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German Pages 62 [66] Year 1975
Sitzungsberichte des Plenums und der Klassen der Akademie der Wissenschaften der DDR
10 1972
iVI.Kossok, H.WSeiffert, H.Graßhoff, E.Werner
Aspekte der Aufklärungsbewegung
AKADEMIE-VERLAG - BERLIN
Sitzungsberichte des Plenums und der Klassen der Akademie der Wissenschaften der DDR
Jahrgang 1972 • Nr. 10
M. Kossok / H. W. Seiffert / H. Graßhoff / E. Werner
Aspekte der Aufklärungsbewegimg in Lateinamerika, Deutschland, Rußland und der Türkei
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1974
Vorträge, die im Rahmen der Diskussion über Genese und Gültigkeit von Epochenbegriffen vor der Klasse „Erbe und Gegenwart" der Akademie der Wissenschaften der D D R gehalten wurden von dem Korrespondierenden Akademiemitglied Manfred Kossok am 29. 6. 72, Prof. Dr. phil. habil. Hans-Werner Seiffert am 18.5. 72, Prof. Dr. phil. habil. Helmut Graßhoff am 1. 6.72, und dem Korrespondierenden Mitglied Ernst Werner am 1. 6. 72 Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der D D R von Vizepräsident Prof. Dr. Heinrich Scheel
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Copyright 1974 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 202 • 100/232/74 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Bestellnummer: 7525365(2010/72/10) • L S V 8005 Printed in G D R EVP 4 , -
Inhalt MAUFRED KOSSOK
Aufklärung in Lateinamerika: Mythos oder Realität?
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HANS-WERNER SEIFFERT
Zu Problemen der deutschen Aufklärung
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HELMUT GRASSHOFF
Spezifik und Probleme der russischen Aufklärung
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ERNST W E B N E R
Tanzimat — Staatsreform und Aufklärung (münevver) 1839—1860
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MANFRED K O S S O K
Aufklärung in Lateinamerika: Mythos oder Realität? Der anhaltende Streit um die Rolle der Aufklärung für die Vorbereitung und den Charakter der Unabhängigkeitsrevolution reflektiert auf greifbare Weise ein Stück „Elend der Ideologie". Als jüngstes Kapitel sei lediglich die Kontroverse Safford-Stoetzer erwähnt.1 Jedes repräsentative Werk über den großen Umbruch von 1810 berührt dieses Thema, und besonders in Argentinien und Mexiko hat seit dem zweiten Weltkrieg die Forschung zur Ideologiegeschichte der Revolutionszeit2 imponierende Fortschritte gemacht (vgl. die Zusammenfassung bei P. K. Korn 3 oder die Bibliographie bei Whitaker/Hussey/Bernstein). 4 Um so bemerkenswerter ist, daß die Geschichte der lateinamerikanischen Aufklärung bislang noch nicht — auch nicht für ein einzelnes Land oder einen bestimmten Länderkomplex — ihren Meister gefunden hat. Was in der Diskussion dominiert, sind Thesen und Hypothesen, Meinungen und Vermutungen. Stärker vielleicht als es mancher Historiker wahrhaben möchte, geben sich die Verteidiger der Aufklärung mit der Wiedergabe der liberalen Standardurteile des 19. Jahrhunderts zufrieden, während die kritischen Gegenstimmen oft auf das konservative Repertoire derselben Zeit zurückgreifen. „Allgemeine" Urteile sind so fest eingefahren, daß neue Erkenntnisse nur zögernd Raum gewinnen. Programmatisch und zugleich ein wenig resignierend fordert J . Täte Lanning, einer der besten Kenner der Materie: „Über diese Frage müssen mehr Dokumente gelesen, weniger Feststellungen wiederholt werden . . . " 5 In theoretisch-methodologischer Hinsicht liegen die Forschungsprobleme außerordentlich kompliziert: Die personalistisch-deskriptive Historiographie der Vergangenheit (gleich ob liberaler oder konservativer Observanz) begünstigte eine extreme Verselbständigung der Ideologiegeschichte; der inzwischen erreichte Fortschritt im Studium der sozialökonomischen, politisch-institutionellen und internationalen Voraussetzungen der Revolution schafft zwar günstige Bedingungen für das komplexe Verständnis des dialektischen Verhältnisses von Basis und Überbau 6 , es ist jedoch nicht zu übersehen, daß vor allem 5
der Einbruch bestimmter soziologischer Strömungen in die lateinamerikanische Geschichtswissenschaft zu einer hegelianisch motivierten Reaktion auf ideologiegeschichtlichem Gebiet geführt hat. Über die Aufklärung 7 wird weniger historisch geforscht, sondern weit eher philosophiert (dies unter maßgeblichem Einfluß von Ernst Cassirer).8 Belastend wirkt das Fehlen einer universal ausgreifenden vergleichenden Forschung. Während die Mehrzahl der lateinamerikanischen Autoren den europäischen Hintergrund der eigenen Aufklärung zwar zitiert, aber nicht mit gebotener Ausführlichkeit kennt, verfolgen die profunden Spezialarbeiten zur europäischen Aufklärung nur in Ausnahmefällen (und dann wiederum meist oberflächlich) ihre transatlantische Fortwirkung. 9 Dieses Dilemma potenziert sich durch die faktische Nichtexistenz umfassenderer marxistischer Beiträge, in denen noch immer die Reinterpretation von Forschungsergebnissen der liberal-positivistischen Schule die Substanz abgibt. Mit Vereinfachung und bewußtem Verzicht auf keineswegs unbedeutende Varianten, können drei Interpretationsrichtungen als kennzeichnend gelten: 1. Die in ihrem Ursprung liberal-positivistisch motivierte These vom entscheidenden Einfluß der europäischen (England, Frankreich) und nordamerikanischen Aufklärung auf die geistige Vorbereitung und das politische Profil der Revolution von 1810 10 ; eine Auffassung, die ungeachtet des ihr zumeist innewohnenden geringen Verständnisses für unleugbare autochthone Wurzeln des revolutionären Denkens in Lateinamerika, noch das Feld beherrscht. 2. Die in bewußter und absoluter Negation zu 1. formulierte These von der völligen oder doch weitestgehenden Bedeutungslosigkeit aufklärerischrationalistischer Einflüsse. Es handelt sich um eine konservativ-traditionalistische Deutung, die paralleles und durchaus logisches Ergebnis der vom sog. Historischen Revisionismus versuchten Abwertung der Französischen Revolution als untrennbarer Bestandteil der Vorgeschichte von 1810 ist. Vor allem (aber nicht nur) jesuitische Autoren bemühten sich um den Nachweis, die lateinamerikanische Revolution als Vorgang ,,sui generis" sei nicht an den Normen europäischer Analogien zu messen. Dem historiographischen Antijakobinismus 11 mußten zwangsläufig auch Rousseau und seine gemäßigteren Zeitgenossen zum Opfer fallen. Allerdings ist den Arbeiten, die an die Stelle der Aufklärung den Primat der von Suárez repräsentierten Völkerrechtsdoktrin setzten, keine allgemeine Anerkennung beschieden gewesen. Ihr gewiß unbeabsichtigtes positives Ergebnis bestand darin, daß die Gegner solcher (u. a. von Furlong 12 oder Giménez
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Fernández 1 3 verfochtenen) Auffassung ihre Standpunkte durch neue Forschung untermauerten und damit das differenzierte Bild von der geistigen Vorgeschichte der Revolution entschieden bereicherten. 3 . Mit teilweiser Überschneidung zum Historischen Revisionismus gewann die These vom vorrangigen Einfluß autochthoner iberischer Rechtstraditionen ( R . Levene) 1 4 und insbesondere der spanischen Aufklärung an Anerkennung. 1 5 Gerade die Forschungen zum letztgenannten Problemkreis sind sehr wohl dazu angetan, die von einem abstrakten Fortschrittsenthusiasmus geprägten Meinungen (G. Arciniegas) 18 über die Allgewalt englischer, französischer und nordamerikanischer Ideen zu relativieren. E s gilt insbesondere, Vereinfachungen und Irrtümer in zweierlei Richtung auszuräumen: Entgegen den auf die Leyenda negra zurückweisenden Vorstellungen war Lateinamerika vor 1810 keine Region des religiösen Obskurantismus und der Intoleranz. Die Inquisition existierte, wirkte fort, war jedoch nur noch ein Schatten ihrer ursprünglichen Gewalt. 17 F ü r die Spitzen der Kolonialgesellschaft bedeutete im ausgehenden 18. J h . standesgemäß zugleich aufgeklärt zu sein. Diese Umwälzung im Denken hat niemand besser beobachtet, gewürdigt und auch selbst mit beeinflußt als Alexander von Humboldt (Ortega Medina 18 , Minguet 19 ). Ein Hauptkanal für die Verbreitung der neuen Ideen war eindeutig Spanien, wo unter Karl I I I . (1759—88) die Aufklärung (Aranda, Campomanes, Floridabianca) gleichsam die Regierung stellte. 2 0 Ausgehend von den durch W . Krauss für Spanien formulierten Besonderheiten in Charakter und Funktion der Aufklärung ist allerdings festzustellen, daß sich schon relativ früh eine entscheidende Differenzierung abzuzeichnen begann: Die auf allgemeinen Fortschritt gerichtete, d . h . voll dem System des reformfreudigen Absolutismus integrierte Aufklärung der Vizekönige und Kolonialbürokratie kontrastierte zunehmend mit dem aus denselben Quellen genährten Selbstbewußtsein der kreolischen Aristokratie, die in naher Zukunft eben jenen Bruch mit dem Absolutismus (und damit der Kolonialherrschaft) vollziehen sollte, der in Spanien nicht erfolgte. 21 E i n zweiter Aspekt liegt darin, daß von der lateinamerikanischen Aufklärung keine Rede sein kann. Das betrifft bereits die unterschiedlichen, keinesfalls einander potenzierenden oder organisch ergänzenden Quellen aufklärerischen Denk e n s : England, Frankreich, die USA, aber auch Italien und Deutschland sind — neben der bereits betonten spanischen Komponente — zu nennen. 2 2 In welch vielfältiger Weise die Prozesse sich überschnitten und daß viele Ideen eine komplizierte Metamorphose durchliefen, zeigt am deutlichsten die italienische Komponente. 2 3 Maßgeblich von Frankreich beeinflußt, aber zugleich
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streng auf die Bedürfnisse des aufgeklärten Absolutismus am Hofe von Neapel festgelegt, wirkten die Auffassungen von Filangieri, Genovesi und Galiani teils über Spanien (und damit erneut „gefiltert"), teils direkt auf Lateinamerika. 24 Was als Resultat blieb, war ein (zuweilen extrem heterogener) Komplex von Ideen und Doktrinen, die in qualitativ unterschiedlicher Weise auf die geistige Welt der Revolution einwirkten. Besonders auffällig ist dabei die sehr differenzierte Gewichtung von ökonomischen, politisch-institutionellen und philosophischen Ideen. Fortschrittlichkeit auf dem einen vertrug sich durchaus mit konservativer Haltung auf dem anderen Gebiet (als ein Beispielfür den bemerkenswerten Antagonismus zwischen ökonomischen und politischen Vorstellungen vgl. die Unterschiede zwischen Belgrano und Moreno).25 Diese „Schyzophrenie" wurde mit dem Jahre 1810 auf eine harte Probe gestellt. Die starke spanische Nabelschnur der lateinamerikanischen Aufklärung findet ihren vielleicht sinnfälligsten Ausdruck im Fehlen einer radikalen Religionskritik. 26 Es wäre zu einfach, lediglich von philosophischer „Inkonsequenz" zu sprechen. Wie die Praxis erwies, gelang eine Mobilisierung der bäuerlich-indianischen Massen nur in jenen Fällen (Hidalgo und Morelos in Mexiko) 27 , wo unter bewußtem Verzicht auf den Atheismus und Materialismus der intransigenten Aufklärung an das patriotisch-sozialrevolutionäre Religionsverständnis der ausgebeuteten Volksklassen appelliert wurde (Rolle der Virgen de Guadalupe im entstehenden Nationalbewußtsein der Mexikaner; vgl. die Forschungen von J . Lafaye zum Themenkreis „Quetzalcoatl et Guadaloupe"). 28 Ein in der bisherigen Forschung noch nicht zur Kenntnis genommenes Problem liegt in der regional unterschiedlichen Intensität, mit der die verschiedenen Komponenten der Aufklärung wirkten. Die Vorherrschaft der italienisch-französischen Komponente ist am eindeutigsten für das La-PlataGebiet (Buenos Aires) nachweisbar. Sowohl die „Representación" von 1793 als auch das „Memorial" von 1794 — zwei Dokumente, die zu Recht als theoretische Grundlegung des Strebens um ökonomische Freizügigkeit für das Vizekönigreich Río de la Plata gelten (Chiaramonte) 29 — gehen auf Genovesi zurück. Die Reformgesetzgebung der Revolutionszeit wiederum fußte in hohem Grade auf den Ideen von Filangieri. Auch die radikalsten Rousseauisten — wie Mariano Moreno — konnten sich diesem Einfluß nicht entziehen. In anderen Gebieten Lateinamerikas — wie Mexiko, Kolumbien/Venezuela und Chile — überwogen (vor allem in Absage an „jakobinische" Experimente) die gemäßigteren englischen und nordamerikanischen Leitbilder. 30 Es bleibt zu fragen, welchen konkreten Einfluß diese Differenzierung auf das Revolutionsverständnis der führenden Kräfte und darüber hinaus auf den Inhalt und die Formen des entstehenden Nationalbewußtseins ausübte.
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Ein bevorzugtes Thema der Auseinandersetzung ist die „Jesuitenfrage" geblieben. Obwohl daran festgehalten werden kann, daß die Vertreibung der Jesuiten und die darauf folgenden Neuerungen im akademischen Bereich von weitreichender Bedeutung für die „Öffnung" Lateinamerikas gegenüber der aufklärerisch-rationalistischen Gedankenwelt waren, sind einschränkende Hinweise in folgender Richtung angebracht: 1. Das Jahr 1767 hat insofern eine relative Bedeutung, als in Analogie zur Lage in Spanien die Kritik an der aristotelischen Scholastik längst in viele Orden, einschließlich der Jesuiten, Eingang gefunden hatte und der damit in Verbindung stehende Eklektizismus ein echtes Zwischenglied zur eigentlichen Aufklärung darstellte (Gonzalez Casanova). 31 Hier liegt übrigens eine Schwäche jener Forschungen, die die auf Galilei, Descartes, Gassendi und Newton zurückgreifende „Neue Philosophie", in der auch humanistische Traditionen Wiederaufleben, ohne Rücksicht auf zeitliche und inhaltliche Unterschiede als Bestandteile der Aufklärung im engeren Sinne ansehen, wodurch die qualitativen Unterschiede wichtiger Entwicklungsstufen verblassen (Hussey). 32 2. Für nicht wenige Zeitgenossen wurde die Vertreibung der Jesuiten zu einem Motiv der verstärkten antiabsolutistischen Opposition, die eine Uberwindung des vermeintlichen Obskurantismus nicht gegen eine regalistisch zementierte Stärkung der Zentralgewalt eintauschen wollte (an diesem Punkt berührten sich engstens der „rechte" und „linke" Antiabsolutismus). Der jansenistisch inspirierten Kronpolitik blieb in dem Grade der Erfolg versagt, wie die Verteilung der Ordensländereien an die kreolische Aristokratie (Polisensky) 33 eben jenen Separatismus ökonomisch stärkte, den die Maßnahmen von 1767 auf religiös-politischem Gebiet beseitigen wollten. 3. Spätestens seit Batllori (1953, 1966)34 gehört die Behauptung, daß die vornehmlich nach Italien emigrierten Jesuiten (als Spione Englands) eine überragende Rolle in der geistigen und politischen Vorbereitung der Revolution gespielt hätten, gleichsam aus einer Protesthaltung zu einer vehementen aufklärerisch-antiabsolutistischen und antikolonialistischen Position durchgestoßen wären, eindeutig in das Reich der Legende. Ausnahmen wie Viscardo und Godoy bestätigten lediglich diese Regel. Bemerkenswert bleibt, daß Batllori, der anerkanntermaßen die offizielle jesuitische Historiographie vertritt, zugleich den Eindruck vermeiden möchte, als seien die Jesuiten für eine Aufrechterhaltung des kolonialen Status quo eingetreten. Aus solcher nicht uninteressanten geistigen Zwickmühle versuchen Batllori und ihm verwandte Autoren (Furlong) 36 dergestalt herauszukommen,
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indem sie den Nachweis bemühen, daß die Jesuiten eine verbindende Brücke von Suärez zur Aufklärung geschlagen hätten und einen „americanismo" bzw. „indigenismo" vertraten, der später und unter reiferen Voraussetzungen über das Selbstbewußtsein der kulturellen Autonomie (bei Batllori: ,,faseregionalistaprenacional") 3 6 zur Unabhängigkeit führen konnte. Unschwer ist über solcher Interpretation der Schatten einer angesichts des Aufbruchs der „Dritten Welt" um neue Orientierung ringenden Kirche zu sehen. Um den Inhalt und die historische Funktion der Aufklärung in Lateinamerika genauer zu bestimmen, muß neben den Quellen des neuen Denkens die als Nährboden gegebene soziale Klassensubstanz untersucht werden. An Vorarbeiten dazu (Villoro, Al'perovic, Sljoskin) 37 fehlt es nicht, die Ergebnisse sind jedoch keineswegs ausreichend. Für das Grundanliegen unserer Diskussion muß das besondere Augenmerk der Tatsache gelten, daß in weitgehender Übereinstimmung zur Entwicklung in Spanien und Portugal, sowie auch in Ost- und Südosteuropa kein ausgereiftes bürgerliches Klassenelement vorhanden war. 38 Die spätere Hegemonie der aristokratisch-kreolischen Revolutionspartei in der Unabhängigkeitsbewegung (Mariätegui) 39 hatte ihre ideologische Vorgeschichte. Wenn man von Haitis Emanzipation, die sich ideologisch direkt an die französische Revolution knüpfte, absieht (James, Debien) 40 und den Sonderfall Brasilien mit einer nur sekundären Wirkung der Aufklärung (Marchant) 41 außer Betracht läßt, so wirkte in der Aufklärung Spanisch-Amerikas der folgende Widerspruch: Eine objektive Krisensituation zwang zum Bruch mit der vom Absolutismus verkörperten Kolonialherrschaft in Form unabhängiger Republiken ; die in den Verfassungsleitbildern zum Gesetz erhobenen Aufklärungsideen nahmen sich politisch wesentlich radikaler aus als die zeitlich vergleichbaren Leistungen der Metropole von 1808/14 und 1820/23.42 Auf sozialem Gebiet wird dagegen eine auffällig „koloniale Physiognomie" deutlich. Trotz verbalen Bekenntnissen zu den Prinzipien von 1775, 1789 und 1791 bleibt die auf weitestgehender Identität von ethnischer und sozialer Differenzierung aufbauende Klassenstruktur der Kolonialgesellschaft erhalten. 43 Für das Problem des „kolonialen" Charakters der lateinamerikanischen Aufklärung ist folglich weniger der überdurchschnittlich hohe Anteil an „importierten" Ideen, sondern die soziale Spezifik einer noch „vor"bürgerlichen Umwelt maßgebend, obwohl sich beide Seiten eng miteinander berühren. Hauptziel ist die politische Unabhängigkeit; die herrschenden Klassen, die in Zukunft über Charakter und Macht des Staates bestimmen, sind an der Aufrechterhaltung des sozialen Status quo ante existentiell interessiert und retten damit den
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Kolonialfeudalismus in die Unabhängigkeitsperiode. Dieses — auch gemessen an gemäßigten bürgerlichen (eben bürgerlichen!) Vorstellungen — „gebrochene" Verhältnis zum praktischen Vollzug aufklärerischer Grundprinzipien gibt zugleich Auskunft über den Rückschlag, der in Entsprechung zur Jakobinisierung der französischen Revolution einsetzte. Es kann allerdings nicht so pauschal, wie immer wieder gesagt, die Feststellung getroffen werden, mit dem Extremismus der Pariser Ereignisse ab 1793 sei automatisch eine Absage an die Revolution Frankreichs und eine Aufgabe radikaler Aufklärungspositionen erfolgt. 44 Eine solche Wende hat zwar Francisco de Miranda, der vom afrancesado zum Girondisten wurde und als Mitverschwörer Dumouriez' die Ungnade der Jakobiner empfindlich spüren mußte, auf fast „klassische" Weise vollzogen (Madariaga). 45 Für ein differenziertes Urteil bleibt indes anzumerken: ein distanzierteres Verhältnis zur Großen Revolution bedeutete keineswegs zwangsläufig den Verzicht auf einen radikalen Rousseauismus. 46 Nur lag ein erheblicher Unterschied darin, ob aus derselben vergötterten Quelle die Notwendigkeit einer Agrarreform und konsequenter Sklavenbefreiung oder lediglich zugunsten des „bon sauvage" genormte philanthropische Vorstellungen abgeleitet wurden. Zudem kontrastierte der Revolutionshorror der kreolischen Oberschicht auffällig mit einigen (isolierten, aber doch nachweisbaren) Versuchen um 1794 bis 1798/99, eine Variante der jakobinischen Revolution „von unten" in Szene zu setzen: Gual und España (Grases); Maracaibo (Brito Figueroa); Brasilien (Hussey). 47 Definiert man den Jakobinismus im Sinne von Marx als die „plebejische Manier, mit den Feinden der Bourgeoisie, dem Absolutismus, dem Feudalismus und dem Spießbürgertum fertig zu werden" (MEW 6, 107), dann führt die Richtung weniger nach Mexiko zu Hidalgo und Morelos, sondern weit eher zu Mariano Moreno nach Buenos Aires. 48 Sein umstrittener „Plan de Operaciones" und andere Äußerungen (Lewin)49 zeigen eine organische Verschmelzung zwischen radikaler Idee (hergeleitet von Rousseau) und radikaler Tat (inspiriert durch den Konvent). Aber bereits 1811 ist Moreno eliminiert, und seine Parteigänger gleiten rasch in jenen literarischen Jakobinismus, dessen imponierender Zitatenreichtum den um das Erbe von 1810 bemühten Historiker oft darüber hinwegtäuscht, daß ein auf Sektendasein und provinzielle Isolierung 50 eingeschrumpfter Radikalismus nicht mehr den lebendigen Strom der wirklichen Revolution manifestierte. Um das Bekenntnis zur Aufklärung (in der Einheit von philosophisch-politischem und sozialem Denken) in negativer Weise zu belasten, bedurfte es nicht des Blickes nach dem fernen Europa: viel abstoßender wirkte auf die kreolische Elite das dramatische Schauspiel des von Toussaint L'Ouverture in Santo Domingo verkörperten „schwarzen Jakobinismus". Seitdem war für
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Simón Bolívar und andere große Persönlichkeiten der kreolisch-aristokratischen Revolutionspartei die Grenze der sozialen Reform dort abgesteckt, wo die Gefahren der pardocracia, einer Herrschaft der „Farbigen" heraufdämmerten. 5 1 Der reale Einfluß der Aufklärung auf Vorgeschichte und Verlauf der Revolution von 1810 steht außer Zweifel. Wenn dementgegen einige Autoren (Giménez Fernández, Furlong) 52 autochthone, bis in das iberische Mittelalter zurückweisende Traditonen der Volkssouveränität nicht nur daneben, sondern darüber oder ganz an ihre Stelle setzen möchten, so übersehen sie das bereits von Marx am Beispiel der spanischen Verfassung von Cádiz 1812 brillant herausgearbeitete Verhältnis von Ursprung und sozialem Funktionswandel der Ideen: „Die Wahrheit ist, daß die Konstitution von 1812 eine Reproduktion der alten Fueros ist, jedoch im Lichte der französischen Revolution gesehen und den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft angepaßt" (MEW 10, 469). Abgesehen davon, daß der Rückgriff auf altibcrische Quellen im Kolonialbereich eine geringere Rolle spielte, passierte die historische Argumentation stets das philosophische Filter der Aufklärung. Das für Spanien besonders enge Verhältnis von Tradition und Fortschritt 5 3 stellte sich in Amerika lockerer dar und wurde überdies durch den Zwang zur nationalstaatlichen Abgrenzung im Ergebnis der Emanzipation noch weiter auseinandergerückt. Allerdings ist bemerkenswert, daß die romantische Generation der ausgehenden dreißiger Jahre (in Argentinien um Echeverría) ihre Kritik an der Nicht Vollendung der Revolution mit der Forderung nach einem noch militanteren Antihispanismus verband. Der nationale Romantiker mahnte: „Die Arme Spaniens erwürgen uns nicht, aber seine Traditionen erdrücken uns" (Romero) . 54 Es sollte schließlich eine Verständigung darüber möglich sein, daß die verdienstvollen Analysen über die Verbreitung aufklärerischer Schriften (Verzeichnisse kolonialer Bibliotheken, Indexlisten, Häufigkeit von Quellenverweisen; vgl. Forschungen von Toribio Medina über Spell bis Miliares Carlo) nur bedingt über den tatsächlichen Effekt des neuen Denkens Aufschluß geben. Um dies festzuhalten, bedarf es keineswegs der ein wenig demagogischen Manier von Pierre Chaunu 55 , der die Wirkung der Aufklärung mit dem Verweis auf ein Analphabetentum von 98 Prozent aus den Angeln heben möchte. Um Theorie und Praxis aufklärerischen Denkens miteinander zu vergleichen 56 , bietet sich ein anderes, von der Forschung noch keineswegs voll ausgeschrittenes Feld: Sehr im Unterschied zu Frankreich waren in SpanischAmerika diejenigen, die Aufklärung „gedacht" haben, dieselben, die später die Revolution „gemacht" haben. Nur wenige hat ein vorzeitiger Tod davon entbunden, für ihre Ideen die Hand ins Feuer der Revolution legen zu müssen. 57
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Die zum dauerhaften Gesetz der Nachemanzipation geronnene Wirklichkeit blieb weit hinter den scheinbar unendlichen Horizonten der Theorie zurück — immanentes Problem bürgerlichen RevolutionsVerständnisses, potenziert durch den latenten sozialen Konservatismus einer zur herrschenden Klasse aufsteigenden Schicht von halbfeudalen Großgrundbesitzern (und Sklavenhaltern). Wie sich die Bilder gleichen: St. Just begründete den Terror mit der Notwendigkeit, daß zwar die Gesetze revolutionär seien, aber nicht die Menschen, die sie anwenden müssen; 58 und M. Moreno — die Ideen Rousseaus über Sparta aufnehmend — schrieb mahnend: „Alle Weisheit unserer Gesetze macht uns nicht glücklich, wenn eine korrumpierte Verwaltung sie ungestraft vergewaltigen läßt." 59 Trotzdem wird man die Bilanz positiver sehen dürfen, als der Wandel von Simón Bolívar vermuten läßt (Masur)60: Er tritt in die Revolution mit einer fast schwärmerischen Rousseauverehrung (Produkt seines Lehrers Rodríguez)61 und endet sein Werk der Befreiung Südamerikas mit den Worten: „Wir haben ein Meer gepflügt." 1 O. C. Stoetzer, El pensamiento político de la América española durante el período de la Emancipación (1789—1825), Madrid 1966, 2 Bde. 2 R . Levene, El m u n d o de las ideas y la revolución hispanoamericana de 1810, Santiago de Chile 1956. — F. López Cámara, La génesis de la conciencia liberal en México, Mexiko 1969 2 . — J . L. Romero, Las idéas políticas en Argentina, Mexiko-Buenos Aires 1959 3 . — Bemerkenswert f ü r Chile: R. Donoso, Las Ideas Políticas en Chile, Santiago 1967 2 , und die vom historischen Revisionismus geprägten Arbeiten von N. Meza Villalobos, La conciencia chilena durante la Monarquía, Santiago de Chile 1958, und Tradición y Reforma en 1810, Santiago de Chile 1961. 3 P. K . Korn, Tópica in Mexican historiography, 1750—1810: The Bourbon reforms, the Enlightenment, and t h e background of revolution, in: Investigaciones Contemporáneas sobre Historia de México, Mexiko 1971, S. 159 ff. 4 Latin America and the Enlightenment. Essays b y A. P. Whitaker, R . D. Hussey, H. Bernstein, J . Täte Lanning, A. Marchant, and Ch. Griffin. Introduction b y F. de Onís, Ed. b y A. P. Whitaker, New York 1961 2 . 5 J . T ä t e Lanning, The Reception of t h e Enlightenment in Latin America, i n : Latin America and t h e Enlightenment, S. 90. — Ders., The Eighteenth Century Enlightenment in t h e University of San Carlos de Guatemala, Ithaka, N. Y. 1956. 6 Eine brillante Fallstudie f ü r Chile lieferte H . Ramírez Necachea, Antecedentes Económicos de la Independencia de Chile, Santiago de Chile 1967 a . — Vojna za nezavisimost' v Latinskoj Amerike 1810—1826 gg., Moskau 1964. (Speziell die Beiträge von N. M. Lavrov, S. 15ff., A. L. Strachov, S. 44ff., F. A. Granin, S. 81 ff-, B. I. Koval', S. 139ff., V. I. Ermolaev, S. 169ff., M. S. Al'perovic, S. 270ff.).
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7 Zur generellen Positionsbestimmung von Aufklärung und moderner Aufklärungsforschung vgl. Philosophisches Wörterbuch, hrsg. von G. Klaus und M. Buhr, Leipzig 1969 6 , Bd. 1, S. 135ff. 8 Die Philosophie der Aufklärung (1932). 9 Ungeachtet der erforderlichen kritischen Distanzierung von der konservativen Deutung liegt ein echtes Verdienst Stoetzers in der Verbindung beider Ebenen, der „europäischen" und der „amerikanischen". 10 Einen fast programmatischen Enthusiasmus in dieser Richtung zeigt G. Arciniegas, La Ilustración en América Latina, in: Mélanges à la Mémoire de J e a n Sarrailh, Paris 1966, Bd. 1, S. 29ff. 11 Prononciert ausgeprägt bei E. de Gandía, Napoleón y la Independencia de América, Buenos Aires 1955, S. 10 ff, und späteren Arbeiten. 12 J . Furlong, S. J., Nacimiento y Desarrollo de la Filosofía en el Río de la Plata 1 5 3 6 - 1 8 1 0 , Buenos Aires 1952, spez. S. 585ff. 13 M. Giménez Fernández, Las ideas populistas en la independencia de Hispanoamérica, i n : Anuario de Estudios Americanos, Sevilla, Bd. I I I , 1946, S. 517ff. 14 Levene, a. a. O., S. 25ff. 15 Stoetzer, a. a. O., Bd. I I , S. 255ff. — Eine liberal-positivistische Aufwertung der spanischen Tradition v e r t r i t t T. Halperín Donghi, Tradición política española e ideología revolucionaria de Mayo, Buenos Aires 1961. 16 Arciniegas, a. a. O., S. 42ff. 17 J . Toribio Medina, La Inquisición en el Río de la Plata. El tribunal del Santo Oficio de la Inquisición en las Provincias del Plata, Buenos Aires 1945, S. 267 ff. 18 A. de Humboldt, Ensayo Político sobre el Reino de la Nueva España. Estudio preliminar de J . A. Ortega Medina, Mexiko 1966, S. X L V . 19 Ch. Minguet, Alexandre de Humboldt. Historien et Géographe de l'Amérique Espagnole 1799/1804, P a r i s l 9 6 9 , S . 2 1 0 f f . — M. Kossok, Alejandro de Humboldt y el lugar histórico de la revolución de independencia latinoamericana, in: Alejandro de Humboldt. Modelo en la lucha por el progreso y la liberación de la humanidad, Berlin 1969, S. 33ff. 20 J . Sarrailh, L'Espagne éclairée de la seconde moitié du X V I I I e siècle, Paris 1964 2 . — L. Domergue, Jovellanos et la Société Economique des Amis du Pays de Madrid (1778—1795), Paris 1971. — R . Krebs Wilckens, El pensamiento histórico, político y económico de Conde de Campomenes, Santiago de Chile 1960. 21 M. Kossok, El Virraynato del Río de la Plata. Su estructura económica-social, Buenos Aires 1959, S. 125 ff. 22 Levene, a. a. O., S. 157ff. 23 J . C. Chiaramonte, Problemas del Europeismo en Argentina, Buenos Aires 1964, S. 17 ff. 24 G. Anés Alvarez, Economía e „Ilustración" en la España del siglo X V I I I , Barcelona 1969. 25 J . Ingenieros, La evolución de las ideas argentinas, Buenos Aires 1961, S. 77 f., 99 ff. 26 Als klassisches Beispiel gilt die Auslassung der religionskritischen Passagen in der berühmten Übersetzung des Contrat Social durch Mariano Moreno. Zu dieser
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Streitfrage vgl. B. Lewin, Rousseau y la Independencia Argentina y Americana. Buenos Aires 1967, S. 44f. M. S. Al'perovií, Hidalgo und der Volksaufstand in Mexiko, in: Lateinamerika zwischen Emanzipation und Imperialismus, 1810—1960, Berlin 1961, S. 53 ff. J . Lafaye, Quetzalcoatl et Guadaloupe. Eschatologie et Histoire au Mexique (1521-1821), Paris 1971, 2 Bde, spez. Bd I, S. 342ff. Chiaramonte, a. a. O., S. 26ff. López Cámara, a. a. O., S. 217 ff. — Grito de Independencia en Colombia. Homen a j e definitivo al sesquicentenario, Bogota 1960. — Meza Villalobos, a. a. O. P. González Casanova, El Misoneismo y la Modernidad Cristiana en el Siglo X V I I I , Mexiko 1948, S. 183 ff. Die qualitative Zäsur von „ m o d e r n e m " Denken und Aufklärung im engeren Sinne wird übersehen in N. D. Husseys interessanter Studie: Traces of French Enlightenment in Colonial Hispanic America, i n : Latin America and t h e Enlightenment, S. 35. J . V. Polisensky, La crisis de la sociedad colonial española y el problema agrario, Beitrag zum Kolloquium „Feudalismus und Kapitalismus in der Geschichte Lateinamerikas", Leipzig, J u n i 1972. M. Batllori, S. J., El abate Viscardo. Historia y mito de la intervención de los jesuitas en la independencia de Hispanoamérica, Caracas 1953. — Ders., L a cultura hispano-italiana de los jesuitas expulsos. Españoles. Hispanoamericanos. Filipinos, 1767—1814, Madrid 1966. — Ders., Encyclopedia e ilustración en la cultura hispano-italiana del siglo X V I I I , in: X I e Congr. I n t . des Sc. Hist., Résumés des Communications, Göteborg, Stockholm, Uppsala 1960, S. 158ff.
35 G. Furlong, S. J . , Los jesuitas y la cultura rioplatense, Buenos Aires 1946, S. 142f. 36 Batllori, La cultura hispano-italiana, S. 171. 37 M. S. Al'peroviö, L. J u . Sljoskin, Obranovanije nezavisimich gosudarstv v Latinskoj Amerike (1804—1903), Moskau 1966. — Dies., Novaja istorija stran Latinsk o j Ameriki, Moskau 1970. — Unentbehrlich vor allem : J . Vicens Vives, Historia Social y Económica de España y América, Bde 3—5, Barcelona 1957/59. 38 W . Markov, Die Brücke der Aufklärung, in: Revue des Etudes Sud-Est Européennes, T. X, Nr. 2, S. 373—383. Bukarest 1972. - Geschichte der Philosophie, Bd. I, Berlin 1960, S. 577ff. — Es hieße allerdings, die Analogie zu überziehen, wollte m a n die kreolische Elite als eine amerikanische Variante der f ü r Osteuropa typischen „Adelsrevolutionäre" interpretieren. 39 J . C. Mariátegui, Siete Ensayos de Interpretación de la Realidad Peruana, Lima 1968 13 , S. 56. 40 C. L. R. James, The Black Jacobins. Toussaint l'Ouverture and the San Domingo Revolution, New York 1963 2 . — T. Lepkowski, Haiti, Bd I, H a v a n n a 1968, S. 68 ff. (Estudios del Centro de Documentación J . F. Noyala, 4). — Vgl. auch G. Debiens kritische Analyse der Historiographie über Saint-Domingue, in: Revue d'Histoire des Colonies, J g . 1953, Paris. 41 A. Marchant, Aspects of t h e Enlightenment in Brazil, i n : Latin America and t h e Englightenment, S. 95ff.; Bibliographie, S. 116f.
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42 I. M. Maiski, Neuere Geschichte Spaniens 1 8 0 8 - 1 9 1 7 , Berlin 1961, S. 47ff. 92ff. 43 M. Kossok, Revolution und Bourgeoisie in Lateinamerika. Zum Charakter der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung 1810—1826, in: ZfG, Berlin, 11. Jg., 1961, Sonderheft, S. 136. — Die daraus resultierende Belastung f ü r die erforderliche Massenbasis der Revolution h a t H. J . Pianetto in einer bemerkenswerten Fallstudie dargelegt (La situación social de la Campaña de Córdoba durant e el período de la Revolución 1810—1814, Cordoba 1968, S. 5ff.). 44 M. Kossok, Robespierre vu par les artisans de l'indépendance de 1'Amérique espagnole, i n : Actes du colloque Robespierre, Paris 1967, S. 157ff. 45 S. de Madariaga, El ocaso del imperio español en América, Buenos Aires 1959 2 , S. 450 ff. 46 J . R. Spell, Rousseau in t h e Spanish World before 1833, Austin, Tex. 1938. — Lewin, a. a. O. 47 L. Machado Rivas, Movimientos revolucionarios en las colonias españolas de América, Montevideo 1940, S. l l O f f . — F. Brito Figueroa, Las insurrecciones de los esclaves negros en la sociedad colonial venezolana, Caracas 1961, S. 97ff. — P. Grases, La conspiración de Gual y España y el ideario de la Independencia, Caracas 1949. 48 R. Levene, Ensayo Histórico sobre la Revolución de Mayo y Mariano Moreno. Contribución al Estudio de los Aspectos Político, Jurídico y Económico de la Revolución de 1810, Buenos Aires 1949 3 , 3 Bde. — E. Ruiz-Guiñazú, Epifanía de la Libertad, Documentos secretos de la revolución de Mayo, Buenos Aires 1952. — J . Ingenieros, La evolución de las ideas argentinos, Buenos Aires 1961, Bd I, S. 99ff. — L. Paso, Los caudillos y la organización nacional, Buenos Aires 1965, S. 22ff. — Der nicht selten verwendete Begriff des Jakobinismus (M. Moreno, T. Moreno, Monteagudo) ist nur bildlich zu akzeptieren, da sowohl die historische Konstellation als auch die sozialen Voraussetzungen der Revolution am L a Plata (wie in anderen Gebieten) keinen schematischen Vergleich zur f r a n zösischen Revolutionsetappe von 1793/94 gestatten. Die Situation entsprach etwa dem jakobinisch inspirierten Radikalismus der „Comuneros" in der spanischen Revolution von 1820—1823. (Vgl. Maiski, a . a . O . , S. 112ff. — S. Sobrequés, Historia de España moderna y contemporánea, Barcelona 1969 5 , S. 309). Auch die Orientierung der guerrilla auf den revolutionären Terror m u ß primär unter taktisch-strategischen Gesichtspunkten der praktischen Kriegslage gesehen werden (M. Kossok, Der iberische Revolutionszyklus 1789—1830. Bemerkungen zu einem Thema der vergleichenden Revolutionsgeschichte, i n : Studien über die Revolution, Berlin 1969, S. 222ff.). 49 Gegen Levene, Ensayo Histórico, Bd I I , S. 220ff., entschieden Lewin (übereinstimmend mit Ruiz-Guiñazú, a. a. O., S. 181 ff.), in: Rousseau, a. a. O., S. 48f. 50 G. Ibarguren, Las Sociedades Literarias y la Revolución Argentina, Buenos Aires 1937, S. 165 (über Aktivitäten von Morenos Bruder Teodoro in Córdoba). 51 G. Masur, Simón Bolívar und die Befreiung Südamerikas, Konstanz 1949. — Madariaga, a. a. O., S. 400 f. 52 Giménez Fernández, a. a. O. — Furlong, Nacimiento, S. 585ff.
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53 R. Herr, The Eighteenth Century Revolution in Spain, Princeton, N. J., 1958, S. 37ff. 54 Romero, a. a. O., S. 142. 55 P. Chaunu, a. a. O., S. 193. 56 F. A. Kafker, Les Encyclopédistes et la Terreur, in: Revue d'Histoire moderne et contemporaine, Paris, Bd 14, Juli—Sept. 1967, S. 283 ff. — F ü r Spanien vgl. M. Defourneaux, Pablo de Olavide ou 1'Afrancesado, Paris 1959, S. 309 ff. 57 Hierin liegt ein nicht unwesentlicher Ansatz f ü r die Schwierigkeit, das „ E n d e " der Aufklärung in Lateinamerika zu bestimmen. Die eigentliche Zäsur liegt eindeutig in der Unabhängigkeitsrevolution. Noch im Verlaufe der antikolonialen Emanzipation erfolgt ein fast nahtloser Ubergangzu denjeweils i n E u r o p a (undden USA) dominierenden Richtungen: Utilitarismus Benthams, klassischer Liberalismus, Einfluß der Romantik mit zunehmend klerikal-konservativer oder auch bürgerlich-liberaler Rousseaukritik. Eine bemerkenswerte Personifizierung der Vereinigung von aufklärerischem Erbe und progressivem Liberalismus bot Andrés Bello. (Vgl. Andrés Bello 1865—1965, Santiago 1966; spez. die Beiträge von J . Heise González, S. 18ff., R. Donoso, S. 95ff., G. Mandujano, S. 194ff., J . C. Jobet, S. 250 ff.). 58 N. Koplenig, Geburt der Freiheit. Gestalten und Ereignissein Frankreich 1789 bis 1794, Berlin 1964, S. 231. 59 Lewin, Rousseau, S. 41. 60 Masur, a. a. O. 61 B. Bruni Celli, Reflexiones sobre Don Simón Rodríguez, in: Boletin de la Academia Nacional de la Historia, Caracas, Bd 54, Okt. —Dez. 1971, Nr 216, S. 559ff. — J . Febres Cordero, Arcaísmos institucionales e influencias románticas en el Libertador, i n : Boletín Histórico, Caracas, Nr 26, Mai 1971, S. 153ff.
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Aspekte
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HANS W E K N E R S E I F F E R T
Zu Problemen der deutschen Aufklärung Die Frage, ob man im 18. Jahrhundert von einer gesamteuropäischen Epoche der Aufklärung sprechen kann, die, von der französischen Bewegung angeregt, in zunehmendem Maße die gesellschaftliche Entwicklung des Kontinents bestimmt habe, kann nur aus der ideologiegeschichtlichen Situation der Länder beantwortet werden, die an der „Aufklärung" teilhaben. Bei der Vergleichung der Grundprobleme, die durch diese ideologische Bewegung allenthalben sichtbar werden, wird man einer offensichtlichen Gesetzmäßigkeit gewahr. Sie tritt an den Periodengrenzen in Erscheinung, an denen sich der Ubergang von einer ökonomischen Gesellschaftsformation oder von einer ihrer Phasen zu einer anderen in einer bestimmten historischen Situation vollzieht. Der Ablösungs- und Befreiungsprozeß von historisch überkommenen Autoritäten macht sich ebenso deutlich wie der Wille der Kräfte, die sich in ihrer Aufstiegsphase befinden. In diesem Sinne sind die Grundzüge „aufgeklärter Zeiten" (wie wir sie immer wieder, selbst in Antike und Gegenwart beobachten können) als Markierungen der Geschichte aus dieser Übergangsproblematik zu verstehen. Sie zeigen verwandte Erscheinungen auf, die einer Entwicklung angehören, die, wie Lenin in Anwendung eines der dialektischen Grundgesetze sagte, „die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf höherer Stufe (Negation der Negation), eine Entwicklung, die nicht geradlinig, sondern sozusagen in einer Spirale vor sich geht .. .'