis keine Interneuronen gibt – innerhalb dieses Kerns sind die Nervenzellen nicht miteinander verschaltet –, folgt die Aktivität dieses Kerns wesentlich den zahlreichen eingehenden Nervenimpulsen, deren bedeutendste, neben Eingängen aus den anderen hypothalamischen Kernen, von seiten des Nervus vagus, des Hirnstamms, des Subfornicalorgans (lat.: sub – unterhalb, der fornix – Bogen), das für das Durstempfinden maßgebend ist, und des limbischen Systems des Vorderhirns (also vor allem der Amygdala, des Hippocampus und des präfrontalen Cortex) stammen. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 208.) Wenn wir uns zusätzlich zu diesen Projektionen des weiteren die Neurotransmitter anschauen, die auf die endokrinen Neuronen im Nucleus paraventricularis einwirken, so können wir die Faktoren erschließen, welche die CRHSynthese steuern: Da ist zum einen der Einfluß der Emotionen auf die CRHAusschüttung, der vor allem über NA (das, wie wir gerade hörten, an Erregungs- und Streßzuständen beteiligt ist) und Serotonin (das im Zusammenhang mit Ängsten, Zwangsstörungen und Süchten diskutiert wird), aber auch über Dopamin (das u. a. eine «Belohnungserwartung» erzeugt) seine Wirkung ausübt; zum anderen ist die Empfindung von Schmerz zu nennen, die besonders über den Neurotransmitter Serotonin (das u. a. der Schmerzhemmung dient) vermittelt wird; und schließlich ist der Tag-Nacht-Wechsel relevant, der gleichfalls über Serotonin seinen Einfluß bemerkbar macht – kurz vor dem Aufwachen zum Beispiel ist die CRH-Produktion am größten. Natürlich sind auch andere Neurotransmitter noch von Bedeutung. Und dieses «normale» Zusammenspiel schaukelt sich unter Streßbedingungen rasch zu einem Teufelskreis auf, der psychosomatisch leicht krankheiterregend werden kann: Mehr CRH setzt mehr NA frei, und mehr NA setzt wiederum mehr CRH frei. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 78; 86.) Abb. B 118 gibt zusammenfassend einen schematischen Überblick über das Streßsystem des Gehirns, wie wir es gerade kennengelernt haben. Die immer größere Menge des Releasing-Hormons CRH setzt nun ihrerseits immer mehr ACTH aus der Adenohypophyse (dem Hypophysenvorderlappen) frei. Wir haben schon früher besprochen, daß der Hypothalamus durch Abgabe des Releasing-Hormons GnRH die Adenohypophyse zur Ausschüttung der Gonadotropine veranlaßt; wie er das aber im einzelnen macht, haben wir damals – in Anbetracht des recht komplizierten Fortpflanzungszyklus – großzügig übergangen; – jetzt ist der rechte Zeitpunkt, es schleunigst nach-

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Abb. B 118: Das Streßsystem des Gehirns (in der Medianansicht der rechten Hemisphäre)

zuholen. Also: Die Hypophyse besteht, wie wir wissen (vgl. Abb. A 20), aus Hypophysenhinterlappen und Hypophysenvorderlappen (aus Neurohypophyse und Adenohypophyse). Recht verstanden, ist die Neurohypophyse gar keine eigenständige Drüse, sondern eine Ausbuchtung des Hypothalamus. Die einzigen beiden bisher bekannten Hormone, die von der Neurohypophyse abgegeben werden (Oxytocin und Vasopressin), werden von den Zellkörpern im Hypothalamus gebildet und durch axoplasmatischen Transport in die Neurohypophyse überführt; diese stellt im Grunde nur ein Versorgungs- und Unterstützungssystem für die Axonendigungen der Hypothalamus-Neuronen dar, welche die Hormone sezernieren. Demgegenüber ist die Adenohypophyse eine echte Drüse und enthält keine Neuronen aus dem Hypothalamus. Wie aber kann dann der Hypothalamus die Adenohypophyse derart streng kon-

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Abb. B 119: Verbindung zwischen Hypothalamus und Hypophyse über Hypophysenstiel und Pfortadersystem

trollieren? – Die Antwort ist sehr einfach: Er gibt seine Releasing-Hormone in ein Gefäßsystem ab – in das Pfortader- oder Portalgefäßsystem (von lat.: die porta – Pforte), das direkt vom Hypothalamus zur gesamten Adenohypophyse zieht. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 180–182; neil a. campbell – jane b. reece: Biologie, 1155 –1156.) Abb. B 119 zeigt, wie der Hypothalamus durch den Hypophysenstiel und das Pfortadersystem mit der Neurohypophyse und der Adenohypophyse verbunden ist. Das CRH aus dem paraventricularen Kern des Hypothalamus gelangt nun durch den Pfortaderblutstrom unmittelbar in die Adenohypophyse, und jetzt ist es entscheidend, daß es dort die Freisetzung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) in den Körperkreislauf veranlaßt. Vom ACTH wissen wir bereits, daß es ein Neuropeptid ist, das aus 39 Aminosäuren gebildet wird; es entsteht dadurch, daß es in den Drüsenzellen der Hypo-

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physe aus einem siebenmal größeren Prohormon (Vorläuferhormon) abgespalten wird. Da die Hypothalamus-Hormone «pulsatil» (stoßweise, von lat.: pulsare – stoßen) freigesetzt werden, unterliegt auch die Menge des ACTH im Blut tagesrhythmischen Schwankungen: Die Blutwerte von ACTH liegen am Morgen am höchsten, am Abend am tiefsten. All das wäre nicht von solcher Bedeutung, bestünde die Wirkung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH, von lat.: ad – zu, die renes – Nieren, der cortex – Rinde; griech.: der trópos – Wendung, Richtung) – wie der Name schon sagt – nicht wesentlich darin, die Nebennierenrinde zur Sekretion des Streßhormons Cortisol zu veranlassen. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 78; alfred benninghoff – detlev drenckhahn: Anatomie, II 194–195.) Cortisol wird, wie die anderen Glucocorticoide, in der sogenannten Zona fasciculata (lat.: der gebänderten Zone) der Nebennierenrinde aus Cholesterin gebildet; ACTH fördert nun zum einen die Aufnahme von Cholesterin in die Drüsenzellen, zum anderen steigert es die Aktivität eines Enzyms, das in den Drüsenzellen den ersten Schritt zur Biosynthese von Cortisol einleitet. Dadurch steigt der Cortisolspiegel im Blut bei Streß bis auf das Hundertfache und mehr an. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 80 –81.) Damit haben wir den Weg nachgezeichnet, der von der Amygdala als eine Kaskade von Streßinformationen über drei Stationen zur Cortisolausschüttung führt. Diese Ausschüttung des Steroidhormons Cortisol ist, wie wir vorhin bereits hörten, im Sinne einer cannonschen Notfallreaktion ideal; doch wie stets kommt es darauf an, durch entsprechende Rückkopplungen auch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse wirksam zu hemmen, und das kann am einfachsten durch Cortisol selbst geschehen. So besitzen die CRH-haltigen Neuronen im paraventricularen Kern des Hypothalamus selbst Cortisolrezeptoren, über die sie die Aktivität der Nebennierenrinde einschätzen können und durch die sie gegebenenfalls zu einer Verringerung ihrer CRH-Ausschüttung veranlaßt werden, so daß die Cortisolmenge im Blut wieder abnimmt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 208 –209.) Cortisolrezeptoren gibt es des weiteren in Amygdala und Hippocampus, die beide, wie wir hörten, zum Nucleus paraventricularis projizieren. Hierin liegt auch begründet, daß positive Vorerfahrungen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten die Streßbelastung sowie den Anstieg der Cortisolwerte senken – ein Punkt, der sich psychologisch noch als sehr wichtig für die Auslösung oder Vermeidung psychosomatischer Erkrankungen erweisen wird. «Anscheinend hängt . . . die Stressreaktion von der Interpretation und vom Vergleich der aktuellen Stresseinwirkung mit vorausgehenden Stresserfahrungen ab, die im impli-

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ziten Körpergedächtnis gespeichert sind, vor allem in der Amygdala und im Hippocampus.» (johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 84) Das Cortisol bindet an die Cortisolrezeptoren der «Hippocampusneuronen, und dies wiederum bewirkt eine Hemmung der CRH-Synthese, die über GABAerge Interneurone . . . des Hypothalamus vermittelt wird». (A. a. O., 83 –84) Cortisol wirkt auch auf die Hypophyse in einer negativen Rückkopplung zurück, was eine Verringerung der ACTH-Freisetzung herbeiführt. (Vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 210.) Und wenn wir noch genauer hinsehen, zeigt sich, daß diese feinen Mechanismen der Streßachse nicht nur auf das Ausmaß der Streßempfindung reagieren, sondern auch verschiedene Arten von Streß zu unterscheiden wissen. So enthalten viele Neuronen nicht nur eine neuroaktive Substanz, die als Neurotransmitter wirksam werden kann: speziell die CRH-produzierenden Nervenzellen im Nucleus paraventricularis können acht verschiedene neuroaktive Substanzen aufweisen – neben CRH etwa auch Dopamin. Je nach der Art von Streß finden sich die entsprechenden Substanzen in unterschiedlich großen Mengen. «Steigt beispielsweise die Cortisolkonzentration im Blut an, so stellt ein Nervenzelltyp des Nucleus paraventricularis vermehrt CRH, jedoch in unveränderter Menge Vasopressin her. Ein anderer Neuronentyp hingegen drosselt die Produktion beider Peptide. Andere Ausdrucksformen des Stresses können völlig andere Veränderungen in der Peptidexpression von Nervenzellen des Nucleus paraventricularis hervorrufen.» (richard f. thompson: Das Gehirn, 209) Der Neurologe larry w. swanson (Biochemical switching in hypothalamic circuits mediating responses to stress, in: Progress in Brain Research, 87/ 1991, 181–200) hat deswegen die Theorie vom «Umschalten» (engl.: switching) entwickelt, wonach die Nervenzellen auf unterschiedliche Streßarten mit der Herstellung charakteristischer Gemische von unterschiedlichen Neuropeptiden und neuroaktiven Substanzen antworten, so daß «ein anatomisch festgelegter Schaltkreis seine Funktion verändern kann, indem er seine Peptidproduktion in den Nervenzellen umstellt». (richard f. thompson: Das Gehirn, 209) Was aber soll werden, wenn diese «gesunden» Streßreaktionen beginnen, sich der Kontrolle zu entziehen und, wie schon angedeutet, sich zu Teufelskreisen aufschaukeln? Wir hörten bereits, daß Glucocorticoide wie Cortisol die Hippocampusneuronen absterben lassen und dadurch die Encodierung von Gedächtnisinhalten verhindern können; dadurch wurde uns verständlich, daß chronischer Streß zu Einschränkungen der Gedächtnisleistungen führt. Zudem sagten wir vorhin noch, daß der Hippocampus die Streßreaktion bremst, indem er die CRH-Pro-

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duktion (mithin die Cortisolausschüttung) verringert; wenn nun chronisch überhöhte Cortisolwerte beginnen, die Hippocampusneuronen samt den Cortisolrezeptoren zu schädigen, so versteht es sich von allein, daß dieser rückgekoppelte Kontrollmechanismus selber empfindlich gestört wird, ja, zu versagen beginnt; wenn die Hippocampusneuronen zerstört werden, wird jetzt noch mehr CRH und Cortisol ausgeschüttet; – aus einem Regelkreis wird in diesem Falle ein Teufelskreis, und dies durch ein Organ, das für die Streßbewältigung so zentral ist wie die Amygdala für die Streßauslösung. Der Hippocampus fungiert nämlich allem Anschein nach als eine Art Meßfühler, der mit seinen Cortisolrezeptoren, die nirgendwo sonst im Gehirn in so hoher Dichte vorkommen, an den Blut- bzw. Gehirnwerten des Cortisol die Höhe der Streßreaktion abliest und sie mit den im Körpergedächtnis gespeicherten, jederzeit abrufbaren früheren Streßreaktionen vergleicht; etwas, das im Hippocampus als «sehr stressig» bewertet wird, gräbt sich dann in das Streßgedächtnis nach Art einer Traumaerfahrung ein und sensitiviert für vergleichbare weitere Erlebnisse. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychologie und Gehirn, 84; richard f. thompson: Das Gehirn, 204.) Und auf einen zweiten Teufelskreis müssen wir noch eingehen; denn nicht nur die Nebennierenrinde, auch das Nebennierenmark spielt bei Streßreaktionen eine entscheidende Rolle. Dabei sind Adrenalin und Noradrenalin (NA), wie wir sahen, lediglich Botenstoffe innerhalb des sympathischen Nervensystems, die Erregungen zwischen Nervenzellen und Körperorganen weitergeben. In unserem Zusammenhang aber ist besonders die Tatsache von Bedeutung, daß zum einen unter Streßbedingungen NA, wie gerade gesagt, die Abgabe von CRH aus dem Hypothalamus vermehrt, während CRH wiederum die NA-Ausschüttung aus dem Locus coeruleus steigert; mehr NA setzt wieder mehr CRH frei usw. . . .; zum anderen beeinflußt Adrenalin nicht nur die Körperorgane – vor allem das Herz, wie wir noch sehen werden –, sondern es wirkt «zurück auf den Hypothalamus (und vielleicht auch auf andere Hirnregionen) . . ., um die Aktivität des autonomen (sc. vegetativen, d. V.) Nervensystems zu steigern». (richard f. thompson: Das Gehirn, 204) In Antwort auf beginnenden Streß wird die Streßresonanz daher massiv verstärkt. Bei der Erörterung psychosomatischer Erkrankungen wird es im 2. Bd. der vorliegenden Arbeit von erheblicher Bedeutung sein, daß schon eine zu hohe Cortisolkonzentration zu Bluthochdruck führen kann (vgl. richard f. thompson: A. a. O., 204), Adrenalin indessen tut jetzt sein übriges. Abb. B 120 versucht, die Beziehungen zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebenniere schematisch darzustellen.

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Abb. B 120: Die Beziehungen zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebenniere

Beides kommt jetzt also zusammen: Auf der einen Seite kann eine stets sich wiederholende Streßsituation (am Arbeitsplatz, auf dem Kasernenhof, in Gefangenschaft, an der Seite eines alkoholabhängigen Ehemanns . . .) schon «von weitem» einen panikähnlichen Zustand provozieren, während andererseits die Kontrollschleife nicht mehr funktioniert, die ein «Durchdrehen» der Streßreaktion an sich zu verhindern vermocht hätte. Es ist daher kein Wunder, daß überhöhte CRH- und Cortisol-Werte nicht nur Angespanntheit und Über-

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reiztheit, sondern auch depressive Stimmungen hervorrufen. «Streß, dem man nicht entrinnen kann, erzeugt im Mandelkern außerdem eine Zunahme des Gehaltes von Serotonin, dessen Stoffwechsel seit langem mit Gefühlen von Angst und Niedergeschlagenheit in Verbindung gebracht wird.» (johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 83) Andererseits sind spezielle Neuronen im limbischen System, die Körnerzellen im Gyrus dentatus z. B., von einer gewissen Menge Cortisol geradewegs abhängig: bei Entfernung der Nebennierenrinde sterben sie ab! Wie stets im Leben kommt es also auch hier vor allem auf «das rechte Maß» an. Wir werden im 2. Bd. der vorliegenden Arbeit zu untersuchen haben, wie Adrenalin und Cortisol sich psychosomatisch auswirken müssen, wenn eine Streßsituation sich chronifiziert. «An sich» freilich kann und soll Angst nicht ständig andauern. Der Sympathicus selbst wird ja, wie wir sahen, von seinem Antagonisten, dem Parasympathicus, in Schach gehalten. «Es ist sehr wichtig zu wissen», schreiben jürgen margraf und silvia schneider beruhigend, «daß der Körper nach einer gewissen Zeit genug von der Kampf/Flucht-Reaktion hat und das parasympathische Nervensystem aktiviert wird, um ein entspanntes Gefühl wiederherzustellen. Mit anderen Worten: Angst kann weder für immer andauern noch sich zu einem endlos andauernden . . . Niveau aufschaukeln . . . Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß die chemischen Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin eine gewisse Zeit benötigen, um abgebaut zu werden. Somit kann es vorkommen, daß selbst wenn die Gefahr vorüber ist und Ihr sympathisches Nervensystem aufgehört hat zu reagieren, Sie sich noch für eine gewisse Zeit aufgeregt oder angespannt fühlen, weil diese chemischen Substanzen im Blut noch nicht vollständig abgebaut sind.» (Panik, 205) Dieser langsame Abbau der Streßhormone erscheint biologisch natürlich als äußerst sinnvoll, da eine akute Gefahr (etwa ein Raubfeind) möglicherweise noch einmal zurückkehrt. Wie aber, wenn der Angstauslöser beziehungsweise der Streßfaktor denn doch nicht verschwindet? Viele Gründe für diese Möglichkeit sind denkbar, sobald wir nur den subjektiven Faktor in allem Angsterleben genügend berücksichtigen. Soeben sahen wir noch, wie frühkindliche Erlebnisse Angst «verewigen» können. Je nach seinen Vorerfahrungen wird jeder eine bestimmte ängstigende Situation unterschiedlich erleben. Dabei summiert sich nicht nur die Serie der bisherigen Lebenseindrücke auf; es ist vor allem die Persönlichkeitsstruktur, die eine permanente Angstbereitschaft bzw. eine Allgegenwart von Streß zu erzeugen vermag. So genügt zum Beispiel ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl, um selbst durchschnittliche Anforderungen bereits als «zu viel» zu empfinden; jemand, der es allen recht machen muß, um seiner Meinung nach überhaupt nur

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geduldet zu werden, wird sich nicht allein leicht überfordert fühlen, sondern bereits den kleinsten Fehler als «Katastrophe» gewärtigen; ein anderer wiederum, der sich verpflichtet fühlt, alle gestellten Aufgaben fehlerfrei und optimal zu erledigen, kann sich unablässig von dem unverantwortlichen Schlendrian seiner Mitarbeiter gequält fühlen: als «funktionalen Leidensdruck» bezeichnet man in der Psychoanalyse einen solchen «sozialen Streß» im Unterschied zu einem «echten» Leiden an sich selbst. Da es nicht möglich ist, immer in Angst zu leben, kann der ganze Daseinsaufbau in solchen Fällen zu einem Leben aus Angst deformieren: Vermeidehaltungen, Rückzug, Isolation, Sinnverlust und Selbstentleerung zählen dann zu den Symptomen einer unüberwindlichen «Angst vor der Angst». (Vgl. arno deister: Angst und Panikstörungen, in: Psychiatrie und Psychotherapie, 110; 113.) Bei Patienten mit persönlichkeitsgebundenen, chronifizierten oder panikartigen Ängsten liegt es neurologisch wie psychiatrisch nahe, das biochemische Wissen um die Träger- und Vermittlersubstanzen der Angst pharmazeutisch zu nutzen. «Alle antidepressiven Medikamente wurden auch für die Behandlung von Angststörungen eingesetzt.» (nancy andreasen: Brave new Brain, 378) Ein beliebtes Mittel gegen Angststörungen sind immer noch die tricyclischen Antidepressiva (TCA, Antidepressiva mit einer chemischen Struktur aus drei – griech.: tri – Ringen), die Angst und Schlaflosigkeit in verhältnismäßig kurzer Zeit (nach zwei bis drei Wochen) auflösen können und eine leicht sedierende (lat.: sede¯re – sich setzen; eine beruhigende) Wirkung haben, allerdings auch eine Reihe von Nebenwirkungen aufweisen. «Trizyklische Antidepressiva blockieren die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin und erhöhen so ihre Spiegel im Gehirn.» (john p. j. pinel: Biopsychologie, 517) Entdeckt wurden die Tricyclica von dem schweizer Psychiater roland kuhn (geb. 1912), als er eine neu entwickelte Substanz mit Namen Imipramin an seinen Patienten testete; dieses erste tricyclische Antidepressivum war durch eine kleine Veränderung aus dem Antipsychoticum Chlorpromazin hergestellt worden, und kuhn erwartete anfangs entsprechende antipsychotische Wirkungen und keinesfalls einen antidepressiven Effekt; das neue Medikament kam Anfang der 50er Jahre des 20. Jhs. als Tofranil auf den Markt. (Vgl. nancy andreasen: Brave new Brain, 301– 302; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 509; victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen, Schlafmittel, 117–120.) Abb. B 121 stellt die Strukturformeln von Chlorpromazin und Imipramin einander gegenüber. Andere Tricyclica wurden unter den Handelsnamen Aponal (Doxepin) oder Anafranil (Trimipramin) bekannt. Wegen der erheblichen Nebenwirkungen

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Abb. B 121: Chlorpromazin und Imipramin

der Tricyclica (Mundtrockenheit, Verstopfung, Beeinträchtigungen des Sehvermögens, Herzrhythmusstörungen, motorische Dysfunktionen u. a.) kamen als «zweite Wahl» Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) auf den Markt, die zwar weniger Nebenwirkungen mitbringen, doch dafür – zusätzlich zu einer verringerten Wirksamkeit – mit einer Reihe von Lebensmitteln (Käse, Rotwein, Schokolade u. a.) in manchmal sogar lebenbedrohende Interaktion treten. MAO-Hemmer erhöhen den Spiegel der Monoamine (zum Beispiel Noradrenalin und Serotonin), indem sie das abbauende Enzym MAO hemmen. (Vgl. nancy andreasen: Brave New Brain, 302; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 509– 510; john p. j. pinel: Biopsychologie, 517.) Die Hauptstrategien in der Pharmakotherapie von Angststörungen konzentrieren sich neben einer nur sedierenden Wirkung auf drei Punkte. Es ist zum ersten möglich, die inhibitorische Wirkung von GABA zu verstärken und damit «direkte angstlösende Effekte im gesamten Gehirn . . ., besonders . . . in den limbischen Regionen, die bei Angstsyndromen überaktiviert sind», herbeizuführen. (nancy andreasen: Brave new Brain, 378) Dies geschieht vor allem mit Hilfe der sogenannten Benzodiazepine, einer Klasse von Verbindungen, die «alle einen siebengliedrigen Ring (den Diazepinring)» besitzen, «der mit einem gewöhnlichen sechsgliedrigen Benzolring verbunden ist». (richard f. thompson: Das Gehirn, 113) Benzodiazepine besitzen neben den beruhigenden und angstreduzierenden Eigenschaften auch schlaffördernde, muskelrelaxierende und krampflösende Wirkungen. (Vgl. john p. j. pinel: Biopsychologie, 106–108.) Abb. B 122 gibt die Strukturformel der 1,4-Benzodiazepine wieder nebst den Stellen, an denen sich ihre Derivate bilden lassen. (Vgl. auch michael osterheider: Angst und Angstkrankheiten, in: Angst – Zwang – Depression, 46 –48.) Es war im Jahre 1977, daß hannes möhler und t. okada (Benzodiazepine receptor: Demonstration in the central nervous system, in: Science, 198/1977,

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Abb. B 122: Benzodiazepine

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849 –851) in Basel herausfanden, daß Benzodiazepine im Zentralnervensystem an Rezeptoren binden, die zwar über das ganze Gehirn verteilt sind, die aber in hoher Dichte nur in der Großhirn- und Kleinhirnrinde vorkommen, während sie in mittlerer Dichte im limbischen System und im Hypothalamus und in geringen Mengen in der Medulla oblongata und im Rückenmark anzutreffen sind. Bezeichnenderweise sind die Benzodiazepinrezeptoren in GABAergen Synapsen lokalisiert; und so wirken sie als eine Art «Servomechanismus»: «Benzodiazepine aktivieren die Bremse selbst nicht, aber verstärken die Bremswirkung der GABAergen Neurotransmission.» (victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen, Schlafmittel, 64) «In der Zellmembran bilden der Benzodiazepinrezeptor und der GABA-Rezeptor mit dem assoziierten Cl−-Kanal einen wechselseitig sich beeinflussenden Komplex. Bei gleichzeitiger Erregung des Benzodiazepin- und des GABA-Rezeptors . . . kommt es so zur Verstärkung der inhibitorischen GABA-Wirkung.» (victor leutner: A. a. O., 113; vgl. richard f. thompson: Das Gehirn, 113 –116; john p. j. pinel: Biopsychologie, 106 –108.) Abb. B 123 zeigt den GABA-Benzodiazepin-Rezeptorkomplex. Manche dieser Benzodiazepine dürften unter ihren Handelsnamen inzwischen auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sein, wie etwa Librium (Chlordiazepoxid, seit 1960), Valium (Diazepam, seit 1963), Adumbran oder Praxiten (Oxazepam, seit 1965), Tranxilium (Dikaliumchlorazepat, seit 1969), Tavor (Lorazepam, seit 1972), Lexotanil (Bromazepam, seit 1978) und Tafil (Alprazolam, seit 1984). (Vgl. victor leutner: Schlaf, Schlafstörungen, Schlafmittel, 96; 100.) Zum zweiten sind heute die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (engl.: Selective Serotonine Reuptake Inhibitors, SSRIs) zu Medikamenten «der ersten Wahl» avanciert; sie blockieren – wie der Name schon sagt – selektiv die Serotoninwiederaufnahme. Ein aus den 80er Jahren des 20. Jhs. berühmtes SSRI ist Fluoxetin, das unter dem Handelsnamen Fluctin oder Prozac bekannt wurde, und das einen durchschlagenden Erfolg als Stimmungsaufheller und Antidepressivum versprach. Die SSRIs helfen noch schneller als die Tricyclica, sie können aber – zusätzlich zu auftretenden Nebenwirkungen –, weil angsthemmend, auch enthemmend wirken. (Vgl. nancy andreasen: Brave new Brain, 297; 303 –304; 378; john p. j. pinel: Biopsychologie, 517–518; monika pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 510.) Ein dritter Weg, Angstzustände medikamentös zu behandeln, besteht im Einsatz von Betablockern. Ihren Namen verdanken diese Substanzen der Tatsache, daß es an den peripheren adrenergen Synapsen zwei Rezeptortypen gibt: die Alpha- und die Beta-Rezeptoren. Noradrenalin entfaltet seine Aktivität

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Leistungen des Gehirns und Fragen aus Philosopie und Theologie

Abb. B 123: Der GABA-Benzodiazepin-Rezeptorkomplex

hauptsächlich an den Alpha-Rezeptoren – es bewirkt eine Gefäßverengung an den Hautarteriolen und verursacht eine Erhöhung des Blutdrucks; Adrenalin hingegen wirkt an den Beta-Rezeptoren – es erhöht die Herzfrequenz, es erweitert die Arteriolen der Skelettmuskulatur und – wie wir schon hörten – es erweitert die Bronchien. (Vgl. johann caspar rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 61– 62; vgl. auch Abb. A 74.) Im Jahre 1966 nun zeigten k. l. granville-grossmann und p. turner (The effect of propranolol on anxiety, in: Lancet, 1/1966, 788), daß das Beta-Sympatholyticum Propranolol sich zur Behandlung von Angstzuständen eignet; insbesondere lassen sich die autonom vermittelten Symptome Herzklopfen, Schwitzen und Durchfall mit Hilfe von Beta-blockierenden Medikamenten günstig beeinflussen. Zum einen

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dürften die Beta-Sympatholytica die periphere Beta-adrenerge Reizübertragung vermindern «und damit den afferenten Feedback vom peripheren zum zentralen Nervensystem. Die konsequente Reduktion der viszeralen und somatischen autonomen Korrelate der Angst vermindert den angstverstärkenden Aspekt des afferenten Biofeedback zum zentralen Nervensystem.» Zum anderen könnten die Betablocker auch «direkt auf das zentrale und periphere Nervensystem» wirken. «Der zentrale Effekt» dürfte dann «primär in einer Verminderung des basalen Angstspiegels» zu erblicken sein. (gerhard paar: Psychopharmaka in der psychosomatischen Medizin, in: Lehrbuch der psychosomatischen Medizin, 436) Doch so wirkungsvoll die modernen Psychopharmaka (griech.: das phármakon – Heilmittel) auch erscheinen mögen und so rasant ihre Entwicklung im Konkurrenzkampf der Pharma-Firmen um ihre Marktanteile auch weltweit voranschreiten mag –, sie werden nie etwas anderes sein können als Prothesen; das Ziel hingegen sollte es sein und bleiben, Menschen «gehfähig» beziehungsweise selbständig zu machen. Dahin aber scheinen nur zwei Wege zu führen, die letztlich beide in einen zusammenlaufen: Das wichtigste Mittel gegen Ängste und Angsterwartungen aller Art ist ein gewisses Selbstvertrauen, das seinerseits in einer Selbstidentität gründet, die, wie sören kierkegaard zu zeigen versuchte, in sich selbst eine religiöse Dimension und Grundlage besitzt. Wie, so lautet daher die entscheidende Frage, ist es möglich, einer Welt zu entkommen, die seit Hunderten von Jahrmillionen der irrsinnigen Monotonie des «Flight or Fight», des Abhauens oder Draufhauens im Kampf ums Überleben anheim gegeben ist? Wie ist es möglich, die Welt der Angst zu überwinden (Joh 16,33) und zu jenem «Frieden» zu gelangen, «den die Welt nicht geben kann»? (Joh 14,27) Da es in unserer «christlich» sich nennenden Kultur bis heute eine gesellschaftlich und politisch wirksame Form der Angstüberwindung durch Nicht-Reagieren auf Bedrohung, durch Standhalten und Selbständigkeit im Sinne der Bergpredigt (Mt 5,38 –42), allem Anschein nach nicht gibt, empfiehlt sich eine Geschichte aus dem Taoismus als ein heilsames Paradigma einer jeden Angsttherapie jenseits von Neurologie und Pharmakologie. In seiner Lehrschrift Das wahre Buch vom quellenden Urgrund schrieb um 350 v. Chr. der chinesische Weise liä dsï: «Gi Siau Dsï richtete für den König Süan vom Hause Dschou einen Kampfhahn zu. Nach zehn Tagen fragte der König: ‹Kann der Hahn schon kämpfen?› Er sprach: ‹Noch nicht, er ist noch eitel, stolz und zornig.› Nach aber zehn Tagen fragte er wieder. Er sprach: ‹Noch nicht, er geht noch auf jeden Laut und Schatten los.› Nach aber zehn Tagen fragte er wieder. Er sprach: ‹Noch nicht, er blickt noch heftig und strotzt

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vor Kraft.› Nach aber zehn Tagen fragte er wieder. Er sprach: ‹Nun geht es. Wenn andere Hähne krähen, so macht das keinen Eindruck mehr auf ihn.› Der Hahn war anzusehen wie aus Holz. Sein Wesen war vollkommen. Fremde Hähne wagten nicht mit ihm anzubinden, sie kehrten um und liefen weg.» (II 20, S. 70) Es kann aber sein, daß diese Angstberuhigung nicht gelingt. Im 2. Band dieser Arbeit werden wir uns dem Einfluß von Angst (und Ärger), von «Streß», auf die Auslösung psychosomatischer Erkrankungen zuwenden. Wir werden dabei sehen, daß die Intuitionen der Psychoanalyse bezüglich der «Seelenbedingtheit» mancher Herzerkrankungen (und anderer organischer Fehlfunktionen), vieler Autoimmunerkrankungen und der Folgen eines streßbedingt geschwächten Immunsystems (wie Infektionen und Krebserkrankungen) heute von seiten der «Psychoneuroimmunologie» eine überraschende Bestätigung erfahren. Und weiter: Was passiert, wenn der «Spiegel» des Bewusstseins zerspringt – was ist es mit den Krisen des psychischen Erlebens in Depression und Schizophrenie? Auch hierzu vermag die heutige Neurologie wichtige Beiträge zu liefern. Danach dann werden wir genügend vorbereitet sein, auf die Fragen zu antworten, die philosophisch wie theologisch wohl am meisten interessieren: Was ist Bewusstsein? Wie entsteht Selbstbewusstsein? Was nennt man «Person»? Gibt es eine Freiheit des Willens? Und wie steht es mit den klassischen Inhalten der Religion: mit den Erfahrungen von Göttlichem, mit der Hoffnung auf Unsterblichkeit, mit dem Glauben an eine «Seele», die sich im Tode durchhält? Wenn sich die uralten Menschheitsfragen einer begründeten Lösung näherbringen lassen, wird sich die nicht geringe Mühe beim Studium der zwei Bände der vorliegenden Arbeit überreich gelohnt und belohnt haben . . .

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übers. v. E. Emmerich u. T. Fischer, Zürich 1971 JÜRGEN THORWALD : Macht und Geheimnis der frühen Ärzte. Ägypten, Babylonien, Indien, China, Mexiko, Peru (München – Zürich 1962) Knaur Tb. 138, 1967 HOWARD ZINN : Terrorism and War, New York 2002; dt.: Amerika, der Terror und der Krieg, übers. v. Andrea Schleipen, Freiburg (Herder spektrum 5329) 2002

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Bildnachweis

Einleitung 1: Nach der Skizze in C. G. Jung, Ges. Werke XV 85 Teil A 1: Stephen Jay Gould: Zufall Mensch. Das Wunder des Lebens als Spiel der Natur, München 1993, 364; 2, 12: Gerhard Roth: Aus Sicht des Gehirns, 10; 174; 3, 17: Bryan Kolb – Ian Q. Whishaw: Neuropsychologie, 38; 41; 5: Eric R. Kandel: Gehirn und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 11; 6, 10, 18, 19, 20, 24 (b), 50, 59, 60, 61, 62, 65, 66: John P. J. Pinel: Biopsychologie, 57; 78; 73; Anh. V; 302; 493; 61; 96; 99; 91; 91; 106; 107; 7: Großer Brockhaus VII (Wiesbaden 1987), 387; 8: John C. Eccles: Die Evolution des Gehirns – die Erschaffung des Selbst, 82; 9, 13, 14, 15: Monika Pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 73; 74; 74; 73 11, 21, 22, 23, 25, 27, 28, 29, 30, 32, 35, 48, 55, 56, 58, 64, 68, 71, 72, 73, 75, 76, 79, 80, 82, 85, 86, 87: Richard F. Thompson: Das Gehirn, 314; 27; 160; 400; 30; 268; 288; 21; 262; 281; 448; 10; 54; 57; 69; 130; 127; 115; 119; 14; 121; 122; 324; 326; 322; 181; 338; 339; 16, 33, 34: Jochen Fanghänel u. a.: WaldeyerAnatomie des Menschen, 520; 535; 538–539; 24 (a), 31, 36, 37: Martin Trepel: Neuroanatomie, 205; 317; 233; 233; 26: James L. Gould – Carol Grant Gould: Bewußtsein bei Tieren, 249; 38, 40, 41: Irving Kupfermann: Cortex und Kognition, in: Neurowissenschaften, 362; 356; 355 39: John C. Eccles, Das Gehirn des Menschen, 276;

42, 45, 46, 47: Alfred S. Romer: Entwicklungsgeschichte der Tiere, I 61; 73; 76; 78 43, 44, 74: Neil A. Campbell – Jane B. Reece: Biologie, 473; 753; 1244; 49: Manfred Spitzer: Geist im Netz, 5; 51, 52, 53: Eric R. Kandel: Neuronen und Verhalten, in: Neurowissenschaften, 23; 27; 29; 54: John Koester – Steven Siegelbaum: Ionenkanäle, in: Neurowissenschaften, 123; 63, 67: Harvey Lodish u. a.: Molekulare Zellbiologie, 439; 985; 70: James H. Schwartz: Neurotransmitter, in: Neurowissenschaften, 303; 81, 83, 84: Tom Jessell: Die Entwicklung des Nervensystems, in: Neurowissenschaften, 80; 103; 106 Teil B 1, 3, 4, 12, 27, 28, 29, 31, 40, 45, 49, 64, 66, 89, 97, 98, 99, 113, 114, 123: John P. J. Pinel: Biopsychologie, 434; 436; 436; 418; 183; 184; 183; 178; 193; 201; 463; 272; 279; 496; 307; 308; 309; 505; 503; 108; 2, 36, 37, 38, 65, 67, 68, 70, 72, 76, 96, 101, 103, 104, 105, 119, 120: Richard F. Thompson: Das Gehirn, 373; 248; 255; 253; 201; 269; 165; 167; 162; 175; 184; 190; 187; 178–179; 192; 180; 204; 5, 8, 80: Harvey Lodish u. a.: Molekulare Zellbiologie, 902; 1010; 983; 6: Bernhard Hassenstein: Lern- und Spielverhalten, in: Verhaltensforschung, 304; 7: Eric R. Kandel: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, in: Neurowissenschaften, 699; 9, 10, 11, 13, 17, 35, 53, 59, 77, 78, 81, 93, 94, 102, 106, 115: Monika Pritzel u. a.: Gehirn und Verhalten, 420; 424; 428; 437; 356; 172– 173; 182; 211/203; 487; 485; 499; 394; 398; 310; 377; 391;

Bildnachweis 14, 15, 16, 122: Victor Leutner: Schlaf, Schlafstörungen und Schlafmittel, 16; 19; 17; 96; 18: Gerhard Klösch – Ulrich Kraft: Der Stoff, aus dem die Träume sind, in: Gehirn und Geist, 2/2004, 58; 19, 20, 21: Jonathan Winson: Neurobiologie des Träumens, in: Gehirn und Bewußtsein, 52; 53; 51; 22: Rüdiger Wehner – Walter J. Gehring: Zoologie, 612; 23, 100, 112: Neil A. Campbell – Jane B. Reece: Biologie, 560; 1164; 1165; 24, 25, 30, 32, 34, 48, 50: David H. Hubel: Auge und Gehirn, 46; 47; 52; 61; 80; 162; 161; 26: Marc Tessier-Lavigne: Die Verarbeitung visueller Information durch die Retina, in: Neurowissenschaften, 423; 33: Eric R. Kandel – Carol Mason: Wahrnehmung von Form und Bewegung, in: Neurowissenschaften, 436; 39, 43: Semir M. Zeki: Das geistige Abbild der Welt, in: Gehirn und Bewußtsein, 35; 37; 41, 42: Marc Tessier-Lavigne – Peter Gouras: Farbe, in: Neurowissenschaften, 467; 469; 44: Andreas K. Engel – Wolf Singer: Neuronale Grundlagen der Gestaltwahrnehmung, in: Spektrum der Wissenschaft Dossier: Kopf oder Computer, 4/1997, 68; 46: Laurent Petit – Laure Zago: Der Sitz des Arbeitsgedächtnisses, in: Spektrum der Wissenschaft Spezial: Gedächtnis, 2/2003, 33; 47, 52, 54: Heinz Penzlin: Die Welt als Täuschung, in: Gehirn und Geist, 3/2002, 70; 70; 73; 51: Eric R. Kandel: Die Konstruktion des visuellen Bildes, in: Naturwissenschaften, 397; 55: Andreas K. Engel – Peter König – Wolf Singer: Bildung repräsentationaler Zustände im Gehirn, in: Gehirn und Bewußtsein, 43;

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56, 57: Manfred Spitzer: Geist im Netz, 141; 147; 58: Helmut Altner: Die chemischen Sinnesorgane, 98; 60: Hanns Hatt: Chemosensibilität, Geruch und Geschmack, in: Neurowissenschaft, 296; 61: Walter J. Freeman: Physiologie und Simulation der Geruchswahrnehmung, in Gehirn und Bewusstsein, 25; 62, 63: Irving Kupfermann – James H. Schwartz: Motivation, in: Neurowissenschaften, 629; 632; 69, 71, 73, 74, 82, 83, 84: Solomon H. Snyder: Chemie der Psyche, 63; 42; 133; 140; 192; 198; 196–197; 75: Helen Phillips: Die Glücksboten, in: Gehirn und Geist, 3/2004, 44; 79: Lubert Stryer: Biochemie, 541; 85: David Macdonald: Enzyklopädie der Säugetiere, 480; 86, 87, 88: Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Der vorprogrammierte Mensch, 54; 55; 44–45; 90, 91, 92, 116: Joseph E. LeDoux: Das Netz der Gefühle, 216; 218; 123; 182; 95: Alfred Benninghoff – Detlev Drenckhahn: Anatomie, II 517; 107, 108: Dietmar Todt: Sozialverhalten, in: Biologie, II 294; 296; 109, 110: Ned H. Kalin: Neurobiologie der Angst, in: Gehirn und Bewußtsein, 90–91; 92 111: Manfred E. Beutel u. a.: Entstehung und Verlauf der Panikstörung, in: Psychotherapeut, 4/2005, 250; 117: Johann Caspar Rüegg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn, 77; 118: Bryan Kolb – Ian Q. Whishaw: Neuropsychologie, 510; 121: Nancy Andreasen: Brave new Brain, 302

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Personen

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Register

Personen Abraham, Karl 643 Adler, Alfred 652 Adrian, Edgar Douglas 133, 198, 215 Aghajanian, George 558f. Alkmaion 33 Alles, Gordon 525 Altner, Helmut 462f. Alzheimer, Alois 39, 88, 241, 244, 281, 338ff., 537 Anand, B. K. 489 Andreasen, Nancy 76, 88, 90, 106, 340, 702f., 705 Arduini, Arnaldo A. 363 Aristoteles 26ff., 33f., 318 Aschaffenburg, Gustav 320 Aserinsky, Eugene 346 Athenagoras 17, 22 Averroës 27f. Axel, Richard 469 Babinsky, Ralf 332 Banaschewski, Tobias 527f. Bard, Philip 573ff. Barlow, George W. 481 Bartels, Andreas 616f. Baudelaire, Charles 550 Bauer, Johann 521f. Baylor, Denis 395 Benedetti, Gaetano 659 Benn, Gottfried 32, 38 Bennett, Edward L. 279 Benninghoff, Alfred 77, 84, 86, 93, 95, 102f., 105, 108, 112ff., 118, 129, 135, 467, 472f., 476, 484f., 516, 590, 610, 697 Bergmann, Bernard M. 42 Berkeley, George 46 Berlucci, Giovanni 437

Bilz, Rudolf 583, 629ff., 634f., 637 Birbaumer, Niels 41, 87, 93, 191, 280, 301 Bleuler, Eugen 528, 547 Blum, Werner F. 498 Bolz, Annette 323 Bonney, Helmut 528 Booth, W. D. 464f. Boring, Edwin Garrigues 445 Borsutzky, Sabine 310, 330 Bower, James M. 73 Brandt, Roland 338 Brassen, Stefanie 332, 339 Braun, Allen 356 Braus, Dieter F. 332, 339 Breidbach, Olaf 35 Breuer, Josef 335 Brobeck, J. R. 489 Broca, Pierre Paul 36, 88, 106, 148f., 151f., 154f., 171, 309, 324 Brodmann, Korbinian 39, 144ff., 166ff., 171, 327, 434 Bromm, Burkhart 516 Brown-Séquard, Charles Edouard 32 Bruce, Hilda M. 467 Buber, Martin 15 Büchel, Christian 536 Buck, Linda 469 Bucy, Paul C. 331, 575f. Bultmann, Rudolf 663 Butenandt, Adolf 461 Cahill, Larry 332 Callaerts, Patrick 377 Campbell, Neil A. 175, 177ff., 181, 183f., 186, 188ff., 195, 203, 242, 247ff., 251, 258, 280, 363, 378, 383, 388, 390, 400, 432, 461f., 595, 600f., 606f., 680, 682, 693, 696 Canale, Domenico 615 Cannon, Walter Bradford 573, 679f., 697 Changeux, Jean-Pierre 340

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Personen

Chen, K. K. 524 Clark, Andy 469 Cohen, Leonard 518 Comte, Auguste 308 Condrau, Gion 659 Coreth, Emerich 27 Corti, Alfonso, Marquis de 170 Crick, Francis Harry Compton 103 da Vinci, Leonardo 34 Dahlke, Paul 639 Damasio, Antonio R. 32, 35, 584, 586ff. Darwin, Charles 20, 375, 378, 382, 563f., 579, 639, 676 Dave, Amish S. 369 de Corti, Marchese Alfonso Giacomo Gaspare 142, 170 de Lamettrie, Julien Offray 30 de le Boë, Franciscus Sylvius 130 de Malebranche, Nicolas 23 de Valois, Russell 419f. de Yoe, Edgar A. 418 Deister, Arno 622, 702 Demokrit 25, 28, 373 Denzinger 17ff., 307 Descartes, René 22f., 30, 34, 51, 58, 300, 373 Deutsch, Georg 155 Diamond, Marian C. 279 Diamond, Milton 620 Diels, Hermann 373 Diogenes 657 Dominy, Nathaniel 386 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 535f., 547 Doussin-Dubreuil, Jacques-Louis 32 Dowling, John 398 Drenckhahn, Detlev 77, 84, 86, 93, 95, 102f., 105, 108, 112ff., 118, 129, 135, 467, 472f., 476, 484f., 516, 590, 610, 697 Drewermann, E. 16, 20, 58, 60, 85, 89, 111, 172f., 175, 177, 191ff., 204, 209, 211, 215f., 222, 227ff., 237, 241, 247, 253, 266, 297, 342, 370, 374, 378, 381f., 385, 387f., 390, 403, 418, 441, 466, 477, 481f., 485, 499ff., 536, 546ff., 595f., 630, 633, 644, 649, 652, 657, 663 du Bois-Reymond, Emil 31 Dubos, René 53 Dudel, Josef 227f., 239 Dunwiddie, Thomas V. 366

Eberhard Henschen, Salomon 403 Eberle, Ute 460, 465f., 476 Eccles, John Carew 44, 53, 159, 231, 321 Edison, Thomas Alva 233 Eggers, Christian 500 Eibl-Eibesfeldt, Irenäus 567, 630, 637 Ekman, Paul 567, 570, 579 Engel, Andreas K. 427, 447ff. Epikur 25 Erasistratos 33 Evarts, Edward Vaughan 129 Famiglietti, Edward 400 Fanghänel, Jochen 58, 60, 73, 86, 101f., 104, 106, 114, 126ff., 142, 146, 149, 155, 471, 510, 529 Fatt, Paul 222 Ferrier, David 35 Fesenko, Jewgeni 395 Fetz, Eberhard 450 Fichte, Johann Gottlieb 373, 556 Flechsig, Paul Emil 38, 415 Florey, Ernst 35 Flourens, Marie Jean Pierre 35f. Follath, Erich 92 Foulkes, David 352 Freeman, Walter J. 471ff., 476f. Freud, Sigmund 49ff., 67f., 100, 109, 308, 320, 322f., 333, 335f., 352, 358f., 361, 369, 481f., 502, 523, 534, 578, 583, 629, 640ff., 652, 658, 690 Frey, Eric 517 Friesen, Wallace V. 567 Fritsch, Gustav Theodor 36, 135 Gaddum, John 558 Gage, Fred H. 272, 341 Galen 30, 33, 516 Galilei, Galileo 381 Gall, Franz Joseph 30, 35f. Galton, Francis 319 Galvani, Luigi 31 Gehlen, Arnold 668 Gehring, Walter J. 289, 291, 296, 376f., 461 Gélineau, Jean-Baptiste Edouard 527 Geulincx, Arnold 23 Ghez, Claude 81f. Gibbs, James 492 Gilad, Yoav 469

Personen Göbel, Hartmut 557 Goldmann, David E. 211 Golgi, Camillo 192f., 195f. Gööck, Roland 539, 548 Gordon, Jim 81f. Gouras, Peter 419ff. Granville-Grossmann, K. L. 706 Gray, Charles 448f. Green, John D. 363 Greenfield, Susan A. 33, 68 Greenough, William Bates 280 Grimm, Jakob und Wilhelm 501, 554, 657 Gross, Charles Gordon 140 Gsteiger, Manfred 372 Guillemin, Roger Charles Louis 106 Haeckel, Ernst 177 Hagins, William 394 Halder, Georg 377 Halsted, William 524 Hanser, Hartwig 338, 611 Harlow, Harry Frederick 668ff., 674 Harlow, Margaret 668 Harper, Ronald M. 349 Hart, Heinrich 627 Hart, Julius 627 Hartmann, Nicolai 83 Hassenstein, Bernhard 305, 668 Hatt, Hanns 460, 471, 473 Hauser, Kaspar 668 Hayflick, Leonard 280 Hebb, Donald Olding 288, 313f., 471, 473 Hediger, Heini 629 Heffter, Arthur Carl Wilhelm 555 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 649, 652, 657, 662 Heidegger, Martin 659ff., 665f. Heim, Nikolaus 621 Heinze, Axel 557 Hennevin-Dubois, Elizabeth 369 Henry, James Paget 682 Hering, Ewald 418ff. Hermes, Laura 370 Herophilos 33 Herrmann, Ulrich 306 Herzinger, Richard 92 Hess, Walter R. 575, 680 Hetherington, A. W. 489 Hippokrates 32

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Hißmann, Michael 31 Hitzig, Eduard 36, 135 Hobson, John Allan 349, 351f., 356 Hodgkin, Alan Lloyd 212 Hoffman, Franklin A. 555 Hoffmann, Klaus-Peter 269 Hofmann, Albert 554, 557 Hölldobler, Bert 461 Homans, George Caspar 635 Horten, Max 27 Hubel, David H. 137, 274, 383, 388, 390ff., 397ff., 406f., 409f., 418ff., 428, 430, 432ff. Hughes, John 513 Hughlings-Jackson, John 36, 67, 352 Hume, David 46, 306ff. Huntington, George 89 Husserl, Edmund 659 Hüther, Gerald 528 Huxley, Aldous 555f., 561 Huxley, Andrew Fielding 212 Ingram, Vernon 341 Jacob, Klaus 381 Jacobson, Ludvig Lewin 466 James, Ronald 451 James, William 287f., 571ff. Jaspers, Karl 440, 664 Jessell, Tom 160, 260, 263f., 266ff., 273, 611 Jiang-Ning 625 Johannes Paul II. 20 Jouvet, Michel 349f. Julien, Robert M. 517, 524, 526, 528, 533, 544 Jung, Carl Gustav 320f., 359ff., 553, 677, 689 Jünger, Ernst 550, 561 Justin 16 Kahle, Werner 74, 142 Kain, Ned H. 673 Kalin, Ned H. 671f., 674f. Kamin, Leon J. 303 Kandel, Eric R. 36f., 63, 66, 114, 135, 151, 154, 172, 192, 194, 196, 198, 201ff., 212, 220f., 223f., 226, 232, 242, 244, 289, 291ff., 301ff., 306, 309ff., 316f., 403, 414, 424, 426, 431, 443, 572, 574ff., 593 Kaneko, Akimichi 398

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Personen

Kanizsa, Geatano 443 Kant, Immanuel 46f., 53, 307f., 439ff., 449, 457, 470, 478 Kaplan-Solms, Karen 353ff. Katz, Bernard 222 Kelley, Ann 530 Kelly, Dennis 160, 611 Kemmer, Susanne 520 Kerényi, Karl 620 Keverne, Eric Barrington 468 Keysers, Christian 617f. Kierkegaard, Sören 21, 649, 651ff., 661ff., 707 Klages, Ludwig 653 Kleiber, Max 487f. Kleitman, Nathaniel 346 Klösch, Gerhard 349, 351f., 355, 357f. Klüver, Heinrich 331, 575f. Koester, John 204, 208f., 211f., 214ff. Kolb, Bryan 32f., 35f., 41, 60, 63, 66, 78f., 88f., 92, 113, 130, 133, 144, 146, 148, 154f., 159, 195f., 218, 224, 228, 234, 236, 427, 592 Kolb, Helga 400 Koller, Karl 523 Komuro, Hitoshi 317 König, Peter 447ff. Korsakow, Sergej Sergejewitsch 332, 545f. Kosterlitz, Hans Walter 513 Kraepelin, Emil 39, 320 Kraft, Ulrich 349, 351f., 355, 357f. Krech, David 279, 676 Kreiter, Andreas 448 Krüger, Johann Gottlob 31 Kuffler, Stephen William 390, 394, 398, 420, 440 Kuhar, Michael J. 515 Kuhn, Roland 702 Kulikovsky, Olga T. 494 Kupfermann, Irving 118, 133, 135, 137, 149, 155, 158, 160f., 163, 301ff., 306, 309ff., 480, 483ff., 488, 491ff., 572, 574ff., 593 Kußmaul, Adolf 32 Lacan, Jacques 51f. Lancisi, Giovanni Maria 35 Lange, Karl G. 571ff. Laroche, Serge 317 Larson, John 366 Lavie, Peretz 352

LeDoux, Joseph E. 576ff., 580, 584, 590, 630, 679, 683ff., 687, 689, 691 Leibniz, Gottfried Wilhelm 23f., 28, 658 Lenau, Nicolaus 342 Leo XIII. 28 Leutner, Victor 343f., 347, 702, 705 Leuzinger-Bohleber, Marianne 322 LeVay, Simon 622 Levi-Montalcini, Rita 273 Lévi-Strauss, Claude Gustave 51 Leyhausen, Paul 564, 630 Liä, Dsï 707 Liebers, Verena 500 Lindauer, Martin 463 Lindner, Martin 344, 460f., 466f., 469f. Lippert, Helga 550 Livingstone, Margaret S. 418, 422 Lodish, Harvey 314 Loewi, Otto 237 Loftus, Elizabeth F. 323 Logothetis, Nikos K. 457f. Lorenz, Konrad 278, 481f., 493, 589 Lovinger, David M. 317 Lucas, Peter 386 Lurija, Alexander Romanowitsch 352f. Luther, Martin 656 Lynch, Gary S. 366 MacLean, Paul Donald 68, 118, 576 Magnus, Albertus 34 Magoun, Horace Winchell 344 Maier, Steven F. 675 Mangold, Hilde 263 Maquet, Pierre 358 Margoliash, Daniel 369 Margraf, Jürgen 701 Marias, Javier 321 Mark Solms, Mark 353ff. Markowitsch, Hans-Joachim 310f., 324, 330ff., 336f., 367 Marazziti, Donatella 615 Marsh, Peter 637 Marten, Michael 555 Mason, Carol 403, 414 Mauchart, Immanuel David 31 Mayet, Anton 128, 144, 146, 151f., 155, 198 McCarley, Robert W. 351, 356 McClintock, Martha K. 466 McGaugh, James L. 332

Personen McGinty, Dennis J. 349 Melanchthon, Philipp 71 Melville, Herman 506 Melzack, Ronald 521 Metz, Johann Baptist 20 Metzger, Johann Daniel 31 Metzger, Wolfgang 447, 452 Meynert, Theodor 88, 241, 326, 340, 587 Miketta, Gaby 172ff., 189 Miller, Henry 571 Milner, Brenda 309 Milner, Peter Marshall 109, 529 Mishkin, Mortimer 114 Mitchell, Silas Weir 506 Möhler, Hannes 703 Money, John 619f. Monti-Bloch, Louis 467 Moritz, Karl Philipp 31 Morris, Desmond 637 Moruzzi, Giuseppe 344 Mountcastle, Vernon Benjamin 133, 138, 409 Müller-Lyer, Franz 442f. Müller, Johannes Peter 31, 596, 619 Myers, Ronald E. 434ff. Nase, Gabriele 318 Necker, Louis Albert 444 Neitz, Jay 385 Nelson, Ralph 400 Nernst, Walther Hermann 209ff., 213f. Niemann, Albert 523 Nilsson, Dan-Eric 378 Nissl, Franz Alexander 39, 195 Nudow, Heinrich 31 Oeser, Erhard 32f., 35f. Ohm, Georg Simon 216f. Öhman, Arne 676 Okada, T. 703 Oken, Lorenz 667 Olds, James 109, 529 Oliva, Daniele 467 Ornstein, Robert 138 Osmond, Humphrey 553 Osterheider, Michael 703 Pääbo, Svante 469 Paar, Gerhard 707

737

Panksepp, Jaak 530f., 579, 581ff., 587, 593, 601, 630, 634 Papez, James Wenceslas 116ff., 323f., 326, 574f., 679 Parkinson, James 79, 81, 254 Parsons, Lawrence M. 73 Pascalis, Olivier 322 Paul, Jean 38 Pavlides, Constantine 367 Pawlow, Iwan Petrowitsch 38, 112, 299ff. Paz, Octavio 626 Penfield, Wilder Graves 163, 309 Penn, Richard 394 Penzlin, Heinz 406, 424, 431, 441, 443, 445f. Petit, Laurent 430 Pfaff, Cornelia 376ff. Phillips, Helen 531 Pinel, John P. J. 39ff., 63, 66, 76f., 81, 92, 104, 109, 111, 113, 128, 137, 151, 155, 160, 196, 198, 211, 215, 218, 223ff., 228, 236, 239ff., 244, 260, 270, 272f., 289, 293f., 312, 331ff., 343, 347, 351, 390ff., 395, 397, 403f., 408f., 418f., 424, 429, 434f., 471, 474, 476, 490f., 493ff., 506f., 510, 516, 538, 544, 563f., 570ff., 595f., 598, 600f., 606f., 610, 612, 619f., 622f., 682f., 685ff., 702f., 705 Piolino, Pascale 329, 333 Pius XI. 28 Pius XII. 18, 28 Platon 16, 23, 28, 34, 447 Plutchik, Robert 580 Poeck, Klaus 148 Ponzo, Mario 431, 442 Pöppel, Ernst 370, 499 Portmann, Adolf 667 Pritzel, Monika 34, 76, 84, 87f., 90, 234, 255, 324ff., 331ff., 335ff., 347, 350ff., 358, 380, 390, 395, 418, 420, 443f., 458, 466f., 476, 494, 506f., 509, 511, 515, 528, 537f., 540ff., 548ff., 553, 576, 581f., 584, 586, 591ff., 596ff., 600f., 605f., 610ff., 619, 621ff., 625, 688, 702f., 705 Purkinje, Johannes Evangelista, Ritter von 201, 268, 280 Rahner, Karl 19f., 27, 663 Rakic, Pasko 317 Ramón y Cajal, Santiago 193, 199, 388 Rank, Otto 641

738

Personen

Ranson, Stephan Walter 489, 574f. Ranvier, Louis Antoine 198, 217 Ratzinger, Joseph 20 Rechtschaffen, Allan 42 Reece, Jane B. 175, 177ff., 181, 183f., 186, 188ff., 195, 203, 242, 247ff., 251, 258, 280, 363, 378, 383, 388, 390, 400, 432, 461f., 595, 600f., 606f., 680, 682, 693, 696 Renshaw, Birdsey 240f. Rescorla, Robert A. 303 Rieber, Inge 621 Riemann, Fritz 658 Rimbaud, Arthur 550 Ringer, Sydney 237 Rizzolatti, Giacomo 437, 617 Roberts, Eugene 243f. Roelfsema, Pieter 449 Rorschach, Hermann 351, 451 Rose, Gregory Mancel 366 Rosenzweig, Mark Richard 279, 676 Roth, Gerhard 34, 68, 72ff., 81f., 89, 102, 108f., 111, 113, 118f., 127f., 176, 180, 184, 530, 616 Roth, Joseph 548 Rothenberger, Aribert 527f. Rowland, Lewis P. 228 Rückert, Friedrich 626 Rüegg, Johann Caspar 318, 670, 677, 680, 693f., 697ff., 701, 706 Rutherford, Ernest 193 Sagan, Carl 68 Sapolsky, Robert M. 677 Sartre, Jean-Paul 51, 663 Sattler, Johanna Barbara 156 Savic, Ivanka 466 Schaffer, Karl 312f. Schally, Andrew Victor 106 Schiller, Friedrich 459 Schmalohr, Emil 668, 670 Schmidt, Olaf 272 Schmidt, Robert F. 41, 87, 93, 191, 280, 301 Schneider, Dietrich 461 Schneider, Silvia 701 Schöne, Albrecht 35 Schönmetzer, Adolfus 307 Schopenhauer, Arthur 47ff., 482, 503f., 589 Schultz-Hencke, Harald 24 Schwann, Theodor 198, 202

Schwarting, Rainer 596, 614f., 623f. Schwartz, James H. 220, 234, 236, 255, 295f., 480, 483ff., 488, 491ff. Schwartz, Steven 157, 300, 445 Schwarz, Hildegard 370 Schweitzer, Albert 676 Seligman, Martin E. P. 675 Selye, Hans 682 Semir M. Zeki, 418 Seneca, Lucius Annaeus 515 Sertürner, Friedrich Wilhelm 517 Shakespeare, William 371f., 456, 626 Shelton, Steven E. 671 Sherrington, Charles Scott 196, 288f. Shipp, Stewart 418 Siegel, Jerome M. 344ff., 349 Siegelbaum, Steven 204, 215ff., 221, 232 Siegfried, Karl 26 Sigmundson, H. Keith 620 Sigusch, Volkmar 621 Singer, Wolf 40, 102, 427, 447ff. Skinner, Burrhus Frederic 304, 308, 529 Smith, Gerard P. 492 Snyder, Solomon H. 84, 255, 510, 516ff., 520, 523f., 526ff., 533, 555ff. Sokrates 16 Solms, Mark 351ff. Spaeth, Ernst 555 Sparks, Nicholas 341 Spemann, Hans 263 Sperry, Roger Walcott 156f., 269, 434ff. Spitz, René Arpad 642, 676 Spitzer, Manfred 172ff., 192, 194, 288, 314, 320, 369, 452f., 456, 506f. Springer, Sally P. 155 Stifter, Adalbert 5 Stoll, Arthur 556f. Storch, Volker 127, 430 Stryer, Lubert 546 Sütterlin, Christa 630 Svaetichin, Gunnar 419 Swaab, Dick F. 625 Swanson, Larry W. 698 Szondi, Leopold 501, 547 Taylor, Frederick Winslow 342 Terenius, Lars 521 Tessier-Lavigne, Marc 393, 395, 397, 399ff., 419ff.

Personen Teupert, Norbert 370 Thomä, Helmut 500 Thompson, Richard F. 76f., 84, 87f., 93f., 102, 106, 109, 111, 114, 129, 134f., 137ff., 142, 144, 151, 154f., 159, 172, 180, 184, 187, 190, 192f., 195, 198, 202, 204, 206ff., 211ff., 221, 223ff., 230, 232ff., 237ff., 247f., 251, 253ff., 258, 260f., 266, 268, 271, 274f., 277, 279ff., 291, 301f., 386, 407, 409f., 413ff., 418, 423, 434, 506, 510, 512ff., 529ff., 533f., 595, 601, 603ff., 609, 623, 676, 680ff., 691, 693f., 696ff., 703, 705 Thoreau, Henry David 304 Thorndike, Edward Lee 304 Thorwald, Jürgen 506 Todt, Dietmar 668 Tomita, Tsuneo 394 Trepel, Martin 73f., 77, 81, 102, 114, 116, 119, 128, 130, 142, 144, 149, 151, 154, 471, 476 Turnbull, Oliver 351f., 355, 357 Turner, P. 706 Tuszynski, Mark H. 341 Urbach, Erich 331 van Beethoven, Ludwig 450 van Essen, David C. 418 van Hooff, J. A. R A. M. 567 Vanderwolf, Case H. 364 Verdes, Robert 364 von Aquin, Thomas 27 von Baeyer-Katte, Wanda 629, 640 von Baeyer, Walter 629, 640 von Békésy, Georg 142 von Bertalanffy, Ludwig 211, 628 von der Malsburg, Christoph 447f. von Ditfurth, Hoimar 59, 93, 183f. von Fraunhofer, Joseph 381 von Glasenapp, Helmuth 553 von Helmholtz, Hermann 31, 418 von Holst, Dietrich 682 von Marxow, Fleischl Ernst 523 von Waldeyer-Hartz, Heinrich Wilhelm Gottfried 194 Waldeyer, Anton 128, 144, 146, 151f., 155, 198 Ward, Peter Douglas 379 Wasson, R. Gordon 554 Wasson, Valentina Pavlon 554

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Watson, John Broadus 299f. Wehner, Rüdiger 289, 291, 296, 376, 461 Wehrhan, Christian 269 Weingarten, Harvey P. 494 Weismann, August Friedrich Leopold 50 Welchs, Ulrich 430 Welsch, Ulrich 127 Welzer, Harald 322 Werblin, Frank 398 Wernicke, Carl 36f., 149, 151f., 154f., 167, 171, 319 Wheatstone, Charles 433 Whishaw, Ian Q. 32f., 35f., 41, 60, 63, 66, 78f., 88f., 92, 113, 130, 133, 144, 146, 148, 154f., 159, 195f., 218, 224, 228, 234, 236, 427, 592 Whitteridge, David 435 Wickler, Wolfgang 614 Wiesel, Torsten Nils 137, 274, 404, 407, 410, 420, 436, 440 Wiethe, Camillo 331 Willis, William D. 514 Willke, Thomas 383, 385ff. Winnicott, Donald Woods 677 Winson, Jonathan 350f., 361, 363ff. Wittelson, Sandra 155 Wolff, Caspar Friedrich 596, 618 Wolff, Hans Walter 15 Wolpe, Joseph 302 Wong-Riley, Margaret 417 Wood, Alexander 517 Woods, Stephen C. 494 Woolsey, Clinton Nathan 133 Wullimann, Mario F. 127, 176, 180, 184 Yoshikami, Shuko 394 Young, Robert C. 492 Yu, Albert C. 369 Zago, Laure 430 Zeier, Hans 44 Zeki, Semir M. 403, 415ff., 424, 426f., 616f. Zhang, Yiying 497 Zinn, Howard 92

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Abhängigkeit – der Psyche vom Hirnstamm 87 – der Psyche von neuronalen Gegebenheiten 245 – der Seele von neuronalen Mechanismen 22 – drogeninduzierte 537 – zwischen Psychischem und Physischem 24 – physische 537 – psychische 499, 641, 667 – psychogene 537 – von Alkohol 318, 545 – von Amphetamin 527 – von Analgetika 522 – von Coffein 549–550 – von den Eltern 667 – von Drogen 318, 517, 522, 534, 553 – von Heroin 522 – von Morphin 517 – von Nicotin 538 – s. a. Sucht Ablagerung – Plaques bei Alzheimer-Erkrankung 39 – von Gedächtnisinhalten 333 Ablation 619 Ablatio penis 619 Ableitungsmethoden, invasive 40 – Mikroelektrodenableitungen 40, 559 – von der Großhirnrinde, visuelles Wahrnehmungssystem 404, 436–437 – von serotoninergen Neuronen 559 – von Zellen aus der Retina 419 – von Zellen im Hypothalamus 483–484 Abrufen von Informationen – Abruf von Erinnerungen aus den ersten Lebensjahren 322 – Abruf von Erinnerungen, physische Repräsentation 311 – Abruf von Gedächtnisinhalten 323, 328– 329, 689 – Abruf von Informationen und Gestaltpsychologie 446

– Abruf von Lerninhalten und AlzheimerErkrankung 241 – Störungen beim Abruf von Gedächtnisinhalten 333, 337 Abrufstörung, Gedächtnis 241, 333, 337 Abspeicherung – neuer Informationen 310–311, 333 – neuer Informationen und Acetylcholin 88 – neuer Informationen und Alzheimer 88 – neuer Informationen und Glutamat 242 absolute Refraktärzeit 214 absteigende Bahnen 81, 102, 129, 169, 187, 248, 429, 513–515, 534–535, 582 Abstraktion – abstraktes Denken 355 Abwehr, immunologische 466, 485, 516 Abwehrverhalten 95, 461, 672, 681, 690–691 accessorisches olfaktorisches System 469, 611 Acetaldehyd 538, 543 Acetat 238 Acetylcholin (ACh) – Aufbau 237–238 – als Neurotransmitter 88, 220, 236–237, 240, 250–251, 326, 350–351, 587 – acetylcholinerge Nervenzellen 88–89, 98, 107, 124, 326, 350, 581 – an neuromuskulärer Synapse 220, 221, 227–228, 237–238, 241, 264, 270 – Bahnen im Gehirn 88 – Biosynthese 237–238 – Cholinacetyltransferase, Synthese von ACh 238 – cholinerge Autorezeptoren 540 – cholinerge exzitatorische Wirkung 537, 540 – cholinerge REM-On-Neuronen 351 – cholinerge Übertragung, Nobelpreis 44 – cholinerg vermittelte Gedächtniseinbußen 339, 537, 542 – Encodierung von Gedächtnisinhalten 88, 241, 326 – Erwerb cholinerger Eigenschaften von Vorläuferzellen 264 – Grenzstrangneurone 249–250 – Herz 237–238 – Hydrolyse – Inaktivierung 238, 243 – Nicotin als ACh-Agonist 537, 540

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Parasympathicus 250–251 – Rolle bei der Alzheimer-Erkrankung 88, 241, 244–245, 339–340, 537 – Sympathicus 249–251, 681 – Synapse 221–223, 238, 537 – Synapsenbildung 270–271 – Synthese 237–238 – System 88–89, 98, 241, 326, 587 – und Botulinustoxin 239 – und Hirnstamm 95 – und Physostigmin (Eserin) 239 – und Synthese von Prostaglandinen 511 – Vorläuferzellen 264–265 Acetycholinantagonisten – Curare 227–228, 239 Acetylcholinesterase (AChE) 238 Acetylcholinesterase-Hemmer 239, 340 – Malathion 239 – Therapie der AlzheimerErkrankung 340 Acetylcholinrezeptoren (ACh-Rezeptoren) – Antikörper 228 – Autorezeptoren 540 – muscarinerge 239, 241 – nicotinerge 238–239, 241, 537–538, 540 – und Autoimmunreaktion 228 – und Coffein 549 – und Curare 227–228, 239 – und Synapsenbildung 270–271 Acetylcholinrezeptor-induzierende Aktivität (ARIA, synaptisches Protein) 270 Acetyl-Coenzym A (Acetyl-CoA) 237–238 ACh s. Acetylcholin ACTH (adrenocorticotropes Hormon, Corticotropin) 106, 334–335, 606–607 – Glucocorticoidsynthese 335, 606–607, 697 – Freisetzung 696 – Nebennierenrinde 599, 697 – negative Rückkopplung über Cortisol 698 – und Streß und Angst 606, 675, 693 Acht-Monats-Angst 643 Acetyltransferase – Cholinacetyltransferase 238 Achromatopsie (Farbenblindheit) 426 Adaption – zelluläre Adaption 544 Adenin 548

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Adenohypophyse (Hypophysenvorderlappen, HVL)106, 122, 594, 601–603, 605, 693– 696 – Aufbau 695 – echte Drüse 695 – Funktion 106, 122, 335, 694, 695 – Lage 105, 122 – Hormone 106, 122, 594, 601–603, 605, 693, 694 – Peptidhormonabgabe 106, 122, 325, 594, 599, 601, 603, 604, 605, 606, 693, 694, 695 – Portalgefäßsystem 696 – Streßsystem 106, 122, 606, 695 – Aufbau 695 – Hormone 106, 122, 594, 601–603, 605, 693, 694 – Portalgefäßsystem 696 – Streßsystem 106, 122, 695 Adenosin – Transmitterwirkung 548 Adenosindiphosphat (ADP) 511 Adenosinmonophosphat (AMP) Adenosinmonophosphat, cyclisches (cAMP) 229–231, 551 – Aktivierung der cAMP-abhängigen Proteinkinase 295, 296, 297, 316, 551 – cAMP-abhängige Adenylatcyclase 316 – cAMP-abhängige Proteinkinase 295, 296, 297,316, 551 – cAMP-induzierbare Gene 317 – cAMP-Reaktionselement-bindendes Protein (CREB-Protein) 297 – sekundärer Botenstoff 230–231, 295 – Struktur 230, 296 – Synthese 295, 296, 551 – und Lernen und Gedächtnis 297 Adenosinrezeptor(en) 549 – Blockade durch Coffein 549 Adenosintriphosphat (ATP) 195, 211, 543, 551 – Bedeutung für Gehirn 237 – Synthese von cAMP 230 – Synthese von Prostaglandinen 511 Adenylatcyclase 295, 551 – Rolle beim assoziativen Lernen 295 ADH (antidiuretisches Hormon, Vasopressin) 190, 549, 606, 615, 693, 695,698 – als Sexualhormon 615

742

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Bildung im Nucleus paraventricularis 693, 695, 698 – Neurohypophyse 606, 615, 693, 695 – und Coffein 549 – und Fieber 485 – und Streß und Angst 582, 698 Adhäsionsmoleküle 270 ADHS (Attention Deficit Hyperactivity Disorder, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) 527–528 Adipositas (Fettleibigkeit) 491, 495, 497–502, 637–638 ADP (Adenosindiphosphat) 511 adrenaler Cortex s. Nebennierenrinde Adrenalin – als Asthmamittel 524 – als Catecholamin 84, 236, 245, 593, 682, 691 – als Hormon 188 – als Neurotransmitter 236, 247 – Angst und Streß 188, 679–682, 691, 699, 701 – Beeinflussung des Blutdrucks 699 – Beeinflussung der Herzfrequenz 699, 706 – Biosynthese 246–247 – endokrine Zellen – Insulinreaktion, Hemmung – Nebennierenmark 188, 679–681, 691, 699 – Strukturformel 246 – sympathisches Nervensystem 188 adrenerge Nervenzellen, sympathoadrenale Zellinie, synthetisieren Noradrenalin 264– 265 adrenerge Rezeptoren – α-adrenerge 705–707 – β-adrenerge 705–707 adrenocorticotropes Hormon (ACTH, Adrenocorticotropin) 106, 334–335, 606– 607 – Glucocorticoidsynthese 335, 606–607, 697 – Freisetzung 696 – Nebennierenrinde 599, 697 – negative Rückkopplung über Cortisol 698 – und Streß und Angst 606, 675, 693 Affekte 562

– und Amygdala 111–112 – und Angst 642, 647 – und Hirnstamm 100 – und Traum 354, 359 – und Verdrängung 333 affektiv gefärbte Psychose 146 Affektkontrolle 146 Affektmotorik 119–124 Affektstau 642–643 Affektverhalten 119, 122, 124, 125 Affe(n) – Aufbau des Gehirns 131 – Kaspar Hauser-Experimente 668–670, 674, 676 – kritische Zeit zur Anlage der Augendominanzsäulen 277 – orbitofrontaler Cortex 146 – somatosensorischer Cortex 133, 135 – Tierversuche zur Angst 671–672, 674, 676 – Tierversuche zu Epilepsie 244 – Tierversuche zu Milieueinflüssen (reich–arm) 280 – Tierversuche zu Myasthenia gravis 228 – Traglinge 668 – visueller Cortex 139–140 – Bewegungskontrolle – Gehirnentwicklung 280 afferent, Definition 71 Aggression – emotionale Ausdrucksbewegung der Aggression 564–565 – Gruppenaggressivität 635 – in hochtechnisierten Zivilisationen 589 – Pseudowut 573 – sexuell-aggressive Phantasien 621 – und Adipositas 498 – und Amygdala-Läsionen 41 – und Cortex 573 – und Hirnstamm 100 – und Hypothalamus 573 – und Liebe 617 – und limbisches System, Paul Donald MacLean 68 – und Magersucht 500 – und Serotonin 87 – und Streß 683 – und VNO 467 – s. a. Wut

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Agnosie – bei Alzheimer-Erkrankung 339 – bei Klüver-Bucy-Syndrom 331 – visuelle 331 Agonist(en) – Nicotin als ACh-Agonist 537 Agrin 270 AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) 622–623 Akkomodation, Auge 432 Aktionspotential – Alles-oder-Nichts-Prinzip 212, 215 – als elektrisches Signal 198, 212, 481 – Änderung bei Habituation – Auslösung 199, 212–214, 216, 223–226 – axonale Leitung – bei Gliazellen 202 – Berechnung – Chloridkanäle – Eigenschaften 212 – Einfluß von Second Messengern – Entstehung 204, 212, 223, 226, – Fortpflanzung 212–213, 215–218, 224 – Ionenkonzentrationen und -flüsse 212, 214, 216, 221, 225, 229, 242, 243, 293, 294, 295, 554 – Leitungsgeschwindigkeit 217 – Phasen 212–213 – räumliche Summation 224 – Schwellenpotential 212–216, 221–226, 332 – und Bipolarzellen 399 – und chemische Synapse 221, 223, 252 – und elektrische Synapse 232 – und Ganglienzellen 390 – und Geruchswahrnehmung 462 – und Habituation 293 – und NMDA-Rezeptoren 313–314, 542 – und Photorezeptorzellen 294 – und Sensitivierung 294, 295 – und Ranvier-Schnürringe 198, 218 – und Ruhepotential 208 – zeitliche Summation 224 Aktivations-Synthese-Theorie des Traums 351, 352, 356,357 Aktivierung – Amygdala 578, 582 – Basalganglien 171 – durch Testosteron 606

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– Enzyme 229, 243, 313, 395, 538, 540, 544, 551 – Geißeln 176 – Gene 317, 479 – Großhirn (und Hippocampus) 151, 160, 161, 355, 358, 364, 366, 367, 369, 415–418, 437, 458, 578, 579, 587, 588 – Hirnregionen 104, 121, 161, 171, 356, 366, 369, 415, 428–430, 466, 507, 533, 536, 542, 551, 561, 587, 588, 591, 612, 613 – Interneuronen 513–514, 533 – Muskeln 151, 171, 184, 192, 201, 231, 289, 368, 477, 524, 575 – Muster 353, 369, 407 – praeoptische Region 612 – REM-Schlaf/Traum 348, 355, 357–358, 361, 363, 364, 366, 368, 369 – Rezeptoren 142, 221, 242, 230, 253, 366, 538, 540, 541 – Streßachse 594, 633, 673 – Synapsen/Neuronen 223–225, 229, 232, 254, 312, 314, 399, 410, 411, 413,416, 507, 533–534, 551, 559 – Synchronizität 447–450, 471, 473, 474, 476, 477, 478 – Thalamus 104, 121, 171 – Wahrnehmungssystem 410, 463, 560 Aktivierungsenergie 215 Aktivierungssystem, retikuläres 344, 529 Aktivität, neuronale 223–225, 229, 232, 254, 312, 314, 399, 410, 411, 413,416, 507, 533– 534, 551, 559 Akupunktur 520–522 akustische Relaisstation 104, 121 Albträume 352, 354 Aldehyddehydrogenase 543 Aldosteron 190 Alkohol – Abbau 543 – als Einstiegsdroge 553 – Aufnahme in Körper/Gehirn 543 – Belohnungssystem 531–532 – Folgen von chronischem Alkoholmißbrauch 544–545 – Korsakow-Syndrom 332, 545–546 – Schwangerschaft 317–318 – Therapieversuche mit Geschmacksaversion 302 – und sexuelle Potenz 543–544

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Wirkung im Nervensystem 540–542, 544–545 Alkoholdehydrogenase 543 Alkoholentzug 545 Alkoholismus 544–546, 522, 528 Allel(e) – Alzheimer-Erkrankung 339 – Fettleibigkeit 497 Alles-oder-Nichts-Prinzip 198, 212 Allocortex 127–128, 165, 168 – Unterschied zu Isocortex 127, 165 Alpha-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolpropionsäure (AMPA) 242, 313, 340 3-Alpha-Androstenol 464–465 5-Alpha-Androsteron 464 Alpha-Fetoprotein 596 Alpha-Rezeptoren 705–706 Alphatier 637 Alpha-Wellen 347–348, 465 Alter – Schlaf-Wach-Rhythmus 347, 369 Altersdemenz 537 – s. a. Alzheimer-Erkrankung Alterspolyethismus 266 Alterungsvorgänge – Altersdemenz und cholinerges System 537 – Gedächtniseinbußen im Alter 337–338 – genetische Festlegung 280 – im Gehirn 280–281, 338, 339 – Reduktion des Gehirnvolumens im Alter 338 – und Glucocorticoide 335 – und Neuroplastizität 174 – s. a. Alzheimer-Erkrankung Altgedächtnis 113, 330, 332, 333 Altmantel (Palaeopallium) 126, 127, 164 Alzheimer-Krankheit – Altern 281 – genetische Faktoren 241, 244, 339–340 – NTF 338–340 – Plaques 39, 88, 338–340 – Tau-Protein 338–339 – Therapie 340–341 – und cholinerges System 88, 241, 244, 537 Alzheimer-Demenz 88, 339 Amakrinzellen – Definition 199 – Retina 382, 388, 389, 398,400

Ambivalenz – amerikanische Kultur 566 – Eßstörungen 501 – orale 643 Amboß 170, 281 Ameisenigel 361, 368 Amine 557 – biogene 236, 245, 254 – s. a. Adrenalin, Dopamin, Histamin, Noradrenalin, Serotonin γ-Aminobuttersäure s. GABA Aminogruppe 245 Aminosäurederivat-Hormone 594 Aminosäuren 595 – Bausteine von Proteinen 241, 242 – im extrazellulären Raum 208 – in ACTH 335, 696 – in Glutathion 183 – in Leucin-Enkephalin 513 – in Methionin-Enkephalin 513 – in Nahrung 492 – in Peptiden 594 – in Proteinen 594 – in Tryptophan 255 – in Tyrosin 247 – radioaktiv markierte Aminosäuretransmitter 236, 241, 242, 243 – s. a. Amine, biogene – s. a. GABA, Glycin, Glutamat, Aspartat – Biosynthese – exzitatorische – inhibitorische – Vorkommen Ammonshorn(CA), Hippocampus 113, 123, 312, 316, 339, 364, 365, 366, 367 Amnesie (Gedächtnisstörung) – Affen 114, 331 – Alzheimer-Erkrankung 88, 339 – Amygdala 114, 331 – anterograde 310, 332, 336 – Hippocampus 114 – hysterische 335 – präfrontaler Cortex 332 – psychogene 335–337 – retrograde 331, 336 – Riechhirn 331 – streß- und traumabedingte 333–335, 337, 579 – und Glucocorticoide 334, 337, 579

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte AMPA (Alpha-Amino-3-hydroxy-5-methyl4-isoxazolpropionsäure) 242, 313, 340 AMPA-Kanäle 340 AMPA-Rezeptoren 242, 313 Amphetamin(e) – als Appetitzügler 492, 526, 534 – als Aufputschmittel 523, 524, 533 – Belohnungssystem 529–532 – gegen ADHS 527–528 – gegen Asthma 524–526 – gegen Narkolepsie 526–527 – Strukturformel 526–527 – Sucht 526, 529–531 – und NA-System 254, 533 – und DA-System 254, 529–530, 533 Amphetaminpsychose 528, 533 Amphibien – Evolution 60 – Gehirn 60–61, 74, 127 – Salamander 60, 63 – Tierversuche, Roger Sperry 269 Amphicyten Amputation 523 – Neuroplastizität 174 – Phantomschmerz 506–507 Amygdala (Corpus amygdaloideum, Mandelkern) – amygdalofugaler Trakt 324 – Aufbau 111 – Basalganglien 77 – basolaterale 112, 113, 124, 590, 592, 687, 688 – basolateral-limbische Schaltkreis 324– 325, 592 – corticomediale (oberflächliche Kerngruppe) 111, 124, 127, 169, 476, 590, 592 – Entwicklung 118 – Funktionen 99, 111, 124 – Klüver-Bucy-Syndrom 331, 575–576 – Lage im Gehirn 66, 75, 124, 126, 165, 611 – Läsionsversuche 42, 112, 113, 331–332, 575, 593, 612 – limbisches System 82, 94, 107, 108, 110–111, 125, 127, 324, 474, 477, 510, 512, 529, 540, 575, 586, 673–674, 693, 694 – Parallelverarbeitung von Amygdala und Hippocampus 577, 590, 591,648 – Reizung 40

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– thalamo-amygdaläre Verbindung 112, 686, 687, 688 – thalamo-cortico-amygdaläre Verbindung 112–113, 590, 686, 687, 688 – und Angst 331, 582, 617, 673, 686, 687, 688, 689 – Streßachse 594, 607, 691, 692, 697, 699 – und Belohnungssystem 531, 534, 612 – und Emotion 326, 331, 476, 510, 540, 576, 577, 578, 582, 589, 590, 593, 617, 673, 683, 685, 690, 691 – und Gedächtnis 325, 330, 331–332, 534, 575–576, 577, 578, 698 – und Hippocampus 113, 114, 115, 116, 117, 123, 330, 335, 575, 577, 578, 591, 592, 648, 689, 698 – und Schmerz 515 – und Streß 594, 607, 691, 692, 697, 699 – und Tierversuche bei Affen 41–42, 575 – und Tierversuche bei Ratten 40, 331, 612 – Urbach-Wiethe-Erkrankung 331–332 – zentromediale (Zentralkern) 111, 124, 590, 592, 593, 685 Amyloidplaques (AP) 39, 338, 340 Anästhesie – lokale 523–525 Analgetikum (-a) – Cocainderivate 523–524 – Morphin 517 – Enkephalinderivate 520 Androgene 599–601, 621 – antiandrogene Wirkung 621 – Definition 599 – Einfluß auf Sexualverhalten 605, 621 – Hoden 600 – Nebennierenrinde 600–601 – Schambehaarung 601 androgenitales Syndrom 618–619 Androgenresistenz 619 Androgenrezeptor(en) 625 Androstadienon 466 Androstendion 601 angel dust (PCP, Phencyclidin, Engelsstaub) 313 Angiotensin II 190, 236 Angriff 100, 106, 111, 122, 156, 189, 442, 516, 564, 573, 631, 632, 633, 637, 674, 680 – Angriffshormon 526, s. a Adrenalin – Flucht oder Angriff 442, 516, 680, 701

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Angst – Acht-Monats-Angst 643 – angeborene auslösende Situationen 108– 109 – Behandlung 244, 621, 707 – bei Affen 638, 671 – Betablocker 705 – corticale Bahn 685–689 – direkte Bahn 685–689 – Emotionstheorien 571–572, 574, 579, 580, 581, 582, 584, 590, 594 – Gehirnstrukturen für Angstverhalten 673–674 – und Adrenalin und Noradrenalin 188, 680, 681 – und Alkohol 540 – und Amygdala 82, 124, 331, 579, 617, 679, 691 – und Benzodiazepine 244 – und GABA-System 244 – und Heroin 518 – und Hirnentwicklung 677 – und Hypothalamus 574 – und Kaspar-Hauser-Experimente 638 – und Konditionierung 302, 303 – und LSD 557 – und SSRI (Selektive-SerotoninReuptake-Inhibitoren) 621, 705 – und Streßachse 515, 679–681 – und Sympathicus 188, 251 – und Zentrales Höhlengrau 94 – Universalität der Angst-Emotion 566 – s. a. Furcht Angstkonditionierung 590, 691 – an Ratten 590, 691 Angststörung(en) 677, 678, 702, 703 Angstsystem 582 – Paniksystem 583, 630 Angstzustände 92, 93, 244, 281, 336, 549, 621, 706 angstlösende Medikamente 244, 621 Anionen – Acetationen (Essigsäure-Anionen) 238 – Aspartat 238 – Chlorid 208, 209, 210, 225 – Definition 208 – Glutamat 242 – organische, Proteinionen und Aminosäureionen 208–209

Anorexia nervosa (Magersucht) 497, 499– 502, 534, 536–537 Anpassung – des glutaminergen Systems bei Alkoholismus 544 – bei Habituation 291 – bei Sensitivierung 297 – Homosexualität als Anpassung 624 – in der Evolution 378, 384, 386, 446 – Neuroplastizität 536, 588, 611 – Streß als Anpassungsreaktion 682 Anreiztheorie 493, 494, 496, 497 Antagonist(en) – antagonistisch wirkende Hormone 190 – GABA-Antagonist 244 – Gleichgewichtszustand in der Natur 272–273 – Sympathicus und Parasympathicus 251 anterior, Definition 71, 96 anteriore Insula 324 anteriore Kommissur (Commissura anterior) 485, 623 anteriore Thalamuskerne 104, 108, 121, 125, 324, 546, 576 anteriorer Gyrus cinguli (anteriorer cingulärer Cortex) 146, 169, 357, 583, 586, 587, 593, 613 – Liebesmodul 616 anteriorer Hypothalamus 483–484, 492 anteriorer medialer Temporallappen 331 anteriorer Pol des Temporallappens (vordere Spitze des Temporallappens) 162, 168, 328, 329 anterograde Amnesie 310, 330, 332, 336 anterograder Transport 196 anterolaterales System (Vorderseitenstrangsystem) 507, 508, 529 antiandrogene Wirkung 621 Antidepressiva 254 – Behandlung von Angststörungen 702 – SSRIs 705 – tricyclische Antidepressiva (TCA) 702 – Wirkungsweise 254, 702 antidiuretisches Hormon (ADH, Vasopressin) 190, 549, 606, 615, 693, 695,698 – als Sexualhormon 615 – Bildung im Nucleus paraventricularis 693, 695, 698 – Neurohypophyse 606, 615, 693, 695

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Reflexe – und Coffein 549 – und Fieber 485 – und Streß und Angst 582, 698 Antigen(e) 596 Antikörper (Immunglobuline, Ig) 228, 244, 273 – Bildung bei Myasthenia 228 – transmitterspezifische 244, 273 Antipsychotika 702 antipyretisches Gebiet 485 Antrieb – Felder des mittleren Stirnhirns 146 – lokomotorischer 119, 123, 166, 616 – Motivation 478–480, 614 – psychomotorischer 123, 166, 616 Anziehungskraft – elektrochemische 211 – elektrostatische 209–210 Aphagie – Tierversuch an Ratten 41 Aphasie – Broca 152 – Leitungsaphasie 152 – motorische 36, 152 – sensorische 152 – und Alzheimer-Erkrankung 339 – Wernicke-Aphasie 36, 152 apikaler Dendrit 196 Aplysia californica (Meeresschnecke, Seehase) 287 – Habituation 291, 294, 297 – Kiemenrückziehreflex 289, 290, 297 – Nervensystem 289, 316 – Sensitivierung 294–295, 299, 297 APOE-ε4-Allele, Alzheimer-Erkrankung 339 Apolipoprotein E 339 Aponal (Doxepin) 702 Apomorphin 302 Apoptose (programmierter Zelltod) 272 Appetenz – bedingte 301, 305 – konditionierte 301, 305 Appetenzverhalten 301, 614 Appetit, auf Trüffel und Schweinefleisch 465 Appetitanreger 492, 500, 593 Appetitlosigkeit 497 Appetitzügler, Stimulantien 526, 534

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Apraxie – bei Alzheimer-Erkrankung 339 – bei Läsionen 155 Aquaeductus mesencephali cerebri (cerebraler Aquaedukt) 66, 94, 97, 516 Arachidonsäure 511 ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) 344, 529 Arbeitsgedächtnis 328, 338, 353, 430, 576, 588 Archicortex 127, 128, 164, 165, 169 Archipallium (Urmantel) 126, 127, 164 Area (Areal, Cortexareal, Feld) – Broca-Areal (motorisches Sprachzentrum, Brodmann-Areale 44, 45) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – Brodmann-Areale 144–146 – Brodmann-Areale 1–3 (primärer somatosensorischer Cortex) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 – Brodmann-Areale 2, 5 (übergeordneter – sekundärer – somatosensorischer Cortex) 134, 137, 167, 617 – Brodmann-Areal 4 (primärer motorischer Cortex) 75, 80–82, 104, 129–130, 133, 135–137, 139, 146, 149, 151, 154– 155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 – Brodmann-Areale 6, 8 (übergeordneter – sekundärer – motorischer Cortex) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167 – Brodmann-Areale rostral zu 6 (präfrontaler Assoziationscortex) 118, 133, 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areale 9, 10 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 – Brodmann-Areal 11 148 – Brodmann-Areale 11, 23, 24, 28, 38 (limbischer Assoziationscortex) 118, 125, 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areal 17 (V 1, Area striata, primärer visueller Cortex, Streifencortex) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21 (übergeordneter – sekundärer – visueller Cortex, prästriärer Cortex) 104, 121, 131,

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– – – – – – – –

– – –

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte 137–140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 Brodmann-Areal 22 (Wernicke-Zentrum, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 Brodmann-Areal 33 (Gyrus cinguli, cingulärer Cortex) 88, 107, 114, 116–119, 122, 123, 125, 126, 616 Brodmann-Areal 39 (Gyrus angularis, Lese- und Schreibzentrum) 152, 163, 166, 171 Brodmann-Areale 39, 40, 19, 21, 22, 37 (parietal-temporal-okzipitaler Cortex) 161–163, 167, 168 Brodmann-Areale 41, 42 (primäre Hörrinde, primärer auditorischer Cortex) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167 Brodmann-Areale 44, 45 (Broca-Areal, motorisches Sprachzentrum) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 Brodmann-Areale 46, 47 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 cingularis (Gyrus cinguli, cingulärer Cortex, Brodmann-Areal 33) 88, 107, 114, 116–119, 122, 123, 125, 126, 616 entorhinalis (Regio entorhinalis, entorhinaler Cortex) 75, 107, 114, 119, 122, 123, 127, 128, 165, 168, 169, 310, 311, 312, 325, 339, 364–365, 367, 474, 476, 477, 689 Extrastriatum 357 frontaler Cortex 118, 148, 471, 476, 592, 612 Gyrus piriformis 471, 476 Gyrus postcentralis 166, 318, 506 Gyrus praecentralis 104, 121, 149, 165 inferior-temporaler Cortex 311, 457 Insula (Insel, insulärer Cortex, Inselrinde) 130, 165, 324 ITC (visuelles Feld im inferior-temporalen Cortex, s. a. VTE, visuell-temporales Feld) 457 kinästhetisches Feld 146, 152 limbischer Cortex 107, 121, 122, 127, 128, 168 Motocortex (Gyrus praecentralis) 104, 121

– motorisches Sprachzentrum (BrocaAreal, Brodmann-Areale 44, 45) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – MT (visuelles Feld V 5 im mediotemporalen Areal) 415–417, 424–427, 458 – orbitofrontaler Cortex 118, 125, 146, 168, 590, 593, 611, 613 – parahippocampalis (Gyrus parahippocampalis) 107, 110, 114, 119, 122, 123, 128, 165, 166, 168, 169, 310, 325 – perirhinalis (perirhinaler Cortex) 169, 325 – praeoptisches Areal (Hypothalamus) 484, 485, 583, 607, 609, 612 – präfrontaler Cortex 35, 75, 81–82, 92, 106, 118, 122, 146, 168, 326–328, 332, 333, 338, 339, 351, 357, 361, 363, 368, 429, 430, 491, 529–531, 533, 534, 542, 546, 551, 584–588, 592, 673, 674, 687, 689, 693 – prämotorischer Cortex 161–162, 167, 588 – prämotorisches (lateraler prämotorischer Cortex) 80–82, 137, 161–163, 167 – primärer auditorischer Cortex (primäre Hörrinde, Brodmann-Areale 41, 42) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167, 684–687 – primärer motorischer Cortex (Brodmann-Areal 4) 75, 80–82, 104, 129–130, 133, 135–137, 139, 146, 149, 151, 154– 155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 – primärer somatosensorischer Cortex (Brodmann-Areale 1–3) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 – primärer visueller Cortex (V 1, Area striata, Streifencortex, BrodmannAreal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407– 409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – rezeptives Feld 390, 391–394, 397–407, 412, 414, 420–423, 435, 437, 448 – Riechhirn 471, 473, 474 – septalis (Septumkerngebiet, kurz: Septum) 75, 86, 107, 114, 116, 124, 351, 364, 366, 485, 575, 611

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – striata (primärer visueller Cortex, Streifencortex, Brodmann-Areal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – subcallosa 324 – supplementärmotorisches (SMA und prae-SMA, medialer supplementärmotorischer Cortex) 80–82, 129, 137, 167, 169, 588 – tegmentalis ventralis (VTA) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531, 533, 537, 581, 612 – temperaturempfindliches Areal, Hypothalamus 93 – TEO 139–140, 165, 167 – übergeordneter (sekundärer) auditorischer Cortex (Wernicke-Areal, Brodmann-Areal 22, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171, 684 – übergeordneter (sekundärer) motorischer Cortex (Brodmann-Areale 6, 8) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167, 617 – übergeordneter (sekundärer) somatosensorischer Cortex (BrodmannAreale 2, 5) 134, 137, 167, 617 – übergeordneter (sekundärer) visueller Cortex (Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137– 140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 – VTA (Area tegmentalis ventralis) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531, 533, 537, 581, 612 – VTE (visuell-temporales Feld, visuelles Feld im inferior-temporalen Cortex, ITC) 139–140, 165, 167, 311, 416, 457, 458 – V 1 (primärer visueller Cortex, Area striata, Streifencortex, BrodmannAreal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407– 409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – V 2 (visuelles Feld) 415–416, 424–427 – V 3 (visuelles Feld) 415–416, 424–427 – V 4 (visuelles Feld) 415–417, 424–426, 477

749

– V 5 (visuelles Feld im mediotemporalen Areal, MT) 415–417, 424–427, 458 – V 6 (visuelles Feld) 416 – Wernicke-Areal (Brodmann-Areal 22, übergeordneter – sekundärer – auditorischer Cortex, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 Ärger – als Emotion 562, 566, 570, 572 – Cannonsche Notfallreaktion 679 – und Adrenalinspiegel 679 – und Amygdala 582 – und Blutzucker 682 – und Hypothalamus 575, 680 – und Streßachse 515, 575, 682, 708 – s. a. Wut ARIA (Acetylcholinrezeptor-induzierende Aktivität, synaptisches Protein) 270 Arbeitsgedächtnis – im Alter 338 – und Emotionen 576, 584 – und somatische Marker 588 – und Traum 353 Arm – corticale Repräsentation 133, 137, 506 – Motorik 74 – Neuroplastizität der corticalen Repräsentation 506 – s. a. somatosensorischer Cortex – s. a. motorischer Cortex aromatische L-Aminosäure-Decarboxylase 246, 247 arousal-reaction (Weckreaktion) 344 ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) 344, 529 Art (Species) 566, 634, 676 Arteria communicans anterior (ACoA) 332 Arterie(n) 190, 521 Arteriolen 190, 706 Artikulation 37 Asparaginsäure (Aspartat, Neurotransmitter) 235, 236, 242, 243 Assoziationsbahnen 151 Assoziationscortices (Assoziationsareale, Assoziationsfelder) – auditorischer 162 – Evolution 127, 133 – frontaler Assoziationscortex 118, 133

750

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– limbischer Assoziationscortex 118, 125, 161–163, 167–168, 338 – parietal-temporal-okzipitaler Assoziationscortex 104, 121, 161–163, 167, 324, 338, 340, 575, – präfrontaler Assoziationscortex 118, 148, 161–163, 167–168, 338 – und Traum 364 – Verbindung zwischen 78, 99, 161–163 – visueller 162 Assoziationsfasern 128, 168 Assoziationsfelder – s. Assoziationscortices Assoziationsgebiete – s. Assoziationscortices assoziatives Lernen 287, 299–306, 312, 314, 316, 327, 368, 564 – und Langzeitpotenzierung 314, 316 – und NMDA-Rezeptoren 314 Asthma 524–526 Astrocyten (Sternzellen) 202, 203, 265, 266 Asymmetrie der Gehirnstrukturen 159, 160, 328, 611 – s. a. HERA-Modell 328 – s. a. Lateralisation 155, 156, 159, 160, 325, 328, 611, 623, 625 Atemmuskulatur 151, 171 Atemtest, Alkohol 543 Atmung – bei Angst 572, 683 – Curare 228 – Redox-Gleichung 172 – Zellatmung 195 – Zentrum für Atmung, Formatio reticularis 65, 95, 96, 108 Atome 192, 207 Atomphysik 192–193 ATP (Adenonintriphosphat) 195, 211, 543, 551 – Bedeutung für Gehirn 237 – Synthese von cAMP 230 – Synthese von Prostaglandinen 511 Atropa belladonna 239 Atropin 239 auditiver Thalamus 684, 685, 687 auditorische Bahn (Hörbahn) 143, 144, 151, 170, 171, 685 auditorische Information (Reiz) 114, 683, 684 auditorischer Assoziationscortex 162

auditorischer primärer Cortex (primäre Hörrinde, Brodmann-Areale 41, 42) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167, 684–687 auditorischer übergeordneter (sekundärer) Cortex (Wernicke-Areal, BrodmannAreal 22, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171, 684 auditorisches Mittelhirn 66, 97, 684 auditorisches System 112, 124, 140–144, 165 Aufmerksamkeit – bottom-up-Mechanismus 453–456 – top-down-Mechanismus 453–456 – und Adenosin 549 – und ADHS (Attention Deficit Hyperactivity Disorder, AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitäts-Syndrom) 527–528 – und anteriorer Gyrus cinguli 357 – und Assoziationscortices 161, 167 – und Coffein 549 – und Formatio reticularis 343 – und insulärer Cortex 165, 616 – und Kleinhirn 73 – und Motivation 480 – und NA-System 254 – und präfrontaler Cortex 584, 588 – und Thalamus 102, 120, 402, 515 – und Schmerz 509, 515 – und somatische Marker 588 – s. a. Vigilanz 102, 120, 632–633 – s. a. Wachsamkeit 84, 473, 527, 693 Aufmerksamkeitsprozesse 453–456 Aufmerksamkeitsstörung (ADHS, Attention Deficit Hyperactivity Disorder, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) 527–528 Aufputschmittel 254, 523, 526, 527, 533, 542, 616 – Amphetamine 492, 524–534 – Cocain 254, 523, 524, 528, 530–534, 536, 616 – Stimulantien 523, 524, 528 aufsteigende Bahnen 102, 126–127, 187, 248, 344, 429, 507, 529, 534–535 aufsteigendes retikuläres aktivierendes System (ARAS) 344, 529 Auge – Akkomodation 432 – als Teil des Gehirns 387, 402

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – – – –

Anpassung an Dunkelheit 397 Aufbau 199, 382–383, 388 Auflösungsvermögen 393 Augendominanzsäulen 275–278, 318, 403, 417 – Drei-Farbsehen 385 – Entwicklung aus Neuralplatte 260, 418 – Evolution 375–383, 386–387 – Orientierungssäulen 417 – Projektion auf seitlichen Kniehöcker 404, 413, 414 – räumliches Sehen 430–433, 437 – Schielen 278 – Sehbahn 102, 120, 274–275, 402, 403 – Sehfähigkeit bei verschiedenen Tieren 386–387 – Sehnerv, Kenntnisse in der Antike 33 – Suppression 438–439 – Tierversuche 269, 275–277, 377, 390, 434–436, 448, 449 – s. a. Cortex, visueller – s. a. Wahrnehmung Augenbewegung(en) – Gyrus frontalis superior 146, 166 – Hirnstamm 458 – im Schlaf 347, 349, 368, 523–524 – Mittelhirn 66, 97 – Kleinhirn 72, 96 Augenfolgebewegungen 72, 96 Augenlider 432 Augenlinse 377–383, 387, 432 Augennerven – Augenbewegungsnerv 69 – Augenrollennerv 69 – seitlicher Abzieher des Auges 69 Ausdruck – emotionaler 563, 570, 571, 574 – s. a. Gesichtsausdruck 79, 112, 567, 570, 579, 592, 676 Ausdrucksverhalten (Ausdrucksbewegung) 563–569, 579 Autismus 73 Autoimmunkrankheit 228, 516, 708 Automatiezentrum für Theta-Rhythmus 364 automatische somatische Marker 588 autonomes Nervensytem (vegetatives Nervensystem) 70, 66, 102, 105, 122, 188, 233–

751

239, 245, 247, 249–252, 564, 571, 574–576, 588, 591, 592, 681, 699, 706, 707 Autopsie 36, 622 Autoregenerativ 215, 223 Autorezeptor(en) 540 Aversion – bedingte 305 – Geschmacksaversion 302 – konditionierte 301 Axon(e) – Aktionspotential 198, 212, 215, 216, 221, 224 – als Leitungsbahnen 181, 196, 197, 200, 399 – Auswachsen der Axone 202, 260, 268– 270 – Axonbündel 312 – Axonendigung 207, 219, 220, 221, 229, 232, 238, 242, 254, 255, 270, 271, 277, 394, 533, 680, 695 – Axonmembran 207, 210, 212, 213, 216 – Axonursprung 212 – Axoplasma 217 – dendritische 399 – Durchmesser 196, 216, 217 – Ionenkonzentration innerhalb und außerhalb des Axons 209 – Kollaterale 240, 241, 289, 312 – Länge 198 – Myelinisierung 198, 201, 217, 218, 509 – nicht-myelinisierte 217, 509 – Ohmsches Gesetz 217 – peripheres Nervensystem 201, 240, 249, 251 – Pyramidenzellen 455 – Regeneration 269 – saltatorische Erregungsleitung 218 – Schaffer-Kollateralen 312–313 – Varikositäten 254 – Wachstumskegel 268–270 – weiße Substanz axonale Kollaterale 240, 241, 289, 312 axonale Regeneration 269 axonaler Transport 196, 198, 238, 252, 255, 338 Axonfaser 240, 312, 382, 388, 402, 434, 436, 455, 472, 490 Axonhügel 198, 199, 212, 216, 223, 224, 226, 473

752

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Schwelle Axoplasma 217 axoplasmatischer Transport 238, 242, 695 Bahnen (Nervenfasern) – absteigende 81, 102, 129, 169, 187, 248, 429, 513–515, 534–535, 582 – acetylcholinerge 88 – afferente 71, 72, 102, 113, 114, 122, 123, 125, 186, 187, 248, 249, 311, 312, 344, 529, 707 – anterolaterales System (Vorderseitenstrang) 507–508, 529 – anteriore thalamische Pedunculi 324 – Assoziationsfasern (-bahnen) 128, 151, 168 – auditorische Bahn (Hörbahn) 143, 144, 151, 170, 171, 685 – aufsteigende 102, 126, 186, 248, 507, 529, 534–535 – Belohnungsbahn 541 – Blutbahn 190, 195, 356 – Commissura anterior (vordere Kommissur) 128, 156, 157, 169, 434, 485, 623 – Corpus callosum (cerebrale Kommissur, Balken) 35, 63, 88, 107, 116, 123, 124, 128, 129, 156, 157, 160, 166, 168, 324, 430, 433–437, 450, 611, 623 – Corpus trapezoideum 143, 170 – cortico-corticale Bahnen 455 – corticofugale Fasern 128, 169 – corticopetale Fasern 128, 169 – corticostriäre 81 – direkte Bahn, Retina 388, 393, 398, 400 – dopaminerge 75, 76, 88, 97, 99, 491, 529, 530, 541 – dorsales noradrenerges Bündel (Dorsalbündel) 84 – efferente 114, 123, 187, 248, 71 – Entdeckung der Nervenbahnen, Antike 33 – extrapyramidale, Rückenmark 81, 124, 129, 169 – Fasciculus arcuatus (Fibrae arcuatae cerebri) 151, 154, 171 – Fasciculus telencephalicus (mediales Vorderhirnbündel) 529, 530, 533, 535 – Fasciculus uncinatus 328–329 – Fornix 107, 116, 124

– Hörbahn 143, 144, 151, 170, 171, 685 – Hinterstrangsystem (mediales Lemniscussystem, primäre somatosensorische Bahn, Lemniscus medialis) 504–507 – indirekte Bahn, Retina 388, 393, 397, 398, 400 – Kommissurenfasern 157, 168, 128, 160, 169, 434, 611 – Leitungsbahnen, Axone 181, 196, 260 – magnozelluläre 403, 414, 424 – mediales Lemniscussystem (primäre somatosensorische Bahn, Hinterstrangsystem, Lemniscus medialis) 504–507 – mediales Vorderhirnbündel (Fasciculus telencephalicus) 529, 530, 533, 535 – Moosfasern 113, 123, 312 – motorische 69–71, 81, 102, 129, 169, 248, 249, 251, 271, 291, – nigrostriatale 76, 491 – noradrenerge 84–85, 87–88, 531, 529, 612 – Parvo-Blob-Bahn 424 – Parvo-Interblob-Bahn 424, 425 – parvozelluläre 403 – Pedunculi 65, 96 – periphere 220, 269 – Projektionsbahnen (-fasern) 90, 128, 133, 135, 166, 169 – Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis) 81, 82, 128, 129, 169 – Reflexbahn 310 – Schmerzbahn 94, 504, 509–512, 515– 516, 687 – Sehbahn 122, 154, 169, 274, 275, 402, 406, 436, 457 – sensorische 71, 100, 102, 116, 120, 201, 248, 281, 504 – serotoninerge 86, 88, 123, 529 – spinal 247–248 – Stria terminalis 515 – thalamo-amygdaläre Bahn 112, 685–689 – thalamo-cortico-amygdaläre Bahn 112, 685–689 – Tractus corticonuclearis 81, 129, 149, 169, 171 – Tractus corticospinalis (Pyramidenbahn) 81, 82, 128, 129, 169 – Tractus mamillothalamicus 574 – Tractus neospinothalamicus 510

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – – – – – –

Tractus olfactorius 111 Tractus opticus 274, 402, 435 Tractus palaeospinothalamicus 510 Tractus perforans 312 Tractus rubrospinalis 74, 98 Truncus sympathicus (Grenzstrang des Sympathicus) 249 – vegetative 249 – ventrale amygdalofugale Bahn 324, 593 – ventrales noradrenerges Bündel (Ventralbündel) 84 – viszerosensible – vordere Kommissur (Commissura anterior) 128, 156, 157, 169, 434, 485, 623 – Vorderseitenstrang (anterolaterales System) 507–508, 529 – Was-Bahn (P-Bahn, ventrale Bahn) 403, 425, 429, 430 – Wo-Bahn (M-Bahn, dorsale Bahn) 403, 414, 424, 429, 430 – zwischen Amygdala und Hippocampus 591 – zwischen Broca- und Wernicke-Zentrum 152 Bahnung, präsynaptische 294 Bakterium 175, 195 Balken (Corpus callosum) 35, 63, 88, 107, 116, 123, 124, 128, 129, 156, 157, 160, 166, 168, 324, 430, 433–437, 450, 611, 623 – Durchtrennung 156 – Funktion 35, 63, 128, 129, 156, 157, 168 – Homosexualität 623 – räumliches Sehen 430, 433–437, 450 – Split-Brain 156 – Tierversuche 156, 434–436 – weibliches/männliches Gehirn 116, 611, 623 Bandeletta diagonalis (Stria diagonalis, Diagonalband, diagonales Band von Broca) 88, 324, 326 Bandscheibenvorfall 509 basale Bedingungen der biologischen Existenz 92 basale Dendriten 196 basales Vorderhirn – Läsionen 332 – und Alkoholismus 546 – und Alzheimer-Erkrankung 340

753

– und emotionale Bewertung 326, 583, 586 – und Freßzentrum 491 – und Stria terminalis 609 – Strukturen 88, 98, 324, 326 Basalganglien – Evolution 127 – Name, Zuordnungen, Lage 66, 99, 108, 121, 122, 124, 126, 171 – und Acetylcholin-Sytem 88, 537 – und basolateral-limbischer Schaltkreis 324, 592 – und Claustrum 613 – und DA-System 76, 545 – und GABAerges System 90, 531 – und Gedächtnis 329, 330 – und Liebe 618 – und limbisches System 108, 451, 691 – und Parkinson-Erkrankung 79 – und präfrontaler Cortex 588 – und Serotonin-System 86, 87 – und Sprachmotorik 151, 171 – und Substanz P 511–512 – und Willkürmotorik 77, 79–83, 151, 327, 588 – Verbindung zwischen Assoziationsfelder 78, 79, 82 – s. a. limbischer Cortex, Area septalis, Amygdala, Nucleus accumbens, Striatum ventrale, Nucleus caudatus, Putamen, Corpora mamillaria, Globus pallidus, Nucleus thalamicus, Substantia nigra Basalganglienschleifen (dorsale Schleife) 82, 327 Basalkern (Nucleus basalis Meynert) – und Acetylcholin-System 88, 98, 241, 326, 587 – und Alzheimer-Erkrankung 340 – und basales Vorderhirn 326 Basalkörper, Euglena 376 Basilarmembran 142, 144, 167, 170 Basis des Gehirns, Strukturen 69–70, 122, 169, 348 Basisemotionen – Angst 667 – nach Ekman 570 – nach Panksepp 581, 583, 584, 601 basolaterale Amygdala (laterobasale Nuclei der Amygdala) 112, 113, 124, 590, 687, 688

754

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

basolateral-limbischer Schaltkreis (lateraler oder amygdaloider Schaltkreis) 324–326, 592 Bauchspeicheldrüse (Pankreas) 249, 498 Baumhörnchen (Tupaia belangeri) 682 BDNF (brain derived neurotrophic factor) 273 Becherauge 379 Becherform 178, 379 Becherkeim (Gastrula) 177 bedingt – durch Alkohol 332, 544 – durch Alter 337 – durch Streß 333, 334, 337, 516, 708 bedingte Aktion 305 bedingte Appetenz (konditionierte Appetenz) 301, 305 bedingte Aversion 305 bedingte Hemmung 305 bedingte Reaktion 300–302, 483 bedingte Reflexe 112 bedingter Reiz 300–306 Befriedigung 100, 301, 480, 503, 535, 624, 646, 668 – Ersatzbefriedigung 363 Befruchtung 172, 596, 603 Behaviorismus 299, 300, 304 Bein – Beinamputation, Phantomschmerz 506 – Beinnerv (Nervus accessorius) 70 – corticale Repräsentation 174 – Empfindung auf Bein 617 – Tierversuche, Komplexaugen an Beinen 377 – s. a. somatosensorischer Cortex – s. a. motorischer Cortex Belastung – Belastungssituationen 486, 624, 649, 682, 697 – und Schmerz 507, 522 Belichtung, Sehsystem 400, 408 Belichtungsänderung Belohnung – und Dopamin 109, 529–533, 541, 694 – und Konditionierung 304–305, 308 – und Nahrung 305, 499 – und Sucht 533–534, 536 Belohnungssystem 75, 99, 124, 326, 470, 529– 533

– mesolimbisches System 109, 125, 470, 501, 529, 537, 538, 549, 551, 581, 587, 645, 645 Belohnungszentren (Nucleus accumbens) 75, 99, 109, 124, 326, 530–533, 541, 593 Benennungsstörungen 154 Benzodiazepine (BDZ) 244, 582, 703–706 Benzodiazepin-Rezeptoren 244, 705, 706 Beruhigungsmittel (Sedativa) 244 Berührungsreiz 183, 184, 200, 288, 289, 294, 504, 510, 516 Beschleunigung – autonomes (vegetatives) Nervensystem 189, 251 – des Alterungsprozesses 335 – des enzymatischen Abbaus von Nicotin 538 – Herzschlag 189, 549 Bestrafung – und Ausstoßvictimisation 634, 635 – und Konditionierung 305 Beta-Amyloid-Kern 338 Betablocker 706, 707 Beta-Rezeptoren 705, 706 – β-adrenerge 705–707 Beta-Sympatholica 706, 707 Beta-Wellen 347, 465 Betäubungsmittel 523 Beugereflex 288, 291 Beutefang, Verhalten 183, 364, 631 Beutegreifer (Freßfeind) 364, 379, 381, 385, 386 – Angst vor Beutegreifer 631, 632, 638, 645, 671 Bewegung(en) – Affektmotorik 119, 124 – Armbewegungen, Colliculi superiores 74, 98 – Atembewegungen 15, 683 – Augenbewegung 66, 69, 72, 74, 96–98, 146, 458 – Augenbewegungen im REM-Schlaf 347, 349, 368 – Ausdrucksbewegungen 563, 564, 566, 569 – Cerebro-Cerebellum (Ponto-Cerebellum) 72, 97 – Clonus, bei Reizung der Amygdala 40 – der Perilymphe, Ohr 141–142

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – – – – – –

extrapyramidale Motorik 81, 104, 121 Gehbewegung, Nucleus ruber 74, 98 Geißeln 175, 179 Handbewegungen 74, 98, 152, 320 Kieferbewegungen 69 Körperbewegungen im Schlaf 349, 355, 368 – Medusen 184 – Ponto-Cerebellum (Cerebro-Cerebellum) 72, 97 – Regenwurm 187 – Rippenquallen 186 – Sehen von Bewegungen 140, 167, 375, 403, 404, 414–418, 424, 425, 427, 430, 441, 443, 458 – Sehen von Bewegungen im Traum 353 – Spino-Cerebellum 72, 96 – Tentakeln 183 – Tierversuch von Hitzig ung Fritsch 36, 38 – und Basalganglien 77, 78, 80–82, 327 692 – und Cortex 36, 38, 78, 81, 130, 131, 135, 137, 139, 146, 148, 152, 155, 161, 162, 165, 166–168, 586 – und Emotionen 119, 162, 168, 254, 563, 564, 566, 569 – und Formatio reticularis 95 – und Kleinhirn (Cerebellum) 65, 72–74, 97, 545 – und Pons 65, 96, 97 – und Pyramidenbahn 81, 129 – und Rückenmark 63, 248, 249 – und Spiegelneuronen 612 – und Sprache 148, 152 – und Thalamus 102, 121 – Versuch von Galvani 31 – Vestibulo-Cerebellum 72, 96 – Volvox 179 – willkürliche Bewegungen 72, 77, 80–82, 127, 129–130, 249, 327, 575 – Zellbewegung 273 Bewegungsablauf 65, 73, 96, 146, 165, 166, 327 – Feinabstimmung 72–74, 81, 97, 129, 152 Bewegungskonstanz 441 Bewegungskoordination 72, 78, 81, 96, 146, 148, 152, 612 Bewegungsplanung 65, 78, 82, 118, 161, 162, 167, 168

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Bewegungsprogramme 146 Bewegungssteuerung 129–130 Bewegungssturm 630, 631 Bewegungswahrnehmung, grobe, nichtfarbliche 140, 167, 375, 403, 404, 414–418, 424, 425, 427, 430, 441, 443, 458 Bewußtsein – Blockade 336 – dominante Hirnhälfte 159 – Hörreiz 151 – neuronale Korrelate 95, 103, 104, 121, 375, 477, 571, 572, 579, 586, 616 – ohne Bewußtsein 191 – Parallelverarbeitung und Vernetzung 148 – schizophrenes 164 – und Arbeitsgedächtnis 328 – und Drogen 528, 551, 558, 560 – visueller Reiz 154 Bezugspunkttheorie 493, 495, 496, 497 Bicucullin, GABA-Antagonist 244 Bild – Bild auf Retina 157, 379, 390, 424, 437, 441, 452 – bildgebende Verfahren 39, 43, 440, 542, 612, 615, 625, 326, 336, 356 – einheitliches Bild 448 – Klecksbilder, Rorschach 351, 451 – Sinn für Bilder, subdominante Hälfte 159 – verschmelzendes Bildpaar 438 Bildung – ATP 543 – einer Gastrula (Gastrulation) 177 – freie Radikale 544 Bindungsproblem 447, 452 Binnenkern, Stria terminalis 610 binokulare Reize 439 binokulare Rivalität 457 binokulare Zelle 409, 413, 437 biochemisches switching 698 biogene Amine 236, 245, 246 biologische Uhr – circadiane Rhythmen 343 – Melatonin 58 Biochemie – synaptische Bahnung 294 – Zelle 229 biogenetisches Grundgesetz, Haeckel 177

756

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Biologie 21, 594 – biologische Anthropologie 68 – Biopsychologie 14, 41, 666 – Molekularbiologie 311, 542 – Evolutionsbiologie 493, 562 – Neurobiologie 594 biologische Existenz, Grundlage 92, 97, 118– 119, 479 biologische Kriegsführung 239, 589, 639 biologische Regelmechanismen 588 biologisches Wertesystem 588 Biographie – und Angst 640 – und Individualität des Gehirns 173 – und Personalität 321 – und Persönlichkeit 666 Biokatalysatoren (Enzyme) 227, 229, 230, 234, 395, 520, 546, 551, 697 – Acetylesterase (AChE) 238, 340 – Adenylatcyclase 295, 551 – Aldehyddehydrogenase 543 – Alkoholdehydrogenase 543 – aromatische L-Aminosäure-Decarboxylase 247 – Catechol-O-Methyltransferase (COMT) 253 – Cholinacetyltransferase 237–238 – Coenzym 546 – Cytochromoxidase 417 – Dopamin-β-Hydroxylase 243 – Glutaminsäure-Decarboxylase (GAD) 243 – 5-Hydroxytryptophan-Decarboxylase 255 – Monoaminoxidase (MAO) 253, 255, 538, 703 – Phenylethanolamin-N-Methyltransferase 247 – Proteasen 544 – Renin 190, 281 – THC, Decarboxylation 551 – Transducin 395 – Tryptophan-Hydroxylase 255 – Tyrosin-Hydroxylase 247, 693 – Phenylethanolamin-NMethyltransferase 247 – Proteinkinase 230, 295–297, 313, 314, 316, 551 Biosynthesefunktionen 195

Biosyntheseweg – DA, NA und Adrenalin 246 bipolare Zellen 199 Bipolarzellen, Retina 382, 388, 389, 394, 397– 401, 471 – Off-Bipolarzellen 398, 399, 400, 401 – On-Bipolarzellen 398, 399, 400, 401 bipotentes Vorläuferorgan 597–599 blassere Streifen 418, 425, 426 Blastomere 257 Blastula 177 Blaumeisen 387 Blau-Rezeptoren 385, 386, 387, 418–420, 423 Blick – Fixierung, Beutegreifer 671, 675 Blickbewegung, Colliculi superiores 74, 98 Blickmittelpunkt 437 Blickrichtung 432, 433 Blickfolgebewegungen 72, 96 Blindheit 427 – Farben 426 – Geruchsblindheit 539 Blobs, farbsensitive 417–418, 425–426 Blocking-Phänomen der klassischen Konditionierung 303 Blut – ACTH im Blut 697 – Adrenalin und Noradrenalin im Blut 254, 681, 682, 701 – Alkohol im Blut 543 – Antikörper im Blut 244 – Calciumspiegel 191 – Cortisolspiegel (Glucocorticoide) 334, 674, 682, 697, 698, 699 – hypophysäres Wachstumshormon 677 – Insulin 494 – Melatonin 58 – Leptingehalt 497 – Lipidtransport 339 – Oxytoxin 615 – Ringer-Lösung 237 – Serotonin 254 – Sexualhormone 601, 603, 605, 619, 621, 625 – Streßhormone 683, 701 – Vassopressin 190, 615 Blutdruck 85, 189, 190, 549, 575, 577, 680, 683, 706 Blutgefäße 77, 86, 93, 203, 249, 383, 484, 556

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Arterien 190, 521 – Arteriolen 190, 706 – Kapillaren 93, 190, 202, 203, 537 – Permeabilität 511 – und graue Substanz 77, 97 Blut-Hirn-Schranke – Alkohol 543 – Aufbau 203 – Enkephalinderivate 520 – Epiphyse, durch Blut-Hirn-Schranke vom Gehirn getrennt 87 – Heroin und Morphin 517, 520 – Interleukin-1 485 – Nicotin 538 – THC 551 Bluthochdruck (Hypertonie) 682, 699 Blutkreislauf – Blutbahn 190, 195, 356 – Durchblutung 189, 337, 417, 516, 542 Blut-Liquor-Schranke Blutplättchen 256 Blutplättchen-Wachstumsfaktor (plateletderived growth factor, PDGF) 265 Blutserum 254, 674 Blutstillung 556 Blutstrom – Pfortaderblutstrom 696 Bluttemperatur 93, 105, 483 Blutungen, innere (Tierversuche) 42 Blutvolumen 190 Blutzuckerspiegel 189, 494, 495, 679, 680, 682 Bombesin 236 Botenstoffe 206, 699, 701 – Adrenalin und NA 699, 701 – cyclisches Adenosinmonophosphat (cAMP) 230–231 – cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP) 230, 395 – Neurotransmitter 75 – Sekundäre Botenstoffe (Second Messenger) 219, 229–230 – First-Messenger-Wirkung 219, 229, 230, 254 – Second-Messenger-Wirkung 180, 219– 220, 229, 230, 242, 253, 256, 277, 295, 296, 298, 366, 395, 595 Bottom-up-Kontrolle 453, 456 Botulinustoxin 239 Bradykinin 236, 511

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brain-derived neurotrophic factor (BDNF) 273 Brechung, Licht 381 Brechreiz 538, 572 Brechmittel 302 Brechzentrum 91, 538 Breitbandzelle, konzentrische 421, 422 Brenzecatechin (Catechol) 245, 246 β- Rezeptoren 705, 706 – β-adrenerge 705–707 Broca-Aphasie 152 Broca-Areal (motorisches Sprachzentrum, Brodmann-Areale 44, 45) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 Brodmann-Areale – Brodmann-Areale 144–146 – Brodmann-Areale 1–3 (primärer somatosensorischer Cortex) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 – Brodmann-Areale 2, 5 (übergeordneter – sekundärer – somatosensorischer Cortex) 134, 137, 167, 617 – Brodmann-Areal 4 (primärer motorischer Cortex) 75, 80–82, 104, 129–130, 133, 135–137, 139, 146, 149, 151, 154– 155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 – Brodmann-Areale 6, 8 (übergeordneter – sekundärer – motorischer Cortex) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167 – Brodmann-Areale rostral zu 6 (präfrontaler Assoziationscortex) 118, 133, 161– 163, 167, 168 – Brodmann-Areale 9, 10 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 – Brodmann-Areal 11 148 – Brodmann-Areale 11, 23, 24, 28, 38 (limbischer Assoziationscortex) 118, 125, 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areal 17 (V 1, Area striata, primärer visueller Cortex, Streifencortex) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687– 688 – Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21 (übergeordneter – sekundärer – visueller Cortex, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137–

758

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 – Brodmann-Areal 22 (Wernicke-Zentrum, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 – Brodmann-Areal 33 (Gyrus cinguli, cingulärer Cortex) 88, 107, 114, 116–119, 122, 123, 125, 126 – Brodmann-Areal 39 (Gyrus angularis, Lese- und Schreibzentrum) 152, 163, 166, 171 – Brodmann-Areale 39, 40, 19, 21, 22, 37 (parietal-temporal-okzipitaler Cortex) 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areale 41, 42 (primäre Hörrinde, primärer auditorischer Cortex) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167 – Brodmann-Areale 44, 45 (Broca-Areal, motorisches Sprachzentrum) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – Brodmann-Areale 46, 47 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 Brodmann-Oberflächenkarte 145–147 2-Bromo-LSD 558 Bronchien 189, 249, 524, 706 Brücke (Pons) – Entwicklung 63 – Formatio reticularis 72, 91–92, 97 – Funktion 65, 72, 91–92, 96 – Lage im Gehirn 63, 64, 65, 72, 91–92, 96 – Läsionen, Tierversuche 350 – Nucleus raphes pontis 85, 91, 98 – PGO-Erregungen (Pons-geniculatumoccipitalis-Erregungen) 350, 368 – Ponto-Cerebellum 72, 97 – ponto-mesencephaler-tegmentaler Komplex 88 – REM-On-Neuronen im Pons 349, 351, 357 – Substantia nigra 76, 99 – und Träume 350, 354, 357 Brust – pubertärer Gestaltwandel 598, 620 – Stillen 603, 606 Brust-und Zwerchfellmuskeln 227–228 Brutpflege 461, 503, 589, 614 Bulbektomie (Riechkolbenentfernung) 464

Bulbus olfactorius (Riechkolben) – accessorius (Nebenriechkolben) 468, 611 – afferente Innervation 471–472 – Funktion 111, 124, 127, 464, 474, 475 – Geruchssinneszellen 471, 472 – Glomeruli 471–472 – kollektive Salven, Neuronen-Ensembles 473, 477 – Körnerzellen 471–472, 473 – Lage im Gehirn 66, 111, 127, 165, 169, 475 – Mitralzellen 471–472 – Verbindungen zur Amygdala 111, 124, 127, 169, 476 – Verschaltung mit Riechrinde 474, 476, 477 Bulimie 497, 500 Buschbabys (Galagos) 567 B-Zapfen 421 CA (Ammonshorn, Hippocampus 113, 123, 312, 316, 339, 364, 365, 366, 367 – CA 1 123, 312–314, 316, 339, 364–367 – CA 2 123 – CA 3 123, 312, 313, 316, 365 – CA 4 123 Caenorhabditis elegans 258 Calcitonin, Schilddrüsenhormon 191, 236 calciumabhängige Kinasen 313–314 calciumabhängige Proteasen 544 Ca2+/Calmodulin-abhängige Adenylatcyclase 316 Ca2+-Ionen (Calciumionen) 190, 191 – Anlagerung, Fusion und Exocytose synaptischer Vesikel 221, 225, 229, 242, 243, 252, 293, 296 – Calciumspiegel 190, 191 – Einstrom in Synapse 221, 225, 229, 242, 243, 252, 293, 296, 544, 551 – elektrochemischer Gradient 221 – im inneren Meer 189, 192 – Konzentration in synaptischer Endigung 221, 544 – Transport durch Ionenkanäle 206, 207 – und Amyloid-Plaques 340 – und Habituation 293, 294 – und LTP 314, 316, 366, 542 – und Sensitivierung 295–297

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – und Signalübertragung 221, 225, 229, 242, 243, 252, 293, 551 Ca2+-Kanäle 207 – Inaktivierung 293 – Leitfähigkeit – Rolle bei Habituation 293, 294 – Rolle bei Sensitivierung 295–297 – spannungsgesteuerte 221, 242, 243, 252, 551 – und NMDA-Rezeptoren 242, 313, 316, 366, 542, 544 cAMP (cyclisches Adenoninmonophosphat) 229–231, 551 – Aktivierung der cAMP-abhängigen Proteinkinase 295, 296, 297, 316, 551 – sekundärer Botenstoff 230–231, 295 – Struktur 230, 296 – Synthese 295, 296, 551 – und Lernen und Gedächtnis 297 cAMP-abhängige Adenylatcyclase 316 cAMP-abhängige Proteinkinase 295, 296, 297,316, 551 cAMP-induzierbare Gene 317 cAMP-Reaktionselement-bindendes Protein (CREB-Protein) 297 Cannabinoid-Rezeptor (CB-Rezeptor) 551 Cannabis 537, 550 – THC 551 – Verbot 553 – Wirkung 551–553 Cannabis sativa (Hanfpflanze) 550, 551 Cannon-Bard-Theorie 573 Capsaicin, aktiver Bestandteil des CayennePfeffers 514 CA 1-Region 123, 312–314, 316, 339, 364– 367 CA 2-Region 123 CA 3-Region 123, 312, 313, 316, 365 CA 4-Region 123 Catechol (Brenzcatechin) 245, 246 Catecholamine – Ähnlichkeit der Strukturformeln zu Amphetaminen 533 – catecholaminerge Afferenzen 123 – Co-Transmitter der Catecholamine 593 – Definition (DA, NA und Adrenalin) 236, 245 – Synthese 245–246 – und Prostaglandinsynthese 511

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– und Streß 682, 691 – Wirkung der Catecholamintransmitter 251 – s. a. Adrenalin – s. a. Dopamin (DA) – s. a. Noradrenalin (NA) Catecholamin-O-Methyltransferase (COMT), Catecholamine, Inaktivierung 253 caudal, Definition 71, 96 caudale Formatio reticularis, REM-Schlaf 351 Cayenne-Pfeffer (Capsaicin) 514 CCK (Cholecystokinin) 236, 492, 582 Cerebellum (Kleinhirn) – Afferenzen 65, 72, 96, 116 – Cerebro-Cerebellum (Ponto-Cerebellum) 72, 97 – bei verschiedenen Säugetieren 73, 131, 132 – Efferenzen 74, 98 – Entwicklung 60, 63, 65, 73, 131 – explizites Gedächtnis 311 – Feinkoordination 72, 73, 96, 97, 327 – Funktionen 73, 96 – GABA-System 90, 531 – Gliederung 72 – Kleinhirnrinde 267, 268, 705 – Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli) 72, 97 – Kletterfasern 267 – Körnerzellen 268 – Lage 60, 63, 65, 72, 96 – Motorik 65, 72, 74, 96, 97, 98, 151, 171, 327, 545 – motorisches Lernen 113 – Oligodendrocyten – Pedunculi 65, 96 – Ponto-Cerebellum (Cerebro-Cerebellum) 72, 97 – Purkinje-Zellen 201, 268, 280 – Radialgliazellen 267–269 – Serotonin-System 86–87 – Somatosensorik 135, 171 – somatosensorische Karte 171 – Spino-Cerebellum 72, 96 – und Alkohol 542, 545 – und Gedächtnis 113, 311 – und implizites Gedächtnis 311 – Vestibulo-Cerebellum 72, 96

760

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

cerebrale Kommissur (Corpus callosum, Balken) 35, 63, 88, 107, 116, 123, 124, 128, 129, 156, 157, 160, 166, 168, 324, 430, 433– 437, 450, 611, 623 cerebraler Aquaedukt (Aquaeductus mesencephali cerebri) 66, 94, 97, 516 cerebraler Cortex – s. a. Großhirnrinde – s. a. Isocortex, Neocortex Cerebro-Cerebellum (Ponto-Cerebellum) 72, 97 Cerebrospinalflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) 33, 66, 94, 97 Cerebrum (Großhirn, Telencephalon, Endhirn) – Amphibien 127 – Basalganglien 77 – Bulbus olfactorius 69, 169 – Fasersyteme 128–129, 164, 168–169 – graue Substanz 107, 126 – Hippocampus 123, 126, 369 – Lage und anatomische Strukturen 60, 63, 66, 120, 126, 127, 164 – limbische Kerngebiete 107, 124 – Pallium 126–128, 164–165 – und Schlaf 349 – und Schmerzgeschehen 515 – s. a. Cortex (Großhirnrinde) C-Fasern 509–513 CGL (Corpus geniculatum laterale, seitlicher Kniehöcker) – farbsensitive Kniehöckerzellen 420– 422, 427 – Katze 274, 275, 407 – Lage im Gehirn 101, 121 – magnozelluläre Kniehöckerzellen 405, 424, 425 – parvozelluläre Kniehöckerzellen 405, 417–418, 424, 425 – PGO-Erregungen 350, 368 – Sehbahn 102, 104, 121, 275, 277, 402– 404, 406, 409, 411, 413, 414, 434, 437, 687 – Verarbeitungsebene CGL-Cortex 275, 277, 402–404, 405, 407, 413, 414, 417, 427, 434 CGM (Corpus geniculatum mediale, mittlerer Kniehöcker) – Lage im Gehirn 101 – Hörbahn 104, 121, 144, 171, 684–687

cGMP (cyclisches Guanosin-3’,5’-monophosphat) 230, 395 – Photorezeptor 395 – sekundärer Botenstoff 395 chemischer Botenstoff 206, 232, 237, 701 – s. a. Transmitter chemische Kastration 621 chemische Kommunikation 464 chemische Marker 286 chemische Rezeptoren 206, 221, 227, 461–462 chemische Sinne s. Geruchssinn chemische Stimulation 492 chemische Synapse 180, 181, 219–221, 225, 230, 232–233 – Wirkung von Psychopharmaka an chemischer Synapse 235 chemische Waffen 639 – Sonan 239 chemisch immobilisierte Tiere, Tierversuche 40 Chemoaffinitäts-Hypothese 269, 270, 273 Chemotropismus 268 Chiasma opticum (Sehbahnkreuzung) 86, 609 – Lage im Gehirn 106, 122, 169 – Sehbahn 274, 402, 434 – Tierversuche 156, 435, 437 Chirurgie – Fallbeschreibung Henry M. 113 – Geschlechtsumwandlung, Money 620 – Methode von Penfield 163 – neurochirurgische Kastration bei Sexualstraftätern 621 – Phantomschmerz nach Amputationen 506 – präfrontale Leukotomie 353 – Schmerzen bei Operationen am Gehirn 434 – stereotaktische 40 – Tierversuche 39–41, 114, 300, 349, 434 Chlor 192 Chlordiazepoxid (Librium) 244, 705 Chlorophyll 175 Chloridionen-Hemmung 225 Cl–Ionen (Chloridionen) – Durchlässigkeit durch Ionenkanal 206 – Gleichgewichtspotential 226 – Konzentration in synaptischer Endigung 209, 225 – Ladung 207

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – inneres Meer 189 – Natriumchlorid (Kochsalz) 190, 207 Cl–Kanäle – Hyperpolarisation 225, 243 – IPSP (inhibitorisches postsynaptisches Potential) 243 – mit Benzodiazepinrezeptor und GABARezeptor 705 – Ruheleitfähigkeit 210 – schnelle chemische Synapse 225, 243 Chlorpromazin – Struktur 703 – Wirkungen 702 Cholecystokinin (CCK) 236, 492, 582 Cholesterin 205, 334, 594, 697 Cholin 237, 238 Cholinacetyltransferase, Synthese von ACh 238 cholinerges System – ACh, Aufbau 237–238 – ACh als Neurotransmitter 88, 220, 236– 237, 240, 250–251, 326, 350–351, 587 – acetylcholinerge Nervenzellen 88–89, 98, 107, 124, 326, 350, 581 – an neuromuskulärer Synapse 220, 221, 227–228, 237–238, 241, 264, 270 – Bahnen im Gehirn 88 – ACh, Biosynthese 237–238 – Cholinacetyltransferase, Synthese von ACh 238 – cholinerge Autorezeptoren 540 – cholinerge exzitatorische Wirkung 537, 540 – cholinerge REM-On-Neuronen 351 – cholinerge Übertragung, Nobelpreis 44 – cholinerg vermittelte Gedächtniseinbußen 339, 537, 542 – Encodierung von Gedächtnisinhalten 88, 241, 326 – Erwerb cholinerger Eigenschaften von Vorläuferzellen 264 – Grenzstrangneurone 249–250 – Herz 237–238 – Inaktivierung 238, 243 – Nicotin als ACh-Agonist 537, 540 – Parasympathicus 250–251 – Rolle bei der Alzheimer-Erkrankung 88, 241, 244–245, 339–340, 537 – Sympathicus 249–251, 681

– – – – – – – –

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Synapse 221–223, 238, 537 Synapsenbildung 270–271 Synthese 237–238 System 88–89, 98, 241, 326, 587 und Botulinustoxin 239 und Hirnstamm 95 und Physostigmin (Eserin) 239 und Synthese von Prostaglandinen 511 – Vorläuferzellen 264–265 cholinerge Rezeptoren (ACh-Rezeptoren) – Antikörper 228 – Autorezeptoren 540 – monodendritische Zellen, Kleinhirn – muscarinerge 239, 241 – nicotinerge 238–239, 241, 537–538, 540 – und Autoimmunreaktion 228 – und Coffein 549 – und Curare 227–228, 239 – und Synapsenbildung 270–271 cholinerge Pharmaka – Atropin 239 – Botulinus 239 – Curare 239 Chorda dorsalis 59 Chordatier 59, 60 Chorea Huntington (Veitstanz) 39 chromaffine Zellen, Nebennierenmark 264, 266, 680–681 Chromosomen – Chromosom 1, Alzheimer-Erkrankung 241, 340 – Chromosom 14, Alzheimer-Erkrankung 241, 340 – Chromosom 21, Alzheimer-Erkrankung 241, 340 – Chromosom 19, Alzheimer-Erkrankung 241, 339 – X-Chromosom, Geschlechtschromosom 596, 619 – Y-Chromosom, Geschlechtschromosom 596 chronische Schizophrenie 146 chronische Schmerzen – Akupunktur 521–522 – Fibromyalgie 521 – Schmerzmittel, Abhängigkeit 522 chronischer Alkoholismus 528, 534, 541, 544, 545

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

chronischer Streß 682, 693, 698–699 Ciliarkörper 432 Ciliarmuskel 432 ciliary neurotrophic factor (neurotropher Faktor CNTF) 264, 273 cingulärer Cortex (Gyrus cinguli, BrodmannAreal 33) 88, 107, 114, 116–119, 122, 123, 125, 126, 616 Cingulum 166 circadianer Rhythmus 343 Claustrum 613 Claviceps purpurea (Mutterkorn, engl.: ergot) 556 Clitoris (Kitzler) 598, 618 Clitorisvorhof 598 Clonus, Tierversuch 40 CNTF (ciliary neurotrophic factor, neurotropher Faktor CNTF) 264, 273 CO (Kohlenstoffmonoxid) 236, 314 CO2 (Kohlenstoffdioxid) 172, 237, 381, 543 Cocain – Abhängigkeit 528 – als Lokalanästhetikum 523, 524 – Aufputschmittel 254, 523, 528, 616 – Cocainderivat 524, 525 – Geschichte 523 – Isolierung 523, 524 – Partydroge 528 – Procain 524, 525 – Strukturformel 525 – und Amphetamin-Belohnungssystem 254, 530–532 – Wirkungen 523 – Wirkungsweisen 254, 523, 533 Cocainpsychose 523, 528 Coca-Strauch (Erythroxylum coca) 523 Cochlea (Hörschnecke) 69, 141–143, 170 Codierung – genetische 297, 460, 469, 497, 546 – neuronale 409, 476, 507 coextensive einfache Gegenfarbenzellen 421– 422 Coffein – Geschichte 548 – Gewöhnungseffekt 549 – Wirkungen 342, 549 – Wirkungsweise, Adenosinrezeptoren 548–549 Cola 548

Colliculus (-i) – inferior(es), Tectum 74, 98, 144, 170, 531, 684 – superior(es) (oberes bzw. vorderes Vierhügelpaar), Tectum 74, 98, 269, 531 Commissura – anterior (vordere Kommissur) 128, 156, 157, 169, 434, 485, 623 – cerebelli (cerebrale Kommissur, Balken) 35, 63, 88, 107, 116, 123, 124, 128, 129, 156, 157, 160, 166, 168, 324, 430, 433–437, 450, 611, 623 Commissurektomie s. Kommissurektomie 156 Computer – Bottom-up- und Top-down-Prozesse 453 – Vergleich mit Gehirn 233, 387 Computersimulationen, neuronale Ensembles 449, 477 COMT (Catecholamin-O-Methyltransferase), Catecholamine, Inaktivierung 253 Cornea (Hornhaut) 383 Cornu ammonis (Ammonshorn, CA, Hippocampus) 113, 123, 312, 316, 339, 364, 365, 366, 367 – CA 1 123, 312–314, 316, 339, 364–367 – CA 2 123 – CA 3 123, 312, 313, 316, 365 – CA 4 123 Corpus amygdaloideum (Amygdala, Mandelkern) – amygdalofugaler Trakt 324 – Aufbau 111 – Basalganglien 77 – basolaterale 112, 113, 124, 590, 592, 687, 688 – basolateral-limbische Schaltkreis 324– 325, 592 – corticomediale (oberflächliche Kerngruppe) 111, 124, 127, 169, 476, 590, 592 – Entwicklung 118 – Funktionen 99, 111, 124 – Klüver-Bucy-Syndrom 331, 575–576 – Lage im Gehirn 66, 75, 124, 126, 165, 611 – Läsionsversuche 42, 112, 113, 331–332, 575, 593, 612

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – limbisches System 82, 94, 107, 108, 110– 111, 125, 127, 324, 474, 477, 510, 512, 529, 540, 575, 586, 673–674, 693, 694 – Parallelverarbeitung von Amygdala und Hippocampus 577, 590, 591,648 – Reizung 40 – thalamo-amygdaläre Verbindung 112, 686, 687, 688 – thalamo-cortico-amygdaläre Verbindung 112–113, 590, 686, 687, 688 – und Angst 331, 582, 617, 673, 686, 687, 688, 689,Streßachse 594, 607, 691, 692, 697, 699 – und Belohnungssystem 531, 534, 612 – und Emotion 326, 331, 476, 510, 540, 576, 577, 578, 582, 589, 590, 593, 617, 673, 683, 685, 690, 691 – und Gedächtnis 325, 330, 331–332, 534, 575–576, 577, 578, 698 – und Hippocampus 113, 114, 115, 116, 117, 123, 330, 335, 575, 577, 578, 591, 592, 648, 689, 698 – und Schmerz 515 – und Streß 594, 607, 691, 692, 697, 699 – und Tierversuche bei Affen 41–42, 575 – und Tierversuche bei Ratten 40, 331, 612 – Urbach-Wiethe-Erkrankung 331–332 – zentromediale (Zentralkern) 111, 124, 590, 592, 593, 685 Corpus callosum (Balken, cerebrale Kommissur) 35, 63, 88, 107, 116, 123, 124, 128, 129, 156, 157, 160, 166, 168, 324, 430, 433–437, 450, 611, 623 – Durchtrennung 156 – Funktion 35, 63, 128, 129, 156, 157, 168 – Homosexualität 623 – räumliches Sehen 430, 433–437, 450 – Split-Brain 156 – Tierversuche 156, 434–436 – weibliches/männliches Gehirn 116, 611, 623 Corpus geniculatum laterale (CGL, seitlicher Kniehöcker) – farbsensitive Kniehöckerzellen 420– 422, 427 – Katze 274, 275, 407 – Lage im Gehirn 101, 121 – magnozelluläre Kniehöckerzellen 405, 424, 425

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– parvozelluläre Kniehöckerzellen 405, 417–418, 424, 425 – PGO-Erregungen 350, 368 – Sehbahn 102, 104, 121, 275, 277, 402– 404, 406, 409, 411, 413, 414, 434, 437, 687 – Verarbeitungsebene CGL-Cortex 275, 277, 402–404, 405, 407, 413, 414, 417, 427, 434 Corpus geniculatum mediale (CGM, mittlerer Kniehöcker) – Lage im Gehirn 101 – Hörbahn 104, 121, 144, 171, 684–687 Corpus luteum (Gelbkörper, gelber Körper) 601, 603 Corpus mamillaria (Mamillarkörper) – Funktionen 119, 122, 125 – Korsakow-Syndrom 332, 546 – Lage im Gehirn 104, 108, 122 – limbische Kerngebiete 108, 124, 125 – Papez-Neuronenkreis 116, 117, 324, 574, 576 – sexuelle Orientierung, Androgenrezeptoren 625 – und Gedächtnisfunktionen 336 Corpus pineale (Glandula pinealis, Epiphyse, Zirbeldrüse) – Entwicklung 58, 102 – Funktionen 58, 102, 120, 255, 343, 606 – Lage im Gehirn 35, 58, 101, 102, 120 – Serotonin 86, 87, 102, 120, 255, 343 Corpus penis (Penisschaft) 597 Corpus striatum (Striatum, Streifenkörper) – Aufbau, Lage im Gehirn 77, 99, 124, 126 – corticostriäre Fasern 81 – Faserverbindungen 81, 82, 116 – limbisches System 108, 109, 125 – und Motorik, Basalganglien 81, 82, 99, 124 – ventrale 77, 124 Cortex – Ableitungen von der Großhirnrinde 404, 436–437 – Aktivierung 352, 369, 613 – Asymmetrie 154–156, 158–160, 325, 328, 611, 623, 625 – auditorischer 37, 104, 121, 131, 140, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 165, 166, 167, 171, 684–687

764

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Broca-Areal (motorisches Sprachzentrum, Brodmann-Areale 44, 45) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – Brodmann-Areale 144–146 – Brodmann-Areale 1–3 (primärer somatosensorischer Cortex) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 – Brodmann-Areale 2, 5 (übergeordneter – sekundärer – somatosensorischer Cortex) 134, 137, 167, 617 – Brodmann-Areal 4 (primärer motorischer Cortex) 75, 80–82, 104, 129–130, 133, 135–137, 139, 146, 149, 151, 154– 155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 – Brodmann-Areale 6, 8 (übergeordneter – sekundärer – motorischer Cortex) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167 – Brodmann-Areale rostral zu 6 (präfrontaler Assoziationscortex) 118, 133, 161– 163, 167, 168 – Brodmann-Areale 9, 10 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 – Brodmann-Areal 11 148 – Brodmann-Areale 11, 23, 24, 28, 38 (limbischer Assoziationscortex) 118, 125, 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areal 17 (V 1, Area striata, primärer visueller Cortex, Streifencortex) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687– 688 – Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21 (übergeordneter – sekundärer – visueller Cortex, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137– 140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 – Brodmann-Areal 22 (Wernicke-Zentrum, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 – Brodmann-Areal 33 (Gyrus cinguli, cingulärer Cortex) 88, 107, 114, 116–119, 122, 123, 125, 126, 616 – Brodmann-Areal 39 (Gyrus angularis, Lese- und Schreibzentrum) 152, 163, 166, 171

– Brodmann-Areale 39, 40, 19, 21, 22, 37 (parietal-temporal-okzipitaler Cortex) 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areale 41, 42 (primäre Hörrinde, primärer auditorischer Cortex) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167 – Brodmann-Areale 44, 45 (Broca-Areal, motorisches Sprachzentrum) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – Brodmann-Areale 46, 47 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 – cingularis (Gyrus cinguli, cingulärer Cortex, Brodmann-Areal 33) 88, 107, 114, 116–119, 122, 123, 125, 126, 616 – dominante Hirnhälfte 155, 159, 592 – dorsolateraler präfrontaler 118, 168, 333, 339, 584–585, 588 – Entwicklung 114, 119, 126–127, 266, 267 – entorhinalis (Regio entorhinalis, entorhinaler Cortex) 75, 107, 114, 119, 122, 123, 127, 128, 165, 168, 169, 310, 311, 312, 325, 339, 364–365, 367, 474, 476, 477, 689 – Extrastriatum 357 – frontaler Cortex 118, 148, 471, 476, 592, 612 – Gyrus piriformis 471, 476 – Gyrus postcentralis 166, 318, 506 – Gyrus praecentralis 104, 121, 149, 165 – inferior-temporaler Cortex 311, 457 – Insula (Insel, insulärer Cortex, Inselrinde) 130, 165, 324 – ITC (visuelles Feld im inferior-temporalen Cortex, s. a. VTE, visuell-temporales Feld) 457 – kinästhetisches Feld 146, 152 – Läsionen 30, 36, 114, 152, 154, 160 – Lateralisation 155, 156, 159, 160, 328, 611, 625 – limbischer Cortex 107, 121, 122, 127, 128, 168 – Motocortex (Gyrus praecentralis) 104, 121 – motorisches Sprachzentrum (BrocaAreal, Brodmann-Areale 44, 45) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – MT (visuelles Feld V 5 im mediotemporalen Areal) 415–417, 424–427, 458 – occipitaler Cortex 64–65, 87, 130, 165, 406, 435

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – orbitofrontaler Cortex 118, 125, 146, 168, 590, 593, 611, 613 – parahippocampalis (Gyrus parahippocampalis) 107, 110, 114, 119, 122, 123, 128, 165, 166, 168, 169, 310, 325 – parietaler 64–65, 81–82, 87, 104, 106, 121, 125, 130, 133, 162, 165, 166, 167, 168, 174, 353, 357 – parietal-temporal-okzipitaler 131, 161, 163, 167, 340 – perirhinalis (perirhinaler Cortex) 169, 325 – piriformis 471, 476 – posterior-parietaler 81 – präfrontaler Cortex 35, 75, 81–82, 92, 106, 118, 122, 146, 168, 326–328, 332, 333, 338, 339, 351, 357, 361, 363, 368, 429, 430, 491, 529–531, 533, 534, 542, 546, 551, 584–588, 592, 673, 674, 687, 689, 693 – prämotorischer Cortex 161–162, 167, 588 – prämotorisches (lateraler prämotorischer Cortex) 80–82, 137, 161–163, 167 – prästriär 415, 425, 449 – primärer auditorischer Cortex (primäre Hörrinde, Brodmann-Areale 41, 42) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167, 684–687 – primärer motorischer Cortex (Brodmann-Areal 4) 75, 80–82, 104, 129–130, 133, 135–137, 139, 146, 149, 151, 154– 155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 – primärer somatosensorischer Cortex (Brodmann-Areale 1–3) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 – primärer visueller Cortex (V 1, Area striata, Streifencortex, BrodmannAreal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407– 409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – rezeptives Feld 390, 391–394, 397–407, 412, 414, 420–423, 435, 437, 448 – Riechhirn 471, 473, 474 – säulenartige Organisation 133, 137–138, 140, 144, 274, 276–278, 409, 413, 414, 417

765

– septalis (Septumkerngebiet, kurz: Septum) 75, 86, 107, 114, 116, 124, 351, 364, 366, 485, 575, 611 – subcallosa 324 – supplementärmotorisches (SMA und prae-SMA, medialer supplementärmotorischer Cortex) 80–82, 129, 137, 167, 169, 588 – striata (primärer visueller Cortex, Streifencortex, Brodmann-Areal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – tegmentalis ventralis (VTA) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531, 533, 537, 581, 612 – temperaturempfindliches Areal, Hypothalamus 93 – temporaler 64–65, 87, 113, 115, 123, 125, 130, 133, 140, 156, 162–163, 165, 167–169, 309–311, 316, 324, 328–331, 336, 338, 340, 353–355, 416, 457, 575, 584, 592, 601, 603, 673, 688 – TEO 139–140, 165, 167 – übergeordneter (sekundärer) auditorischer Cortex (Wernicke-Areal, Brodmann-Areal 22, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171, 684 – übergeordneter (sekundärer) motorischer Cortex (Brodmann-Areale 6, 8) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167, 617 – übergeordneter (sekundärer) somatosensorischer Cortex (BrodmannAreale 2, 5) 134, 137, 167, 617 – übergeordneter (sekundärer) visueller Cortex (Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137– 140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 – und Artikulation/Sprache 37, 72, 97, 104, 121, 144, 148–156, 161, 163, 167–168, 588 – und Aufmerksamkeit 120, 152, 161, 165, 167, 254, 584, 588 – und Emotionen/Gefühle 84–85, 94, 116, 118, 119, 122, 123, 125, 146, 161–163, 167–168, 324, 330, 458, 530–531, 535,

766

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

540, 573–574, 584–586, 588–589, 592– 593, 613, 616, 617, 673 – und Kognition/Denken 119, 161, 355, 357, 574, 584, 586, 589, 613 – VTA (Area tegmentalis ventralis) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531, 533, 537, 581, 612 – VTE (visuell-temporales Feld, visuelles Feld im inferior-temporalen Cortex, ITC) 139–140, 165, 167, 311, 416, 457, 458 – V 1 (primärer visueller Cortex, Area striata, Streifencortex, BrodmannAreal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407– 409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – V 2 (visuelles Feld) 415–416, 424–427 – V 3 (visuelles Feld) 415–416, 424–427 – V 4 (visuelles Feld) 415–417, 424–426, 477 – V 5 (visuelles Feld im mediotemporalen Areal, MT) 415–417, 424–427, 458 – V 6 (visuelles Feld) 416 – Wernicke-Areal (Brodmann-Areal 22, übergeordneter – sekundärer – auditorischer Cortex, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 cortico-corticale Bahnen 455 corticofugale Fasern 128, 169 Corticoliberin (CRH, Corticotropin-Releasing-Hormon) 582, 584, 592–593, 693–700 corticomediale Amygdala (oberflächliche Kerngruppe) 111, 124, 127, 165, 169, 476, 590, 592 corticopetale Fasern 128, 169 Corticosteron 682 corticostriäre 81 Corticotropin (adrenocorticotropes Hormon, ACTH) 106, 334–335, 606–607 – Glucocorticoidsynthese 335, 606–607, 697 – Freisetzung 696 – Nebennierenrinde 599, 697 – negative Rückkopplung über Cortisol 698 – und Streß und Angst 606, 675, 693 Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH, Corticoliberin) 582, 584, 592–593, 693–700

Corti-Organ 142, 170 Cortisol 106, 244, 264, 334, 607, 615, 618–619, 674, 679, 682, 691, 697–701 – Bindungsstelle an GABA-Rezeptor 244 – Biosynthese 697 – Cortisolspiegel bei Verliebten 615 – Cortisolspiegel bei Streß 674, 682, 697– 700 – Differenzierung von chromaffinen Zellen 264 – Hemmung der CRH-Synthese 698 – Hippocampusschädigungen 698–699 – negative Rückkopplungemechanismen 698 – Rückwirkung auf Hypophyse 698 – Sterben von Neuronen 698–699 – Steroidhormon der Nebennierenrinde 106, 264, 607, 679, 697 – Streßhormon 244, 334, 607, 674, 679, 682, 691, 697, 700, 701 – und androgenitales Syndrom 618–619 – und Gedächtnis 334, 698 – s. a. Glucocorticoide Cortisol-Rezeptoren 697–699 Cortison 334 Co-Transmitter 593 CREB-Protein 297 CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon, Corticoliberin) 582, 584, 592–593, 693– 700 CRH-Neurone, Ncl. Paraventricularis 693– 694, 697–698 Curare 227–228, 239 cyclisches Adenosin-3’,5’-monophosphat (cAMP) 229–231, 551 – Aktivierung der cAMP-abhängigen Proteinkinase 295, 296, 297, 316, 551 – cAMP-abhängige Adenylatcyclase 316 – cAMP-abhängige Proteinkinase 295, 296, 297,316, 551 – cAMP-induzierbare Gene 317 – cAMP-Reaktionselement-bindendes Protein (CREB-Protein) 297 – sekundärer Botenstoff 230–231, 295 – Struktur 230, 296 – Synthese 295, 296, 551 – und Lernen und Gedächtnis 297

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte cyclisches Guanosin-3’,5’-monophosphat (cGMP) 230, 395 – Photorezeptor 395 – sekundärer Botenstoff 395 Cytochromoxidase 417 Cytoplasma 195, 204, 209, 210, 216, 217, 257 Cytoskelett 338 – s. a. Mikrofilamente, Mikrotubuli, Neurofilamente C-Fasern 510–513 Darm 70, 177, 189, 249, 260, 492, 493, 524, 544, 554 Darmnervensystem 70 Deafferenzierung 507 Decerebrierung 41 Decarboxylase – aromatische L-Aminosäure-Decarboxylase 247 – Glutaminsäure-Decarboxylase 243 – 5-Hydroxytryptophan-Decarboxylase 255 – THC, Decarboxylation 551 Decortizieren 41 Defensivverhalten 291, 564, 672 Degeneration – Absterben von Neuronen durch Cortisol 335, 337, 698, 701 – Glutamat und neurodegenerative Erkrankungen 90 – Fatale Familiäre Insomnie 344 – freie Radikale 544 – Neuronen in der Substantia nigra 81 deklaratives (bewußtes) Gedächtnis 576, 577 Delirium tremens 528 Delta-9-THC 551–553 – CB-Rezeptor 551–552 Demenz – Alzheimer 537 Dendrit(en) – apikaler 196 – basaler 196 – bei verschiedenen Neuronenformen 199–202, 398 – Bipolarzellen 398 – Definition 196 – dendritische Dornen (spines) 196, 280 – Horizontalzellen, Retina 399

– – – – –

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LTP 314, 366 Mitralzellen, Glomeruli 471 multipolare Zellen 200 Purkinje-Zellen 201, 280 rezeptiver Bereich des Neurons 143, 170, 196, 198, 199, 199, 201, 218, 225, 226, 314, 366, 399 – sensorische Neuronen 143, 170, 201 – Sprossung bei Langzeitgedächtnisbildung 280, 297 – und Alzheimer-Erkrankung 338, 340 Dendritenbaum 201 dendritische Dornen 196, 280 Depolarisation, Membranen – bei Bipolarzellen 399, 400 – bei Ganglienzellen 400 – bei Horizontalzellen 419 – bei Photorezeptorzellen 394, 397 – bei sensorischen Neuronen 394, 477 – EPSP (exzitatorisches postsynaptisches Potential) 223, 542 – elektrische Synapse 232 – und elektrochemisches Potential 211 – Kaliumionen-Ausstrom 211 – LTP 313–314, 316, 366 – MEPP (Miniaturendplattenpotentiale) 223 – Muskelzelle 221 – Natriumionen-Einstrom 210–211, 213, 216, 218, 221, 223, 366, 542 – NMDA-Kanäle 313, 314, 366, 542 – Schwellenwert für Aktionspotentiale 212–213, 224 – Weiterleitung der Aktionspotentiale 216–218, 221, 223 Depression – Altersdepression 339 – Antidepressiva 254, 621, 702, 703 – bei Alzheimer-Erkrankung 340 – durch Drogenmißbrauch 523, 526 – durch Streß 682, 700–702, 705 – erlernte Hilflosigkeit 675 – manisch-depressive Störungen 254 – Noradrenalin-System 84, 87, 254, 682 – Serotonin-System 87, 255, 339 – Streß 682, 700–702, 705 – synaptische Depression 291, 292 – und Gedächtnis 325 – Vagustod, Tierversuch 633

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Wechselwirkung Hormon- und Nervensystem 189 Deprivation – bei Affenbabys, Harlow-Versuche 668– 670 – bei Ratten 676 – kritische Phase 277 – soziale 280, 676 – Thiamin-Deprivation 545 – visuelle 277–278 Desensitivierung, systematische (Desensibilisierung) 302, 310, 621 Desoxyribonucleinsäure (DNA) 194, 195, 229, 230, 257, 280–281, 297, 328, 595 Detektor für senkrechte Kanten 410 Detektorneuronen 137, 144, 410, 411, 414 Determinismus – biologisch, Homosexualität 619 – durch Prägung 279 – genetisch 173 – psychisch 83, 320 Diabetes 682 Diagnose, sexuell abnorme Persönlichkeiten 613 diagonales Band von Broca (Stria diagonalis, Diagonalband, Bandeletta diagonalis) 88, 324, 326 Dialog zwischen corticalen Arealen 453, 455 Diarrhö 520 Diätkuren 488 Diazepam (Valium) 244, 705 Diazepinring 703 Diencephalon (Zwischenhirn) – Aufbau 58, 60, 63, 66, 72, 100–106, 120– 122, 164, 169 – Auge als Ausstülpung des Diencephalon 418 – Dopamin-System 75 – drittes Ventrikel 66, 332 – Endorphine 515 – Entwicklung 102 – Evolution 119 – Gedächtnis 336 – Läsionen, Korsakow-Syndrom 332 – und Hormonsystem 680 Differenzierung – Neuralleiste 264 – Neuralplatte 263–264 – postmitotische Zellen 272

– von Geschlechtsmerkmalen 600–602, 618 – von Zellen 178, 257, 260, 263–266, 272 Differenzierungsweg von Zellen 264–266 diffuses Nervennetz 184 Diffusion – Blut-Hirn-Schranke 203 – hormonartiger Sfoffe 179 – Ionen 203, 208, 209 – Neurotransmitter 221, 225, 234, 243, 533 – NO und CO 314 – Rezeptoren 270–271 – Wachstumsfaktoren 264 Diffusionskraft 209, 210 Diskriminierungsaufgabe, Tierversuche 435 dispositionelle Repräsentation, Damasio 586 dissoziative Identitätsstörungen 620 DNA (Desoxyribonucleinsäure) 194, 195, 229, 230, 257, 280–281, 297, 328, 595 Doppelgegenfarbenzellen (konzentrische doppelte Gegenfarbenzellen) 423–424 Dominanz – Hemisphäre 155, 159, 592 – Tiere 564 Dominanzsäulen, Auge 275–278, 318, 403, 417 L-Dopa 246, 247, 252 Dopamin (DA) – Abbau durch MAO (Monoaminoxidase) 253, 538 – alterndes Gehirn 339 – als Neuromodulatoren 254 – als Neurotransmitter 236, 245, 253 – an chemischen Synapsen 253 – Basalganglien 76, 82, 84, 99, 691–692 – Belohnungssystem 109, 530–533, 541, 694 – Biosynthese 246, 247, 252 – Catecholamine 84, 236, 245, 533 – Co-Transmitter, Neuropeptid Y (NPY) 593 – Dopamin-Hypothese der Lust 530–533, 541 – DA-Mangel 355, 528 – DA-Rezeptoren 253, 339, 545 – Dopamin-System 75, 76 – Erwartungssystem 581 – Formatio reticularis 95, 97

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Hemmung des Hypothalamus 604, 605 – lebenswichtige Funktionen 95 – lokale Verschaltung im Hypothalamus 75 – mediales Vorderhirnbündel 529 – mesolimbisches System 75, 76, 82, 109, 355, 538, 541, 549, 551, 581, 691–692 – Monoamine 95, 236 – nigrostriatales System 75, 76, 82, 84, 99, 691–692 – Schizophrenie 76, 87, 109, 254 – Parkinson-Erkrankung 76, 254 – und Alkohol 541, 545 – und Amphitamine 254, 492, 524, 533 – und autonomes (vegetatives) Nervensystem 245 – und Bewußtsein 88, 95 – und Coffein 549 – und CRH-Synthese 694, 698 – und Läsionen im Freßzentrum 491 – und Neurotensin NT 582 – und präfrontaler Cortex 339, 530–533, 551, 587, 612 – und psychedelische Substanzen 558 – und Sexualverhalten 612 – und Tabak 538 – und Träumen 355 – Unterfunktion des DA-Systems, ADHS 528 Dopamin-β-Hydroxylase – Catecholaminsynthese 246, 247, 252 dopaminerge Dysfunktion 76, 87, 109, 254, 355, 528 dopaminerge Zellgruppen, Formatio reticularis 95, 97 Dopaminhypothese der Schizophrenie 76, 87, 109, 254 Dopamin-Rezeptor(en) 253, 253, 545 Dopamintransporter, Hemmung, Amphetamine 254, 524, 533, 492 Doppelgegenfarbenzellen (konzentrische doppelte Gegenfarbenzellen) 423–424 Doppelinnervation, Herzmuskel 252 Doppelschicht 204–206, 208, 594, 595 Dorn(en) (spines) 196, 280 dorsal, Definition 71, 96 dorsale parvozelluläre Bahn 403, 421 dorsale Schleife, Basalganglien 82, 327 dorsales periaquäductales Grau 582, 583

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dorsale Raphe-Kerne (Nucleus raphes dorsalis) 85, 91, 98, 351 dorsale (wo) Bahn, visuelle Verarbeitungsbahn 429, 430 dorsaler Thalamus 101, 102, 120, 121 dorsale Sehbahn 429, 430 dorsales noradrenerges Bündel (Dorsalbündel) 84 dorsales Pallium 127 Dorsalwurzel (Hinterhornwurzel) 248 dorsolateraler präfrontaler Cortex 118, 168, 333, 339 dorsomedialer präfrontaler Cortex 168, 588 Dreieckstäuschung (Kanizsa-Dreieck) 443 Drei-Farbsehen 385 Drogen – s. Alkohol – s. Amphetamine und Cocain – s. Cannabis – s. Coffein – s. Nicotin – s. LSD – s. Psychedelika Druck – Blutdruck 85, 189, 190, 549, 575, 577, 680, 682, 683, 706 – Bluthochdruck 682, 699 Druckausgleich, Innenohr 142, 170 Druckverletzung 511, 521 Druckwahrnehmung 200, 289, 504, 510, 516, 521 Drüsen – Bauchspeicheldrüse (Pankreas) 249, 498 – Corpus luteum (Gelbkörper, gelber Körper, temporäre Drüse) 601, 603 – Drüsensekret, Insekten 461 – Drüsenzellen 195, 201, 680, 696, 697 – endokrine 75, 105, 179, 249, 601, 603, 607, 608, 681 – Epiphyse (Zirbeldrüse, Corpus pineale, Glandula pinealis) 35, 58, 86, 87, 101, 102, 120, 255, 343, 606 – Haut- und Fettdrüsen 464 – Innervation 201, 249 – Keimdrüsen (Gonaden) 87, 102, 106, 120, 596, 599, 600, 601, 603, 604, 606 – Nebenschilddrüse 190 – Schilddrüse 93, 191, 606 – Speicheldrüse 249, 300, 464, 498

770

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Vorsteherdrüse (Prostata) 511 – s. a. endokrines System (Hormonsystem) Dünndarm 249, 492 Dura mater 36, 268 Durchblutung 189, 337, 417, 516, 542 Durst 92, 473, 480, 670, 694 Dursthormon, Angiotensin II 190, 236 Dyaden 580 dynamische Formen, visuelle Wahrnehmung 425 dynamische Polarisation 199 dynamisches Gleichgewicht 227 Dynorphin 236 Dysfunktion, motorische 339, 545, 703 Dyskinesie (motorische Fehlfunktion) 545 Dyspraxie 155 EEG (Elektroencephalogramm) 347, 348, 349, 363, 465, 476 Effektor 588 Effektorgen 297 efferent, Definition 71 efferente Bahnen 71, 114, 123, 187, 248 Eichel (Glans) 511, 597 Eierstöcke (Ovarien) 596, 597, 600–603, 606 Eileiter (Ovidukt) 596 einfache Zellen, corticale, im visuellen System 407–409, 411 Eingangswiderstand 232 Eingeweide 70, 134, 249, 483, 571, 575 Eingeweidenerv 70 Einheitspotential, synaptisches 223 Eisprung (Ovulation) 603 Eizelle 460, 601 Ektoderm 177, 182, 186, 260, 263 elektrische Hirnreizung 36, 38, 40, 163, 344, 366, 367, 516, 529, 533, 575, 581, 612, 680, 693 elektrische Kapazität 215, 217 elektrische Kraft (elektrostatische Anziehungskraft) 209, 210, 215 elektrische Ladung 207, 216 elektrische Leitfähigkeit 271 elektrische Reizung (Stimulation) – Gehirn 36, 38, 40, 163, 344, 366, 367, 516, 529, 533, 575, 581, 612, 680, 693 – Muskelzelle 271 elektrische Selbstreizung des Gehirns 529 elektrische Signale 180, 181, 198, 199, 467, 529

elektrischer Strom 216, 217 elektrischer Transformator 232 elektrische Synapse 180, 230–233 – s. a. Gap Junction 232 elektrische synaptische Übertragung 180, 237 elektrisches Feld 215, 232 elektrisches Potential 208 elektrisch geladene Atome 207 – s. a. Ionen elektrochemische Kraft 211 elektrochemische synaptische Übertragung 25, 175, 180, 181, 204, 221, 233, 237 Elektrode – Ableitelektrode 413, 415, 435, 448, 558, 575 – Implantation 40, 529 Elektroencephalogramm (EEG) 347, 348, 349, 363, 465, 476 Elektron 207 Elektronenmikroskop 198, 252, 376 elektromagnetische Wellen 459 Elektroschock 294, 303, 305, 331, 683, 684 elektrostatische Anziehungskraft (elektrische Kraft) 209, 210, 215 elektrotonische Ausbreitung 218 elementare Emotionen 570, 579–581 Elementarteilchen 625 embryonale Bipolarzellen 199 Embryonalstadien 177–178, 260, 261, 263 Embryonalentwicklung – Alkohol 317 – Auge 383 – Bruce-Effekt 467 – elektrische Synapsen 180 – Gehirn 60 – Geschlechtsorgane und -merkmale 596, 618 – Nervensystem 260–262 – Nicotin 538 – Nucleus lentiformis 77 – programmierter Zelltod 272 – Teilung embryonaler Zellen 280 – THC 551 – VNO 466 emotionaler Ausdruck – emotionaler 563, 570, 571, 574 – s. a. Gesichtsausdruck 79, 112, 567, 570, 579, 592, 676

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte emotionales Ausdrucksverhalten (Ausdrucksbewegung) 563–569, 579 emotionales Gedächtnis 331, 332, 576, 578 emotionales Furcht-Gedächtnissystem 576– 578 Emotionen – Ärger 515, 562, 566, 570, 572, 575, 582, 679, 680, 682, 708 – bei Alzheimer-Erkrankung 340 – Basisemotionen 570, 581, 583, 584, 601, 603, 667 – Belohnungsgefühle 109, 530–531, 612 – Definition, Unterscheidung Motivation 479–480, 562 – elementare Emotionen 570, 579–581 – emotionale Angstreaktion 685–687 – emotionale Vernachlässigung 319, 668– 670, 674, 676 – ethische 146 – Liebe 594 – Mensch als emotionale Eidechse 691 – Prägung 279 – primäre 586 – sekundäre 586 – und Amygdala 99, 110–112, 116, 119, 124–125, 127, 326, 331, 476, 510, 515, 540, 575–577, 578, 582, 589, 590–593, 612, 617, 673, 683, 685, 689, 690, 691 – und Assoziationscortices 118, 146, 161– 163, 167, 168, 613, 673 – und Basalganglien 79, 99 – und basolateral-limbischer Schaltkreis 324–325 – und CRH-Ausschüttung 694 – und Drogen 518, 523, 530, 531, 539–541, 545, 549, 550, 556–558, 560 – und Endorphine 109, 518, 530, 531 – und Essen 494, 498–500, 502, 523 – und Gerüche 127, 465, 476 – und Hippocampus 116, 119, 123 – und Hypothalamus 94, 104, 122 – und Lateralisation des Gehirns 159 – und limbisches System 68, 72, 94, 108, 110–111, 118, 119, 122, 124, 125, 162, 163, 168, 458, 510, 613, 673 – und Massentierhaltung 465 – und Papez-Neuronenkreis 116, 324 – und NA-System 84, 254 – und Schmerz 94, 510, 515, 518

– – – – –

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und Spielsucht 535 und Thalamus 66, 94, 104, 120, 121 und Träume 357 und Wahrnehmung 451, 458 wechselseitige emotionale Abstimmung 676 – s. a. Angst Emotionstheorien – von Cannon-Bard 573 – von Damasio 584–588 – von James-Lange 571–573 – von Lorenz 589 – von Papez 574–576 – von LeDoux 576–579, 590, 683, 691 – von Panksepp 579–584, 601 Empfänger (Rezeptor) – Chemorezeptoren 461 – Nocizeptoren 510 – Rezeptoren 110, 179–180, 219, 229 Empfängerneuronen 223, 229, 275, 474 – primäres 409 Empfängnisverhütung 460, 603 Empfindlichkeitspunkte (Tenderpoints) 521 Empfindung – Chemorezeptoren 461 – Durstempfinden 694 – Gefühl/Empfindung 584 – Hintergrundempfindungen 586–587 – Schmerzempfindungen 42, 94, 97, 200, 228, 286, 289, 299, 504, 506–507, 509– 510, 512, 515, 516, 545, 561 – Temperaturempfindung 93, 483–485 – Thalamus 66, 120 – s. a. Gefühle, Emotionen Encephalon s. Gehirn Encodierung 24, 323–328, 333, 698 Endfüßchen, Astrocyten 202 Endhirn (Großhirn, Telencephalon, Cerebrum) – Amphibien 127 – Basalganglien 77 – Bulbus olfactorius 69, 169 – Fasersyteme 128–129, 164, 168–169 – graue Substanz 107, 126 – Hippocampus 123, 126, 369 – Lage und anatomische Strukturen 60, 63, 66, 120, 126, 127, 164 – limbische Kerngebiete 107, 124 – Pallium 126–128, 164–165

772

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– und Schlaf 349 – und Schmerzgeschehen 515 – s. a. Cortex (Großhirnrinde) Endhirnmantel (Pallium) – Archipallium (Urmantel) 126, 127, 164 – Palaeopallium (Altmantel) 126, 127, 164 – Neopallium (Neumantel) 126, 127, 164 Endknöpfchen, synaptische 196, 199, 221, 293, 294, 314, 551 Endocytose, synaptische Membran 234, 242, 243 endogene Benzodiazepine 582 endogene Opiate 109, 228, 229, 236, 512, 515, 520, 530, 604 – s. a. Endorphine endokrines System (Hormonsystem) 179, 181, 191, 249, 574, 592, 594, 683, 693 – ACTH (adrenocorticotropes Hormon, Corticotropin) 106, 334–335, 599, 606– 607, 675, 693, 696–698 – Adrenalin 188–189, 247, 253–254, 524, 526, 679–683, 691, 699, 701 – Aminosäurederivat-Hormone 594 – Androgene 599, 600, 601, 605, 618, 619, 625 – Aldosteron 190 – Calcitonin, Schilddrüsenhormon 191, 236 – Corpus luteum (Gelbkörper, gelber Körper, temporäre Drüse) 601, 603 – Corticoliberin (CRH, CorticotropinReleasing-Hormon) 582, 584, 592–593, 693–694, 698, 699 – Cortisol 106, 244, 264, 334, 607, 615, 618–619, 674, 679, 682, 691, 697–701 – Dopamin 254, 605 – Dursthormon, Angiotensin II 190 – endokrine Zellen, Drüsenzellen 195, 201, 680, 696, 697 – endokrine Drüsen 75, 105, 179, 249, 601, 603, 607, 608, 681 – Entstehung des Hormonsystems 176, 179, 227, 463 – follikelstimulierendes Hormon (FSH, Follitropin) 601, 603, 604, 605 – Gelbkörperhormon 601, 603 – Gestagene 600, 603 – Glucocorticoide 264, 334, 335, 337, 579, 607, 674, 679, 681–682, 691, 697–698

– gonadotrope Hormone 106, 122, 599– 600 – Gonadotropine (Geschlechtshormone) 601, 603, 611, 621, 694 – Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) 583–584, 601, 603–605, 607, 621, 693, 694 – Hormonrezeptoren 607, 611 – Hormonspiegel, Ähnlichkeit Mutter– Kind 675 – H-Y-Antigen 596 – Hypothalamus-Hypophysen-System 75, 105, 122, 485, 574, 693, 695 – Kinine, Gewebshormone 511 – Leptin 497–498 – LH (luteinisierendes Hormon, luteotropes Hormon, Lutropin) 601, 603, 604, 605 – Melatonin, Epiphyse 58, 87, 102, 120, 255, 343, 594, 606 – Müllersches inhibierendes Hormon 596, 619 – neuro-endrokrine Kopplung 66, 105, 181, 189, 191, 485, 574, 577, 592, 594, 604, 673, 674, 683, 693, 694 – Noradrenalin (NA) 84, 188–189, 250, 253–254, 523, 679–683, 691, 693, 694, 699, 701 – Östradiol 600, 601, 603, 604, 606 – Östrogen 466, 596, 599, 600, 601, 603, 605–607, 619–620 – Oxytocin 236, 584, 606, 615, 693, 695 – Parathyrin (Parathormon, PTH) 190– 191 – Peptidhormone 594–595 – Progesteron 600, 603, 621 – Prohormon (Vorläuferhormon) 697 – Prolactin 583–584, 603–604 – Releasing-Hormon (Freisetzungshormon) 693, 696 – Schilddrüsenhormone 93, 191 – Somatotropin 599 – Steroidhormone 264, 582, 464, 594–595, 599–600, 607, 611, 697 – Streßhormone 84, 188, 244, 247, 250, 253–254, 334, 523–524, 607, 674, 679– 682, 691, 693, 694, 697–701 – Testosteron 466–467, 596–597, 599– 601, 603–607, 612, 618–621, 623, 625

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – – – – –

Thyreotropin 606 Übersicht 607–608 und Emotionen 564 und Golgi-Apparat 195 Vasopressin (ADH, antidiuretisches Hormon) 190, 485, 549, 582, 606, 615, 693, 695,698 – Wachstumshormon 106, 122, 599, 677 Endokrinologie 191, 594, 677, 679 endoplasmatisches Reticulum (ER) – glattes 195 – rauhes 195 β-Endorphin 236 Endorphine 109, 228, 236, 512, 515, 520, 530, 604 Endorphinderivate 520 Endothel 203 Endplatte, motorische – Miniaturendplattenpotential (MEPP) 223 – neuromuskuläre Endplatte 221, 223, 228, 237, 270 – Veränderungen bei Myasthenia gravis 228 Energie – aktionsspezifische Energie 481 – Aktivierungsenergie 215 – Lichtenergie 441 – Quantelung 222 – Streben nach niedrigstem Energieniveau 218–219, 453, 482, Energiehaushalt – Hypothalamus Energiesollwert 493 Energiestoffwechsel 172, 189, 195, 482, 494 – Anreiztheorie 494 – Cytochromoxidase, Färbetechnik 417 – Hunger 637 – Lipolyse 495 – und Nahrungsaufnahme 494 Energieverbrauch – für Nahrungsaufnahme 486–488 – Gehirn 172 – Natrium-Kalium-Pumpe 211 – Notfallreaktion 633, 679, 680 – Parasympathicus 251 – Schlaf 344, 346, 349 – Sympathicus 250 Energie-Zahlungsmittel, ATP 211

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Engelsstaub (Phencyclidin, PCP) 313 Engramme (Gedächtnisspuren) 146, 328 Enkephalin(e) – Ähnlichkeit zu Morphin 518–519 – Definition 109, 236 – Derivate 520 – Entdeckung 109, 513 – Interneurone, Rückenmark, Schmerzkontrolle 514–515 – Met-Enkephalin 513, 519 – Leu-Enkephalin 513 – und Akupunktur 520 – und Drogen 530 – Wirkungsweise 109, 228, 236, 514–515, 529 Enkephalinneuronen – Lokalisation im Gehirn 109–110, 529– 530 Enkephalinrezeptoren 518 Ensembles von Neuronen – Bindungsproblem, Wahrnehmung 447 – Hintergrundrauschen 476 – Riechsystem 472–473, 476, 477 – somatosensorischer und motorischer Cortex 450 – Synchronisation 447 – visueller Cortex 448 entorhinaler Cortex (Regio entorhinalis, Cortex entorhinalis) 75, 107, 114, 119, 122, 123, 127, 128, 165, 168, 169, 310, 311, 312, 325, 339, 364–365, 367, 474, 476, 477, 689 Entwicklung – Angstverhalten 672–674 – der Amygdala 112, 687, 690 – der kindlichen Psyche 643 – der Lateralisation des Gehirns 155 – der Sprache 319 – der Wirbeltiere 59–62, 74 – des Cortex 114, 119, 126–127, 266, 267 – des Gehirns 60–62, 126, 173, 199, 202, 260–263, 317, 318, 322, 536 – Embryonalentwicklung 60, 177, 180, 261, 317, 383, 538, 618 – Entwicklungszyklus, Polypen und Medusen 184 – extrauterines Frühjahr 667 – Frosch-Zygote 258 – Geschlechtsorgane 595–599, 601–603 – kritische Phase 277, 278, 279, 596

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– limbisches System 374 – Nervenzellen 199, 257, 264, 266, 267 – Nervensystem 259,260, 261 – von Psychopharmaka 707 – von Nervenzellen 176, 179 – s. a. Evolution – s. a. Plastizität Entwicklungsstörungen – androgenes Syndrom 618 – der Psyche 668, 676, 677 – fetale Hirnentwicklung 625 – Harlow-Tierversuche 668, 676 – kritische Phase 277, 278, 279, 596 Entwicklungskontrollgene (Meisterkontrollgene) 377–378 Entzug – Deprivation 277–278, 280, 668–670, 676 – Liebesentzug 638, 644 – Nahrung, Tierversuche 344, 486 – Schlaf, Tierversuche 344, 346 – von Drogen 502, 539, 545 Entzündung(en) – Freisetzung von Substanz P 511, 521 – Gelenke 507 – Mittelohr 141 – Niere 683 – Nocizeptoren 511 – Permeabilitätssteigerung 511 Entzündungsstoffe, Kinine 511 Enzyme (Biokatalysatoren) 227, 229, 230, 234, 395, 520, 546, 551, 697 – Acetylesterase (AChE) 238, 340 – Adenylatcyclase 295, 551 – Aldehyddehydrogenase 543 – Alkoholdehydrogenase 543 – aromatische L-Aminosäure-Decarboxylase 247 – Catechol-O-Methyltransferase (COMT) 253 – Cholinacetyltransferase 237–238 – Coenzym 546 – Cytochromoxidase 417 – Dopamin-β-Hydroxylase 243 – Glutaminsäure-Decarboxylase 243 – 5-Hydroxytryptophan-Decarboxylase 255 – Monoaminoxidase (MAO) 253, 255, 538, 703

– Phenylethanolamin-N-Methyltransferase 247 – Proteasen 544 – Renin 190, 281 – THC, Decarboxylation 551 – Transducin 395 – Tryptophan-Hydroxylase 255 – Tyrosin-Hydroxylase 247, 693 – Phenylethanolamin-N-Methyltransferase 247 – Proteinkinase 230, 295–297, 313, 314, 316, 551 enzymatischer Abbau – Lipolyse, Fettverdauung 495 – von ACh durch Acetylcholinesterase 238 – von Alkohol 543–544 – von cGMP durch 395 – von DA durch MAO 253, 538, 703 – von Enkephalinen durch peptidabbauende Enzyme 520 – von Glykogen 680 – von NA durch MAO 253, 703 – von Nicotin 538 – von Proteinen und Peptiden 544 – von Serotonin durch MAO 255, 538, 703 – von Streßhormonen 701 Ephedra vulgaris 524 Ephedrin 525 Epidermis 177, 186 Epilepsie – epileptische Herde im Gehirn 244 – GABA 244–245 – Geschichte der Erforschung 32, 36 – Fallgeschichte Henry M. 113, 310 – Nicotin, epilepsieauslösend 538 – Operationstechnik von Penfield 163, 309 – Split-Brain-Patienten, Sperry 156 – Temporallappen-Epilepsie 309, 354 – Tierversuche, Affen 244 epileptische Aura 354 Epinephrin s. Adrenalin Epiphyse (Zirbeldrüse, Corpus pineale, Glandula pinealis) – Entwicklung 58, 102 – Funktionen 58, 102, 120, 255, 343, 606 – Lage im Gehirn 35, 58, 101, 102, 120

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Melatonin 58, 87, 102, 120, 255, 343, 594, 606 – Serotonin 86, 87, 102, 120, 255, 343 episodisches Gedächtnis 324, 328–331, 333, 337–338, 591 Epithalamus – Epiphyse als Teil des Epithalamus 101, 120 – Habenula als Teil des Epithalamus 102, 120 – Lage im Gehirn 101, 102, 120 EPSP (exzitatorisches postsynaptisches Potential) 223–226, 242, 312, 542, 544 ER (endoplasmatisches Reticulum) – glattes 195 – rauhes 195 Erbrechen 95 Erfahrungsseelenlehre 31 Ergänzungsphänomen, visuelle Wahrnehmung 443 Ergonovin 557, 558, 559 Ergotamin 556, 558, 559 Ergotoxin 557 Erinnerungen (Gedächtnis) – Alzheimer-Erkrankung 39, 88, 241, 339 – Altgedächtnis 113, 330, 332, 333 – Amnesie 310, 330, 332–336 – Arbeitsgedächtnis 328, 338, 353, 576, 584, 588 – Basalganglien 82 – beteiligte Hirnstrukturen, Überblick 330 – biographische 29, 173, 321, 329 – Deckerinnerungen 322 – deklarative (bewußte) 576, 577 – emotionale 331, 332, 576, 578 – emotionales Furcht-Gedächtnissystem 576–578 – Encodierung 24, 323–328, 333, 698 – episodische 324, 328–331, 333, 337–338, 591 – Erinnerungszentren und Sprache 151, 152 – explizite 309–311, 331–332, 577–579, 653, 689 – für Farben 427 – frühkindliche 679 – Glutamatrezeptoren (NMDA-Rezeptoren) 242, 287, 317–318, 542, 544

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– Hippocampus 42, 82, 88, 113, 114, 116, 119, 122, 123, 125, 163, 309, 311, 317, 323, 325, 330, 331, 334, 335, 346, 358, 364–365, 476 – Henry M. 113, 114, 310, 330 – implizite 287, 291–292, 297, 299, 310– 311, 317, 332, 577–579, 653, 698, 699 – kinästhetische Erinnerungsbilder 146 – kollektive 689 – Konfabulationen 332, 547 – Kurzzeitgedächtnis 113, 281, 291–292, 297, 310, 328 – Langzeitgedächtnis 113, 123, 281, 297, 309–311, 319, 328, 331, 333, 367, 476, 576 – Läsionsversuche bei Ratten und Affen 42, 114, 331, 332 – Neugeborene 321–322 – Neugedächtnis 333 – Parkinson-Erkrankung 79 – präfrontaler Cortex 326–327, 330, 333 – Prägung 279 – prospektive 338 – prozedurale 327, 338 – Pseudoerinnerungen 332, 547 – räumliche 314, 316, 331, 366 – Schmerzgedächtnis 506, 510, 515 – semantische 319, 324, 328–330, 333, 337–338 – Streßgedächtnis 699 – Syntaxin 317 – traumatische 578 – und Acetylcholin 88, 241, 339, 537, 540, 542 – und Alkohol 540, 542, 544, 546–547 – und Altern 337–338, 537 – und Assoziationen 319 – und Cortisol 334, 698 – und Gerüche 476 – und Inselcortex 165, 616 – und limbisches System 83, 112, 118, 119, 122, 123, 125, 161–162, 167, 168, 324, 325, 354, 355, 451 – und Nicotin 537 – und Noradrenalin 254 – und Scheitellappen 330, 357 – und Temporallappen 114, 309, 331, 575 – und Theta-Rhythmus 364–369 – und Traum 357 – und Wahrnehmung 451, 453, 458

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Verdrängung 49, 333, 335, 579, 648 – zeitliche Abfolge 333 – s. a. Lernen Erkennen – bei Neugeborenen 322 – von Bewegung 353, 427, 441 – von Emotionen 570, 593, 616 – von Farben 353, 425 – von Formen 379, 425 – von Gesichtern 160, 311, 353, 428, 443– 444 – von Objekten 137, 427, 441 erregendes postsynaptisches Potential (EPSP) 223–226, 242, 312, 542, 544 Erregungsleitung, saltatorische 218 Erwartung – als Emotion, Plutchik 580–581 – bei assoziativem Lernen 303, 305, 677 – Belohnungserwartung 694 – Erwartungsangst 634, 640, 646–647, 707 – und Wahrnehmung 451, 458 – von Nahrung 494, 495 Erwartungsphase, sexuelle 615 Erwartungssystem, Panksepp 581, 587, 593, 634 Erythropsis pavillardi, Geißeltierchen 376 Erythroxylum coca 523 Eserin (Physostigmin) 239 Essigsäure 238, 543 Eßstörungen – Adipositas 497–502, 637–638 – Anorexia nervosa (Magersucht) 497, 499–502, 534, 536–537 – Bulimie (Eß-Brech-Sucht) 497, 500 Ethologie 481, 562, 629, 667 Euphorie – durch Cannabis 551 – durch Cocain und Amphetamine 523, 526 – durch Endorphine 109, 530 – und Liebe 616 – durch Nicotin 538 – durch Opiate und Heroin 518 Evertebraten (Wirbellose, Invertebraten) 199, 233, 378 Evolution – der Hominiden 160, 172, 493 – der Vielzeller 178, 179, 189, 287, 463 – der Wirbeltiere 59, 60, 129, 361, 368

– des Auges 375–383, 386–387, 403, 439, 671 – des Gehirns 57, 60, 67, 68, 74, 114, 119, 127, 172 – des Nervensystems 176, 180, 183, 186, 187, 199, 217, 463 – des (REM-)Schlafes 361–362, 369 – dreieiniges Gehirn, 68 – und Eßverhalten 493 – und Riechen 460, 466, 476 – und Selektion 21, 58 – VNO 466 – von Emotionen 562–563, 567–568, 576 – von Nervenzellen 176 Exocytose 221, 234, 293, 317 explizites Gedächtnis 309–311, 331–332, 577–579, 653, 689 Extinktion (Auslöschung) 302, 690 Extrakt – aus Ephedra vulgaris 524 – Cocain 524 – Schlafmohn 516 – Nervengewebe, Substanz P 511 extraamygdaloide Verbindungen 590–591 extraokularer Lichtsinn 379 extrapyramidale Bahnen, Rückenmark 81, 124, 129, 169 extrapyramidale Motorik 81, 104, 121 extrapyramidales System 81, 99, 124, 129, 169 Extraversion 325 Extrastriatum 357 extrauterines Frühjahr 667 Extrazellulärraum 176, 189, 190, 202–204, 208–210, 216, 221, 338 exzitatorisch (erregend) 90 exzitatorisch disparationsspezifische Zelle 437 exzitatorische Synapsen 226, 280, 312 – Interneuronen 289, 291 – Mitralzellen 471 – neuromuskuläre 220 – Schaffer-Kollateralen 312 – schnelle 223, 230 – sympathisches Nervensystem 250 – visuelles System 392, 399, 400, 408, 409, 410, 420, 421 exzitatorisches postsynaptisches Potential (EPSP) 223–226, 242, 312, 542, 544

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte exzitatorisch wirkende Neurotransmitter – Acetylcholin 220, 350, 351 537, 540 – Glutamat 90, 241, 316, 512 – NA 250 – Serotonin 513 Fadenwürmer (Nematoden) 460 – Caenorhabditis elegans 258 Fallstudie – Joan/John, ablatio penis 620 – Henry M. 113, 114, 310, 330 – LSD-Einnahme, 557–558 – Phineas P. Gage 32, 35, 36, 92, 146, 332, 584, 586, 593 Farbe – physikalisch 381, 401, 418, 441 – von Milch 78 Farbenblindheit (Achromatopsie) 426 Farbfehler 381 Farbkonstanz 401, 440–441 Farbmischversuche 418–419 Farbsehen – Areal V 4 415, 417, 425, 427 – Drei-Farbsehen 385–386 – Evolution 383–387, 403 – Farbenfehlsichtigkeit 386 – im Alter 338 – Gegenfarbentheorie (Komplementärfarbentheorie), Hering 418–419 – Katze 274, 403 – Parvo-Blob-Bahn 424 – Parvo-Interblob-Bahn 425 – Primaten, Mensch 274, 385 – sekundäre visuelle Felder für die Farbwahrnehmung 140, 167, 414–417, 353, 375, 427 – ventrale Bahn 430 – Vier-Farbsehen 386 – Was-Bahn 403, 425, 430 – Zapfen 383, 418 farbsensitive Blobs 417–418, 424–425 Farbneuronen 402, 403 – coextensive einfache Gegenfarbenzellen 421–422 – Doppelgegenfarbenzellen (konzentrische doppelte Gegenfarbenzellen) 423– 424 – konzentrische einfache Gegenfarbenzellen 420–422

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Färbungstechnik 138 – Golgi-Färbung 193–194 – nach Wong-Riley, visueller Cortex 417 – Nissl-Färbung 39, 195 Farbvisionen, drogeninduziert 555 Farbrezeptoren (Zapfen) 382, 383, 385–389, 395 397–400, 402, 403, 406, 418–421, 423, 424 – Anzahl 388, 406 Fasciculus (-i) – Fasciculus arcuatus (Fibrae arcuatae cerebri) 151, 154, 171 – Fasciculus telencephalicus (mediales Vorderhirnbündel) 529, 530, 533, 535 – Fasciculus uncinatus 328–329 Fasern (Nervenfasern) – absteigende 81, 102, 129, 169, 187, 248, 429, 513–515, 534–535, 582 – acetylcholinerge 88 – afferente 71, 72, 102, 113, 114, 122, 123, 125, 186, 187, 248, 249, 311, 312, 344, 529, 707 – anterolaterales System (Vorderseitenstrang) 507–508, 529 – anteriore thalamische Pedunculi 324 – Assoziationsfasern (-bahnen) 128, 151, 168 – aufsteigende 102, 126, 186, 248, 507, 529, 534–535 – Commissura anterior (vordere Kommissur) 128, 156, 157, 169, 434, 485, 623 – Corpus callosum (cerebrale Kommissur, Balken) 35, 63, 88, 107, 116, 123, 124, 128, 129, 156, 157, 160, 166, 168, 324, 430, 433–437, 450, 611, 623 – Corpus trapezoideum 143, 170 – cortico-corticale Bahnen 455 – corticofugale Fasern 128, 169 – corticopetale Fasern 128, 169 – corticostriäre 81 – dopaminerge 75, 76, 88, 97, 99, 491, 529, 530, 541 – dorsales noradrenerges Bündel (Dorsalbündel) 84 – efferente 114, 123, 187, 248, 71 – Entdeckung der Nervenbahnen, Antike 33 – extrapyramidale, Rückenmark 81, 124, 129, 169

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Fasciculus arcuatus (Fibrae arcuatae cerebri) 151, 154, 171 – Fasciculus telencephalicus (mediales Vorderhirnbündel) 529, 530, 533, 535 – Fasciculus uncinatus 328–329 – Fornix 107, 116, 124 – Hinterstrangsystem (mediales Lemniscussystem, primäre somatosensorische Bahn, Lemniscus medialis) 504–507 – Kommissurenfasern 157, 168, 128, 160, 169, 434, 611 – Leitungsbahnen, Axone 181, 196, 260 – mediales Lemniscussystem (primäre somatosensorische Bahn, Hinterstrangsystem, Lemniscus medialis) 504–507 – mediales Vorderhirnbündel (Fasciculus telencephalicus) 529, 530, 533, 535 – Moosfasern 113, 123, 312 – motorische 69–71, 81, 102, 129, 169, 248, 249, 251, 271, 291, – nigrostriatale 76, 491 – noradrenerge 84–85, 87–88, 531, 529, 612 – Pedunculi 65, 96 – periphere 220, 269 – Projektionsbahnen (-fasern) 90, 128, 133, 135, 166, 169 – Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis) 81, 82, 128, 129, 169 – Reflexbahn 310 – Schmerzbahn 94, 504, 509–512, 515– 516, 687 – sensorische 71, 100, 102, 116, 120, 201, 248, 281, 504 – serotoninerge 86, 88, 123, 529 – spinal 247–248 – Stria terminalis 515 – thalamo-amygdaläre Bahn 112, 685–689 – thalamo-cortico-amygdaläre Bahn 112, 685–689 – Tractus corticonuclearis 81, 129, 149, 169, 171 – Tractus corticospinalis (Pyramidenbahn) 81, 82, 128, 129, 169 – Tractus mamillothalamicus 574 – Tractus neospinothalamicus 510 – Tractus olfactorius 111 – Tractus opticus 274, 402, 435 – Tractus palaeospinothalamicus 510

– – – – –

Tractus perforans 312 Tractus rubrospinalis 74, 98 vegetative 249 ventrale amygdalofugale Bahn 324, 593 ventrales noradrenerges Bündel (Ventralbündel) 84 – viszerosensible – vordere Kommissur (Commissura anterior) 128, 156, 157, 169, 434, 485, 623 – Vorderseitenstrang (anterolaterales System) 507–508, 529 – zwischen Amygdala und Hippocampus 591 – zwischen Broca- und Wernicke-Zentrum 152 Feedback (Rückmeldung) – positives 214, 570, 573, 574, 581, 604, 693 – negatives 191, 240, 486, 497, 498, 601, 604, 698 – vegetatives und somatisches 572, 573, 707 Feedback-Hemmung (negative Rückkopplung) – Endorphine 604 – Cortisol 698 – Dopamin 604 – Fetthaushalt, Leptin 486, 497–498 – Hypothalamus-Hypophyse 191 – Östrogen 601 – Renshaw-Neuron 240 – Testosteron 604 Feedback-Schleifen – im Gehirn 68 – im Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-System 105, 191, 601, 604, 697, 698 – im olfaktorischen System 471 – im Thalamus 66 Feedback-System, positives – CRH 693 – emotionales Erleben 570, 573, 574, 581 – Membranpotential 214 – Noradrenalin 604, 693 Feminisierung, testikuläre 619 Fenestra cochleae (rundes Fenster, Schneckenfenster) 142, 170 Fenestra vestibuli (ovales Fenster, Vorhoffenster) 141, 170 α-Fetoprotein 596

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Fette – Bevorzugung als Nahrung 492 – Energielieferanten, Stoffwechsel 172, 195, 237, 682 – in Milch 78 – Myelinscheide 78, 198 – Schäden durch freie Radikale 345 Fettdrüsen 464 fettleibige Mäuse 41, 497–498 Fettleibigkeit (Adipositas) 491, 495, 497–502, 637–638 Fettlöslichkeit – von Heroin 517 – von Steroidhormonen 594 – von THC 551 Fettsäuren 191, 204, 205, 492, 511 Fettspeicherung 486, 493, 495, 496, 497 Fettverdauung (Lipolyse) 495 Fettzellen 497 Fetalentwicklung – geschlechtliche Ausdifferenzierung, Hormone 618 – Hormonstörungen 620, 625 «Feuern» von Nervenzellen – Bindungsproblem 447, 448 – Hebbsche Lernregel 288, 313, 471 – Motoneuronen in motorischem Kern 231 – Schlaf 348–350, 367 – Spiegelneuronen 617 – und Drogen 559, 560 – visuelles System 390–391, 410, 448 Fibrae arcuatae cerebri (Fasciculus arcuatus) 151, 154, 171 fibrilläre Astrocyten 203 fibrilläreProteine, Mikrotubuli 196 Fibrillen, Alzheimer-Erkrankung 338 Fibroblasten-Wachstumsfaktor 264 Fibromyalgie 521 Fieber 484, 485 fiebererzeugende Substanzen (Pyrogene) 485 flight or fight-Reaktion (Flucht oder Angriff ) 442, 516, 674, 680, 707 Figur-Hintergrund-Organisation Filamente 338 Filopodien (Füßchen) 268 First Messenger (erster Botenstoff, primärer Botenstoff, Transmitter) 229, 230

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First-Messenger-Wirkung (Erste-Boten-Wirkung) 219, 229, 254 Fissura 130, 175 – Sylvii (Sulcus lateralis) 130, 131, 134– 135, 140, 165, 167 – Zentralfurche (Sulcus centralis) 130, 165, 166, 174 Fixierung, Blick 386, 432, 433, 437, 671 Flash (Euphorie-Schub) 526 Fleck – aus Photorezeptoren 379 – aus Pigmenten 377 Fliegenpilz 239, 554 Fließgleichgewicht 211 Fluchtdistanz 633 Flucht oder Angriff (flight or fight-Reaktion) 442, 516, 674, 680, 701, 707 Fluchtverhalten – Hirnstamm 100 – limbisches System 111 – Notfallreaktion 189 – Streßachse 106, 122, 189, 516, 701 Fluchtreflex 292 Fluctin (Prozac) 705 Fluoxetin 705 Follikel 601 Follikelflüssigkeit 460 Follikelreifung 601 follikelstimulierendes Hormon (FSH, Follitropin) 601, 603, 604, 605 Follitropin (follikelstimulierendes Hormon, FSH) 601, 603, 604, 605 Form – der Ventrikel 34 – von Neuronen 199–201 Formatio reticularis (Retikulärformation) – ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) 344, 529 – Atmung 395 – Brechzentrum 91, 538 – Erbrechen 95 – Kreislauf 95, 100, 108 – Lage im Gehirn 72, 74, 91, 92, 97 – (lebenswichtige) Funktionen 92–93, 95, 97, 100, 343, 344, 349, 351, 402, 480, 510, 512, 533, 538 – Locus coeruleus 84, 88, 98, 277, 340, 351, 516, 531, 545, 546, 560, 693, 699 – NA-System 84, 95, 98

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– noradrenerges Bündel 84 – Raphe-Kerne (Nuclei raphes) 85, 86, 87, 88, 98, 340, 351, 545, 546,559 – Schmerzbahn 510, 512 – Serotonin-System 85, 95, 98 – Steuerung von Schlafen und Wachen 343–344, 349, 351, 402 – Übersicht 91, 92, 94 – und Suchtverhalten 532–534, 538 – Verbindung zu höheren Hirnregionen 84, 90, 535 – Verbindung zum Corpus geniculatum laterale 402 – Verbindung zum Nucleus interpeduncularis 74, 98, 535 – Verbindung zur Amygdala 591–593 – VTA (Area tegmentalis ventralis) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531–534, 537, 538, 581, 612 – Wachen-Schlafen 95, 100, 108 – Wutsystem 532 – s. a. Hirnstamm Formwahrnehmung – Form als Indikator für Größe, MüllerLyer-Täuschung 443 – sekundärer visueller Cortex 140, 167, 403, 415, 416, 418, 425, 427, 429, 430 – Wahrnehmung von Form und Farbe über Was-Bahn 403, 425, 429, 430 – V 3 (dynamische Formen) 415, 425, 427 – V 4 (Form und Farbe) 415, 425, 427 Formkonstanz 440 formspezifische Zellen 418 Fornix 107, 116, 124 Fortpflanzung – Aktionspotential 212–213, 215–218, 224 – Evolution 503 – Fortpflanzungsorgane 598 – geschlechtliche, Polypen 186 – Melatonin 58, 87, 102, 120, 606 – Oxytocin 606 – Steuerung durch limbisches System 108 – Übersicht über wichtige Hormone 607– 608 – und Homosexualität 624 – ungeschlechtliche (Knospung) 184 – weiblicher Fortpflanzungszyklus 87, 601

Fovea centralis (Sehgrube) 383, 385, 388, 390, 393, 432, 433, 437 freie Nervenendigungen 510 freie Radikale 345, 346, 544 Freisetzungshormon (Releasing-Hormon) – Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH, Corticoliberin) 582, 584, 592– 593, 693–700 – Definition 693, 696 – Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) 583–584, 601, 603–605, 607, 621, 693, 694 Frequenz – Herz 237, 577, 683, 706 – Gehirnwellen 347–348, 465 – Impulsfrequenz, Neuronen 390, 483, 484 – Puls 105 – Schall 140, 142, 144 Freß-Brech-Sucht (Bulimie) 497, 500 Freßfeind (Beutegreifer) 364, 379, 381, 631, 632, 638, 645, 671 Freßsucht 489 Freßverhalten – Hirnstamm 92 – Hypothalamus 491, 492 Freßzentrum (lateraler Hypothalamus, LH) 489, 491, 495 Freude – Emotionen 570, 580, 581, 676 – Ethik der Freude 25 – limbisches System 111 frontaler Cortex 118, 148, 471, 476, 592, 612 Frontallappen (Lobus frontalis, Stirnlappen) 87, 118, 125, 130, 131, 133, 135, 162, 165, 167, 168, 309, 328, 329, 333, 357, 545 Frosch, Tierversuche – Elektrizität 31 – grauer Halbmond 257–258 – Pax-6-Gen, Augenentwicklung 377 – Organisator 263 – Sehpigment 395 – Vagusstoff 237 FSH (Follikel-stimulierendes Hormon, Follitropin) 601, 603, 604, 605 Funiculus dorsalis (Hinterstrang) 504 Furchen, Großhirn – Fissura Sylvii (Sulcus lateralis) 130, 131, 134–135, 140, 165, 167

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Zentralfurche (Sulcus centralis) 130, 165, 166, 174 Furcht – Amygdala 124, 679, 689 – angeborene 446 – erlernte 94 – Emotion 570, 572, 577, 580, 667 – limbisches System 110–111 – Zentrales Höhlengrau 94 Furchtkonditionierung 683, 684, 685 GABA (γ-Aminobuttersäure, Gamma-Aminobuttersäure) – als Aminosäuretransmitter 89, 236, 241, 243, 245 – Basalganglien 90, 531 – Chorea Huntington 89 – GABAerge Zellkörper 90 – GABA-System 89, 90, 540, 545 – hemmende Wirkung 243 – Hirnstamm 90 – Interneuronen 551, 698 – immunohistochemische Methode zur Lokalisation 243, 244 – Kleinhirn 90 – Strukturformel 89, 236, 241, 243, 245 – Synthese 243, 244 – und Adenosin 549 – und Alkohol 318, 531, 540, 541, 544, 545 – und Coffein 549 – und Nicotin 538 – und Psychopharmaka 703–705 – und THC 551 – Verminderung bei Epilepsie 244, 245 GABA-Rezeptoren 244, 318, 540, 541, 544, 545, 705, 706 – Benzodiazepin-Bindungsstelle 244, 703, 705, 706 – Cortisol-Bindungsstelle 244 – postnatale Entwicklung der Rezeptoren 318 – postnatale Entwicklung der Rezeptoren 318 GABA-T, Transportmolekül 243, 245 GAD (Glutaminsäure-Decarboxylase, Glutamatdecarboxylase) 243 Galagos (Buschbabys) 567 Gamma-Aminobuttersäure s. GABA Gamet (Keimzelle) 50, 280

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Gang – aufrechter 71 – schlurfender, Parkinson 79 Ganglien – Basalganglien 66, 76, 77, 78, 79–83, 86, 87, 88, 90, 99, 108, 121, 122, 124, 126, 127, 151, 171, 324, 327, 329, 330, 451, 511–512, 531, 537, 545, 588, 592, 613, 618, 691 – Oberschlundganglion 187 – parasympathische 251 – peripheres Nervensystem 188, 247, 249, 251, 260 – Regenwurm 186–187 – Spinalganglien 201 – sympathische 249, 273 Ganglienzellen – magnozelluläre (großzellige) 403 – Off-Ganglienzellen 390, 398, 400, 401, 402, 421, 422 – On-Ganglienzellen 390, 393, 398, 400, 401, 421, 422 – parvozelluläre (kleinzellige) 403 – retinale 269, 275, 382, 388–394, 397–398, 400–404, 406, 409, 410, 421, 422, 437, 471 Gap Junction (elektrische Synapse) 232 Gastralraum 183 Gastritis 544 Gastrodermis 186 gastrointestinale Motilität 575 Gastrula 177 Gastrulation 177 Gating-Teil 215 Gating-Ladung 215 Gattung – Hydra 182 – Nautiloiden 379 – Obelia 184–185 – Oncorhynchus 463 GDP (Guanosin-3´,5´-diphosphat) – s. a. G-Proteine Gebärmutter (Uterus) 254, 556, 558, 596, 606 Gebärmutterkontraktionen 106, 122, 556, 557, 558, 606 Gebärmutterschleimhaut 467 Gedächtnis (Erinnerungen) – Alzheimer-Erkrankung 39, 88, 241, 339 – Altgedächtnis 113, 330, 332, 333 – Amnesie 310, 330, 332–336

782

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Arbeitsgedächtnis 328, 338, 353, 576, 584, 588 – Basalganglien 82 – beteiligte Hirnstrukturen, Überblick 330 – biographisches 29, 173, 321, 329 – Deckerinnerungen 322 – deklaratives (bewußtes) 576, 577 – emotionales 331, 332, 576, 578 – emotionales Furcht-Gedächtnissystem 576–578 – Encodierung 24, 323–328, 333, 698 – episodisches 324, 328–331, 333, 337– 338, 591 – Erinnerungszentren und Sprache 151, 152 – explizites 309–311, 331–332, 577–579, 653, 689 – für Farben 427 – frühkindliche 679 – Glutamatrezeptoren (NMDA-Rezeptoren) 242, 287, 317–318, 542, 544 – Hippocampus 42, 82, 88, 113, 114, 116, 119, 122, 123, 125, 163, 309, 311, 317, 323, 325, 330, 331, 334, 335, 346, 358, 364–365, 476 – Henry M. 113, 114, 310, 330 – implizites 287, 291–292, 297, 299, 310– 311, 317, 332, 577–579, 653, 698, 699 – kinästhetische Erinnerungsbilder 146 – kollektives 689 – Konfabulationen 332, 547 – Kurzzeitgedächtnis 113, 281, 291–292, 297, 310, 328 – Langzeitgedächtnis 113, 123, 281, 297, 309–311, 319, 328, 331, 333, 367, 476, 576 – Läsionsversuche bei Ratten und Affen 42, 114, 331, 332 – Neugeborene 321–322 – Neugedächtnis 333 – Parkinson-Erkrankung 79 – präfrontaler Cortex 326–327, 330, 333 – Prägung 279 – prospektives 338 – prozedurales 327, 338 – Pseudoerinnerungen 332, 547 – räumliches 314, 316, 331, 366 – Schmerzgedächtnis 506, 510, 515

– semantisches 319, 324, 328–330, 333, 337–338 – Streßgedächtnis 699 – Syntaxin 317 – traumatische 578 – und Acetylcholin 88, 241, 339, 537, 540, 542 – und Alkohol 540, 542, 544, 546–547 – und Altern 337–338, 537 – und Assoziationen 319 – und Cortisol 334, 698 – und Gerüche 476 – und Inselcortex 165, 616 – und limbisches System 83, 112, 118, 119, 122, 123, 125, 161–162, 167, 168, 324, 325, 354, 355, 451 – und Nicotin 537 – und Noradrenalin 254 – und Scheitellappen 330, 357 – und Temporallappen 114, 309, 331, 575 – und Theta-Rhythmus 364–369 – und Traum 357 – und Wahrnehmung 451, 453, 458 – Verdrängung 49, 333, 335, 579, 648 – zeitliche Abfolge 333 – s. a. Lernen Gedächtnisabruf 241, 311, 322–323, 328, 332–333, 337, 689, 699 Gedächtniskonsolidierung 331, 367 Gedächtnisleistungen, Hemisphärenunterschiede 328–329 Gedächtnismechanismen – Abhängigkeit von der Proteinbiosynthese 297 – Aplysia, «Modell» für Gedächtnis 287, 289 – cAMP 297 – Enzyme (Calmodulinkinase, Adenylatcyclase, PKA) – Langzeitpotentierung (LTP) 312, 313, 314, 316, 317, 328, 366, 514, 542 – Rolle von CREB-Protein 297 – und chemische Synapse 232 Gedächtnisstörungen – Absterben von Neuronen 335, 337, 698, 701 – Alzheimer-Erkrankung 39, 88, 241, 339 – Amnesie 310, 330, 332–336 – Parkinson-Erkrankung 79

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Gefäßpermeabilität 511 Gefühle s. Emotionen Gegenfarbentheorie (Komplementärfarbentheorie), Hering 418–419 Gegenfarbenzelle(n) – coextensive einfache Gegenfarbenzellen 421–422 – Doppelgegenfarbenzellen (konzentrische doppelte Gegenfarbenzellen) 423– 424 – konzentrische einfache Gegenfarbenzellen 420–422 Gehirn, Überblick – Acetylcholin-System 89 – Amygdala 115, 591 – Aquaeductus cerebri 94 – Aufbau, Säugetiergehirn 73, 132 – Aufbau, Wirbeltiergehirn 59, 60, 61, 65, 66, 67 – autonomes (vegetatives) Nervensytem 250, 252 – basales Vorderhirn 326 – Basalansicht 69, 70 – Basalganglien 78, 79, 80 – basolateral-limbischer Schaltkreis 325 – Belohnungssystem 110, 530, 532 – Diencephalon (Zwischenhirn) 101, 103 – Dopamin-System 76 – dreieiniges Gehirn, McLean 68 – Entwicklung, Nervensystem 259, 261, 262 – Entwicklungsstufen, Gehirn 62, 263 – Evolution 58, 59, 114 – Formatio reticularis 91 – Gedächstnisstrukturen 330, 365 – Gehirnstrukturen für angstbedingtes Verhalten 673, 686, 688 – Gehirnstrukturen für REM-Schlaf 350, 365 – Gehirnstrukturen für Traum 356 – Geruchswahrnehmung 475 – Gliazellen 203 – Großhirnrinde 131, 132, 134, 136, 138, 139, 143, 145, 147, 149, 150, 153, 162, 163, 426, 427, 429 – Hemisphären, Lateralisation 158 – Hippocampus 115, 312 – Hirnstamm 91, 94 – Hörbahn 143

– – – – –

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Hypophyse (Hirnanhangdrüse) 105 Hypothalamus 105, 484 Längsschnitt 65 limbisches System 107, 110, 117 Nervensystem, Entwicklung 259, 261, 262 – Neuronen 197, 200, 265, 267 – Noradrenalin-System 85 – Papez-Neuronenkreis 117 – präfrontaler Cortex 585 – primäre somatosensorische Bahn (mediales Lemniscussystem) 505 – Sehbahn 275, 276, 278 – Serotonin-System 86 – Streßsystem 681, 684, 692, 695, 700 – Synapsen 220, 222, 231, 234, 235, 245, 253 – Thalamus 103, 105 – Unterteilung 64–65 – Ventrikelsystem 67 – Vorderseitenstrangsystem 508 – Zwischenhirn (Diencephalon) 101, 103 Gehirn, Vokabelhefte – Hirnstamm 96–99 – Großhirn (Endhirn, Telencephalon) 164–171 – limbisches System 122–125 – Zwischenhirn (Diencephalon) 120–122 Gehirnasymmetrie 159, 160, 328, 611 – s. a. HERA-Modell 328 – s. a. Lateralisation 155, 156, 159, 160, 325, 328, 611, 623, 625 Gehirnkarten, Brodmann 144–146 Gehirnwellen, Frequenz – Alpha-Wellen 347–348, 465 – Beta-Wellen 347, 465 – Non-REM-Schlaf 348 – Theta-Wellen 348 Gehör 31 Gehörgang 141 Gehörknöchelchen 141, 170 Geist – Anfänge von Geist bei Aplysia 287, 298, 316 geistige Aktivität – Alpha-Wellen 347, 465 – Hydergin 557 – und Alkohol 540, 541, 542, 547 Geisteskrankheiten 353

784

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Gelbkörper (gelber Körper, Corpus luteum) 601, 603 Gelbkörperhormon 603 Gelenkentzündungen 507, 509 Gelenkrezeptoren 437 Gelenkstellung, Wahrnehmung 63, 146, 504, 507, 509 Gene – Angst 675 – Alzheimer-Erkrankung 241, 244, 339– 340 – DNA 194 – Emotionen 581 – Evolution 614, 635 – Farbsehen 385–386 – Fettleibigkeit 497–498 – Gedächtnis 317 – Gehirnentwicklung 173–174, 256, 257 – Geschlecht 596, 619, 624 – Homosexualität 622–624 – Informationsmenge 173 – Korsakow-Syndrom 545–546 – ob-Gen 497, 498 – Pax-6-Gen 377–378 – Riech-Gene 460, 469, 470 – Schicksal 172 – synaptische Plastizität 316–317 – Zelltod 280 Generalisierung 286, 338, 560 Generalisierte Angststörung (GAS) 678 Genexpression 229 Geniculatum s. Corpus geniculatum Genitalhöcker 597, 598 Genitalien – motorischer Cortex 135 – operative Korrektur 619 – somatosensorischer Cortex 135 Genitalwülste (labioscrotale Schwellkörper) 597, 598 Geruchswahrnehmung 131, 353, 460, 463, 464, 465, 466, 469, 470, 471, 476 – Amygdala 111, 112, 114, 123, 124, 127, 165, 169, 468, 476 – bewußte Geruchswahrnehmung 128 – Bulbektomie (Riechkolbenentfernung) 464 – Bulbus olfactorius (Riechkolben) 66, 111, 124, 127, 156, 165, 169, 464, 471, 472, 473, 474, 476, 477

– Bulbus olfactorius accessorius (Nebenriechkolben) 468, 611 – entorhinaler Cortex 75, 107, 114, 123, 127, 169, 325, 476 – Evolution 374, 460, 476 – Geruchsgedächtnis 333 – Geruchsrezeptoren 460, 462, 469, 471, 473, 474 – Geruchsstoffe 460, 470, 476 – Geruchsverarbeitung 353, 471, 473, 474, 475 – Habenula 102, 120 – Hippocampus 114, 123, 476 – Kommunikation über Gerüche 461, 463, 464, 466 – limbisches System 111, 116, 127, 374, 459 – Neocortex 114, 123, 127, 128, 477 – Nervus olfactorius (Riechnerv) 69, 111, 468 – neuronale Ensembles 472–473 – perirhinaler Cortex 169, 325 – Pheromone 111, 124, 461, 463, 464, 465, 467 – primäre Riechrinde 127, 471, 473 – primärer olfaktorischer Cortex (Riechrinde) 471, 473, 474 – Rhinencephalon (Riechhirn) 42, 114, 123, 127, 165, 169, 325, 331, 473 – Riech-Gene 460, 469, 470 – Riechschleimhaut (olfaktorisches Epithel, Riechepitel) 126, 199, 460, 463, 470, 472 – Riechsinneszellen (Geruchssinneszellen) 460, 469, 470, 471, 472 – Riechsystem (olfaktorisches System) 127, 128, 459, 469 – Schaltsystem 102, 120 – Sexualität 111 – Sinneshaare (olfaktorische Sensillen) 461 – Tractus olfactorius 111 – Trigonum olfactorium (Geruchsdreieck) 111 – und Emotionen 459, 465 geschlechtliche Differenzierung, Gehirn 159, 160, 325, 607, 611 geschlechtliche Fortpflanzung 186 Geschlechtschromosom 596 Geschlechtsdimorphismus 159

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Geschlechtshormone – Androgene 599, 600, 601, 605, 618, 619, 625 – FSH (follikelstimulierendes Hormon, Follitropin) 601, 603, 604, 605 – Gestagene 600, 603 – Gonadotropine 601, 603, 611, 621, 694 – LH (luteinisierendes Hormon, luteotropes Hormon, Lutropin) 601, 603, 604, 605 601, 603, 604, 605 – Östrogen 466, 596, 599, 600, 601, 603, 605–607, 619–620 Geschlechtsmerkmale – primäre 601, 602 – sekundäre 598–599, 601, 602, 603, 618, 619 Geschlechtsorgane – äußere 595, 597–599, 618, 619 – Entwicklung 58, 106, 595–598, 618 – innere 595–597, 598, 618, 619 – und sympathisches Nervensystem 249 Geschlechtsreife 464 Geschlechtstrieb 503 Geschlechtsumwandlung 619–620 Geschlechtsverkehr 615 Geschlechtszellen (Keimzellen) – Unsterblichkeit 50, 280 geschlossene Kanäle 210, 214, 215, 221, 225, 397 Geschmacksaversion 302 Geschmacksrezeptoren 462 Geschmackswahrnehmung 462, 470, 491 Geschwindigkeit – Abbaugeschwindigkeit von Alkohol 534 – Ansammlung von Ladungen auf Membranen 216 – axonaler Transport 196, 197 – elektrischer Strom 216 – Informationsverarbeitung im Alter 338 – Spermien 460 – Wahrnehmung eines Gesichtes 160 – Weiterleitung von Aktionspotentialen 198, 201, 217, 509, 510–511 geschwindigkeitsbestimmender Faktor der Transmittersynthese 235, 238 Geschwindigkeitswahrnehmung, visuelles System 386–387

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Gesetz – biogenetisches Grundgesetz, Haeckel 177 – der Reziprozität 455 – der spezifischen Sinnesenergien 31 – des assoziativen Lernens 305 – des Effektes 304 – Ohmsches Gesetz 217 Gesicht – emotional ausgelöste Bewegungen 676 – motorische Repräsentation 135, 171, 491 – motorischer Gesichtsnerv (Nervus facialis) 69, 201 – motorische Steuerung 151 – Sensibilität und Motorik 69 – somatosensorische Repräsentation 69, 104, 121, 437, 491, 506 Gesichtererkennung – Bedeutung der Erfahrung 443–444 – bei Säuglingen 321, 322 – benötigte Zeit 160 – Gesicht der Mutter 321 – Großmutterneuron 353 – Interpretation von Gesichtern, Amygdala 112, 592 – ventromedialer Bereich des Okzipitalund Temporallappens 353 – VTE 140, 311, 416, 428, 457, 458 – Wahrnehmung der Attraktivität von Gesichtern 616 – Was-Bahn 425 Gesichtsausdruck 79, 112, 567, 570, 579, 592, 676 – Basisemotionen 570 – Lachen 566, 567 Gesichtsfeld – Erkenntnisunfähigkeit, visuelle Agnosie 331 – Karte im CGL 404 – Karte im primären visuellen Cortex 139, 166, 416, 435 – Überbrückung der Mittellinie 435, 437 Gesichtsfeldhälfte – optischer Informationsfluß 157–158, 274 – Suppression 438–439, 442, 449 Gesichtssinn – Bindungsproblem 447 – Evolution 385, 386

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Gesichtstremor 40 Gesichtsverlust, Schamkultur 566 Gestagene 600, 603 Gestaltbildungsprozeß 453 Gestaltpsychologie 446 Glandula pinealis Epiphyse (Zirbeldrüse, Corpus pineale, Epiphyse) – Entwicklung 58, 102 – Funktionen 58, 102, 120, 255, 343, 606 – Lage im Gehirn 35, 58, 101, 102, 120 – Melatonin 58, 87, 102, 120, 255, 343, 594, 606 – Serotonin 86, 87, 102, 120, 255, 343 Glans penis (Peniseichel, Penisspitze) 597 glatte Muskulatur 201, 249, 254, 255, 432 glattes endoplasmatische Reticulum 195 Glaskörper, Auge 199 Gleichgewicht – dynamisches (Fließgleichgewicht) 211, 227 – energetisches 212, 218, 219, 251, 272 – hormonelle Steuerung 191 – Vestibulo-Cerebellum 72, 96 Gleichzeitigkeitsannahme nach Hebb 288, 313, 314, 471 Gleichgewichtsnerv (Nervus statoacusticus, Nervus vestibulocochlearis) 69 Gleichgewichtsorgan – Koordination bei Menschen 69, 202, 120 – Statocyste, Rippenquallen 186 Gleichgewichtspotential – Cl– 226 – K+ 209, 210, 211, 214, 226 – Na+ 210, 213, 214, 215 – Nenst-Potential 208, 209 Gleichgewichtszentrum, Cortex 146 Gliazellen – Anzahl 202 – Astrocyten (Sternzellen) 202, 203, 265, 266 – Differenzierung 263, 264 – Funktionen 202, 218, 234, 286 – gliaähnliche Hilfszellen, Caenorhabditis elegans 260 – Typen 202–203 – Membranpotential 208, 210 – Oligodendrocyten 198, 202, 203, 265 – Radialgliazelle, Wanderung von Neuronen 267–268

– Schwann-Zellen 198, 202, 203 Globus pallidus (Pallidum) – Verbindung zum Thalamus 116 – Motorik 81, 99 – Teil der Basalganglien 77, 99, 122, 126 – und GABAerges System 90 – und Läsionen des LH 491 Glomeruli, Bulbus olfactorius 471 Glucocorticoide – ACTH, Regulation der Biosynthese 335, 606, 607 – Alterung von Nervenzellen 335 – Biosynthese, Nebennierenrinde 264, 335, 607, 697 – Cortisol 106, 244, 264, 334, 607, 615, 618–619, 674, 679, 682, 691, 697–701 – Differenzierung von Nervenzellen 264 – Gedächtniseinbußen 334, 335, 337, 579, 698 – Streß 334, 337, 579, 607, 674, 679, 682, 691, 698 – streßbedingter Einfluß auf Nervenzellen 334, 335, 579, 698 – Wirkung 335 Glucocorticoidspiegel, Maß für Streß 334 Glucocorticoidrezeptoren, Gehirn 335 Glucose (Traubenzucker) 172, 679, 680 Glucosestoffwechsel 237, 334, 336, 356, 682 Glutamat – Agonisten (AMPA, Quisqualat, Kainat) 313 – Aufnahme mit der Nahrung 242 – axoplasmatischer Transport 242 – erregender Transmitter 90, 241, 242, 313, 316, 512 – Inaktivierung 242 – Lernen und Gedächtnis 90, 326, 366, 542, 553 – Neurotoxin 90 – Schaffer-Kollateralen 313 – Schmerzleitung/-verarbeitung 512, 514 – schneller Transmitter 89, 236, 242, 313, 512, 514 – und NO und CO 314 – und Syntaxin 317 Glutamatrezeptoren – AMPA-Rezeptor 242, 340

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – NMDA-Rezeptoren 242, 287, 313, 314, 315, 316, 366, 514, 541, 542 – Quisqualat-Kainat-Rezeptor 242 – Non-NMDA-Rezeptor 313, 315, 316, 514 glutaminerges System – und Adenosin 549 – und Alkohol 541, 542, 544 – und THC 553 Glutaminsäure (Glutamat) 236, 242, 243, 244 – Strukturformel 243 Glutaminsäure-Decarboxylase (GAD) 243, 244 Glutathion, Tripeptid 183 Glycin – hemmender Neurotransmitter 89, 236, 242 – NMDA-Rezeptor, Bindungsstelle für Glycin 287, 313, 542 – Strukturformel 243 Glycoproteine – als Hormone 594 – als Membranbestandteile 206 – als Zelladhäsionsmoleküle 270 GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon, Gonadoliberin) – Hypothalamus 601, 607, 693, 694 – Rezeptoren 621 – und Basisemotionen 583–584 – und Dopamin (DA), Hemmung der GnRH-Freisetzung 604–605 – und Endorphine, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – und Noradrenalin (NA), Stimulation der GnRH-Freisetzung, 604–605 – und Östradiol, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – und Prolactin 603 – und Testosteron, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – weiblicher Zyklus 603 GnRH-Rezeptoren 621 – Desensitivierung 621 Goldmann-Gleichung 211 Golgi-Apparat 195, 196 Golgi-Färbung 192–193 Gonaden (Keimdrüsen) 87, 102, 106, 120, 596, 599, 600, 601, 603, 604, 606

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– Keimdrüsenprodukt Inhibin 603, 604, 605 – Wirkung von Melatonin 87, 102, 120, 606 – s. a. Steroidhormone Gonadenhormone 600 Gonadoliberin (Gonadotropin-ReleasingHormon, GnRH) – Hypothalamus 601, 607, 693, 694 – Rezeptoren 621 – und Basisemotionen 583–584 – und Dopamin (DA), Hemmung der GnRH-Freisetzung 604–605 – und Endorphine, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – und Noradrenalin (NA), Stimulation der GnRH-Freisetzung, 604–605 – und Östradiol, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – und Prolactin 603 – und Testosteron, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – weiblicher Zyklus 603 gonadotrope Hormone – Adenohypophyse 106, 122 – Definition 106, 599–600 Gonadotropine (Geschlechtshormone) 601, 603, 611, 621, 694 – FSH (follikelstimulierendes Hormon, Follitropin) 601, 603, 604, 605 – LH (luteinisierendes Hormon, luteotropes Hormon, Lutropin) 601, 603, 604, 605 Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) – Hypothalamus 601, 607, 693, 694 – Rezeptoren 621 – und Basisemotionen 583–584 – und Dopamin (DA), Hemmung der GnRH-Freisetzung 604–605 – und Endorphine, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – und Noradrenalin (NA), Stimulation der GnRH-Freisetzung, 604–605 – und Östradiol, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605 – und Prolactin 603 – und Testosteron, Hemmung der GnRHFreisetzung 604–605

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– weiblicher Zyklus 603 G-Protein (Guanylnucleotid-bindendes Protein) 230, 294, 395, 551 G-Zapfen (Zapfen für Grün) 385, 420, 421, 423, 424 Gradient 180, 208, 209, 210, 211, 215, 269 Grammatik, motorische Aphasie 36 Grau, periaquaeductales (PAG, Zentrales Höhlengrau, Griseum centrale) – Alkoholismus 545 – Erwartungssystem 581 – gelernte Furcht und Angst 94, 100 – limbisches System 108, 112, 125 – Paniksystem 583 – Schmerzempfinden und –kontrolle 94, 97, 100, 112, 510, 512, 516, 545, 546 – und lebenswichtige Funktionen 95, 100, 108 – und Sexualverhalten 612 – Verhaltenssteuerung 95, 691 – Verschaltung mit Amygdala 94, 112, 582, 685, 691 – Verschaltung mit Hypothalamus 94, 582 – Wirkung von Opiaten 531 – Wutsystem 582 graue Substanz (Substantia grisea) – Astrocyten 203 – Claustrum 613 – Cortex cerebri 126, 127, 128, 164, 586 – Definition 77–78, 97, 164 – Entwicklung des Nervensystems 260 – GABA 244 – Gehirn 35, 126, 244 – Nucleus caudatus 77, 99, 125 – Nucleus subthalamicus 99 – PAG 94 – subcorticale Kerngebiete 77, 126, 164, 586 – Thalamus 100 grauer Halbmond 257, 258 Graugans 278 Grauohrsittich 676 Grenzstrang des Sympathicus (Truncus sympathicus) 249 Griseum centrale (Zentrales Höhlengrau, periaquaeductales Grau, PAG) – Alkoholismus 545 – Erwartungssystem 581 – gelernte Furcht und Angst 94, 100

– limbisches System 108, 112, 125 – Paniksystem 583 – Schmerzempfinden und –kontrolle 94, 97, 100, 112, 510, 512, 516, 545, 546 – und lebenswichtige Funktionen 95, 100, 108 – und Sexualverhalten 612 – Verhaltenssteuerung 95, 691 – Verschaltung mit Amygdala 94, 112, 582, 685, 691 – Verschaltung mit Hypothalamus 94, 582 – Wirkung von Opiaten 531 – Wutsystem 582 Größenwahrnehmung 430, 431 Großhirn (Cerebrum, Telencephalon, Endhirn) – Amphibien 127 – Basalganglien 77 – Bulbus olfactorius 69, 169 – Fasersyteme 128–129, 164, 168–169 – Furchen 130, 131, 134, 135, 140, 165, 166, 167, 174, 175 – graue Substanz 107, 126 – Hippocampus 123, 126, 369 – Lage und anatomische Strukturen 60, 63, 66, 120, 126, 127, 164 – limbische Kerngebiete 107, 124 – Pallium 126–128, 164–165 – und Schlaf 349 – und Schmerzgeschehen 515 – Windungen – s. a. Cortex (Großhirnrinde) Großhirnhemisphären (Großhirnhälften) – Differenzierung Großhirnrinde, Überblick – Areale für Sprache 149, 150, 153 – auditive Areale 143 – Aufbau in Schichten 138 – Brodmann-Karte 145, 147 – motorische Areale 136 – Säugetiere 132 – somatosensorische Areale 134, 136 – Unterteilung 131, 162, 163 – visuelle Areale 139, 426, 427, 429 Growth-Hormone (Wachstumshormone) 106, 122, 599, 677 Grubenauge 379, 381 Grubenform 379, 383, 385, 386 Grün-Zapfen 385, 420, 421, 423, 424

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte GTP (Guanosintriphosphat) 294, 395 GTP-bindendes Protein 294, 395 Guanosinmonophosphat, cyclisches (cGMP) 230, 395 Guanosin-Triphosphat-sensitives Protein (G-Protein) 294, 395, 551 Guanylnucleotid bindende Proteine (G-Proteine) 230, 294, 395, 551 Gyrus (Gyri) – angularis 152, 154, 163, 166, 171 – cerebri 130, 165 – cinguli 88, 107, 114, 116, 117, 118, 119, 122, 123, 125, 126, 130, 137, 146, 166, 167, 168, 324, 357, 540, 574, 583, 586, 587, 593, 613, 616 – dentatus 107, 113, 122, 123, 168, 312, 317, 364, 365, 366, 701 – entorhinalis325 – frontalis inferior 148, 154, 166, 171 – frontalis superior 146, 166 – fusiformis 417 – parahippocampalis 107, 110, 114, 119, 122, 123, 128, 165, 166, 168, 169, 310, 325 – postcentralis 166, 318, 506 – praecentralis 104, 121, 149, 165 – s. a. Area – s. a. Cortex Haare 93, 563, 575, 604, 693 – Sinneshaare 461, 462 – Schambehaarung 601 – Schnurrhaare 135, 367 Haarzellen 142, 144, 170 Habenula 102, 120 Habituation 287–294, 297, 310 Halbmond, grauer 257, 258 Halbwertzeit, THC 551 Halluzinationen – akustische 163, 164, 528 – taktile 528 Halluzinogene – Cannabis 551 – Fliegenpilz 239, 554 – LSD 255, 526, 555 – Mescalin 555 – PCP 313 Hammer, Ohr 141, 170 Hamster 467, 637

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Hand – corticale Repräsentation, Phantomschmerz 506 – Dyspraxien 155 – gerichtete Bewegungen, Colliculi superiores 74, 98 – kinästhetisches Feld 152 – motorischer Cortex 137, 156 – Schmerzreiz 229 – somatosensorischer Cortex 133, 174, 437 – Tremor 538 Händigkeit – Linkshändigkeit 155–156 – Rechtshändigkeit 155, 625 Hanf (Cannabis sativa) 550 Harn 38, 387, 564 – Zucker im Harn 38, 679, 680 Harnblase 42, 249 Harndrang 549 Harnlassen 95 Harnröhre 511, 597 Harnröhrenfalte (Urethrafalte) 597 Haschisch 550, 551, 553 Haube (Tegmentum) 63, 74, 75, 76, 84, 97, 98, 99, 108, 125, 491, 533, 693 – unteres Haubenareal, VTA 97 – VTA (Area tegmentalis ventralis) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531–534, 537, 538, 581, 612 Haut – Bildung 260 – Bildung des Tintenfischauges aus der Haut 383 – Blutgefäße 93, 706 – Durchblutung, Sympathicus 189, 706 – Pigmentierung, Melatonin 87, 102, 120 – Schmerzwahrnehmung 509, 510, 514 – Sekretion aus Haut 463 – sensorische Informationen 63, 102, 120, 130, 135, 200, 437, 504, 509 – Verletzungen 42 – Wärmeregulation 484 Hautdrüsen 464 Hautrezeptoren 187, 437 – Thermorezeptoren 483 Hautzellen 260, 263, 341 Hebbsche Gleichzeitigkeitsannahme 288, 313, 314, 471 Hebbsche Lernregel 288, 313, 471, 473

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Heimfindung, StammzellTransplantation 266–267 Helix – DNA 103 – neurofibrilläre Tangles 338 Hell-Dunkel-Kontraste 391, 421, 422 Helligkeitswechsel 379 Hemisphäre(n) (Großhirnhälften) – Asymmetrie 155, 160, 328, 329, 337, 592, 625 – Definition 63, 164 – dominante 155, 158, 159 – ipsilaterale 157 – kontralaterale 157 – Lateralisation 155, 156, 159, 160, 325, 328, 611, 623, 625 – subdominante 155, 158, 159 – Spezialisierung 36, 148, 154, 155, 156, 158, 159, 328, 329, 337, 592, 625 hemmende (inhibitorische) Interneuronen 289, 471, 541, 551 hemmende (inhibitorische) Synapse 225, 226, 230, 399, 401 hemmende (inhibitorische) Transmitter – Acetylcholin, muscarinerge Rezeptoren 239, 251, 252 – GABA 89, 241, 243, 244, 318, 541, 544, 551, 703, 705 – Glycin 89, 242 hemmendes postsynaptisches Potential (IPSP) 225, 226, 243 Hemmung (negative Rückkopplung) – Endorphine 604 – Cortisol 698 – Dopamin 604 – Fetthaushalt, Leptin 486, 497–498 – Hypothalamus-Hypophyse 191 – Östrogen 601 – Renshaw-Neuron 240 – Testosteron 604 HERA-Modell 328 Hermaphroditismus 620 Heroin 228, 517, 518, 522, 523, 528, 531, 534, 553 Herz – bei Streß und Angst 563, 571, 572, 680, 683, 699 – Blutversorgung 189 – Loewi-Versuch mit Frosch-Herz 237

– Sympathicus-/Parasympathicuswirkungen 189, 237, 249, 251, 252, 563, 571, 680, 699 – Wirkung von Alkohol 540, 544 – Wirkung von Coffein 549 – Wirkung von Nicotin 537 Herzfrequenz 237, 577, 683, 706 Herzklopfen 706 Herzkrankheit – psychosomatisch 620, 708 Herzmuskulatur 201, 237, 238, 239, 544 Herzrasen 572 Herzrhythmusstörungen 703 Herzschlag 65, 85, 96, 189, 237, 540, 549 Herzschrittmacher 40 Herzzellen 239 Heterosexualität – Ausbildung bei Ratten 623–624 – Hirnunterschiede zu Homosexuellen 622 – Testosteron 623, 625 Hierarchie, psychosozialer Streß – Affen, Tierversuche 41 – Baumhörnchen, Tierversuche 62 hierarchische Organisation, Gehirn – hierarchisch, funktionell untergliedert und parallel 144, 148, 428, 429 – Vorstellung von Jackson 67 – Vorstellung von McLean 68 Hilflosigkeit – biologische 642 – Depression 370, 633 – erlernte Hilflosigkeit, Seligman 675 – psychische 370, 547, 613, 642, 645 Hinterhauptslappen (Okzipitallappen, Lobus occipitalis) 87, 130, 131, 133, 137, 165, 166, 333, 350, 353, 368, 406, 435 Hinterhirn (Metencephalon) 60, 96 Hinterhornwurzel (Dorsalwurzel) 248 Hinterstrang (Funiculus dorsalis) 504 Hinterstrangsystem (mediales Lemniscussystem, primäre somatosensorische Bahn, Lemniscus medialis) 504–507 Hippocampus – Acetylcholin-System 88, 241, 537 – Afferenzen 75, 113, 114, 116, 117, 123, 310, 311–312, 324, 339, 364, 365, 574 – alterndes Gehirn 338–339 – Alzheimer-Erkrankung 88

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Ammonshorn (CA) 113, 123, 312, 316, 339, 364, 365, 366, 367 – Aufbau 113, 114, 123, 365 – Bulbus olfactorius 476, 611 – CA 1 113, 123, 312–314, 316, 339, 364– 367 – CA 2 123 – CA 3 113, 123, 312, 313, 316, 365 – CA 4 123 – Cannabis 553 – Cortisol 698–699 – Cortisolrezeptoren 697, 698, 699 – Efferenzen 113–114, 116, 117, 122, 125, 310, 324, 574 – Epilepsie 310 – Evolution 114, 115, 116, 690 – Funktion 119 – Gedächtnisbildung 42, 82, 88, 112, 113, 114, 116, 119, 122, 123, 125, 163, 168, 287, 309, 310, 311, 317, 323, 325, 330, 331, 334, 335, 336, 346, 358, 364–366, 367, 369, 476, 575, 576, 577, 578, 579, 591, 592, 648, 689, 698 – GABA-System 531, 698 – Geruchswahrnehmung 476 – Glutamat 90, 316, 514, 553 – Henry M. 113, 310, 330 – Lage 66, 128, 165 – Langzeitpotenzierung (LTP, Longterm depression) 312, 314, 316, 317, 366, 514 – Läsion 42, 113, 114, 309, 330, 331, 575 – limbisches System 82, 107, 110, 114, 116, 117, 118, 122, 124, 125, 128, 163, 168, 323, 474, 574, 577, 673, 674, 691, 694 – Neurogenese 272, 346 – NMDA-Rezeptor 313, 314, 316, 323, 366, 514 – Parallelverarbeitung von Hippocampus und Amygdala 577, 590, 591,648 – Pyramidenzellen 200–201, 312, 313, 334 – REM-Phasen 358, 364, 367, 369 – Rolle bei Angst 119, 577, 578, 674 – Schädigung 90, 335, 579, 698, 699 – Serotonin-System 86 – Streß 334, 335, 698 – Syntaxin 317 – Theta-Rhythmus 363, 364, 366, 367

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– und Amygdala 113, 114, 115, 116, 117, 123, 330, 335, 575, 577, 578, 591, 592, 648, 689, 698 Hippocampusformation 114, 574, 575, 577, 579, 611, 689 Hirnaktivität 349, 361, 364, 542, 613 Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) – Aufbau 105 – Cortisol 698 – Dopamin-System 75 – Funktion 66, 75, 122, 191, 482, 515, 674 – Hormone 66, 105, 122, 515, 607, 674, 696 – Lage 66, 105 Hirnasymmetrie 159, 160, 328, 611 – s. a. HERA-Modell 328 – s. a. Lateralisation 155, 156, 159, 160, 325, 328, 611, 623, 625 Hirnhälften – Asymmetrie 155, 160, 328, 329, 337, 592, 625 – Definition 63, 164 – dominante 155, 158, 159 – ipsilaterale 157 – kontralaterale 157 – Lateralisation 155, 156, 159, 160, 325, 328, 611, 623, 625 – subdominante 155, 158, 159 – Spezialisierung 36, 148, 154, 155, 156, 158, 159, 328, 329, 337, 592, 625 Hirnhäute – Dura mater 36, 268 – Pia mater 268 Hirnkammer (Ventrikel) – Entwicklung aus Neuralrohr 60 – Funktion 66, 97 – Lage 33–34, 66–67, 97 – Zucker im Harn 38 Hirnläsionen – Affen 41, 42, 114, 331, 332 – Alternativen zu Läsionsversuchen 356, Amygdala 41, 42, 114, 331–332 – Cortex 36, 114, 152, 154, 160 – Forschung 32, 35, 36, 39, 41, 42, 114, 146, 310, 329, 331, 332, 352, 353, 354, 426, 434, 442, 488–492, 495, 579, 584, 586, 592, 593, 612, 685 – Frontallappen 35, 146, 332, 584, 586, 592, 593 – Gyrus angularis 152

792 – – – – – –

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Henry M. 113, 114, 310, 330 Hippocampus 114, 331, 579 Hypothalamus 41, 488–492, 495, 612 Katzen 41, 434 Meerschweinchen 612 Mensch 36, 39, 152, 154, 160, 310, 331– 332, 352, 353, 354, 355, 357, 592 – Okzipitallappen 353, 426–427 – Persönlichkeitsveränderungen 30, 154 – Phineas P. Gage 32, 35, 36, 92, 146, 332, 584, 586, 593 – Ratten 41, 331, 332, 366, 489, 490, 491, 492, 495, 612, 685 – Riechhirn 331 – Split-Brain 156–159, 434–436 – sprachbezogene Auswirkungen 36, 152, 160 – Sprachzentren 36, 152, 154, 160 – Temporallappen 114, 310, 353, 354, 426– 427, 592 – Thalamus 332, 685 Hirnnerven – I. olfactorius (Riechnerv, Geruchsnerv) 69, 70, 111, 468 – II. opticus (Sehnerv) 66, 69, 70, 86, 106, 121, 122, 140, 156, 269, 274, 382, 388, 402, 404, 406, 434 – III. oculomotorius (Augenbewegungsnerv) 69, 70 – IV. trochlearis (Augenrollennerv) 69, 70 – V. trigeminus (Drillingsnerv) 69, 70 – VI. abducens 69, 70 – VII. facialis (motorischer Gesichtsnerv) 69, 70 – VIII. vestibulocochlearis/statoacusticus (Hör- und Gleichgewichtsnerv) 66, 69, 70, 140, 143, 170 – IX. glossopharyngeus (Zungen-SchlundNerv) 69, 70 – X. vagus (Vagusnerv) 70, 237, 509, 694 – XI. accessorius (Beinnerv) 70 – XII. hypoglossus (Unterzungennerv) 70 Hirnnervenkerne 71, 72, 81, 91, 96, 126, 149, 169, 171, 240, 480, 529 Hirnreizung 36, 40, 135, 163, 344, 354, 516, 529, 533, 575, 581, 612, 680, 693 – Selbstreizung 529 Hirnrinde s. Cortex Hirnschwellung 36

Hirnselbstreizung 529 Hirnstamm – ACh-System 88–89, 240, 537 – Adrenalin 593 – ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) 344, 529 – Atmung 95, 395, 480 – Brechzentrum 91, 538 – CRH 693 – DA-System 75–76, 84, 88, 587, 593 – Erbrechen 95 – extrapyramidale Bahnen 81, 129 – GABA 90 – Herzschlag 96 – Hörbahn 151 – Kreislauf 95, 100, 108 – Lage im Gehirn 63, 65, 66, 72, 74, 96 – (lebenswichtige) Funktionen 92–93, 95, 97, 100, 343, 344, 349, 351, 402, 480, 510, 512, 533, 538 – Locus coeruleus 84, 88, 98, 277, 340, 351, 516, 531, 545, 546, 560, 693, 699 – NA-System 84–85, 88, 95, 98, 545, 587, 593 – noradrenerges Bündel 84 – ponto-mesencephaler-tegmentaler Komplex 88 – Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis) 81, 129 – Raphe-Kerne (Nuclei raphes) 85, 86, 87, 88, 98, 340, 351, 545, 546,559 – Reptiliengehirn, McLean 68 – Schmerzwahrnehmung 510, 512, 515 – Serotonin-System 84–88, 95, 98, 545, 549, 587 – Steuerung der Willkürmotorik 83 – Steuerung (lebenswichtiger) vegetativer Funktionen 66, 69, 71, 90–94, 96, 191, 343, 480, 482, 538 – Steuerung von Schlafen und Wachen 343–344, 348–352, 355–357, 364, 365, 402 – Substantia nigra 81, 84 – Übersicht 91, 92, 94 – Ursprungsort der Hirnnerven 69, 71, 96, 201, 247, 251 – und Folter 90, 92–94 – und olfaktorische Wahrnehmung 471, 473

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – – – –

und Suchtverhalten 532–534, 538 und Verhalten 87, 90, 92, 538 Verbindungen zum Cortex 123, 129, 588 Verbindungen zum limbischen System 106, 108, 125, 592, 688 – Verbindungen zum Thalamus 100, 103, 120 – VTA (Area tegmentalis ventralis) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531–534, 537, 538, 581, 612 – Wutsystem 582 – Zentrales Höhlengrau 94, 582 – s. a. Formatio reticularis (Retikulärformation) Hirnstammzentren, Schlaf 343–344, 348– 352, 355–357, 364, 365, 402 Hirnventrikel – Entwicklung aus Neuralrohr 60 – Funktion 66, 97 – Lage 33–34, 66–67, 97 – Zucker im Harn 38 Histamin 235, 236, 349, 511, 514 HIV-Infektion 622, 623 Hoden (Testis) 464, 596, 597, 600, 601, 603, 619, 621 Hodensack (Scrotum) 42, 597 Höhlengrau, zentrales (periaquaeductales Grau, PAG, Zentrales Höhlengrau, Griseum centrale) – Alkoholismus 545 – Erwartungssystem 581 – gelernte Furcht und Angst 94, 100 – limbisches System 108, 112, 125 – Paniksystem 583 – Schmerzempfinden und –kontrolle 94, 97, 100, 112, 510, 512, 516, 545, 546 – und lebenswichtige Funktionen 95, 100, 108 – und Sexualverhalten 612 – Verhaltenssteuerung 95, 691 – Verschaltung mit Amygdala 94, 112, 582, 685, 691 – Verschaltung mit Hypothalamus 94, 582 – Wirkung von Opiaten 531 – Wutsystem 582 Hominiden 160, 172 Homo – erectus 493, 637 – sapiens 187, 467, 469, 566, 568, 676, 691

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Homöostat-Organ, Gehirn 52 homöostatische Regulation 105, 191, 211, 218, 251, 272, 482, 483, 484, 494, 495, 496, 542, 544, 586 homöostatisches Gleichgewicht 211, 227, 251, 272, 494, 495, 496–497, 542, 544 Homosexualität – als evolutive Anpassung 624 – Hirnunterschiede 622–623, 625 – Streß 623 – Ursachen 622, 623, 625 – VNO 467, 623 Homunculus 134 Hören – Gehörgang 141 – Gehörknöchelchen 141, 170 – Frequenzbereich 140 – Hörbahn (auditorische Bahn) 143, 144, 151, 170, 171, 685 – Hör- und Gleichgewichtsnerv (VIII. Hirnnerv, Nervus vestibulocochlearis/statoacusticus) 66, 69, 70, 140, 143, 170 – primärer auditorischer Cortex (primäre Hörrinde, Brodmann-Areale 41, 42) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167, 684– 687 – Richtungshören 143 – Wernicke-Areal (Brodmann-Areal 22, übergeordneter – sekundärer – auditorischer Cortex, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 Horizont, visuelle Wahrnehmung 137 horizontale Kanten 385 Horizontalzelle(n), Retina 382, 388, 389, 397, 398, 399, 400, 419 Hormone – ACTH (adrenocorticotropes Hormon, Corticotropin) 106, 334–335, 599, 606– 607, 675, 693, 696–698 – Adrenalin 188–189, 247, 253–254, 524, 526, 679–683, 691, 699, 701 – Aminosäurederivat-Hormone 594 – Androgene 599, 600, 601, 605, 618, 619, 625 – Aldosteron 190 – Calcitonin, Schilddrüsenhormon 191, 236

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Corpus luteum (Gelbkörper, gelber Körper, temporäre Drüse) 601, 603 – Corticoliberin (CRH, CorticotropinReleasing-Hormon) 582, 584, 592–593, 693–694, 698, 699 – Cortisol 106, 244, 264, 334, 607, 615, 618–619, 674, 679, 682, 691, 697–701 – Dopamin 254, 605 – Dursthormon, Angiotensin II 190 – follikelstimulierendes Hormon (FSH, Follitropin) 601, 603, 604, 605 – Gelbkörperhormon 601, 603 – Gestagene 600, 603 – Glucocorticoide 264, 334, 335, 337, 579, 607, 674, 679, 681–682, 691, 697– 698 – gonadotrope Hormone 106, 122, 599– 600 – Gonadotropine (Geschlechtshormone) 601, 603, 611, 621, 694 – Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) 583–584, 601, 603–605, 607, 621, 693, 694 – H-Y-Antigen 596 – Kinine, Gewebshormone 511 – Leptin 497–498 – LH (luteinisierendes Hormon, luteotropes Hormon, Lutropin) 601, 603, 604, 605 – Melatonin, Epiphyse 58, 87, 102, 120, 255, 343, 594, 606 – Müllersches inhibierendes Hormon 596, 619 – Noradrenalin (NA) 84, 188–189, 250, 253–254, 523, 679–683, 691, 693, 694, 699, 701 – Östradiol 600, 601, 603, 604, 606 – Östrogen 466, 596, 599, 600, 601, 603, 605–607, 619–620 – Oxytocin 236, 584, 606, 615, 693, 695 – Parathyrin (Parathormon, PTH) 190– 191 – Peptidhormone 594–595 – Progesteron 600, 603, 621 – Prolactin 583–584, 603–604 – Releasing-Hormon (Freisetzungshormon) 693, 696 – Schilddrüsenhormone 93, 191 – Somatotropin 599

– Steroidhormone 264, 582, 464, 594–595, 599–600, 607, 611, 697 – Streßhormone 84, 188, 244, 247, 250, 253–254, 334, 523–524, 607, 674, 679– 682, 691, 693, 694, 697–701 – Testosteron 466–467, 596–597, 599– 601, 603–607, 612, 618–621, 623, 625 – Thyreotropin 606 – Übersicht 607–608 – Vasopressin (ADH, antidiuretisches Hormon) 190, 485, 549, 582, 606, 615, 693, 695,698 – Wachstumshormon 106, 122, 599, 677 Hormonrezeptoren 607, 611 Hormonsystem (endokrines System) 179, 181, 191, 249, 574, 592, 594, 683, 693 – endokrine Zellen, Drüsenzellen 195, 201, 680, 696, 697 – endokrine Drüsen 75, 105, 179, 249, 601, 603, 607, 608, 681 – Entstehung des Hormonsystems 176, 179, 227, 463 – Hormonspiegel, Ähnlichkeit Mutter– Kind 675 – Hypothalamus-Hypophysen-System 75, 105, 122, 485, 574, 693, 695 – neuro-endrokrine Kopplung 66, 105, 181, 189, 191, 485, 574, 577, 592, 594, 604, 673, 674, 683, 693, 694 – und Emotionen 564 – und Golgi-Apparat 195 Hormonvorläufermolekül (Prohormon, Vorläuferhormon) 697 Hormonwirkung, pränatale 623 Hornhaut 383 Hörrinde (auditorischer Cortex) – primäre (Brodmann-Areale 41, 42) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167, 684–687 – sekundäre (Brodmann-Areal 22, Wernicke-Areal) 37, 104, 121, 144, 149, 151– 152, 154, 155, 163, 167, 171 Hör- und Gleichgewichtsnerv (VIII. Hirnnerv, Nervus vestibulocochlearis/statoacusticus) 66, 69, 70, 140, 143, 170 Hörverlust – Mittelohrentzündung 141 Hospitalismusexperimente 671 Hospitalismussyndrom 676 5-HT (5-Hydroxytryptamin) 236, 255

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte 5-HTP (5-Hydroxytryptophan) 255 humorale Steuerung 176, 180 humorales Informationssystem 227 Hund(e) – Dressur 301 – emotionales Ausdrucksverhalten 564 – Emotionen 36, 565, 583, 631, 633, 668, 676 – Farbsehen 385 – Geruchswahrnehmung 463, 469 – Reaktion auf tiefe Abgründe 446 – Schlafverhalten 345 – somatosensorischer Cortex 36 – Tierversuche, Hitzig und Fritsch 36 – Tierversuche, Pawlow 38, 300, 302 – Kratzreflex Hunger 30, 92, 479, 480, 482, 493, 494, 495, 503, 504, 523, 535, 582, 632, 636, 637, 638, 639, 645, 670 H-Y-Antigen 596 Hydrophilie 203, 204, 206 Hydrophobie 204, 205 Hydroxylgruppe 204 5-Hydroxytryptamin (5-HT) 236, 255 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) 255 5-Hydroxytryptophan-Decarboxylase 255 Hydrozoa 184 Hyperaktivität 73, 527 Hyperalgesie 509 hyperkomplexe Nervenzelle 413 hyperkinetisches Syndrom 527 Hypermetabolismus 487, 488 Hypermetamorphose 331 Hyperoralität 331 Hyperphagie 489, 491, 502 Hyperpolarisation – Membranen 225, 243, 394 – Photorezeptor 394, 395, 399, 419 Hypersexualität 331, 576 hypodermische Spritze 517 Hypometabolismus 487 Hypophyse (Hirnanhangdrüse) – Aufbau 105 – Cortisol 698 – Dopamin-System 75 – Funktion 66, 75, 122, 191, 482, 515, 674 – Hormone 66, 105, 122, 515, 607, 674, 696 – Lage 66, 105

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Hypophysenhinterlappen (HHL, Neurohypophyse) – Funktion 106, 122, 190, 605, 615, 695 – Hormone 236, 605, 615, 693 – Lage 105, 106, 122 Hypophyse-Nebennierenrinden-System Hypophysenstiel 696 Hypophysenvorderlappen (HVL, Adenohypophyse) 106, 122, 594, 601–603, 605, 693–696 – Aufbau 695 – echte Drüse 695 – Funktion 106, 122, 335, 694, 695 – Lage 105, 122 – Hormone 106, 122, 594, 601–603, 605, 693, 694 – Peptidhormonabgabe 106, 122, 325, 594, 599, 601, 603, 604, 605, 606, 693, 694, 695 – Portalgefäßsystem 696 – Streßsystem 106, 122, 606, 695 Hypothalamus – aggressives Verhalten 573, 574, 575, 673, 680 – angstbedingtes Verhalten 673 – Ausschüttung von GnRH 601, 604, 605, 694 – Benzodiazepinrezeptoren 705 – CRH 592–593, 693, 697, 698, 699 – DA-System, lokale Verschaltung 75 – Embryonalentwicklung 118 – emotionales Ausdrucksverhalten 574– 575, 673, 680 – Emotionssteuerung 581–583, 586, 587 – Globus pallidus als Teil des Hypothalamus 122 – Grundlage der biologischen Existenz 72, 97, 105, 108, 111, 112, 118, 122, 124, 125, 191, 485 – Lage im Gehirn 66, 100, 104, 105, 695, 696 – LH, Freßzentrum 489, 491, 495 – Mamillarkörper als Teil des Hypothalamus 104, 116, 122, 125, 574, – nicotinerge ACh-Rezeptoren 537 – Opiatrezeptoren 515 – Papez-Neuronenkreis 574 – Regulation von Schlafen und Wachen 343 – Schmerzbahn 94, 510, 512, 515

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Steroidhormonrezeptoren 607, 611, 625 – Steuerung der Hypophyse 105, 122, 191 – Temperaturregulation 93, 105, 343, 483– 485 – Tierversuche 41, 93, 489–491, 495, 573, 574, 575, 680 – und Belohnungssystem 515, 529 – und endokrines System 75, 105, 191, 485, 574, 575, 593, 680–681, 695, 696, 697 – und Liebe 616 – und Nahrungsaufnahme 489–493, 501 – und Sexualität 466, 607, 609, 610, 611, 612, 613, 616, 621, 622 – unterste Ebene des limbischen Systems 108, 125 – Verbindungen zum NA-System 84 – Verbindungen zum präfrontalen Cortex 587, 588, 673 – Verbindungen zum Serotonin-System 86, 87 – Verbindungen zum Thalamus 116 – Verbindungen zum VNO 468 – Verschaltung mit Amygdala 110, 111, 112, 124, 515, 576, 591, 592, 685, 688, 691 – VMH, Sättigungszentrum 489, 491, 495, 610, 611 Hypothalamus-Hypophysen-System 75, 680–681, 683, 691, 697, 699, 700 Hypothalamuskerne 490, 491, 492 – Globus pallidus 77, 81, 90 ,99, 116, 122, 126, 491 – Mamillarkörper 104, 108, 116, 117, 119, 122, 124, 125, 324, 336, 574, 576, 625 – arcuatus (Hypothalamus, Nucleus ventralis posteromedialis) 531, 609 – hypothalami 490, 491, 492, 592, 610, 621, 622, 623, 693, 694 – paraventricularis (hypothalami) 490, 491, 492, 610, 693, 694, 696, 697, 698 – praeopticus medialis 601, 607, 609, 610, 611 – supraopticus 610 – ventromedialis (hypothalami, VMH) 489, 610, 611, 612, 621 Hypothalamus-Releasing-Hormone 605, 693, 694, 696 – Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH, Corticoliberin) 582, 584, 592– 593, 693–700

– Definition 693, 696 – Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) 583–584, 601, 603–605, 607, 621, 693, 694 Imidazol 236 Immunabwehr 466, 485, 516 Immunologie 191 Immunreaktion 226 Immunschwäche, AIDS 622–623 Immunsystem 179, 227, 228, 244, 341, 463, 509, 564, 708 – Autoimmunkrankheit 228, 516, 708 Impotenz 641 implizites Gedächtnis 287, 291–292, 297, 299, 310–311, 317, 332, 577–579, 653, 698, 699 Impulskontrolle 108, 118, 122, 123, 125, 166, 168 Indolamin 236 Inferior 71, 96 Informatik – Bottom-up- und Top-downProzesse 453 – Computersimulationen, neuronale Ensembles 449, 477 – Vergleich mit Gehirn 233, 387 Informationsverarbeitung – bottom-up-Mechanismus 453–456 – top-down-Mechanismus 453–456 Inhibin 603, 604 inhibitorische (hemmende) Interneuronen 289, 471, 541, 551 inhibitorische (hemmende) Synapse 225, 226, 230, 399, 401 inhibitorische (hemmende) Transmitter – Acetylcholin, muscarinerge Rezeptoren 239, 251, 252 – GABA 89, 241, 243, 244, 318, 541, 544, 551, 703, 705 – Glycin 89, 242 inhibitorisches postsynaptisches Potential (IPSP) 225, 226, 243 Injektion – ins Gehirn, Tierversuche 41 – von Antikörpern gegen ACh-Rezeptoren, Tierversuche 228 – von Antikörpern gegen NGF, Tierversuche 273

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – von Cocain 524 – von Heroin 518 – von Leptin, Tierversuche 498 – von Testosteron, Ersatztherapie 606 Inkas, Coca 523 Innenohr 69, 141, 142, 143, 151, 167, 170 innerer Erregungszustand (arousal) 344 Insel (Insula, insulärer Cortex, Inselrinde) 130, 165, 324 Insomnie (Schlaflosigkeit) 344 Instinktverhalten 68, 446, 587, 637 Insulin 236, 491, 494, 495, 498 Intensität – Angsterleben 647 – Licht 397, 401, 402 – Schmerz 504 – Übertragung an Synapsen 271, 287 – von Gerüche, 111 – von Streß 334 – von Tönen 140 Interblob-Region 418, 424, 425 Interleukine (IL) – Interleukin-1 (IL-1) 485 Intermediärstoffwechsel 242 Interneuron(e) – Amakrinzellen, Retina 199, 389 – bahnende serotonerge 294 – Bipolarzellen, Retina 389 – Enkephalin-Interneurone 513–515 – erregende 289 – GABAerge 244, 541, 551, 698 – Horizontalzellen, Retina 389 – inhibitorische 244, 289, 471, 541 – Körnerzellen, Riechsystem 473 – lokale 201 – periglomeruläre Zellen, Riechsystem 473 – Projektionsinterneurone (Relaisinterneurone) 201 – Renshaw-Neuron, Rückenmark 240 – retinale 199, 389 – Rückenmark 240, 513 – Schmerzleitung 512–515 – spinale 513 – und Habituation, Aplysia 289, 291 – und Sensitivierung, Aplysia 294 Interstitialkern der Stia terminalis (Nucleus interstitialis) 609, 610, 611, 624 intra 120

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intracorticale Fasern 160, 161 intravenöse Injektion – Drogenmißbrauch 526 – Tierversuche 680 intralaminärer Kern (Nucleus intralaminaris) 108, 125, 510, 512, 516 intrazelluläre Ableitung 40 Intrazellulärraum 208, 210, 221 Invertebraten (Wirbellose) 199, 233, 378 Ion(en) – Anion 208, 209, 238, 242 – Ca2+-Ionen 189, 190, 191, 206, 207, 221, 225, 229, 252, 293, 294, 297, 313, 314, 316, 340, 366, 542, 551, 544 – Cl–Ionen 189, 206, 207, 208, 209, 210, 214, 225, 226 – Definition 207 – K+-Ionen 189, 190, 202, 206, 208, 209, 210, 211, 214, 215, 224, 225, 226, 295, 313, 394, 511, 542 – Mg2+-Ionen 313, 542 – Na+-Ionen 189, 190, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 213, 214, 215, 216, 217, 224, 225, 313, 394, 395, 397, 542 – organische 209 – Zn2+-Ionen 542 Ionenfluß 208, 212, 218 Ionengradient 180, 208, 209, 210, 211, 215 Ionenkanäle 180, 206, 207, 208, 215, 219, 221, 227, 229, 230, 253, 542 – Bestandsdichte 216 – Ca2+-Kanäle 207, 221, 242, 243, 293, 295, 296, 313, 551 – chemisch gesteuerte 221, 223, 227, 542 – Cl–Kanäle 210, 225, 243, 705 – direkt gesteuerte 219 – Gap Junction 231, 232 – Inaktivierung 293 – interzelluläre Kommunikation 180 – K+-Kanäle 210, 214, 215, 221, 224, 225, 242, 295, 297, 313 – Membranporen 206, 207, 208, 215, 216, 225, 271, 313, 366, 397, 542 – Na+-Kanäle 207, 210, 213, 214, 215, 216, 218, 221, 223, 224, 225, 313, 395, 397 – Ruhemembrankanal 208 – Schlüssel-Schloß-Prinzip 227

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– spannungsgesteuerte 213, 214, 216, 218, 221, 224, 232, 542 – über Second-Messenger gesteuerte 219, 229, 230, 253, 366, 395 – s. a. Rezeptoren Ionenkonzentration 190, 202, 208, 209, 210, 211, 212, 214, 221, 225, 229, 230 Ionenpermeabilität 202, 208, 210, 211, 213, 214, 226, 313 Ionenpumpe 211, 229, 230 Ionenstrom 210, 211, 213, 214, 217, 218, 221, 225, 229, 242, 252, 293, 294, 295, 296, 297, 313, 314, 316, 340, 366, 542, 544, 551 Ionenverteilung des Neurons 209 ipsilaterale Fasern 143, 157, 170, 504 ispilaterales Auge 275, 403, 414 IPSP (inhibitorisches postsynaptisches Potential) 225, 226, 243 Iris 249 Isocortex (Neocortex, Cortex cerebri) – Arbeitsweise am Beispiel der Sprache 148–154 – Aufbau in Schichten 137–138, 144, 409 – Definition 127, 128, 165, 168 – Fläche 174 – Funktionskarte 146–147 – Unterteilungen 130–133 – s. a. Cortex Jacobson-Organ (Vomeronasales Organ) 466, 467, 468, 469, 611, 623 James-Lange-Theorie 571–573 Kaffee 548, 549 Kainat 242, 313 Kalabarbohne 239 Kalium 192 – K+-Ionen (Kalium-Ionen)189, 190, 202, 206, 208, 209, 210, 211, 214, 215, 224, 225, 226, 295, 313, 394, 511, 542 – K+-Kanäle 210, 214, 215, 221, 224, 225, 242, 295, 297, 313 Kaliumionen-Hemmung 225 Kaliumionenströme 295 Kaliumpermeabilität 202, 208 Kalium-Gleichgewichtspotential 209 Kalorien 487, 488, 497 Kalorienaufnahme 488, 493 Kältezittern 93, 482, 484, 485, 502

Kampf oder Flucht (flight or fight-Reaktion, Flucht oder Angriff ) 442, 516, 674, 680, 707 Kanäle – Ionenkanäle 180, 206, 207, 208, 215, 219, 221, 227, 229, 230, 253, 542 – Bestandsdichte 216 – Ca2+-Kanäle 207, 221, 242, 243, 293, 295, 296, 313, 551 – chemisch gesteuerte 221, 223, 227, 542 – Cl–Kanäle 210, 225, 243, 705 – direkt gesteuerte 219 – Gap Junction 231, 232 – Inaktivierung 293 – interzelluläre Kommunikation 180 – K+-Kanäle 210, 214, 215, 221, 224, 225, 242, 295, 297, 313 – Membranporen 206, 207, 208, 215, 216, 225, 271, 313, 366, 397, 542 – Na+-Kanäle 207, 210, 213, 214, 215, 216, 218, 221, 223, 224, 225, 313, 395, 397 – Ruhemembrankanal 208 – Schlüssel-Schloß-Prinzip 227 – spannungsgesteuerte 213, 214, 216, 218, 221, 224, 232, 542 – über Second-Messenger gesteuerte 219, 229, 230, 253, 366, 395 – s. a. Rezeptoren Kanizsa-Dreieck 443 Kantenerkennung 375, 400, 407, 408, 409, 410, 411, 413, 446, 450 Kanüle ins Gehirn, Tierversuche 41 Kapazität, Membran 215, 217, 218 Kapillaren 93, 190, 202, 203, 537 Karte, neurale – motorische 135, 136 – somatosensorische 104, 121, 130, 133, 134, 135, 136, 144, 166, 174, 586 Käse-Effekt 703 Kaspar-Hauser-Versuche 668 Kastration – chemische 621 – operative 619, 621 Katecholamine s. Catecholamine Katze(n) – Bewegung 73, 131 – Hypothalamus 573, 575, 680 – Läsionsversuche 41, 349, 426, 573–574, 575 – Nesthocker 667

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – – – – –

Schlafverhalten 345, 349–350 somatosensorischer Cortex 133, 135 Streß 679–680 Theta-Rhythmus 364 Tierversuche 40, 41, 133, 274–277, 349– 350, 364, 390, 400, 404, 414, 420, 426, 434–435, 446, 448, 449, 547, 573, 574, 575, 679 – Totstellreflex 631 – visuelles System 274–277, 385, 390, 400, 403, 404, 407, 420, 426, 434–435, 446, 448, 449 Keimblatt 177, 260 Keimdrüsen (Gonaden) 87, 102, 106, 120, 596, 599, 600, 601, 603, 604, 606 Keimplasma 50 Keimzelle (Gamet) 50, 280 Kerne – Definition, Nervenkern 71, 98 – Definition, Zellkern 175, 194, 195, 229, 257, 297, 595 – Nucleus accumbens (septi) 75, 77, 99, 108, 109, 114, 123, 124, 125, 126, 326, 529, 530, 531, 533, 536, 541, 545, 549, 551, 581, 593, 612 – Nucleus anterior thalami 103, 104, 108, 121, 324, 546, 574, 576 – Nucleus arcuatus (Hypothalamus, Nucleus ventralis posteromedialis) 531, 609 – Nucleus basalis (Meynert) 88, 98, 241, 326, 340, 587 – Nucleus caudatus 76, 77, 90, 99, 108, 124, 125, 616, 618 – Nucleus centromedianus 81, 121 – Nucleus cochlearis 143, 170 – Nucleus coeruleus – Nucleus cuneatus 504, 506 – Nucleus gracilis 504, 506 – Nuclei hypothalami 490, 491, 492, 592, 610, 621, 622, 623, 693, 694 – Nucleus interpeduncularis 74, 98, 108, 125 – Nucleus interstitialis 609, 610, 611, 624 – Nucleus intralaminaris 108, 125, 510, 512, 516 – Nucleus lateralis dorsalis 103, 104, 121 – Nucleus lateralis posterior 103, 104, 121, 510

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– Nucleus lentiformis 77 – Nucleus medialis 103, 104, 121, 128, 546 – Nucleus mediodorsalis 81, 121, 324, 332 – Nucleus olivaris superior 143, 170 – Nucleus paraventricularis (hypothalami) 490, 491, 492, 610, 693, 694, 696, 697, 698 – Nucleus praeopticus medialis 601, 607, 609, 610, 611 – Nucleus raphes 85, 87, 88, 98, 340, 351, 545, 546, 558, 559 – Nucleus raphe(s) dorsalis 85, 98 – Nucleus raphe(s) magnus 86, 98 – Nucleus raphe(s) obscurus 86, 98 – Nucleus raphes(s) pontis 85, 98 – Nucleus ruber 74, 98 – Nucleus septalis/septi 241 – Nucleus septi medialis 88, 98, 326 – Nucleus striae terminalis (NST) 582 – Nucleus subthalamicus 77, 81, 99, 121 – Nucleus suprachiasmaticus (SCN) 86, 609 – Nucleus supraopticus 610 – Nucleus tegmentalis posterior dorsalis 108, 125 – Nucleus thalami 120, 121, 336 – Nucleus ventralis anterior 103, 104, 121, 125 – Nucleus ventralis lateralis 81, 103, 104, 121 – Nucleus ventralis posterior (ventrobasalis) 101, 103, 104, 121, 506, 510 – Nucleus ventralis posteromedialis 101, 103, 104, 121 – Nucleus ventralis posteromedialis (Nucleus arcuatus) 531, 609 – Nucleus ventromedialis (hypothalami, VMH) 489, 610, 611, 612, 621 Kiemenrückziehreflex bei Aplysia 289, 290, 294, 297 Kinase (Proteinkinase) – calciumabhängige 313–314 – cAMP-abhängige 230, 295, 296, 297, 313–314, 316, 551 Kinine, Gewebshormone, Entzündungsstoffe 511 klassische Konditionierung 299, 301, 302, 303, 305, 310, 312, 483, 502 Kleiber-Regel 487, 488

800

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Kleinhirn (Cerebellum) – Afferenzen 65, 72, 96, 116 – Cerebro-Cerebellum (Ponto-Cerebellum) 72, 97 – bei verschiedenen Säugetieren 73, 131, 132 – Efferenzen 74, 98 – Entwicklung 60, 63, 65, 73, 131 – explizites Gedächtnis 311 – Feinkoordination 72, 73, 96, 97, 327 – Funktionen 73, 96 – GABA-System 90, 531 – Gliederung 72 – Kleinhirnrinde 267, 268, 705 – Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli) 72, 97 – Kletterfasern 267 – Körnerzellen 268 – Lage 60, 63, 65, 72, 96 – Motorik 65, 72, 74, 96, 97, 98, 151, 171, 327, 545 – motorisches Lernen 113 – Oligodendrocyten 198, 202, 203, 265 – Pedunculi 65, 96 – Ponto-Cerebellum (Cerebro-Cerebellum) 72, 97 – Purkinje-Zellen 201, 268, 280 – Radialgliazellen 267–269 – Rinde s. Cortex cerebelli – Serotonin-System 86–87 – Somatosensorik 135, 171 – somatosensorische Karte 171 – Spino-Cerebellum 72, 96 – und Alkohol 542, 545 – und Gedächtnis 113, 311 – und implizites Gedächtnis 311 – Vestibulo-Cerebellum 72, 96 Klitoris (Clitoris, Kitzler) 598, 618 Klüver-Bucy-Syndrom 331, 575- 576 Kniehöcker s. Corpus geniculatum Kniesehnenreflex 288, 291 Knochen, Tiefenschmerz 509 Knochenfische (Osteichthyes) 419, 463 Koffein s. Coffein Kognition – Alkohol 540, 546 – Alzheimer-Erkrankung 339, 537 – Assoziationscortex 161, 168 – Basalganglien 79, 99

– – – – – –

Cerebellum 72, 97 Hippocampus 576 Nicotin 537 präfrontaler Cortex 118, 167, 339, 673 Thalamus 103 und Emotionen 572, 573, 574, 581, 587, 613, 673 Kohlenhydrate 195, 206, 237, 492 – Kohlenhydratkette 594 Kohlenstoffatom 546 Kohlenstoffdioxid (CO2 ) 172, 237, 381, 543 Kohlenstoffmonoxid (CO) 236, 314 Kokain s. Cocain Kollaterale 240, 241, 289 – Schaffer-Kollaterale 312, 313 Kommissur – cerebrale (Commissura cerebri, Balken) 35, 63, 88, 107, 116, 123, 124, 128, 129, 156, 157, 160, 166, 168, 324, 430, 433–437, 450, 611, 623 – vordere (Commissura anterior) 128, 156, 157, 169, 434, 485, 623 Kommissurotomie 156, 159 Kommunikation – Bedeutung der Sprache 151–152 – Chemische über Geruchsstoffe 464, 466 – emotionales Ausdrucksverhalten 563 – humorale 176 – interzelluläre 176, 180 Kommunikationssystem 181, 191 Komplementärfarbentheorie (Gegenfarbentheorie), Hering 418–419 Komplexauge 377 komplexe Zelle 407–408, 409, 411, 412, 413 Kondensator 216, 217 konditionierte Appetenz 301 konditionierte Aversion 301 konditionierte Furcht 331, 590, 683, 684, 685, 689 konditionierte Geschmacksaversion 302 konditionierter Reiz 300, 690 konditionierte Vermeidung (konditionierte Aversion) 301 Konditionierung – emotionale 119 – Furchtkonditionierung 331, 590, 683, 684, 685, 689 – klassische 299, 301, 302, 303, 305, 310, 312, 483, 502

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – kontextuelle 689 – operante 304, 305, 310 – von Nahrungsaversion 302 Konfabulationen 332, 547 Konkurrenz – bei der Augendominanzsäulentrennung 277 – psychologisch 682 – um Nahrung 639 – zwischen Neuronen 273, 277 Konsolidierung von Gedächtnisinhalten 331, 367 Kontraktion – Blase 575 – Ciliarmuskel 432 – Gebärmutter 106, 122, 556, 557, 558, 606 – Hautkapillaren 93 – Kiemen, Aplysia 289 – kontraktive Vakuole, Euglena 376 – Muskel 36, 183, 184, 223, 254 kontralaterales Auge 157, 275, 277, 403, 414 Kontrastwahrnehmung – Farbkonstraste 423 – Hell-Dunkel-Konstraste 140, 167, 391, 392, 400, 421, 422, 441 konvergente Evolution 378 Konvergenz in der Verschaltung von Neuronen, Auge 390, 406 Konvergenzreaktion, Naheinstellungsreaktion 432 Konzentrationsgradient (Konzentrationsgefälle) 180, 208, 209, 210, 211, 215, 269 konzentrische Breitbandzellen 421–422 konzentrische einfache Gegenfarbenzellen 420–422 konzentrische doppelte Gegenfarbenzellen (Doppelgegenfarbenzellen) 423–424 Koordination – Bewegungen unter Alkoholeinfluß 545 – Kleinhirn 72–73, 96, 97, 545 – Mittelhirn 66, 97 – Nesseltiere 183, 184 – Regenwurm 187 – Rippenquallen 186 – Sexualakt 612 – Volvox 176 Kopfganglion 187 Kopfschmerzen 516 Kornea (Hornhaut) 383

801

Körnerschicht – Kleinhirn 268 – Retina 199 Körnerzellen – Geruchswahrnehmung 471, 473 – Gyrus dentatus 312, 366, 701 – Kleinhirn 268 körpereigene Opiate (Endorphine) 109, 228, 236, 512, 515, 520, 530, 604 Körperfett – Regulation 486, 493, 495, 497, 498 – Sollwert 486 Körpergedächtnis 698, 699 Körpergewicht – Bezugspunkt 495, 496, 497 – Regulation 486, 487, 488, 491, 493 – Sollwert 492 Körpergröße 486 – und Schlaf 344–345 Körperhälfte 36, 135, 142, 275, 433, 504, 510 Körperhaltung 74, 98, 305, 308, 509, 529, 563 Körperich 318 Körperkontakt 676 Körperkreislauf 696 Körpermittellinie 437 Körperoberflächenkarte – motorische 135, 136 – somatosensorische 104, 121, 130, 133, 134, 135, 136, 144, 166, 174, 586 Körperperiodizität 343 Körperreaktion 571 Körpertemperatur 92, 105, 254, 343, 345, 348, 483, 484, 485, 486 Körperzelle 50, 172, 189, 280, 619 Körperzustand 572, 573, 586, 587 Korsakow-Syndrom 332, 545–546 Kortex s. Cortex Kotransmitter s. Co-Transmitter Krampfanfälle – ACh-System 239 – Epilepsie 36 – GABA-System 244 – Mutterkorn 556 – Tierversuche 40 – Vasopressin 485 krampflösende Wirkungen, Benzodiazepine 703 Krebs 544, 545, 638, 708 Krebse 671

802

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

krebserzeugend (cancerogen) 538 Krebszellen 281 – Kreislauf 95, 100, 108 kritische Phase – Augendominanzsäulenentwicklung 277– 278 – Entwicklung sozialer Fähigkeiten – männliche Entwicklung 596 – Prägung 278–279 Kurzzeitgedächtnis 113, 281, 291–292, 297, 310, 328 Labia – majora 598 – minora 598 labioscrotale Schwellkörper (Genitalwülste) 597, 598 Labyrinth, Tierversuche 366 Lachen 443, 444, 566, 567, 568 Ladung 208, 215, 216, 217, 218, 520 – Gating-Ladung 215 Ladungsgefälle 208, 209 Ladungstrennung 208 Lähmungen – Curare 228 – kontralaterale 155 – Querschnittslähmungen 572 Lamina basilaris (Basilarmembran) 142, 170 Langzeitgedächtnis 113, 123, 281, 297, 309– 311, 319, 328, 331, 333, 367, 476, 576 Langzeitpotenzierung (LTP, long-term potentiation) 312, 313, 314, 316, 317, 328, 366, 514, 542 Lappen 130, 165 – Lobus frontalis (Frontallappen, Stirnlappen) 87, 118, 125, 130, 131, 133, 135, 162, 165, 167, 168, 309, 328, 329, 333, 357, 545 – Lobus insularis (Insula, Insel, insulärer Cortex, Inselrinde) 130, 165, 616 – Lobus occipitalis (Okzipitallappen, Hinterhauptslappen) 87, 130, 131, 133, 137, 165, 166, 333, 350, 353, 368, 406, 435 – Lobus parietalis (Parietallappen, Scheitellappen) 81, 87, 125, 130, 131, 133, 162, 165, 166, 167, 168, 174, 333, 353, 355, 357, 617 – Lobus temporalis (Temporallappen, Schläfenlappen) 37, 87, 113, 114, 115, 123, 125, 130, 131, 133, 140, 156, 157, 162,

163, 165, 169, 309, 310, 316, 324, 328, 329, 330, 331, 333, 336, 338, 353, 354, 355, 357, 416, 457, 575, 584, 592, 673, 688 Läsion(en) – Affen 41, 42, 114, 331, 332 – Alternativen zu Läsionsversuchen 356 – Amygdala 41, 42, 114, 331–332 – Cortex 36, 114, 152, 154, 160 – Forschung 32, 35, 36, 39, 41, 42, 114, 146, 310, 329, 331, 332, 352, 353, 354, 426, 434, 442, 488–492, 495, 579, 584, 586, 592, 593, 612, 685 – Frontallappen 35, 146, 332, 584, 586, 592, 593 – Gyrus angularis 152 – Henry M. 113, 114, 310, 330 – Hippocampus 114, 331, 579 – Hypothalamus 41, 488–492, 495, 612 – Katzen 41, 434 – Meerschweinchen 612 – Mensch 36, 39, 152, 154, 160, 310, 331– 332, 352, 353, 354, 355, 357, 592 – Okzipitallappen 353, 426–427 – Persönlichkeitsveränderungen 30, 154 – Phineas P. Gage 32, 35, 36, 92, 146, 332, 584, 586, 593 – Ratten 41, 331, 332, 366, 489, 490, 491, 492, 495, 612, 685 – Riechhirn 331 – Split-Brain 156–159, 434–436 – sprachbezogene Auswirkungen 36, 152, 160 – Sprachzentren 36, 152, 154, 160 – Temporallappen 114, 310, 353, 354, 426– 427, 592 – Thalamus 332, 685 Läsionsmethoden 41 lateral, Definition 71, 96 laterale (indirekte) Bahnen, Retina 388 laterale Inhibition (laterale Hemmung), Retina 400 lateraler Hypothalamus (LH, Freßzentrum) 489, 491, 495, 495, 529, 581 lateraler oder amygdaloider Schaltkreis (basolateral-limbischer Schaltkreis) 324–326, 592 lateraler prämotorischer Cortex (prämotorisches Areal) 80–82, 137, 161–163, 167

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Lateralisierung 155, 156, 159, 160, 325, 328, 611, 623, 625 – Asymmetrie der Gehirnstrukturen 159, 160, 328, 611 – HERA-Modell 328 Lateralkörper 597, 598 L-Dopa 247, 252 Leber – Alkoholabbau 538, 543, 544 – Sympathicus-/Parasympathicuswirkungen 249, 280 Leberkrebs 544 Leberzirrhose 544 Legasthenie 73 Leitfähigkeit – Gap junction 232 – Membranleitfähigkeit 210, 216, 271 Leitungsaphasie 152 Leitungsgeschwindigkeit – axonaler Transport 196, 197 – von Aktionspotentialen 198, 201, 217, 509, 510–511 Lemniscussystem, mediales (primäre somatosensorische Bahn, Hinterstrangsystem, Lemniscus medialis) 504–507 Leptin 497–498 Lernen – Amygdala 119, 124 – Angstkonditionierung 590, 689 s. a. Furchtkonditionierung – Aplysia 287–291, 293 – assoziatives 299, 301, 302, 305–308, 314, 677 – Blocking 303 – Desensitivierung, systematische (Desensibilisierung) 302, 310, 621 – explizites 309–311, 331–332, 577–579, 653, 689 – Furchtkonditionierung 331, 683–685, 690 – Glutamatrezeptoren (NMDA-Rezeptoren) 242, 287, 317–318, 542, 544 – Großhirn(rinde) 66, 158, 164 – Habituation 287–294, 297, 310 – Hebbsche Regel 288, 313, 471, 473 – Hippocampus 42, 82, 88, 113, 114, 116, 119, 122, 123, 125, 163, 309, 311, 317, 323, 325, 330, 331, 334, 335, 346, 358, 364–365, 476

803

– implizites 287, 291–292, 297, 299, 310– 311, 317, 332, 577–579, 653, 698, 699 – klassische Konditionierung 299–303, 305, 310, 312 – Kleinhirn, motorische Abläufe 65, 72, 96, 97 – konditionierte Appetenz 301 – konditionierte Aversion 301 – Konditionierung 286, 299–305, 310, 312, 331, 483, 502, 590, 659, 683–685, 689, 690 – kontextuelle Konditionierung 689 – Läsionsversuche bei Ratten und Affen 42, 114, 331, 332 – Lesen und Schreiben 152 – Neugeborene 321–322 – neuronale Grundlagen 314, 315 – nicht-assoziatives 299 – operante Konditionierung 304, 305, 310 – präfrontaler Cortex 326–327, 330, 333 – Prägung 279 – reflexartiges 310 – Sensitivierung 287, 294–295, 297, 299, 473, 475, 514 – Sprache 151 – synaptische Plastizität 316, 319 – und Alter 281 – und chemische Synapsen 232 – und limbisches System 83, 112, 118, 119, 122, 123, 125, 161–162, 167, 168, 324, 325, 354, 355, 451 – und Lustprinzip 308 – und Noradrenalin 254 – und REM-Schlaf 358 – und Scheitellappen 330, 357 – und Temporallappen 114, 309, 331, 575 – und Theta-Rhythmus 364–369 – vorgeburtliches 322 – s. a. Gedächtnis Lesen und Schreiben 152–154, 160, 171 Leu-Enkephalin (Leucin-Enkephalin) 513 Leukämie-inhibierender Faktor (LIF) 264 Leukotomie, präfrontale 353 LH (luteinisierendes Hormon, luteotropes Hormon, Lutropin) 601, 603, 604, 605 LH-Freßzentrum, lateraler Hypothalamus 489, 491, 495 Librium (Chlordiazepoxid) 244, 705 Licht – polarisiertes 385, 387

804

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– UV-Licht 385, 387 – Wellenlänge 385, 415, 418–420 Lichtabhängigkeit 175, 343 Lichtbrechung 381 Lichtenergie 441 Lichtintensität 397, 401 Lichtorientierung 376 Lichtreflexe 140 Lichtreize 391, 395, 396, 397, 400, 448 – Lichtbalken 407, 408, 448 – Lichteinfall 394, 395, 399, 401, 402 – Lichtfleck 139, 390, 391, 401, 408, 415, 420, 421 – Lichtsignal, Lernen 303, 305 Lichtsinn – Einzeller 376, 377 – extraokularer 379 – Insekten 377 Lichtsinneszelle (Photorezeptor) 376, 378, 379, 380, 382, 383, 387, 388, 389, 393, 394, 395, 397, 399, 400, 406, 456, 471 Lichtteilchen (Photonen) 381 Licht-Ton-Kopplung 303 LIF (leukemia inhibitory factor) 264 Ligand 227 Ligand-Rezeptor-Komplex 227 limbische Schaltkreise – basolateral-limbischer Schaltkreis (lateraler oder amygdaloider Schaltkreis) 324–326, 592 – Papez-Neuronenkreis 116–118, 323, 324, 326, 574, 575, 576, 679 limbisches System – Abruf episodischer Inhalte 329 – Angstverhalten 673, 674, 703 – Amygdala 82, 94, 99, 107, 108, 110–112, 114–115, 117, 125, 127, 324, 474, 477, 510, 512, 515, 529, 540, 575, 576, 586, 590, 673–674, 693, 694 – «altes Säugetiergehirn», McLean 68, 118, 576 – Belohnungssystem 99, 110, 124, 125, 468, 501, 531 – Benzodiazepinrezeptoren 705 – Bestandteile 82, 107, 110, 128, 165 – Bewertungssystem 82, 83, 92, 99, 110, 112, 124, 125, 451, 691 – Definition 106 – evolutive Entwicklung 109, 111

– funktionelle Unterteilung 108–110, 119, 125 – GABAerge Neuronen 90 – Hippocampus 114–117 – Liebesmodule 616 – limbischer Assoziationscortex 118, 125, 161–163, 167–168, 338 – limbischer Cortex 107, 121, 122, 127, 128, 168 – limbische Kerne 72, 74, 96, 98, 104, 107, 108, 121, 124, 125 – mesolimbisches System 75, 82, 109, 110, 111, 112, 125, 228, 355, 468, 501, 529, 537, 538, 541, 549, 551, 581, 587, 645, 691 – Opioidrezeptoren 110, 123, 166, 228, 512, 516, 518, 529 – periaquaeductales Grau 108, 112, 125 – Riechen 111, 116, 127, 374, 459, 468, 471, 474, 477 – Schmerzwahrnehmung 94, 510, 512, 515, 516 – sexueller Dimorphismus 611 – und Freßverhalten 491 – und REM-Schlaf 350 – und Träumen 353–355, 357 – visuelle Wahrnehmung 458 linke Hemisphäre (dominante Hemisphäre) 155, 158, 159 Linsenauge 382 Linsenkern (Nucleus lentiformis) 77 Lipid-Doppelschicht 204, 205, 206, 208, 216, 594, 595 Lipide 198, 205 Lipidtransport, Blut 339 Lipogenese 495 Lipolyse (Fettverdauung) 495 Liquor cerebrospinalis (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) – Lage 66, 94, 97 – Fibromyalgie 521 Liquorgängigkeit 520 Liquorräume, Alkoholismus 545 Lobektomie 330 Lobus (-i) 130, 165 – frontalis (Frontallappen, Stirnlappen) 87, 118, 125, 130, 131, 133, 135, 162, 165, 167, 168, 309, 328, 329, 333, 357, 545 – insularis (Insula, Insel, insulärer Cortex, Inselrinde) 130, 165, 616

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – occipitalis (Okzipitallappen, Hinterhauptslappen) 87, 130, 131, 133, 137, 165, 166, 333, 350, 353, 368, 406, 435 – parietalis (Parietallappen, Scheitellappen) 81, 87, 125, 130, 131, 133, 162, 165, 166, 167, 168, 174, 333, 353, 355, 357, 617 – temporalis (Temporallappen, Schläfenlappen) 37, 87, 113, 114, 115, 123, 125, 130, 131, 133, 140, 156, 157, 162, 163, 165, 169, 309, 310, 316, 324, 328, 329, 330, 331, 333, 336, 338, 353, 354, 355, 357, 416, 457, 575, 584, 592, 673, 688 Lochauge 379 Locus coeruleus (himmelblauer Ort) – Beeinflussung des Cortex 88, 693 – Beeinflussung durch CRH 693, 699 – chronischer Alkoholabusus 545–546 – elektrische Stimulation 693 – Entwicklung des visuellen Systems 277 – generalisiertes Erregungssystem, Wachheit 560 – LSD und Mescalin 560 – Reduktion von Neuronen, AlzheimerErkrankung 340 – REM-Off-Neuronen 351 – Zentrum noradrenerger Neuronen 84, 98 – Opiate und Opiatrezeptoren 516, 531 – und Personbegriff 560 Lokalanästhesie 523, 524, 525 Lokalisationstheorie 34, 36, 37, 67–68 Lophophora williamsii (Peyote) 555 lösliche Gase als Neurotransmitter – CO 236, 314 – NO 236, 314 LSD (Lysergsäurediethylamid) 244, 537, 555– 561 LTP (long-term potentiation, Langzeitpotentierung) 312, 313, 314, 316, 317, 328, 366, 514, 542 Lügendetektion 300 Lunge(n) 42, 273, 526, 543 Lungenfisch 60 Lust – Emotion 581, 612, 614, 616, 624 – Essen 499, 500 – Hirnstamm 100 – limbisches System 109 Lustsystem des Gehirns 110, 512, 515, 530

805

luteinisierendes Hormon (LH, luteotropes Hormon, Lutropin) 601, 603, 604, 605 Lysergsäure 557 Lysergsäurediethylamid (LSD) 244, 537, 555– 561 Magen 41, 183, 189, 260, 374, 478, 492, 493, 494, 520, 524, 544, 571, 575, 616 – Sympathicus-/Parasympathicuswirkungen 249 Magendrüsen 300 Magenfistel, Tierversuche 38, 300 Magenschleimhaut 543 Magensonden, Tierversuche 41 Magengeschwüre und Streß 42, 544 Magersucht (Anorexia nervosa) 497, 499– 502, 534, 536–537 Magnesiumionen (Mg2+-Ionen) 313, 542 Magnetresonanztomographie (MRT) 337, 537 – funktionelle (fMRT) 616 magnozelluläre Bahn, visuelles System 403, 414, 424 magnozelluläre Breitbandzellen 422 magnozelluläre Kniehöckerzellen 403, 405, 414, 424, 425 Makaken (Macaca) – emotionales Ausdrucksverhalten 568 – visuelles System, Tierversuche 415, 416, 417, 419 – Rhesusaffen 344, 415, 419, 420, 429, 430, 668–672, 674, 676 Makrophagen 485 Malathion 239 Mamillarkörper (Corpora mamillaria) – Funktionen 119, 122, 125 – Korsakow-Syndrom 332, 546 – Lage im Gehirn 104, 108, 122 – limbische Kerngebiete 108, 124, 125 – Papez-Neuronenkreis 116, 117, 324, 574, 576 – sexuelle Orientierung, Androgenrezeptoren 625 – und Gedächtnisfunktionen 336 Mandelkern (Corpus amygdaloideum, Amygdala) – amygdalofugaler Trakt 324 – Aufbau 111 – Basalganglien 77

806

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– basolaterale 112, 113, 124, 590, 592, 687, 688 – basolateral-limbische Schaltkreis 324– 325, 592 – corticomediale (oberflächliche Kerngruppe) 111, 124, 127, 169, 476, 590, 592 – Entwicklung 118 – Funktionen 99, 111, 124 – Klüver-Bucy-Syndrom 331, 575–576 – Lage im Gehirn 66, 75, 124, 126, 165, 611 – Läsionsversuche 42, 112, 113, 331–332, 575, 593, 612 – limbisches System 82, 94, 107, 108, 110– 111, 125, 127, 324, 474, 477, 510, 512, 529, 540, 575, 586, 673–674, 693, 694 – Parallelverarbeitung von Amygdala und Hippocampus 577, 590, 591,648 – Reizung 40 – thalamo-amygdaläre Verbindung 112, 686, 687, 688 – thalamo-cortico-amygdaläre Verbindung 112–113, 590, 686, 687, 688 – und Angst 331, 582, 617, 673, 686, 687, 688, 689 – Streßachse 594, 607, 691, 692, 697, 699 – und Belohnungssystem 531, 534, 612 – und Emotion 326, 331, 476, 510, 540, 576, 577, 578, 582, 589, 590, 593, 617, 673, 683, 685, 690, 691 – und Gedächtnis 325, 330, 331–332, 534, 575–576, 577, 578, 698 – und Hippocampus 113, 114, 115, 116, 117, 123, 330, 335, 575, 577, 578, 591, 592, 648, 689, 698 – und Schmerz 515 – und Streß 594, 607, 691, 692, 697, 699 – und Tierversuche bei Affen 41–42, 575 – und Tierversuche bei Ratten 40, 331, 612 – Urbach-Wiethe-Erkrankung 331–332 – zentromediale (Zentralkern) 111, 124, 590, 592, 593, 685 Manie 84 manisch-depressive Erkrankung 254 MAO (Monoaminoxidase) 253, 255, 538, 703 – Catecholamine, Inaktivierung 253, 538, 703 MAO-Hemmer (MonoaminoxidaseHemmer) 703 Marihuana 550

Mark – Nebennierenmark 188, 247, 260, 264, 524, 679, 680, 681, 691, 699 – Rückenmark (Medulla spinalis) 60, 63, 65, 72, 74, 81, 96, 98, 128, 129, 166, 169, 200, 201, 240, 248, 249, 251, 504, 509, 510, 512, 513, 515, 529 – Verlängertes (Medulla oblongata) 33– 34, 41, 63, 65, 69, 72, 86, 91–92, 93, 96, 97, 143, 170, 187, 188, 223, 242, 247,248, 250, 260, 263, 504, 512, 572, 705 Marker 685 – chemische 270, 286 – molekulare 269 – radioaktive 244, 607 – somatische 587, 588 Markhirn (Nachhirn, Myelencephalon) 60, 96 Markscheide (Myelinscheide) 217, 223 Maskulinisierung 618 Maus (Mäuse) – Angstexperimente, Tierversuche 633 – Augenentwicklung, Tierversuche 377 – Farbe von Mäuseurin 387 – fettleibige, Tierversuche 41, 497- 498 – Myasthenia gravis, Tierversuche 228 – Nervenwachstumsfaktoren 273 – Nesthocker 667 – Neuroplastizität und Milieu 280 – psychosozialer Streß, Tierversuche 682– 683 – Riechgene 469 – Schlafdauer 345 – VNO, Tierversuche 467 – Zahlen, Tierversuche 40 M-Bahn (magnozelluläre Bahn, visuelles System, Wo-Bahn, dorsale Bahn) 403, 414, 424, 429, 430 medial – Definition 71, 96 mediale Amygdala 582 mediale Kerngruppe des Thalamus 128, 546 mediale praeoptische Region des Hypothalamus 607, 611, 612 medialer Hypothalamus 582 medialer Kniehöcker (Corpus geniculatum mediale, CGM) 101, 104, 121, 144, 171, 684–687 medialer supplementärmotorischer Cortex (SMA und prae-SMA, supplementärmoto-

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte risches Areal) 80–82, 129, 137, 167, 169, 588 medialer Temporallappen 169, 310, 316, 330, 331, 336 – Amnesie 310,330, 331, 336 medialer Thalamus 516 mediales Hyperstriatum ventrale, Prägung 279 mediales Lemniscussystem (Hinterstrangsystem, primäre somatosensorische Bahn, Lemniscus medialis) 504–507 mediales Septum 123, 326 mediales Vorderhirnbündel (Fasciculus telencephalicus) 529, 530, 533, 535 mediotemporales Areal (MT, visuelles Feld V 5 im mediotemporalen Areal) 415–417, 424– 427, 458 Medroxyprogesteronacetat, Progesteronderivat 621 Medulla oblongata (Verlängertes Mark) – Benzodiazepinrezeptoren 705 – Formatio reticularis 72, 97 – Hinterstrangsystem 504 – Hörbahn 143, 170 – Lage 63, 65, 69, 72, 91–92, 96 – Raphe-Kerne 86 – thermosensitive Nervenzellen 93 – Vierter Ventrikel 33–34 Medulla spinalis (Rückenmark) – Benzodiazepinrezeptor 705 – Entwicklung 260, 263 – Funktion 72, 96 – Glycin 242 – Lage 60, 63, 65 – Nervenbahnen 74, 81, 98, 128, 129, 166, 169, 200, 201, 240, 248, 249, 251, 504, 509, 510, 512, 513, 515, 529 – Opioidrezeptoren 512 – Querschnitt durch Rückenmark 248 – Querschnittlähmung 250, 572 – Segmentierung 263 – spinales Tier 41 – thermosensitive Nervenzellen 93, 483 – Zentralnervensystem 187, 188, 223, 247 Meeressäuger 667 Meeresschnecke (Aplysia californica) 287 – Habituation 291, 294, 297 – Kiemenrückziehreflex 289, 290, 297 – Nervensystem 289, 316

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– Sensitivierung 294–295, 299, 297 Meerkatzen (Cercopithecus) 567–568 Meerschweinchen 612 Meisterkontrollgene 377–378 Melatonin 58, 87, 102, 120, 255, 343, 594, 606 – Aminosäurederivat-Hormon 594 – Bildung in Epiphyse 58, 87, 102, 120, 255, 343, 606 – Funktion 58, 87, 102, 343, 606 Membrana – basilaris (Basilarmembran) 142, 144, 167, 170 – tympani 141, 169 Membran(en) – Aufbau der Zellmembran 204, 205, 206, 594 – Axonmembran 207, 210, 212, 213, 216 – Depolarisation 210–211, 212, 213, 216, 218, 221, 223, 224, 216–218, 313–314, 316, 366, 394, 397, 399, 400, 419, 477, 542 – Endocytose 234, 242, 243 – Exocycotse 221, 234, 293, 317 – Gap Junctions 231, 232 – Geschwindigkeit der Ansammlung von Ladungen auf Membranen 216 – Gleichgewichtspotential 209, 210, 211, 213, 214, 215, 226 – Glycoproteine 206 – Hyperpolarisation 225, 243, 394 – Membrankapazität 215, 217, 218 – Membrankondensator 216, 217 – Membranleitfähigkeit 210, 216, 271 – Membranpermeabilität 202, 208, 210, 211, 213, 214, 226, 313 – Membranpotential (Membranspannung) 180, 206, 212, 213, 214, 221, 224, 226, 395 – Membranporen 206, 207, 208, 215, 216, 225, 271, 313, 366, 397, 542 – Membranproteine 205, 206, 215, 219, 227 – Membranströme, ionische 218 – Membransystem, Endoplamatisches Reticulum 195 – Nernst-Potential 209 – Ruhemembranpotential 208, 210, 211, 212, 214, 215, 218, 224, 225 – Schädigung bei Schlafentzug 346 – synaptischer Spalt zwischen prä- und postsynaptischer Membran 219, 221

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Tight Junctions 203 – s. a. Hirnhäute Menstruation 466, 467 Menstruationszyklus 466, 601, 603, 604 MEPP (Miniaturenplattenpotential) 223 Mescalin 537, 555, 558, 559, 560 – Struktur 555 Mesencephalon (Mittelhirn) – auditorisches Mittelhirn (Colliculi inferiores) 98, 144, 170, 684 – Belohnungssystem 529, 530, 533 – Brücke als Teil des Mittelhirns 63 – Colliculi superiores 98, 269 – Entwicklung 263 – Formatio reticularis 72, 97 – Funktion 97 – Hirnnervenkerne 69 – Lage 60, 66, 71, 72, 74, 91, 92, 97 – Locus coeruleus 84, 98, 693 – Mittelhirnkerne 98, 108, 125 – nicotinerge ACh-Rezeptoren 537 – Östrogen- und Testosteronrezeptoren 607 – PAG 97, 685 – Raphe-Kerne 86, 98 – Säugetiergehirn, McLean 68 – Schmerzbahn 510 – Substantia nigra 76, 99 – Tectum mesencephali (Mittelhirndach, Vierhügelplatte) 74, 98 – Tectum opticum 269 – Tegmentum mesencephali (Haube) 74, 97 – thermosensitive Nervenzellen 93 – und Traum 354 – VTA 75, 97 Mesoderm 186, 260, 263, 264 mesolimbisches System 75, 82, 109, 110, 111, 112, 125, 228, 355, 468, 501, 529, 537, 538, 541, 549, 551, 581, 587, 645, 691 Metabolismus 288, 336 Metencephalon (Hinterhirn) 60, 96 Met-Enkephalin (Methionin-Enkephalin) 513 Methylphenidat (Ritalin) 527 Meynertscher Basalkern (Nucleus basalis Meynert) 88, 98, 241, 326, 340, 587 Mg2+-Ion (Magnesiumionen) 313, 542 Migränebehandlung 557

Mikroelektrodenableitungen, Tierversuche 40, 413, 558 Mikrotubuli 196, 268, 338 Miktion 95 Milch 670 – Farbe 78 Milchsekretion 106, 122, 603, 606 Milchzucker 33 Mineralisierungen 332 Miniaturenplattenpotential (MEPP) 223 Mitochondrium (-en) 195, 237, 417 Mitralzellen, Bulbus olfactorius 471, 472 Mittelhirn (Mesencephalon) – auditorisches Mittelhirn (Colliculi inferiores) 98, 144, 170, 684 – Belohnungssystem 529, 530, 533 – Brücke als Teil des Mittelhirns 63 – Colliculi superiores 98, 269 – Entwicklung 263 – Formatio reticularis 72, 97 – Funktion 97 – Hirnnervenkerne 69 – Lage 60, 66, 71, 72, 74, 91, 92, 97 – Locus coeruleus 84, 98, 693 – Mittelhirnkerne 98, 108, 125 – nicotinerge ACh-Rezeptoren 537 – Östrogen- und Testosteronrezeptoren 607 – PAG 97, 685 – Raphe-Kerne 86, 98 – Säugetiergehirn, McLean 68 – Schmerzbahn 510 – Substantia nigra 76, 99 – Tectum mesencephali (Mittelhirndach, Vierhügelplatte) 74, 98 – Tectum opticum 269 – Tegmentum mesencephali (Haube) 74, 97 – thermosensitive Nervenzellen 93 – und Traum 354 – VTA 75, 97 Mittelohr 141, 142, 170 Mittelohrentzündung 141 Mohn 516, 517 Molekularschicht, Kleinhirn 268 molekulare Marker 269 molekulare Uhren 175, 361 Monoamine – Definition 95, 236

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Funktion 95 Monoaminoxidase (MAO) 253, 255, 538, 703 – Catecholamine, Inaktivierung 253, 538, 703 Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) 703 monosynaptischer Reflexbogen 289, 291, 298 Moosfasern, Gyrus dentatus 113, 123, 312 Morbus – Alzheimer-Krankheit 39, 88, 241, 244, 281, 338–341, 537 – sacer 32 – Parkinson-Erkrankung 76, 79, 81, 99, 254 Morphine 512 – Abhängigkeit 520 – endogene 109, 228 – Opiatrezeptoren 518, 519 – Wirkungsweise 531–532 Morphinisten (Soldatenkrankheit) 517 Morphium (Morphin) 228 – Abhängigkeit 522 – Isoloation aus Mohn 517 – Schmerzbehandlung 517–518, 523, 536 – Strukturformel 518 – Wirkungsweise 531–532 Motilität, Parasympathicus 575 Motivation 478–480, 614 Motocortex (Gyrus praecentralis) 104, 121 Motoneurone – Austritt aus Rückenmark durch Ventralwurzel 248 – cholinerge Übertragung 44, 220, 221, 240, 241, 251 – Definition 81, 129, 187, 200 – elektrische Übertragung 231 – Funktion 129, 200, 201, 248, 249 – Gestalt 201 – Hemmung durch Renshaw-Neuron 240, 241 – Lage 81, 129, 200, 201, 240, 249 – monosynaptischer Reflexbogen 289 – serotonerge Beeinflussung 493 – spinale 200 – Verhalten bei Habituation 289, 291, 297 – Zuordnung ZNS/PNS 249 Motorik (Bewegungen) – Ablauf 65, 73, 96, 146, 165, 166, 327 – Affektmotorik 119, 124

809

– Armbewegungen, Colliculi superiores 74, 98 – Atembewegungen 15, 683 – Augenbewegung 66, 69, 72, 74, 96–98, 146, 458 – Augenbewegungen im REM-Schlaf 347, 349, 368 – Ausdrucksbewegungen 563, 564, 566, 569 – Bewegungssturm 630, 631 – Cerebellum 65, 72, 74, 96, 97, 98, 151, 171, 327, 545 – Cerebro-Cerebellum (Ponto-Cerebellum) 72, 97 – Clonus, bei Reizung der Amygdala 40 – extrapyramidale Motorik 81, 104, 121 – Feinabstimmung 72–74, 81, 97, 129, 152 – Gehbewegung, Nucleus ruber 74, 98 – Handbewegungen 74, 98, 152, 320 – Kieferbewegungen 69 – Koordination 72, 78, 81, 96, 146, 148, 152, 612 – Körperbewegungen im Schlaf 349, 355, 368 – motorischer Gesichtsnerv (VII. Hirnnerv, Nervus facialis) 69, 70 – Planung 65, 78, 82, 118, 161, 162, 167, 168 – Regenwurm 187 – Rippenquallen 186 – Spino-Cerebellum 72, 96 – Steuerung 129–130 – Tierversuch von Hitzig ung Fritsch 36, 38 – und Basalganglien 77, 78, 80–82, 327 692 – und Cortex 36, 38, 78, 81, 130, 131, 135, 137, 139, 146, 148, 152, 155, 161, 162, 165, 166–168, 586 – und Emotionen 119, 162, 168, 254, 563, 564, 566, 569 – und Formatio reticularis 95 – und Kleinhirn (Cerebellum) 65, 72–74, 97, 545 – und Pons 65, 96, 97 – und Ponto-Cerebellum (Cerebro-Cerebellum) 72, 97 – und Pyramidenbahn 81, 129 – und Rückenmark 63, 248, 249 – und Spiegelneuronen 612

810 – – – – –

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

und Sprache 148, 152 und Thalamus 102, 121 Vestibulo-Cerebellum 72, 96 Volvox 179 willkürliche Bewegungen 72, 77, 80–82, 127, 129–130, 249, 327, 575 motorische Bahnen 69–71, 81, 102, 129, 169, 248, 249, 251, 271, 291, – extrapyramidale Motorik 81, 104, 121 – Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis) 81, 82, 128, 129, 169 motorische Dysfunktion 339, 545, 703 motorische Einheit 130 motorische Endplatte – Miniaturendplattenpotential (MEPP) 223 – neuromuskuläre Endplatte 221, 223, 228, 237, 270 – Veränderungen bei Myasthenia gravis 228 motorische Karte der Körperoberfläche 126 motorische Kerne – Hirnstamm 72, 91, 96, 97, 129 – Thalamus 72, 97, 104, 121, 113 motorischer Cortex – prämotorisches Areal (lateraler prämotorischer Cortex) 80–82, 137, 161–163, 167 – prämotorischer Cortex 161–162, 167, 588 – primärer (Brodmann-Areal 4) 75, 80– 82, 104, 129–130, 133, 135–137, 139, 146, 149, 151, 154–155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 – supplementärmotorisches (SMA und prae-SMA, medialer supplementärmotorischer Cortex) 80–82, 129, 137, 167, 169, 588 – übergeordneter (sekundärer motorischer Cortex, Brodmann-Areale 6, 8) 75, 80– 82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167 motorischer Schaltkreis, Basalganglien 80 motorisches Lernen 72, 97, 113 motorisches Sprachzentrum (Broca-Areal, Brodmann-Areale 44, 45) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 Müller-Lyer-Täuschung 442, 443 Müllersche Gänge 596 Müllersches inhibierendes Hormon 596, 619 multipolare Zellen 199, 200

multiple kognitiv-mnestische Defizite, Alzheimer-Erkrankung 339 Mund – Geschmacksrezeptoren 462 – Hydra 182, 183, 184 – Hyperoralität 331, 575 – Quallen 184 – somatosensorischer Cortex – Urmund 178 – Verbindung zur Nasenhöhle 462–463 Mundkrebs 544 Mundoffen-Gesicht, Schimpanse 567 Mundreflex, Glutathion 183 Mundtrockenheit 680, 703 Muscarin 239, 554 muscarinerger Acetylcholinrezeptor 239, 241, 252, 281 Muscazon 554 Muscimol 554 musisch-non-verbale Hälfte 159 Muskelaktivierung 31, 151, 171 Muskelbänder (Myotome) 59 muskelerschlaffendes Mittel, Curare 228 Muskelfasern 201, 220, 221, 240, 270, 271 Muskeltonus 74, 98 Muskeltypen 201 – Herzmuskel 237, 238, 239, 249, 251, 252, 544 – glatte Muskulatur 201, 249, 254, 255, 432 – Skelettmuskel 81, 189, 200, 201, 220, 238, 239, 240, 249, 270, 571, 680, 706 Muskelschwäche, schwere (Myasthenia gravis) 228 Mutation 175, 241, 340, 385, 469, 498 Mutter – Alkoholabhängigkeit während der Schwangerschaft 317–318 – Erinnerung an Gesicht der Mutter bei Säuglingen 321–322 – Hospitalismussyndrom 676–677 – hypophysäres Wachstumshormon 677 – Isolationsversuche, Harlow 668–671 – Lernen im Mutterleib 322 – Prägung auf Muttertier 278–279 – Einfluß der Mutter, Stärke des Streßerlebens 674–675, 677 – Streß während Schwangerschaft 623 – Traglingsphase 668

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Trennung von der Mutter, Tierversuche 531, 668–671 Mutterkorn (Claviceps purpurea) 556 Mutterkornalkaloide 556–558 Myasthenia gravis (schwere Muskelschwäche) 228 Myelencephalon (Markhirn, Nachhirn) 60, 96 Myelin 198 Myelinhülle 100, 201, 217, 218, 223, 509 Myelinisierung – myelinfreie Einschnürungen 198, 217, 218 – Nervensystem 198, 217, 218, 509 Myelinscheide 198, 202, 217, 223 Myotome (Muskelbänder) 59 NA s. Noradrenalin Nachhirn (Markhirn, Myelencephalon) 60, 96 Nachpotential 212, 214 Nachsprechen, Schaltkreise 150, 151 Nahrung – als Belohnung 300, 302, 305 – Cholin für ACh 237 – Glutamat 242 Nahrungsaufnahme – Anreiztheorie 494 – Art der Nahrung 492 – Bezugspunktmodell 495–497 – Evolutionsdruck 493–494 – Regulation 486–488 – Zentren 489, 491, 492, 495 Nahrungsaufnahmeverhalten – Hypothalamus 41, 491, 492 – Leptin 497–498 Nahrungsaversion, zur Behandlung von chronischem Alkoholismus 302 Nahrungsentzug 344, 486 Nahrungskonkurrenten 464, 637, 638 Nahrungsverweigerung 482, 489 Naloxon 228 Narkolepsie 526, 527 Narkose – Augenbewegungen in Narkose 524 – lokale 523 – Tierversuche 448, 575 Natrium 192 Na+-Gleichgewichtspotential 210, 213, 214, 215

811

Na+-Ionen (Natrium-Ionen) 189, 190, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 213, 214, 215, 216, 217, 224, 225, 313, 394, 395, 397, 542 Na+-Kanäle 207, 210, 213, 214, 215, 216, 218, 221, 223, 224, 225, 313, 395, 397 Natriumchlorid (Kochsalz) 190, 207 Natrium-Kalium-Pumpe 211 Nebennieren – Aldosteronausschüttung, Wasserhaushalt 190 – Schwellungen der Nebennieren, Tierversuche 42, 683 Nebennierenmark – Adrenalin-Ausschüttung 188, 247, 524, 679, 681, 691, 699 – Entwicklung des Nervensystems 260 – chromaffine Zellen 264 – Noradrenalin-Ausschüttung 188, 679, 681, 691, 699 – Streß 247, 524, 679, 680, 681, 691, 699 – Sympathicus-/Parasympathicuswirkungen 681, 699 Nebennierenrinde – Cortisol-Ausschüttung 106, 264, 334, 607, 679, 691, 697, 701 – Geschlechtshormone 599–601, 618 – Glucocorticoide 264, 334, 335, 607, 679, 691 – Steroidhormone 264 – Streß 675, 679, 680, 683, 691, 697, 699 Nebenschilddrüsen 190 Nebenschilddrüsenhormone 190–191 Nebenwirkungen, Medikamente 702, 703, 705 negative Rückkopplung (Feedback-Hemmung) – Endorphine 604 – Cortisol 698 – Dopamin 604 – Fetthaushalt, Leptin 486, 497–498 – Hypothalamus-Hypophyse 191 – Östrogen 601 – Renshaw-Neuron 240 – Testosteron 604 Neocortex (Cortex cerebri, Isocortex) – Arbeitsweise am Beispiel der Sprache 148–154 – Aufbau in Schichten 137–138, 144, 409

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Definition 127, 128, 165, 168 – Fläche 174 – Funktionskarte 146–147 – Unterteilungen 130–133 – s. a. Cortex Neopallium (Neumantel) 126, 127, 164 Nernst-Gleichung 210–211, 213, 214 Nernst-Potential 209 – Cl–226 – K+ 209, 210, 211, 214, 226 – Na+ 210, 213, 214, 215 Nervenbahnen s. Bahnen Nervendegeneration – Absterben von Neuronen durch Cortisol 335, 337, 698, 701 – Glutamat und neurodegenerative Erkrankungen 90 – Fatale Familiäre Insomnie 344 – freie Radikale 544 – Neuronen in der Substantia nigra 81 Nervenendigungen, freie 510 Nervengase 239 Nervensystem, Überblick – autonomes (vegetatives) Nervensystem 188, 249, 564, 571, 576 – Bestandteile 60–61, 63–64 – Entwicklung 259–263 – Evolution 180–188 – motorische Untereinheit 249 – sensorische Untereinheit 249 – somatisches Nervensystem 249, 571 – Sympathicus 188, 249–250, 681, 683, 685, 699, 701 – Parasympathicus 188, 249–251 – peripheres Nervensystem (PNS) 188, 247, 248 – Verknüpfung Nervensystem, endokrines System und Immunsystem 180, 186, 191, 227, 463–464, 564 – Zentralnervensystem (ZNS) 60–61, 63– 64, 188, 247 Nervenwachstumsfaktor (NGF, nerve growth factor) 264, 273, 341 Nervenzellen (Neuronen), Überblick – Aufbau 194, 197, 200 – chemische Synapse 220–222, 231, 234, 235 – Differenzierung 265 – Formen 200

– Funktionsgruppen 201 – Isocortex 138 – Wanderung 267 Nervus (-i) – abducens 69, 70 – accessorius (Beinnerv) 70 – facialis (motorischer Gesichtsnerv) 69, 70 – glossopharyngeus (Zungen-SchlundNerv) 69, 70 – hypoglossus (Unterzungennerv) 70 – oculomotorius (Augenbewegungsnerv) 69, 70 – olfactorius (Riechnerv, Geruchsnerv) 69, 70, 111, 468 – opticus (Sehnerv) 66, 69, 70, 86, 106, 121, 122, 140, 156, 269, 274, 382, 388, 402, 404, 406, 434 – spinales 247, 248 – trigeminus (Drillingsnerv) 69, 70 – trochlearis (Augenrollennerv) 69, 70 – vagus (Vagusnerv) 70, 237, 509, 694 – vestibulocochlearis/statoacusticus (Hörund Gleichgewichtsnerv) 66, 69, 70, 140, 143, 170 Nestflüchter 667 Netzhaut (Retina) – Aufbau 382–383, 383–384 – Bipolarzellen 382, 388, 389, 394, 397– 400, 471 – Chemotropismus 268 – direkte Bahn 388, 393, 398, 400 – Fovea (Sehgrube) 383, 385, 388, 390, 393, 432, 433, 437 – Ganglienzellen 269, 275, 382, 388–394, 397–398, 400–404, 406, 409, 410, 421, 422, 437, 471 – Horizontalzellen 382, 388, 389, 397, 398, 399, 400, 419 – indirekte Bahn 388, 393, 397, 398, 400 – ispsilaterale 157, 403 – kontralaterale 157, 403 – nasale 157, 403 – Off-Bipolarzellen 398, 399, 400, 401 – Off-Ganglienzellen 390, 398, 400, 401, 402, 421, 422 – Off-Zentrum-Zellen 390, 391, 393, 398, 404, 420, 421, 422 – On-Bipolarzellen 398, 399, 400, 401

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – On-Ganglienzellen 390, 393, 398, 400, 401, 421, 422 – On-Zentrum-Zellen 390, 391, 392, 393, 404, 420, 421, 422 – retinaler Konkurrenzkampf 438 – Sehpigment 395 – temporale 157, 403 Neugedächtnis 333 Neumantel (Neopallium) 126, 127, 164 Neuralleiste 260, 264 Neuralleistenzellen 260, 267 Neuralplatte 260, 263, 264 Neuralrinne 260 Neuralrohr 60, 63, 260, 261, 263, 266 neuroaktive Peptide (Neuropeptide, Peptidtransmitter) – ACTH 335 – Definition 236 – Evolution 180 – Galanin 236, 492 – Neuropeptid Y (NPY) 236, 492, 493, 500 – Neurotensin 236, 582 – Übersicht 236 neuroaktive Substanzen 698 Neuroblasten (neuronale Vorläuferzellen) 264–266 neurodegenerative Erkrankungen – Absterben von Neuronen durch Cortisol 335, 337, 698, 701 – Glutamat und neurodegenerative Erkrankungen 90 – Fatale Familiäre Insomnie 344 – freie Radikale 544 – Neuronen in der Substantia nigra 81 neurofibrilläre Tangles (NFTs) 338 Neurofibrillen 338 Neurogenese im Hippocampus 272, 345–346 Neurohypophyse (HHL, Hypophysenhinterlappen) – Funktion 106, 122, 190, 605, 615, 695 – Hormone 236, 605, 615, 693 – Lage 105, 106, 122 Neuromodulatoren – Acetylcholin 88, 241, 583 – Cholecystokinin (CCK) 492 – Definition 89, 229 – Dopamin 88, 254, 583 – Emotionen 583 – endogene Opiate 229

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– Noradrenalin 84–85, 88, 188–189, 254, 583 – Serotonin 88, 493 neuromuskuläre Endplatte 228, 237 neuromuskuläre Synapse 220, 221, 223, 227, 241, 289, 537, 538, 540 neuronale Plastizität – arme/reiche Ratten 279–280 – chemische Synapsen 180 – erfahrungsabhängige 273, 316, 319, 536, 616, 624 – lebenslange 173, 174 – molekulare Grundlage 316, 317 – Prägung 278–279 – somatosensorischer Cortex 318, 506 – soziale Deprivation 279–280, 616 – visuelles System, kritische Phase 277– 278 – weibliches Gehirn 160, 611, 624 Neuronen (Nervenzellen), Überblick – Aufbau 194, 197, 200 – chemische Synapse 220–222, 231, 234, 235 – Differenzierung 265 – Formen 200 – Funktionsgruppen 201 – Isocortex 138 – Wanderung 267 Neuronen-Ensembles – Bindungsproblem, Wahrnehmung 447 – Hintergrundrauschen 476 – Riechsystem 472–473, 476, 477 – somatosensorischer und motorischer Cortex 450 – Synchronisation 447 – visueller Cortex 448 Neuropeptide (neuroaktive Peptide, Peptidtransmitter) – ACTH 335 – Definition 236 – Evolution 180 – Galanin 236, 492 – Neuropeptid Y (NPY) 236, 492, 493, 500 – Neurotensin 236, 582 – Übersicht 236 Neuropeptid Y (NPY) 236, 492, 493, 500 Neuroplastizität – arme/reiche Ratten 279–280 – chemische Synapsen 180

814

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– erfahrungsabhängige 273, 316, 319, 536, 616, 624 – lebenslange 173, 174 – molekulare Grundlage 316, 317 – Prägung 278–279 – somatosensorischer Cortex 318, 506 – soziale Deprivation 279–280, 616 – visuelles System, kritische Phase 277– 278 – weibliches Gehirn 160, 611, 624 Neurotensin (NT) 236, 582 Neurotoxine 90, 545 Neurotransmitter – Acetylcholin 88–89, 237–241, 251, 326, 350, 581 – Aspartat 242 – Dopamin 75–76, 245, 252–254, 355, 533, 558, 581, 694 – First Messenger 219 – Freisetzung 221–222, 291, 293, 294, 296, 313, 314, 317, 394, 395, 399, 549, 551, 552 – GABA 89–90, 242–245, 318, 544–545, 551 – Glutamat 89–90, 242–243, 313, 316, 326, 514, 581, 582, 583 – Glycin 242 – Inaktivierung 202 – Kompetitive Hemmung 227–228 – langsame Übertragung 219 – Noradrenalin 84–85, 245, 251–254, 264, 516, 528, 533, 558, 582, 694 – Schlüssel-Schloß-Prinzip an Rezeptoren 227, 233 – schnelle Übertragung 219 – Second Messenger 219–220, 229–230 – Serotonin 85–87, 513, 582, 694 – Transmitterquant 222–223 – Transmitterwirkung 233–235 – Transport 196, 198 – Überblick 236 – Vesikel 219, 221, 293 neurotrophe Faktoren 273 neurotropher Faktor CNTF (ciliary neurotrophic factor) 264, 266, 273 Neurotubuli 196 NGF (Nerve growth factor, Nervenwachstumsfaktor) 264, 273, 341 nicht-assoziatives Lernen 287, 299, 316

nichtdominante (subdominante) Hirnhälfte 155, 159 Nicotin 238, 342, 537–540, 542 nicotinerger Acetylcholinrezeptor 239, 240, 241, 251, 252, 537, 538, 540 niedermolekularer Transmitter 236 Nieren 189, 190, 191, 335, 516, 538, 697 Nierenentzündung, Tierversuche 683 Nierenversagen, Tierversuche 682 nigrostriatale Bahn 76, 491 nigrostriatales System 75 Nikotin s. Nicotin Nissl-Färbung 39 Nissl-Schollen 195 N-Methyl-D-aspartat (NMDA) 313 NMDA-Rezeptor 242, 287, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 366, 367, 514, 541, 542, 544, 674 NO (Stickstoffmonoxid) 235, 236, 314 Noziceptor 510, 511 Noggin, Neuralinduktion 263 Non-NMDA-Rezeptor 313, 315, 316, 514 Non-REM-Schlaf 347, 348, 350 Non-REM-Träume 352, 357 Noradrenalin (NA, Norepinephrin) – Alkoholmißbrauch 545 – als Aminosäurederivat-Hormon 594 – als Catecholamin 236, 245, 682, 691 – als Hormon 253, 277 – als Neuromodulator 254 – als Neurotransmitter 84, 87, 236, 247, 250, 253, 264, 516 – Angst und Streß 188, 523, 582, 584, 679, 680, 681, 682, 691, 693, 701 – Augendominanzsäulen 277 – Blutdruck 85 – Co-Transmitter NPY – Entwicklung, NA-Nervenzellen 264 – Erregung/Aufmerksamkeit 254, 584, 693 – Eßverhalten 492 – exzitatorischer Transmitter 250, 251, 252 – Funktion 85, 95, 254 – GnRH-Ausschüttung 604 – Herzschlag 85 – Hirnstamm 84, 88, 95, 587 – Inaktivierung 253 – Lernen und Gedächtnis 254 – Locus coeruleus 84–85, 516

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – – – –

MAO-Hemmer 703 NA-Mangel, Depression 87, 254, 702 NA-System 84–85 Nebennierenrinde 254, 679, 680, 681, 682, 691 – Nucleus paraventricularis 492 – peripheres Nervensystem 245, 247, 251 – Rückwirkung auf Hypothalamus 604 – Strukturformel 246 – Sympathicus 188, 247, 250, 251, 252, 264, 679, 680, 681, 682, 699, 701 – synaptische Übertragung 251–253 – Synthese 246–247 – Tricyclica, Antidepressiva 702 – und ADHS 528 – und Drogenwirkung 533, 558 – und REM-Schlaf 349, 350, 351 – Varikositäten, NA-Axone 254 noradrenerges Bündel – dorsales 84, 490, 491 – ventrales 84 noradrenerges System 84–85 Norepinephrin s. Noradrenalin Notfallreaktion 189, 679, 680, 681, 697 Notochorda 59 NPY (Neuropeptid Y) 236, 492, 493, 500 Nucleoside 548 Nucleus (Nuclei) – accumbens (septi) 75, 77, 99, 108, 109, 114, 123, 124, 125, 126, 326, 529, 530, 531, 533, 536, 541, 545, 549, 551, 581, 593, 612 – anterior thalami 103, 104, 108, 121, 324, 546, 574, 576 – arcuatus (Hypothalamus, Nucleus ventralis posteromedialis) 531, 609 – basalis (Meynert) 88, 98, 241, 326, 340, 587 – caudatus 76, 77, 90, 99, 108, 124, 125, 616, 618 – centromedianus 81, 121 – cochlearis 143, 170 – cuneatus 504, 506 – Definition, Nervenkern 71, 98 – Definition, Zellkern 175, 194, 195, 229, 257, 297, 595 – gracilis 504, 506 – hypothalami 490, 491, 492, 592, 610, 621, 622, 623, 693, 694 – interpeduncularis 74, 98, 108, 125

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

815

interstitialis 609, 610, 611, 624 intralaminaris 108, 125, 510, 512, 516 lateralis dorsalis 103, 104, 121 lateralis posterior 103, 104, 121, 510 lentiformis 77 medialis 103, 104, 121, 128, 546 mediodorsalis 81, 121, 324, 332 olivaris superior 143, 170 paraventricularis (hypothalami) 490, 491, 492, 610, 693, 694, 696, 697, 698 praeopticus medialis 601, 607, 609, 610, 611 raphes 85, 87, 88, 98, 340, 351, 545, 546, 558, 559 raphe(s) dorsalis 85, 98 raphe(s) magnus 86, 98 raphe(s) obscurus 86, 98 raphes(s) pontis 85, 98 ruber 74, 98 septalis/septi 241 septi medialis 88, 98, 326 striae terminalis (NST) 582 subthalamicus 77, 81, 99, 121 suprachiasmaticus (SCN) 86, 609 supraopticus 610 tegmentalis posterior dorsalis 108, 125 thalami 120, 121, 336 ventralis anterior 103, 104, 121, 125 ventralis lateralis 81, 103, 104, 121 ventralis posterior (ventrobasalis) 101, 103, 104, 121, 506, 510 ventralis posteromedialis 101, 103, 104, 121 ventralis posteromedialis (Nucleus arcuatus) 531, 609 ventromedialis (hypothalami, VMH) 489, 610, 611, 612, 621

Oberflächenkarte von Brodmann 145–147 – Brodmann-Areale 144–146 – Brodmann-Areale 1–3 (primärer somatosensorischer Cortex) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 – Brodmann-Areale 2, 5 (übergeordneter – sekundärer – somatosensorischer Cortex) 134, 137, 167, 617 – Brodmann-Areal 4 (primärer motorischer Cortex) 75, 80–82, 104, 129–130,

816

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

133, 135–137, 139, 146, 149, 151, 154– 155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 – Brodmann-Areale 6, 8 (übergeordneter – sekundärer – motorischer Cortex) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167 – Brodmann-Areale rostral zu 6 (präfrontaler Assoziationscortex) 118, 133, 161– 163, 167, 168 – Brodmann-Areale 9, 10 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 – Brodmann-Areal 11 148 – Brodmann-Areale 11, 23, 24, 28, 38 (limbischer Assoziationscortex) 118, 125, 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areal 17 (V 1, Area striata, primärer visueller Cortex, Streifencortex) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687– 688 – Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21 (übergeordneter – sekundärer – visueller Cortex, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137– 140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 – Brodmann-Areal 22 (Wernicke-Zentrum, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 – Brodmann-Areal 33 (Gyrus cinguli, cingulärer Cortex) 88, 107, 114, 116–119, 122, 123, 125, 126 – Brodmann-Areal 39 (Gyrus angularis, Lese- und Schreibzentrum) 152, 163, 166, 171 – Brodmann-Areale 39, 40, 19, 21, 22, 37 (parietal-temporal-okzipitaler Cortex) 161–163, 167, 168 – Brodmann-Areale 41, 42 (primäre Hörrinde, primärer auditorischer Cortex) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167 – Brodmann-Areale 44, 45 (Broca-Areal, motorisches Sprachzentrum) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – Brodmann-Areale 46, 47 (mittleres Stirnhirn) 146, 148 Oberflächenschmerz 509

oberflächliche Kerngruppe der Amygdala (corticomediale Amygdala) 111, 124, 127, 165, 169, 476, 590, 592 Oberflächen-Volumen-Verhältnis 189 Oberschlundganglion 187 Ob-Gen 497, 498 Objekterkennung 331 Ob/ob-Mäuse 497, 498 Off-Bipolarzellen, Retina 398, 399, 400, 401 Off-Ganglienzellen, Retina 390, 398, 400, 401, 402, 421, 422 Off-Zentrum-Zellen 390, 391, 393, 398, 404, 420, 421, 422 Ohm, Einheit 216 Ohmsches Gesetz 217 Ohr – Aufbau des Ohres 140–141 – emotionales Ausdrucksverhalten, Hund 564 – Hörwahrnehmung 102, 120, 140, 143, 144, 685 Okulomotorik (Augenbewegungen) 66, 97, 165, 166 – Augenbewegungsnerv 69 – Augenfolgebewegungen 72, 96 – Gyrus frontalis superior 146, 166 – Hirnstamm 458 – im Schlaf 347, 349, 368, 523–524 – Mittelhirn 66, 97 – Kleinhirn 72, 96 Okzipitallappen (Lobus occipitalis, Hinterhauptslappen) 87, 130, 131, 133, 137, 165, 166, 333, 350, 353, 368, 406, 435 olfaktorisches System (Riechsystem) 127, 128, 459, 469 – Amygdala 111, 112, 114, 123, 124, 127, 165, 169, 468, 476 – bewußte Geruchswahrnehmung 128 – Bulbektomie (Riechkolbenentfernung) 464 – Bulbus olfactorius (Riechkolben) 66, 111, 124, 127, 156, 165, 169, 464, 471, 472, 473, 474, 476, 477 – Bulbus olfactorius accessorius (Nebenriechkolben) 468, 469, 611 – entorhinaler Cortex 75, 107, 114, 123, 127, 169, 325, 476 – Evolution 374, 460, 476 – Geruchsgedächtnis 333

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Geruchsrezeptoren 460, 462, 469, 471, 473, 474 – Geruchsstoffe 460, 470, 476 – Geruchsverarbeitung 353, 471, 473, 474, 475 – Geruchswahrnehmung 131, 353, 460, 463, 464, 465, 466, 469, 470, 471, 476 – Habenula 102, 120 – Hippocampus 114, 123, 476 – Kommunikation über Gerüche 461, 463, 464, 466 – limbisches System 111, 116, 127, 374, 459 – Neocortex 114, 123, 127, 128, 477 – Nervus olfactorius (Riechnerv) 69, 111, 468 – neuronale Ensembles 472–473 – perirhinaler Cortex 169, 325 – Pheromone 111, 124, 461, 463, 464, 465, 467 – primäre Riechrinde 127, 471, 473 – primärer olfaktorischer Cortex (Riechrinde) 471, 473, 474 – Rhinencephalon (Riechhirn) 42, 114, 123, 127, 165, 169, 325, 331, 473 – Riech-Gene 460, 469, 470 – Riechschleimhaut (olfaktorisches Epithel, Riechepitel) 126, 199, 460, 463, 470, 472 – Riechsinneszellen (Geruchssinneszellen) 460, 469, 470, 471, 472 – Riechsystem (olfaktorisches System) 127, 128, 459, 469 – Schaltsystem 102, 120 – Sexualität 111 – Sinneshaare (olfaktorische Sensillen) 461 – Tractus olfactorius 111 – Trigonum olfactorium (Geruchsdreieck) 111 – und Emotionen 459, 465 Oligodendrocyt(en) 198, 202, 203, 265 Oliva superior (Olivenkomplex) 143, 144, 170 On-Bipolarzellen, Retina 398, 399, 400, 401 On-Ganglienzellen, Retina 390, 393, 398, 400, 401, 421, 422 Ontogenese 18, 177, 595 On-Zentrum-Zellen 390, 391, 392, 393, 404, 420, 421, 422 operante Konditionierung 304, 305, 310 Ophthalmologe 385

817

Opiate/Opioide – Abhängigkeit 517, 522 – Belohnungssystem 109, 512, 530, 531– 532 – Drogenmißbrauch 228, 550 – Emotionen 518, 581, 584 – endogene 109, 228, 229, 236, 512–513, 515, 518–519, 520, 530, 531 – Heroin, Strukturformel 518 – Inaktivierung 520 – Morphin, Strukturformel 518 – Schmerzmodulation 512, 515, 516, 517 – Übersicht 236 – und Eßverhalten 492 Opiatrezeptoren/Opioidrezeptoren 110, 111, 123, 166, 228, 512, 515, 516, 518, 519, 520, 530, 531 – Bindung von Morphin und Heroin 228, 518–519 – Bindung von Naloxon 228 – Inaktivierung der endogenen Opioide an den Rezeptoren 520 – im DA-System 531 – limbisches System 110, 123, 228, 512, 515, 518 – Lokalisation im Gehirn 110, 123, 228, 512, 515, 516, 530 Opium 516, 520 optisches System s. visuelles System optische Täuschung – Kanizsa 443 – Müller-Lyer 442–443 – Ponzo 431 orbitofrontaler Cortex 118, 125, 146, 168, 590, 593, 611, 613 Organisation, hierarchische – hierarchisch, funktionell untergliedert und parallel 144, 148, 428, 429 – Vorstellung von Jackson 67 – Vorstellung von McLean 68 Organellen 195 Organtransplantation – zweiter Magen, Tierversuch 41 – Neuronen 266–267 Orientierung – orientierunsspezifische Neuronen (Kantenreize) 137, 407, 409, 410, 411, 413, 414, 415, 418, 425, 437, 438 – phototaktische 376

818

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Östradiol 600, 601, 603, 604, 606 Östrogene – Definition 599–600 – Östrogenrezeptoren 607 – sekundäre Geschlechtsmerkmale 596, 601, 619, 620 – Sexualverhalten 466, 605, 606 – weiblicher Zyklus 601, 603 – Nebennierenrinde 600 Östrogen-Ersatztherapie 620 Östrogenrezeptoren 607 ovales Fenster (Fenestra vestibuli, Vorhoffenster) 141, 170 Ovarektomie 606 Ovarien (Eierstöcke) 596, 597, 600–603, 606, 620 Ovidukt (Eileiter) 596 Ovulation (Eisprung) 603 Oxytocin 236, 584, 606, 615, 693, 695 Pädophilie 613 PAG (periaquaeductales Grau, Zentrales Höhlengrau, Griseum centrale) – Alkoholismus 545 – Erwartungssystem 581 – gelernte Furcht und Angst 94, 100 – limbisches System 108, 112, 125 – Paniksystem 583 – Schmerzempfinden und –kontrolle 94, 97, 100, 112, 510, 512, 516, 545, 546 – und lebenswichtige Funktionen 95, 100, 108 – und Sexualverhalten 612 – Verhaltenssteuerung 95, 691 – Verschaltung mit Amygdala 94, 112, 582, 685, 691 – Verschaltung mit Hypothalamus 94, 582 – Wirkung von Opiaten 531 – Wutsystem 582 Palaeocortex 127, 156, 164, 165, 169 Palaeopallium (Altmantel) 126, 127, 164 Palliativmittel 522 Pallidum (Globus pallidus) – Verbindung zum Thalamus 116 – Motorik 81, 99 – Teil der Basalganglien 77, 99, 122, 126 – und GABAerges System 90 – und Läsionen des LH 491

Pallium (Endhirnmantel) 126, 127, 164 – Archipallium (Urmantel) 126, 127, 164 – Palaeopallium (Altmantel) 126, 127, 164 – Neopallium (Neumantel) 126, 127, 164 Panik, Basisemotion nach Panksepp 581, 583, 630 Panikattacke 677 Paniksystem 583–584 Pankreas (Bauchspeicheldrüse) 249, 498 Papez-Neuronenkreis 116–118, 323, 324, 326, 574, 575, 576, 679 para 120 paradoxer Schlaf 348–349 Paraflagellarkörper, Euglena 376 parahippocampaler Cortex (Gyrus parahippocampalis) 107, 110, 114, 119, 122, 123, 128, 165, 166, 168, 169, 310, 325 Parallaxe 430 Parallelstellung der Augen 430 Parallelverarbeitung 148, 151, 375, 427, 428, 429, 450, 577, 578, 590 Paranoia 335, 528, 632, 633 Parasympathicus 188, 249–251 Parathormon (Parathyrin, PTH) 190–191 Parathyrin (Parathormon, PTH) 190–191 paraventricularer Kern (Nucleus paraventricularis hypothalami) 490, 491, 492, 610, 693, 694, 696, 697, 698 parietaler Cortex 64–65, 81–82, 87, 104, 106, 121, 125, 130, 133, 162, 165, 166, 167, 168, 174, 353, 357 Parietallappen (Lobus parietalis, Scheitellappen) 81, 87, 125, 130, 131, 133, 162, 165, 166, 167, 168, 174, 333, 353, 355, 357, 617 parietal-temporal-okzipitaler Assoziationscortex 104, 121, 161–163, 167, 324, 338, 340, 575, parietal-temporal-okzipitaler Cortex 131, 161, 163, 167, 340 Parkinson-Erkrankung – Bewegungsarmut 81 – dopaminerge Systeme 76, 79, 81, 99, 254 Pars – compacta (Substantia nigra) 76, 82, 84, 88, 99 – reticulata (Substantia nigra) 76, 99 Parvo-Blob-Bahn 424 Parvo-Interblob-Bahn 424, 425 parvozelluläre Bahn 403

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Pawlowsche Konditionierung, Tierversuche 38, 300, 302 Pax-6-Gen, Augenentwicklung 377–378 P-Bahn (Was-Bahn, ventrale Bahn) 403, 425, 429, 430 PCP (Phencyclidin, Engelsstaub) 313 PDGF (platelet-derived growth factor, Blutplättchen-Wachstumsfaktor) 265 Pedunculi, Faserstränge 65, 96 Penisbeschneidung 619 Peniseichel (Glans penis, Penisspitze) 597 Peniserektion 613 Penisschaft (Corpus penis) 597 Peptide – Aβ-Peptide, Alzheimer-Erkrankung 341 – Ladungen 520 – Synthese 195 Peptidhormone 594–595 Peptidtransmitter (neuroaktive Peptide, Neuropeptide) – ACTH 335 – Definition 236 – Evolution 180 – Galanin 236, 492 – Neuropeptid Y (NPY) 236, 492, 493, 500 – Neurotensin 236, 582 – Übersicht 236 periaquaeductales Grau (PAG, Zentrales Höhlengrau, Griseum centrale) – Alkoholismus 545 – Erwartungssystem 581 – gelernte Furcht und Angst 94, 100 – limbisches System 108, 112, 125 – Paniksystem 583 – Schmerzempfinden und –kontrolle 94, 97, 100, 112, 510, 512, 516, 545, 546 – und lebenswichtige Funktionen 95, 100, 108 – und Sexualverhalten 612 – Verhaltenssteuerung 95, 691 – Verschaltung mit Amygdala 94, 112, 582, 685, 691 – Verschaltung mit Hypothalamus 94, 582 – Wirkung von Opiaten 531 – Wutsystem 582 Perilymphe 141, 142, 170 Periodik, 25stündig 343 periphere Bahn 220, 269

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peripheres Nervensystem (PNS) 188, 247, 248 perirhinaler Cortex (Cortex perirhinalis) 169, 325 Permeabilität – Gefäßpermeabilität 511 – Ionen 202, 208, 210, 211, 213, 214, 226, 313 Persönlichkeit – Gene/Umwelt 173 – Erinnerungen/Erfahrungen 323, 666 Persönlichkeitsmerkmale 325 Persönlichkeitsveränderungen – Alzheimer-Erkrankung 39, 340 – Hirnläsionen 32–33, 44, 154, 332 – Linkshänder 156 – Sucht 522, 536, 542, 545 PET (Positronen-Emissions-Tomographie) 336, 356, 358, 417, 440, 542, 613 Peyote-Kaktus 555 Pfeilgift, Curare 227–228, 239 Pfortader- oder Portalgefäßsystem, Hypophyse 696 Pfortaderblutstrom 696 Phantomschmerz 506, 507 Pharmaka – Angststörungen 702, 703, 707 – Cholinerge 239 Pharmakonwirkung – psychopharmakologische Tierversuche 40–41 – Mechanismen 233, 235 Phencyclidin (PCP, Engelsstaub) 313 Phenmetrazin (Preludin) 526 Phenylethanolamin-N-Methyl-transferase 247 Pheromone 111, 124, 461, 463, 464, 465, 467 Pobie(n) 302, 640, 645, 647 Phosphatgruppe 204, 554 Phospholipid-Doppelschicht 204, 205, 206, 208, 216, 594, 595 Phospholipide 204, 205 Phosphorsäure 204 Phosphorylierung 295, 297, 338 Photon (Lichtteilchen) 381 Photorezeptor (Lichtsinneszelle) 376, 378, 379, 380, 382, 383, 387, 388, 389, 393, 394, 395, 397, 399, 400, 406, 456, 471 Phrenologie 35, 67 Phylogenese 18, 177, 261, 564

820

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Physostigmin (Eserin) 239 Pia mater 268 Pigmentfleck, Geißeltierchen 377 Pigmentzelle 379 Pilze 239, 465, 554, 556, 557, 560, 561 piriformer Cortex (Cortex piriformis) 471, 476 Plaques 39, 338, 340 Plättchenwachstumsfaktor (PDGF, plateletderived growth factor) 265 Plastizität – arme/reiche Ratten 279–280 – chemische Synapsen 180 – erfahrungsabhängige 273, 316, 319, 536, 616, 624 – lebenslange 173, 174 – molekulare Grundlage 316, 317 – Prägung 278–279 – somatosensorischer Cortex 318, 506 – soziale Deprivation 279–280, 616 – visuelles System, kritische Phase 277– 278 – weibliches Gehirn 160, 611, 624 platelet-derived growth factor (BlutplättchenWachstumsfaktor, PDGF) 265 Placenta 361, 538, 551 Placentalia (Placentatiere) 361, 363, 368 PNS (peripheres Nervensystem) 188, 247, 248 Polarisation, dynamische 199 polarisiertes Licht 385, 387 Polyethismus 266, 308 Polygenismus 18, 20 polymodal 511 Polyp 180, 182, 184, 186, 187, 190 Pons (Brücke) – Entwicklung 63 – Formatio reticularis 72, 91–92, 97 – Funktion 65, 72, 91–92, 96 – Lage im Gehirn 63, 64, 65, 72, 91–92, 96 – Läsionen, Tierversuche 350 – Nucleus raphes pontis 85, 91, 98 – PGO-Erregungen (Pons-geniculatumoccipitalis-Erregungen) 350, 368 – Ponto-Cerebellum 72, 97 – ponto-mesencephaler-tegmentaler Komplex 88 – REM-On-Neuronen im Pons 349, 351, 357

– Substantia nigra 76, 99 – und Träume 350, 354, 357 Portalgefäßsystem (Pfortadersystem), Hypophyse 696 positive Rückkopplung (positives Feedback) 214, 570, 573, 574, 581, 604, 693 Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 336, 356, 358, 417, 440, 542, 613 posterior 71, 96 posterior-parietaler Cortex 81 postganglionäres Neuron 680 postganglionäre Synapsen 251, 252 postmitotisches Neuron 266, 272 postnatale Entwicklung, Alkoholabhängigkeit der Mutter 318 postoperativer Schock, Tierversuch 36 postsynaptische Membran 219, 221, 223, 225, 232, 366 postsynaptische Rezeptoren 230, 252, 339, 533 postsynaptisches Potential 223, 224, 225, 226, 232, 243, 312, 542 postsynaptische Zelle 196, 219, 221, 223, 232, 233, 249, 251, 253, 269, 270, 271, 313, 316, 366, 533, 542 posttraumatische Belastungsstörung (posttraumatisches Streß-Syndrom) 620 Potential – Aktionspotential 198, 199, 202, 204, 208, 212–218, 221, 223–226, 229, 232, 242, 243, 252, 254, 293–295, 313, 390, 394, 399, 462, 481, 542, 551 – elektrisches 208 – EPSP (exzitatorisches postsynaptisches Potential) 223–226, 242, 312, 542, 544 – Gleichgewichtspotential 209, 210, 211, 213, 214, 215, 226 – IPSP (inhibitorisches potsynaptisches Potential) 225, 226, 243 – Membranpotential 180, 213, 214, 221, 224, 226, 395 – MEPP (Miniaturendplattenpotential) 223 – Nachpotential 212, 214 – Nernst-Potential 209 – postsynaptisches Potential 223, 224, 232 – Potentialdifferenz (Spannung) 217 – Ruhe(membran)potential 208, 210, 211, 212, 214, 215, 218, 224, 225

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Schwellenpotential 215, 224, 226 – synaptisches Einheitspotential 223 präoptisches Areal (Hypothalamus) 484, 485, 583, 601, 607, 609, 610, 611, 612 präfrontaler Assoziationscortex 118, 148, 161–163, 167–168, 338 präfrontaler Cortex 35, 75, 81–82, 92, 106, 118, 122, 146, 168, 326–328, 332, 333, 338, 339, 351, 357, 361, 363, 368, 429, 430, 491, 529–531, 533, 534, 542, 546, 551, 584–588, 592, 673, 674, 687, 689, 693 Prägung 278, 279, 318, 668 Präkambrium 178, 181, 381 prämotorischer Cortex 161–162, 167, 588 prämotorisches Areal (lateraler prämotorischer Cortex) 80–82, 137, 161–163, 167 pränataler Einfluß von Sexualhormonen 623 Prärie-Wühlmaus (Microtus ochrogaster) 614, 615 prästriär Cortex 415, 425, 449 präsynaptische Autorezeptoren 540 präsynaptische Bahnung (Verstärkung) 294, 314, 316 präsynaptische Depolarisation 223 präsynaptische Endigung 199, 219, 221, 223, 225, 232, 233, 239, 243, 252, 253, 255, 293, 297, 533, 551 präsynaptische Membran 221, 251 präsynaptischer Einstrom von Calciumionen 316 präsynaptische Zelle 196, 232, 234, 249, 251, 252, 269, 270, 280, 293, 312, 313, 366, 542, 680, 681, 691 Praxiten 705 primäre Dyaden, Emotionen 580 primäre Emotion 586 primäre Geschlechtsmerkmale 601, 602 primärer auditorischer Cortex (primäre Hörrinde, Brodmann-Areale 41, 42) 131, 140, 149, 163, 165, 166, 167, 684–687 primärer Botenstoff (First Messenger, erster Botenstoff, Transmitter) 229, 230 primärer motorischer Cortex (BrodmannAreal 4) 75, 80–82, 104, 129–130, 133, 135– 137, 139, 146, 149, 151, 154–155, 162–163, 165–166, 171, 349, 450, 474, 588, 674 primäre Riechrinde 127, 471, 473 primärer olfaktorischer Cortex (Riechrinde) 471, 473, 474

821

primärer somatosensorischer Cortex (Brodmann-Areale 1–3) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 primäre somatosensorische Bahn (mediales Lemniscussystem, Hinterstrangsystem, Lemniscus medialis) 504–507 primärer visueller Cortex (V 1, Area striata, Streifencortex, Brodmann-Areal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423– 427, 434–437, 448, 687–688 primäres sensorisches Schmerzneuron 505, 510, 512 Primaten – Drei-Farbsehen 385–386 – emotionales Ausdrucksverhalten 564, 567, 569 – Gehirn 261, 274 – Hörsystem 144 – Myasthenia gravis-Forschung 228–229 – Nahrungsaufnahme 487 – Partnerverhalten 614 – Pyramidenbahn 129 – reiches/armes Milieu, Tierversuche 280 – Riechsystem 127, 469, 476 – Schlaf 344–345 – Theta-Rhythmus 364 – Tiefenwahrnehmung 446 – Tierversuche, allgemein 40 – Tierversuche am Harlow-Institut 668– 671 – visuelles System 385, 403, 446 – s. a. Rhesusaffen Primordialgonaden 596, 597 Prinzip – Alles-oder-Nichts-Prinzip, Aktionsweiterleitung 198, 215 – Kausalitätsprinzip 308 – Lustprinzip 109, 308, 502, 534, 535, 646, 654 – Prinzip der Antithese, emotionaler Ausdruck 563, 564 – Prinzip der dynamischen Polarisation, Neuronen 199 – Prinzip der Feindvermeidung 632, 633 – Prinzip der Spezifität der Verknüpfungen, Neuronen 199 – Prinzipien des emotionalen Ausdrucks 563

822 – – – – –

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Prinzip von Versuch und Irrtum 304 Schlüssel-Schloß-Prinzip 227, 233, 518 PRL (Prolactin) Basisemotionen 583–584, 603 weiblicher Zyklus, Schwangerschaft 603–604 Procain 524 Progesteron 600, 603 Progesteronderivat 621 Prohormon (Vorläuferhormon) 697 Projektionsbahnen (-fasern) 90, 128, 133, 135, 166, 169 Projektionsinterneuronen 201 Projektionskarten 135, 139 Projektionsneuronen 90, 266 Prokaryoten 195 Prolactin (PRL) – Basisemotionen 583–584, 603 – weiblicher Zyklus, Schwangerschaft 603–604 Propanolol 706 Prosencephalon (Vorderhirn) 30, 66, 109, 120, 164, 241, 260, 261, 263, 279, 348, 350, 351, 357, 530 – basales Vorderhirn 88, 98, 324, 326, 332, 340, 491, 537, 546, 583, 586, 587, 592, 609 – limbisches Vorderhirn 111, 694 Prostaglandin 511 Prostaglandine 511 Prostata 511 Proteasen 544 Proteine 33, 97, 195, 198, 208, 215, 229, 241, 297, 316, 492, 544, 574, 594, 595, 682 – Agrin 270 – Alpha-Fetoprotein 596 – Apolipoprotein 339 – ARIA 270 – Bindungspoteine 464 – CREB-Protein 297 – fibrilläre 196 – Follistan 263 – Glycoproteine 206, 270, 574, 594 – G-Protein 230, 294, 395, 551 – integrale Membranproteine 205 – Lipoproteine 339 – Milchprotein 603 – Noggin 263 – periphere Membranproteine 205 – Regulatorproteine 297

– – – –

Substratproteine 295, 297 Syntaxin 317 Tau-Protein 338, 340 Transmembranproteine 205, 206, 215, 219, 227 Proteinexpression 229 Proteinhormone 497 Proteinionen und Membranpotential Proteinkinase 230, 295–297, 313, 314, 316, 551 – calciumabhängige 313–314 – cAMP-abhängige 230, 295, 296, 297, 313–314, 316, 551 Proteinmolekül 205, 206 Proteinsynthese 195, 229, 297, 328, 595, 596 Protist (Einzeller) 175, 178 Proton 546 Prototheria 361 Protozoa 181 Prozac (Fluctin) 705 prozedurales Gedächtnis 327, 338 Pseudoerinnerungen 547 pseudo-unipolare Neuronen 199, 201 Pseudowut 573 Psilocin 554, 555, 558, 559 Psilocybin 554, 555, 558, 559 Psychedelika 255, 533, 537, 555, 556, 558 psychoaktive Substanzen 40, 227 Psychoendokrinologie 679 psychogene Amnesie 336, 337 pschogene Fugue 337 Psychoneuroimmunologie 708 Psychopharmaka – Angststörungen 702, 703, 707 – Cholinerge 239 Psychopharmakonwirkung – psychopharmakologische Tierversuche 40–41 – Mechanismen 233, 235 psycho-physischer Parallelismus 24, 25 Psychosen 533, 629 psychosomatische Erkrankungen 191, 227, 280, 318, 335, 343, 459, 560, 561, 564, 607, 620, 636, 666, 676, 679, 682, 692, 697, 699, 701, 708 Psychotherapie 191, 664, 665 PTH (Parathormon, Parathyrin) 190–191 Pubertät 58, 598, 618, 619, 620, 644 Pulsfrequenz 105

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Pulvinar (thalami) 101, 102, 104, 121, 427 Pupillenerweiterung 189, 239, 693 Purinbase 548 Purkinje-Zellen 201 – Kleinhirn 201, 280 Purkinje-Zellschicht, Kleinhirn 268 Putamen 76, 77, 81, 90, 99, 108, 124, 125, 545, 613, 616, 618 Pyramidenbahn (Tractus corticospinalis) 81, 82, 128, 129, 169 Pyramidenzelle(n) – Absterben von Glucocorticoiden 335, 337 – als multipolare Zelle 200 – Ammonshorn 312, 313, 366 – Großhirnrinde 201, 266, 455, 471 – Hippocampus 200–201, 312, 313, 334, 335 Pyrogene (fiebererzeugende Substanzen) 485 P-Bahn (Was-Bahn, ventrale Bahn) 403, 425, 429, 430 Quant, Transmitterquant 222, 223 Quantenphysik 192, 222, 625 Querschnitt durch Rückenmark 248 Querschnittlähmung 250, 572 Quisqualat 242, 313 Quisqualat-Kainat-Rezeptor 242, 313 Radialglia(zellen), Wanderung von Neuronen 267–268 Radikale – biologische 629 – freie 345, 346, 544 Rangordnung, soziale Dominanz 564 Ranvier-Schnürringe 198, 217 Raphe-Kerne (Nuclei raphes) – Beeinflussung des Cortex 88 – Beeinflussung durch Drogen 559 – chronischer Alkoholabusus 545, 546 – Läsionen 87 – Nucleus raphes dorsalis 85, 98 – Nucleus raphes pontis 85, 98 – Nucleus raphes magnus 86, 98 – Nucleus raphes obscurus 86, 98 – Reduktion von Neuronen, AlzheimerErkrankung 340 – REM-Off-Neuronen 351 – Schlaf 87

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– serotoninerge Neuronen 85, 98 – Serotonin-System 87, 98, 559 Rapid eye movement (schnelle Augenbewegungen) 344 – REM-Schlaf 344–345, 347–352, 354– 358, 361–365, 367–369, 524 Ratte(n) – arme/reiche Ratten, Neuroplastizität 279–280, 298, 536, 676 – Belohnungssystem 533 – Emotionsforschung, Panksepp 581 – Furchtkonditionierungsexperimente 590, 630, 683 – Gehirn, Vergleich mit anderen Tieren 131–132 – Geschlechtsunterschiede im Gehirn 607, 609 – Gewichtsregulation, Hypothalamus 489–491, 495 – Hippocampus, Vergleich mit anderen Tieren 114–115 – Hirnläsionen, Tierversuche 41, 331, 332 – Hirnreizungsexperimente 40, 366, 581 – Hörrinde 136, 137 – Lernen, Tierversuche 314, 315, 318, 331, 332, 366, 367 – motorischer Cortex 136–137 – Myasthenia gravis-Forschung 228 – Nervenwachstumsfaktor, Tierversuche 273 – psychischer Streß, Vergleich mit Mensch 691 – REM-Schlaf und Theta-Rhythmus 364, 366, 367, 369 – Scheinfütterungsexperimente 494 – Schlafexperimente 42, 92, 344, 345, 346 – Sehrinde 136, 137 – Selbstreizung im Gehirn 529 – Sexualverhalten, Tierversuche 612, 623– 624 – somatosensorischer Cortex 134, 135, 136 – Streß bei Umgebungswechsel 682 – Streß der Mutter 623 – Tiefenwahrnehmung 446 – Tierversuche zur Nahrungsaufnahme 487, 489, 491, 494, 495 – Trennung vom Muttertier, Tierversuche 531

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Wirkung von LSD, Tierversuche 559– 560 – Zahlen, Tierversuche 40 Rauchen – Cannabis 551 – Nicotin 538–539 rauhes endoplasmatisches Retikulum (ER) 195 räumliches Gedächtnis 314, 316, 331, 366 räumliche Summation 224 Rautenhirn (Rhombencephalon) 65, 96, 260, 263 Reaktion – bedingte 300, 302 483 – unbedingte 299, 300 Reaktionselement-bindendes Protein 297 Rechtshänder 155 Reflexbogen, monosynaptischer 289, 291, 293, 298 Reflex(e) – angeborene 653 – Bedingte 112 – Beugereflex 288, 291 – Fluchtreflex 292 – Hirnstamm 66, 95, 97 – Hydra 183–184 – Kiemenrückziehreflex, Aplysia 289, 290, 294, 297 – Regulation der Körpertemperatur 93 – Schreckreflex 292 – Schutzreflex 289 – Totstellreflex 631 Reflexantwort 299 reflexartiges Lernen 310 Reflexbahnen 310 Reflexbewegungen, Tierversuche 36 reflexives System 355 «Reflexmaschinen», Tiere 300 Refraktärzeit, Refraktärphase – absolute 214 – relative 214 Regel – Hebbsche Lernregel 288, 313, 471, 473 – Kleiber-Regel 487, 488 Regelgröße 483 Regelkreis 486 Regelkreisläufe – Calciumspiegel 190–191

– Nahrungsaufnahme 486, 488, 492, 493, 498 – Papez-Neuronenkreis 116–118, 323, 324, 326, 574, 575, 576, 679 – Streß 699 – Temperaturregulation 483–485 – Wasserhaushalt 190 Regelkreismodell 498 Regelmechanismen 588 Regeneration 269 Regenwurm, Nervensystem 186, 187, 188 Regio – entorhinalis (Area entorhinalis, entorhinaler Cortex) 75, 107, 114, 119, 122, 123, 127, 128, 165, 168, 169, 310, 311, 312, 325, 339, 364–365, 367, 474, 476, 477, 689 – s. a. Area – s. a. Cortex Region – CA 1-Region 123, 312–314, 316, 339, 364–367 – CA 2-Region 123 – CA 3-Region 123, 312, 313, 316, 365 – CA 4-Region 123 – Hippocampusregion 118, 125, 163, 168 – Septumregion 75, 99, 108, 109, 124 – praeoptische Region (Hypothalamus) 484, 485, 583, 607, 609, 612 Reiz (Stimulus) – Akupunkturreiz 151, 683, 684, 685, 689 – Berührungsreiz 183, 184, 200, 288, 289, 294, 504, 510, 516 – bedingter 300–306 – Belohnungsreiz 536 – Brechreiz 538, 572 – binokularer 439 – chemischer Reiz (Geruchsreiz) 111, 184, 461, 464, 474, 511 – Gesetz der spezifischen Sinnesenergien 31 – konditionierter 690 – konkurrierende Reize 457 – Schlüsselreiz 483 – Schmerzreiz 229, 511 – Streßreiz 680, 681, 685 – thermischer 511 – unbedingter 300–306, 308 – unkonditionierter 300, 581, 690

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – visueller 137, 140, 189, 269, 390, 391, 395, 396, 399, 400, 408, 413, 416, 418, 437, 439, 448, 449, 575 Reizkopplung, Licht-Ton 303 Reizung (Stimulation) – Gehirn 36, 38, 40, 163, 344, 366, 367, 516, 529, 533, 575, 581, 612, 680, 693 – Muskelzelle 271 – Selbstreizung des Gehirns 529 Relaiskern – des akustischen Systems (CGM) 104, 121 – des visuellen Systems (CGL) 104, 402 Relaisinterneurone (Projektionsinterneurone) 201 Relaisstation des Hippocampus, Subiculum 107, 113–114, 123 Relative Refraktärzeit 214 Releasing-Hormon (Freisetzungshormon) – Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH, Corticoliberin) 582, 584, 592– 593, 693–700 – Definition 693, 696 – Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) 583–584, 601, 603–605, 607, 621, 693, 694 REM-Schlaf 344–345, 347–352, 354–358, 361–365, 367–369, 524 Renin 190, 281 Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) 190 Renshaw-Zellen 240, 241 Repräsentation, corticale – Arm 133, 137, 506 – Bein 174, 506 – Gesicht 69, 104, 121, 135, 171, 437, 491, 506 – Hand 506 – Homunculus 134 – motorische 135, 136 – somatosensorische 104, 121, 130, 133, 134, 135, 136, 144, 166, 174, 586 Retikulärformation (Formatio reticularis) – ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) 344, 529 – Atmung 395 – Brechzentrum 91, 538 – Erbrechen 95 – Kreislauf 95, 100, 108

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– Lage im Gehirn 72, 74, 91, 92, 97 – (lebenswichtige) Funktionen 92–93, 95, 97, 100, 343, 344, 349, 351, 402, 480, 510, 512, 533, 538 – Locus coeruleus 84, 88, 98, 277, 340, 351, 516, 531, 545, 546, 560, 693, 699 – NA-System 84, 95, 98 – noradrenerges Bündel 84 – Raphe-Kerne (Nuclei raphes) 85, 86, 87, 88, 98, 340, 351, 545, 546,559 – Schmerzbahn 510, 512 – Serotonin-System 85, 95, 98 – Steuerung von Schlafen und Wachen 343–344, 349, 351, 402 – Übersicht 91, 92, 94 – und Suchtverhalten 532–534, 538 – Verbindung zu höheren Hirnregionen 84, 90, 535 – Verbindung zum Corpus geniculatum laterale 402 – Verbindung zum Nucleus interpeduncularis 74, 98, 535 – Verbindung zur Amygdala 591–593 – VTA (Area tegmentalis ventralis) 75, 97, 108, 109, 125, 530, 531–534, 537, 538, 581, 612 – Wachen-Schlafen 95, 100, 108 – Wutsystem 532 – s. a. Hirnstamm retikuläres Aktivierungssystem, aufsteigendes, ARAS 344, 529 Retina (Netzhaut) – Aufbau 382–383, 383–384 – Bipolarzellen 382, 388, 389, 394, 397– 400, 471 – Chemotropismus 268 – direkte Bahn 388, 393, 398, 400 – Fovea (Sehgrube) 383, 385, 388, 390, 393, 432, 433, 437 – Ganglienzellen 269, 275, 382, 388–394, 397–398, 400–404, 406, 409, 410, 421, 422, 437, 471 – Horizontalzellen 382, 388, 389, 397, 398, 399, 400, 419 – indirekte Bahn 388, 393, 397, 398, 400 – ispsilaterale 157, 403 – kontralaterale 157, 403 – nasale 157, 403 – Off-Bipolarzellen 398, 399, 400, 401

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Off-Ganglienzellen 390, 398, 400, 401, 402, 421, 422 – Off-Zentrum-Zellen 390, 391, 393, 398, 404, 420, 421, 422 – On-Bipolarzellen 398, 399, 400, 401 – On-Ganglienzellen 390, 393, 398, 400, 401, 421, 422 – On-Zentrum-Zellen 390, 391, 392, 393, 404, 420, 421, 422 – retinaler Konkurrenzkampf 438 – Sehpigment 395 – temporale 157, 403 Retinotopie, Chemoaffinitätshypothese 269, 270, 273 retrograde Amnesie 331, 336 retrograde Boten (CO, NO) 314 retrograder Transport 196 reuptake (Wiederaufnahme) 243, 533, 621, 702, 705 rezeptives Feld – Bipolarzelle 397–400 – Corpus geniculatum laterale 402, 404, 420, 421, 422 – einfache Zelle 408 – komplexe Zelle 408 – primärer visueller Cortex 275, 404, 407, 408, 409, 411, 412, 416, 420, 423, 435, 437, 448, 456 – retinale Ganglienzelle 390–393, 398, 400, 402, 404, 409, 410, 420–422 – Zentrum-Umfeld-Organisation 390– 393, 397–402, 404, 410, 420–422 rezeptiver Bereich, Neuron 199 Rezeptor(en) – Acetylcholin-Rezeptoren 227, 228, 238, 239, 240, 241, 251, 270–271, 537, 538, 540 – Adenosinrezeptoren 549 – Adrenalinrezeptoren 188–189 – Aktivierung durch Neurotransmitter 230 – α-adrenerger 705, 706 – AMPA-Rezeptor 242, 313 – Amphetaminrezeptoren 528 – Androgenrezeptor 618, 625 – Antikörper bei Myasthenia gravis 228 – Arbeitsweise 110, 179, 206, 219, 221, 227, 229, 230, 233, 234 – Autorezeptoren 540 – β-adrenerger 705, 706

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Benzodiazepine 705, 706 Chemorezeptoren 206, 221, 461, 462 Cortisol 697, 698, 699 Dopamin-Rezeptor 253, 339, 533, 545 GABA-Rezeptoren 244, 531, 540, 541, 544, 545, 549, 705, 706 Gelenksrezeptoren 437 Glucocorticoidrezeptor 335 Glutamatrezeptoren 242, 287, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 366, 367, 514, 541, 542, 544, 674 Glycinrezeptoren 287 GnRH-Rezeptor 621 Haarzellrezeptoren, Basilarmembran 142, 144, 170 Hautrezeptoren 187, 437 Leptinrezeptoren, Freßverhalten 498 muscarinerge 239, 251, 252 nicotinerger 239, 240, 241, 251, 252, 537, 538, 540 Nachweis von Rezeptoren 242, 515 NMDA-Rezeptor 242, 287, 313, 314, 315, 316, 317, 318, 366, 367, 514, 541, 542, 544, 674 Nocizeptor 510 Non-NMDA-Rezeptor 242, 313, 315, 316 Noradrenalin (adrenerge) 188–189, 253, 533, 705 NPY-Rezeptoren, Freßverhalten 492 Opiatrezeptoren 110, 111, 123, 166, 228, 512, 515, 516, 518, 519, 520 Opioidrezeptor 110, 530, 531 Östrogenrezeptor 607 Oxytocinrezeptor 615 Peptidhormonrezeptoren 594–595 Photorezeptoren 376, 378, 379, 382, 383, 387, 388, 389, 393, 394, 395, 397, 399, 400, 406, 456, 471 Quisqualat-Kainat-Rezeptor 242, 313 Riechrezeptoren 459, 460, 461, 462, 463, 469, 470, 471, 473, 474 Schmerzrezeptoren 509 Serotoninrezeptor 255, 294, 339, 558 Steroidhormonrezeptoren 595, 611 Testosteronrezeptor 607, 612, 625 THC-Rezeptor 551, 553 Thermorezeptoren 483 Vasopressinrezeptor 615

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Rezeptoraffinität 227 Rezeptorbindung 226, 227, 238, 518 Rezeptorblocker 226, 227, 228, 238, 239, 244, 542, 544, 549, 558 Rhesusaffen – Harlow-Institut, Tierversuche 668–672, 674, 676 – Schlafverhalten 344 – visueller Cortex, Tierversuche 415, 419, 420, 429, 430 Rhinecephalon (Riechhirn) 42, 114, 123, 127, 165, 169, 325, 331, 473 Rhodopsin 395 Rhombencephalon (Rautenhirn) 65, 96, 260, 263 Rhythmen, biologische – circadianer Rhythmus 343 – Herzrhythmus 703 – Schlaf-Wach-Rhythmus 347, 369 – Theta-Rhythmus 364–369 Ribose 548 Ribosom 195 Richtungshören 142–143 Riechen, limbisches System 111, 116, 127, 374, 459 Riechepithel (olfaktorisches Epithel, Riechschleimhaut) 126, 199, 460, 463, 470, 472 Riechhirn (Rhinencephalon) 42, 114, 123, 127, 165, 169, 325, 331, 473 Riechkolben (Bulbus olfactorius) – accessorius (Nebenriechkolben) 468, 611 – afferente Innervation 471–472 – Funktion 111, 124, 127, 464, 474, 475 – Geruchssinneszellen 471, 472 – Glomeruli 471–472 – kollektive Salven, Neuronen-Ensembles 473, 477 – Körnerzellen 471–472, 473 – Lage im Gehirn 66, 111, 127, 165, 169, 475 – Mitralzellen 471–472 – Verbindungen zur Amygdala 111, 124, 127, 169, 476 – Verschaltung mit Riechrinde 474, 476, 477 Riechkolbenentfernung (Bulbektomie) 464 Riechnerv (Nervus olfactorius) 69, 111, 468

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Riechrezeptoren 460, 462, 469, 471, 473, 474 Riechrinde – primäre 127, 471, 473 – primärer olfaktorischer Cortex (Riechrinde) 471, 473, 474 Riechschleimhaut (olfaktorisches Epithel, Riechepitel) 126, 199, 460, 463, 470, 472 Riechsinneszellen (olfactorische Neurone, Geruchssinneszellen) 460, 469, 470, 471, 472 Riechsystem (olfaktorisches System) 127, 128, 459, 469 – Amygdala 111, 112, 114, 123, 124, 127, 165, 169, 468, 476 – bewußte Geruchswahrnehmung 128 – Bulbektomie (Riechkolbenentfernung) 464 – Bulbus olfactorius (Riechkolben) 66, 111, 124, 127, 156, 165, 169, 464, 471, 472, 473, 474, 476, 477 – Bulbus olfactorius accessorius (Nebenriechkolben) 468, 611 – entorhinaler Cortex 75, 107, 114, 123, 127, 169, 325, 476 – Evolution 374, 460, 476 – Geruchsgedächtnis 333 – Geruchsrezeptoren 460, 462, 469, 471, 473, 474 – Geruchsstoffe 460, 470, 476 – Geruchsverarbeitung 353, 471, 473, 474, 475 – Geruchswahrnehmung 131, 353, 460, 463, 464, 465, 466, 469, 470, 471, 476 – Habenula 102, 120 – Hippocampus 114, 123, 476 – Kommunikation über Gerüche 461, 463, 464, 466 – limbisches System 111, 116, 127, 374, 459 – Neocortex 114, 123, 127, 128, 477 – Nervus olfactorius (Riechnerv) 69, 111, 468 – neuronale Ensembles 472–473 – perirhinaler Cortex 169, 325 – Pheromone 111, 124, 461, 463, 464, 465, 467 – primäre Riechrinde 127, 471, 473 – primärer olfaktorischer Cortex (Riechrinde) 471, 473, 474

828

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Rhinencephalon (Riechhirn) 42, 114, 123, 127, 165, 169, 325, 331, 473 – Riech-Gene 460, 469, 470 – Riechschleimhaut (olfaktorisches Epithel, Riechepitel) 126, 199, 460, 463, 470, 472 – Riechsinneszellen (Geruchssinneszellen) 460, 469, 470, 471, 472 – Riechsystem (olfaktorisches System) 127, 128, 459, 469 – Schaltsystem 102, 120 – Sexualität 111 – Sinneshaare (olfaktorische Sensillen) 461 – Tractus olfactorius 111 – Trigonum olfactorium (Geruchsdreieck) 111 – und Emotionen 459, 465 Riesenaxon, Tintenfisch 217 Rinde s. Cortex Ritalin (Methylphenidat) 527 RNA 595 rostral 71, 96 Rot-Grün-Unterscheidung, Wahrnehmung 385 – Evolution 385–386 Rot-Zapfen 387, 418–424 Rückenmark (Medulla spinalis) – Benzodiazepinrezeptor 705 – Entwicklung 260, 263 – Funktion 72, 96 – Glycin 242 – Lage 60, 63, 65 – Nervenbahnen 74, 81, 98, 128, 129, 166, 169, 200, 201, 240, 248, 249, 251, 504, 509, 510, 512, 513, 515, 529 – Opioidrezeptoren 512 – Querschnitt durch Rückenmark 248 – Querschnittlähmung 250, 572 – Segmentierung 263 – spinales Tier 41 – thermosensitive Nervenzellen 93, 483 – Zentralnervensystem 187, 188, 223, 247 Rückkopplung (Feedback) – positives 214, 570, 573, 574, 581, 604, 693 – negatives 191, 240, 486, 497, 498, 601, 604, 698 – vegetatives und somatisches 572, 573, 707

Rückkopplungshemmung (negative Rückkopplung) – Endorphine 604 – Cortisol 698 – Dopamin 604 – Fetthaushalt, Leptin 486, 497–498 – Hypothalamus-Hypophyse 191 – Östrogen 601 – Renshaw-Neuron 240 – Testosteron 604 Rückkopplungsschleifen – im Gehirn 68 – im Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-System 105, 191, 601, 604, 697, 698, – im olfaktorischen System 471 – im Thalamus 66 Rückkopplungssystem, positives – CRH 693 – emotionales Erleben 570, 573, 574, 581 – Membranpotential 214 – Noradrenalin 604, 693 Rückwärtshemmung – Interneurone, Rückenmark 240 – Körnerzellen 471 Rückziehreflex, Aplysia 289, 290, 294, 297 Ruheleitfähigkeit 210 Ruhemembrankanäle 208 Ruhe(membran)potential 208, 210, 211, 212, 214, 215, 218, 224, 225 rundes Fenster (Fenestra cochleae, Schneckenfenster) 142, 170 sagittal 71, 96, 489 saltatorische Erregungsleitung 218 Samenblase (Vesicula seminalis) 596 Samenleiter (Vas deferens) 596 Samenzellen (Spermazellen) 50, 603 Sättigung 492, 496, 582 Sättigungszentrum 489, 490, 491, 610 Sauerstoff – Atomphysik 190 – Dissimilation 195 Sauerstoffmangel, Gehirn 172 Sauerstoffversorgung – Evolution 190 – Gehirn 172, 237 – Sympathicus 189

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Säuger – Beuteltiere (Marsupialia, Metatheria) 361, 362 – Höhere Säugetiere (Placentalia, Placentatiere, Eutheria) 361, 363, 368 – Kloakentiere (Monotremata, Prototheria) 361, 362 Scala – media 142, 170 – tympani 142, 170 – vestibuli 142, 170 Schaffer-Kollateralen 312–313 Schallübertragung, Gehörknöchelchen 141, 170 Scheitellappen (Parietallappen, Lobus parietalis) 81, 87, 125, 130, 131, 133, 162, 165, 166, 167, 168, 174, 333, 353, 355, 357, 617 Schichtarbeit 343 Schielen (Strabismus) 278, 438, 457 – schielende Katzen, Tierversuche 449 Schilddrüse 93, 191, 606 Schilddrüsenhormone 93 – Calcitonin 191, 236 Schimpanse (Pan) 386, 469, 566, 567, 614 – Zwergschimpanse (Bonobo) 636 – Symbolsprache Schizophrenie – Dopamin-System 76, 87, 109, 254,524 – Kleinhirn 73 – präfrontale Fehlsteuerung 146 – schizophrene Bewußtseinszustände 164, 528 Schläfenlappen (Lobus temporalis, Temporallappen) 37, 87, 113, 114, 115, 123, 125, 130, 131, 133, 140, 156, 157, 162, 163, 165, 169, 309, 310, 316, 324, 328, 329, 330, 331, 333, 336, 338, 353, 354, 355, 357, 416, 457, 575, 584, 592, 673, 688 Schlaf – EEG 347, 361, 363 364 – Epiphyse 58, 102, 120, 255, 343 – Evolution 343 – Experimente 42, 92, 529 – Funktion 344, 346, 349, 363, 364, 367– 369, 342 – Hirnstamm 66, 92, 95, 100, 108, 343, 344, 349 – Hypothalamus 86, 105 – Melatonin 58, 102, 120, 255, 343

– – – – –

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Non-REM-Schlaf 348, 350, 352, 357 Nucleus suprachiasmaticus 86 paradoxer 348 Raphe-Kerne 87 REM-Schlaf 344–345, 347–352, 354– 358, 361–365, 367–369, 524 – Serotonin 87, 254–255 – Tiefschlaf 346, 347, 348 – Theta-Rhythmus 364–369 – Traum 349, 352 Schlafbedürfnis 342, 345, 480, 527 Schlafdauer 342, 344, 345 Schlafentzug 42, 92, 344, 346 Schlafmittel 703 Schlafmohn 516, 517 Schlafmuster 102 Schlafneuronen 348, 349 Schlafphasen 346–349, 367 Schlafstörungen 549, 702 Schlaf-Wach-Rhythmus 343 Schlucken 95 Schlüsselreiz 483 Schüssel-Schloß-Prinzip 227, 233, 518 Schmecken 470, 560 Schmerz(en) – affektive Komponente 94, 510, 515, 518 – Akupunktur 520–521 – als Reizart 31, 229, 509, 511, 512, 514, 515 – bei Operationen am Gehirn 434 – Beschneidung 619 – Bradykinin 511 – chronischer 521–522, 682 – Druckschmerz 521 – endogene Opiate 228, 512, 513, 515, 516, 519, 520 – Entzündungen 511 – erster 509 – Evolution 628 – Folter 94, 95 – Funktion 507 – Haut 509, 510, 514 – im Gehirn 40, 434, 510 – Inselcortex 165, 616 – Hirnstamm 510, 512, 515 – Kinine 511 – Kopfschmerz 516 – kurz, stechend 509, 511, 516 – lang, ausstrahlend 509

830

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– limbisches System 94, 95, 110, 502, 504, 510, 512, 515, 516 – Nociceptoren 510, 511 – Oberflächenschmerz 509 – Phantomschmerz 506–507 – Rezeptoren 509–511 – Schmerzneuronen 200, 510, 512 – Schutzreflex 289 – subjektiver 94 – Substanz P 582 – Tiefenschmerz 509 – Tierversuche 36, 40, 42, 434 – Verbrennungen 514 – und Emotionen 94, 95, 510, 515, 518, 676 – und Krieg 517–518 – und Streß 507, 515, 522, 682 – zweiter 509 Schmerzbahnen – C-Fasern 510–513 – Hinterstrangsystem (mediales Lemniscussystem, primäre somatosensorische Bahn, Lemniscus medialis) 504–507 – langsam 509–512, 687 – schnelle 509–512, 516, 687 – Vorderseitenstrang (anterolaterales System) 507–508, 529 Schmerzgedächtnis 506, 510, 515 Schmerzempfindungen 42, 94, 97, 200, 228, 286, 289, 299, 504, 506–507, 509–510, 512, 515, 516, 545, 561 Schmerzkontrolle – Interneurone, Rückenmark 514–515 – Zentrales Höhlengrau 94, 97, 100, 112, 510, 512, 516, 545, 546 Schmerzmodulation – Interneurone 514–515 – Opiate 512, 515, 516, 517, 510, 520 – Serotonin 514–515, 694 Schmerztherapie – Akupunktur 520–521 – Endorphine 228, 512, 513, 515, 516, 520 – Morphine 517–518, 523, 536 – operative 522–523 – Schmerzmittel 509, 522, 523 Schmerzüberempfindlichkeit 509 Schnabeltier 361 Schnecke (Cochlea) 69, 141–143, 170

Schneckenfenster (rundes Fenster, Fenestra cochleae) 142, 170 schnelle synaptische Übertragung 89, 219, 240, 253, 254, 277, 514 – exzitatorische 220, 221, 223, 229, 230, 242, 512 – inhibitorische 225, 230, 242 Schnurrhaare 135, 367 Schnürringe 198, 217, 218 Schreckhaftigkeit 693 Schreckmauser 635 Schreckreaktion 112, 331, 563, 573 Schreckreflex 292 Schrecksituation 113, 577 Schreibzentrum (Brodmann-Areal 39, Gyrus angularis, Lese- und Schreibzentrum) 152, 163, 166, 171 Schüttelfrost 485 Schutzhaut 183, 380 Schutzreflex 95, 289 Schwangerschaft 118, 317, 322, 467 Schwann-Zellen 198, 202, 203 Schwanzkern (Nucleus caudatus) 76, 77, 90, 99, 108, 124, 125, 616, 618 Schwarze Substanz (Substantia nigra) 76, 77, 79, 81, 82, 84, 88, 89, 90, 99, 339, 491 Schwellenpotential 215, 224, 226 SCN (Nucleus suprachiasmaticus) 86, 609 Scrotum (Hodensack) 42, 597 Second Messenger (Zweiter Botenstoff ) – cyclisches Adenosinmonophosphat (cAMP) 230–231 – cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP) 230, 395 – Sekundäre Botenstoffe (Second Messenger) 219, 229–230 Second-Messenger-Wirkung 180, 219–220, 229, 230, 242, 253, 256, 277, 295, 296, 298, 366, 395, 595 Seehase (Aplysia californica, Meeresschnecke) 287 – Habituation 291, 294, 297 – Kiemenrückziehreflex 289, 290, 297 – Nervensystem 289, 316 – Sensitivierung 294–295, 299, 297 Segmente – Rautenhirn 263 – Rückenmark 263, 572 – Strickleiternervensystem 186–187

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte Sehen – Bewegungen 140, 167, 375, 403, 404, 414–418, 424, 425, 427, 430, 441, 443, 458 – Bewegungen im Traum 353 – Bewegungskonstanz 441 – binokulare Rivalität 457 – Drei-Farbsehen 385–386 – dynamische Formen 415, 425, 427 – Ergänzungsphänomen 443 – Farbkonstanz 401, 440–441 – Formkonstanz 440 – Form und Farbe 403, 425, 429, 430 – Gesichtern 160, 311, 353, 428, 443–444 – Kantenerkennung 375, 400, 407, 408, 409, 410, 411, 413, 446, 450 – Kontrastwahrnehmung 140, 167, 391, 392, 400, 421, 422, 423, 441 – räumliches 430–437, 450 – Schielen 278, 438, 449, 457 – Sehfähigkeit verschiedener Tiere 386– 387 – Suppression 438–439 – Vier-Farbsehen 366 Sehbahn 122, 154, 169, 274, 275, 402, 406, 436, 457 – Corpus geniculatum laterale 102, 104, 121, 275, 277, 402–404, 406, 409, 411, 413, 414, 434, 437, 687 – dorsale 429, 430 – magnozelluläre Bahn 403, 414, 424 – Parvo-Blob-Bahn 424 – Parvo-Interblob-Bahn 424, 425 – parvozelluläre 403 – Was-Bahn (P-Bahn, ventrale Bahn) 403, 425, 429, 430 – Wo-Bahn (M-Bahn, dorsale Bahn) 403, 414, 424, 429, 430 Sehgrube (Fovea centralis) 383, 385, 388, 390, 393, 432, 433, 437 Sehnerv – Durchtrennung und Drehung des Auges, Frosch 269 – Nervus opticus, II. Hirnnerv 66, 69, 70, 86, 106, 121, 122, 140, 156, 269, 274, 382, 388, 402, 404, 406, 434 Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum) 86, 609 – Durchtrennung 156, 434–436 – Lage im Gehirn 106, 122, 169

831

– Sehbahn 274, 402, 434 – Tierversuche 156, 435, 437 Sehpurpur (Rhodopsin) 395 Sehreize (visuelle Reize) 137, 140, 189, 269, 390, 391, 395, 396, 399, 400, 408, 413, 416, 418, 437, 439, 448, 449, 575 Sehrinde (primärer visueller Cortex) – primäre (primärer visueller Cortex, Area striata, Streifencortex, BrodmannAreal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407– 409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – sekundäre (übergeordneter visueller Cortex, Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137– 140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 Sehschärfe 381, 385, 386, 393 Sehzelle (Photorezeptor, Lichtsinneszelle) 376, 378, 379, 380, 382, 383, 387, 388, 389, 393, 394, 395, 397, 399, 400, 406, 456, 471 Seitenventrikel 33, 34, 66, 75, 107, 124, 439 seitlicher Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale) – farbsensitive Kniehöckerzellen 420– 422, 427 – Katze 274, 275, 407 – Lage im Gehirn 101, 121 – magnozelluläre Kniehöckerzellen 405, 424, 425 – parvozelluläre Kniehöckerzellen 405, 417–418, 424, 425 – PGO-Erregungen 350, 368 – Sehbahn 102, 104, 121, 275, 277, 402– 404, 406, 409, 411, 413, 414, 434, 437, 687 – Verarbeitungsebene CGL-Cortex 275, 277, 402–404, 405, 407, 413, 414, 417, 427, 434 Sekundäre Botenstoffe (second Messenger) 219, 229–230 sekundäre Emotionen 586 sekundäre Geschlechtsmerkmale 598–599, 601, 602, 603, 618, 619 sekundärer (übergeordneter) auditorischer Cortex (Wernicke-Areal, BrodmannAreal 22, sekundäre Hörrinde) 37, 104,

832

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171, 684 sekundärer (übergeordneter) motorischer Cortex (Brodmann-Areale 6, 8) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167, 617 sekundärer (übergeordneter) somatosensorischer Cortex (Brodmann-Areale 2, 5) 134, 137, 167, 617 sekundärer (übergeordneter) visueller Cortex (Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137–140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424– 427, 436–437, 449, 458, 477 Selbstreizung des Gehirns 529 Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren (SSRIs) 621, 705 Sensitivierung 287, 294–295, 297, 299, 473, 475, 514 Septum (Septumkerngebiet, Area septalis) 75, 86, 107, 114, 116, 124, 351, 364, 366, 485, 575, 611 Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT) – Abbau durch MAO 255, 538, 703 – Adenosin 549 – Aggression 87 – Alkohol 545 – als Transmitter 236, 255 – als Neuromodulator 493 – Angst 87, 582, 584, 694, 701 – Antidepressiva 702 – Bahnende serotonerge Interneuronen 294 – Biosynthese 255 – Coffein 549 – Depression 87, 339, 702 – Druckverletzung 511 – Epiphyse 86, 255, 343 – Freßverhalten 492 – Fibromyalgie 521 – Gefäßverletzung 511 – Hirnstamm 84, 88–89, 95, 123, 559, 587 – im Alter 339 – LSD 255–256, 558 – MAO-Hemmer 703 – Nahtod-Erlebnisse 255 – Nicotin 538 – Prostaglandinsynthese 511 – Raphe-Kerne 87, 98, 351, 545, 558–559

– – – – – – – – – –

Reaktionsbereitschaft 493 REM-Off-Neuronen 351 REM-Schlaf 349, 351 Schmerzhemmung 513–514, 694 Second-Messenger-Systeme 256 Sensitivierung 294, 296, 297 Serotonin-Mangel 87, 339 Serotonin-System 85–86, 256, 545, 559 Sexualverhalten 621 spinales Enkephalin-Interneuron 513– 514 – SSRIs 621, 705 – Süchte 87, 694 – Umwandlung in Melatonin 87, 102, 120, 254–255, 343 – und Psychedelika 558 – Wirkung 86, 254, 558 – Zwangsstörungen 87, 694 Sexualentwicklung – androgenitales Syndrom 618–619 – Androgenresistenz 619 – antiandrogene Wirkung 621 – Homosexualität als Anpassung 624 – Melatonin 606 – nach Bulbektomie, Schweine 464–465 – Östrogene, sekundäre Geschlechtsmerkmale 596, 601, 619, 620 – Schambehaarung 601 Sexualhormone – ADH (antidiuretisches Hormon, Vasopressin) 615 – Androgene 599, 600, 601, 605, 618, 619, 625 – Androstadienon 466 – Androstendion 601 – Aldosteron 190 – Corpus luteum (Gelbkörper, gelber Körper, temporäre Drüse) 601, 603 – FSH (follikelstimulierendes Hormon, Follitropin) 601, 603, 604, 605 – follikelstimulierendes Hormon (FSH, Follitropin) 601, 603, 604, 605 – Gelbkörperhormon 601, 603 – Gestagene 600, 603 – gonadotrope Hormone 106, 122, 599– 600 – Gonadotropine (Geschlechtshormone) 601, 603, 611, 621, 694

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH, Gonadoliberin) 583–584, 601, 603–605, 607, 621, 693, 694 – H-Y-Antigen 596 – LH (luteinisierendes Hormon, luteotropes Hormon, Lutropin) 601, 603, 604, 605 601, 603, 604, 605 – Müllersches inhibierendes Hormon 596, 619 – Östradiol 600, 601, 603, 604, 606 – Östrogen 466, 596, 599, 600, 601, 603, 605–607, 619–620 – Oxytocin 236, 584, 606, 615, 693, 695 – Progesteron 600, 603, 621 – Prohormon (Vorläuferhormon) 697 – Prolactin 583–584, 603–604 – Releasing-Hormon (Freisetzungshormon) 693, 696 – Steroidhormone 264, 582, 464, 594–595, 599–600, 607, 611, 697 – Testosteron 466–467, 596–597, 599– 601, 603–607, 612, 618–621, 623, 625 – Vasopressin (ADH, antidiuretisches Hormon) 615 Sexualität – «altes Säugetiergehirn» 68 – Amygdala 119, 124, 331, 575 – äußere Geschlechtsorgane 595, 597–599, 618, 619 – Basisemotion 581 – Entwicklung der Geschlechtsorgane 58, 106, 595–598, 618 – Geruchswahrnehmung 111, 464–466, 473 – Geschlechtsreife 464 – Geschlechtsumwandlung 619–620 – Geschlechtszellen (Keimzellen) 50, 280 – Heterosexualität 622, 623–624, 625 – Homosexualität 467, 622, 623, 624, 625 – Hypersexualität 331, 575, 576 – Hypophyse 105–106, 122, 599, 601, 603, 604, 605, 606, 607, 615 – Hypothalamus 466, 607, 609, 610, 611, 612, 613, 616, 621, 622 – innere Geschlechtsorgane 595–597, 598, 618, 619 – limbisches System 68 – Mamillarkörper 122, 125, 625

833

– primäre Geschlechtsmerkmale 601, 602 – Nucleus praeopticus medialis 601, 607, 609, 610, 611 – sekundäre Geschlechtsmerkmale 598– 599, 601, 602, 603, 618, 619 – Sexualpheromone 111, 124, 461, 463, 464, 465, 467 – Transsexualität 624–625 – und Anorexie 499 – und VON 466–468 – Zentrales Höhlengrau 612 Sexualstraftäter – Diagnoseversuche über bildgebende Verfahren 613 – Behandlungsversuche 620–621 – neurochirurgische Kastration bei Sexualstraftätern 621 Sexualverhalten – Alkohol und sexuelle Leistungsfähigkeit 544 – Androgene, Einfluß auf Sexualverhalten 605, 621 – Geschlechtstrieb 503 – Geschlechtsverkehr 615 – Homosexualität als Anpassung 624 – Motivation 480, 482, 483 – und Östrogene 466, 605, 606 – männliches 606, 612–613 – weibliches 601, 605–606, 612 – Sexualakt 612 sexuelle Identität 619–620 sexueller Dimorphismus 609–611 SFO (Subfornicalorgan) 694 Signal – afferentes 71 – efferentes 71 Signalübertragung 44, 179, 180, 181, 188, 198, 199, 212, 217, 233, 235, 252, 255, 286–287, 291, 426 Siphon, Aplysia 289, 291, 294, 295, 299 Siphonrückziehreflex 289, 290, 294, 297 Skelettmuskel 81, 189, 200, 201, 220, 238, 239, 240, 249, 270, 571, 680, 706 Skinnerbox 304 Soldatenkrankheit 517 Sollwert 483, 485, 486, 488, 491, 492, 493, 495, 496, 497 Sollwertmechanismus 486, 496 Sollwerttheorien 485, 491, 493, 494

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

somatosensorischer Cortex – primärer somatosensorischer Cortex (Brodmann-Areale 1–3) 130, 133–139, 144, 163, 166, 174, 318, 409, 437, 450, 506, 586 – übergeordneter (sekundärer) somatosensorischer Cortex (BrodmannAreale 2, 5) 134, 137, 167, 617 Somatotropin 599 Spalt, synaptischer 180, 196 219, 221, 222, 225, 229, 232, 234, 243, 252, 296, 533, 538, 540 Spannung (Potentialdifferenz) 217 spannungsgesteuerte Ca2+-Kanäle 221, 242, 243, 252, 551 spannungsgesteuerte Ionenkanäle 213, 214, 216, 218, 221, 224, 232, 542 Species 566, 634, 676 Speichel 300, 464, 636 Speicheldrüsen 249, 300, 464 Speichelfluß 300, 302 Spemann-Organisator 263–264 Spermatogenese 603 Spermazellen 50, 603 Spezifität der Verknüpfungen, Prinzip 199 Spielsucht 535 spinale Bahn 247–248 spinales Interneuron 513–514 spinales Tier 41 Spinalganglien 201 Spinalnerv 247, 248 Spino-Cerebellum 72, 96 Split-Brain 156–159, 434–436 Sprachdominanz, linke Hemisphäre 155 Sprache – Assoziationscortices 161–163, 167, 168 – Entwicklung 319 – Isocortex 148–154 – Kleinhirn 72–73, 97 – linke Hemisphäre 155, 159–160 – Pulvinar 104, 121 Sprachmotorik 148, 151, 152, 171 Sprachstörungen – Broca-Aphasie 152 – Leitungsaphasie 152 – motorische Aphasie 36, 152 – sensorische Aphasie 152 – und Alzheimer-Erkrankung 339 – Wernicke-Aphasie 36, 152

Sprachzentren – Lese- und Schreibzentrum (BrodmannAreal 39, Gyrus angularis) 152, 163, 166, 171 – motorisches Sprachzentrum (BrocaAreal, Brodmann-Areale 44, 45) 36, 148, 149, 151–152, 154, 155, 171 – Wernicke-Areal (Brodmann-Areal 22, übergeordneter – sekundärer – auditorischer Cortex, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 Sprossung, Dendriten 297 SSRIs (Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren) 621, 705 Stäbchenzellen, Retina 382, 383, 388, 389, 395, 396, 397, 399, 402, 403, 406 Stammganglien s. Basalganglien Stammhirn s. Hirnstamm Statocyste, Rippenquallen 186 Steigbügel 141, 170 Stelle des schärfsten Sehens (Fovea) 383, 385, 388, 390, 393, 432, 433, 437 stereotaktische Chirurgie 40 Stereopsie 430, 431, 432, 433, 438, 439 Sternzellen 202, 266 Steroidhormone 264, 582, 594–595, 599–600, 607, 611, 697 – Angsterleben 582 – Definition und Wirkungsweise 594– 595, 697 – der Gonaden 599–600 – Differenzierung zu chromaffinen Zellen 264 – Rezeptoren 607, 611 – s. a. Glucocorticoide Steroidrezeptoren 595, 607, 611, 625 Stickstoffatom 546 Stickstoffkerne, Rutherford-Versuch 193 Stickstoffmonoxid (NO) 235, 236, 314 Stimulantien 523, 524, 528 Stimulus s. Reiz Stirnlappen (Lobus frontalis, Frontallappen) 87, 118, 125, 130, 131, 133, 135, 162, 165, 167, 168, 309, 328, 329, 333, 357, 545 Stoffwechsel 172, 189, 195, 482, 494 – Anreiztheorie 494 – Energie-Zahlungsmittel, ATP 211 – Gehirn 172

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Hunger 637 – Lipolyse 495 – Notfallreaktion 633, 679, 680 – Parasympathicus 251 – Schlaf 344, 346, 349 – Sympathicus 250 – und Nahrungsaufnahme 486–488, 494 Strabismus (Schielen) 278, 438, 457 – schielende Katzen, Tierversuche 449 Streifencortex (Corpus striatum, primärer visueller Cortex) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687– 688 Streifenkörper (Corpus striatum, Striatum) – Aufbau, Lage im Gehirn 77, 99, 124, 126 – corticostriäre Fasern 81 – Faserverbindungen 81, 82, 116 – limbisches System 108, 109, 125 – und Motorik, Basalganglien 81, 82, 99, 124 – ventrale 77, 124 Streß – ACTH-Spiegel, Ähnlichkeit Mutter– Kind 675 – Aufschaukeln, Teufelskreis 694, 699, 700 – Blutzuckerwerte 681–682 – Cortisolspiegel, Maß für Streß 674, 697 – Folter 95 – Furchtkonditionierungs-Experimente, Ratten 683 – Glucocorticoidspiegel, Maß für Streß 334 – Posttraumatisches Streß-Syndrom (PTSD) 620 – pränataler 623 – psychosozialer Streß, Tierversuche 41, 682 – Streßauslöser 680–682, 700, 702 – Streßgedächtnis 699 – und Depression 701 – und emotionale Vernachlässigung 676– 677 – und Endorphine 515 – und Gedächtnisstörungen 333, 334, 336, 337 – und Immunsystem 516 – und Schmerz 515, 682 – und Sexualverhalten 623–624

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– und Zwergenwuchs, hypophysäres Wachstumshormon 677 – unterschiedliche Streßarten 698 – und Hippocampus – und Hypothalamus – und Locus coeruleus – und psychosomatische Störungen – und Tierversuche – und Vorerfahrungen Streßachse – Hypothalamus-Hypophysen-System 106, 108, 111, 122, 189, 515, 523, 582, 593, 594, 606–607, 673, 674, 679–681 – Überblick 680–681, 683–684, 692, 695 – und Amygdala 111, 124, 593–594, 673, 679, 685–688 – Sympathicus 188, 247, 250, 523, 607, 679–681 Streßhormone – Adrenalin 188, 247, 253–254, 524, 679– 682, 691, 699, 701 – Cortisol 244, 607, 674, 681–682, 691, 697–700 – Corticoliberin (CRH, CorticotropinReleasing-Hormon) 582, 693–694, 698, 699 – Glucocorticoide 334, 607, 674, 681–682, 691, 698 – Noradrenalin (NA) 84, 188, 250, 253– 254, 523, 679–682, 691, 693, 694, 699, 701 – Steroidhormone 594 Streßmodelle – von Selye, Streß als Anpassungsreaktion 682 Stria (-ae) – diagonalis (Bandeletta diagonalis, Diagonalband, diagonales Band von Broca) 88, 324, 326 – terminalis 515 Striatum (Corpus striatum, Streifenkörper) – Aufbau, Lage im Gehirn 77, 99, 124, 126 – corticostriäre Fasern 81 – Faserverbindungen 81, 82, 116 – limbisches System 108, 109, 125 – und Motorik, Basalganglien 81, 82, 99, 124 – ventrale 77, 124 Strom 31, 180, 216, 218 – Dunkelstrom 394, 395

836

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Stromstärke (I) 217 Stromstöße 529, 683, 690 24-Stunden-Rhythmus (circadianer Rhythmus) 343 Subfornicalorgan (SFO) 694 subdominante (nichtdominante) Hirnhälfte 155, 158, 159 Subiculum – Gedächtnissystem 310 – Relaisstation des Hippocampus 107, 113–114, 123 – sexueller Dimorphismus 611 – Teil des Hippocampus 107, 113, 123, 312 – Teil des limbischen Systems 107, 122, 168 Substantia alba (weiße Substanz) 77, 78, 97, 126, 128, 164, 203, 248, 260 Substantia gelatinosa 510, 512, 514, 515 Substantia grisea (graue Substanz) – Astrocyten 203 – Claustrum 613 – Cortex cerebri 126, 127, 128, 164, 586 – Definition 77–78, 97, 164 – Entwicklung des Nervensystems 260 – GABA 244 – Gehirn 35, 126, 244 – Nucleus caudatus 77, 99, 125 – Nucleus subthalamicus 99 – PAG 94 – subcorticale Kerngebiete 77, 126, 164, 586 – Thalamus 100 Substantia nigra (schwarze Substanz) 76, 77, 79, 81, 82, 84, 88, 89, 90, 99, 339, 491 Substanz P 511–512, 521, 582 Subthalamus (ventraler Thalamus) 101, 102, 120 Sucht – Alkohol-Sucht 318, 540, 542, 545, 547, 548 – Amphetamin-Sucht 526, 527 – Analgetika 522 – Aversionstherapie 302 – Behandlung mit SSRIs 621 – Belohnungssystem 528–534 – Coffein 549–550 – Drogensucht 318, 517, 522, 534, 553 – Fallsucht (Epilepsie) 32, 36, 113, 156, 163, 244–245, 310, 354, 538

– Fettsucht (Adipositas) 491, 495, 497– 502, 637–638 – Freß-Brech-Sucht (Bulimie) 497, 500 – Freßsucht (Hyperphagie) 489 – Heroinsucht 522 – Magersucht (Anorexia nervosa) 497, 499–502, 534, 536–537 – Morphin 517 – Nicotin-Sucht 241, 538, 540 – Nucleus accumbens 99, 124, 326 – Serotonin-System 87, 255, 694 – Spielsucht 535–536 – s. Cannabis – s. LSD – s. Psychedelika Suchtverhalten 522 Sulcus (-i) 130, 175 – Sulcus lateralis (Fissura Sylvii) 130, 131, 134–135, 140, 165, 167 – Sulcus centralis (Zentralfurche) 130, 165, 166, 174 Summation – räumliche 224 – zeitliche 224 superior 71, 96 supplementärmotorisches Areal (SMA und prae-SMA, medialer supplementärmotorischer Cortex) 80–82, 129, 137, 167, 169, 588 suprachiasmatischer Kern (Nucleus suprachiasmaticus, SCN) 86, 609 supraoptischer Nucleus (Nucleus supraopticus) 610 switching, biochemisches 698 Sylvische Furche (Fissura Sylvii, Sulcus lateralis) 130, 131, 134–135, 140, 165, 167 Sympathicus (Sympathisches Nervensytem) 188, 249–250, 681, 683, 685, 699, 701 Synapsen – Anlagerung, Fusion und Exocytose synaptischer Vesikel 221, 225, 229, 242, 243, 252, 293, 296 – acetylcholinerge 221–223, 238, 537 – Bildung 270–271 – chemische 180, 181, 219–221, 223, 225, 230, 232–233, 235, 243, 252 – dopaminerge 253 – elektrische 180, 230–233

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – elektrische synaptische Übertragung 180, 237 – elektrochemische synaptische Übertragung 25, 175, 180, 181, 204, 221, 233, 237 – Endknöpfchen 196, 199, 221, 293, 294, 314, 551 – Endocytose 234, 242, 243 – exzitatorische (erregende) 226, 280, 312 – inhibitorische (hemmende) 225, 226, 230, 399, 401 – neuromuskuläre 220, 221, 223, 227, 241, 289, 537, 538, 540 – noradrenerge 251–253 – postganglionäre 251–252 – postsynaptische Membran 219, 221, 223, 225, 232, 366 – postsynaptische Rezeptoren 230, 252, 339, 533 – postsynaptisches Potential 223, 224, 225, 226, 232, 243, 312, 542 – postsynaptische Zelle 196, 219, 221, 223, 232, 233, 249, 251, 253, 269, 270, 271, 313, 316, 366, 533, 542 – präsynaptische Autorezeptoren 540 – präsynaptische Bahnung (Verstärkung) 294, 314, 316 – präsynaptische Depolarisation 223 – präsynaptische Endigung 199, 219, 221, 223, 225, 232, 233, 239, 243, 252, 253, 255, 293, 297, 533, 551 – präsynaptische Membran 221, 251 – präsynaptischer Einstrom von Calciumionen 316 – präsynaptische Zelle 196, 232, 234, 249, 251, 252, 269, 270, 280, 293, 312, 313, 366, 542, 680, 681, 691 – schnelle exzitatorische chemische 220, 221, 223, 229, 230, 242, 512 – schnelle inhibitorische chemische 225, 230, 242 – Spalt zwischen prä- und postsynaptischer Membran 219, 221 – synaptische Depression 291, 292 – synaptischer Spalt 180, 196 219, 221, 222, 225, 229, 232, 234, 243, 252, 296, 533, 538, 540 – synaptisches Einheitspotential 223 – synaptisches Protein, ARIA 270

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Synchronisation – Geißelaktivität, Volvox 175–176 – Menstruationszyklus, McClintock 466 Synchronisationshypothese – Bindungsproblem, Wahrnehmung 447, 449 – Riechsystem 474, 477 – somatosensorischer und motorischer Cortex 450 – Theta-Rhythmus 364–368 – visueller Cortex 448, 449 Synchronizität 447–450, 471, 473, 474, 476, 477, 478 Tabak 241, 531, 538, 539, 550 Tauben – Amygdala, Funktion 690 – Augen 386, 387 – enthirnte 38 – Gefühle 676 – klassische Konditionierung 301 – operante Konditionierung 304–305, 308, 529 Tau-Protein 338–340 Tectum mesencephali (Mittelhirndach, Vierhügelplatte) 74, 98 Tectum opticum 269 Tegmentum mesencephali (Haube) 74, 97 Telencephalon (Großhirn, Endhirn, Cerebrum) – Amphibien 127 – Basalganglien 77 – Bulbus olfactorius 69, 169 – Fasersyteme 128–129, 164, 168–169 – graue Substanz 107, 126 – Hippocampus 123, 126, 369 – Lage und anatomische Strukturen 60, 63, 66, 120, 126, 127, 164 – limbische Kerngebiete 107, 124 – Pallium 126–128, 164–165 – und Schlaf 349 – und Schmerzgeschehen 515 – s. a. Cortex (Großhirnrinde) Temperatur – Bluttemperatur 93, 105, 483 – Körpertemperatur 92, 105, 254, 343, 345, 348, 483, 484, 485, 486 Temperaturempfindung 93, 483–485

838

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

Temperaturregulation – Hypothalamus 93, 105, 343, 483–485 – Regelkreislauf 483–485 temporale Retina 157, 403 Temporallappen (Lobus temporalis, Schläfenlappen) 37, 87, 113, 114, 115, 123, 125, 130, 131, 133, 140, 156, 157, 162, 163, 165, 169, 309, 310, 316, 324, 328, 329, 330, 331, 333, 336, 338, 353, 354, 355, 357, 416, 457, 575, 584, 592, 673, 688 Tentorium cerebelli (Kleinhirnzelt) 72, 97 TEO 139–140, 165, 167 Teonanactl 554 testikuläre Feminisierung 619 Testosteron – Androstadienon 466 – Bildung 600–601 – Bruce-Effekt 467 – Definition und Strukturformel 599–600 – Ersatztherapie 606, 620 – Geschlechtsorgane und –merkmale 596– 597, 601, 603, 604, 607, 618 – maskulinisierende Wirkung 596, 601, 603, 618 – Nebennierenrinde 600 – pränatale Wirkung 467, 596, 618, 619, 623, 625 – Rezeptoren 607, 612, 625 – Sexualverhalten 467, 606, 621, 625 – sexueller Dimorphismus 607, 618, 623 – testikuläre Feminisierung 619 – und Liebe 615 Testosterongaben 606, 620 Testosteronrezeptor 607, 612, 625 δ-9-Tetrahydrocannabinol (Delta-9-THC) 551–553 – CB-Rezeptor 551–552 Thalamus – Alkohol 332, 545, 546 – Aufmerksamkeit/Wachheit 102 – basolateral-limbischer Schaltkreis 324 – dorsale Schleife 82, 327 – dorsaler Thalamus 101, 102, 120, 121, 583 – Eingangstor zur Großhirnrinde 102, 120 – Epithalamus 101, 102, 120 – Funktionen 66, 69, 93, 102, 120, 151, 171, 357 – Gliederung 101

– – – –

Korsakow-Syndrom 332, 546 Lage 66, 100, 120 Muskelaktivierung 82, 151, 171 nicotinerge Acetylcholinrezeptoren 537 – Opiatrezeptoren 516 – Paniksystem 583 – Papez-Neuronenkreis 116–117, 324, 574 – Schmerzbahn 94 – Subthalamus (ventraler Thalamus) 101, 102, 120 – Verbindungen zum Hippocampus 114 Thalamusbahnen – anteriore thalamische Pedunculi 324 – Hörbahn (auditorische Bahn) 143, 144, 151, 170, 171, 685 – mediales Lemniscussystem (primäre somatosensorische Bahn, Hinterstrangsystem, Lemniscus medialis) 504–507 – mediales Vorderhirnbündel (Fasciculus telencephalicus) 529 – Schmerzbahn 94, 504, 509–512, 515– 516, 687 – Sehbahn 122, 154, 169, 274, 275, 402, 406, 436, 457 – thalamo-amygdaläre Bahn 112, 685–689 – thalamo-cortico-amygdaläre Bahn 112, 685–689 – Tractus mamillothalamicus 574 – Tractus neospinothalamicus 510 – Tractus palaeospinothalamicus 510 Thalamuskerne 81, 103, 120–121, 125, 128, 144, 171, 274, 324, 332, 336, 350, 506, 510, 512, 576, 684, 685, 686 – Nucleus anterior thalami 103, 104, 108, 121, 324, 546, 574, 576 – Nucleus lateralis dorsalis 103, 104, 121 – Nucleus lateralis posterior 103, 104, 121, 510 – Nucleus medialis 103, 104, 121, 128, 546 – Nucleus mediodorsalis 81, 121, 324, 332 – Nucleus thalami 120, 121, 336 – Nucleus ventralis anterior 103, 104, 121, 125 – Nucleus ventralis lateralis 81, 103, 104, 121 – Nucleus ventralis posterior (ventrobasalis) 101, 103, 104, 121, 506, 510

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte – Nucleus ventralis posteromedialis (Nucleus arcuatus) 101, 103, 104, 121, 531, 609 – Pulvinar (thalami) 101, 102, 104, 121, 427 Thermoregulation – Hypothalamus 93, 105, 343, 483–485 – Regelkreislauf 483–485 Thermorezeptoren 93, 483 Thermosensitivität, Neurone 93 Theta-Rhythmus 364–369 Thiamin (Vitamin B1) 546 Thiamin-Deprivation 545 Thiamin-Mangelkrankheit 546 Thiaminpyrophosphat (TPP) 546 Thyreotropin 606 Tiefenschmerz 509 Tiefensehen (Tiefenwahrnehmung) 425, 430, 431, 432, 433, 438, 446 Tiefschlaf 346, 347, 348 Tiere – Angst 671–673, 675 – Bedeutung der Mutter 668–670 – Embryonalstadien 177 – emotionales Ausdrucksverhalten 563– 569, 579, 582, 583 – Energieaufwand für die Nahrungsaufnahme 486–488 – Evolution, Augen 375–387 – Evolution aus Prostisten 178–180 – Evolution, Nervensystem 179–191 – Geruchswahrnehmung 460–465, 467– 468, 469 – Körperrepräsentation im somatosensorischen Cortex 135 – Masse der Fasersysteme 128 – Lateralisation des Gehirns 160 – Schlafdauer 344–345 – Sexualverhalten 614–615, 623–624 – Träumen und REM-Schlaf 361–364, 368 – s. Affen – s. Hunde – s. Katzen – s. Mäuse – s. Ratten Tierversuche – Ableitungen 40, 367, 617 – Aplysia 289–297 – Augenentwicklung 377–378

839

– elektrische Stimulation 35–36, 40, 529, 533, 575, 680, 684–685 – Epilepsie 32, 114 – Frosch-Versuche, Sperry 269 – Furchtkonditionierung 303–304, 683– 685 – Galen 33 – Harlow-Institut 668–672, 674 – Historie 32, 33, 35 – immunohistochemische Untersuchungen 243–244 – Läsionsversuche 35–36, 39, 41–42, 114, 330–331, 488–492, 495, 573, 575–576 – Lernen, Skinner 304–305 – Methoden, Überblick 40–42 – Myasthenia gravis-Forschung 228–229 – Konditionierung, Pawlow 300–302 – ob/ob-Mäuse 497–498 – Prägungsversuche 278–279 – psychopharmakologische Versuche 40– 41, 492, 500, 514, 547 – psychosozialer Streß 682–683 – soziale Deprivation 290 – Split-Brain-Tiere 156 – Streß 674, 679–680 – Tiefenwahrnehmung 446 – Transplantationsexperimente 266–267 – visuelles System, Katzen 277–278, 404, 407, 434–437, 449 – Zahlen 39–40 – s. Affen – s. Hunde – s. Katzen – s. Mäuse – s. Ratten Tight Junction, Blut-Hirn-Schranke 203 Tintenfisch 217 Tollkirsche 239 Tonhöhe 142 Tonhöhendetektor 144 Top-down-Prozesse 453–456 Tore (gates) 207, 210, 214, 215, 216, 221 Toxine – Botulinustoxin 239 – Curare, Pfeilgift 227–228, 239 – Ergotoxin 557 – Neurotoxin 90, 545 Tractus – corticonuclearis 81, 129, 149, 169, 171

840

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– corticospinalis (Pyramidenbahn) 81, 82, 128, 129, 169 – mamillothalamicus 574 – neospinothalamicus 510 – olfactorius 111 – opticus 274, 402, 435 – palaeospinothalamicus 510 – perforans 312 – rubrospinalis 74, 98 Transducin 395 Transkription 229, 297, 377 Transkriptionsregulatoren 297 Translation 377 Translokation 595 Transmembranproteine 205, 206, 215, 219, 227 Transmitter – Acetylcholin 88–89, 237–241, 251, 326, 350, 581 – Aspartat 242 – Dopamin 75–76, 245, 252–254, 355, 533, 558, 581, 694 – First Messenger 219 – Freisetzung 221–222, 291, 293, 294, 296, 313, 314, 317, 394, 395, 399, 549, 551, 552 – GABA 89–90, 242–245, 318, 544–545, 551 – Glutamat 89–90, 242–243, 313, 316, 326, 514, 581, 582, 583 – Glycin 242 – Inaktivierung 202 – Kompetitive Hemmung 227–228 – langsame Übertragung 219 – Noradrenalin 84–85, 245, 251–254, 264, 516, 528, 533, 558, 582, 694 – Schlüssel-Schloß-Prinzip an Rezeptoren 227, 233 – schnelle Übertragung 219 – Second Messenger 219–220, 229–230 – Serotonin 85–87, 513, 582, 694 – Transmitterquant 222–223 – Transmitterwirkung 233–235 – Transport 196, 198 – Überblick 236 – Vesikel 219, 221, 293 Transport – anterograder 196 – axonaler 196, 198, 238, 252, 255, 338 – axoplasmatischer 238, 242, 695

– retrograder 196 Transportmoleküle (GABA-T) 243 Transsexualität 624–625 Trapezkörper (Corpus trapezoideum) 143, 170 Traubenzucker (Glucose) 172, 679, 680 – Glucosestoffwechsel 237, 334, 336, 356, 682 Traum – Evolution 361, 363 – Funktion 363–369 – Steuerung 352–35 – Traumphasen 349, 351, 352 – Traumtheorie 320, 351, 352, 356 Trauma 112, 333, 334, 336, 517, 521, 577, 578, 641, 676, 677, 690, 699 – Posttraumatisches Streß-Syndrom (PTSD) 620 traumabedingte Amnesien 333, 334, 336, 579 Trennungsangst 644, 677 Tremor (Zittern) 40, 538 – Parkinson-Syndrom 79 tricyclische Antidepressiva 702 Trieb 109, 479, 480, 485, 535 – Lorenz 481–482, 493 Trigeminus 69, 491 Trigonum olfactorium 111 Trinken – Alkoholabbau pro Stunde 543 – Tierversuche 41 – vegetative Funktion, Hirnstamm 66, 92, 100 – vegetative Funktion, Hypothalamus 105 Trinkverhalten, Motivation 497, 501, 533 Trommelfell 141, 169, 170 trophische Faktoren – BDNF (brain derived neurotrophic factor) 273 – CNTF (ciliary neurotrophic factor, neurotropher Faktor CNTF) 264, 273 – NGF (nerve growth factor, Nervenwachstumsfaktor) 264, 273, 341 Truncus sympathicus (Grenzstrang des Sympathicus) 249 Tryptophan 255 Tryptophan-Hydrolysase 255 Tupaia belangeri (Baumhörnchen) 682 Tyrosin 247

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte übergeordneter (sekundärer) auditorischer Cortex (Wernicke-Areal, BrodmannAreal 22, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171, 684 übergeordneter (sekundärer) motorischer Cortex (Brodmann-Areale 6, 8) 75, 80–82, 137, 146, 149, 155, 161, 164, 167, 617 übergeordneter (sekundärer) somatosensorischer Cortex (Brodmann-Areale 2, 5) 134, 137, 167, 617 übergeordneter (sekundärer) visueller Cortex (Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137–140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424– 427, 436–437, 449, 458, 477 Überträgerstoffe s. Transmitter ultraviolettes Licht 387 unbedingte Reaktion 299, 300 unbedingter Reiz 300–306, 308 Uncus gyri parahippocampalis 110, 123 Undichtes-Faß-Modell 495–497 unkonditionierter Reiz 300, 581, 690 Unterscheidungslernen 435 Urbach-Wiethe-Erkrankung 331 Urethrafalte (Harnröhrenfalte) 597 Urin 38, 387, 564 – Zucker im Urin 38, 679, 680 Uringeruch 467 Urmantel (Archipallium) 126, 127, 164 Uterus (Gebärmutter) 254, 556, 558, 596, 606 Uteruskontraktionen 106, 122, 556, 557, 558, 606 Uterusschleimhaut 467 Vagina (Scheide) 596, 620 Vagusstoff 237 Vagustod 633 Vagusnerv 70, 237, 509 Valium (Diazepam) 244, 705 Vasopressin (ADH, antidiuretisches Hormon) 190, 485, 549, 582, 606, 615, 693, 695,698 – als Sexualhormon 615 – Bildung im Nucleus paraventricularis 693, 695, 698 – Neurohypophyse 606, 615, 693, 695 – und Coffein 549 – und Fieber 485 – und Streß und Angst 582, 698

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vegetative Funktionen 28, 66, 96, 97, 99, 100, 103, 105, 108, 111, 119, 122, 123, 124, 125, 146, 166, 191, 497, 537, 593 vegetatives (autonomes) Nervensystem 66, 70, 87, 102, 105, 176, 188, 237, 239, 247, 249– 252, 537, 540, 564, 571, 574, 576, 588, 591, 592, 681, 699 ventral 71, 96 ventrale amygdalofugale Bahn (Fibrae amygdalofugales ventrales) 324, 593 ventrale Bahn (P-Bahn, Was-Bahn) 403, 425, 429, 430 ventraler Thalamus (Subthalamus) 101, 102, 120 ventrales noradrenerges Bündel (Ventralbündel) 84 ventrales Striatum 108, 109, 124 ventrales Subiculum 611 Ventrales Tegmentales Areal (VTA, Area tegmentalis ventralis) 75, 97, 108, 109, 25 Ventralwurzel (Vorderwurzel) 248, 249 Ventrikel (Hirnventrikel, Hirnkammer) – Entwicklung aus Neuralrohr 60 – Funktion 66, 97 – Lage 33–34, 66–67, 97 – Zucker im Harn 38, 679, 680 Ventrikularschicht 266 ventrobasaler Komplex, Thalamus 506, 510 ventromedialer Hypothalamus (VMH) 489, 491, 495, 610, 611 ventromedialer präfrontaler Cortex 168, 353, 354, 355, 489, 495, 584, 586, 588, 590 Verarbeitung von Informationen – bottom-up-Mechanismus 453–456 – top-down-Mechanismus 453–456 – hierarchische, funktionell untergliederte und parallele 144, 148, 428, 429 verbal-intellektuelle Hirnhälfte 159 Verdauung 65, 96, 183, 251, 495 – Verdauungshöhle 178 – Verdauungssystem 189, 249 Verfolgungswahn (Paranoia) 335, 528, 632, 633 Verhaltensänderung nach Hirnläsionen 35, 41 Verlängertes Mark (Medulla oblongata) – Benzodiazepinrezeptoren 705 – Formatio reticularis 72, 97 – Hinterstrangsystem 504 – Hörbahn 143, 170

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Lage 63, 65, 69, 72, 91–92, 96 – Raphe-Kerne 86 – thermosensitive Nervenzellen 93 – Vierter Ventrikel 33–34 Verstärkung, präsynaptische Bahnung 294, 314, 316 Versuch-und-Irrtum-Lernen, operante Konditionierung 304 Vesikel, synaptische 221, 225, 229, 242, 243, 252, 293, 296 Vestibulo-Cerebellum 72, 96 Vier-Farbsehen 386 Vierhügelplatte (Tectum mesencephali, Mittelhirndach) 74, 98 Vigilanz 102, 120, 632, 633 visuelle Bahnen 122, 154, 169, 274, 275, 402, 406, 436, 457 – Corpus geniculatum laterale 102, 104, 121, 275, 277, 402–404, 406, 409, 411, 413, 414, 434, 437, 687 – dorsale 429, 430 – magnozelluläre Bahn 403, 414, 424 – Nervus opticus, II. Hirnnerv 66, 69, 70, 86, 106, 121, 122, 140, 156, 269, 274, 382, 388, 402, 404, 406, 434 – Parvo-Blob-Bahn 424 – Parvo-Interblob-Bahn 424, 425 – parvozelluläre 403 – Was-Bahn (P-Bahn, ventrale Bahn) 403, 425, 429, 430 – Wo-Bahn (M-Bahn, dorsale Bahn) 403, 414, 424, 429, 430 visuelle Reize 137, 140, 189, 269, 390, 391, 395, 396, 399, 400, 408, 413, 416, 418, 437, 439, 448, 449, 575 visuelle Täuschung – Kanizsa 443 – Müller-Lyer 442–443 – Ponzo 431 visuelle Wahrnehmung – Bewegungen 140, 167, 375, 403, 404, 414–418, 424, 425, 427, 430, 441, 443, 458 – Bewegungen im Traum 353 – Bewegungskonstanz 441 – binokulare Rivalität 457 – Drei-Farbsehen 385–386 – dynamische Formen 415, 425, 427 – Ergänzungsphänomen 443 – Farbkonstanz 401, 440–441

– – – –

Formkonstanz 440 Form und Farbe 403, 425, 429, 430 Gesichtern 160, 311, 353, 428, 443–444 Kantenerkennung 375, 400, 407, 408, 409, 410, 411, 413, 446, 450 – Kontrastwahrnehmung 140, 167, 391, 392, 400, 421, 422, 423, 441 – räumliches 430–437, 450 – Schielen 278, 438, 449, 457 – Sehfähigkeit verschiedener Tiere 386– 387 – Suppression 438–439 – Vier-Farbsehen 366 visueller Cortex – prästriär 415, 425, 449 – primärer visueller Cortex (V 1, Area striata, Streifencortex, BrodmannAreal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407– 409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – striata (primärer visueller Cortex, Streifencortex, Brodmann-Areal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407–409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – übergeordneter (sekundärer) visueller Cortex (Brodmann-Areale 18, 19, 20, 21, prästriärer Cortex) 104, 121, 131, 137– 140, 144, 163, 165–166, 167, 274, 277, 375, 414–416, 424–427, 436–437, 449, 458, 477 – VTE (visuell-temporales Feld, visuelles Feld im inferior-temporalen Cortex, ITC) 139–140, 165, 167, 311, 416, 457, 458 – V 1 (primärer visueller Cortex, Area striata, Streifencortex, BrodmannAreal 17) 131, 137–139, 163, 165, 166, 274, 277, 357–358, 402, 404, 406, 407– 409, 411, 413–418, 423–427, 434–437, 448, 687–688 – V 2 (visuelles Feld) 415–416, 424–427 – V 3 (visuelles Feld) 415–416, 424–427 – V 4 (visuelles Feld) 415–417, 424–426, 477 – V 5 (visuelles Feld im mediotemporalen Areal, MT) 415–417, 424–427, 458 – V 6 (visuelles Feld) 416

Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte viscerale Organe 571 Vitamine B1 545, 546 VMH-Sättigungszentrum 489, 491, 495, 610, 611 Vomeronasalorgan (Jacobson-Organ) 466, 467, 468, 469, 611, 623 vordere Kommissur (Commissura anterior) 128, 156, 157, 169, 434, 485, 623 Vorderhirn (Prosencephalon) 30, 66, 109, 120, 164, 241, 260, 261, 263, 279, 348, 350, 351, 357, 530 – basales Vorderhirn 88, 98, 324, 326, 332, 340, 491, 537, 546, 583, 586, 587, 592, 609 – limbisches Vorderhirn 111, 694 Vorderhirnbündel, mediales (Fasciculus telencephalicus) 529, 530, 533, 535 Vorderhörner, Seitenventrikel 75, 77, 107, 124 Vorderseitenstrang (anterolaterales System) 507–508, 529 Vorderwurzel (Ventralwurzel) 248, 249 Vorhoffenster (ovales Fenster, Fenestra vestibuli) 141, 170 Vorläuferzellen (Neuroblasten) 264–266 Vorlesen 152, 153, 154 Wachsamkeit – NA-System und präfrontaler Cortex 84, 693 – Riechen 473 – s. a. Aufmerksamkeit Wachstumsfaktoren – BDNF (brain derived neurotrophic factor) 273 – Blutplättchen-Wachstumsfaktor (platelet-derived growth factor, PDGF) 265 – CNTF (ciliary neurotrophic factor, neurotropher Faktor CNTF) 264, 273 – Fibroblasten-Wachstumsfaktor 264 – NGF (nerve growth factor, Nervenwachstumsfaktor) 264, 273, 341 Wachstumshormon 106, 122, 599, 677 Wachstumskegel, Axone 268–270 Wahnsinn 500, 517, 528, 547 Wahnvorstellungen, LSD 557–558 Wanderlust 337 Wärmeregulation – Hypothalamus 93, 105, 343, 483–485 – Regelkreislauf 483–485 Wärmerezeptoren 93, 483

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Was-Bahn (P-Bahn, ventrale Bahn) 403, 425, 429, 430 Wasserhaushalt 190 Weckreaktion (arousal-reaction) 344 Wehenförderung 556 weiße Substanz (Substantia alba) 77, 78, 97, 126, 128, 164, 203, 248, 260 Wernicke-Aphasie 36, 152 Wernicke-Areal (Brodmann-Areal 22, übergeordneter – sekundärer – auditorischer Cortex, sekundäre Hörrinde) 37, 104, 121, 144, 149, 151–152, 154, 155, 163, 167, 171 Widerstand, elektrischer Leiter 216, 217, 232 Wiederaufnahme (reuptake) 243, 533, 621, 702, 705 – SSRI (Selektive-Serotonin-ReuptakeInhibitoren) 621, 705 Wiedererkennung 311, 322, 375 – Großmutterneuron 428 willkürliche Bewegungen 72, 77, 80–82, 127, 129–130, 249, 327, 575 Willkürmotorik 77, 79–83, 151, 327, 588 Wimpern 186, 445 Windungen, Großhirn – Gyrus angularis 152, 154, 163, 166, 171 – Gyrus cerebri 130, 165 – Gyrus cinguli 88, 107, 114, 116, 117, 118, 119, 122, 123, 125, 126, 130, 137, 146, 166, 167, 168, 324, 357, 540, 574, 583, 586, 587, 593, 613, 616 – Gyrus dentatus 107, 113, 122, 123, 168, 312, 317, 364, 365, 366, 701 – Gyrus entorhinalis325 – Gyrus frontalis inferior 148, 154, 166, 171 – Gyrus frontalis superior 146, 166 – Gyrus fusiformis 417 – Gyrus parahippocampalis 107, 110, 114, 119, 122, 123, 128, 165, 166, 168, 169, 310, 325 – Gyrus postcentralis 166, 318, 506 – Gyrus praecentralis 104, 121, 149, 165 – s. a. Area – s. a. Cortex Wirbellose (Invertebraten, Evertebraten) 199, 233, 378 Wirbelsäule 59, 60, 247 Wirbeltiere – Evolution 59–60

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Naturwissenschafliche Begriffe und Sachverhalte

– Entwicklung 60 Wo-Bahn (M-Bahn, dorsale Bahn) 403, 414, 424, 429, 430 Wolffsche Gänge 596, 618 Wort, Nachsprechen 150, 151 Wortumschreibungen 154 Wurm 261, 385 – Fadenwurm 258, 260, 460 – Regenwurm 186–188 – Ringelwürmer 186 Wut 583 – s. a. Aggression Wutsystem 582 X-Chromosom 596, 619 Y-Chromosom 596 Zapfen (Farbrezeptoren) 382, 383, 385–389, 395 397–400, 402, 403, 406, 418–421, 423, 424 – Anzahl 388, 406 Zauberpilz (Teonanacatl) 554, 561 zeitliche Summation 224 Zelladhäsionsmoleküle 270 Zellalterung 280 Zellinie 258, 264, 265 Zellkern 297, 595 Zellkolonie 177 Zellkulturen, Lebensdauer 280 Zellreparatur 346, 349 Zellsäulen 137, 140, 144, 274, 277, 413, 414 Zellteilung 257, 266, 345 Zellteilungsprogramm 286 Zelltod, programmierter 272, 273, 280, 346 zelluläre Adaption 544 Zentrales Höhlengrau (PAG, periaquaeductales Grau, Griseum centrale) – Alkoholismus 545 – Erwartungssystem 581 – gelernte Furcht und Angst 94, 100 – limbisches System 108, 112, 125 – Paniksystem 583 – Schmerzempfinden und –kontrolle 94, 97, 100, 112, 510, 512, 516, 545, 546 – und lebenswichtige Funktionen 95, 100, 108 – und Sexualverhalten 612 – Verhaltenssteuerung 95, 691

– Verschaltung mit Amygdala 94, 112, 582, 685, 691 – Verschaltung mit Hypothalamus 94, 582 – Wirkung von Opiaten 531 – Wutsystem 582 Zentralfurche (Sulcus centralis) 130, 165, 166, 174 Zentralkern, Amygdala 111, 124, 590, 592, 593, 685 Zentralnervensystem (ZNS) 60–61, 63–64, 188, 247 Zentrum-Umfeld-Organisation 390–393, 397–402, 404, 410, 420–422 Zink 313, 542 Zirbeldrüse (Epiphyse, Corpus pineale, Glandula pinealis) – Entwicklung 58, 102 – Funktionen 58, 102, 120, 255, 343, 606 – Lage im Gehirn 35, 58, 101, 102, 120 – Melatonin 58, 87, 102, 120, 255, 343, 594, 606 – Serotonin 86, 87, 102, 120, 255, 343 Zirkadianer Rhythmus s. circadianer Rhythmus Zittern (Tremor) 40, 538 – Parkinson-Syndrom 79 ZNS (Zentralnervensystem) 60–61, 63–64, 188, 247 Zona fasciculata, Nebennierenrinde 697 Zucker – Glucose (Traubenzucker) 172, 679, 680 – Glucosestoffwechsel 237, 334, 336, 356, 682 Zwangsstörungen 87, 694 zweiter Schmerz 509 Zweizell-Stadium 257 Zwerchfellmuskeln 228 Zwergschimpanse (Bonobo) 636 Zwischenhirn (Diencephalon) – Aufbau 58, 60, 63, 66, 72, 100–106, 120– 122, 164, 169 – Auge als Ausstülpung des Diencephalon 418 – Dopamin-System 75 – drittes Ventrikel 66, 332 – Endorphine 515 – Entwicklung 102 – Evolution 119 – Gedächtnis 336

Theologische Begriffe und Sachverhalte – Läsionen, Korsakow-Syndrom 332 – und Hormonsystem 680 zyclisches Adenosin-3’,5’-monophosphat s. cyclisches Adenosin-3’,5’-monophosphat (cAMP) zyclisches Guanosin-3’,5’-monophosphat s. cyclisches Guanosin-3’,5’-monophosphat (cGMP) Zygote 257, 258, 603

Theologische Begriffe und Sachverhalte Abbild – des Universums 23 – Gottes 23 abendländische Philosophie/Theologie 29, 45, 46, 285, 307, 321, 373, 447 Aberglaube 299 Abgrund, Kierkegaard 655, 664, 665 Abhängigkeit – der Psyche vom Hirnstamm 87 – der Psyche von neuronalen Gegebenheiten 245 – der Wahrnehmung im Universalienstreit 45 – der Seele von neuronalen Mechanismen 22 – des Höheren vom Unteren bei Nicolai Hartmann 83 – des Ich 336, 646 – drogeninduzierte 537 – im Leib-Seele-Problem 24 – kausale Abhängigkeit der Seele 22 – zwischen Psychischem und Physischem 24 – physische 537 – psychische 499, 641, 667 – psychogene 537 – und Lustprinzip 535 – von Alkohol 318, 545 – von Amphetamin 527 – von Analgetika 522 – von Coffein 549–550 – von den Eltern 667 – von Drogen 318, 517, 522, 534, 553 – von Heroin 522 – von Morphin 517

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– von Nicotin 538 – von Psychopharmaka – s. a. Sucht Abschiedsgespräch, Sokrates 16 Abstraktion(en) – abstrakt gesetzte Personalität 321 – als die Wirkung des intellectus agens 27 – abstraktes Denken 355 – in der Theologie 22 Abstraktionsvermögen 27 Absolute, das 650–651, 655, 659, 664 absoluter Wille, Gott 21 absolutes Ich 373 Absurdität 53, 321, 636 Abtreibung 17, 18, 261 Abwehr – Abwehrkampf des Ich 646 – Abwehrmechanismus der Projektion 647 Abwehrverhalten 95, 461, 672, 681, 690– 691 ADHS (Attention Deficit Hyperactivity Disorder, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) 527–528 Adipositas 497–502, 637–638 aestimatio (Bedeutungserfassung) 34 Affekte 562 – und Amygdala 111–112 – und Angst 642, 647 – und Hirnstamm 100 – und Traum 354, 359 – und Verdrängung 333 affektiv gefärbte Psychose 146 Affektkontrolle 146 Affektmotorik 119–124 Affektstau 642–643 Affektverhalten 119, 122, 124, 125 Affe(n) – Kaspar Hauser-Experimente 668–670, 674, 676 – orbitofrontaler Cortex 146 – Tierversuche zur Angst 671–672, 674, 676 – Tierversuche zu Epilepsie 244 – Tierversuche zu Milieueinflüssen (reich– arm) 280 – Traglinge 668 Affizierung 439

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Theologische Begriffe und Sachverhalte

Aggression – emotionale Ausdrucksbewegung der Aggression 564–565 – Gruppenaggressivität 635 – in hochtechnisierten Zivilisationen 589 – sexuell-aggressive Phantasien 621 – und Adipositas 498 – und Liebe 617 – und limbisches System, Paul Donald MacLean 68 – und Magersucht 500 – und Serotonin 87 – und Streß 683 – und VNO 467 – s. a. Wut agriologisches Erleben, Urzeit 632 Agoraphobie 648 Alkoholismus 534, 541, 547–548 Alkoholwahnsinn 528 Alltäglichkeit, Heidegger 660, 661 Alphatier 637 Alterserwartung 280–281 Altes Testament 15, 648 Ambiguität 51 Ambivalenz – amerikanische Kultur 566 – Eßstörungen 501 – orale 643 Amnesie (Gedächtnisstörung) – Alzheimer-Erkrankung 88, 339 – psychogene 335–337 – streß- und traumabedingte 333–335, 337, 579 Amphetamin(e) – als Aufputschmittel 523, 524, 533 – Belohnungssystem 529–532 – gegen ADHS 527–528 – Sucht 526, 529–531 Amphetaminpsychose 528, 533 Amputation – Kapitän Ahab 506 anal-sadistische Phase 643 Anerkennung, Ringen um 643 Anfang, Menschheitsgeschichte 20 Angst – Acht-Monats-Angst 643 – Angstbereitschaft 628, 632 – Austoßvictimisation 634, 639 – bei Geburt 642

– – – – – – – – – – –

bei Heidegger 659–665 bei Jaspers 664 bei Kierkegaard 649–659, 662 bei Sartre 663 bei Säuglingen 642 Disgregationsangst 583, 630, 632, 631 Erwartungsangst 634, 646, 647 Flugangst 647 im Unterschied zur Furcht 658, 660 Kastrationsangst 641–642, 644 neurotische Angst 281, 629, 640, 646, 647 – Paranoia 632 – Psychoanalyse 50, 333, 336, 370, 535, 539, 540, 583, 613, 633, 637, 638, 640–641, 645–648, 657 – Realangst 640, 642, 648 – Schuldangst 634 – Strafangst 535, 647, 648, 651 – und Aberglauben 308 – und Bedeutungsverleihung 451 – und Bewußtsein 628 – und Drogen 518, 540, 557 – und Freiheit 651–657 – und Geist 649, 653–656 – und Kaspar-Hauser-Experimente 638 – und Magersucht 500 – und Traumata 334 – Verhungerungsangst 637–639 – Verlassenheitsangst 630, 671 – Verlustangst 627, 644–645 – Verstehen von Angst 625, 627, 629, 707– 708 – vor dem Beutegreifer 638 – vor Liebesverlust 281 Angstneurose 281, 646, 647 Angsttherapie 625, 627, 705, 707 Angststörung(en) 677, 678, 702, 703 Anorexia nervosa (Magersucht) 497, 499– 502, 534, 536–537 Anorganische, das 482 Anpassung an die Wirklichkeit 291, 308, 370, 536, 611, 682 Anthropologie 13, 19, 31, 68, 83, 106, 279, 373, 566, 668 – Kulturanthropologie 304, 589 anthropologisches Problem 321 Antike 25, 370, 506 Antimodernisteneid 307

Theologische Begriffe und Sachverhalte archaischer Charakter des Es, Psychoanalyse 109 archaisches Denken 309, 442, 589, 635, 637 archaische Sprache, Traum 359 Archetypen 689 – Mutterarchetyp 677, 679 Ärger – als Emotion 562, 566, 570, 572 Artikulation 37 Arzt 30, 32, 33, 38, 39, 49, 240, 556, 625, 629, 647 – Priesterärzte 370 Assoziationen, freie 320, 333, 351, 534, 547 Assoziationstests 319–321 assoziatives Denken 156, 320–321 assoziatives Lernen 306–308, 319, 677 – und Erwartung 677 – und Kausalität 308 Atheismus 663 atheistischer Humanismus 51 Atomismus, Demokrit 25, 373 Auferstehung 17, 26 Aufklärung, psychoanalytische 50 Auge als Teil des Gehirns 387, 402 Augenblick 306, 340, 502, 572, 589, 590, 592, 626, 628, 631 – Kierkegaard 655 Ausdruck – seelischer Regungen 38 – symbolischer 360, 370, 500–501, 535 Ausrottung, Menschen 239, 635, 639 Ausstoßvictimisation 634, 635, 639 Ausweg aus dem Leben 633 Autonomie des Symbolischen 51 Azteken 554, 561 Bedeutungserfassung (aestimatio) 34 Behaviorismus 299–300, 304 Beinamputation, Kapitän Ahab 506 Belastung 624, 649, 682, 697 – s. a. Streß Beruhigung, Angst 655, 664, 708 Bestrafung – Ausstoßvictimisation 634, 635 Betäubungsmittel 523 Beutegreifer, Angst vor 631, 632, 638, 645, 671 Bewegung(en) – als Merkmale der Seele nach Aristoteles 26

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– Gesetz der bewirkenden Ursachen oder Bewegungen, Leibniz 24 Beweis Gottes 307, 553 Bewußtsein – als Bestandteil der empirischen Welt 48 – denkendes 30 – Einheit 29, 30, 164, 547 – gebunden an Prozesse des Lebens 83 – Ich-Bewußtsein 28, 560, 591 – in der Erkenntnistheorie Kants 439 – in der Philosophie 88 – in der Psychoanalyse 49, 67, 83, 88, 320, 333, 336, 357, 358, 360, 646, 648 – in Träumen 357, 358, 360 – Selbstbewußtsein 44, 321, 626, 666 – und Angst 372, 628–630, 652, 653 – und Drogen 528, 551, 558, 560 – und Krisen 708 – und Wahrnehmung 457–458 – Willensfreiheit 320 Beziehung – Eltern-Kind 501 – Mutter-Kind 668, 677 – soziale 645 Bibel 15, 16, 25, 280, 298, 636, 655, 663 Bild – Gottes 17, 22 – im Traum 370–372 – mythisches 15, 636 – symbolisches 360, 644 – verinnerlichtes Bild der Eltern 644, 649 – von uns selbst 321, 323, 369, 370 Bildung des Subjekts 478 biologische Radikale 629 Blick – Fixierung durch Beutegreifer 671, 675 – in den Abgrund, Kierkegaard 665 Blockade des Bewußtseins 336 Blut – als Sitz des Geistes, Aristoteles 33 Böse, das 651 böse Geister 32 böse Macht 30 Brust der Mutter, Oralität 539, 643 Buddha 45, 639 Buddhismus 45, 46, 639 causa 360 Chassidismus 15

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Theologische Begriffe und Sachverhalte

Christ – mit Vernunft leben 16 – Kierkegaard 662 Christentum – christliche Lehre 655, 656, 662 – Dogmatik 21 – und Darwinismus 20 – Native American Church of the United States 555 Christus 547 Cocain – Geschichte 523 Cocainpsychose 523, 528 cogitatio 34 concupiscentia (böse Begierlichkeit) 654 Corpus pineale (Epiphyse, Zirbeldrüse) – Sitz der Seele 35, 148 Dämon 557 Darwinismus 20, 271, 639 Dasein – Heidegger 659–663, 665, 666 – Kierkegaard 651, 654, 656, 657, 664, 665 Daseinsanalyse 501, 666 Daseinsangst 629, 638 Daseinsberechtigung 502 Daseinshermeneutik 659 Daseinsverständnis 664 Dennochdurchsetzung 359 Depersonalisation 30 Depression – als Verzweiflung der Unendlichkeit 657 – depressives Erleben 370, 633, 643 – erlernte Hilflosigkeit 675 – Ich und Bewußtsein 30,708 – Vagustod 633 Determinismus – biologischer 279, 619 – genetischer 173 – psychischer 83, 320 Deutscher Idealismus 27, 51, 649 Diagnose – Misere der menschlichen Existenz 639 – sexuell abnorme Persönlichkeiten 613 Dialektik – Hegel 652 – transzendentale 47 Diamantenes Fahrzeug 45

Differenz, ontologische von Sein und Seiendem 659 Disgregations-Angst 630, 631 Disposition, Persönlichkeit 646 dissoziative Identitätsstörungen 620 Divergenz – kulturelle 566 Dogma(tismus) 17, 18, 20, 21, 22, 28, 46, 57, 307, 373, 406, 641, 651, 664 Dualismus 26, 44 – Decartscher 23 – Ich und Es, Freud 51 Dualunion 501, 547 Empfängnisverhütung 460, 603 Empirismus 30, 31, 306, 308, 360, 373, 440, 446 empirische Welt 47, 48, 50, 308 Endlichkeit 639, 650, 655, 656, 662 Energie – in der Sprache Freuds 52, 541, 645, 646 Entfremdung 53, 660, 663, 665 Entwicklung – des Ichs 644, 645 – des Selbst-Bildes 369 Entzug der Wortvorstellung, Verdrängung 333 Epiphänomen 20, 25, 28 Erbsünde 651, 656 Erkennbarkeit Gottes 308 Erkennen – als Syntheseleistung des Verstandes 439– 440, 478 – Begrenztheit unseres Erkennens 46, 47, 442 – erkennendes Bewußtsein, Schopenhauer 48 – und intellectus agens 28 Erkenntnis 19, 26, 27, 28, 32, 442, 553 Erkenntnisakt 27 Erkenntnisfähigkeit 27, 439 Erkenntniskritik 47, 306, 307, 440 Erkenntnismetaphysik 27 Erkenntnistheorie 27, 45, 46, 47, 373, 374, 440 – evolutive Erkenntnistheorie 374 – s. a. Erkenntniskritik Erlösung 651, 663 Erlösungsbedürftigkeit 654 Erlösungslehre 651, 652, 662

Theologische Begriffe und Sachverhalte Es, Freud 109, 534, 654 Eßstörungen – Adipositas 497–502, 637–638 – Anorexia nervosa (Magersucht) 497, 499–502, 534, 536–537 – Bulimie (Eß-Brech-Sucht) 497, 500 Ethik 38, 146, 168 – der Freude, Epikur 25 – gegenüber Tieren 42, 287, 676, 683 – und Kultur 613 Ethnologie (Völkerkunde) 562, 667 Ethologie (Verhaltensforschung) 83, 278, 279, 305, 480, 481, 562, 629, 667, 676 Euphorie – durch Cannabis 551 – durch Cocain und Amphetamine 523, 526 – durch Endorphine 109, 530 – und Liebe 616 – durch Nicotin 538 – durch Opiate und Heroin 518 Evolutionslehre – und Kirche 18, 20, 21 – und Weltbild 38, 44, 374, 441 – Evolutionstheorien der Emotion Ewigkeit 16, 17, 22, 371, 614 Exegese 15 Existenz 15, 16, 18, 19, 21, 22, 47, 192, 218, 298, 307, 440, 630, 634, 639, 643, 664 – bei Heidegger 659, 661, 662 – bei Kierkegaard 649, 651, 654, 655, 656, 662 – bei Sartre 663 – biologische 72, 97 – Gottes 27 existentiale Analytik der Angst, Heidegger 662, 666 Existentialismus 27, 51, 667 Extinktion (Auslöschung) 302, 690 extrauterines Frühjahr 667 Extraversion 325 Familie 500, 523 Familienroman der Neurotiker 323 Fallbeispiel – Übergewicht 499 Feindgewärtigung 632, 633 Feindschaften 566 Feindvermeidung 479, 632, 633

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Fetisch 501, 539 Fetischismus 308 Fettleibigkeit (Adipositas) 491, 495, 497–502, 637–638 Finalgründe 24 Finalismus 360 finalistische Weltdeutung 38, 273 fines (Ziele) 360 Fixierung, psychoanalytisch 499, 645 Flugangst 647 Form des Leibes, Seele 17, 28, 57 Formen der Anschauung 48, 470 Formen der Erkenntnis, Demokrit 373 Formursache des Körpers, Seele 26 Freiheit 13, 18, 19, 28, 47, 48, 53, 57, 87, 119, 222, 665, 666, 708 – bei Heidegger 661, 663 – bei Kierkegaard 650–658, 662, 663 – Grenzen 344 – persönliche 626 – unseres Handelns 298 – Zigarettenwerbung 539 Fremdbestimmung 651, 658 fremde Instanz 30 Fremdeln 674 Fremdheit 319 Freude – Emotionen 570, 580, 581, 676 – Ethik der Freude 25 frühkindliche Erfahrungen 279, 318, 667, 675, 677 Fundamentalismus 636 Fundamentalontologie, Heidegger 659 funktionaler Leidensdruck, psychoanalytisch 702 Furcht – psychoanalytisch 641, 644, 648, 658 – Unterscheidung Angst-Furcht 653, 658, 660, 661, 662, 664, 665, 666 «Ganztod»-Lehre 16 Gebet 308 Geborgenheit 530, 531, 627, 643, 665, 668, 670 Gebote 651 Geburts«trauma» 641–642 Gedächtnis – biographisches 29, 173, 321, 329 – Deckerinnerungen 322 – frühkindliche 679

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Theologische Begriffe und Sachverhalte

– Identität der Person 29, 30, 321 – kollektives 628, 689 – traumatische 578 – und Assoziationen 319 – Verdrängung 49, 333, 335, 579, 648 Gegenbesetzung 646 Geist – als Abbild Gottes 23 – als Epiphänomen der Materie 20, 23 – als «Geistzentrum» 428 – als materielle Prozesse 20, 34 – als tätiger Geist (intellectus agens) 27, 373 – Anfänge von Geist bei Aplysia 287, 298, 316 – an Geist erkranken 629 – aus Materie 44 – Beeinflussung des Körpers 24 – Definition von Jung 360 – geistige Akte, Demokrit 25 – geistige Kräfte (spiritus) 34 – Geistnatur des Menschen 27, 319 – göttlicher Geist 222 – Heiliger Geist 57 – Sitz in Augen und Gehirn, Alkmaion von Kroton 33 – Sitz in den Ventrikeln, Mittelalter 33 – Sitz in Großhirnrinde 88 – Sitz in Herz und Blut, Aristoteles 33 – und Angst, Heidegger 665 – und Angst, Kierkegaard 649, 653–655, 657–658 – und Erkenntnis, Platon 28 – und Kausalität 307 – und Seele 21, 24, 26, 28, 29, 30, 321, 323 – unsterbliche Geistseele 21, 26, 321, 323 Geisteskrankheit 353 Geistestätigkeit 13, 19, 28, 30, 34, 37, 45 geistige Substanz 15, 30 geistige Untätigkeit, Auswirkung auf Gehirn 298 Geistmetaphysik, Deutscher Idealismus 649 Geld 42, 342, 465 Gemeinsinn (sensus communis) 34 Generalisierung 286, 338, 560 Generalisierte Angststörung (GAS) 678 genitaler Bereich, psychische Störungen 641 Gerechtigkeit 13, 499, 547, 613, 635 Gericht 300

Geruchswahrnehmung – dunkle Form der Erkenntnis, Demokrit 373 Geschichte 285, 639 Geschichtsschreibung 323 Geschichtsverlauf 13, 20 Geschmacksaversion 302 Geschmackswahrnehmung – dunkle Form der Erkenntnis, Demokrit 373 Gesellschaft 52, 67, 155, 339, 342, 442, 497, 499, 500, 501, 517, 539, 550, 551, 611, 620, 622, 635, 649, 707 Gesetze – der bewirkenden Ursachen 24 – der Finalgründe 24 Gesichtssinn – dunkle Form der Erkenntnis, Demokrit 373 Gesichtsverlust, Schamkultur 566 Gespräch – Abschiedsgepräch, Sokrates 16 – Lehrgespräch, Nagasena 45 – Therapiegespräche 371, 534 Gestaltpsychologie 446 Gewissensangst 640, 645 Glaube – christlich 21, 26 – katholisch 17, 18, 20, 21, 22, 26 – Kierkegaard 662 – Native American Church of the United States 555 – philosophischer, Jaspers 664 – und Wissenschaft 53 – Unterscheidung zwischen zu Glaubendem und Wißbarem 47 – Unzerstörbarkeit der Seele 13 Glaubenskongregation 20 Gleichberechtigung 539 Gleichgültigkeit 372 Glück 15, 53, 304, 371, 459, 539, 562, 614, 656 Glücksgefühle 109, 111, 545 Glücksspiel 536 Gnade 548, 665 Gnadenweg der Natur, Tod 633 Gnosis 26 Gott – als oberste Ursache 307 – bei Kierkegaard 650–651

Theologische Begriffe und Sachverhalte – Beweis Gottes 307, 553 – Erkennbarkeit Gottes 308 – «Ganztod»-Lehre 16 – Geist Gottes 287 – «Gott ist tot» 53 – göttliche Offenbarung 16 – Macht Gottes 17, 21 – Mensch als Ebenbild Gottes 22 – Morpheus 517 – Okkasionalismus 23 – Schöpfungswerk Gottes 15 – Soma, Brahmanismus 553 – Sonnengott, Inkas 523 – Strafe Gottes 636, 654 – und Angst 648 – Verbot Gottes 653–654 – Vertrauen in Gott 373 – von Gott geschaffene Seele 17–20, 22 – Waldgottheit Pan 630 Götterspeisenpflanze 554 Gottesurteil 239 Grammatik 36 Grausamkeit 35, 92, 239, 329 Grieche, Platon 447 griechische Mythe 620 Grundbefindlichkeit des Daseins, Angst (Heidegger) 661, 663, 666 Grundform(en) – aller Ängste, Freud 583 – der Daseinsangst 629–630, 638–639, 658, 671 Grundlage der Erkenntnis, Wahrnehmung 28 Grundlagenforschung, Tierversuche 39 Grundeinrichtungen der Natur 272 Grundgesetz des Unbewußten, Lustprinzip 502 Grundvorgänge des Lebens, symbolische Ausdrucksformen 501, 535 Gruppe – Abgetrenntheit von der Gruppe 632, 634 – Ausschluß aus der Gruppe 635 – Mobbing 635 – Selbststabilisierung 635, 636, 637 Gruppenaggressivität 635 Gruppenbildung 589 Gruppenmitglieder 632, 634 Guantanamo-Bay 93, 336 Güte der Natur 516 Guten, die 547

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Güterbahnhofsdirektoren 561 gute Sitte, Hühnerhof 635 Habmachtideale 535 Halluzination(en) 164, 255, 528, 554, 555 Harmonie – prästabilisierte 23 – Streben nach Harmonie 219 Härte gegen sich selbst 156 Hebräisch 15 Heiliger Geist 57 Heiligtum des Asklepios 370 Heilmittel, Tod 25 Heilung, seelische Erkrankungen 659, 667 Heimatlosigkeit 657 Hermeneutik 659, 666 Hermaphroditismus 620 Herrschaft des Lustprinzips 109 Herrschaftswissen, Neurologie 613 Herz als Sitz des Geistes 33 Hiatus 668 Hierarchie, soziale 41 Hilflosigkeit – biologische 642 – Depression 370, 633 – erlernte Hilflosigkeit, Seligman 675 – psychische 370, 547, 613, 642, 645 Hippie-Bewegung 526, 550 Himmel 627, 665 Hinduismus 48 Hirnkammer (Ventrikel) – historische Vorstellungen 33–34 – Sitz von Geist und Seele 33, 148 Hochmut 651, 652 Hoffnung 13, 15, 17, 22, 26, 111, 548, 625, 708 Hominiden 160, 172 Homo – erectus 493, 637 – sapiens 187, 467, 469, 566, 568, 676, 691 Homöostat-Organ, Gehirn 52 Homosexualität – moralische Bewertung 622 – WHO 622 Hospitalisierungsexperimente 671 Hospitalismus 671, 676 Hospitalismussyndrom 676 Hunger 30, 92, 479, 480, 482, 493, 494, 495, 503, 504, 523, 535, 582, 636, 637, 639, 670 Hypnose 335

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Theologische Begriffe und Sachverhalte

Hylemorphismus, Aristoteles 318–319 Hysterie 335, 640, 644, 657 hysterische Amnesie 335 Ich – Abgrenzung Ich und Nicht-Ich 318– 319, 556 – absolutes Ich 373 – als Funktion und Symbol, Lacan 51, 52 – bei Fichte 373, 556 – Erkenntniskritik 440 – Leugnung im Buddhismus 46 – persönliches 13 – psychoanalytisch 49–52, 67, 322, 333, 640–641, 644–646, 648–649, 654, 658 – Sinneswahrnehmungen als ein «Erleiden» des «Ich» 373 – und Körperwahrnehmung 318–319 – Vorstellung eines Ich 30, 45 – Vorstellung eines «Ich-denke» 47, 439– 440, 457, 478 Ich-Bewußtsein 28, 29, 591 Ich-Bezug 591 Ich-Empfindung, Veränderung durch LSD 557–558 Ichstärke 626 Ichtriebe 50 Ideal 38, 500 Idealismus 27, 28, 46, 51, 308, 373, 478, 649 Idealität 29, 46 Idee 16, 46, 662 ideelle Wahrheit 447 Identifikation 643, 646 Identität – der Person 30, 279, 319, 536, 587 – sexuelle 619, 620, 624 Identitätsstörungen 620 Ideologie(n) 454, 620, 639 imaginatio (Vorstellungskraft) 34 Imago 644 Individualbeziehung, Mutter-Kind 668 Individualität 13, 28, 44, 48, 304, 657 individuierendes Prinzip (principium individuationis) 319 Individuum 19, 480, 563, 591, 629, 634, 635, 666 Inkarnation – des Logos 57 – der Seele im Leibe 28

Inkas 523 Introversion 325 Illusion(en) 48, 51, 53, 164, 443 Indien 46, 48, 550 infantile Ängste 629, 645 infantiles Verhalten 645 Institution, religiöse 16 Integration 74 Integrationszentrum 45 intellectus agens 26, 27, 28, 373 intelligible Welt 47, 48, 50 Intensität – Verschiebung der psychischen Intensitäten, psychoanalytisch 358–359 Introjektion 49 Introspektion (Selbstbeobachtung) 49, 299, 325, 644 Intuition 35, 336, 708 Islam 27, 566 Isolation 581, 583, 632, 634, 668, 702 Jenseits 372, 506 Justiz 87, 613 Kaffee 548 Kalabarbohne, Schuldtest 239 Kampf 526, 564, 565 – Konkurrenzkampf 438, 707 – ums Dasein 441, 632, 638–639 – ums Überleben 113, 286, 306, 336, 375, 442, 479, 628, 707 Kampf/Flucht-Reaktion 701 Kampfhahn 707 Kampfmittel 526 Kampfmoral 526 Kampfstoffe 239, 639 kannibalistische Wünsche 643 Kaspar-Hauser-Kinder 668–670 Kastrationskomplex 624, 641, 642, 643, 644, 645, 652 Katastrophen 381, 385, 501, 526, 702 Kategorie – der Kausalität 307, 308 – des Verstandes 47, 439 – von Recht und Moral 253 – Konflikt, psychoanalytisch 68, 369, 370, 643, 644 Kategorisierung 333 Kausalismus 360

Theologische Begriffe und Sachverhalte Kausalität 20, 306, 307, 308, 441, 529, 651, 658 Kausalitätsprinzip 308 Kindheit 298, 318, 319, 320, 322, 370, 498, 499, 502, 547, 589, 628, 629, 641–649, 667–669, 674–677, 679, 701 Kindheitserinnerungen 322 Kirche 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 27, 45, 57, 67, 307, 373, 622, 639, 665 Klavier 44 Kompensation 156, 341, 498 Konflikt(e) 68, 370, 566, 643, 644 König Milinda (König Menandros) 45 Konkurrenzkampf 438, 707 Konstruktivismus 442 Konversion 20 Konzil – von Vienne 17, 57 – 2. Vatikanisches Konzil 19, 20 Kooperation 342 Körper – und Seele 17, 20, 22–30, 33, 46, 319, 321, 658, 659, 662 Körperich 318 Krankheit 191, 335, 372, 536, 542, 545, 546, 547, 564, 623, 635, 636, 639, 659, 682 kreationistische Weltsicht 17, 21 Krieg 15, 239, 517, 518, 526, 566, 589, 620, 647, 648, 669 – Kriegspropaganda 566 Kult 555, 560 Kultur 52, 68, 239, 467, 523, 554, 556, 565, 566, 579, 588, 613, 632, 634, 636, 647, 668, 707 Kulturanthropologie 304, 589 Kulturgeschichte 57, 381, 634 Kulturkritik 550 Kulturunfähigkeit 634 Kybernetik 483 Lachen 443, 444, 566, 567, 568 Läsion(en) – und Persönlichkeit 30, 154 Latenzzeit, psychoanalytisch 644–645 Lebensverweigerung 628 Leere, Gefühl von 539 Lehrgespräch, Nagasena 45 Leib-Seele-Problem 24 Leid 13, 38, 40, 41, 154, 240, 372, 414, 547, 548, 566, 638, 685, 702 Leiden an Bewußtheit 628

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Leidenschaft(en) 32, 607, 626, 640 Leidensdruck 667, 702 Leistungsdruck 500 Libido 50, 51, 643, 644 Libidostauung 642 Liebe 341, 371, 499, 501, 535, 536, 548, 580, 594, 606, 607, 614–618, 625–627, 645 Liebenswürdigkeit 641 Liebesentzug 638, 644 Liebesfähigkeit 641 Liebesverlust 49, 641, 643, 645, 646 lingua franca 567 Liquor cerebrospinalis, Sitz der Seele 33 Logos, Inkarnation 57 Lügendetektor 300 Lustprinzip, psychoanalytisch 109, 308, 500, 502, 534, 535, 646, 649, 654 Macht – der Folter 95 – der Verhungerungsangst 637 – des Überichs 336 – Gottes 17, 21 – Konflikt Macht-Ohnmacht 643 – Machtgefühle beim Rauchen 539 mangelnde Zuwendung, Zwergenwuchs 677 Manichäismus 26 Märchen 501, 554, 657 Marschland 512 Mäusephobie 638, 647 Maya 48 Melancholiker 33 Menschenrechte 619 Metaphysik 21, 26, 27, 307, 321, 387, 406, 649, 657, 659 Milindapanha 45 Militär 39, 67, 92, 93, 239, 240, 300, 342, 507, 526, 634, 647 Minderwertigkeitsgefühle 535, 649, 652, 701 Misere des Menschseins 630, 638, 639 Mißtrauen 156 Mißverhältnis zu sich selbst, Kierkegaard 651, 656, 662 Mitleid 42, 548, 562, 639 Mittelalter 28, 33, 34, 45, 307, 318, 556, 634 Mond 553 Monadologie 23 Monade 23 Monismus 25, 26

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Theologische Begriffe und Sachverhalte

Monogenismus 18, 19, 20 Monotheismus 308 Monotonie 707 Moral 18, 57, 87, 253, 442, 479, 500, 588, 634, 635, 649, 654 moralisches Gesetz 47 moralisches Problem, Tierversuche 240 Moralität 13, 635 Mord 550, 668 Musik 159, 588, 632 Mutter, psychoanalytisch – Abhängigkeit von der Mutter 641, 642, 643, 645 – Einfluß der Mutter 674–677 – Eßstörungen 500–501 – «gut genug» Mutter, Winnicott – Hospitalismussyndrom 676–677 – introjiziertes Bild der Mutter 644 – Mutterarchetyp 677, 679 – Mutter-Kind-Dualunion 547 – ödipale Phase 644 – orale Phase 539 Mythe von Hermaphroditos 620 mythisches Bild 15, 16, 636 Mythos 322, 323

Objekt – Erkenntnistheorie 47, 50, 307, 373, 440 – Subjekt-Objekt-Spaltung 625, 440 – und Subjekt im Erkenntnisakt 446 objektives Erkennen 440 Objektivität 38, 299, 374, 476 Objekt-(Real-)Angst 644 Objektverlust 645 Objektverlustangst 583, 644, 645 ödipale Rettungsphantasien 535 Ödipuskomplex 641, 644 Offenbarung 16, 18, 371, 553 Ohnmacht 92, 95, 370, 539, 642, 643, 655, 657 Okkasionalismus 23 ontische Kenntnisse vom Seienden, Heidegger 665 Ontogenese 18, 177, 595 Ontologie 22, 659 ontologisch 21 ontologische Differenz 659 ontologisches Problem 665 Opfer 308 orale Ambivalenz 643 orale Phase 499, 539, 547, 643 oral-sadistische Phase 643

Nagasena 45 Neo-Psychoanalyse 24 Nestflüchter 667 Nesthocker 667 Neues Testament 15, 651 neurodegenerative Erkrankungen 90 Neurose 280, 318, 629, 640, 642, 657, 658, 659, 676 – Angstneurose 89, 244, 646, 647 – Depression 643 – Hysterie 335, 640 – Neurosenlehre 305, 335, 336, 578, 629, 640–644, 646, 656, 657, 658 – Paranoia 335, 632 – Sexualneurose 632 – Zwangsneurose 146, 335, 643, 657 Neurosenlehre 305, 578, 656, 658 Neuscholastik 27, 28 Nicht-Ich 318 – bei Fichte 373, 556 Nichtwissen 337 Nominalismus 45 noumenale Welt 47, 48

Paarbindung 614 Paarung 467, 614, 615, 636 Paarungsverhalten 461, 464, 467, 482, 612, 636 Pädophilie 613 Pali, heilige Sprache 45 Panikattacke 677 Papst 18, 19, 20, 307, 548 Paradox 218, 272, 646 Paranoia 335, 632 Person 17, 19, 29, 30, 45, 46, 57, 87, 319, 321, 323, 375, 502, 560, 627, 635, 641, 642, 643, 646, 657, 664, 708 Personalität 13, 28, 46, 321 persönliche Biographie 173, 329, 591 persönliche Einzigartigkeit 44 persönliches Ich 13 Persönlichkeit – Angst 639, 643, 646, 663, 666, 701, 702 – Buddhismus 45 – Entwicklung 639, 666 – Gehirnstruktur 33, 35 – Gene/Umwelt 173 – im Buddhismus 45

Theologische Begriffe und Sachverhalte – – – – – – –

Kant 47 Magersucht 501 präfrontaler Cortex 35 psychoanalytisch 49, 639, 643, 646 Spielsucht, Dostojewski 501, 535–536 und Unendlichkeit 47 und Wahrnehmung und Erinnerung 321, 323 – Zerfall 340, 522, 545 – zwanghafte 643 Persönlichkeitsentwicklung 502 Persönlichkeitsmerkmale 325 Persönlichkeitsschäden 44 Persönlichkeitsstruktur 501, 542, 701 Persönlichkeitsveränderungen 32, 39, 154, 332, 340 Personsein 666 phänomenale Welt 48, 50 Phänomenologie 27, 659, 662, 666 phantasia 34 Phobien 302, 640, 645, 647, 648 – Agoraphobie 648 – Situationsphobie 647 – Syphilophobie 645, 647 Phylogenese 18, 177, 261, 564 Planung – Handlung 82, 161, 167, 587 – ohne Plan 191, 271 – Tierversuche 42 planende Vernunft 589, 638 Polyethismus 266, 308 Polygenismus 18, 20 Polytheismus 308 Population 624 Positivismus 308 Postulate, Kant 47, 53 präexistente Seele 447 Prägung 278, 279, 318, 668 Pranger 634 prästabilisierte Harmonie 23 Priester 561 Priesterärzte 370 Priesterschaft 523 primäre Emotionen 586 Primärprozeß, Psychoanalyse 320 Projektion 49, 647 Projektionsgestalt 21 Promiskuität 614 Prospektivismus 360

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protestantische Theologie 15, 16 Psychedelika 553, 555, 556, 558, 560, 561 psychiatrische Erkrankungen 30 psychische Erkrankungen 38, 39, 112, 302, 659, 666 Psychoanalyse 24, 49–53, 83, 88, 109, 112, 191, 279, 285, 299, 305, 318, 320, 333, 336, 342, 351, 352, 369, 499, 501, 534, 539, 540, 547, 548, 577, 578, 579, 622, 624, 636, 637, 640, 641, 643, 644–646, 656, 657, 658, 667, 675, 677, 702, 708 – Angst 640, 643, 645, 667, 675 – Es 109, 534, 654 – frühkindliche Erfahrungen 279, 318, 667, 675, 677 – funktionaler Leidensdruck 702 – Hysterie 335, 640, 644, 657 – Ich 49–52, 640, 646 – Lustprinzip 109, 308, 502, 534, 654 – Neo-Psychoanalyse 24 – Neurosenlehre 305, 578, 656, 658 – ödipale Phase 535, 641, 644 – orale Ambivalenz 643 – orale Phase 499, 539, 547, 643 – oral-sadistische Phase 643 – Schizoidie 657 – Sexualität 622, 624, 636 – Struktur der seelischen Persönlichkeit 49, 50, 534 – Sucht 499, 534, 539, 540, 547, 548, 637 – Symptomtradition 675 – therapeutische Methode 299, 333, 336, 351, 352, 501, 579, 667 – traumatische Amnesien 333 – traumatische Situationen 112, 577 – Traumtheorie 320, 351, 352, 369 – Überich 49, 67, 336, 359, 500, 540, 548, 646 – Unbewußtes 49, 50, 67, 83, 305, 333, 359, 369, 372, 502, 578, 579, 629, 647, 648 – und Psychosomatik 191, 318, 708 – Wiederholungszwang 112, 578, 648 psychoneurotische Erkrankungen (Neurosen) 280, 318, 629, 640, 642, 657, 658, 659, 676 – Angstneurose 89, 244, 646, 647 – Depression 643, 657 – Hysterie 335, 640 – Neurosenlehre 305, 335, 336, 578, 629, 640–644, 646, 656, 657, 658

856

Theologische Begriffe und Sachverhalte

– Paranoia 335, 632 – Sexualneurose 632 – Zwangsneurose 146, 335, 643, 657 psycho-physischer Parallelismus 24 Psychosomatik 70, 84, 227, 280, 318, 335, 343, 459, 564, 607, 620, 636, 659, 666, 676, 679, 682, 692, 694, 697, 699, 701 psychosomatische Erkrankungen 191, 280, 318, 607, 620, 659, 666, 676, 682, 692, 697, 699, 708 psychosozial verursachter Zwergenwuchs 677 psychosozialer Streß 41, 682, 702 psychotische Erkrankungen (Psychosen) 90, 146, 280, 318, 528, 629, 659 – Cocain- oder Amphetaminpsychose 523, 528 Psychotherapie 52, 191, 333, 371, 502, 649, 659, 664, 665, 689–690, 707 Pubertät 644 Radikale, biologische 629 Rauchergewohnheiten 539 Realität 46, 49, 50, 51, 336, 354, 372, 373, 424, 541, 560, 589, 640, 646, 648 Realitätsangepaßtheit 589 Realitätskontrolle 354 Realitätssinn 373 Rechtfertigung 307, 613, 636 – lutherisch 656 Rechtsprechung 300 Rechtssystem 613, 634, 635 Reduktionismus 24, 44, 360 Reflexionsphilosophie 27, 662 Regression 359 Religion – als Vorform des Vernunftgebrauchs 308 – alte Religionen 372, 554 – und Psychedelika 553, 541 Religionsgeschichte 553 Religiosität 13, 48, 635 religiöse Doktrin 22 religiöse Grundhaltung, Therapie 665 religiöse Ideologien 454, 665 religiöse Riten 308, 501, 555 religiöse Scheinsicherheiten 664 Resignation 643, 651, 655 Retrospektive 35 Revieransprüche 68, 479, 564, 589

Ritual, Beschneidung 619 Ritualisierung 501, 563, 564, 565, 637 Rivalen 564 Rivalenkämpfe 565, 683 sadistische Phase, psychoanalytisch – anal-sadistisch 643 – oral-sadistisch 499, 643 Schamkultur 560 Scheinsicherheiten 664 Scheitern 547 Schichtung der Wirklichkeit, Hartmann 83 Schicksal 172, 173, 272, 279, 308, 636, 638, 651, 657, 658 Schizoidie 657 Schizophrenie 73, 76, 87, 109, 146, 164, 254, 524, 528, 708 Scholastik 27 Schöpferkraft Gottes 20 Schöpfung – Gottes 15, 20, 21, 53, 307, 374 – Schöpfungserzählung 16 – Seele 17–20 Schöpfungswerk Gottes 15, 320 Schönheit 15, 192, 340, 499, 556 Schuld 218, 308, 613, 635, 636 – bei Kierkegaard 652, 654, 655, 657 Schuldangst 634 Schuldbewußtsein 42 Schuldgefühle 499, 502, 518, 580, 625, 643, 649 Schuldtest 239 Schuldunfähigkeit 613 Seele – als innerer Betrachter 406 – Dreiteilung bei Platon 34 – Form des Leibes 17, 28, 57 – Geistseele 321, 323 – hebräisch 15 – Leib-Seele-Problem 20, 23, 24 – Merkmale der Seele 26, 28–29, 46 – präexistente Seele 447 – Seele der Tiere 22, 23, 26, 300 – Sitz der elementaren Lebensbedürfnisse 15 – Sitz der Seele 33, 34–35, 38, 148 – Tätigkeiten der Seele 708 – Trägerin von Bewußtsein 13, 28 – und Erkenntniskritik 46, 47, 48

Theologische Begriffe und Sachverhalte – und Geist 21, 26, 28, 30, 321, 323 – und Leib/Körper 15, 17, 20, 22–28, 30– 31, 33, 45–46, 57, 650, 653, 658, 659, 662 – und psychedelische Drogen 551, 553, 557 – und Wahrnehmung 45–46 – Unsterblichkeit 13–17, 21–23, 26, 27, 29, 46, 47, 53, 154, 708 – Vernunftseele 26, 27, 154 – von Gott geschaffen 17–20 – «Zerfall» der Seele 340, 656, 657 Sehnsucht 29, 371, 535, 548, 614, 625, 670 Selbst – als Trug der Maya 48 – bei Heidegger 665 – bei Jung 553 – bei Kierkegaard 650–651, 655–657 – Frage der Existenz des Selbst 44–45, 48, 52 – Ort des Selbst 103, 159 Selbstablehnung 652 Selbständigkeit 707 Selbstbeschränkung 300 Selbstbestimmung 83, 87 Selbstbewußtsein 13, 19, 44, 48, 103, 159, 272, 321, 626, 666, 708 Selbst-Bild 369 Selbstdomestikation 633 Selbsteinschätzung 649 Selbsteinschluß 665, 674 Selbstentfremdetheit 665 Selbstentleerung 702 Selbsterfahrung 370 Selbsterhaltung 640 Selbsterkenntnis 299 Selbstische, das 655 Selbstgewißheit 613 Selbstmord 523, 561 Selbstidentität 13, 154, 651, 707 Selbstkontrolle 35, 253, 499 Selbstreflexion 666 Selbstsein 28, 649, 653, 662, 663, 664, 665 Selbstsicherheit 661 Selbststabilisierung der Gruppe 635 Selbststilisierung 323 Selbstüberhöhung 651 Selbstverachtung 651 Selbstverfügung 651 Selbstverlust 656

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Selbstverlorenheit 657 Selbstvertrauen 649, 664, 707 Selbstvollzug 650, 651 Selbstwahrnehmung 30, 318 Selbstwerdung 653, 656, 658 Selbstwertgefühl 541, 562, 626 Selbstzerstörung 658 Selbstzweck, Essen 499 Selbstzweifel 536 Selektion 378, 441 Selektionsprozeß 21, 271 semantische Assoziationen 327 semantisches Gedächtnis 319, 324, 328, 329, 330, 333, 337, 338 semantische Stufe der Verarbeitung 453, 456 sensus communis (Gemeinsinn) 34 Sexualneurose 632 Sexualstraftat 613, 620, 621 Sicherheit 451, 589 Simplizität 28, 46 Sinn einer Sucht 533–534, 658 Sinneswahrnehmungen – als dunkle Form der Erkenntnis 373 – als Erleiden des Ich 373 – durch Seele, Nagasena 45–46 – Seele als Einheitszentrum der Sinneswahrnehmungen 28–29 – Subjektivität 441 – unter der Einheit des «Ich denke», Kant 47, 439 – Vertrauen in die Sinne 373 Sinnleere 534 Sinnlichkeit 28 Sinnlosigkeit 13 Sinnsuche 561 Sinnverlust 702 Sittencodex, Hühnerhof 635 Sittlich-Allgemeine, Hegel 657 Situationsphobie 647 Skeptizismus 373, 440 Sonderstellung des Menschen, Rahner 19 soziale Bindungen 531 soziale Deprivation 676 soziale Existenz 634 soziale Identität 279 soziale Konventionen 584, 588, 635, 645 sozialer Streß 41, 682, 702 soziales Lernen 620, 624 sozialisierte Individuum, das (Hegel) 657

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Theologische Begriffe und Sachverhalte

Sozialpsychologische Ideologie 620 Sozialverhalten 33, 41 species intelligibilis 27 species sensibilis 34 Spiel/Freude, Basisemotion 581 Spielsignal 567 Spielsucht 87, 535–536 «Spielzeug»roboter, Harlow-Versuch 669 Sprache – archaische Sprache, Traum 359 – Entzug der Wortvorstellung 333 – und Identität der Person 319 Sprachverständnis 36–37, 152 Sprechen 319, 369 Standhalten 707 Sterben 23, 174, 272, 273, 280, 371, 479, 558, 639 Stolz 541, 562, 566, 651, 652, 707 stoned 518 Strafe 49, 286, 304, 305, 309, 370, 499, 593, 613, 634, 635, 636, 638, 641, 643, 644, 654 Strafangst 535, 647, 648, 651 Straferwartung 305 Strafgewalt, Eltern 644 Strafjustiz 613 Straftat 479, 613, 620, 621, 635 Streß – Beispiele für Streßsituationen 682, 700 – Fallbeispiel 370–371 – Geruchsaura 466 – Posttraumatisches Streß-Syndrom 620 – Trennungsstreß 583 – und psychische Traumata 334 – und traumainduzierte Amnesie 336, 337, 579 Struktur der Persönlichkeit 33, 49, 51, 501, 542, 701 Strukturalismus 51 Subjekt 45, 51, 53 – Bildung des Subjekts 478 – Empfindung 29, 139 – transzendentales Subjekt 478 Subjekthaftigkeit 653 subjektive Bedingung des Denkens 47 subjektiver Faktor – im Angsterleben 682, 701 – in der Wahrnehmung 441, 442, 446, 453 subjektiver Idealismus, Fichte 373

Subjekt-Objekt-Spaltung 440, 446, 625 Substantialität 28, 46 Sucht, psychoanalytisch 499, 534, 539, 540, 547, 548, 637 Sünde 19, 622, 636, 651, 652, 654, 655 Sündenfallerzählung 18, 20, 652 «Sündenlehre», Heidegger 663 Symbol (symbolisches Denken) 51, 52, 358, 359, 360, 370, 371, 556, 636, 638, 641, 644, 647 – Wiener Schule 360 – Züricher Schule 360 symbolische Ausdrucksformen, Nahrung/ Suchtmittel 501, 502, 535 symbolische Ersatzbefriedigung 363 Symptomtradition 675 Synthese(leistung) – bei der Wahrnehmung 451, 453, 457, 458, 459 – Erkennen als Syntheseleistung des Verstandes 439 – und Angst 655, 656 – und Geist 655, 656 – von Freiheit und Notwendigkeit 650 – von Seele und Körper 659 – von Unendlichem und Endlichem 650, 656 – von Zeitlichem und Ewigem 650 Syphilophobie 645, 647 teleologische Weltdeutung 38 Teufel 558 Teufelskreis 656 Thanatos Theologie 13–16, 18, 21, 23, 28, 29, 34, 46, 52, 53, 57, 285, 307, 323, 373, 406, 428, 439, 553, 630, 651, 708 Theologiegeschichte 447 therapeutische Methode, Psychoanalyse 299, 333, 336, 351, 352, 501, 579, 667 Theravada-Buddhismus 45 Tiefenpsychologie 320, 359, 360, 361, 370, 501, 679 Tiere – als beseelte Maschinen 23 – als Reflexmaschinen 300 – Seele 22, 23, 26 – sinnliche Wahrnehmung der Tiere 34 – Unsterblichkeit 22

Theologische Begriffe und Sachverhalte Tod 15, 16, 17, 25, 27, 42, 228, 229, 308, 325, 538, 628, 647, 682 – Gewißheit 503, 504, 628, 638, 656, 662 – Gottes 53 – Hoffnung auf Unsterblichkeit 372, 708 – nach Erkrankungen 341, 344, 544, 548 – theologisch 636, 663 – und Liebe 617 – Voodoo-Tod 634 Todesangst 633, 644 Todesgefahr 631 Todesstrafe 336 Todestrieb 50 Todesurteil 632 Todfeind 633 Totalanschauung 95, 300 totale Isolation, Harlow-Versuche 668 Totalität 53 Totalverweigerung 499 Totstellreflexe 631 tragisches Weltbild – Schopenhauer 47 – von Bertalanffy 628 Tragling(sphase) 668 Transsexualität 624, 625 Transzendente, das (durch Psychedelika geoffenbart) 553, 556 Transzendenz 19, 664 transzendentale Kausalität Gottes 20, 21 transzendentaler Idealismus 308 transzendentales Subjekt 308 transzendentale Welt 320 Transzendentalphilosophie 27, 46–47, 441 Trauer 486, 562, 570, 583, 617, 669, 676 Traum 349, 352 – Funktion, psychoanalytisch 358, 370, 535 Trauma 112, 333, 334, 336, 517, 521, 577, 578, 641, 676, 677, 690, 699 – Posttraumatisches Streß-Syndrom (PTSD) 620 – Trauma der Geburt 641 Traumanalyse 333, 351, 352 Traumarbeit 358–359 traumabedingte Amnesien 333, 334, 336, 579 traumatische Situationen 112, 577 Traumdeutung 359, 370–371 Traumsymbol 359, 360

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Traumtheorie, Psychoanalyse 320, 351, 352, 369 Trennungsangst 644, 677 Treue 606, 614 Trieb 49, 50, 57, 67, 305, 333, 370, 479, 480, 482, 497, 499, 500, 501, 589, 613, 641, 643, 644, 645, 646, 647, 648, 651, 652, 654, 668 Triebdynamik 542 Triebeinschränkungen 358, 649 Triebenergien 646, 651 Triebgefahren 646, 647 Triebtheorie, Freud 481 Triebunterdrückung 363, 369, 370 Triebwünsche 49 Triebzielinversion 302, 623 Trinkfestigkeit 522 Trost 13, 50 Tugend 615 Überforderung 370 Überflutung, Deiche 512 Überich 49, 50, 67, 336, 359, 500, 540, 548, 644, 645, 646, 648, 654, 658 Überkompensation 649 Überlebenskampf 113, 306, 375, 442 Überlebensmaschinerie 51 Überlebensstrategie 674 Überraschungsangriffe 637 Unbedeutsamkeit des Innerweltlichen, Heidegger 660 Unbeherrschtheit 527 Unbewußtes – Grundgesetz, Lustprinzip 502 – psychoanalytisch 49, 50, 67, 83, 305, 333, 359, 369, 372, 502, 578, 579, 629, 647, 648 – tiefenpsychologisch 689 – Träumen 369 – unbewußt gesteuerte Vorgänge im Körper 28, 72, 74, 98, 112, 319, 467, 572, 577, 579, 676 – Verdrängung 333, 359, 629 – Wiederholungszwang 578, 648 – Züricher Schule 359–360 Uneigentlichkeit, Heidegger 660, 661, 663, 665 Unendliche, das 27, 29, 47, 57, 547, 639 Unendlichkeit 650, 655, 656, 657, 662, 663 Unentrinnbarkeit, Sterbedasein 638 Unerfüllbarkeit 501

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Theologische Begriffe und Sachverhalte

Unerreichbarkeit (stoned) 518 Unfreiheit 534 Ungehorsam 527, 651 Ungewißheit, geschlechtliche Identität 619 Ungleichzeitigkeit, Triebausstattung-Umwelt 589 Unglück 584, 635, 636, 658 Unheilgewärtigung 634, 671, 672 Unheilgewärtigungssituation 671 Unheilserwartung 647 Unheimlichkeit des Daseins, Heidegger 661 Universalienstreit 45 Universalismus, Averröes 28 Universalität der Gefühle 676 Unkörperlichkeit der Seele 26 Unlustgefühl, Eßverhalten 498 Unplanbarkeit, Schicksal 638 Unreife, Ich 645 Unruhe 539, 544 Unschuld 500, 652, 653, 654 Unselbständigkeit 499, 645 Unsicherheit 566 – Wahrnehmungssystem 451 Unsterblichkeit der Seele 13–16, 21–23, 26, 27, 29, 46, 47, 50, 53, 154, 280 Unterdrückung 613 Untergang des Ödipuskomplexes 644 Unterlegenheit 564 Unterscheidung – zwischen «Ding an sich» und «empirischem Objekt» 50 – zwischen Wesen und Erscheinung 50 – zwischen Wißbarem und zu Glaubendem 47 Unterwerfung 643, 652 Unterwürfigkeit 564 Untreue 614 Unverletzlichkeit der Seele 13 Unwissenheit 30, 652, 653 Urheber, Ich als Urheber von Willensentschlüssen 30 Urknall 20, 21 Urlaub 677 Ursache 307, 360 – innerweltliche Ursache, durch Gott gesetzt 19 – Körper handeln nach bewirkenden Ursachen 24, 658 – von Unglück, psychoanalytisch 658

Ursprung – der Angst 645 – der Kastrationsangst 642 – der Schöpfung 23 – der Seele, Eccles 44 – der Seele, Rahner 19 – der Träume 363 – des menschlichen Leibes 18, 19 – Gott als Ursprung 307, 651 – Seele als Ursprung des Ich-Bewußtseins 28 Ursünde 19, 652 Urszenen, archetypisch 689 Urteil der Kirche 18 Urwald 51 Urzeit, agriologisches Erleben 632 vagotonal 633 Vatikanisches Konzil, Zweites 19, 20 Verantwortung 298, 649, 650, 663, 676 Verdrängung 333, 336, 640, 644, 645, 646, 648 Verdrängungswiderstand 333 Vereinzelung 632, 661 Verfolgungswahn (Paranoia) 335, 632 Verhaltensforschung (Ethologie) 83, 278, 279, 305, 480, 481, 562, 629, 667, 676 Verhaltenstherapie 112, 302, 304, 659 Vernunft – Christen 16 – immateriell (ratio) 34 – keine planende Vernunft in Evolution 58, 382 – Paralogismen der reinen Vernunft, Kant 46–47 – praktische Vernunft, Kant 47 – Religion als Vorform des Vernunftgebrauchs 308 – und Angstbearbeitung 638 – und archaische Gefühle 589 – und Glauben (Hegel) 662 – Vernunftbeweis 307 – Vernunftidee 47 – vernünftige Seele, unsterblich 22, 26, 27, 154 – Vernunftlose (Tiere) 22, 23, 26 – Vernunftseele 26, 27, 154 Verstand – Beweis Gottes 307

Theologische Begriffe und Sachverhalte – Erkennen als Syntheseleistung des Verstandes 439 – Mensch, unsterblich 22 Verstandeskategorie 47 Verstandestätigkeit 442 Verständigung, lingua franca 567 Verstehen – des Seienden, Heidegger 659 – psychischer Zusammenhänge 501, 613, 659 Vertrauen – aus dem Unendlichen 639 – bei Dostojewski 535–536 – in den freien Willen 87 – in die Sinne 373 – in Gott 16, 373 – in Gott und die Schöpfung 374 – Selbstvertrauen 649, 677, 697, 707 – und Angst/Verzweiflung 617, 654, 662, 664, 665 Verweigerung 344, 663 Verzweiflung – Alkoholismus 548 – als Mißverhältnis zu sich selbst/Sünde (Kierkegaard) 651, 654, 656 – Depression 633 – Einfühlung in die Verzweiflung 625 – Folter 95 – Isolationsversuche von Harlow 669 – Magersucht 500 – und Angst 658, 662, 665 – und Vertrauen 662 Verzweifelter – der Endlichkeit (Schizoidie) 656–657 – der Unendlichkeit (Depression) 657 – der Notwendigkeit (Zwangsneurose) 657 – der Möglichkeit (Hysterie) 657 Vision(en) 164, 372, 555, 556 Völkerkunde (Ethnologie) 562, 667 Vorsehung 21, 375 Vorstellungskraft (imaginatio) 34 Voodoo-Tod 634 Waffen, chemische 639 Waffenschmuggel 517 Wahl – Suchtmittel 537, 547 – zwischen Vertrauen/Angst und Liebe/ Tod 617

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Wahlversuche 322 Wahnsinn 517, 528, 557 Wahrheit 17, 18, 20, 29, 38, 45, 139, 375, 424, 439, 447, 453, 479 – ideelle Wahrheit der Dinge, Platon 447 – Wahrheit des Begriffs, Hegel 662 Wahrheitsfindung – Erkenntnis 102 – Gericht 300 – Religionen 561 – Wahrnehmung 59, 454, 456, 479 Wahrheitsfähigkeit 59, 102, 139, 374, 440 Wahrscheinlichkeit 222, 241, 339, 427, 611, 632 Wahrscheinlichkeitsbeziehung 303 Wald, Universalienstreit 45 Waldeinsamkeit, Thoreau 304 Waldgottheit Pan 630 Weisheit 21, 25, 95, 465, 589, 636 Welt – aus der Welt auf Gott schließen 307 – der Erscheinungen 307 – Gottes 15, 21 – innerweltlich 19, 29 – jenseitige Welt 372 – noumenale (intelligible) 48 – psychoanalytisch 49–50, 51 – transzendentale Welt 320 – Wahrnehmung 291, 308, 441, 452, 478 – Überwindung der Welt 707 – und Seelen 23, 24 – symbolische 51 Welt, Heidegger – besorgte «Welt» 660 – In-der-Welt-sein 660, 661, 662 – innerweltlich Seiendes 660, 661, 662 – Welt-«Verfallenheit» 665 Weltbild 374 Weltgesundheitsorganisation 553, 622 Weltillusion 48 Weltkatechismus 17, 20 Weltliteratur 372 Weltsicht – Freud 49, 482 – kreationistische 17 – rein diesseitige 26 – Schopenhauer 47, 49, 482 – Spiritualistische 46 Wertegemeinschaft, westliche Kultur 467

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Bibelstellen

Wertekonsens, Kultur 588 Wertsystem – biologisches 588 – Wertinstanzen, somatische Marker 588 Wertungen, Eltern 648 Wesen 15, 45, 48, 50, 52, 708 Widerspruch (-sprüche) 34, 359, 418, 539, 648, 653 Widerstandswille, anale Phase 643 Wiedergutmachungstendenzen 649 Wiederholung 25, 307 Wiederholungszwang 112, 578, 648 Wiener Philharmoniker 450 Wildheit 633 Wildheitsmerkmale, paranoische 633 Wildheitsrelikt 634 Wille – absoluter 21 – freier Wille 320, 335, 336, 708 – im Hintergrund der Welt 47, 48 – psychoanalytisch 320, 335 – zum Leben 47, 48 Willensfreiheit 83, 87 Willenskraft 34 Willensentscheidungen 29 Willensentschlüsse 30 Wonnehebel 529 Wunder 19, 548 Wünsche 370, 499, 501, 539, 547, 643, 657, 668 Wunscherfüllung 359 Wunschphantasien 323, 636 Wunschregungen 358, 647 Wunschsicherung 638 Wunschunterdrückung 638 Zärtlichkeit 674, 677 Zeit 16, 22, 25, 48 – Kontinuität 318 Zeiten der Ruhe 371 Zeitgefühl 30 Zeitliches und Ewiges, Synthese 650 Zeitlichkeit, Heidegger 659 Zerfall 372 Zerstörbarkeit 29 Zerstörung – der Freiheit aus Angst 658

– soziale Existenz 634 – Tierversuche 349 Ziel 15, 38, 95, 307, 360, 536, 539, 589, 707 – fines 360 Zigeuner 342 Zwanghafte, das (Sucht) 522, 534 Zwangsgehorsam 304 Zwangsneurosen 146, 643, 657 Zwangsstörungen 87, 694 Zwangsvorstellen 335 Zwecke – Seelen handeln nach Zwecken 658 Zwecksetzungen des Irdischen 655–656 Zweiter Weltkrieg 15, 526 Zweites Vatikanisches Konzil 19, 20 Zufall(sprinzipien) 21, 25, 48, 199, 321, 647 Zufügung Gottes 308 Zur-Schau-gestellt-Werden 634

Bibelstellen Genesis (Gen) 2,7 3,1–7 3,1–24

15 19, 653, 656 636

Hiob (Hi) 33,4

15

Weisheit (Weish) 2,1–9

26

Matthäus (Mt) 5,38–42 16,19

707 227

Markus (Mk) 4,25

298

Johannes (Joh) 14,27 16,33

707 707

Römer (Röm) 6,23

636

Über den Autor

Dr. Eugen Drewermann arbeitet seit dem Entzug seiner Lehrerlaubnis und Suspension vom Priesteramt als Therapeut und Schriftsteller. Er verfasste über 80 Bücher. Zu seinen Hauptwerken gehören das siebenteilige theologische Grundlagenwerk »Glauben in Freiheit« sowie die Kommentierung aller vier Evangelien des neuen Testaments.

Über das Buch

Jahrtausendelang galt die Bestimmung des Menschen zu ewigem Leben als gewiss. Grund der Zuversicht war die Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele, der geistigen Trägerin von Bewusstsein und Selbstbewusstsein, von Individualität und Personalität, von Selbstidentität und Freiheit. Auf ihr basierten Religiosität und Moralität, sie begründete die Würde des Menschen. Dieser Glaube ist ins Wanken geraten. Die Neurologie erforscht die Fragen der menschlichen Geistestätigkeit, ohne noch ein geistiges Zentrum, eine unsterbliche Seele, ein persönliches „Ich“ zu postulieren. Der 1. Band von „Atem des Lebens“ gibt Einblick in die Hauptthemen neurologischer und biopsychologischer Forschung und vermittelt das Grundlagenwissen über das Gehirn und seine Funktionsweise. Wichtige seiner Leistungen wie Lernen, Wahrnehmen, Fühlen, Träumen und Lieben werden erklärt, ebenso die Gefährdungen, denen wir als evolutionäre Gehirnspezialisten unterliegen. Band 2 wendet sich dem Einfluss von Angst und Stress als Auslöser psychosomatischer Erkrankungen und den Krisen des psychischen Erlebens zu, wenn der „Spiegel“ des Bewusstseins zerspringt. Vor dem Hintergrund der neu gewonnenen Denkvoraussetzungen können dann die uralten Menschheitsfragen angegangen werden: Was ist Geist, was ist Bewusstsein? Wie entsteht Selbstbewusstsein? Was besagt die Rede von „Person“? Gibt es eine Freiheit des Willens? Gibt es Erfahrungen von Göttlichem? Was ist mit dem Glauben an eine „Seele“, die sich im Tod durchhält – dürfen wir auf Unsterblichkeit hoffen?

Impressum

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