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German Pages 315 [316] Year 1995
Linguistische Arbeiten
342
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Aspekte der Sprachbeschreibung Akten des 29. Linguistischen Kolloquiums, Aarhus 1994
Herausgegeben von Per Baerentzen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufhahme Aspekte der Sprachbeschreibung : Akten des 29. Linguistischen Kolloquiums, Aarhus 1994. Tübingen: Niemeyer, 1995 (Linguistische Arbeiten; 342) NE: Baerentzen, Per [Hrsg.]; Linguistisches Kolloquium < 29,1994, Aarhus>; GT ISBN 3-484-30342-5
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co.KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren
INHALTSVERZEICHNIS
Kirsten Adamzik Textsorten kontrastiv - am Beispiel deutscher und französischer Wörterbücher der Linguistik Per Baerentzen Semantische Typen der deutschen ohne daß-SäiK Gabriele Birken-Silverman Sprachkontakt und Sprachwandel: Das Provenzalische in Süditalien
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Stojan Braöic" Zu einigen textgrammatischen Aspekten der Unterscheidung von monologischen und dialogischen Texten
15
Monika Budde Syntaktische Klammern
19
Abraham P. ten Gate Zeitenfolge im komplexen Satz
27
Karin Ebeling A Text-based Approach towards Teaching English Grammar
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Stefan Engelberg Event Structure and the Meaning of Verbs
37
Detlev Fehling Zur Geschichte des bestimmten Artikels in Europa; ein Versuch, historisch zu erklären
43
Ursula Frei-Borer Möglichkeiten der Didaktisierung gesprächslinguistischer Erkenntnisse
47
Thomas Fritz Deontische, epistemische und futurische Verwendungen von Modalverben um 1400
51
Kirsten Gomard The language of women in politics. Mirroring conflicting or compatible identities?
55
Anneliese Gottschalk und Klaus-Dieter Gottschalk Sprache in der Wahlwerbung
59
VI
Klaus-Dieter Gottschalk Self-Targeting by Idioms in Drama A. Ayckbourne: Absurd Person Singular (1972)
63
Hans Grassegger und Elke Brunner Phonologische Prozesse im Spracherwerb
67
Reinhold Greisbach Zeitliche Stabilität von Bezeichnungen
71
Dieter W. Haiwachs Zur Verschriftlichung des Roman
75
Klaus von Heusinger Formal Aspects of a Pragmatic Theory of Definiteness
81
Barbara Höhle und Herbert Schriefers Ambisyllabizität im Deutschen: Psycholinguistische Evidenz
85
Andrzej Kaczmarek An Example-based approach to translation of idiom in the Russian-to-Polish MT system
89
Petra Keller Das Unterweisungsgespräch in der betrieblichen Praxis
95
Jana Klinckovä Pragmatische Aspekte der nonverbalen Kommunikation
99
Michail Kotin Die Passiv-Umschreibungen im älteren Deutsch
103
Wilfried Kürschner Das Linguisten-Handbuch - eine erste Auswertung
109
Edda Leopold A Majority Criterion for Distributions of Polysemy
113
Julia Lichtenberg Kulturspezifische Comparata in Vergleichen (Deutsch-Russisch-Bulgarisch-Italienisch)
117
Richard Lilly Towards a computer simulation of spelling (in)competence
121
VII
Ryszard Lipczuk Zu Motiven der Verdeutschung von Fremdwörtern im 19. und 20. Jahrhundert
127
Elena Lopez Palma Aspects of the Syntax of the Question Phrase in Spanish
131
Madeline Lutjeharms Zur syntaktischen Verarbeitungsebene bei der Rezeption
135
Martina Maratschniger huset - oder: wenn der Artikel zum Problem wird. Zur Algorithmisierung des Artikels in TURBO-Prolog. Eine computerlinguistische Analyse innerhalb der NT(M)S
141
Martina Maratschniger CCD - Ein Projekt zur hypertextmäßigen Erfassung der Computerlinguistik. Ein semantisch interaktiver Zugang zu Theorie und Praxis
145
Zeljka Matulina Präsentation von Parömien in einem zweisprachigen Kroatisch-deutschen Wörterbuch
149
Jens Erik Mogensen
Das süße Lied verhallt... Zum Gebrauch vom Präsens bzw. Perfekt bei seit- Adverbialien im Lichte der neueren Forschung
155
Eberhard Müske Sprache im Museum: Vorüberlegungen zu einem Forschungsansatz
159
Muriel Norde The development of case marking in Swedish
165
Pavol Odalo§ Werbung in der Slowakei
169
Luzian Okon Est-ce que le Code-Switching facilite la vie entre les humains?
173
Kurt Opitz Gibt es eine Grammatik des sprachlichen Wandels?
179
Florian Panitz A Classification of English Temporal Adverbials as a Basis for Discourse Analysis . . . . 185 Vladimir Patras" Kommunikationsstereotypen und rhetorische Figuren
189
VIII Harry C.B. Perridon Ergativity and Possession
195
Oliver Pfefferkorn Die Sprache der mittelalterlichen deutschen Mystik
199
Julia Philippi Syntax and Semantics of the Noun Phrase
203
F. Pouradier Duteil // etait unefois... Zur Thematisierung im Französischen
209
Reinhard Rapp Ein statistischer Ansatz zur maschinellen Erstellung eines syntaktisch orientierten Wortartensystems
215
Kirsten Ricker Zwei Sprachen - Zwei Kulturen
221
Elisabeth Rudolph Syntaktische und semantische Vielfalt in konzessiven Satzgefügen
227
Robert Ruprecht Über die Beziehung zwischen syntaktischer Textstruktur und Wesentlichkeit
231
Doris Schönefeld The Lexical Approach to Grammar
235
Teresa Siek-Piskozub Play Strategy in Teaching Young Learners
239
Tadeusz Szczerbowski "We" and "they" in the Polish and Russian cabaret texts of the eighties
243
Teresa Tomaszkiewicz La hiorarchisation de information sur l'exemple de operation de sous-titrage des films
247
Manfred Uesseler Some Remarks on Essential Features of the Development of Sociolinguistics in the Divided Germany
251
Winfried Ulrich Inkongruenz und Ambiguität im Sprachspiel
257
IX
Grazyna Vetulani Les verbes de parole dans les constructions VSup + NPred. Etude confrontative: frangais-polonais
261
Zygmunt Vetulani and Krzysztof Jassem Coding of nouns in the morphologic electronic dictionary of Polish POLEX
265
Andreas Wagner Die Sprechaktklassifikation nach Searle in historischer Sprechaktanalyse
269
Ingo Wamke Vorschläge zur Beschreibung wortartenheterogener BedeutungsVerwandtschaft
273
Ulrich Hermann Waßner Konjunktionen und Textkonstitution
279
Heinrich Weber Sind Sprechakte wirklich regelgeleitet?
285
Maria Winkler Standardsprache und nationales Selbstverständnis. Beobachtungen zur Entwicklung der letzten Jahre in der Diskussion um eine österreichische Nationalvarietät des Deutschen
289
Hengxiang Zhou Attribut oder Koprädikativ oder Adverbial? - Ein Beitrag zur Typologie der deutschen Adverbiale
293
Lew Zybatow Slavistische Kontaktlinguistik: alte Einblicke und neue Ausblicke
297
Urszula Zydek-Bednarczuk Mustermischung und Intertextualität in polnischen Fernsehtalkshows
303
Kirsten Ädamzik
Textsorten kontrastiv - am Beispiel deutscher und französischer Wörterbücher der Linguistik
In diesem Beitrag soll ein kleiner Ausschnitt aus einem Forschungsprojekt über dt. und frz. Texte aus den Bereichen Literaturwissenschaft und Linguistik vorgestellt werden. Über die grundsätzliche Zielstellung und Anlage des Projekts sowie über Probleme der Abgrenzung von Textsorten kann hier nicht gehandelt werden. Es sei daher nur festgehalten, daß mit dem Ausdruck "Textsorte Fachwörterbuch (FWB)" ein pragmatischer Begriff zur Bezeichnung einer Menge von Texten gemeint ist, die eine bestimmte Kombination von Merkmalen als kleinsten gemeinsamen Nenner teilen. Dieser gemeinsame Nenner betrifft drei Beschreibungsdimensionen. Unter funktionalem Gesichtspunkt gehören terminologische FWB natürlich zu den informativen Texten, genauer läßt sich diese informative Funktion erfassen als Bereitstellen bzw. Zugänglichmachen von andernorts erarbeitetem Wissen. Die zweite Dimension ist die thematische: Es geht um grundlegendes Wissen innerhalb eines bestimmten Fachgebiets. Diese beiden Kriterien erfüllen nicht nur FWB, sondern z.T. auch Einführungen in das Fachgebiet und insbesondere Handbücher bzw. Fachenzyklopädien. Zur weiteren Differenzierung bedarf es einer dritten Dimension, nämlich der Makrostruktur. Diese scheint eine außerordentlich trennscharfe Abgrenzung von FWB und anderen Fachtexten zu erlauben: Der Hauptteil von FWB besteht bekanntlich aus einer großen Menge hierarchisch gleichgeordneter Teiltexte. Deren "Titel" bzw. hervorgehobenes Anfangswort, das Lemma, ist ein Fachterminus. Schwierig ist allerdings die Abgrenzung von FWB und Fachenzyklopädie. Dabei geht es mir nicht um den vieldiskutierten Unterschied zwischen Sprach- und Sachlexikographie, sondern um Unterschiede in der Darbietungsform, die ich folgendermaßen fassen möchte: Die enzyklopädische Darstellungsform präsentiert das Fachwissen in Teiltexten, die größere Bereiche abdecken, so daß die einzelnen Termini in ihrem inhaltlichen Zusammenhang dargestellt und unter größeren Einheiten, etwa Subdisziplinen oder zentralen Begriffen, zusammengefaßt werden. Entsprechend enthält eine Fachenzyklopädie weit weniger, aber sehr viel längere Teiltexte als das FWB. Die für das terminologische FWB charakteristische Darstellungsform präsentiert dagegen das Wissen des Fachgebiets in eher atomisierender Weise als Summe von Einzeltermini. Es gibt entsprechend mehr Teiltexte, die dafür kürzer sind. Im folgenden geht es mir nur um Texte, die makrostrukturell der Darstellungsform des FWB folgen. Ein dringender Bedarf an solchen FWB hatte sich in der modernen Linguistik Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ergeben. Aus der großen Anzahl der Werke berücksichtige ich hier nur die wichtigsten, die zumindest auch für das Fachpublikum bestimmt waren und die das Gesamtgebiet der Sprachwissenschaft betreffen. Auf französischer Seite erschienen 1973 gleich zwei solche umfangreicheren FWB, nämlich Dubois et al. (im folg.: Larousse) und Pettier. 1974 kam das FWB von Mounin hinzu. Auf dt. Seite (ich beziehe mich ausschließlich auf bundesrepublikanische Veröffentlichungen) ist das erste FWB, das es vom Anspruch her mit Larousse und Mounin aufnehmen kann, das von
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Kirsten Adamzik
Lewandowski (1973-1975); 1983 erschien das heute wohl am meisten verwendete FWB von Bussmann. Betrachtet man nun die weitere Entwicklung, so ist zu konstatieren, daß in der BRD die Arbeit an terminologischen FWB der Linguistik kontinuierlich fortgesetzt wurde. Außer Neuauflagen von Lewandowski und Bussmann kam 1993 noch das von Glück herausgegebene "Metzler Lexikon Sprache" hinzu, so daß heute insgesamt mindestens drei dt. linguistische FWB vorliegen, die den Anspruch erheben, das Gesamtgebiet des Fachs in seinem aktuellen Stand zu erfassen. Auf französischer Seite hat dagegen der Eifer beim Erstellen bzw. Neubearbeiten von FWB seit den 70er Jahren nachgelassen. Abgesehen von einigen unveränderten Nachdrucken erschien erst Anfang dieses Jahres bei Larousse ein FWB in neuem Gewand und mit erweitertem Titel, das sich allerdings doch im wesentlichen als eine erweiterte und bibliographisch aktualisierte Neuauflage des älteren Werks erweist. Als Neuerscheinung der 80er Jahre könnte allenfalls noch das Werk von Arrivo/Gadet/Galmiche (1986) angeführt werden. Aus der Menge der Veröffentlichungen und Bearbeitungen möchte ich daher schließen, daß die Textsorte "Linguistisches FWB" im frz. Bereich einen geringeren Stellenwert einnimmt als im Dt. Diesem unterschiedlichen Gewicht der Textsorte entsprechen natürlich andere und tiefere Unterschiede. Diese können hier selbstverständlich nicht erschöpfend dargestellt oder gar interpretiert werden, ich beschränke mich im folgenden darauf, auf einige wenige mir wesentlich erscheinende Differenzen aufmerksam zu machen. Ich komme zunächst auf die Schwierigkeit der Abgrenzung von FWB und Enzyklopädie zurück, die sich im Frz. als ausgeprägter erweist als im Dt. Anders gesagt: Die frz. Autoren neigen stärker zur enzyklopädischen Darstellungsform bzw. zu einer Annäherung oder Vermischung beider Formen und versuchen die Vorteile der alphabetischen Anordnung leichte Auffindbarkeit - und der enzyklopädischen Form - zusammenhängende Darstellung wesentlicher Teilbereiche - zu verbinden. Am klarsten weist von den hier herangezogenen Texten einen solchen Mischcharakter das von Pettier herausgegebene Buch auf. Es enthält neben 500 Einzeltermini 10 - alphabetisch eingeordnete - grundlegende Artikel, die jeweils im Durchschnitt 30 Seiten umfassen und damit größeren Aufsätzen entsprechen, wie sie für Fachenzyklopädien typisch sind. Den damit umrissenen Mischcharakter weist von den vier hier betrachteten frz. Werken lediglich das von Mounin nicht auf, das von der Makrostruktur des Hauptteils her ganz dem dt. Typ mit - grob gesehen - einheitlich gestalteten Teiltexten entspricht. Von den dt. Lexika ähnelt i.b.a. die Länge der Einzelartikel das von Lewandowski am stärksten den frz. Geht man allerdings der Frage genauer nach, worauf diese scheinbare Verwandtschaft zurückgeht, so stößt man auf einen zweiten, grundlegenden Unterschied zwischen den dt. und frz. Texten. Er betrifft den Grad der Intertextualität. Die Länge der Erläuterungen bei Lewandowski ergibt sich nämlich nicht zuletzt daraus, daß der Autor ausgiebig andere Autoren zitiert bzw. textnah referiert. Eine solche ausführliche Wiedergabe nicht nur von Definitionen, sondern auch von Gedankengängen und Argumentationen ist zwar für die anderen dt. Lexika nicht typisch, typisch ist aber für alle drei ein enger Bezug zur Forschungsliteratur. Wer gewohnt ist, mit dt. linguistischen FWB zu arbeiten, weiß, daß die Mehrzahl der Einzelartikel mit einem Teiltext abgeschlossen wird, der in den Erläuterungen
Textsorten kontrastiv - am Beispiel deutscher und französischer Wörterbücher der Linguistik
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genannte und weiterführende Literatur zum Thema zusammenstellt. Für die dt. Autoren (und Benutzer) ist dieser bibliographische Teil sehr wichtig; das FWB soll genutzt werden (können), um relevante Literatur zu erschließen. Wer die frz. FWB der Linguistik nicht kennt, den wird es aber vielleicht überraschen, daß eine solche Erwartung an diese offenbar nicht gestellt wird; tatsächlich können die hier besprochenen Texte zur Ermittlung relevanter Forschungsliteratur kaum oder überhaupt nicht benutzt werden. Am besten läßt sich dies am FWB von Larousse zeigen, das einen eigenen Teiltext Bibliographie mit der stattlichen Zahl von ca. 1700 (alphabetisch aufgelisteten) Titeln enthält. Für dt. Gewohnheiten überraschend ist dabei zunächst, daß es sich ausschließlich um Veröffentlichungen in Buchform handelt. Noch wesentlicher ist aber, daß es für den Benutzer kaum einen relevanten Gebrauchszusammenhang zwischen dieser Liste und den Einträgen des Hauptteils gibt, ein Nachschlagen wohl gar nicht vorgesehen ist. Selbst wenn nämlich in der Bibliographie einschlägige Titel zu einem bestimmten Gebiet verzeichnet sind, so ist es eher selten, daß die entsprechenden Namen in dem betreffenden Artikel auch genannt werden. Man muß also den Autornamen schon kennen, wenn man die Bibliographie benutzen will. Anders gesagt: die frz. Erläuterungen sind eher in sich abgeschlossene und kaum explizit über sich selbst (auf andere Literatur) hinaus verweisende Texte. In einem gewissen Zusammenhang mit dieser Differenz steht ein dritter Unterschied, nämlich die formale Gestaltung: Die dt. FWB der Sprachwissenschaft sind eine Fundgrube für das Studium ökonomischer Vertextungsformen, für die entsprechenden frz. Werke gilt dies nicht. Ein erster äußerer Anhaltspunkt dafür sind Abkürzungen, von denen in den dt. Texten sehr ausgiebig, in den frz. nur sparsam Gebrauch gemacht wird. Ein ausgeprägter Hang zur Ökonomie auf der einen Seite und eine bemerkenswerte Großzügigkeit auf der anderen Seite ist ferner auf der Ebene des Layouts zu beobachten: Ein Blick in die verschiedenen FWB macht deutlich, daß die frz. durchweg typographisch aufwendiger, großzügiger und übersichtlicher gestaltet sind und daß daher entsprechend diesem Lesbarkeitsfaktor die dt. den frz. Werken deutlich unterlegen sind. Dieser Mangel an Übersichtlichkeit wird in den dt. Lexika allerdings aufgewogen durch einen stark standardisierten Aufbau. Dies sei am Beispiel von syntaktischen Ökonomieformen erläutert, und zwar anhand des Textelements, das den zentralen Bestandteil eines FWBeintrags darstellt, an der Definition des Terminus. Das hierfür im Dt. verwendete Muster ist so geläufig und standardisiert, daß es schon trivial wirkt, es zu umschreiben: Die Definition folgt unmittelbar dem Lemma (und evtl. Zusatzinformationen über Etymologie, konkurrierende Ausdrücke usw.) und hat die Form einer (komplexen) Nominalphrase. Da die wesentliche Funktion eines FWBeintrags in der Definition des Terminus besteht und diese Definition normalerweise den gesamten Erläuterungstext ausmacht oder aber direkt am Anfang steht, kann diese Kurzform ohne den geringsten Informationsverlust eingesetzt werden. Die Vollform etwa mit Wiederholung des Lemmas und Kopula - wäre dagegen bei mehreren hundert oder gar tausend gleichartigen Teiltexten hochgradig redundant. Daß eine solche rational-funktionale Herleitung bzw. Begründung von Textsortencharakteristika jedoch nicht unbedingt aussagekräftig ist, zeigt die Tatsache, daß genau diese redundante Form dem frz. Standardmuster entspricht. Dort hat die Erläuterung charakteristischerweise die Form eines Satzes, der mit Formulierungen wie den folgenden beginnt: On donne le nom de. On designe sous le nom de,
Kirsten Adamzik
On appelle. Abweichend von dieser Regel verhält sich nur Mounin, der mit über Kurzformen dem dt. Muster entspricht. Dennoch zeigt sich bei genauerem Hinsehen, daß auch bei Mounin Formen vorkommen, die im Dt. unüblich sind. So beginnen viele der Erläuterungen mit der Formel Se dit de oder Designe. Noch auffallender ist die bei Mounin zwar seltene, aber doch immerhin vorkommende unmittelbare Wiederaufnahme des Lemmas durch ein Pronomen: "Amphibologie - Elle nait d'une ambigu'ite syntaxique ou semantique qui..." Wenngleich man diese Fälle nicht überbewerten sollte, scheinen sie mir dennoch beachtenswert, und zwar deswegen weil sie eigentlich nur in extremer Form einen Unterschied zwischen dt. und frz. FWB der Linguistik repräsentieren, der sich beim Vergleich insgesamt herausschält: Die pronominale Wiederaufnahme eines im Vortext eingeführten Elements bildet ja das allerüblichste Kohäsionsmittel jedes "normalen" Textes. Auch in anderer Hinsicht sind aber die frz. Lexika solchen "normalen" Texten ähnlicher als die dt. und zeugen von dem Bemühen, eine kohärente und kohäsive, in sich abgeschlossene und lesbare Darstellung zu liefern. Die dt. FWB der Linguistik folgen dagegen einem stark standardisierten Muster, das u.a. wegen der Ersparung von Kohäsionsmitteln von "normalen" Texten überdeutlich abweicht. Hauptziel ist es hier, in einem komprimierten Text ein Maximum an Information bereitzustellen, das allerdings nur wie eine Art Steinbruch verwendet werden kann, aus dem sich der Leser nach Bedarf bedient; er findet mehr Informationen, diese Informationen sind aber nur in dem Maße sprachlich aufbereitet, wie es die punktuelle Informationsvermittlung erfordert.
Literatur , Michel; Gadet, Franfoise; Galmiche, Michel (1986): La grammaire d'aujourd'hui. Guide alphabotique de linguistique francaise. - Paris: Flammarion. Bussmann, Hadumod (1983,21990): Lexikon der Sprachwissenschaft. - Stuttgart: Kröner. Dubois, Jean et al. (1973): Dictionnaire de linguistique. - Paris: Larousse. Dubois, Jean et al. (1994: Dictionnaire de linguistique et des sciences du langage. - Paris: Larousse. Glück, Helmut (Hg.) (1993): Metzler Lexikon Sprache. - Stuttgart/Weimar: Metzler. Lewandowski, Theodor (1973-1975; 19946): Linguistisches Wörterbuch. - Heidelberg: Quelle & Meyer. Mounin, Georges (Hg.) (1974): Dictionnaire de la linguistique. - Paris: PUF. Pettier, Bernard (Hg.) (1973): Le langage. - Paris: CEPL.
Per Baerentzen
Semantische Typen der deutschen ohne daß-Sätze In der Regel werden zwei semantische Typen unterschieden. Der ohne da/?-S atz wird entweder als Modalsatz zur Kennzeichnung des fehlenden Begleitumstands ((!)) oder als negativer Konsekutivsatz ((2)) bezeichnet (vgl. Helbig/Buscha 1989:465 u. 693): 1l) er ging durch den Regen, ohne daß er den Regenschirm aufspannte (2) er war im vergangenen Jahr schon zweimal zur Kur, ohne daß sich sein Gesundheitszustand gebessert hat
Diese Zweiteilung ist eine willkürliche und entbehrt jeder formalen Begründung. Wie im folgenden gezeigt wird, lassen sich die ohne daß-Säize anhand ihrer Transformationsregularitäten in sechs semantische Typen unterteilen. Die ohne daß-Sätze sind Nebensätze, da sie einem anderen Satz untergeordnet sind. Sie sind Präpositionalsyntagmen mit ohne als ihrem Kernwort, dem das durch daß etablierte Subjunktionalsyntagma untergeordnet ist. Der Subjunktion daß ist der restliche Teil des Nebensatzes, also das Finitsyntagma, untergeordnet (vgl. Beerentzen 1989:22-28). Wenn man die im übergeordneten bzw. untergeordneten Satz ausgedrückten Sachverhalte mit A bzw. B bezeichnet, läßt sich der Satzkomplex durch den verallgemeinernden Ausdruck A, ohne daß B wiedergeben. Semantisch enthält der Komplex ein Überraschungselement, da die Sachverhalte A und B solche sind, die erfahrungsgemäß zusammengehören, von denen aber überraschenderweise nur A realisiert ist, wogegen B nicht realisiert ist. Sachverhalt B kommt im Finitsyntagma zum Ausdruck, das durch ohne negiert wird. Die Präposition ohne kann jedoch nur dann ein Finitsyntagma negieren, wenn dies der Subjunktion daß untergeordnet ist. Dabei bleibt aber die semantische Art des Nebensatzes ungeklärt, da daß semantisch leer und der daß-Saiz deshalb der neutralste Satztyp von allen ist. Wenn man die Transformationsregularitäten berücksichtigt, lassen sich die ohne daß-Säize als neutralisierte Transformate sechs verschiedener negierter Satztypen betrachten. Will man die semantische Art eines ohne /3-Satzes feststellen, muß man die Transformation rückgängig machen, indem man eine spezifischere Subjunktion wählt und die satzeinleitende Präposition ohne durch ein satzinternes Negations wort ersetzt. Auf diese Weise lassen sich zwei konzessive Varianten, eine konsekutive, eine konditionale und eine kausale Variante sowie die Variante des fehlenden Begleitumstands unterscheiden. Abgesehen von der letztgenannten Variante beziehen sie sich alle auf ein logisches Kausalverhältnis zwischen zwei Sachverhalten. Deshalb sollen vorerst die Begriffe des Konditionalen, des Konsekutiven, des Kausalen und des Konzessiven kurz erörtert werden. Prinzipiell steht es dem Menschen frei, zwischen zwei Sachverhalten eine logische Kausalverbindung zu etablieren. In (4) liegt es nahe, (X) als den bewirkenden und (Y) als den bewirkten Sachverhalt aufzufassen. Die umgekehrte Annahme würde der menschlichen Erfahrung widersprechen. Im folgenden wird der bewirkende Sachverhalt als causa, der
Per Bcerentzen
bewirkte Sachverhalt als consecutio bezeichnet. Das logische Verhältnis zwischen Xcausa und u ^ jn ^6 Sprachiicnen Ausformungen (5) bis (7) zu Tage: (4) (5) (6) (7)
(X) = die Sonne scheint; (Y) = Anna ist glücklich Anna ist glücklich, wenn die Sonne scheint: 00"860·, wenn 0*"188 (konditional) die Sonne scheint, so daß Anna glücklich ist: yf&us\ so daß Yconsec· (konsekutiv) Anna ist glücklich, da die Sonne scheint: Yconsec-, da Xcausa (kausal)
Hinter (5) bis (7) steckt die Annahme, daß der Sonnenschein die Anna glücklich zu machen vermag; (5) ist die generelle Formulierung dieser Annahme, sagt aber nichts über Realisation oder Nichtrealisation der beiden Sachverhalte aus; (6) und (7) dagegen sagen aus, daß beide Sachverhalte realisiert sind. Es kann aber auch vorkommen, daß überraschenderweise nur der eine Sachverhalt realisiert ist. Seine Verwunderung über diesen Verstoß gegen das angenommene Kausalverhältnis bringt der Mensch in einer konzessiven Konstruktion zum Ausdruck; in (8) ist die consecutio realisiert, die sonst vorausgesetzte causa nicht; in (9) ist die causa realisiert, die zu erwartende consecutio nicht: (8) Anna ist glücklich, obwohl die Sonne nicht scheint: 00"860·, obwohl nicht (9) Anna ist nicht glücklich, obwohl die Sonne scheint: nicht 00"860·, obwohl
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Die konzessiven Konstruktionen mit ihrer Negierung der einen Hälfte eines Kausalkomplexes eignen sich gut für die neutralisierende Transformation zur Struktur A, ohne daß B. Die Transformationsregularitäten von (8) bzw. (9) gehen aus (10) bzw. (l 1) hervor. Dabei hängt die Verteilung von causa und consecutio auf die Sachverhalte A und B davon ab, ob die causa oder die consecutio realisiert bzw. nicht realisiert ist. Der realisierte Sachverhalt erscheint obligatorisch als .A, der nicht realisierte Sachverhalt als 5. Deshalb wird bei der Transformation in (11) die hierarchische Rangordnung zwischen den Sachverhalten umgedreht, so daß die causa als A und die consecutio als B erscheint: (10) Anna ist glücklich, obwohl die Sonne nicht scheint -> Anna ist glücklich, ohne daß die Sonne scheint: V«™«·, obwohl nicht X0™88 -> A (Y«"18«·), ohne daß B (Xcausa) (11) Anna ist nicht glücklich, obwohl die Sonne scheint -» die Sonne scheint, ohne daß Anna glücklich ist: nicht 00"860·, obwohl Xcausa -> A (Xcausa), ohne daß B
Die ohne daß-Säize in (10) und (l 1) lassen sich anhand der Transformationsregularitäten als negative Konzessivsätze bezeichnen. Wie (10) zeigen auch (13) und (l 4) konzessive ohne daßSätze zur Bezeichnung einer nicht realisierten causa. Wie (11) zeigen auch (15) und (16) konzessive ohne daß-Sätze zur Bezeichnung einer nicht realisierten consecutio:1 (13) ohne daß ich es mir mit Satan verdorben hatte, salbte Hochwiirden Wiehnke mich auf der Brust und zwischen den Schultern ( obwohl kein Kadaver herumliegt)
Die Belege (13) bis (24) wurden dem Mannheimer Korpus und dem Limas Korpus entnommen, die insgesamt 217 ohne daß-Sätze enthalten.
Semantische Typen der deutschen ohne daß-Sätze
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(15) um ihre Nasenlöcher und den Mund sitzen ständig ganze Waben grauer Fliegen, ohne daß sie nur eine Miene verziehen ( sie verziehen keine Miene, obwohl um ihre Nasenlöcher und den Mund ständig ganze Waben grauer Fliegen sitzen) (16) in der Vergangenheit sind [...] schon über ein Dutzend dieser Atombomber verunglückt, ohne daß es jemals zu [...] einer radioaktiven Verseuchung gekommen war (